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{"created":"2022-01-31T16:46:06.120718+00:00","id":"lit36014","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Vujic, Vladimir","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 60: 290-294","fulltext":[{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nEine neue optische T\u00e4uschung\nScheinbarer Fall eines kleinen Objektes\nVon\nDr. Vladimib VuJic-Belgrad Mit 1 Abbildung im Text\n\u201eNur die St\u00e4bchen und Zapfen sind die lichtempfindenden Teile der Netzhaut, nur sie werden durch die Schwingungen des Licht\u00e4thers in Erregung versetzt. Dies beweist der MABiOTTEsche Versuch1 (1668), der zeigt, dafs die Eintrittsstelle des Optikus, an der St\u00e4bchen und Zapfen fehlen, ohne Lichtempfindung ist. Man nennt sie daher den blinden Fleck.\u201c\nAbbildung* 1\n\u201eFixiert man mit dem rechten Auge (bei geschlossenem linken) das Kreuz in Abbildung 1 und entfernt resp. n\u00e4hert alsdann die Figur dem Auge so weit, dafs das Bild des Kreises auf die Eintrittsstelle des Nehnerven f\u00e4llt, so verschwindet der Kreis.\nDie Entfernung betr\u00e4gt bei Abbildung 1 etwa 25 cm ; bringt man die Figur n\u00e4her an das Auge oder entfernt sie weiter von\n1 Seine Entdeckung machte so gro\u00dfes Aufsehen, da\u00df er 1668 seine Versuche vor dem K\u00f6nig von England wiederholen mu\u00dfte (Hillebrand).","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Eine neue optische T\u00e4uschung\n291\nihm, so wird zun\u00e4chst der Rand des Kreises, endlich der ganze Kreis sichtbar.\u201c\n\u201eDer blinde Fleck im Auge bewirkt keinen wahrnehmbaren Ausfall innerhalb des Gesichtsfeldes. Da an dieser Stelle eben gar keine Erregung durch das Licht stattfindet, so kann auch nicht etwa ein schwarzer Fleck im Gesichtsfeld entstehen; denn die Empfindung schwarz setzt auch Netzhautelemente voraus, die eben auf dem blinde Flecke fehlen.1 Durch einen psychischen Akt wird der dem blinden Fleck entsprechende unausgef\u00fcllte Bezirk des Gesichtsfeldes nach der Wahrscheinlichkeit ausgef\u00fcllt. Daher erscheint uns, wenn ein weifser Punkt auf einer schwarzen Fl\u00e4che verschwindet, die ganze Fl\u00e4che schwarz; eine weifse Fl\u00e4che, von der ein schwarzer Punkt auf den blinden Fleck f\u00e4llt, erscheint ganz wreifs, eine Seite Druckschrift durch-wegs grau usw. So werden auch der Wahrscheinlichkeit nach ersetzt: mittlere Teile einer langen Linie, Teile eines Kreises, das Mittelst\u00fcck eines Kreuzes. Solche Bilder jedoch, die sich aus der Wahrscheinlichkeit nicht rekonstruieren lassen, werden auch nicht erg\u00e4nzt, z. B. nicht das Ende einer Linie oder ein menschliches Antlitz.\u201c 2\n\u201eBei gesch\u00e4rfter Aufmerksamkeit verschwinden jedoch diese Erscheinungen, und man bemerkt deutlich, dafs die Konturen einer Zeichnung, die nur teilweise in den blinden Fleck reicht, an der Stelle des letzteren unterbrochen erscheinen. Dagegen wird die blinde Stelle im allgemeinen mit dem gleichm\u00e4fsigen Hintergrund ausgef\u00fcllt, auf dem sich die Zeichnung befindet.\u201c \u201eIst der Hintergrund farbig, so erscheint nach dem Verschwinden der Objekte auch die blinde Stelle in der Farbe des Hintergrundes.\u201c 3\nWenn ein Auge zuf\u00e4llig geschlossen ist oder aber eine dem blinden Fleck z. B. des linken Auges entsprechende Stelle des Gesichtsfeldes von dem rechten Auge durch die Nase verdeckt ist (oder umgekehrt), an der dem blinden Fleck des linken Auges\n1\tUnter geeigneten Versuchsbedingungen kann man die kritische Stelle als schwarzen Fleck sehen, ja man kann sie durch Simultankontrast sogar f\u00e4rben (Hillebrand, Die Lehre von den Gesichtsempfindungen, 1929).\n2\tAlles aus Landois-Rosemann, Lehrbuch der Physiologie, 15. Aufl.\n3\tWundt, Grundz\u00fcge der physiologischen Psychologie, 6. Aufl., 2. Band, S. 538.","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nVladimir Vujic\nentsprechenden Stelle jedoch sich ein durch seine Eigenschaften und seine Farbe von dem Untergrund gen\u00fcgend abhebender kleiner unbewegter Gegenstand, etwa ein Tintenfleck, befindet, l\u00e4fst sich folgende Erscheinung beobachten. Solange die Augen diese Stellung einnehmen, bleibt der Gegenstand unbemerkt. Im Augenblick jedoch, in dem wir die Augen in einer oder der anderen Richtung bewegen, werden wir, unter gewissen Bedingungen, pl\u00f6tzlich den Eindruck haben, als sei der betreffende Gegenstand herabgefallen, obgleich er sich in der ganzen Zeit tats\u00e4chlich nicht bewegt hat.\nR\u00fccken wir nun die Augen hierauf sofort in ihre urspr\u00fcngliche Lage zur\u00fcck, d. h. so, dafs der betreffende Gegenstand wieder auf die dem blinden Fleck entsprechende Gesichtsfeldstelle des gleichen Auges kommt, und versuchen jetzt durch erneute Augenbewegung die beschriebene T\u00e4uschung nochmals hervorzurufen, bleibt der Versuch erfolglos.\nDie Analyse dieser optischen T\u00e4uschung zeigt uns, dafs sie willk\u00fcrlich nicht hervorgerufen werden kann. Die Hauptursache hierf\u00fcr ist darin zu suchen, dafs wir in diesem Falle schon vor dem Beginn des Versuches uns dessen bewufst sind, dafs sich vor uns ein unbewegter Gegenstand befindet. Eine Hauptbedingung f\u00fcr das Zustandekommen dieser T\u00e4uschung ist es also, dafs wir uns w\u00e4hrend des Versuches nicht bewufst sind, dafs sich in der dem betreffenden blinden Fleck entsprechenden Gesichtsfeldstelle ein Gegenstand vorfindet.\nIm Momente, in dem unter den obigen Bedingungen pl\u00f6tzlich ein kleiner Gegenstand oder ein Tintenfleck in unserem Gesichtsfeld erscheint, urteilen wir, dafs dieser Gegenstand von irgendwoher heruntergefallen sein mufs. In der Tat beruht diese T\u00e4uschung nicht auf den optischen Empfindungen selbst, bzw. ist uns nicht in der unmittelbaren Wahrnehmung gegeben, sondern entspringt dem falschen Urteil, das wir auf Grund der Erfahrungstatsache f\u00e4llen, dafs die pl\u00f6tzliche Erscheinung eines Objektes gew\u00f6hnlich auf dessen Fall zur\u00fcckzuf\u00fchren ist. Wie bei so vielen anderen sog. Sinnest\u00e4uschungen handelt es sich auch bei der vorliegenden nicht um eine wirkliche T\u00e4uschung der Sinne, sondern um eine Urteilst\u00e4uschung.\nF\u00fcr die Erkl\u00e4rung dieser T\u00e4uschung d\u00fcrfte noch eine andere Tatsache von Bedeutung sein. \u201eWenn z. B. des Abends Wolken am Monde vor\u00fcberziehen, so k\u00f6nnen wir diese Bewegungen auf","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Eine neue optische T\u00e4uschung\n293\nden Mond \u00fcbertragen, der uns nun in entgegengesetzter Richtung zu wandern scheint, w\u00e4hrend die Wolken still stehen. Bei dieser T\u00e4uschung wirkt der Umstand mit, dafs wir kleinere Gesichtsobjekte leichter f\u00fcr bewegt halten als gr\u00f6fsere, was sich wohl daraus erkl\u00e4ren l\u00e4fst, dafs in der weit \u00fcberwiegenden Mehrzahl der F\u00e4lle die bewegten Objekte kleiner sind als ihre relativ ruhende Umgebung, was nun wieder assimilativ auf die neue Be wegungs Vorstellung ein wirkt. \u201c1\nMit R\u00fccksicht auf die Natur der beschriebenen T\u00e4uschung und der Elemente, aus denen sie hervorgeht, d. h. in erster Linie mit R\u00fccksicht auf die Gr\u00f6fse des Feldes, das dem Mabiotte-sehen Fleck entspricht, mufs bei kleiner Entfernung auch der Gegenstand selbst klein sein, so dafs diese Tatsache zur F\u00e4llung des falschen Urteils beitr\u00e4gt. Obgleich wahrscheinlich auch andere Ursachen existieren, kann doch vorausgesetzt werden, dafs in diesem Faktum der Grund daf\u00fcr zu suchen ist, dafs wir bei gr\u00f6iserer Entfernung die T\u00e4uschung nicht haben beobachten k\u00f6nnen.\nHalten wir uns vor Augen, dafs diese T\u00e4uschung nur unwillk\u00fcrlich hervorgerufen werden kann, so ist mit grofser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, was hier gleich eingeschoben werden mag, dafs sie bei Ein\u00e4ugigen h\u00e4ufiger sein mufs.\nDer optische Eindruck, dafs ein Gegenstand f\u00e4llt, ist aus zwrei Komponenten zusammengesetzt: aus der Wahrnehmung der Bewegung im allgemeinen und aus dem Falle im besonderen. Bei unserer T\u00e4uschung besteht schon dadurch, dafs die Illusion des Falles eines Gegenstandes vorliegt, auch die Illusion seiner Bewegung. Mit Hinblick auf diese Bewegungsillusion, und um diese T\u00e4uschung vollst\u00e4ndig analysieren zu k\u00f6nnen, w\u00e4re es n\u00f6tig noch andere psychologische Probleme in Betracht zu ziehen, die wir m\u00f6glicherweise bei anderer Gelegenheit behandeln werden. Hier m\u00f6chten wir nur noch hinzusetzen, dafs bei unserer Urteilst\u00e4uschung auch noch die Frage wahrscheinlich eine gewisse Bedeutung hat, ob sich das Auge unmittelbar vor Eintritt der beschriebenen Erscheinung schl\u00e4fenw\u00e4rts, d. h. im Sinne des betreffenden Gegenstandes, oder in irgendeiner anderen Richtung bewegt.\n1 Wundt, op. c., 2. Band, 8. 612.","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nVladimir Vujic, Eine neue optische T\u00e4uschung\nObgleich wir diese T\u00e4uschung mehrmals beobachten konnten, gelang es uns nicht festzustellen, da ja die T\u00e4uschung nicht willk\u00fcrlich erzeugt werden kann, ob die Richtung der Augenbewegung hierbei von Wichtigkeit ist. Diese Frage steht in engem Zusammenhang mit der Aufmerksamkeitsrichtung.\nAus theoretischen Gr\u00fcnden m\u00f6chten wir, allerdings mit der n\u00f6tigen Reserve annehmen, dafs es f\u00fcr die Hervorrufung der Erscheinung g\u00fcnstiger ist, wenn sich das Auge nicht schl\u00e4fen-w\u00e4rts, also nicht im Sinne des betreffenden Gegenstandes, bewegt.\nDie Wahrnehmung dieser T\u00e4uschung setzt eine scharfe Beobachtung und wahrscheinlich auch eine gewisse \u00dcbung im indirekten Sehen voraus.","page":294}],"identifier":"lit36014","issued":"1930","language":"de","pages":"290-294","startpages":"290","title":"Eine neue optische T\u00e4uschung: Scheinbarer Fall eines kleinen Objektes","type":"Journal Article","volume":"60"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:46:06.120724+00:00"}