Open Access
{"created":"2022-01-31T16:50:43.828580+00:00","id":"lit36136","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wirth, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 18: 49-90","fulltext":[{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus dem psychologischen Seminar der Universit\u00e4t M\u00fcnchen.)\nVorstellungs- und Gef\u00fchlscontrast.\nVon\nWlLHELM WlBTH.\nI - ) a a s\u00f6ge n a n nie allgemeine psychologisch e\nContrastprincip.\nDer psychische Vorgang\u00bb den wir bei der Wahrnehmung der \u00e4ufseren Objecte erleben\u00bb ist naturgemifs von zwei Factoren abh\u00e4ngig\u00bb n\u00e4mlich von der Beschaffenheit der Objecte und von der Verfassung unserer Pers\u00f6nlichkeit im allgemeinsten Sinne des Wortes. So mufs es denn fortw\u00e4hrend Vorkommen\u00bb dafs die n\u00e4mlichen Objecte zu verschiedenen Zeiten einen anderen psychischen, Effect erzielen\u00bb wenn, die Verfassung der Pers\u00f6nlichkeit in jenen Zeitpunkten sich verschieden gestaltet So halten wir z. B. h\u00e4ufig die n\u00e4mlichen ohjectiven Grade von Qualit\u00e4ten f\u00fcr verschieden\u00bb die gleichen \u00e4ufseren Verh\u00e4ltnisse erwecken in uns die verschiedensten Gef\u00fchle u. s. w.\nEin greiser Theil dieser Modificationen, welche die Auffassung von Objecten in Folge der jeweiligen Verfassung der Pers\u00f6nlichkeit erleidet\u00bb f\u00e4llt nun. nach der Meinung vieler Psychologen unter die Wirkungen eines ganz besonderen Principes innerhalb des Vorstellungs- und Gef\u00fchlslebens. Die Auffassung der ohjectiven Thatbest\u00e4nde und die einzelnen psychischen Zust\u00e4nde sollen ganz allgemein durch das sogenannte Contrast-gesetz beeinflufst werden, Sehr h\u00e4ufig findet man dieses Princip eitirt, ohne dafs es seihst vor seiner Anwendung n\u00e4her auf seinen eigentlichen Sinn und seine Berechtigung untersucht worden w\u00e4re. Man scheint es dabei vielmehr als eine bekannte That-sache anzusehen, die in der Natur der Psyche wurzele und keiner weiteren Erkl\u00e4rung bed\u00fcrfe. Die erste ausf\u00fchrlichere Behandlung finden vir bei Fechner im zweiten Bande seiner \u201eVor-\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVBL\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"m\nWilhelm Wirth.\nschule der Aesthetik\u201c beim \u201eFrincip des \u00e4sthetischen Contrastes.\u201c 1\nWegen ihrer Wichtigkeit f\u00fcr die folgenden Ausf\u00fchrungen darf ich di\u00a9 betreffende Stelle wohl w\u00f6rtlich anf\u00fchren : \u201e ... So \u00fcbt schon r\u00fccksichtslos auf \u00e4sthetische Mitbestimmung der Gegensatz von Schwarz und Weife, Roth und Gr\u00fcn eine Wirkung auf das Auge, die nicht als Summe der Wirkungen erkl\u00e4rt werden kann, welche Schwarz und reifs, Roth und Gr\u00fcn f\u00fcr sich zu \u00e4ufsem verm\u00f6chten, und verm\u00f6ge deren das Schwarz schw\u00e4rzer, das Weife weifser etc. erscheint, als f\u00fcr sich betrachtet So erscheint ein grofeer Mann einem Riesen und vollends einem Volk von Riesen gegen\u00fcber Mein, ein kleiner Mann einem Zwerg\u00a9 oder Zwergenvolk gegen\u00fcber grofe. .... 'Was nun in dieser Beziehung von \u00e4sthetisch indifferenten Reizen gilt, gilt auch von \u00e4sthetisch differenten, so dafe man im Allgemeinen sagen kann : Bas Lustgebende giebt um so mehr Lust, je mehr es in Contrast mit Unlustgebenden oder weniger Lustgebenden tritt, wozu ein entsprechender Satz f\u00fcr das I Fnlustgebend\u00a9 tritt ..\nDie Ver\u00e4nderungen des Farbencharakters bei gleichbleibendem physikalischen Reize, die man gew\u00f6hnlich als Farbeneon-traste bezeichnet, sodann die Verschiebungen in der quantitativen Sch\u00e4tzung der Merkmale eines und des n\u00e4mlichen Wahrnehmungsobjectes, und endlich die Gegens\u00e4tze innerhalb des Gef\u00fchlslebens, welch\u00a9 wir kurz Gef\u00fchlscontraste nennen wollen, sind also hiermit von Fechmeb insgesainmt als die Folgen eines psychologischen Principes gekennzeichnet.\nDieser Zusammenfassung der erw\u00e4hnten Erscheinungen hat sich auch H\u00f6ffxuno angeschlossen,1 Die Empfindungen sind f\u00fcr ihn ihrer Qualit\u00e4t nach niemals unabh\u00e4ngig von einander, es besteht ein sogenanntes Beziehungsgesetz, dessen Wirkung sich ganz analog derjenigen des Contrastprincipes gestaltet Es findet Anwendung auf die Temperaturempfindungen, das Bewu\u00dftsein von Ruhe und Bewegung, die Farbenempfindungen und andere, endlich aber auch auf die Gef\u00fchle der Lust und Unlust\nWas nun die genannten Autoren hiermit leisten, besteht in\nWahrheit einzig darin, dafe sie alle diejenigen F\u00e4lle unter eine\n1 II, \u00df. 231.\n8 H\u00f6fvding, Psychologie, B. 146 ff. u. S. 383 ff.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellung*- und Qef\u00fchUcontrast\n51\nKlasse zusammenfassen, in denen beim Zusammentreffen irgendwie gegens\u00e4tzlicher Bewnfstseinsinhalt\u00a9 der zwischen ihnen begehende Gegensatz gesteigert erscheint Aber jene Psychologen wollen nicht blos eine solche \u00e4ufserliche Zusammenfassung geben. Wenn, Fbchneb die eine Gruppe von F\u00e4llen durch den Hinweis auf die andere zu erkl\u00e4ren meint, oder B\u00f6ffmng die ganze Gruppe aie SpeciaJfali seines allgemeinen Beziehungsgesetzes erkl\u00e4rt, so 'wird damit doch all diesen Erscheinungen eine innere Verwandtschaft zugeschrieben. Noch deutlicher Mit die letztere bei denjenigen Autoren hervor, die aus dem vermeintlich nun einmal gegebenen Contrastgesetz auch bereits zu deduciren suchen. In solchen F\u00e4llen, in denen an irgendwelchen Bewusstseinsinhalten eine noch unerkl\u00e4rte Steigerung oder Verminderung trotz gleicher \u00e4ufserer Beize zu Tage tritt, sucht rn.au, irgend eine Gegens\u00e4tzlichkeit zu eonstatiren, und glaubt damit die vorliegende Steigerung oder Herabminderung nach dem allgemeinen Contrastprinzip erkl\u00e4rt zu haben. In dieser Weise ist z. B. M\u00fcller-Lyeh in, seiner Erkl\u00e4rung gewisser optischer T\u00e4uschungen vorgegangen.1 * * M, will die scheinbare Vergr\u00f6fserung oder Verkleinerung von r\u00e4umlichen Extensionen analog dem Farbencontraste aus deren gegenseitigem \u201eContrast\u201c erkl\u00e4ren. Er glaubt zu finden, dafs von zwei senkrecht zu einander stehenden oder entgegengesetzt laufenden Extensionen immer die gr\u00f6fsere \u00fcbersch\u00e4tzt, die kleinere hingegen untersch\u00e4tzt wird. Dies erkl\u00e4rt er damit, dafs er den Wahrnehmungen der in dieser Weise gegens\u00e4tzlichen Extensionen gegens\u00e4tzliche psychophysische Processe zu Grande legt, die sich dann wie beim Farben- und Helligkeitscontrast gegenseitig steigern sollen. Dem Contrast der Qualit\u00e4t, Intensit\u00e4t und Dauer soll so der Contrast der Extension als Folge desselben Principes an die Seite gestellt werden.\nAm unzweideutigsten sind die Contrasterscheinungen jedoch von W\u00fcnbt unter ein allgemeines Gesetz gefafst worden. W. trennt in seinem \u201eGrundrifs der Psychologie\u201c8 zwar den physiologischen Farbencontrast von der psychologischen Contrsst-wirkung ab. Di\u00a9 letztere besteht daf\u00fcr aber auch f\u00fcr ihn in der gr\u00f6fsten Allgemeinheit als eines der \u201eBeziehungsgesetze\u201c. Selbst der Ausfall der Contrastwirkung auf dem Tongebiet soll\n1 Archiv fur Physiologie von, D\u00fc Boib-Rbyxond, 1889, Suppl. S. 263 ff.\n\u00abmd Zeitschrift fur Psychol u. Physiol d. Sinnesorgane IX, S, 1.\n\u2022 \u00a7 17, 11\u201413\u00bb a 303; \u00a7 28, 6, S. 879; \u00a7 24\u00bb 4, S. 383.\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nW\u00fcheim W\u00eerth.\nnur einer besonderen Gegenwirkung, n\u00e4mlich dem. absoluten Tonged\u00e4chtnifs der meisten. Menschen entspringen. Vor Allem, folgen \u201edie Gegens\u00e4tze der Gef\u00fchle in ihrem Wechsel dem allgemein,en Gesetz der Contrastverst\u00e4rkung\u201c. Von den subjectiven psychischen Erfahrungsinhalten \u201e\u00fcbertr\u00e4gt\u201c sich dann diese Wirkung auf die Vorstellungen und ihre Elemente. Insbesondere wird nun aus diesem Cbntrastgesetz yon. W. auch deducirt Die Entwickelungsfolge entgegengesetzter Temperamente im Verlauf des menschlichen Lebens soll sich auf jene Ckmtrastverst\u00e4rkung zur\u00fcckf\u00fchren, da ihretwegen gerade die entgegengesetzten Gef\u00fchle durch die bisherigen eine besondere Verst\u00e4rkung erfahren und dadurch zuletzt die Oberhand erlangen m\u00fcssen. Auch die starke Lust bei der Komik hat W. aus dem Contrastprincip-folgendermaafsen deducirt1 : \u201e.... So entsteht ein Wechsel der Gef\u00fchle, bei welchem jedoch di\u00a9 positive Seite, das Gefallen\u00bb nicht nur vorwiegt, sondern auch m besonders kr\u00e4ftiger Weise-zur Geltung kommt\u00bb wie alle Gef\u00fchle durch den unmittelbaren Contrast gehoben werden.\u201c\nBei allen, die eine derartige Contrastwirkung annehmen\u00bb finden wir also etwa den folgenden allgemeinsten. Sinn dieses. Principes vor: Wenn irgendwelche Bewufstseinsinhalte der n\u00e4mlichen Gattung, die von einander in einer bestimmten Richtung* abweichen, neben einander oder auch nach, \u00a9mander gegeben sind\u00bb so steigert sich ihr Unterschied. Eine solche allgemeine Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit, aus der man dann allenfalls auch deduciren k\u00f6nnte\u00bb w\u00e4re nun aber doch nur dann gegeben, wenn sich zeigte\u00bb, dafs in der Steigerung jedesmal der n\u00e4mliche psychische Vorgang vorl\u00e4ge, und dafs dieser Vorgang \u00fcberall eine solche Steigerung bewirke. Soli dies aber dargethan werden, so m\u00fcssen die Erscheinungen, welche zu jenem Gesetz zusammengef\u00fcgt wurden\u00bb zun\u00e4chst einmal einzeln vorgenommen und darauf Mn. betrachtet werden. Es w\u00e4re ja m\u00f6glich\u00bb dafs nur \u00a9ine rein \u00e4ufserliche\u00bb zuf\u00e4llige Aehnlichkeit der Erscheinungen vorl\u00e4ge, w\u00e4hrend 'die Principien, die den einzelnen Erscheinungen zu Grunde liegen\u00bb gar nichts miteinander zu thun h\u00e4tten.\nMit dieser Untersuchung w\u00e4re dann zugleich der Versuch von Samte De Sanctis2 kriti\u00e2irt, der nicht blos \u00a9ine gegen-\n1\tPhysiologische Psychologie II\u00bb S. 249.\n2\tSanti Di Sanctis, I Fenomeni di Contraste in Psicologia, Borna 1895.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellungs- und Gef\u00fcklscontrost.\n53\n\u00abeilige Steigerung der einmal gegebenen gegens\u00e4tzlichen Momente anniinmt, sondern geradezu ein Gesetz der Association durch das Oontrastvorh\u00e4ltnifs auf stellt, das besonders f\u00fcr die Psychose, dann aber auch f\u00fcr das normale seelische Leben gelten soll. De Sanctis geht allerdings mehr darauf aus, eine Tendenz des psychischen Zustandes zum Umschlag ins Gegentheil zu con-statiren. Die bisher erw\u00e4hnten Autoren rechnen dagegen zun\u00e4chst nur mit den F\u00e4llen einer gegenseitigen Steigerung der durch sonstig\u00a9 objective Verh\u00e4ltnisse entstandenen Gegens\u00e4tze. Zwischen diesen beiden Erscheinungen ist aber wohl keine scharfe Grenze zu ziehen.\nAuch W\u00fcndt gelangt vom Principe der Contraststeigerung aus zu einem Gesetz, dafs sich das psychische Leben auch in gewissem Sinne in Contrasten entwickele. Und H\u00f6ffding erkl\u00e4rt mitunter die Steigemngserscheinungen gerade wie De Sanctis durch eine Tendenz des Umschlages ins Gegentheil. Umgekehrt h\u00e4lt sich De Sanctis zun\u00e4chst an jene Gruppen der Contrastf\u00e4ll\u00a9 in dem. zuerst erw\u00e4hnten Sinne.\nHetmans, dem fr\u00fcher1 ganz besonders die \u201ealle psychologischen Erscheinungen umspannende Thatsache der Contrast-Wirkung\u201c als eine \u201evera causa\u201c galt, hat in neuester Zeit- sich dahin erkl\u00e4rt, dafs er die Contrasterscheinungen alle einzeln f\u00fcr sich betrachtet und erkl\u00e4rt wissen will Die bei der Entstehung der Arbeit noch nothwendige Polemik gegen ihn f\u00e4llt daher insoweit hinweg, als es sich um das allgemeine Contrastprincip handelt Es bliebe nur noch die besondere Oontrasterscheimmg bei Bewegungstendenzen f\u00fcr sich zu untersuchen, die BL in .Folge bekannter optischer T\u00e4uschungen annehmen zu m\u00fcssen glaubt\nBevor ich aber auf die einzelnen Gruppen der F\u00e4lle selbst eingehe, m\u00f6chte ich noch kurz den Versuch besprechen, das Contrastgesetz in seiner obigen Fonnulimng seinerseits wieder \u25a0unter ein noch allgemeineres Beziehungsgesetz zu subsumiren und es dadurch, sozusagen a priori wahrscheinlicher zu machen. B\u00f6ffbing hat ja ein. solches allgemeines Beziehungsgesetz aufgestellt, wonach die einzelnen Empfindungen, in ihrer Entstehung und Qualit\u00e4t von einander abh\u00e4ngig seien. Dieses Gesetz ent-\n1 Zdtsckr. f\u00fcr Psychol, u. Physiol der Sinnesorgane IX, S. 221. * Ebenda XIV, S. 101 ff.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nWilhelm Wirth.\nspringt aber selbst einer rein \u00e4ufserlicfaen Zusammenfassung\naller m\u00f6glichen, zum Theil von einander unabh\u00e4ngigen That-sachen, die mit dem Zusammensein von Empfindungen im Bewu\u00dftsein gegeben sind. Die eine dieser Thatsachen ist die Zu* sammenschliefsung aller Empfindungen einer 'und, derselben Pers\u00f6nlichkeit zur Einheit des Bewusstseins.1 Bei diesem Erlebnis ist nat\u00fcrlich von einer gegenseitigen Ver\u00e4nderung der Qualit\u00e4t dieser zur Einheit verbundenen Empfindungen keine Rede. Dennoch scheint H. die gegenseitige Beeinflussung bereite bei dieser Beziehung der Inhalte zueinander f\u00fcr wesentlich zu halten, wenn er bei der Charakterisirung dieses innigsten Zusammenhanges sagt: \u201ezwischen meiner Empfindung des Roth und eines anderen Empfindung des Blaugr\u00fcn ist kein Contrast-verh\u00e4ltnifs m\u00f6glich.\u201c\nEine weitere hierher gerechnete Thatsache, aus der insbesondere die Ver\u00e4nderung der Qualit\u00e4t nach dem Contrastprincip erkl\u00e4rlich werden soll, besteht darin, dafs Empfindungen als solche h\u00e4ufig nur dann bemerkt oder beachtet werden, wenn sie in einem, gewissen, Gegensatz zu 4 rorh,ergehendem, oder Gleichzeitigem stehen. Diese Wirkung des Gegensatzes besteht wohl zu Recht, und wird sp\u00e4ter genau darauf eingegangen werden m\u00fcssen. Hier ist nur so viel von Wichtigkeit, dafs der Unterschied der Aufmerksamkeitsgrade, die ein Object f\u00fcr sich in Anspruch nimmt, mit Unterschieden der \u201eQualit\u00e4t\u201c oder \u201eIntensit\u00e4t\u201c im sonstigen Sinne nichts zu, thun hat. Wir sind uns bewufst, ein und die n\u00e4mliche1 Qualit\u00e4t oder Intensit\u00e4t bald mehr, bald weniger beachten zu k\u00f6nnen. Mit einer gegenseitigen, Beeinflussung der Aufmerksamkeitsstufe ist also keine Ver\u00e4nderung der inhaltlichen Qualit\u00e4t gegeben, wie sie z. B. bei den Farben* contrasten vorliegt.\nEndlich wird auch noch das WEBEB\u2019sche Gesetz von H\u00f6ff-ping mit in jenes Beziehungsgesetz hineingenommen. Dasselbe steht nat\u00fcrlich f\u00fcrs erste mit der gegenseitigen Beeinflussung der Aufmerksanakeitsstufen in keinem Zusammenhang. Es setzt vielmehr voraus, dafs wir den verschiedenen Empfindungen, die verglichen werden sollen, die gleiche volle Aufmerksamkeit zuwenden. Es sagt, wie auch Mbinoito ausdr\u00fccklich betont hat, nichts weiter aus, als dafs ein bestimmtes Verh\u00e4ltnis der Reize\n1 \u00bb. \u00bb. O. S. 153.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellungund Qef\u00fchlscontrast.\n5&\nvorhanden sein raufe, um gleiche Verschiedenheit vor finden m lassen. In. Folge dessen sagt es also auch zweitens nichts \u00fcber eine gegenseitige qualitative Abh\u00e4ngigkeit der Empfindungen in dem Sinne aus, dafs gleich\u00a9 Reiz\u00a9 je nach den vorhergegangenen Reizen verschiedene Empfindungen ausl\u00f6sen k\u00f6nnten. So kann man also auch Wundt nicht beistimmen, der sein Gesetz der Contrastverst\u00e4rkung als besonderen Fall des Webeb*scheu Gesetzes ableiten will, Auch Meikong w\u00fcrde wohl diese \u201eContrast-deutung\u201c ebenso wie andere \u201eDeutungen44 des Weber\u2019sehen Gesetzes mifsbilligen.\nAlles, was also von H\u00f6ffding aufser der gegenseitigen qualitativen Contrastwirkung der Empfindungen, die bewiesen werden soll, in das Beziehungsgesetz hineingebracht worden ist: 'die Zusanimenschliefsung der Empfindungen zur Einheit des Be-wufstseins, die gegenseitige Beeinflussung der Aufmerksamkeitsstufen und das Weber\u2019sehe Gesetz, hat mit der zu beweisenden Thatsache einer qualitativen Verschiebung nichts zu thun. Diese gegenseitige Beeinflussung der Empfindungen und Gef\u00fchle nach dem Contrastgesetz bliebe daher ein besonderer Vorgang f\u00fcr sich. Im, Folgenden sollen aber nun wiederum diese Contrast-e-rscheinungen selbst auf ihre Zusammengeh\u00f6rigkeit gepr\u00fcft werden.\nDie einzelnen Gruppen derselben werden dabei in der Reihenfolge durchgenommen werden, wie sie von Ffchner an der vorhin erw\u00e4hnten Stelle aufgez\u00e4hlt worden sind. Das sog. Contrast-Associationsgesetz ist dann gleichzeitig mit beurtheilt.\nDer Wahrnehmungscontrast.\nAn erster Stelle werden bei der Besprechung der Contras t-wirkungen, von Frcbner sowohl als von den meisten anderen, diejenigen Erscheinungen im Gebiete unserer Gesichtswahr* nehmungen erw\u00e4hnt, die man unter dem Namen des simultanen und des successiven Farben contrastes zu-sammenfafst Ein sich gleichbleibender physikalischer Farbenreiz erzeugt eine verschiedene Farbenempfindung je nach der Farbe, die gleichzeitig auf einer benachbarten oder vorher auf der n\u00e4mlichen Netzhautstell,e erregt wurde.\nIn all den F\u00fcllen, wo eine solche Farbencontrastwirkung' festgestellt wird, liegt ein\u00a9 Vergleichung von Empfindungen vor. Es w\u00e4re nun ganz in abstracto die M\u00f6glichkeit gegeben,","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nWilhdm Wirt h.\ndaft die Empfindungen selbst nicht verschieden w\u00e4ren, und nur unser Vergleiehsurtheil durch irgendwelche hinzutretend\u00a9 Momente so modificirt wurde, dafs eine gr\u00f6\u00dfere Verschiedenheit .als die thate\u00e4chJieh stattfindende conslatirt w\u00fcrde. Auf eine Untersuchung dieser M\u00f6glichkeit brauchen wir jedoch heute nicht mehr einzugehen. Wir d\u00fcrfen wohl die physiologische Erkl\u00e4rung als di\u00a9 jetzt geltende annehmen, wobei wir dahingestellt sein lassen, ob bei dem successiven Contrast die Theorie der Erm\u00fcdung ausreich\u00a9, oder, wie wir allerdings annehmen, noch eine positive Wirkung hinzutritt.\nEs ist nun von Wundt, der im Allgemeinen den Farben-contrast ebenfalls als einen rein physiologischen Vorgang abgesondert wissen will, der Versuch gemacht worden, den psychologischen Farbencontrast an Stelle jenes allgemeinen physiologischen Contrastes wenigstens f\u00fcr den simultanen Contrast zu rettend Dadurch soU sein allgemeines psychologisches Contrast-gesetz eben doch auch f\u00fcr die Farbenempfindung nachgewiesen werden. Als psychologisch soll sich dabei die Contrastwirkung dadurch erweisen, daft sie durch Vergleichung mit einem unabh\u00e4ngig gegebenen Object aufgehoben werde. Zugleich erreiche sie nicht bei den gr\u00f6feten Helligkeits- und S\u00e4ttigungsgraden ihre h\u00f6chste Stufe, wo der rein physiologische Contrast besondere wirkt, sondern in den mittleren Graden. Es wird in der bekannten Weise ein graues Quadrat auf schwarzem und daneben ein gleich graues Quadrat auf weifsem Grunde befestigt, und das ganze mit Seidenpapier \u00fcberdeckt Das Quadrat auf schwarzem Grunde sieht dann heU, das auf weifsem Grunde dunkel aus. Dieser Unterschied entsteht nun nach Wundt wesentlich aus rein psychologischen Gr\u00fcnden ; denn \u00a9r soll beim \\ ergleich beider Quadrate mit einem schwarzen Cartonstreif en, der ebenso mit Seidenpapier \u00fcberkleidet und an beide Quadrate verbindend gelegt ist, fast vollst\u00e4ndig verschwinden.\nEine solche Aufhebung der Contrastwirkung konnte ich aber ebensowenig' wie andere befragte Personen feststellen, wobei ich freilich die M\u00f6glichkeit eines Mi\u00dfverst\u00e4ndnisses von Wundt's Versuchsanordnung nicht v\u00f6llig aussehliefsen will. Wurden alle Bedingungen zur Wahrnehmung einer simultanen Contrastwirkung m\u00f6glichst eingehalten, also mit ausgerahtem Auge \u00a9in fijciren-\n1 Grundrifs der Psychologie, \u00a7 17, 11 S. 308.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"VcruteUung*- und Gef\u00fchlscontrast.\n57\nder B\u00fcck auf das Ganze geworfen, so blieb auch bei der Anwendung des Vergleichsstreifens der voll\u00a9 Contrast bestehen. An dem Rande, wo der gleichfarbige Vergleichscarton angrenzte, machte sich nat\u00fcrlich der Wegfall der contrastirenden Nachbarschaft geltend; der \u00fcbrige Theil der Quadrate behielt dagegen seine verschiedene F\u00e4rbung bei. Zugleich erkannte man. auf einem Streifen von gleichem Grau wie die Quadrate, der ebenfalls von einem zum anderen Quadrat f\u00fchrte, deutlich den Ueber-gang von Hell zu Dunkel an der Stelle, wo der Streifen vom schwarzen auf den weifsen Grund \u00fcberging. Verwendet man verschieden farbige Hintergr\u00fcnde, wie auch W. dies angiebt, so sieht man eine zum Hintergrund complementer\u00a9 F\u00e4rbung des Quadrates. Aber auch diese irkung verschwindet f\u00fcr mich nicht 'in der von W. auch hierf\u00fcr angegebenen Weise, wenn man den unabh\u00e4ngigen Vergleichscarton einf\u00fchrt. Wird nun wandernde Fixation mit verschiedenen successiven Contrast-Wirkungen zugelassen, so kann nat\u00fcrlich das Ergebnifs mannigfach modificirt werden. Inbesondere kann das Fortgehen des Blickes auf dem gleichfarbigen Verbindungsstreifen einerseits di\u00a9 obige simultane Contrastwirkung verhindern, andererseits aber auch den successiven Contrast herabmindern, der durch abwechselnde Fixirung von Hintergrund und Quadrat entst\u00fcnde. .Der dadurch herabgeminderte successive Contrast war aber deshalb vorher nat\u00fcrlich nicht weniger physiologisch. Ja es kann der Uebergang \u00fcber jenen \u2022 ergMchscarton 'umgekehrt sogar den thate\u00e4chlich vorliegenden Unterschied der Wahrnehmungen beider Quadrat\u00a9 psychologisch zur\u00fccktreten lassen, weil wir einen allm\u00e4hlichen Uebergang vollziehen und ein solcher eine thats&ch-iieho Verschiedenheit der Endstationen oft geringer erscheinen l\u00e4fst. Doch sind damit nur ein paar M\u00f6glichkeiten aus der grofsen Zahl derer angedeutet, welche simultane und successive Contraste so oft als scheinbare oder psychologisch bedingte auf\u00bb fassen liefsen. Jene Erscheinungen bestehen somit in einer that-sicMiehen Ver\u00e4nderung der Empfindung und sind rein physiologisch zu erkl\u00e4ren. Die Localisation der entsprechenden Vorg\u00e4nge ist nat\u00fcrlich, ein Problem f\u00fcr sich; nur mufs eben mit ihnen die Empfindung als solche modificirt werden, was ja auch in centraleren Regionen geschehen kann.\nJedenfalls haben wir es bei den Farbencontrasten mit ganz bestimmten und, eigenartigen Vorg\u00e4ngen physiologischer Natur","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nWilhelm Wirth,\nzu thun. Sie sind speeiell dem Gesichtssinn, eigen und, ist noch auf keinem anderen Sinnesgebiete etwas Aehnliches bestimmt festgestellt worden. Insbesondere ist auf dem Gebiete der Tonempfindungen eine solche gegenseitige Beeinflussung v\u00f6llig ausgeschlossen. So ist z. B. die H\u00f6he eines Tones von der gleichzeitigen oder vorhergegangenen Wahrnehmung anderer T\u00f6ne ganz unabh\u00e4ngig.1 Ein absolutes Tonged\u00e4chtnifs k\u00f6nnte diese Unabh\u00e4ngigkeit nicht dadurch neu erzeugen, dafs es die Wirkung des Contrastgesetzes wieder aulh\u00f6be; die Wiedererkennung eines object!ven Tones trotz verschiedener Umgebung von T\u00f6nen ist vielmehr selbst erst in Folge dieser Unabh\u00e4ngigkeit m\u00f6glich. Auf dem Gebiete der Farben ist ein absolutes Ged\u00e4chtnifs f\u00fcr die aus dem Contrast schliefslich resultirende Empfindungen durch besonder\u00a9 Uebung ja auch m\u00f6glich, ohne dafs es verm\u00f6chte, jene Farben\u00ab contrastwirkungen aufzuheben. Und das n\u00e4mliche gilt f\u00fcr alle anderen Binnesgebiete. Es gilt also thats\u00e4chlich kein allgemeines Contrastgesetz auf dem Gebiete der Empfindung. Noch weniger l\u00e4fst sich dann nat\u00fcrlich aus dem Farbencontrast ein allgemeines Contrastgesetz \u00fcberhaupt ableiten. Der Farbencontrast ist thats\u00e4chlich eine Sach\u00a9 f\u00fcr sich. Es besteht kein Recht, sich f\u00fcr irgendwelche sonstige Contraste darauf zu berufen, Allerdings spricht man auch noch von einem Temperatur-contrast; man meint damit die Thatsache, dafs wir z. B. eine Fl\u00fcssigkeit von gleichbleibender Temperatur bald als warm und bald als kalt empfinden, je nachdem wir unsere Hand vorher in kalte oder warme Fl\u00fcssigkeit getaucht haben. Aber dies beruht doch darauf, dafs unsere Temperaturempfindung \u00fcberhaupt nichts weiter ist, als eine Empfindung der Temperatur Ver\u00e4nderung, d. h. der Abk\u00fchlung oder Erw\u00e4rmung unseres K\u00f6rpers. Ein Contrast \u00e4hnlich demjenigen des Farbencontrastes f\u00e4nde hier nur dann statt, wenn sich di\u00a9 Empfindung des gleichen Abk\u00fchhmgs- oder Erw\u00e4rmungsgrades des K\u00f6rpers von gleichzeitigen oder vorangehenden Empfindungen anderer Abk\u00fchhmgs-oder Erw\u00e4rmungsgrade in einer dem Farbencontrast analogen Weise abh\u00e4ngig zeigte, was aber bisher noch nicht nachgewiesen worden ist Im Uebrigen ist die Entstehung der Temperaturempfindung wiederum an sich schon so eigenartig, dafs die bei\n1 Stumpf, Ton,psychologie.\tDerselbe, III. Congrefs f\u00fcr Psychol. 1896,\nDiscussion, \u00df. 230.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Vmr\u00eatellungs- und Gef\u00fchhcontrast.\n59\nihr allein festgestellten Besonderheiten gleichfalls keine Ver-allgemeinerung zulassen.\nAls Beispiel f\u00fcr die zweite Gruppe von Contrasterscheinungen nennt nun Fbchnbb die verschiedene Beurtheilung, welche der Gr\u00f6fse eines Mannes widerf\u00e4hrt, je nachdem man ihn in \u201eeinem Land von Riesen oder von Zwergen\u201c erblickt. Nach dem Anblick grofser Menschen erscheint der n\u00e4mliche Mann klein, nach dein Anblick kleiner hingegen grofs. Ganz Analoges wie bei der Sch\u00e4tzung der r\u00e4umlichen Ausdehnung findet sich weiterhin bei der Beurtheilung der Grade aller Eigenschaften und Merkmale der Objecte, die \u00fcberhaupt eine Gradabstufung zulassen: Eine bestimmte Klangart erscheint laut, wenn die bisher geh\u00f6rten \u00e4hnlichen Klinge leiser gewesen sind und umgekehrt, Gegenst\u00e4nde von gleicher Schwere kommen uns leicht oder schwer vor, gleich rasche Bewegungen schnell oder langsam, gleiche Fl\u00e4chen rauh oder glatt, je nach den sonstigen Erfahrungen \u00fcber Objecte der Art. Hier haben wir also in der That eine Art allgemeinen Contrastgesetzes.\nEs handelt sich nun vorerst darum, das Bewufstsein genauer zu bestimmen, welches in den Worten zum Ausdruck kommt, eine Ausdehnung u. s, w. komme uns grofs oder klein etc, vor. Offenbar wollen wir damit kein Resultat einer Messung an einem feststehenden objectiven Maafsstab, z. B. eine Linge in Metern angeben. Denn diese objective Messung hat f\u00fcr die gleichen Gegenst\u00e4nde immer das n\u00e4mliche Resultat, Die Bezeichnung \u201egrofs\u201c oder \u201eklein\u201c verr\u00e4th vielmehr nur\" gewissermaafsen den Eindruck oder di\u00a9 Gef\u00fchlswirkung, welche ein bestimmter Grad eines Merkmales des Objectes, .dessen objective Gr\u00f6fse an sich diese oder jene sein kann, auf uns ausge\u00fcbt hat. Die Anlegung des objectiven Maafsstabes hat damit gar nichts zu thun, vielmehr wird dieser selbst je nachdem einen verschiedenen Eindruck der bezeichnten Art machen. Wenn wir ein Wahrnehmungsobject von bekannter Gattung, z. B. einen Menschen sehen, an welchem ein Merkmal von dem Durchschnittsgrade des entsprechenden Merkmals der bisher bekannten Object\u00a9 derselben Gattung abweicht, so f\u00e4llt uns dieses Merkmal je nach dem Grade seiner Abweichung besonders auf, es \u00fcberrascht oder entt\u00e4uscht uns. Auf die Untersuchung der Lust- und Unlustf\u00e4rbung dieses Eindrucks kommt es uns hier noch nicht weiter an. An denjenigen Objecten hingegen, welche mit dem Durch-","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nWilhelm Wirth.\nschnittsgrade der \u00fcbrigen Individuen ihrer Gattung in allen\nMerkmalen \u00fcberemstimraen, f\u00e4llt uns nichts besonders auf. Wir nennen sie weder grofs noch klein etc., sondern h\u00f6chstens gew\u00f6hnlich, normal, mittelm\u00e4fsig u. \u00e4.\nDieser eigent\u00fcmliche Eindruck der Wahmehmungsobjecte beruht auf der Erwartung und ihrer Abh\u00e4ngigkeit von den fr\u00fcheren Erfahrungen oder auf der Erfahrungsassociation. Im Laufe unseres Lebens haben wir uns f\u00fcr jede Gattung von Erscheinungen an ein gewisses Mittelmaafs eines jeden Merkmales gew\u00f6hnt, zu dem wir nun alle sp\u00e4ter auftretenden Grade der entsprechenden Eigenschaften in Beziehung bringen. Die gemeinsamen Merkmale jener Objecte, oder die Elemente des Begriffes, unter den alle Objecte jener Gattung fallen, sind durch die Erfahrung mit denjenigen empirischen Merkmalen am festesten associfrt, die am h\u00e4ufigsten wahrgenommen [wurden. Es bildet sich sozusagen f\u00fcr jeden bekannten Begriff eine mittlere Normal vor stell un g. Sie entspricht etwa dem Phantasiegebilde, wie es beim H\u00f6ren des Begriffswortes bisweilen the\u00fcweise mm. Bewufstsein gelangt. Sobald nun diese Begriffselemente sp\u00e4ter wieder in der Wahrnehmung gegeben sind, so besteht in Folge jener fr\u00fcher gekn\u00fcpften Association zugleich ein\u00a9 Tendenz zum gleichzeitigen Vollzug jener mittleren Grade der Einzelmerkmale. Wir erwarten also dieselben auch an dem neuen Objecte der gleichen Gattung, oder insofern die Zeit zu einer Erwartung im gew\u00f6hnlichen Sinne des Wortes nicht gegeben ist, k\u00f6nnen wir ganz allgemein sagen, wir sind psychisch darauf am besten vorbereitet. Wenn sich nun jene Tendenz in der thats\u00e4chlichen Wahrnehmung bei allen Merkmalen hemmungslos auswirken kann, so gehen wir \u00fcber dies\u00a9 Merkmale mit einer gewissen Gleichg\u00fcltigkeit hinweg, wie sie sich in der Bezeichnung als mittelm\u00e4fsig, gew\u00f6hnlich etc. kundgeben kann. Wenn jedoch ein Grad eines der neu wahrgenommenen Merkmale jener Tendenz oder Erwartung widerspricht, so entsteht je nachdem ein Gef\u00fchl der Ueberraschung \\ wenn das neu\u00a9 Object in dieser Hinsicht mehr enth\u00e4lt und unsere Auffassungskraft mehr in Anspruch nimmt als das Bisherige, oder ein Gef\u00fchl der Entt\u00e4uschung \\ wenn daa Neue Meter dem Alten in jener Beziehung\n1 \u201eHochachtung\u201c und \u201eVerachtung\u201c wftren eigentlich die entsprechendsten Beteichnungsweisen f\u00fcr diesen Gef\u00fchlsgegensatz. Doch hat man sieh","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Vortte\u00dcungs* und Gefiihkcontrmt\n(>1\nzur\u00fcckbleibt; und zwar m\u00fcssen diese Gef\u00fchle wegen ihres Zusammenhanges mit der Beachtung des besonderen Grades des Merkmales auf dieses bezogen werden. Hier bewirkt also der Contrast weiter 'nichts als ein besonderes Contrastgef \u00fchl, welches zu dem Wahmehmungsinhalt hinzutritt\nWeil nun dieses Contrastgef\u00fchl nicht von dem neu auftretenden Inhalt allein, sondern von seinem Verh\u00e4ltnifs zu den. bisherigen Inhalten abh\u00e4ngig ist, so muls es f\u00fcr inhaltlich gleiche Wahmehmungsinhalt\u00a9 verschieden ausfaUen k\u00f6nnen* Wenn wir l\u00e4ngere Zeit hindurch wieder lauter neue Objecte dieser Gattung wahmehmen, welche in bestimmter Hinsicht von dem bisherigen Durchschnittsmaafs abweichen, so verschiebt sich damit auch unsere Normalvorstellung in eben dieser Richtung. Wir erwarten dann je nachdem mehr oder weniger als fr\u00fcher von den Objecten der n\u00e4mlichen Gattung und sind unter Umst\u00e4nden von dem n\u00e4mlichen Grade noch entt\u00e4uscht, der uns ehemals schon sehr \u00fcberraschte und umgekehrt. Eine Tonfolge von bestimmter Intensit\u00e4t erscheint mir also z. B. in einem im Uebrigen leiser vorgetragenen Musikst\u00fccke als auffallend intensiv, w\u00e4hrend mir an derselben Tonfolge bei einem im Uebrigen lauteren Vortrag die relative Schw\u00e4che der T\u00f6ne in \u00e4hnlicher Weise auffallen wurde oder, was dasselbe sagt, die thats\u00e4chliche gleiche St\u00e4rke, statt mir zu imponiren, mich vielmehr1 entt\u00e4uschen w\u00fcrde.\nDie Verschiebung der Normalvorstellung ist nun aber nat\u00fcrlich kein Act, der immer ein\u00a9 gr\u00f6fsere Zeitdauer erforderte, w\u00e4hrend der wir uns an einen Durchsehnittsgrad gew\u00f6hnen m\u00fcfsten. Da die Normalvorstellung nur die jeweilige Combination der reproductionsf\u00e4higsten Einzel Wahrnehmungen ist, so wechselt dieselbe fortw\u00e4hrend mit der Ankn\u00fcpfung neuer Associationen an die Begriffselemente oder mit der Wahrnehmung neuer Objecte der n\u00e4mlichen Gattung. Es werden sogar die zuletzt gekn\u00fcpften Associationen nach dem Gesetze \u00fcber die Leistungsf\u00e4higkeit der Krfahrungsassociationen die langj\u00e4hrig einge\u00fcbten Associationen mit den bisherigen Durchschnittsmerkmalen nach\neinmal an einen bestimmten moralischen Nebensinn beider Wort\u00a9 gew\u00f6hnt, was bei Ueberraschung und Entt\u00e4uschung weniger der Fall ist, obgleich in beiden der Gegensatz des \u201eZuviel\u201c oder \u201eZuwenig\u201c nicht so hervortritt.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nWilhelm WML\neiniger Dauer der neuen Wahrnehmung \u00fcbertreffen, wenn auch\ndann die Leistungsf\u00e4higkeit dieser neuen einmaligen Association in Folge der raschen L\u00f6sung solcher einmaligen Associationen die neue Wahrnehmung nicht lange \u00fcberdauert So kann uns auch der mittelgrofse Mensch, der neben dem \u00fcbergrofeen geht, klein und unscheinbar Vorkommen, wenn unsere Aufmerksamkeit im vorigen Augenblicke etwas bei seinem gr\u00f6fseren Nebenmann verweilte. Der Anblick der \u00fcbernormalen Menschengr\u00f6fse f\u00fchrt nicht nur wegen seines Verh\u00e4ltnisses zu der bisherigen Normal\u00bb gr\u00f6fse den Eindruck besonders bedeutender Gr\u00f6fse mit sich, sondern er verschiebt auch sofort die Normalvorstellung der Menschengr\u00f6fse \u00fcberhaupt, sodafs der daneben stehende mittelgrofse Mensch nicht mehr den Eindruck des Mittelgrofsen macht, den er ohne jenen besonders Grofsen gemacht h\u00e4tte, sondern den Eindruck dos Untemormalen. Nur insofern k\u00f6nnen wir mit Fbchnbb sagen, dafs der unmittelbare Contrast ganz allgemein daMn wirke, dafs zu der Auffassung eines objectiven Grades, wie sie unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden stattfindet, noch etwas hinzukomme. Was hinzukommt, ist eben diese Steigerung oder Herabminderung des Eindruckes. Von einer Ver\u00e4nderung des Wahrnehmungsinhaltes, der den verschiedenen Eindruck macht, braucht dabei nat\u00fcrlich keine Rede zu sein.\nDie ganze Contrastwirkung beruht also hier darauf, dafs in der neuen Wahrnehmung gewisse Momente enthalten sind, die fr\u00fcher mit bestimmten Graden irgend welcher Merkmale associirt wurden und nun die Tendenz zur erneuten Wahrnehmung eben dieser Grade wachrufen. Dieser Tendenz wird dann sofort in der -neuen Wahrnehmung widersprochen. Die Gew\u00f6hnung an einen bestimmten Grad eines Merkmales wird daher immer nur da ein Oontrastgef\u00fchl bewirken, wo eben die Hauptelemente des betreffenden Gattungsbegriffes in der Wahrnehmung gegeben sind. Hat man an Bergen und B\u00e4umen eine bedeutende Gr\u00f6fse wahrgenommen, so erscheint darum doch nicht der Mensch kleiner als sonst Hier ist eben der Vergleich ein unnat\u00fcrlicher, erzwungener. Der K\u00f6rper des Menschen hat auch im Uebrigen sehr' wenig von einem Berg und erweckt daher auch nicht jene Tendenz, oder jenen Anspruch auf eine solche Ausdehnung, wie sie mit den \u00fcbrigen Merkmalen eines Berges associirt ist. Dies hat man von jeher beim Contraste in Erw\u00e4gung gezogen.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellung#- und Gef\u00fchUcontrast\n63\nMan k\u00f6nnte nun einwenden, 'das Mer Vorgebrachte erkl\u00e4r\u00a9 doch nicht alles: Ich habe, wenn ich l\u00e4nger im Hochgebirge gelebt habe und nach Hause zur\u00fcckkehre, nicht nur den Eindruck der Unbedeutendheit meiner niedrigen Heimathberge, sondern sie scheinen mir1 thats\u00e4ch\u00fcch zusammengeschrumpft. Dm heilst, die Vergleichung dessen, was ich wahrnehme, mit dem entsprechenden Erinnerungsbilde ergiebt einen st\u00e4rkeren objectiven Unterschied.\nOffenbar bestehen hier zwei M\u00f6glichkeiten. Man k\u00f6nnte\neinmal annehmen, die jetzige Wahrnehmung erfahre durch den Emflufs des inzwischen Wahrgenommenen ein\u00a9 Modification. Diese Annahme scheint H\u00f6ffding zu machen. Denn eile hierher geh\u00f6rigen F\u00e4lle sind ja ein, Hauptbeweis f\u00fcr jenen Theil seines \u00bbgenannten Beziehungsgesetzes, wonach \u201ealle Qualit\u00e4ten der Empfindungen nicht unabh\u00e4ngig von der gegenseitigen Wechsel\u201c Wirkung\u201c sind. Er stellt auch diese F\u00e4lle mit den Farbencon-fcasten auf gleiche Stufe, wo allgemein eine Ver\u00e4nderung des ; ahmehmungsinhaltes angenommen wird. Bas erste Beispiel, welches H. f\u00fcr diese gegenseitige Ver\u00e4nderungen der Empfindungen beizieht, ist aber auch sehr irref\u00fchrend. Er verweist n\u00e4mlich auf di\u00a9 Ver\u00e4nderungen der Temperaturempfindungen, die wir oben schon ausf\u00fchrlich besprochen haben, so dafs wir uns jetzt darauf beziehen k\u00f6nnen. Dort liegt nat\u00fcrlich eine \u00c0enderung der Empfindung vor, aber sie hat mit den in diesem Abschnitte behandelten Contrasterscheinungen nichts gemein. Als Parallele zu den vorigen F\u00e4llen k\u00f6nnt\u00a9 H. h\u00f6chstens die Thateache anf\u00fchren, dafs uns gleich\u00a9 objective Abk\u00fchlungen und Erw\u00e4rmungen gr\u00f6fser oder geringer erscheinen, je nachdem wir vorher geringere oder gr\u00f6fser\u00a9 Abk\u00fchlungen erfahren haben. Dies wird wohl auch Vorkommen, nur wird dann eben die thats\u00e4ch\u00fcch\u00a9 Ver\u00e4nderung der W\u00e4nneempfindung sehr fraglich sein.\nEine Ver\u00e4nderung der Empfindung selbst brauchen wir aber gar nicht anzunehmen, um diesen Schein einer Ver\u00e4nderung des bekannten Objectes zu erkl\u00e4ren. Man, hat fr\u00fcher wie schon oben angedeutet, sogar den Farbencontrast nicht aus einer that-s\u00e4ch liehen Ver\u00e4nderung der Empfindungen, sondern aus einer \u00fcrfheilst\u00e4uschung erkl\u00e4ren wollen1, 'und nur jener Zusammen-\n1 Hmraoii\u00ab, Physiologische Optik, \u00a7 24.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nmih\u00e4m Wirtk.\nhang mit der selbstst\u00e4ndig beobachteten Eigenth\u00e4tigkeit des Sehorganes liefs ihn allgemein als physiologisch anerkennen. Bei dem Farbencontrast wird aber doch aufserdem di\u00a9 Ver\u00e4nderung der Qualit\u00e4ten durch unmittelbare Vergleichung von Empfindungen erkannt In. unserem Falle dagegen wird 'die Contrast-Wirkung in der Weis\u00a9 festgestellt, dafs wir einen Unterschied zwischen einer Wahrnehmung und einem Erinnerungsbild vorfinden. Und. dieses Unterschiedsbewulstsein zwischen der jetzigen und der ehemaligen Erscheinung des n\u00e4mlichen Objectes kann nicht nur aus der Ver\u00e4nderung der 'Wahrnehmung bei gleichbleibendem Reize, sondern auch aus der Ver\u00e4nderung des Erinnerungsbildes erkl\u00e4rt werden. Bei diesem Dilemma werden ^ir aber nun doch f\u00fcrs erste Zusehen, ob sich nicht aus der zweiten M\u00f6glichkeit alles erkl\u00e4ren Mat Denn die Abweichungen unserer Erinnerung von der entsprechenden ehemaligen Wahrnehmung erscheinen uns von vome herein nach allen sonstigen Erfahrungen unter sonst gleichen Umst\u00e4nden immer wahrscheinlicher als die \"V erschiebungen der W ahr-nehmungen bei gleichbleibendem Reize.\nAnmerkung; Allerdings mufs noch bemerkt werden, daft H\u00f6rrnnio-eeinen Begriff der Empfindung in speciellerem und allgemeinerem Sinne gebraucht. Er bezeichnet damit manchmal dasjenige, vu gew\u00f6hnlich und auch von mir Empfindungsinhalt genannt wird, n\u00e4mlich di\u00a9 Sinnesempfindungen der objectiven T\u00f6ne, Farben \u00a9tc. Aufserdem, bedeutet aber f\u00fcr ihn das Wort Empfindung auch den psychischen Gesammterfolg der Wahrnehmung, d. h. also die Empfindung in unserem Sinne mitsammt ihrer Gef\u00fchlswirkung. Obgleich es nun seinem ersten Beispiel von der Temperaturempfindung nach nicht nahe liegt, wir\u00a9 es ja doch m\u00f6glich, hier di\u00a9 Empfindung bei ihm, in dem weiteren Sinne zu nehmen. Baft nat\u00fcrlich bei den verschiedenen Beurtheilungen ein, und desselben Objectes auch ein Unterschied hinsichtlich des Eindruckes vorliegt, ist ja wegen der Zugeh\u00f6rigkeit dieser F\u00e4lle zu der allgemeinen Gruppe selbstverst\u00e4ndlich. Nur w\u00fcrde eben damit H. gar nicht das thats\u00e4chliche Bewufstsoin eines Unterschiedes der objectiven Inhalte erkl\u00e4rt haben, das ihn doch jene Erscheinungen mit dem Farbencontraste zusammenstellen liefe.\nIn zweifacher Weise kann nun durch Verschiebungen unserer Gred\u00e4chtnifsbilder der Schein einer Ver\u00e4nderung der Wahrnehmungsbilder f\u00fcr uns entstehen. Die erste Art ist von Th. Lms in den \u201eGrundthatsachen des Seelenlebens\u201c1 ausf\u00fchrlich dar-\n1 Capitel XII.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Vorsiettungs- und Gef\u00fchUcontrast.\n65\ngelegt worden und kann ich mich wohl hier mit dem Hinweis darauf kurz fassen. Jedermann kennt die Ver\u00e4nderlichkeit der Erinnerungsbilder, Im Obigen nun haben wir ein Moment kennen gelernt, das die Verschiebung des Erinnerungsbildes herbeizuf\u00fchren geeignet ist. Welche Gr\u00f6fse ein wahrgenommenes Object hat, dies bemessen wir in unserer Erinnerung sehr wesentlich nach dem begleitenden Eindruck. Der Eindruck war -etwa der des Gew\u00f6hnlichen. Jetzt erweckt das gleiche Object wegen des gleichzeitig oder vorher wahrgenommenen Gr\u00f6fseren den Eindruck des Geringf\u00fcgigen. Da nun im Allgemeinen jener Eindruck mit dem thats\u00e4chlich Gr\u00f6fseren, dieser mit dem thats\u00e4chlich Kleineren verbunden zu sein pflegt, so m\u00fcssen wir geneigt sein, um diesen Unterschied des Eindruckes uns verst\u00e4ndlich zu machen, das Erinnerungsbild im Vergleich mit der gegenw\u00e4rtigen Wahrnehmung zu vergr\u00f6fsem.\nDazu kann nun noch ein zweites Moment kommen, wof\u00fcr Ich ein einfaches Beispiel anf\u00fchren will, das dem. obigen von der R\u00fcckkehr aus dem Gebirge ganz analog ist Wenn Jemand nach l\u00e4ngerem Aufenthalt in einer Wohnung in sein .altes Wohnzimmer zur\u00fcckkehrt, so glaubt er wohl manchmal zu finden, dafs Th\u00fcrschl\u00f6sser, \"fische etc. niedriger oder h\u00f6her geworden seien, mis fr\u00fcher, je nachdem in der zweiten Wohnung die entsprechenden Objecte der gleichen Gattung h\u00f6her oder niedriger gewesen sind. Dabei scheint in Betracht zu kommen, dafs die Gegenst\u00e4nde des alten Wohnzimmers thats\u00e4chlich nicht mit ihren eigenen, d. h. den ihnen entsprechenden Erinnerungsbildern verglichen werden. Man glaubt allerdings diesen Vergleich \u25a0auszuf\u00fchren. In der That vergleicht man jedoch diese Gegenst\u00e4nde mit den Erinnerungsbildern der Gegenst\u00e4nd\u00a9 in der zweiten Wohnung. Dadurch mufs dann das Bewufstsein \u2022entstehen, die Gegenst\u00e4nde seien anders als sie ehedem waren, und zwar wird die Richtung der scheinbaren Ver\u00e4nderung immer so liegen, dafs sie die thats\u00e4chlich\u00a9 Verschiedenheit zwischen den Wahrnehmungen der gegenw\u00e4rtigen und der kurz zuvor wahrgenommenen Objecte vergr\u00f6fsem w\u00fcrde.\nWenn wir fortw\u00e4hrend in einem bestimmten Zimmer gewohnt haben, so wird 'die Vorstellung dieses Zimmers mit allen Inhalten, die unser gewohntes Alltagsleben bilden,* enge associirt sein. Es steht in einer ganz bestimmten Beziehung zu meiner Pers\u00f6nlichkeit, zu meinen allt\u00e4glichen Interessen und Be-\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVIII.\t6","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nWilhelm Wirth.\nsch\u00e4ftigungen, kurz die Tlieile dieses Zimmers sind in den mehr oder weniger genau bestimmten Complex von Vorstellungen ein* gef\u00fcgt, der f\u00fcr mich den Begriff \u201emeines Wohnzimmers\u201c ausmacht Unter anderem ist also z. B. auch die bestimmte H\u00f6henlage des Th\u00fcrschlosses1 mit diesen Begriffselementen associirt. Wenn ich nun einmal auf eine Zeit lang eine andere Wohnung beziehe, werden sich allm\u00e4hlich die n\u00e4mlichen Beziehungen zu meiner Pers\u00f6nlichkeit an diese neuen Vorstellungen kn\u00fcpfen. Es tritt also die Vorstellung des zweiten Zimmers in der That an die Stelle derjenigen des alten, das Zimmer wird \u201emein\u201c neues \u201eWohnzimmer\u201c. Es werden also jetzt mit diesem Grundstock des Wohnzimmerbegriffes, d. h. mit der Vorstellung meines Lebens und Treibens im Wohnzimmer, andere Elemente associirt wie bisher, unter Anderen auch eine h\u00f6here Lage des Th\u00fcrschlosses, h\u00f6here St\u00fchle etc. Wenn ich nun wieder in mein altes Heim zur\u00fcckkehre, so werde ich nat\u00fcrlich ein anderes Be-wufstsein haben wie ehedem, als ich in (he zweite Wohnung einzog. Die Associationen von froher her sind doch noch so leistungsf\u00e4hig, dafs ich das Zimmer als Ganzes als das meinige wiedererkenne. Bei meiner Ann\u00e4herung an die alte Heimath wurde ja die ehemalige besondere Umgebung der alten Wohnung wahrgenommen, von der aus die richtige Erinnerung an bestimmte wichtige Theile der alten Wohnung wachgerufen wird. Daher wird mir diese in ihren Haupttheilen als bekannt, unver\u00e4ndert oder vertraut erscheinen, aber eben auch nur in den Haupttheilen. Die Einzelheiten hingegen werden von der besonderen \u00e4ufseren Umgebung und den Haupttheilen des alten Heimes, die ich jetzt vor mir sehe, nicht mehr reproducirt werden k\u00f6nnen. Dennoch nehmen wir diese Einzelheiten nicht etwa als etwas Neues hin. Die Vorstellung der Wohnung in ihrer Gesammtheit besitzt ja noch die eigenth\u00fcmlichen Beziehungen zu meinem Alltagsleben, sie enth\u00e4lt die Elemente des\n5 Diese H\u00f6henlage wird f\u00fcr mich aus ganz bestimmten Vorstellungsinhalten gebildet, n\u00e4mlich aus irgendwie localisirten Tast- und Gesichtsempfindungen. wobei die Lage der eigenen K\u00f6rpertheile den festen M&afs-stab abgiebt, den wir zur Vereinfachung des Beispieles als constant geblieben vorauseetzen. Es k\u00f6nnen ja auch T\u00e4uschungen \u00fcber r\u00e4umliche Lagen aus der Verschiebung dieses Maafsstabes entstehen, was Kinder in der Zeit ihres Wachsthums h\u00e4ufig erleben. Hiervon wollen wir aber hier absehen.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Yorstellungg- und Gef\u00fchlscontrast.\n67\nWohnzimmerbegriffes mit in sieh. Diese letzteren aber sind durch die Erfahrungen in der Interimswohnung auch mit den Einzelheiten dieser zweiten. Wohnung verkn\u00fcpft. Und diese Associationen sind in Folge ihrer Frische viel leistungsf\u00e4higer als die alten Associationen mit den Vorstellungen der Gegenst\u00e4nde in der alten Wohnung, Dazu besitzen diese Einzelheiten* z. B. Tische, St\u00fchle etc. der vorherigen Wohnung wieder ihrerseits viele gemeinsame Merkmale mit den gegenw\u00e4rtigen Gegenst\u00e4nden der gleichen Gattung, die noch besonders die neuen Associationen gegen\u00fcber den alten bei dem erneuten Anblick der alten Gegenst\u00e4nde wirken lassen. Das Vorstellungsbild meines alten Wohnzimmers setzt sich also f\u00fcr mich beim Wiedereinzug .in, dasselbe aus den richtigen, noch reproductionsf\u00e4higen Ilaupttheilen zusammen, worunter dann diese und. jene Elemente des zweiten Zimmers gemischt sind, welche besonders g\u00fcnstige Reproductionsbedingungen besitzen. Wenn man, nicht weiter dar\u00fcber nachdenkt, sondern seinen allt\u00e4glichen Besch\u00e4ftigungen nachgeht, so meint man vorl\u00e4ufig, es m\u00fcsse in der alten Wohnung dieses oder jenes von jeher so gewesen sein wie es in der zweiten Wohnung gewesen ist Man lebt sozusagen im. Geiste in bestimmten Einzelheiten noch in der zweiten Wohnung und ist noch v\u00f6llig von den entsprechenden Erinnerungen beherrscht. Und die Wahrnehmung der thats\u00e4ch\u00fcchen Lage dieser Einzelheiten in der ersten Wohnung wird daher nicht nur in der Weise \u00fcberraschen, dafs man sie als etwas Besonderes, relativ Bedeutendes oder Unbedeutendes betrachtet, sondern dafs man sie geradezu f\u00fcr objectiv ver\u00e4ndert h\u00e4lt, weil man eben etwas ganz Bestimmtes gerade an dieser Stele der objectiven Wirklichkeit erwartet.\nDas gleiche wie bei der Vorstellung der H\u00f6henlage eines bekannten Objectes findet nat\u00fcrlich hinsichtlich aller \u00fcbrigen Merkmale statt. Besonders h\u00e4utig werden im. gew\u00f6hnlichen Leben auch z. B. scheinbare Unterschiede \u2022 der Schwere constat\u00e2t. So wird sich etwa an die Begriffselemente eines Kleidungsst\u00fcckes die Vorstellung einer bestimmten Schwere, kn\u00fcpfen k\u00f6nnen, je nach der Schwere des gew\u00f6hnlich gebrauchten, Objectes, mag nun dieses Bewufstsein der Schwere des n\u00e4heren d\u00e9finir! werden wie es will Wenn ich l\u00e4ngere Zeit z. B. einen leichteren Hut trage, nachdem ich vorher einen schweren trug, so wird beim abermaligen Gebrauch der alte schwerer geworden zu sein scheinen.,,\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nWilhelm Wirth.\nDenn die Erinnerung an die ehemalige Schwere wird durch die reproductionsf\u00e4higeren Elemente der dazwischen wahrgenommenen geringeren Schwere verdr\u00e4ngt. Die Begriffselemente des Alltagshutes lassen die Vorstellung des alten Hutes f\u00fcr jedes Merkmal \u00fcberhaupt nur den reproductioiisf\u00e4higsten Repr\u00e4sentanten, d. R in diesem Falle die zuletzt gew\u00f6hnte Schwere an sich tragen.\nDiese Contrastwirkung beruht also ebenfalls darauf, dafs das alte Object mit dem neuen durch eine Aehnlichkeitsbeziehung verkn\u00fcpft ist Dies ruft eine Verwechselung der \u00fcbrigen Merkmale hervor, die dann eine entsprechende Ablenkung des Vergleichsresultates ergiebt Je weitgehender diese Aehnlichkeit sein wird, um so sicherer wird nat\u00fcrlich eine solche Unterschiebung stattfinden k\u00f6nnen, weil dadurch die Ueberlegeriheit der zuletzt gekn\u00fcpften Associationen \u00fcber die ehemaligen besonders zur Geltung kommen kann.\nDie Mer besprochene Erscheinung kann nun verschiedene Stadien durchmachen. Das falsche Erinnerungsbild, d. h, das durch die inzwischen wahrgenommenen Objecte modificirte Bild kann neben der gegenw\u00e4rtigen I ahmehmung mehr oder weniger Mar lind deutlich bewufst werden, und zwar als Vorstellung einer fr\u00fcheren anderen Beschaffenheit dieses gegenw\u00e4rtigen Objectes. Ist die M\u00f6glichkeit einer thats\u00e4chlichen Ver\u00e4nderung des alten Objectes f\u00fcr di\u00a9 Person naheliegend, so kann an eine thats\u00e4chliche Ver\u00e4nderung geglaubt werden, Wenn dagegen diese thats\u00e4chliche Ver\u00e4nderung als unm\u00f6glich gilt, z. B. bei der H\u00f6he von Bergen, so ist man sich einer Selbstt\u00e4uschung bewufst Und wer dies\u00a9 T\u00e4uschung mit der vorhergehenden Wahrnehmung eines anders gestalteten Objectes in urs\u00e4chliche Beziehung bringt, zugleich aber der Erinnerung vertraut, also das Erinnerungsbild als 'unverf\u00e4lscht und selbstverst\u00e4ndlich der ehemaligen Wahrnehmung entsprechend ansieht, der steht damit auf dem Standpunkt derer, welche an eine Ver\u00e4nderung der gegenw\u00e4rtigen Empfindung glauben. Bei der Wahrnehmung eines neuen Objectes einer bestimmten Gattung zeigt sich also blos die gef\u00fchlsm\u00e4fsige Bedeutung der sogenannten \u201eNormalvorstellung\u201c in dem. besonderen Eindruck, den das Object auf uns macht. Die erneute Wahmehmung eines bekannten Objectes hingegen l\u00e4fst auch ein\u00a9 logische Bedeutung der Normalvorstellung zur Geltung kommen, weil, diese als Zusammenhang der reproductionsf\u00e4higsten Merkmale eines Gattungsbegriffes zugleich","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"VonteUungs- und Cfef\u00fchUcon tragt.\n69\nunsere Vorstellung von der thats\u00e4chlichen Beschaffenheit der be-reits bekannten Objecte dieser Gattung modifient und durchsetzt. Umgekehrt aber ist \u00fcberall da, wo dem Grade einer Eigenschaft eines bekannten Objectes gegen\u00fcber ein Gef\u00fchl der Ueber-rasehung oder Entt\u00e4uschung eintritt, das sichere Anzeichen f\u00fcr eine solche Verwischung1 und Durchsetzung unserer Erinnerung durch anderweitige Vorstellungen gegeben, wodurch eine T\u00e4uschung \u00fcber Einpfindungsqualit\u00e4ten erkl\u00e4rlich wird. Die Mer besprochenen T\u00e4uschungen beruhen also thats\u00e4cMioh auf einem Mangel des absoluten Ged\u00e4chtnisses f\u00fcr das betreffende Wahr-nehrnungsgebiet, um Wundt's Ausdruck zu gebrauchen. Nur ist eben dieser Mangel f\u00fcr alle Gebiete gleich m\u00f6glich.\nDamit ist der associativ bedingte Vorstellungscontrast hinreichend gegen den physiologisch zu erkl\u00e4renden Farhencontrast abgegrenzt Nat\u00fcrlich k\u00f6nnen auch zu der Farbencontrastwirkung noch solche associativ bedingt\u00a9 Wirkungen Mnzukommen, die aber dann genau von jener getrennt werden m\u00fcssen. Bas Roth der Wahrnehmung eines bekannten Gegenstandes kann nicht nur deshalb, weil es sich auf gr\u00fcner Unterlage befindet, that-s\u00e4chlich, d. h. f\u00fcr meine Empfindung r\u00f6ther sein wie ehedem auf gelber Unterlage, sondern auch deshalb r\u00f6ther zu sein scheinen, d. h, als r\u00f6ther gesch\u00e4tzt oder taxirt werden, weil ich inzwischen einen gleichen Gegenstand von matterem Roth l\u00e4ngere Zeit in Gebrauch hatte.\nEine scheinbar bessere Gelegenheit, den psychophysischen Mechanismus des Farbencontrastes zu verallgemeinern, bot Jas grofse Gebiet der optischen T\u00e4uschungen. Hier werden ja offenbar zwei Empfindungen miteinander verglichen, und da deren Verh\u00e4ltnisse anders aufgefafst werden, als sie in Wirklichkeit sind, so liegt z. B. nach der Meinung von M\u00fcller-Lyeb diesmal die Ver\u00e4nderung der einzelnen verglichenen psychophysischen Prozesse selbst klar zu Tage.\nIch will nun hier keineswegs auf eine genauere Besprechung der optischen T\u00e4uschung selbst eingehen. Die Widerlegung anderer Anschauungen ist hier nur durch Vorf\u00fchrung des ganzen Thatsachenmaterials und durch Darlegung einer positiven, psychologisch im einzelnen begr\u00fcndeten Theorie m\u00f6glich, was nat\u00fcrlich nicht meine jetzige Aufgabe ist Ich erlaube mir daher f\u00fcr diesen Punkt auf die Schrift von Th. Lipps \u201eRaum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen\u201c zu verweisen. Ihr verdanke","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nWilhelm Wirth.\nIch meinen Standpunkt in dieser Frage. Meinerseits will ich hier nur kurz die methodische Seite der Frage ber\u00fchren, die hier von entscheidender Bedeutung ist. Worin besteht eigentlich der Vorgang des Vergleichen? Offenbar \u00fcbertrage ich beim Vergleich zweier nebeneinander befindlicher geometrischer Figuren nicht das eine Wahrnehmungsbild als solches unmittelbar auf das andere so, wie man einen Maafsstab v\u00f6llig unver\u00e4ndert von seiner bisherigen Stelle nimmt und an ein beliebiges Object anlegt. Allerdings \u00fcbertrage ich auch Mer das eine auf das andere. Aber das Uebertragene ist bei der Uebertragung im strengen Sinne nicht mehr unmittelbare Wahrnehmung, sondern nur noch Erinnerungsbild. Und dies bedingt die M\u00f6glichkeit der Vergleichst\u00e4uschung. Erinnerungsbilder k\u00f6nnen verschoben werden, und zwar umsomehr, je mehr sie blofse Erinnerungsbilder sind. Daraus mufs sich nun eine entsprechende Verschiebung des Vergleichsresultates ergeben. Wenn zwei Fl\u00e4chen von ann\u00e4hernd gleicher Farbe sich unmittelbar nebeneinander befinden, so werden auch noch sehr geringe Unterschiede von tins erkannt Sobald jedoch beide Fl\u00e4chen auseinanderger\u00fcckt werden, so dafs die \u00a9ine Wahrnehmung immer erst eine Zeit lang nach der anderen in den \u201eBlickpunkt14 der Aufmerksamkeit gelangt, so werden solche kleine Differenzen \u00fcbersehen werden. Jedermann wird diese T\u00e4uschung damit erkl\u00e4ren, dafs nicht die Wahrnehmungen selbst unmittelbar aneinander gebracht werden k\u00f6nnen, sondern nur das Erinnerungsbild der einen an die Wahrnehmung der anderen Farbe. Das Erinnerungsbild hat bei seiner Uebertragung eine Einbufse an seiner Deutlichkeit oder Bestimmtheit erfahren. Und so ist denn bei allen T\u00e4uschungen, die sich aus einer Vergleichung zweier im Gesichtsfelde nebeneinander befindlicher Objecte, ergeben, jederzeit zuzusehen, ob sich nicht an die Stelle des urspr\u00fcnglichen, direct an die Wahrnehmung sich anschliefsenden Erinnerungsbildes ein anderes modificirtes untergeschoben hat\nIm, obigen Falle, wo zwei wenig verschiedene Farben f\u00fcr gleich gehalten werden, liegt die Erkl\u00e4rung des Thatbestandes. allgemein gesagt in der Eigent\u00fcmlichkeit aller Wahrnehmungen, in der Erinnerung vor allem im ersten Stadium an Deutlichkeit und Bestimmtheit schnell abzunehmen. Daneben giebt es aber noch sehr verschiedenartige M\u00f6glichkeiten, wie Erinnerungsbilder modificirt werden k\u00f6nnen, Diese m\u00fcssen alle erst versucht sein,","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellungs- und Gefiihlscontras t.\n71\nbevor wir an \u00a9in\u00a9 dem Farbencontrast \u00e4hnlich\u00a9 Verschiebung der Empfindlingen glauben.\nVon Th. Lipps wird nun in der obenbezeichneten Schrift im Einzelnen der Nachweis geliefert, wie mit der Wahrnehmung s\u00e4mmtlicher Formen \u00fcberall Vorstellungen mechanischer I i und Kraftwirkungen sich aufs Engst\u00a9 verbinden m\u00fcssen. In der Natur dieser Vorstellungen liegt es aber, dafs sie eine \u25a0\u25a0 er-\u00e4nderung der Erinnerungsbilder der Formen unmittelbar in sich schliefsen. Und zwar sind diese V er\u00e4nderungen jedesmal derart, dafs daraus ohne Weiteres diejenige Verschiebung des Resultates der Vergleichung s\u00e4mmtlicher Formen sich ergeben mu\u00fcs, di der geometrisch-optischen T\u00e4uschung thatsichlich vor liegt.\nAuf diesem Wege erkl\u00e4ren sich insbesondere auch diejenigen geometrisch-optischen T\u00e4uschungen, in denen ein Unterschied oder Gegensatz gesteigert erscheint, die also insofern als Con-trasterscheiuungen bezeichnet werden k\u00f6nnen. Da die V or-Stellungen der mechanischen Kr\u00e4fte und Kraftwirkungen, die diese optischen Gontrasterscheinungen ebenso wie alle geometrisch-optischen T\u00e4uschungen \u00fcberhaupt erkl\u00e4ren, mit den r\u00e4umlichen Formen durch erfahrungsgem\u00e4fse Association verbunden sind, so k\u00f6nnen darnach auch diese optischen Contrastwirkungen mit unter den Begriff des associativen VorsteUungscontrastes gerechnet werden. Nur sind freilich hier diese Associationen besonderer Art; es ist also auch die associative Contrastwirkung eine eigenartige.\nEndlich w\u00e4re noch der Bewegungscontrast hier zu besprechen, den Heymans aus dem bekannten \u201eoptischen Paradoxon44 erschlossen zu haben glaubt. Das fragliche \u201eParadoxon\u201c besteht wie man weifs, darin: An die Endpunkte zweier gleicher Haupt-linien werden einmal schr\u00e4g nach au Isen, ein andermal schr\u00e4g nach innen gehende Linien angef\u00fcgt. Dann scheint jene Haupt-linie gr\u00f6fser, diese kleiner. Wie schon erw\u00e4hnt, will H. mit seiner Erkl\u00e4rung' jetzt nicht mehr dem alten Contrastgesetz neue Nahrung zuf\u00fchren, sondern nur eine besondere psychische Erscheinung f\u00fcr sich constatiren.\nH. geht bei der bezeichneten T\u00e4uschung davon aus, dafs wir beim, Vergleich der zu vergleichenden Hauptlinien jede der beiden 'f\u00fcr sich fixirend durchlaufen, und dafs das Maafs der Ausdehnung einer Linie f\u00fcr uns in der bei dieser Durchlaufung ausgef\u00fchrten Augenbewegung bestehe. Die Uebersch\u00e4tzung der","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nWilhelm Wirth.\nLinie mit den nach ausw\u00e4rts gekehrten Endschenkeln mufs also f\u00fcr H. darauf beruhen, dafs durch die nach ausw\u00e4rts angesetzten Schenkel die Blickbewegung durch die Hauptlinie von 'ihrem Anfangspunkte aus nach einw\u00e4rts irgendwie gesteigert wird. Bi\u00a9 nach ausw\u00e4rts gekehrten Schenkel suchen aber den Blick gerade in der entgegengesetzten Richtung, d. h. nach ausw\u00e4rts fortzuf\u00fchren. So mufs also f\u00fcr H. durch diese Gegentendenz eine gewisse Steigerung der thats\u00e4chiich ausgef\u00fchrten Bewegung herben gef\u00fchrt werden. Es k\u00f6nnte, wenn dem so w\u00e4re, in der That von, einer Art Contrastwirkung gesprochen werden.\nVor allem mufs ich dabei gestehen, dafs ich bei der kurzen Ausf\u00fchrung dessen, was H. mit den \u201ebekannten Thatsachen des Bewegungscontrastes\u201c meint, \u00fcber diesen letzteren nicht recht ins Klare gekommen bin, so dafs im Folgenden ein Mifsverst\u00e4nd-nifs meinerseits vorliegen k\u00f6nnte. Zun\u00e4chst k\u00f6nnte an einen Bewegungscontrast als Specialfall des oben beschriebenen allgemeinen Wahrnehmungscontrastes gedacht werden : Eine Bewegung kann uns deshalb mehr auf fallen oder kr\u00e4ftiger zum Bewufstsein kommen, und in Folge dessen aus den fr\u00fcher dargelegten Gr\u00fcnden in der Erinnerung unter Umst\u00e4nden nach einer be-sonderen Richtung hin ver\u00e4ndert erscheinen, wenn sie auf irgendwie andersartige Bewegungen gefolgt ist, ja vielleicht selbst dann, wenn sie, wie Mer, zu dem blofsen Gedanken an jene anderen Bewegungen in Contrast tritt. Dabei wird aber doch der Eindruck immer f\u00fcr dasjenige Merkmal gesteigert, welches zu dem Vorangehenden oder nebenher Betrachteten in Gegensatz tritt Die gr\u00f6fsere oder schnellere Bewegung kann auf die kleinere oder\nlangsamere noch gr\u00f6fser oder schneller erscheinen. Die anders\n\u00ab\ngerichtete Bewegung hingegen k\u00f6nnte eben nur hinsichtlich ihrer Richtung, nicht aber hinsichtlich ihrer Gr\u00f6fse verschoben erscheinen. Ein Gr\u00f6fsencontrast der verschieden gerichteten Augenbewegungen spielt aber ja f\u00fcr H. gar nicht mit, und so bliebe die Gr\u00f6fsenverschiebung hiernach unerkl\u00e4rt.\nEs bliebe nun noch \u00fcbrig, an Stelle der Vorstellung der Augenbewegung selbst die Erinnerung an die dabei aufgewandt#' Arbeit und Muhe zu setzen, denn nur diese Arbeit kann eine gr\u00f6fsere sein f\u00fcr eine Bewegung, wenn gleichzeitig eine unwillk\u00fcrliche Tendenz zu einer entgegengesetzten (an Gr\u00f6fse irgendwie beschaffenen) Bewegung vorhanden ist Allerdings darf","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellung*- und Gef\u00fchhcontrast.\n73\ndabei nur an psychische Arbeit, an eine Art, \u201eSelbst\u00fcberwindung\u201c gedacht werden.\nEs ist nun thats&ehlich eine gesteigerte Willensenergie f\u00fcr\neine willk\u00fcr\u00fcehe Bewegung aufzuwenden, wenn wir Gegenten-denzen in uns zu \u00fcberwinden haben, als wenn die Sache keinem i iderspruch in uns begegnet Wen also die nach aufsen laufenden Nebenlinien anziehen, der hat bei einer fixirenden Verfolgung der Hauptlinie eine gr\u00f6fsere Arbeit der Selbst\u00fcberwindung zu leisten, als wenn alle Nebenlinien uns zu dieser Richtung hin dr\u00e4ngen, welch letzteres z. B. bei der Figur mit den einw\u00e4rts gekehrten Schenkeln der Fall ist. Die Verschiedenheit der aufgewandten Arbeit kann dann bei gewissen Objecten auch eine verschiedene Sch\u00e4tzung bewirken. Ein Weg kann uns z. B. deshalb, weil wir ihn gern machen, k\u00fcrzer verkommen als ein ob-jectiv vielleicht gleich langer Weg, den wir nur mit einem gewissen Widerstreben zur\u00fccklegen. Es l\u00e4ge dabei eine \u00e4hnliche T\u00e4uschung vor, wie wir sie oben bei der Sch\u00e4tzung der verschiedenen Intensit\u00e4tsgrade als erste T\u00e4uschungsm\u00f6glichkeit erw\u00e4hnt haben.\nIndessen mit solchen Momenten d\u00fcrfen wir hier nicht opo-riren. Di\u00a9 Vergleichung von Linien geht anders vor sich, als eine Vergleichung von Wegstrecken, die wir thats\u00e4chlich meist nur nach dem Eindruck der aufgewandten M\u00fche und Zeit f\u00fcr die Zur\u00fccklegung sch\u00e4tzen. Linien brauchen wir nicht zurick-z ul egen und legen sie auch nicht zur\u00fcck, sondern \u00fcberschauen sie mit einem Blick ohne eine sie durchlaufende Bewegung. Jedenfalls ist die scheinbare Vergr\u00f6fserung oder Verkleinerung der hier in Rede stehenden Linien von solcher durchlaufenden Fixirang v\u00f6llig unabh\u00e4ngig. Ueberhaupt scheint die Meinung von, Th. Lipps immer allgemeiner anerkannt zu werden, dafs das Resultat der Gr\u00f6fsensch\u00e4tzung einer Linie mit den dabei vorkommenden Augenbewegungen nichts zu thun hat So sind f\u00fcr uns also jene optischen T\u00e4uschungen kein m\u00f6glicher Schauplatz eines besonderen Bewegungscontrastes.\nDafs die angesetzten Winkelschenkel besonders auffielen und zur Fixirang zwangen, und gleichzeitig eine Steigerung der T\u00e4uschung eintrat, als H. die Figur einmal zuf\u00e4llig umkehrte, ist wohl verst\u00e4ndlich. Die Schenkel stehen ja nach der Umkehrung zum fr\u00fcheren Bilde in einem Wahrnehmungscontraste. Sie m\u00fcssen also besonders auffallen und wirken, mag","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nWilhelm Wirth.\nihr Effect herkommen, woher er will. Dafs endlich die T\u00e4uschung bei dieser l mkehrung gr\u00f6fser gewesen sein soll als \u00fcberhaupt jemals, ist f\u00fcr H. selbst nur \u201ewahrscheinlich14 und nicht so 'experimentell fundirt wie das Uebrige.\nKritik der Zusammenstellung\ndes Gef\u00fchlscontrastes mit dem Farbencontrast\nEs bleibt uns nun noch die besondere Aufgabe, jene Contrast-erscheinungen auf dem Gebiete des Gef\u00fchlslebens zu untersuchen, welche das sog. \u201eContrastgesetz\u201c den bisher behandelten F\u00e4llen gleichordnet Nach jenem Gesetze soll eine Wahrnehmung, die an sich Lust oder Unlust zu erzeugen im Stande ist, eine st\u00e4rkere Lust oder Unlust erregen, wenn das entgegengesetzte Gef\u00fchl, also Unlust oder Lust, in m\u00f6glichst hohem Grade vorherging.\nin der That erleben wir fortw\u00e4hrend solch\u00a9 Vorg\u00e4nge auf dem Gebiete des Gef\u00fchlslebens, di\u00a9 eine derartige gegenseitige Verst\u00e4rkung der entgegengesetzten Gef\u00fchle glaublich machen k\u00f6nnten. So haben wir z. B, von dem Wert.be eines Gutes das lebhafteste Bewufstsein nach den Schmerzen der Entbehrung. Andererseits aber kommt uns eine schlechte Lage um so schmerzlicher vor, aus je angenehmeren Verh\u00e4ltnissen wir herausgerissen worden sind. Die Erf\u00fcllung eines sehnlichen Wunsches stimmt uns nach der Unlust unsicheren Wartens besonders freudig, w\u00e4hrend eine Entt\u00e4uschung uns um so unangenehmer ist, je froher und zuversichtlicher die Hoffnung war.\nBei den im 1. Cap. erw\u00e4hnten Autoren, mit Ausnahme von Wundt, ist nun der Gef\u00fchlseontrast mit dem Farbencontrast und dem im vorigen Abschnitt behandelten allgemeinen Vor-stellungscontrast auf gleiche Stufe gestellt Wir haben jedoch zwischen diesen Gruppen von Contrasterscheinungen bereits einen principiellen Unterschied festgestellt, so dafs f\u00fcr uns der Gef\u00fchlseontrast nicht beiden zugleich entsprechen kann. Es werden also zun\u00e4chst die M\u00f6glichkeiten, den Gef\u00fchlseontrast als eine Analogie einer oder der anderen von beiden bisher bebetrachteten Erscheinungen zu behandeln, gesondert gepr\u00fcft werden m\u00fcssen.\nDie erste Gruppe bildete der Farbencontrast, der auf rein physiologische Ver\u00e4nderungen zur\u00fcck gef\u00fchrt wurde. In Analogie","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellungs- und Gef\u00fchlscontrast.\n75\nhierzu will nun H\u00f6ffbixo 1 diejenigen F\u00e4lle, in. denen ein Gef\u00fchl, dem ein entgegengesetztes vorherging, eine besondere St\u00e4rk\u00a9 erlangt, aus \u00e4hnlichen Ver\u00e4nderungen der physiologischen Gef\u00f6hlsbedingungen erkl\u00e4ren, wie er sie f\u00fcr das Sehorgan beim Farbencontrast angibi H. nimmt zwar kein besonderes Gef\u00fchls-centrum, an, in dem sich die gegenseitigen Steigerungen der Ge-f\u00fchlserregungen wie auf einer Netzhaut vollz\u00f6gen. Er erkl\u00e4rt vielmehr den physiologischen Vorgang des einzelnen Gef\u00fchles nur als eine physiologische Ausstrahlung des Vorganges, welcher dem das Gef\u00fcM verursachenden Vorstellungscomplex zu Grunde liegt. Die Verschiedenartigkeit und der Gegensatz der Gef\u00fchle beruht dabei darauf, dafs unsere Nervenorgane bei Lust und bei Unlust in. verschiedener, dem Gesammtorganismus n\u00fctzlicher reap, sch\u00e4dlicher Richtung th\u00e4tig sind. Die Th\u00e4tigkeit der Nervenorgane in ihrer Gesammtheit scheint demnach die Gef\u00fchle in \u00e4hnlicher Weise hervorrufen zu sollen, wie die Netzhautelemente nach H.\u2019s Anschauung durch Beth\u00e4tigung in verschiedener Richtung die einzelnen Farbenempfindungen hervorrufen. Zur Beth\u00e4tigung in einer einem bestimmten Gef\u00fchle entsprechenden Richtung ist nun, ebenso wie bei dem Farbenverm\u00f6gen zur Beth\u00e4tigung in einer Farbenrichtung, nur eine begrenzte Menge Energie vorhanden. Und so bald diese Energie \u201edurch andauernde Einwirkung in einer gewissen Richtung ersch\u00f6pft ist, so verlangen die Organe entweder Ruhe oder Erregung anderer Art\u201c. Die besondere St\u00e4rk\u00a9 des entgegengesetzten Gef\u00fchles erkl\u00e4rt sich also f\u00fcr II. damit, dafs nach einer l\u00e4ngeren Erregung in bestimmter Richtung f\u00fcr die entgegengesetzte Richtung die meiste Empf\u00e4nglichkeit bestehe, wie nach einer bestimmten Farbenerregung die Netzhaut f\u00fcr die complement\u00e4re Erregung am meisten empf\u00e4nglich sei.\nDamit man sich nun mit dieser Erkl\u00e4rung begn\u00fcgen k\u00f6nnte, m\u00fcfste sich f\u00fcrs erste nachweisen lassen, dafs die physiologischen Verh\u00e4ltnisse, die einem bestimmten Gef\u00fchle zu Grunde legen, nach l\u00e4ngerem Dasein wegen mangelnder physiologischer Energie nicht mehr in gleicher Weise fortbestellen k\u00f6nnten, so-dafs das anf\u00e4ngliche Gef\u00fcM bei l\u00e4ngerem Dasein aus rein p h y s i o 1 o g i s c h en G r \u00fc n d e n allm\u00e4hlich nachlassen m\u00fcfste. Die psychologische Thatsache, dafs ein Gef\u00fchl bei l\u00e4ngerer\n1 H\u00f6ffdino, Psychologie. Deutsche Ausgabe, 8. 386.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nWilhelm WirtL\nDauer der Wahrnehmung, die ihm zu Grunde liegt, allm\u00e4hlich nachl\u00e4fst und bis zu einer gewissen Indifferenz herabsinkt, stobt nun allerdings fest. Auch der angenehmste Bmpfindungsmh< wird zuletzt relativ gleichg\u00fcltig, wenn er fortw\u00e4hrend gegeben ist, und bei den schlimmsten Schmerzen wird man zuletzt gleich-m\u00fcthiger. Es fragt sich nur, ob man hierf\u00fcr rein physiologische Verh\u00e4ltnisse und insbesondere eine den Vorg\u00e4ngen beim Farben\u00ab contrast analoge Aufbrauchung der physiologischen Gef\u00fchlsenergie verantwortlich machen k\u00f6nne. AusscMiefs\u00fcch physiologische Gr\u00fcnde k\u00f6nnen ja unter ganz besonderen Umst\u00e4nden eine Herabminderung des Gef\u00fchles bewirken. Dies beruht aber dann zum Theil darauf, dafs sich die Empfindung selbst in ihrem Verlauf aus physiologischen Gr\u00fcnden inhaltlich ver\u00e4ndert. So vermindert sich z. B. die anf\u00e4ngliche Freude an Bewegungs\u00bb empfind urigen, wenn in Folge der Ver\u00e4nderung des Muskelzustandes Erm\u00fcdungsempfindungen entstehen, welche den, ganzen Complex wesentlich ver\u00e4ndern. Aufserdem ist aber manchmal eine Empfindung \u00fcberhaupt nur dann mit einem entsprechenden Gef\u00fchle verbunden, wenn sie zu einem bestimmten Algemeinzustande der Pers\u00f6nlichkeit Mnzukommt, der von. besonderen somatischen Zust\u00e4nden abh\u00e4ngig ist, welche nur tempor\u00e4r auftreten und durch eben den Vorgang, welcher die angenehme oder unangenehme Empfindung hervorruft, gleichzeitig auf anderem Wege aufgehoben werden. Dies findet z. B. bei der allm\u00e4hlichen Herabminderang der Lust an solchen Empfindungen statt, die sinnliche Begierden und Triebe befriedigen, welche vor\u00fcbergehenden. somatischen Zust\u00e4nden entstammen, wie z. B. Hunger und Durst Von der Ersch\u00f6pfung einer physiologischen Gef\u00fchlsenergie ist jedoch dabei keine Rede.\nMag man die physiologische Grundlage der Gef\u00fchle des n\u00e4heren bestimmen wie man will, so darf sie doch nicht, wie dies bei. H. der Fall zu sein scheint, als eine \u201eThltigkeit der Organe in bestimmter Richtung11 charakterisirt werden. Es steht ja allerdings fest, dafs bestimmt gerichtete physiologische * er-\u00e4nderangen, wie sie H. in dem Capitel \u00fcber die \u201ePhysiologie des Gef\u00fchles\u201c beschrieben hat, Begleiterscheinungen der Gef\u00fchle sind, die in ihrer psychologischen R\u00fcckwirkung die Intensit\u00e4t des urspr\u00fcnglichen. GeftM.es noch steigern k\u00f6nnen. Es k\u00f6nnte also zun\u00e4chst eine Herabminderang des Gef\u00fcMes dadurch ein treten, dafs die Energie zu dieser \u201eAusstrahlung'' des","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Vorste\u00fcungB- und Gef\u00fchUcontrast.\n77\nGef\u00fchles, welche f\u00fcr di\u00a9 gleiche Gef\u00fchJsquaMf\u00e4t ungef\u00e4hr in gleicher Richtung verl\u00e4uft, allm\u00e4hlich aufgebraucht w\u00fcrde, Dabei stehen sich aber die beiden Gef\u00fchle ganz ungleich gegen\u00fcber, so dals schon deshalb an eine Art eomplement\u00e4ren Verh\u00e4ltnisses nicht zu denken w\u00e4re, Denn die Verzehrung der Energie zu jenem \u201eMitschwingen44 der Organe w\u00e4re eben mit der Herabmindemng ihrer Leistungsf\u00e4higkeit \u00fcberhaupt identisch und als solche eine Vorbedingung zur Unlust, wenn nicht v\u00f6lliges Ausruhen im Schlaf eintritt. Ausgelassene Fr\u00f6hlichkeit kann in dieser Weis\u00a9 in gedr\u00fcckte Stimmung \u00fcbergehen. Starker Seelenschmerz m\u00fcfste dagegen durch endliche Ersch\u00f6pfung der physiologischen Energie in noch gr\u00f6fsere Unlust oder h\u00f6chstens in den Zustand des Schlafes oder der Bewufstlosigkeit \u00fcber-gef\u00fchrt werden k\u00f6nnen.\nDiese physiologische Ausstrahlung, welche nach II off ding um Zustandekommen eines Gef\u00fchles zu dem physiologischen Correlate der mtelectuellen Momente noch hinzukommen mufs, ist aber doch nur als eine N e b e n w i r k u n g desjenigen Processes anzusehen, welcher der eigentlich gef\u00fchlserregenden Wahr* nehmungs- und Vorstellungaconstellation zu Grande liegt. Das physiologische Correlat dieser eigentlichen psychologischen Ge fuMsursache d\u00fcrfen wir aber \u00fcberhaupt nicht als Thitigkeit der Nervenorgane in einer f\u00fcr gleiche Gef\u00fchle gleiehm\u00e4fsig bestimmten Richtung auffassen. Wie wir sp\u00e4ter genauer sehen werden, h\u00e4ngt die Gef\u00fchlswirkung einer psychischen Thitigkeit weniger von dem Charakter der einzelnen Empfindung\u00ae- und Vorstellungselemente an sich ab, also sozusagen weniger von der Richtung der seelischen Thitigkeit an den einzelnen Stelen, als vielmehr von dem gegenseitigen Verh\u00e4ltnis der verschiedenen Richtungen zu einander. Jederzeit, wenn sich diese Wahr-nehmungs- und Vorstelungsverh\u00e4ltnisse, zu denen nat\u00fcrlich auch die psychischen Correlate des augenblicklichen somatischen Zustandes geh\u00f6ren, in entsprechender Weise gestalten, k\u00f6nnen wir Lust und Unlust in allen St\u00e4rken haben. Bei den Farbenempfindungen ist dies ja etwas anderes. Es entspricht der einzelnen Farbenempfindung wohl thats\u00e4chlich eine Thitigkeit des Sehorganes in einer bestimmten Richtung, und wenn wir die Netzhaut mit einer bestimmten Farbe fortgesetzt reizen, z. B. durch Sehen durch farbiges Glas, so k\u00f6nnen wir zuletzt zeitweise die betreffende Farbe \u00fcberhaupt nicht mehr in jener ersten","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nWilhelm WirtL\nIntensit\u00e4t empfinden. Es kann also in der That von einer Er-Sch\u00f6pfung der Energie nach einer Richtung hin gesprochen werden. Wenn aber ein Object gleichg\u00fcltig oder \u00fcberdr\u00fcssig geworden ist, werden andere Dinge unser Interesse umso eher erregen. Es ist also die physiologische Energie zu Lust und Unlust \u00fcberhaupt* wenn wir diesem Ausdruck \u00a9inen Sinn beilegen wollen, nur mit der Energie zum wachen seelischen Leben selbst auf zehrbar.\nMan k\u00f6nnte aber nun meinen, 'die F\u00e4higkeit zur Lust oder Unlust von, einem bestimmten Object k\u00f6nnte doch dadurch ersch\u00f6pft wrerden, dafs die Energie zu der besonderen physiologischen Th\u00e4tigkeit auf gezehrt werde* welche dem ge* f\u00fchlserregenden Vorstei lu ngscomplexe selbst zu Grunde liegt. Der physiologischen Erm\u00fcdung der entsprechenden Theile des Centralorganes m\u00fcfste eine herabgeminderte Th\u00e4tigkeit und damit ein weniger gef\u00fchlsbetonter Ablauf der Vorstellungen entsprechen.\nNun wird, ja zweifellos durch, die Th\u00e4tigkeit der Sinne wie durch die psychische Th\u00e4tigkeit \u00fcberhaupt eine physische Abnutzung des Centralorganes hervorgerufen, da eben Physisches und .Psychisches in einem Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnifs steht Der Mensch mufs in gewissen Zeitr\u00e4umen geistig und k\u00f6rperlich ausruhen, um zur1 Lebensbeth\u00e4tigxmg und damit nat\u00fcrlich, auch zum F\u00fchlen f\u00e4hig zu sein. Auch verbraucht gewifs die eine Th\u00e4tigkeit diese Kraft mehr als eine andere. Wir wissen jedoch nichts davon* dafs diese physische Kraft auf di\u00a9 einzelnen physiologischen Functionen, die bestimmten psychischen h\u00e4tig-keiten entsprechen, so vertheilt sei, dafs durch l\u00e4ngere Bet\u00e4tigung in einer bestimmten Vorstellungsrichtung die entsprechende Leistungsf\u00e4higkeit ebenso wie die Leistungsf\u00e4higkeit eines einzelnen Muskels oder Netzhautelementes annullirt werde, w\u00e4hrend andere physiologische Dispositionen*, die anderen psychischen Th\u00e4tigkeiten entsprechen, ihre Leistungsf\u00e4higkeit noch besitzen. Nur dies m\u00fcfste ja doch von einem V ertreter der oben bezeichnten Anschauung angenommen, werden, da nun einmal feststeht, dafs mit der Entstehung der Gleichg\u00fcltigkeit f\u00fcr \u00a9in bestimmtes Object noch lange nicht alle \u00fcbrigen psychischen Erregungsweisen ihre Gef\u00fchlswirkung verloren haben.\nIn der Thal bestehen nicht einzelne gesonderte Kraftvorr\u00e4te","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Voratellungs- und Gef\u00fchlscontrast.\n79\nf\u00fcr die mannigfaltigen psychischen Dispositionen in der Weise, dafs jede Einzelerregung sozusagen ganz auf sieh selbst angewiesen w\u00e4re. Die psychische Kraft ist etwas Einheitliches, das allen Erregungen fortw\u00e4hrend zu Gute kommen kann. Und dies \u00e4ndert sich nat\u00fcrlich in keiner Weise, wenn wir von der rein psychologischen Betrachtung zur psyche physiologischen \u00fcbergehen, weil die letztere nichts anderes sein kann, als eine physiologische Deutung der in der reinen Psychologie gewonnenen Anschauung. Das physiologische Corrolat f\u00fcr die seelische Th\u00e4tigkeit, d. h. die Th\u00e4tigkeit des Centralorganes mufs daher als eine eben solche Einheit gefafst werden wie jene seelische Th\u00e4tigkeit selbst; und die physiologische Energie dieses Centralorganes mufs etwas ebenso Einheitliches sein, wie die seelische Kraft. Es m\u00fcssen daher alle m\u00f6glichen psychophysiologischen Einzelorregungen an dieser Gesammtenergie theil-haben k\u00f6nnen, in dem Maafse als noch die physiologischen Bedingungen zum seelischen Leben \u00fcberhaupt gegeben sind. \u2014 Allerdings bestehen nat\u00fcrlich ganz bestimmte psychologische Bedingungen, von denen die Antheilnahme einer Einzelerregung an dieser allgemeinen Kraft abh\u00e4ngt, und diese Bedingungen k\u00f6nnen auch m\u00f6glicherweise f\u00fcr1 eine Erregung nicht mehr erf\u00fcllt sein. Niemals aber d\u00fcrfen wir uns den Verlust dieses Anspruches als Aufzehrung oder Verbrauch eines eigens daf\u00fcr vor-. handenen Theiles der psychischen Kraft denken,\nAm allerwenigsten kann endlich allm\u00e4hliche Herabminderung einer bestimmten Gef\u00fcfaisbetonung aus einer solchen Aufzehrung abgeleitet werden. Ein Sinnesgebiet, dessen zugeh\u00f6rige Wahrnehmungen jetzt gerade ein besonderes Interesse besitzen, und das demnach in besonderem Maafse seine Kraft verbrauchen m\u00fcfste, h\u00e4lt sich ja vielmehr eben dadurch in m\u00f6glichst dauernden und umfangreichen Besitz der seelischen Kraft. So m\u00fcssen wir uns zun\u00e4chst ohne Vorartheil nach den rein psychologischen Verh\u00e4ltnissen umsehen, welche das Entstehen und Vergehen des Interesses erkl\u00e4ren, bevor wir eine neue physiologische Deutung dieser besonderen Thatsachen versuchen k\u00f6nnen.1\nAbgesehen davon, dafs es eine eigene und begrenzte Kraft f\u00fcr ein bestimmtes Gef\u00fchl \u00fcberhaupt nicht giebt, w\u00e4re aber\n1 Vgl. Im Uebrigen Lipps, Grundthatsachen des Seelenlebens und Recension von Lehmann\u2019s Gef\u00fchlslehre.","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nWilhelm WML\nzweitens selbst mit der M\u00f6glichkeit einer solchen Herab-minderung der F\u00e4higkeit, ein bestimmtes Gef\u00fchl zu haben, noch lange 'nicht auch schon eine gr\u00f6fsere Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr das entgegengesetzte Gef\u00fchl selbstverst\u00e4ndlich. Bei dem Farbencon-trast folgt ja diese gesteigerte Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr die Com-plementirfarbe nicht a priori aus der Herabminderang derjenigen f\u00fcr die gleiche Farbe. Zu der Erkl\u00e4rung dieses Zusammenhanges m\u00fcssen wir vielmehr erst einen besonderen physiologischen Mechanismus voraussetzen, der sich nur auf das besondere Verh\u00e4ltnis der Complement\u00e4rfarben bezieht und auf andere qualitative Unterschiede nicht ohne Weiteres \u00fcbertragbar ist H\u00f6ff-ding scheint denn auch eine solche Tendenz des Ueberganges von einem Gef\u00fchle zu dem ihm entgegengesetzten besonders nachweisen zu wollen. Er sagt: \u201eWie die Contrastfarben nicht nur einander hervorheben, sondern auch leicht ineinander \u00fcbergehen, so bereitet ein Gef\u00fchl oft dem entgegengesetzten den Weg.\u201c Es sollen sich also nach H. die Ueberg\u00e4nge zwischen Gegens\u00e4tzen des Gef\u00fchles, wie zwischen Liebe und liais, Hoffnung und. Furcht, Ehrfurcht und Verachtung besondere leicht vollziehen.\nHier handelt es sich einfach um eine Thatsachenfrage. Unsere Erlebnisse d\u00fcrften aber im Gegensatz zu jener Behauptung darauf\nhindeuten, dafs die St\u00e4rke und Bauer eines Gef\u00fchles und die damit zusammenh\u00e4ngenden physiologischen Vorg\u00e4nge dem Zustandekommen des entgegengesetzten Gef\u00fchles mit seinen physiologischen Begleiterscheinungen gerade direct entgegenstehen.\nWenn mit dem. hohen Grad von Liebe wirklich zugleich gl\u00fcckliche Liebe, also hohe Lust, gemeint ist, und nicht blos starke Leidenschaft, die ja an sich noch keine starke Lust, sondern nur Vorbedingung zur Lust ebenso wie zur Unlust in greiser St\u00e4rke ist, dann wird die Liebe nicht so leicht wie II\u00f6ff-mng meint, dem Hasse Platz machen. In dieser Verfassung kann man sich eben keinen Menschen so leicht als schlecht und bassenswerth denken. Und so bewirkt ganz allgemein jedes Ge-f\u00fchl durch die psychologische und physiologische Ressonanz eine gehobene oder niedergedr\u00fcckte Stimmung, welche den eigentlichen Gef\u00fchlsanlafs \u00fcberdauert und auch weiterhin ein erneutes Entstehen des gleichen Gef\u00fchles beg\u00fcnstigt. Biese Thatsachen sind von jeher in der Gef\u00fchlspsychologie betont worden. Er*","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Vors teil lings- und Gef\u00fchlscontrast.\n\u2022 81\nw\u00e4hnen mufs ich noch, dafs auch schon K\u00fclpe 1 speciell auf diese Gegeninstanz gegen das Gesetz des Gef\u00fcMscontrastes in \u00abeiner Mer angegriffenen Form ausdr\u00fccklich hingewiesen hat.\nUeberhaupt ist nach aller sonstigen Erfahrung \u00fcber die Bedingungen von Lust und Unlust jede Erkl\u00e4rung eines Gef\u00fchls-vorganges anzuzweifeln, welche sich auf eine-Tendenz des seelischen Lebens gr\u00fcndet, sowohl nach Lust als nach Unlust hin erregt zu werden, oder gar darauf, dafs die Pers\u00f6nlichkeit f\u00fcr Unlust jemals dadurch besonders empf\u00e4nglich sei, dale sie Lust gehabt h\u00e4tte. Denn darauf m\u00fcfste es ja nach Analogie des Farbencontrastes hinauslaufen, und BL selbst scheint dies als \u00abeine eigentliche Meinung zu erkennen zu geben, wenn er behauptet \u201edie S\u00e4ttigung an einem GMede des Gegensatzes (der Gef\u00fchle) erzeugt das Bed\u00fcrfnis, das andere zu erleben.\u201c\nAlle Unlust llfat sich darauf zur\u00fcckf\u00fchren, dafs der Pers\u00f6nlichkeit etwas zugemuthet wird, das .ihrer eigenen Anlage oder ihrer Art und Weise sich erregen zu lassen, d. h. also auch ihrer Empf\u00e4nglichkeit nicht entspricht. Es w\u00e4re also mit dieser Anlage -oder Tendenz zur Unlust bereits ein Widersprach gegen das Grundgesetz des Gef\u00fchlslebens gegeben.\nMag man also die mit dem Gef\u00fchl zusammenh\u00e4ngenden \u25a0physiologischen Vorg\u00e4nge oder die den Gef\u00fchlen zu Grande liegenden Vorste\u00fcungsVerh\u00e4ltnisse betrachten, niemals l\u00e4fst sich nachweisen, dafs ein Gef\u00fchl rein als solches dem unmittelbar folgenden entgegengesetzten Gef\u00fchl den Weg bereite oder eine st\u00e4rkere Entfaltung zukommen lasse ; und am allerwenigsten l\u00e4fst sich ein physiologisch begr\u00fcndetes Gesetz eines Ge-ftMscontrastes aufstellen. Damit scheint also wohl der Gef\u00fchls--contrast nach dien Seiten hin gen\u00fcgend gegen einen physiologischen Contrast, wie er bei den Farbenempfindungen vorliegt, abgegrenzt, und \u00fcberhaupt jeder analoge physiologische Erkl\u00e4rungsversuch widerlegt. Insbesondere d\u00fcrfte man nunmehr auch dem Contrast-Associationsgesetz von De Sanctis, soweit es \u00abich auf den Gef\u00fchlscontrast bezieht, ablehnend begegnen.\nGefuhlseontrast und Wahrnehmungscontrast\nEine Zusammenfassung der zu erkl\u00e4renden Gef\u00fchlserschei-lmngen mit den an zweiter Stelle behandelten Wahrnehmungs-\n1 K\u00fclpr, Psychologie, S. 2691.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVIII.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82*\nWilhelm Wir IL\ncontrasten kann nur bei einer \u00e4ulserlichen Uebertragung der besonderen. Gef\u00fchlsverh\u00e4ltnisse auf das Schema des Wahrnehmimga-contrastes und einer etwas schiefen Darstellung der ersteren versucht werden. Auf jeden Fall ist damit f\u00fcr die Erkl\u00e4rung der Gef\u00fchlserscheinungen selbst nichts geleistet.\nSo hat vor allem Fbchner den GefiMscontrast mit dem Wahmehmungseon tr ast, wie wir ihn fr\u00fcher behandelten, in einer Weise zusammengestellt, als ob er Wahmehmungselement und Gef\u00fchl v\u00f6llig analog behandeln d\u00fcrfte. An Stelle des \u201eRoth44 und \u201eGr\u00fcn\u201c, \u201eGrofs\u201c und \u201eKlein41 der Wahmehmungsinh<e wird einfach das \u201eLustgeben.de\u201c oder \u201eUnlustgebende\u201c gesetzt,, wie dies schon aus der zu Anfang der Abhandlung eitirten Stell# hervorgehi\nFechner dr\u00fcckt sich allerdings an diesen Stellen \u00fcberall sehr vorsichtig aus, und man d\u00fcrfte von den eitirten Stellen aus keinen voreiligen Schlufs auf seine allgemeine Gef\u00fchlslehre ziehen. Er macht zwischen den objectiven Empfindungselementen und den Gef\u00fchlen einen scharfen Unterschied und trennt bei den letzteren auch hinreichend deutlich die in den Wahrnehmungsinh alten liegenden Bedingungen von den in der \u00fcbrigen Pers\u00f6nlichkeit bestehenden. Nur scheint es, auch bei den allgemeinen Capitein \u00fcber die Gef\u00fchlsbedingungen, als ob er die aus dem Zusammenwirken des Wahrnehrn ungsinhaltes und der \u00fcbrigen Pers\u00f6nlichkeit folgenden Bedingungen f\u00fcr das Gef\u00fchl doch wiederum als ein etwas zu selbstst\u00e4ndiges Moment auffafst, das er nun wie einen einzelnen Empfindungs- und Vorstellungsinhalt zu anderen Gef\u00fchlsbedingungen in Wechselwirkung treten l\u00e4fst\nF\u00fcr uns haben die Wahmehmungseontraste bereits einen ganz bestimmten Typus gewonnen: Die Grade der einzelnen Merkmale der Objecte machen je nach den vorhergegangenen Wahrnehmungen einen verschiedenen Eindruck. Inhaltlich sind sie jedoch in keiner Weise von fr\u00fcheren Wahrnehmungen beein-Hilfst Um also die genannte Analogie herzustellen, m\u00fcfste man an Stelle der Ausdehnung eines R\u00e4umlichen etc. einfach Lust- und Unlustwirkung einsetzen. Wie ein Ton von bestimmter Intensit\u00e4t laut oder leise erscheint, oder einen kr\u00e4ftigen oder einen schw\u00e4chlichen Eindruck macht, je nachdem ein schw\u00e4cherer oder st\u00e4rkerer Ton vorherging, so m\u00fcfste auch, das ein\u00a9 Vorstellung begleitende Lustgef\u00fchl, das auf Unlust oder geringere Lust folgt, durch diesen blofsen Contrast zum vorhergehenden Gef\u00fchl st\u00e4rker","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellung\u00ab und Gef\u00fchlscontrast.\n83\nerscheinen oder mehr Eindruck machen. Das Gef\u00fchl unterscheidet sich aber ja gerade dadurch von den Elementen der Wahrnehmung, dafs es selbst \u201eEindruck\u201c, d, h. subjectiver Be\u00ab standtheil des Bewufstseins ist. Demgem\u00e4fs kann es nicht wie die objeetiven Elemente, d. h. die Wahrnehmungen, starker oder schw\u00e4cher erscheinen.\nDas Bewusstsein eines bestimmten St\u00e4rkegrades des Gef\u00fchles oder Eindruckes ist in seiner Qualit\u00e4t unmittelbar gegeben. Man kann also nicht wie H\u00f6ffbimg sagen, die Gef\u00fchle seien nur durch ihren Gegensatz das, was sie sind. Die Lust an einem eben erst erworbenen Gut ist, wenn sie st\u00e4rker erscheint, that s\u00e4chlich st\u00e4rker als die Lust an einem schon lange besessenen 'unter sonst gleichen Umst\u00e4nden. 0\nAber weiter: Dafs die Wahrnehmungen objectiv gleich sein und doch zugleich \u00a9inen verschiedenen Eindruck machen k\u00f6nnen, beruht allgemein gesagt, auf dem Gegensatz der Wahmehmungs-element\u00a9 und anderweitigen psychischen Vorg\u00e4nge. Bei den Wahmehmungscontrasten wird einer durch Erfahrungsassocia-tionen begr\u00fcndeten Tendenz zur Vorstellung bestimmter Merkmale durch eine thats\u00e4chliche Wahrnehmung, welche von jener Erwartung unabh\u00e4ngig zu Stande gekommen ist, widersprochen. Von einem Gegensatz zwischen einer auf der Erfahrung beruhenden Tendenz, ein bestimmtes Gef\u00fchl zu vollziehen, einerseits und einem, davon unabh\u00e4ngig auftretenden thats\u00e4chlichen Gef\u00fchl, kann aber kein\u00a9 Bede sein. Es giebt Mer gar keine zwei Momente, die zueinander in jene widerstreitende Beziehung treten k\u00f6nnen. Damit ein\u00a9 Tendenz zum Vollzug eines bestimmten Wahrnehmungselementes gegeben sei, gen\u00fcgt das Wiederauftreten einzelner Elemente, die einmal mit jenem gleichzeitig wahrgenommen wurden. Und an Stelle dieses Wahmehmungselementes kann nun ein anderes treten.\nV\u00f6llig anders verh\u00e4lt es sich mit dem Gef\u00fchl,. Das Gef\u00fchl beruht jederzeit auf dein psychischen Gesammtthatbestand. Angenommen das psychische Leben schliefse in sich die Tendenz nach einem gewissen Gesammtzustande, so ist darin nat\u00fcrlich zugleich die Tendenz zum Zustandekommen eines entsprechenden Gef\u00fchles eingeschlossen. Kommt nun aber ein neues Gef\u00fchl, nat\u00fcrlich nicht ohne Vorstellungsbasis, so ist dies Gef\u00fchl wiederum durch den psychischen Gesammtthatbestand bedingt, d. k es ist\nbedingt nicht nur durch diese Vorstellungsbasis, sondern zugleich\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nWilhelm Wirth.\ndurch jene \u201eTendenz41. Es tritt also zu dem der Tendenz nach bestehenden Gef\u00fchle nicht in Gegensatz, sondern ist durch die Bedingungen desselben mitbedingt.\nAndererseits entsteht auch nach dem eben Gesagten die Tendenz zu einem Gef\u00fchl nicht etwa einfach daraus, dafs die Erinnerung an das Object des Gef\u00fchles wiederkehrt Und dann kann das neue Gef\u00fchl auch nicht zu einer solchen Tendenz in Gegensatz treten und demgemftfs in h\u00f6herem Grade \u201eauffallen\u201c.\nDie Erinnerung an ein Object das fr\u00fcher mit einem bestimmten Lust- oder Unlustgrad verbunden war, bewirkt keineswegs ohne Weiteres die Erwartung eines erneuten ebenso lust-oder unlustbetonten Auftretens der Wahrnehmung. Wir k\u00f6nnen uns ganz genau ^er Lust erinnern, die wir bei bestimmten Geschmacksempfindungen, etwa beim Genufs eines Apfels, fr\u00fcher einmal gehabt haben, und doch beim jetzigen Bevorstehen des gleichen Genusses vielleicht die entschiedenste Unlust \u201eerwarten\u201c, wenn dieser Ausdruck \u00fcberhaupt f\u00fcr Gef\u00fchle zul\u00e4ssig ist. Es k\u00f6nnen eben jetzt in unserer Pers\u00f6nlichkeit ganz andere Bedingungen vorhanden sein, welche zu jenen Geschmacks-empfindungen in directen Widerspruch treten. Die Erinnerung an fr\u00fcher erlebte Lust oder Unlust wird vielmehr immer nur dann zugleich die Erwartung oder Voraussicht der gleichen Gef\u00fchlswirkung mit sich bringen, wenn in uub selbst die Bedingungen f\u00fcr die Auffassung des gleichen Objectes die n\u00e4mlichen geblieben sind.\nDas vorhin Gesagte k\u00f6nnen wir auch so ausdr\u00fccken : dafs ein Gef\u00fchl st\u00e4rker erscheint, weil es zu einem erwarteten Gef\u00fchl in Gegensatz tritt und demgem\u00e4fs in h\u00f6herem Maafse auff\u00e4llt, ist, abgesehen von dem Widersinn dieses \u201eAuffallens\u201c, auch darum unm\u00f6g\u00fcch, weil es unm\u00f6glich ist, dafs wir ein Gef\u00fchl als solches erwarten und durch ein anderes Gef\u00fchl in dieser Erwartung entt\u00e4uscht werden. Dies schliefst nat\u00fcrlich nicht aus, dafs ein Gef\u00fchl \u2014 nicht st\u00e4rker scheint, sondern st\u00e4rker ist, weil wir angenehm oder unangenehm entt\u00e4uscht sind. Aber die Entt\u00e4uschung ist dann nicht eine Entt\u00e4uschung \u00fcber das Gef\u00fchl als solches, sondern eine Entt\u00e4uschung \u00fcber die das Gef\u00fchl bedingenden Erlebnisse, \u00e4ufseren oder inneren Vorg\u00e4nge, Wahrnehmungen, in uns erregte oder anklingende Vorstellungen.\nDieser Behauptung scheint die Erfahrung zu widersprechen. Wer h\u00e4tte nicht schon das eigenth\u00fcmliche Gef\u00fchl der Ent-","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstdlunga- und Gef\u00fchlseontrast.\n85\nt\u00e4uscliung erlebt, wenn er nach langen Jahren einmal wieder an die St\u00e4tte seiner Kindheit kommt und dort des Anblickes der einst so geliebten Pl\u00e4tze nicht so froh werden kann, als er es sich vor seiner Ankunft im. Geiste ausgemalt hat, selbst wenn die ganze Gegend dort noch genau so aussieht wie ehedem, Man k\u00f6nnte hier an einen W iderspruch zweier reiner Gef\u00fchle ohne einen solchen Widersprach von objectiven Vorstellungselementen glauben. Doch wird diese Auffassung nur dann m\u00f6glich sein, \u25a0\u2019wenn wir die Wahrnehmung zu \u00e4ufser\u00fcch fassen und vergessen, dafs wir uns doch niemals blos an einzelne Wahrnehmungen, z. B. an bestimmte H\u00e4user, B\u00e4ume und Berge der Heimath erinnern , dafs vielmehr die Vorstellungen der einzelnen Objecte unserer Vaterstadt in ihrem Zusammenhang mit all den Beziehungen zu theueren Pers\u00f6nlichkeiten und wichtigen Ereignissen erregt werden, die vielleicht gar nicht gesondert zum Bewusstsein gelangen. Obgleich wir uns vielleicht logisch v\u00f6llig Mar sind, dafs diese Personen, Gegenst\u00e4nde und Ereignisse jetzt nicht mehr in dieser Gegend Vorkommen, so verm\u00f6gen wir damit doch nicht die Vorstellung1 der gegenw\u00e4rtig noch f\u00fcr uns vorhandenen Objecte in der Erinnerung von jenen psychologisch so loszutrennen, dafs wir die alleinige Gef\u00fchlswirkung der losgetrennten Scenerie in uns erleben und von dem bevorstehenden Wiedersehen erwarten w\u00fcrden. Kurz wir erwarten ganz un-reflectirt in der fr\u00fcher schon besprochenen Weise die Objecte in dem ehemaligen Lebenszusammenhang eingeordnet zu fassen und sehen uns bei der erneuten Wahrnehmung hierin get\u00e4uscht Auch in diesem Falle beruht also das Contrastgef\u00fchl der Entt\u00e4uschung \u00fcber eine Gef\u00fchlswirkung auf einer T\u00e4uschung \u00fcber objective Verh\u00e4ltnisse, Eine Wahrnehmung also kann zu einer psychischen Tendenz in Gegensatz treten, das Gef\u00fchl ist aber stets die Folge des ganzen inneren Erlebens. Nur dies kann nicht zu sich selbst in Gegensatz treten.\nEs k\u00f6nnte nun Jemand meinen, dafs doch in der That eine solche Tendenz zum Vollzug von Gef\u00fchlen vorhanden sei, die allerdings nicht wie bei dem Wahrnehmungscontrast durch Er-fahrungsassociationen bedingt sei, die aber dennoch von dem Gef\u00fchle, wie es nach den Gef\u00fchlsgesetzen jeweils thats\u00e4chlich erfolgt, unabh\u00e4ngig wirke und zu diesem in ein gewisses Verh\u00e4ltnis treten k\u00f6nne. Ich denke an die Anschauung, wonach wir eine Tendenz besitzen, Lust zu erfahren und Unlust zu ver-","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nWilhelm Wirth.\nmeiden. Sind die Verh\u00e4ltnisse unserer Pers\u00f6nlichkeit und der Wahrnehmungen von der Art, dafs wir wirklieh Lust erleben, so wird jener Tendenz entsprochen und so ergiebt sich eine seeund\u00e4re Lust, wird dieser Tendenz nicht entsprochen, so ergiebt sich eine seeund\u00e4re Unlust. Mit dieser Behauptung k\u00f6nnte nun in der That eine Erh\u00f6hung der successiven Gef\u00fchls-gegens\u00e4tze plausibel gemacht werden, und Fechner scheint wohl auch an etwas Derartiges zu denken, wenn er beim Princip der \u00e4sthetischen Folge eine Steigerung der Lust nach Unlust und umgekehrt damit erkl\u00e4rt, dafs eine \u201eseeund\u00e4re44 Lust resp. Unlust \u00fcber den \u201eFortschritt\u201c oder \u201eR\u00fcckschritt\u201c hinzukomme.\nMan k\u00f6nnte nun zun\u00e4chst bezweifeln, ob die Gef\u00fchle in dieser Weise \u00fcberhaupt ihrerseits nochmals Gegenstand der Lust oder Unlust werden k\u00f6nnen. Es k\u00f6nnte jene Annahme ebensowenig statthaft erscheinen als die vorhin zur\u00fcckgewiesene Auffassung, dafs uns das Gef\u00fchl noch einen besonderen Eindruck der St\u00e4rke oder Schw\u00e4che mache. Aber es handelt sich Mer nicht darum, dafs das Gef\u00fchl durch die Stellung zu dieser besonderen Gef\u00fchlstendenz selbst anders erscheinen oder einen anderen Charakter bekommen soll. Gerade die Eindeutigkeit des subject!ven Erlebnisses in einem Gef\u00fchl von bestimmter Qualit\u00e4t und. St\u00e4rke macht es m\u00f6glich, dafs zu diesem Inhalt Stellung genommen und Lust oder Unlust an ihm. erfahren wird. Alle Psychologie des Gef\u00fchles beruht ja ebenfalls nur auf dieser M\u00f6glichkeit, unseren eigenen subjectiven Zust\u00e4nden sozusagen ins Auge zu. schauen. Nur ist eben diese Auffassung und Beurtheilung des erlebten Gef\u00fchles ein neuer psychischer Act f\u00fcr sich. Die Freude an einem Object oder Vorgang, \u00fcber die man sich, vielleicht wieder besonders freuen kann, kommt selbst nicht dadurch zu Stande, dafs ich diese 1 Vende oder mich als die sich freuende Pers\u00f6nlichkeit ins Auge fasse, sondern einzig und allein durch Apperception des Objectes, welche das Gef\u00fchl erregt. Alles Wegwenden des inneren Blickes von dem Object auf mich als den sich Freuenden w\u00fcrde zun\u00e4chst die Freude an dem. Objecte nur st\u00f6ren k\u00f6nnen. Erst wenn das Gef\u00fchl im alleinigen Hinblick auf seinen Gegenstand psychisch fertig ist, kann ich ihm gegen\u00fcber als Factum Stellung nehmen. Ich freue oder \u00e4rgere mich also genau genommen niemals \u00fcber das gegenw\u00e4rtige, sondern h\u00f6chstens \u00fcber das eben vergangene oder zuk\u00fcnftig wieder zu erwartenden Ge-","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellung*- und Gef\u00fchlscontraat.\n87\nMM, vorausgesetzt, dafs ich \u00fcberhaupt mein Ich mit seinen subjective n Erlebnissen aus irgend einem Grunde zum Gegenstand meiner Beurthe\u00fcung machen will.\nDies zugestanden besteht also allerdings die M\u00f6glichkeit eines besonderen Verh\u00e4ltnisses zwischen einem, thats\u00e4chlich erlebten Gef\u00fchle und einer Tendenz, immer Lust und niemals Unlust zu erfahren. Nur darf diese Tendenz wo sie wirklich vorkommt, nicht mit der psychologischen Nothwendigkeit verwechselt werden, dafs die thats\u00e4ehiiehe oder in der Vorstellung anticipirte Erf\u00fcllung unseres Strebe ns stets von Lust begleitet ist Diese Lust ist nicht Gegenstand des Strebens gewesen. Ja selbst wenn von Jemand aus besonderen Gr\u00fcnden ein Gef\u00fchl, z. B. Lust, erstrebt worden w\u00e4re, so ist dies als Ziel vorgestellte und dann erlebte Gef\u00fchl von. der Lust, welche die Erf\u00fcllung dieses Ge\u00ab foihlsstrebens begleitet, wohl zu. unterscheiden. Denn die erstrebte Lust kann nur durch Betrachtung solcher Verh\u00e4ltnisse, aus denen nach den psychologischen Gesetzen thats\u00e4chlich Lust folgt, zur wirklichen Lust werden, \u00fcber die man sich dann noch besonders freuen kann. Nur di\u00ae Begleitung des erf\u00fcllten Strebens von Lust, des nicht erf\u00fcllten von Unlust ist also psychologisches Gesetz. Dafs man hingegen die Lust, als diesen aus der Erfahrung bekannten Zustand unseres Ich zum Gegenstand des Strebens mache, ist ein stets auf besonderen Gr\u00fcnden beruhender einzelner Vorsatz. Dem Streben, nach einfacher Lust treten qualitativ irgendwie anders bestimmte Gef\u00fchlsstrebungen an die Seite, etwa das ausschlie\u00dflich\u00a9 Streben eines Asceten nach dem Gef\u00fchl m\u00f6glichst angespannter Selbstbeherrschung etc. Die Gef\u00fchlsstrebungen insgesammt verschwinden aber wiederum fast vollst\u00e4ndig hinter den Strebungen nach bestimmten \u00e4ufseren Verh\u00e4ltnissen, nach Empfindungen und Vorstellungen.\nDiese Einf\u00fchrung der \u201esecund\u00e4ren\u201c Gef\u00fchle, welche aus dein Streben nach Gef\u00fchlen folgen k\u00f6nnen, leistet aber nun vor Allem gar nichts zur Erkl\u00e4rung der thats\u00e4chlich vorliegenden Contrast-f\u00e4lle im Gef\u00fchlsleben, wie sie im vorigen Kapitel zu Anfang erw\u00e4hnt wurden. Allerdings wurde ein Mensch, der wirklich jene Tendenz nach Lust in sich tr\u00e4gt, bei allem Angenehmen und Unangenehmen wegen seiner besonderen Gl\u00fccksw\u00fcnsche eine Steigerung der allgemeinen Lust- oder Unlustwirkung erfahren k\u00f6nnen. Auch m\u00fcfsten gerade die successiven Gegens\u00e4tze dadurch gr\u00f6fser ausfallen. Dies w\u00fcrde aber aus keinem besonderen Con-","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nWilhelm Wir Ik*\ntrastgesetze entspringen, sondern einfach aus der thateftchlichen Vermehrung der Lust- oder Unlustgr\u00fcnde durch besondere Ber\u00fccksichtigung der subjectiven Erlebnisse. Bei den oben erw\u00e4hnten allgemeinen Contrastf\u00e4\u00fcen handelt es sich aber nicht um ein solches besondere Interesse f\u00fcr die Gef\u00fchle als solche. Vielmehr erfolgt eine Steigerung der Gef\u00fchlswirkung gerade ohne eine solche Herbeiziehung neuer Gef\u00fchlsgr\u00fcnde, m\u00f6gen dieselben nun im. erlebten Gef\u00fchl selbst oder in anderweitigen Thatsachen bestehen. Somit wire also auch dieser Versuch besprochen, den Gef\u00fchlscontrast mit Einf\u00fchrung besonderer Gef\u00fchlstendenzen dem. Wahmehmungseontrast analog zu behandeln* wozu man vielleicht durch Fechkke sich versucht f\u00fchlen k\u00f6nnte.\nEs l\u00e4fst sich nun doch in etwas anderer als in der bisher kritisirten Weise der Zusammenhang zwischen dem Wahr\u00ab nehmungscontrast und dem Gef\u00fchlscontrast hersteilen, wenn wir dabei den allgemeinen Zusammenhang im Auge behalten, der \u00fcberhaupt zwischen Wahrnehmung und Gef\u00fchl besteht Seinerzeit wurde festgestellt, dafs heim, allgemeinen Wahmehmungseontrast keineswegs eine Ver\u00e4nderung von S\u0178ahmehmungsinhalten vorliege, sondern nur ein bestimmtes Contrastgef\u00fchl zu der neuen Wahrnehmung hinzutrete. Unter gewissen Umst\u00e4nden mufs nun damit auch ein Gef\u00fchlscontrast zwischen Lust und Unlust Zusammenh\u00e4ngen k\u00f6nnen. Das relativ Bedeutende erregt ja ein Gef\u00fchl der Ueberraschung und des Erstaunens,, das Unbedeutende hingegen Geringsch\u00e4tzung. Wenn nun zuerst etwas hinter dem Normalmaafs Zur\u00fcckbleibendes auftritt, und bald darauf etwas Uebernormales, so wird zuerst ein. Gef\u00fchl der Entt\u00e4uschung oder Geringsch\u00e4tzung, dann aber ein umso st\u00e4rkeres Gef\u00fchl der Ueberraschung eintreten m\u00fcssen. Und, in dem Maafse, als die pers\u00f6nlichen Interessen irgendwie bei der H\u00f6he des Grades der betreffenden Eigenschaft betheiligt sind, mufs je nachdem der hohe und geringe Grad erw\u00fcnscht, sch\u00f6n etc. oder unerw\u00fcnscht, h\u00e4fslich etc. Vorkommen. Dem Wahmehmungseontrast mufs dann gleichzeitig ein Gef\u00fchlscontrast zwischen Lust und, Unlust parallel gehen.\nAn jener Stelle brauchten wir nun die Erkl\u00e4rung des Wahr-nehmungscontrastes nicht weiter als Ms zur Feststellung der Contrastgef\u00fchle zu f\u00fchren, da es ja nur auf die Widerlegung des Versuches ankam, diese F\u00e4lle mit dem Farbencontrast im identifiziren oder irgendwie auf andere inhaltlich\u00a9 Ver\u00e4nderungen","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Vorstellung*- und Oeftihlscontrast.\n89\nder Wahrnehmungsinlialte zur\u00fcckzuf\u00fchren. Wenn wir jedoch den Gef\u00fchlscontrast als solchen besprechen, so d\u00fcrfen wir uns nicht begn\u00fcgen, auf jene F\u00e4lle hinzuweisen und noch weniger d\u00fcrfen wir in der Weise eine Analogie versuchen, dafs wir f\u00fcr die objeetiven Eigenschaften einfach Lust- oder Unlust Wirkung einsetzen, was vorhin als unm\u00f6glich nachzuweisen versucht wurde. Wir m\u00fcssen vielmehr umgekehrt die Gef\u00fchlserscheinungen, welche das Wesen des Wahrnehmungscontrastes ausmachen, als einen Specialfall des allgemeinen Gef\u00fchlscontrastes ansehen. Dies wird uns noch deutlicher werden, wenn wir das Folgende beachten.\nBei den W&hmehmuiigscontrasten kamen wir schon dahin, dafs wir feststellten, ein Grad einer Eigenschaft mache auf uns keinen besonderen Eindruck oder falle nicht besonders auf, wenn er mit dem bisher Gewohnten vollkommen \u00fcbereinstimme, oder wenn wir uns an ihn selbst gew\u00f6hnt bitten. Erst eine Abweichung von diesem Grade mache wieder einen besonderen Eindruck, so dafs also ein solcher Contrast zum Bisherigen ein-treten mufs, damit ein Grad \u00fcberhaupt eine besondere Qualification erhalte. Wie nun den objectiven Merkmalen Bedeutung oder Geringf\u00fcgigkeit nur dann zugesprochen wird, wenn sie vom Gew\u00f6hnlichen abweichen, so erregen die Objecte ganz allgemein ein besonderes Gef\u00fchl, also auch Lust oder Unlust in besonderem Grade nur dann, wenn sie von dem. bisher Gewohnten oder von dem bisherigen Lebenszusammenhang irgendwie abweichen. Ein Gut, das wir fortw\u00e4hrend besitzen, wird keine besondere Lust mehr erregen, es wird vielmehr selbstverst\u00e4ndlich und gleichg\u00fcltig, und nur etwas Werth volles, das wir noch nicht besessen haben, ist unsere besondere Lust zu erregen im Stande. Ebenso werden uns Uebel durch die Gew\u00f6hnung leichter und nur dasjenige, was der bisherige Zustand noch nicht enth\u00e4lt, ist ein st\u00e4rkeres Unlustgef\u00fchl zu erzeugen f\u00e4hig.\nDabei ist dasjenige Moment, welches den Gef\u00fcblscontrast bedingt, nat\u00fcrlich immer eine Ver\u00e4nderung des bisher gewohnten 1 ahmehmungs- und Wirklichkeitszusammenhanges, sei es, dafs blos ein Merkmal eines bekannten Objectes seinen Grad \u00e4ndert oder ein Zuwachs oder eine Herabminderung innerhalb des ganzen Lebenszusammenhanges \u00fcberhaupt erfolgt. Es liegt also-immer zugleich ein Wahmehmungseontrast vor. Daher ist nicht nur unter Umst\u00e4nden beim Wahmehmungseontrast in der oben","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nWilhelm Wirth.\nbesprochenen Art ein Gef\u00fchlseontrast vorhanden, sondern jedem durch Wahrnehmungen veranlafsten Gef\u00fchlseontrast liegt auch selbstverst\u00e4ndlich ein Contrast auf dem Gebiete der Wahrnehmungen zu Grande. Beide Vorg\u00e4nge geh\u00f6ren wie Vorstellung und Gef\u00fchl \u00fcberhaupt zusammen. Doch sprechen wir gew\u00f6hnlich nur dann von einem Wahrnehmungseontrast, wenn wir den objectiven Contrast einfach hinnehmen, ohne dafs uns pers\u00f6nlich irgend etwas an dem \u201emehr\u201c oder \u201eminder11 gelegen w\u00e4re, abgesehen davon, dafs es unsere erfahrungsgem\u00e4fsen Vorstellungsbahnen st\u00f6rt und eine gr\u00f6fsere oder geringere Auffassungskraft erfordert. Ein Gef\u00fchlseontrast hingegen liegt nur dann im vollen Sinne des Wortes vor, wenn solche objective Verh\u00e4ltnisse in Contrast treten, die starke entgegengesetzte Gef\u00fchle der Lust oder Unlust erregen. Zwischen diesen beiden Grenzf\u00e4llen giebt es nat\u00fcrlich viele Zwischenstufen, ja der einfachste Wahr-nehmnngscontrast hat auch immer eine eigent\u00fcmliche Gef\u00fchlsf\u00e4rbung, wie ja schon aus der Bezeichnung des Contrastgef\u00fchles als eines Gef\u00fchles der Ueberraschung oder Entt\u00e4uschung hervorgeht Nur in dem soeben dargelegten Sinne d\u00fcrfte also mit Wundt von einer Uebertragung der Contrast Wirkung von dem Gef\u00fchl auf die Wahrnehmungen und Vorstellungen gesprochen werden.\n(Eingegangen den 22* April 1898.)","page":90}],"identifier":"lit36136","issued":"1898","language":"de","pages":"49-90","startpages":"49","title":"Vorstellungs- und Gef\u00fchlscontrast","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:50:43.828585+00:00"}