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{"created":"2022-01-31T16:44:37.064938+00:00","id":"lit36084","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Freiling, H.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 55: 69-85, 86-125, 126-132","fulltext":[{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"69\n(Aus dem psychologischen Institut der Universit\u00e4t Marburg.)\n\u00dcber die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen in der eidetischen Entwicklungsphase.\nVon\nH. Fkeiling.\n1. Teil.\n\u00dcber den scheinbaren Ort.\n1. Kapitel.\nZur allgemeinen Charakterisierung der eidetischen Entwicklungsphase, mit Bezug auf die Wahrnehmung.\nDie vorliegende Untersuchung sucht eine Frage zu beantworten, welche durch die Arbeit von E. R. Jaensch und F. Reich1 \u00fcber die Lokalisation im Sehraum nahegelegt war. Dort wurde die Erscheinung der sog. HERiNG-HiLLEBRANDschen Horopterabweichung, die an sich zwar geringf\u00fcgig erscheinen mag, aber in den theoretischen Er\u00f6rterungen \u00fcber die Wahrnehmung eine bedeutsame Rolle spielt, einer eingehenden experimentellen Analyse unterworfen. In zahlreichen fr\u00fcheren Arbeiten des Instituts war gezeigt worden, dafs Jugendliche oft in ausgesprochenem Mafse, in rudiment\u00e4rer Form bis zu einer gewissen Altersstufe wohl durchg\u00e4ngig, die Anlage zu optischen Anschauungsbildern (A B) besitzen, d. h. die F\u00e4higkeit haben, eine einmal angeschaute Vorlage nach ihrer Wegnahme entweder unmittelbar nachher oder auch nach l\u00e4ngerer Zwischenzeit im buchst\u00e4blichen Sinne vor sich zu sehen (nicht nur vor-\n1 E. R. Jaensch und F. Reich, \u00dcber die Lokalisation im Sehraum. Zeitschr. f. Psychol. 86.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nH. Freiling.\nzustellen). Jaensch und Reich konnten nun nachweisen, dafs Jugendliche mit A B, sog. Eidetiker, auch im A B das Ph\u00e4nomen der Horopterabweichung zeigen, wobei es nur in sehr viel st\u00e4rkerer Auspr\u00e4gung auftritt als bei den Versuchen mit nicht-eidetischen Erwachsenen an wirklichen F\u00e4den. Ferner fiel bei Jaensch und Reich schon auf, dafs auch bei den Beobachtungen am wirklichen Fadentripel die Horopterabweichung bei Eidetikern oft einen gr\u00f6fseren Betrag zeigte als bei Nichteidetikern, mit anderen Worten, dafs bei Eidetikern die Erscheinung bei wirklichen F\u00e4den derjenigen im AB nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ nahesteht. Weiter konnte gezeigt werden, dafs durch l\u00e4ngere, sog. \u201evertiefte Betrachtung\u201c der quantitative Betrag zunimmt, die Erscheinung sich also noch mehr derjenigen im AB n\u00e4hert. Damit war der Nachweis erbracht, dafs die wirklichen Wahrnehmungen der Eidetiker den AB nahestehen k\u00f6nnen. Es erhebt sich nun die Frage, ob bei Jugendlichen in noch weiterem Umfang eine Verwandtschaft der wirklichen Wahrnehmungen mit ihren AB nachweisbar ist.\nIn allen Bearbeitungen dieses Gebietes wird auf den grofsen Einflufs der Erfahrung bei der Ausbildung der Wahrnehmungswelt hingewiesen, wobei aber dieser Einflufs meist nur aus den Resultaten der fertigen Wahrnehmung erschlossen wird. Hierin mag auch begr\u00fcndet liegen, dafs der Streit zwischen Nativismus und Empirismus bisher nicht zur Ruhe gekommen ist. Nun zeigen die AB im allgemeinen eine sehr plastische Natur, d. h. eine starke Reaktionsf\u00e4higkeit auf Umweltreize und psychische Faktoren. Es geh\u00f6rt darum zu den grunds\u00e4tzlichen Fragen der Wahrnehmungslehre, inwieweit ein solcher Plastizit\u00e4tsgrad auch den wirklichen Wahrnehmungen der Jugendlichen zukommt. Dafs dies in hohem Mafse der Fall ist, wird bereits durch die Untersuchung von Jaensch und Reich nahegelegt; ob es sich in noch weiterem Umfange nachweisen l\u00e4fst, soll jetzt zun\u00e4chst gepr\u00fcft werden.\nDie vorliegenden Untersuchungen wurden in der Zeit vom Sept. 1919 bis Jan. 1921 im Marburger psychologischen Institut unter Leitung von Herrn Prof. Jaensch durchgef\u00fchrt und die Ergebnisse bis zum Okt. 1922 an immer wieder neuem Material sowohl hier in Marburg als auch an zahlreichen anderen Orten fortgesetzt nachgepr\u00fcft. Es sei mir an dieser Stelle gestattet, Herrn Prof. Jaensch f\u00fcr alle mir gegebenen Anregungen und","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n71\nRatschl\u00e4ge und f\u00fcr das dieser Untersuchung stets entgegengebrachte Interesse meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Benutzt wurden folgende Vpn. :\n1.\tGeorg W.\t(geb.\t\tVI. 06),\t11.\tErwin M.\t(geb. VIII. 08),\t\n2.\tHelmuth K. (\t\u00bb\tVII. 07),\t12.\tOtto H.\t( *\tV. 08),\n\u25a03.\tErnst M.\t(\tn\tV. 06),\t13.\tHerr stud. math. I\tSpier ( \u201e\tVII. 98),\n4.\tKarl K.\t(\tn\tVI. 04),\t14.\tHerr stud. phil. Koch ( \u201e\t\tI. 98),\n5.\tHans L.\t(\tn\tIII. 06),\t15.\tErich Sch.\t< \u201e\tVI. 05),\n6.\tWerner P.\t(\tn\tX. 04),\t16.\tErnst H.\t( \u201e\tIV. 07),\n7.\tLudw. v. B. (\t\u00bb\tVIII. 08),\t17.\tHeinrich O.\t( \u00bb\tXII. 08),\n8.\tHeinr. E.\t(\tj i\tIV. 06),\t18.\tHans Sch.\t( \u00bb\tI. 08),\n9.\tHeinr. L.\t(\tn\tI. 06),\t19.\tAlfred P.\t( \u00bb\tVI. 07),\n10.\tPaul B.\t(\tn\tIV. 06),\t20.\tGerhardt J.\t( \u00bb\tV. 07).\nAusdr\u00fccklich sei hervorgehoben, dafs nahezu s\u00e4mtliche hier mitgeteilten Versuche, besonders auch diejenigen \u00fcber die \u00c4nderung der scheinbaren Gr\u00f6fse wirklicher Objekte, an immer wieder neuem Beobachtungsmaterial wiederholt wurden, nicht nur in Marburg, sondern an immer wieder anderen Orten, und zwar an Vpn., die mit uns in keinerlei Verbindung standen, und die wir im Augenblick der Versuche \u00fcberhaupt erstmals kennen lernten. Ich hatte zu solchen Versuchen vielfach Gelegenheit dadurch, dafs ich anl\u00e4fslich von Vortragskursen in p\u00e4dagogischen Arbeitsgemeinschaften und Lehrervereinen sehr viele Volksschulen Hessen-Nassaus auf Eidetiker untersucht habe und bei ausgepr\u00e4gteren F\u00e4llen an den mir v\u00f6llig unbekannten Vpn. immer sogleich die Resultate unserer Versuche best\u00e4tigt fand. Ich habe solche ausw\u00e4rtigen Versuche bisher angestellt in Eschwege, Rinteln, Wolfhagen, Wabern und Dillenburg. Herr Prof. Jaensch hat dieselben Ergebnisse erst k\u00fcrzlich wieder an Sch\u00fclern des Landerziehungsheims in Ilsenburg erhalten, und ebenso gemeinsam mit mir in Magdeburg anl\u00e4fslich seiner Vortr\u00e4ge auf der p\u00e4dagogischen Woche des preufsischen Lehrervereins. Ferner wurden unsere Ergebnisse nachgepr\u00fcft von Herrn Politt in Essen und von Herrn Dr Riekel in Kassel, Bebra, Homberg und Hofgeismar. Wir haben haupts\u00e4chlich auch deshalb nicht Bedenken getragen, solchen gelegentlichen Aufforderungen nach ausw\u00e4rts Folge zu leisten, weil sie uns Gelegenheit boten, unsere Ergebnisse an immer wieder neuem Material nachzupr\u00fcfen. Die Prozentzahlen, die wir jetzt im Laufe viel j\u00e4hriger Untersuchungen durchschnittlich in Marburg","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nH. Freiling.\nfinden, sind vergleichsweise nicht einmal besonders hoch. Erhebliche Schwankungen der Prozentzahlen kommen hier im Laufe l\u00e4ngerer Zeitr\u00e4ume sicher vor und m\u00f6gen zum Teil in unbekannten, geopsychischen Faktoren, zum Teil wohl aber auch in psychologischen Umst\u00e4nden begr\u00fcndet sein. So habe ich an mehreren Volksschulen beobachtet, dafs am selben Ort bei zwei Parallelklassen in der einen, wo der Forderung der Anschaulichkeit und Spontaneit\u00e4t besonders Rechnung getragen wurde \\ der Prozentsatz der Eidetiker ein auffallend hoher war gegen\u00fcber dem Befund in der anderen Klasse gleichaltriger Sch\u00fcler. Auch im deutschen Landerziehungsheim in Ilsenburg, wo auf geistige Selbst\u00e4ndigkeit und Spontaneit\u00e4t der Sch\u00fcler besonders grofses Gewicht gelegt wird, fand Herr Prof. Jaensch einen sehr hohen Prozentsatz, 40\u201450\u00b0/0 ausgepr\u00e4gter F\u00e4lle. Unsere Werte f\u00fcr Marburg bleiben nach dem Durchschnitt mehrj\u00e4hriger Untersuchungen hinter den bei Keoh1 2 angegebenen Zahlen etwas zur\u00fcck. Noch gr\u00f6fsere Unterschiede als zwischen einzelnen gleichaltrigen Klassen am selben Ort findet man, wenn man ganze Schulen an verschiedenen Orten vergleicht. Es lassen sich schon jetzt einige bestimmtere Anhalts-\n1\tDiese Beobachtung hat sich inzwischen bei weiteren Untersuchungen best\u00e4tigt. Nach den auf diesem Gebiete nun gr\u00f6fseren Erfahrungen m\u00f6chte ich nicht allein der Lebhaftigkeit des Unterrichts den ausschlaggebenden Einflufs zuschreiben, sondern auch der mehr oder weniger weitgehenden Art, in der man jeweils die modernen Prinzipien der Arbeitsschule, besonders auch die sensoriellen und emotionalen Bedingtheiten beim Wissenserwerb zur Geltung bringt und damit vor allem der Eigent\u00e4tigkeit und Selbstentfaltung des Sch\u00fclers Rechnung tr\u00e4gt. Es kann kein Zufall sein, dafs eine Schulklasse in Marburg, in der diese Grunds\u00e4tze besonders weitgehend durchgef\u00fchrt sind, zugleich den h\u00f6chsten Prozentsatz der Eidetiker aufweist. Auf gr\u00f6fstm\u00f6gliche Anschaulichkeit ist von jeher der Unterricht in den Hilf sschulen eingestellt, und so d\u00fcrften sich vielleicht die Feststellungen der interessanten Untersuchung von M. Zillig (\u00dcber eidetische Anlage und Intelligenz. Fortschritte der Psychologie und ihrer Anwendungen, herausgeg. v. K. Marbe V. Band, VI. Heft. 1922.) erkl\u00e4ren, die in W\u00fcrzburg in den Hilfsschulen einen besonders hohen Prozentsatz von Eidetikern fand. Zillig bringt deshalb, logisch konsequent, die A B mit Intelligenzschw\u00e4che in Verbindung, w\u00e4hrend unsere bisherigen Untersuchungen zu dem Ergebnis zu f\u00fchren scheinen, dafs eine eindeutige Korrelation zwischen der eidetischen Anlage und der Intelligenz nicht besteht (wohl aber zwischen der Intelligenz und dem Charakter der Bilder). Wir behalten uns vor, an geeignetem Ort auf diese Frage zur\u00fcckzukommen.\n2\tKeoh, Subjektive Anschauungsbilder bei Jugendlichen. G\u00f6ttingen 1922.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\t73;\npunkte f\u00fcr diese Unterschiede angeben, einmal der verschiedene Kalkgehalt des Wassers in Verbindung mit der Beeinflufsbarkeit der AB des T-Typus durch Calcium. Die \u00d6rtliche Verschiedenheit im Prozentsatz der mittel- und starkausgepr\u00e4gten F\u00e4lle erscheint nicht verwunderlich, wenn man erw\u00e4gt, dafs die eidetische Anlage nach den Ergebnissen der psychophysischen Konstitutionsuntersuchungen 1 zweifellos in irgendeiner Beziehung zum System der innersekretorischen Dr\u00fcsen steht, und wenn man weiter ber\u00fccksichtigt, dafs in der Funktionsweise und, wohl sekund\u00e4r, selbst in der anatomischen Beschaffenheit dieses Systems grofse \u00f6rtliche Verschiedenheiten obwalten. Irgendeine Beziehung der eidetischen Anlage zur Schilddr\u00fcse und den mit ihr in funktioneller Korrelation stehenden Dr\u00fcsen darf als erwiesen gelten. Nun ist aber bekannt, dafs im funktionellen wie im anatomischen Verhalten der Schilddr\u00fcse die gr\u00f6fsten \u00d6rtlichen Verschiedenheiten obwalten, dafs z. B. die Gr\u00f6fse der Schilddr\u00fcse, die bekanntermafsen aufs engste von der St\u00e4rke ihres Funktionieren\u00bb abh\u00e4ngt, in Deutschland von der Meeresk\u00fcste nach dem Alpenrande hin zunimmt. So betr\u00e4gt z. B. das Durchschnittsgewicht der Schilddr\u00fcse eines Erwachsenen an der deutschen K\u00fcste 15 g, in Berlin 30 g und in M\u00fcnchen 39 g.2 Bei der verwickelten Funktion des innersekretorischen Systems darf aber hieraus nicht ohne weiteres geschlossen werden, dafs etwa die Prozentzahlen der Eidetiker im gleichen Mafse wie die Gewichte der Schilddr\u00fcse wachsen m\u00fcssen. Ebensowenig sind uns die \u00f6rtlichen Gr\u00fcnde bekannt, die in manchen Gegenden zur gesteigerten Schilddr\u00fcsenfunktion und Kropfanlage f\u00fchren. Dafs aber selbst ungleiche Prozentzahlen an demselben Ort zu verschiedener Zeit nicht nur psychologisch, sondern unter Umst\u00e4nden auch in Funktionsschwankungen des innersekretorischen Systems bedingt sein k\u00f6nnten, geht daraus hervor, dafs selbst die Kropfanlage am selben Ort solchen zeitlichen Schwankungen unterliegt und zuweilen \u2014 wie besonders jetzt nach dem Kriege \u2014 st\u00e4rker hervortritt. Die Frage nach den Gr\u00fcnden der \u00f6rtlichen Verschiedenheit ist eine \u00fcberaus verwickelte und nur unter sorgf\u00e4ltiger Ber\u00fccksichtigung s\u00e4mtlicher Faktoren allm\u00e4hlich zu l\u00f6sen.\n1\tW. Jaensch, Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psychiatr. 59, 1920. Monatschr. f. Kinderheilk. 22. 1921.\n2\tZitiert nach einer Marburger Rektoratsrede von Professor Herrn A. Schwenkenbecher \u201e\u00dcber Kropf\u201c.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nH. Freiling.\nAuch wenn man unter der gesamten Jugend des einen oder anderen Ortes eine erhebliche Differenz in der St\u00e4rke der ei-detischen Anlage findet, w\u00fcrde der Schlufs auf eine rein physische Einwirkung der \u00f6rtlichen Faktoren noch nicht durchaus zwingend sein, vielmehr k\u00f6nnte in gewissen F\u00e4llen sozusagen das \u201epsychische Klima\u201c eines Ortes mitwirken, welches alle seine Bewohner umf\u00e4ngt und dessen sinnf\u00e4llig zutage tretenden \u00c4ufserungen sich die eindrucksf\u00e4higen Jugendlichen am allerwenigsten entziehen k\u00f6nnen. Der Zusammenhang der eidetischen Anlage mit den Funktionen des innersekretorischen Systems w\u00fcrde durch diese M\u00f6glichkeit nicht wieder in Frage gestellt ; denn es ist ja bekannt, dafs die Funktionen des innersekretorischen Systems durch psychische Faktoren ge\u00e4ndert werden k\u00f6nnen, sogar bis zu krankhaftem Ausmafs (z. B. bei psychogener Entstehung von Basedow bei Disponierten), und also wohl erst recht innerhalb der Grenze des Normalen.\nE. R. Jaensch hat nach unseren bisherigen Befunden mit gegr\u00fcndetem Recht darauf hingewiesen, dafs das starke Zur\u00fcckbleiben der eidetischen Anlage in H\u00f6chst a. M. gegen\u00fcber anderen naheliegenden Orten, besonders Wiesbaden, aus dem starken Kalkgehalt und \u00fcberhaupt hohen H\u00e4rtegrad des H\u00f6chster Wassers erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnte, im Einklang mit der Erfahrung, dafs die starken AB des T-Typus durch Kalk abgeschw\u00e4cht werden k\u00f6nnen, und dafs die Orte, an denen wir bisher eine starke eidetische Anlage gefunden hatten, aufserhalb des Muschelkalkgebietes liegen, wie Mabia Zielig (a. a. O. S. 297) mit Recht hervorgehoben hat.\nNachdem wir aber auch am selben Ort Verschiedenheiten der Prozentzahlen beobachtet haben, die sich am ungezwungensten aus psychischen Faktoren erkl\u00e4ren lassen, m\u00fcssen wir wenigstens mit der M\u00f6glichkeit rechnen, dafs eine solche Verschiedenheit, wie die zwischen H\u00f6chst und Wiesbaden, z. T. auch im \u201epsychischen Klima\u201c der beiden Orte begr\u00fcndet sein k\u00f6nnte. So zeigt ein Industrieort wie H\u00f6chst trotz seines regen geistigen Lebens nach aufsen hin ein monoton graues Gesicht, w\u00e4hrend das farbige und bewegte Bild der sch\u00f6nen Taunusstadt ganz anders zu den Sinnen des Jugendlichen sprechen mufs. Wahrscheinlich wird es sich beim Zustandekommen der Prozentzahlen um eine Resultantenwirkung verschiedener Faktorenhandeln, wie man es auch bei den greifbaren \u00f6rtlichen Unterschieden anatomischer","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\t75\nArt im Verhalten des innersekretorischen Systems heute am ehesten annehmen darf, z. B. bei den \u00f6rtlichen Verschiedenheiten der Kropfanlage (nach A. Schwenkenbecher). Dafs das \u201epsychische Klima\u201c f\u00fcr das Zustandekommen der ausgepr\u00e4gten ei-detischen Anlage und ihre Verbreitung jedenfalls nicht das Wesentlichste ist, sondern h\u00f6chstens beil\u00e4ufig mitwirken kann, scheint sich aus dem hohen Prozentsatz in Essen zu ergeben. In diesem Sinne spricht auch eine Angabe Dr. Ennens, der annimmt, dafs die (bei ihm selbst hier genauer untersuchte) ei-detische Anlage unter seinen friesischen Landsleuten h\u00e4ufig sei, und der auf Grund seiner Selbstbeobachtungen vermutet, dafs gerade die Monotonie der Landschaft zur Erweckung von AB und damit zur Erg\u00e4nzung und Bereicherung herausfordert.\n2. Kapitel.\nDie Lokalisation wirklicher Gegenst\u00e4nde unter dem Einflufs\nvon Aufmerksamkeitswanderungen.\n1. \u00dcber Orts\u00e4nderungen wirklicher Gegenst\u00e4nde.\nDie Versuchsanordnung war folgende: An der vorderen Schmalkante eines Tisches (90 X 120 cm) ist ein Vorsatzschirm angebracht, der in Augenh\u00f6he einen Ausschnitt (5 X 20 cm) tr\u00e4gt. 90 cm dahinter ist ein weifser Hintergrundschirm senkrecht aufgestellt, der das Gesichtsfeld des durch den Ausschnitt blickenden Beobachters vollkommen ausf\u00fcllt. 15 cm hinter der Mitte des Ausschnittes sind im Seitenabstande von 5 cm voneinander zwei Lote aus d\u00fcnnen schwarzen Seidenf\u00e4den aufgeh\u00e4ngt, die zur Vermeidung von Schwingungen am unteren Ende mit einer D\u00e4mpfungsvorrichtung, in Wollb\u00e4uschen bestehend, versehen sind. Die Versuche, die bei guter Tagesbeleuchtung unter Vermeidung von Schatten und st\u00f6renden Lichtreflexen auf dem Hintergrund vorgenommen wurden, verliefen in folgender Weise.\nNachdem sich die Vp., die in einer festen Entfernung von 70 cm vor dem Vorsatzschirm sitzt, davon \u00fcberzeugt hat, dafs die hinter dem Ausschnitt sichtbaren F\u00e4den genau in einer frontalparallelen Ebene h\u00e4ngen, erh\u00e4lt sie die Instruktion, einen der beiden F\u00e4den, z. B. den rechten, zun\u00e4chst fest anzusehen und dann mit dem Blick nach r\u00fcckw\u00e4rts bis zum Hintergrundschirm zu wandern. Was hiermit gemeint ist, wurde den Vpn. klar gemacht, indem der Versuchsleiter seinen Finger nach r\u00fcck-","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nH. Freiling.\nw\u00e4rts auf den Hintergrundschirm zu f\u00fchrte und die Vp. aufforderte, mit dem Blick zu folgen. Dieselbe Wanderung sollte dann mit dem Blick in der freien Luft, also ohne Fixierung eines vorhandenen Gegenstandes, aber unter Weiterbeachtung des Fadens vollzogen werden.1 Alsdann erfolgte bei einer grofsen Anzahl unserer jugendlichen Eidetiker gleichzeitig mit der Blick-und Aufmerksamkeitswanderung auch eine Wanderung des beachteten objektiven Fadens im gleichen Sinne. Vielfach erkl\u00e4rten die Beobachter ganz von selbst, dafs der (in diesem Falle rechte) Faden mit nach hinten gegangen sei und sich jetzt nicht mehr an seiner Ausgangsstellung befinde, auch nicht in dem urspr\u00fcnglichen Abstand von dem anderen, unver\u00e4ndert gebliebenen Faden. In anderen F\u00e4llen wurde erst auf Befragen, \u201eob irgend etwas Besonderes eingetreten sei\u201c, der eben geschilderte Vorgang zu Protokoll gegeben. In vielen F\u00e4llen war die Lage des scheinbar verschobenen Fadens sehr einfach anzugeben: Er war bis unmittelbar an den Hintergrundschirm gewandert. Bei anderen Beobachtern blieb er in einem gewissen Abstande davor stehen. Zur genaueren Ortsbestimmung wurde in diesen I allen dem scheinbaren Orte des verschobenen Fadens ein zweiter Faden (Pr\u00fcflot) durch den Versuchsleiter so weit gen\u00e4hert, bis beide f\u00fcr den Beobachter zur Deckung kamen, ein Moment, der sich scharf bestimmen liefs. In entsprechender Weise wurde mit dem Pr\u00fcf lot festgestellt, dafs der linke Faden, der w\u00e4hrend des Versuches nur nebenbei beachtet wurde, in den weitaus meisten F\u00e4llen tats\u00e4chlich am Ort geblieben war und sich nur in wenigen F\u00e4llen in der Richtung des verlagerten Fadens, aber viel schw\u00e4cher als dieser, verschoben hatte. Genau entsprechende Verlagerungserscheinungen zeigten sich, wenn nach Beachtung eines Fadens Blick und Aufmerksamkeit nach vorne wanderten.\nDiese Versuche wurden an 14 Beobachtern mit durchweg starker eidetischer Anlage angestellt.\nDie Verlagerung vollzog sich auf zwei verschiedene Arten. Bei dem einen, weitaus h\u00e4ufigsten Typus, erfolgte sie in Gestalt eines kontinuierlichen, in allen Phasen verfolgbaren Bewegungsvorganges. Sobald der Blick gem\u00e4fs der gegebenen Instruktion\n1 Man k\u00f6nnte vielleicht die Frage aufwerfen, ob die Befolgung eines solchen Verhaltens \u00fcberhaupt m\u00f6glich ist. Dafs sie m\u00f6glich ist, ergab sich zun\u00e4chst in gelegentlichen Beobachtungen und best\u00e4tigte sich dann in dem immer wiederkehrenden Ergebnis der Versuche.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n77\nvon dem beachteten Faden nach hinten, bzw. vorn glitt, l\u00f6ste sich der Faden von seinem Standort los und bewegte sich langsam mit nach hinten, bzw. vorn. Forderten wir den Beobachter auf, durch schnellere Blick Wanderung die Bewegung des sich verschiebenden Fadens zu beschleunigen, so wurde erkl\u00e4rt, dafs dies nicht m\u00f6glich sei, und dafs dann der Faden nicht mitginge, sondern zur\u00fcckbliebe. Dies trat \u00fcbrigens bei manchen Beobachtern \u00f6fters ganz von selbst ein. Der Faden blieb bei ihnen im Verlaufe des Versuches unterwegs stehen, und es bedurfte dann in diesen F\u00e4llen erneuter starker Aufmerksamkeitshin-lenkung auf den Faden, um die unterbrochene Bewegung bis zur Endlage fortzuf\u00fchren.\nBeim zweiten Typus (nur vertreten durch die Vpn. 6 ; 7) kam nur der Enderfolg der Verlagerung zur Beobachtung. Sobald Blick und Aufmerksamkeit vom Ausgangsort des Fadens nach hinten glitten, tauchte der beachtete Faden pl\u00f6tzlich auf dem Hintergrundschirm, am Ruhepunkt von Blick und Aufmerksamkeit auf, war also gewissermafsen unvermittelt von der\n\u2022 \u2022\nAnfangs- in die Endlage gesprungen. Uber die Gr\u00f6fse der Exkursionen innerhalb der Versuchanordnung gibt Tabelle I Auf-schlufs. Aus den Zahlenwerten ist ersichtlich, dafs die scheinbaren Verschiebungen sich im allgemeinen \u00fcber die ganze Tiefenausdehnung der Versuchsanordnung erstreckten.\nTabelle I.\nScheinbare Orts\u00e4nderung d. wirklichen Fadens\nWerner P.\tr\u00fcckw\u00e4rts 75 cm\t\tvorw\u00e4rts 15 cm\t\nHeinrich L.\t75\tn\t15\tn\nGeorg W.\t70,5\t11\t2\tii\nKarl K.\t75\t11\t15\tn\nHeinrich E.\t75\tr>\t15\tV\nOtto H.\t75\tn\t15\tn\nHelmut K.\t33,5\tn\t15\tn\nErwin M.\t75\tn\t8\tii\nLudwig v. B.\t75\tii\t15\tn\nHans L.\t53\tn\t12\tii\nErnst M.\t35\tr>\t10\tn\nPaul B.\t75.\tn\t15\tn\nHerr Spier\t75\tn\t15\tn\n\u201e Koch\t75\tn\t15\tn","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nH. Freiling.\nEs erhebt sich nun die Frage, ob es bei den vorstehenden Versuchen tats\u00e4chlich der wirkliche Faden war, der eine Verlagerung erfahren hat. Eine Untersuchung hier\u00fcber war vor allem auch darum notwendig, weil es bei manchen Beobachtern zuweilen vorkam, dafs ganz spontan von den wirklichen F\u00e4den Anschauungsbilder auftraten und mit dem Blick verlagert wurden. Ist nun die regul\u00e4re, vorstehend beschriebene Erscheinung ein Anschauungsbild (AB), welches \u2014 wie es ja m\u00f6glich w\u00e4re \u2014 den wirklichen Faden verdeckt, oder war es der objektive Faden selbst? Bei manchen stark-eidetischen Vpn. treten schon bei etwas l\u00e4ngerer Betrachtung eines Objekts A B ohne weiteres auf, ohne dafs sich die Vp. vornimmt, solche zu erzeugen. Bei diesen Vpn. konnte die Unterscheidung mit grofser Bestimmtheit vollzogen werden. Die M\u00f6glichkeit zur Unterscheidung von wirklichem und Bildfaden war im allgemeinen schon damit gegeben, dafs die Vpn. auch im Falle von urbildgem\u00e4fsen A B den Bildfaden verm\u00f6ge seiner charakteristischen optischen Eigenschaften deutlich vom wirklichen Faden unterscheiden konnten. Die Farbe des Bildfadens zeichnete sich im allgemeinen gegen\u00fcber der des wirklichen Fadens durch Glanz aus. Aufserdem war der Faden im A B, im allgemeinen wenigstens, durchscheinend, so dafs der Beobachter einen hinter dem Bildfaden gehaltenen farbigen Streifen durchscheinen sah. Besonders leicht war die Unterscheidung zwischen wirklichem und Bildfaden bei den Vpn. mit negativen A B. In diesen F\u00e4llen war daher auch die Sicherheit der Unterscheidung am gr\u00f6fsten.\nKonnte also schon auf Grund der gekennzeichneten optischen Erscheinungsweise des Bildfadens einwandfrei festgestellt werden, dafs die Vpn. nicht nur in der Lage waren, von dem dargebotenen Objekt ein A B loszul\u00f6sen und mit dem Blick zu verlagern, sondern dafs sie in der Tat dem wirklichen Faden eine Ortsver\u00e4nderung erteilen konnten, so ergaben sich im Laufe der Untersuchung noch weitere wichtige Unterscheidungsmerkmale zwischen wirklichem Faden und Bildfaden. So konnten die Bildf\u00e4den ohne besondere Anstrengung seitens der Vpn. verlagert werden, w\u00e4hrend das Verschieben des wirklichen Fadens nach \u00fcbereinstimmender Aussage der Beobachter ein viel mehr aktives Verhalten erforderte. Es bedurfte hierbei einer ganz besonders starken Aufmerksamkeitshinlenkung auf den wirklichen Faden und zugleich \u2014 wie uns vor allem die erwachsenen Beobachter","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n79\nbezeugten \u2014 eines gewissen Energieaufwandes. Offenbar wirkten hier Erfahrungseinfl\u00fcsse, auf die noch zur\u00fcckzukommen sein wird, hemmend ein. Weiter ergaben sich f\u00fcr die Verlagerung des wirklichen Fadens bestimmte Schranken, w\u00e4hrend das A B innerhalb der Dimensionen der Versuchsanordnung unbegrenzt verlagert werden konnte.\nEin grunds\u00e4tzlicher Unterschied zwischen wirklichem und Bildfaden zeigte sich vor allem bei den Verlagerungen in den beiden ersten Dimensionen. W\u00e4hrend bei den Bildf\u00e4den die Verlagerung nach der Seite bei allen Vpn. mit derselben Leichtigkeit erfolgte wie nach der Tiefe, gelangen die seitlichen Verlagerungen von wirklichen F\u00e4den nur bei einem gewissen Typus von Beobachtern (Vpn. 4, 5, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16), von denen noch sp\u00e4ter ausf\u00fchrlich die Bede sein wird.\nBei der genaueren Untersuchung der seitlichen Verlagerung von Objekten wurden die wirklichen F\u00e4den unmittelbar vor dem weifsen Hintergrundschirm, 100 cm von dem Beobachter entfernt, dargeboten. Wurde nun, wie oben, die Instruktion gegeben, einen der beiden F\u00e4den, z. B. den rechten, fest anzusehen und dann mit dem Blick seitlich l\u00e4ngs des weifsen Schirmes zu wandern, so bewegte sich der rechte Faden langsam mit bis zu einer bestimmten Grenzlage. Der nicht besonders beachtete linke Faden wurde dagegen noch am urspr\u00fcnglichen Ort gesehen, wie wieder mit dem Pr\u00fcflot festgestellt werden konnte.\nSchon oben wurde der Einflufs von Erfahrungsmotiven auf die Verlagerung von Objekten angedeutet. Zur genaueren Untersuchung dieser Motive wurden nun an der eingangs geschilderten Anordnung verschieden dicke F\u00e4den dargeboten: d\u00fcnne Seidenf\u00e4den, dickere Wollf\u00e4den, gehaspelte F\u00e4den und schliefslich auch massive Eisenst\u00e4be von Stativen. Die Versuche wurden in derselben Weise wie oben angestellt. Das Ergebnis war, dafs bei fast allen Vpn., die bei der Verlagerung eine kontinuierliche Bewegung sahen, diese um so langsamer und schwieriger erfolgte, je dicker der Faden war und je gr\u00f6fser darum Masse und Gewicht erschienen. Der Unterschied war ganz eindeutig beim Vergleich der dicken gehaspelten F\u00e4den mit den d\u00fcnnen Seiden- bzw. Wollf\u00e4den und der F\u00e4den mit den St\u00e4ben. Dagegen bewegten sich bald die d\u00fcnnen Seidenf\u00e4den, bald die Wollf\u00e4den leichter, was wohl darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, dafs die Wollf\u00e4den zwar dicker, aber von lockerem Gef\u00fcge","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nH. Freiling.\nund darum geringerem Gewicht erschienen. Der leichteren oder schwereren Verschiebbarkeit entsprachen auch gr\u00f6fsere oder geringere Exkursionen. W\u00e4hrend die d\u00fcnnen F\u00e4den in den meisten F\u00e4llen bis zum weifsen Hintergrundschirm, also um 75 cm verschoben werden konnten, erfolgten \u2014 wenn sie \u00fcberhaupt stattfanden \u2014 die Verlagerungen der dickeren F\u00e4den, und vor allem der St\u00e4be, bei manchen Beobachtern nur um wenige Zentimeter, wie mit dem Pr\u00fcflot festgestellt wurde.\nVon einem unserer erwachsenen Beobachter, Herrn K., wurde der Vorgang bei der Verlagerung der massiven Eisenst\u00e4be dahin geschildert, dafs sich der Stab zun\u00e4chst geradezu \u201estr\u00e4ube , seinen Standort zu verlassen. Erst bei l\u00e4ngerem Betrachten und anhaltendem Bem\u00fchen, ihn r\u00fcckw\u00e4rts zu schieben, machten sich \u00c4nderungen an ihm bemerkbar, indem er zun\u00e4chst nicht mehr -als runder Stab, sondern nach der Tiefe zu gedehnt erschien. Alsdann l\u00f6ste er sich ruckartig vom Standorte los, nahm die urspr\u00fcngliche Gestalt wieder an und bewegte sich nun auffallend langsam nach hinten.\nDie geschilderten Erfahrungseinfl\u00fcsse machten sich bei allen Beobachtern bis auf einen (Erwin M.), auf den wir noch zur\u00fcckkommen, mehr oder weniger stark geltend. Der Einflufs von Erfahrungen zeigte sich in verst\u00e4rktem Grade, wenn die beiden F\u00e4den nicht wie bei den bisherigen Versuchen isoliert nebeneinander dargeboten wurden, sondern auf irgendeine Weise mehr oder weniger fest miteinander verbunden waren. Zu diesem Zwecke verkn\u00fcpften wir beide F\u00e4den (benutzt wurden bei diesen Versuchen nur die leicht verschiebbaren, d\u00fcnnen Seidenf\u00e4den) zun\u00e4chst durch einen dritten d\u00fcnnen Querfaden, dann durch einen mittelstarken Eisendraht und zuletzt durch eine starke eiserne Klammer. Wurde nun in der \u00fcblichen Weise die Verlagerung eines der beiden F\u00e4den gefordert, so zeigte sich folgendes : Bei einer ersten Gruppe von Beobachtern (Vpn. 5, 9, 15) war die Verlagerung auch jetzt noch m\u00f6glich^ aber der verschobene Faden zeigte, wie bei Anwendung verschieden dicker F\u00e4den, verschieden weite Exkursionen, indem sich das Verbindungsst\u00fcck je nach seinem Festigkeitsgrade verschieden stark dehnte. Die Verl\u00e4ngerung war am gr\u00f6fsten beim d\u00fcnnen Seidenfaden, der sich leicht \u201ewie ein Gummiband\u201c in die L\u00e4nge dehnte. Sie war erheblich geringer beim Eisendraht und trat bei der eisernen Klammer in","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendliehen usw.\n81\nden meisten F\u00e4llen \u00fcberhaupt nicht ein, so dafs alsdann die Verlagerung ganz unterblieb.\nBei einer zweiten Gruppe von Beobachtern (Vpn. 2, 6) kam keine Verlagerung zustande, die eine Verl\u00e4ngerung der Querverbindung n\u00f6tig gemacht h\u00e4tte. Die Verlagerung erfolgte vielmehr jetzt so, dafs dabei der Abstand der beiden F\u00e4den unge\u00e4ndert blieb, indem z. B. bei jener Instruktion, die Tiefenverlagerung bewirkte, der verlagerte Faden sich um den festbleibenden drehte. Dafs hier nur solche Verlagerungen vorkamen , welche bei wirklich miteinander verbundenen F\u00e4den m\u00f6glich sind, zeigt mit besonderer Deutlichkeit den Einflufs von Erfahrungen.\nBei einer dritten Gruppe von Beobachtern (Vpn. 4, 7, 13) wurde durch die Verkn\u00fcpfung jegliche Bewegung gehemmt, die 4 sonst bei getrennter Darbietung sich verh\u00e4ltnism\u00e4fsig leicht vollzog. Nur in einem einzigen Falle (Erwin M.) erfolgte die Verlagerung mit und ohne Verkn\u00fcpfung gleich leicht; der Einflufs von Erfahrungen machte sich also hier nicht geltend.\n\u2022 \u2022\n2. Die \u00dcbertragung einzelnerTeilinhalte von einem\nWahrnehmungsgegenstand auf den anderen.\nHatten die bisherigen Versuche ergeben, dafs bei unseren jugendlichen Eidetikern Aufmerksamkeitswanderungen die Lokalisation objektiver Gegenst\u00e4nde in hohem Mafse beeinflussen k\u00f6nnen, so konnten wir an einer Reihe weiterer Versuche nach weisen, dafs auch einzelne Eigenschaften der Wahrnehmungsgegenst\u00e4nde, z. B. Farben und Bewegungen, unter experimentell geregelten Bedingungen \u00e4hnliche Verlagerungserscheinungen zeigten, wie wir sie oben f\u00fcr den Ort der Wahrnehmungsgegenst\u00e4nde selbst kennen gelernt haben.\nSchon in einer fr\u00fcheren Arbeit des Institutes 1 konnte gezeigt werden, dafs gewisse Eigenschaften (Farbe, Bewegung und Gestalt) wirklicher im Gesichtsfeld dargebotener F\u00e4den unter geeigneten Versuchsbedingungen auf Bildf\u00e4den \u00fcbertragen werden konnten, die an einem anderen Ort des Gesichtsfeldes lokalisiert\nwaren. Bei uns handelte es sich nun um den Nachweis, dafs\n\u2022 \u2022\ndiese \u00dcbertragung nicht nur von einem Objekt auf ein A B,\n1 P. Busse, Zeitschr. f. Psychol. 84.\nZeitschrift f. Sinnesphysiol. 55.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nH. Freiling.\nsondern auch von Objekt zu Objekt m\u00f6glich ist. Die Versuche erfolgten an der eingangs geschilderten Versuchsanordnung. Die Vp. sitzt in 50 cm Entfernung vor dem Ausschnitt des Vorsatzschirmes. 50 cm hinter dem Ausschnitt wird ein roter Wollfaden straff aufgeh\u00e4ngt, und die Vp. erh\u00e4lt die Instruktion, diesen Faden fest anzusehen. Dann wird von der Seite her durch den Versuchsleiter ein blauer Wollfaden aus gr\u00f6fserer Entfernung langsam auf den dah\u00e4ngenden roten Faden zubewegt. Die Vp. hat anzugeben, ob bei der Ann\u00e4herung beider F\u00e4den ihre urspr\u00fcnglichen Farben erhalten bleiben, oder ob etwa \u00c4nderungen der Farben wahrzunehmen sind. Es ergab sich, dafs bei den Vpn. mit besonders starker eidetischer Anlage (Vpn. 9, 10, 11, 12, 15, 16) \u00dcbertragungen der Farben durchweg stattfanden. Der eine der beiden F\u00e4den behielt seine Farbe unver\u00e4ndert bei, der andere verblafste zun\u00e4chst bei abnehmendem Abstand und nahm schliefslich dieselbe Farbe an wie der erstere. Es waren dann f\u00fcr die Vp. nicht mehr ein blauer und ein roter Wollfaden nebeneinander zu sehen, sondern etwa zwei blaue. Unsere Versuche wurden in mannigfachstem Wechsel mit den verschiedensten Farben ausgef\u00fchrt.\nIn den meisten F\u00e4llen war in den geschilderten Versuchen der bewegte Faden im \u00dcbergewicht, d. h. seine Farbe \u00fcbertrug sich auf den ruhenden. Dies erkl\u00e4rt sich wohl; daraus, dafs trotz der gegebenen Instruktion zur Beachtung des ruhenden Fadens die unwillk\u00fcrliche Aufmerksamkeit sich doch dem bewegten Faden zuwendet und ihn dadurch vor dem anderen auszeichnet. Offenbar findet hier eine L\u00f6sung des gewohnheitsm\u00e4fsigen Zusammenhanges von Blick- und Aufmerksamkeitsrichtung statt, hervorgerufen durch die Eindringlichkeit des bewegten Objektes.\nDafs \u00fcberhaupt die \u00dcbertragung der Farben auf bestimmten Verhaltungsweisen der Aufmerksamkeit beruht, zeigte sich vor allem darin, dafs die \u00dcbertragung im allgemeinen ausblieb, wenn zwei F\u00e4den ruhend nebeneinander dargeboten wurden in einem Abstand, bei dem sonst die \u00dcbertragung leicht auf-tritt. Hier war offenbar die Verteilung der Aufmerksamkeit auf beide F\u00e4den eine gleichm\u00e4fsigere und daher die kollektive Auffassung am n\u00e4chstliegenden. Nur Heinrich L., der zu den ausgepr\u00e4gtesten der hierher geh\u00f6rigen F\u00e4lle geh\u00f6rt, sieht die \u00dcbertragung auch bei ruhenden F\u00e4den (N\u00e4heres unten).","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n83\nW\u00e4hrend also bei den meisten Beobachtern in den oben\ngeschilderten Versuchen der bewegte Faden stets bestimmend \u2022 \u2022\nf\u00fcr die \u00dcbertragung der Farbe war, war es bei Paul B. in den meisten F\u00e4llen gerade der ruhende und gem\u00e4fs der Instruktion beachtete Faden. Hier blieb wohl die Aufmerksamkeit vorwiegend dem ruhenden Faden zugewandt und wurde nicht durch den bewegten abgelenkt. Nur in vereinzelten Versuchen folgte er dem Verhalten der Mehrheit.\nW\u00e4hrend bei allen Beobachtern die \u00dcbertragung der Farbe eine einseitige war, indem jeweils nur einer der beiden F\u00e4den seine Farbe auf den anderen \u00fcbertrug, erfolgte bei einer Vp. (Heinr. L.) die \u00dcbertragung wechselseitig, so dafs die beiden F\u00e4den ihre Farbe tauschten. Wurde z. B. rechts ein roter Faden aufgeh\u00e4ngt und links von der Seite her ein blauer Faden gen\u00e4hert, so erschien nach einiger Zeit der rechte blau und der linke rot. Es handelte sich hier nicht um eine der bekannten Baumverlagerungen. Vielmehr blieben die F\u00e4den an ihrem Orte und nur die Farben wechselten. Dabei konnte der Beobachter die \u00dcbertragung der Farben in allen Phasen beobachten. Der Wechsel erfolgte nicht pl\u00f6tzlich, sondern ganz allm\u00e4hlich. In einem bestimmten seitlichen Abstande voneinander begann bei beiden F\u00e4den die urspr\u00fcngliche F\u00e4rbung zun\u00e4chst zu verblassen, w\u00e4hrend jeder von ihnen in ganz schwacher T\u00f6nung die Farbe des anderen annahm, die dann bei zunehmender Ann\u00e4herung immer deutlicher wurde, bis schliefslich bei hinreichend kleinem Abstande der urspr\u00fcngliche Farbton eintrat, aber auf den anderen Faden \u00fcbertragen. Wurden beide F\u00e4den wieder voneinander entfernt, so wiederholte sich der Vorgang in umgekehrtem Sinne, beide F\u00e4den wurden schliefslich wieder in ihren wirklichen Farben gesehen.\nTabelle II.\nSeitenabstand der wirklichen F\u00e4den,\n\twenn die \u00dcbertragung\twenn beide\tF\u00e4den gleiche\n\tder Farbe beginnt\tF\u00e4rbung zeigen\t\nPani B.\t14,0 cm\t9,0\tcm\nErwin M\t12,5 \u201e\toc N* o\t>>\nHeinrich L.\t8,0 \u201e\t5,0\tV\nErnst H.\t9,5 \u201e\t6,0\t\nOtto H.\t4,0 \u201e\t1,5\t\u00bb,\nErich Sch.\t5,0 \u201e\t2,0\t\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nH. Fre\u00efling.\nBei den in Tabelle II zusammengestellten Protokollen sind die Zahlenwerte Durchschnittswerte aus mehreren Versuchsreihen. Besonderer Erw\u00e4hnung bed\u00fcrfen noch die Beobachtungen von Ernst H., bei dem die Wahrnehmungen einen von der Mehrheit abweichenden Charakter zeigen. W\u00e4hrend von allen anderen Vpn. bei den einzelnen Versuchen schliefslich die wiiklich im Gesichtsfeld vorhandenen Farben, wenn auch mit \u00dcbertragung, gesehen wurden, traten bei Ernst H\u201e der zu unseren ausgepr\u00e4gtesten Eidetikern geh\u00f6rt, sogar neue Farben auf. Wurde z b einem dah\u00e4ngenden schwarzen Seidenfaden ein roter Woll-faden gen\u00e4hert, so wurde letzterer bei hinreichender Anu\u00e4herung dunkelrot, ersterer dagegen intensiv blau. Oder es wurde, wenn wir einem roten Wollfaden einen blauen Wollf aden n\u00e4herten, der rote Faden gelb gesehen, der blaue schwarzblau. Nur in ganz seltenen F\u00e4llen fand bei dieser Vp. auch einmal eine einfache \u00dcbertragung statt. Die Annahme des Hinzutretens der Komplement\u00e4rf\u00e4rbung liegt in diesem Falle nahe und wird auch nicht durch den Umstand verhindert, dafs der rote Faden hier dann Blau \u201einduzieren w\u00fcrde statt Gr\u00fcn. Tats\u00e4chlich pflegen auch die negativen Anschauungsbilder von der Komplement\u00e4rfarbe in der Richtung auf Blau hin verschoben zu sein (F. Bboeb in einer noch unver-\n\u00f6ffentlichten Arbeit).\t.\nEine \u00e4hnliche \u00dcbertragung fand statt, wenn einer der beiden\nwirklichen F\u00e4den in zitternde Bewegungen versetzt wurde. Alsdann wurde auch der in Ruhe befindliche Faden in zitternder Bewegung gesehen, die bei gr\u00f6fserem seitlichem Abstande zun\u00e4chst nur ganz schwach, fast unmerklich war, mit Verringerung ues Seitenabstandes aber immer gr\u00f6fser wurde, bis schliefslich beide F\u00e4den vollkommen gleiche Bewegungen auszuf\u00fchren schienen Die Bewegungs\u00fcbertragung fand bei ungef\u00e4hr dem gleichen Seitenabstand statt wie die Farben\u00fcbertragung. Der Seitenabstand bei dem hier schon \u00dcbertragung stattfindet, ist grofser als in \u00e4hnlichen Versuchen bei P. Busse. Das mag darin seinen Grund haben, dafs wir zu den Versuchen mit seitlicher Verlagerung Beobachter ben\u00fctzten, die sich durch besonders starke eidetische Anlage auszeichneten. Nur in solchen F\u00e4llen tritt im allgemeinen eine seitliche Verlagerung ein, w\u00e4hrend aie Verlagerung eines wirklichen Fadens in der T i e f e n dimension auch in den mittelstarken und schw\u00e4cheren F\u00e4llen etwas ganz Ge-\nwohnliches ist.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n85\nBei \u00dcbertragung in der Tiefendimension durfte der Abstand der F\u00e4den noch viel gr\u00f6fser sein. Dies erinnert daran, dais auch Raum Verlagerungen hier leichter stattfinden k\u00f6nnen \\ was beides wohl mit der gr\u00f6fseren Labilit\u00e4t und geringeren Festigkeit des Tiefensehens zusammenh\u00e4ngt.\n1 Vgl. die von Jaensch bervorgebobene gr\u00f6lsere Regeim\u00e4lsigkeit der \u201eHoropterabweicbung\u201c gegen\u00fcber der \u201eRaumverlagerung\u201c in den beiden ersten Dimensionen.","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\n(Aus dem psychologischen Institut der Universit\u00e4t Marburg.)\n\u2022 \u2022\nUber die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen in der eidetischen Entwicklungsphase.\nVon\nH. Freiling.\n2. Teil.\n\u00dcber die scheinbare Gr\u00f6fse.\n1. Die Bedeutung des Sinnenged\u00e4chtnisses\nf\u00fcr die Sehgr\u00f6fse.\nDie durch die erw\u00e4hnte Untersuchung von E. R. Jaensch und F. Reich nahegelegte Vermutung, dafs den wirklichen Wahrnehmungen der Jugendlichen ein \u00e4hnlicher Plastizit\u00e4tsgrad zukomme wie ihren A B, gewinnt einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit durch die Arbeit von P. Krellenberg.1 Dort wird gezeigt, dafs sich die Wahrnehmungen und Vorstellungen aus einer urspr\u00fcnglichen Einheit, dem A B, herausdifferenzieren. In\nden eidetischen Untersuchungen werden verschiedene Ged\u00e4chtnis-\n\u2022 \u2022\nstufen unterschieden, die durch kontinuierliche \u00dcberg\u00e4nge miteinander verkn\u00fcpft sind. Die unterste Stufe der sog. Ged\u00e4chtnisbilder (G B) stellt das physiologische Nachbild (N B) dar. Es wird erzeugt durch strenge Fixation eines Punktes der Vorlage. Die h\u00f6chste Stufe in der Reihe der GB nehmen die Vorstellungsbilder (V B) ein. Sie werden durch blofse Erinnerung (\u201eZur\u00fcckdenken\u201c) an die nur ganz kurz dargebotene Vorlage erzeugt.\n1 P. Krellenberg, \u00dcber die Herausdifferenzierung der Wahrnehmunge und Vorstellungswelt aus der origin\u00e4ren eidetischen Einheit. Zeitschr, f. Psychol. 88.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n87\nDie A B dagegen, die in ihrem ganzen Verhalten eine Zwischenstellung einnehmen zwischen den N B und den reinen\nV\tB, entstehen durch ungezwungene und im allgemeinen etwas l\u00e4ngere Betrachtung der Vorlage. Aber nicht nur hinsichtlich ihrer Erzeugung unterscheiden sich die verschiedenen GB voneinander, sondern auch durch die Gesetzm\u00e4fsigkeit ihres Verhaltens, z. B. ihrer Gr\u00f6fse. Die NB vergr\u00f6fsern sich bei Projektion auf einen Schirm, der nacheinander in verschiedene Entfernungen gebracht wird, nach dem sog. EMMERTschen Gesetz, d. h. sie wachsen in ihren linearen Dimensionen genau proportional mit der Entfernung. Die A B vergr\u00f6fsern sich im allgemeinen ebenfalls mit wachsender Entfernung der Projektionsfl\u00e4che vom Beobachter, jedoch nicht so stark wie die N B. Bei den reinen\nV\tB dagegen bleibt die Gr\u00f6fse innerhalb gewisser Grenzen konstant oder nimmt in geringem Mafse ab. Nun konnte Krellen-berg zeigen, dafs Eidetiker, die noch dem sog. \u201eEinheitstypus\u201c angeh\u00f6ren, diesen Unterschied vermissen lassen. Das N B, welches wir doch als eine Empfindung anzusprechen pflegen, gleicht hier in seinem ganzen Verhalten den AB. NegativeNB sind in diesen F\u00e4llen \u00fcberhaupt nicht zu erzeugen. Sie treten erst auf, wenn dieses Entwicklungsstadium mit zunehmendem Alter \u00fcberschritten ist, oder wenn die eidetische Anlage bei geeigneten F\u00e4llen vom T-Typus durch Kalkzufuhr in kurzer Zeit zur\u00fcck-gedr\u00e4ngt werden kann. Auch die V B unterscheiden sich in diesen F\u00e4llen nicht von den AB; sie werden h\u00e4ufig ganz von selbst, und ohne dafs die Jugendlichen es hindern k\u00f6nnten, zu Gesichtserscheinungen, d. h. sie werden als AB in den Aufsenraum projiziert und folgen in ihrem quantitativen Verhalten den f\u00fcr die A B charakteristischen Gesetzm\u00e4fsigkeiten, A B wiederum k\u00f6nnen hier gelegentlich mit wirklichen Wahrnehmungen verwechselt werden.\nAus solchen und \u00e4hnlichen Befunden ergibt sich mit grofser Wahrscheinlichkeit, dafs sich die Wahrnehmungen und Vorstellungen aus einer urspr\u00fcnglichen Einheit, dem A B, erst herausdifferenzieren. Dieser Prozefs findet sicher in vielen F\u00e4llen nachweisbar erst im Laufe der individuellen Entwicklung statt.\nDamit wird aber auch verst\u00e4ndlich, dafs die Wahrnehmungen einen mehr oder weniger hohen Grad von Verwandtschaft mit","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nH. Freiling.\nden Vorstellungen zeigen, dafs es, wie jetzt Lindworsky1 in seinem Lehrbuch formuliert, \u201ekeine Eigenschaft der Wahrnehmungen gibt, die nicht auch an den Vorstellungen nachzuweisen w\u00e4re\u201c. In einer anderen Arbeit kommt Lindworsky 2, ebenfalls auf Grund theoretischer Erw\u00e4gungen, zu dem mit dem Resultat der hiesigen Untersuchungen \u00fcbereinstimmenden Ergebnis: \u201eDas Kind hat in einem gewissen Entwucklungsstadium weder Wahrnehmungen noch Vorstellungen.\u201c Auch der Psychiater Bleuler3 spricht in seiner \u201eNaturgeschichte der Seele\u201c von einer \u201ekontinuierlichen Stufenleiter\u201c zwischen Vorstellungen und Wahrnehmungen. \u201eSind sowohl Wahrnehmungen wie Vorstellungen komplizierte gleichartige Bearbeitungen des n\u00e4mlichen Sinnesmaterials, und sind die Vorstellungen eigentlich nichts als verl\u00e4ngerte und meist, aber nicht immer, etwas st\u00e4rker verarbeitete Wahrnehmungen, so begreifen wir ohne weiteres, dafs die beiden Psychism en arten nicht so scharf getrennt sind, wie man sich gew\u00f6hnlich vorstellt, ja dafs sie ineinander \u00fcbergehen und miteinander verwechselt werden k\u00f6nnen.\u201c Diese Verwandtschaft zwischen Wahrnehmung und Vorstellung macht uns auch die relative Rationalit\u00e4t der Wahrnehmungswelt verst\u00e4ndlich, d. h. die Tatsache, dafs die Relationen der Wahrnehmungen denen der Vorstellungen schon in hohem Mafse entsprechen.4 Helmholtz suchte diese Rationalit\u00e4t der Wahrnehmungswelt bekanntlich durch die Annahme zu erkl\u00e4ren, dafs die \u201ereinen\u201c Empfindungen, wie sie durch die Netzhautbilder gegeben sind, durch \u201eunbewufste Schl\u00fcsse\u201c zu Wahrnehmungen verarbeitet w\u00fcrden. Aus den Untersuchungen Krellenbergs ergibt sich aber, dafs der urspr\u00fcngliche Reizerfolg gar keine reine Empfindung im Sinne von Helmholtz sein kann, dafs vielmehr eine solche ein-\n1\tLindworsky, Experimentelle Psychologie. Kempten 1921. S. 105. \u2014 Auf Grund unserer empirischen Untersuchungen w\u00fcrden wir allerdings dem obigen Satze lieber eine etwas eingeschr\u00e4nktere Formulierung geben, die nicht die Annahme einschl\u00f6sse, dafs wirklich auch alle Eigenschaften der Wahrnehmungen bei den VB wiederkehren m\u00fcfsten.\n2\tLindworsky, Wahrnehmung und Vorstellung. Zeitschr. f. Psychol. 80. S. 211.\n3\tBleuler, Naturgeschichte der Seele. Berlin 1921. S. 129 u. 144.\n4\tAuch Prof. J. v. Kries \u00e4ufserte in einem Privatbrief an Prof. Jaensch, dafs er bei den Sinnen von dem, was man eine \u201epsychische Verarbeitung\u201c nennen k\u00f6nnte, je mehr er sich damit besch\u00e4ftigte, einen um so st\u00e4rkeren Eindruck bekommen h\u00e4tte.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usiv.\n89\ndeutige Zuordnung von Empfindung und Reiz, wie sie in der Annahme einer \u201ereinen Empfindung\u201c vorausgesetzt wird, jeden-falls nicht am Anfang auftritt1, sondern erst nach Verlauf einer l\u00e4ngeren Entwicklung, und dann auch nur ann\u00e4herungsweise.\nZu der Rationalit\u00e4t der Wahrnehmungswelt geh\u00f6rt auch die Erscheinung der angen\u00e4herten Gr\u00f6fsenkonstanz der Sehdinge, d. h. die Tatsache, dafs die Sehgr\u00f6fse in gewissem Umfange die Gr\u00f6fsenVerh\u00e4ltnisse der wirklichen Objekte richtig wiedergibt.\nDie Sehgr\u00f6fse ist durchaus nicht wesentlich bestimmt durch\n*\ndie Gr\u00f6fse des Netzhautbildes; denn entfernt sich ein Gegenstand vom Auge, so nimmt die Gr\u00f6fse des Bildes im Auge proportional mit der Entfernung ab. Die Sehgr\u00f6fse des Gegenstandes selbst bleibt aber innerhalb gewisser Grenzen konstant. Zur Erkl\u00e4rung dieses Tatsachenkreises der Sehgr\u00f6fse ist hier von jeher, und zwar einstimmiger als in anderen Gebieten der Wahrnehmungslehre, der Einflufs von Erfahrungen betont worden.\nAber das hier mitwirkende Ged\u00e4chtnis kann nicht das Ged\u00e4chtnis im gew\u00f6hnlichen Sinne sein, d. h. das Ged\u00e4chtnis, das unsere Vorstellungen und Wissensinhalte umfafst; denn betrachte ich z. B. zwei gleich gr\u00f6fse Objekte aus verschiedener Entfernung, so werde ich sie doch darum, weil ich von ihrer gleichen Gr\u00f6fse weifs, niemals gleich grofs sehen k\u00f6nnen. Die Inhalte des Ged\u00e4chtnisses, welches hier allein in Frage kommen kann, m\u00fcssen uns wie \u00e4ufsere Wahrnehmungsdaten erscheinen und unmittelbar anschaulich sein. Die Io halte des Sinnenged\u00e4chtnisses besitzen nun diese Eigent\u00fcmlichkeit, und da jenes nach fr\u00fcheren Untersuchungen des Instituts in einer gewissen Entwicklungsphase in mehr oder weniger starker Auspr\u00e4gung allgemein verbreitet ist, so liegt die Annahme nahe, dafs in ihm das von Helmholtz postulierte, beim Aufbau der Wahrnehmungen beteiligte Ged\u00e4chtnis gefunden ist. In der Tat konnte gezeigt werden, dafs in der eidetischen Jugendphase die scheinbare Gr\u00f6fse auch wirklicher Gegenst\u00e4nde von diesem Sinnenged\u00e4chtnis grundwesentlich abh\u00e4ngt.\nSchon P. Busse hat in ihrer im Marburger psychologischen Institut ausgef\u00fchrten Untersuchung nachgewiesen, dafs die Wahr-\n1 Von theoretischen Gesichtspunkten aus gelangt zu dieser Anschauung auch Bleuler. \u201eDas psychische Gebilde, mit dem die Erkenntnis der Welt beginnt, ist also die Wahrnehmung, nicht die Empfindung.\u201c Natur\u00bb geschichte der Seele und ihres Bewufstwerdens. Berlin 1921. S. 138 ff.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nH. Freiling.\nnehmungen jugendlicher Eidetiker durch A B beeinflufst, ja in manchen F\u00e4llen durch sie nahezu vollkommen ge\u00e4ndert werden k\u00f6nnen. Es wird dort gezeigt, dafs zwischen Wahrnehmungsgegenst\u00e4nden und AB unter gewissen Bedingungen Verschmelzungen stattfinden k\u00f6nnen, und dafs das entstehende Verschmelzungsprodukt einen gegen\u00fcber dem urspr\u00fcnglichen Gegenst\u00e4nde in mancher Hinsicht abge\u00e4nderten Charakter aufweist. So erf\u00e4hrt z. B. der Abstand zweier im Gesichtsfeld dargebotener realer F\u00e4den durch Verschmelzung mit dem AB eines gr\u00f6fseren Fadenabstandes eine scheinbare \u00c4nderung. Der gegenseitige Abstand der beiden wirklichen F\u00e4den, der vor der Beeinflussung durch das AB etwa so gesehen wird, wie er den Nicht-Eidetikern erscheint, wird nach der Verschmelzung von einer gewissen Kategorie von Eidetikern wesentlich gr\u00f6fser gesehen. Die Eigenart dieser Vpn. wird unten noch n\u00e4her charakterisiert werden. Dafs auch die Gestalt eines Wahrnehmungsgegenstandes durch Verschmelzung mit einem AB ge\u00e4ndert werden kann, zeigt sich schon in einer bemerkenswerten Einzelbeobachtung von P. Busse. (Das A B eines Dackels ergibt, mit der Attrappe eines Esels verschmolzen, einen Jagdhund.)\n2. Grundversuch \u00fcber die Beziehung von Sinnenged\u00e4chtnis und Sehgr\u00f6fse.\nAuf einem mit grauem Papier bespannten Projektionsschirm (60X^5 cm), der auf einem l\u00e4ngeren Tische leicht verschiebbar ist, wird in 50 cm Entfernung vom Auge des Beobachters ein rotes Quadrat (5 cm2) dargeboten. Anfangs gingen wir folgender-mafsen vor : Der Beobachter, dessen Kopf durch eine Kinnst\u00fctze genau fixiert ist, soll von dem Quadrat ein A B machen und dieses dann seitlich neben das wirkliche Quadrat projizieren. Er betrachtet das Quadrat etwa 15 Sekunden lang ungezwungen und wirft sodann den Blick auf eine Stelle neben dem wirklichen Quadrat. Diese seitliche Lokalisation des AB hat nur den Zweck, das wirkliche Vorhandensein des A B festzustellen. Bei unseren sp\u00e4teren Versuchen wurde diese anf\u00e4ngliche Trennung von Objekt und AB nicht mehr vorgenommen, sondern der Beobachter nur angewiesen, den dargebotenen Gegenstand so zu betrachten, als ob er ein AB von ihm machen wollte. Dann konnte der Beobachter schon nach wenigen Sekunden das Vorhandensein eines AB an dem","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n91\nver\u00e4nderten Aussehen des wirklichen Quadrates erkennen, da es dann h\u00e4ufig Glanz und erh\u00f6hte Leuchtkraft der Farbe zeigte. In manchen F\u00e4llen war das Auftreten des A B an der schmalen Umrandung des wirklichen Quadrates ersichtlich, die davon herr\u00fchrte, dafs das etwas gr\u00f6fsere AB \u00fcber das wirkliche Quadrat hinausragte. Diese Art der Betrachtung eines Wahrnehmungsgegenstandes, die wir im Beginn unserer Untersuchung meist an wandten, wollen wir daher von jetzt ab der K\u00fcrze halber als \u201evertiefte Betrachtung\u201c bezeichnen. In manchen F\u00e4llen war auch sie nicht einmal n\u00f6tig. Die sp\u00e4ter zu schildernden Erscheinungen traten bei vielen Vpn. schon bei ganz ungezwungenem, durch keine besondere Instruktion gebundenem Verhalten auf und zwar sogleich bei der ersten Anstellung der Versuche; das zeigte sich bei hiesigen ebenso wie bei Magdeburger und Ilsenburger Versuchen.\nBei unseren ersten Versuchen, in denen wir das Bild vom Gegenstand zun\u00e4chst trennten, erzielten wir sogleich darauf eine Verschmelzung von AB und wirklichem Quadrat. Das geschieht, indem der Beobachter nicht mehr am wirklichen Quadrat vorbeisieht, sondern es auf Instruktion hin direkt anblickt.\nHierauf wurde der Schirm in 100 cm, dann in 150 cm und schliefslich in 200 cm Entfernung vom Beobachter gebracht, wobei letzterer dem roten Quadrat dauernd seine Aufmerksamkeit zuzuwenden hatte, Um festzustellen, in welcher Gr\u00f6fse in den verschiedenen Entfernungen das wirkliche Quadrat dem Beobachter erschien, wurde ein Zirkel bei enger \u00d6ffnung an das wirkliche Quadrat, in dessen halber H\u00f6he, angehalten und nach der Weisung des Beobachters so eingestellt, dafs seine Spitzen f\u00fcr den Beobachter an den R\u00e4ndern des Quadrates genau anzuliegen schienen. Bei einer Reihe von Eidetikern ergibt sich dabei, dafs die Zirkelspitzen, um f\u00fcr den Beobachter die R\u00e4nder scheinbar zu ber\u00fchren, in Wirklichkeit erheblich \u00fcber diese hinausragen, und zwar um so mehr, je weiter das Quadrat vom Auge des Beobachters entfernt wird, d. h. also, das Quadrat wird gr\u00f6fser gesehen, als es in Wirklichkeit ist (vgl. Fig. 1).\nObgleich der Befund bei Wiederholung der Versuche immer \u00fcbereinstimmt, war diese Erscheinung so \u00fcberraschend, dafs wir ihr mit gr\u00f6fster Skepsis gegen\u00fcbertraten, die erst schwand, als","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nH. Freiling.\nwir eine gr\u00f6fsere Anzahl von Eidetikern, darunter zwei Studierende der hiesigen Universit\u00e4t, von dem gleichen Typus fanden. Wir suchten uns nun dar\u00fcber zu vergewissern, ob hier nicht irgendwelche t\u00e4uschende Faktoren mitwirkten. Zun\u00e4chst mag bemerkt sein, dafs alle unsere Beobachter \u00fcber normale Sehsch\u00e4rfe verf\u00fcgten und auch sonst keinerlei Augenanomalien zeigten. Dafs nicht Ungenauigkeit der Messung die Ursache der beobachteten Erscheinungen sein konnte, ergaben die ungemein grofsen Abweichungen zwischen der gemessenen und der wirklichen Gr\u00f6fse. Wir konnten jene Deutung auch durch folgenden Versuch aus-schliefsen : Gaben wir dem Zirkel bei den entfernten Stellungen des Projektionsschirmes eine solche Spannweite, dafs seine Spitzen in Wirklichkeit das Quadrat genau ber\u00fchrten, so erkl\u00e4rten die Beobachter auf die Frage, was sie s\u00e4hen, dafs jetzt die Spitzen des Zirkels innerhalb des Quadrates l\u00e4gen, dafs dieses also \u00fcber die Zirkelspitzen hinausrage. Weiter war zu erw\u00e4gen, ob nicht vielleicht das wirkliche Quadrat durch das von ihm erzeugte A B v\u00f6llig verdeckt w\u00fcrde, so dafs die gemessene Gr\u00f6fse nicht die des wirklichen Quadrates, sondern die des AB w\u00e4re, dessen Wachsen bei zunehmender Entfernung vom Beobachter ja eine bekannte Erscheinung ist. Diese Deutung war indes bei den Vpn. mit komplement\u00e4r gef\u00e4rbtem AB schon von vornherein ausgeschlossen. Hier konnten AB und wirkliches Quadrat mit Sicherheit voneinander unterschieden werden. Die Beobachter sahen in diesen F\u00e4llen das wirkliche Quadrat, das auch ihnen vergr\u00f6fsert erschien, von dem noch etwas gr\u00f6fseren und komplement\u00e4r gef\u00e4rbten AB umrandet. Aber auch die Beobachter mit urbildm\u00e4fsig gef\u00e4rbtem AB konnten AB und wirkliches Quadrat deutlich voneinander unterscheiden. Das wirkliche, nach der Verschmelzung in den ferneren Stellungen gr\u00f6fser erscheinende Quadrat, hob sich auch jetzt, entsprechend dem objektiven Tatbestand, k\u00f6rperlich aus der Ebene des Projektionsschirmes heraus, w\u00e4hrend das AB im allgemeinen wie aufgetuscht dem Schirme auf lag. Bei einigen Beobachtern mit uibiidm\u00e4fsig ge f\u00e4rbten AB konnte noch durch folgenden Versuch gezeigt werden, dafs es auch in diesen F\u00e4llen der wirkliche Gegenstand ist, der die Gr\u00f6fsen\u00e4nderung erf\u00e4hrt. In geringem seitlichem Abstand vom wirklichen Quadrat, an dem die scheinbare Gr\u00f6\u00dfen\u00e4nderung zu beobachten war, wurde rechts und links davon noch je ein gleiches Quadrat am Projektionsschirm aufgeh\u00e4ngt. Der Beob-","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usiv.\n93\nachter erh\u00e4lt die Instruktion, beim Zur\u00fcckschieben des Projektionsschirmes die Aufmerksamkeit vor allem auf das mittlere Quadrat zu richten. Wie bei den vorangegangenen Versuchen, konnte auch jetzt die Vp. das scheinbare Gr\u00f6fserwerden des mittleren Quadrates beobachten. Wir verschoben den Schirm nach den Anweisungen des Beobachters zun\u00e4chst soweit nach hinten, bis die R\u00e4nder des sich vergr\u00f6fsernden mittleren Quadrates diejenigen der seitlich davon aufgeh\u00e4ngten Quadrate zu ber\u00fchren schienen. Wurde nun der Projektionsschirm noch weiter in die Ferne ger\u00fcckt, so wurden die beiden seitlich aufgeh\u00e4ngten Quadrate, deren Gr\u00f6fse sich bei den meisten Beobachtern nicht \u00e4nderte, durch das in der Ferne immer gr\u00f6fser werdende mittlere Quadrat zur Seite geschoben. Wiederholten wir den Versuch, nur mit der Ab\u00e4nderung, dafs das wirkliche Quadrat abgenommen wurde und die Vp. jetzt statt des mittleren wirklichen Quadrates nur ein von ihm erzeugtes AB sah, so ergab sich folgendes : Beim Verschieben des Projektionsschirmes in die Ferne vergr\u00f6fserte sich das A B in der bekannten Weise und erschien dem Beobachter bald so grofs, dafs seine R\u00e4nder die Seiten der links und rechts von ihm auf geh\u00e4ngten Quadrate ber\u00fchrten. Wurde nun der Projektionsschirm noch weiter in die Ferne ger\u00fcckt, so schob sich das immer gr\u00f6fser werdende AB \u00fcber die seitlichen wirklichen Quadrate hinweg, so dafs es dieselben dann teilweise und bei noch weiterer Entfernung des Projektionsschirmes schliefs-lich ganz verdeckte. Auf die Frage, warum wohl jetzt nicht, wie bei dem vorangegangenen Versuch, die beiden seitlichen Quadrate zur Seite geschoben w\u00fcrden, wurde erwidert: \u201eDas Bild hat nicht so viel Kraft'b Es sei noch bemerkt, dafs dieser letztere Versuch nicht bei allen Vpn. in gleicher Weise verlief. Bei Heinrich L. z. B. machte es keinen Unterschied, ob das mittlere Quadrat ein wirkliches war oder nur ein davon erzeugtes AB. Hier wurden die beiden seitlichen Quadrate von dem sich vergr\u00f6fsernden AB in gleicher Weise zur Seite geschoben wie von dem wirklichen Quadrat. Bei Maria L. und Paul B. erreichten die R\u00e4nder des gr\u00f6fser werdenden mittleren Quadrates, ganz gleich ob es ein wirkliches Quadrat oder nur ein AB davon war, die beiden seitlichen Quadrate niemals. Vielmehr vergr\u00f6fserten sich in den Fernstellungen des Projektionsschirmes alle drei Quadrade gleichm\u00e4fsig, ebenso auch die Zwischenr\u00e4ume zwischen ihnen, so dafs es also nie zur Ber\u00fchrung","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nH. Freiling.\nkam. Wir werden auf diesen Fall sp\u00e4ter noch einmal zur\u00fcck* kommen.\nDurch alle diese Versuche und Beobachtungen war festgestellt, dafs es in der Tat das wirkliche Quadrat ist, welches mit zunehmender Entfernung zu wachsen scheint, und nicht etwa ein das wirkliche Quadrat verdeckendes A B.\nEs mag hier noch dem Einwand begegnet werden, dafs die in den vorangegangenen Versuchen aufgezeigten Eigent\u00fcmlichkeiten der Sehgr\u00f6fse Jugendlicher vielleicht auf suggestive Einfl\u00fcsse oder \u201esubhypnotische Zust\u00e4nde\u201c zur\u00fcckzuf\u00fchren seien. Demgegen\u00fcber weisen wir zun\u00e4chst auf folgendes hin: Als der oben geschilderte Grundversuch \u00fcber die Sehgr\u00f6fse erstmalig angestellt wurde, war einigen unserer Vpn. die Gr\u00f6fsen\u00e4nderung des wirklichen Quadrates gar nicht zum Bewufstsein gekommen, wohl deshalb, weil der quantitative Betrag der Gr\u00f6fsenzunahme nicht sehr erheblich war. Gleichwohl war er aber doch so grofs, dafs er mit Hilfe des Zirkels deutlich festzustellen war. Andererseits konnte er nicht auf ungenaues Sehen zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, da sich die Sehsch\u00e4rfe der Beobachter als normal ergab, die Vpn. auch sonst keine der gew\u00f6hnlichen Augenanomalien zeigten. Auch \u00fcberstiegen die vorkommenden Entfernungen zun\u00e4chst nicht den Betrag von 150 cm. Nachdem die Vergr\u00f6fserung durch mehrere Versuchsreihen, die immer das gleiche Ergebnis zeitigten, auch bei diesen Vpn. vollkommen sicher gestellt war, dr\u00fcckten wir in einer Fernstellung die Spitzen des Zirkels an den durch den Versuch ermittelten Stellen des Projektionsschirmes fest ein, wobei die Zirkelspitzen also objektiv aufserhalb der Quadratseiten lagen, f\u00fcr den Beobachter jedoch die Quadratseiten genau zu ber\u00fchren schienen. Wurde nun der Schirm mit dem darauf angebrachten Quadrat und dem fest eingesteckten Zirkel in die Ausgangsstellung zur\u00fcckgebracht, so waren die Vpn. jetzt aufs h\u00f6chste \u00fcberrascht, als sie sahen, dals die Zirkelspitzen nun deutlich \u00fcber den Band des wirklichen Quadrates hinausragten. Sie versicherten erneut, dafs vorher die Spitzen des Zirkels die R\u00e4nder des wirklichen Quadrates genau ber\u00fchrt h\u00e4tten. In diesen F\u00e4llen die einwandfrei festgestellte Gr\u00f6fsenzunahme des wirklichen Quadrates als Suggestionsprodukt anzusprechen, ist v\u00f6llig unm\u00f6glich, da die Vergr\u00f6fserung festgestellt wurde, ohne dals sie der Vp. als Vergr\u00f6fserung zum Bewufstsein kam. In anderen F\u00e4llen, wo der quantitative Betrag der Gr\u00f6fsenzu-","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n95\nn\u00e4hme so erheblich war, dafs die Ypn. im Verlaufe des Versuches ganz von selbst aussagten, dafs das Quadrat beim Zur\u00fcckschieben des Schirmes immer gr\u00f6fser werde, konnten auch starke Gegensuggestionen an den Angaben nichts \u00e4ndern. Wir hielten beispielsweise in einer entfernteren Stellung des Projektionsschirmes, wo das Quadrat bereits erheblich gr\u00f6fser gesehen wurde, die Spitzen des Zirkels an den objektiven Rand des Quadrates an und wiesen die Vp. ausdr\u00fccklich darauf hin, dafs dies der wirkliche Rand des Quadrates sei. Trotzdem wurde von der Vp. mit gr\u00f6fster Bestimmtheit daran festgehalten, dafs sie die R\u00e4nder viel weiter aufsen s\u00e4he. Der Vorgang des allm\u00e4hlichen Gr\u00f6fserwerdens und Nach-aufsenr\u00fcckens der Quadratseiten wurde vom Beobachter genau beschrieben. Er erkl\u00e4rte, dafs der Vorgang sich so abspiele, wie wenn ein dehnbarer Stoff auseinandergezogen w\u00fcrde.\nFerner ist darauf hinzuweisen, dafs suggestive Einfl\u00fcsse sich nur dort bemerkbar machen k\u00f6nnen, wo ein mehr oder weniger hoher Grad von Unsicherheit des eigenen Urteils besteht. Zu dieser Urteilsunsicherheit, die die Vorbedingung f\u00fcr das Auftreten von Suggestionswirkungen ist, steht aber die Urteilssicherheit unserer Vpn. in bemerkenswertem Gegensatz. Mit der gr\u00f6fsten Bestimmtheit wurde eine Erweiterung oder Verengerung des Zirkels gefordert, wenn die Spitzen auch nur um ganz geringe Betr\u00e4ge von dem scheinbaren Rande des Quadrates f\u00fcr die Wahrnehmung der Vp. abwichen. Nicht nur die Erkl\u00e4rung durch Suggestion, sondern auch die Annahme eines subhypnotischen Zustandes wird durch alle diese Tatsachen ausgeschlossen. Bef\u00e4nden sich unsere Vpn. in einem subhypnotischen Zustand, so w\u00fcrden sie unter dem Willenseinflufs des Versuchsleiters stehen und diesem nicht mit gr\u00f6fstem Nachdruck widersprechen. Jemandem, der den Versuchen selbst beigewohnt und das vollkommen normale und wache Verhalten der Jugendlichen dabei beobachtet hat, wird der Gedanke an einen der Hypnose nahen Zustand \u00fcberhaupt nicht kommen.\nGanz im Gegenteil sind Jugendliche bei solchen Versuchen meist\n\u2022 \u2022\nlebhafter und aufgeweckter als sonst. \u00dcbrigens lassen auch die Ausdrucksbewegungen erkennen, dafs wir es hier mit jemandem zu tun haben, der mit gr\u00f6fser Aufmerksamkeit einen \u00e4ufseren Gegenstand beobachtet.\nWeiter sei noch darauf verwiesen, dafs die Erkl\u00e4rung, es","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nH. Freiling.\nhandle sich hier um Suggestionsprodukte, auch schon dadurch ihre Widerlegung findet, dafs die Jugendlichen, noch ehe sie zu Versuchszwecken herangezogen wurden, bereits im Alltagsleben h\u00e4ufig selbst die Beobachtung gemacht hatten, dafs Gegenst\u00e4nde oder Personen, die sich entfernten, zuweilen gr\u00f6fser wurden. Wir werden noch an anderer Stelle unserer Untersuchungen aus den zahlreichen Mitteilungen, die uns hier\u00fcber von den Jugendlichen selbst gemacht wurden, einiges wiedergeben. Auch aus diesen Eigenbeobachtungen ist ersichtlich, dafs fremde suggestive Einfl\u00fcsse hier gar nicht in Jrage kommen.\nWir gingen nun daran, die Gr\u00f6fse des wirklichen Quadrates, wie sie vom Beobachter in den Entfernungen von 50, 100, 150 und 200 cm gesehen wurde, genauer zu bestimmen.\nTabelle III.\nEntfernung des\t50 cm\t100 cm\t150 cm\t200 cm\nProjektionsschirms\t\t\t\t9,5\nHerr Spier\t5,5\t6,2\t7,5\t\nErwin M.\t5,0\t6,5\t8,2\t9,7\nHeinrich L.\t6,8\t10,0\t14,5\t17,8\nErnst H.\t6,5\t8,8\t11,5\t16,4\nOtto H.\t5,0\t5,9\t7,2\t8,3\nPaul B.\t5,0\t4,5\t3,8\t6,5\nErich Sch.\t5,0\t4,0\t2,6\t4,9\nHans Sch.\t5,0\t5,5\t6,3\t6,8\nHerr Koch\t5,5\t6,3\t8,2\t10,5\nTabelle III gibt die Resultate solcher Messungen wieder. Die Zahlen werte sind Durchschnittswerte aus je 6\u20148 Beobachtungsreihen. Die Horizontalreihen neben den A amen der Beobachter enthalten, in Zentimeter gemessen, die scheinbare Seitenl\u00e4nge des wirklichen Quadrates in den betreffenden Entfernungen. Die Tabelle zeigt bei einigen Beobachtern, vor allem bei Heinrich L. und Ernst H., auffallend hohe Gr\u00f6fsenwerte. Zur vorl\u00e4ufigen Erkl\u00e4rung des starken Gr\u00f6fsenwachstums mag darauf hingewiesen werden, dafs auch die sehr leicht auftretenden A B dieser beiden Vpn. mit der Entfernung stark anwachsen, dafs sie \u00fcberhaupt sehr leicht Gr\u00f6fsen\u00e4nderungen erleiden und schon in der Einpr\u00e4gungsstellung der Vergr\u00f6fserungstendenz unterworfen sina. Die gew\u00f6hnlichen Wahrnehmungen beider Beobachter zeigen einen durchaus \u00e4hnlichen Charakter wie ihre A B. \u00d6fters \\ or-genommene Messungen an den verschiedensten Gebrauchsgegenst\u00e4nden ergaben, dafs beide Vpn. auch die Dinge ihrer Umgebung","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n97\nh\u00e4ufig gr\u00f6fser sehen und zwar auch ohne besondere Instruktion, wie wir sie sonst bei den Versuchen gaben, also auch ohne besonders aufmerksame Betrachtung. Die Zirkelspitzen ragten auch bei diesen Messungen \u00fcber den Gegenstand hinaus.\nW\u00e4hrend bei fast allen Beobachtern das Quadrat mit zunehmender Entfernung mehr oder weniger stark zu wachsen schien, machten Paul B. und Erich Sch. hier eine Ausnahme. Bei diesen beiden Vpn. nimmt die Gr\u00f6fse des sich entfernenden Gegenstandes zuerst unverh\u00e4ltnism\u00e4fsig stark ab, um erst nach einem gewissen Abstande \u00fcber die urspr\u00fcngliche Gr\u00f6fse hinaus anzuwachsen. Bei Erich Sch. ist noch bemerkenswert, dafs das AB ein ganz entgegengesetztes Verhalten zeigte wie das wirkliche Quadrat; w\u00e4hrend sich letzteres verkleinerte, vergr\u00f6fserte sich das A B mit zunehmender Entfernung vom Beobachter. Doch ist auch dieser Fall, wie wir unten noch sehen werden, der Erkl\u00e4rung nicht unzug\u00e4nglich. In einzelnen F\u00e4llen konnte auch bei diesen beiden Vpn. ein den \u00fcbrigen Beobachtern entsprechendes Verhalten festgestellt werden. Lange vorher war bei Paul B. dasselbe, abweichende Verhalten f\u00fcr die AB festgestellt worden. Die Umschlagsstelle zwischen dem Gebiet des Abnehmens und Anwachsens hatte eine auffallend konstante Lage, wie sich bei Untersuchungen, die immer mit monatelangen Pausen wiederholt wurden, herausstellte.\nErhebliche Gr\u00f6fsenschwankungen ergaben sich bei Heinrich L. und Ernst H. Die Ursache d\u00fcrfte sein, dafs bei diesen beiden Vpn. die Beobachtungsdauer die Gr\u00f6fsenwahrnehmung wesentlich beeinflufst. Je l\u00e4nger der Beobachter einen dargebotenen Gegenstand betrachtet, um so gr\u00f6fser erscheint er ihm im allgemeinen. Heinrich L. sieht z. B. ein in 50 cm Abstand dargebotenes rotes Quadrat von 5 cm Seitenl\u00e4nge bei l\u00e4ngerem Betrachten allm\u00e4hlich auf die Gr\u00f6fse von 23 cm2 anwachsen. Nicht bei allen Beobachtern war die Gr\u00f6fsenzunahme infolge l\u00e4ngerer Beobachtungsdauer so betr\u00e4chtlich, wohl aber zeigte sich auch hier in abgeschw\u00e4chtem Mafse dieser Einflufs. Wir werden im n\u00e4chsten Teile unserer Untersuchung zeigen, dais der tiefere Grund dieser Erscheinungen in den Verhaltungsweisen der optischen Aufmerksamkeit zu suchen ist, die die Gr\u00f6fse der Sehdinge in entscheidender Weise beeinflufst.\nEs traten auch F\u00e4lle auf, wo bei einzelnen Vpn. (Paul B., Otto H., Hans Sch.) das vom Auge sich entfernende Quadrat\nZeitsehr. f. SinnesphysioL 55.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nH. Fr tiling.\ntrotz \u201evertiefter Betrachtung** zeitweise nicht gr\u00f6fser gesehen wurde, sondern so, wie es auch Nichteidetikern erschien. Wir werden auf diese F\u00e4lle weiter unten noch einmal zur\u00fcckkommen.\nMan wird gewifs die Frage aufwerfen, warum der Beobachter nicht auch den bei der Messung an das wirkliche Quadrat angehaltenen Zirkel gr\u00f6fser sieht. W\u00fcrde sich die Distanz der Zirkelspitzen in der eigentlich zu erwartenden Weise f\u00fcr den Beobachter entsprechend vergr\u00f6fsern wie das Quadrat selbst, so w\u00fcrde es, wie leicht einzusehen, unm\u00f6glich sein, auf diesem W ege die Yergr\u00f6fserung \u00fcberhaupt festzustellen. Ber\u00fchrten vor der Vergr\u00f6fserung die Zirkelspitzen genau die R\u00e4nder des Quadrats, so w\u00fcrde dies auch nach der Vergr\u00f6fserung der Fall sein; beide Objekte w7\u00fcrden nur entsprechend gr\u00f6fser erscheinen. \u2014 Die eben aufgeworfene Frage liefs sich leicht beantworten. Wir stellten das Mefsworkzeug aus einem Material her, welches dem\ndes Beobachtungsobjektes sehr \u00e4hnlich sah. War das Beobachtungsobjekt ein farbiges Quadrat aus\n_____ Karton, so bestand das Mefsworkzeug jetzt ebenfalls\naus (meist woifsem oder \u00e4hnlich gef\u00e4rbtem) Karton.\n! J\tWie aus Figur 2 ersichtlich, hat der Ausschnitt\ndes Mefswerkzeuges genau die Gr\u00f6fse des dargebotenen Quadrates (5 cm2). Wir boten nun beide Objekte, Figur 2. Mefsworkzeug und Quadrat, gleichzeitig in 50 cm Entfernung vom Beobachter dar in der Anordnung wie sie Fig. 2 zeigt. Der Beobachter hatte nun beide Objekte gleichzeitig \u201evertieft\u201c zu betrachten. R\u00fcckten wir dann den Schirm in gr\u00f6fsere Entfernung, so erkl\u00e4rten die Beobachter, dafs auch jetzt das Quadrat in gleicher Weise wie fr\u00fcher gr\u00f6fser werde, dafs aber auch das Mefswerkzeug im selben \\ eih\u00e4ltms anwachse. Seine Schenkel ber\u00fchrten w\u00fce vorher genau die Seiten des Quadrates. Wiederholten wir den Versuch, aber mit der ausdr\u00fccklichen Anwoisung, jetzt dem zwischen den Schenkeln des Mefsworkzeuges aufgeh\u00e4ngten Quadrat die Aufmerksamkeit allein zuzuwonden, so wuchs, ganz wie bei den fr\u00fcheren \\ ersuchen, nur das Quadrat an, das blofs nebenher beachtete Ger\u00e4t dagegen nicht. Dieses wurde vielmehr jetzt von dem gr\u00f6fser werdenden Quadrat teilweise oder ganz verdeckt. Zur weiteren Verfolgung der oben aufgeworfenen Frage machten wir noch folgenden Versuch: Wir boten eine gr\u00f6fsere Anzahl gleichartiger Objekte gleichzeitig dem Beobachter dar, etwa die Seite eines","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n99\nBriefmarkenalbums mit Marken. Wir liefsen die Seite des Albums einige Zeit betrachten und r\u00fcckten sie dann in die Ferne. Hierbei zeigte sich nun folgendes: Einige Vpn. (Heinrich L., Ernst H.) gaben an, dafs sich immer nur eine einzelne Marke und zwar diejenige, auf die sie gerade hinblickten, vergr\u00f6fsere und in den fernen Stellungen alle anderen verdecke, so dafs schliefslich nur eine riesige Briefmarke zu sehen sei. Bei Paul B. und Erwin M. wurde die ganze Seite des Albums beim Verschieben in die Ferne gr\u00f6lser und gr\u00f6fser und damit alle Marken, die auf der Seite aufgeklebt waren. Der verschiedene Ausfall des Versuchs mag darin begr\u00fcndet liegen, dafs von diesen letzteren Vpn. immer das Ganze mit der optischen Aufmerksamkeit umspannt wurde, wenigstens soweit demselben ein realer Zusammenhang entspricht, wie es bei der Seite des Briefmarkenalbums der Fall ist. Dais der Zirkel bei den Quadratmessungen auch bei diesen Vpn. nicht mit vergr\u00f6fsert wird, d\u00fcrfte sich hinreichend schon daraus erkl\u00e4ren, dafs er erst sp\u00e4ter in das Gesichtsfeld eingef\u00fchrt und darum nicht kollektiv mit dem Quadrat auf-gefafst wird. Auch der Umstand, dafs er in keinem realen Zusammenhang mit dem Quadrat steht, wird vielleicht mitwirken.\nDurch diese Versuche ist erwiesen, dafs die L\u00f6sung der von uns aufgeworfenen Frage in der Verhaltungsweise der optischen Aufmerksamkeit zu suchen ist, die mitbestimmt wird durch die Beschaffenheit des Objekts. Unsere Versuche zeigen, dafs das Erfordernis f\u00fcr die gleichm\u00e4fsige Vergr\u00d6fserung von Quadrat und Mefswerkzeug die kollektive Auffassung beider ist.1 Diese kollektive Auffassung, und damit die gleichm\u00e4fsige Vergr\u00f6fserung, wird nach dem Ergebnis unserer Versuche bedeutend beg\u00fcnstigt, wenn Objekt und Mefswerkzeug aus gleichem oder \u00e4hnlichem Material hergestellt sind. Alsdann kann die kollektive Auffassung, und damit die gleichm\u00e4fsige Ver-\n1 Beide Sehdinge \u2014 Objekt und Mefswerkzeug \u2014 werden hier gleichsam mit demselben Mafsstab gemessen, bei den vorigen Versuchen dagegen mit verschiedenen, und als Grund f\u00fcr die Anlegung des gleichen Mafs-stabes erscheint die kollektive Auffassung. Man kann hier an Versuche Herings erinnern (Beitr\u00e4ge zur Physiologie, 1. Heft 1861, S. 14), die ebenfalls dartun, dafs die in verschiedener Entfernung befindlichen Sehdinge in der Wahrnehmung im allgemeinen mit einem verschieden grofsen Mafsstab ausgewertet werden ; aber mit einem gleichen, wenn die Beobachtungsbedingungen auf eine kollektive Auffassung der verschieden weit entfernten Objekte hindr\u00e4ngen.\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nH. Freiling.\ngr\u00f6fserung, nur durch das innere Verhalten und nur infolge besonderer, dieses Verhalten beeinflussender Instruktionen ausgeschlossen werden, wie oben gezeigt wurde. Da nun die kollektive Auffassung von Zirkel und Quadrat infolge der grofsen Ungleichartigkeit dieser beiden Gegenst\u00e4nde viel weniger nahe liegt, so erkl\u00e4rt es sich, dafs bei keinem unserer Beobachter in den zahlreichen Messungen eine gleichm\u00e4fsige Vergr\u00f6fserung von Zirkel und gemessenem Objekt zu beobachten war.\nEs erhebt sich hier noch die Frage, ob der Zirkel, der bei der Messung des nach der Ferne hin wachsenden Quadrates keine entsprechende Vergr\u00f6fserung erfuhr, sich auch hinsichtlich seiner sonstigen Erscheinungsweise abweichend vom Quadrat verh\u00e4lt. Einige Vpn. beobachteten am Zirkel keinerlei \u00c4nderung. Andere dagegen sahen ihn w\u00e4hrend der Messung etwas \u201egl\u00e4nzender4^ manchmal die Spitzen etwas dicker. Erwin M. gab an, dafs der Zirkel beim Messen des vergr\u00f6fserten Quadrates etwa so aussehe, wie nachts die Zeiger auf einem Wecker mit selbstleuchtendem Ziffernblatt.\nGelegentlich findet man auch \u00dcbergangsf\u00e4lle zu dem Verhalten des normalen Erwachsenen. Alsdann besteht bereits eine Art von Schwanken zwischen diesem Verhalten und dem in unseren Versuchen aufgewiesenen. Einen solchen Fall beobachtete z. B. Herr Professor Jaensch in llsenburg. Hier fand bei Anstellung der Versuche ohne Messung mit dem Zirkel eine Vergr\u00f6fserung des wirklichen Quadrates bei dessen zunehmender Entfernung statt. Gab man der Vp. einen Streifen in die Hand, auf dem sie die scheinbare Seitenl\u00e4nge des Quadrates abzugrenzen hatte, so gab sie bei der Ausgangsentfernung (50 cm) objektiv richtig 5 cm als L\u00e4nge der Quadratseite an, bei dem Abstand 100 cm dagegen 7 cm, bei 150 cm 8,5 cm und bei 200 cm 9,o cm. Bei dieser Versuchsart verhielt sich also die Vp. \u00e4hnlich wie die oben beschriebenen F\u00e4lle. Wurde nun aber derselbe Versuch wiederholt, indem zum Zwecke der Messung der Zirkel angehalten wurde, so stutzte die Vp. sichtlich und gab dann, unvcx-kennbar erstaunt, an, dafs jetzt das Quadrat, w\u00e4hrend es sich entfernt, nicht gr\u00f6fser werde. Mifst man die scheinbare L\u00e4nge der Quadratseite jetzt mit dem angehaltenen Zirkel, so liegen dessen Spitzen dem Quadrat in der Tat immer genau an. Das Schwanken zwischen den beiden Verhaltungsweisen zeigte sich auch darin, dafs der zuerst erw\u00e4hnte Versuch ohne Anhalten","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n101\ndes Zirkels bei Anstellung an verschiedenen Tagen nicht immer das gleiche Resultat ergab, sondern gelegentlich auch ein Ergebnis, wie man es an nichteidetischen Erwachsenen erh\u00e4lt. Eine entsprechende Zerst\u00f6rung der scheinbaren Vergr\u00f6lserung durch Anhalten eines Pr\u00fcfinstrumentes fand auch statt, wenn die Versuche \u00fcber scheinbare Gr\u00f6fse, \u00e4hnlich wie in der Arbeit von Busse (a. a. O.) und in unseren obigen verwandten Beobachtungen, mit Fadendistanzen angestellt wurden. Wurden in 50 cm Abstand vom Beobachter zwei F\u00e4den vertikal aufgeh\u00e4ngt, die den seitlichen Abstand 8 cm voneinander hatten, und wurde dann dieses Fadenpaar auf 100 cm Entfernung vom Beobachter gebracht, so schien sich die vom Fadenpaar abgegrenzte Strecke zu vergr\u00f6fsern und zwar von 9,2 cm (d. i. Vergr\u00f6lserung bereits in der Ausgangsstellung) auf 11,0 cm, wie sich wieder durch Abgreifen auf einem von der Vp. in der Hand gehaltenen Lineal ergab. Wurden nun aber im ferneren Abstand (bei 100 cm) die Pr\u00fcflote angehalten, so gab der Beobachter wieder sichtlich etwas verbl\u00fcfft an, dafs nun mit einem Male die beiden F\u00e4den viel weniger weit voneinander abzustehen schienen.\nAlle zu diesen Versuchen benutzten Vpn. zeigen noch einen hohen Plastizit\u00e4tsgrad der wirklichen Wahrnehmungen. Die Zahl der Vpn., die diesen Plastizit\u00e4tsgrad der Wahrnehmung zeigen, ist aber weit gr\u00f6fser als die Zahl derer, die w7ir bei unseren Versuchen benutzen k\u00f6nnen. Es gibt gerade unter den Mittelstark-und Starkeidetischen viele, bei denen die AB ann\u00e4hernd gr\u00f6fsen-konstant sind oder eher etwas an Gr\u00f6fse abnehmen, wenn sie auf einen in zunehmende Entfernung r\u00fcckenden Schirm projiziert werden. Mit diesen Vpn. lassen sich nun aber unsere obigen Versuche nicht anstellen, und obwohl auch hier die Wahrnehmungswelt noch die gleichen allgemeinen Eigent\u00fcmlichkeiten, besonders den gleichen Plastizit\u00e4tsgrad wie bei den obigen Vpn. zeigt, so lassen sich doch diese Eigent\u00fcmlichkeiten hier nicht durch den Versuch demonstrieren. \u201eVerschmilzt\u201c n\u00e4mlich bei den Vpn. mit ann\u00e4hernd gr\u00f6fsenkonstantem oder leicht abnehmendem AB dieses mit dem Wahrnehmungsgegenstand, so kann auch das gesehene \u201eVerschmelzungsprodukt\u201c 1 nur in ann\u00e4hernd konstanter oder leicht abnehmender Gr\u00f6fse er-\n1 Dieser Begriff ist immer mit den unten n\u00e4her darzulegenden Einschr\u00e4nkungen zu versehen.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nH. Freiling.\nscheinen, w\u00e4hrend der Beobachtungsgegenstand in die Ferne r\u00fcckt. Das gesehene Produkt wird sich also ganz ebenso verhalten, wie der Wahrnehmungsgegenstand des Erwachsenen, und es wird sich demnach durch die geschilderten Versuche kein Unterschied zwischen dem Verhalten des Jugendlichen und dem des Erwachsenen aufzeigen lassen. Unter den Vpn., die den von unseren Versuchen auf gezeigten Plastizit\u00e4tsgrad der Wahrnehmungswelt zeigen, ist somit zur Durchf\u00fchrung beweiskr\u00e4ftiger Versuche nur eine bestimmte Sondergruppe geeignet, n\u00e4mlich die Gruppe derjenigen, die beim sich entfernenden AB ein betr\u00e4chtliches Wachstum und darum auch noch beim \u201eVerschmelzungsprodukt\u201c ein Wachstum wahrnehmen.\n3. Der Einflufs des Verhaltens der optischen Aufmerksamkeit auf die Sehgr\u00f6fse.\nSchon im ersten Teile unserer Untersuchung haben wir dargetan, dafs Aufmerksamkeitswanderungen bei der Erscheinungsweise wirklicher Tiefenstrecken eine wesentliche Rolle spielen. Dafs aber auch die scheinbare Gr\u00f6fse der Sehdinge, d. h. ihre Ausdehnung nach H\u00f6he und Breite, von diesem Faktor abh\u00e4ngt, wurde oben bereits wahrscheinlich gemacht und soll hier durch weitere Versuche erwiesen werden. Wir konnten zeigen, dafs eine durch die Versuchsanordnung bedingte Variierung des optischen Aufmerksamkeitsfeldes gleichzeitig auch eine \u00c4nderung der scheinbaren Gr\u00f6fse zur Folge hat.1 Die Anordnung war folgende: In 50 cm Entfernung vom Beobachter wird auf dem Projektionsschirm ein rotes Quadrat (5 cm2) zur \u201evertieften Betrachtung\u201c dargeboten und in den Entfernungen 50 cm, 100 cm und 150 cm seine Breite mit dem Zirkel ausgemessen. In einer Vergleichskonstellation wird der Versuch etwas variiert. Auf dem Projektionsschirm werden zwei verschiebbare Marken angebracht, deren horizontale Distanz der Beobachter mitzubeachten hat. Der Versuch verl\u00e4uft im einzelnen folgendermafsen : Das Quadrat wird bei jedem Versuch zun\u00e4chst in 50 cm Entfernung vom Beobachter dargeboten. Beiderseits von ihm h\u00e4ngen zwei schwarze F\u00e4den, die in der H\u00f6he der Quadratmitte je eine kleine weifse\n1 \u00c4hnliche Versuche am Anschauungsbild, aber noch nicht an wirklichen Objekten, hatte fr\u00fcher Herr J. Schweicher in seiner noch un-\nver\u00f6ffentlichten Arbeit angestellt.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n108\nMarke tragen. Durch Verschieben der beiden F\u00e4den vor dem eigentlichen Versuch erteilen wir ihnen; einen Abstand von 15 cm. Der Beobachter hat nun das Quadrat und die Markendistanz gleichzeitig zu beachten, w\u00e4hrend der Schirm in die Ferne ger\u00fcckt wird. Wir machten den Beobachtern klar, dafs das Fadenpaar nicht nur gleichzeitig gesehen, sondern mit dem Quadrat zusammen beachtet, d. h. kollektiv mit ihm aufgefafst werden solle. Diese Instruktion sollte verh\u00fcten, dafs die beiden F\u00e4den nur nebenher beachtet werden. Bei gr\u00f6fserem Abstand der F\u00e4den mufs die Vp. mit dem Blick zwischen den Marken hin und her wandern, um der Instruktion zu gen\u00fcgen. W\u00e4hrenddem r\u00fcckten wir den Schirm in 100, bzw. 150 cm Entfernung und mafsen mit dem Zirkel aus, wie grofs das Quadrat der Vp. erschien. Die Versuche wurden in gleicher Weise bei einem Markenabstand von 20 bzw. 25 cm wiederholt.\nTabelle IV.\nEntf\tMark.-\tDist. Erwin M.\tHeinr. L.\tOtto H.\tErnst H.\tPaulB.\tHerr S\n\t0\t5,0\t6,8\t5,0\t6,9\t5,0\t5,0\n\t15\t8,5 X 7,2\t9,2\t6,1\t9,4\t5,8\t6,2\ncm <\t20\t11,0 X 9,5\t13,7\t7,9\t12,9\t7,1\t7,5\n\t, 25\t13,4 X 11,2\t17,2\t9,3\t16,5\t7,9\t9,3\n\tf 0\t6,2 X 5,0\t9,4\t6,1\t9,0\t4,8\t6,0\n\t\t9,1 X 7,2\t13,5\t8,5\t12,7\t5,3\t8,3\ncm\t20\t12,2 X 10,5\t19,8\t11,0\t17,4\t7,8\t9,1\n\t25 V.\t14,3 X 13,1\t23,7\t12,7\t21,7\t9,5\t11,4\n\tr 0\t7,9 X 5,4\t13,9\t7,0\t11,2\t4,2\t7,2\n\t15\t10,0 X 9,2\t15,5\t8,8\t15,2\t6,8\t9,3\ncm <\t20\t13,1 X 10,5\t21,8\t11,1\t22,5\t9,4\t11,7\n\t. 25\t15,8 X 12,7\t27,5\t13,5\t26,3\t14,2\t14,5\nTab. IV gibt die Resultate unserer Messungen wieder. Die erste Vertikalreihe gibt die Entfernungen des Projektionsschirmes an, die zweite den Abstand der Marken. Markendistanz 0 bedeutet, dafs keine Marken da sind, betrifft also den Fall des unbeeinflufsten Aufmerksamkeitsverhaltens. Die vertikalen Ziffernreihen unter den Namen geben, in Zentimeter gemessen, die gesehene Gr\u00f6fse des Quadrates wieder. Die vereinzelten Produktzahlen geben an, dafs das Quadrat als liegendes Rechteck gesehen wird. Aus der Tabelle ist ersichtlich, dafs durch die geforderte Verhaltungsweise der Aufmerksamkeit die Gr\u00f6fse, bzw. Gestalt des Quadrates wesent-","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nH. Freiling.\nlieh beeinflufst wird. Das Quadrat erscheint durchweg gr\u00f6fser als bei unbeeinflufstem Verhalten. Auffallend ist auch hier wieder das ungew\u00f6hnlich starke Wachsen des Quadrates bei Heinrich L. und Ernst H. Bei beiden Beobachtern w\u00e4chst das Quadrat in den fernen Stellungen des Zirkels sogar \u00fcber die Gr\u00f6fse der Markendistanz hinaus. In den betreffenden Versuchen erschienen f\u00fcr den Beobachter die Marken von dem stark wachsenden Quadrat verdeckt und wurden daher nicht gesehen. Offenbar war hier eine Aufmerksamkeitswanderung angeregt worden, die noch \u00fcber die Marken hinausging.\nBemerkenswert war auch das Ergebnis bei Paul B. ; ohne Beeinflussung der Aufmerksamkeit durch den Nebenreiz erscheint hier das Quadrat verkleinert, mit der Markendistanz dagegen vergr\u00f6fsert. Der Einflufs der in horizontaler Dichtung hin und her gehenden Blick- und Aufmerksamkeitswanderung f\u00fchrt auch dazu, dafs das Quadrat zuweilen als Rechteck erscheint.\nBei den fr\u00fcheren Versuchen (ohne Nebenreiz) war die Vergr\u00f6fserung des Quadrates bei Entfernungszunahme des Schirmes bei einzelnen Beobachtern, die die Erscheinung im allgemeinen darboten, gelegentlich ausgeblieben. Boten wir in diesen F\u00e4llen gleichzeitig eine Markendistanz zur Mitbeachtung dar, so trat die Vergr\u00f6fserung des Quadrates sofort auf. Man hatte also hier ein Mittel an der Hand, um die Vergr\u00f6fserung auch bei dieser Kategorie von Beobachtern durchg\u00e4ngig nachzuweisen.\nEine Einflufsnahme auf das optische Aufmerksamkeitsfeld liefs sich auch durch einen Rahmen mit ver\u00e4nderlichem Ausschnitt aus\u00fcben, wie ihn bereits A. G\u00f6sser 1 zur Beeinflussung\nder Gr\u00f6fse des AB benutzt hat (vgl. Fig. 3).\n__\t\u2022 \u2022\nDer Holzrahmen hat in der Mitte eine quadratische \u00d6ffnung von der Gr\u00f6fse 10,5 cm1 2. Dahinter ist auf der R\u00fcckseite ein Schieber (Sch) mit rechtwinkligem Ausschnitt in einer F\u00fchrung so angebracht, dafs er in der Diagonale der quadratischen \u00d6ffnung bewegt werden kann. Diese kann durch Ausziehen des Schiebers variiert werden von 3,3 cm2 bis 10,5 cm2.\nFigur 3.\n1 A. G\u00f6sser, \u00dcber die Gr\u00fcnde des verschiedenen Verhaltens der ein-\nzelnen Ged\u00e4chtniestufen. Zeitschr. f. Psychologie 87.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n105\nW\u00e4hrend der Kopf des Beobachters gut fixiert ist, wird der\nan einem Stativ befestigte K\u00e4hmen in 35 cm Entfernung vom\n\u2022 \u2022\nBeobachter so aufgestellt, dafs die auf 3,3 cm2 eingestellte \u00d6ffnung sich in Augenh\u00f6he befindet. 15 cm hinter dem Rahmen\nwird ein rotes Quadrat (5 cm2) auf einem Projektionsschirm so\n\u2022 \u2022\ndargeboten, dafs es durch die \u00d6ffnung des Rahmens hindurch f\u00fcr den Beobachter gut sichtbar ist. Nach \u201evertiefter Betrachtung\u201c wird die scheinbare Breite des Quadrates mit dem Zirkel ausgemessen und dann der Ausschnitt des Rahmens allm\u00e4hlich bis auf 10,5 cm2 vergr\u00f6fsert. Der Beobachter hat die Anweisung, das rote Quadrat und zugleich den Bewegungsvorgang am Rahmen zu beobachten. Wurde hiernach das Quadrat wieder ausgemessen, so zeigte sich, dafs es dem Beobachter erheblich gr\u00f6fser erschien. Der Versuch wurde wiederholt, w\u00e4hrend das Quadrat in 100 cm, bzw. 150 cm Entfernung stand. Die Ergebnisse waren hier entsprechend.\nDie k\u00fcnstliche Variierung des optischen Aufmerksamkeitsfeldes und damit eine Beeinflussung der scheinbaren Gr\u00f6fse konnte auch durch eine Versuchsanordnung bewirkt werden, die schon P. Busse in ihrer oben genannten Arbeit n\u00e4her S'-beschrieben hat. In 50 cm und 100 cm Entfernung vom Beobachter wird je ein Paar schwarzer F\u00e4den dargeboten, die oberhalb eines Tisches straff aufgeh\u00e4ngt sind. Unmittelbar hinter dem fernen Fadenpaar bb wurde ein weifser Schirm ss aufgestellt, vor dem sich die schwarzen F\u00e4den deutlich abhoben. Beide Paare wurden symmetrisch zur Medianebene des Beobachters aufgeh\u00e4ngt, w\u00e4hrend der Kopf durch die Kinnst\u00fctze kk fixiert war. Das ferne Fadenpaar bb hatte w\u00e4hrend der Versuche den konstanten Abstand von 5 cm. Dagegen wurde der Abstand des n\u00e4heren Paares aa bei den einzelnen Versuchsreihen variiert. Er betrug zun\u00e4chst 10 cm. \u2014 Hinter das vordere Fadenpaar aa schoben wir nun einen zweiten weifsen Schirm s's', der das hintere Fadenpaar verdeckte, und wiesen den Beobachter an, von dem vorderen Paare ein AB zu erzeugen. Dies geschah in der Weise, dafs der Beobachter beide F\u00e4den einige Sekunden lang aufmerksam betrachtete. Wurden dann die wirklichen F\u00e4den vom Versuchsleiter abgenommen, so sah die Vp. an ihrer Stelle zwei Bildf\u00e4den. Nach Wegnahme","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nH. Freiling.\ndes Schirmes s's' hat der Beobachter die beiden Bildfl\u00e4chen auf die nun wieder sichtbaren hinteren F\u00e4den bb zu projizieren, was nach unseren vielfachen Erfahrungen gew\u00f6hnlich leicht gelingt. Die Bildf\u00e4den verschmelzen dabei mit den wirklichen F\u00e4den, \u00a30 dafs f\u00fcr die Vp. nur noch zwei F\u00e4den sichtbar sind, die ihr als wirkliche F\u00e4den erscheinen. Der scheinbare Standort dieser F\u00e4den wurde dann festgestellt, indem der Versuchsleiter von beiden Seiten her je ein Lot an das Fadenpaar heranbrachte, bis die Vp. angab, dafs die Lote mit den von ihr gesehenen F\u00e4den zur Deckung gelangten. Es zeigte sich nun, dafs Deckung schon gesehen wurde, wenn sich die Pr\u00fcflote in Wahrheit nochin erheblichem Seitenabstande\nvon den wirklichen F\u00e4den befanden. Der scheinbare Abstand des fernen Paares bb, der vor der Verschmelzung m ganz normaler Weise gesehen wurde, erschien somit dem Beobachter nach der Verschmelzung erheblich vergr\u00f6fsert. Der Versuch wurde in gleicher Weise wiederholt, w\u00e4hrend dem vorderen Fadenpaar die Abst\u00e4nde l\u00f6, bzw. 20 cm erteilt wurden.\nIn Tabelle V sind die Ergebnisse solcher Messungen zusammengestellt. Die beiden Unterkolumnen, die denselben Buchstaben tragen, geh\u00f6ren zur selben Versuchsreihe.\nTabelle V.\nWirklicher gegenseitiger Abstand der vorderen F\u00e4den\n\ta\tb\tc\nErwin M.\t10\t15\t20\nHeinrich L.\t10\t15\t20\nOtto H.\t10\t15\t20\nErnst H.\t10\t15\t20\nPaul B.\t10\t15\t20\nErich Sch.\t10\t15\t20\nHerr Spier\t10\t15\t20\nII\nScheinbarer gegenseitiger Abstand der hinteren F\u00e4den\nvor,\tnach der\tVerschmelzung\t\n\ta\tb\tc\n5\t7,5\t9,3\t12,8\n5\t12,2\t21,7\t28,5\n5\t6,3\t7,9\t9,7\n5\t11,4\t17,6\t23,4\n5\t6,1\t7,3\t9,5\n5\t7,6\t8,9\t10,2\n5\t7,1\t9,3\t11,4\nDie bisher beschriebenen Gr\u00f6fsen\u00e4nderungen von Wahrnehmungsgegenst\u00e4nden sind nur bei sehr ausgesprochenen Eidetikern nachweisbar. Eine Modifikation der Versuche er m\u00f6glicht indes, Entsprechendes auch bei weniger ausgepr\u00e4gten F\u00e4llen nachzuweisen. Wir lassen eine Scheibe langsam rotieren, auf der eine schwarze Spirale gezeichnet ist, die einen deutlich sichtbaren, wulstartigen roten Rand besitzt. Eine solche Spirale","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n107\nzeigt je nach dem Drehnngssinn die bekannte Erscheinung, als\nob sie entweder aus der Mitte herausw\u00fcchse oder in dieselbe\nverschw\u00e4nde. Dabei erf\u00e4hrt aber der Umfang der Scheibe\n\u2022 \u2022\nf\u00fcr nichteidetische Versuchspersonen keine \u00c4nderung. Boten wir die rotierende Scheibe dagegen Eidetikern dar, so war in sehr vielen F\u00e4llen auch eine Vergr\u00f6fserung bzw. Verkieinerung ihres Umfanges zu beobachten, je nachdem die Scheibe ausw\u00e4rts oder einw\u00e4rts rotierte. Hielten wir die Scheibe in ihrer Bewegung pl\u00f6tzlich an, so sahen die Beobachter den entgegengesetzten Vorgang: eine Schrumpfung, bzw. ein Wachstum der Scheibe. Die von dem Beobachter gesehene Grofse der rotierenden Scheibe wurde gemessen, indem wir dem Band der Scheibe ein Lineal nach Angabe der Vp. so wreit n\u00e4herten, bis es f\u00fcr den Beobachter den-Rand der Scheibe zu ber\u00fchren schien. Dies trat bei Ausw\u00e4rts-drehung der Scheibe bereits dann ein, wenn das Lineal in Wirklichkeit noch erheblich von dem objektiven Rand der Scheibe entfernt war. Bei Einw\u00e4rtsdrehung dagegen mufste das Lineal innerhalb der Scheibe angehalten werden, wenn f\u00fcr den Beobachter der Eindruck auftreten sollte, dafs es den Rand ber\u00fchre.\nTabelle VI gibt die Resultate solcher Messungen wieder.\nTabelle VI.\nScheinbare Gr\u00f6fse des Radins\n\twenn die Scheibe\tbei Ausw\u00e4rts-\tbei Einw\u00e4rtsdrehung\t\n\tunbewegt ist\tdrehung\tder Scheibe\t\nOtto H.\t9,5 cm (entsprechend der wirklichen Gr\u00f6fse)\t10,2 cm\t8,5\tcm\nHans Sch.\tn\t10,8 \u201e\t8,8\th\nHeinrich L.\t71\t14,5 \u201e\t6,4\th\nErnst H.\t11\t13,4 \u201e\t7,5\tii\nHerr Spier\tn\t11,2 \u201e\t8,3\tV\nGerhard J.\tii\t10,7 \u201e\t7,1\t11\nAlfred P.\tn\t11,6 \u201e\t7,0\t'1\nLudwig v. B.\tii\t10,0 \u201e\t8,1\t11\nErich Sch.\tn\t11,8 \u201e\t7,3\t11\nPaul B.\tn\t7,8 \u201e\t11,4\t' I. }\nDurch den eindringlichen Bewegungsvorgang an der Spirale wird offenbar eine besonders energische Aufmerksamkeitswanderung angeregt, die auch dort noch erfolgreich ist, wo die anderen Anregungsmittel versagen. Die Erscheinung wurde an 12 Vpn.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nH. Freiling.\ngepr\u00fcft (Maria L. und E. L. sind, da erst nachtr\u00e4glich untersucht, in der Tabelle nicht aufgef\u00fchrt). Nur bei einer Vp. (Paul B.) zeigte sich bei Ausw\u00e4rtsdrehung der Scheibe eine Verkleinerung. Brachten wir jedoch die Spirale in einen gr\u00f6fseren Abstand (ungef\u00e4hr 160 cm), so zeigte auch diese Vp. die gleiche Verhaltungsweise wie alle anderen Beobachter. \u2014 Schon in der erw\u00e4hnten Arbeit von J. Schweicher ist erkl\u00e4rt, weshalb die Anregungsmittel zur Aufmerksamkeitswanderung gelegentlich den umgekehrten Erfolg haben k\u00f6nnen als in der \u00fcberwiegenden Zahl der F\u00e4lle.\n\u2022 \u2022\nIn den bisherigen Versuchen wurde die \u00c4nderung des optischen Aufmerksamkeitsfeldes durch Nebenreize erzwungen. Wir konnten aber auch ohne besondere Hilfsmittel, allein durch geeignete Wahl des dargebotenen Gegenstandes, den Beobachter von selbst zu Aufmerksamkeitswanderungen veranlassen, was dann in einem starken Wachstum der scheinbaren Gr\u00f6fse zum Ausdruck kam. Wir verwandten bei diesen Versuchen kleine farbige ausgeschnittene Bilder mit m\u00f6glichst vielen und interessanten Einzelheiten. Wiederholten wir hiermit den oben geschilderten Grundversuch, indem wir zuerst die homogene R\u00fcckseite des Bildes vor dem Schirm darboten, so ergaben die Messungen in den Entfernungen 50 cm, 100 cm und 150 cm entsprechende Resultate wie dort. Die betrachtete homogene Fl\u00e4che schien bei der Bewegung in die Ferne zu wachsen. Darauf boten wir die Bildseite, deren \u00fcmrifs ja mit dem des Bildes \u00fcbereinstimmte, zur Beobachtung dar und wiesen die Versuchsperson an, w\u00e4hrend des Versuches m\u00f6glichst alle Einzelheiten des Bildes genau zu betrachten. Die Messungen ergaben jetzt, dafs das scheinbare Wachstum des gleichen Gegenstandes nun bedeutend gr\u00f6fser war als vorher. Am st\u00e4rksten zeigte sich die Beeinflussung der scheinbaren Gr\u00f6fse, wenn die Darstellung auf dem Bilde etwas ungew\u00f6hnlich und somit der Sinn der bildlichen Darstellung erst nach ausgiebigem Betrachten und \u00fcmherblicken innerhalb des Bildes erkennbar war. Offenbar f\u00fchrten dann die Bem\u00fchungen des Beobachters, in der relativ kurzen Darbietungszeit den Sinn der Darstellung zu erfassen, zu besonders energischen Aufmerk-samkeitswanderungen.\nIn Tabelle VII sind einige Protokolle dieser Versuchsreihen znsammengestellt.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usv).\n109\nTabelle VII.\nGr\u00f6fse des dargebotenen Objektes : Scheinbare Gr\u00f6fse bei Darbietung der homogenen R\u00fcckseite des Bildes in den Entfernungen\n8 cm1 2.\nScheinbare Gr\u00f6fse bei Darbietung der Bildseite in den Entfernungen\n\t50 cm\t100 cm\t150\tcm\t50\tcm\t100\tcm\t150\tcm\nHeinrich L.\t8,8 cm-\t11,9 cm2\t17,3\tcm2\t9,2\tcm2\t14,5\tcm2\t20,3\tcm2\nErnst H.\t8,5 \u201e\t10,7 \u201e\t14,8\tyy\t8,7\tyy\t12,3\tyy\t16,7\tyy\nErwin M.\t8,0 \u201e\t9,1 \u201e\t10,3\tyy\t8,0\tyy\t9,7\tyy\t11,2\tyy\nOtto H.\t8,0 \u201e\t8,8 \u201e\t10,0\tyy\t8,5\tyy\t9,8\tyy\t11,4\tyy\nPaul B.\t8,0 \u201e\t7,2 \u201e\t6,5\tyy\t8,2\tyy\t9,1\tyy\t10,7\tyy\nErich Sch.\t8,0 \u201e\t7,4 \u201e\t6,0\tyy\t8,0\tyy\t8.5\tyy\t9,6\tyy\nZu bemerkenswerten Einsichten\t\t\t\t\t\u00fcber\tden\tEinflufs\t\tder\top-\np\nM\n\u00df OP\nAf\nP \u00df A 0 P\nFigur 5.\ntischen Aufmerksamkeit auf die scheinbare Gr\u00f6fse f\u00fchrte die Nachpr\u00fcfung der methodisch grundlegenden Versuche von F. Hillebrand 1 \u00fcber die scheinbare Gr\u00f6fse mit der oben erw\u00e4hnten Kategorie von Eidetikern. Da diese Einstellungen etwas schwieriger sind, wurden von den Jugendlichen nur die \u00e4ltesten Beobachter und aufserdem Erwachsene herangezogen.\nDie erste Versuchsanordnung (Schienenstrangversuch) war folgende :\n\u2022 \u2022\nUber einen mit weifsem Papier bedeckten Tisch PPPP waren drei schwarze F\u00e4den AB, CD, EF gespannt. Der mittlere, nicht verschiebbare Faden verband die Mittelpunkte der beiden Schmalkanten des Tisches. Von den beiden Seitenf\u00e4den waren die vom Beobachter entfernten Enden D und F an der Schmalkante des Tisches befestigt. Die dem Beobachter nahen Enden waren durch Gewichte beschwert und konnten durch die Versuchsperson in horizontaler Richtung verschoben werden Die von uns benutzte Anordnung unterschied sich von derjenigen Hillebrands nur in den Dimensionen. Die fernen Fadenenden D und F waren 360 cm vom Beobachter entfernt. Die Messung der eingestellten Abst\u00e4nde erfolgte in 40 cm Entfernung vom Beobachter. Diese Stelle war durch einen schwarzen Querfaden MN n\u00e4her bezeichnet. Der Beobachter, der bei gut fixiertem Kopf durch ein Diaphragma sieht, hat die Aufgabe, die beiden Seitenf\u00e4den in\n1 F. Hillebrand, Theorie der scheinbaren Gr\u00f6fse bei binokularem Sehen. Denkschriften der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.\nBd. 72. Wien 1902.","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"H. Freiling.\n110\neine solche Stellung zu bringen, dafs sie miteinander und mit dem Mittelfaden m\u00f6glichst genau parallel erscheinen. Die Vp. l\u00e4fst den Blick w\u00e4hrend der Einstellung dauernd l\u00e4ngs des Mittelfadens auf und ab wandern. Diese Einstellungen zeigten gegen\u00fcber den Vergleichseinstellungen erwachsener Nichteidetiker keine wesentlichen Unterschiede. V\u00f6llig anderen Charakter nahmen jedoch die Einstellungen an, wenn wir die eidetischen Versuchspersonen zu \u201evertiefter Betrachtung\u201c der drei F\u00e4den veranlafsten. Hierbei wird der von den F\u00e4den eingeschlossene Raum zwischen den F\u00e4den mit solcher Aufmerksamkeit betrachtet, wie wenn ein AB davon zu erzeugen w\u00e4re. Schon nach kurzer Zeit r\u00fcckten die Seitenf\u00e4den langsam nach aufsen und blieben in gewissem Abstande vom Mittelfaden stehen. Die scheinbare Lage dei nach aufsen gewanderten F\u00e4den stellten wir dadurch fest, dafs wir zwei andere F\u00e4den von aufsen her so weit nach innen heranschoben, bis sie sich f\u00fcr den Beobachter mit den scheinbar verlagerten F\u00e4den deckten. Die M\u00f6glichkeit solcher Messungen ist dadurch gegeben, dafs nur die besonders beachteten F\u00e4den scheinbare Verschiebungen erleiden, ganz entsprechend wie oben nur das beachtete Objekt seine Gr\u00f6fse \u00e4nderte, nicht aber der zur Messung benutzte Zirkel. Wurde die Aufmerksamkeit \u00fcber den ganzen Bereich zwischen den Seitenf\u00e4den gleichm\u00e4fsig verteilt (was durch st\u00e4ndiges Hin- und Herwandern des Blickes erreicht wird), so schienen auch jetzt f\u00fcr den Beobachter die Seitenf\u00e4den, trotz gr\u00f6fseren Abstandes vom Medianfaden untereinander und mit dem Mittelfaden parallel zu bleiben.\nTabelle VIII.\n\tG\tg\tG'\tg\u2018\nErnst H.\t26,0 cm\t19,0 cm\t34,0 cm\t25,0 cm\nHeinrich L.\t26,0 \u201e\t17,5 \u201e\t59,0 \u201e\t44,3 \u201e\nPaul B.\t26,0 \u201e\t20,8 \u201e\t29,5 ,,\t23,0 \u201e\nErwin M.\t26,0 \u201e\t22,5 \u201e\t40,3 \u201e\t33,5 \u201e\nIn Tabelle\tVIII sind\teinige Protokolle unserer\t\tMessungen\nwiedergegeben. Die Vertikalreihe unter G gibt den konstanten Abstand der dem Beobachter abgewandten Enden D,F der beiden Seitenf\u00e4den wieder; die Vertikalreihe unter g den Abstand C, E der dem Beobachter zugekehrten Fadenenden nach der im ge-w\u00f6hnlichenSehen vorgenommenen Einstellung auf scheinbare Parallelit\u00e4t. Die Vertikalreihe unter G' bzw. g' enth\u00e4lt den scheinbar vergr\u00f6fserten Abstand der dem Beobachter abgewandten","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n111\nbzw. zugekehrten Enden der Seitenf\u00e4den nach vertiefter Betrachtung.\nDer bei den obigen Versuchen vorhandene Parallelismus h\u00f6rte jedoch auf, wenn die Vp. Blick und Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Bereich der Anordnung richtete, z. B. auf die vom Beobachter entfernten Fadenenden. Wanderte also l\u00e4ngs der Fadenenden D,F der Blick in seitlicher Richtung hin und her, so schienen sich die fernen Enden der F\u00e4den an dieser Stelle noch weiter nach aufsen zu verschieben, so dafs die Seitenf\u00e4den f\u00fcr den Beobachter nun nach der Ferne divergierten.\n\u00df A C\nFig. 6.\nIhre scheinbare Lage stellten wTir wieder in der oben n\u00e4her beschriebenen Weise durch Pr\u00fcff\u00e4den fest. Hierbei ergab sich aber nun, dafs bei einigen Beobachtern die Aufsenf\u00e4den jetzt nicht mehr in allen Teilen geradlinig verliefen, also, nicht etwa ein nach der Ferne divergierendes Geradenpaar darstellten, sondern als mehr oder weniger stark gekr\u00fcmmte Linien r a \u00df dp' gesehen wurden, die ihre konvexe Seite dem Mittelfaden zukehrten. Herrn Sp. erschienen die Seitenf\u00e4den in ihren entfernten Partien gleichsam als \u201eHyperbel\u00e4ste\u201c. In Fig. 6 stellen CD und EF den Verlauf der wirklichen F\u00e4den nach Einstellung auf scheinbare Parallelit\u00e4t dar, CD' und EF' die Lage der Aufsenf\u00e4den nach vertiefter Betrachtung der distalen Partien der Anordnung. Da es in diesen F\u00e4llen schwierig war, den Verlauf der jetzt h\u00e4ufig gekr\u00fcmmt erscheinenden F\u00e4den in der obigen Weise durch Pr\u00fcff\u00e4den zu ermitteln, so setzten wir unsere Versuche an der zweiten Anordnung Hillebbands fort, die eine genauere Analyse der Erscheinung gestattet.\nDie zweite, ebenfalls nach dem Vorbild von Hillebrand getroffene Anordnung war folgende: In 75 cm H\u00f6he \u00fcber einem l\u00e4ngeren Tische ist ein Holzrahmen (280X100 cm) angebracht, der frontal-parallel zur Vp. 6 Querst\u00e4be tr\u00e4gt, die nach der Tiefe zu um je 40 cm voneinander abstehen. An den Querst\u00e4ben ist je ein Paar schwarzer F\u00e4den aufgeh\u00e4ngt, die l\u00e4ngs der St\u00e4be verschiebbar sind und unten eine D\u00e4mpfungsvorrichtung tragen. Hinter dem letzten, 6. Paare, befindet sich ein weifser Hintergrund. Die Vp. sitzt an der einen Schmalkante des Tisches, 80 cm vom 1. Fadenpaar entfernt. Die Beobachtung erfolgt bei","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nH. Freiling.\ngut fixiertem Kopf durch ein Diaphragma, das nur die F\u00e4den sehen l\u00e4fst.\nDie Aufgabe besteht darin, die beiden Fadenreihen so einzustellen, dafs sie dem Beobachter parallel zu sein scheinen, also nach hinten weder konvergieren noch divergieren. F\u00fcr die Breite der einzustellenden Fadenallee soll der Seitenabstand beim 6. Paare mafsgebend sein, der w\u00e4hrend der Versuche konstant bleibt. Die Einstellung wird nach Angabe der Vp. vom Versuchsleiter vorgenommen 5 sie beginnt beim 5. und schreitet zum 1. Paare fort. Die Instruktion fordert, dafs die Vp. bei den Einstellungen mit dem Blick dauernd an den Fadenreihen entlang wandert.\nDie bei dieser Verhaltungsweise vorgenommenen Einstellungen zeigten, wie beim Schienenstrangversuch, keine wesentlichen Unterschiede gegen\u00fcber den Vergleichseinstellungen erwachsener Nichteidetiker. Die Kurven sind gerade oder schwach konkav\ngegen die Medianebene gekr\u00fcmmt.3\nGanz anderen Charakter nahmen die Kurven bei vertiefter Betrachtung an. Der Versuch verl\u00e4uft jetzt folgendermafsen. Zun\u00e4chst wird die Fadenallee bei gew\u00f6hnlicher, ungezwungener Verhaltungsweise auf scheinbare Parallelit\u00e4t eingestellt. Alsdann wird die Vp. angewiesen, die eingestellte Allee einmal so zu betrachten, wie wenn von ihr ein Anschauungsbild gemacht werden sollte. Zu dem Behuf durchwandert der Beobachter mit Blick und Aufmerksamkeit den von den beiden Faden reihen umschlossenen Kaum, und zwar erfolgen die Blickwanderungen nicht nur in der Richtung der Medianebene, sondern auch in seitlicher Richtung, ganz wie bei genauer Einpr\u00e4gung eines AB. Schon nach kurzer Betrachtungszeit beginnt dann die (wirklich wahrgenommene) Allee sich zu verbreitern, indem die F\u00e4den nach aulsen wandern und schliefslich einen festen Standort erreichen.1 2 Bei Herrn Sp., Erich Sch. und Ernst H.\n1\tDieses Ergebnis steht in bestem Einklang mit den von W. Blumenfeld gefundenen Resultaten beiVersuchen mit \u201eParalleleinstellungen\u201c. W.Blumen-feld, Untersuchungen \u00fcber die scheinbare Gr\u00f6fse im Sehraume. Zeitschr. f. Psychol. 65). Bei diesen Paralleleinstellungen wird vorwiegend auf die Richtung der in die Tiefe gehenden Linien geachtet, im Gegensatz zur \u201eDistanzeinstellung\u201c, wo die Richtung der Tiefenlinien m\u00f6glichst unber\u00fccksichtigt bleibt, vielmehr der seitliche Abstand der Paare beachtet wild. Bei Blumenfeld waren die Kurven bei Paralleleinstellung gerade oder schwach\nkonkav gegen die Medianebene gekr\u00fcmmt.\n2\tDen obigen Versuchen stehen die Versuche von Blumenfeld (a. a. 0.)","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n113\nerfolgt die Verbreiterung der Allee zu gleicher Zeit in allen Teilen. Hier wird offenbar infolge gleichm\u00e4fsiger Verteilung der Aufmerksamkeit \u00fcber den ganzen Sehraum der Inhalt des Sehfeldes kollektiv a\u00fcfgefafst. Bei Erwin M. geraten die beiden Reihen zuerst in eine Schwingungsbewegung, indem die gegen\u00fcberstehenden Reihen parallel mit sich selbst sich abwechselnd n\u00e4hern und voneinander entfernen, bis sie schliefslich ruckartig in erheblich gr\u00f6fserem Seitenabstand voneinander, wie vorher, fest stehen bleiben. Bei Heinrich I.. erfolgt die Verbreiterung der Allee nicht zu gleicher Zeit in allen Teilen. Vielmehr r\u00fccken zuerst die entfernteren Paare nach aufsen, w\u00e4hrend die nahen Paare in dem Mafse folgen, als Blick und Aufmerksamkeit nach vorn wandern. Wahrscheinlich sind hier Blick und Aufmerksamkeit vorwiegend den fernen Teilen der Allee zugewandt. Die nach aufsen gewanderten F\u00e4den k\u00f6nnen dann\nHeinrich L. dauernd in diesen Stellungen gesehen werden, wenn der Blick fortgesetzt hin und her wandert und damit allen F\u00e4den die gleiche Aufmerksamkeitsenergie zugewandt bleibt. Die Standorte der nach aufsen gewanderten F\u00e4den wurden in der mehrfach beschriebenen Weise ermittelt.\nSchema I (Normalfall) Schema II (Erich Sch.) Schema III (Paul B).\n1 Einstellung d. Alleekurve beiWanderungen des Blickes in sagittaler Richtung.\n'\t\u201d\t\u201d\t\u00bb\t\u00bb\t\u201e\t\u201e\t\u201e frontaler \u201e\nFigur 7.\nWir hingen an den Enden der Querst\u00e4be unserer Anordnung je ein Pr\u00fcflot auf und schoben dann nach Anweisung der Vp. diese Lote so weit nach innen, bis sie f\u00fcr den Beobachter mit den nach aufsen gewanderten F\u00e4den der Allee zur Deckung gelangten.\nnahe, die er als Versuche mit ,,Distanzeinstellung\u201c bezeichnet. Hier war auch, wie bei unseren Versuchen, ein Hin- und Hergehen des Blickes zwischen den einzelnen Paaren erforderlich. Blumenfeld fand, dafs bei dieser \\ erhaltungsweise mit wachsender \u00dcbung eine deutliche allm\u00e4hlich\u00ae Verbreiterung der Allee zu konstatieren war.\nZeitschrift f. Sinnesphysiol. 55.\n8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nH. Freiling.\nAuch die verbreiterte Allee erschien den meisten Beobachtern parallel (siehe Fig. 7, Schema I). Nur bei Erich Sch. und Paul B. wurde bei vertiefter Betrachtung der Parallelismus aufgehoben. Bei Erich Sch. (siehe Fig. 7, Schema II) zeigt die Allee nach der scheinbaren Verbreiterung in der Mitte einen auffallenden Knick. Hier hat die Erweiterung des Aufmerksamkeitsfeldes, die in jeder Tiefenlage stattfinden muis, offenbar ein Minimum Bei Paul B. (siehe Fig. 7, Schema III) zeigt die Kurve bei vertiefter Betrachtung umgekehrt nach vorn zu starke Diver-\nge\u00fbZ-\nWenn wir von diesen Ausnahmef\u00e4llen absehen, so bleibt,, wie bereits oben erw\u00e4hnt, bei allen anderen Beobachtern auch, bei vertiefter Betrachtung der Parallelismus der vorher parallel eingestellten Allee gewahrt, unter der Voraussetzung jedoch einer gleichm\u00e4fsigen Verteilung der Aufmerksamkeit \u00fcber die gesamte Allee, erreicht durch st\u00e4ndiges Hin- und Herwandern des Blickes.\nDie Parallelit\u00e4t wird aber auch hier aufgehoben, wenn der Beobachter auf ausdr\u00fcckliche Instruktion hin Blick und Aufmerksamkeit nur einem bestimmten Bereich der Allee zuwendet.. Ist z. B. die Aufmerksamkeit ausschliefslich den entfernteren Fadenpaaren zugewandt, so wandern auch nur diese bei vertiefter Betrachtung nach aufsen, w\u00e4hrend die nur nebenher beachteten, dem Beobachter nahen Fadenpaare am Orte bleiben. Die Aufsen-Wanderung der F\u00e4den konnte noch erheblich gesteigert werden, wenn wir seitlich neben dem entferntesten Paare in gr\u00f6fserem Abstande von ihm je ein Lot aufhingen und den Beobachter veranlafsten, bei den seitlichen Blick- und Aufmerksamkeitswanderungen bis an diese Lote zu wandern. Die Lote spielten hier eine \u00e4hnliche Rolle wie bei unseren obigen Versuchen \u00fcber die scheinbare Vergr\u00f6fserung eines wirklichen Quadrates die aufser-halb desselben befindlichen Marken, die, ganz ebenso wie bei den entsprechenden Versuchen von J. Schweicher beim AB, zu einer Vergr\u00f6fserung des Aufmerksamkeitsfeldes Anlafs gaben.\n4. Zur Deutung der Versuche.\nF\u00fcr unsere Untersuchungsergebnisse hatte E. R. Jaensch dort, wo er bisher ihrer Erw\u00e4hnung tat, folgende Erl\u00e4uterung gegeben: Von dem Gegenstand bildet sich bei Beobachtung aus der Entfernung, in der wir Gegenst\u00e4nde dieser Kategorie zu betrachten pflegen, ein AB. W\u00fcrde dieses AB nun allein in die","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n115\nFerne r\u00fccken, so w\u00fcrde es seine Gr\u00f6fse in der Weise \u00e4ndern, wie die AB \u00fcberhaupt bei Projektion in immer zunehmende Entfernung; d. h. es w\u00fcrde im allgemeinen wachsen, gleichbleiben oder in geringem Mafse kleiner werden. Nun aber verschmilzt es mit der durch das Netzhautbild gegebenen Wahrnehmung, und dieses Netzhautbild erf\u00e4hrt ja bei Entfernungszunahme des Gegenstandes eine starke Verkleinerung, n\u00e4mlich eine Verkleinerung proportional dem Abstand. Ganz wie bei der Projektion von AB auf Wahrnehmungsgegenst\u00e4nde entst\u00fcnde dann hier ein Mittelwert, d. h. also im allgemeinen eine \u201eann\u00e4hernde Gr\u00f6fsenkonstanz\u201c, die ja in Wahrheit immer eine geringf\u00fcgige Verkleinerung mit zunehmender Entfernung ist. Fig. 8 veranschaulicht diesen Vorgang f\u00fcr den Fall des mit der Entfernung wachsenden AB. Dieser kommt f\u00fcr die hier beschriebenen Versuche in erster Linie in Betracht aus Gr\u00fcnden, die weiter unten dargelegt sind. Das AB nimmt also hier bei zunehmender Entfernung stark zu (I, P), das Netzhautbild dagegen stark ab (II, IP), gesehen wird ein Mittelwert (III, IIP).\nDie schliefslich resultierende geringf\u00fcgige Verkleinerung entsteht dadurch, dafs das AB im allgemeinen jedenfalls in schw\u00e4cherem Verh\u00e4ltnis anw\u00e4chst, als das Netzhautbild sich verkleinert. Jaensch hat aber stets schon selbst darauf hingewiesen, dafs dies nur eine Beschreibung des latbestandes mit Hilfe des in der Psychologie \u00fcblichen Verschmelzungsbegriffes sei, nicht aber bereits eine Erkl\u00e4rung. Verstehen wir unter Verschmelzung einfach die unbestreitbare Beobachtungstatsache, dafs irgendein Mittelwert entsteht zwischen der Gr\u00f6fsen\u00e4nderung des AB und der des Netzhautbildes, so lasse sich gegen obige Darstellung nichts einwenden. Fasse man aber diese Beschreibung schon als eine Erkl\u00e4rung auf, n\u00e4hme man also, durch den w\u00f6rtlichen Sinn des Ausdrucks \u201eVerschmelzung\u201c geleitet, an, dafs hier zun\u00e4chst wirklich ein Zweifaches da ist \u2014 ein AB und eine Wahrnehmung -\u2014, das dann zu einer Einheit verschmilzt, so w\u00fcrde man die Wahrheit durchaus verfehlen. Der Verschmelzungsbegriff nach seinem \u00fcblichen Bedeutungsgehalt enth\u00e4lt nun allerdings diesen Nebensinn. Aber gerade unsere Versuche in Verbindung mit denen von Schweicher1\n1 Die Streitfrage zwischen Assoziations- und Funktionspsychologie, gepr\u00fcft nach eidetischer Methode.\nI\nFigur 8.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nDie r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\nzeigen, dafs der Verschmelzungsbegriff, wenn man ihn nicht nur im beschreibenden, sondern zugleich erkl\u00e4renden Sinne auffafst, unzul\u00e4nglich ist und der Korrektur bedarf, wie Jaeksch ebenfalls schon hervorhob. Dafs hier eine Verschmelzung eines AB mit einer Wahrnehmung im eigentlichen Sinne nicht stattfindet, geht aufs deutlichste aus denjenigen F\u00e4llen hervor, in denen das AB komplement\u00e4r gef\u00e4rbt ist und aufser dem vergr\u00f6fsert erscheinenden wirklichen Quadrat als ein dasselbe umgebendes, anders gef\u00e4rbtes Bild fortbesteht. Eine eigentliche Verschmelzung eines A B mit einer Empfindung, die nur durch das Netzhautbild bestimmt w\u00fcrde, kann hier aber auch schon darum nicht stattfinden, weil eine solche \u201ereine Empfindung\u201c oder selbst eine von den AB scharf zu trennende Wahrnehmung in diesem Stadium, das dem der Einheitsf\u00e4lle mehr oder weniger nahesteht, noch gar nicht vorhanden ist; vielmehr verh\u00e4lt sich die Wahrnehmung hier noch ganz \u00e4hnlich wie ein AB, wie besonders auch aus unseren anderen Versuchen hervorgeht, die nicht die scheinbare Gr\u00f6fse betreffen und daher mit der Hypothese einer im buchst\u00e4blichen Sinne stattfindenden Verschmelzung ganz sicher nicht erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen.\nUnter Zuhilfenahme aller unserer eigenen Versuche und der erw\u00e4hnten Arbeit von Sch weicher d\u00fcrfte sich die Ausbildung der Sehgr\u00f6fse und ihr Verhalten in unseren Versuchen nun folgendermafsen erkl\u00e4ren: Es ist erwiesen, dafs in dem hier betrachteten Entwicklungsstadium die wirklichen Wahrnehmungen, d. h. die mit dem Realit\u00e4tscharakter auftretenden Ph\u00e4nomene, ein ganz entsprechendes Verhalten zeigen wie die AB, im besonderen auch einen ganz entsprechenden Plastizit\u00e4tsgrad, dafs sie also auch durch Einleitung einer Aufmerksamkeitswanderung nach aufsen eine Vergr\u00f6fserung, durch Einleitung einer Aufmerksamkeitswanderung nach innen eine Verkleinerung eifahren werden.1\n1 Nach Versuchen von Schwf.icher konnte in vereinzelten F\u00e4llen durch nach aufsen wandernde Nebenreize, bestehend in zwei voneinander sich entfernenden Marken, gerade umgekehrt eine Schrumpfung des innerhalb der Markendistanz gelegenen AB auftreten. Der oben erw\u00e4hnte, \u00fcbrigens ganz vereinzelte Fall eines innerhalb gewisser Entfernung schrumpfenden wirklichen Quadrates beim Wachsen des AB, d\u00fcrfte am einfachsten dadurch zu erkl\u00e4ren sein, dafs hier das wachsende und das wirkliche Quadrat \u00fcberragende AB \u00e4hnlich wirkte wie in jenen veiein-","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n117\nWenn nun also ein in die Ferne r\u00fcckendes Wahrnehmungsbild sich ganz entsprechend wie ein in die Ferne r\u00fcckendes AB verh\u00e4lt, so wird auch das Wahrnehmungsbild entweder eine geringf\u00fcgige Verkleinerung zeigen, gleichbleiben oder an Gr\u00f6fse zunehmen. Da nun aber durch die st\u00e4ndig zunehmende Verkleinerung des Netzhautbildes, also die Nach-Innenbewegung seiner Grenzpunkte, eine starke Aufmerksamkeitswanderung nach innen eingeleitet wird, so wird aus dem Zusammenwirken dieser beiden Faktoren in der Hegel eine ann\u00e4hernde Gr\u00d6fsen-konstanz mit einer Neigung zur Verkleinerung auf treten. Dieser letztere Enderfolg ist aber in dem hier betrachteten Stadium nicht notwendig, sondern kann auch ein anderer sein und ist in der Tat in den von uns oben vorgef\u00fchrten F\u00e4llen ein anderer. In diesen F\u00e4llen besteht der Enderfolg nicht in der angen\u00e4herten Gr\u00f6fsenkonstanz, sondern in einem erheblichen Gr\u00f6fsenwachstum, was offenbar daher r\u00fchrt, dafs die sehr betr\u00e4chtliche Gr\u00f6fsen-zunahme, die das AB hier bei wachsender Entfernung erf\u00e4hrt, durch die seitens der Verkleinerung des Netzhautbildes angeregte Aufmerksamkeitswanderung nach innen nicht abgeschw\u00e4cht und erst recht nicht aufgehoben und ins Gegenteil der Gr\u00f6fsenabnahm e verkehrt werden kann. In diesem Entwicklungsstadium ist also das Verhalten der scheinbaren Gr\u00f6fse noch ein sehr verschiedenes von einem Individuum zum anderen und manchmal selbst bei einem Individuum wechselndes, je nach den besonderen Bedingungen hinsichtlich des Verhaltens der Aufmerksamkeit. Nun setzt sich aber trotzdem wohl bei allen Individuen allm\u00e4hlich jenes regul\u00e4re Verhalten der ann\u00e4hernden Gr\u00f6fsenkonstanz mit Neigung zur allm\u00e4hlichen Verkleinerung durch. Dieses Verhalten zeigt die Gr\u00f6fse nach unserer Vorstellung oder, wie man es gew\u00f6hnlich auch auszudr\u00fccken pflegt, nach dem Zeugnis unserer Erfahrung, die eben die Gesamtheit unserer Vorstellungen umfafst. Die Vorstellung, die ja gleichbedeutend ist mit dem sog. \u201eErfahrungsinhalt\u201c, gewinnt im Laufe der Entwicklung allm\u00e4hlich v\u00f6llig das \u00dcbergewicht \u00fcber die Ged\u00e4chtnisbilder aller anderen Stufen; ihrem Zeugnis vertrauen wir, und sie gibt uns die Dinge so, wie sie nach der popul\u00e4ren Weltanschauung\nzelten Sonderf\u00e4llen bei Schweicher die wachsende, das AB \u00fcberragende Markendistanz. Die Erkl\u00e4rung dieser vereinzelten Ausnahmef\u00e4lle, die Sch weicher gibt, d\u00fcrfte auch auf unsere vereinzelten Sonderf\u00e4lle \u00fcbertragbar sein.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nH. Freiling.\n\u201esind\u201c. Eben dieses \u00dcbergewicht wird die Vorstellung auch schon in der hier betrachteten Entwicklungsphase immer zunehmend gewinnen, die noch Wahrnehmungen von hohem Plastizit\u00e4tsgrad zeigt und dem Einheitstypus noch nahesteht; denn wegen der Kontinuit\u00e4t aller Entwicklungsvorg\u00e4nge kann sich das sp\u00e4ter so entschiedene \u00dcbergewicht der Vorstellungsweit nur allm\u00e4hlich ausbilden. In der Zeit, wo es sich ausbildet, und wo zugleich die Wahrnehmungen noch plastisch sind, wird die Vorstellungswelt die Wahrnehmungswelt entscheidend beeinflussen und ihr in weitem Umfang ihre eigene Gesetzm\u00e4fsigkeit aufpr\u00e4gen. Der Fall der angen\u00e4herten Gr\u00f6fsenkonstanz mit geringer Neigung zur Abnahme wird also schliefslich, d. h. am Ende der Entwicklungsphase mit noch plastischen Wahrnehmungen, der durchaus \u00fcberwiegende, wenn nicht gar allgemeine sein. Wir konnten aber f\u00fcr unsere Versuche nur F\u00e4lle brauchen, in denen dieses normale Endstadium noch nicht erreicht ist. Wir mufsten zu unseren Versuchen gerade Beobachter heranziehen, bei denen AB und Wahrnehmungsgegenst\u00e4nde bei zunehmender Entfernung noch wachsen. Denn \u00e4nderten die Wahrnehmungsgegenst\u00e4nde ihre Gr\u00f6fse nicht, zeigten sie vielmehr schon dasselbe Gr\u00f6fsen-verhalten wie beim nichteidetischen Erwachsenen, so liefse sich auf diesem Wege die Plastizit\u00e4t der Wahrnehmungen nicht experimentell ans Licht ziehen, selbst wenn sie noch vorhanden w\u00e4re. Die Gr\u00f6fsenversuche w\u00fcrden eben bei solchen Jugendlichen ganz so ausfallen, wrie bei nichteidetischen Erwachsenen, und gar nichts \u00fcber den Zustand der Wahrnehmungen verraten. Gar manche Jugendliche, deren Wahrnehmungen bei Untersuchung nach anderen Methoden noch einen hohen Plastizit\u00e4tsgrad zeigen, k\u00f6nnen darum bei den vorstehenden Gr\u00f6fsenver-suchen keine Verwendung finden. Bei manchen Jugendlichen mufs man sich bei diesen Versuchen auch auf die W ahl eines besonders einfachen Beobachtungsobjektes (homogenes I arben-quadrat) beschr\u00e4nken, da man in manchen l\u00e4llen nur dann noch die oben beschriebenen Erscheinungen erh\u00e4lt, w\u00e4hrend komplizierte, der Erfahrung und Vorstellungst\u00e4tigkeit mehr Anhaltspunkte liefernde Wahrnehmungsgegenst\u00e4nde bereits das ab-schliefsende, normale Verhalten erkennen lassen, offenbar weil hier die Vorstellungen das \u00dcbergewicht, das sie allm\u00e4hlich gewinnen, schon st\u00e4rker geltend machen, was noch nicht der Fall ist bei dem bedeutungs- und sinnlosen Gegenstand des","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n119\nhomogenen Farbenquadrates. So haben wir z. B. in Magdeburg ^einen Fall beobachtet, bei dem im Quadrat die Vergr\u00f6fserung bei wachsender Entfernung stattfand, bei wirklichen Personen dagegen nicht; \u00e4hnliche F\u00e4lle fand Herr Prof. Jaensch in Ilsen-burg. \u2014 So erledigt sich auch das Bedenken, welches Koffka 1 gegen obige Versuche, die an einem Beispiel auf der Nauheimer Naturforscherversammlung 1920 demonstriert wurden, erhoben hat. Ge wifs w\u00e4chst bei diesen Versuchen, woran Koffka Anstofs nahm, der Wahrnehmungsgegenstand, w\u00e4hrend sich schliefslich fast immer die angen\u00e4herte Gr\u00f6fsenkonstanz herausbildet. Aber man kann eben, um den Einflufs der eidetischen Phase auf die Ausbildung der Sehgrofse zu demonstrieren, nur solche Jugendliche heranziehen, die in der Entwicklung bis zu jenem normalen Ab-schlufs noch nicht gediehen sind.\nIm \u00fcbrigen sei gegen\u00fcber allen Einw\u00e4nden theoretischer Art von vornherein bemerkt, dafs es hier zun\u00e4chst auf die Mitteilung der Tatsachen ankommt, die an immer wieder neuem Material und an verschiedenen Orten best\u00e4tigt und sichergestellt sind, w\u00e4hrend jede theoretische Deutung der Resultate bei der Neuheit, des Gebietes immer nur den Charakter eines vorl\u00e4ufigen Versuches besitzen kann.\n\u2022 \u2022\n5. Uber Grofsen\u00e4nderungen im\u2018Alltagsleben; nach eigenen Beobachtungen der Jugendlichen.\nWir wiesen schon darauf hin, dals die Annahme, es handle sich bei dem Gr\u00f6fsersehen wirklicher Wahrnehmungsgegenst\u00e4nde, wie wir es an den st\u00e4rker Eidetischen feststellen konnten, um suggestive Beein flussungen, schon dadurch widerlegt wird, dafs die betreffenden Jugendlichen bereits lange vor ihrer Verwendung als Vpn. im Alltagsleben \u00c4hnliches beobachtet hatten. Solchen Eigenbeobachtungen der Jugendlichen haben wir im Verlauf unserer Untersuchungen stets nachgeforscht, um zu sehen, ob die an den Jugendlichen durch den Versuch aufgezeigten Eigent\u00fcmlichkeiten ihrer Wahrnehmungen auch dort zu beobachten w\u00e4ren, wo sich der Jugendliche in seiner nat\u00fcrlichen Umwelt befindet. Denn nur dann, wenn die im Laboratorium aufgedeckten Ph\u00e4nomene sich auch dort abspielen, wird man ihnen beim Aufbau der Wahrnehmungsweit eine entscheidende\n1 Die Grundlagen der psychischen Entwicklung. Osterwick 1921. S. 206.","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nH. Freiling.\nRolle zubilligen k\u00f6nnen. Wir haben darum die Jugendlichen bei ihrer Arbeit zu Hause aufgesucht, und haben Spazierg\u00e4nge mit ihnen unternommen. Auf diese Weise war es am ehesten m\u00f6glich, das v\u00f6llig Ungezwungene der Beobachtung zu wahren und bei den Jugendlichen nicht einmal den Verdacht aufkommen zu lassen, dafs sie beobachtet w\u00fcrden. So haben wir eine grofse Reihe von Eigenbeobachtungen, die uns die Jugendlichen bei diesen Gelegenheiten in ungezwungenem, harmlosem Geplauder mitteilten, zu Protokoll nehmen k\u00f6nnen. Sie bilden eine wertvolle Erg\u00e4nzung zu unseren durch den Versuch ermittelten Resultaten und zeigen vor allem auch deutlich, dafs die Untersuchungsergebnisse des Laboratoriums nicht etwa einer k\u00fcnstlichen Versuchstechnik ihre Entstehung verdanken. Einige dieser Mitteilungen von Jugendlichen m\u00f6gen hier nun wiedergegeben werden.\nHeinrich L. sah oft Radfahrer, vorbeifahrende Wagen und Autos, denen er nachschaute, ins Riesenhafte an wachsen, je weiter sie sich von ihm entfernten. Ganz pl\u00f6tzlich verschwand dann die Erscheinung der Vergr\u00f6fserung, und die Objekte wurden wieder in nat\u00fcrlicher Gr\u00f6fse gesehen. Derselbe Vorgang wiederholte sich dann gelegentlich, w\u00e4hrend der Gegenstand sich immer weiter entfernte, noch ein zweites oder drittes Mal in genau der gleichen Weise.\nKonrad M. berichtet uns, dafs es ihm eine fast ganz allt\u00e4gliche Erscheinung sei, dafs Menschen und Gegenst\u00e4nde ihre Gr\u00f6fse h\u00e4ufig wechselten. Er macht solche Beobachtungen vor allem auf dem Schulhofe beim Spiel. Dort sieht er Mitsch\u00fcler, die \u00fcber den Schulhof laufen, mit zunehmender Entfernung fast immer gr\u00f6fser werden. Sie \u00e4ndern dabei allerdings auch ihr sonstiges Aussehen, indem sie mit wachsender Gr\u00f6fse auch immer undeutlicher werden. Pl\u00f6tzlich sind sie dann wieder klein und werden auch wieder ganz deutlich gesehen. Eine ganz regel-m\u00e4fsige Erscheinung ist bei ihm das Gr\u00f6fser- und Kleinerwerden der Menschen und Tiere in seinen AB. Dieser jugendliche Beobachter geh\u00f6rt in besonders ausgepr\u00e4gter Form zu demjenigen Typus von Eidetikern, dessen AB sehr ver\u00e4nderlich sind und sich dem VTorstellungsablauf eng anschmiegen. Er hat grofse Vorliebe f\u00fcr M\u00e4rchen, deren Begebenheiten er sich stets im AB versinnlicht. Er sieht z. B., wie der Wolf in dem bekannten M\u00e4rchen von den sieben Geifsiein ins Zimmer ein-","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n121\ndringt und die kleinen Geifslein darin \u201eherumjagt\u201c. L\u00e4uft der Wolf im Zimmer nach hinten, so sieht er ihn ganz grofs, kommt er wieder nach vorn bis an die T\u00fcr heran, dann ist er wieder kleiner. In gleicher Weise sieht er in allen seinen AB, in denen sich Handlungen abspielen, Personen und Tiere bald gr\u00f6fser, bald kleiner werden, je nachdem sie sich im Bild entfernen oder n\u00e4herkommen. Auch bei wirklichen Bildern macht er die gleichen Beobachtungen. Bei der Betrachtung der Schiffe seines Marinebilderbuches sieht er deutlich, wie sich die Schiffe bewegen, in die Ferne fahren, und dabei dann immer mehr an Gr\u00f6fse zunehmen. Neben gesteigerter Neigung zu Makropsie kommen bei diesem Jugendlichen auch starke Raumverlagerungen vor, wie denn bei ihm die Wahrnehmungen \u00fcberhaupt bei Versuchen einen besonders hohen Grad von Labilit\u00e4t erkennen lassen. Er hat im Alltagsleben schon \u00f6fters die Beobachtung machen k\u00f6nnen, dafs Gegenst\u00e4nde von ihm dort gesehen wurden, wo sie in Wirklichkeit gar nicht vorhanden waren. Er berichtet von bestimmten F\u00e4llen, wo er nach einem Gegenstand, den er deutlich vor sich zu sehen glaubte, mit den H\u00e4nden griff und dann \u00fcberrascht war, ihn an dieser Stelle nicht zu linden. Solche Erfahrungen hat er auch in der Klasse gemacht. So hatte einmal der Klassenordner zum Diktatschreiben die Hefte \u00fcber die B\u00e4nke verteilt; er sieht sein Heft deutlich vor sich liegen, greift danach und h\u00e4lt dann doch nichts in den H\u00e4nden. Erst nachher findet er seitlich von dem Orte, wo er es zuerst sah, das wirkliche Heft. Ein anscheinend \u00e4hnlicher Fall von Raumverlagerung sei hier noch mitgeteilt, den Herr Lehrer Paulus aus M\u00fcnchhausen in seiner Klasse beobachtet hat. Er ruft einen Sch\u00fcler zum schriftlichen L\u00f6sen einer Aufgabe an die Wandtafel. Der Sch\u00fcler nimmt die ihm dargereichte Kreide, tritt aber dann ohne Z\u00f6gern an das Fenster neben der Wandtafel und schickt sich zum Schreiben an. Als ihm der Schwamm gereicht wird, beginnt er ohne weiteres das Fenster abzuwischen. Durch das Gel\u00e4chter der Klasse stutzig gemacht, tritt er dann pl\u00f6tzlich, sichtlich erschrocken, an die wirkliche Tafel heran. Da Herr P. erst sp\u00e4ter von dem Tatsachenkreis der Raumverlagerungen Kenntnis erhielt, ist uns der Fall leider nicht zu genauer Analyse \u00fcberantwortet worden, deren es nat\u00fcrlich bedurft h\u00e4tte, um ihn mit voller Sicherheit zu deuten.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nH. Freiling.\nBei Ernst H. treten Gr\u00f6fsent\u00e4uschungen \u00fcberaus h\u00e4ufig auf, besonders wenn sich die Dinge rasch an ihm vorbeibewegen. Diese T\u00e4uschungen k\u00f6nnen ihn derart st\u00f6ren, dafs ihm dadurch zeitweilig die freie Orientierung im Raum erschwert wird. Aus diesem Grunde erlernte er z. B. lange Zeit das Radfahren nicht. Erst als auf therapeutischem Wege, durch Eingabe von Calcium, seine starken AB abgeschw\u00e4cht worden waren, war er dazu imstande.\nErwin M. hat besonders beim Besuche des Theaters Makropsie-erscheinungen an sich beobachtet. Bei Szenen, die ihn besonders ergriffen und bewegten, sah er h\u00e4ufig die Schauspieler auf der B\u00fchne ins Riesenhafte anwachsen. Auch heute noch, im Alter von 17 Jahren, sind diese Erscheinungen noch nicht verschwunden. Seine eidetische Anlage besteht ebenfalls noch unvermindert fort. Aus fr\u00fcheren Jahren weifs er sich noch deutlich zu erinnern, wie beim Betrachten von Auslagen in den Schaufenstern einzelne Gegenst\u00e4nde, die seine Aufmerksamkeit besonders fesselten, ihre Gr\u00f6fse h\u00e4ufig wechselten. In den Kriegsjahren hat er \u00c4hnliches an ausr\u00fcckenden Truppen bemerkt, Wenn die Soldaten vor\u00fcbermarschierten, sah er oft einzelne Gruppen, die durch besonders reichen Blumenschmuck seine Bewunderung erregten, pl\u00f6tzlich gr\u00f6fser und gr\u00f6fser werden, so dafs sie schliefslich alle anderen wie Riesen \u00fcberragten.\nBei den bisherigen Selbstbeobachtungen handelt es sich vor allem um das Gr\u00f6fsersehen wirklicher Wahrnehmungsobjekte, die sich von dem Beobachter immer weiter entfernten. Einzelne Beobachtungen von Erwin M. dagegen lassen erkennen, dafs auch ruhende Objekte unter gewissen Umst\u00e4nden entsprechenden Gr\u00f6fsen\u00e4nderungen unterworfen sein k\u00f6nnen. Hier handelt es sich dann wohl, wie die mitgeteilten F\u00e4lle schon erkennen lassen, um Wahrnehmungen mit stark affektiver Betonung, Einige weitere Beispiele m\u00f6gen dies noch n\u00e4her erl\u00e4utern.\nBruno G. spielt am Morgen im Bett mit seinem neuen Gummiball. Der Ball f\u00e4llt zur Erde und rollt unter das Bett. Er steht auf, um ihn unter dem Bett hervorzuholen und ist dann aufs h\u00f6chste erschrocken, als er seinen Ball in der Gr\u00f6fse eines Fufsballes erblickt. Erst als er mit beiden H\u00e4nden fest zugreift, ist es wieder sein kleiner Handball.\nMit dem 5j\u00e4hrigen Heinrich F. hatte ich Gelegenheit, aus allern\u00e4chster N\u00e4he einen Specht zu beobachten, der an einem","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n123\nBaume safs. Pl\u00f6tzlich ruft das Kind erregt aus: \u201eWie wird er jetzt so grofs. Jetzt ist er so grofs wie ein Huhn, jetzt hat er ja einen ganz grofsen Kopf, jetzt ist er klein wie ein Sperling, nun ist er wieder ganz grofs.\u201c Der Vorgang spielte sich in wenigen Augenblicken ab, w\u00e4hrend der Vogel sich nicht vom Platze r\u00fchrte. Haltung und Sprache des Kindes verrieten gr\u00f6fste Erregung, die durch den Anblick des ungewohnt Neuartigen leicht erkl\u00e4rlich ist. Es handelt sich hier um einen durchaus gesunden und geweckten Knaben. Hier mag auch noch ein Fall Erw\u00e4hnung finden, den W. Steen 1 mitteilt. Seinem 8 Monate alten Sohne wurde, als er seine Saugflasche erwartete, im Scherze eine Puppenflasche vorgehalten, die 15mal kleiner war als die wirkliche Flasche. \u201eDa geriet er in gr\u00f6fste Aufregung und schnappte nach der Flasche, als ob sie die wirkliche w\u00e4re.\u201c Steen schliefst hieraus auf ein Fehlen der Gr\u00f6fsenkonstanz. Diese Annahme erh\u00e4lt durch unsere eigenen Befunde, vor allem durch den zuletzt mitgeteilten Fall von Heinrich F., einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Nur w\u00fcrden wir die von Steen angenommene Unsicherheit in der Grofsensch\u00e4tzung nicht darauf zur\u00fcckf\u00fchren, dafs im Kinde noch nicht die Assoziation zwischen Entfernungs- und Gr\u00f6fseneindruck, die nach Steen die richtige Grofsensch\u00e4tzung bedingt, gen\u00fcgend gefestigt sei. Wir neigen vielmehr zu der Erkl\u00e4rung, dafs auch hier, in gleicher Weise wie bei den von uns mitgeteilten F\u00e4llen, affektive Momente eine subjektive Vergr\u00f6fserung des Gegenstandes hervorriefen. Hierher geh\u00f6rt auch eine Angabe von Henning1 2, der darauf hinweist, dafs Kinder Sonne und Mond zuweilen in gewaltiger scheinbarer Gr\u00f6fse sehen, wobei er auch auf die betr\u00e4chtliche Gr\u00f6fse aufmerksam macht, in der Sonne und Mond in Bilderb\u00fcchern manchmal dargestellt werden.\nDafs auch bei erwachsenen Eidetikern Gegenst\u00e4nde, die mit affektiver Betonung wahrgenommen werden, subjektive Vergr\u00f6fse-rungen erfahren k\u00f6nnen, m\u00f6ge durch zwei von Keoh3 mitgeteilte Beobachtungen erl\u00e4utert werden. Der eine der Erwachsenen, ein leidenschaflicher Raucher, sah ihm besonders zusagende\n1\tW. Stern, Psychologie der fr\u00fchen Kindheit. 2. Anfl. Leipzig 1921.\nS. 72.\n2\tDie besonderen Funktionen der roten Strahlen bei der scheinbaren Gr\u00f6fse von Sonne und Mond am Horizont. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 50 (1919).\n3\ta. a. O. S. 126.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nH. Freiling.\nZigarren aus gr\u00f6fserer Entfernung stets gr\u00f6fser als ihm weniger sympathisch erscheinende. Der andere Gew\u00e4hrsmann von Kroh sah im B\u00e4ckerladen das am meisten entfernte Brot stets gr\u00f6fser als die n\u00e4her liegenden Brote.\nMan wird die Frage aufwerfen, ob es sich hier nicht, vor allem bei den unvermittelt auftretenden Gr\u00f6fsenanomalien der Jugendlichen, um pathologische Erscheinungen handle, da das Vorkommen von Makropsie bei Epileptikern bekannt ist. Dem ist entgegenzuhalten, dafs nur in einem einzigen Falle (Erwin M.) Konstitutionsmerkmale sich fanden, die als ganz entfernte Ankl\u00e4nge an eine latente epileptoide Anlage aufgefafst werden k\u00f6nnten, ohne dafs jedoch Epilepsie im klinischen Sinne vorlag. Abgesehen davon geh\u00f6rt auch Erwin M. nach den mil ihm an-gestellten Untersuchungen, wie alle unsere Jugendlichen, im klinischen Sinne durchaus zu den Normalen.\nBedenken gegen unsere Ergebnisse k\u00f6nnten noch daraus erwachsen, dafs bei solchen Gr\u00f6fsent\u00e4uschungen doch auch ein fehlerhaftes Operieren mit den Gegenst\u00e4nden Vorkommen m\u00fcfste. Ein solches kommt in der Tat gelegentlich vor. So berichtet uns Ernst H., der inzwischen die Schule verlassen hat und in das Malergesch\u00e4ft seines Vaters eingetreten ist, folgendes Erlebnis, das er beim Anstreichen der Fenster eines Hauses gehabt hat. Er hat bereits den senkrechten Balken eines Fensterkreuzes fertig gestrichen, als sein Vater hinzukommt und ihn darauf aufmerksam macht, dafs er in ganz sinnloser Weise einen Teil der Fensterscheiben mitgestrichen habe. Er kann das zun\u00e4chst nicht einsehen, dann aber bemerkt er ganz pl\u00f6tzlich, dafs es in der Tat der Fall gewesen war. Er versichert, dafs er w\u00e4hrend der Arbeit das Fensterkreuz in dieser Breite wirklich gesehen habe. Ein gedankenloses Darauf losmalen mufs in diesem Falle als v\u00f6llig ausgeschlossen gelten, da die Verzierungen des Fensterkreuzes mit gr\u00f6fser Genauigkeit auf der Fensterscheibe nachgezeichnet waren.\nIm Hinblick auf obigen Einwand ist auch darauf hinzuweisen, dafs die Gr\u00f6fsenwahrnehmung f\u00fcr das Operieren mit den Gegenst\u00e4nden in vielen F\u00e4llen gar nicht die Bedeutung haben wird, wie in dem erw\u00e4hnten Beispiel des jungen Malers. Das Umgehen mit den Gegenst\u00e4nden wird in der \u00fcberwiegenden Mehrzahl der F\u00e4lle von der Gr\u00f6fsenwahrnehmung in weitem Umfang","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n125\nunabh\u00e4ngig sein und darum eine Gr\u00f6fsent\u00e4uschung, auch wenn sie vorhanden ist, gar nicht erkennen lassen. Bei Greifbewegungen z. B. bewegt sich die Hand im allgemeinen mechanisch bis zur Ber\u00fchrung mit dem zu ergreifenden Gegenstand. Sie wird aber nicht etwa wegen einer abweichenden Gr\u00f6fsenwahrnehmung pl\u00f6tzlich in der Luft, vor der Ber\u00fchrung, stillestehen. Dazu kommt, dafs subjektive Vergr\u00f6fserungen der Gegenst\u00e4nde in der Mehrzahl der F\u00e4lle erst in gr\u00f6fserer Entfernung aufzutreten pflegen,","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\n(Ans dem psychologischen Institut der Universit\u00e4t Marburg.)\n\u00dcber die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen in der eidetischen Entwicklungsphase.\nVon\nH. Freiling.\n3. Teil.\n\u00dcber die scheinbare Gestalt.\nJ. ScHWEiCHERhat bereits nach gewiesen, dafs Aufmerksamkeitswanderungen die Gestalt des AB in hohem Mafse beeinflussen. Dafs aber auch die scheinbare Gestalt der in wirklicher Wahrnehmung gegebenen Objekte in gleicher Weise von bestimmten Yerhaltungsweisen der Aufmerksamkeit abh\u00e4ngig ist, wird nunmehr gezeigt werden.\nIn einer ersten Gruppe von Versuchen verriet sich der Ein-flufs von Aufmerksamkeitswanderungen in Gestalt von Angleichungen.1 Die Versuchsanordnung war so gew\u00e4hlt, dafs die Raumgestalt des einen wirklichen Objektes der Anregung von Aufmerksamkeitswanderungen diente, die dann ihrerseits angleichende Wirkungen auf ein zweites Objekt von anderer Gestalt entfalteten.\nDie Versuche wurden mit den Beobachtern der oben bereits mehrfach erw\u00e4hnten Kategorie von Eidetikern ausgef\u00fchrt, bei denen durchweg die scheinbare Vergr\u00f6fserung wirklicher Gegenst\u00e4nde beobachtet worden war, und wo sich also die wirklichen Wahrnehmungen noch in dem anf\u00e4nglichen Stadium der Labilit\u00e4t und Plastizit\u00e4t befinden. Bei allen diesen Beobachtern konnten auch\n1 Vgl. auch E. E.JJaensch, \u00dcber die Wahrnehmung des Raumes. Leipzig lull. S. 217.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n127\nGestaltangleichungen zwischen wirklichen Gegenst\u00e4nden in weitem Umfange nachgewiesen werden.\nDie Versuche verlaufen folgendermafsen :\n50 cm vom Beobachter entfernt wird in Augenh\u00f6he ein rotes Quadrat (5 cm2) auf einem geschweiften Schirm dargeboten, wie ihn schon Sch weicher verwandt hatte (vgl. Fig. 9). Die Vp. hat die Umrifslinien des Schirmes fortgesetzt zu durchwandern und dabei gleichzeitig die Gestalt des wirklichen Quadrates mit zu beachten. Es zeigte sich dann, dafs die Seiten des roten Quadrates dem Beobachter nun nicht mehr gerade erschienen, sondern mehr oder weniger stark gebogen. Bei Erwin M. und Erich Sch. erscheint jeweils nur die dem durchwanderten Schirmrand n\u00e4chstliegende Quadratseite gleichsinnig gebogen, die anderen Quadratseiten bleiben unge\u00e4ndert. Bei Heinrich L., Paul B. und Ernst H. erscheinen dagegen, besonders bei rasch erfolgenden Blickwanderungen, alle Seiten des Quadrates in gleichem Sinne gebogen, so dafs das Quadrat der Schirmgestalt entweder nahezu oder ganz geometrisch \u00e4hnlich wird.\nAuch die Gr\u00f6fse des Quadrates erf\u00e4hrt eine \u00c4nderung, indem es sich der Gr\u00f6fse des Schirmes mehr oder weniger stark angleicht. Nur Paul B. sieht das Quadrat kleiner als es in Wirklichkeit ist. Solche Inversionen stehen auf derselben Stufe mit denen, die wir bei fr\u00fcheren Versuchen (und bei \u00e4hnlichen auch Schweicher) beobachteten und werden analog wie diese zu erkl\u00e4ren sein.\nDafs die angleichenden Wirkungen von Aufmerksamkeits-wanderungen hervorgerufen werden, geht daraus hervor, dafs die Angleichungserscheinungen ausbleiben, wenn der Beobachter sich bei der Betrachtung v\u00f6llig passiv verh\u00e4lt, d. h. die Blick-und Aufmerksamkeitswanderunngen tunlichst vermeidet.\nDie Versuche wurden auf einem kreisf\u00f6rmigen Projektionsschirm (Durchmesser 19.5 cm) wiederholt. Hier waren die Angleichungen des roten Quadrates an den Schirm noch st\u00e4rker als vorher. Dies d\u00fcrfte darin seinen Grund haben, dafs die Aufmerksamkeitswanderungen sich l\u00e4ngs der Kreisperipherie leichter und schneller vollziehen lassen, als l\u00e4ngs der komplizierten Umrifslinien des geschweiften Schirmes, dessen Ecken stets eine Umkehr in der Richtung der Aufmerksamkeits- und Blick Wanderung, und damit eine Aufhaltung derselben bedingen. Gaben wir also der Vp. nach Darbietung des roten Quadrates auf dem","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nH. Freiling.\nkreisf\u00f6rmigen Schirm die gleiche Instruktion zur Durchwanderung wie oben, so zeigte sich folgendes: Bei Erwin M. ist die Grundform des Quadrates zwar noch zu erkennen, aber es zeigt deutlich abgerundete Ecken. Bei allen anderen Beobachtern erscheint das Quadrat vollkommen in einen Kreis verwandelt, dessen Gr\u00f6fse sich auch hier mehr oder weniger weitgehend der des Schirmes ann\u00e4hert.\nIn unverkennbarer Weise war auch bei diesen Versuchen die Bedeutsamkeit von Erfahrungsmotiven zu beobachten, soweit solche vorhanden sind. Wir boten nacheinander dar: einfache geometrische Figuren, die aus homogenem Papier ausgeschnitten waren, dann kleine bildliche Darstellungen und schliefslich vollk\u00f6rperliche Objekte. Bei der Darbietung geometrischer Figuren findet die Angleichung an den Schirm in gleicher Weise wie oben statt. Die Figuren werden zu mehr oder weniger regelm\u00e4fsig gekr\u00fcmmten Kreisfl\u00e4chen. Anders schon verlaufen die Versuche bei Darbietung von Bildern, z. B. eines Giebelhauses oder einer roten Rose mit deutlich ausgebuchteten, eckigen R\u00e4ndern. Bei Erich Sch. und Ernst K. werden zwar jetzt noch bei Blick- und Aufmerksamkeitswanderungen l\u00e4ngs des Umfanges des Schirmes die Ecken abgerundet, aber Rose und Giebelhaus sind noch deutlich als solche zu erkennen. Sie \u00e4ndern also ihre Gestalt nicht wesentlich. Bei Paul B. und Heinrich L., deren Wahrnehmungen noch sehr labil sind, findet selbst hier eine vollkommene Angleichung an die Kreisform des Schirmes statt. Nicht nur werden die ausgebuchteten R\u00e4nder der Rose abgerundet, die Bl\u00fcte erscheint auch im Innern vollkommen ge\u00e4ndert, indem sie jetzt nur als eine schmutzig-rote Fl\u00e4che gesehen wird. Bei Darbietung vollk\u00f6rperlicher Objekte endlich bleiben die Angleichungen bei allen Beobachtern, mit Ausnahme von Paul B. und Heinrich L., aus. Die Figur eines Tigers oder eines Soldaten wird zu einer dreidimensionalen, etwa kreisf\u00f6rmig begrenzten Masse umgeformt, die nichts mehr von der urspr\u00fcnglichen Gestalt erkennen l\u00e4fst.\nAngleichungserscheinungen \u00e4hnlicher Art konnten auch bei einer anderen Versuchsanordnung deutlich beobachtet werden. Wir boten in 50 cm Entfernung vom Beobachter einen geraden Eisendraht dar, der in vertikaler Richtung aufgeh\u00e4ngt war und n\u00e4herten diesem von der Seite her einen zweiten Draht aus gleichem Material, der entweder wellen- oder zickzackf\u00f6rmig ge bogen war (vgl. Fig. 10). Die Vp. hat den dah\u00e4ngenden geraden","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usw.\n129\nDraht aufmerksam zu beachten und anzugeben, ob sich bei N\u00e4herung des anderen Drahtes an ersterem \u00c4nderungen irgendwelcher Art bemerkbar machen oder nicht. Es zeigte sich, dafs bei zunehmender Ann\u00e4herung der gerade Draht zun\u00e4chst nur ganz schwach die Kr\u00fcmmungen des gebogenen Drahtes annahm, die dann bei noch gr\u00f6fserer Ann\u00e4herung wuchsen. Im Optimalfalle erschienen dem Beobachter beide Dr\u00e4hte von gleicher Gestalt nebeneinander.\nBei diesem Angleichungsvorgang erfolgte a Iso eine\n\u00dcbertragung der Gestalt, die der oben erw\u00e4hnten\n\u2022 \u2022\n\u00dcbertragung von Farben und Bewegungen entspricht.\nWurde zun\u00e4chst der gebogene Draht dargeboten und der gerade dann von der Seite her gen\u00e4hert, so begann ersterer sich zu strecken und wurde immer gerader. Er konnte von einzelnen Beobachtern bei hinreichend kleinem Abstande der beiden Dr\u00e4hte voneinander vollkommen gerade gesehen werden, wie der andere Draht.\nIn diesen F\u00e4llen war es also stets der bewegte und damit eindringlichere Draht, dessen Gestalt sich auf den anderen \u00fcbertrug. Der Einflufs von Erfahrungen konnte auch hier deutlich beobachtet werden. Wurden z. B. Dr\u00e4hte von verschiedener Dicke verwandt, so zeigte sich, dafs d\u00fcnne gerade Dr\u00e4hte in viel ausgepr\u00e4gterem Mafse die Konturen des gebogenen Drahtes annahmen als Dr\u00e4hte von gr\u00f6fserem Querschnitt. Verwandten wir z. B. die St\u00e4be von eisernen Stativen, so konnte bei ihnen im allgemeinen \u00fcberhaupt keine \u00c4nderung der Gestalt beobachtet werden. Bestand umgekehrt der gebogene Draht aus d\u00fcnnem, also leicht biegsamem Material, so war die Angleichung an den geraden Draht erheblich st\u00e4rker als bei dickeren Dr\u00e4hten.\nEs erfolgte aber nicht immer eine einseitige \u00dcbertragung der Gestalt des einen Drahtes auf den anderen. Zuweilen fand auch eine wechselseitige Beeinflussung statt (bei Ernst H. und auch bei Vpn. ausw\u00e4rtiger Untersuchungen). Der gerade Draht nahm dann die Konturen des gebogenen Drahtes an, w\u00e4hrend der gebogene gleichzeitig die Tendenz zeigte, sich dem geraden Draht anzugleichen.\nBei Ernst H. konnte bei diesen Versuchen die auffallende Tatsache beobachtet werden, dafs beide Dr\u00e4hte nur dann getrennt\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 55.\t9\nFigur 10.","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nH. Freiling.\ngesehen werden konnten, wenn derSeitenabstand wenigstens 2\u20143 cm betrag. War der Abstand geringer, so verschmolzen beide Dr\u00e4hte f\u00fcr den Beobachter zu einem einzigen Draht. Diese letztere Beobachtung ist nachtr\u00e4glich noch bei mehreren anderen Vpn. gemacht worden. Bei Maria L. fand die scheinbare Vereinigung zweier F\u00e4den in der Weise statt, dafs, wenn beispielsweise ein blauer und ein roter Wollfaden nebeneinander dargeboten wurde, nachher nur ein Faden gesehen wurde, der abwechselnd aus \u00fcbereinander gelegenen blauen und roten Fadenst\u00fccken zu bestehen schien. Aus solchen eigent\u00fcmlichen Einzelheiten, die von dem Resultat weit abweichen, das der Versuchsleiter zur Not erwarten k\u00f6nnte, geht besonders deutlich hervor, dals es sich nicht um eine Suggestionswirkung handeln kann, wie hier noch einmal ausdr\u00fccklich hervorgehoben sein mag.\nZusammenfassung der Hauptergebnisse und Abschlufs.\nAus unseren Untersuchungen ergibt sich, dafs auch die Wahrnehmungen der Jugendlichen von denen der Erwachsenen erheblich abweichen. Sie stehen in der eidetischen Entwicklungsphase den AB der Jugendlichen mehr oder weniger nahe und zeigen darum auch wie diese eine sehr plastische Natur, d. h. eine starke Reaktionsf\u00e4higkeit auf Umweltreize und psychische Faktoren. Dieses Verhalten der Wahrnehmungen konnte in vorstehender Untersuchung in weitem Umfange dargetan werden. Wir konnten zeigen,\n1.\tdafs die Lokalisation wirklicher Gegenst\u00e4nde m hohem Mafse von den Verhaltungsweisen der optischen Aufmerksamkeit abh\u00e4ngig ist. Die Objekte der Umwelt k\u00f6nnen durch Blick- und Aufmerksamkeitswanderungen in weitgehendstem Mafse verlagert werden. F\u00fcr den n\u00e4heren Charakter des Vorganges sind neben den Aufmerksamkeitswanderungen zugleich auch Erfahrungseinfl\u00fcsse bestimmend. So werden diejenigen Gegenst\u00e4nde innerhalb o-ewisser Grenzen besonders leicht verlagert, die nach Masse und Gewicht dem Beobachter \u201eleicht\u201c erscheinen. Dagegen ist die Verlagerung gering, oder sie findet gar nicht statt, wenn der betreffende Wahrnehmungsgegenstand mit anderen Gegenst\u00e4nden zu einem gr\u00f6fseren Komplex fest verbunden ist.\n2.\tNicht nur das Objekt als Ganzes kann verlagert werden, sondern es k\u00f6nnen auch einzelne Teilinhalte von einem Sehding","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen usic.\n131\nauf ein anderes \u00fcbertragen werden. So k\u00f6nnen Farben- und Bewegungserscheinungen eines im Gesichtsfeld dargebotenen Gegenstandes unter bestimmten Verhaltungsweisen auch an einem anderen gleichzeitig im Gesichtsfeld dargebotenen Gegenstand gesehen werden.\n3.\tIn weitgehendstem Mafse ist die scheinbare Gr\u00f6fse der Sehdinge in der eidetischen Entwicklungsphase von den Verhaltungsweisen der optischen Aufmerksamkeit abh\u00e4ngig. Das Ph\u00e4nomen der Sehgr\u00f6fse zeigt in diesem Entwicklungsstadium in vieler Hinsicht anderen Charakter als beim Erwachsenen. Die scheinbare Gr\u00f6fse sich entfernender Gegenst\u00e4nde kann bei Jugendlichen mit starker eidetischer Anlage innerhalb gewisser Grenzen mehr oder weniger stark wachsen, sie kann also das Gr\u00f6fsen-verhalten der AB zeigen, die ja auch im allgemeinen bei zunehmender Entfernung anwachsen.\n4.\tDie relative Gr\u00f6fsenkonstanz der Sehdinge d\u00fcrfte im eidetischen Entwicklungsstadium ihre Ausbildung erfahren. Bekanntlich nimmt die scheinbare Gr\u00f6fse sich entfernender Gegenst\u00e4nde nicht proportional der Gr\u00f6fse des Netzhautbildes ab, sondern in viel geringerem Mafse, weist also eine gewisse Konstanz auf. Nun sind bereits die Vorstellungen in hohem Mafse gr\u00f6fsenkonstant. Da sie im Laufe der Entwicklung allm\u00e4hlich das \u00dcbergewicht \u00fcber alle anderen Stufen der Ged\u00e4chtnisbilder erhalten, so werden sie den Wahrnehmungen, die im eidetischen Entwicklungsstadium noch sehr biegsam sind, bei fortschreitender Entwicklung schliefslich ihre eigenen Gesetzm\u00e4fsig-keiten auf pr\u00e4gen, und damit auch das Verhalten ihrer Gr\u00f6fse.\n5.\tDie plastische Natur der Wahrnehmungen der Jugendlichen l\u00e4fst sich nicht blofs unter besonderen Versuchsbedingungen aufweisen, sie ist vielmehr auch im Alltagsleben der Jugendlichen, wie ihre Eigenbeobachtungen beweisen, eine verbreitete Erscheinung.\n6.\tNicht nur die scheinbare Gr\u00f6fse der Dinge, d. h. ihre Ausdehnung nach H\u00f6he und Breite, zeigt einen noch unstarren plastischen Charakter, sondern auch ihre Gestalt. Gleichzeitig im Gesichtsfeld dargebotene Gegenst\u00e4nde zeigen in hohem Mafse die Erscheinung der Gestaltangleichung. Die durch die Gestalt eines dargebotenen Gegenstandes angeregten Aufmerksamkeitswanderungen k\u00f6nnen die Gestalt eines gleichzeitig mit ihm dargebotenen anderen Gegenstandes weitgehend beeinflussen, indem\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nH Freiling.\nletzterer sich der Gestalt des ersteren anzugleichen sucht. Auch hier wird die Gestalt\u00e4nderung von Erfahrungseinfl\u00fcssen modifiziert, insofern Gegenst\u00e4nde mit einer aus der Erfahrung bekannten Gestalt dieser Umwandlung schwerer oder gar nicht\nunterliegen.\nAus dem Umstand, dafs diese Untersuchungen an den verschiedensten Orten immer wieder best\u00e4tigt werden konnten, geht hervor, dafs es sich hier nicht etwa um eine Abnormit\u00e4t handelt. Ferner lassen sich abgeschw\u00e4chte Erscheinungen dieser Art auch schon bei ganz rudiment\u00e4rer eidetischer Jugendanlage nachweisen, wie unter anderem bereits aus der Arbeit von Busse hervorgeht, wo selbst bei abklingender und schon ganz schwacher eidetischer Anlage immer noch ein EinHufs derselben auf die Sehgr\u00f6fse wirklicher Gegenst\u00e4nde nachweisbar -war. Wie auff\u00e4llig also die vorstehend beschriebenen Ph\u00e4nomene zun\u00e4chst erscheinen m\u00f6gen, so handelt es sich doch hier nur um die Analyse von h allen, die in m\u00f6glichst deutlicher und reiner Form eine Eigent\u00fcmlichkeit zeigen, welche in abgeschw\u00e4chtem Mafse in der eidetischen Jugendphase allgemein verbreitet und am Aufbau der normalen Wahrnehmungswelt wesentlich mitbeteiligt sein wird.\nDiese Eigent\u00fcmlichkeit der jugendlichen Wahrnehmung ist besonders zu betonen angesichts der noch immer sehr verbreiteten Ansicht, dafs die Ergebnisse sinnespsychologischer Untersuchungen an Jugendlichen gegen\u00fcber den bei Erwachsenen erhaltenen Resultaten nicht ab weichen k\u00f6nnen.1\n1 Diese Anschauung \u00e4ufsert z. B. O. Lipmann in seiner \u201ePsychologie f\u00fcr Lehrer\u201c. Leipzig 1921. S. 7.","page":132}],"identifier":"lit36084","issued":"1923","language":"de","pages":"69-85, 86-125, 126-132","startpages":"69","title":"\u00dcber die r\u00e4umlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen in der eidetischen Entwicklungsphase [1. Teil: \u00dcber den scheinbaren Ort / 2. Teil: \u00dcber die scheinbare Gr\u00f6\u00dfe / 3. Teil: \u00dcber die scheinbare Gestalt]","type":"Journal Article","volume":"55"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:44:37.064944+00:00"}