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{"created":"2022-01-31T16:44:17.641291+00:00","id":"lit36091","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Mayer, B.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 58: 32-37","fulltext":[{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\n(Ans dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t Freiburg \u00ee. B.)\n\u00dcber die Ortsbestimmung von reinen Schmerzempfindungen\nVon\nB. Mayer (Freiburg i. B.)\nMit 1 Textabbildung\n1. Einleitung\nIn einem \u201eBeitrag zur Lokalisation der Schmerzempfindungen\u201c1 habe ich \u00fcber die Feststellung berichtet, dafs Schmerzreize schlechter lokalisiert werden als Druckreize. Dieses Ergebnis widerlegte die Befunde von Ponzo,2 3 * der 1911 unter der Leitung von Ki\u00ebsow die gleiche Frage experimentell zu l\u00f6sen suchte und die Lokalisationsfehler an verschiedenen Hautstellen bei Anwendung von Druckreizen etwas gr\u00f6fser fand als bei Schmerzreizen.\nDie Differenz zwischen den beiden Ergebnissen vermochte in der Art der Reizmittel ihre Erkl\u00e4rung zu finden: Ich bediente mich der v. FRExschen Stachelborste8, mit deren Hilfe man in der \u00fcberwiegenden Mehrzahl der F\u00e4lle reine Schmerzempfindungen erzeugen kann, w\u00e4hrend Ponzo mit einer zugespitzten Nadel arbeitete, mittels deren zumeist neben Schmerz-auch Druckempfindungen ausgel\u00f6st werden.\n1\tMayer, B., Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 56, 141. 1924.\n2\tPonzo, M., Recherches sur la localisation des sensations tactiles et dolorifiques. Arch. ital. de biol. 55, 1. 1911.\n3\ty. Frey, M., Versuche \u00fcber schmerzerregende Reize. Zeitschr. f.\nBiol. 76, 1. 1922.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Ortsbestimmung von reinen Schmerzempfindungen\n33\nVor einiger Zeit erschien nun in dem Archivio ital. di psico-logia ein Aufsatz von Ponzo in welchem er meine Abhandlung .einer eingehenden Kritik unterzieht. Das gleiche geschah durch Kiesow 2 in der Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie. Beide Autoren weisen darauf hin, dafs nicht das Reizmittel, sondern die verschiedene Methode der Ortsbestimmung die widersprechenden Ergebnisse erkl\u00e4rt. Ponzo hatte n\u00e4mlich entsprechend dem Verfahren von Weber mit Hilfe eines eigenen St\u00e4bchens die Reizstelle aufsuchen lassen. In meinen Versuchen wurde dagegen nach einem Verfahren von Volkmann vorgegangen, der die vermutliche Reizstelle einfach zeigen liefs, ohne ein Ber\u00fchren oder Suchen zuzulassen. Auf diese Weise w\u00e4re von mir nicht die Lokalisation von Schmerzreizen untersucht worden, vielmehr die Strahlungen der Schmerzempfindungen, die nat\u00fcrlich zu gr\u00f6fseren Lokalisationsfehlern f\u00fchren m\u00fcfsten.\nEs erschien zweckm\u00e4fsiger, statt mit Worten zu argumentieren,, das Problem noch einmal experimentell anzufassen, wobei nunmehr entschieden werden sollte, ob sich ein Unterschied in der Lokalisation von Schmerz- und Druckreizstellen ergibt, je nachdem man nach der Methode von Volkmann oder Weber vorgeht.\t*\n2. Eigene Untersuchungen\nDie Versuchsanordnung war im wesentlichen die gleiche wie fr\u00fcher. Die Vp. safs dem Versuchsleiter mit geschlossenen Augen gegen\u00fcber, ihr Arm war in bequemer Stellung auf einem Kissen gebettet. S\u00e4mtliche Versuche wurden diesmal auf der Volar-seite des linken Unterarms ausgef\u00fchrt, also in einer dritten K\u00f6rpergegend. Fr\u00fcher war n\u00e4mlich auf der Volarseite des Oberarms und der Schl\u00fcsselbeingegend experimentiert worden. Vor Inangriffnahme jeder Versuchsserie fand eine sorgf\u00e4ltige Entfernung der Haare auf dieser Hautgegend statt. Zur leichteren Ausmessung der \u201eFehler\u201c wurde sodann auf dem Unterarm mittels eines Stempels eine Netzeinteilung angebracht. Diese umfafste 50 Quadrate von ca. 1,0 cm Seitenl\u00e4nge. Eine gleiche Einteilung befand sich auf dem Protokoll. Auf diesem\n1\tPonzo, M., Sulla localizzazione delle sensazioni tattili e dolorifiche.\nArch. ital. di psicol. 4, 88.\t1925.\n2\tKiesow, F., Zur Frage nach der Lokalisation der Hautempfindungen. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 56, 322. 1925.\n3\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 58.","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nB. Mayer\nfixierte man 20 Punkte, die im Versuche durcheinander gereizt wurden. Nach jedem Einzelexperiment vermerkte man den vermeintlichen Reizort und verband ihn mit dem wirklichen durch einen Strich. Die L\u00e4nge dieser Linie ergab dann die Fehler, aus denen nach der Methode der Fehlerquadrate der mittlere Fehler berechnet wurde.\nDie Druckempfindungen wurden mit Hilfe von v. FaEYschen Reizhaaren und zwar von dem Spannungswert von 1,3 und 10 g/mm, die Schmerzempfindungen mittels einer von v. FaEYschen Stachelborste (Stacheln von Carduus acanthoides) von dem Spannungswert von 0,5 gl mm gesetzt. Es bedarf nach den Ausf\u00fchrungen von v. Feey keiner besonderen Betonung, dafs mit Hilfe dieser Reizmittel nicht immer der entsprechende Empfindungserfolg erzeugt wird. Man beobachtet bei Verwendung von Reizhaar 3 g/mm statt feiner Ber\u00fchrungs- vielfach feine Stichempfindungen; auf der anderen Seite treten nach Aufsetzen einer Stachelborste von 0,5 g/mm auf die Haut in ca. 40\u00b0/0 der F\u00e4lle Ber\u00fchrungsund Schmerzempfindungen gepaart auf. Es handelt sich dabei um Empfindungskomplexe, in denen sich zuerst eine Druckempfindung bemerkbar macht, die nach kurzer Zeit, 1\u20142 Sekunden, von einer lebhaften Schmerzempfindung gefolgt ist.\nBei jedem Versuche wurde sorgf\u00e4ltig die Art der Empfindung vermerkt, ob es sich um Ber\u00fchrung oder Schmerz handelt oder ob beides zugleich eintrat. Wenn es sich um die Bestimmung der Lokalisationsfehler bei reinen Druckreizen handelte, wurden nat\u00fcrlich nur diejenigen Versuche verwertet* bei denen der entsprechende Erfolg auch in reiner Form aufge-treten war. In gleicher Weise wurden bei Untersuchung der Lokalisationsfehler nur diejenigen Experimente benutzt, bei denen reiner Schmerz verzeichnet werden konnte. Im Verlaufe einer Versuchsserie wurde die gleiche Stelle nicht \u00f6fter als einmal gereizt.\nEntsprechend dem gesteckten Ziele f\u00fchrte ich zwei Versuchsreihen durch. Es handelte sich um Bestimmung der Lokalisationsfehler f\u00fcr Ber\u00fchrung, Schmerz und den Empfindungskomplex Ber\u00fchrung und Schmerz bei Verwendung der Volk-MANNschen und der WEBERschen Methode. Bei meinen Versuchen hatte ich mich der Unterst\u00fctzung von Herrn Dr. Hubert Strug-hold zu erfreuen, dem auch an dieser Stelle herzlichst gedankt sein soll. Wir waren uns abwechselnd Versuchsperson und Versuchsleiter.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Ortsbestimmung von reinen Schmerzempfindungen\n35\nReine Schmerz-empfindungen Stachelborste\nDruck und Schmerz Reizhaar\na) Lokalisationsfehler bei Druck-, Schmerz- und komplexen Druck- und Schmerzempfindungen nach\nder Methode von Volkmann\nIn der Tabelle 1 sind die Lokalisationsfehler f\u00fcr zwei Vpn. bei reinen Druck- und Schmerzreizen zusammengestellt. Es handelt sich um die mittleren Fehler aus je 20 Versuchen.\nTabelle 1\nMittlere Lokalisationsfehler in mm f\u00fcr Druck-, reine Schmerzempfindungen sowie die Komplexe aus Druck und Schmerz nach Volkmann\nReine Druckempfindungen Reizhaar\n1 g/m 3 g/mm\n1\t(M) 12,3\t12,6\n2\t(S) 12,9\t12,9\nAus den Werten geht in stren-\u2022\u2022 # ger \u00dcbereinstimmung mit den fr\u00fcher gewonnenen Ergebnissen hervor, dafs die Lokalisation der Schmerze mp-findungen erheblich schlechter erfolgt als die der Druckempfindungen (vgl. auch Abb. 1).\nEs ergibt sich aber auch die merkw\u00fcrdige Tatsache, dafs die Komplexe aus Ber\u00fchrung und Schmerz erheb\nDruckempfindungen\n.. , ,\t,\th \u00bbft m h m Komplexe aus Druck und Schmerz\nlieh besser IO- .................Reine Schmerzempfindungen\nkalisiert wer- Abbildung 1. Lokalisationsfehler bei Druck-, reinen\ndfvn nlci Hip rpinpn Schmerz- und komplexen Druck- und Schmerz-\u2019\tempfindungen nach der Methode von Volkmann.\nDruck- U. Schmerz- Der kleine Kreis deutet den objektiven Reizort an.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nB. Mayer\nempfindungen. Eine Deutung dieser Erscheinungen kann ich vorerst nicht geben. Denn es l\u00e4fst sich sehr gut denken, dafs sich die Fehler bei solchen Komplexen zwischen die bei Schmerz und Druck einreihen; dafs sie aber kleiner sind als beide, ist v\u00f6llig \u00fcberraschend. Ich habe mich aber von dieser Erscheinung in so vielen Versuchen \u00fcberzeugt, dafs an ihrer Richtigkeit nicht gezweifelt werden kann.\nb) Lokalisationsfehler bei Druck-, Schmerz- und komplexen Druck- und Schmerzempfindungen nach\nder Methode von Weber\nIn diesem Falle war es der Versuchsperson erlaubt, die Reizstelle zu suchen. Als Vorrichtung zur leichteren Auf-\nm \u2022\nfindung der \u00d6rtlichkeit, an der eine Druckempfindung ausgel\u00f6st wurde, gelangte nat\u00fcrlich ein Reizhaar von 1 g/mm Spannungswert zur Verwendung. F\u00fcr das Aufsuchen der Schmerzreizstellen sollte urspr\u00fcnglich eine Stachelborste benutzt werden. Es stellte sich aber sehr bald heraus, dafs die Schmerzempfindungen, die auf diese Weise neu gesetzt werden, die Vp. in die gr\u00f6fste Verwirrung bringen. Die Fehler wachsen so gewaltig an, dafs von einer einigermafsen richtigen Lokalisation keine Rede mehr sein kann. Wir bedienten uns deshalb beim Suchen eines scharf zugespitzten Elfenbeinst\u00e4bchens. Hierbei zeigte sich, dafs zumeist schlecht, gelegentlich aber auffallend gut lokalisiert wird. Die Ursache f\u00fcr die bessere Lokalisation ist darin zu erblicken, dafs die schmerzhaften Nachempfindungen sofort verschwinden, wenn man beim Suchen durch Zufall in die N\u00e4he der wirklichen Schmerzreizstelle ger\u00e4t. Auf diese Weise kann man verstehen, dafs sich der mittlere Fehler bei der Lokalisation nach Webebs Methode geringer erweist als nach dem VoLKMANNschen Verfahren. S. Tabelle 2. Ich m\u00f6chte aber mit Nachdruck darauf hinweisen, dafs es sich um eine Verbesserung des Ergebnisses auf Grund einer Unterdr\u00fcckungserscheinung handelt.\nTabelle 2\nMittlere Lokalisationsfehler in mm f\u00fcr Druck-, reine Schmerzempfindungen\nsowie die Empfindungskomplexe aus Druck\nMethode\nDruckempfindungen Reizhaar Vp.\to g/mm\n1\t12,0\n2\t11,4\nSchmerzempfindungen Stachelborste 0,5 g/mm 16,8 15,4\nund Schmerz nach Webebs\nDruck und Schmerz Stachelborste 1 g/mm 11,2 11,0","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Ortsbestimmung von reinen Schmerzempfindungen\n37\nAus den Zahlenwerten der Tabelle geht hervor, dafs auch nach Webees Methode die Schmerzreizstellen schlechter lokalisiert werden als die Druckreizorte. Die Fehler bei der Lokalisation von Empfindungskomplexen, die aus Ber\u00fchrung und Schmerz bestehen, sind nach dieser Methode wieder etwas geringer als die f\u00fcr reine Ber\u00fchrungs- oder Schmerzempfindungen.\nEs wurden noch einige Versuche mit einer Nadel angestellt, wie sie Ponzo bei seinen Versuchen angewandt hat. In der \u00fcberwiegenden Anzahl der F\u00e4lle (\u00fcber 80 \u00b0/0) werden auf diese Weise komplexe Empfindungen ausgel\u00f6st, die sich aus Ber\u00fchrung und Schmerz zusammensetzen. Es kann nunmehr nicht weiter \u00fcberraschen, dafs dann die mittleren Lokalisationsfehler wieder kleiner sind und ann\u00e4hernd den in Tabelle 2 niedergelegten Werten entsprechen, die mittels einer Stachelborste von 1 g/mm gewonnen wurden.\n3. Zusammenfassung der Yersuchsergebnisse\nIn vollkommener \u00dcbereinstimmung mit den fr\u00fcheren Befunden stellte sich heraus, dafs Schmerzreize schlechter lokalisiert werden als Druckreize. Ob man als Verfahren zur Ortsbestimmung das von Volkmann oder Webek ben\u00fctzt, ist f\u00fcr dieses Ergebnis gleichg\u00fcltig. Die Differenz zwischen den mittleren Lokalisationsfehlern ist aber bei der zweiten Methode etwas geringer. Dies l\u00e4fst sich darauf zur\u00fcckf\u00fchren, dafs die schmerzhaften Nachempfindungen sozusagen schlagartig auf h\u00f6ren, wenn man beim Suchen in die N\u00e4he der wirklichen Schmerzreizstelle kommt. Gelegentlich findet also auf dem Umwege \u00fcber eine Unterdr\u00fcckungserscheinung eine etwas bessere Lokalisation statt, die die mittleren Fehler etwas g\u00fcnstiger gestaltet.\nAls merkw\u00fcrdiger Nebenbefund hat sich bei meinen Versuchsreihen herausgestellt, dafs die Reizorte dann besonders sicher angegeben werden, wenn als Empfindungserfolg Ber\u00fchrung und Schmerz zu verzeichnen ist. Diese \u00cfest-stellung spricht von neuem und mit aller Eindringlichkeit daf\u00fcr, dafs in Ponzos Versuchen bei der Lokalisation der mit einer Nadel gesetzten Stichschmerzreize die Druckempfindung den Ausschlag gegeben hat.","page":37}],"identifier":"lit36091","issued":"1927","language":"de","pages":"32-37","startpages":"32","title":"\u00dcber die Ortsbestimmung von reinen Schmerzempfindungen","type":"Journal Article","volume":"58"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:44:17.641297+00:00"}