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{"created":"2022-01-31T16:12:07.327285+00:00","id":"lit35987","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Sommer, Gerd","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 61: 28-39","fulltext":[{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus dem Physiologischen Institut der Universit\u00e4t Jena)\n\u00dcber die Beeinflussung der haptischen Richtungswahrnehmung durch Verlagerung der Tastfl\u00e4chen\nVon\nGerd Sommer (Jena)\n4 Mit 1 Abbildung im Text\nI. Einleitung\nBer\u00fchren wir gleichzeitig zwei Punkte einer Tastfl\u00e4che, so erleben wir nicht nur den Eindruck einer gewissen Entfernung der beiden getroffenen Hautstellen, sondern auch den der Richtung, in der ihre Verbindungslinie verl\u00e4uft. Dies lehren einfachste Versuche. Legen wir z. B. die linke Hand mit ihrer Dorsalseite auf eine horizontale Tischplatte, so da\u00df die Fingerspitzen nach vorn gerichtet sind und ber\u00fchren nun auf ihrer Volarseite zwei Tastpunkte, deren Verbindungslinie objektiv sagittalhorizontal verl\u00e4uft, so erleben wir auch subjektiv ann\u00e4hernd den gleichen Richtungseindruck.\nEs fragt sich nun, ob unter allen Umst\u00e4nden objektiver und subjektiver Eindruck vom Verlauf einer Linie sich decken, wenn wir den Versuch bei verschiedener Lagerung der Hand vornehmen. Um dies zu pr\u00fcfen, brauchen wir nur so vorzugehen, da\u00df wir z. B. die linke Hand in der gleichen Haltung wie zuvor in der Horizontalfl\u00e4che gegen den K\u00f6rper zu verlagern, so da\u00df die Fingerspitzen nicht mehr nach vorn, sondern nach rechts weisen. Es liegt dann die Verbindungslinie der beiden urspr\u00fcnglich ber\u00fchrten Stellen objektiv nicht mehr sagittal-, sondern frontalhorizontal. Nun ist die Frage, ob dies auch subjektiv zutrifft.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Beeinflussung der haptischen Richtung sw ahrnehmung usw.\n29\nIst dies der Fall, so h\u00e4ngt die Wahrnehmung der Richtung der Verbindungslinie zweier Tastpunkte ab: einmal von der Lage der beiden ber\u00fchrten Stellen auf der Tastfl\u00e4che, zum zweiten von der Lagerung der Tastfl\u00e4che im Raume. Bei der verschiedenartigen Benutzung der Hand beim Tasten sind wir nur dann imstande, einen objektiv richtigen Eindruck von der Lage der Gegenst\u00e4nde in unserer Umgebung zu erhalten, wenn die Verwertung der Lage\u00e4nderung der Tastfl\u00e4chen psychisch in einer einwandfreien Weise vor sich geht.\nDie Benutzung der tastenden Hand findet aber nicht an allen Stellen des Raumes, auf die wir in Ruhelage des K\u00f6rpers durch die Bet\u00e4tigung unserer H\u00e4nde einzuwirken verm\u00f6gen, gleich h\u00e4ufig statt. Gewisse Haltungen der Hautfl\u00e4che werden beim Tastvorgang zweifellos bevorzugt. Diese werden uns dann vertrauter sein, andere weniger. Daraus kann man in Analogie mit anderen Erfahrungen 1 2>3 erwarten, da\u00df die Beurteilung der Richtung der Verbindungslinie zweier Hautpunkte in gewissen F\u00e4llen objektiv richtig erfolgt, in anderen dagegen mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sein wird. Da die Abh\u00e4ngigkeit der Richtungswahrnehmung von der Lagerung der Tastfl\u00e4che bisher nicht untersucht wurde, so habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, hier einige neue Erfahrungen beizubringen.\nII. Eigene Untersuchungen\nDie gestellte Aufgabe lief also darauf hinaus, die Beurteilung der Lage der 3 Koordinaten des Raumes durch die Tastfl\u00e4che bei deren Verlagerung zu pr\u00fcfen. F\u00fcr die einzelnen Koordinaten mu\u00df dies in verschiedenen Ebenen erfolgen und zwar in der\n1.\tHorizontalebene f\u00fcr die Frontal- und Sagittalhori-z ont ale,\n2.\tSagittalebene f\u00fcr die Sagittalhorizontale undVertikale,\n3.\tFrontalebene f\u00fcr die Frontalhorizontale und Vertikale.\n1\ty. Skramlik, E., Varianten zur Aristotelischen T\u00e4uschungen. Pfl\u00fcg. Arch. 201, 250 (1923).\n2\tv. Skramlik, E., Lebensgewohnheiten als Grundlage von Sinnest\u00e4uschungen. Naturw. 13, 7 (1925).\n3\tSommer, G., Das haptische rechtwinklige Koordinatensystem und seine Abh\u00e4ngigkeit von der Kopfhaltung. Z. Sinnesphysiol. 61, 1 (1930).","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nGerd Sommer\na\n- Z\n- s\nm\u2014\nZ\ns\nAls Tastfi\u00e4chen kamen die Volarseite der Hand sowie des Unterarms in Frage, vorz\u00fcglich aber die erstere, da die Raumwahrnehmungen hier viel sicherer sind, wie zahlreiche Untersuchungen gelehrt haben. Die Verlagerung der Hand kann in den\ngenannten Ebenen bei gestrecktem Arm bzw. Unterarm ohne besondere Schwierigkeiten erfolgen und zwar in der horizontalen mit der Volarfl\u00e4che nach oben bzw. nach unten gekehrt, in der sagittal en bei dem K\u00f6rper zu- und abgekehrter V olarfl\u00e4che (vorausgesetzt, da\u00df der ganze Arm gestreckt gehalten wird), in der frontalen bei dem K\u00f6rper abgekehrter Volarfl\u00e4che im weitestenUmfange, bei ihm zugekehrter in dem dem K\u00f6rper zun\u00e4chst liegendenBe-reiche.\nAls Vpn. waren t\u00e4tig: 1. Frl. E.Beyee, 2. A. Schwaez, 3. Prof, v. Skeamlik, 4. Verf.\nDas Verfahren war ein einfaches. Ich ber\u00fchrte die Tastfl\u00e4che mit einer Metallschneide, die in einem in Grade eingeteilten Kreisbogen beweglich war (siehe Abb. 1).\nDamit die Messungen mit aller Strenge erfolgen konnten, war mein Apparat mit einem langen Zeiger ausger\u00fcstet, der die gew\u00fcnschte Richtung angab und unbeweglich auf dem Nullpunkt\nAbb. 1. Apparat zur Pr\u00fcfung der Richtungs-Wahrnehmung auf Tastfl\u00e4chen in s/8 der wirklichen Gr\u00f6\u00dfe, a) von oben, b) von der Seite gesehen. Es bedeuten: Z den unbeweglichen Zeiger, S die drehbare Schneide","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Beeinflussung der haptischen Richtungswahrnehmung usw.\n31\nder Teilskala stand. Die Einstellung dieses Zeigers konnte bei der Darbietung an der Hand eines Metallkreuzes kontrolliert werden, das in der n\u00e4chsten N\u00e4he der Tastfl\u00e4che auf gestellt war, und den objektiven Verlauf der betreffenden Koordinaten angab. Bo konnte auch wirklich eine bestimmte Richtung eingehalten werden, entweder die Frontal- oder Sagittalhorizontale oder Vertikale.\nNach Auf setzen der Schneide hatte die Vp. auszusagen, welches subjektiv deren Verlauf war. Ergaben sich Abweichungen des subjektiven vom objektiven Verlauf, so verstellte ich die Schneide so lange, bis subjektiv der Eindruck einer der festgelegten Richtungen aufkam. Im Anschlu\u00df daran konnte am Teilkreise die Ablesung des Winkels erfolgen, den objektiver und subjektiver Verlauf der betreffenden Koordinaten miteinander einschlo\u00df. Er ergab sich einfach aus der Stellung der beweglichen Schneide zu dem unbeweglichen Zeiger. So war es m\u00f6glich, bei verschiedener Verlagerung der Tastfl\u00e4chen die Abweichungen des subjektiven vom objektiven Verlauf der Koordinaten bis auf eine Genauigkeit von \u00b12\u00b0 messend zu verfolgen.\nDie Abweichung der Schneide vom Zeiger kann aber einmal in der Richtung des Uhrzeigers, das andere Mal im entgegengesetzten Sinne erfolgen. Um diesen Unterschied zum Ausdruck zu bringen, setzte ich vor den Winkel im ersten Falle ein Minus-, im zweiten Falle ein Pluszeichen.\nZur Feststellung der Lage\u00e4nderung der Hand bediente ich mich einer auf einem Halbkreis eingebrachten Gradeinteilung. Der Drehpunkt f\u00fcr die Bewegung der Tastfl\u00e4chen fiel stets mit dem Mittelpunkt dieser Gradeinteilung zusammen. Die Verlagerung der Tastfl\u00e4che erfolgte l\u00e4ngs dieses Teilkreises. Der Halbkreis hatte einen Durchmesser von 58 cm, wenn blo\u00df Bewegungen des Unterarmes im Ellenbogengelenk und von 140 cm, wenn Bewegungen des ganzen Armes im Schultergelenk in Frage kamen. Dieser Teilkreis wurde nach Bedarf in der Horizontal-, in der Sagittal- und in der Frontalfl\u00e4che eingestellt, bezogen auf den K\u00f6rper der Vp., die bei den Messungen entweder sa\u00df oder stand.\nUm die Lage\u00e4nderung der Hand zu bestimmen, mu\u00df der Nullpunkt der Skala festgelegt sein. Die weiteren Grade 90, 180 usf. bestimmten sich dann durch Bewegungen der Tastfl\u00e4che in der gegebenen Ebene im Sinne des Uhrzeigers. In der Horiz ontalfl\u00e4che wiesen die Finger auf den Nullpunkt der","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nGerd Sommer\nTeilskala, wenn sie gradlinig nach den Seiten ansgestreckt waren. 90\u00b0 waren erreicht, wenn die Hand aus der angegebenen Ausgangsstellung in die objektive Sagittalhorizontale \u00fcbergef\u00fchrt wurde. In der Sagittalebene wiesen die Finger auf 0, wenn die Hand sagittalhorizontal nach vorn gestreckt war. 90\u00b0 waren erreicht, wenn die Hand aus der angegebenen Ursprungslage bei aufrechtstehendem K\u00f6rper nach unten gesenkt wurde. In der Frontalfl\u00e4cbe wiesen die Finger bei seitlich ausgestreckter Hand auf den Nullpunkt der Skala und 90\u00b0 waren erreicht, wenn die Hand nach oben gestreckt war.\nIm folgenden sollen nun die Versuchsergebnisse beschrieben werden bei verschiedenen Verlagerungen der Tastfl\u00e4che und zwar gesondert f\u00fcr sich: 1. in der Horizontal-, 2. in der Sagittal- und 3. in der Frontalebene.\n1. Man lagert die linke Hand der Vp. in der Horizontalebene mit der Volarfl\u00e4che nach aufw\u00e4rts so, da\u00df sie in der objektiv Sagittalhorizontalen eingestellt ist. Entsprechend der fr\u00fcher gegebenen Definition handelt es sich also um eine Einstellung der Hand auf 90\u00b0 des Teilkreises. Ber\u00fchrt man nunmehr die Hand in der Mitte ihrer Volarfl\u00e4che mit der Schneide so, da\u00df deren Verlauf objektiv frontalhorizontal ist, so l\u00f6st man dadurch bei der Vp. subjektiv nicht den gleichen Eindruck aus. Die Schneide scheint schr\u00e4g zu stehen und zwar so, da\u00df sie bei der linken Hand von einem dem K\u00f6rper ferner gelegenen Punkte links zu einem dem K\u00f6rper n\u00e4her befindlichen Punkte rechts absteigt. Genau spiegelbildlich ist scheinbar ihr Verlauf auf der rechten Hand.\nUm bei dieser Handhaltung den Eindruck einer frontalhorizontalen Einstellung der Schneide zu erzielen, m\u00fcssen wir diese objektiv schr\u00e4g stellen und zwar so, da\u00df ihr linker Anteil dem K\u00f6rper n\u00e4her steht als ihr rechter. Der Winkel, um den diese Drehung vollzogen werden mu\u00df, hat f\u00fcr die linke Hand ein negatives, f\u00fcr die rechte ein positives Vorzeichen. Dies entspricht den fr\u00fcher gemachten Angaben, weil die Verdrehung der Schneide im ersten Falle im entgegengesetzten, im zweiten im Sinne des Uhrzeigers erfolgen mu\u00dfte. In seiner Gr\u00f6\u00dfe schwankt der Winkel \u2014 wie aus den Werten der Tab. 1 hervorgeht \u2014 bei den Vpn. 1\u20144 zwischen \u20145 und \u20147\u00b0.\nAuch f\u00fcr die Sagittalhorizontale ergeben sich Abweichungen. Setzen wir n\u00e4mlich die Schneide wieder der Mitte","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Beeinflussung der haptischen Richtungswahrnehmung usw.\n33\nder Volarfl\u00e4che auf, diesmal so, da\u00df sie streng sagittalhorizontal verl\u00e4uft, so l\u00f6st man bei der Vp. subjektiv nicht den gleichen Eindruck aus. Die Schneide scheint vielmehr schr\u00e4g zu stehen und zwar so, da\u00df sie bei der linken Hand von einem dem K\u00f6rper n\u00e4her gelegenen Punkte links zu einem dem K\u00f6rper ferner befindlichen Punkte rechts aufsteigt. Genau spiegelbildlich ist scheinbar ihr Verlauf auf der rechten Hand. W\u00fcnscht man den Eindruck einer sagittalhorizontalen Einstellung der Schneide zu erzielen, so m\u00fcssen wir diese schr\u00e4g stellen und zwar so, da\u00df f\u00fcr die linke Hand ihr rechter Anteil dem K\u00f6rper n\u00e4her steht als der linke. Der Winkel, um den diese Drehung vollzogen werden mu\u00df, schwankt \u2014 siehe Tab. 1 \u2014 f\u00fcr die einzelnen Vpn. wieder zwischen \u20145 und \u20147\u00b0.\nTabelle 1\nAbweichungen des subjektiven vom objektiven Verlauf der Frontal- und\nSagittalhorizontalen in der Horizontalebene. Linke Hand. Volarfl\u00e4che aufw\u00e4rts gekehrt\nLage der Hand bei\tFront.\t1 Sagitt.\tFront.\tV 2 Sagitt.\tP- Front.\t3 Sagitt.\tFront.\t4 Sagitt.\nOo\t\u2014 90\t\u2014 90\t\u2014 25\t\u2014 25\t\u2014 60\t\u2014 55\t\u2014 20\t\u2014 20\n45\u00b0\t\u2014 25\t\u2014 25\t\u2014 10\t\u2014 10\t\u2014 35\t\u2014 30\t\u2014 10\t\u2014 10\n90\u00b0\t\u2014 7\t\u2014 7\t\u2014 5\t\u2014 5\t\u2014 7\t\u2014 7\t\u2014 5\t\u2014 5\n105\u00b0\t0\t0\t0\t0\t0\t0\t0\t0\n135\u00b0\t+ 10\t+ io\t+ &\t|\t5\t+ 12\t+ 15\t+ 5\t+ 5\n180\u00b0\t+ 55\t+ 55\t+ 15\t+ 15\t+ io\t+ 12\t+ 10\t+ 10\nEs zeigt sich, da\u00df die Abweichung der subjektiv Frontal-und Sagittalhorizontalen in der Winkelgr\u00f6\u00dfe ausgedr\u00fcckt, f\u00fcr alle Vpn. gleich ist. Dies besagt, da\u00df die beiden Koordinaten trotz ihrer Abweichung vom objektiven Verlauf auch subjektiv aufeinander streng senkrecht stehen. Das subjektive Koordinatensystem ist also bei dieser Handhaltung gegen\u00fcber dem objektiven scheinbar verdreht, f\u00fcr die linke Hand im entgegengesetzten, f\u00fcr die rechte im Sinne des Uhrzeigers.\nBringen wir die linke Hand aus dieser Lage durch Drehung nach links immer weiter heraus, so wird der Winkel zwischen objektivem und subjektivem Verlauf dieser beiden Koordinaten\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 61\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nGerd Sommer\nimmer gr\u00f6\u00dfer. Bei einer Lagerung der Hand auf 45\u00b0 des Teilkreises betr\u00e4gt er bereits, je nach der Vp., \u201410 bis \u2014 35\u00b0 und wird am allergr\u00f6\u00dften, wenn die linke Hand seitlich nach links ausgestreckt ist. Bei dieser Lage weisen die Fingerspitzen auf den Nullpunkt der Gradeinteilung. Die Abweichung betr\u00e4gt dann, je nach der Vp., \u201420- bis \u201490\u00b0. Besonders bemerkenswert ist das letztere Ergebnis, das bei Vp. 1 gefunden wurde. Es besagt, da\u00df nun die objektiv Frontalhorizontale scheinbar sagittalhorizontal, die objektiv Sagittalhorizontale scheinbar frontalhorizontal verl\u00e4uft. Vp. 1 erlebte bei dieser Lagerung der Hand vielfach einen Wettstreit der Eindr\u00fccke, indem die gleiche Darbietung, also z. B. die Einstellung auf objektiv frontalhorizontal einmal sagittalhorizontal, das zweite Mal frontalhorizontal zu stehen schien. Sie befand sich nach ihren Angaben oft in gro\u00dfer Verwirrung \u00fcber die Richtung, in der die Schneide der Handfl\u00e4che aufgelegt war. Es war ihr aber, sozusagen auf dem Wege geometrischer Konstruktion m\u00f6glich, die Richtung des Verlaufes der Schneide zu bestimmen. Sie brauchte sich dann blo\u00df zuerst die Lage der durch die Enden der Schneide ber\u00fchrten Tastpunkte zueinander vorzustellen und dann die Lagerung der Hand. Durch wiederholte Versuche lernte sie dies immer besser, so da\u00df bei dieser Handhaltung sp\u00e4ter immer geringere Abweichungen zwischen objektivem und subjektivem Verlauf der Koordinaten gefunden wurden. Gelegentlich deckte sich sogar das subjektive Erleben mit der Darbietung.\nBewegen wir die Hand in der Horizontalfl\u00e4che von 90 gegen 180\u00b0, so wird der Fehler anf\u00e4nglich immer kleiner. Bei 105\u00b0 ist er ausnahmslos bei allen Vpn. gleich Null, so da\u00df objektiver und subjektiver Verlauf der frontal- und sagittalhorizon-talen Koordinate miteinander v\u00f6llig \u00fcbereinstimmen. Dies ist mit der Tatsache in Zusammenhang zu bringen, da\u00df die H\u00e4nde in dieser Lage beim Arbeiten am meisten benutzt werden. Sie kehren sich die Fingerspitzen zu und schlie\u00dfen miteinander einen spitzen Winkel ein. So gebrauchen wir sie beim Halten von Gegenst\u00e4nden, beim Schreiben, vielfach beim Lesen usf.\nVon 105 bis 180\u00b0 ergeben sich wieder fortlaufend Fehler, wobei die'Winkel diesmal f\u00fcr die linke Hand mit einem positiven, f\u00fcr die rechte mit einem negativen Vorzeichen zu versehen sind.\nAus diesen Messungen ergibt sich die wichtige Tatsache, da\u00df","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Beeinflussung der haptischen Richtungswahrnehmung usw.\n35\nes f\u00fcr die Feststellung der Richtung mit Hilfe der ruhenden Tastfl\u00e4che durchaus nicht gleichg\u00fcltig ist, in welcher Lagerung wir sie benutzen. Jede \u00c4nderung einer Normalhaltung wird psychisch\nwie sich bei einer ganzen Anzahl von anderen Vorg\u00e4ngen herausgestellt hat1 nicht vollkommen, sondern nur teilweise verwertet. Auf dieser Grundlage beruhen die T\u00e4uschungen.\nDie Gr\u00f6\u00dfe der psychischen Verwertung der Lage\u00e4nderung kann man ermitteln, wenn man einmal den Winkel a kennt, um den die Hand aus der Normallage bewegt wurde und ferner den Winkel \u00df bestimmt, als Abweichung des subjektiven Verlaufs der betreffenden Koordinate von ihrem objektiven. Mit Hilfe des\nAusdruckes \u2014 ist der Grad der Gr\u00f6\u00dfe der psychischen\nVerwertung der Lage\u00e4nderung in Prozenten feststellbar. Als Normallage mu\u00df nat\u00fcrlich diejenige Stellung der Hand genommen werden, bei der der Fehler gleich Null ist. Das ist also bei einer Lagerung der Hand der Fall, bei der die Fingerspitzen auf 105\u00b0 weisen.\nBezieht man die gemessenen Werte auf diese Normalstellung, so ergibt sich z. B. bei Vp. 1 \u2014 siehe Tab. 2 \u2014, da\u00df mit zunehmender Abweichung der Tastfl\u00e4che aus der Normalstellung der Grad der psychischen Verwertung der Lage\u00e4nderung immer geringer wird. Wenn dies bei den anderen Vpn. nicht ausnahmslos in gleicher Weise der Fall ist, so ist das darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, da\u00df die scheinbaren Verdrehungen des Koordinatensystems bei\nTabelle 2\nVerwertung der Lage\u00e4nderung der Hand in Prozenten bei Ausmessung der Frontal- und Sagittalhorizontalen in der Horizontalebene.\nLinke Hand. Volarfl\u00e4che nach aufw\u00e4rts\nLage der Hand bei\tFront.\t1 Sagitt.\tFront.\t\\ 2 Sagitt.\trP- Front.\t3 Sagitt.\tFront.\t4 Sagitt.\n0\u00b0\t14,5\t14,5\t76\t76\t43\t47,5\t81\t81\n45\u00b0\t58,5\t58,5\t83,5\t83,5\t41,5\t50\t83,5\t83,5\n90\u00b0\t53,5\t53,5\t66,5\t66,5\t53,5\t53,5\t66,5\t66,5\n105\u00b0\t100\t100\t100\t100\t100\t100\t100\t100\n135\u00b0\t50\t50\t50\t75\t40\t25\t75\t75\n180\u00b0\t15,5\t15,5\t77\t77\t84,5\t81,5\t84,5\t84,5\n1 s. Fu\u00dfnote 2 S. 29.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nGerd Sommer\nVp. 1 am allergr\u00f6\u00dften waren. Bei den anderen Vpn. waren sie sehr viel geringer. Es lehrt dann ein einfacher \u00dcberschlag, da\u00df eine scheinbare Verdrehung des Koordinatensystems um 10\u00b0 bei einer Verlagerung der Tastfl\u00e4che aus der Normallage um 20 bis 30\u00b0 eine gro\u00dfe Rolle spielt, die jedenfalls sehr viel betr\u00e4chtlicher ist, als eine scheinbare Verdrehung des Koordinatensystems um 20\u00b0 bei einer Verlagerung der Tastfl\u00e4che um 90\u00b0.\nStellt man die gleichen Versuche an der rechten Hand an, so ergibt sich, worauf schon die fr\u00fcher gemachten Bemerkungen hinweisen, im gro\u00dfen ganzen ein gleichartiges Bild (s. Tab. 3 f\u00fcr 2 Vpn.). Es gibt immer eine Handstellung, bei der sich keine Abweichung findet, bei der sich also subjektive und objektive Frontal- und Sagittalhorizontale v\u00f6llig miteinander decken. Doch ist diese jetzt f\u00fcr Vp. 1 bei 110\u00b0, f\u00fcr Vp. 4 aber schon bei 90\u00b0\nTabelle 3\nAbweichungen des subjektiven vom objektiven Verlauf der Frontal- und\nSagittalhorizontalen in der Horizontalebene.\nRechte Hand. Volarfl\u00e4che aufw\u00e4rts gekehrt\nLage der\t\tVp.\t\t\n\t\t1\t\ti\nHand bei\tFrontale\tSagittale\tFrontale\tSagittale\n0\u00b0\t* + 22\t+ 22\t+ 20\t+ 15\n45\u00b0\t+ 17\t+ 17\t+ 4\t+ 4\n90\u00b0\t+ 5\t+ 5\t0\t0\n110\u00b0\t0\t0\t\t\n185\u00b0\t\u2014 8\t\u2014 5\t\u2014 5\t\u2014 5\n180\u00b0\t\u2014 28\t\u2014 28\t\u2014 20\t\u2014 20\ngegeben. Im ersten Falle findet man rechts und links das gleiche Ergebnis, im zweiten ein verschiedenes. Das mag damit Zusammenh\u00e4ngen, da\u00df rechte und linke Hand nicht ganz gleichm\u00e4\u00dfig in derselben Haltung am h\u00e4ufigsten benutzt werden.\nSowie man die Hand aus dieser Normalhaltung herausbringt, werden die Abweichungen immer gr\u00f6\u00dfer, sowohl gegen 0\u00b0 zu als auch gegen 180\u00b0. Sie sind bei der rechten Hand etwas geringer als bei der linken. Besonders auff\u00e4llig ist diese Erscheinung bei Vp. 1 in einer Lagerung der Hand bei 0\u00b0, wo wir jetzt nur eine Abweichung von -(-20\u00b0 finden, w\u00e4hrend diese f\u00fcr die linke \u201490\u00b0 betrug. Das ist ein Ausdruck f\u00fcr die Tatsache, da\u00df die rechte","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Beeinflussung der haptischen Richtungswahrnehmung usw.\n37\nHand beim Tasten im allgemeinen sehr viel mehr in den verschiedenartigsten Stellungen benutzt wird, als die linke, da\u00df sie also die bevorzugtere ist. Es ist von Interesse, festzustellen, da\u00df man bei Untersuchung der haptischen Richtungswahrnehmung daf\u00fcr einen zahlenm\u00e4\u00dfigen Ausdruck in der Gr\u00f6\u00dfe der Abweichung des subjektiven vom objektiven Verlauf der Koordinaten findet.\n2. V\u00f6llig gleichartige Messungen wurden an den 4 Vpn. auch in der Sagittalebene angestellt, jetzt zur Bestimmung der Sagittalhorizontalen und Vertikalen. Die Volarfl\u00e4che der linken Hand war bei dieser Versuchsreihe dem K\u00f6rper zugekehrt. Dabei ergeben sich \u2014 siehe Tab. 4 \u2014 ebenfalls gewisse Abweichungen zwischen dem objektiven und subjektiven Verlauf der betreffenden Koordinaten. Doch sind diese im allgemeinen keine so gro\u00dfen, als sie sich bei den Messungen in der Horizontalebene gezeigt haben. Nur bei Vp. 1 nehmen sie einen gr\u00f6\u00dferen Umfang an,\nTabelle 4\nAbweichungen des subjektiven vom objektiven Verlauf der Sagittalhorizontalen und Vertikalen in der Sagittalebene.\nLinke Hand. Volarfl\u00e4che dem K\u00f6rper zugekehrt\nLage der Hand bei\tSagitt.\t1 Vert.\tSagitt.\t\\ 2 Vert.\trP- Sagitt.\t3 Vert.\tSagitt.\t4 Vert.\n360\u00b0 340\u00b0\t+ \u00ab 0\t+ 8 0\t+ 18\t+ 18\t0\t0\t+ 15\t+ 15\n315\u00b0\t\u2014 23\t\u2014 17\t+ 10\t+ 10\t\u2014 15\t\u2014 15\t+ 10\t+ 10\n270\u00b0\t\u2014 45\t\u2014 45\t0\t0\t\u2014 17\t\u2014 17\t0\t0\nindem bei einer Handhaltung auf 270\u00b0 des Teilkreises Abweichungen des subjektiven vom objektiven Verlauf der Sagittalhorizontalen und Vertikalen von \u2014-45\u00b0 gefunden werden. Die geringe Gr\u00f6\u00dfe der Abweichungen weist darauf hin, da\u00df die Normalhaltung der Hand in dieser Ebene keine so fixierte ist, wie in der horizontalen. Dies steht offenbar damit im Zusammenhang, da\u00df wir, wenigstens im Bereiche zwischen Sagittal- und Vertikalhaltung der Hand nach oben, gew\u00f6hnt sind, sie in den verschiedensten Lagen zu benutzen.\nBemerkenswert ist, da\u00df die Normalhaltung der Hand bei den verschiedenen Vpn. hier merklich voneinander abweicht, im","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nGerd Sommer\nGegensatz zn dem Ergebnis unserer Messungen in der Horizontalebene. So ergibt sieh, da\u00df der Fehler gleich Null ist f\u00fcr Vp. 1 bei einer Einstellung der Hand auf 340\u00b0 des Teilkreises. Diese wird also offenbar im Leben vorzugsweise so gehalten, da\u00df sie leicht nach vorn zu ansteigt. Bei Vp. 3 ist die Normallage gegeben bei Einstellung der Hand auf 360\u00b0, bei Vpn. 2 und 4 bei Einstellung der Hand auf 270\u00b0.\n3. Die Messungen an den 4 Vpn. zur Bestimmung des Verlaufes der Frontalhorizontalen und Vertikalen in der Frontal-ebene wurden bei einer Haltung der linken Hand vorgenommen, bei der die Volarfl\u00e4che dem K\u00f6rper abgekehrt war. Die Abweichungen sind im allgemeinen geringe, diesmal auch bei Vp. 1 (siehe Tab. 5). Der Fehler Null ergibt sich bei einer Haltung der Hand, die individuell etwas schwankt. F\u00fcr die Vpn. 1, 3 und 4 ist dies ann\u00e4hernd eine Einstellung bei 90\u00b0, f\u00fcr die Vp. 2 bei 135\u00b0.\nTabelle 5\nAbweichungen des subjektiven vom objektiven Verlauf der Frontalhorizontalen und Vertikalen in der Frontalebene.\nLinke Hand. Volarfl\u00e4che dem K\u00f6rper abgekehrt\nLage der Hand bei\tHoriz.\t1 Vert.\tHoriz.\tV 2 Vert.\tP- Horiz.\t3 Vert.\tHoriz.\t4 Vert.\n0\u00b0\t\u2014 22\t\u2014 25\t\u2014 25\t\u2014 25\t\u2014 5\t\u2014 10\t\u2014 10\t\u2014 10\n45\u00b0\t\u2014 12\t\u2014 12\t\u2014 18\t\u2014 18\t\u2014 5\t\u2014 2\t\u2014 8\t\u2014 8\n90\u00b0\t0\t0\t\u2014 5\t\u2014 5\t+ 2\t+ 2\t_ 2\t\u2014 2\n135\u00b0\t+ 13\t-f- 13\t0\t0\t+ 3\t+ 3\t+ 1\t4- 1\n180\u00b0\t+ 25\t+ 25\t+ ?\t+ 7\t+ 5\t+ 7\t+ 2\t+ 2\nDer Vollst\u00e4ndigkeit halber sei erw\u00e4hnt, da\u00df analoge Messungen an der Volarseite des Unterarmes vorgenommen wurden. Sie haben im wesentlichen zu gleichen Ergebnissen gef\u00fchrt.\nIII. Zusammenfassung\nDie Beurteilung der Richtung der Verbindungslinie zweier Tastpunkte h\u00e4ngt ab: einmal von der Lage der beiden ber\u00fchrten Stellen auf der Tastfl\u00e4che, zum zweiten von der Lagerung der Tastfl\u00e4che im Raume. Da die Hand nicht in allen Haltungen gleich h\u00e4ufig benutzt wird, so findet die Verwertung","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Beeinflussung der haptischen Richtungswahrnehmung usw.\n39\nder Lage\u00e4nderung der Tastfl\u00e4chen psychisch nicht immer in\neiner vollkommenen Weise statt. Auf dieser Grundlage ergeben\n\u2022 \u2022\nsich bei jeder \u00c4nderung der Normalhaltung der Hand Abweichungen des objektiven vom subjektiven Verlauf der 3 Koordinaten, der Frontal-, Sagittalhorizontalen und Vertikalen. Diese Abweichungen sind besonders ausgepr\u00e4gt bei Verlagerung der Hand in der Horizontalebene. Sie sind geringer in der Sagittal- und Frontalebene. Durch Ausmessung des Grades der T\u00e4uschung sind wir imstande die sog. Normalhaltung der H\u00e4nde zu bestimmen, die gewohnheitsgem\u00e4\u00df am h\u00e4ufigsten eingenommen wird. Es zeigt sich, da\u00df diese gegeben ist, wenn die H\u00e4nde wie beim gew\u00f6hnlichen Betasten von Gegenst\u00e4nden und beim Schreiben einander mit den Fingerspitzen zugekehrt sind. Sie schlie\u00dfen dann einen spitzen Winkel von etwa 30 bis 40\u00b0 miteinander ein und sind dabei zumeist leicht erhoben.","page":39}],"identifier":"lit35987","issued":"1930-31","language":"de","pages":"28-39","startpages":"28","title":"\u00dcber die Beeinflussung der haptischen Richtungswahrnehmung durch Verlagerung der Tastfl\u00e4chen","type":"Journal Article","volume":"61"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:12:07.327291+00:00"}