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{"created":"2022-01-31T13:41:28.211932+00:00","id":"lit36001","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Trendelenburg, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 60: 89-94","fulltext":[{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"89\n(Aus dem Physiologischen Institut der Universit\u00e4t Berlin)\nZur Frage der Raumbildmessung an Nachbildern\nVon\nWilhelm Trendelenburg\nWenn die r\u00e4umliche Wahrnehmung mit zwei Augen darauf beruht, dafs die beiden Netzhautbilder eine parallaktische Verschiedenheit enthalten, so mufs eine Raumanschauung nicht nur dann zustande kommen, wenn r\u00e4umlich ausgedehnte Objekte oder perspektivisch verschiedene fl\u00e4chenhafte Abbilder von Gegenst\u00e4nden angeblickt werden, sondern auch dann, wenn es sich um Nacherregungen in der Netzhaut, um Nachbilder, handelt.\nBaruch 1 hat diese Frage neuerdings er\u00f6rtert und er hat die Tats\u00e4chlichkeit einer Raumanschauung auf Grund von Nachbildern durch die von mir vorgeschlagene unmittelbare Ausmessung der Raumbilder erwiesen.\nEs seien zu diesen Fragen noch einige Bemerkungen und Beobachtungen mitgeteilt.\nZun\u00e4chst ist festzustellen, ob unter allen Umst\u00e4nden die unmittelbare Ausmefsbarkeit eines Raumbildes ein Beweis f\u00fcr die Raumanschauung ist. Man ersieht unschwer, dafs eine einschr\u00e4nkende Bedingung vorliegt, die allerdings, wie gleich hinzugef\u00fcgt werden kann, erf\u00fcllt ist. Es m\u00fcssen n\u00e4mlich bei der Nachbildausmessung wirklich beide Bilder ann\u00e4hernd gleichzeitig an dem Wahrnehmungsakt beteiligt sein. Mit anderen Worten, es darf nicht infolge sehr starken Wettstreits eine v\u00f6llig abwechselnde und sich gegenseitig ausschliefsende Wahrnehmung des einen und des anderen Nachbildes vorliegen. Bei derart alternierendem Wettstreit w\u00fcrde bei der Ausmessung der Fall ganz so liegen, als ob man eine unmittelbare Raumbildmessung bei Betrachtung von\n1 Baruch, E. Z. Sinnesphysiol. 59, 197 (1928).","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nWilhelm Trendelenburg\nstereoskopischen Bildern in der Weise ausf\u00fchren w\u00fcrde, dafs man die Stellung der Raummarke abwechselnd mit dem rechten und dem linken Auge beurteilt, so dafs die Marke den Raumbildpunkt in sukzessiver Ann\u00e4herung erreichen w\u00fcrde.\nDie einfache Beobachtung zeigt aber, dafs von einem solchen in langsamem Ryhthmus streng alternierenden Wettstreit bei der Nachbildmethode keine Rede sein kann. Ein etwa erfolgendes leichtes Schwanken der Wertigkeit des rechten oder linken Nachbildes geht in so schnellem Wechsel vor sich, dafs diese Erscheinung hier nicht in Frage kommt. In der Tat hat man bei Anwendung geeignet hervorgerufener Nachbilder einen ausgezeichneten Raumeindruck, der an Deutlichkeit dem bei Betrachtung stereoskopischer Bilder nicht nachsteht.\nMethodisch ist erw\u00e4hnenswert, dafs man am besten zun\u00e4chst mit einfachen weifsgestrichenen Drahtmodellen, z. B. W\u00fcrfeln, anf\u00e4ngt, die recht hell erleuchtet werden m\u00fcssen. Zwei Bogenlampen mit Kondensoren sind geeignet. Der Hintergrund ist recht dunkel zu w\u00e4hlen, am besten ist eine m\u00f6glichst weit abliegende schwarze Samtfl\u00e4che. In einem Abstand von 30\u201450 cm vom Beobachter, und zwar unmittelbar hinter dem Objekt, befindet sich ein kleiner roter (also auff\u00e4lliger) Fixierpunkt. Dieser bleibt fest stehen, w\u00e4hrend das Objekt nach der Exposition in einer Schlittenf\u00fchrung zur Seite geschoben wird. Die Exposition betrug in meinen Versuchen bei Bogenlampenbeleuchtung meist 10 Sekunden. Zun\u00e4chst ist das Nachbild nicht deutlich, noch weniger ein Raumeindruck vorhanden. Es empfiehlt sich nun, f\u00fcr etwa eine Sekunde eine m\u00e4fsig helle Gl\u00fchlampe in dem sonst dunklen Raum aufleuchten zu lassen. Sofort hat man sehr deutliche Nachbilder und dementsprechend einen sehr guten Raumeindruck. Das Raumbild kann sogleich mit dem Zirkel freih\u00e4ndig ausgemessen werden. Es gelingt durch 2\u20143 malige Wiederholung dieser Zusatzbelichtung leicht, eine subjektiv befriedigende \u00dcbereinstimmung des Raumbildes mit den Zirkelspitzen zu erzielen.\nVon Interesse ist weiter die Frage nach der Genauigkeit dieser Raumbildmessungen an Nachbildern. Ich habe in folgender Tab. 1 einige Ergebnisse, ohne Weglassung von Einzelmessungen, zusammengestellt.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Raumbildmessung an Nachbildern\t9]\nTabelle 1\nA.\tNachbildmessung am Drahtw\u00fcrfel mit 10 cm Kantenl\u00e4nge.\nKante a) Fixierpunkt liegt 1 cm hinter und unter der gemessenen Kante.\nEinzelwerte : 10,1 \u2014 10,5 \u2014 9,9 \u2014 10,0 - 10,2 \u2014 9,6 \u2014 10,3 \u2014 10,1 \u2014 9,8 \u2014 10,5 cm Mittelwert: 10,4 cm Mittlere Abweichung: 0,24 cm\nKante b) liegt 15 cm vor dem Fixierpunkt dem Beschauer zu.\nEinzelwerte: 10,1 \u2014 9,9 \u2014 9,9 \u2014 9,5 \u2014 9,2 \u2014 10,1 \u2014 9,5 \u2014 10,3 9,8 \u2014 10,5 cm Mittelwert: 9,7 cm Mittlere Abweichung : 0,32 cm\nKante c) liegt etwa in Blickrichtung, das entferntere Ende 3 cm rechts und 4 cm vor dem Fixierpunkt.\nEinzelwerte : 9,7 \u2014 9,5 \u2014 9,6 \u2014 9,4 \u2014 9,4 \u2014 9,0 \u2014 8,4 \u2014 9,4 \u2014 9,7 \u2014 9,5 \u2014 11,0 cm Mittelwert: 9,7 cm Mittlere Abweichung: 0,74\nB.\tNachbildmessung am Drahtw\u00fcrfel mit 5 cm Kantenl\u00e4nge.\nEinzel werte : 5,1 \u2014 4,9 \u2014 5,4 \u2014 5,2 \u2014 5,4 cm\nMittelwert: 5,2 cm\nMittlere Abweichung: 0,24 cm\nMan sieht zun\u00e4chst, dafs bei den einzelnen Raumbildern die Genauigkeit der Messung davon abh\u00e4ngt, wieweit vom Fixierpunkt die zu messende Strecke abliegt. So ist bei A die Messung der Strecke a genauer als die der Strecke b. Sodann erkennt man, dafs k\u00fcrzere Strecken genauer gemessen werden, als l\u00e4ngere. Das h\u00e4ngt mit vorigem zusammen. Die Endpunkte l\u00e4ngerer Strecken liegen beide, oder wenigstens einer von ihnen, weiter vom Fixierpunkt ab, als die k\u00fcrzerer Strecken.\nIm Ganzen k\u00f6nnte es scheinen, dafs die Messungen nicht sonderlich genau w\u00e4ren, wenn man sie mit stereoskopischen Messungen vergleicht.1 Die unmittelbaren Raumbildmessungen an stereoskopischen Bildern unterscheiden sich aber in zwei Punkten wesentlich von unserem Fall der Nachbildausmessung. Einmal sind die Netzhautbilder bei Betrachtung stereoskopischer Bilder sch\u00e4rfer als bei unserer Nachbildermethode, bei welcher ein Gegenstand etwa 10 Sekunden lang fixiert wird. W\u00e4hrend dieser Zeit f\u00fchren die Augen die mehrfach genauer untersuchten\n1 W. Trendelenburg, Stereoskopische Raummessung an R\u00f6ntgenaufnahmen. Springer 1917. \u2014 Fortschr. a. d. Geb. d. R\u00f6ntgenstr. 27, 506. 1918.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nWilhelm Trendelenburg\nFixationsschwankungen aus h welche das Nachbild vergr\u00f6bern. Es wurden deshalb die Nachbilder mittels Magnesium-Blitzlicht1 2 hervorgerufen, also mit Momentbelichtung. Allerdings war das Nachbild auch hierbei dem Objekt gegen\u00fcber durch Irradiation etwas verbreitert. Die Genauigkeit der Messung wurde aber deutlich gr\u00f6fser. So wurde an dem W\u00fcrfel von 5 cm Kantenl\u00e4nge f\u00fcr eine dem Fixierpunkt nahe Kante im Nachbild gemessen 5,0 \u2014 5,0 \u2014 5,2 cm, f\u00fcr eine weiter abliegende Kante 4,9 \u2014 5,1 \u2014 5,8 cm. Vor jeder Messung wurde hierbei ein neues Nachbild hervorgerufen, um den Einflufs eines anderen m\u00f6glichen Fehlers zu vermeiden, welcher darin bestehen w\u00fcrde, dafs im Moment der Belichtung der Fixierpunkt infolge von versehentlichen Augenschwankungen nicht genau eingehalten war.\nEs ist aber bei der Ausmessung der Nachbilder noch etwas ganz anderes auf die Genauigkeit von Einflufs. Man kann bei der \u00fcblichen Ausmessung stereoskopischer Abbilder mit wanderndem Blick arbeiten, also abwechselnd den einen oder anderen llaumbildpunkt, bzw. Zirkelspitze, beobachten. Bei der Nachbildmethode mufs man aber bei festliegendem Fixierpunkt im indirekten Sehen arbeiten. Im allgemeinen wird ja weder das eine noch das andere Ende der zu messende Strecke mit dem Fixierpunkt zusammenfallen.3\nIn diesem Zusammenhang ist es von Interesse festzustellen, wie genau wir an einem Objekt selber im indirekten Sehen messen k\u00f6nnen. Die folgenden Versuche zeigen, dafs diese Genauigkeit wie zu erwarten war, wesentlich geringer ist, als bei alternierendem Fixieren der Punkte auf die das Mafs (die Zirkelspitzen) einzustellen ist. Es wurden diese Messungen an den gleichen Objekten in gleicher Stellung ausgef\u00fchrt, in welchen\n1\tVgl. u. a. : E. Marx und W. Trendelenburg, Zeitschr. f. SinnesphysioL 45, 87. 1911.\n2\tMan stellt zweckm\u00e4fsig einen Agfa-Kapselblitz, Gr\u00f6fse II, seitlich vom Beobachter auf, der durch einen Blechschirm gesch\u00fctzt wird.\n3\tW\u00e4hrend wir bei der Betrachtung stereoskopischer Abbilder das Raumbild als Summe der Schnittpunkte von Blicklinien definieren, m\u00fcssen wir im Fall der Nachbildbetrachtung an Stelle der Blicklinien also die Richtungslinien setzen. Hinsichtlich des Begriffes \u201eRaumeindruck\u201c sei auf v. Kries verwiesen (Helmholtz physiologische Optik 3. Auflage 3, 534 ff. In Anm. 1 auf S. 535 ber\u00fchrt v. Kries die M\u00f6glichkeiten, das Raumbild anders zu definieren, als durch die Blicklinien.)","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Raumbildmessung an Nachbildern\n93\nsie zu den vorigen Versuchen dienten. Die Zirkelspitzen durften dem Objekt hierbei nicht unmittelbar angelegt werden, da das Zusammenfallen der Zirkelspitzen mit dem Objektpunkten rein optisch beurteilt werden mufste.\nTabelle 2\nObjektmessungen im indirekten Sehen, unter Einhaltung des Fixierpunktes. \u00c0) Drahtw\u00fcrfel von 10 cm Kantenl\u00e4nge.\nIndirekte Messung, Einzel werte : 10,9 \u2014 10.4 \u2014 10,7 \u2014 11,5 \u2014 10,3 cm\nMittelwert: 10,8 cm Mittl. Abweichung: 0,54 cm B) Drahtw\u00fcrfel von 5 cm Kantenl\u00e4nge.\nIndirekte Messung, Einzelwrerte : 4,9 \u2014 5,6 \u2014 5,2 \u2014 5,2 \u2014 5,4 cm\nMittelwert: 5,3 cm Mittl. Abweichung: 0,3 cm.\nVergleicht man mit den Ergebnissen dieser Tabelle 2 diejenigen der Tabelle 1, so wird man nicht anstehen, die Genauigkeit der Raumbildmessung auf Grund von Nachbildern als recht grofs zu bezeichnen.\nSchliefslich war es w\u00fcnschenswert, auch an verwickelteren Gegenst\u00e4nden zu untersuchen, ob auf Grund von Nachbildern Raumeindr\u00fccke entstehen und Raumbilder gemessen werden k\u00f6nnen. Hier\u00fcber wurden einige Beobachtungen an einem menschlichen Gesichtssch\u00e4del ausgef\u00fchrt. Das Nachbild wurde mit der gleichen Methode entworfen, wie sie oben geschildert wurde. Der Raumeindruck des Nachbildes war vollkommen deutlich. Die Raumbildmessungen liefsen sich ebenfalls ausf\u00fchren. Die Ergebnisse sind in Tabelle 3 enthalten, welche zugleich die Messungen am Objekt im indirekten Sehen enth\u00e4lt. Allerdings wirkt etwas befremdend, dafs man wenig gewohnt ist, einen Sch\u00e4del im Negativbild zu sehen ; handelt es sich doch bei unserer Methode um negative Nachbilder. Um die Beobachtung auch im positiven Nachbild zu erm\u00f6glichen, wurde auch am Gesichtssch\u00e4del das Nachbild durch Blitzlicht (s. o.) hervorgerufen. Man erh\u00e4lt dadurch ohne Zusatzbelichtung f\u00fcr kurze Zeit ein sehr gutes positives Nachbild, welches aufserordentlich deutlich in r\u00e4umlicher Anordnung erscheint.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\tTrendelenburg, Zur Frage der Raumbildmessung an Nachbildern\nTabelle 3\nMessungen an dem ausges\u00e4gten Gesiehtsteil eines Sch\u00e4dels.\na)\tAbstand der r. Jochbeinwurzel von der 1. S\u00e4geecke der Temporalschuppe :\nAm Objekt gemessen 14,0 cm Indirekte Messung 14,2 cm Nachbildmessung 14,5 cm\nb)\tAbstand der Nasenbeinspitze von der Wurzel des Jochbeinbogens:\nAm Objekt gemessen 10,4 cm\nIndirekte Messung 10,4 cm\nNachbildmessung, Einzel werte: 12,1 \u2014 11,7 cm\nMittelwert: 11,9 cm\nc)\tAbstand von zwei Backenz\u00e4hnen r. und 1.\nAm Objekt gemessen 6,3 cm Indirekte Messung 6,5 \u2014 6,4 cm\nNachbildmessung, Einzelwerte: 6,1 \u2014 5,8 \u2014 6,0 \u2014 6,1 \u2014 6,5 cm\nMittelwert: 6,1 cm Mittlere Abweichung: 0,3 cm.\nZusammenfassung\nDie Untersuchung befafst sich mit der Frage der r\u00e4umlichen Wahrnehmung an Nachbildern und mit der unmittelbaren Ausmessung des Nachbild-Raumbildes. Mit geeigneter Methode erh\u00e4lt man bei Nachbildern einen sehr deutlichen Raumeindruck. Die Raumbildmessung l\u00e4fst sich genau durchf\u00fchren. Es ist zu beachten, dafs es sich bei der Raumbildmessung an Nachbildern um eine Messung im indirekten Sehen handelt, welche, auch wenn man sie an einem Objekt ausf\u00fchrt, nicht so genau sein kann, wie die \u00fcbliche Messung im direkten Sehen.","page":94}],"identifier":"lit36001","issued":"1930","language":"de","pages":"89-94","startpages":"89","title":"Zur Frage der Raumbildmessung an Nachbildern","type":"Journal Article","volume":"60"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:41:28.211937+00:00"}