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{"created":"2022-01-31T16:14:38.161739+00:00","id":"lit36073","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"W\u00f6lfflin, E.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 54: 49-57","fulltext":[{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"49\n\u2022\nUber Beobachtungen an anomalen Trichromaten.\nVon\nProf. E. W\u00f6lfflin, (Basel).\nDie letzten Jahre haben uns durch eine verfeinerte Untersuchungstechnik erkennen lassen, dafs sich zwischen die Gruppe der Farbent\u00fcchtigen und diejenigen der Farbenblinden nicht einfach die scharf umgrenzte Klasse der anomalen Trichromaten einschiebt, sondern dafs diese Gruppe, die wahrscheinlich in mehrere Untergruppen zerf\u00e4llt (C. v. Hess, K\u00f6llner, R\u00f6nne, u. A.), sowohl\nmit den Farbent\u00fcchtigen als mit den Farbenblinden durch eine \u2022 \u2022\nAnzahl von Ubergangsf\u00e4llen in Verbindung steht, so dafs man wohl mit Recht die Deuteranomalie und Protanomalie als Vorstufen der Deuteranopie und Protanopie aufgefafst hat.\nWas die H\u00e4ufigkeit der anomalen Trichromaten betrifft, so wird ihre Zahl gew\u00f6hnlich mit 4\u20146 \u00b0/0 bewertet, also etwas mehr wie die Farbenblinden. Ich habe an einem gr\u00f6fseren Material von Patienten Gelegenheit gehabt, in dem letzten Jahre einl\u00e4fs-liche Untersuchungen anzustellen und bin dabei zu einer etwas h\u00f6heren Zahl gekommen, die vorl\u00e4ufig nur f\u00fcr die hiesige Gegend gilt. Unter den von mir untersuchten 162 Patienten befanden sich 14 Anomale. Es w\u00fcrde dies also einem Prozentsatz von 9 entsprechen. Auffallend war mir, dafs unter meinen s\u00e4mtlichen 14 Anomalen sich nur m\u00e4nnliche Deuteranomale befanden und kein einziger Protanomaler. Ob dies reiner Zufall ist oder mit gewissen Umst\u00e4nden (Vererbungsfaktoren) zusammenh\u00e4ngt, will ich dahingestellt lassen.\nWenn wir immer wieder die Beobachtung machen, dafs auch unter sehr intelligenten Patienten ein grofser Prozentsatz ganz ohne Kenntnis ihrer Farbenanomalie durchs Leben geht, bis einmal eine zuf\u00e4llige Untersuchung sie aufdeckt, so h\u00e4ngt dies m. E.\nZeitschrift f. Sinnesphysiol. 54.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\n75. W\u00f6lfflin.\nin erster Linie damit zusammen, dafs diese Personen zwar h\u00e4ufig in den Fall kommen, nicht ges\u00e4ttigte Farben voneinander unterscheiden zu m\u00fcssen, dafs sie aber diese Farbe gew\u00f6hnlich unter einem grofsen Gesichtswinkel sehen und aufserdem Zeit haben, ihr Farbenurteil abzugeben. Treffen diese beiden letzteren Bedingungen ausnahmsweise nicht zu, so werden sie gew\u00f6hnlich leicht erkannt. Der souver\u00e4ne Untersuchungsapparat f\u00fcr die Anomalen ist bekanntlich das Anomaloskop. Was man demselben einzig vorwerfen kann, ist der Umstand, dafs es mit Hilfe desselben nicht gelingt, bei einem Patienten die Quote der Rot- resp. Gr\u00fcnunterempfindlichkeit in zahlenm\u00e4fsiger Weise festzulegen.\nDa es unser Bestreben ist, nicht blofs bei der Sehsch\u00e4rfe, sondern auch beim Farben- und Lichtsinn eine event. St\u00f6rung m\u00f6glichst in zahlenm\u00e4fsigen Werten zum Ausdruck zu bringen, um Vergleichs werte in H\u00e4nden zu haben, so m\u00fcssen wir nach Mitteln trachten, die es uns erm\u00f6glichen, in Erg\u00e4nzung des Ano-maloskopes diese L\u00fccke zu ersetzen.\nAm besten hierzu geeignet ist wohl der HERiNGsche Farbenkreisel, bei dem wir das Sektorenverh\u00e4ltnis, das wir gewissen Farben geben m\u00fcssen, um eine bestimmte Grauempfindung auszul\u00f6sen, jederzeit in Zahlen angeben k\u00f6nnen. Wir k\u00f6nnen hier nach einer doppelten Methode verfahren. Entweder wir verwenden f\u00fcr die Farbengleichung aufsen einen Schwarz-Weifssektor und innen z. B. einen Farbenkreis aus Rot, Gr\u00fcn und einem event. Zusatz von Blau. Wenn wir diese Methode anwenden zur Feststellung einer event. Rot- oder Gr\u00fcnunterempfindlichkeit resp. \u00dcbersichtigkeit der anomalen Trichromaten, so kann mit Recht entgegengehalten werden, dafs diese Methode nicht vollkommen einwandfrei ist, indem ja beim anomalen Trichromaten eine Farbe die entsprechende Komplement\u00e4rfarbe in erh\u00f6htem Mafse induziert, so dafs wir im gegebenen Falle nicht wissen, ob das gefundene Resultat auf einer wirklichen Farben\u00fcberempfindlieh-keit gegen\u00fcber dem Normalen beruht, oder ob es lediglich auf Rechnung eines erh\u00f6hten Farbenkontrastes zu setzen ist. Wir m\u00fcssen uns deshalb nach einer anderen Methode Umsehen, die diesen Fehler ausschliefst.\nOder wir wenden zu unserer Farbengleichung aufsen und innen ein genau gleiches Grau an, und setzen dem inneren Grau gleichm\u00e4fsig ansteigende Sektoren von Rot und Gr\u00fcn hinzu, bis der Betreffende angibt, dafs das Grau eben einen farbigen Ton","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Beobachtungen an anomalen Trichromaten.\n51\nerh\u00e4lt. Es ist einleuchtend, dass wir hier, wo wir mit Schwellenwerten zu arbeiten haben, mit einer etwas gr\u00f6fseren physiologischen Einstellungsbreite zu rechnen haben als beim Anomaloskop, bei dem wir einen Gleichungswert zu bestimmen haben.\nAm brauchbarsten hat sich mir das Grau der Engelking-schen Perimetrierfarben erwiesen nebst seinen peripheriegleichen Farben. Um m\u00f6glichst exakte Kesultate zu erhalten, ist es un-erl\u00e4lslich dafs das betreffende Auge nicht blofs gut hell adaptiert ist, sondern sich auch in einem v\u00f6llig ausgeruhten Zustand befindet und w\u00e4hrend den einzelnen Untersuchungen ja nicht durch st\u00f6rende Farben beeinflufst oder durch zu viele aufeinanderfolgende Kontrollversuche erm\u00fcdet wird.1\nEs w\u00e4re sehr w\u00fcnschenswert durch eine technische Verbesserung des Farbenkreisels zu erreichen, dafs man w\u00e4hrend des Drehens desselben durch eine einfache Handhabe den zugesetzten Farbensektor vergr\u00f6fsern oder verkleinern k\u00f6nnte. Dadurch w\u00fcrde das l\u00e4stige Unterbrechen der Farbenprobe und das etwas um\u00ab st\u00e4ngliche Auswechseln des Farbensektors wegfallen. Gleichzeitig w\u00e4re es dann leicht m\u00f6glich, sukzessive von unterschwelligen zu \u00fcberschwelligen Farbenreizen und umgekehrt vorzugehen, was bei der jetzigen Technik nur sehr mangelhaft zu erreichen ist.2\nDiese Methode liefse sich durch weitere Ausarbeitung vielleicht auch dazu verwenden, nicht blofs eine event. Farben-\u00dcber-empfindlichkeit bei einem Farbenschwachen nachzuweisen, sondern auch die Farbent\u00fcchtigen als solche auf den verschieden hohen Grad ihres Farbensinns hin miteinander vergleichen zu k\u00f6nnen. Uber diesen letzteren Punkt liegen bisher noch keine ausgedehnteren Untersuchungen vor.\nAls das Entstehungsjahr der anomalen Trichromasie darf man wohl 1886 annehmen, indem damals von A. K\u00f6nig eine ausf\u00fchrliche Arbeit \u00fcber diese Anomalie der preufsischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt wurde, der an Hand von einstell-\n1\tIch glaube, dafs auf diese Momente bei vielen diesbez\u00fcglichen Versuchen zu wenig geachtet wurde.\n2\tWie ich eben aus der Literatur ersehe, hat C. v. Hess diese Schwierigkeit dadurch behoben, dafs er dem einen Farbensektor nicht einen radienf\u00f6rmigen Ausschnitt gab, sondern einen kurvenartigen. Durch eine spezielle Versuchstechnik, die hier nicht im Detail angegeben werden kann, gelingt es ihm, den betr. Schwellenwert leicht zu ermitteln {Pfl\u00fcgers Arch. f. d. ges. Physiol. 185. 1920).\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nE. W\u00f6lfflin.\nbaren Spektralgleichungen diese Farbensinnschw\u00e4che an 2 Pa-tienten nachwies.\nWas die Frage der Vererbbarkeit dieser Anomalie im Gegensatz zur Farbenblindbeit betrifft, so stehen uns in Anbetracht des kurzen Zeitraumes noch nicht gen\u00fcgend fortgef\u00fchrte Stammb\u00e4ume zur Verf\u00fcgung. Da ich bisher bei keinem der von mir untersuchten m\u00e4nnlichen Anomalen bei deren direkter Deszendenz das gleiche Merkmal gefunden habe, und andererseits zweimal s\u00e4mtliche Br\u00fcder befallen waren, wobei die Schwestern normal waren, so neige ich der Anschauung zu, dafs wahrscheinlich ein gleicher oder \u00e4hnlicher Vererbungsmodus vorliegt wie bei der Dichromasie. Sicher gestellt kann diese Frage erst werden, wenn mindestens Beobachtungen aus drei Generationen vorliegen.\nMeine vorliegenden F\u00e4rbensinnpr\u00fcfungen wurden veranlafst durch den Direktor einer chemischen Anilinfabrik, der \u00fcber seinen Farbensinn \u00e4ufsert interessante Beobachtungen machte. Es w'ar ihm schon lange aufgefallen, dafs er gegen\u00fcber b arbent\u00fcchtigen deutlich im Vorsprung war, und zwar speziell dann, wenn es sich um die Beurteilung von geringen Rotdifferenzen handelte. Wurde ihm beispielsweise aufser der blauen Stoffvorlage, das genau danach hergestellte Blaumuster gezeigt (Gr\u00f6fse 5X5 cm), so konnte er sofort angeben, ob die nach der Vorlage hergestellte Probe ebenfalls rein blau war oder eine Spur von Rot enthielt. Diese Farbendifferenz erkannten die normal Farbent\u00fcchtigen erst bei k\u00fcnstlichem Licht, wobei die beiden Farben deutlich auseinandei fielen, indem die eine blau, die andere leicht violett erschien. Ich habe mich selbst mehrfach davon \u00fcberzeugt. Es lag also nahe, dieser Person eine absolut erh\u00f6hte Empfindlichkeit f\u00fcr Rot zuzuerkennen. Die ophthalmologische Untersuchung ergab: Sehsch\u00e4rfe beids. 1,0 E. Die vorgenommene Farbensinnpr\u00fcfung erwies, dafs alle STiLLiNGschen Tafeln gelesen wurden, aber zum Teil nur sehr z\u00f6gernd und unvollst\u00e4ndig. Am Anomaloskop stellte sich eine deutliche Deuteranomalie heraus. Die reine Gr\u00fcngleichung wird nicht angenommen, dagegen bei Stellung der linken Schraube auf =37 wird die rechte auf 30 eingestellt.1 Eine erweiterte Einstellung wird abgelehnt.\nUntersuchte ich den Patienten vor dem Farbenkreisel in einer Entfernung von 13/2 m, wobei ihm das Grau aus einem Schwarz-\n1 Die Versuche wurden mit einer elektrischen Mattbirne ausgef\u00fchrt.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Beobachtungen an anomalen Trichromaten.\n53\nund Weifssektor hergestellt war, w\u00e4hrend das \u00e4ufsere Grau aus Rot, Gr\u00fcn und etwas Blau bestand, so gab er am \u00e4ufseren Kreis eine deutliche Rotempfindung an, die selbst bei stark herabgesetzter Beleuchtung noch anhielt. Diesen Befund allein als Ausdruck einer Rot\u00fcberempfindlichkeit gegen\u00fcber dem normalen am sprechen zu wollen, ist jedenfalls nicht statthaft, da der nahe liegende Einwand erhoben werden kann, die Rotempfindung sei bei dem Betreffenden blofs durch das Defizit der Gr\u00fcnempfindung ausgel\u00f6st worden. Ich stellte deshalb den Kontrollversuch an, indem ich, wie bereits Eingangs erw\u00e4hnt, f\u00fcr den \u00e4ufseren und inneren Kreis ein reines Grau nahm und nun Rot in minimaler Sektorgr\u00f6fse dem inneren Keis zusetzte. Es ergab sich, dafs Patient schon bei 4\u00b0 Rotzusatz das Auftreten einer Rot-Empfindung angeben konnte, w\u00e4hrend f\u00fcr den gew\u00f6hnlich Farbent\u00fcchtigen diese Schwelle erst bei 7\u20148\u00b0 erreicht war.1 Diese Zahlen sind selbstredend nicht als absolute aufzufassen, sondern h\u00e4ngen einmal von dem Radius des Farbenkreisels ab und dann von der jeweiligen Beleuchtung des Untersuchungsraumes sowie von der angewandten S\u00e4ttigung der Farbe. Nachdem also die Rotsehwelle bei diesen Patienten halb so niedrig gefunden wurde wie beim Normalen, so ist dieser Fall wohl als eine absolute Rot\u00fcberempfindlichkeit bei einem Deuteranomalen anzusprechen.\nWas nun die Gr\u00fcnempfindung betrifft, so trat sie bei dem Patienten erst bei 9\u201410\u00b0 auf, also etwas verz\u00f6gert gegen\u00fcber dem Normalen.2 Nach dem Befund an Anomaloskop w\u00e4re a priori eine h\u00f6here Zahl zu erwarten gewesen, wenn dies nicht eintrat, so ist dies woh] darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs am Anomaloskop und Farkenkreisel nicht mit gleichen Farben gepr\u00fcft wurde, (Spektral- und Pigmentfarben) und dafs ferner der Gesichtswinkel beide Male etwas verschieden war.\nBez\u00fcglich des Auftretens des Simultan-Kontraktes w\u00e4re noch beizuf\u00fcgen, dafs bei dem betreffenden Patienten am nicht bewegten Farbenkreisel bei Einschaltung von 3\u00b0 Gr\u00fcn sofort zu beiden Seiten desselben eine typische Purpurempfindung auftrat,\n1\tEs ist \u00e4ufserst \u25a0w\u00fcnschenswert, die Farbenscheiben nicht ausschneiden, sondern sich ausstanzen zu lassen, da hei nicht vollst\u00e4ndigem Decken der R\u00e4nder die entstehenden Farbens\u00e4ume sehr leicht die Komplement\u00e4rfarbe hervorrufen.\n2\tGrenzen f\u00fcr den normal Farbent\u00fcchtigen lagen bei 5\u20146\u00b0.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nE. Wolff lin.\ndie sich rasch zu einem geschlossenen Ring erweiterte, der den ganzen inneren Graukreis ausf\u00fcllte ; dasselbe galt f\u00fcr Rot. Bei Gelb und Blau war dagegen der Simultankontrast wesentlich reduziert, indem selbst bei langem Hinblicken auf einen 5\u00b0 breiten Gelb- oder Blausektor nur zu den beiden Seiten desselben in schmaler Ausdehnung die Komplement\u00e4rfarbe auftrat, dagegen nicht in weiterem Umkreis. Es w\u00fcrde sich lohnen, in Zukunft dem wechselnden Auftreten von gesteigertem Simultan- und Sukzessivkontrast bei den Farbenschwachen spezielle Beachtung zu schenken.\nPatient gab fernerhin an, dafs er seit einer Reihe von Jahren die Beobachtung gemacht habe, am Morgen viel mehr rot\u00fcberempfindlich zu sein, als abends. Es w\u00e4re dies in Analogie zu setzen zur H\u00f6rsch\u00e4rfe, bei der ebenfalls Tagesschwankungen nachgewiesen wurden (Bacheach, Diese Zeitsehr. 49). Ferner werde seine Rot\u00fcberempfindlichkeit deutlich abgestumpft durch Ge-nufs von reichlichem Alkohol. Eine weitere Beobachtung, die mir von einem Anomalen angegeben wurde, lautete dahin, dafs die farbigen Nachbilder fr\u00fcher ihm fast nie zur Erscheinung gekommen seien und erst im 5. Dezennium angefangen h\u00e4tten deutlich zu erscheinen. Wahrscheinlich h\u00e4ngt diese Tatsache damit zusammen, dafs im Laufe der Jahre eine raschere Erm\u00fcdung der Retina auftritt, die das Auftreten des Sukzessiv-Kontrastes beg\u00fcnstigt. Auffallend ist hierbei noch, dafs diese Beobachtung von einem Anomalen stammt, bei dem ja anzunehmen w\u00e4re, dafs der Erm\u00fcdungsfaktor schon in fr\u00fcherer Zeit sich geltend gemacht h\u00e4tte.\nBeim Perimetrieren wies der obengenannte Patient mit den ENGBLKiKGschen Farben folgende Werte auf: Rot- und Gr\u00fcngrenzen f\u00fcr r. Auge im horizontalen Meridian nach 32 , f\u00fcr 1. Auge = 29\u00b0, f\u00fcr Blau wurde das Auftreten schon bei 72\u00b0 angegeben, f\u00fcr Gelb erst bei 52\u00b0. Es zeigt sich also ein deutliches Auseinanderfallen f\u00fcr die beiden letzteren Farben, w\u00e4hrend f\u00fcr Rot und Gr\u00fcn ausgesprochene Identit\u00e4t vorhanden war. W\u00e4hrend f\u00fcr den normal Farbent\u00fcchtigen das Auftreten einer stark exzentrischen Farbenempfindung fast immer mit einer unsicheren Angabe verbunden ist, so hatte dieser Deuteranomale beim Auftreten des Blau bei 72\u00b0 das Empfinden einer schreienden, pl\u00f6tzlich in Erscheinung tretenden Farbe. Wesentlich weniger ausgesprochen war dies beim Gelb, das erst 200 sp\u00e4ter erkannt\nwurde.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Uber Beobachtungen an anomalen Trichromaten.\n55\nEs stellt sich also die interessante Tatsache heraus, dafs es Deuteranomale gibt, die f\u00fcr die \u00fcbrigen drei Grundfarben zentral bzw. peripher \u00fcberempfindlich sind.\nUnter meinen untersuchten 14 Deuteranomalen fand ich nur zweimal diese absolute Rot\u00fcberempfindlichkeit. Die anderen 12 wiesen dieses Symptom nicht auf; dagegen fand sich stets die erweiterte Gelb- und Blaugrenze am Gesichtsfeld in mehr oder weniger hohem Grade bei allen Deuteranomalen, wobei die Empfindlichkeit f\u00fcr Blau diejenige des Gelb gew\u00f6hnlich \u00fcbertraf. Hess hat bekanntlich f\u00fcr die Deuteranopie dieses Verhalten schon nachgewiesen.\nWas K\u00f6llnee von den Protanomalen als charakteristisch angibt, dafs sie besonders in der Erkennung von Gr\u00fcn unsicher seien, so m\u00f6chte ich dies in \u00e4hnlicher Weise von den von mir untersuchten Deuteranomalen in bezug auf die Rotempfindung behaupten. Es fiel mir auf, dafs viele derselben in der Erkennung der Farbe Rot \u00e4ufserst unsicher waren, und mehrfach angaben, Erdbeeren nur schwer finden zu k\u00f6nnen, oder rotgef\u00e4rbte Tuberkelbazillen auf blauem Grunde nur schwer herausfinden zu k\u00f6nnen, w\u00e4hrend ihnen ihre Unterwertigkeit gegen\u00fcber der Farbe Gr\u00fcn nicht oder nur wenig zum Bewufstsein gekommen war.\nWas die viel ventilierte Frage betrifft, ob nicht verschiedene namhafte Maler der \u00e4lteren Schule im Sinne der anomalen Trichromasie farbenunt\u00fcchtig gewesen seien, weil sie Rot oder Gr\u00fcn in auffallend starken oder schwachen T\u00f6nen auf ihren Bildern wiedergegeben h\u00e4tten, so ist m. E. diese Frage \u00fcberhaupt nicht mehr zu l\u00f6sen, da ja der K\u00fcnstler bei der Konzeption seines Bildes nicht vor die Aufgabe gestellt ist, die Natur wahrheitsgetreu in jeder einzelnen Phase zu kopieren, sondern nur seinen pers\u00f6nlichen Eindruck in bezug auf Licht und Farbe wiederzugeben, den ihm ein bestimmter Gegenstand oder eine bestimmte Landschaft auf sein psychisches Empfinden ausl\u00f6st. Hier kommen Faktoren hinzu, die sich jeder Berechnung entziehen. Es ist daher wohl aussichtslos nachweisen zu wollen, ob eine scheinbar abnorme Farbenwiedergabe rein subjektiv bedingt war oder ob sie auf einen gest\u00f6rten Farbensinn des Malers zur\u00fcckgef\u00fchrt werden mufste.1\n1 Nur in jenen F\u00e4llen, bei denen w\u00e4hrend des Lebens eine deutliche\n\u00ab \u2022\n\u00c4nderung in der Wiedergabe gewisser Farbent\u00f6ne bei einem Maler sich","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nE. W\u00f6lfflm.\nAnders verh\u00e4lt es sich allerdings bei Kopien. Finden wir bei Betrachtung derselben, dafs z. B. gewisse Farbent\u00f6ne, die im Original enthalten sind, in der Wiedergabe vollst\u00e4ndig oder nahezu vollst\u00e4ndig fehlen, so erregt dies begr\u00fcndeten Verdacht auf Farbenschw\u00e4che. Als Kuriosum kann ich den wohl seltenen Fall anf\u00fchren, dafs k\u00fcrzlich ein Maler, der eine verfertigte Kopie als echtes Bild (Hodler) verkaufen wollte, deshalb nur als F\u00e4lscher erkannt wurde, weil er die auf dem Bilde vorkommenden zarten Rot und Gr\u00fcnt\u00f6ne, die in Form von unscharf verlaufenden Linien resp. B\u00e4ndern auf dem Hintergrund des Bildes sich befanden, vollkommen wegliefs, bzw. sie durch ein unbestimmtes Graugelb wiedergab. Gleichzeitig war es auffallend, dafs er die auf dem Bilde vorkommenden Blaut\u00f6ne (blaustilisierte Bl\u00e4tter), in einem viel grelleren Farbenton und in mafsigerer Anordnung wiedergab wie auf dem Original. Bei den Gelbt\u00f6nen war kein wesentlicher Unterschied zu bemerken. Die darauf hin ver-anlafste augen\u00e4rztliche Untersuchung erwies ihn als einen gew\u00f6hnlichen Deuteranomalen mit erweiterter Gelb- und Blaugrenze am Perimeter. Still iNGsche und HoLMGREN-Proben waren bei wiederholter Untersuchung von ihm glatt bestanden worden. Erst am NAGELschen Apparat stellte er die typische Deuteranomalen Gleichung ein.\nBei den Pr\u00fcfungen nach der Verschiedenheit rechts und links\u00e4ugiger Farbeneindr\u00fccke fand ich bei mehr als 1/3 der untersuchten farbent\u00fcchtigen Patienten geringe Abweichungen zwischen rechts und links und zwar derart, dafs auf dem einen Auge die Gleichung bei der Schraubenstellung 53\u00b0 stimmte, w\u00e4hrend auf dem anderen Auge die Schraube auf 51\u201449\u00b0 zur\u00fcckgedreht werden mulste. Bei den \u00fcbrigen 2/3 stimmte die Gleichung f\u00fcr beide Augen ganz genau.\nVon drei farbent\u00fcchtigen Patienten wurde mir ferner eine gleichlautende Mitteilung gemacht. Sie gaben alle an, dafs die Farbeneindr\u00fccke auf ihrem einen Auge viel gelber seien als auf dem anderen. Farbendifferenzen in bezug auf andere Farben wurden von ihnen nicht ge\u00e4ulsert. Der Farbenunterschied sei jeweilen bei hellem Tageslicht ihnen viel auff\u00e4lliger wie bei herab-\nnachweisen l\u00e4fst, k\u00f6nnen wir mit Wahrscheinlichkeit auf eine erworbene physiologische oder pathologische Farbenschw\u00e4che einen R\u00fcckschlufs\nmachen.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Uber Beobachtungen an anomalen Trichromaten.\n57\ngesetzter Beleuchtung. Meine Vermutung, dafs es sich h\u00f6chst wahrscheinlich um eine Verschiedenheit in der beidseitigen Ausbildung des makularen Gelb handeln k\u00f6nnte, wurde mir durch einen einfachen Versuch best\u00e4tigt. Liefs ich am Perimeter rasch die gelbe Marke am Fixierpunkt f\u00fcr das rechte und linke Auge abwechselnd auftreten, so wurde von s\u00e4mtlichen Personen eine deutliche Differenz in der Helligkeit der Farbe angegeben. Zweimal war das rechte, einmal das linke das farbenempfindlichere. Diese Differenz in der Gelbs\u00e4ttigung war verschwunden, sobald ich 5\u00b0 nasal oder temporal vom Fixierpunkt die gelbe Perimetriermarke erscheinen liefs, die auf beiden Augen jeweilen die genau gleiche Gelbempfindung ausl\u00f6fste. Dafs irgendwie eine Gelbf\u00e4rbung der Linse mitspielen konnte, war dadurch auszu-schliefsen, dafs es sich um 20\u201430 j\u00e4hrige Personen handelte, mit vollst\u00e4ndig durchsichtiger Linse ohne irgendeine Gelbf\u00e4rbung des Linsenkerns.","page":57}],"identifier":"lit36073","issued":"1923","language":"de","pages":"49-57","startpages":"49","title":"\u00dcber Beobachtungen an anomalen Trichromaten","type":"Journal Article","volume":"54"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:14:38.161744+00:00"}