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Über die Bedeutung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergrößerung von Sonne und Mond am Horizont

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{"created":"2022-01-31T16:44:34.757439+00:00","id":"lit35997","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Leiri, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 61: 325-334","fulltext":[{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"325\n\u2022 \u2022\nUber die Bedeutung der roten Strahlen bei der scheinbaren Yergr\u00f6fserung von Sonne und Mond am Horizont\nVon\nF. Leiei (Helsingfors)\nMit 1 Abbildung im Text\nSeit Aristoteles und Ptolem\u00e4us haben die Naturforscher eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr das eigent\u00fcmliche Verhalten zu finden versucht, da\u00df uns Sonne und Mond am Horizont bedeutend gr\u00f6\u00dfer Vorkommen als weiter oben am Himmelsgew\u00f6lbe und da\u00df, wenn ein Sternbild sich am Horizont befindet, die verschiedenen Sterne in gr\u00f6\u00dferem Abstand voneinander erscheinen, als wenn es n\u00e4her beim Zenit liegt. Die verschiedenen Theorien, die zur Erkl\u00e4rung dieses Ph\u00e4nomens aufgestellt worden sind, haben sich nicht als befriedigend erwiesen, und ich will hier nicht auf sie eingehen, sondern verweise auf Reimanns Zusammenstellung der \u00e4lteren Literatur. Von neueren Arbeiten will ich nur die Untersuchungen Filehnes und Zoths \u00fcber die Bedeutung des monokularen perspektivischen Sehens und der Blickrichtung f\u00fcr die verschiedene scheinbare Gr\u00f6\u00dfe der Himmelsk\u00f6rper bei verschiedener H\u00f6he am Himmelsgew\u00f6lbe ber\u00fchren. Der Hauptzweck des vorliegenden Aufsatzes ist jedoch die Rolle des roten Lichtes bei der Entstehung der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung von Sonne und Mond am Horizont darzulegen.\nIn einem Brief an Bessel (9. IV. 1830) schreibt Gauss (zitiert nach Reumann) : \u201eBetrachte ich den hochstehenden Vollmond in einer r\u00fcckw\u00e4rts sehr geneigten K\u00f6rperlage, wobei der Kopf gegen den \u00fcbrigen K\u00f6rper die gew\u00f6hnliche Lage hat, so da\u00df der Mond etwa senkrecht gegen das Gesicht scheint, so sehe ich ihn viel gr\u00f6\u00dfer, und umgekehrt sehe ich den im Horizont stehenden Vollmond bei vorw\u00e4rts geneigtem K\u00f6rper merklich kleiner.\u201c Der von Gauss konstatierte Einflu\u00df der Blickrichtung auf die scheinbare Gr\u00f6\u00dfe des Mondes ist sp\u00e4ter durch die Untersuchungen Zoths best\u00e4tigt worden. Bei der theoretischen Erkl\u00e4rung der Bedeutung der Blickrichtung bei diesem Ph\u00e4nomen geht Zoth von dem von Hering aufgestellten Satze aus, \u201eda\u00df Senkung der Blickebene eine Vergr\u00f6\u00dferung, Hebung eine Verkleinerung des Konvergenz-","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326\nF. Leiri\nwinkeis der Gesichtslinien beg\u00fcnstigt\u201c. . . . \u201eWenn beim Erbeben des Blickes rein mecbaniscb Au\u00dfenwendung auftreten w\u00fcrde, so wird f\u00fcr die Paralleleinstellung der Gesicbtslinien oder wohl auch bei monokularer Betrachtung bei der Einstellung in die Ferne ein besonderer Impuls auf die Interni ausge\u00fcbt werden, der zun\u00e4chst mit dem ihm entsprechenden Akkommodationsimpulse verbunden sein d\u00fcrfte.\u201c . . . \u201eEin entferntes Objekt, z. B. der Mond, wird sonach bei der geraden Blickrichtung ohne Konvergenzimpuls, bei erhobenem Blicke mit Konvergenz- (und Akkommo-dations-?)impuls gesehen. Von zwei gleich gro\u00dfen Netzhautbildern, deren eines mit, das andere ohne Konvergenzimpuls, gesehen wird, erscheint aber, sofern sich die T\u00e4uschung in bezug auf die Gr\u00f6\u00dfe geltend macht, bekanntlich das mit Konvergenzimpuls gesehene kleiner. . .\u201c\nDie von Zoth angenommenen verschiedenen Konvergenzimpulse sind jedoch nicht die einzige Ursache des fraglichen Ph\u00e4nomens. Betrachtet man n\u00e4mlich den Mond am Horizont in stark vorw\u00e4rtsgeneigter Stellung, wobei der Blick maximal gehoben werden mu\u00df, so verkleinert er sich nur unbedeutend, upd wenn man den hochstehenden Mond r\u00fcckw\u00e4rtsgeneigt unter demselben Blickwinkel zum K\u00f6rper wie bei Betrachtung des Horizonts in aufrechter Stellung ansieht, so ist die Vergr\u00f6\u00dferung minimal. Da\u00df die verschiedene Blickrichtung nicht zur vollen Erkl\u00e4rung der fraglichen Ph\u00e4nomene gen\u00fcgt, sieht auch Zoth ein, wenn er in einer sp\u00e4teren Arbeit sagt: \u201eIch habe durchaus keine Theorie der Blickrichtung als ausschlie\u00dfliche Erkl\u00e4rung der beiden Ph\u00e4nomene aufgestellt, sondern nur gezeigt, da\u00df die Blickrichtung von Einflu\u00df darauf ist.\u201c\nIm Gegensatz zu Zoth behauptet Filehne, da\u00df die Hauptursache zu der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung der Himmelsk\u00f6rper am Horizont in unserer F\u00e4higkeit liegt, in der Horizontalebene auch auf weite Strecken stereoskopisch zu sehen, wo das binokulare stereoskopische Sehen nicht in Frage kommen kann, d. h. in unserer F\u00e4higkeit des monokularen Tiefsehens. Dieses stereoskopische Sehen ist mit einem Dehnen der entfernter gelegenen Sehdinge verbunden. Zur Veranschaulichung seiner Auffassung f\u00fchrt Filehne folgendes Beispiel an: \u201eWenn wir am Seestrande etwa 50 Schritte von der Brandung entfernt stehen und Strand und See betrachten so nehmen wir die See als weit ausgedehnt wahr, den Strand dagegen als verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig schmalen Streifen.","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"Die Bedeutung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung usic. 327\nUnd doch betr\u00e4gt der Sehwinkel, unter dem wir den Strand sehen, 871/2\u00b0, w\u00e4hrend die ganze f\u00fcr uns sich weit ausdehnende See nur einen Winkel von weniger als 21/2\u00b0 ausf\u00fcllt.\u201c Das monokulare Tiefsehen und das damit verbundene Dehnen der optischen Bilder der weiter entfernt liegenden Gegenst\u00e4nde in unserem Bewu\u00dftsein ist nur f\u00fcr Blickrichtungen in der Horizontalebene entwickelt, weil wir, nach Filehne, uns nur bei diesen eine Erfahrung \u00fcber die Form und Gr\u00f6\u00dfe wTeiter entfernt liegender Gegenst\u00e4nde und deren gegenseitigen Abstand zu verschaffen verm\u00f6gen. Das erworbene horizontalvertiefende perspektivische Sehen ist \u201eein wirklicher Akt der Psyche\u201c (Filehne).\nIn einer fr\u00fcheren Arbeit (Leiei) habe ich die Ansicht ausgesprochen, da\u00df das monokulare Tiefsehen auf der von mir angenommenen extralentikularen Akkommodation beruhe. Mit Hilfe derselben ordnen sich die retinalen Bilder der aufeinanderfolgenden Gegenst\u00e4nde im unteren Teil des Sehraumes zu einer sozusagen plastischen Abbildung des Sehraumes, und wir erhalten auch bei monokularem Sehen die Wahrnehmung der Tiefe. In meiner Arbeit machte ich geltend, da\u00df die extralentikulare Akkommodation durch verschiedene Blutf\u00fclle verschiedener Teile der Chorioidea verursacht werde. Durch die Untersuchungen von van Gendeeen Stoets u. a. (nach Dittlee) wissen wir, da\u00df die Zapfen der Netzhaut kontraktil sind. Vielleicht k\u00f6nnen sie durch ihre Kontraktionen zur Ausformung der kleinsten Einzelheiten des \u201eplastischen Bildes\u201c des Sehraumes auf dem Augenhintergrund beitragen. Es ist bekannt, da\u00df Licht und Dunkel verschiedene Kontraktionszust\u00e4nde der Zapfen hervorrufen und da\u00df sie im Dunkeln l\u00e4nger als im Lichte sind. Licht und Schatten spielen auch eine gro\u00dfe Rolle bei dem monokularen Tiefsehen, so da\u00df man durch eine geeignete Anordnung derselben sogar eine scheinbare Umkehrung des Reliefs von Gegenst\u00e4nden erhalten kann, wTie bei folgendem Versuch: \u201eWenn man von einer Medaille, welche in ziemlich flachem Relief geschnitten ist, einen Abgu\u00df in Gips oder Stearin macht, der also eine Matrize darstellt, an der alle konvexen Kr\u00fcmmungen des Originals konkav, alle hervorragenden Teile vertieft erscheinen, und man die Matrize so legt, da\u00df sie von schr\u00e4g \u00fcberfallendem Tageslicht beleuchtet wird, und also kr\u00e4ftig schattiert erscheint, so glaubt man, mit einem Auge danach hinsehend, sehr leicht eine Patrize zu sehen von der urspr\u00fcnglichen Form der Medaille\u201c (Helmholtz). Das mono-","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"B28\nF. Leiri\nkulare Tiefsehen ist ganz gewi\u00df \u201eein erworbener Akt der Psyche\u201c, wie Filehne meint. Die Nervenschicht der Retina ist ja ihrem Bau nach mit der grauen Substanz des Gehirns zu vergleichen (Schaeeer) und kann vielleicht an diesem psychischen Akt mit einer so komplizierten T\u00e4tigkeit teilnehmen, wie es die Innervation der extralentikularen Akkommodation ist.\nF\u00fcr die Richtigkeit der Auffassung Filehnes, da\u00df es das Dehnen in unserem Bewu\u00dftsein der am Horizont betrachteten Gegenst\u00e4nde ist, das eine Vergr\u00f6\u00dferung der dort befindlichen Himmelsk\u00f6rper bedingt, scheint folgender Versuch zu sprechen. Projiziert man das Bild der hochstehenden Sonne oder des hochstehenden Mondes mittels einer als Spiegel wirkenden durchsichtigen Glasscheibe auf den Horizont, so nimmt man eine Vergr\u00f6\u00dferung derselben nur dann wahr, wenn man gleichzeitig die umgebenden Gegenst\u00e4nde am Horizont erblickt.\nEs mu\u00df aber zu der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung von Sonne und Mond am Horizont noch eine Ursache geben, welche auch in dem Fall ihre Wirkung aus\u00fcben kann, da\u00df man dieselben durch ein so stark beru\u00dftes Glas betrachtet, da\u00df die Umgebung nicht wahrgenommen werden kann, und wobei also das von Filehne hervorgehobene Dehnen der Sehdinge bei dem horizontalvertiefenden monokularen perspektivischen Sehen nicht auftreten kann. Zoth und andere haben n\u00e4mlich auch unter diesen Verh\u00e4ltnissen eine Vergr\u00f6\u00dferung der tief stehenden Sonne konstatieren k\u00f6nnen, obwohl sie uns, wie Zoth bemerkt, doch m\u00f6glicherweise etwas geringer erscheint als bei unmittelbarer Betrachtung. Diese Ursache ist das rote Licht von Sonne und Mond am Horizont. Dieses rote Licht ist bekanntlich dadurch bedingt, da\u00df in den zun\u00e4chst \u00fcber dem Erdboden befindlichen Schichten der Atmosph\u00e4re immer Dunst und Staubpartikelchen vorhanden sind, die teils durch optische Streuung, teils auch durch Absorption, die k\u00fcrzeren Lichtwellen in gr\u00f6\u00dferem oder geringerem Grade hindern die Atmosph\u00e4re zu durchdringen, und nur die l\u00e4ngeren Lichtwellen des roten Teils des Spektrums durchlassen (Pernter). Diese Filtrierung des Lichtes ist desto gr\u00f6\u00dfer und Sonne und Mond erscheinen desto roter, je tiefer unten sie sich befinden, weil das Licht da einen weiteren Weg durch die Atmosph\u00e4re zur\u00fcckzulegen hat und die untersten Luftschichten mehr Dunst und Staubpartikelchen enthalten als die h\u00f6hergelegenen. Henninh d\u00fcrfte der einzige sein, der fr\u00fcher die Aufmerksamkeit auf die","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Die Bedeutung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung usw. 329\nBedeutung des roten Lichtes f\u00fcr die Entstehung einer scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung von Sonne und Mond am Horizont gelenkt hat. Er konstatierte, wie auch irdische Gegenst\u00e4nde vergr\u00f6\u00dfert und auf l\u00e4ngeren Strecken als sonst wahrgenommen werden, wenn sie am Horizont in der N\u00e4he der untergehenden Sonne liegen und von deren rotem Schein beleuchtet werden. Henning d\u00fcrfte jedoch nicht die richtige theoretische Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Wirkung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung gefunden haben. Er meint n\u00e4mlich, sie k\u00f6nne mit Hilfe der A\u00fcBERT-F\u00d6RSTERschen und KosTERschen Gesetze erkl\u00e4rt werden, die nach Henning \u201edie Beziehung zwischen scheinbarer Gr\u00f6\u00dfe, Beleuchtung und Sehsch\u00e4rfe\u201c regeln w\u00fcrden. Meines Erachtens ist die Erkl\u00e4rung der Wirkung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung von Sonne und Mond am Horizont eine andere, als Henning sich gedacht hat, und ich werde im folgenden meine Gesichtspunkte entwickeln.\nZuerst will ich auf den Umstand aufmerksam machen, da\u00df das Auge nicht achromatisch ist, obwohl sich die Farbenzerstreuung bei gew\u00f6hnlichem Sehen nicht bemerkbar macht. Da\u00df der lichtbrechende Apparat im Auge f\u00fcr verschiedene einfache Strahlen verschiedene Brennweite hat, wurde schon von Fraunhoeer nachgewiesen (zitiert nach Helmholtz). Helmholtz hat die Gr\u00f6\u00dfe der auf der chromatischen Aberration des Auges beruhenden Zerstreuung berechnet und gefunden, da\u00df die von derselben verursachten Zerstreuungskreise ebenso gro\u00df sind wie die, welche von einem leuchtenden Punkt in 1V2 m Abstand von einem Auge, das f\u00fcr Unendlich akkommodiert, hervorgerufen werden. Die chromatische Aberration gibt sich bei der Betrachtung von Gegenst\u00e4nden, die wei\u00dfes Licht aussenden, nicht zu erkennen, weil die Netzhaut hierbei nach Helmholtz eine solche Stellung einnimmt, da\u00df sich die lichtstarken gelben und gr\u00fcnen Strahlen in Punkten auf derselben vereinigen und der von weniger brechbaren roten und mehr brechbaren blauen und violetten Strahlen hervorgerufene purpurfarbene Rand zu schmal und lichtschwach ist, um wahrgenommen werden zu k\u00f6nnen.\nEin anderes Verhalten tritt ein, wenn man die tief stehende Sonne und den tiefstehenden Mond betrachtet. Infolge der vorher erw\u00e4hnten Filtration des Lichtes in den unteren Schichten der Atmosph\u00e4re nimmt das Auge von diesen Himmelsk\u00f6rpern vorzugsweise rote Strahlen auf, die weniger als die gelben und","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nF. Leiri\ngr\u00fcnen Strahlen gebrochen werden, f\u00fcr welch letztere die Netzhaut eingestellt ist, wenn das Auge bei der Betrachtung des fernen Horizonts f\u00fcr Unendlich akkommodiert. Diese roten Strahlen vereinigen sich hinter der Netzhaut, und die Folge davon ist, da\u00df die tiefstehende Sonne und der tiefstehende Mond auf der Netzhaut mit Zerstreuungskreisen abgebildet werden, welche rot, d. h. von derselben Farbe sind, wie auch die geometrische Abbildung von Sonne und Mond auf der Netzhaut, wenn sich die Strahlen auf derselben vereinigen w\u00fcrden. Bei der Betrachtung der fraglichen roten Gegenst\u00e4nde am Horizont d\u00fcrften die Zerstreuungskreise recht gro\u00df sein, weil die leile der Netzhaut, auf denen sich die entfernten Gegenst\u00e4nde abbilden, infolge der von mir angenommenen exti alentikularen Akkommodation etwas nach vorn verschoben sind, damit eine distinkte Abbildung des Horizonts erhalten wird,\nw\u00e4hlend gleichzeitig die nahegelegenen Gegenst\u00e4nde deutlich wahrgenommen werden.\nBei der Betrachtung der tiefstehenden Sonne und des tiefstehenden Mondes tritt also Irradiation auf, d. h. dasselbe Verhalten wie bei der Betrachtung eines Gegenstandes mit unrichtiger Akkommodation. Ich will im folgenden nach Helmholtz auf die Entstehung der Irradiation und ihren vergr\u00f6\u00dfernden Einflu\u00df auf den betrachteten Gegenstand eingehen:\n\u201eAlle diese Erscheinungen reduzieren sich darauf, da\u00df die R\u00e4nder heller Fl\u00e4chen im Gesichtsfelde sich gleichsam verschieben und \u00fcber die benachbarten dunkleren Fl\u00e4chen \u00fcbergreifen. Sie greifen desto mehr \u00fcber je ungenauer die Akkommodation ist, je gr\u00f6\u00dfere Zerstreuungskreise also ein jeder lichte Punkt der Fl\u00e4che im Auge entwirft. Nun wissen wir aber, da\u00df auch bei genauester Akkommodation die Zerstreuungskreise nicht ganz fehlen wegen der Farbenzerstreuung und der \u00fcbrigen Abweichungen des Auges, die wir . . . unter dem Namen der monochromatischen Abweichungen des Auges zusammengefa\u00dft haben. Durch diese Zerstreuungskreise wird nun bewirkt, da\u00df am Rande des Netzhautbildes einer hellen Fl\u00e4che Licht sich weiter verbreitet, als das geometrische Bild der Fl\u00e4che reicht, aber auch die Dunkelheit greift \u00fcber den Rand des Bildes, d. h. das Licht fangt schon innerhalb des Randes, wo es noch seine volle St\u00e4rke haben sollte, an abzunehmen. Es sei in Abb. 1 c ein Punkt des Randes einer hellen Fl\u00e4che, bg eine senkrecht gegen den Rand gezogene gerade Linie. Senkrecht gegen dieselbe seien Ko-","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Die Bedeutung der roten Strahlen hei der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung usiv. 33\\\nordinaten aufgetragen, welche der objektiven Helligkeit in den entsprechenden Punkten von fog proportional sind. W\u00e4re das Bild der Fl\u00e4che vollkommen genau, so w\u00fcrde die gebrochene Linie adcg die Gr\u00f6\u00dfe der Helligkeit ausdr\u00fcck en. Von b bis zum Rande der Fl\u00e4che bei c w\u00fcrde n\u00e4mlich die Fl\u00e4che die konstante Helligkeit H haben, von c ab nach g zu die Helligkeit 0. Wenn durch Mangel der Akkommodation Zerstreuungskreise gebildet werden, so nimmt dagegen, . . . die Helligkeit ab wie die Kurve afg. Es greift dabei sowohl das Helle \u00fcber das Dunkle \u00fcber in cg, als das Dunkle \u00fcber das Helle in ad, und so viel Licht sich \u00fcber den Rand hinaus verbreitet, mu\u00df nat\u00fcrlich innerhalb des Randes der hellen Fl\u00e4che entzogen werden. Solange wir nur die objektive Helligkeit ber\u00fccksichtigen, w\u00fcrden also die hellen Fl\u00e4chen durch die Zerstreuungskreise nicht vergr\u00f6\u00dfert erscheinen k\u00f6nnen. Im Gegenteil die Fl\u00e4che, welche die volle Helligkeit zeigt, ist durch die Zerstreuungskreise kleiner geworden, wenn auch die Fl\u00e4che, welche \u00fcberhaupt Licht empf\u00e4ngt, gr\u00f6\u00dfer geworden ist. Ber\u00fccksichtigen wir nun aber, da\u00df die Lichtemp-findung f\u00fcr die h\u00f6heren Stufen der objektiven Helligkeit gar nicht oder wenig verschieden ist, so folgt daraus, da\u00df die Verminderung des Lichts innerhalb der Fl\u00e4che weniger bemerkt werden wird, als die Erleuchtung vorher dunkler Stellen jenseits ihres Randes, so da\u00df also f\u00fcr die Empfindung die Ausbreitung des Hellen allein, und nicht die des Dunkels vergr\u00f6\u00dfert erscheint. Am auffallendsten wird die Erscheinung sein, wenn die Fl\u00e4che hell genug ist, da\u00df innerhalb der Zerstreuungskreise, die Lichtempfindung schon ihr Maximum erreicht. W\u00e4re das z. B. in Abb. 1 bei li der Fall, so w\u00fcrde die scheinbare Helligkeit bei h nicht mehr von der vollen Helligkeit im Innern der Fl\u00e4che zu unterscheiden sein. Die volle Helligkeit der Fl\u00e4che w\u00fcrde also bis h zu reichen scheinen und auch jenseits h erst langsam abzunehmen, ehe sie bei g ganz verschwindet. Daraus erhellt auch, warum f\u00fcr das Zustandekommen der Irradiation gro\u00dfe Helligkeit vorteilhaft ist. Desto n\u00e4her n\u00e4mlich an g liegt die Stelle, wo das Maximum der Lichtempfindung erreicht wird. Daraus erkl\u00e4rt\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 61\t23","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nF. Leiri\nsich auch, warum bei gesteigerter Helligkeit des Grundes, selbst wenn die Empfindung dieser Helligkeit dabei nicht weiter steigen kann, doch die Irradiation noch w\u00e4chst. Proportional der Ordinate H wachsen n\u00e4mlich bei gesteigerter objektiver Lichtst\u00e4rke s\u00e4mtliche Ordinaten der Kurve ag, und desto n\u00e4her an g r\u00fcckt also auch die Ordinate, welche der f\u00fcr das Maximum der Empfindung gen\u00fcgenden Helligkeit entspricht.\u201c\nEin wichtiger Faktor bei der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung von Sonne und Mond am Horizont ist also die Irradiation, die dadurch zustande kommt, da\u00df die genannten Himmelsk\u00f6rper unser Auge nur mit roten Lichtstrahlen beeinflussen, die sich nicht auf der Netzhaut des f\u00fcr Unendlich akkommodierenden Auges, sondern hinter demselben vereinigen. Die Irradiation ist gro\u00df, weil der Akkommodationsfehler bei der Betrachtung von Sonne und Mond am Horizont recht ansehnlich ist. Nach Helmholtz\u2019 Berechnungen m\u00fc\u00dften, wie oben hervorgehoben wurde, die roten Strahlen, um sich auf der Netzhaut zu vereinigen, von einem Punkt in 1% m Abstand vom Auge, nicht aus einem unendlichen Abstand kommen. Aber der Akkommodationsfehler d\u00fcrfte noch gr\u00f6\u00dfer sein, als Helmholtz ihn berechnet hat, da, wie ich angenommen habe, die extralentikulare Akkommodation die Teile der Netzhaut, auf denen sich die entfernten, am Horizont befindlichen Gegenst\u00e4nde abbilden, etwas nach vorn verschiebt. Die Irradiation ist ferner sehr gro\u00df, weil der Mond und besonders die Sonne sehr lichtstark sind und mithin, nach der oben gegebenen Beschreibung der Irradiation, die Lichtst\u00e4rke bis weit in die Peripherie der Zerstreuungskreise so gro\u00df sein mu\u00df, da\u00df das Licht wahrgenommen wird. Da Sonne und Mond unter relativ kleinen Gesichtswinkeln, ca. 30 Bogenminuten, gesehen werden, ist auch die durch die Irradiation entstandene Vergr\u00f6\u00dferung ihrer retinalen Bilder recht gro\u00df im Verh\u00e4ltnis zu den Bildern, die bei distinkter Abbildung mit richtiger Akkommodation entstehen, wenn sich die genannten Himmelsk\u00f6rper weiter oben am Himmelsgew\u00f6lbe befinden.\nF\u00fcr die Richtigkeit der Annahme, da\u00df das rote Licht tats\u00e4chlich eine gro\u00dfe Rolle bei der Entstehung der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung der Himmelsk\u00f6rper am Horizont spielt, spricht meiner Ansicht nach folgende Beobachtung. Der tief stehende Mond erscheint uns zuweilen ganz exzeptionell gro\u00df. Bei diesen Gelegenheiten ist immer Vollmond, d. h. Sonne und Mond befinden sich","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Die Bedeutung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung usw. 333\nbeiderseits von der Erde in Opposition. Ferner ist es bei diesen Gelegenheiten recht hell, also ist die Sonne noch nicht hinter dem Horizont verschwunden oder befindet sich wenigstens nicht allzu tief unter demselben. Weiter kann man konstatieren, da\u00df der Mond bei diesen Gelegenheiten sehr rot, obwohl im Verh\u00e4ltnis zum hellen Himmel ziemlich lichtschwach ist. Die intensiv rote Farbe des Mondes wird meines Erachtens dadurch verursacht, da\u00df infolge der Stellung von Sonne und Mond im Verh\u00e4ltnis zur Erde und der Brechung der Sonnenstrahlen in der Atmosph\u00e4re die Strahlen der Sonne, welche den Mond beleuchten, zum gro\u00dfen Teil durch tiefere optisch aktive Schichten der irdischen Atmosph\u00e4re gehen und schon dabei filtriert werden, so da\u00df der Mond vorzugsweise von rotem Licht getroffen wird. Das von dem tiefstehenden Mond zur Erde reflektierte Licht verliert weitere von den kurzwelligeren Strahlen in der Atmosph\u00e4re der Erde, und die Folge dieser doppelten Filtration des Lichtes ist die ausgepr\u00e4gt rote Farbe des Mondes. Das tiefrote Licht verursacht seinerseits eine st\u00e4rkere Irradiation und Vergr\u00f6\u00dferung des Mondes. Bei diesen Gelegenheiten kommt es uns vor, als habe sich der Mond recht nahe befunden. Diese T\u00e4uschung hat vielleicht folgende Ursache. Im Gegensatz zu dem von der Sonne hervorgerufenen, in seiner ganzen Ausdehnung lichtstarken und maximal reizenden Zerstreuungskreis entsteht wegen des relativ schwachen Scheins des Mondes bei den in Rede stehenden Gelegenheiten um dessen retinales Bild ein Zerstreuungskreis, der in der Peripherie so lichtschwach ist, da\u00df er sich vom Bild der Mondscheibe unterscheiden und deren Konturen undeutlich machen w\u00fcrde, wenn er nicht eliminiert w\u00fcrde. Das Auge, das ein reflektorisches Streben nach distinktem Sehen hat, kann diesen lichtschwachen Teil des Zerstreuungskreises mittels der lentikul\u00e4ren Akkommodation eliminieren. Aber ein Gegenstand, der mit Akkommodation, z. B. mit eserinisiertem Auge, betrachtet wird, scheint n\u00e4her zu liegen und gr\u00f6\u00dfer zu sein als ohne Akkommodation.\nSchon Helmholtz konstatierte, da\u00df die fehlende Achromasie im Auge zur Folge haben kann, da\u00df ein roter Streifen am Ende eines geschw\u00e4rzten Rohres uns n\u00e4her erscheint als ein blauer, und er bemerkt, da\u00df f\u00fcr deutliches Sehen des roten Streifens eine erheblich st\u00e4rkere Akkommodationsanstrengung erforderlich ist als f\u00fcr das des blauen Streifens. Da\u00df uns rote Gegenst\u00e4nde, die\nin einem in physiologischem Sinn unendlichen Abstand betrachtet\n23*","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nF. Leiri\nwerden, im allgemeinen nicht gr\u00f6\u00dfer als wei\u00dfe und blaue Vorkommen, beruht ganz sicher darauf, da\u00df diese Gegenst\u00e4nde gew\u00f6hnlich nicht so lichtstark sind, da\u00df hinreichend lichtstarke Zerstreuungskreise entst\u00e4nden, welche Irradiation verursachen w\u00fcrden.\nIch habe in diesem Aufsatz darlegen wollen, da\u00df die scheinbare Vergr\u00f6\u00dferung von Sonne und Mond am Horizont zum wesentlichen Teil auf Irradiation beruht, welche in dem f\u00fcr Unendlich eingestellten Auge wegen fehlerhafter Akkommodation f\u00fcr das rote Licht von diesen Himmelsk\u00f6rpern entsteht. Die Irradiation kann jedoch nicht den gr\u00f6\u00dferen Abstand zwischen den verschiedenen Sternen eines Sternbilds erkl\u00e4ren, wenn sich dieses am Horizont befindet als wenn es weiter oben am Himmelsgew\u00f6lbe steht. Bei der Entstehung des fraglichen Ph\u00e4nomens sind sicher auch andere Faktoren wirksam. Von diesen sind oben die verschiedene Blickrichtung und das \u201eDehnen\u201c der Sehgegenst\u00e4nde bei dem monokularen horizontalperspektivischen Sehen nach Filehne ber\u00fchrt wTorden. Eine Voraussetzung zu diesem Sehen d\u00fcrfte die fr\u00fcher von mir angenommene extralentikulare Akkommodation im Auge sein.\nLiteratur\n1.\tDittler, R., Die retinomotorischen Wirkungen des Lichtes. Handb. d.\nnormal, u. pathol. Physiol. Hrsg, von Bethe, v. Bergmann, Embden u. Ellinger. Bd. XII/1. 1929. S. 271.\n2.\tFilehne, W., Die Form des Himmelsgew\u00f6lbes. Pfl\u00fcgers Arch. 59, 279 (1895).\n3.\tFilehne, W., \u00dcber die Rolle der Erfahrungsmotive beim ein\u00e4ugigen per-\nspektivischen Sehen. Arch. f. Physiol. 1910. 392.\n4.\tGenderen St\u00f6rt, H. van, Form und Ortsver\u00e4nderungen der Netzhaut-\nelemente. Graefes Arch. 83, Abt. 3, 229 (1887).\n5.\tHelmholtz, H. von, Handbuch der physiolog. Optik. 3. Aufl. 1911.\n6.\tHenning, H., Die besonderen Funktionen der roten Strahlen beider schein\nbaren Gr\u00f6\u00dfe von Sonne und Mond am Horizont, ihr Zusammenhang mit dem AuBERT-F\u00d6RSTERschen und KosTERschen Ph\u00e4nomen und verwandte Beleuchtungsprobleme. Z. Sinnesphysiol. 50, 275 (1919).\n7.\tLeiri, F., Gibt es einen extralentikularen Akkommodationsmechanismus\nim Auge? Graefes Arch. 121, 213 (1928).\n8.\tPernter, J. M., Meteorologische Optik. 1908.\n9.\tReimann, E., Die scheinbare Vergr\u00f6\u00dferung der Sonne und des Mondes\nam Horizont. Z. Psychol. 30, 1 u. 161 (1902).\n10.\tSchaffer, J., Lehrbuch der Histologie und Histogen\u00e8se. 2. Aufl. 1922.\n11.\tZoth, O., \u00dcber den Einflu\u00df der Blickrichtung auf die scheinbare Form\ndes Himmelsgew\u00f6lbes. Pfl\u00fcgers Arch. 78, 363 (1899).\n12.\tZoth, O., Bemerkungen zu einer alten \u201eErkl\u00e4rung\u201c und zu zwei neuen\nArbeiten, betreffend die scheinbare Gr\u00f6\u00dfe der Gestirne und Form des Himmelsgew\u00f6lbes. Pfl\u00fcgers Arch. 88, 201 (1902).\nLippert & Co. G.m.b.H., Naumburg (Saale)","page":334}],"identifier":"lit35997","issued":"1930-31","language":"de","pages":"325-334","startpages":"325","title":"\u00dcber die Bedeutung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergr\u00f6\u00dferung von Sonne und Mond am Horizont","type":"Journal Article","volume":"61"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:44:34.757445+00:00"}

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