Open Access
{"created":"2022-01-31T16:43:48.269595+00:00","id":"lit36000","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"M\u00fcller, G. E.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 60: 71-88","fulltext":[{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"71\n\u2022 \u2022\nUber die von Chr. Ladd Franldm aufgestellte Theorie der Farbenempfindungen\nVon\nG. E. M\u00fcllek\nMan hat mich schon vor l\u00e4ngerer Zeit aufgefordert eine Beurteilung der hier erw\u00e4hnten Theorie, welche in Amerika anscheinend grofsen Anklang gefunden habe, zu geben. Ich habe dieser Aufforderung bisher aus verschiedenen Gr\u00fcnden nicht Folge geleistet. Nachdem nun aber neuerdings auch Ladd Franklin selbst in fast vorwurfsvollem Tone an mieh die Frage gestellt hat, weshalb ich in meinen Ver\u00f6ffentlichungen nicht zu ihrer Theorie Stellung nehme, will ich ihrem Wunsche entsprechen und im nachstehenden die vermifste Beurteilung, die vielleicht doch im Interesse der Wissenschaft liegt, liefern.\nLadd Franklin (im folgenden kurz mit F. bezeichnet), die im Eing\u00e4nge der sogleich anzuf\u00fchrenden Abhandlung von sich selbst sagt, dafs sie, wie jedermann wisse, f\u00fcr die Er\u00f6rterung dieses Gegenstandes ganz besonders qualifiziert sei, hat durch zahlreiche Abhandlungen und nicht ohne Erfolg die Aufmerksamkeit auf ihre Theorie zu lenken versucht. Ich halte mich im nachstehenden haupts\u00e4chlich an ihre als Anhang zur englischen \u00dcbersetzung der Physiologischen Optik von Helmholtz gedruckte Abhandlung \u00fcber die Natur der Farbenempfindungen, die auch in franz\u00f6sischer \u00dcbersetzung sich in L\u2019Ann\u00e9e Psychologique 25, (1925) findet.\n1. Darstellung der Theorie\nF. nimmt in ihrer Theorie, die sie als eine genetische oder evolutive bezeichnet, 3 Epochen in der Entwicklung des menschlichen Farbensinnes an. In der ersten Epoche gibt es in der Netzhaut nur eine, noch jetzt in den St\u00e4bchen konstatierbare,","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nG. E. M\u00fcller\nlichtempfindliche Substanz, die bei jeder sie erregenden Lichtart durch ein Produkt W ihrer photochemischen Reaktion zur Entstehung einer Weifsempfindung f\u00fchrt. In der zweiten Epoche ist diese Substanz durch eine intramolekulare Umgruppierung in ihrer Reaktion dem Lichte gegen\u00fcber spezifischer geworden, indem sie durch die beiden H\u00e4lften des Spektrums zur Bildung verschiedener die nerv\u00f6se Sehsubstanz erregender Zersetzungsprodukte veranlafst wird. Das von der langwelligen H\u00e4lfte des Spektrums ausgel\u00f6ste Zersetzungsprodukt Y liegt der Erweckung der Gelb-empfindung zugrunde, das von der kurzwelligen H\u00e4lfte ausgel\u00f6ste Zersetzungsprodukt B bedingt die Blauempfindung. Werden bei gleichzeitiger Einwirkung langwelliger und kurzwelliger Strahlen die Reizstoffe Y und B gleichzeitig gebildet, so vereinigen sie sich chemisch, um den erw\u00e4hnten Reizstoff W zu bilden, der zur Bewirkung der Weifsempfindung dient. Der dieser zweiten Epoche entsprechende Zustand findet sich noch jetzt bei den partiell Farbenblinden, in der mittleren (rotgr\u00fcnblinden) Zone der normalen menschlichen Netzhaut sowie bei den Bienen.\nIn der dritten Epoche hat sich die Erregbarkeit der lichtempfindlichen Substanz durch weitere intramolekulare Umgruppierung noch mehr spezifiziert, indem an die Stelle der zum Reizstoffe Y f\u00fchrenden Empfindlichkeit f\u00fcr die langwelligen Lichter eine zu einem Reizstoffe R f\u00fchrende Rotempfindlichkeit und eine zu einem Reizstoffe G f\u00fchrende Gr\u00fcnempfindlichkeit getreten ist. Einzeln gegeben ruft der Reizstoff R Roterregung, der Reizstoff G Gr\u00fcnerregung im Sehnerven hervor. Werden aber beide Reizstoffe durch gleichzeitige Einwirkung roter und gr\u00fcner Strahlen gleichzeitig gebildet, so werden sie durch eine einfache chemische Reaktion zu dem erw\u00e4hnten Reizstoff Y, der die Grundlage der Erweckung der Gelbempfindung ist.\nDas Eintreten der gegenfarbigen (komplement\u00e4ren) Nachbilder erkl\u00e4rt F. schon in ihrer in Z. Sinnesphysiol. 4 (1892) erschienenen Abhandlung folgendermafsen. Wie sich aus obigem ergibt, kommen auf der dritten Entwicklungsstufe des Farbensinnes die drei F\u00e4higkeiten, bei geeigneter Lichtein Wirkung -den Reizstoff R, den Reizstoff G, den Reizstoff B zu erzeugen, jedem einzelnen der lichtempfindlichen Molek\u00fcle zu. Angenommen nun z. B., rotes Licht habe eine Anzahl von lichtempfindlichen Molek\u00fclen zur Abgabe des Reizstoffes R veranlafst, so sind diese unvollst\u00e4ndig zersetzten Molek\u00fcle in einen Zustand hoher Labilit\u00e4t","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Die von Chr. Ladd Franklin aufgestellte Theorie der Farbenempfindungen 73\ngeraten, der zu einem allm\u00e4hlichen, die Reizstoffe G und B entstehen lassenden, also ein gr\u00fcnblaues Nachbild erzeugenden Molek\u00fclzerfall f\u00fchrt. Entsprechend entsteht das einer Gr\u00fcnempfindung nachfolgende rotblaue Nachbild dadurch, dafs die durch die Abgabe des Reizstoffes G in einen labilen Zustand geratenen Molek\u00fcle unter Bildung der Reizstoffe R und B allm\u00e4hlich zerfallen.\nDie hier dargestellte Theorie entspricht nach der Ansicht von F. den Anforderungen, die in erster Linie an eine Theorie der Farbenempfindungen zu stellen seien, n\u00e4mlich den Anforderungen, dafs sie erstens der Tatsache gerecht werde, dafs sich alle Farbenempfindungen mittels dreier geeignet gew\u00e4hlter, spektraler Eichlichter herstellen lassen, dafs sie zweitens verst\u00e4ndlich mache, wie es trotz dieser Herstellbarkeit aller Farbenempfindungen durch drei Reizvariable die F\u00fcnfzahl der Grundempfindungen des Roten, Gelben, Gr\u00fcnen, Blauen und Weifsen geben k\u00f6nne (auf die von F. vertretene eigent\u00fcmliche Ansicht von der Schwarzempfindung komme ich weiterhin zu sprechen), dafs sie drittens das Nichtvorkommen der rotgr\u00fcnen und der gelbblauen Empfindungen erkl\u00e4re, und dafs sie viertens der sehr bedeutsamen Tatsache gerecht werde, dafs der Verlauf der Entwicklung des Farbensinnes verstehen lasse, weshalb der Dreizahl der zur Herstellung aller Farbenempfindungen ausreichenden Eichlichter eine F\u00fcnfzahl der Grundempfindungen gegen\u00fcbersteht. Bei der letzten Anforderung handelt es sich nicht um eine Tatsache, der die Theorie entsprechen soll, sondern um eine von uns nicht geteilte Meinung, die F. von der Leistungsf\u00e4higkeit ihrer Theorie hat. Wir kommen sp\u00e4terhin auf diesen Punkt zur\u00fcck.\n2. Beurteilung der Theorie\nI. F. hat die Anforderungen, denen ihre Theorie zu entsprechen habe, ziemlich stark eingeschr\u00e4nkt. Eine von ihr nicht erw\u00e4hnte, sehr wichtige und selbstverst\u00e4ndliche Anforderung ist die, dafs die Theorie diejenigen Farbensysteme, die sich als blofse Ausfallsysteme oder reduzierte Systeme darstellen, auch wirklich als solche zu erkl\u00e4ren verm\u00f6ge. Wie erkl\u00e4rt nun F. die beiden Typen der Rotgr\u00fcnblindheit, die Protanopie und die Deuteranopie ? Wie schon erw\u00e4hnt, behauptet sie, dafs beide Arten partiell Farbenblinder auf der zweiten Entwicklungsstufe des Farbensinnes stehend neben Weifs nur noch Gelb und Blau empfinden. Und der Unterschied zwischen diesen beiden Typen?","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nG. E. M\u00fcller\nDiesen erkl\u00e4rt F. in der Weise, dafs sie im Sinne der Young-HELMHOLTZschen Theorie annimmt, dafs dem Protanopen die Rotkomponente, dem Deuteranopen die Gr\u00fcnkomponente fehle, w\u00e4hrend die Blankomponente beiden gemeinsam sei. Von den bei den Normalen sich findenden drei Reizstoffen R, G und B soll also der erste bei dem Protanopen, der zweite bei dem Deuteranopen nicht gebildet werden. Hiernach m\u00fcfste ein bei dem Normalen die Reizstoffe R und G erzeugendes und demselben gelb erscheinendes Licht f\u00fcr den Protanopen gr\u00fcn und f\u00fcr den Deuteranopen rot aussehen. Und ein weifses Licht, das bei dem Normalen alle drei Reizstoffe erzeugt, m\u00fcfste dem Protanopen sich gr\u00fcnblau, dem Deuteranopen rotblau darstellen. Es ist aber kein Zweifel, dafs diese Farbenblinden die uns weifs erscheinenden Objekte gleichfalls in dieser Farbe sehen. Die Sachlage ist also die, dafs F., wenn es sich darum handelt, die Gelbempfindung der Rotgr\u00fcnblinden zu erkl\u00e4ren, den Farbensinn derselben als einen auf der zweiten Entwicklungsstufe stehenden ansieht. Sobald es sich aber um den Unterschied der Protanopen und Deuteranopen handelt, werden die Farbensysteme derselben zu reduzierten Systemen der dritten Entwicklungsstufe, auf welcher allein die Reizstoffe R und G Vorkommen. Hierbei f\u00fchrt der letztere Standpunkt hinsichtlich der Qualit\u00e4ten der Empfindungen der Rotgr\u00fcnblinden zu Schlufsfolgerungen, die den tats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnissen schroff widersprechen.\nF. bezieht sich bei ihren Ausf\u00fchrungen vielfach auf die von K\u00f6nig und Dieterici erhaltenen Eichwertkurven. Diese beiden Forscher haben aber alle ihre Farbengleichungen \u201ebei tunlichst ausgeruhtem Auge\u201c, also bei erheblicher Mitbeteiligung des St\u00e4bchenapparates hergestellt. Wie v. Kries bemerkt, sind auch die der h\u00f6chsten Lichtst\u00e4rke entsprechenden Kurven von K\u00f6nig und Dieterici \u201eschon gemischter Natur, bezeichnen einen Zustand, bei dem die St\u00e4bchen bereits merkbar in Funktion sind\u201c. Dementsprechend kam auch v. Kries bei mit wirklich helladaptiertem Sehorgane angestellten Versuchen zu Resultaten, die von denen von K\u00f6nig und Dieterici nicht unwesentlich abweichen. Die Eichwertkurven der letzteren sind also auch nach dem Urteile von v. Kries (Nagels Handbuch der Physiologie, 3, 1905, S. 152) gar nicht geeignet, \u00fcber die Funktionsweise des isolierten Zapfenapparates eine gen\u00fcgende Auskunft zu geben.\nWas die von K\u00f6nig und Dieterici aus ihren Eichwertkurven abgeleiteten und von F. \u00fcbernommenen Anschauungen von dem Wesen der Protanopie und Deuteranopie betrifft, so d\u00fcrfte die Unrichtigkeit derselben durch die einschlagenden Ausf\u00fchrungen meiner Schrift \u00fcber die Farbenblindheit 1 (S. 156\u2014188) hinl\u00e4nglich dargetan sein.\n1 Darstellung und Erkl\u00e4rung der verschiedenen Typen der Farben-","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Die von Chr. Ladd Franklin aufgestellte Theorie der Farbenempfindungen 75\nAuf die Gelbblaublindheit geht F., soviel ich gesehen habe, nirgends ein. Wie ich fr\u00fcher (Farbenblindheit, S. 51\u201492) n\u00e4her gezeigt habe, sind auch hier zwei Typen zu unterscheiden, die Tritanopie und die Tetartanopie. Bei der ersteren gibt es im Spektrum nur eine, im gr\u00fcnlichen Gelb gelegene, neutrale Stelle. Die links von dieser Stelle gelegenen Spektrallichter werden in manchen F\u00e4llen als urrote, in anderen F\u00e4llen als gelblichrote empfunden. Die rechts von der neutralen Stelle gelegenen Spektrallichter werden als urgr\u00fcne, gr\u00fcnblaue oder gar blaue empfunden. Am kurzwelligen Ende ist das Spektrum verk\u00fcrzt. Die Tritanopie kommt, soweit sie eine erworbene ist, nach den bisherigen Feststellungen nur in F\u00e4llen vor, wo eine Erkrankung der Netzhaut sei es ausschliefslich sei es in Verbindung mit anderen Erkrankungen, vorliegt. Bei der Tetartanopie gibt es zwrei neutrale Stellen im Spektrum, von denen die erste auf das Urgelb, die zweite auf das Urblau entf\u00e4llt. Links von der ersten und rechts von der zweiten neutralen Stelle wird Urrot (Rosarot) empfunden, zwischen beiden neutralen Stellen Urgr\u00fcn. Die Tetartanopie beruht als innere Gelbblaublindheit einfach darauf, dafs der nerv\u00f6sen Sehbahn, mindestens in gewissen terminalen Teilen, die F\u00e4higkeit fehlt, Gelberregung und Blauerregung in sich entstehen zu lassen, oder k\u00fcrzer ausgedr\u00fcckt darauf, dafs die innere Gelberregbarkeit und innere Blauerregbarkeit sich vermissen l\u00e4fst. Der Tritanopie (\u00e4ufseren Gelbblaublindheit) liegt ein Fehlen der \u00e4ufseren Gelb- und Blauerregbarkeit zugrunde, d. h. die retinale Gelbblausubstanz, welche ebenso wie die retinale Rotgr\u00fcnsubstanz durch die in ihr erweckten Prozesse (Gelbprozefs und Blauprozefs) zur Erweckung entsprechender Sehnervenerregungen dient, ist nicht vorhanden, so dafs nur noch die in der retinalen Rotgr\u00fcnsubstanz erweckten Rot- und Gr\u00fcnprozesse zur Ausl\u00f6sung chromatischer Sehnervenerregungen dienen. Das etwas ungleichf\u00f6rmige Verhalten der Empfindungen der Tritanopen erkl\u00e4rt sich mit Hilfe meiner Lehre von den mehrfachen inneren Reizwerten der chromatischen Netzhautprozesse (Farbenblindheit, S. 13 und 20 ff.). Nach dieser Lehre besitzt jeder der vier chromatischen Netzhautprozesse nicht blofs einen chromatischen Reizwert (d. h. F\u00e4higkeit, chromatische\nblindheit nebst Er\u00f6rterung der Funktion des St\u00e4bchenapparates sowie des Farbensinnes der Bienen und der Fische (im folgenden kurz als \u201eFarbenblindheit\u201c zitiert). G\u00f6ttingen 1924.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nG. E. M\u00fcller\nSehnervenerregung hervorzurufen), sondern zwei, einen gleichnamigen und einen ungleichnamigen. So ruft der retinale Rot-prozefs nicht nur Roterregung (der gleichnamige Reizwert), sondern auch Gelberregung (der ungleichnamige Reizwert) im Sehnerven hervor. Der retinale Gelbprozefs bewirkt im Sehnerven Gelb- und Gr\u00fcnerregung, der retinale Gr\u00fcnprozefs Gr\u00fcn-und Blauerregung, der retinale Blauprozefs Blau- und Roterregung. (Von den achromatischen inneren Reiz werten der chromatischen Netzhautprozesse kann hier abgesehen werden.) Ist nun bei Ausfall der retinalen Gelbblausubstanz zugleich auch die innere Gelberregbarkeit und Blauerregbarkeit ausgefallen, so ruft der retinale Rotprozefs nur Roterregung und der retinale Gr\u00fcnprozefs nur Gr\u00fcnerregung im Sehnerven hervor, so dafs der Gelbblaublinde links von der neutralen Stelle des Spektrums Urrot und rechts davon Urgr\u00fcn erblickt. Ist aber trotz des Ausfalles der retinalen Gelbblausubstanz die innere Gelberregbarkeit und Blauerregbarkeit noch in gewissem Grade vorhanden, so kommt der retinale Rotprozefs und ebenso der retinale Gr\u00fcnprozefs auch noch mit seinem ungleichnamigen Reiz werte zur Geltung und der Gelbblaublinde sieht links von der neutralen Stelle ein gelbliches Rot und rechts davon ein bl\u00e4uliches Gr\u00fcn. Es kommt vor, dafs bei einem Fehlen der retinalen Gelbblausubstanz die innere Blauerregbarkeit gut vorhanden ist, dagegen die innere Gr\u00fcnerregbarkeit sich minderwertig zeigt. Dann bezeichnet der Farbenblinde die rechts von der neutralen Stelle gelegenen Spektralfarben, also Farben, die der Normale zum Teil als gelblich empfindet, als bl\u00e4uliche oder gar schlechtweg als blaue.\nIn Hinblick auf die hier erw\u00e4hnten F\u00e4lle, wo der Tritanop im Spektrum gelbliche oder bl\u00e4uliche Farbent\u00f6ne sieht, kann man daran Anstois nehmen, dafs die Tritanopie als eine Art von Gelbblaublindheit bezeichnet wird. Es bringt indessen die Bezeichnung der Tritanopie als \u00e4ufsere Gelbblaublindheit die Tatsache gut zum Ausdruck, dafs bei der Tritanopie der Defekt eiue vor der nerv\u00f6sen Sehsubstanz zu erregende, retinale Substanz betrifft, w\u00e4hrend es sich bei der Tetartanopie um ein Unverm\u00f6gen der nerv\u00f6sen Sehsubstanz handelt. Auch tritt bei dieser Benennungsweise die Analogie gut hervor, die zwischen der Tritanopie und der Tetartanopie einerseits und der Protanopie und der Deuteranopie andererseits besteht. Wie ich (Farbenblindheit, S. 33 ff.) n\u00e4her gezeigt habe, ist ja die Protanopie auch als \u00e4ufsere und die Deuteranopie als innere Rotgr\u00fcnblindheit zu bezeichnen.\nNach vorstehenden wohl nicht unangebrachten Andeutungen \u00fcber die Tatbest\u00e4nde der Gelbblaublindheit und die M\u00f6glichkeit","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Die von Chr. Ladd Franklin aufgestellte Theorie der F\u00e4rb enemyfindung en 77\neiner Erkl\u00e4rung derselben wenden wir uns zur Beantwortung der Frage, inwieweit die Theorie von F. diese Tatbest\u00e4nde verst\u00e4ndlich zu machen verm\u00f6ge. Was zun\u00e4chst die Tetartanopie betrifft, so scheint ihr Vorkommen dieser Theorie auf das schroffste zu widersprechen. Denn nach dieser soll gleichzeitige Erzeugung der Reizstoffe R und G Gelbempfindung bewirken. Bei den Tetartanopen finden sich aber die Rot- und die Gr\u00fcnempfindung, also die Reizstoffe R und G und ihre gleichzeitige Erzeugung durch gewisse Lichtstrahlen, und dennoch fehlt die Gelbempfindung. Wie kann ferner in F\u00e4llen, wo die Blauempfindung, also der Reizstoff B fehlt, die Weifsempfindung entstehen, zu deren Bewirkung doch die Mitentstehung des Reizstoffes B erforderlich ist? Diesen Ein w\u00e4nden kann indessen F. durch den Hinweis darauf entgehen, dafs die Tetartanopie meinen Ausf\u00fchrungen entsprechend eben eine innere Gelbblaublindheit sei. Die Reizstoffe R, G und B w\u00fcrden s\u00e4mtlich bei derselben gebildet, der Stoff R verm\u00f6ge auch die Roterregung und der Stoff G die Gr\u00fcnerregung hervorzurufen und die gleichzeitige Erzeugung aller drei Reizstoffe, also von W bewirke auch richtig die Weifserregung, aber die Verbindung R -j- G( = Y) und der Reizstoff B verm\u00f6chten die ihnen sonst im Sehnerv entsprechenden Wirkungen nicht hervorzurufen.\nWie steht es nun aber mit der Tritanopie? Die Vertreter der YouNG-HELMHOLTZschen Theorie nehmen an, dafs bei ihr ein Fehlen der Blaukomponente vorliege. Danach m\u00fcfste weifses Licht nur die Rot- und die Gr\u00fcnkomponente erwecken, also als gelb empfunden werden. Da ferner die Erweckbarkeit der Blaukomponente nach dem langwelligen Ende hin nach den Feststellungen von v. Kries nur etwa bis zu 540 [Ajj. reicht, so m\u00fcfste der Tritanop alle Lichter, deren Wellenl\u00e4nge > 540 fifi ist, genau so empfinden wie der Farbent\u00fcchtige, was, wie wir gesehen haben, keineswegs der Fall ist. Wie kann ein Tritanop ein Licht von etwa 566 ////, das der neutralen Stelle seines Spektrums entspricht, als weifs empfinden, wenn sein Defekt in einem Ausfall der Blaukomponente besteht, die bei der Empfindung eines Lichts von der angegebenen Wellenl\u00e4nge \u00fcberhaupt nicht beteiligt ist? Aber angenommen auch, die Blaukomponente wirkte bei der Ent stehung dieser Empfindung mit, so k\u00f6nnte ihr Ausfall in der Tritanopie nach den Voraussetzungen der YouNG-HELMHOLTZschen Theorie doch nur dazu dienen, die Weifslichkeit dieser Empfindung","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nGr. E. M\u00fcller\naufzuheben, nicht aber dazu, die Empfindung zu einer reinen Weifsempfindung zu machen. Wenn man ferner die bereits oben erw\u00e4hnte Tatsache bedenkt, dafs F\u00e4lle von Tritanopie Vorkommen (auch von Hering und Hess ist ein hierher geh\u00f6riger Fall beobachtet worden), wo die Blauempfindung so wenig fehlt, dafs sogar Lichter, die f\u00fcr den Normalen gelblich sind, als bl\u00e4ulich oder blau empfunden werden, so mufs es wirklich als ein starkes St\u00fcck erscheinen, wenn man uns einreden will, die Tritanopie sei durch das Fehlen der Blaukomponente charakterisiert. Es ist nicht abzusehen, wie F. das Farbensystem der Tritanopie als ein Ausfallsystem erkl\u00e4ren k\u00f6nne. Schliefst sie sich wie hinsichtlich der Protanopie und Deuteranopie den Anh\u00e4ngern der Young-HELMHOLTzschen Theorie an, indem sie die Tritanopie auf einem Nichterzeugtwerden des Reizstoffes B beruhen l\u00e4fst, so erheben sich dieselben Einw\u00e4nde wie gegen die Auffassung der Vertreter jener Theorie.\nWenden wir uns nun endlich noch zur totalen Farbenblindheit, so kommt die Zapfenblindheit, bei welcher nur der St\u00e4bchenapparat fungiert und das Spektrum sein Helligkeitsmaximum im Gr\u00fcn besitzt, hier nicht in Betracht. Dagegen haben uns hier zwei gut konstatierte, auf einem blofsen chromatischen Versagen des Zapfenapparates beruhende Typen der totalen Farbenblindheit zu interessieren, bei deren ersterem die spektrale Helligkeitsverteilung wesentlich mit der normalen \u00fcbereinstimmt, und bei deren zweitem die spektrale HelligkeitsVerteilung die bei der Protanopie bestehende ist. Dem ersteren Typus kann F. durch die in der Tat zutreffende Annahme gerecht werden, dafs es sich bei demselben um eine innere Farbenblindheit handele, dafs also die Reizstoffe R, G, B, Y und W zwar s\u00e4mtlich gebildet w\u00fcrden, aber nur der letztgenannte die ihm entsprechende Wirkung im Sehnerven habe. Dagegen steht sie hinsichtlich des zweiten Typus, der sich bei totalfarbenblind gewordenen Protanopen findet und auch in der \u00e4ufsersten Netzhautperipherie der Protanopen ann\u00e4hernd verwirklicht ist, dem Einwande hilflos gegen\u00fcber, wie \u00fcberhaupt bei Nichtentstehung des Reizstoffes R die Weifsempfindung eintreten k\u00f6nne.\nNach vorstehendem sind wir zu dem Urteil berechtigt, die Theorie von F. erweise sich gegen\u00fcber der Aufgabe, die Ausfallsysteme auch wirklich als solche zu erkl\u00e4ren, als ebenso untaug-\n7\to\nlieh wie die YouNG-HELMHOi/rzsche Theorie.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Die von Chr. Ladd Franklin aufgestellte Theorie der Farbenempfindungen 79\nII. Sehr sonderbar ist die Ansicht, die F. hinsichtlich der Schwarzempfindung vertritt.1 Diese Empfindung soll nicht das psychische Korrelat eines psychophysischen Prozesses sein, wie ein solcher den \u00fcbrigen Gesichtsempfindungen zugrunde liege, sondern unter allen Gesichtsempfindungen eine Sonderstellung einnehmen, indem sie das psychische Korrelat von einer wesentlich anderen psychophysischen Situation, n\u00e4mlich der Abwesenheit jedweder psychophysischen Erregung eines Bezirkes der kortikalen Sehrinde sei. The sensation of black is a definite sensation attached to a cortical situation of inactivity or rest. Since black is thus the result of zero stimulus, it follows again that there is only one intensity of blackness. There can be but one degree of zero. Wenden wir dieser eigent\u00fcmlichen Ansicht gegen\u00fcber ein, dafs man ja z. B. die Schw\u00e4rzlichkeit eines auf dunklem Grunde befindlichen, aus schwarzem Papier oder Sammet bestehenden Feldes dadurch bedeutend steigern k\u00f6nne, dafs man den dunklen Grund durch einen weifsen ersetzt, dafs also auch die Schwarzempfindung Abstufungen ihrer Intensit\u00e4t zeige, so wird uns entgegnet, dafs diese Steigerung der Schw\u00e4rzlichkeit nur daraus entspringe, dafs durch die Kontrastwirkung der weifsen Umgebung die auf die Entstehung von Weilserregung gerichteten Antriebe gehemmt w\u00fcrden, welche f\u00fcr das schwarze Feld teils infolge noch vorhandener schwacher Lichtausstrahlung teils infolge innerer Vorg\u00e4nge (das sog. Eigenlicht der Netzhaut) noch vorhanden seien. Kurz die Differenzen, welche die verschiedenen Glieder der schwarweifsen Empfindungsreihe hinsichtlich ihres Schw\u00e4rzlichkeitsgrades darbieten, sollen ausschliefslich darauf beruhen, dafs f\u00fcr die verschiedenen Glieder der Reihe die Weifserregung verschieden stark ist, die neben der unver\u00e4nderlich bleibenden Grundlage der Schwarzempfindung, dem Zustande der psychophysischen Inaktivit\u00e4t, noch vorhanden ist. Hierzu ist folgendes zu bemerken.\nErstens ist mir unverst\u00e4ndlich, wie in einem kortikalen Organ, in dem eine, wenn auch nur schwache, Weifserregung besteht, zugleich der Zustand der psychophysischen Ruhe oder Inaktivit\u00e4t, die Grundlage der Schwarzempfindung, bestehen k\u00f6nne. Der Begriff eines ruhenden oder unerregten kortikalen Organes, in dem\n1 Man vergleiche Ladd Franklin in The American Journal of Physiological Optics 4 (1923), S. 414 f. und 6 (1925), S. 455, ferner M. R. Neifeld in The Psychol Rev. 31 (1924), S. 498 ff.","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nG. E. Millier\nWeifserregung besteht, scheint mir ein vorz\u00fcgliches Schulbeispiel f\u00fcr die contradictio in adjecto zu sein. Angenommen ferner, die Steigerung der Schw\u00e4rzlichkeit einer Empfindung beruhe wirklich nur auf einer Herabsetzung der Weifserregung, die neben einer unver\u00e4ndert bleibenden psychophysischen Grundlage der Schwarzempfindung vorhanden sei, so m\u00fcfste die Intensit\u00e4t der Empfindung um so geringer sein, je schw\u00e4rzlicher sie ist. Hiernach m\u00fcfste jedes Schw\u00e4rzer werden einer Grauempfindung mit einer Abnahme der Gr\u00f6fse verbunden sein, die der Zusatz einer bestimmten Farbe zu dem grauen Lichte besitzen mufs, um eben merkbar zu sein. Die Versuche von R\u00e9v\u00e9sz [diese Zeitschr. 41, (1907) S. 1 ff.] haben aber gezeigt, dafs die Farbenschwelle dann zunimmt, wenn man die Empfindung des Feldes, das den Farbenzusatz erkennen lassen soll, von einer gewissen Grauempfindung (der Empfindung des kritischen Grau) ausgehend durch die Kontrastwirkung eines farblosen Umfeldes, dessen Helligkeit von Stufe zu Stufe erh\u00f6ht wird, immer schw\u00e4rzlicher werden l\u00e4fst. Es w\u00e4chst eben die Empfindung beim Ausgehen vom kritischen Grau ebenso wie bei Verst\u00e4rkung der Weifsvalenz des Lichtes auch bei einer Erh\u00f6hung der Schwarzinduktion, die von dem Umfelde ausgeht. Auf letzteres weist auch schon die Tatsache hin, dafs die Eindringlichkeit einer Empfindung, die dunkler ist als das kritische Grau, um so gr\u00f6fser ist, je schw\u00e4rzlicher die Empfindung ist. Es ist endlich hier noch darauf hinzuweisen, dafs der Standpunkt von F. der Tatsache nicht gerecht wird, dafs die Weifsund die Schwarzempfindungen hinsichtlich der Nachbilderscheinungen und des Simultankontrastes ein ganz analoges Verhalten zeigen wie die Empfindungen des Rot und des Gr\u00fcn, des Gelb und des Blau, und dafs insbesondere auch ein Sehfeldbezirk, dem eine Schwarzempfindung entspricht, eine Weifsinduktion auf seine Umgebung aus\u00fcbt. Das letztere tritt bekanntlieh darin hervor, dafs bei absteigender Richtung eines das Auge durch-fliefsenden elektrischen Stromes sich die Stelle des blinden Fleckes als eine helle Scheibe von dem \u00fcbrigen, stark verdunkelten Gesichtsfelde abhebt. Die aus der von F. vertretenen Ansicht von der Schwarzempfindung sich ergebende Schlufsfolgerung, dafs von einem im Zustande v\u00f6lliger Ruhe befindlichen kortikalen Organe Antriebe ausgingen, welche in anderen Organen die als Grundlagen weifser Kontrasterscheinungen dienenden Erregungen hervorriefen, ist energetisch betrachtet noch weit ungeheuerlicher,","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Die von Chr. Ladd Franklin auf gestellte Theorie der Farhenempfindungen 81\nals es die Behauptung eines Autors sein w\u00fcrde, er habe ein per-petuum mobile erfunden.\nIII. Eine wesentliche Anforderung, der eine Theorie der Farbenempfindungen entsprechen mufs, ist auch die, dafs sie das Auftreten der gegenfarbigen (komplement\u00e4ren) Nachbilder begreiflich mache. Die oben (S. 72) mitgeteilte Erkl\u00e4rung dieser Nachbilder, welche F. gibt, ist verfehlt, weil sie von einer unrichtigen Voraussetzung ausgeht, n\u00e4mlich den Ursprung dieser Nachbilder in gewissen Verhaltungsweisen der lichtempfindlichen Substanzen der Retina erblickt. Die gegenfarbigen Nachbilder sind nerv\u00f6sen Ursprunges und erkl\u00e4ren sich daraus, dafs die Sehnervenerregungen, die zwei Gegenfarben zugeh\u00f6ren, entgegengesetzte chemische Vorg\u00e4nge sind. Hiernach f\u00fchrt jede einer Farbe entsprechende Sehnervenerregung w\u00e4hrend ihrer Andauer zu einer Anh\u00e4ufung desjenigen erregbaren Materiales, das die stoffliche Grundlage der die Empfindung der Gegenfarbe bedingenden , entgegengesetzten Sehnervenerregung bildet. Diese Materialanh\u00e4ufung hat dem Gesetze der chemischen Massenwirkung gem\u00e4fs die Folge, dafs nach geh\u00f6rigem Abklingen des Erregungsantriebes, der die zun\u00e4chst vorhandene Sehnervenerregung und Empfindung bedingt, die entgegengsesetzte Sehnervenerregung ein setzt und ein gegenfarbiges Naehbild auf treten l\u00e4fst.\nDaf\u00fcr, dafs die gegenfarbigen Nachbilder nerv\u00f6sen Ursprunges sind, sollen hier zwei Beweisgr\u00fcnde angef\u00fchrt werden. An erster Stelle ist hier an die Tatsache zu erinnern, dafs auch Farbenempfindungen rein subjektiven Ursprunges, bei denen also eine Mitwirkung der lichtempfindlichen Empfangsstoffe ganz ausgeschlossen ist, unter Umst\u00e4nden gegenfarbige Nachbilder hinterlassen. Man vergleiche z. B. die Mitteilung von E. Kupfer im Arch. Ophthalm. 127, \u00d631 (1926). Vor allem ist hier auf den Bericht zu verweisen, den E. R. Jaensch | Z. Psychol. 93, 162 f. (1925)], \u00fcber die mit Sorgfalt angestellten Versuche von Freiling gegeben hat, bei denen sich zeigte, dafs bei jugendlichen Eidetikern eine durch eine blofse w\u00f6rtliche Charakterisierung angeregte, lebhafte Vorstellung eines Gegenstandes leicht von einem gegenfarbigen Nachbilde gefolgt war. Ich werde bei sp\u00e4terer Gelegenheit diesen Punkt noch n\u00e4her besprechen.\nZweitens ist hier folgendes zu beachten. Ein Feld, das f\u00fcr uns rote Farbe besitzt, kann auf doppelte Weise uns dargeboten\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 60\t6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nGr. E. M\u00fcller\nwerden, erstens dadurch, dafs man uns einfach ein objektiv rotes Feld unterbreitet, und zweitens dadurch, dafs man uns ein von einem gr\u00fcnen Umfelde umgebenes graues Infeld betrachten l\u00e4fst. Wird die Grundlage des roten Aussehens beseitigt, also im ersten Fall das rote Feld durch ein graues, im zweiten Fall das gr\u00fcne Umfeld durch ein graues ersetzt, so tritt in beiden F\u00e4llen ein gegenfarbiges, gr\u00fcnes Nachbild auf, das allerdings im zweiten Falle als ein Fall von sukzessiver Farbeninduktion bezeichnet werden w\u00fcrde. Nun ist jetzt v\u00f6llig sicher gestellt, dafs der Simultankontrast, der im zweiten Falle die rote F\u00e4rbung des Infeldes bewirkt, zentralen Ursprunges ist und nichts mit irgendwelchen Verhaltungsweisen der lichtempfindlichen Substanz der Retina zu tun hat. Folglich ist auch das gegenfarbige Nachbild des zweiten Falles nicht durch irgendwelche Verhaltungsweisen dieser Substanz bedingt, sondern rein nerv\u00f6sen Ursprunges. Dasselbe mufs aber auch von dem gegenfarbigen Nachbilde des ersten Falles gelten.\nIV. Nach der Theorie von F. sollen Urrot, d. h. ein rotes Licht, das weder eine Gelb- noch eine Blauvalenz besitzt, und Urgr\u00fcn in geeignetem Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse miteinander gemischt die Gelbempfindung erwecken. Dafs zu dieser ganz elementaren Tatsache der Farbenmischung die HERiNosche Theorie nicht stimme, nach welcher eine geeignete Mischung von Urrot und Urgr\u00fcn eine Weifsempfindung ergebe, sei f\u00fcr diese Theorie verh\u00e4ngnisvoll. Hierzu ist zun\u00e4chst zu bemerken, dafs neuerdings G. Schubert [.Pfl\u00fcgers Arch., 220, (1928), S. 82 ff.] bei in Tschermaks Institute mit grofser Sorgfalt angestellten Versuchen gefunden hat, dafs bei streng zentraler Fixation und neutraler Stimmung des Auges gegenfarbige Lichtpaare, insbesondere auch Urrot und Urgr\u00fcn, zugleich komplement\u00e4re Paare sind, da sie in bestimmter Relation gemischt \u201efarblos erscheinen, auch ein farbloses Nachbild bei Intensit\u00e4tsminderung ergeben und selbst keine farbige Verstimmung bewirken\u201c. Die Tatsache, dafs F. die Mischung von Urrot und Urgr\u00fcn gelb fand, l\u00e4fst nach Schubert \u201eohne weiteres auf eine Blau- bzw. Blaurot Verstimmung seitens des adaptierenden Lichtes schliefsen\u201c. N\u00e4here Mitteilungen von F. \u00fcber das von ihr bei ihren hier in Betracht kommenden Versuchen benutzte Verfahren liegen nicht vor.\nIch glaube indessen, dafs man auch bei Vermeidung der soeben erw\u00e4hnten Fehlerquelle (der farbigen Verstimmung des","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Die von Chr. Ladd Franklin auf gestellte Theorie der Farbenempfindungen 83\nSehorgans durch farbigs Tageslicht) in zahlreichen F\u00e4llen das Resultat erhalten wird, dafs eine Mischung von angeblichem (d. h. von der Vp. so beurteilten) Urrot und Urgr\u00fcn eine Gelbempfindung ergibt. Es ist ein grofser Irrtum zu meinen, dafs eine Vp. dasjenige Rot und dasjenige Gr\u00fcn, dem nur eine Rot-bzw. Gr\u00fcnerregung zugrunde liegt, mittels \u201eunmittelbarer Introspektion\u201c zutreffend m\u00fcsse bestimmen k\u00f6nnen, dafs also kurz gesagt das angebliche Urrot einer Vp. \u2014 Entsprechendes gilt von den \u00fcbrigen Urfarben \u2014 mit dem wirklichen Urrot identisch sein m\u00fcsse. Wie wenig eine solche Meinung zu dem wahren Sachverhalte stimmt, zeigen hinl\u00e4nglich die grofsen individuellen Verschiedenheiten, die sich bei den Versuchen von Westphal [Z. Sinnesphysiol., 44, (1910), S. 198 ff.] hinsichtlich der Bestimmung der Urfarben herausgestellt haben. So lag f\u00fcr eine Vp. bei Intensit\u00e4t I das Urgr\u00fcn bei 498 ////, f\u00fcr eine andere bei 553 p/j,, d. h. bei einer Wellenl\u00e4nge, die nur um 14 ppi geringer war als die Wellenl\u00e4nge 567 jupi, die f\u00fcr eine dritte Person das Urgelb repr\u00e4sentierte. Das Urrot lag f\u00fcr 3 Vpn. bei Wellenl\u00e4ngen zwischen 602 und 627 indem ihnen die noch langwelligeren Lichter bl\u00e4ulich erschienen. Drei andere Vpn. dagegen bedurften f\u00fcr die Herstellung ihres Urrot noch eines Violettzusatzes zu dem langwelligen Lichte. Durch die Herstellung von Farbengleichungen konnte Westphal nachweisen, dafs diese individuellen Differenzen nicht auf Verschiedenheiten der Farbensysteme der verschiedenen Vpn. beruhten. Sie hatten vielmehr im wesentlichen ihren Grund darin, dafs den verschiedenen Vpn. ein verschiedener Prototyp des Rot, des Gr\u00fcn usw. vorschwebte, dafs sie also nicht die F\u00e4higkeit besafsen, die wirklichen Urfarben auf Grund unmittelbarer Introspektion mit Treffsicherheit zu bestimmen. H\u00e4tten sie diese F\u00e4higkeiten besessen, so h\u00e4tten die Urfarben f\u00fcr sie alle ungef\u00e4hr dieselben Stellen im Farbenkreise besitzen m\u00fcssen.\nEs h\u00e4ngen also die Farben, welche die Vpn. als Urfarben bezeichnen, in hohem Grade von psychologischen Faktoren ab, welche die angeblichen Urfarben leicht mehr oder weniger stark von den wirklichen ab weichen lassen. Schon Hering selbst [Lotos, Neue Folge, 1, (1880), S. 155] hat darauf hingewiesen, dafs \u201edie ges\u00e4ttigtsten roten Farben, welche man zu sehen Gelegenheit hat und welche daher leicht zum Prototyp des sch\u00f6nsten Rot werden\nk\u00f6nnen, meist vom Tone des Spektralrot\u201c sind. Die Annahme,\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nGr. E. M\u00fcller\ndafs der Prototyp des Rot, der einer Vp. vorschwebt, durch die Beschaffenheit der am h\u00e4ufigsten vorkommenden und vor allem auch der \u00e4sthetisch am meisten anregenden T\u00f6ne des Rot wesentlich beeinflufst werde und hieraus eine Tendenz entspringe, ein etwas gelbliches Rot als das Urrot zu bezeichnen, ist in der Tat sehr naheliegend. Entsprechendes ist hinsichtlich des Urgr\u00fcn zu vermuten, da f\u00fcr uns das meist etwas gelbliche Gr\u00fcn der Vegetation der Hauptrepr\u00e4sentant der gr\u00fcnen Farbe ist. Wenn also die Vpn. von F. und auch diejenigen von Westphal als Urrot und Urgr\u00fcn Farben geliefert haben, deren Mischung eine gelbliche Empfindung ergab, so d\u00fcrfte dies in erster Linie darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren sein, dafs die Prototypen des Rot und des Gr\u00fcn f\u00fcr diese Vpn. aus dem angegebenen Grunde nach dem Gelb hin verschoben werden. Diese Ansicht findet eine wesentliche Best\u00e4tigung durch folgendes.\nWill man die Frage, welche Stellen des Farbenkreises das Urrot und das Urgr\u00fcn repr\u00e4sentieren, mit gr\u00f6fserer Sicherheit entscheiden, so hat man sich nicht an die stark voneinander abweichenden Aussagen der Farbent\u00fcchtigen zu halten, sondern an die von den Deuteranopen angegebenen neutralen Stellen des Farbenkreises. Die Deuteranopen, die hinsichtlich der spektralen Helligkeitsverteilung mit den Normalen wesentlich \u00fcbereinstimmen und sich eben nur durch das Fehlen der R\u00f6tlichkeit und der Gr\u00fcnlichkeit von diesen unterscheiden, k\u00f6nnen nat\u00fcrlich die Stelle ihres Spektrums, wo die Farbe rein weifs ist, mit gr\u00f6fserer Sicherheit und Richtigkeit bestimmen, als die Normalen die Stelle des Urgr\u00fcn festzustellen verm\u00f6gen. Es hat sich ja auch bei der Untersuchung von Brodhun (Z. Sinnesorg., 3, (1892), S. 89 ff.) gezeigt, dafs die Empfindlichkeit f\u00fcr Wellenl\u00e4ngenunterschiede bei dem Deuteranopen in der Gegend seiner neutralen Spektralstelle ein Maximum besitzt und feiner ist als die Empfindlichkeit f\u00fcr Wellenl\u00e4ngenunterschiede, die der Farbent\u00fcchtige in der Gegend des Urgr\u00fcn zeigt. Es ist nun eine bekannte Tatsache, dafs die Stelle des Spektrums, welche f\u00fcr einen Deuteranopen farblos ist, dem Farbent\u00fcchtigen blaugr\u00fcn erscheint. So lag f\u00fcr die drei von Westphal untersuchten Deuteranopen die neutrale Stelle durchschnittlich bei 496 gg, also bei einer Wellenl\u00e4nge, deren Empfindung von einem Farbent\u00fcchtigen in der Regel als bl\u00e4ulichgr\u00fcn bezeichnet wird. Wir sind daher zu der Behauptung berechtigt, dafs der Farbent\u00fcchtige dem oben Bemerkten ent-","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Die von Chr. Ladd Franklin aufgestellte Theorie der Farbenempfindungen 85\nsprechend eine Tendenz hat ein mehr oder weniger gelbliches Gr\u00fcn als das Urgr\u00fcn zu betrachten. Entsprechendes gilt in Beziehung auf das Urrot. Die 3 von Westphal untersuchten Deuteranopen bedurften zur Herstellung ihrer zweiten neutralen Stelle des Farbenkreises eines Violettzusatzes zu dem der langwelligen Endstrecke angeh\u00f6rigen Lichte, der ca. 8 mal so grofs war wie der Violettzusatz, den die ihnen hinsichtlich des Betrages des Violettzusatzes am n\u00e4chsten stehende, farbent\u00fcchtige Vp. ben\u00f6tigte.\nEine unanfechtbare Entscheidung der Frage, welches das Resultat einer Mischung von wirklichem Urrot und wirklichem Urgr\u00fcn sei, gewinnen wir durch einen Hinblick auf die Erscheinungen der Tritanopie. Wenn man bei einem Tritanopen, dessen Spektrum einen urroten und einen durch eine neutrale Stelle davon geschiedenen urgr\u00fcnen Teil zeigt, eine Mischung roten und gr\u00fcnen Lichtes zur Einwirkung bringt, so entsteht niemals eine gelbliche Empfindung, sondern das rote und das gr\u00fcne Licht wirken sich mit ihren chromatischen Reizwerten entgegen, so dafs z. B. eine gegebene Rotempfindung bei wachsendem Zusatze gr\u00fcnen Lichtes immer unges\u00e4ttigter wird und schliefslich in eine reine Weifsempfindung \u00fcbergeht. Der Antagonismus der auf Entstehung von Rotprozefs und der auf Entstehung von Gr\u00fcnprozefs gerichteten Reizwirkungen liegt hier klar zu Tage. Wie oben erw\u00e4hnt, kommen F\u00e4lle von Tritanopie vor, wo der langwellige Teil des Spektrums nicht urrot, sondern in einer etwas gelblich roten Farbe erscheint. Auch in diesen F\u00e4llen gibt es die farblose neutrale Stelle, auch in diesen F\u00e4llen hat bei Gegebensein der gelblichroten Empfindung eines langwelligen Lichtes ein anwachsender Zuwuchs gr\u00fcnen Lichtes eine Minderung der S\u00e4ttigung der Empfindung zur Folge, bis schliefslich die v\u00f6llige Farblosigkeit erreicht ist. Nach Erreichung dieses Punktes hat eine weitere Steigerung des beigemischten gr\u00fcnen Lichtes nat\u00fcrlich eine an S\u00e4ttigung zunehmende Empfindung von derjenigen Qualit\u00e4t zur Folge, die im gegebenen Falle den Empfindungen der kurzwelligen Lichter zukommt. Dem fr\u00fcher (S. 75 f.) Bemerkten gem\u00e4fs hat man diese F\u00e4lle als solche aufzufassen, in denen trotz des Fehlens der retinalen Gelbblau-substanz neben der inneren Roterregbarkeit auch noch die innere Gelberregbarkeit erhalten ist, so dafs der retinale Rotprozefs nicht blofs mit seinem Rotwerte, sondern auch noch mit seinem Gelb-","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nG. E. Millier\nwerte zur Geltung kommt. Wird nun dem roten Lichte in zunehmendem Mafse gr\u00fcnes beigemischt, dessen chromatische Reizwirkung auf die Erweckung von Gr\u00fcnprozefs und demgem\u00e4fs auch auf Hemmung eines vorhandenen Rotprozesses gerichtet ist, so wird die anf\u00e4nglich vorhandene Empfindung nat\u00fcrlich sowohl an R\u00f6tlichkeit als auch an Gelblichkeit verlieren, bis sie schliefslich ganz farblos wird. Also selbst im Falle erhaltener innerer Gelberregbarkeit heben sich bei geeignetem Mischungsverh\u00e4ltnisse eines roten und eines gr\u00fcnen Lichtes die entgegengesetzten Reizwirkungen beider Lichter mit dem Erfolge des Eintretens einer farblosen Empfindung gegenseitig auf. Ein Zusammenwirken der beiderseitigen Reizwirkungen im Sinne der Hervorrufung von Gelblichkeit tritt auch in diesem Falle absolut nicht hervor.\nNach vorstehendem ist zu sagen, dafs eine in zul\u00e4nglicher Weise gef\u00fchrte Untersuchung dar\u00fcber, welcher Art die von einer Mischung rein roten und rein gr\u00fcnen Lichtes hervorgerufene Empfindung sei, zu einem Resultate f\u00fchrt, das nicht f\u00fcr die Theorie der Gegenfarben, sondern f\u00fcr die Theorie von F. verh\u00e4ngnisvoll ist.\nV. F. sieht es als einen grofsen Vorzug ihrer genetischen Theorie an, dafs sie die Frage beantworte, wie es komme, dafs der Dreizahl der zur Herstellung aller Farbenempfindungen ausreichenden Reizvariablen eine F\u00fcnfzahl von optischen Grundempfindungen gegen\u00fcberstehe. Sie l\u00f6st dieses Problem durch die Annahme, dafs die beiden Reizstoffe R und G bei gleichzeitigem Entstehen durch chemische Vereinigung einen weiteren Reizstoff Y bilden, und dafs in entsprechender Weise die gleichzeitige Entstehung aller 3 Reizstoffe R, G und B die Bildung eines f\u00fcnften Reizstoffes W zur Folge habe. Gegen\u00fcber der hohen Bedeutung, welche F., wie fr\u00fcher erw\u00e4hnt, dem genetischen Charakter ihrer Theorie beilegt, mufs darauf hingewiesen werden, dafs die hier angenommenen Vorg\u00e4nge dadurch, dafs sie in Zusammenhang zu vermuteten Verh\u00e4ltnissen fr\u00fcherer Entwicklungsstufen des Farbensinnes gebracht werden, absolut nicht glaubhafter werden. Die (wie oben gesehen, unhaltbare) Annahme, dafs der die Roterregung bedingende Reizstoff R und der die Gr\u00fcnerregung hervorrufende Reizstoff G bei gleichzeitiger Entstehung einen die Gelberregung bewirkenden Reizstoff Y bilden, erh\u00e4lt durch die Erz\u00e4hlung, dafs die lichtempfindliche Substanz in einer","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Die von Chr. Ladd Franklin aufgestellte Theorie der Farbenempfindungen 87\nfr\u00fcheren Epoche den Reizstoff Y unmittelbar und nicht erst durch vorherige Bildung der Reizstoffe R und G aus sich habe entstehen lassen, zwar eine etwas m\u00e4rchenhafte Ausschm\u00fcckung, aber keineswegs eine Bekr\u00e4ftigung. F. f\u00fchrt den Farbensinn der Bienen als einen solchen an, welcher der zweiten Entwicklungsstufe, wo noch Rotgr\u00fcnblindheit bestehe, entspreche. Aus demjenigen, was ich fr\u00fcher (Farbenblindheit, S. 201 ff.) mitgeteilt habe, ergibt sich, dafs die Bienen ebenso wie die Menschen \u00fcber 4 Grundempfindungen bunter Farben verf\u00fcgen. Das wesentliche Charakteristikum ihres Farbensinnes besteht darin, dafs ihnen derjenige Sensibilisator, der bei den Menschen den langwelligen Strahlen die Einwirkung auf den Zapfenapparat und die Bewirkung von Rotprozefs erm\u00f6glicht, ganz fehlt und durch einen bei den Menschen anscheinend nicht vorhandenen Sensibilisator ersetzt ist, der dem ultravioletten Lichte die Bewirkung von Rotprozefs erm\u00f6glicht. Es d\u00fcrfte also f\u00fcr eine Betrachtung der Differenzierungen und Entwicklungsstufen, welche der Farbensinn im Tierreich zeigt, eine Zugrundelegung der genetischen Theorie von F. nur \u00e4ufserst wenig gen\u00fcgen. Was den menschlichen Farbensinn betrifft, so kann man allerdings in Hinblick auf die Erscheinungen der Farbenblindheit und die verschiedenen Farbenempf\u00e4nglichkeiten der verschiedenen Netzhautzonen die Vermutung hegen, dafs urspr\u00fcnglich nur der Weifsschwarzsinn bestand, hierauf der Gelbblausinn und zuletzt der Rotgr\u00fcnsinn hinzutritt. Diese Ansicht war aber schon vor der Ver\u00f6ffentlichung der genetischen Theorie von F. vielen gel\u00e4ufig, findet sich z. B. schon in Martys Buch \u201eDie Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Farbensinnes\u201c (Wien 1879) auf S. 31 und S. 152 angef\u00fchrt.\nVI. Abgesehen von den im bisherigen dargetanen Unzul\u00e4nglichkeiten der Theorie von F. ist zu sagen, dafs diese von den Aufgaben, die einer Theorie der Farbenempfindungen gestellt sind, eine zu d\u00fcrftige Vorstellung hat. Die von ihr auf* gestellten, sp\u00e4rlichen Hauptanforderungen an eine solche Theorie habe ich auf S. 75 angef\u00fchrt. Wie schon hervorgehoben, befindet sich unter diesen nicht einmal die Forderung einer befriedigenden Erkl\u00e4rung der reduzierten Farbensysteme. In den letzten Jahrzehnten sind von zahlreichen experimentellen Untersuchungen Resultate gewonnen worden, denen gegen\u00fcber eine Theorie der Farbenempfindungen Stellung zu nehmen hat. So ist z. B. in","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nM\u00fcller, Die von Chr. Ladd Franklin aufgestellte Theorie usw.\nZ. Sinnesphysiol. 49 (1916) eine Abhandlung von Strohal erschienen, welche \u00fcber \u201eVersuche zum Nachweis des Antagonismus von Netzhauterregungen\u201c berichtet. Man kann von einer Theorie der Farbenempfindungen erwarten, dafs sie zu den\nResultaten dieser Versuche Stellung nehme. Ich habe mich\n\u2022 *\nferner in meiner Abhandlung \u201eUber den Einflufs des Weifsgehaltes des Infeldes und des Umfeldes auf die dem Infelde entsprechenden Erregungen\u201c [Z. Psychol., 97, (1925) und 98 (1926)] bem\u00fcht, ein sehr reiches, interessantes Tatsachenmaterial zu erkl\u00e4ren, welches den Einflufs des weifsen Lichtes auf die Erfolge gleichzeitiger oder nachfolgender farbiger Reize betrifft. Wenn F. sich in der gleichen Richtung bem\u00fchen wollte, w\u00fcrde sie bald erkennen, wie \u00e4rmlich und unzul\u00e4nglich ihre Theorie (ganz abgesehen von ihrer im vorstehenden dargetanen Unhaltbarkeit) ist, und wie es \u00fcberhaupt unm\u00f6glich ist, von einem so d\u00fcrftigen Standpunkte aus den komplizierten Erscheinungen dieses Gebietes gerecht zu werden. Auch noch mancherlei andere Tatsachenkomplexe, so z. B. der Komplex von Gesetzm\u00e4fsigkeiten, welche die Versuche von Wirth, Iuhasz, Gellhorn u. a. hinsichtlich der Latenzzeit und der Dauer der gegenfarbigen Nachbilder und hinsichtlich der sog. Nachbild werte ergeben haben, m\u00fcfsten jeden, der eine Theorie der Farbenempfindungen vertritt, dazu veranlassen, die Tauglichkeit seiner Theorie an ihnen zu erproben. Aber allen diesen Tatsachenkomplexen gegen\u00fcber schweigt und versagt die genetische Theorie von F. Obwohl letztere gem\u00e4fs ihren eifrigen Bem\u00fchungen auf diesem Wissensgebiete \u00fcber die dasselbe betreffenden, neueren Forschungsergebnisse reichlich orientiert sein d\u00fcrfte, so ist doch zu sagen, dafs ihre Theorie sich noch immer in den engen Gedankenkreisen und Tatsachenkenntnissen etwa des Jahres 1892 bewegt. So kommt es z. B. auch, dafs sie von der Gelbblaublindheit gar keine Notiz nimmt, obwohl in den letzten Jahrzehnten zahlreiche F\u00e4lle von Gelbblaublindheit, insbesondere von Tritanopie ver\u00f6ffentlicht worden sind. In jenen Jahren war allerdings von Gelbblaublindheit noch kaum die Rede.","page":88}],"identifier":"lit36000","issued":"1930","language":"de","pages":"71-88","startpages":"71","title":"\u00dcber die von Chr. Ladd Franklin aufgestellte Theorie der Farbenempfindungen","type":"Journal Article","volume":"60"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:43:48.269601+00:00"}