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{"created":"2022-01-31T16:45:01.976975+00:00","id":"lit36050","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Scripture, E. W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 59: 79-82","fulltext":[{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"79\nEin Fall\nvon Magensprache bei einem normalen Menschen\nVon\nProf. Dr. E. W. Scripture (Wien)\nMit 2 Abbildungen im Text\nIn F\u00e4llen von Exstirpation des Kehlkopfes kann es gelingen, ^ine verst\u00e4ndliche Sprache durch den Gebrauch des Magens und des \u00d6sophagus herzustellen. Es wird Luft in den Magen hinuntergeschluckt. Durch Herauspressen der Luft gegen den Widerstand des \u00d6sophagusmundes werden Reihen von Luftst\u00f6fsen erzeugt, welche als T\u00f6ne geh\u00f6rt werden. Diese Luftst\u00f6fse erzeugen \u2014 genau wie die Luftst\u00f6fse vom Kehlkopf in der normalen Sprache \u2014 Hohlraumschwingungen im Pharynx und Mund, welche als Vokalqualit\u00e4ten geh\u00f6rt werden. Aufserdem erzeugt der Luftstrom die Reibungsger\u00e4usche und Explosionen der Konsonanten. In g\u00fcnstigen F\u00e4llen erreicht die Behandlungsmethode kaum glaubliche Resultate. Ein Patient (Stern) ohne Kehlkopf und mit nach obenhin abgeschlossener Trachea \u2014 also ohne Verbindung der Mund- und Pharynxr\u00e4ume mit den Lungen \u2014 lernte ganze S\u00e4tze deutlich und laut zu sprechen; er konnte sogar ein Lied singen. Er bet\u00e4tigte sich als Automobilverk\u00e4ufer, wobei er fortw\u00e4hrend zu sprechen hatte. Ein anderer in Amsterdam \u00fcbte seinen Beruf als Berichterstatter f\u00fcr Sportsbl\u00e4tter ohne Schwierigkeiten aus. Er telephonierte fortw\u00e4hrend, selbst nach Berlin und M\u00fcnchen; seine Zahlen wurden nie mifsverstanden. In Versammlungen hielt er Vortr\u00e4ge. Beim Singen hatte seine Bafsstimme nur den Umfang einer Oktave. Diesen Fall haben B\u00fcrger und Kaiser untersucht und ausf\u00fchrlich mit Reproduktionen von Sprach- und Atmungsaufnahmen beschrieben. Es ergab sich im Wiener Laboratorium die Gelegenheit, einen Fall","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nE. W. Scripture\neines normalen Menschen zu untersuchen, welcher sich beliebig der Magensprache bedienen konnte.\nDr. M. M., geb\u00fcrtiger Amerikaner, Experimentalphonetiker, erz\u00e4hlt, dafs er als ganz junger Schulknabe in Gemeinschaft mit seinen Schulkameraden sich zum Spafs in der Magensprache einge\u00fcbt hat. Jetzt kann er ohne M\u00fche Luft in den Magen hinunterschlucken und nachher kurze S\u00e4tze damit sprechen. Dabei bleibt der Kehlkopf unbeteiligt. Nach mehr als f\u00fcnfzehnj\u00e4hriger Erfahrung besitzt er eine ziemliche Gewandheit. Er kann auch einen kurzen Ton singen. Der Klang seiner Magensprache ist derjenigen von operierten Leuten gleich. Im Vergleich mit seiner Kehlkopfsprache ist seine Magensprache tiefer und hohler.\nAbbildung 1\nEs wurden Aufnahmen nach der graphischen Methode gemacht. Die obere Linie in Abbildung 1 ist die Registrierung von Hippopotamus in der Magensprache. Sie f\u00e4ngt mit einer \u00e4ufserst kurzen scharfen H an. Darnach folgen die Wellen f\u00fcr den Vokal i. Die fallende Linie, die Strecke Nullinie und die steigende Linie registrieren die Implosion, Stoppzeit und Explosion eines sehr genauen pp. Die Schwingungen f\u00fcr \u00f6 werden von Implosion. Stoppzeit und Explosion des p gefolgt ; die Schwingungen h\u00f6ren aber nicht auf. Nachher folgen ziemlich unregelm\u00e4fsige Schwingungen. Von t und m sind nur schwache Andeutungen vorhanden. Die eigent\u00fcmliche Form der Wellen in dieser Region entspricht dem besonderen Klang der Magensprache. Die zweite Linie in der Abbildung ist die Registrierung desselben Wortes in normaler Weise von derselben Person gesprochen. Das H erscheint als ein leiser Hauch. Der Vokal i ist k\u00fcrzer als der entsprechende Vokal in der Magensprache.","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Ein Fall \\on Magensprache bei einem normalen Menschen\n81\nDas t ist nur angedeutet und ist stimmhaft; dies ist ein ganz: gew\u00f6hnlicher Fall in der nachl\u00e4ssigen Sprache \u2014 selbst der gebildeten Klassen \u2014 in gewissen Gegenden von Amerika. In solchen F\u00e4llen sind Artikulation und Stimmkontrolle beide nachl\u00e4ssig. Bei dem p in der Magensprache war die Artikulation gut ; dafs der Stimmton nicht aussetzte, ist das Resultat der schwierigen Kontrolle und nicht der Nachl\u00e4ssigkeit. Das m in der Kehlkopfsprache ist deutlich ausgepr\u00e4gt. Aus den zwei Aufnahmen schliesft man auf den eigent\u00fcmlichen, tiefen und unregelm\u00e4fsigen Ton der Magensprache und auf das gelegentliche Fehlen des Aussetzens des Stimmtons. Beide Erscheinungen sind aus dem gr\u00f6beren Mechanismus zu erkl\u00e4ren.\n\nII\n\n)\tV.\nvv'Y-'y: \u2019\n\n03\n\u00fcft\nd\nd\n3\n\u2022 1\u20144\nrQ\nrO.\nEine Aufnahme von einem in der Magensprache von derselben Person gesungenen a (Abb. 2) zeigt sehr gelungene Schwingungen, welche aber von Zeit zu Zeit in St\u00e4rke und Tonh\u00f6he schwanken. Der betreffende Herr konnte nur tiefe T\u00f6ne singen.\nDie zweite Linie in Abbildung 2 ist die Registrierung einer Gabel mit 100 Schwingungen pro Sekunde.\nWissenschaftlich sind die F\u00e4lle von Magensprache von Wichtigkeit. Die W\u00e4nde des oberen Teiles der Speiser\u00f6hre werden fest aneinander geprefst; durch den Luftdruck werden sie momentan auseinandergedr\u00e4ngt, um nach Entweichen eines kleinen Luftquantums sofort wieder zu schliefsen.\nDas Resultat ist die Erzeugung einer Reihe von Luftst\u00f6fsen ; von Schwingungen ist keine Rede. Ganz \u00e4hnlich ist die T\u00e4tigkeit der Muskelmassen der Stimmlippen im Kehlkopf; diese erzeugen eine Reihe von Luftst\u00f6fsen in derselben Weise. Leider hat man fr\u00fcher die Stimmlippen nicht als MuskeL\n\u2018r\u00fc CD\nQ., g>\n\u00ce\u00db )\nO) ) \" CTJ j","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"\u00a32\tScripture, 2\u00a3tn ifaM von Magensprache bei einem normalen Menschen\nw\u00fclste, welche nur ausein\u00e4ndergehen, um sofort wieder zu \u00abchliefsen, sondern als schwingende B\u00e4nder aufgefafst, welche nicht Luftst\u00f6fse, sondern Lnftschwingungen erzeugen. Die falsche Annahme hat zu der irrt\u00fcmlichen Resonanztheorie der Vokale mit Abh\u00e4ngigkeit der Frequenz der Hohlraumt\u00f6ne von den Teilschwingungen im Kehlkopf gef\u00fchrt. Erst sp\u00e4t ist die Luft-\u00abtofstheorie mit der Unabh\u00e4ngigkeit der Frequenz der Hohlraumschwingungen von den Stimmlippenst\u00f6fsen zur Geltung gekommen. ^Gerade die Magensprache ist als ein schlagender Beweis der Unrichtigkeit der Resonanztheorie und der Unantastbarkeit der Luftstofstheorie zu betrachten.\nLiteratur\nH. Schmid, Berliner klinische Wochenschrift 1893. 757.\nS. Cohen, Trans. Amer. Lar. Assoc. 114. 1893 ; Archiv f\u00fcr Lar. 279 (I). 1894.\nG.\tGottstein, Archiv f\u00fcr klinische Chirurgie 62 (1).\t1900; Allgemeine medi-\nzinische Zentral-Zeitung 34, 662.\t1905.\nGl\u00fcck, Monatsschrift f\u00fcr Ohrenheilkunde 162. 1904; Zeitschrift f\u00fcr Lar. 190, (I). 1909.\nH.\tGutzmann, Zeitschrift f\u00fcr Lar. 221, (I). 1909.\nH. Stern, Zeitschrift f. Lar. 12, 196. 1925.\n>H. B\u00fcrger and L. Kaiser, Acta-Otolaryngologica 8, 90. 1925.","page":82}],"identifier":"lit36050","issued":"1928","language":"de","pages":"79-82","startpages":"79","title":"Ein Fall von Magensprache bei einem normalen Menschen","type":"Journal Article","volume":"59"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:45:01.976981+00:00"}