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Eine neue Theorie des Sehens

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{"created":"2022-01-31T16:42:20.860087+00:00","id":"lit36076","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Schanz, Fritz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 54: 93-101","fulltext":[{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"93\nEine neue Theorie des Sehens.\nVon\nDr. Fritz Schanz,\nAugenarzt in Dresden.\nBei Belichtungen von Ei weifsl\u00f6sungen bilden sich auf Kosten der leichtl\u00f6slichen sehwererl\u00f6sliche Eiweifsk\u00f6rper. Diese Ver\u00e4nderungen werden erzeugt durch die besonders kurzwelligen Lichtstrahlen, die von jenen L\u00f6sungem absorbiert werden und an ihnen Fluoreszenz erzeugen.\nIn der Natur sehen wir aber, dafs auch langwelliges Licht biologisch wirksam wird. Damit dieses wirksam werden kann, bedarf es der Gegenwart von Sensibilisatoren. Die Sensibilisatoren, die die Wirkungen des langwelligen Lichtes vermitteln, sind Farbstoffe, die mit den Ei weifsk\u00f6rpern innige Verbindungen bilden. Diese Farbstoffe absorbieren die Strahlen, die zu der Farbe des Sensibilisators komplement\u00e4r sind und bewirken, dafs auch diese auf die Eiweifsk\u00f6rper wirksam werden. Was ich am leblosen Eiweifs ermittelt, hatte man an lebenden Organismen schon ziemlich eingehend studiert. Von der Am\u00f6be bis hinauf zum Menschen lassen sich alle Organismen sensibilisieren.\nUm die physikalischen Vorg\u00e4nge bei der Sensibilisation aufzukl\u00e4ren, habe ich besondere Versuche ausgef\u00fchrt. In der Physik besch\u00e4ftigt man sich jetzt viel mit der lichtelektrischen Zerstreuung, dem sog. Hallwachseffekt. Diese lichtelektrische Zerstreuung besteht darin, dafs durch Licht aus den belichteten Stoffen Elektronen herausgeschleudert werden, die sich mittels eines Drahtnetzes auffangen lassen. In diesem Drahtnetz entsteht dann ein elektrischer Strom, der sich mit einem Elektrometer messen l\u00e4fst. Um dabei den Einflufs der Gase auszuschliefsen, bringt man meist den zu untersuchenden Stoff in eine Glaskugel, die man luftleer","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nFritz Schanz.\nmacht. Man bezeichnet eine solche Kugel als lichtelektrische Zelle.\nEs lagen Versuche vor, die zeigten, dafs fluoreszierende Farbstoffe in hohem Mafse lichtelektrische Zerstreuung zeigen. Darunter waren auch viele Farbstoffe, die als Sensibilisatoren bekannt waren. Diese Versuche habe ich aufgenommen \\ ich konnte best\u00e4tigen, dafs die Farbstoffe, die als Sensibilisatoren in Frage kommen, in hohem Mafse lichtelektrische Zerstreuung zeigen, und ich konnte dann feststellen, dafs auch die Eiweifsk\u00f6rper lichtelektrische Zerstreuung aufweisen. Um zu sehen, wie sich die lichtelektrische Zerstreuung der Sensibilisatoren und der Eiweifsk\u00f6rper untereinander beeinflussen, habe ich an L\u00f6sungen von Sensibilisatoren deren lichtelektrische Zerstreuung festgestellt. Dann habe ich diese L\u00f6sungen in gleicher Weise mit dest. Wasser und mit dialysierten Eiweifsl\u00f6sungen verd\u00fcnnt und wieder ihre lichtelektrische Zerstreuung gepr\u00fcft. Es zeigte sich, dafs durch den Zusatz von Eiweifsl\u00f6sung die lichtelektrische Zerstreuung der Sensibilisatorl\u00f6sungen viel st\u00e4rker vermindert wurde als durch Zusatz von dest. Wasser. Zur Erkl\u00e4rung dieser Erscheinung mufs angenommen werden, dafs die aus den Sensibilisatoren herausgeschleuderten Elektronen von den Eiweifsmolek\u00fclen aufgefangen werden und an ihnen die Erscheinungen erzeugen, die ich im Experiment festgestellt habe.\nDie optische Sensibilisation findet sich nicht nur in der belebten Natur an organischen Stoffen, auch an anorganischen Stoffen l\u00e4fst sich dieselbe nach weisen. Das lehrt uns der Becquerel-Effekt. Werden 2 ganz gleiche Metallplatten leitend verbunden und in eine Elektrolytfl\u00fcssigkeit getaucht, so entsteht ein elektrischer Strom, wenn man die eine Platte belichtet, w\u00e4hrend man die andere dunkel h\u00e4lt. Der elektrische Strom wird wesentlich st\u00e4rker, wenn man der Elektrolytfl\u00fcssigkeit einen als Sensibilisator bekannten Farbstoff zusetzt. Diesem Ph\u00e4nomen liegt meiner \u00dcberzeugung nach derselbe Vorgang zugrunde, wie der Sensibilisation in der belebten Natur. Mit diesen Untersuchungen erhalten wir Einblick, wie die Sonne als Motor eingreift in das Triebwerk alles irdischen Lebens. Wir kennen jetzt den Gang dieses Triebwerks!\n1 Die physikalischen Vorg\u00e4nge bei der optischen Sensibilisation.. Pfl\u00fcgers Archiv f. Physiol. 190, S. 311. 1921.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Eine neue Theorie des Sehens.\n95\nWenn diese Anschauungen \u00fcber die elementaren Wirkungen des Lichtes in der Natur richtig sind, so m\u00fcfste auch dem Sehakt derselbe Vorgang zugrunde liegen. Das Licht kann nur da wirken* wo es absorbiert wird. Wir haben jetzt die Zapfen und St\u00e4bchen f\u00fcr die lichtempfindlichen Elemente der Netzhaut gehalten. Da\u00bb ist ausgeschlossen, denn diese verm\u00f6gen nicht die sichtbaren Lichtstrahlen gleichm\u00e4fsig zu absorbieren. Absorbiert werden sie aber von dem Pigment im Pigmentepithel der Netzhaut. Wir sind zu der Annahme berechtigt, dafs von dem Licht, das im Pigmentepithel absorbiert wird, ebenso wie aus den zahlreichen Pigmenten, die darauf untersucht sind, Elektronen herausgeschleudert werden. Die Zapfen und St\u00e4bchen der Netzhaut wirken dann wie das Drahtnetz, mit dem man bei der Pr\u00fcfung der lichtelektrischen Zerstreuung die Elektronen auff\u00e4ngt. Dem Licht verschiedener Wellenl\u00e4nge entsprechen Elektronen verschiedener Geschwindigkeit. Von den Zapfen und St\u00e4bchen wird die Erregung durch die Netzhaut und den Sehnerven zum Zentralorgan weitergeleitet. Am Sehnerven verm\u00f6gen wir diese als Aktionsstrom zu messen.\nBrossa und Kohlrausch 1 haben die Netzhaut mit homogenen Spektrallichtern belichtet, den Aktionsstrom gemessen und dabei festgestellt, dafs der erste Anstieg des Aktionsstromes bei kurzwelligen Strahlen wesentlich steiler ist als bei langwelligen. Die Kurvenform war f\u00fcr jede Wellenl\u00e4nge charakteristisch. Niemals ist es gelungen, auch nicht bei beliebiger Intensit\u00e4ts\u00e4nderung mit langwelligem Licht die Aktionsstromkurven von kurzwelligen Licht hervorzurufen. Der physiologische Vorgang beim Sehen w\u00e4re daher folgender: Das einfallende Licht wird vom Pigment des Pigmentepithels absorbiert. Das absorbierte Licht schleudert aus dem Pigment Elektronen heraus. Diese Elektronen haben je nach der Wellenl\u00e4nge des ausl\u00f6senden Lichtes verschiedene Geschwindigkeit. Da, wo die Elektronen auftreffen, erzeugen sie eine elektrische Erregung, den Aktionsstrom, der in charakteristischer Weise beeinflufst wird durch die Geschwindigkeit der Elektronen, die ihn erzeugen. Durch den Aktionsstrom erfolgt die Erregung des Sehzentrums.\nGegen diese Theorie wird man sofort den Einwand erheben : Wie erkl\u00e4rt sich dabei das Sehen der Albinos? Diesen Einwand habe' ich mir selber gemacht, ich habe die Literatur dar\u00fcber\n1 Archiv /'. Anatomie u. Physiologie 1913. Phys. Abt. S. 449.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"*96\nFritz Schanz.\ndurchgesehen, und war freudig \u00fcberrascht, als ich sah, dafs die Befunde an albinotischen Augen nicht gegen, sondern f\u00fcr meine Anschauungen sprechen. In allen albinotischen Augen, die darauf untersucht sind, fand sich im Pigmentepithel ausnahmslos Pigment, auch wenn die \u00fcbrigen Augenteile und der ganze \u00fcbrige Organismus v\u00f6llig pigmentfrei war. In meinem Vortrag \u201e\u00fcber das Sehen\u201c, den ich im August 1921 in der gemeinsamen Sitzung der Wiener und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft gehalten habe, habe ich die Literatur hier\u00fcber ausf\u00fchrlich mitgeteilt.1\nAuch die Verh\u00e4ltnisse bei der Netzhautabhebung st\u00fctzen meine Ansicht. Dabei sehen wir fast regelm\u00e4fsig, dafs das Pigmentepithel von der \u00fcbrig enNetzhaut abgetrennt wird und an der Aderhaut haftet. An der abgehobenen Stelle verliert die Netzhaut meist vollst\u00e4ndig ihre Erregbarkeit. Legt sich die Netzhaut wieder an, bekommt sie wieder Kontakt mit dem Pigmentepithel, so stellt sich sofort wieder die Erregbarkeit her. Bei flachen Abhebungen ist die Erregbarkeit zuweilen nicht ganz erloschen. In diesem Fall verm\u00f6gen aus dem Pigmentepithel herausgeschleuderte Elektronen noch die St\u00e4bchen und Zapfen zu erreichen und eine stumpfe Lichtempfindung zu veranlassen. Zuweilen sehen wir mit dem Wechsel der K\u00f6rperhaltung die Erregbarkeit solcher abgehobenen Partien wechseln. Mit dem Wechsel der K\u00f6rperhaltung verschiebt sich die Fl\u00fcssigkeitsschicht unter der abgehobenen Partie, und damit \u00e4ndert sich ihre Entfernung vom Pigmentblatt und ihre Erregbarkeit. Zur Erkl\u00e4rung dieser Vorg\u00e4nge hat man angenommen, dafs die Regeneration der Sehstoffe vom Pigmentepithel her erfolgt. Die Sehstoffe sind noch immer hypothetische K\u00f6rper. Lediglich in den St\u00e4bchen hat man als solchen den Sehpurpur festgestellt. Er reicht nicht aus, um die Vorg\u00e4nge beim Sehakt zu erkl\u00e4ren. Elektronen sind es, die aus dem Pigment der Netzhaut mit verschiedener Geschwindigkeit herausgeschleudert werden, und die Erregung in den Zapfen und St\u00e4bchen veranlassen.\nWie l\u00e4fst sich an der Hand dieser Theorie das Sehen der Farben erkl\u00e4ren?\nDem Licht verschiedener Wellenl\u00e4nge entsprechen Elektronen verschiedener Geschwindigkeit. So entsteht die Wahrnehmung\n1 M\u00fcnch, med. Wochenschr. 1921. S. 1390.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Eine neue Theorie des Sehens.\n97\nder reinen Farben, wie wir sie im Spektrum sehen. In der Natur sehen wir fast nie reine Farben. Unsere Umwelt erscheint uns in Farbengemischen, und es gibt zahlreiche Farbengemische, die unser Auge nicht von den reinen Spektralfarben zu unterscheiden vermag. Das Ohr ist imstande, Tongemische aufzul\u00f6sen, dem Auge fehlt die F\u00e4higkeit, Farbengemische in gleicher Weise zu analysieren.\nWenn Farbengemische auf unser Auge wirken, so werden gleichzeitig Elektronen mit verschiedener Geschwindigkeit aus dem Pigmentepithel herausgeschleudert. Solche Farbengemische k\u00f6nnen im Zentralorgan denselben Eindruck erzeugen wie die reinen Farben, die von Elektronen einer Geschwindigkeit ausgel\u00f6st werden. Zur Erkl\u00e4rung dieser Erscheinung m\u00fcssen wir annehmen, dafs die Elektronen auf ihrer Bahn sich in ihrer Geschwindigkeit gegenseitig beeinflussen, die schnelleren werden die langsameren beschleunigen, die langsameren werden die schnelleren hemmen. Die Geschwindigkeiten wrerden sich ausgleichen, und es wird auf ihrer Bahn sich eine Stelle finden, wo die Geschwindigkeiten gleich geworden sind. Treffen sie nach Ausgleich ihrer Geschwindigkeiten auf das Zentralorgan, so wird eine Farbenwahrnehmung entstehen, die den Elektronen entspricht, welche die ganze Bahn mit der Geschwindigkeit durchlaufen haben, die jenes Elektronengemisch erst am Ende der Bahn erreicht. In beiden F\u00e4llen treffen auf das Zentralorgan Elektronen gleicher Geschwindigkeit und veranlassen dort dieselbe Erregung. Das Auge ist nicht imstande, die beiden Eindr\u00fccke zu unterscheiden. Um ein Beispiel zu geben: Elektronen, die von den Strahlen A 400 und 500^/1 aus dem Pigmentepithel herausgeschleudert wrerden k\u00f6nnen, wenn sie das Zentralorgan erreichen, eine Geschwindigkeit haben, wie die Elektronen, die das Licht von A 450 herausschleudert. Das Strahlengemisch von A 400 und 500 ju/u w\u00fcrde dann dieselbe Farbenempfindung her vorrufen, wie die Strahlen von A 450 fx\u00df. F\u00fcr diese Eigent\u00fcmlichkeit der Farben Wahrnehmung fehlt bisher jede Erkl\u00e4rung. Ich glaube, sie ist hier nach bekannten Gesetzen der Physik gegeben.\nWie entsteht die Wahrnehmung von Weifs? Wie eben an einem Beispiel gezeigt, k\u00f6nnen die Strahlen von A 400 und 500//^ dieselbe Farbenwahrnehmung erzeugen, wie die Strahlen von A 450 fifA. Mischt man aber Strahlen von A 400 und\nZeitschr. f. Sinnesphys. 54.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nFritz Schanz.\n600 ////, so wird ein v\u00f6lliger Ausgleich der Geschwindigkeiten der Elektronen auf derselben Wegstrecke nicht erfolgen k\u00f6nnen. Wenn die Elektronen auftreffen, so werden sie nicht imstande sein, die Wahrnehmung einer Spektralfarbe zu erzeugen. Wir empfinden einen Lichteindruck, bei dem die Elektronen bei ihrem Auftreffen die gr\u00f6fsten Differenzen in ihrer Geschwindigkeit zeigen, als Weifs. Mischen wir in gleicher Weise Strahlen von l 600 und 700 w, so werden sich die Geschwindigkeiten der Elektronen bis zum Zentralorgan ausgleichen, wir werden wieder den Eindruck einer Spektralfarbe haben die in der Mitte zwischen den erregenden Lichtstrahlen liegt. Mischen wir aber die Strahlen von l 600 und 800 w, so wird wieder ein Ausgleich auf derselben Wegstrecke nicht m\u00f6glich sein. Die Differenzen in der Geschwindigkeit der Elektronen werden dieselben sein, wie bei dem Gemisch der Strahlen von X 400 und 600 w. Es entsteht daher auch bei diesem Strahlengemisch die Wahrnehmung von Weifs. Wenn wir die Strahlen des gesamten Spektrums mischen, mufs dieselbe Wahrnehmung entstehen. Wir h\u00e4tten hier die Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Entstehung der Komplement\u00e4rfarben und die Erkl\u00e4rung, wie durch Mischen der Komplement\u00e4rfarben und der gesamten Spektralfarben dieselbe Wahrnehmung,\ndie Wahrnehmung von Weifs, entsteht.\nWenn man zwei einfache Farben mischt, die im Spektrum weniger voneinander entfernt sind als Komplement\u00e4rfarben, so ergibt die Mischung eine der dazwischenliegenden Farben und diese zieht destomehr in das Weifse, je gr\u00f6fser der Abstand der gemischten Farben ist. Auch dieses Verhalten l\u00e4fst sich jetzt erkl\u00e4ren. Je n\u00e4her die Farben zueinander liegen, desto geringer sind die Differenzen in der Geschwindigkeit der Elektronen desto schneller werden sich diese in der Bahn zum Zentraloigan aus-gleichen, desto ges\u00e4ttigter wird der Farbeneindruck, den sie erzeugen. Je mehr sich die zweite Farbe der Komplement\u00e4rfarbe n\u00e4hert, desto gr\u00f6fser sind beim Auftreffen auf das Zentralorgan noch die Differenzen in der Geschwindigkeit der Elektronen, desto\nmehr zieht die Mischung ins Weifs.\nBei dieser Betrachtung sind zum leichteren Verst\u00e4ndnis abgerundete Zahlen willk\u00fcrlich gew\u00e4hlt worden. Die Komplement\u00e4rfarben w\u00fcrden sich dabei um 200 ufn voneinander unterscheiden. Wie weit entspricht dies der Wirklichkeit? Helmholtz bringt in dem Handbuch der Physiologischen Optik aufser den Messungen","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Eine neue Theorie des Sehens.\n99\nan seinen Augen noch vier Tabellen anderer Beobachter. Sie zeigen, dafs die Komplement\u00e4rfarben in der Mitte des Spektrums um etwa 110 f</t auseinanderliegen. Da, wo eine der Komplement\u00e4rfarben am Ende des Spektrums liegt, wird die Differenz gr\u00f6fser, sie wird etwa 130 hh-\nDie Untersuchungen \u00fcber die Komplement\u00e4rfarben haben noch ein Ergebnis erbracht, f\u00fcr das bisher jede Erkl\u00e4rung fehlt. F\u00fcr die Strahlen von 500 560 ou gibt es keine Komplement\u00e4rfarben. Die Erkl\u00e4rung ist durch die eben dargelegte Entstehung der Komplement\u00e4rfarben gegeben. F\u00fcr diese Strahlen fehlen die Strahlen, die die Geschwindigkeit der Elektronen in derselben Weise wie bei anderen komplement\u00e4ren Farbengemischen beeinflussen. Zu diesen Strahlen komplement\u00e4r w\u00fcrden die ultravioletten sein, sie werden aber in dem den lichtempfindlichen Elementen vorgelagerten Gewebe absorbiert. Staroperierte sehen ein l\u00e4ngeres Spektrum. Der Teil, um den dieses verl\u00e4ngert ist, mufs komplement\u00e4r sein zu einem Teil der Strahlen zwischen X 500 und 560 /tii.\nHier bietet sich eine Gelegenheit, obige Theorie experimentell auf ihre Richtigkeit zu pr\u00fcfen. Den Versuch habe ich folgender-mafsen ausgef\u00fchrt: Mitteils eines Quarzspektrographen habe ich mir das Spektrum einer Bogenlampe erzeugt. Dieses Spektrum habe ich auf einen Rahmen entworfen, in dem Blenden aus schwarzem Papier so angebracht waren, dafs damit jeder Teil des Spektrums abgeblendet werden konnte. Hinter dem Rahmen war eine grofse Quarzlinse und in deren Brennpunkt eine Porzellanplatte aufgestellt. Porzellan war gew\u00e4hlt worden, weil dieses im ultravioletten Licht nicht fluoresziert. Diese Porzellanplatte war in der Achse des sich im Brennpunkt der Quarzlinse vereinigenden Lichtkegels leicht verschieblich, so dafs man, wenn Teile des Spektrums ausgeblendet waren, diese getrennt auffangen und auch leicht zur Vereinigung bringen konnte. Mit dieser Vorrichtung habe ich zun\u00e4chst die Stelle ermittelt, wo mein Auge nicht mehr imstande war, einen Lichteindruck wahrzunehmen. Die Versuchsperson (Prof. K), die ich vor mehreren Jahren an Star operiert und die mit Starbrille normale Sehsch\u00e4rfe besafs, hatte bei derselben Einstellung noch eine ganz deutliche Farbenwahrnehmung, die sie als Violett bezeichnete.\nNun wurde gepr\u00fcft, ob sich innerhalb des Strahlenbereichs von 500\u2014560 tu,u eine Stelle findet, die den violetten Farbenein-","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nFritz Schanz.\ndruck in Weirs verwandelt. Da die Intensit\u00e4t dieses Strahlungs-bereiches wesentlich st\u00e4rker war als die des violetten, wurde sie durch ein neutral graues Glas etwas geschw\u00e4cht. Es hielt dann nicht schwer, den Strahlungsbereich herauszufinden, der zu dem ultravioletten, der dem Auge der Versuchsperson geboten wurde, komplement\u00e4r war. Es war dies der Bereich von l 548\u2014552 jup. Die Versuchsperson gab dann ganz bestimmt an, im violetterschei-nenden Feld einen weifsen Streifen zu sehen. Wurde statt dieses Wellenl\u00e4ngenbereiches der Abschnitt von l 535-540 uu geboten, so wurde der Eindruck von reinem Weifs nicht mehr erzielt. Die Entstehung der Komplement\u00e4rfarben, wie ich sie oben gegeben entspricht demnach der Wirklichkeit. Damit w\u00e4re der erste experimentelle Beweis f\u00fcr die Richtigkeit meiner Theorie erbracht.\nIn meinen Ausf\u00fchrungen habe ich bis jetzt uner\u00f6rtert gelassen, an welcher Stelle die Elektronen den elektrischen Strom ausl\u00f6sen, den wir im Aktionsstrom messen. Dafs die Elektronen bis zum Sehzentrum geleitet werden, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlich werden sie an der Basis der Zapfen- und St\u00e4bchenzellen den elektrischen Strom erzeugen. Wie in der oben zitierten Arbeit von Beossa und Kohleausch nachgewiesen, zeigt der Aktionsstrom bei Belichtungen mit monochromatischem Licht Eigent\u00fcmlichkeiten, die f\u00fcr die verschiedenen Wellenl\u00e4ngen des. ausl\u00f6senden Lichtes charakteristisch sind. Die Eigent\u00fcmlichkeit besteht vor allem darin, dafs die Erstenergie um so gr\u00f6feer ist je kurzwelliger das Licht. Der erste Anstieg der Aktionsstromkurve ist daher bei kurzwelligem Licht steiler als bei langwelligem. Es w\u00fcrde f\u00fcr die Richtigkeit meiner Theorie ein zweites beweisen es Experiment sein, wenn sich zeigen liefse, dafs der bei der Pr\u00fcfung der lichtelektrischen Zerstreuung auftretende elektrische Strom dieselben Eigent\u00fcmlichkeiten zeigt, wie der Aktionsstrom der Netzhaut. Bevor ich mich zur Ausf\u00fchrung solcher Versuche entschlofs, habe ich die Literatur nachgesehen und war wiederum freudig \u00fcberrascht, als ich fand, dafs solche Versuche von Autoren, die sich auf solche Versuche besser verstehen als ich, bereits ausgef\u00fchrt waren. Die ersten derartigen Versuche stammen von E. Ladenbueg, sie finden sich in seiner Arbeit: Uber die Anfangsgeschwindigkeit und Menge der photoelektrischen Elektronen in ihrem Zusammenhang mit der Wellenl\u00e4nge des ausl\u00f6senden Lichtes.1 Ladenbueg\n1 Physik. Zeitschrift 8.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Eine neue Theorie des Sehens.\n101\nhat bei dieser Untersuchung die Stoffe auch mit spektralzerlegtem Licht untersucht und festgestellt, dafs die Erstenergie der dabei auftretenden elektrischen Str\u00f6me auch von der Wellenl\u00e4nge des ausl\u00f6senden Lichtes abh\u00e4ngt, dafs die Stromkurven beim kurzwelligen Licht steiler ansteigen als beim langwelligen. Diese Versuche sind bereits vielfach nachgepr\u00fcft und erg\u00e4nzt worden. Damit w\u00e4re die Identit\u00e4t beider Prozesse erwiesen. Mit der Identit\u00e4t der beiden Frozesse ist aber auch die Richtigkeit meiner Theorie erwiesen. Dafs die Versuche von Autoren ausgef\u00fchrt wurden, die meine Theorie nicht kannten, erh\u00f6ht nur ihre Beweiskraft.\nZu meiner Theorie hat sich von den Physiologen bis jetzt nur Prof. Garten 1 ge\u00e4ufsert. Seine Bemerkungen bringen keinen Beweis gegen meine Theorie.\nIn kurzer Zeit vermochte ich meine Theorie zu st\u00fctzen:\n1.\tdurch den Nachweis, dafs sich das Sehen der Farben damit ohne jede vitalistische Hypothese auf bekannte Gesetze der Physik zur\u00fcckf\u00fchren l\u00e4fst;\n2.\tdurch den experimentellen Nachweis, dafs sich im Strahlungsbereich von 1 500\u2014560\tein Bezirk findet, zu dem\nStrahlen aus dem ultravioletten Strahlungsbereich komplement\u00e4r sind;\n3.\tdurch den Nachweis, dafs der Aktionsstrom der Netzhaut und der elektrische Strom, der bei der Pr\u00fcfung der lichtelektrischen Erscheinungen auftritt, gleiche Eigent\u00fcmlichkeiten zeigen.\nDer beste Beweis erscheint mir aber der Nachweis, dafs das Licht beim Sehakte auf die Netzhaut letzten Endes nicht anders wirkt, als sonst in der Natur. Meine lichtbiologischen Arbeiten1 2 liefern daf\u00fcr zahlreiche Beweise.\n1\tZeitschr. f. Augenheilkunde 47, Heft 4. Meine Antwort daselbst, Heft 6.\n2\tGraefes Arch. f. Ophthalm., Bd. 69, Heft 1 u. 3; Bd. 71, 73, 75, 86, 88, 89, 91, 96, 103, 106. Pfl\u00fcgers Arch. f. Physiologie Bd. 161, 164, 169, 170, 181, 190. Zeitschr. f. Augenheilk. Bd. 23, 36, 43, 46, 47, 48. M\u00fcnch, med. Wochenschrift 1914 Nr. 44; 1915 Nr. 19, Nr. 29, Nr. 39, Nr. 48; 1921, Nr. 43. Strahlentherapie Bd. 5, 6, 8, 9. Zeitschr. f. physikal. u. di\u00e4tetische Therapie Bd. 24. Bericht der Botan. Gesellschaft 1918 u. 1919.","page":101}],"identifier":"lit36076","issued":"1923","language":"de","pages":"93-101","startpages":"93","title":"Eine neue Theorie des Sehens","type":"Journal Article","volume":"54"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:42:20.860093+00:00"}

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