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{"created":"2022-01-31T15:38:57.122146+00:00","id":"lit36027","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"M\u00fcller, Hans Karl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 62: 137-140","fulltext":[{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"137\n(Aus der Universit\u00e4ts-Augenklinik, Basel)\nAkkommodation im Greisenalter oder Linse mit doppeltem Brennpunkt?\nVon\nHans Kael M\u00fclleb\nIn Bd. 62, Heft 1 dieser Zeitschrift hat Kukt Geoss einen bemerkenswerten Untersuchungsbefund bei einer 86 j\u00e4hrigen ver\u00f6ffentlicht. Diese Frau hatte auf jedem Auge eine Sehsch\u00e4rfe von 0,8\u20140,9 f\u00fcr die Ferne und konnte die BiEKH\u00c4usEEschen Naheleseproben noch bis V=0,5 in einer Entfernung von 30 cm richtig lesen. Bei mittlerer Beleuchtung betrug die Pupillenweite 2,7 mm. Auf Grund dieses Befundes schreibt Geoss : \u201eWir haben also die sehr bemerkenswerte Tatsache, da\u00df eine 86j\u00e4hrige Emmetrope noch imstande ist, gew\u00f6hnliche Druckschrift in normalem Leseabstand ohne Brille zu lesen, und ich glaube, da\u00df wir zur Erkl\u00e4rung dieser Tatsache das Vorhandensein einer entsprechenden Akkomodation noch in diesem Alter annehmen m\u00fcssen. F\u00fcr eine andere Erkl\u00e4rung etwa derart, da\u00df durch Linsenver\u00e4nderung verschiedene Stellen f\u00fcr Nahe- und Fernsehen ben\u00f6tigt werden, resp. da\u00df in der Linse durch Speichenbildung eine Art stenop\u00e4ische L\u00fccke vorhanden w\u00e4re, fehlen ebenfalls alle Anhaltspunkte.\u201c\nEs sei zugestanden, da\u00df die von Geoss f\u00fcr seine Beobachtung gegebene Erkl\u00e4rung zutreffend sein kann, und da\u00df hier in der Tat ein seltener Ausnahmefall von einer bisher als gesetzm\u00e4\u00dfig angesehenen Regel vorliegt. \u00dcberzeugt ist man aber durch diese Ausf\u00fchrungen keineswegs, denn es fehlen die unerl\u00e4\u00dflichen n\u00e4heren Angaben \u00fcber die benutzte Methodik der Linsenuntersuchung, welche erst den Beweis ergeben, da\u00df andere Erkl\u00e4rungsm\u00f6glichkeiten nicht bestanden.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 62\n11","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nHans Karl M\u00fcller\nWie bedeutungsvoll die Untersuchungsmethodik zur Ent-\nScheidung derartiger Fragen ist, kann an einem Fall ersehen\nwerden, den ich in der Basler Augenklinik beobachtete und der ' ** \u2022 , m\nmit dem Gross sehen eine weitgehende \u00c4hnlichkeit besitzt. Em 78j\u00e4hriger Patient, der wegen Hordeolum externum des linken Oberlides die Poliklinik aufsuchte, gab an, da\u00df er stets gut gesehen habe und weder f\u00fcr die Ferne noch f\u00fcr die N\u00e4he eine Br\u00fcle ben\u00f6tigte. Die Sehsch\u00e4rfenpr\u00fcfung ergab sowohl f\u00fcr das rechte als auch f\u00fcr das linke Auge eine Sehsch\u00e4rfe von 6/8. Mit jedem Auge konnte Patient die NiEDENschen Schriftproben bis Nr. II in einer Entfernung von 30 cm bei normaler Lidspaltenweite richtig lesen. Bei Wiederholungen der Sehpr\u00fcfung schwankten die Leistungen bei Nah- und Fernsehen nach oben und unten um die genannten Werte. Durch Vorschalten von Konkavgl\u00e4sern bis zu \u20142,0 dptr wurde die Sehsch\u00e4rfe in die Ferne nicht merklich beeinflu\u00dft. St\u00e4rkere Minusgl\u00e4ser setzten aber die Sehleistung herab, so da\u00df bei \u20144,5 dptr nur noch eine Sehsch\u00e4rfe von 6/60 bestand. Die Pupillenweite betrug bei der Sehpr\u00fcfung 4 mm.\nUm eine etwa vorhandene Akkommodation sicher auszuschalten wurde 3 mal eine 2% Homatropin +2% Kokainl\u00f6sung in beide Augen eingetr\u00e4ufelt und nach 2 Stunden eine erneute Pr\u00fcfung vorgenommen. Hierbei ergab sich wiederum sowohl f\u00fcr das rechte als auch linke Auge eine Sehsch\u00e4rfe von 6/8. Patient konnte auch jetzt noch in 30 cm Distanz die NiEDENschen Schriftproben bis Nr. II lesen. Durch die L\u00e4hmung des Ziliarmuskels war weder f\u00fcr das Sehen in die N\u00e4he noch in die Ferne eine nachweisbare Verschlechterung eingetreten.\nBei Durchleuchtung schienen beide Linsen vollkommen klar zu sein. An der Spaltlampe waren im schmalen B\u00fcschel die Diskontinuit\u00e4tsfl\u00e4chen der Linsen gut zu sehen. In der Rindenschicht befanden sich keinerlei sichtbare Tr\u00fcbungen. Das Alterskernrelief war sehr stark ausgebildet. Zwischen Alters- und Embryonalkern war ein Intervall deutlich zu sehen, auch konnte gerade noch eine optische Trennung von peripherem und zentralem Embryonalkern vorgenommen werden. Diese beiden Kerne hatten einen gelblichen Farbton \u2014 der zentrale mehr als der periphere \u2014 und zeigten eine erh\u00f6hte Reflexion, bei Fehlen von korpuskularen Tr\u00fcbungen.\nDie skiaskopische Untersuchung ergab f\u00fcr beide Augen eine Refraktion von \u20140,75 dptr, wobei allerdings axial noch eine","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Akkommodation im Greisenalter wsw.\n139\n\u00e4u\u00dferst kleine, kaum wahrnehmbare Zone vorhanden war, in der die Brechkraft nicht genau bestimmt werden konnte, aber ungef\u00e4hr \u2014 2,0 dptr betrug.\nDurch die Untersuchungen von Demicheri (1), Guttmann (2), VON Szily SEN. (8), C. von Hess (5), Hagen (3), Halben (4), Jess (6), Kistler (7) u. a. wissen wir, da\u00df im Alter Ver\u00e4nderungen entstehen k\u00f6nnen, die einen doppelten Brennpunkt der menschlichen Kristallinse bedingen, indem die axialen Strahlen im allgemeinen st\u00e4rker gebrochen werden als die peripheren. A. Vogt (9) hat an der Spaltlampe nachweisen k\u00f6nnen, da\u00df es sich bei derartigen F\u00e4llen um eine diffuse Katarakt des Embryonalkernes mit Intervall zwischen Alters- und Embryonalkern handelt.\nWas meinen Fall betrifft, so bestand vor und nach der Akkomodationsl\u00e4hmung f\u00fcr die N\u00e4he und Ferne die gleiche Sehsch\u00e4rfe, die Untersuchung an der Spaltlampe ergab eine Sklerose des Embryonalkernes mit Intervall und die Skiaskopie wies auf eine verschiedene Brechkraft der axialen und paraxialen Linsenpartien hin. In diesem Falle mu\u00df also die F\u00e4higkeit in die N\u00e4he und Ferne ann\u00e4hernd gut zu sehen auf einen doppelten Brennpunkt der Kristallinse zur\u00fcckgef\u00fchrt werden. Besonders hervorzuheben ist, da\u00df die Sehsch\u00e4rfe verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig gut war; dies d\u00fcrfte damit Zusammenh\u00e4ngen, da\u00df der durch die Kernsklerose mit Intervall erzeugte Unterschied in der axialen und paraxialen Brechkraft wahrscheinlich nur 1 bis maximal 2 dptr betrug.\nF\u00fcr die Differentialdiagnose zwischen Akkommodationsf\u00e4higkeit und Linse mit doppeltem Brennpunkt waren also 3 Untersuchungsarten erforderlich:\n1.\tSehpr\u00fcfung vor und nach L\u00e4hmung des Ziliarmuskels.\n2.\tSpaltlampenuntersuchung.\n3.\tSkiaskopie.\nAus der Mitteilung von Gross geht nicht hervor, ob auch nur eine dieser 3 Forderungen bei der Untersuchung seinesEalles erf\u00fcllt worden ist. Die blo\u00dfen Angaben, da\u00df weder Starbildung noch sonstige pathologische Ver\u00e4nderungen gefunden werden konnten, und da\u00df f\u00fcr Nah- und Fernsehen keine verschiedenen Linsen-stellen ben\u00fctzt wurden, resp. durch Speichenbildung keine steno-p\u00e4ische L\u00fccke vorhanden war, k\u00f6nnen in Gemeinschaft mit dem \u00fcbrigen Untersuchungsbefund den Leser nicht von einer noch bestehenden Akkommodationsf\u00e4higkeit \u00fcberzeugen.\n11*","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nHans Karl M\u00fcller, Akkommodation im Greisenalter\nSolange die Beweisf\u00fchrung nicht in der angegebenen Weise f\u00fcr den Fall der 86 j\u00e4hrigen Frau erg\u00e4nzt wird, besteht die M\u00f6glichkeit, da\u00df auch hier Linsen mit doppelten Brennpunkten vorliegen. F\u00fcr diese Annahme spricht auch die Tatsache, da\u00df dieser Zustand nicht allzu selten beobachtet wird.\nLiteraturverzeichnis\n1.\tL. Demicheri, Faux lenticone. Ann. d\u2019Ocul. 118, (1895) S. 93.\n2.\tE. Guttmann, Doppelte Refraktion auf einem Auge in Folge von Kern-\nsklerose. Zbl. f. prk. Augenheilkunde 22, (1898), S. 193.\n3.\tS. Hagen, Ein Fall von hochgradiger Linsenmyopie (Linse mit doppeltem\nBrennpunkt). Acta ophthalm. 7, (1929), S. 174.\n4.\tR. Halben, Scheinkatarakt. Graefes Arch. 57, (1904), S. 277.\n5.\tC. v. Hess, Die krankhaften Altersver\u00e4nderungen der Linse. Graefe-\nS\u00e4misch Handb. d. Augenheilk., 3. Auf!., II. Teil, Kap. 9, (1911), S. 51.\n6.\tA. Jess, Linse mit doppeltem Brennpunkt. Kurzes Handb. d. Ophthal.\nvon F. Schieck u. A. Br\u00fcckner, 5, (1930), S. 224.\n7.\tR. Kistler, Untersuchungen \u00fcber die Refraktion von 105 Hunden mit\nBemerkungen \u00fcber senile Ver\u00e4nderungen des Hundeauges. Klin. Mbl. Augenheilk. 80, (1928), S. 181 (s. S. 188).\n8.\tA. v. Szily, Die Linse mit zweifachem Brennpunkt. Klm. Mbl. Augen-\nheilk. 41, 2. Bd., (1903), S. 44.\n9.\tA. Vogt, Neue Beobachtungen \u00fcber menschliche Kristallinsen mit\ndoppeltem Brennpunkt. Z. Augenheilk. 50, (1923), S. 145.","page":140}],"identifier":"lit36027","issued":"1932","language":"de","pages":"137-140","startpages":"137","title":"Akkommodation im Greisenalter oder Linse mit doppeltem Brennpunkt?","type":"Journal Article","volume":"62"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:38:57.122152+00:00"}