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Beitrag zur Kenntnis der Abhängigkeit einiger Schriftarten von der Sehschärfe

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{"created":"2022-01-31T16:45:32.452296+00:00","id":"lit36063","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Basler, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 59: 209-214","fulltext":[{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"209\n(Aus dem Physiologischen Institut der Universit\u00e4t Canton)\nBeitrag zur Kenntnis der Abh\u00e4ngigkeit einiger Schriftarten von der Sehsch\u00e4rfe\nVon\nProf. Dr. A. Basler Mit 5 Abbildungen im Text\nZwei Punkte oder Linien werden von den meisten Menschen deutlich als getrennt gesehen, sowie die von ihnen her vor gerufenen Netzhautbildchen weiter als 4 \\i voneinander entfernt sind. Verbinden wir in einer Durchschnittszeichnung des Augapfels die beiden erregten Stellen der Netzhaut durch je eine Linie mit dem Knotenpunkte, bzw. einem in der Mitte zwischen den zwei Knotenpunkten liegenden Punkte, dann betr\u00e4gt der von den beiden Geraden eingeschlossene Winkel (der \u201eSehwinkel\u201c) 56 Sekunden oder mehr, abgerundet eine Winkelminute.1 R\u00fccken die Netzhautpunkte zu einem kleineren Abstand als 4 [x zusammen, dann werden sie nur als ein einziger dunkler Fleck wahrgenommen.\nDie soeben erw\u00e4hnte Leistung der meisten Augen bildet den Mafsstab f\u00fcr die G\u00fcte der Sehsch\u00e4rfe verschiedener Menschen und wird als \u201enormale Sehsch\u00e4rfe\u201c bezeichnet. Dazu mufs jedoch ausdr\u00fccklich bemerkt werden, dafs dieser Standardwert keineswegs die h\u00f6chste Leistung unseres Sehorganes darstellt. Durch g\u00fcnstige Bedingungen l\u00e4fst sich vielmehr bei den meisten Personen das optische Aufl\u00f6sungsverm\u00f6gen ganz erheblich steigern.2\nZu denjenigen T\u00e4tigkeiten, die von der Sehsch\u00e4rfe weitgehend beeinflufst werden, geh\u00f6rt das Lesen. Denn, sowie wesentliche\n1\tDie SNELLENSchen Sehproben sind deshalb so hergestellt, da\u00df jede Einzelheit unter dem Sehwinkel von einer Minute erscheint. (0. Zoth, NageVs Handb. d. Physiol. 3, 348.)\n2\tVgl. dazu: E. Abderhalden, Lehrb. d. Physiol. 3 135.","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nA. Basler\nTeile eines Buchstabens unter zu kleinem Sehwinkel erscheinen, werden Verwechslungen unvermeidlich. Aus diesem Grunde schien es mir der Untersuchung wert, festzustellen, wie die gebr\u00e4uchlichen Schriften den Gesetzen des Gesichtssinnes Rechnung tragen. Meine Beobachtungen beziehen sich auf die sog. deutsche (Fraktur), die lateinische (Antiqua) und ganz besonders die chinesische Schrift. Letztere gab gerade den Anstofs zur Vornahme meiner Untersuchungen, es war mir n\u00e4mlich aufgefallen, dafs viele chinesische Schriftzeichen weit mehr Einzelheiten auf engem Raume enthalten als die europ\u00e4ischen.\nZur Messung wurde die gebr\u00e4uchlichste Gr\u00f6fse der Druckschrift herangezogen wie sie f\u00fcr Zeitungen und viel gelesene B\u00fccher verwendet wird. Ich ging dabei von der Vorstellung aus, dafs sich durch Erfahrung im Laufe der Zeit eine solche Schriftform herausgebildet hat, die grofs genug ist, um auf etwa 25 cm bequem und ohne die Augen zu erm\u00fcden, gelesen zu werden, andererseits aber auch so klein, dafs der Druck nicht zuviel Raum beansprucht.\nVon den 3 Schriften wurden mitten aus dem Texte Fl\u00e4chen von 8 cm H\u00f6he und 11 cm Breite ausgeschnitten und auf Karton aufgezogen. Die Zahl der W\u00f6rter betrug im deutschen Text beispielsweise 230.\nDie Messung wurde in der Weise vorgenommen, dafs auf die Schrift eine Glasplatte mit eingraviertem Mafsstab gelegt und durch eine ZEisssche Binokularlupe beobachtet wurde. Auf dem Mafsstab war 1 mm in 100 Teile geteilt.\nErgebnisse\nDie einfachste Linienf\u00fchrung weist, wie bekannt, die lateinische Schrift auf. Die Striche meiner Probe sind 0,1\u20140,2 mm dick; ausnahmsweise kommen auch Striche von 0,05 mm vor. Die Zwischenr\u00e4ume der einzelnen schwarzen Linien sind 0,3 bis 0,7 mm grofs. Kleinere weifse Fl\u00e4chen kommen nur bei den zwei Punkten der Umlaute \u00e4, \u00f6 und \u00fc vor, mit 0,2 mm Distanz.\nUm einen Aufschlufs \u00fcber die relative H\u00e4ufigkeit der grofsen und kleinen Strich abst\u00e4nde bei den 3 untersuchten Schriften zu gewinnen, habe ich in jeder Zeile mitten durch die Buchstaben einen horizontalen Strich gezogen und die Strecken gemessen, die auf diesem Striche durch die Details der Buchstaben abgegrenzt werden. Dabei wurden auch die Zwischenr\u00e4ume zwischen","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit einiger Schriftarten von der Sehsch\u00e4rfe\n211\nden einzelnen Buchstaben eines Wortes ber\u00fccksichtigt, nicht aber der Zwischenraum zwischen den verschiedenen W\u00f6rtern. Bei der lateinischen Schrift lagen auf dem Horizontalstrich keine Zwischenr\u00e4ume unter 0,3 mm ; die meisten Entfernungen (26 \u00b0/0) waren 0,6\u20140,7 mm grofs.\nAuf 25 cm Entfernung wird also der kleinste Zwischenraum der gew\u00f6hnlichen lateinischen Buchstaben unter einem Sehwinkel von 4 Minuten 12 Sekunden, bzw. 2 Minuten und 48 Sekunden gesehen. Auf der Netzhaut betrugen dabei die Entfernungen 18 [X \u2014 0,018 mm, f\u00fcr die Umlautpunkte 12 p = 0,012 mm.\nWie man sieht, ist bei dieser Schrift die Schwelle der Erkennbarkeit f\u00fcr ein mit \u201enormaler\u201c Sehsch\u00e4rfe begabtes Auge um das 3- bis 4-fache \u00fcberschritten. Das ist auch unbedingt erforderlich, denn an der Grenze des Aufl\u00f6sungsverm\u00f6gens kann eine Schrift doch nur auf ganz kurze Zeit gelesen werden.\nBei der deutschen Schrift erwiesen sich die einzelnen Striche als ebenso dick wie bei der lateinischen. Ja auch die Zwischenr\u00e4ume zwischen denselben hatten in den meisten F\u00e4llen ann\u00e4hernd die gleiche Gr\u00f6fse.\nSelbst die Verteilung der Zwischenr\u00e4ume war \u00e4hnlich wie bei der lateinischen Schrift; hier fiel das Maximum (ungef\u00e4hr 38\u00b0/o) auf die Gr\u00f6fsen 0,5\u20140,6 mm. Nur das \u201ek\u201c besitzt an seinem oberen Ende (wenigstens in der von mir untersuchten Schriftprobe) 3 horizontale Striche (Abb. 1), die nur 0,05 bzw. 0,07 mm voneinander abstehen ; im Netzhautbild betr\u00e4gt die Entfernung 3 bzw. 4 [\u00e0, der zugeh\u00f6rige Sehwinkel 42 und 56 Winkelsekunden. In bezug auf das Erkennen des obersten Abschnittes des Buchstabens \u201ek\u201c bedeutet also 25 cm die weiteste zul\u00e4ssige Entfernung. Nun mufs aber in Betracht gezogen werden, dafs ein Wort oder gar ein Satz richtig gelesen werden kann, auch wenn ein einzelner Buchstabe nicht in allen seinen Teilen erkannt wird. Abgesehen von den 3 obersten Strichen hat das \u201ek\u201c immer noch eine ziemlich typische Form; so dafs es auch einzeln stehend im allgemeinen richtig gedeutet werden d\u00fcrfte. Da die Zwischenr\u00e4ume bei den \u00fcbrigen Buchstaben 0,2\u20140,6 mm grofs sind, so gilt auch f\u00fcr die deutsche Schrift \u2014 vielleicht nicht ganz so ausgesprochen wie f\u00fcr die\nAbbildung 1 Deutsches \u201ek\u201c","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nA. Basler\nlateinische \u2014 dafs sie in viel gr\u00f6fseren Dimensionen gehalten ist als zum einmaligen Lesen unbedingt erforderlich w\u00e4re.\nDie chinesische Schrift unterscheidet sich von den bisher beschriebenen ganz erheblich durch die aufserordentlich grofse Verschiedenheit der einzelnen Schriftzeichen. Manche einfache Wortsymbole, wie beispielsweise dasjenige f\u00fcr das Wort \u201enein\u201c (Abb. 2) besitzen Striche, deren Breite zwischen 0,2 und 0,4 mm schwankt, Die Zwischenr\u00e4ume erreichen dabei vielfach eine Gr\u00f6fse von 0,8 mm. Das Gegenst\u00fcck dazu bilden Schriftzeichen wie z. B. \u201e\u00e4ndern\u201c (Abb. 3). Bei diesen sind die Striche sowohl wie die Zwischenr\u00e4ume nicht gr\u00f6fser als 0,05 mm. Es handelt sich also um Entfernungen wie sie uns schon bei dem deutschen k begegnet sind. Aber hier ist gleich das ganze\nAbbildung 3 \u201e\u00e4ndern\u201c\nZeichen aus so engen Maschen aufgebaut. Zusammenfassend l\u00e4fst sich demnach sagen, dafs die Einzelheiten vieler chinesischer Schriftzeichen bei gew\u00f6hnlicher Leseweite auf der Netzhaut ein etwa 4 fJL grofses Bildchen erzeugen und unter einem Sehwinkel von einer Minute erscheinen.\nBei der chinesischen Schrift wurde in einer systematisch durchgearbeiteten Zeile einmal ein Zwischenraum von 0,04 mm gez\u00e4hlt, mehrmals ein solcher von 0,05\u20140,09 mm. Das Intervall 0,1\u20140,2 erreichte 32 \u00b0/0 aller gez\u00e4hlten Zwischenr\u00e4ume; ebenso h\u00e4ufig waren die Gr\u00f6fsen 0,21\u20140,3 vertreten.\nVon der Vergr\u00f6fserung der einzelnen Zeichen \u00fcber das unbedingt notwendige Mafs hinaus und damit der Verbesserung der leichten nicht erm\u00fcdenden Lesbarkeit hat also die chinesische Schrift nur in bescheidenem Umfange, Gebrauch gemacht, offenbar deshalb, weil sie sonst zu viel Raum beanspruchen w\u00fcrde.","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit einiger Schriftarten von der Sehsch\u00e4rfe\n213\nDie zum Erkennen der verschiedenen Schriften notwendigen Entfernungen\nEs schien nun wichtig auch experimentell festzustellen, auf wie grofse Entfernung die ausgemessenen Schriftproben eben noch gelesen werden k\u00f6nnen.\nUm es unm\u00f6glich zu machen, dafs ein Wort nach dem Inhalte des ganzen Satzes gedeutet wurde, bedeckte ich die Schrift mit einem Papierblatt, aus dem ein Loch geschnitten wurde, durch das nur das zu lesende Wort sichtbar war. Dieses Verfahren erwies sich ganz besonders bei der chinesischen Schrift als unerl\u00e4fslich.\nAls Vp. diente ein Student, der im Lesen der drei Schriftarten die gleiche Gewandtheit besitzt. Seine Sehsch\u00e4rfe betrug\nnach Snellen\n241\n140\n(mit Haken gemessen).\nBei diesen Unter-\nsuchungen gelangte ich zu einem ganz merkw\u00fcrdigen zuerst nicht erwarteten Ergebnis. Die deutsche und lateinische Schrift wurde unter bestimmten Bedingungen auf 100 cm Entfernung gelesen. Dabei erschienen die weifsen Zwischenr\u00e4ume der Buchstaben unter einem Sehwinkel von 40\u201460 Sek. ; auf der Netzhaut bildeten sie sich 3\u20144 jn grofs ab. Von eben dieser Vp. wurden die Worte (Abb. 4) \u201eheben\u201c, \u201e\u00e4ndern\u201c, \u201edrehen\u201c (Abb. 5) der chinesischen Schrift unter gleichen Versuchsbedingungen auf eine Entfernung von 110 bis sogar 120 cm erkannt. Eine andere Vp. las das Wort \u201e\u00e4ndern\u201c der chinesischen Schrift auf 88 cm. Die Sehsch\u00e4rfe dieser Vp. betrug mit SNELLENschen Haken unter-\nsucht\n170\n140'\nAuch die Leistungen anderer Vpn. f\u00fcr die verschiedenen Schriftarten lagen in der gleichen Richtung.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nBasler, Abh\u00e4ngigkeit einiger Schriftarten usiv.\nF\u00fcr die noch lesbaren Zeichen betr\u00e4gt die Entfernung mancher Striche im Netzhautbild weniger als 1 \u00df. Mit der grofsen Erkennbarkeit der Zeichen steht auch im Einklang, dafs das Lesen der chinesischen Schrift trotz der Kleinheit verschiedener Einzelheiten die Augen weniger erm\u00fcdet als das gleich lange Lesen der lateinischen Schrift. Beachtenswert ist auch, dafs der chinesische Text in gr\u00f6fserer Entfernung von den Augen gehalten wird als der europ\u00e4ische.\nDas alles spricht daf\u00fcr, dafs die chinesischen Schriftzeichen haupts\u00e4chlich nach dem allgemeinen Aussehen beurteilt werden, nicht nach der Stellung und Lage ihrer einzelnen Striche.\nAuch in Deutschland wird ja bei dem Kampfe \u00fcber die gr\u00f6fsere Zweckm\u00e4fsigkeit der deutschen oder lateinischen Schrift ganz besonders von philologischer Seite ins Treffen gef\u00fchrt, dafs es bei der Lesbarkeit von Buchstaben weniger auf die Gr\u00d6fse und Zahl ihrer Details ankommt als viel mehr auf die besondere Auspr\u00e4gung des ganzen \u201eWortbildes\u201c.\nOhne in diesem Streite ein Urteil abgeben zu wollen, mufs ich doch an dieser Stelle hervorheben, dafs die gute Lesbarkeit der chinesischen Schrift einen experimentellen Nachweis f\u00fcr die ungeheuere Bedeutung des \u201eWortbildes\u201c beim Lesen darstellt.\nZusammenfassung der Ergebnisse\n1.\tDie Striche der gangbarsten Lettern in der lateinischen und deutschen Schrift sind (0,05 \u2014) 0,1\u20140,2 mm dick und durch Zwischenr\u00e4ume voneinander getrennt, die abgesehen von wenigen belanglosen Ausnahmen nicht kleiner sind als 0,2\u20140,3 mm.\n2.\tBei 25 cm Lese weite wird das Netzhautbild f\u00fcr jeden Strich zu einem 6 \u00df breiten Streifen und der kleinste Zwischenraum wird 12 \u00df breit.\n3.\tIn Sehwinkeln ausgedr\u00fcckt ergeben sich f\u00fcr die beiden Werte 84 und 168 Winkelsekunden.\n4.\tIn der chinesischen Schrift kommen vielfach Zwischenr\u00e4ume und Strichbreiten vor, die nur 0,05 mm betragen.\n5.\tTrotzdem werden auch Schriftzeichen mit solch feiner Struktur auf gr\u00f6fsere Entfernung gelesen als die europ\u00e4ische Schrift.\n6.\tZweifellos spielt bei der Entzifferung eben dieser Zeichen das allgemeine \u201eFormbild\u201c die Hauptrolle.","page":214}],"identifier":"lit36063","issued":"1928","language":"de","pages":"209-214","startpages":"209","title":"Beitrag zur Kenntnis der Abh\u00e4ngigkeit einiger Schriftarten von der Sehsch\u00e4rfe","type":"Journal Article","volume":"59"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:45:32.452302+00:00"}

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