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{"created":"2022-01-31T16:42:49.588755+00:00","id":"lit35979","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Skramlik, Emil v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 56: 241-255","fulltext":[{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"241\n(Aus dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t Freiburg i. B.)\n\u2022 \u2022\nUber Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinns.\nVon\nEmil v. Skramlik (Freiburg i. B.).\nMit 7 Textabbildungen.\nI.\nAuf dem Gebiete der Gesichtswahrnehmungen sind Bewegungst\u00e4uschungen in grolser Zahl bekannt. Es sei hier erinnert: an die Scheinbewegungen, die ruhende Gegenst\u00e4nde ausf\u00fchren, wenn in ihrer Nachbarschaft Objekte in Bewegung sind, weiter an den Gesichtsschwindel, an die scheinbaren Bewegungen ruhender Objekte bei allen passiven Augenverstellungen, an die Erscheinungen beim Betrachten stroboskopischer Scheiben, sowie endlich die als \u201eautokinetische\u201c Empfindungen bezeichneten subjektiven Schwankungen eines Lichtpunktes oder einer -Linie, welche bei minutenlangem Fixieren derselben in einem verdunkelten Raum auf-treten. Bewegungst\u00e4uschungen auf dem Gebiete des Tastsinns sind dagegen bisher nur sehr wenig bekannt. Bei meinen Untersuchungen \u00fcber Tastwahrnehmungen 1 bin ich auf eine Anzahl von solchen Erscheinungen gestofsen, deren Analyse und Sichtung in der vorliegenden Abhandlung gegeben wird. Bevor ich mich aber der Besprechung meiner eigenen Beobachtungen zuwende, sei es mir gestattet, einen kurzen \u00dcberblick \u00fcber die in der Literatur bereits niedergelegten einschl\u00e4gigen Befunde zu geben.\n1 v. Skramlik, E., \u00dcber TastWahrnehmungen.\tZeitschr. f. Sinnes-\nphysiol. 56, 256. 1925.","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nEmil v. Skramlik.\nCzermak 1 hat 1855 einen alsPhorolyt bezeichneten Apparat beschrieben, der beim Tastsinn dieselben Wirkungen hervorruft, wie das Stroboskop beim Auge. Benussi2 3 hat festgestellt, dafs man bei aufeinanderfolgender Reizung zweier Hautstellen im abnehmenden Intervall den Eindruck erwecken kann, als ob sich ein Gegenstand von der einen Stelle zur anderen hinbewegt h\u00e4tte. Es handelt sich bei dieser Erscheinung um ein Analogon zu einer Beobachtung von Schumann 3 auf optischem Gebiete : Exponiert man n\u00e4mlich kurz den vertikalen Balken eines Kreuzes und nach einer geringen Zwischenzeit, etwa 0,1\", den horizontalen, so sieht man h\u00e4ufig ein Herumspringen des Balkens von der alten in die neue Lage. Ferner beschreibt Ponzo 4, dafs die Pulsschwankungen in den Arterien der Fingerbeere in eigenartiger Weise auf Objekte \u00fcbertragen werden, die man zwischen den Fingern h\u00e4lt und zwar so, dafs sich diese bei jedem Pulsschlag zu erweitern, in der diastolischen Phase zu verengern scheinen.\nII.\nDie von mir beobachteten Bewegungst\u00e4uschungen lassen sich je nach der Art ihres Auftretens in zwei Hauptgruppen sondern, und zwar 1. in solche, die sich bei Verschiebung der Tastfl\u00e4che auf ihrer Unterlage (Fettgewebe, Sehnen, Muskeln und Knochen) bemerkbar machen, wobei die Haut aus ihrer Normallage herausgebracht wird und 2. solche, die bei der in Normallage befindlichen, aber bewegten Tastfl\u00e4che und ruhenden oder bewegten Gegenst\u00e4nden, oder bei ruhender Tastfl\u00e4che und bewegten Gegenst\u00e4nden auf-treten.\n1. Ein sehr einfacher Fall der ersten Art ist gegeben, wenn man einen Finger mit seiner Kuppe auf eine nicht zu scharfkantige Schneide aufdr\u00fcckt und ihn dann senkrecht zu dieser\n,1 Czermak, J. N.; Weitere Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Tastsinns. Sitzungsber. d. Wiener Akad. 17, 563. 1855.\n2\tBenussi, V., Kinematohaptische Erscheinungen und Auffassungs-\numformung. Archiv f. d. ges. Psychol. 29, 385. 1913 und Versuch zur Analyse taktil erweckter Scheinbewegungen. Archiv f. d. ges. Psychol. 36, 50.\t1917.\n3\tSchumann im 2. Kongrefs f. experim. Psychol. Bericht. Leipzig 1907. S. 218.\n4\tPonzo, M., De l\u2019influence exerc\u00e9e par des associations habituelles sur\nquelques representations de mouvement. Arch. ital. de biol. 60, 209.\t1913.","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegungs t\u00e4uschungen itn Gebiete des Tastsinns.\n243\nso hin und her bewegt, dafs die Auflagestelle auf der Schneide bleibt und gewissermafsen auf der Knochenunterlage hin- und hergew\u00e4lzt wird. Man hat dann nach einigem Probieren unzweifelhaft den Eindruck, als ob auch der der Hautstelle anliegende Teil der Schneide in der Bewegungsrichtung des Fingers vor- und zur\u00fcckgeschoben w\u00fcrde. Dies geschieht in einer eigenartigen Weise und zwar nicht etwa so, dafs sich das betreffende St\u00fcck aus seinem Verb\u00e4nde scheinbar losl\u00f6st, sondern so, als ob es in der einen oder anderen Richtung vorgew\u00f6lbt w\u00fcrde. Es treten n\u00e4mlich gleichzeitig zwei T\u00e4uschungen ins Spiel: einmal die, dafs sich der Gegenstand, oder einer seiner Teile zu bewegen scheint, w\u00e4hrend er sich tats\u00e4chlich in Ruhe befindet und nui die Haut auf ihrer Unterlage verschoben wird ; zum zweiten die, dafs er seine Form ver\u00e4ndert. Beide T\u00e4uschungen lassen sich ohne Schwierigkeit aus dem Prinzip erkl\u00e4ren, dafs jede \u00c4nderung der Normallage der Haut, die gegeben ist, wenn keine \u00e4ufseren Reize auf sie einwirken, psychisch nur teilweise, oder \u00fcberhaupt nicht verwertet wird.1 Im ersten hall kommt (s. Abb. 1) die Haut an eine Stelle ihrer Unterlage (des Knochens) zu liegen, auf der sie sich normalerweise nicht befindet. Da nun die Lage\u00e4nderung psychisch nur teilweise oder \u00fcberhaupt nicht verwertet wird, so verbleibt sie scheinbar an der gleichen Stelle und mufs sich dann im Sinne des bewegten Fingers weiterbewegt haben. F\u00fcr den 2. Fall kommt in Betracht, dafs die Auflagestelle (s. Abb. 2) in Ruhe verbleibt, dafs sich aber benachbarte, an der Radial- bzw. Ulnarseite befindliche Hautteile v oranbewegen. Da auch diese Verlagerung psychisch nur teilweise, oder \u00fcberhaupt nicht verwertet wird, so hat man den Eindruck, als ob die Kante halbkreisf\u00f6rmig vorgew\u00f6lbt w\u00fcrde. Bemerkenswert ist nun, dafs die Lage\u00e4nderungen der Haut, von denen wir wohl unterrichtet sind, stets auf die Gegenst\u00e4nde bezogen werden und dafs man so den zwingenden Eindruck bekommt, dafs diese sich in Bewegung befinden.\nZu dieser Gruppe von T\u00e4uschungen geh\u00f6ren auch die von Ponzo wohl richtig beschriebenen, aber nicht ganz richtig gedeuteten Erscheinungen. Diese kann man sich auf einfache Weise so vorf\u00fchren, dafs man um das Endglied eines Fingers\n1 Vgl. v. Skramlik, E., Varianten zur Aristotelischen T\u00e4uschung. Pfl\u00fcgers Archiv f. d. ges. Physiol. 201, 250. 1923.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 56.\n17","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nEmil v. Skramlik.\neinen Ring aus kr\u00e4ftigem Gummi legt, der den Durchgang der Blutwelle wohl etwas behindert, aber nicht aufhebt. Bei jedem Pulsschlag wird nun Blut in den distalen Teil des Fingers getrieben, der dadurch entsprechend erweitert wird. Die vom\nAbbildung 1.\nDer Punkt b liegt der Schneide auf; dieser Hautstelle entspricht eine Stelle des unter ihr liegenden Knochens. Wird der Finger voranbewegt so kommt b in die H\u00f6he eines anderen Knochenpunktes a2 zu liegen. Da die Lage\u00e4nderung psychisch nicht verwertet wird, so hat sich b scheinbar vorbewegt.\nNormallage objektive Lage subjektive Lage\nAbbildung 2.\nDer Punkt b liegt der Schneide bei Beginn desVersuches an, die Punkte und a2 liegen weiter proximal. Beim Voranbewegen des Fingers bleibt b an der gleichen Stelle, die Punkte und a2 r\u00fccken vor und kommen dabei in gleiche H\u00f6he. Da die Lage\u00e4nderung der Punkte psychisch nicht verwertet wird, so hat man den Eindruck, als ob sich b ebenfalls voranbewegt h\u00e4tte.\nDie ausgezogene Linie deutet die Lage des Fingers bei der Diastole an, die punktierte bei der Systole. Da die \u00c4nderung nicht verwertet wird, so hat man den Eindruck, als ob sich der Gegenstand erweitert h\u00e4tte.\nAbbildung 3.\nGummiring umschlossenen Teile k\u00f6nnen aber (s. Abb. 3) die Ausdehnung nicht in dem Mafse mitmachen, wie die weiter proximal oder distal gelegenen. Psychisch werden nun die Verh\u00e4ltnisse so beurteilt, als ob auch sie sich durchaus in gleicher Weise ausgedehnt h\u00e4tten, oder als ob eine Lage\u00e4nderung dieser Teile gegen die benachbarten nicht stattgefunden h\u00e4tte. Da \u00fcberdies alle Lage\u00e4nderungen der Tastfl\u00e4che auf die Gegenst\u00e4nde","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinns.\n245\nbezogen werden, so unterliegt man dem Eindruck, als ob sich der Gegenstand \u2014 in diesem Falle der Gummiring \u2014 erweitert h\u00e4tte und verf\u00e4llt so der beschriebenen Bewegungst\u00e4uschung. Bei der Diastole schwellen die peripher und distal von dem Gummiring gelegenen Teile ab, kehren in ihre Normallage zur\u00fcck, und man hat dann den Eindruck, als ob sich der Gegenstand wieder verengen w\u00fcrde. Analog liegen auch die Verh\u00e4ltnisse bei der Atmung, wenn man einen engen Rock anzieht, oder um die Brust einen Sicherheitsg\u00fcrtel geschnallt bekommt. Bei jedem Einatmungszuge, durch den der Brustkorb erweitert wird, hat man den Eindruck, als ob sich der Rock oder der Gurt zusammenziehen w\u00fcrde ; diese erweitern sich dagegen scheinbar, wenn man ausatmet, w\u00e4hrend sich der Brustkorb in Wirklichkeit zusammenzieht.\nGleichartige T\u00e4uschungen machen sich bemerkbar, wenn man einen harten Gegenstand (einen Elfenbeinball, eine dicke Glasplatte) zwischen beide H\u00e4nde nimmt und diese langsam gegeneinander dr\u00fcckt, und dann wieder voneinander entfernt. Man hat durchaus den Eindruck, als ob die Begrenzungsfl\u00e4chen des betreffenden Gegenstandes eine Bewegung ausf\u00fchren w\u00fcrden. Sie n\u00e4hern sich scheinbar, wenn die H\u00e4nde zusammen-geprefst werden, und entfernen sich dem Scheine nach, wenn die H\u00e4nde auseinandergehen. Auch diese T\u00e4uschung beruht darauf, dafs die Lage\u00e4nderung und Bewegung der Haut auf den Gegenstand bezogen wird.\nBisher war von Bewegungst\u00e4uschungen die Rede, die bei Lage\u00e4nderungen der Tastfl\u00e4che auf treten. Es gibt aber auch solche, die durch eine Entfernungs\u00e4nderung der Tastfl\u00e4chen verursacht werden. Bewegt man z. B. einen Stab \u2014 es ist f\u00fcr den Versuch gleichg\u00fcltig, ob er rund oder eckig ist \u2014 zwischen den einander zugekehrten Seiten zweier benachbarter Finger, die unter m\u00e4fsigem Druck gegeneinander geprefst werden, so weist er nicht an allen Stellen den gleichen Durchmesser auf. Bewegt man ihn von aufsen gegen die Zwischenfingerfalte, so nimmt er in seiner zwischen den Fingerbeeren ermittelten Dicke ab, so wie er sich an denjenigen Fingerstellen befindet, die den Gelenkleisten des distalen Fingergelenks entsprechen. Zwischen den 2. Phalangen schwillt er wieder m\u00e4fsig an und nimmt an Dicke ganz betr\u00e4chtlich zu, so wie er an die Stelle des proximalen Fingergelenks gelangt. Zuletzt erfolgt in der N\u00e4he\n17*","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nEmil v. Skramlik.\nder Zwischenfingerfalte wieder eine Dickenabnahme. Die gesamten Erscheinungen sind darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs die Entfernung der beiden Finger voneinander bei der beschriebenen Bewegung des Stabes st\u00e4ndig wechselt. Diese ist am allergr\u00f6fsten an der Stelle des proximalen Fingergelenkes, also dort, wo der Gegenstand am dicksten erscheint. Merkw\u00fcrdig ist nur, dafs die Bewegungen der Finger, die tats\u00e4chlich stattfinden, gar nicht wahrgenommen, wohl aber als Bewegungen des Gegenstandes gedeutet wrerden, der so in seiner Dicke je nach der kleineren oder gr\u00f6fseren Entfernung der Finger ab- und anschwillt. Erfolgt die Bewegung langsam, die Dicken\u00e4nderung also allm\u00e4hlich, so wird der Eindruck des An- und Abschwellens des Stabes ganz vollkommen.\nDie T\u00e4uschungen dieser Gruppe stellen, sovreit sie durch Lage\u00e4nderungen der Haut bedingt sind, ein Analogon dar zu den aus der physiologischen Optik her bekannten Sch ein -bewegungen von ruhenden Gegenst\u00e4nden bei allen passiven Verstellungen des Auges. Bei diesen ergibt die Verlagerung des Auges, trotzdem sie uns wohl bewufst wird, den zwingenden Eindruck, als ob sich die Gegenst\u00e4nde bewegen w\u00fcrden. Dies ist um so auff\u00e4lliger, als bei allen aktiven Blickbewegungen die Gegenst\u00e4nde der Aufsenwelt gew\u00f6hnlich in Ruhe gesehen werden, w\u00e4hrend sich ihre Bilder auf der Netzhaut verschieben.\n2. Als erstes Beispiel f\u00fcr die Bewegungst\u00e4uschungen der zweiten Gruppe soll hier angef\u00fchrt werden, dafs sich die Bewegung einer Tastfl\u00e4che subjektiv oft in durchaus \u00fcberzeugender Weise auf die Gegenst\u00e4nde \u00fcbertr\u00e4gt. Dr\u00fcckt man z. B. Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand kr\u00e4ftig gegen eine auf ihrer Unterlage befestigte glatte Fl\u00e4che und bewegt die Finger nun in einer beliebigen Richtung, so hat man den Eindruck, als ob die Fl\u00e4che gleichzeitig in derselben Richtung fortbewegt w\u00fcrde. Die T\u00e4uschung wird dann besonders frappant, wenn die M \u00f6 glich k eit zu einer B e w e gung des gedr\u00fcckten Gegenstandes besteht, wenn man also durch die Vorstellung nicht gehemmt ist, dafs diese bei dem Tastversuch unter keiner Bedingung stattfinden kann. Erscheint eine Ortsver\u00e4nderung der Platte von vornherein ausgeschlossen so unterliegt man der T\u00e4uschung in erheblich geringerem Grade. Als geeignete Vorrichtungen zum Ausprobieren des Versuches","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinns.\n247\nseien genannt: eine auf einem Tisch befestigte Glasplatte, ein Tisch mit glatter Oberfl\u00e4che, der auf Rollf\u00fcfsen steht, u. \u00e4. F\u00fcr das Auftreten der T\u00e4uschung ist also eine gewisse psychische Einstellung wenn auch nicht unbedingt notwendig, so doch von grofsem Vorteil. Daraus l\u00e4fst sich aber der Schlufs ziehen, dafs hierf\u00fcr gewohnheitsgem\u00e4fse Handlungen, oder gewohnheitsm\u00e4fsig bekannte Erfolge als Ursache in Frage kommen, denn wir k\u00f6nnen eine Platte auf einer anderen verschieben, ein Tisch l\u00e4fst sich von der Stelle r\u00fchren usf. Wird nun eine entsprechende Bewegung der Tastfl\u00e4che ausgef\u00fchrt, so kann sich diese dann mit der Wahrnehmung kombinieren, dafs auch der Gegenstand von der Stelle bewegt wurde.\n\u2022\u2022\n\u00c4hnlich liegen die Verh\u00e4ltnisse auch bei dem folgenden Versuch: F\u00e4hrt man mit den Handfl\u00e4chen so \u00fcber einen parallel zur K\u00f6rperquerachse befestigten zylindrischen Stab, dafs sich die eine Hand nach ausw\u00e4rts vom K\u00f6rper weg, die andere gleichzeitig einw\u00e4rts zum K\u00f6rper zu bewegt, so hat man den Eindruck, als ob sich die den Tastfl\u00e4chen anliegenden Teile des Stabes in der gleichen Richtung bewegen w\u00fcrden. Man kann sich ganz so einstellen, als ob der Stab um eine in der Mitte zwischen den H\u00e4nden gelegte Achse gedreht w\u00fcrde und schief zu stehen kommt. Und zwar steht (vom Beobachter aus) sein linkes Ende vom K\u00f6rper wTeiter weg, wenn sich die linke Hand vom K\u00f6rper weg bewegt, und umgekehrt dem K\u00f6rper n\u00e4her, wenn sie an den K\u00f6rper herangezogen wird. Auch in diesem Fall ist die Vorstellung von der Durchf\u00fchrbarkeit einer solchen Drehung f\u00fcr die T\u00e4uschung zweifellos von einer gewissen Bedeutung, doch ist diese nicht ausschlaggebend. Ein Beweis daf\u00fcr ist, dafs sich die T\u00e4uschung in gleicher Weise bemerkbar macht, wenn man den Stab zwischen die eigenen Kniee einspannt. Hierbei werden wir ja fortlaufend unterrichtet, dafs eine Bewegung der Kniee nicht stattgefunden hat und trotzdem ist die T\u00e4uschung frappant.\nIch habe l\u00e4ngere Zeit vergeblich darnach gesucht, die Bedingungen aufzufinden, unter denen bei Bewegung eines Gegenstandes \u00fcber eine Tastfl\u00e4che ein benachbarter objektiv ruhender sich in der entgegengesetzten Richtung zu bewegen scheint. Als Vorrichtung habe ich mich eines Rechenschiebers bedient, der auf einem Tisch fixiert wird. Auf diesen wird die Hand mit der palma manus gelegt. Zieht man nun den mittleren Teil des","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nEmil v. Skramlik.\nRechenschiebers, der sehr gut eingearbeitet ist, heraus oder herein, so hat man gelegentlich den Ein druck, als ob sich die beiden anderen ruhenden Teile in der entgegengesetzten Richtung bewegen w\u00fcrden. Es ist mir aufgefallen, dafs sich die T\u00e4uschung ausgepr\u00e4gter bemerkbar macht, wenn die M\u00f6glichkeit zu einer Bewegung der ruhenden Teile in entgegengesetzter Richtung vorhanden ist, die Vp. also z. B. die Befestigung des Stabes auf dem Tische nicht sieht. Die T\u00e4uschung ist aber unter den angegebenen Versuchsbedingungen als keine frappante zu bezeichnen.\nAbbildung 4.\nFingerhaltung beim nebenstehend beschriebenen Versuch.\nAn dieser Stelle sei auch eine merkw\u00fcrdige Bewegungst\u00e4uschung erw\u00e4hnt, der man unterliegt, wenn man zwei benachbarte Finger entlang einem runden Stab f\u00fchrt (s. Abb. 4). Fafst man z. B. im Versuch zwischen dem 2. und 3. rechten Finger, deren Radialseite nach oben gerichtet ist, einen von der linken Hand gehaltenen Stab und bewegt nun die Finger an ihm hin und her, ohne ihre gegenseitige Lage zu ver\u00e4ndern, so hat man den Eindruck, als ob der dem Stabe unten anliegende 3. Finger dem 2. stets voraneilen wT\u00fcrde. Die Finger liegen subjektiv w\u00e4hrend der Bewegung nicht mehr senkrecht \u00fcbereinander, sondern der 3. steht bei der Einw\u00e4rtsbewegung dem K\u00f6rper n\u00e4her, bei der Ausw\u00e4rtsbewegung weiter vom K\u00f6rper weg, als der zweite. Bei der Ausgangsstellung stehen die Finger \u00fcbereinander; setzt die Bewegung ein, so entfernen sich die beiden Finger voneinander, h\u00f6rt die Bewegung auf, so n\u00e4hern sie sich einander wieder. Die T\u00e4uschung macht sich durchaus in der gleichen Weise bemerkbar, wenn man nicht mit einem Stabe arbeitet, sondern an seiner Stelle einen Finger der linken Hand ben\u00fctzt. Ich habe mich in eigenen Versuchen durch Einklemmen der Finger in Fixationsvorrichtungen \u00fcberzeugt, dafs tats\u00e4chlich keine, auch nicht die geringste Verschiebung der Finger stattfindet, und dafs trotzdem die T\u00e4uschung frappant bleibt.","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinns.\n249\nDie Ursache f\u00fcr diese Bewegungst\u00e4uschung ist vorerst nicht anzugeben. Man h\u00e4tte daran denken k\u00f6nnen, dafs auch hier, wie bei den fr\u00fcher angegebenen Beispielen die M\u00f6glichkeit einer Verschiebung der Finger schon als Tatsache genommen wird. Es ist aber vorerst durchaus nicht einzusehen, warum stets der tiefergelegene Finger bei der Bewegung voraneilt, und nicht auch einmal der oben liegende. Wie weit hier Gewohnheiten eine ausschlaggebende Rolle spielen, l\u00e4fst sich noch gar nicht \u00fcbersehen.\nF\u00fcr die bisher beschriebenen taktilen Bewegungst\u00e4uschungen l\u00e4fst sich ein Analogon aus dem Gebiete der Gesichtswahrnehmungen nicht recht anf\u00fchren. Wohl aber ist dies m\u00f6glich f\u00fcr die merkw\u00fcrdigen Erscheinungen, die bei Bewegungen von Gliedmafsen oder deren Teilen gegeneinander auftreten. Diese sind am frappantesten in benachbarten Gelenken. Bewegt man z. B. bei freigehaltenen Fingern den gekr\u00fcmmten Zeigefinger gegen den in Ruhe befindlichen Daumen, so hat man den Eindruck, als ob sich gleichzeitig der Daumen dem Zeigefinger n\u00e4hern w\u00fcrde, geradeso wie man der T\u00e4uschung verf\u00e4llt, dafs sich der Daumen vom Zeigefinger wegbewegt, wenn man den letzteren wieder entfernt. Die T\u00e4uschung wird dann besonders \u00fcberraschend, wenn man sich mit der Aufmerksamkeit auf den objektiv ruhenden Teil einstellt. Gleichartigen T\u00e4uschungen verf\u00e4llt man: bei Kr\u00fcmmung eines Fingers, wobei sich nicht nur die Spitze des Fingers dem betreffenden Metakarpophalangealgelenk n\u00e4hert oder entfernt, was auch objektiv der Fall ist, sondern die letztere scheinbar auch dem Finger; weiter, wenn man bei freigehaltener Hand die Finger spreizt, oder aber die eine Hand der anderen objektiv ruhenden n\u00e4hert.\nInteressant ist, dafs diese Scheinbewegungen auch auf Gegenst\u00e4nde der Aufsenwelt \u00fcbertragen werden. Senkt man den beweglichen Hebel a des in Abb. 5 wiedergegebenen Apparates mit dem Daumen, so hat man den Eindruck, als ob die unbewegliche Querstange b, die am besten vom 2. und 3. Finger umfafst wird, gleichzeitig in die H\u00f6he gehen w\u00fcrde, w\u00e4hrend sie sich scheinbar senkt, wenn man den beweglichen Hebel in seine Ruhelage zur\u00fcckgehen l\u00e4fst.\nDie Grundlage f\u00fcr diese T\u00e4uschungen ist in gewohnheits-m\u00e4fsigen Handlungen zu erblicken. Fassen wir z. B. einen Gegenstand mit Zeigefinger und Daumen der gleichen Hand,","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nEmil v. Skratnlik.\nso bewegen wir stets die beiden Finger gegeneinander und es ist nicht etwa, wie in den angef\u00fchrten Versuchen der eine in Bewegung, der andere in Ruhe. Das Gleiche ist der Fall beim Spreizen von Fingern, sowie beim Zupacken mit beiden H\u00e4nden.\nAbbildung 5.\nApparat f\u00fcr die Demonstration der Scheinbewegungen ruhender Tastteile bei Bewegung von anderen benachbarten, a) beweglicher Hebel, b) festgemachte Querstange.\nDiese T\u00e4uschungen lassen sich zu den Scheinbewegungen in der physiologischen Optik in Analogie setzen, die ruhende\nGegenst\u00e4nde ausf\u00fchren, wenn in ihrer Nachbarschaft Objekte in\n\u2022 \u2022\nBewegung sind. Es sei hier an das Offnen einer Schere erinnert, das so bewerkstelligt wird, dafs sich nur die eine Branche bewegt. Gleichzeitig scheint sich die zweite, objektiv in Ruhe befindliche, in der entgegengesetzten Richtung zu bewegen. Hier ist auch der Erscheinungen des Gesichtsschwindels zu gedenken. Denn es spielen bei dessen Zustandekommen \u2014 ich erw\u00e4hne das bekannte Beispiel der scheinbaren Bewegung eines haltenden Eisenbahnzuges beim Vor\u00fcberfahren eines anderen \u2014 doch auch Vorstellungen von gewohnheitsm\u00e4fsig wohlbekannten Vorg\u00e4ngen eine gewisse Rolle, wie bei den beschriebenen taktilen Bewegungst\u00e4uschungen. Es besteht aber auch eine Analogie zu den merkw\u00fcrdigen Scheinbewegungen von Gliedmafsen bei Bewegung des Kopfes, die ich an anderer Stelle beschrieben habe.1 H\u00e4lt man z. B. die rechte Hand frontal-horizontal und neigt nun den Kopf nach der linken Schulter, so scheint die Hand gleichzeitig in die H\u00f6he zu gehen, w\u00e4hrend sie sich scheinbar senkt, wenn man den Kopf zur rechten Schulter neigt, obzwar sie objektiv ihre urspr\u00fcngliche Lage nicht ver\u00e4ndert hat.\nZur zweiten Gruppe der Bewegungst\u00e4uschungen geh\u00f6rt auch das folgende interessante Beispiel: Legt man auf eine beliebige\n1 v. Skramlik, E., Lebensgewohnheiten als Grundlage von Sinnest\u00e4uschungen. Naturwissenschaften. Heft 7. 1925.","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinns.\n251\nTastfl\u00e4che am besten die Hohlhand \u2014 einen runden und glatten Stab aus Metall, und bewegt ihn nun linear (s. Abb. 6) in einer Richtung hin und her, in der er auch gew\u00e4lzt werden k\u00f6nnte, so hat man im unwissentlichen Verfahren sehr bald den Hindruck, als ob er auch tats\u00e4chlich \u00fcber die Hand hinwegrollt. Der Drehungssinn der scheinbaren Rollung entspricht durchaus demjenigen, in dem der Stab auch wirklich gew\u00e4lzt w\u00fcrde. Es ist f\u00fcr den Ausfall des Versuchs vollkommen gleichg\u00fcltig, ob man den Stab \u00fcber die ruhende Hand hinwegzieht oder umgekehrt die Tastfl\u00e4che \u00fcber den ruhenden Stab. Man hat stets den Eindruck, als ob der Stab rollen w\u00fcrde, und zwar in der-\nAbbildung 6.\nLineare Bewegung und scheinbares Rollen eines Stabes.\njenigen Richtung, in der er sich bei der betreffenden Bewegung w\u00e4lzen liefse, wenn er an seinen Enden zwischen Zapfen drehbar w\u00e4re. Sehr bemerkenswert ist, dafs man die irrt\u00fcmliche Wahrnehmung des Rollens an jeder Tastfl\u00e4che haben kann \u2014 es ist gleichg\u00fcltig, ob man die Hohlhand oder die Stirnhaut verwendet. Ohne Bedeutung ist die Dicke des Stabes; dagegen ist wichtig, dafs er rund und glatt ist. Es ist also zum Auftreten der T\u00e4uschung die zum Rollen erforderliche Form noch nicht gen\u00fcgend, sondern es ist auch eine Beschaffenheit der Oberfl\u00e4che erforderlich, die jegliche Reibung ausschliefst. Rostige St\u00e4be d\u00fcrfen bei diesem Versuch nicht verwendet werden. Sie beeintr\u00e4chtigen zum mindesten die T\u00e4uschung sehr. Damit steht in \u00dcbereinstimmung, dafs die Haut vollkommen trocken sein mufs, damit der Effekt hervorgebracht wird. Auf Tastfl\u00e4chen, die leicht schwitzen, ist die T\u00e4uschung viel weniger frappant.","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nEmil v. Skramlik.\nEinfetten der Haut mit \u00d6l oder einem weichen Fett beg\u00fcnstigt die Erscheinung, w\u00e4hrend sie durch Entfetten der Haut (durch\n\u00c4ther oder Alkohol) behindert wird.\nEs wurde bereits darauf hingewiesen, dafs der Stab, der zum Versuche verwendet wird, rund sein mufs. Man kann aber den Eindruck des Rollens auch bei scharfkantigen Gegenst\u00e4nden haben, besonders wenn man auf die irrt\u00fcmliche Wahrnehmung des Rollens bereits eingestellt ist. F\u00e4hrt man z. B. mit einer Schneide ganz leicht \u00fcber die Haut hinweg, so rollt scheinbar eine Walze von ganz kleinem Durchmesser, die dem Gegenstand aufsitzt.\nEine interessante Variante des Versuches von gleitenden St\u00e4ben, die scheinbar rollen, ergibt sich, wenn man den Stab zwischen den einander zugewendeten Fl\u00e4chen zweier benachbarter Finger hin und her bewegt. Man hat dann n\u00e4mlich den Eindruck, als ob sich zwei Walzen und zwar in entgegengesetzter Richtung drehen w\u00fcrden. Dieses Ergebnis ist nach einiger \u00dcberlegung ohne weiteres zu verstehen. Wird n\u00e4mlich der Stab zwischen dem 2. und 3. linken Finger, die mit der Radialseite nach oben gehalten werden, von aufsen gegen die Zwischenfingerfalte bewegt, so wird er von der Ulnarseite des 2. Fingers (von der Vp. aus gesehen) scheinbar im Sinne des Uhrzeigers, von der Radialseite des 3. t ingers zugleich in entgegengesetztem Sinne gedreht. Dieses w\u00e4re auch der Fall, wenn es sich um zwei St\u00e4be handeln w\u00fcrde, die beide in Achsen drehbar sind, von denen der eine der Ulnarseite des 2. 1., der andere der Radialseite des 3. 1. Fingers anliegt.\nDie irrt\u00fcmliche Wahrnehmung des Rollens kann auch verursachen, dafs eine wirkliche Drehbewegung scheinbar verst\u00e4rkt oder r\u00fcckg\u00e4ngig gemacht wird. Man kann sich von dieser Tatsache einfach \u00fcberzeugen, wenn man die Achse eines in Gang befindlichen Motors streicht. Dreht sich z. B. diese im Sinne des Uhrzeigers, und streicht man mit einem Finger so \u00fcber sie hin, dafs dadurch die gleiche Drehung erzeugt wird, so ist die Drehbewegung scheinbar beschleunigt. Und sie wird scheinbar verz\u00f6gert, ja kann sogar in umgekehrter Richtung erfolgen, wenn man die Tastfl\u00e4che in einer Weise \u00fcber die Motorachse hinwegf\u00fchrt, dafs durch diese Bewegung die entgegengesetzte Drehung erzeugt wird. Man hat dann den Eindruck, als ob der Motor pl\u00f6tzlich langsamer oder gar ent-","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinns.\n253\ngegengesetzt l\u00e4uft, als dies urspr\u00fcnglich der Fall war. Aus diesen Beobachtungen kann man ermessen, welchen Grad die T\u00e4uschung anzunehmen vermag.\nWenn man einmal auf das Rollen eingestellt ist, so ist man nicht mehr imstande, die reine lineare Bewegung des Stabes wahrzunehmen. Er rollt beim Hinwegstreichen \u00fcber jede Tastfl\u00e4che scheinbar immer. Man verf\u00e4llt dann merkw\u00fcrdigerweise dieser T\u00e4uschung, auch wenn man den Stab nicht \u00fcber die nackte Hautfl\u00e4che hinwegzieht, sondern sogar \u00fcber eine bekleidete (z. B. \u00fcber die Hand, die in einem Handschuh steckt).\nDieses scheinbare Rollen macht sich auch beim Anpacken von Schrauben bemerkbar und kann sehr st\u00f6rend werden, weil man oft nicht mehr sicher ist, ob sich die Schraube, die man zu drehen w\u00fcnscht, nun wirklich, oder nur scheinbar dreht.\nAusdr\u00fccklich sei bemerkt, dafs unter den angegebenen Kau-telen ein jeder das scheinbare Rollen wahrnehmen kann, dafs sich die einzelnen Personen aber bei diesem Versuch ganz verschieden verhalten. Je unbefangener ein Mensch ist, um so rascher wird er den Eindruck des Rollens haben. So ist mir unterlaufen, dafs Handwerker und gr\u00f6fsere Kinder schon beim erstmaligen Hinwegstreichen des runden Stabes \u00fcber ihre Tastfl\u00e4chen im unwissentlichen Verfahren erkl\u00e4rten, der Gegenstand rollt. Leute, die viel denken und sorgf\u00e4ltig \u00fcberlegen, kommen meist von selbst niemals zu der Wahrnehmung, dafs der Stab rollt, wenn man ihn \u00fcber ihre Hand hinwegf\u00fchrt, da er \u2014 wie sie erkl\u00e4ren \u2014 niemals mit der Hand so gleichm\u00e4fsig gew\u00e4lzt werden kann. Aber auch diese \u201ekritischen\u201c Leute haben die irrt\u00fcmliche Wahrnehmung des Rollens sofort, wenn man sie eigens darauf aufmerksam macht, und dieser Eindruck bleibt dann bei allen weiteren Versuchen bestehen.\nEs erhebt sich nunmehr die Frage, ob man das scheinbare vom wirklichen Rollen unterscheiden kann. Stellt man den Versuch so an, dafs man den Stab einmal \u00fcber die Tastfl\u00e4che der Vp. blofs hinwegzieht, dann aber auch wirklich w\u00e4lzt, so wird meist mit Sicherheit ausgesagt, wenn sich der Stab in Wirklichkeit dreht oder nicht. Dies ist auf die unvermeidlichen Ersch\u00fctterungen beim W\u00e4lzen des Stabes zur\u00fcckzuf\u00fchren, die nat\u00fcrlich von der Vp. sofort wahrgenommen und entsprechend gedeutet werden. Es ist mir aber auch schon bei solchen ganz primitiven Versuchen aufgefallen, dafs die Vp. in","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\nEmil v. Skramlik.\nihren Angaben sehr unsicher wird, wenn man das W\u00e4lzen des Stabes sehr geschickt macht, so dafs Ersch\u00fctterungen vermieden\nsind.\nDie Tatsache, dafs man das scheinbare vom wirklichen Rollen nicht unterscheiden kann, ist durch Versuche an dem in Abb. 7 wiedergegebenen Apparat beigebracht worden. Er besteht im wesentlichen aus einer Walze, die in zwei Lagen drehbar gemacht und auch festgeschraubt werden kann. Der Apparat mufs so konstruiert sein, dafs die Drehung der Walze m\u00f6glichst reibungs- und ger\u00e4uschlos vor sich geht. Wird der Versuch dann noch so angestellt, dafs die Hand zur Verminderung der Reibung mit Paraffin\u00f6l eingeschmiert ist, so kann die Vp. beim Hinwegstreichen der Tastfl\u00e4che \u00fcber die Walze nicht unterscheiden, ob sich diese nur scheinbar oder wirklich dreht.\nAbbildung 7.\nApparat zum Nachweis, dafs wirkliches und scheinbares Rollen voneinander nicht unterschieden werden k\u00f6nnen, a Walze, bi und b2 Lager, in denen sie frei drehbar ist, aber auch vermittels der Schraube c festgemacht werden kann. Es kann gleichzeitig mit zwei Walzen gearbeitet werden.\nGelegentlich kann beim Stillhalten der Walze angegeben werden, dafs der Widerstand gegen\u00fcber der Drehung pl\u00f6tzlich ein gr\u00f6fserer ist, doch ist dieses Kriterium ein zu unsicheres, als dafs man daraufhin stets zutreffende Angaben machen k\u00f6nnte. Auf Grund dieser Feststellungen l\u00e4fst sich der Schlufs ziehen, dafs es bei Ausschlufs des Gesichtssinnes nicht m\u00f6glich ist, scheinbares vom wirklichen Rollen zu unterscheiden.\nSehr viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, wieso man \u00fcberhaupt einer solchen irrt\u00fcmlichen Wahrnehmung unterliegen kann. Wahrscheinlich spielt auch hier die Gewohnheit eine sehr grofse Rolle. Gewissermafsen wird die M\u00f6glichkeit einer Drehbewegung schon als Tatsache genommen, wenn man gleichzeitig eine Bewegung ausf\u00fchrt, die diesem Zweck entspricht. Als St\u00fctze f\u00fcr diese Annahme k\u00f6nnte auch angef\u00fchrt werden, dafs der Stab, der zum Versuche verwendet wird, rund und glatt sein mufs, und dafs die Wahrnehmung des Rollens","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinns.\n255\ndurch Rauhigkeit der Oberfl\u00e4che sehr beeintr\u00e4chtigt wird. Ob diese Deutung den tats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnissen entspricht, werden weitere Versuche ergeben m\u00fcssen.\nEin Analogon zu diesem merkw\u00fcrdigen Ph\u00e4nomen im Gebiete der Gesichtswahrnehmungen kennen wir nicht. Denn wir beobachten wohl Scheinbewegungen, die aber indessen alle linear vor sich gehen. Es kommt hier jedoch niemals vor, dafs eine lineare Bewegung als eine translatorische wahrgenommen wird.\nIII. Zusammenfassung.\nEs werden eine Anzahl von Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinnes besprochen, die sich in zwei Gruppen sondern lassen : 1. solche, die sich bei Verschiebung der Tastfl\u00e4che auf ihrer Unterlage (Fettgewebe, Sehnen, Muskeln und Knochen) bemerkbar machen, wobei die Haut aus ihrer Normallage herausgebracht wird und 2. solche, die sich bei in Normallage befindlicher, aber bewegter Tastfl\u00e4che und ruh en den oder bewegten Gegenst\u00e4nden, oder bei ruhender Tastfl\u00e4che und bewegten Gegenst\u00e4nden bemerkbar machen. Ein Analogon zu den T\u00e4uschungen der ersten Art l\u00e4fst sich beim Gesichtssinn in den Scheinbewegungen ruhender Gegenst\u00e4nde bei passiver Augenverstellung, zu einigen der zweiten im Gesichtsschwindel erblicken. Als Ursache der Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinnes kommen, im weitaus h\u00f6heren Grade als beim Gesichtssinn, gewohnheitsgem\u00e4fse H andlungen in Betracht.\nDie vorliegende Untersuchung wurde mit Hilfe einer Spende der Rockefellerstiftung durchgef\u00fchrt, der auch an dieser Stelle herzlichst gedankt sein soll.","page":255}],"identifier":"lit35979","issued":"1925","language":"de","pages":"241-255","startpages":"241","title":"\u00dcber Bewegungst\u00e4uschungen im Gebiete des Tastsinns","type":"Journal Article","volume":"56"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:42:49.588761+00:00"}