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{"created":"2022-01-31T16:42:19.952366+00:00","id":"lit35973","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Mayer, B.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 56: 141-153","fulltext":[{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"141\nBeitrag zur Lokalisation von Schmerzempfindungen.\nVon\nB. Mayer (Freiburg i. B.).\nMit 4 Textabbildungen.\nI. Einleitung.\nDie ersten eingehenden Versuche \u00fcber den Raumsinn der Haut verdanken wir bekanntlich E. H. Weber,1 der sich bei der Bestimmung der Sch\u00e4rfe des Lokalisationsverm\u00f6gens durch den Drucksinn zweier Verfahrungsweisen bediente: In einer ersten Untersuchungsreihe aus dem Jahre 1829 ging er so vor, dafs die Haut an verschiedenen Stellen gleichzeitig mit zwei Spitzen von wechselnder Entfernung ber\u00fchrt wurde, worauf die Vp. den Eindruck zu beschreiben hatte. Sie mufste angeben, ob eine oder zwei Spitzen wahrgenommen wurden; im zweiten Fall sollte sie noch etwas \u00fcber die Entfernung der beiden Ber\u00fchrungsstellen aussagen, sowie \u00fcber die Richtung, in der diese auf der Hautfl\u00e4che zueinander lagen. Die zweite Untersuchungsreihe wurde erst viele Jahre sp\u00e4ter \u2014 1852 \u2014 durchgef\u00fchrt, und bestand darin, dafs im unwissentlichen Verfahren eine Hautstelle mit einer Spitze ber\u00fchrt wurde, worauf die Vp., welche die Ber\u00fchrung empfand, aber nicht sah, die getroffene Stelle zu zeigen hatte. Soweit die Sprache diese beiden Methoden zu charakterisieren gestattet, wird mittels der ersten das Unterscheidungs-, mittels der zweiten das absolute Erkennungsverm\u00f6gen f\u00fcr r\u00e4umliche Verh\u00e4ltnisse durch den Drucksinn gepr\u00fcft. In beiden Versuchsreihen stellte sich heraus, dafs das Lokalisationsverm\u00f6gen des\nDrucksinns an verschiedenen Stellen der Haut in ungleichem\n\u25a0-------- \u00ab\n1 E. H. Weber, Der Tastsinn und das Gemeingef\u00fchl in Wagners Handw\u00f6rterbuch d. Physiol. Ill, 2. S. 481. 1846.","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nB. Mayer.\nMafse entwickelt ist und dafs seine Sch\u00e4rfe zunimmt, je weiter distal die untersuchten Hautpartien gelegen sind. Von besonderer Wichtigkeit war die Feststellung, dafs beim Drucksinn die Feinheit des absoluten Erkennungs- mit der des Unterscheidungsverm\u00f6gens durchaus parallel geht, d. h. gibt man an einer Hautstelle den Reizort nur mit geringen Abweichungen an, so ist dort auch die Raumschwelle eine niedrige.\nEs lag nahe, diese Untersuchungen auch auf die anderen Hautsinne auszudehnen, also auch beim Temperatur-1 und Schmerzsinn die Genauigkeit zu pr\u00fcfen, mit der eine Reizstelle erkannt und zwei Reizstellen auseinandergehalten werden. Tats\u00e4chlich hat es nicht an Bem\u00fchungen gefehlt, das Lokalisationsverm\u00f6gen dieser beiden Sinneswerkzeuge zu ermitteln. Die Untersuchungen stiefsen aber auf mancherlei Schwierigkeiten. Vor allem war es nicht m\u00f6glich, Temperatur- und Schmerzempfindungen in reiner Form, also ohne begleitende Ber\u00fchrungsempfindungen zu erzeugen. Beim Temperatursinn bildete \u00fcberdies die Anordnung der peripheren Empfangsapparate ein gewisses Hindernis, die erst aufgesucht werden m\u00fcssen und lang nicht so dicht in der Haut verteilt sind, wie die Rezeptoren f\u00fcr Druck oder Schmerz. An eine Pr\u00fcfung des Lokalisationsverm\u00f6gens beim Schmerz-sinn konnte erst gedacht werden, als wir uns durch v. Frey 2 im Besitze einer Methode befanden, die es gestattet, reine Schmerzempfindungen zu erzeugen. Eine Ermittlung der Raumschwellen f\u00fcr den Schmerzsinn mit Hilfe dieses neuen Verfahrens hat nun zu dem Ergebnis gef\u00fchrt, dafs sie sowohl in der L\u00e4ngs- als auch Querrichtung zumeist erheblich gr\u00f6fser sind als beim Drucksinn.3 4 Auf Grund dieses Befundes liefs sich erwarten, dafs auch das absolute Erkennungsverm\u00f6gen f\u00fcr Stellen, an denen Schmerzreize gesetzt wurden, ebenfalls ein schlechteres\nsein w\u00fcrde. Nach einer Untersuchung von Ponzo 4 wird aber \u2022 \u2022\ndie \u00d6rtlichkeit von Schmerzreizen im allgemeinen etwas besser\n1\tM. Ponzo, \u00c9tude de la localisation des sensations thermiques de chaud et de froid. Arch. ital. de biol. 60, 218. 1913.\n2\tM. v. Frey, Versuche \u00fcber schmerzerregende Reize. Zeitschr. f. Biol. 76, 1. 1922.\n3\tE. v. Skramlik, \u00dcber die Lokalisation der Empfindungen bei den\nniederen Sinnen. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 56, 69.\t1924.\n4\tM. Ponzo, Recherches sur la localisation des sensations tactiles et dolorifiques. Arch. ital. de biol. 55, 1. 1911.","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lokalisation von Schmerzempfindungen.\n143\nerkannt, als die von Druckreizen. Diese Beobachtung w\u00fcrde lehren, dafs die Sch\u00e4rfe des absoluten Erkennungs- mit der des Unterscheidungsverm\u00f6gens durchaus nicht parallel zu gehen braucht, eine Erscheinung, die zu den bisherigen Ergebnissen eine Ausnahmestellung einnimmt. Nun ist von Wichtigkeit zu bemerken, dafs Ponzo die Schmerzreize mit Hilfe von fein zugespitzten Metallnadeln gesetzt hat, die in die Haut gestochen wurden. Er gibt an, dafs bei diesem Verfahren keine Ber\u00fchrungsempfindungen entstehen. Dies kann doch nur in dem Sinne zu verstehen sein, dafs die Schmerzempfindungen so lebhafte waren und so schnell erzeugt wurden, dafs die Druckempfindung in dem auftretenden Empfindungskomplex zeitlich nicht gesondert wahrgenommen wurde. Deshalb konnte diese immer noch f\u00fcr die Ortsangabe entscheidend sein. Durch diese Untersuchung,\nan der nur zwei Vp. teilnahmen, ist also die Frage nach der _\t\u2022 \u2022\nSch\u00e4rfe des Erkennungsverm\u00f6gens f\u00fcr die \u00d6rtlichkeit von Schmerzreizen noch nicht beantwortet; deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, das aufgeworfene Problem mittels der neuen Methodik einer Entscheidung zuzuf\u00fchren.\nII. Eigene Untersuchungen.\nZur Erzeugung der Schmerzreize ben\u00fctzte ich Stachelborsten nach den Angaben v. Frey\u2019s. Die Stacheln von Carduus acanthoides stehen nicht jederzeit zur Verf\u00fcgung; deshalb verwendete ich die einer anderen Distelart, n\u00e4mlich von Onoperdon bracteatum, die die gleiche Wirkung aus\u00fcben. Setzt man diese Stachelborsten unbehaarten Hautstellen mit zarter Oberschicht unter m\u00f6glichst geringem Druck auf, so empfindet die Vp. an bestimmten Punkten nach einer gewissen Latenz, die meist etwa 1\u201c betr\u00e4gt, eine deutliche Stichschmerzempfindung, ohne zuvor auch nur die\nleiseste Ber\u00fchrung versp\u00fcrt zu haben.\n\u2022 \u2022 ______________\nAls \u00d6rtlichkeit zur Pr\u00fcfung des absoluten Erkennungs-Verm\u00f6gens von Schmerzreizstellen kamen vornehmlich die Volarseite des Oberarmes und die Schl\u00fcsselbeingegend in Betracht, als Hautpartien, die wenig oder gar nicht behaart sind, und sich durch eine zarte Oberschicht auszeichnen. An diesen beiden Hautstellen wurde nun das Erkennungsverm\u00f6gen f\u00fcr die \u00d6rtlichkeit von Schmerz- und Druck reizen verglichen, wobei die Schmerzempfindungen mittels Stachelborsten, die Druckempfindungen mittels Reizhaaren ausgel\u00f6st wurden.","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nB. Mayer.\nDie maximale Kraft der Stachelborsten und Reizhaare betrug\n0.\t5 g. Als Vpn. nahmen an der Untersuchung teil: Die Herren\n1.\tGustav Mayee-Montfoet, 2. Prof. v. Skeamlik und die Damen 3. Verf., 4. Geeteud Montfoet, 5. Dr. jur. Geeteud Oppenhoff, 6. cand. med. Geeteud Ostee, 7. cand. phil. Johanna Wietz, 8. cand. phil. Maeia Wietz. Es liegt mir am Herzen, den Genannten auch an dieser Stelle f\u00fcr ihre M\u00fchewaltung und das Interesse, das sie an den Versuchen genommen haben, bestens zu danken.\nVor Inangriffnahme der eigentlichen Experimente wurden die Vpn. einge\u00fcbt, damit sie Schmerz und Druck gut unterschieden. Es ist ausdr\u00fccklich zu bemerken, dafs dieses nicht jedem gleich im Anfang gelingt. Im allgemeinen gen\u00fcgten zur Ein\u00fcbung zwei Sitzungen vollkommen. Die Versuchsanordnung war so gew\u00e4hlt, dafs die Vp. mit geschlossenen Augen dem Versuchsleiter gegen-\u00fcbersafs. In wechselnder Reihenfolge wurden nun Tast- und Schmerzreize gesetzt, ohne dafs die Vp. etwa zuvor ein Zeichen zur Einstellung ihrer Aufmerksamkeit bekam. Auf diese Weise war jegliche Beeinflussung vermieden. Sowie die Vp. etwas versp\u00fcrte, hatte sie die Empfindung sofort zu benennen und die getroffene Stelle mit Hilfe eines zugespitzten St\u00e4bchens unter Zuhilfenahme der Augen zu zeigen. Bei der Lokalisation von Tastempfindungen ist vielfach grofses Gewicht darauf gelegt worden, der Vp. das Aufsuchen der getroffenen Stelle dadurch zu erleichtern, dafs sie selbst mit Hilfe des zum Zeigen verwendeten St\u00e4bchens eine \u00e4hnliche Empfindung erzeugen durfte. Dies geschah in der Weise, dafs sie die Umgebung der Reizstelle abtastete, bis sie auf einen Punkt stiefs, dessen Ber\u00fchrung eine Empfindung entstehen liels, die der ersten dem Charakter nach gleich schien. Es ist nicht m\u00f6glich, dieses Verfahren auch f\u00fcr die Schmerzreize anzuwenden, die nach der angegebenen Methode gesetzt werden. Um also f\u00fcr Ber\u00fchrung und Schmerz m\u00f6glichst gleichartige Verh\u00e4ltnisse zu schaffen, durfte in beiden F\u00e4llen beim Zeigen die vermutliche Reizstelle ber\u00fchrt werden; es war aber nicht gestattet, nun etwa durch weiteres Tasten eine passendere Stelle ausfindig zu machen.\nUm die Abweichung der Angaben der Vp. von der objektiven Reizstelle zu charakterisieren, mufste bei den Versuchen zweierlei bestimmt werden: 1. der Abstand, in dem sich die von der Vp. angegebene Stelle von dem tats\u00e4chlichen Reizorte befand,","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lokalisation von Schmerzempfindungen.\n145\nund 2. die Lage der Verbindungslinie dieser beiden Punkte zu einer auf der betreffenden Hautstelle willk\u00fcrlich gew\u00e4hlten Richtungslinie. Zur Erleichterung der Ausmessung wurde auf der Haut mit Hilfe eines Stempels eine Netzeinteilung angebracht. Es handelte sich um 25 Quadrate von ungef\u00e4hr 1 cm Seitenl\u00e4nge. Am Oberarm wurden insgesamt 100, unterhalb des Schl\u00fcsselbeins 50 solcher Quadrate verzeichnet, der Stempel also 4 bzw. 2 mal aufgedr\u00fcckt. Wegen der Verschieblichkeit der Haut verursachte die Markierung auf dem Oberarm urspr\u00fcnglich einige Schwierigkeiten, die sich aber bei zunehmender \u00dcbung in der Handhabung des Stempels v\u00f6llig bew\u00e4ltigen liefsen. Dieselbe Netzeinteilung wurde in doppelter Ausfertigung (zur getrennten Eintragung der Orte f\u00fcr Ber\u00fchrungs- und Schmerzempfindungen) auch auf Papier aufgetragen. Der Versuchsleiter suchte bei jedem Versuch mehrere Stellen aus, auf denen Ber\u00fchrung und Schmerz deutlich empfunden wurde und verzeichnete auf der Netzeinteilung diejenigen, die sich an leicht auffindbaren Stellen der Quadrate, z. B. in den Ecken, oder in der Mitte befanden. Diese wurden dann w\u00e4hrend des Versuchs benutzt, auf der Haut aber nat\u00fcrlich nicht markiert. Mit Hilfe der angebrachten Einteilung war es ein Leichtes, die Abweichung der Angabe der Vp. in bezug auf Entfernung der vermeintlichen Reizstelle von der objektiven festzustellen. Die von der Vp. bezeichnete Stelle wurde ebenfalls auf dem Plane markiert und durch einen Strich mit der objektiven Reizstelle verbunden. Die Fehler, die bei dieser Art von Registrierung der Resultate begangen wurden, sind sehr klein. Sie betrugen bei sorgf\u00e4ltigem Vorgehen maximal \u00b1 0,5 mm. Die ausgesuchten Stellen wurden bei jedem Versuche zehnmal gereizt, und zwar f\u00fcnfmal mit dem Reizhaar, und ebensooft mit dem Distelstachel.\nDie Reizst\u00e4rke war bis zu einem Grade durch den Bau des Reizhaares bzw. der Stachelborste bestimmt und in allen Versuchen ann\u00e4hernd gleich. Im \u00fcbrigen ist sie, wie ich mich in eigenen Experimenten \u00fcberzeugt habe, f\u00fcr die Erkennung des Reizortes v\u00f6llig ohne Bedeutung. Es wird also im allgemeinen nicht etwa besser lokalisiert, wenn der Reiz ein st\u00e4rkerer ist. Von einem gewissen Einflufs auf den Gang der Untersuchung sind aber die Nachempfindungen, die sich nat\u00fcrlich besonders beim Schmerz bemerkbar machen. Es handelt sich weniger um \u201eNachschmerzen\u201c \u2014 also schmerzhafte Empfindungen,","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nB. Mayer.\ndie in unverminderter St\u00e4rke durch l\u00e4ngere Zeit den Reiz \u00fcberdauern, als vielmehr um Empfindungen des Juckens, die nach den Angaben v. Freys auf einer schwachen Reizung der peripheren Schmerznervenendignngen beruhen. In einem solchen Fall empfiehlt es sich, die Haut f\u00fcr eine Zeitlang ausruhen zu lassen, oder aber ein paarmal unter geringem Druck \u00fcber sie hinwegzustreichen, wodurch s\u00e4mtliche Nacherscheinungen sehr bald verschwinden. Manche Schmerzpunkte versagen bei wiederholter Reizung ganz pl\u00f6tzlich und so vollst\u00e4ndig, dafs f\u00fcr eine Zeitlang beim Aufsetzen der Distelstacheln entweder \u00fcberhaupt nichts, oder nur eine Ber\u00fchrung empfunden wird. Diese Erscheinung, die auch von anderer Seite beobachtet wurde, tritt bei jeder Vp. gelegentlich auf, doch vermag ich daf\u00fcr keine Erkl\u00e4rung zu geben.\nProtokolle eines Versuches an Vp. 4 in etwa ,/2 der nat\u00fcrlichen Gr\u00f6fse.\nRechter Oberarm, Volarseite. Oben Ergebnisse bei Schmerz-, unten bei Tastreizen. Man beachte, dafs die Abweichungen bei Tastreizen f\u00fcr alle Punkte erheblich geringer sind, als bei Schmerzreizen.\nsoll gleich an dieser Stelle mitgeteilt werden, dafs die \u00d6rtlichkeit von Druckreizen im allgemeinen mit gr\u00f6fserer Sicherheit angegeben wird, als die von Schmerzreizen. Verzeichnet man die Ortsangaben in der beschriebenen Weise, so ergeben sich eigenartige Figuren, von denen die eines Versuches auf der Volarseite des rechten\nb c d e f g h i\n9\n8\n7 6\n5\n4\n3\n9\n8 7\n6\n5\n4 3 2\n\t\t\t\t\t\t4V\t\n\t\t\t\t\t\t7 \\\t\\\n\tV\tli\t\t\t\t\t/\t\\\n\tV\t\t\t\t/\t\t\n\t1\t\t\t\t\t\t\n\t/\t/\t\t\t\\\t\t\n\ti\t\t\t\t\t\t\nAbbildung 1.\nAls wichtiges Ergebnis","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lokalisation von Schmerzempfindungen.\n147\nOberarmes von Vp. 4 in der Abbildung 1 wiedergegeben sind. Das obere Bild zeigt die Abweichungen in den Angaben von der objektiven Reizstelle f\u00fcr Schmerz-, das untere f\u00fcr Druckreize. Schon eine fl\u00fcchtige Betrachtung lehrt, dafs die Fehler bei der Bezeichnung der Schmerzreizstellen erheblich gr\u00f6fser sind. Wie schon aus den Untersuchungen von Henei 1 \u00fcber das absolute Erkennungsverm\u00f6gen von Druckreizstellen hervorgeht, sind die Fehler f\u00fcr den einzelnen Punkt sowohl der Gr\u00f6fse, als auch der Richtung nach fast niemals gleich. Bei einzelnen Punkten wird im allgemeinen etwas besser, bei anderen schlechter lokalisiert. Oft ist man von der Genauigkeit, mit der die \u00d6rtlichkeit bezeichnet wird, \u00fcberrascht, wie z. B. bei dem Punkt im Felde g 3 (Druckreize); doch machen die Vpn. zumeist nach einigen genaueren Angaben pl\u00f6tzlich sehr grofse Fehler.\nMan k\u00f6nnte glauben, dafs die grofsen, teilweise recht erheblichen Abweichungen des subjektiven vom objektiven Reizort, sowohl f\u00fcr Schmerz als auch Druck bei Reizung von Hautstellen auf der rechten K\u00f6rpergegend z. T. durch das Zeigen mit der linken Hand bedingt sind, die meist wenige* beim Arbeiten ben\u00fctzt wird und deshalb nicht so ge\u00fcbt ist. Trotzdem diese Annahme nicht sehr wahrscheinlich ist, weil ja oft auch mit der linken Hand mit \u00fcberraschender Genauigkeit gezeigt wird, so\nhabe ich doch noch eigene Versuche angestellt, bei denen der\n_ _ _ \u2022 \u2022\nReiz am linken Arm gesetzt wurde und die \u00d6rtlichkeit mit der\nrechten Hand gezeigt werden mufste. Dabei hat sich ergeben,\ndafs das Ergebnis im grofsen ganzen das gleiche ist, ob mit der\nrechten oder linken Hand gezeigt wird.\nBemerkenswert ist, dafs manche Vpn. bei der Angabe von Schmerzreizstellen ein Gef\u00fchl gr\u00f6fserer Sicherheit haben, als bei der von Druckreizorten. Sie sind daher sehr \u00fcberrascht, wenn man ihnen nach Beendigung eines Versuches das Ergebnis zeigt, und sie nunmehr entgegen ihren Erwartungen sehen, dafs Schmerzreize viel schlechter lokalisiert werden, als Druckreize.\nBevor wir uns der Besprechung der Versuchsergebnisse, vor allem der Ausmessung zuwenden, sei hier noch einiges \u00fcber das Verhalten der einzelnen Vpn. gesagt, das durchaus nicht gleich-\n1 V. Henri, Raumwahrnehmungen des Tastsinns. Berlin, Reuther u. Reichard. 1898.","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nB. Mayer.\nartig und in mannigfacher Beziehung von Interesse war. Haupts\u00e4chlich unterschieden sich die Vpn. durch die Schnelligkeit, mit der die gereizte Stelle gezeigt wurde. Die einen gingen dabei sehr rasch vor, sodafs sich sofort nach erfolgter Reizung der zum Zeigen verwendete Stab an der Stelle befand, an der der Reiz scheinbar eingewirkt hatte. Andere konnten erst nach l\u00e4ngerer \u00dcberlegung die vermeintliche Reizstelle angeben. Bemerkenswert ist, dafs sich an diesem Verhalten auch bei \u00d6fterer Wiederholung an verschiedenen Versuchstagen nichts \u00e4nderte. Man kann also jedenfalls nicht davon sprechen, dafs sich durch \u00dcbung an dem f\u00fcr jede Yp. eigent\u00fcmlichen Vorgehen etwas \u00e4ndert.\nabc de fg hi\nLokalisation von Schmerzreizen auf der Volarseite des rechten Oberarms. Oben bei Vp. 6, unten bei Vp. 3. Man beachte, dafs Vp. 6 vorwiegend zu weit distal,\n9\n8\n7\n6\n5\n4\n3\n2\nAbbildung 2.\nVp. 3 vorwiegend zu weit proximal lokalisiert.\nDie Abbildung ist etwa in der H\u00e4lfte der nat\u00fcrlichen Gr\u00f6fse gehalten.\nWeiter ist zu bemerken, dafs von ein und derselben Vp. bei Reizung der gleichen Stelle h\u00e4ufig gleichartige Fehler begangen werden, und zwar nicht nur in derselben Sitzung, sondern auch bei verschiedenen. So kommt vor, dafs die Reizstelle stereotyp weiter proximal- oder weiter distalw\u00e4rts von der Stelle der objektiven Einwirkung gesucht wird, eine","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lokalisation von Schmerzempfindungen.\n149\nFeststellung, die auch schon Henri1 bei der Lokalisation von Tasteindr\u00fccken gemacht hat. So lokalisierte \u2014 wie aus den Abbildungen 2 a) und 2 b) hervorgeht \u2014 Vp. 6 die Schmerzreize auf der Yolarseite des rechten Oberarms vorwiegend zu weit distal, Vp. 3 vorwiegend zu weit proximal.\nEinen gewissen Einflufs auf die Lokalisation scheinen auch Gesichts Vorstellungen auszu\u00fcben. Ich habe beobachtet, dafs sich einzelne Individuen nur dann zurechtfinden, wenn sie die Reizgegend sehen, dafs sie dagegen sehr unsicher werden, wenn die Gesichtseindr\u00fccke ausgeschaltet sind, oder aber, wenn die \u00d6rtlichkeit, wie in der Schl\u00fcsselbeingegend, nicht gesehen werden kann. Bei anderen Vpn. st\u00f6ren dagegen die Gesichtsvorstellungen offenbar. Sie sind nur dann sicher, wenn sie die Reizgegend nicht sehen oder aber beim Zeigen die Augen schhefsen. Bei dritten ist es wieder v\u00f6llig gleichg\u00fcltig, ob sie mit offenen oder geschlossenen Augen zeigen. Als Beleg f\u00fcr dieses eigent\u00fcmliche Verhalten m\u00f6gen die beiden Abbildungen 3 und 4 dienen. So lokalisierte Vp. 8 die Schmerzreize auf der Volarseite des rechten Oberarms, den sie betrachten konnte, sehr sicher und nicht viel schlechter als die Druckreize. Unterhalb des Schl\u00fcsselbeines dagegen waren die Angaben ganz auff\u00e4llig ungenau (s. Abb. 3). Dies hatte seine Ursache nun nicht etwa darin, dafs das Lokalisationsverm\u00f6gen in der Schl\u00fcsselbeingegend ein geringeres ist; denn die Angaben wurden auch auf der Volarseite des Oberarms sehr ungenaue, wenn die Vp. angewiesen war, die Reizstelle hier bei geschlossenen Augen aufzusuchen. Offenbar ben\u00fctzte die Vp. die Augen stets zur Kontrolle ihrer Handbewegungen.\nVp. 5 lokalisierte im Gegensatz zu Vp. 8 sehr viel sicherer bei geschlossenen Augen und wurde durch den Anblick der Reizgegend verwirrt (s. Abb. 4). Deshalb sind die Fehler geringere in der Schl\u00fcsselbeingegend als am Oberarm. Die gr\u00f6fsere Sicherheit der Lokalisation zeigte sich aber nicht nur an Gegenden, welche die Vp. nicht sehen konnte, sondern auch an derselben Hautstelle, wenn diese bei sonst v\u00f6llig gleichartigem Versuch bei der Angabe der Reizstelle einmal betrachtet werden mufste, und dann dem Blick entzogen war. Auf Grund dieses Verhaltens der beiden Vpn. ist man zu der Aussage berechtigt, dafs es sich\n1 a. a. O.\nZeitschrift f. Sinnesphysiol. 56.\n11","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nB. Mayer.\nbei 8 um eine vorwiegend optische, bei 5 um eine taktile Veranlagung handelt.\nbcdefgh i k\nabedefghi\n9\n8\n7\n6\n5\n4\n3\n2\nAbbildung 3.\n9\n8\n7\n6\n5\n4\n3\n2\n1\nAbbildung 4.\nAbbildung 3. Lokalisation von Schmerzreizen oben auf der Volarseite des rechten Oberarms, unten unterhalb des Schl\u00fcsselbeins durch Yp. 8. Man beachte, dafs die Lokalisation in derjenigen Gegend, die f\u00fcr das Auge nicht sichtbar ist, erhebliche Grade von Unsicherheit auf weist, trotzdem das Lokalisationsverm\u00f6gen an diesen beiden Stellen sonst kein sehr unterschiedliches ist.\nAbbildung 4. Lokalisation von Schmerzreizen oben auf der Volarseite des i echten Oberarms, unten unterhalb des Schl\u00fcsselbeins bei Vp. 5. Man beachte, dafs die Lokalisation an derjenigen Gegend, die dem Blicke entzogen ist, erheblich besser ist.\nAbbildung 3 und 4 in l/2 der nat\u00fcrlichen Gr\u00f6fse.\nVach Beendigung eines jeden Versuches wurden die Entfernungen der scheinbaren Reizstellen von den wirklichen auf den Abbildungen ausgemessen. Dies war der \u201eFehler\", aus dem nach der Methode der Fehlerquadrate der mittlere Fehler bestimmt wurde. Dieser wurde zuerst f\u00fcr jeden Reizpunkt einzeln und dann auf gleiche Weise auch der f\u00fcr mehrere Reizstellen ermittelt. In der Tabelle 1 sind die f\u00fcr die verschiedenen Punkte hei Schmerz- und Druckreizen gemessenen Fehler eines Versuches auf der Volarseite des rechten Oberarms bei Vp. 4 zusammengestellt.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lokalisation von Schmerzempfindungen.\n151\nTabelle 1.\nEntfernung der subjektiven von der objektiven Reizstelle (in mm). Vp. 4. Volarseite des rechten Oberarms.\n\t\tSchmer\tz\t\t\tBer\u00fchrung\t\t\t\t\nb3\tb8\tPunkt i e4 1\t\tb3\th8\tb\u00e4\tb8\tPunkt e4\th3\th3\n41\t24\tj 21\t\t14\t6\t10\t28\t12\t11\t10\n16\t28\t9\t\t6\t15\t8\t21\t16\t7\t1\n23\t19\t25\t\t11\t17\t13\t8\t8\t5\t3\n24\t13\t15\t\t9\t10\t4\t15\t16\t4\t4\n20\t17\t13\t\t19\t11\tp* 0\t8\t6\t2\t7\nWie schon bemerkt wurde, sind die Abweichungen in den Angaben nicht nur f\u00fcr verschiedene Punkte, sondern auch f\u00fcr den einzelnen Punkt sehr verschieden. Die weitaus gr\u00f6fseren Zahlen werte finden sich bei den Schmerzreizen.\nDer mittlere Fehler betrug bei diesem Versuch abgerundet f\u00fcr Schmerzreiz 17, f\u00fcr Druckreiz 9 mm. Hier ist der Unterschied in der Sicherheit der absoluten Erkennung einer Reizstelle durch die beiden Sinne ein sehr auff\u00e4lliger. Indessen l\u00e4fst sich nicht leugnen, dafs die Ergebnisse bei verschiedenen Versuchen an derselben Vp., wenn auch zumeist gleichsinnig, so doch nicht gleichartig sind; so ist zu erkl\u00e4ren, dafs die Unterschiede im mittleren Fehler f\u00fcr Schmerz- und Druckreiz bei verschiedenen Wrsuchen nicht immer so grofs ausfallen.\nIn der Tabelle 2 sind die mittleren Fehler f\u00fcr verschiedene Versuche bei den einzelnen \\ pn. zusammengestellt und zwar f\u00fcr Oberarm- und Schl\u00fcsselbeingegend rechts und links.\nAus dieser Zusammenstellung geht hervor, dafs in der \u00fcberwiegenden Mehrzahl der F\u00e4lle der mittlere Fehler bei der Lokalisation der Schmerzreize erheblich gr\u00f6fser ist als bei der der Druckreize. Nur in ganz seltenen F\u00e4llen ist der Fehler der gleiche (bei Vp. 6 Schl\u00fcsselbeingegend rechts) oder wie in dem einen Falle bei Vp. 8 (auf dem Oberarm und der Schl\u00fcsselbeingegend links) f\u00fcr Ber\u00fchrung etwas gr\u00f6fser als\nder f\u00fcr Schmerz. Ein Unterschied zwischen rechts und links\n11*","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nB. Mayer.\nl\u00e4fst sich nicht feststellen. Bei einzelnen Vp. wird im allgemeinen links, bei anderen rechts besser lokalisiert. Es l\u00e4fst sich also mit Sicherheit sagen, dafs das absolute Erkennungs-Verm\u00f6gen von Reizstellen durch den Sch merz sinn ein schlechteres ist, als durch den Drucksinn.\nTabelle 2.\nMittlerer Fehler verschiedener Versuche in mm.\n\t\tOberarm\t\t\tS c h 1 \u00fc s s e 1 b e i n g e g e n d\t\t\t\n\trechts\t\tlinks\t\trechts\t\tlinks\t\n\tSchmerz\tBe- r\u00fchrung\t1 Schmerz\tBe r\u00fchrung\tSchmerz\tBe- r\u00fchrung\tSchmerz\tBe- r\u00fchrung\nl\t25\t16\t36\t25\t24\t21\t26\t26\n2\t34\t26\t26\t24\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n3\t20\t15\t21\t17\t26\t22\t24\t22\n4\t26\t23\t29\t28\t21\t18\t25\t18\n5\t29\t24\t20\t13\t20\t18\t19\t15\n6\t24\t20\t35\t20\t20\t20\t22\t19\n7\t25\t23\t20\t17\t19\t19\t19\t16\n8\t! 15\t13\t15\t17\t20\t17\t23\t25\nWarum das absolute Erkennungsverm\u00f6gen f\u00fcr Reizstellen durch den Schmerzsinn ein schlechteres ist, als f\u00fcr den Drucksinn, l\u00e4fst sich mit Sicherheit nicht angeben. Es w\u00e4re hier vor allem daran zu denken, dafs der Schmerz oft ausstrahlt, sich also gewissermafsen \u00fcber ein gr\u00f6fseres Gebiet verbreitet, aus dem sich dann der eigentliche Reizort nat\u00fcrlich schlechter herausheben mufs.\nBei Gelegenheit dieser Untersuchungen habe ich auch an mehreren Vpn. Bestimmungen der Raumschwellen des Schmerzsinnes nach der Simultan und Sukzessivmethode vorgenommen. Das Ergebnis ist das gleiche wie das von v. Skkamlik. Die Raum schwellen des Schmerzsinnes erweisen sich bei beiden Verfahrungsweisen h\u00f6her als die des Drucksinnes, wenn auch der Unterschied zwischen den beiden Werten nicht immer sehr grofs ist.\nIII. Zusammenfassung.\nDie Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungsreihe lehren, dafs das absolute Erkennungsverm\u00f6gen f\u00fcr die \u00d6rtlich-","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lokalisation von Schmerzempfindungen.\n153\nkeit von Schmerzreizen ein schlechteres ist als f\u00fcr die von Druckreizen. Da die Raumschwellen des Schmerzsinnes h\u00f6here sind, als beim Drucksinn, so l\u00e4fst sich aussagen, dafs beim Schmerzsinn wie beim Drucksinn absolutes Erkenn ungs- und Unterscheidungsverm\u00f6gen f\u00fcr r\u00e4umliche Verh\u00e4ltnisse einander parallel gehen.\nZum Schl\u00fcsse danke ich Herrn Geheimrat v. Kries f\u00fcr die Aufnahme im Institut, Herrn Prof. v. Skramlik f\u00fcr die Anregung zu dieser Arbeit.","page":153}],"identifier":"lit35973","issued":"1925","language":"de","pages":"141-153","startpages":"141","title":"Beitrag zur Lokalisation von Schmerzempfindungen","type":"Journal Article","volume":"56"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:42:19.952372+00:00"}