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Über Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometrische Darstellung

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{"created":"2022-01-31T14:09:22.036350+00:00","id":"lit35981","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Kries, J. v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 56: 281-317","fulltext":[{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"281\n\u2022 \u2022\nUber Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometrische Darstellung.\nVon\nGeh.-Kat Prof. Dr. J. y. Kries (Freiburg).\nInhalts\u00fcbersicht.\tSeite\nI. Empfindungsmannigfaltigkeiten.\nAllgemeines....................................................282\nQualit\u00e4ts- und Mischungsreihen..................................\nGesichtssinn.................................................. 284\nGeschmacksinn..................................................286\nFicks Theorie und ihre Auffassung bei Henning..................287\nGeruchsinn.....................................................291\nII. Geometrische Darstellungen.\nAllgemeines. Deckende Korrespondenz................... . . 297\nGesichtssinn.\nDarstellung der\tReizarten (Farbentafel)........................298\nDarstellung der\tLichtpotenzen (Farbenk\u00f6rper)...................299\nDarstellung der\tm\u00f6glichen Empfindungen.........................300\nDarstellung der\tK\u00f6rper(fl\u00e4chen)farben..........................301\nOrdnung nach physikalischen Prinzipien.........................302\nDarstellung Ostwalds...........................................305\nPsychologisch geordnete Darstellung der optischen Empfindungen. Hennings Farben-Oktaeder.................................308\nGeschmackssinn. Tetraederdarstellung...........................312\nGeruchssinn. Das Geruchsprisma.................................315\nWie bekannt, hat Newton als erster eine geometrische Darstellung benutzt, um gewisse von ihm entdeckte Tatsachen der physiologischen Optik zu veranschaulichen. Die nach ihm benannte \u201eFarbentafel\u201c hat dann im Laufe der Zeit den Ausgangspunkt f\u00fcr \u00fcberaus zahlreiche Betrachtungen und Untersuchungen abgegeben. Die Grunds\u00e4tze der NEWTONschen Konstruktion sind von Grassmann und von Helmholtz in durchsichtigerer Weise\nZeitschrift f. Sinnesphysiol. 56.\t20","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282\nJ. v. Kries.\nentwickelt worden; die Tafeldarstellung, die von der absoluten Intensit\u00e4t der Lichter abgesehen hatte, wurde durch die Einbeziehung dieser weiteren Bestimmung zu einem \u201eFarbenk\u00f6rper\u201c erg\u00e4nzt. Nicht selten aber sind \u00e4hnliche Darstellungen auch f\u00fcr andere Sinnesgebiete benutzt worden. \u2014 In neuerer Zeit hat sich Ost Wald mit einer geometrischen Darstellung der \u201eK\u00f6rperfarben\u201c, ganz besonders aber Henning mit einer geometrischen Darstellung von Empfindungsmannigfaltigkeiten \u00fcberhaupt besch\u00e4ftigt. Wenn dabei namentlich der Letztgenannte zu Ergebnissen gelangt ist, die von dem seither Bekannten und Anerkannten vielfach erheblich abweichen, so hat dies seinen Grund nur zum Teil darin, dafs zwischen seinen Ansichten und dem bislang f\u00fcr richtig Gehaltenen positive Widerspr\u00fcche stattf\u00e4nden. Grofsenteils aber liegt der Grund auch darin, dafs einer geometrischen Darstellung von Empfindungsmannigfaltigkeiten sehr verschiedene Aufgaben gestellt werden k\u00f6nnen, und dafs H. in der Tat von einer solchen etwas ganz anderes verlangt, dafs er sie mit anderem Ziele in Angriff nimmt, als das fr\u00fcher meist geschah. Es scheint mir aus diesem Grunde wohl der M\u00fche wert, in ganz allgemeiner Weise zu pr\u00fcfen, welche Aufgabe wir uns bei der geometrischen Darstellung von Empfindungsmannigfaltigkeiten stellen k\u00f6nnen. Dieser Aufgabe sind die nachfolgenden Bl\u00e4tter in der Hauptsache gewidmet. Allerdings aber ist es notwendig, diesem Gegenstand einige Er\u00f6rterungen \u00fcber die Empfindungsmannigfaltigkeiten selbst vorauszuschicken.\nI.\nDie M\u00f6glichkeit und der Anlafs, von Empfindungsmannigfaltigkeiten zu sprechen und sie durch r\u00e4umliche Gebilde darzustellen beruht zun\u00e4chst darauf, dafs vielfach die Empfindungen \u00e4hnlich wie die Orte im Raum eine stetige Ver\u00e4nderlichkeit zeigen. Wir k\u00f6nnen namentlich durch die stetige \u00c4nderung des eine Empfindung hervorrufenden Reizes (bei Konstanterhaltung der \u00fcbrigen Bedingungen) eine stetige Abwandlung der Empfindung erzielen; wir k\u00f6nnen insbesondere durch passende Gestaltung der Reize eine Empfindung einer anderen mehr und mehr, bis zu v\u00f6lliger \u00dcbereinstimmung ann\u00e4hern usw.1 Wir d\u00fcrfen also\n1 Ob unter alien Umst\u00e4nden mit einer stetigen \u00c4nderung der Reize auch stetige \u00c4nderungen der Empfindung verkn\u00fcpft sind, das ist nat\u00fcrlich eine andere Frage, auf die hier einzugehen nicht notwendig ist.","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 283\njedenfalls davon ausgehen, dafs dieser Begriff des stetigen An-oinanderschlusses im Gebiete der Empfindungen anwendbar ist und eine einwandfreie Bedeutung besitzt. Wir k\u00f6nnen weiter davon ausgehen, dafs in vielen F\u00e4llen durch fortgesetzte stetige \u00c4nderung eine Empfindung Ej in eine andere E2 \u00fcbergef\u00fchrt werden kann, die von jener sehr stark verschieden ist. Daher kann also von einem von Ex bis E2 sich erstreckenden Empfindungskontinuum gesprochen werden. So etwa, wenn wir auf das Sehorgan Lichter von allm\u00e4hlich abnehmender Wellenl\u00e4nge einwirken lassen und so die Empfindung von Rot durch Orange in Gelb \u00fcbergeht, oder wenn wir durch die zunehmende Schwingungsfrequenz \u00abines schallgebenden K\u00f6rpers die Empfindung von C in die dar\u00fcber liegende grofse Terz E \u00fcberf\u00fchren usw.\nEine vollst\u00e4ndigere Betrachtung derartiger Abstufungen f\u00fchrt uns sogleich dazu, zwei Hauptf\u00e4lle zu unterscheiden. Beide finden wir in besonders ausgepr\u00e4gter Form beim Geh\u00f6rsinn verwirklicht. Lassen wir auf unser Ohr eine Schallschwingung von der Frequenz 522 in der Sek. ein wirken, so h\u00f6ren wir den Ton c, und indem wir die Frequenz allm\u00e4hlich auf 5/4. 522 = 652 \u2022steigern, k\u00f6nnen wir den geh\u00f6rten Ton in die dar\u00fcber liegende grofse Terz e \u00fcbergehen lassen. Wir haben hier ein ausgezeichnetes Beispiel stetiger Empfindungs\u00e4nderung und k\u00f6nnen in diesem Falle von einer Qualit\u00e4tenreihe sprechen.\nWir k\u00f6nnen jedoch auch mit dem Ton c zugleich die h\u00f6here grofse Terz e erklingen lassen und dabei das St\u00e4rkeverh\u00e4ltnis der beiden T\u00f6ne stetig \u00e4ndern. Ist zun\u00e4chst etwa das e nur in minimaler St\u00e4rke neben dem c vorhanden, und lassen wir allm\u00e4hlich jenes ins \u00dcbergewicht kommen, dieses zur\u00fccktreten, so kann auch auf diese Weise in stetigem \u00dcbergang die eine in die andere Empfindung \u00fcbergef\u00fchrt werden. Der \u00dcbergang ist aber unter diesen Umst\u00e4nden von ganz anderer Art. Dies beruht darauf, dafs die \u00dcberg\u00e4nge zusammengesetzte Empfindungen darstellen. Wir haben beim Erklingen von c und e den Eindruck einer doppelten Empfindung: wir k\u00f6nnen uns die beiden einzelnen T\u00f6ne zum Bewufstsein bringen, sie -\u201eheraush\u00f6ren\u201c, so dafs wir etwa den einen oder anderen nachzusingen imstande sind usw. Wir nennen eine solche Reihe eine Mischungsreihe. Ehe wir daran gehen diese Betrachtungen auf andere Sinnesgebiete anzuwenden, m\u00fcssen wir sogleich noch hervorheben, dafs der Unterschied der Qualit\u00e4tenreihe und\n20*","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"284\nJ. v. Kries.\nder Mischungsreihe kein vollkommen festgelegter ist. Dies r\u00fchrt daher, dafs in manchen F\u00e4llen die Eindr\u00fccke, die durch zusammengesetzte \u00e4ufsere Vorg\u00e4nge hervorgerufen werden, eine gewisse Ver\u00e4nderlichkeit zeigen. Zuweilen ist es m\u00f6glich, an ihnen Teilempfindungen zu unterscheiden, herauszuerkennen, und so kann der Eindruck einer zweifellos zusammengesetzten Empfindung entstehen. Unter anderen Bedingungen kann aber auch die M\u00f6glichkeit einer derartigen Unterscheidung von Teilempfindungen durchaus fehlen und ebenso \u00fcberzeugend der Eindruck einer schlechthin einfachen Empfindung vorliegen. Es handelt sich dabei um Unterschiede, die in dem jeweiligen Verhalten des empfindenden Subjektes ihren Grund haben und in mannigfaltiger Weise durch Aufmerksamkeit, Ein\u00fcbung, auch wohl individuelle Veranlagung wechseln k\u00f6nnen. Das, bekannteste und auff\u00e4lligste Beispiel hierf\u00fcr finden wir wiederum im Gebiete des Geh\u00f6rsinnes. Bei dem gleichzeitigen Erklingen eines Grundtons mit einem oder mehreren Obert\u00f6nen entsteht sehr h\u00e4ufig ein durchaus einheitlicher Eindruck. Wird dabei das St\u00e4rkeverh\u00e4ltnis vom Grundton und Obert\u00f6nen abge\u00e4ndert, so hat der H\u00f6rende den Eindruck einer qualitativen \u00c4nderung; wir sind gewohnt, dann von \u00c4nderungen der Klangfarbe zu sprechen. Durch passende Ein\u00fcbung aber k\u00f6nnen wir dahin gelangen, aus zusammengesetzten Kl\u00e4ngen die Teilt\u00f6ne herauszuh\u00f6ren. Durch diese Umst\u00e4nde kann also die Grenze zwischen Qualit\u00e4ten- und Mischungsreihen insofern verwischt werden, als unter bestimmten physiologischen Bedingungen je nach Umst\u00e4nden einfache oder zusammengesetzte Empfindungen entstehen, gewissen Abstufungen der \u00e4ufseren Einwirkung also jetzt eine Qualit\u00e4ts-, jetzt eine Mischungsreihe entsprechen w\u00fcrde.\nWir wenden uns nach dieser Vorbemerkung zu einer Betrachtung der einzelnen Sinne und beginnen mit dem Gesichtssinn. Hier ist als Hauptsache hervorzuheben, dafs die Reihen der\nFarben als Qualit\u00e4tenreihen, nicht als Mischungsreihen\n\u2022 \u2022\naufzufassen sind. Das Orange k\u00f6nnen wir freilich als eine Ubergangsempfindung zwischen Rot und Gelb bezeichnen, nicht aber das Rot und Gelb darin heraussehen, wie wir aus dem Dreiklang die einzelnen T\u00f6ne herauszuh\u00f6ren verm\u00f6gen. Es ist eine schlechthin einheitliche Empfindung. Damit ist sehr wohl vereinbar, dafs es uns sowohl an Rot wie an Gelb erinnert, dafs es mit dem einen wie dem anderen eine gewisse \u00c4hnlichkeit besitzt. Dafs uns ge-","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 285\nwisse Farben gerade an bestimmte andere erinnern, h\u00e4ngt des weiteren damit zusammen, dais es in dem Empfindungskontinunm ausgezeichnete Punkte gibt, m. a. W. dafs gewissen Empfindungen eine irgendwie psychologisch ausgezeichnete Bedeutung zukommt. Worin diese Bedeutung besteht, wie sie entstanden ist, namentlich auch auf welchen Besonderheiten der physiologischen Einrichtungen sie beruhen mag, das darf dabei dahingestellt bleiben. Bekanntlich sind die Verh\u00e4ltnisse im Laufe der Zeit nicht selten auch anders beurteilt worden. Es mufs dabei beachtet werden, dafs die Anschauung, zu der der Einzelne gelangt, sich als ein unmittelbares Ergebnis der Selbstbeobachtung darstellt, und dafs daher in der ganzen Frage von einem eigentlichen Beweise, ja selbst von einer fruchtbaren Er\u00f6rterung kaum die Rede sein kann.\nIm Hinblick hierauf lege ich Wert darauf, hervorzuheben, dafs in diesem Punkt auch Henning sich auf denselben Standpunkt stellt, den ich jederzeit als den richtigen vertreten habe. H. wendet sich sogar mit einer gewissen Sch\u00e4rfe gegen die Auffassung der Qualit\u00e4tenreihen als Mischungen, die er Ms eine unwissenschaftliche oder vorwissenschaftliche, als eine atomistische Mosaikpsychologie ablehnt (.Ergebnisse der Physiologie 19 S. 38). H. hat leider nicht gesagt an wessen Anschauungen er hierbei eigentlich gedacht hat. Wenn er aber die Anschauung, dafs die optischen Empfindungen Qualit\u00e4tenreihen, nicht Mischungsreihen sind, dafs also die reinen Farben wohl Ms ausgezeichnete Punkte, nicht aber als einfache Elemente des optischen Empfindens aufzufassen sind, auf Hering zur\u00fcckf\u00fchrt, so ist dies so wenig zutreffend, dafs eine Richtigstellung wohl am Platze ist. Als derjenige, der \u00fcberall in der ausgesprochensten Weise darauf ausging, Bewufstseinsinhalte in ihre Elemente aufzul\u00f6sen, dessen ganze Psychologie sozusagen im Zeichen der Analyse stand, ist ohne Zweifel Mach zu nennen. Es kommt das besonders darin zum Ausdruck, dafs er jede \u00c4hnlichkeit auf das Vorhandensein \u00fcbereinstimmender Elemente zur\u00fcckf\u00fchren zu m\u00fcssen glaubte und in der Aufsuchung dieser eine Hauptaufgabe erblickte. Man denke an seine Vorstellungen vom Wiedererkennen der r\u00e4umlichen Formen, das er auf die \u00dcbereinstimmung der Innervationsantriebe zur\u00fcckf\u00fchren wollte. F\u00fcr M. waren unzweifelhaft auch die reinen Farben Elemente der Empfindung. Das Orange konnte mit dem Rot und dem Gelb nur deswegen eine \u00c4hnlichkeit oder Verwandtschaft besitzen, weil ein gewisser Anteil von dem einen und anderen in ihm enthalten ist. \u2014 Was Hering anlangt, so ist es bekannt wie nahe er den grunds\u00e4tzlichen Anschauungen von Mach stand. Es sei hier daran erinnert, dafs auch er die \u00c4hnlichkeit allgemein als eine \u201eteilweise Gleichheit\u201c ansprach, also auf das Vorhandensein \u00fcbereinstimmender Teile zur\u00fcckzuf\u00fchren geneigt war. Was speziell die optischen Empfindungen anlangt, so kann man aus seinen Ver\u00f6ffentlichungen mit mindestens dem gleichen, ja wohl mit noch besserem Recht die von Henning bek\u00e4mpfte Vorstellung herauslesen, als diejenige, f\u00fcr die sich Henning auf ihn beruft.","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\nJ. v. Kries.\nDenn er spricht \u00fcberaus h\u00e4ufig von gemischten oder zusammengesetzten Empfindungen. Tats\u00e4chlich ist f\u00fcr Hering charakteristisch, dafs der hier in den Mittelpunkt des Interesses gestellte Gegensatz f\u00fcr ihn eigentlich gar nicht existiert, jedenfalls ihm keine besondere Bedeutung beigemessen wird. Wir finden daher auch bei Hering keinen Ausspruch, der etwa unter Ablehnung der einen Anschauung die andere f\u00fcr die richtige erkl\u00e4rt. Ja er hat sich sogar, und zwar noch in der letzten Zeit, \u00fcber die Belanglosigkeit der ganzen Unterscheidung direkt ausgesprochen. In seinen Grundz\u00fcgen der Lehre vom Lichtsinn lesen wir (S. 45) :\n\u201eSo habe ich gesagt, man k\u00f6nne die Zwischenfarben, z. B. Orange als zusammengesetzte oder gemischte bezeichnen zum Unterschiede von den Urfarben als einfachen Farben. Dagegen wurde eingewendet, dafs es zusammengesetzte Gesichtsempfindungen nicht gebe und dafs Orange eine ebenso einfache Empfindung sei wie Rot und Gelb. Mir scheint es hier v\u00f6llig gleichg\u00fcltig zu sein, ob man von zusammengesetzten Empfindungen sprechen will oder nicht und ob man die Ph\u00e4nomene des Gesichtssinnes \u00fcberhaupt Empfindungen nennen will . . . Ob ich nun die R\u00f6te und Bl\u00e4ue des Violetts als Bestandteile oder Komponenten oder ob ich sie als Merkmale oder Eigenschaften des Violetts bezeichne scheint mir hier gleichg\u00fcltig.\u201c\nWenn somit Henning hier besonderen Wert darauf legt, dafs die optischen Empfindungen als Qualit\u00e4ten-, nicht als Mischungsreihen aufzufassen sind, so kann er sich unm\u00f6glich auf Hering st\u00fctzen. Soweit ich sehe, bin vielmehr ich der erste gewesen, der diesen Gegensatz in voller Sch\u00e4rfe hervorgehoben und im Zusammenh\u00e4nge damit den Unterschied zwischen Teilempfindungen und ausgezeichneten Punkten hervorgehoben hat. In meiner ersten gr\u00f6fseren Ver\u00f6ffentlichung \u00fcber diesen Gegenstand heifst es (Die Gesichtsempfindungen und ihre Analyse, Leipzig 1885, S. 42)* \u201eWas sich uns im System der Empfindungen (es sind die optischen gemeint) heraussondert, sind vielleicht gewisse ausgezeichnete Punkte einer Mannigfaltigkeit, ganz sicher aber nicht Elemente, aus welchen sich die Gesichtsempfindungen in \u00e4hnlicher Weise aufbauten wie die Geh\u00f6rsempfindungen aus den ihrigen.\u201c An anderer Stelle (S. 42) heifst es dort: \u201eEine Verwandtschaft zu gewissen Vorstellungen haben, welche uns besonders deutlich in Erinnerung sind oder uns an sie erinnern, heifst noch lange nicht sich aus ihnen zusammensetzen.\u201c\nHiermit stimmt fast w\u00f6rtlich eine von Henning wiederholt angef\u00fchrte Formulierung von Ebbinghaus \u00fcberein: \u201eAn anderes erinnern und sich aus anderem zusammensetzen, sind verschiedene Dinge\u201c (Grundz\u00fcge der Psychologie I, S. 201, Leipzig 1911).\nSeitdem bin ich noch vielmals auf den gleichen Gegenstand zur\u00fcckgekommen und habe im prinzipiellen Gegensatz zu Mach und Hering den Gedanken einer nicht analysierbaren \u00c4hnlichkeit als einen unabweisbaren und unentbehrlichen vertreten.\nIch gehe zur Besprechung des Geschmackssinnes \u00fcber. Da H. hier der Meinung ist, zu neuen Ergebnissen gelangt zu sein und hergebrachte Anschauungen berichtigen za","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 287\nm\u00fcssen, so ist es angemessen, zun\u00e4chst auf die bislang in diesem Gebiete vertretenen Meinungen einen Blick zu werfen. Nach einer verbreiteten u. a. schon vor langer Zeit von Fick besonders entschieden ausgesprochenen Ansicht haben wir hier den vier Geschm\u00e4cken des Salzigen, S\u00fcfsen, S\u00e4uern und Bittern eine ausgezeichnete Bedeutung zuzuschreiben. Damit ist zugleich auch gegeben, dafs eine F\u00fclle\n\u2022 \u2022 ___________\nanderer Geschm\u00e4cke als \u00dcberg\u00e4nge oder Kombinationen von zwei\noder mehreren dieser Grundgeschm\u00e4cke aufzufassen sei. Dagegen\nhat sich Fick nicht genauer dar\u00fcber ge\u00e4ufsert, ob es sich hier \u2022 \u2022\num \u00dcberg\u00e4nge oder Mischungen handle, und ob die Grundgeschm\u00e4cke als die einfachen Elemente oder als ausgezeichnete Punkte anzusehen seien. Vermutlich d\u00fcrfte seine Ansicht dahin gegangen sein, dafs die Dinge hier ganz ebenso liegen wie uns dies im Gebiete der Klangempfindungen gel\u00e4ufig ist. Hier finden wir ja in ausgesprochener und wohl-\nbekannter Weise, dafs uns Kl\u00e4nge zun\u00e4chst einen einfachen Ein-\n\u2022 \u2022\ndruck machen, wir aber dann durch \u00dcbung und durch Anwendung von mancherlei Hilfsmitteln dazu gelangen, die Teilt\u00f6ne herauszuh\u00f6ren. Eben hierdurch verwischt sich ja in der vorhin ber\u00fchrten Weise die Grenze zwischen Qualit\u00e4ts- und Mischungsreihen. Auch hei den Geschmacksempfindungen finden wir offenbar eine gewisse Mannigfaltigkeit und namentlich eine Variabilit\u00e4t der Erscheinungen. Es gibt Geschm\u00e4cke, aus denen wir zwei Elemente, z. B. Sauer und S\u00fcfs oder Bitter und S\u00fcfs mit Leichtigkeit herauserkennen k\u00f6nnen; es gibt andere, bei denen das nicht ohne weiteres und allgemein, aber doch f\u00fcr Personen, die in dieser Richtung ausgedehnte Erfahrung haben, oder auch durch besondere Ein\u00fcbung gelingt ; und es gibt schliefslich auch solche, bei denen selbst dem Ge\u00fcbten ein Herauserkennen der Teil-geschm\u00e4cke nicht m\u00f6glich ist.\nIm ganzen w\u00e4re danach zu sagen, dafs der Gesamteindruck, den wir von einem schmeckenden K\u00f6rper erhalten von zweierlei ganz verschiedenen Bedingungen abh\u00e4ngt. Durch die chemische Natur des schmeckenden K\u00f6rpers m\u00fcfsten wir es uns bestimmt denken, in welchem Verh\u00e4ltnis z. B. saure und s\u00fcfse Empfindung beteiligt sind. Ob nun aber diese Empfindung uns den Eindruck einer einheitlichen Empfindung von bestimmter Qualit\u00e4t oder einer Zusammensetzung macht, das w\u00fcrde durch wesentlich andere Bedingungen bestimmt werden, und diese w\u00e4ren","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288\nJ. v. Kries.\nes, die wir uns mehr oder weniger ver\u00e4nderlich, insbesondere auch durch \u00dcbung beeinflufsbar zu denken h\u00e4tten. Hieraus ergibt sich die Folgerung, dafs zwischen sauer und s\u00fcfs schmeckenden L\u00f6sungen, soweit die schmeckenden K\u00f6rper in Betracht kommen, nur eine Art des \u00dcberganges m\u00f6glich ist, indem es lediglich auf das St\u00e4rkeverh\u00e4ltnis ankommt, in dem jene beiden Geschm\u00e4cke erregt werden ; und es ergibt sich als beachtenswerte Folgerung weiter die, dafs jede L\u00f6sung, die Sauer- und S\u00fcfs-empfindung erregt, einer bestimmten Mischung eines rein sauer und eines rein s\u00fcfs schmeckenden K\u00f6rpers ge schmacks gl e ich sein mufs. Ja wir k\u00f6nnen dies sogleich verallgemeinern und folgern, dafs jede schmeckende L\u00f6sung \u00fcberhaupt einer L\u00f6sung, die in passenden Mengen einen rein s\u00fcfs, rein sauer, rein salzig und rein bitter schmeckenden K\u00f6rper enth\u00e4lt, g eschmacksgleich sein mufs.\nEs sind dies etwa die Anschauungen, die in der hergebrachten Theorie des Geschmackssinnes zwar nicht vollst\u00e4ndig scharf entwickelt und deutlich ausgesprochen sind, aber aus ihren Grundgedanken sich ergeben und als ihr zugeh\u00f6rig betrachtet werden d\u00fcrfen.1\nZu wesentlich anderen Anschauungen ist Henning gelangt. Ehe ich auf den Punkt eingehe, in dem hier ein positiver Widerspruch besteht, mufs ich darauf hinweisen, dafs H. offenbar die \u00e4lteren Anschauungen in gewissen Hinsichten mifsverstanden hat, dafs dadurch seine ganze Darstellung eine eigenartig schiefe wird. \u201eEs hatte sich\u201c, sagt Henning, \u201edie Meinung eingeb\u00fcrgert, dafs es nur vier isolierte Geschmacksqualit\u00e4ten gebe, n\u00e4mlich Salzig, Sauer, S\u00fcfs und Bitter.\u201c H.2 sagt dann weiter: \u201eG\u00e4be es nur eine Art von Salzig, dann d\u00fcrfte man keinen\n1\tDies bedarf allerdings insofern einer Einschr\u00e4nkung, als auch an die M\u00f6glichkeit zu denken ist, dafs verschiedene K\u00f6rper zwar die gleichen Empfindungen, aber in ungleicher zeitlicher Ordnung hervorrufen. Der Empfindungserfolg zweier K\u00f6rper k\u00f6nnte z. B. \u00fcbereinstimmend die Empfindungen A und B enthalten, jedoch der eine in der Folge A B, der andere in der entgegengesetzten. Bei der Ber\u00fccksichtigung dieser Unterschiede der zeitlichen Form kann nat\u00fcrlich die Zahl geschmacksungleicher K\u00f6rper unbegrenzt grofs werden. Von diesen Verh\u00e4ltnissen soll hier zun\u00e4chst abgesehen werden. Gelegentlich kommen wir unten darauf zur\u00fcck.\n2\tErgebnisse der Physiologie 19. S. 32.","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"289\nEmpfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung.\nUnterschied im Geschmack merken, wenn das Mittagessen einmal mit Kochsalz, das andere Mal mit Bromkalium oder Chlormagnesium gesalzen wird.\u201c . . . Will man sich nicht durch die Zusammenwerfung ganz verschiedener Dinge irref\u00fchren lassen, so mufs selbstverst\u00e4ndlich der Vordersatz nicht heifsen: \u201eExistierte nur eine Art von Salzig**, sondern \u201eBes\u00e4fsen alle Salze den gleichen Geschmack\u201c. Denn es ist etwas ganz anderes, ob es nur eine wohlbestimmte und fest charakterisierte Art von Empfindung gibt, die wir Salzig nennen, oder ob alle K\u00f6rper, die der Chemiker Salze nennt, eben diese bestimmte Empfindung und sie allein hervorrufen und demgem\u00e4fs alle untereinander geschmacksgleich sind. Das erstere ist in der Tat die Annahme, die sich eingeb\u00fcrgert hat. Das letztere hat dagegen niemand behauptet oder geglaubt. Jedermann wufste vielmehr (schon die alte Benennung Bittersalz z. B. lehrte es), dafs die Salze verschieden schmecken und dafs viele eben nicht rein salzig, sondern daneben noch irgendwie anders, z. B. bitter schmecken. Was Henning hier betonen zu m\u00fcssen glaubt, steht also zu dem, was stets angenommen wurde, in keinerlei Widerspruch. Die ganze Betrachtung lehrt denn auch nichts, was nicht jedermann gel\u00e4ufig gewesen w\u00e4re. Und wenn H. die Annahme, dafs ein und derselbe K\u00f6rper sowohl salzigen als bitteren Geschmack haben kann, gewissermafsen als einen Ausweg aus einer der Theorie erwachsenen Schwierigkeit darstellt, so ist dies g\u00e4nzlich unzutreffend. Diese Annahme geh\u00f6rt zu den Grundgedanken der Theorie, ohne den sie Unsinn gewesen und sicherlich niemals aufgestellt worden w\u00e4re.\nH. fragt nun weiter : \u201eIst denn Bromkalium aber denn wirklich ein Mischgeschmack aus viel Salzig und wenig Bitter? Im bejahenden Falle mufs der Bromkaliumgeschmack aus richtig dosierter Mischung von reinem Salz und reinem Bitter (Chinin) herzustellen sein.\u201c \u2014 Dies ist es, was in der Tat, wie vorhin erw\u00e4hnt, aus der \u00e4lteren Theorie wenn nicht als unbedingt zwingende Folgerung, doch mit grofser Wahrscheinlichkeit entnommen werden konnte. Henning nun verneint dies, er gelangt zu dem Ergebnis, dafs chemisch einheitliche K\u00f6rper \u00dcbergangsgeschm\u00e4cke erzeugen k\u00f6nnen, die zwei anderen mehr oder weniger \u00e4hnlich sein k\u00f6nnen, immer sich aber als einheitliche darstellen, demgem\u00e4fs eine von dem einen zum anderen f\u00fchrende Qualit\u00e4tenreihe bilden, w\u00e4hrend andererseits bei der gleichzeitigen","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nJ. v. Kries.\nEinwirkung zweier chemisch gesonderter K\u00f6rper >,ein mehr oder weniger inniger Mischgeschmack entsteht, dessen Komponenten sich herausanalysieren lassen\u201c. Damit ist denn schon gegeben, dafs der einheitliche K\u00f6rper, dem wir einen salzig-s\u00fcfsen Geschmack zuschreiben, doch ganz anders schmeckt als die Mischung eines rein s\u00fcfsen und eines rein salzigen. Zwischen den einfachen Geschm\u00e4cken m\u00fcfste es danach zwei \u00dcberg\u00e4nge geben, die durch einheitliche Stoffe hervorzurufende Qualit\u00e4tenreihe und die durch Mischungen hervorzurufende Reihe gemischter oder zusammengesetzter Ge-schm\u00e4cke.\nDie Darstellung von Henning l\u00e4fst nicht erkennen, dafs er sich von dieser Tatsache mit derjenigen Sorgfalt und Gr\u00fcndlichkeit \u00fcberzeugt h\u00e4tte, die f\u00fcr eine Annahme von so grundlegender Bedeutung wohl gefordert werden konnte. Er sagt vielmehr, die Mischung von Kochsalz und Chinin schmecke qualitativ ganz anders als Chlormagnesium. Ob er sich die M\u00fche genommen hat, die Konzentrationsverh\u00e4ltnisse in ausgiebiger und systematischer Weise zu variieren, ist hieraus nicht zu ersehen. Ebenso bleibt die Frage offen, ob es nicht vielleicht gelingt, durch die Mischung von mehr als zwei einfachen Geschm\u00e4cken eine dem Chlormagnesium geschmacksgleiche Mischung herzustellen. Wenn aber auch dies nicht gelang, es sich also als endg\u00fcltig unm\u00f6glich herausstellte, eine dem Chlormagnesium geschmacksgleiche Mischung mehrerer einfacher Geschm\u00e4cke zu erhalten, so mufste vor allem noch aufs sorgf\u00e4ltigste gepr\u00fcft werden, ob die Unterscheidung nicht durch die vorhin schon ber\u00fchrten Nebenumst\u00e4nde (namentlich eine Ungleichheit der zeitlichen Verh\u00e4ltnisse u. dgl.) erm\u00f6glicht wird. \u2014 Als ich die Angabe H.s las, dafs der Geschmack eines einheitlichen K\u00f6rpers von dem einer Mischung grunds\u00e4tzlich verschieden sei, hielt ich zun\u00e4chst f\u00fcr wahrscheinlich, dafs es sich um derartige Unterschiede, namentlich solche der Zeitfolge, handeln m\u00f6chte. Ich veranlafste Herrn v. Skramlik, diese Verh\u00e4ltnisse nachzupr\u00fcfen. Das Ergebnis dieser Versuche war, dafs die Dinge weit einfacher liegen. Von einzelnen besonderen Ausnahmen abgesehen, gelingt es in der Tat Mischungen der rein schmeckenden K\u00f6rper Kochsalz, Rohrzucker, Chinin und Weins\u00e4ure herzustellen, die den L\u00f6sungen beliebiger einheitlicher K\u00f6rper durchaus \u201egeschmacksgleich\u201c, von diesen also nicht","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 291\nzu unterscheiden sind. Die Tatsachen sind daher mit der \u00e4lteren Theorie und ihren Konsequenzen in vollem Einklang.1\nWie aus dem Gesagten hervorgeht, kann ich nicht finden, dafs die Beobachtungen und die Ausf\u00fchrungen von Henning in bezug auf den Geschmackssinn irgend etwas Neues gelehrt h\u00e4tten. Dafs die \u00dcberg\u00e4nge zwischen zwei Grundgeschm\u00e4cken sich unter sehr vielen Bedingungen nicht als (analysierbare) Mischempfindungen, sondern als Qualit\u00e4tenreihen f\u00fcr die unmittelbare Selbstbeobachtung darstellen, ist nichts Neues. Niemand hat sich dar\u00fcber einer T\u00e4uschung hingegeben. Dafs es zwei Formen von \u00dcbergangsempfindungen g\u00e4be, analysierbare und nicht analysierbare, und dafs chemisch einfache K\u00f6rper die letzteren, chemische Gemenge die ersteren hervorriefen, ist tats\u00e4chlich unzutreffend.\nAuf die eigenartigsten und schwierigsten Erscheinungen stofsen wir beim Geruchssinn. In die grofse Mannigfaltigkeit von Empfindungen, zu denen er, wie schon allt\u00e4gliche Erfahrung lehrt, jedenfalls bef\u00e4higt ist, hat man sich zun\u00e4chst bem\u00fcht, durch die Zusammenordnung zahlreicher mehr oder weniger \u00e4hnlicher in einzelne Klassen eine gewisse Ordnung zu bringen. Es sei hier an den \u00e4ltesten von Linn\u00e9 herr\u00fchrenden Versuch und an den neueren von Zwaabdemakek erinnert. Betrachtet man den Geruch unter denselben Gesichtspunkten, wie das vorhin f\u00fcr Gesicht und Geschmack geschah, so erhebt sich als Hauptfrage, ob die Geruchsempfindungen sich \u00fcberhaupt einem Kontinuum vergleichen lassen, ob also z. B. zwei bestimmte Ger\u00fcche in stetiger Abstufung ineinander \u00fcbergef\u00fchrt werden k\u00f6nnen. Zur Beantwortung dieser Frage gibt es nur den Weg einer stetigen Ver\u00e4nderung der Reize, die ihrerseits wieder nur durch quantitativ abgestufte Mischungen zu erzielen ist. Es mufs also in systematischer Weise gepr\u00fcft werden, welche Empfindungen quantitativ abgestufte Mischungen von Duftstoffen hervorrufen. Dafs man hierbei nicht zu ganz einfachen Ergebnissen gelangt, l\u00e4fst sich schon aus \u00e4lteren Beobachtungen entnehmen. Denn diese haben gelehrt, dafs in manchen F\u00e4llen allerdings \u00dcbergangsempfindungen auftreten, zuweilen analysierbar, h\u00e4ufig auch nicht analysierbar. Sie haben aber auch gezeigt, dafs nicht selten eigenartige Erscheinungen ganz anderer Art, insbesondere solche eines Wettstreites beobachtet werden. Erst in neuester Zeit ist durch v. Skbamlik der aussichtsreichste Weg eingeschlagen worden,\nv. Skramlik, Mischungsgleichungen im Gebiete des Geschmackssinnes. Diese Zeitsehr. 53, S. 36 und 219. 1921","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nJ. V. Kries.\nzun\u00e4chst die Mischung zweier Duftstoffe systematisch durchzupr\u00fcfen und dabei die Mengenverh\u00e4ltnisse, mit denen jeder in der Mischung vertreten ist, systematisch abzustufen.1 Dabei hat sich nun herausgestellt, dafs die Erwartung, von der nach der Analogie der anderen Sinne auszugehen am n\u00e4chsten lag, sich nicht best\u00e4tigt. Man erh\u00e4lt gar nicht eine stetige Abstufung der Empfindungserfolge, sondern es zeigt sich, dafs meist der stetigen Abstufung der Reize eine \u00e4hnliche stetige Abstufung der Empfindung \u00fcberhaupt gar nicht entspricht. Man kann zweckm\u00e4fsig etwa drei Formen des Erfolges unterscheiden. Wenn die Menge des einen K\u00f6rpers unterhalb einer gewissen Grenze bleibt, so kommt sein Geruch \u00fcberhaupt nicht zur Geltung, er wird \u201eunterdr\u00fcckt\u201c. Wenn sich keiner der beiden K\u00f6rper unterhalb dieser Grenze befindet, so gestaltet sich der Empfindungsvorgang in der Regel zeitlich wechselnd. Je nach dem Mischungsverh\u00e4ltnis geht entweder der Geruch von A oder der von B voran, so zwar, dafs der in der Mischung st\u00e4rker vertretene K\u00f6rper vorangeht, der schw\u00e4cher vertretene nachfolgt. Hieraus ergibt sich schon, dafs es bei einem ann\u00e4hernd bestimmten Mischungsverh\u00e4ltnis ein Grenzgebiet geben mufs. Das ist tats\u00e4chlich auch der Fall, t\u00fcr je zwei K\u00f6rper gibt es ein ann\u00e4hernd bestimmtes, jedenfalls in recht enge Grenzen eingeschlossenes quantitatives Verh\u00e4ltnis, bei dem nach v. Skbamlik von einem wirklichen Nebeneinander gesprochen werden kann. Dasselbe wird allerdings auch nicht als ein einfacher und gleichm\u00e4fsig andauernder Empfindungszustand beschrieben, sondern als die M\u00f6glichkeit durch willk\u00fcrliche Einstellung der Aufmerksamkeit den einen oder anderen Geruch wahrzunehmen, so dafs die Erscheinung sich dem beim Gesichtssinn bekannten Wettstreit einigermafsen ann\u00e4hern w\u00fcrde. Diese Erfahrungen werden in vieler Hinsicht noch der Vervollst\u00e4ndigung bed\u00fcrfen. Immerhin ist die ersch\u00f6pfende Durchpr\u00fcfung dieses einfachsten Falles (quantitativ abgestufte Mischung zweier K\u00f6rper) als ein wertvoller Fortschritt zu begr\u00fcfsen. Auch gen\u00fcgen die gefundenen Tatsachen um zu zeigen, dafs im Gebiete des Geruchssinnes die Empfindungen sich gar nicht in \u00e4hnlicher Weise wie wir das f\u00fcr Gesicht, Geschmack und Geh\u00f6r kennen, als\n1 y. Skramlik, \u00dcber das Verhalten des Geruchssinnes bei gleichzeitiger Einwirkung zweier Reize. Klinische Wochenschrift 2, S. 1250. 1923. Ders., Die physiologische Charakteristik von riechenden Stoffen. Die Naturwissenschaften 12, S. 813. 1924.","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindlingsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 293\nein Kontinuum darstellen, die Erscheinungen vielmehr von grunds\u00e4tzlich anderer Natur sind.\nDie den Geruchssinn betr. Fragen sind ganz ebenso wie die entsprechenden im Gebiete des Geschmackssinnes in neuerer Zeit besonders eingehend von Henning behandelt worden. Wir m\u00fcssen daher auch hier auf seine Anschauungen und Ergebnisse etwas genauer eingehen.1 Das von ihm benutzte Verfahren war in erster Linie das, dafs Versuchspersonen eine Anzahl ihnen vorgelegter Geruchsstoffe im unwissentlichen Verfahren nach Mafs-gabe ihrer \u00c4hnlichkeit in Reihen zu ordnen haben. Die Anschauungen, zu denen Henning gelangt, sind mit seiner geometrischen Darstellung der Geruchsempfindungen so eng verkn\u00fcpft, dafs wir diese hier sogleich vorgreifend erw\u00e4hnen m\u00fcssen. Sie besteht in dem sogenannten \u201eGeruchsprisma\u201c; dies ist ein 3kantiges Prisma, das also 6 Ecken und 3 Kanten besitzt, von 2 Dreiecks- und 3 rechteckigen Fl\u00e4chen begrenzt wird. An den Ecken der beiden Dreiecke stehen die Ger\u00fcche Blumig, Fruchtig, W\u00fcrzig, Harzig, Faulig und Brenzlig. Als Haupttatsache kommt in dieser Konstruktion zum Ausdruck, dafs sich die genannten 6 Ger\u00fcche als Grundempfindungen herausheben. Wir erfahren ferner, (S. 80) \u201edafs jede dieser Empfindungen in jede andere kontinuierlich \u00fcbergeht\u201c. Da diese Grundempfindungen doch wohl jedenfalls ausgezeichnete Punkte darstellen, und da diese dadurch charakterisiert sein sollen, dafs sich \u00c4hnlichkeitsreihen \u00fcber sie hinaus nicht gleichsinnig fortsetzen lassen, so h\u00e4tte man erwarten sollen, dafs die Grundempfindungen in den \u00c4hnlichkeitsreihen scharf hervortreten und durch die Angabe von K\u00f6rpern bestimmt werden k\u00f6nnen, die geeignet sind, sie rein oder doch ann\u00e4hernd rein hervorzurufen. Solche Angaben aber werden nur teilweise gemacht. Allerdings heifst es bei Harzig: \u201eals charakteristischen Harzgeruch m\u00f6chte ich den Duft von R\u00e4ucherwerk bezeichnen: er k\u00e4me ungef\u00e4hr an die Ecke des Geruchsk\u00f6rpers zu stehn\u201c. Ferner wird angegeben, dafs als typisch Faulig den Vp. Schwefelkohlenstoff und Schwefelwasserstoff galt; und als Repr\u00e4sentanten des Brenzligen werden Teergeruch und Pyridin angef\u00fchrt. Dagegen werden in anderen F\u00e4llen schon zur Erl\u00e4uterung der Grundempfindungen Reihen angegeben.\nDanach d\u00fcrften die Grundger\u00fcche sich doch nicht mit der-\n1 Henning, Der Geruch 1916.","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nJ. v. Kries.\njenigen Sicherheit herausgestellt haben, wie dies nach H. theoretischen Auffassungen zu erwarten gewesen w\u00e4re. Indessen wollen wir darauf kein besonderes Gewicht legen, da H. selbst sagt, \u201eMit dem Worte Grundempfindung m\u00f6ge der Leser keine irgendwie analoge Theorie aus anderen Sinnesgebieten verbinden, sondern die genauere Bestimmung und Begrenzung vorerst noch offen lassen\u201c. \u2014 Was die \u00dcberg\u00e4nge zwischen je zwei Grundger\u00fcchen anlangt, so w\u00e4re m. E. die Henning sehe These dann gerechtfertigt gewesen, wenn in seinem unwissentlichen Verfahren alle jene der Theorie nach zu erwartenden Reihen, 15 an der Zahl, tats\u00e4chlich hergestellt worden w\u00e4ren. Das scheint aber auch nicht der Fall gewesen zu sein. Im Gegenteil scheint gerade die Tatsache, dafs die Grundger\u00fcche stets durch Reihen charakterisiert werden, darauf hinzuweisen, dafs ganz bestimmten \u00dcberg\u00e4ngen eine ausgezeichnete Bedeutung zukommt. \u201eDie \u00fcbrigen Versuchsreihen zusammenfassend\u201c, heilst es S. 84, \u201em\u00f6chte ich sagen, dafs immer dieses in sich zur\u00fccklaufende Viereck, W\u00fcrzig, Blumig, Fruchtig, Harzig, im unwissentlichen Verfahren zusammengestellt wurde.\u201c Danach mufs denn doch dem \u00dcbergange von Blumig gerade zu W\u00fcrzig und Fruchtig eine ganz andere Bedeutung zukommen als seinen \u00dcberg\u00e4ngen zu Harzig, Faulig und Brenzlig.\nNoch mit einem anderen Zweifel bleiben die H.scben Angaben \u00fcber \u00c4hnlichkeitsreihen behaftet. Die K\u00f6rper, die in den erw\u00e4hnten Reihen figurieren, sind zum Teil chemische Individuen (so z. B. Toluol), zum gr\u00f6fseren Teil dagegen in der Natur vorkommende Produkte, die im chemischen Sinne als Gemenge zu bezeichnen sind. (R\u00e4ucherwerk, Teergeruch u. a.) Nun sagt uns H. (S. 129): \u201eToluol riecht ganz anders als eine einheitliche Mischung seiner beiden Nachbarn in der psychischen Qualit\u00e4tenreihe Benzol und Xylol.\u201c Danach scheint auch hier H. ganz \u00e4hnlich wie f\u00fcr den Geschmackssinn anzunehmen, dafs der Geruch des chemisch einheitlichen K\u00f6rpers anders ist als der irgendeiner Mischung. Und zwar scheint das nicht nur dann zu gelten, wenn die durch zwei K\u00f6rpers hervorgerufene Empfindung eine auch im psychischen Sinne zusammengesetzte ist, sondern auch dann, wenn die Mischung eine einheitliche Empfindung hervorruft. Wenn sich das aber so verh\u00e4lt, so m\u00fcfsten zwei Ger\u00fcche durch zwei von einem zum anderen f\u00fchrende Reihen verbunden sein, die eine, welche die chemisch einheitlichen K\u00f6rper, eine zweite, welche die Mischungen enth\u00e4lt.\nSetzen wir uns \u00fcber diese Bedenken hinweg, so w\u00fcrde vor allem weiter zu fragen sein, ob es auch Ger\u00fcche gibt, die mit mehr als zweien der Grundempfindungen \u00c4hnlichkeit besitzen.","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung.\nVon vornherein ist daran zu denken, dafs es etwa Ger\u00fcche gibt, die mit drei, vier, f\u00fcnf, ja mit allen sechs Grundempfindungen \u00c4hnlichkeit besitzen, also in diesem Sinne als Kombinationen von mehr als zweien (bis zu 6) Grundempfindungen aufzufassen w\u00e4ren. In dieser Hinsicht finden wir die Angabe (S. 97): \u201ebei den eiufachen Ger\u00fcchen der Oberfl\u00e4che (n\u00e4mlich des \u201eGeruchsprismas\u201c) bemerken wir nicht blofs zwei \u00c4hnlichkeiten, sondern (mehr oder weniger sinnf\u00e4llig) zahlreichere und zwar zu allen Ecken ihrer Fl\u00e4chen in dem Mafse als sie von diesen Ecken nahe oder weit entfernt liegen\u201c. Wiederum h\u00e4tte nun H. diesen Satz m. E. nur aufstellen d\u00fcrfen, wenn er durch systematische Untersuchung sich von der Verwirklichung aller der hier eingeschlossenen ziemlich zahlreichen F\u00e4lle \u00fcberzeugt h\u00e4tte. Und es w\u00e4re eine Angabe dar\u00fcber zu verlangen, dafs in der Tat alle diese F\u00e4lle beobachtet worden sind. Eine solche suchen wir aber vergeblich, und so ist wohl zun\u00e4chst auch der Zweifel berechtigt, ob die Kegel tats\u00e4chlich sich auf die ersch\u00f6pfende Durchpr\u00fcfung der Einzelf\u00e4lle st\u00fctzt oder aus einer beschr\u00e4nkten Zahl per analogiam erschlossen worden ist. \u2014 Die Aufstellung des \u201eGeruchsprismas\u201c und die weitere Angabe, dafs alle einfachen Ger\u00fcche auf dessen Fl\u00e4chen und Kanten Platz finden, schliefst ferner eine weitere hierher geh\u00f6rige Folgerung ein. Es m\u00fcfsten n\u00e4mlich danach Ger\u00fcche mit mehr als vier \u00c4hnlichkeiten durchweg, auch solche mit vier \u00c4hnlichkeiten zum Teil ausgeschlossen sein. Davon aber, dafs dies durch eine ersch\u00f6pfende Untersuchung aller F\u00e4lle gepr\u00fcft worden sei, erfahren wir nichts. Es wirkt jedenfalls einigermafsen befremdend, dafs Henning diese ganze Frage, der offenbar eine grundlegende Bedeutung zukommt, als solche gar nicht aufwirft, auch gar keinen Versuch macht, sie systematisch zu behandeln, sondern sich auf einzelne willk\u00fcrlich herausgegriffenen Beispiele und fragmentarische Angaben beschr\u00e4nkt.\nNoch in einemweiteren Punkte erscheint die Untersuchung von Henning unfertig. Wer von ihr eine Aufkl\u00e4rung \u00fcber die Grundfragen der Geruchsphysiologie erwartet, der wird vor allem zu wissen w\u00fcnschen, ob mit der Aufstellung der sechs Grundempfindungen und den Angaben \u00fcber die zwischen ihnen bestehenden \u00dcberg\u00e4nge eine ersch\u00f6pfende \u00dcbersicht \u00fcber die Geruchsempfindungen, wenigstens zun\u00e4chst \u00fcber die einheitlichen gewonnen ist. Man wird also zu wissen w\u00fcnschen, ob wirklich alle, wenigstens","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\nJ. v. Kries.\nalle einheitliche Geruchsempfindungen den angegebenen \u00c4hnlichkeitsreihen irgendwo eingeordnet werden k\u00f6nnen. Gewifs ist es schwierig das zu beweisen, ja selbst nur sehr wahrscheinlich zu machen, angesichts der unendlichen Menge von Riechstoffen, die es gibt. Immerhin w\u00e4re es doch beachtenswert, wenn H. uns sagen k\u00f6nnte, dafs er eine recht hohe, vielleicht einige Tausend Riechstoffe in dieser Richtung gepr\u00fcft habe, dafs er dabei auf keinen gestofsen sei, der nicht in unzweideutiger Weise eine solche Einordnung gestattet habe. Soweit ich finde, ist aber von einer derartigen Pr\u00fcfung keine Rede. Wie H. diese Frage beurteilt ist nicht ersichtlich. Der grofse Wert, den H. auf die von jenen Grundger\u00fcchen ausgehende Darstellung im Geruchsprisma liegt, scheint daf\u00fcr zu sprechen, dafs er in der Tat der Meinung ist, alle Ger\u00fcche auf diese zur\u00fcckf\u00fchren zu k\u00f6nnen. Eine bestimmte Angabe dar\u00fcber wird aber, soweit ich sehen kann, nirgends gemacht. Auch in dieser Hinsicht h\u00e4tte man wohl erwarten d\u00fcrfen, einen Punkt von so grundlegender Bedeutung wenigstens ausdr\u00fccklich ber\u00fchrt zu finden. \u2014 Ich wende mich zur Besprechung der Mischger\u00fcche im H.sche Sinne, d. h. derjenigen, die rein als Erlebnis betrachtet, sich als etwas zusammengesetztes darstellen. Henning gelangt dazu, 6 F\u00e4lle zu unterscheiden. Der erste, den H. als Kombinationsgeruch bezeichnet, ist dadurch charakterisiert, dafs die Komponenten sich gleichsam so innig durchflechten, dafs weder der Eindruck einer Mehrheit aufkommt noch die objektiven Komponenten sinnlich zu sondern sind (S. 124). Die anderen F\u00e4lle werden als Sukzessionsgeruch, Koinzidenzgeruch, Dualit\u00e4tsgeruch, als Wettstreit und als Unterdr\u00fcckung beschrieben. Ich habe keinen Anlafs hier darauf einzugehen, ob diese Unterscheidung gegen\u00fcber den \u00e4lteren Untersuchungen einen Fortschritt bedeutet. Nur darauf m\u00f6chte ich hinweisen, dafs wir mit der Aufstellung dieser verschiedenen F\u00e4lle doch zun\u00e4chst noch weit davon entfernt sind, die Tatsachen vollst\u00e4ndig zu \u00fcbersehen. Vielmehr m\u00fcfsten wir doch w\u00fcnschen, auch die Bedingungen zu kennen, von denen es abh\u00e4ngt, ob ein Erfolg der einen oder anderen Art eintritt. Daf\u00fcr kommt es z. T. darauf an, was f\u00fcr Ger\u00fcche gemischt werden. Dafs eine Verschmelzung bei manchen Paaren leicht, bei anderen viel schwerer eintritt, bzw. der Geruch viel leichter zerlegt wird, ist seit langer Zeit bekannt; aufserdem aber sind gerade diese Verh\u00e4ltnisse ja auch dadurch verwickelt, dafs die Art des Erfolges bei bestimmten","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 297\nGer\u00fcchen von dem Verhalten und Zustand des empfindenden Individuums in hohem Mafse abh\u00e4ngt. In all diesen Hinsichten bringt H. eine Reihe von Beobachtungen bei. Aber von einer ersch\u00f6pfenden Durcharbeitung des ganzen Gebietes kann z. Z. noch nicht die Rede sein.\nDie obigen Ausf\u00fchrungen lassen wohl erkennen, dafs H.s Untersuchung uns auf die wichtigsten Fragen, die die Geruchsempfindungen und ihre systematische Ordnung betreffen, z. T. gar keine, z. T. wenigstens keine sichere Antwort geben. Sie lehren aber auch zugleich, dafs das von H. benutzte Verfahren m\u00f6glichst viele Geruchsempfindungen nach Mafsgabe [ihrer unmittelbar erkennbaren \u00c4hnlichkeit in Reihen ordnen zu lassen, gar nicht geeignet ist, zu einer Beantwortung der grundlegenden Fragen zu f\u00fchren. Es kann m. E. nur der folgerechte Fortgang auf dem von Skeamlik eingeschlagenen Wege sein, der uns den wert- und bedeutungsvollen Zielen n\u00e4herbringt, namentlich zur geordneten \u00dcbersicht der \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Geruchsempfindungen f\u00fchrt.\nII.\nIch wende mich zur Besprechung der r\u00e4umlichen Darstellungen, die dazu bestimmt sind, die Funktionsverh\u00e4ltnisse eines Sinnes zu erl\u00e4utern. Wie im Folgenden noch deutlicher heraustreten wird, kann eine solche innerhalb eines bestimmten Sinnesgebietes, etwa des Gesichtssinnes, zur Veranschaulichung sehr verschiedener Gegenst\u00e4nde herangezogen werden. Auch k\u00f6nnen in anderer Hinsicht an die Darstellung mancherlei verschiedene Anforderungen gestellt werden. Ehe wir an die Einzelbesprechung dieser Verh\u00e4ltnisse herantreten, seien einige Bemerkungen ganz allgemeiner Natur vorausgeschickt. Der didaktische Zweck, den wir bei solchen Darstellungen im Auge haben, ist im allgemeinen der, \u00fcber irgendeine Gesamtheit gleichartiger Elemente eine geordnete und anschauliche \u00dcbersicht zu gewinnen. Dieser Zweck kann jedenfalls nur dann in vollem Mafse erreicht werden, wenn die darzustellende Gesamtheit und das zur Darstellung verwendete r\u00e4umliche Gebilde in derjenigen Beziehung stehen, die ich als deckende Korrespondenz bezeichnen will. Darunter ist zu verstehen, dafs, wenn es sich z. B. um optische Empfindungen handelte, jeder optischen Empfindung ein und nur ein Punkt des r\u00e4umlichen Gebildes zugeordnet\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 56.\t21","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nJ. v. Kries.\nwird, aber auch umgekehrt jedem Punkte des letzteren eine und nur eine optische Empfindung entspricht. Eine solche deckende Korrespondenz ist, soweit es sich um Kontinua handelt, nur f\u00fcr Mannigfaltigkeiten m\u00f6glich, die die gleiche Zahl von Abmessungen besitzen. Wir k\u00f6nnen wohl eine Kreislinie auf einer Ellipse, eine Ebene auf einer Kugelfl\u00e4che in deckender Korrespondenz abbilden, nicht aber eine Fl\u00e4che auf einer geraden oder krummen Linie, nicht ein k\u00f6rperliches Gebilde auf einer Fl\u00e4che. Hierdurch wird dann schon die Frage in den Mittelpunkt des Interesses ger\u00fcckt, ob eine Gesamtheit von Empfindungen \u00fcberhaupt eine stetige Mannigfaltigkeit bildet, bejahendenfalls wie grofs die Zahl ihrer Abmessungen ist. Dar\u00fcber m\u00fcssen wir zun\u00e4chst unterrichtet sein; danach wird es sich bestimmen m\u00fcssen, ob wir ihre Darstellung in einer Linie, Ebene, einem k\u00f6rperlichen Gebilde \u00fcberhaupt versuchen k\u00f6nnen, oder ob dazu etwa die ersonnenen Gebilde herangezogen werden m\u00fcssen, die von den Mathematikern unter den Namen der mehr als dreidimensionigen R\u00e4ume behandelt werden. \u2014 Im \u00fcbrigen w\u00e4re hier noch zu erw\u00e4hnen, dafs bei jeder Darstellung wie wir sie hier im Auge haben, selbstverst\u00e4ndlich durch irgendein Prinzip festgelegt werden mufs, an welcher Stelle des r\u00e4umlichen Gebildes jedes Element der darzustellenden Gesamtheit seinen Platz finden soll. Schliefslich kann als ein selbstverst\u00e4ndliches Erfordernis noch das erw\u00e4hnt werden, dafs einem stetigen Fortgang in der darzustellenden Gesamtheit auch ein stetiger Fortgang in dem darstellenden r\u00e4umlichen Gebilde entsprechen mufs.\nAbgesehen von diesen ganz allgemeinen Verh\u00e4ltnissen k\u00f6nnen nun aber die Aufgaben und die zu ihrer L\u00f6sung einzuschlagenden Wege von grofser Mannigfaltigkeit sein. Es ist empfehlenswert, hier mit dem Gesichtssinn zu beginnen. Zwar liegen die Verh\u00e4ltnisse f\u00fcr ihn am verwickeltsten ; doch sind sie gerade aus diesem Grunde auch geeignet, den Gegenstand in vollster Allgemeinheit \u00fcbersehen zu lassen. Zweckm\u00e4fsig beginnen wir dabei von derjenigen Aufgabe, die von Haus aus, insbesondere von Newton selbst, dann von Grassmann, Helmholtz u. a. der Darstellung in einer \u201eFarbentafel\u201c und auch der Erweiterung dieser zu einem \u201eFarbenk\u00f6rper\u201c gestellt worden ist. Eine Klarlegung dieser Aufgabe gibt ohne weiteres Gelegenheit, eine Anzahl mehr oder weniger \u00e4hnlicher zu \u00fcbersehen, die wir uns","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 299\nstellen und die wir gleichfalls durch eine geometrische Darstellung l\u00f6sen k\u00f6nnen.\nBekanntlich ist die N.sche Tafelkonstruktion in erster Linie dazu bestimmt, das Aussehen beliebiger Lichtgemische zu beurteilen. Jedes einzelne im physikalischen Sinne reine Licht hat seinen bestimmten Ort in der Tafel; ebenso erh\u00e4lt auch jedes Gemisch einen Ort, der sich in bestimmter Weise (nach der Schwerpunktskonstruktion) aus den Mengen(St\u00e4rken-)verh\u00e4ltnissen ergibt, in denen die einzelnen reinen Lichter in ihm enthalten sind. Dabei ist die Bedeutung der Konstruktion die, dafs Lichtgemische, die bei irgendeiner passenden Bestimmung ihrer absoluten Intensit\u00e4ten gleich aussehen oder wie ich diese Beziehung genannt habe, von gleicher Bei zart sind, an demselben Punkte der Tafel dargestellt werden. Demgem\u00e4fs kann man denn auch kurz sagen, dafs die Tafel eine \u00dcbersicht aller m\u00f6glichen Reizarten gibt. \u2014\nDurch die Heranziehung einer dritten r\u00e4umlichen Abmessung, also indem wir von der Tafeldarstellung zu einem k\u00f6rperlichen Gebilde \u00fcbergehen, k\u00f6nnen wir nun auch die zu- und abnehmenden Intensit\u00e4tsstufen eines beliebigen Gemisches zur Darstellung bringen. Wir erhalten so eine Darstellung, bei der alle \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Lichtgemische vertreten sind, so jedoch, dafs alle physiologisch gleichwertigen in demselben Punkt repr\u00e4sentiert sind. Wir k\u00f6nnen daher hier von einer \u00dcbersicht aller physiologisch ungleichwertigen Lichtgemische oder von \u2022einer Darstellung aller m\u00f6glichen Lichtpotenzen sprechen. \u2014 Alle Lichtgemische von einer bestimmten physiologischen Potenz erzeugen ja nun auch eine mehr oder weniger bestimmte Empfindung. Man k\u00f6nnte daher meinen, dafs durch die gleiche Darstellung zugleich auch die andere Aufgabe gel\u00f6st werde, eine. geordnete \u00dcbersicht aller m\u00f6glichen optischen Empfindungen zu geben. Es zeigt sich indessen sogleich, dafs das nur mit gewissen wichtigen Einschr\u00e4nkungen zutrifft. Die Empfindung, die an oiner bestimmten Stelle des Gesichtsfeldes gegeben ist, h\u00e4ngt zwar von der physiologischen Potenz des die betr. Netzhautstelle treffenden Lichtes ab, aber doch nicht von ihr allein. Vielmehr kommen auch noch die Umst\u00e4nde in Betracht, die ich unter dem Namen der akzessorischen Bedingungen der Sehempfindung zusammengefafst habe. Dazu geh\u00f6ren einerseits die jeweilige Stimmung des Sehorgans, insbesondere (aber vielleicht\n21*","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nJ. v. Kries.\nnicht allein) der betr. Netzhautstelle selbst, sodann aber auch die Lichtreize, die gleichzeitig andere, namentlich die nahe benachbarten Teile der Netzhaut treffen. So k\u00f6nnen denn bei festgelegten akzessorischen Bedingungen durch alleinige Variierung der Belichtung keineswegs alle \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Empfindungen hervorgerufen werden. Diese Tatsache f\u00fchrt dazu, der ersterw\u00e4hnten Aufgabe eine zweite gegen\u00fcberzustellen, die zwar mit ihr in einer gewissen Beziehung steht, sich aber nicht mit ihr deckt. Es ist die, die Gesamtheit aller \u00fcberhaupt m\u00f6glichen optischen Empfindungen in \u00e4hnlicherWeise darzustellen. Da, wie erw\u00e4hnt, ein alle physiologischen Potenzen darstellendes Gebilde zugleich auch alle bei fixierten akzessorischen Bedingungen m\u00f6glichen Empfindungen darzustellen geeignet ist, so mufs dieses jedenfalls von demjenigen, das die Gesamtheit aller auch bei Variierung der akzessorischen Bedingungen zu erhaltenden darstellt, einen Teil ausmachen.\nDie das Auge treffenden Lichtgemische haben wir uns zun\u00e4chst vollkommen frei ver\u00e4nderlich gedacht. Eine solche ganz uneingeschr\u00e4nkte Ver\u00e4nderlichkeit ist nun wohl durch besondere physikalische Vorrichtungen erreichbar. Beim gew\u00f6hnlichen Sehen aber bestehen hier wenigstens sehr h\u00e4ufig ganz bestimmte Beschr\u00e4nkungen. In der Hauptsache sehen wir ja Gegenst\u00e4nde, die nicht selbst Lichtquellen sind, sondern, von einer Lichtquelle beleuchtet, einen kleineren oder gr\u00f6fseren Teil des sie treffenden Lichtes zur\u00fcckwerfen. Die Unterschiede in der Oberfl\u00e4chenbeschaffenheit gesehener Gegenst\u00e4nde kommen demgem\u00e4fs darin zur Erscheinung, dafs sie bei der n\u00e4mlichen Beleuchtung qualitativ und quantitativ ungleiche Teile des sie treffenden Lichtes zur\u00fcckwerfen. Hieraus ergibt sich als eine wiederum andere und nach anderen Richtungen bedeutungsvolle Aufgabe die, die Gesamtheit der physiologischen Potenzen darzustellen, die m\u00f6glich sind, wenn bei konstanter Beleuchtung lediglich die Oberfl\u00e4chenbeschaffenheit der das Licht zur\u00fcckwerfenden K\u00f6rper variiert wird. Ein Gebilde dieser Art wird aus dem, welches wir zuerst ins Auge gefafst hatten, und welches alle m\u00f6glichen physiologischen Potenzen veranschaulicht, nicht wie das die optischen Empfindungen darstellende durch eine Erweiterung, sondern im Gegenteil durch eine Verengerung erhalten werden; es wird nicht jenes als Teil enthalten, sondern seinerseits als Teil in ihm enthalten sein. Ein solches Gebilde w\u00e4re als eine","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"EmpfindungsmannigfaltigTceiten und ihre geometr. Darstellung. 301\nsystematische Darstellung aller m\u00f6glichen K\u00f6rper-oder kl\u00e4chenfarben zu bezeichnen. Wir k\u00f6nnen dies als eine vierte Aufgabe in Betracht ziehen.1\nAbgesehen hiervon, k\u00f6nnen nun an die geometrischen Darstellungen noch in anderen Hinsichten verschiedene Anforderungen gestellt werden. Ziehen wir der Einfachheit halber etwa eine in einer Fl\u00e4che darstellbare Gesamtheit physiologischer Potenzen in Betracht. Bis zu einem gewissen Grad wird die Anordnung ihrer einzelnen Punkte durch die schon erw\u00e4hnte Bedingung der Stetigkeit vorgeschrieben sein, dafs ann\u00e4hernd gleiche Potenzen in benachbarten Punkten dargestellt sein sollen. D\u00e4chten wir uns aber eine solche Darstellung in einer bestimmten Weise gegeben, so kann sie offenbar unbeschadet jener Ordnung doch noch in der mannigfachsten Weise ge\u00e4ndert werden, so etwa wie wir die Anordnung der einzelnen Punkte eines auf einer Gummiplatte gemalten Bildes durch Verziehen und Verbiegen \u00e4ndern k\u00f6nnen. Auch in diesen Hinsichten, die also nicht die Lageverh\u00e4ltnisse im engeren Sinne, sondern die quantitativen Beziehungen der Abst\u00e4nde betreffen, k\u00f6nnen wir uns nun bestimmte Anforderungen gestellt denken, durch die die Aufgabe der Darstellung genauer festgelegt und spezialisiert wird. So k\u00f6nnen wir z. B. an erster Stelle auch hier die hergebrachte Kon-\n1 Die hier zu stellende Aufgabe wird zweckm\u00e4fsig in dem Sinne des genaueren festgelegt, dafs wir die Gesamtheit von Oberfl\u00e4chenbeschaffenheiten im Auge haben, die theoretisch denkbar sind. Darunter will ich verstehen, dafs das Verh\u00e4ltnis von Verschluckung und Zur\u00fcckwerfung f\u00fcr jedes reine Licht ganz beliebig bestimmt sein kann. Bezeichneten wir den zur\u00fcckgeworfenen Anteil mit q, entsprechend den verschluckten mit 1\u2014q, so w\u00fcrde ja bei jedem K\u00f6rper q eine bestimmte Funktion der Wellenl\u00e4nge sein. Wir werden also in dem hier gemeinten Sinne die Gesamtheit aller denkbaren Oberfl\u00e4chenbeschaffenheiten erhalten, indem wir uns den Wert q als irgendeine ganz beliebige Funktion der Wellenl\u00e4nge bestimmt denken. Aufser Betracht bleibt aber dabei die Frage (und eben deshalb sprechen wir von den theoretisch denkbaren K\u00f6rperfarben), ob wir einen K\u00f6rper, der das Licht gem\u00e4fs einer bestimmten funktionellen Abh\u00e4ngigkeit zur\u00fcckwirft durch Benutzung von realen Farbstoffen oder durch Mischung von solchen wirklich herstellen k\u00f6nnen. Man k\u00f6nnte in diesem letzteren Sinne auch von einer Gesamtheit praktisch zu verwirklichender K\u00f6rperfarben sprechen. Durch die Benutzung geeigneter K\u00f6rper, durch geschicktes Verfahren im Mischen derselben wird es im allgemeinen gelingen, die Gesamtheit der realen K\u00f6rperfarben der theoretisch denkbaren Gesamtheit mehr und mehr anzun\u00e4hern.","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nJ. v. Kries.\nstruktion der Farbentafel ins Auge fassen. Hier sind die quantitativen Verh\u00e4ltnisse der Anordnung durch die bekannte Regel der Schwerpunkts-Konstruktion festgelegt. Die Anforderung, der hierdurch Gen\u00fcge geschieht, k\u00f6nnen wir in etwas allgemeinerer Weise dahin formulieren, dafs die Darstellung der physiologischen Potenzen nach einem aus quantitativen Bestimmungen der physikalischen Vorg\u00e4nge hergeleiteten Prinzip geschehen soll. Ich will im folgenden kurz von physikalisch geordneten Gebilden (Empfindungsk\u00f6rpern usw.) sprechen.\nNeben einer solchen Festlegung der quantitativen Verh\u00e4ltnisse nach physikalischen Prinzipien kann nun eine Ordnung auch nach mancherlei anderen Gesichtspunkten ins Auge gefafst werden. Es empfiehlt sich aber auf diese Verh\u00e4ltnisse erst an zweiter Stelle einzugehen, und wir wollen hier die Darstellungen zun\u00e4chst von dem bisher ganz \u00fcberwiegend eingehaltenen Standpunkt aus in Betracht ziehen, uns also mit den physikalisch geordneten Darstellungen besch\u00e4ftigen.\nWas zun\u00e4chst die Farbentafel im Sinne von Helmholtz, Grassmann u. a. anlangt, so sind die Prinzipien ihrer Konstruktion wiederholt dargelegt worden. Namentlich das, was unter der \u201eSchwerpunktskonstruktion\u201c verstanden wird und worauf ihre Bedeutung beruht, kann als so bekannt gelten, dafs es nicht notwendig ist, hier das genaueren darauf einzugehen. Doch ist es nicht \u00fcberfl\u00fcssig, einige Punkte hier in Erinnerung zu bringen. So ist zu beachten, dafs ihre Gestaltung insofern willk\u00fcrlich ist, als wir f\u00fcr drei Lichter die Orte und die Mengeneinheiten nach Belieben w\u00e4hlen k\u00f6nnen. Ist dies geschehen, so ergeben sich die Orte und Mengeneinheiten aller anderen Lichter aus den tats\u00e4chlichen Ergebnissen der Mischungsbeobachtungen. Denken wir uns z. B. f\u00fcr die Lichter 700 und 580jup die Orte in der Tafel und ihre St\u00e4rkeeinheiten festgelegt, so wird der Ort f\u00fcr das Licht 650 sich ergeben, indem wir ermitteln, in welchem St\u00e4rke Verh\u00e4ltnis (in jenen Einheiten gerechnet) wir die genannten zwei Lichter mischen m\u00fcssen, um eine dem Licht 650 pp gleich aussehendes Gemisch zu erhalten.\nEtwas genauer m\u00fcssen wir auf die Modifikation der Konstruktionsgrunds\u00e4tze eingehen, die wir erhalten, wenn wir die absoluten Lichtst\u00e4rken mit ber\u00fccksichtigen und damit zur Dar-","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung.\t303\nStellung der Lichtpotenzen in einem Farbenk\u00f6rper \u00fcbergehen.\nWir denken uns zun\u00e4chst f\u00fcr zwei, nicht nur hinsichtlich der Mischungsverh\u00e4ltnisse, sondern auch hinsichtlich der absoluten Werte, bestimmte Lichtgemische Lx und L2 die Orte festgelegt. Sie m\u00f6gen Ol und 02 heifsen. Auf der diese beiden Punkte verbindenden Graden k\u00f6nnen wir nun wieder die Gemische, die Lx und L2 in einem bestimmten Mengenverh\u00e4ltnis enthalten, nach Mafsgabe der Schwerpunktskonstruktion darstellen. Da es aber hier nicht allein auf das Verh\u00e4ltnis, sondern auf die absoluten Werte ankommt, so wird z. B. in der Mitte der Linie Oj 02 nicht jedes Gemisch seine Stelle finden, in dem Lj und und L2 in gleicher St\u00e4rke enthalten sind, sondern nur dasjenige, das die H\u00e4lfte von Lx und die H\u00e4lfte von L2 kombiniert enth\u00e4lt. Allgemeiner gesagt, finden auf der Linie Ox 02 diejenigen Mischungen von Lx und L2 ihren Platz, in denen die Bruchteile, mit denen jedes dieser Lichter vertreten ist, sich zur Einheit erg\u00e4nzen, die also der Formel nLx -[-(1\u2014n)L2 entsprechen. Ich will solche Mischungen zweier Farben als Einheitsmischungen bezeichnen. \u00c4hnlich k\u00f6nnen in einer Ebene die s\u00e4mtlichen, den Verh\u00e4ltnissen und der absoluten St\u00e4rke nach bestimmten Lichtgemische dargestellt werden, die zu drei beliebig gew\u00e4hlten Ausgangslichtern in der entsprechenden Beziehung stehen, also nach der Formel ah1 -f- \u00dfh2 -j- [1\u2014(ct-|-\u00a3)]LS gebildet sind. Auch hier w\u00fcrde die Summe der Bruchteile, mit denen die drei Ausgangslichter vertreten sind, f\u00fcr die in der genannten Ebene darzustellenden Lichter durchweg gleich Eins sein. In \u00e4hnlicher Weise w\u00fcrde schliefslich auch jeder Punkt des Farbenk\u00f6rpers eine Einheitsmischung bezeichnen. \u2014 Es sei gleich hier bemerkt, dafs diese Art der Betrachtung auch deswegen von besonderem Interesse ist, weil die betreffenden Mischungen nach vorzugsweise einfacher Methode praktisch hergestellt werden k\u00f6nnen, n\u00e4mlich durch die Mischung auf dem Farben kreise 1. Ist hier eine Farbe in einem Sektor von X0 vertreten, so geht sie in das Gemisch mit dem Bruchteil X/360 ein. Sind ferner andere Farben mit Sektoren von Z . . . Grad vertreten, so gehen auch diese in das Gemisch mit den Bruchteilen Y/860, Z/860 usw. ein. Da aber die Summe der s\u00e4mtlichen Sektoren stets 360\u00b0 betragen mufs, so ist auch die Summe der Bruchteile, mit denen die einzelnen Lichter vertreten sind,","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304\nJ. v. Kries.\nstets gleich der Einheit. Wir k\u00f6nnen daher statt von Einheitsmischungen auch von Kreiselmischungen sprechen.\nMit den bei der Tafel geltenden Regeln stimmen die hier gegebenen Verh\u00e4ltnisse insofern \u00fcberein, als auch hier, wenn die Orte f\u00fcr eine Anzahl von Lichtpotenzen gegeben sind, damit zugleich der Ort f\u00fcr eine Mischung die diese in beliebigen Verh\u00e4ltnissen enth\u00e4lt, bestimmt ist und zwar nach der Schwerpunktskonstruktion ermittelt werden kann. Ein Unterschied besteht aber insofern, als in dieser Weise nur Einheits-(Kreisel-mischungen) ins Auge gefafst werden k\u00f6nnen : die Bruchteile, in denen das seinem Orte nach zu bestimmende Lichtgemisch die einzelnen schon festgelegten Lichter enth\u00e4lt, m\u00fcssen stets zusammengerechnet der Einheit gleich sein.\nDabei ist noch ein besonderer Umstand zu beachten. Wir k\u00f6nnen selbstverst\u00e4ndlich, wenn der Ort einer Lichtpotenz bestimmt ist, auch den Ort f\u00fcr eine andere aufsuchen, die durch gleichm\u00e4fsige Verminderung aller in die ersten eingehenden Lichter sich ergibt. Auch diese Aufgabe kann zweckm\u00e4lsig nach dem allgemeinen Konstruktionsprinzip gel\u00f6st werden, indem wir in dem K\u00f6rper der Lichtpotenzen auch dem absolutenSehwarz einen bestimmten Ort anweisen. Ist n\u00e4mlich 0A der Ort eines Lichtes L1? S der Ort des absoluten Schwarz, so w\u00fcrde ein Licht, das irgendeinen Bruchteil von Lx darstellt, z.B. n-mal L1? seinen Platz, auf der geraden SOx finden und zwar in einem Abstande von S, der den Bruchteil n von dem ganzen Abstande SOi ausmacht. An eben dieser Stelle w\u00fcrde also auch nach der erw\u00e4hnten Darstellungsregel ein Gemisch seinen Plaz finden, dafs den Bruchteil n von L\u00b1 und 1\u2014n von S enth\u00e4lt. Wir k\u00f6nnen also die proportionale Abschw\u00e4chung als eine Mischung mit Schwarz auffassen, bei der die Bruchteile der beiden gemischten Lichter sich zur Einheit erg\u00e4nzen. Und zwar w\u00fcrde die Abschw\u00e4chung eines Lichtes auf den Bruchteil n als eine Mischung des Bruchteils n jenes Lichtes mit 1\u2014n schwarz betrachtet. Auch diese Darstellung ist besonders zweckm\u00e4fsig im Hinblick auf die praktische Darstellung von Farben mittels des Kreisels. Denn hier erfolgt ja die Abschw\u00e4chung auch tats\u00e4chlich durch die Zumischung von Schwarz; auch ist ihr Betrag durch die Gr\u00f6fse des schwarzen Sektors bestimmt und ersichtlich.\nErw\u00e4hnt sei schliefslich noch, dafs, wie f\u00fcr die Farbentafel die Orte und St\u00e4rkeneinheiten f\u00fcr drei Lichter willk\u00fcrlich ge-","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Empfi\u00eeidungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 305\nw\u00e4hlt werden k\u00f6nnen, ebenso bei der k\u00f6rperlichen Darstellung der Lichtpotenzen f\u00fcr vier Lichtgemische die Orte willk\u00fcrlich festgesetzt werden k\u00f6nnen. Ist dies geschehen, so ergeben sich die Orte f\u00fcr alle \u00fcbrigen Lichtpotenzen aus den tats\u00e4chlich zu beobachtenden Mischungsgleichungen, d. h. aus der Funktion unseres Sehorgans selbst.\nIch wende mich zu denjenigen Darstellungen, die eine Veranschaulichung der Fl\u00e4chenfarben zum Gegenst\u00e4nde haben. Da die Fl\u00e4chenfarben wie oben besprochen, alle diejenigen Licht-potenzen darstellen, die von beliebig beschaffenen Gegenst\u00e4nden bei einer bestimmten Beleuchtung zur\u00fcckgeworfen werden, so bildet ein sie veranschaulichendes Gebilde einen Teil des ganzen, alle m\u00f6glichen Lichtpotenzen darstellenden k\u00f6rperlichen Gebildes. Demgem\u00e4ls sind die Konstruktionsprinzipien, d. h. die Grunds\u00e4tze, nach denen die Anordnung der einzelnen Punkte gegeneinander zu bestimmen sind, f\u00fcr die Fl\u00e4chenfarben die n\u00e4mlichen wie f\u00fcr die Lichtpotenzen. Da wir es aber hier mit einem begrenzten K\u00f6rper zu tun haben, so kn\u00fcpft sich ein Interesse vor allem an seine Gestalt, d. h. an die Form seiner Begrenzungsfl\u00e4che. In dieser Hinsicht versteht sich von selbst, dafs die Orte des absoluten Schwarz und des reinen Weifs, d. h. derjenigen Farben, bei denen gar kein bzw. das gesamte auftreffende Licht zur\u00fcckgeworfen wird, in zwei sich gegen\u00fcberliegenden Spitzen darzustellen sein werden, dafs also die Oberfl\u00e4che des Farbenk\u00f6rpers etwa die Form eines zwischen diesen angeordneten Doppelkegels erhalten mufs. Die genauere Gestaltung der Begrenzungsfl\u00e4che ist aber zun\u00e4chst nicht ohne weiteres ersichtlich. Mit ihr hat sich insbesondere Ostwald besch\u00e4ftigt und es ist daher zweckm\u00e4fsig hier sogleich auf seine Anschauungen bzw. Vorschl\u00e4ge einzugehen.\nAus der OsTWALDschen Darstellung stelle ich hier denjenigen Punkt voran, in dem sie zweifellos sehr zweckm\u00e4fsig und manchen fr\u00fcheren Darstellungen vorzuziehen ist. Er besteht darin, dafs die Mischungen irgendeiner Fl\u00e4chenfarbe mit Schwarz und mit Weifs zu einer enger zusammengeh\u00f6rigen Gruppe zusammenge-fafst werden. Man beachte, dafs in den \u00e4lteren physikalischen Darstellungen die Intensit\u00e4tsabstufungen einer bestimmten Farbe (die sich ja mit den Schwarzmischungen decken), ebenfalls als eine bestimmte Art der Modifikation, als in sich gleichartig zusammengefafst wurden. Dagegen sind nun die Steige-","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306\nJ. v. Kries.\nr un gen der Intensit\u00e4t, die bei der Betrachtung ersonnener Farben in unbegrenzter Weise ins Auge gefafst werden mufsten, hier jedenfalls nicht in \u00e4hnlicher Weise unbegrenzt m\u00f6glich. An ihre Stelle tritt die Vermischung der betreffenden Farbe mit Weifs, die zugleich eine Steigerung der Helligkeit, aber auch eine Abnahme der S\u00e4ttigung bedeutet. Jedenfalls aber ist die Gesamtheit an Fl\u00e4chenfarben, die in dem durch eine bestimmte Farbe, durch den Weifs- und Schwarz-Punkt bestimmten geradlinigen Dreieck eingeschlossen liegt, doch etwas Gleichartiges, so dafs wir sie als Farben desselben Farbentons o. dgl. bezeichnen k\u00f6nnen.\nDagegen verm\u00f6gen wir in anderen Hinsichten der Darstellung O.s nicht beizupflichten. 0. geht von der Annahme aus, dafs alle \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Fl\u00e4chenfarben sich in eine Anzahl geradlinig begrenzter Dreiecke ordnen lassen, deren Ecken durch den Punkt des reinen Whifs, des absoluten Schwarz und eine sogenannte \u201ereine Farbe\u201c gegeben sein soll. Wir bezeichnen, eine solche mit R., die erw\u00e4hnten geradlinigen Dreiecke also nach ihren Ecken mit R. S. W. (reine Farbe, schwarz und weifs). Die ..reinen Farben\u201c werden (wenigstens neuerdings) als sogenannte Farbenhalbe definiert, sie bedeuten also die Farbe eines K\u00f6rpers, der das Licht einer Spektralh\u00e4lfte ungeschw\u00e4cht, von der anderen Spektralh\u00e4lfte aber gar nichts zui\u00fcckwirft. So w\u00fcrde z. B. das gr\u00fcne Farbenhalb das gesamte Licht vom gr\u00fcnlichen gelb bis zum gr\u00fcnlichen blau umfassen usw. Eine vollst\u00e4ndige Darstellung aller \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Fl\u00e4chenfarben w\u00fcrde nun aber durch derartige Dreiecke nur dann gegeben sein, wenn die Farbenhalbe und die durch ihre Ab-shw\u00e4chung, d. h. durch Vermischung mit Schwarz zu erzielenden Farben maximalen S\u00e4ttigungsgrad bes\u00e4fsen. Ob diefs der Fall ist, mufs in Ermangelung speziell darauf gerichteter Untersuchung zun\u00e4chst als zweifelhaft bezeichnet werden. F\u00fcr gewisse F\u00e4lle aber lehren die schon jetzt bekannten Tatsachen, dafs es sich sicher nicht so verh\u00e4lt. Eine Farbe z. B., die nur den beschr\u00e4nkten Bereich der Lichter von 480 bis 530 ftp enth\u00e4lt, ist ein weit ges\u00e4ttigteres Gr\u00fcn, als das gr\u00fcne Farbenhalb. Erst ihre Mischung mit einer gewissen Menge farblosen Lichtes sieht ebenso aus wie eine Mischung des im 0.sehen Sinne reinen Gr\u00fcn mit Schwarz. Sie mufs daher ihren Platz an einer Stelle finden, die, von der Weifs-Schwarz-Linie aus gesehen, noch jenseits","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkelten und ihre geometr. Darstellung. 307\nder Begrenzungslinie Gr. S. gelegen ist; sie ist in dem geradlinigen Dreieck Gr. S. W. nicht eingeschlossen, sondern liegt anfserhalb desselben. Die von 0. ins Auge gefafsten geradlinigen Dreiecke umfassen also die m\u00f6glichen Fl\u00e4chenfarben nicht ersch\u00f6pfend, sondern es sind solche denkbar und in diesem Falle auch sicherlich praktisch herzustellen, die ihren Ort aufser-halb eines solchen Dreiecks finden. Es geht daraus hervor, dafs, wenn wir den K\u00f6rper der m\u00f6glichen Fl\u00e4chenfarben mittels einer Ebene schneiden, die durch die Schwarz-Weifs-Linie gelegt ist, wir in diesem Falle (beim Gr\u00fcn) eine vom Schwarzpunkt zum reinen gr\u00fcn f\u00fchrenden \u00fcmrifslinie erhalten, die keine Gerade ist, sondern nach aufsen konvex verl\u00e4uft. \u00c4hnliche Betrachtungen gelten auch f\u00fcr die Mischungen der reinen Farben mit weifs. Auch hier erscheinen Farben mindestens als denkbar, die ihren Ort aufserhalb des geradlinigen Dreiecks W. S. \u00df. finden; dafs dieses Dreieck die Gesamtheit m\u00f6glicher Fl\u00e4chenfarben einschliefst, ist jedenfalls nicht erwiesen.\nAuf nicht geringere Bedenken st\u00f6fst die Anordnung, die O. seinen reinen Farben gibt. Er denkt sie sich in einer ebenen, geschlossenen Kreislinie angeordnet. Es ist aber zu bedenken, dafs, wenn wir die Orte f\u00fcr Schwarz und Weifs, ferner f\u00fcr zwei solcher \u201ereinen Farben\u201c gew\u00e4hlt haben, damit dann, den tats\u00e4chlichen physiologischen Eigenschaften des Auges zufolge, auch die Orte f\u00fcr alle \u00fcbrigen reinen Farben festgelegt sind. Es ist also nicht ang\u00e4ngig, in dieser Hinsicht beliebige Voraussetzungen einzuf\u00fchren oder festzulegen, sondern es ist eine unumg\u00e4ngliche Aufgabe, die Gestalt des Farbenk\u00f6rpers auf Grund von Mischungsversuchen zu ermitteln. Solange das nicht geschehen ist, mufs man es schon als fraglich bezeichnen, ob die s\u00e4mtlichen \u201eFarbenhalbe\u201c in einer Ebene anzuordnen sein werden. Es erscheint vielmehr sehr m\u00f6glich, dafs aus der durch drei solche reinen Farben bestimmten Ebene die \u00fcbrigen mehr oder weniger, sei es nun nach der Seite des Schwarz oder des Weifs, herausfallen. Noch mehr darf im voraus bezweifelt werden, ob die s\u00e4mtlichen Farbenhalbe, wenn ihre Orte experimentell auf Grund von Mischungsbeobachtungen ermittelt werden, sich tats\u00e4chlich, wie es 0. annimmt oder fordert, in eine Kreislinie ordnen werden.\nTats\u00e4chlich ist uns also zurzeit \u00fcber die wirkliche Gestalt des Farbenk\u00f6rpers nur sehr wenig bekannt. Weder f\u00fcr eine Ebene, die durch die schwarz-weifse Linie gef\u00fchrt wird, noch","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308\nJ. v. Kries.\nf\u00fcr eine solche, die an irgendeiner Stelle senkrecht auf der schwarz-weifs Linie steht, k\u00f6nnen wir die Gestalt der Kurve, in der sie die Oberfl\u00e4che des Farbenk\u00f6rpers schneidet, mit Sicherheit angeben. \u2014\nDie physikalisch geordnete Darstellung ist ohne Zweifel geeignet, eine Anzahl wichtiger Tatsachen in einfacher Weise zur Anschauung zu bringen. Sie gew\u00e4hrt eine \u00dcbersicht \u00fcber die \u00fcberhaupt vorkommenden optischen Empfindungen, aber auch \u00fcber die m\u00f6glichen Lichtpotenzen und \u00fcber die Gesamtheit der K\u00f6rperfarben. Sie gestattet auch, je detaillierter sie ausgef\u00fchrt ist, um so mehr, eine Reihe von Einzelfragen zu beantworten und z. B. zu beurteilen, wie ein bestimmtes Lichtgemisch aussehen wird usw. Ob die geometrische Darstellung dar\u00fcber hinaus noch irgend etwas Weiteres hinsichtlich der psychologischen Beziehungen anzeigt, das steht, da sie nach rein physikalischen und physiologischen Gesichtspunkten ausgef\u00fchrt ist, durchaus dahin. So ist es z. B. fraglich, ob, wenn der Abstand eines Lichterpaares Lx und Lo auf der Tafel eben so grofs ist wie der eines anderen Paares L3 und L4, auch die entsprechenden Empfindungsunterschiede im subjektiv psychologischen Sinne gleich grofs sind. Ebensowenig versteht sich, dafs eine fortgesetzte \u00c4nderung des erregenden Lichtgemisches, die sich auf der Tafel als Fortgang auf einer Geraden darstellt, auch im subjektiven Sinn den Eindruck einer Reihe gleichsinniger Ver\u00e4nderungen machen mufs. Hieraus ergibt sich nun aber auch die Frage, ob es nicht m\u00f6glich und vielleicht bedeutungsvoll ist, geometrische Darstellung der Empfindungsmannigfaltigkeiten usw. nach anderen als den bisher ber\u00fccksichtigten physikalischen Gesichtspunkten, n\u00e4mlich nach solchen von psychologischer Natur und Bedeutung zu konstruieren. Eine Aufgabe dieser Art ist in j\u00fcngster Zeit namentlich von Henning in Angriff genommen worden. Und zwar sind es gerade die zuletzt erw\u00e4hnten Verh\u00e4ltnisse, die er als die mafs-gebenden und bestimmenden heranzieht. Gleichsinnige Ver\u00e4nderungen der Empfindung sollen als ein geradliniger Fortschritt in der geometrischen Darstellung zum Ausdruck kommen. Wo dagegen die Ver\u00e4nderung ihre Richtung sprungweise \u00e4ndert, mufs die die Empfindungsreihe veranschaulichende Linie eine Ecke machen. Diesem Wechsel der Ver\u00e4nderungsrichtung ist H. \u00fcberhaupt geneigt, grofse Bedeutung zuzuschreiben, und so definiert er namentlich im Hinblick hierauf die \u201eaus-","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 309\ngezeichneten Punkte\u201c, die sich in der Mannigfaltigkeit der optischen Empfindungen herausheben. Ausgezeichnete Punkte sind solche, in denen der Sinn (die Richtung) der Empfindungs\u00e4nderung einen Umschlag zeigt.\nIch mufs nun zun\u00e4chst gestehen, dafs ich diese Verh\u00e4ltnisse und ihren inneren Zusammenhang ganz anders aufzufassen geneigt bin. Denken wir z. B. an den \u00dcbergang, der vom Orange durch reines Gelb zum gr\u00fcnlichen Gelb f\u00fchrt. Hier ist vermutlich das reine Gelb ein ausgezeichneter Punkt. Nicht minder sind Rot und Gr\u00fcn solche ausgezeichnete Punkte. W\u00e4hrend nun dasjenige Licht, das wir Orange nennen, aufser an das Gelb auch noch an das Rot erinnert, mit ihm eine gewisse Verwandtschaft oder \u00c4hnlichkeit besitzt, erinnert andererseits das gr\u00fcnliche Gelb bereits an Gr\u00fcn. Im reinen Gelb schl\u00e4gt also die Verwandtschaft zum Rot in die zum Gr\u00fcn um. Eben dies kann nun, wenn auch nicht gerade zwingend, den Eindruck hervorbringen, dafs hier die \u00c4nderungsrichtung wechsele. Aber der Zusammenhang der Dinge ist m. E. gerade entgegengesetzt, wie ihn Henning annimmt. Nicht weil im Gelb die Empfindungsrichtung sich \u00e4ndert, stellt es einen ausgezeichneten Punkt dar, sondern weil Gelb, Rot und Gr\u00fcn ausgezeichnete Punkte sind, erhalten wir den Eindruck einer Richtungsver\u00e4nderung. Eine Untersuchung also, die diese Verh\u00e4ltnisse aufkl\u00e4ren will, darf nicht von den Richtungsver\u00e4nderungen ausgehen, die in der Tat durchaus nichts unmittelbar und zwingend psychologisch fixiertes bedeuten. Sie mufs vielmehr von den ausgezeichneten Punkten den Ausgang nehmen. H. begeht m. E. hier den Fehler, den relativ sicheren Begriff des ausgezeichneten Punktes durch den weit weniger sicheren und schwankenden der gleichsinnigen Ver\u00e4nderung zu definieren. \u2014 Indessen will ich diesen Punkt, der sich einer fruchtbaren Er\u00f6rterung wohl entzieht, hier nicht weiter verfolgen, vielmehr mich ohne weiteres auf den H.sehen Standpunkt stellen, somit eine geometrische Darstellung der optischen Empfindungen von der Art ins Auge fassen, dafs die ausgezeichneten Punkte als Ecken wiedergegeben werden. Es ist das jedenfalls ein zul\u00e4ssiger Versuch, selbstverst\u00e4ndlich unter der Voraussetzung, dafs auf eine Darstellung der Mischungsverh\u00e4ltnisse im physikalischen Sinne dabei verzichtet wird. Wir k\u00f6nnen also, wie es auch Henning tut, die 4 reinen Farben Rot, Gelb, Gr\u00fcn und Blau in die Ecken eines","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310\nJ. v. Kries.\nQuadrates legen, dessen Seiten uns alsdann die gleichsinnigen \u00dcberg\u00e4nge je einer dieser Farben in die benachbarten zur Anschauung bringen wird. Gewohnter \u00e4lterer \u00dcbung gem\u00e4fs k\u00f6nnten wir die Abstufungen der S\u00e4ttigung, also die \u00dcberg\u00e4nge jeder rein farbigen Empfindung gegen die farblose in der von den 4 Umrifslinien eingeschlossenen Fl\u00e4che des Quadrates, die rein farblose Empfindung durch einen Punkt im Innern desselben darstellen. Allein damit w\u00fcrden wir offenbar gegen das zugrunde gelegte Prinzip yerstofsen. Denn dabei w\u00fcrde jedenfalls der \u00dcbergang vom Gelb zum Blau oder vom Rot zum Gr\u00fcn sich in einer Geraden darstellen. Ein \u00dcbergang aber, der zun\u00e4chst vom reinen Gelb mit mehr und mehr abnehmender S\u00e4ttigung zu einer ganz farblosen Empfindung, dann mit wieder zunehmender S\u00e4ttigung des Blau zum reinen Blau f\u00fchrt, durchl\u00e4uft ja in der rein farblosen Empfindung erst recht einen ausgezeichneten Punkt. Eine Betrachtung, die der vorhin f\u00fcr das reine Gelb gef\u00fchrten ganz analog ist, n\u00f6tigt uns, hier nicht minder eine Ecke zu fordern. Wir m\u00fcssen also der farblosen Empfindung einen Ort aufserhalb der Ebene des Farbenquadrats anweisen. Wir gelangen so zu einer vierseitigenPyramide, und von dem Farbenquadrat wird nicht die Fl\u00e4che, sondern nur die Umrifslinie \u00fcberhaupt in Betracht kommen. Die vier dreieckigen Fl\u00e4chen der Pyramide w\u00fcrden die S\u00e4ttigungsabstufungen aller m\u00f6glichen (reinen und gemischten) Farben zur Anschauung bringen. Diese 4 Fl\u00e4chen zusammen w\u00fcrden also in anderer geometrischer Form eben das enthalten, was wir sonst in der Farbentafel zu veranschaulichen gewohnt sind. Wollen wir die optischen Empfindungen vollst\u00e4ndig zur Darstellung bringen, so wie es sonst in den sog. Farbenk\u00f6rpern geschieht, so fehlen uns nun hier noch die wechselnden Helligkeiten. Die gesamten farblosen Empfindungen, die ganze Abstufung von Schwarz durch Grau zum Weifs sind nur durch den einen Punkt, die Spitze der Pyramide, dargestellt. Wollen wir diese Abstufungen mit zur Darstellung bringen, so k\u00f6nnte man zun\u00e4chst daran denken, der zun\u00e4chst ins Auge gefafsten Pyramide eine zweite hinzuzuf\u00fcgen, die ihr Spiegelbild ist, wobei denn die Spitze der einen Pyramide das Weifs, die der anderen das Schwarz veranschaulichen w\u00fcrde und die von der einen zur entgegengesetzten Spitze f\u00fchrenden Linie die Abstufungen des Grau wiedergeben w\u00fcrde. Allein man sieht sogleich, dafs wir uns hierbei","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. gn\nwiederum gegen unser Konstruktionsprinzip in Widerspruch setzen w\u00fcrden. Denn es w\u00fcrden ja nun nicht blofs die Umrifslinie des Quadrats, sondern auch die Gesamtheit seiner Fl\u00e4che als Darstellung von optischen Empfindungen aufzufassen sein. Damit aber werden im gr\u00f6fsten Umfange Empfindungen in einer Geraden angeordnet, in denen wir nach unserem Prinzip keinen gleichsinnigen Fortschritt zu erblicken haben. Es ergibt sich also sehr einfach, dafs die Ber\u00fccksichtigung der Schwarz-Weifs-Abstufung, sowie der analogen Abstufungen mehr oder weniger farbiger Empfindungen in einem Gebilde des euklidischen Baumes nach dem hier zugrunde gelegten Prinzip \u00fcberhaupt nicht ausf\u00fchrbar ist. Vielmehr m\u00fcfsten wir zu diesem Zwecke noch eine vierte Dimension heranziehen, so dafs jedem Punkt unserer vier Pyramidenfl\u00e4chen noch eine weitere Bestimmung zukommt.\nDas erhaltene Ergebnis gewinnt an Durchsichtigkeit, wenn wir es in etwas anderem Zusammenh\u00e4nge betrachten, wobei wir am besten von dem Begriff der ein-, zwei- oder mehrfachen bestimmten Mannigfaltigkeiten ausgehen. Eine Empfindungsreihe, die eine einfach bestimmte Mannigfaltigkeit ist, k\u00f6nnen wir am einfachsten in einer Geraden darstellen, wir ben\u00f6tigen dann nur eine Abmessung des Baumes dazu. Wenn aus besonderen Gr\u00fcnden diese Darstellung nicht gen\u00fcgt, sondern, um noch irgendwelche psychologische Beziehungen zur Anschauung zu bringen, die Darstellung in einer gebrochenen oder gekr\u00fcmmten Linie verlangt wird, so m\u00fcssen wir, wiewohl es sich nur um eine einfach bestimmte Mannigfaltigkeit handelt, doch bereits den zweifach ausgedehnten Baum, die Fl\u00e4che, heranziehen, von der nun aber nicht jeder Punkt, sondern nur ein unendlich kleiner Teil, n\u00e4mlich eine in ihr enthaltene Kurve oder gebrochene Gerade Empfindungen bedeuten \"w\u00fcrde. Ganz ebenso k\u00f6nnen wir die zweifach bestimmte Mannigfaltigkeit, die wir bei Ber\u00fccksichtigung der \u00cf arben und der S\u00e4ttigungsabstufungen erhalten, am einfachsten in einem zweifach bestimmten r\u00e4umlichen Gebilde, der Ebene darstellen, wie es'bei der Farbentafel geschieht. Werden besondere Anforderungen hinsichtlich der Ortsbeziehungen gestellt, und lassen sich diese durch die ebene Darstellung nicht erf\u00fcllen, so m\u00fcssen wir zu einem dem dreidimensionigen Baume ange-h\u00f6rigen Gebilde greifen. So tritt an die Stelle der Ebene die Oberfl\u00e4che der 4 seitigen Pyramide, deren vier Dreiecksfl\u00e4chen","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312\nJ. v. Kries.\nin Kanten znsammenstofsen. Und ebenso m\u00fcssen wir schliefslich, um die optischen Empfindungen vollst\u00e4ndig (auch mit Einschlufs der Helligkeitsverh\u00e4ltnisse) wiederzugeben, den nicht mehr anschaulichen, mehr als 3 fach bestimmten Raum heranziehen.\nIch bin dem Gesetzten zufolge nicht der Meinung, dafs das von H. vorgeschlagene Farbenoktaeder eine besonders n\u00fctzliche oder wertvolle Darstellung sei. Wir bleiben vor allem dar\u00fcber im Zweifel, ob nur die in den Begrenzungsfl\u00e4chen enthaltenen Punkte oder auch die im Innern des K\u00f6rpers gelegenen bestimmte Empfindungen veranschaulichen sollen. Im letzteren Falle ger\u00e4t die Darstellung mit H.s psychologischen Prinzipien in Widerspruch. Im ersteren dagegen w\u00fcrden wir, um die Darstellung vollst\u00e4ndig zu machen, einer unbegrenzten Zahl \u00e4hnlicher Oktaeder bed\u00fcrfen, der Empfindungsk\u00f6rper im ganzen also unanschaulich bleiben.\nWeit einfacher liegen die Verh\u00e4ltnisse f\u00fcr eine geometrische Darstellung der Geschmacksempfindungen. Stellen diese, wie es vorhin dargelegt wurde, eine vierfach bestimmte Mannigfaltigkeit dar, so ist es damit schon gegeben, dafs sie mit einem Gebilde des euklidischen Raume nicht zur Deckung gebracht werden k\u00f6nnen. Es w\u00fcrde dazu vielmehr die Heranziehung einer vierten Dimension erforderlich sein. Eine Darstellung dieser Art wird schon wegen ihrer Unanschaulichkeit nur beschr\u00e4nkten Wert besitzen. Nun ist es uns beim Gesichtssinn schon lange gel\u00e4ufig, die Aufgabe dadurch zu vereinfachen, dafs wir uns unter Ab-sehung von der absoluten Intensit\u00e4t auf eine Veranschaulichung der Reizarten beschr\u00e4nken, wodurch dann statt des r\u00e4umlichen Gebildes die ebene Tafel ausreichend wird. Ebenso kann man auch hier unter Absehung von den absoluten St\u00e4rkeverh\u00e4ltnissen eine nur qualitative Darstellung der Geschmacksreize zur Aufgabe stellen. Eine solche wird dann eine um Eins niedrigere Zahl von Abmessungen besitzen, somit im Raume darstellbar sein. Als geeignete Form hierf\u00fcr bietet sich jeder viereckige K\u00f6rper, in dessen 4 Ecken die vier reinen Grundgeschm\u00e4cke anzuordnen sind. Wir k\u00f6nnen dieser Darstellung leicht zu einer physikalisch geordneten machen, indem wir die Mischungen von zwei, drei oder vier der einfachen Geschmacksk\u00f6rper auf den Kanten, auf den Fl\u00e4chen oder im Innern des K\u00f6rpers angeordnet denken und zwar so, dafs die Orte beliebiger Mischungen quantitativ nach der Schwerpunktskonstruktion festgelegt werden. Dabei","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 313\nk\u00f6nnen (ganz entsprechend dem f\u00fcr die Farbentafel Geltenden) die Orte der 4 Ecken sowie die Konzentrationseinheiten der 4 K\u00f6rper beliebig gew\u00e4hlt werden. In der ersteren Hinsicht wird sich das regul\u00e4re Tetraeder als die einfachste und elegan-teste Darstellung empfehlen.\nWenn wir uns hiermit dem HENNiNGschen Gedanken eines Geschmacks-Tetraeders in gewisser Weise anzun\u00e4hern scheinen, so m\u00f6chte ich doch betonen, dafs diese Ann\u00e4herung nur von eingeschr\u00e4nkter Bedeutung ist. Denn es kommt ja nicht allein darauf an, welches k\u00f6rperliche Gebilde wir zur Veranschaulichung irgendwelcher Empfindungen heranziehen, sondern vor allem auch darauf, welche Bedeutung ihm zugeschrieben wird. Gerade in dieser Hinsicht ist nun das, was wir bei Henning finden, teils in merkw\u00fcrdiger Weise l\u00fcckenhaft, teils aber auch positiv unrichtig. Zun\u00e4chst ist zu beachten, dafs \u00e4hnlich wie in der Farbentafel die Intensit\u00e4tsabstufungen der reinen Geschm\u00e4cke nicht dargestellt werden. Der schwache und der starke rein salzige Geschmack werden durch denselben Punkt, die eine Ecke des Tetraeders dargestellt. Es w\u00e4re, wie mir scheint, doch wohl am Platze gewesen, darauf hinzuweisen und zu betonen, dafs die Darstellung in dieser Hinsicht eine nur partielle oder beschr\u00e4nkte ist.\nSodann sollen nach Henning die einfachen Geschm\u00e4cke auf den Oberfl\u00e4chen des Tetraeders dargestellt sein, nicht in seinem Innern. Dies w\u00fcrde besagen, dafs es einfache Geschm\u00e4cke (im Sinne Hennings) wohl mit zwei, auch mit drei, aber nicht mit 4 \u00c4hnlichkeiten gibt. Dies ist nichts weniger als selbstverst\u00e4ndlich. Es w\u00e4re also wohl richtig gewesen, es als bemerkenswert besonders hervorzuheben. Auch k\u00f6nnte man wohl w\u00fcnschen zu erfahren, wie sich H. die \u00dcberzeugung verschafft hat, dafs das sich so verh\u00e4lt. Noch wichtiger aber ist der folgende Punkt. Nach der Anschauung von Henning sind z. B. zwischen Salzig und S\u00fcfs zwei \u00dcberg\u00e4nge m\u00f6glich, der der Qualit\u00e4tenreihe und der der Mischung. Hinsichtlich dieses Unterschiedes kann nun die geometrische Darstellung verschieden verfahren. Fafst man ihn so auf, wie es vorhin dargelegt wurde, so wird es als T\u00e4tlich erscheinen, ihn in der geometrischen Darstellung \u00fcberhaupt nicht zu ber\u00fccksichtigen. Man wird vielmehr nur hervorheben, dafs abgesehen von den in dem betr. r\u00e4umlichen\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 56.\t22","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314\nJ. v. Kries.\nGebilde veranschaulichten Bestimmungen die Geschmacksempfindungen noch in einer weiteren Hinsicht ungleich sein k\u00f6nnen, die sich wegen ihrer ganzen Natur und Bedeutung, vor allem auch durch ihr vielgestaltiges und wechselndes Verhalten zu einer geometrischen Darstellung nicht eignet. Es w\u00fcrde also zu betonen sein, dafs aus bestimmten, in der Natur der Empfindung gelegenen Gr\u00fcnden, die geometrischen Darstellung keine ersch\u00f6pfende-ist, vielmehr stets der erg\u00e4nzenden Erw\u00e4hnung dieser weiteren Verh\u00e4ltnisse, der Analysierbarkeit, bedarf. \u2014 Wenn wir dagegen jenen Unterschied mit Henning als einen ganz festen und scharfen, namentlich auch durch die chemische Natur der schmeckenden K\u00f6rper fest gegebenen betrachten, so wird es erw\u00fcnscht und m\u00f6glich erscheinen auch ihn in der geometrischen Darstellung zu ber\u00fccksichtigen. Es versteht sich aber von selbst, dafs hiermit eine weitere Bestimmung hinzukommt. Eine Darstellung, in der auch diese zum Ausdruck kommt, mufs somit mehr al& drei Bestimmungen auf weisen und ist als r\u00e4umliches Gebilde nicht mehr m\u00f6glich. Man k\u00f6nnte also daran denken statt eines Tetraeders deren zwei anzunehmen, von denen das eine die einfachen, das andere die zusammengesetzten Geschmacksempfindungen repr\u00e4sentieren w\u00fcrde. Ob aber dies gen\u00fcgt, ist sehr fraglich; vermutlich w\u00fcrde, wenn wir die Verh\u00e4ltnisse der psychologischen Analysierbarkeit mit hineinziehen wollen, es un-erl\u00e4fslich werden auf ein mindestens 4 fach bestimmtes Gebilde zur\u00fcckzugehen und im Geschmackstetraeder dessen Projektion in den euklidischen Raum zu erblicken. \u2014 Obgleich also nicht daran zu zweifeln ist, dafs sich f\u00fcr die Darstellung der Geschmacksempfindungen das regelm\u00e4fsige Tetreader in gewisser Weise eignet, so ist doch auch hier die Verwendung des regelm\u00e4fsigen K\u00f6rpers f\u00fcr diese Zwecke nur von beschr\u00e4nktem Wert. Die Abstufungen der Empfindung die mit der steigenden Konzentrationen einer bestimmten L\u00f6sung parallel gehen, finden gar keinen Ausdruck, da z. B. die s\u00e4mtlichen rein s\u00fcfsschmeckenden L\u00f6sungen auf den gleichen Punkt, n\u00e4mlich die eine Ecke des Tetraedern zu legen sind. Aufserdem aber bleibt der psychologisch wichtige Unterschied, ob wir aus einem Gemisch die Bestandteile herauszuschmecken, es zu analysieren verm\u00f6gen, unber\u00fccksichtigt. Man sieht also, dafs die geometrische Darstellung wohl am besten tut, von diesen rein psychologischen Verh\u00e4ltnissen ganz abzusehen.\nWas die geometrische Darstellung der Geruchsempfin-","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 315\nd\u00fcngen anlangt, so l\u00e4fst sich aus dem, was vorhin schon bez\u00fcglich dieses Sinnes dargelegt wurde, entnehmen, dafs einstweilen unsere Kenntnis der Tatsachen nicht vollst\u00e4ndig genug ist, um eine solche mit Aussicht auf einen wertvollen Erfolg in Angriff nehmen zu k\u00f6nnen. Wir wissen vorderhand nicht einmal, ob in allen Hinsichten eine stetige \u00c4nderung der Geruchsempfindungen m\u00f6glich ist, oder ob etwa in manchen Beziehungen stetige \u00dcberg\u00e4nge fehlen. Zun\u00e4chst also steht es nicht fest, ob die Gesamtheit der Geruchsempfindungen sich \u00fcberhaupt einem r\u00e4umlichen oder raum-\u00e4hnlichen Kontinuum zuordnen l\u00e4fst. Setzen wir aber dies voraus, so fehlt es uns an jedem sicherem Anhalt um die Zahl der f\u00fcr ein solches Kontinuum zu fordernden Bestimmungen zu beurteilen. Eine Darstellung zu suchen, ehe man die Tatsachen kennt, die dargestellt werden sollen, scheint mir verkehrt und unfruchtbar.\nBekanntlich hat Henning diese Aufgabe gleichwohl in Angriff genommen, und er glaubt sie durch sein Geruchsprisma ge-l\u00f6fst zu haben. Bei dem grofsen Wert, den er selbst hierauf legt, und bei der Beachtung, die es hier und da gefunden hat, ist es nicht \u00fcberfl\u00fcssig, noch etwas genauer darauf einzugehen. Wie ich glaube, gen\u00fcgen die z. Z. bekannten Tatsachen jedenfalls um zu zeigen, dafs wir mittels des HENNiNGschen Geruchsprismas denjenigen Anforderungen, die an eine r\u00e4umliche Darstellung von Empfindungs-Mannigfaltigkeiten gestellt werden m\u00fcssen, nicht entsprechen k\u00f6nnen. Das Geruchsprisma ist ja in erster Linie ein r\u00e4umliches Gebilde ; die ihm angeh\u00f6rigen Punkte bilden also eine dreifach bestimmte Mannigfaltigkeit, die auf den Oberfl\u00e4chen gelegenen eine zweifach, die auf den Kanten gelegenen eine einfach bestimmte. Ferner sind die sechs Ecken durch ihre Lage als ausgezeichnete Punkte hervorzuheben. Nun haben wir fr\u00fcher gesehen, dafs unter allen Umst\u00e4nden f\u00fcr eine gewisse Anzahl von Punkten die Orte willk\u00fcrlich gew\u00e4hlt werden k\u00f6nnen, dafs aber besonders auch der Anordnung von Punkten, die verschiedene Empfindungen bedeuten sollen, mancherlei verschiedene Prinzipien (physikalische und psychologische) zugrunde gelegt werden k\u00f6nnen. Es er\u00fcbrigt sich also, in eine Er\u00f6rterung gerade derjenigen Prinzipien, die Henning hier gew\u00e4hlt hat, des genaueren einzutreten. Wenn aber hinsichtlich des Geruchssinnes eines feststeht, so ist es meines Bed\u00fcnkens dies, dafs seine Empfindungen sich als dreifach bestimmte Mannigfaltigkeit nicht dar-\n22*","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316\nJ. v. Kries.\nstellen lassen. Schon aus diesem Grunde erscheint es mir als ein von vornherein verfehlter Versuch, die Geruchsempfindungen durch ein Gebilde unseres Anschauungsraumes darstellen zu wollen. \u2014 Nach der Bedeutung, die Henning selbst seinem Geruchsprisma gibt, scheint es, dafs auch er die Auffassung der Geruchsempfindungen als einer dreifach bestimmten Mannigfaltigkeit nicht vertreten will. Es sollen ja die einzelnen Ger\u00fcche, nach Mafsgabe ihrer \u00c4hnlichkeit mit den Grundger\u00fcchen, auf den Kanten und Fl\u00e4chen des Prismas angeordnet werden. Dabei w\u00fcrden auf den dreieckigen Fl\u00e4chen solche Ger\u00fcche ihren Platz finden, die mit drei Grundger\u00fcchen, auf den rechteckigen Fl\u00e4chen dagegen diejenigen, die mit vier Grundger\u00fcchen eine \u00c4hnlichkeit besitzen. Der Ort innerhalb der Fl\u00e4che soll sich nach den Graden dieser \u00c4hnlich keiten richten. Die Ger\u00fcche mit den vier \u00c4hnlichkeiten bilden ja nun jedenfalls eine vierfach-, und wenn wir nur die Verh\u00e4ltnissein Betracht ziehen, immer noch eine dreifach bestimmte Mannigfaltigkeit. Sie auf einer Ebene eindeutig, d. h. so, dafs jeder Punkt einen ganz bestimmten Geruch darstellt, abzubilden, ist also schlechterdings unm\u00f6glich. Wir k\u00f6nnen wohl eine Ebene auf eine Grade so projizieren, dafs jeder Punkt der Ebene seinen bestimmten Ort in der Graden erh\u00e4lt. Auf keine Wbise aber k\u00f6nnen wir es dahin bringen, dafs jedem Punkt der Graden ein und nur ein Punkt der Ebene entspricht. Henning hat diese Verh\u00e4ltnisse im Dunkeln gelassen, ebenso auch die ganz analogen, die sich bei f\u00fcnf \u00c4hnlichkeiten ergeben w\u00fcrden. Er hat zwar gelegentlich angedeutet, das f\u00fcr solche Ger\u00fcche die Punkte im Inneren des Prismas heranzuziehen sein w\u00fcrden. Es ist mir aber nicht gelungen, dar\u00fcber ins klare zu kommen, wie das eigentlich geschehen soll, und in welcher Weise dabei die mannigfaltigsten Vieldeutigkeiten vermieden werden sollen.\nDafs die Aufstellung des Geruchsprismas eine sehr erspriefs-liche F\u00f6rderung der Sinnesphysiologie bedeute, wird man hiernach bestreiten m\u00fcssen. Zuzugeben ist nat\u00fcrlich, dafs es herangezogen werden kann, um gewisse von Henning beschriebene Erscheinungen anschaulich zu machen, und dafs ihm, falls diese Beobachtungen sich best\u00e4tigen, in diesem Sinne ein gewisser Nutzen zukommt. Schon dieser aber wird sehr eingeschr\u00e4nkt durch den Mangel an Klarheit dar\u00fcber, was die Anordnungen innerhalb des Prismas bedeuten sollen. In keinem Falle kann dem Geruchsprisma eine Bedeutung von \u00e4hnlicher Pr\u00e4zision und Tragweite","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometr. Darstellung. 317\nzugeschrieben werden, wie sie den r\u00e4umlichen Darstellungen der optischen und der Geschmacksempfindungen bei geeignetem Verfahren gegeben werden kann. Wenn diesen Darstellungen das Geruchsprisma ohne weiteres an die Seite gestellt wird, so kann das m. E. nur irref\u00fchrend wirken, weil die Aufmerksamkeit da durch von jenen Fragen abgelenkt wird, zu deren Beantwortung die geometrischen Darstellungen mit wirklichem Nutzen herangezogen werden k\u00f6nnen.","page":317}],"identifier":"lit35981","issued":"1925","language":"de","pages":"281-317","startpages":"281","title":"\u00dcber Empfindungsmannigfaltigkeiten und ihre geometrische Darstellung","type":"Journal Article","volume":"56"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:09:22.036356+00:00"}

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