Open Access
{"created":"2022-01-31T16:44:18.223551+00:00","id":"lit36021","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Gross, Kurt","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 62: 44-48","fulltext":[{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\n(Aus dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t Erlangen)\n\u2022 \u2022\nUber Farbenempfindung in der Netzhautperipherie\nVon\nKurt Gross (Erlangen)\nNach der Peripherie des Gesichtsfeldes hin nimmt bekanntlich die Farbenempfindung immer mehr ab, um in der \u00e4u\u00dfersten Netzhaut zone praktisch ganz zu schwinden; wir sprechen von rotgr\u00fcnblinder und total farbenblinder Zone. In Zahlen abgesch\u00e4tzt w\u00fcrde die Farbenwahrnehmung 10 Grad entfernt von der Fovea angeblich nur noch etwa 1/4, 20 Grad entfernt etwa Vio\u2014V20 und 35 Grad entfernt nur noch etwa 1/40 betragen (1). Was die Erkl\u00e4rung dieser Tatsache anlangt, so ist sie einmal durch die Differenz im anatomischen Bau der Netzhaut begr\u00fcndet. Es fragt sich aber, inwieweit andere Momente dabei ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen. In meiner vorhergehenden Arbeit \u201e\u00dcber vergleichende Helligkeitsmessungen am albinotischen Kaninchenauge\u201c (2) habe ich experimentell festgestellt, da\u00df infolge der diop-trischen M\u00e4ngel am Auge die Helligkeit der Netzhautbilder nach\nder Peripherie hin ganz bedeutend abnimmt, so da\u00df z. B. schon\n\u2022 \u2022\nam \u00c4quator des Augapfels bei (90 Grad) die Helligkeit bereits auf V36 herabgesunken ist. Wenn wir uns vergegenw\u00e4rtigen, da\u00df die Farbenwahrnehmung in enger Beziehung zur Helligkeit steht, ja von letzterer mehr oder weniger abh\u00e4ngt, wie aus der Perimetrie unzweideutig hervorgeht1, so haben wir hierin offenbar eine weitere wesentliche Ursache f\u00fcr die mangelhafte Farbenempfindung in der Netzhautperipherie, die mich zu erneuter Pr\u00fcfung dieser Zone angeregt hat.\nSchon fr\u00fcher sind auf Grund der bekannten Erfahrungen der Perimetrie Versuche angestellt worden, durch Steigerung der Licht-\n1 Je heller die Beleuchtung, desto weiter r\u00fccken bekanntlich die Grenzen der rotgr\u00fcnblinden und der totalfarbenblinden Zone nach der Peripherie hinaus.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Farbenempfindung in der Netzhautperipherie\n45\nintensit\u00e4t Farbenempfindung auch in der \u00e4u\u00dfersten Peripherie nachzuweisen. So ben\u00fctzte Landolt (3) ein Sonnenspektrum und einen ver\u00e4nderlichen Spalt, mittels welchem er die einzelnen Spektralfarben isolieren konnte. Er pr\u00fcfte im Zustande ausgepr\u00e4gter Dunkeladaptation und stellte fest, da\u00df alle Farben mit dieser Methode schon bei einem Winkel von 90 Grad erkannt werden, wenn sie intensiv genug sind.\nZum gleichen Ergebnis gelangte Charpentier (4) auf Grund von Untersuchungen mit farbigen durch eine elektrische Lampe beleuchteten Gl\u00e4sern.\nIn neuerer Zeit ist dann von Maggiore (5) die Farbenempfindlichkeit der Netzhautperipherie wieder untersucht worden. Maggiore verwendet eine Bogenlampe von 30 Amp\u00e8re, ein Prisma mit gro\u00dfem Zerstreuungsverm\u00f6gen und wirft mit Spiegeln das Spektrallicht auf den Perimeterbogen. Er findet bei Spektralfarbenfeldern von 40 mm Seitenl\u00e4nge die Grenze f\u00fcr Blau, Rot und Gr\u00fcn au\u00dfen (temporal) bei 90 Grad, innen (nasal), oben und unten nat\u00fcrlich bei kleineren Winkeln. Bei Verkleinerung der Spektralfarbenfelder werden ebenso wie bei Herabsetzung der Helligkeit die Farbengesichtsfelder kleiner h Was nun die Ergebnisse dieser verschiedenen Untersuchungen anlangt, so kommen die genannten Forscher alle zu dem gleichen Resultat, da\u00df im g\u00fcnstigsten Fall die Farben temporal bei 90 Grad wahrgenommen werden k\u00f6nnen. Dabei pr\u00fcfte Landolt bei Dunkeladaptation, Maggiore mit relativ gro\u00dfen Spektralfeldern von 4 cm Seitenl\u00e4nge ; das normale Gesichtsfeld reicht aber temporal bekanntlich noch \u00fcber 90 Grad hinaus bis 100 Grad und dar\u00fcber.\nIch habe deshalb, angeregt durch meine Feststellung, da\u00df die Helligkeit der Netzhautbildchen nach der Peripherie hin so bedeutend abnimmt, \u00fcber die Farbenempfindung in der \u00e4u\u00dfersten Netzhautperipherie erneut Untersuchungen angestellt; und zwar kam es mir darauf an, die aller\u00e4u\u00dferste Netzhautzone zu pr\u00fcfen, also bei Winkeln m\u00f6glichst \u00fcber 90 Grad zu untersuchen, was nat\u00fcrlich nur bei Lichteinfall von der temporalen Seite her (im \u00e4u\u00dferen horizontalen Meridian) m\u00f6glich war.\n1 Die wertvolle Untersuchung Maggiores war mir, als ich (angeregt durch meine Feststellung der so bedeutenden Helligkeitsabnahme der Netzhau tbildchen nach der Peripherie hin) meine Pr\u00fcfungen \u00fcber die Farbenempfindung in der Netzhautperipherie vornahm, noch nicht bekannt.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nKurt Gross\nMethodik\nEs war mir auf Grund meiner Feststellungen am albinotischen Kaninchenauge (2) ohne weiteres klar, da\u00df ich, um in der \u00e4u\u00dfersten Peripherie noch gen\u00fcgend lichtstarke Bilder zu erhalten, mit recht intensiven Lichtern arbeiten m\u00fcsse und da\u00df nur auf diese Weise eine Farbenempfindung zu erwarten sei. Zur Erzeugung derartiger spektraler Pr\u00fcflichter bediente ich mich der Einrichtung von C. Zeiss zur Projektion von Komplement\u00e4rfarben. Bei dieser Anordnung entwirft die Weule-Bogenlampe f\u00fcr 5 Amp\u00e8re ein lichtstarkes Spektrum; unmittelbar anschlie\u00dfend an das Prisma befindet sich im Strahlengang eine Sammellinse von 30 cm Brennweite und weiter ein Schirm mit Kreuzschlitten, der ein schmales Ablenkungsprisma tr\u00e4gt Mittels dieses Ablenkungsprismas kann man einen bestimmten Wellenbereich aus dem Gesamtspektrum herausnehmen; auf einem wei\u00dfen Schirm entstehen dann zwei Bilder der Blende, wobei das nichtabgelenkte Bild die Mischfarbe der Teile des Spektrums zeigt, die an dem Ablenkungsprisma Vorbeigehen, da\u00df abgelenkte dagegen die Mischfarbe der durch das Ablenkungsprisma hindurchgegangenen. Auf diese Weise lassen sich durch Verschiebung des Ablenkungsprismas lichtstarke spektrale Mischungen in den verschiedenen Farben hersteilen. An Stelle des wei\u00dfen Auffangschirmes brachte ich nun einen schwarzen Schirm mit kleiner Blenden\u00f6ffnung und stellte diesen so ein, da\u00df nur ein enges Strahlenb\u00fcndel der gew\u00fcnschten Farbe die Blende passierte, alles andere Licht dagegen abgeblendet wurde. Hinter diesem Schirm befand sich das Auge des zu Untersuchenden. Bei meinen ersten Untersuchungen war die Blende (6 mm Durchmesser) mit transparentem Papier \u00fcberzogen, und dieses mit der jeweiligen Farbe beleuchtete kleine Feld diente zur Pr\u00fcfung. Da es aber auf diese Weise nicht gelang, die Farbenempfindunor bis zu Winkeln \u00fcber 90 Grad nachzuweisen (besonders Gr\u00fcn wurde so nur bis etwa 80 Grad erkannt), was allerdings auch nicht Wunder nehmen kann, da eben die Helligkeit des Pr\u00fcflichtes dadurch ganz bedeutend herabgesetzt und das Netzhautbildchen also zu lichtschwach wird, und da ich andererseits bei diesen Pr\u00fcfungen nicht das Feld vergr\u00f6\u00dfern wollte1, entfernte ich, um die n\u00f6tige maximale Helligkeit zu erreichen, das trans parente Papier wieder und lie\u00df ein enges farbiges Lichtb\u00fcschel durch die nunmehr auf 3 mm verengte Blende direkt ins","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Farbenempfindung in der Netzhautperipherie\n47\nAuge fallen. Die Pr\u00fcfungen wurden an vier Vpn. vorgenommen. Die jeweilige Vp. begab sich im Zustande v\u00f6lliger Helladaptation in den verdunkelten Untersuchungsraum, nahm hinter dem Schirm mit der kleinen Blenden\u00f6ffnung Platz und stellte das rechte Auge unter Kontrolle des VI. so ein, da\u00df es zun\u00e4chst unter einem Winkel von etwa 130 Grad von dem engen Strahlenb\u00fcndel horizontal getroffen wurde, wobei nat\u00fcrlich noch keinerlei Wahrnehmung stattfand. Dann kehrte sie den Blick ganz langsam immer mehr dem Licht zu, bis dieses temporal ins Gesichtsfeld kam; sobald die Farbe richtig angegeben war, wurde der jeweilige Winkel bestimmt. Bei den auf diese Weise gefundenen Winkeln wurde dann ferner auch noch mit kurzen Belichtungen von 1\u20142 Sekunden Dauer gepr\u00fcft. Untersucht wurde mit den Farben Rot, Gr\u00fcn, Blau und Gelb.\nErgebnisse\nDie Pr\u00fcfungen ergaben bei den vier Vpn. \u00fcbereinstimmend, da\u00df die genannten Farben temporal im Gesichtsfeld schon in einem Winkel wesentlich \u00fcber 90 Grad (zwischen 100 und 110 Grad) richtig erkannt und angegeben wurden, da\u00df also nach au\u00dfen zu im horizontalen Meridian die Gesichtsfeldgrenzen f\u00fcr Farben mit der absoluten Gesichtsfeldgrenze zusammenfallen. Dabei ist sowohl auf Dunkeladaptation als auch auf die Benutzung gr\u00f6\u00dferer Farbenfelder bei der Pr\u00fcfung verzichtet worden. Sobald nur mit gen\u00fcgend hohen Lichtintensit\u00e4ten gepr\u00fcft wird, d. h. durch ein enges Lichtb\u00fcschel, welches direkt ins Auge einf\u00e4llt, in der Netzhautperipherie von der farbigen Lichtquelle ein gen\u00fcgend helles Bildchen entworfen wird, ist also selbst in der aller\u00e4u\u00dfersten Peripherie noch eine deutliche 4 arbenempfmdung nachzuweisen. Damit ist der Beweis erbracht, da\u00df die von mir in meiner letzten Arbeit (2) am albinotischen Kaninchenauge experimentell festgestellte unter gew\u00f6hnlichen BeleuchtungsVerh\u00e4ltnissen \u00e4u\u00dferst geringe Helligkeit der peripheren Netzhautbilder die \u201eFarbenblindheit\u201c dieser Netzhautzone in erster Linie bedingt. Da\u00df daneben der anatomische Bau der Netzhaut auch eine wich-\n1 Bei entsprechender Vergr\u00f6\u00dferung des Feldes werden, wie ich in einer anderen Untersuchung teststellte, die Farben ebenfalls schon in Winkeln \u00fcber 90 Grad richtig erkannt; so wurden bei einem transparenten runden Feld von 17 mm Durchmesser die Farben noch bis zu einem Winkel von 100 Grad richtig angegeben.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nKurt Gross, Farbenempfindung in der Netzhautperipherie\ntige Rolle spielt, habe ich bereits anfangs erw\u00e4hnt. Diese Auffassung deckt sich \u00fcbrigens bis zu einem gewissen Grade mit der Ansicht Fazakas (6), der auch seinerseits die durch die optischen Verh\u00e4ltnisse bedingte Unvollkommenheit des peripheren Bildes haupts\u00e4chlich daf\u00fcr verantwortlich macht, da\u00df die Farbensehsch\u00e4rfe peripher geringer ist als zentral.\nZusammenfassung\nMittels der ZEissschen Einrichtung zur Projektion von Komplement\u00e4rfarben wurden spektrale Mischungen (Rot, Gr\u00fcn, Blau, Gelb) hergestellt und mit diesen intensiven Lichtern die Farbenempfindung in der \u00e4u\u00dfersten Netzhautperipherie am helladaptierten Auge bei vier Versuchspersonen gepr\u00fcft. Die Pr\u00fcfungen ergaben \u00fcbereinstimmend, da\u00df die genannten Farben temporal im Gesichtsfeld s\u00e4mtlich schon in einem Winkel \u00fcber 100 Grad einwandfrei erkannt werden, da\u00df also ein ausschlaggebender Grund der sog. \u201eFarbenblindheit\u201c der Peripherie die durch die Dioptrik dortselbst bedingte zu geringe Helligkeit der Netzhautbilder ist und da\u00df, sobald mit intensiven Lichtern gepr\u00fcft resp. das entworfene Bild in der Netzhautperipherie dadurch gen\u00fcgend hell wird, selbst in der \u00e4u\u00dfersten Zone der Retina noch eine deutliche Farbenempfindung vorhanden ist.\nLiteratur\n1)\tHans K\u00f6llner, Die St\u00f6rungen des Farbensinnes. Seite 24 f. Berlin 1912.\n2)\tK\u00fcrt Gross, \u00dcber vergleichende Helligkeitsmessungen am albinotischen Kaninchenauge. Z. Sinnesphysiol. 62, S. 38\u201443. 1931.\n3)\tEdmund Landolt, Farbenperzeption der Netzhautperipherie. Sitzungs* bericht der ophthalmologischen Gesellschaft im Jahre 1873. Seite 376 f. s. a. Hermann Snellen und Edmund Landolt, Ophthalmometrologie. Handbuch der gesamten Augenheilkunde von Graefe-Saemisch. 3. Band. 1. Teil. Seite 67 ff. 1874.\n4)\tA. Charpentier, Perception des couleurs \u00e0 la p\u00e9riph\u00e9rie de la r\u00e9tine. Archive d\u2019Ophthalmologie 3. Seite 12. 1883.\n5)\tLuigi Maggiore, Sulla p\u00e9rim\u00e9tria a mire spettrale di tono, intensita, saturazione e grandezza variabili. Ann. di ottalmol. e clin. oculist. Jahrgang 52. Heft 3/4. Seite 247\u2014272. 1924.\n6)\tAlexander Fazakas, \u00dcber die zentrale und periphere F\u00e4rben-Sehsch\u00e4rfe. Arch. Ophthalm. 120 Seite 555\u2014566. 1928.","page":48}],"identifier":"lit36021","issued":"1932","language":"de","pages":"44-48","startpages":"44","title":"\u00dcber Farbenempfindung in der Netzhautperipherie","type":"Journal Article","volume":"62"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:44:18.223557+00:00"}