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{"created":"2022-01-31T16:11:49.698192+00:00","id":"lit35982","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Br\u00fcckner, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 56: 318-321","fulltext":[{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\n(Aus der Universit\u00e4tsaugenklinik Basel.)\n\u2022 \u2022\nUber eine Tastt\u00e4uschung als Ausdruck der Vorherrschaft des Sehraumes \u00fcber den Tastraum.\nVon\nA. Be\u00fcckner.\nDie nachfolgend beschriebenen Beobachtungen scheinen mir insofern eine gewisse allgemeinere Bedeutung zu haben, als sie geeignet sind, das \u00dcberwiegen des Gesichtssinnes bei der Entstehung r\u00e4umlicher Vorstellungen darzutun.\nWenn man im Bade die Finger unter der Wasseroberfl\u00e4che frontal parallel zu dem aufserhalb des Wassers befindlichen Gesicht ausgestreckt h\u00e4lt und sie betrachtet, so erscheinen sie infolge der Brechung stark verschm\u00e4lert, w\u00e4hrend ihre L\u00e4nge unver\u00e4ndert bleibt; sie gewinnen dadurch fast den Anschein von d\u00fcnnen H\u00f6lzchen. Wenn man nun die Fingerspitzen gegenseitig ber\u00fchrt und z. B. die Kuppen der Zeigefinger gegeneinander von der ulnaren \u00fcber die Fingerspitzen hinweg nach der radialen Seite bzw. umgekehrt gleiten l\u00e4fst, w\u00e4hrend man gleichzeitig die unter Wasser befindlichen Finger betrachtet, so findet eine Angleichung des taktilen Eindrucks an den optischen statt, d. h. die Finger erscheinen auch taktil stark verschm\u00e4lert. Wenn man nach mehrmaliger Ausf\u00fchrung des kleinen Versuches die Augen schliefst und dabei die erw\u00e4hnte Bewegung fortsetzt, so mufs man sie erst 2\u20143 mal wiederholen, um wieder den taktilen Eindruck der normalen Fingerdicke zu bekommen. Dieser ist sofort da, wenn man bei Fortsetzung der Betrachtung die Finger aus dem Wasser nimmt und die Bewegung nun in der Luft fortsetzt, wobei also eine \u00dcbereinstimmung zwischen optischem und taktilem Eindruck gegeben ist.","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Tastt\u00e4uschung als Ausdruck der Vorherrschaft des Sehraumes usiv. 319\nDiese Beobachtung l\u00e4fst sich mannigfach erweitern. Wird z. B. der Unterarm oder Unterschenkel unter Wasser in eine \u00e4hnliche Lage gebracht wie vorhin die Finger, so erscheinen sie ebenfalls in der Richtung von oben nach unten (entsprechend der Haltung der Extremit\u00e4t) zusammengedr\u00fcckt; umfafst man den Unterschenkel oberhalb des Kn\u00f6chels, bzw. den Unterarm oberhalb des Handgelenkes und gleitet mit den Fingern der betastenden Hand um ihn herum, so gewinnt man den Eindruck, als ob das Bein oder der Arm hochgradig verd\u00fcnnt, wie atrophisch w\u00e4re. Auch die Dimension von vorne nach hinten (relativ zum Beschauer) erscheint dabei reduziert. Hier sind die gleichen Beobachtungen zu machen, w\u00fce vorhin beim Zeigefingerversuch d. h. nach Augenschlufs bedarf es erst einer gewissen Fortsetzung des Betastungsversuches unter Wasser um den Eindruck normaler Dicke von der Extremit\u00e4t zu erhalten, w\u00e4hrend, wenn diese aufser Wasser gehoben wird, die normale taktile Ausdeutung sofort dann gegeben ist, wenn die Extremit\u00e4t dabei betrachtet wird.\nUmgreift man unter Einhaltung der oben angegebenen Stellung der Finger eine Fingerspitze mit drei Fingerspitzen der andern Hand, so erscheint die umfafste Fingerspitze allseitig verd\u00fcnnt. Auch hier lassen sich die entsprechenden Beobachtungen nach Augenschlufs bzw. aufserhalb des Wassers anstellen.\nNimmt man ein kleines rechteckiges St\u00fcck Holz, von etwa 3/4 cm Dicke und 6 cm Seite und betrachtet es unter Wasser von der Schmalseite, so erscheint es ebenfalls stark zusammengedr\u00fcckt; bei Betastung zwischen Daumen und Zeigefinger beider H\u00e4nde, gewinnt man auch hier den Eindruck, dafs es sich um ein ganz d\u00fcnnes Holzt\u00e4felchen handelt. Wenn man es nun in der Richtung von vorn nach hinten bef\u00fchlt, so erscheint das T\u00e4felchen verl\u00e4ngert im Vergleich zu dem Tasteindruck, den das Brett unter Wasser bei geschlossenen Augen oder \u00fcber Wasser bei ge\u00f6ffneten Augen gew\u00e4hrt, wobei es seine \u201enormale\u201c Dicken-und L\u00e4ngsausdehnung besitzt. Es findet also hier gewissermafsen eine Verl\u00e4ngerung des Brettes in dorsofrontaler Richtung statt, wenn seine Dicke scheinbar abnimmt.\nEine kleine zylindrische Metallkapsel von'ca. 1,5 cm Durchmesser erscheint, in gleicher Weise unter Wasser von der Frontfl\u00e4che betrachtet, als liegendes Oval; umf\u00e4hrt man die Zircum-ferenz der Kapsel mit dem Zeigefinger, so findet eine Angleichung","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"320\nA. Br\u00fcckner.\ndes Tasteindruckes an den optischen statt : man glaubt ein Oval zu umfahren. Auch hier verschwindet dieser Eindruck bei geschlossenen Augen unter Wasser erst nach einiger Zeit, in der Luft sofort, wenn die Augen offen sind.\nDiese Beobachtungen stehen in Beziehung zu einer optischen T\u00e4uschung, die von E. Th. Bk\u00fccke beschrieben worden ist.1 Er fand, dafs bei Betrachtung durch ein Vergr\u00f6fserungsglas, Holz, welches mit einer Nadel geritzt wird, den Eindruck aufser-ordentlicher Weichheit erweckt, weil der durch die Stahlnadel gezogene Rifs, infolge der Vergr\u00f6fserung vertieft erscheint. Es handelt sich auch hier um eine Angleichung der taktilen Empfindung an die optische, wobei die optische, ebenso wie bei den von mir beschriebenen Versuchen, ausschlaggebend wirkt.\nBemerkenswert ist, dafs ein gewisser Unterschied besteht, je nachdem ob Teile des eigenen K\u00f6rpers oder andere Gegenst\u00e4nde benutzt werden. Bei Betrachtung der eigenen zylindrischen K\u00f6rperteile gewinnt man den Eindruck der allseitigen Verminde-rung der Dimension; sie behalten dabei aber ihre zylindrische Form bei. Anders ist es z. B. beim Holzbrettchen, wo eine \u00c4nderung der scheinbaren Ausdehnung in den verschiedenen Richtungen auf tritt. Worauf diese Differenz beruht l\u00e4fst sich nicht sicher sagen, wahrscheinlich aber mit darauf, dafs nicht nur das betastende sondern auch das betastete Organ taktile Empfindungen vermittelt, die dann gegeneinander abgestimmt und ihrerseits wieder in Beziehung zu dem optischen Eindruck gesetzt werden. Es handelt sich also hier um zweifellos aufserordentlich verwickelte Vorg\u00e4nge, die sich in K\u00fcrze nicht wohl analysieren lassen. Es soll deshalb darauf nicht eingegangen werden.2 Die geschilderten Beobachtungen weisen aber darauf hin, dafs f\u00fcr die Raum Vorstellungen des Vollsinnigen der Gesichtssinn in erster Linie, der Tastsinn erst in zweiter steht und dafs unsere optischen Eindr\u00fccke auch bei Kenntnis der wahren Form eines Dinges,\n1\tE. Th. Br\u00fccke, \u00dcber eine neue optische T\u00e4uschung. Zentralblatt f\u00fcr Physiologie 20, 737. 1907.\n2\tO. Klemm, Sinnest\u00e4uschungen. Leipzig 1919 macht auf S. 37 f. Angaben die hierher geh\u00f6ren. (Angleichungserscheinungen bei Eindr\u00fccken verschiedener Sinnesgebiete.) Er erw\u00e4hnt auch auf S. 75 einen Versuch, den ich f\u00fcr mich, wenn auch nicht mit aller Deutlichkeit best\u00e4tigen kann, und der den hier mitgeteilten Beobachtungen \u00e4hnlich ist: ein schr\u00e4g ins Wasser gehaltener Stab, der dem Auge geknickt erscheint, weist auch taktil eine leichte Knickung auf.","page":320},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"Tastt\u00e4uschung als Ausdruck der Vorherrschaft des Sehraumes usw. 321\nselbst bei der M\u00f6glichkeit sie zu betasten, ausschlaggebend sind. Es kann dadurch zu einer T\u00e4uschung \u00fcber die \u201ewahre\u201c r\u00e4umliche Ausdehnung der getasteten Gegenst\u00e4nde kommen. Diese Tatsachen bilden eine Best\u00e4tigung bisher schon ge\u00e4ufserter Auffassungen. Ich verweise hier nur auf den Aufsatz von Petersen (Naturwissenschaften 1924, S. 186), der ebenfalls die Ansicht vertritt, dafs f\u00fcr unser Umweltsbild in r\u00e4umlicher Hinsicht dem Sehraum der Primat \u00fcber den Tastraum zusteht, und dafs die Tasteindr\u00fccke erst durch den Gesichtssinn die spezifisch r\u00e4umliche Qualit\u00e4t erhalten. Zusammenfassend zu dieser Frage, die hier nicht n\u00e4her er\u00f6rtert werden soll, \u00e4ufsert sich Katz, Der Aufbau der Tastwelt, Erg\u00e4nzungsband 11 der Zeitschrift f\u00fcr Psychologie, Leipzig 1925 auf S. 238 ff. Hier finden sich auch weitere einschl\u00e4gige Angaben der Literatur.","page":321}],"identifier":"lit35982","issued":"1925","language":"de","pages":"318-321","startpages":"318","title":"\u00dcber eine Tastt\u00e4uschung als Ausdruck der Vorherrschaft des Sehraumes \u00fcber den Tastraum","type":"Journal Article","volume":"56"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:11:49.698197+00:00"}