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{"created":"2022-01-31T16:51:46.554048+00:00","id":"lit36177","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stumpf, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 18: 294-302","fulltext":[{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung,\nVon\nC. Stumpf.\nIn Being auf den ersten wesentlichen Punkt unserer Controverse, die Anwendbarkeit von obertonhaltigen Kl\u00e4ngen zur Feststellung der Verschmekungsth&tsachen, gesteht Meykb nunmehr su, dafs seine vorher allgemein und apodiktisch ausgesprochene Forderung, man d\u00fcrfe nur einfache T\u00f6ne verwenden, lediglich bedingungsweise gilt Fr\u00fcher h\u00f6rten wir (XVII, 402), bei director Beobachtung durch Musikalische habe man \u201egar kein\u00a9 Sicherheit daf\u00fcr, dafs das Urtheil durch die Beit\u00f6ne unbeeinflufst ge hieben sei\u201c Jetzt: \u201eDie Obert\u00f6ne k\u00f6nnen auf die Leichtigkeit oder Schwierigkeit des Heraush\u00f6rens der Grandt\u00f6ne kaum einen Einfl'ufs aus\u00fcben.\u201c Dafs die Verschmelzung selbst durch die Beit\u00f6ne nicht ge\u00e4ndert wird, hat Meter ohnedies auch schon damals anerkannt An meinem Hinweis, dafs die Consonant* unterschiede seit undenklicher Zeit an obertonhaltigen Klingen, beobachtet worden sind, hat er jedoch auszusetzen, dafs auf ^diese Weise in. der Praxis doch nur die allergr\u00f6bsten Consonant unterschiede festgestellt seien. Dies klingt so, als wenn irgend Jemand, etwa er selbst, noch mehr Abstufungen als die Musiker beobachtet h\u00e4tte. Mir ist nichts davon bekannt geworden.\nBei Unmusikalischen war es fr\u00fcher \u201eganz gelbstverst\u00e4ndtcl, dafs die Differenz- und Obert\u00f6ne das Urtheil beeinflussen\u201c (s. das.) Jetzt gilt es nur bedingungsweise, f\u00fcr den Fall n\u00e4mlich, daft man seine Theorie zu Grande lege, wonach diese Individuen eine Mehrheit von T\u00f6nen in einem Zusammenklang fast ausnahmslos nur erschliefsen, nicht wirklich wahmehmen ; weil dama die Klangfarbe als solche entscheidenden Einflufs auf das Ur theil gewinnen kann. Gehe man nicht von dieser Theorie am dann k\u00f6nne die Anwendung solcher .Kl\u00e4nge in der That sogar vorteilhaft sein.","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung.\n295\nMit diesen Zugest\u00e4ndnissen k\u00f6nnen wir Fr\u00fcheren zufrieden sein.\nDie Theorie selbst sucht Meyer durch eine aus Faist\u2019s Versuchen berechnete Tabelle aufs Neue zu st\u00fctzen. Aber wenn eine Lehre der Wirklichkeit so offen widerspricht wie die seimige, so kann die beste Erkl\u00e4rung daraus nichts n\u00fctzen. Was hilft ein durchl\u00f6cherter Rock, wenn er noch so gut sitzt? Ich werde demn\u00e4chst zeigen, dafs man f\u00fcr die fragliche Erscheinung (ihre einwandfreie Constatirung vorausgesetzt) \u00a9ine Erkl\u00e4rung geben kann, welcher auch Meybb nahegekommen ist, an deren richtiger Fassung ihn aber eben seine Theorie der Unmusikalischen verhinderte, w\u00e4hrend sie sich vollkommen in die bisherige Auffassung einf\u00fcgt. Ich gehe aber absichtlich hier nicht darauf ein, um nicht die Meinung zu beg\u00fcnstigen, als ob an diesem Punkte die Entscheidung l\u00e4ge.\nDie Unm\u00f6glichkeiten aber, die ich in seinen Aufstellungen nachgewiesen, sucht Meyer nunmehr auf ein\u00a9 zu kurze Aus-drucksweise zur\u00fcckzuf\u00fchren und durch ausf\u00fchrliche Erl\u00e4uterungen dessen, was er sich dabei gedacht habe, zu heben. W\u00e4re eine Verst\u00e4ndigung auch hierin zu hoffen, so w\u00fcrde ich nun wieder auf alle Einzelnheiten \u00a9ingehen und ihn zu \u00fcberzeugen versuchen, dafs auch so nicht durchzukommen ist; dafs man aufser den Menschen, die regelm\u00e4fsig alle T\u00f6ne aus einem Zusammenklang heraush\u00f6ren, und denen, die keine T\u00f6ne heraush\u00f6ren, solche unterscheiden mifs, die unter gleichen Umst\u00e4nden nur einige Tine heraush\u00f6ren, oder bald T\u00f6ne heraush\u00f6ren, bald nicht; dafs ferner zu dieser Classe die Mehrzahl sowohl der Musikalischen als der Unmusikalischen geh\u00f6rt, w\u00e4hrend die beiden anderen Classen relativ seltene Extreme darstellen ; dafs Musikalische und Unmusikalische sich innerhalb der genannten Classe nur graduell unterscheiden; dafs die von mir und Faist ben\u00fctzten Unmusikalischen nicht zu den seltenen Extremen, sondern zu den/Vielen geh\u00f6ren,'die in einem Zweiklang die beiden Grundt\u00f6ne bald heraush\u00f6ren bald nicht; dafs dagegen Meyee\u2019s allgemeine Theorie der Unmusikalischen lediglich auf die Extremen palst, die wir absichtlich und ausdr\u00fccklich von den Versuchen ausgeschlossen haben.\nAber wir hegen offenbar verschiedene Anschauungen \u00fcber das, worauf es bei einer wissenschaftlichen Discussion in erster Linie ankommt. Ich pflege, wie mein Kritiker ans jahrelanger","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\tC. Stumpf.\nTheilnahm\u00a9 an den theoretischen Hebungen des Seminars weife, genaueste Fassung der Definitionen \u25a0\u2014 wo solche \u00fcberhaupt m\u00f6glich sind \u2014 und der ScMuMoigemngen f\u00fcr unerl\u00e4fslich an-zusehen. Wenn er daher die Unbestimmtheit seiner Definition der \u201eUnmusikalischen\u201c damit entschuldigt, dafs .auch b\u00fcrgerliche Gesetze manchmal zu kurz und in Folge dessen zu allgemein gefafst seien, so kann ich dies nicht gelten lassen. Solen uns schon b\u00fcrgerliche Gesetze zum Muster dienen,, so sind dock selbst 'die schlechtesten darunter noch besser gefaM als jene Definition, selbst nach ihrer authentischen Erl\u00e4uterung.1\nIch kann m ebensowenig gelten lassen, wenn er die damals ganz allgemein hingestellte Definition nun blo\u00df auf gewisse specielle Versuchspersonen bezogen haben will. Eu einer allgemeing\u00fcltigen Definition will er gar keine Veranlassung gehabt haben \u2014 und dabei war sie ausdr\u00fccklich als die Voraussetzung einer Theorie \u00fcber das Urtheilsverhalten Unmusikalischer bezeichnet, die nur die n\u00e4here Entwickelung jener Definition ist und die \u00fcberhaupt keinen Sinn h\u00e4tte, wenn sie nicht allgemein verstanden sein sollte.\u00ae Die Definition soll sich nur auf Urtheilssubjecte wie die meinigen beziehen \u2014 und dabei liegen meine Versuche um 10 bis 22 Jahre zur\u00fcck und hat Meyeb von meinen Versuchspersonen nicht di\u00a9 geringste directe Kenntnifs, w\u00e4hrend ich aie seinerzeit nach .allen Richtungen, ganz besonders auch mit R\u00fccksicht auf mittelbare Uriheilskriterien (deren allgemeine Be deutung f\u00fcr Sinnesurtheile ich selbst zuerst hervorgehoben habe)\n1 Um mm einen Punkt herauszagreifen, m wird jetzt die \u201ebeschrankte Klangdauer\u201c n\u00e4her erl\u00e4utert, und die Definition lautet in Folge dessen also: \u201eUnter Unmusikalischen \u25bcerstehen wir solche Personen, die bei beschr\u00e4nkter, aber f\u00fcr jeden Musikalischen inter gleichen Bedingungen vollkommen ausreichender, Klangdauer nur ausnahmsweise im Stande sind in analysiren.\u201c\nWm verstehen wir nun aber unter Musikalischen? \u2014 Die gan\u00ab Erkl\u00e4rung l\u00e4uft jetzt darauf hinaus, dafs unmusikalisch ist, wer das nicht kann, was Musikalische k\u00f6nnen. Man mag dann freilich eben so lehrreich hinauf\u00fcgen, dafs musikalisch ist, wer das kann, was Unmusikalisch\u00a9 nicht k\u00f6nnen.\n1 Ich bitte Mer den Leser, den Abschnitt von Mini's Abhandlung (XVII, 413 f.) nachzulesen : \u201eIn der fr\u00fchesten Jugend, wo di\u00a9 Spache sich entwickelt und da\u00ab. Kind die wichtigsten Begriffe bildet\u201c u. s. f. \u2014 und. sich dann zu fragen, ob dies anders als allgemein verstanden werden kann.\n","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung.\n297\nuntersuchte.3 Eben darum sieht sich Meybb darauf angewiesen, aus der allgemeinen Beschaffenheit Unmusikalischer, wie \u00a9r sie sich vorstellt, auf die Beschaffenheit meiner Versuchspersonen zu Bchliefsen, und darum mufs seine Definition und Theorie als \u00a9ine allgemein g\u00fcltige verstanden werden, wenn sie \u00fcberhaupt einen Zweck haben soll.\nMag \u00a9r sich also noch so sehr als der \u201eGesetzgeber\u201c f\u00fchlen, nach dessen Intention das b\u00fcrgerliche Gesetz zu interpretiren ist, \u00a70 mufs ich doch behaupten, dafs in diesem Falle der Gesetzgeber sich selbst nicht me.hr' verstanden hat\nEs geht ferner gegen meine Begriffe von Logik, zuerst in aller Form eine Definition der Analyse aufzustellen, worin ausdr\u00fccklich das Heraush\u00f6ren aller heraush\u00f6rbaren T\u00f6ne verlangt wird, dann wenige Seiten darauf in. demselben Zusammenh\u00e4nge \u00a9in Kriterium der Analyse aufzustellen, bei dessen Anwendung ausdr\u00fccklich auch schon das Heraush\u00f6ren zweier f\u00fcr gen\u00fcgend erkl\u00e4rt wird, um jenen Begriff anzuwenden (XVII, 412 mit 416). Mbybb bemerkt hierzu, es gehe ohne jeden Zweifel aus dem Sinn der letzten Stelle hervor, dafs er hier eine unvollst\u00e4ndig\u00a9 Analyse im Auge habe. Das ist es eben! Wenn man, wie ich es thue, von, Analyse spricht, wo immer irgend eine Mehrheit von. T\u00f6nen unterschieden wird, dann kann man vollst\u00e4ndige und unvollst\u00e4ndige Analyse unterscheiden. Wenn man aber von, vornherein den Begriff der Analyse so wie Meybb definirt, dann, ist der Begriff einer unvollst\u00e4ndigen. Analyse nichts mehr und nichts weniger als eine contradictio in adjecto. Es Hegt also nicht eines der beliebten Mifsverst\u00e4ndnisse des Kritikers\n1 Es ist bezeichnend, dafs eine der Versuchspersonen mir sus A niais dieser Controverse schrieb: \u201eWer ist Dr. Metis? er mufs doch wohl damals an den Versuchen theilgenommen haben.\u201c In der That sollte man\u2019s denken, da er so gut \u00fcber meine Versuchspersonen Bescheid, weifi. Heber die Art, wie er ihre Aussagen S. 284 f\u00fcr seine Zwecke umdeutet, nur Eines., Er meint: \u201eKeinem naiven Mon wehen (und als solche sind Unmusikalisch\u00a9 in. tonpsychologischen Fragen zu. betrachten) fi\u00fclt es ein in sagen, die Sache sei schwer zu beschreiben, wenn er wirklich zwei Empfindungen unterscheidet.\u201c Welche Sache denn? Doch das Verh\u00fct\u00bb nifs der beiden unterschiedenen Empfindungen zu einander (denn darauf bezogen sich jene Aeusaerungen) : und dies kann in der That sehr schwer im beschreiben sein, nachdem die Empfindungen bereite deutlich von einander unterschieden sind. \u2014 Vollends di\u00a9 Unterstellung einer Suggestion der Antworten meinerseits weise ich entschieden zur\u00fcck. Dies# Fehlerquelle ist und war mir so gut bekannt wie Meybb.","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nC, Stumpf.\nvor, sondern wieder nur ein Mifsverst\u00e4ndnifs seiner selbst. \u201eDab Jemand sich selbst widerspreche, pflegt man sobald Niemandem zuzutrauen\u201c \u2014 diesen frommen Glauben hab ich l\u00e4ngst verloren.\nEbenso bleibt es f\u00fcr mich, all\u00a9 Zweckmlfsigkeitsfragen \u00fcber' den Gebrauch des Wortes \u201eAnalyse\"11 bei Seite gesetzt, ein einfacher Verstofs gegen di\u00a9 Logik, wenn Meyer zuerst Unmusikalische definirt als solche, die bei beschrankter Klangdauer nicht alle T\u00f6ne eines Zusammenklangs heraush\u00f6ren, dann aber in der auf diese Erkl\u00e4rung gegr\u00fcndeten, unmittelbar darauffolgenden Theorie die Unmusikalischen als solche darstellt, die unter den erw\u00e4hnten Umst\u00e4nden alle T\u00f6ne nicht heraush\u00f6ren (keinen heraush\u00f6ren). Dies ist f\u00fcr mich zweierlei, und die unvermerkte Einschiebung des einen f\u00fcr das andere bleibt eine Subreption, an der keine nachtr\u00e4gliche Darlegung \u00fcber Wesen und Arten der Analyse etwas zu \u00e4ndern vermag. Auf die Polemik gegen meine eigenen positiven Aufstellungen (Tonpsychologie) einzugehen habe ich keine Veranlassung; denn meine Einw\u00e4nde entspringen, wie man sieht, nicht erst aus dem Hineintragen meiner Lehren \u00fcber Analyse in Meyer\u2019s Auseinandersetzungen, sondern sind im Sinn einer immanenten Kritik rein aus diesen selbst entnommen.\nEs ist so einfach, nachdem man sich zugestandenermaafsen unbestimmt und mifsverst\u00e4ndlich ausgedmckt hat, dem .Leser, der sich bem\u00fcht hat, die Unbestimmtheiten hinwegzuschaffen, aber nicht ganz damit zu Stande gekommen ist, nun aie schlimmen Consequenzen aufzub\u00fcrden und Irgend etwas, das sich kaum hatte ahnen lassen, als den einzig \u201eselbstverst\u00e4ndlichen\u201c Sinn hinzustellen. Jetzt soll sogar der Satz: \u201eUnter Unmusikalischen verstehen wir u, s. w.14 \u2014 \u00fcberhaupt keine Definition gewesen sein. Er soll nur ausgedr\u00fcckt haben, \u201edafs man bei den in Frage kommenden Versuchen sich die Personen nach Maafsgabe ihrer Uebung im Analysiren so ausw \u00e4hlt, wie die Methode der Versuche es erfordert\u201c \u2022 Hierzu w\u00fcrde ich nur zu erinnern haben, dafs wir thats\u00e4chlich die Personen nach dieser Vorschrift ausw\u00e4hlten, so n\u00e4mlich, dafs sie weder eine zu grofse noch eine zu geringe F\u00e4higkeit im Analysiren be-gafsen. Aber ich w\u00fcrde, wenn der Satz Meyer's jenen Sinn haben sollte, ihn nicht blos \u201eetwas ungeschickt\u201c oder mifsverst\u00e4ndlich, Bondern schlechtweg unverst\u00e4ndlich ausgedr\u00fcckt finden.","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 Erwiderung.\n299\nJetzt erfahren wir ferner, dafs Meyer aufser dem einen unmusikalischen Individuum, das in seiner Abhandlung allein als Beobachtungsmaterial angef\u00fchrt ist, noch eine grofse Anzahl gepr\u00fcft und ausgefragt habe. Die Fassung seiner Abhandlung liefe dies 'nicht erwarten, und es ist seine Schuld, wenn er hierin mi\u00dfverstanden wurde. Ebenso war verschwiegen worden, dafs er er sich auch auf Beobachtungen \u00fcber seine eigene Entwickelung st\u00fctzt, und wenn er mir dies auch nach der Drucklegung seiner Abhandlung brieflich mittheilte, so h\u00f6re ich doch jetzt zum ersten Mal, dafs er sich allein auf diese Selbstbeobachtung st\u00fctzt Wenn ein Schriftsteller die einzige Basis seiner Zuversicht dem Leser vorenth\u00e4lt, dann kann er nicht verlangen, dafs man durch seine Darstellung \u00fcberzeugt wird. Oder geh\u00f6rt auch dies zu dem Selbstverst\u00e4ndlichen, das jeder billig Denkende hin-zuerg\u00e4nzen mufs ? \u2014 Es mag wohl darum verschwiegen worden sein, weil Meyer einer Selbstbeobachtung, solange sie nicht von Anderen wiederholt wird, keine objective Beweiskraft zutraute. Aber zur1 Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Entstehung seiner starken Zuversicht bei so schwachen sonstigen Beweisgr\u00fcnden ist es doch \u00e4ufserst wichtig.\nWas soll man ferner zu den Schlu\u00dffolgerungen S. 289 sagen, mit denen Meyer meinen Verschmelzungsbegriff widerlegen will? Er citlrt meine Definition der Verschmelzung als \u201edesjenigen Verh\u00e4ltnisses zweier Inhalte, wonach sie nicht eine blofse Summ\u00a9 sondern ein Ganzes bilden\u201c; sodann als zweite Pr\u00e4misse meinen Satz, \u201edafs aufeinanderfolgende Empfindungen als Empfindungen eine blofse Summe, gleichzeitige aber schon, als Empfindungen ein Ganzes bilden\u201c. Und nun argumentirt er : \u201eDaraus folgt, soviel ich sehe, dafs Octavent\u00f6ne bei gleichzeitigem H\u00f6ren st\u00e4rker verschmelzen als bei successivem\u201c, dafs also successive Octavent\u00f6ne weniger consonant w\u00e4ren als gleichzeitige; was doch mit der Auffassung der Musiker nicht stimme.\nSoviel ich sehe, folgt, einzig und allein, dafs aufeinanderfolgende T\u00f6ne als solche gar nicht verschmelzen 'und also gar nicht consonant sind. Nur indem der vorangegangene noch als Vorstellung im Bewufstsein ist, w\u00e4hrend der nachfolgende erklingt, indem also Succession in Gleichzeitigkeit verwandelt wird, kann Verschmelzung und Consonanz entstehen, dann aber auch eben so stark sein, wie bei gleichzeitigen E m p f i n d u n g e n. Dies Labe ich bereits fr\u00fcher kurz und in meiner letzten Meyer wohlbekannten Schrift ausf\u00fchrlich dargelegt. Die Theorie mag","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"800\n0. Stumpf,\nfalsch sein, aber sie ist consequent aufgebaut, Meters Schlufs-folgerang aus den gegebenen Pr\u00e4missen dagegen ist wieder eine Verkehrtheit, die man als gutes Beispiel f\u00fcr Fehlschl\u00fcsse in der Logik gebrauchen kann.\nNoch ein Beispiel Zu Meter\u2019s Figurenschema, welches zeigen sollte, dafs drei Raumfiguren paarweise symmetrisch sein und doch als Ganzes unsymmetrisch sein k\u00f6nnen (XVII, 419), hatte ich bemerkt, dafs die Symmetrie der einzelnen Paare nur zu Stande komme, wenn man das Blatt verschieden zum Auge h\u00e4lt F\u00fcr das Auge sind also faotisch in diesem Fall nicht zugleich die einzelnen Paare symmetrisch und das Ganze un-symmetrisch. Meyer erwidert, es sei im mathematischen Sinne gleichg\u00fcltig, ob \u00fcberhaupt Jemand die Figuren sieht oder nicht. Aber kann denn hier von einer anderen als der gesehenen Symmetrie die Rede sein? Es soll ja damit erl\u00e4utert werden, wie auch im Tongebiet drei T\u00f6ne paarweise mm soniren und doch als Ganzes dissoniren k\u00f6nnen; wobei es sich doch nicht um die Consonatxz von Luftschwingungen sondern von geh\u00f6rten T\u00f6nen handelt Wir pflegen das \u2014 Meter mufg schon dem ehemaligen Lehrer diese Pedanterie verzeihen \u2014 \u201eignoratio elenchi\u201c zu nennen.\nIn derselben Angelegenheit hatte ich seinem Gesetz, \u201edafs ein Breiklang um so gr\u00f6ftere Verschmelzung (Consonanz) zeige, je gr\u00f6fser die Einfachheit des Zahlenverh\u00e4ltnisses sowohl im Ganzen als paarweise ist\u201c, die zwei Dreikl\u00e4nge 3:4:7 (glc% b%)1 und 3 : 5 : 8 (dl h1 g2) entgegengehalten, deren erster nach diesem Gesetz consonanter sein m\u00fcfste als der zweite. Meyer weist mich \u201ebeil\u00e4ufig\u201c darauf hin, dafs 8 eine Potenz von 2, 7 dagegen eine Primzahl ist Aber soll es denn auf die Einfachheit der Zahlen ankommen oder auf die der Zahlen Verh\u00e4ltnisse? Nat\u00fcrlich auf die letztere; und von den Verh\u00e4ltnissen 3 :5, 5:8, 3:8 l\u00e4fst sich keines auf einen einfacheren Ausdruck bringen.2 *\nGegen\u00fcber so groben Mifsgriffen, di\u00a9 ein\u00a9 verst\u00e4rkte Fort-\n1 Ei stand hier f\u00e4lschlich ff statt \u00a5 (bei. t5).\nf Seltsam muthet es an, dafs Mit\u00bb\u00bb dieses Gesetz jetst eia \u201el\u00e4ngst\nnach allenRiehtungen gepr\u00fcftes\" nennt, w\u00e4hrend er es in der ersten,\nkaum drei Monate vorher eingegangenen Arbeit \u201evorl\u00e4ufig mit aller Zur\u00fcck-\nhaltung\" ausspricht, mit einem \u201evielleicht\" versieht, und n\u00e4her darauf ein gehen will, wenn die Vermehrung des Beobachtungainaterials m ge* \u25a0statte. So schnell bilden sich \u201el\u00e4ngst gepr\u00fcfte\u201c Ueberseugungen ?","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung.\n301\nSetzung der fr\u00fcheren bilden, mufs ich jede Hoffnung auf Verst\u00e4ndigung auf geben.\nEin Wort noch Iber gewisse neue positiv\u00a9 Zus\u00e4tze zu Meyeb\u2019s Theorie. Die Unmusikalischen sollen, wie wir von fr\u00fcher wissen, die Mehrheit der T\u00f6ne nicht wahrgenommen, sondern nur auf sie gerathen. haben. Dagegen haben sie, wie wir jetzt erfahren, die Verschmelzung oder Consonanz direct wahrgenommen (S. 276,7, 285). Hierunter versteht aber Meyeb \u201eEinheitlichkeit\u201c in dem Sinne wie bei einem einheitlichen Bauwerk, \u201eZusammengeh\u00f6rigkeit der Theile, gewisse Beziehungen der Theile zu einander\u201c (S. 287). Ich frage nun: wenn man gewisse Beziehungen der Theile zu einander wakmimmt, mufs man da nicht vor allem die Theile von einander unterscheiden, also ihre Mehrheit wahrnehmen? Wie stimmt dies aber mit dem ersten Satz?\nFerner erhalten wir Erl\u00e4uterungen \u00fcber jenes \u201eharmonische\u201c Etwas, woraus nach Mbybb die Unmusikalischen auf die Mehrheit der T\u00f6ne in einem Klange seMiefgen (XVII, 407, 411, 414), Ich batte, um diesem mysteri\u00f6sen Begriff eine fafsbare Deutung zu geben, ihn vermutungsweise auf die Gef\u00fchlswirkung des Klanges bezogen (ib. 429) und dachte damit Meyeb entgegenzukommen. Er lehnt diese Deutung nun ab und bezeichnet die Eigent\u00fcmlichkeit als eine solche der Empfindung selbst Aber was f\u00fcr eine Eigent\u00fcmlichkeit der Empfindung mag es sein? Nun ist ja die Sache noch mysteri\u00f6ser geworden, wir stehen vor einem vollkommenen X, das nicht mit einem Wort n\u00e4her charakterisirt wird. Und das soll, \u00a9ine psychologische Theorie sein, soll uns im Geringsten aufkl\u00e4ren?\nZu den f\u00fcnf Schlufsthesen Meter\u2019s bemerke ich, dafs ich die zweite in der vorigen Abhandlung nicht finden kann, dafs dagegen die bestimmte Behauptung in Hinsicht der Unmusikalischen, die dort im Vordergr\u00fcnde stand, auf welch\u00a9 sich der ganze Abschnitt \u201eKritik der bisher zur Untersuchung der Ton Verschmelzung angewandten Methoden\u201c fast aussehliefsliek bezog, und gegen welche daher auch meine Antikritik fast aus-schliefslich gerichtet war, unter den f\u00fcnf jetzigen Thesen fehlt Denn die 4, These, die etwa hierher gezogen werden k\u00f6nnte, sagt nur, dafs man Unmusikalische durch Fragen \u00fcber Einheitoder Mehrheit zur Beobachtung der Consonanz (Verschmelzung) veranlassen k\u00f6nne; was ich nicht leugne.1 Sie sagt aber nichts\n1 Habe ich doch selbst io der Toapsychologie erw\u00e4hnt, dafs die Ver-","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"802\nC. Stumpf,\ndar\u00fcber, ob mau sie durch dies\u00a9 Fragestellung zur Beantwortung der gestellten Frage selbst, d, h. zum Urtheil \u00fcber Einheit oder 'Mehrheit der geh\u00f6rten T\u00f6ne als solcher veranlassen k\u00f6nne; was ich behaupte, Metes aber leugnet Dies ist der Punkt, der uns trennt: seine Behauptung, dafs die unmusikalischen Versuchspersonen fast niemals analysirten, dafs ihre bestimmten Aussagen, mehrere T\u00f6ne zu h\u00f6ren, nur bedeuten sollten, der Klang sei durch mehrere Instrumente h ervorgebrach t.\nGeh\u00f6rt nun also diese Behauptung nicht mehr zu den Dingen, worauf es Meyer \u201eeigentlich ankommt\u201c? Dann w\u00fcrden wir Fr\u00fcheren mit diesem Zugest\u00e4ndnis wiederum zufrieden sein. Oder soll sie etwa in der ersten These eingeschlossen sein? Dann w\u00fcrde man mit Talleyrakd sagen m\u00fcssen, die Sprache sei erfunden, um die Gedanken zu verbergen. \u00d6der soll sie a us der vierten mit H\u00fclfe von Meyer\u2019s Consonanzbegriff folgen? Ich w\u00fcrde nach dem Obigen das Gegentheil finden, sofern dieser Consonanzbegriff eben die l nterscheidung der T\u00f6ne bereite voraussetzt.\nDoch es liegt mir fern, irgend Jemand, sei es auch einen technisch so gewandten und ob seiner Selbst\u00e4ndigkeit nicht minder wie seiner unerm\u00fcdlichen Arbeitslust von mir gesch\u00e4tzten jungen Forscher, f\u00fcr meine Theorie \u201eeinfangen\u201c zu wollen. Diesen Sport kenne ich nicht. Dagegen ist es meine Gewohnheit, den Gegner bei seiner eigenen Behauptung festzuhalten, Und damit stelle - ich ihn auch wiederholt vor das Dilemma: Entweder h\u00e4lt er seine Auffassung von den Unmusikalischen in der Schroffheit, wie sie in seiner urspr\u00fcnglichen Tendenz liegt, aufrecht \u2014 dann kann er seine Theorie entwickeln, gr\u00fcndet sie aber auf eine ungeheuerliche Uebertreibung \u2014 ; oder er fegt Concessioner! und Abschw\u00e4chungen ein \u2014 dann n\u00e4hert er sich in gleichem Maafse unserer Anschauung und entzieht seiner Deutung unserer Versuche den Boden.\nsuchspersonen in gewissen F\u00e4llen die Verschmelsungstmterschiede (Mim l\u00e4fsfc mich unsinniger Weis\u00a9 sagen : \u201edas Problem der Verschmelzung\u201c! direct wahrgenommen haben. Aber gerade an ihren darauf bez\u00fcglichen Aussagen ist deutlich, dafs sie die T\u00f6ne in diesen F\u00e4llen unterschieden haben m\u00fcssen, um ihr \u201eAuseinanderstreben\u201c u. s. f. wahrzunehmen.","page":302}],"identifier":"lit36177","issued":"1898","language":"de","pages":"294-302","startpages":"294","title":"Erwiderung [anl\u00e4\u00dflich des Meyerschen Nachtrages zur Abhandlung \"Ueber Tonverschmelzung und die Theorie der Consonanz\", Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg., 1898, Bd. 18, S. 274-293]","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:51:46.554053+00:00"}