Open Access
{"created":"2022-01-31T14:58:20.202843+00:00","id":"lit36184","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Lipps, Theodor","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 18: 405-441","fulltext":[{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch - optische T\u00e4uschungen,\nVon\nTheobob Lipps.\nL\n[Mit 7 Fig.)\nHbtmans hat an dem, Buche, dessen Titel ich diesem Artikel zur Ueberschrift gebe, in, dimer Zeitschrift XVII, S. 883 eingehend\u00a9 Kritik ge\u00fcbt Daf\u00fcr bin ich Hetmans dankbar. Zugleich scheint es mir wohl der M\u00fche werth, auf die MifsVerst\u00e4ndnisse hinzuweisen, die bei dieser Kritik mit nntergelaufen sind. Ich hoffe durch Bezeichnung1 derselben di\u00a9 Differenzen zwischen, Hetmans und mir aus der Welt zu, schaffen.\nDas bezeichnete Buch hat gleichzeitig \u00e4sthetische und optische Tendenz. Es soll in ihm gezeigt werden, dafs \u00e4sthetischer und optischer Eindruck geometrischer Formen zwei Beiten, einer und, derselben Sache sind, Vorstellungen mechanischen Inhaltes liegen beiden in gleicher Weise zu Grunde.\nEntsprechend dem Umstande, dafs ich in jenem Buche zun\u00e4chst die \u00e4sthetische Beite der Sache hervorkehre, wendet sich auch Hetmans in, erster Linie zum \u00e4sthetischen Theii meiner Darlegungen. Ein Punkt ist es, der hier seine Kritik herausfordert. Er sagt: \u201eStatt sich zu beschr\u00e4nken auf dasjenige, was wirklich bewiesen ist, dafs n\u00e4mlich ein grofser Theii der \u00e4sthetischen, Freude auf begl\u00fcckender Sympathie beruht, schliefst Livra in vollster Allgemeinheit: So ist alle Freude \u00fcber r\u00e4umliche Fo'rraen, und wir k\u00f6nnen hmzuf\u00fcgen: alle \u00e4sthetische Freude \u00fcberhaupt, begl\u00fcckendes Sympathiegef\u00fchl.11\nHier findet sich ein erstes Mifsverst\u00e4ndnifs. Ich schl|efse nicht aus dem,, was ich bewiesen habe, das was ich Mnzuf\u00fcge.","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406\nTheodor JAppn,\nSondern ich, f\u00fcge das Letztere dem Brsteren nur' einfach hinzu. Nat\u00fcrlich 'mit dem Tollen Bewufflteein dessen, was ich damit sage, und ans Gr\u00fcnden, deren ich sicher zu sein meine; nur dafs ich diese Grinde in dem betreffenden Zusammenh\u00e4nge nicht\ner\u00f6rtere*\nAber Hitmans meint, ich selbst gestehe ein Wohlgefallen zu, das aus blofser Regelm\u00e4\u00dfigkeit von Formen sich ergebe* Gewifs thue ich dies. N'ur ist eben \u201eWohlgefallen14 nicht ohne Weiteres \u00e4sthetisches Wohlgefallen. Meine Frage aber lautet: Wie ist es um das \u00e4sthetische Wohlgefallen bestellt? Ich frage: Worin besteht dasjenige, was \u00fcberall den eigentlichen Grund und Sinn dieser besonderen Art des Wohlgefallens bildet? Ich suche zu erkennen, wie dasjenige heifse, was \u00fcberall ein Wohlgefallen zu dem specifischon und einzigartigen Wohlgefallen werden Mit, wie wir es beispielsweise und vor Allem dem Kunstwerke gegen\u00fcber haben. Angenommen, es zeigt sich, Safe dann, wenn wir an regelm\u00e4\u00dfigen Formen ein solches \u00e4sthetisches Wohlgefallen haben, diese regelm\u00e4fsigen Formen zugleich Gegenstand der \u00e4sthetischen Sympathie sind; und es zeigt sich andererseits, dafs in anderen F\u00e4llen, wo mit der \u00e4sthetischen .Sympathie ein Gef\u00fchl des \u00e4sthetischen Wohlgefallens Hand in Hand geht, die Regelm\u00e4\u00dfigkeit fehlt Dana d\u00fcrfen wir doch wohl sehliefsen, dafs die Regelm\u00e4fsigkeit au# dort nicht der Grund des \u00e4sthetischen Wohlgefallens ist, daft auch in den F\u00e4llen, wo Regelm\u00e4fsigkeit vorliegt, das \u00e4sthetische Wohlgefallen in der \u00e4sthetischen Sympathie seinen Grund hat\nAuch f\u00fcr Hbymans ist ja doch zweifellos das \u00e4sthetische Wohlgefallen \u00a9ine specifische Art des Wohlgefallens oder der Lust Dann m\u00fcssen wir daf\u00fcr auch einen specifischen Grund suchen. Von diesem Grund nun sage ich, er besteh\u00a9 in der \u00e4sthetischen Sympathie, d. h. in einem in der \u00e4sthetischen Anschauung sich vollziehenden Miterleben einer im Objecte dieser Anschauung vorgestellten Art der \u201eLebendigkeit14. Und ich sage bestimmter, der \u00e4sthetische Genufs sei das begl\u00fcckende Gef\u00fchl solcher Sympathie.\nDafs es so sich verh\u00e4lt, ist, wie ich annehme, in einigen Fftlen auch f\u00fcr Hetmans zweifellos. Dann, scheint mir, m\u00fc\u00dfte Hitmans erwarten, dafs es in anderen F\u00e4llen ebenso sein werde. Angenommen, in gewissen F\u00e4llen sei das \u00e4sthetische Gef\u00fchl von der soeben bezeichneten Art. Ist es dann denkbar, dafs es in","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Eaum&sthetik und geometrweh-optwche T\u00e4uschungen.\n407\nanderen F\u00e4llen nichts ist\u00bb als das Gef\u00fchl der Befriedigung an inhaltloser Regelm\u00e4fsigkeit, eine Lust aus der gr\u00f6fseren Leichtigkeit, mit der wir das Regelm\u00e4\u00dfige auffassen, ein\u00a9 Freude aus diesem Spiel unserer psychischen Th\u00e4tigkeit Oder: Wenn jenes Gef\u00fchl \u00a9in specifisch \u00e4sthetisches ist, kann dann auch die sei so hei\u00dfen? W\u00fcrde unter dieser Voraussetzung nicht das Wort \u201e\u00e4sthetisches Gef\u00fchl\u201c v\u00f6llig Heterogenes bezeichnen? W\u00fcrde der Begriff des \u00e4sthetischen Genusses nicht jeden specifischen Sinn verlieren?\nHetmans bef\u00fcrchtet nun freilich : Wenn das Wohlgefallen an blofser Regelm\u00e4fsigkeit nicht \u00e4sthetischer Natur sei, so werde ein bedeutender Theil der architektonischen\u00bb musikalischen und poetischen Sch\u00f6nheit einfach aus dem \u00e4sthetischen Gebiet\u00a9 gestrichen, \u2022\u201eaus keinem anderen Grunde, als weil es dem Verfasser so beliebt\u201c, Aber ob dies in der That die Folge meiner Annahme sein w\u00fcrde, das ist doch erst noch die Frage. Die Regelm\u00e4\u00dfigkeit, die in den bezeichnten K\u00fcnsten sich findet, k\u00f6nnte recht wohl \u00fcberall die nothwendige psychologische Basis sein f\u00fcr etwas anderes und viel Tieferes, das allerdings Gegenstand unserer Sympathie ist Regelm\u00e4fsigkeit des poetischen oder musikalischen Rhythmus etwa k\u00f6nnte, indem ich ihn mit dem Ohre auffasse, einen verwandten Rhythmus oder eine verwandte Weise meines gesammten Lebensgef\u00fchles in mir entstehen lassen. Diese Weise meines gesammten Lebensgef\u00fchles k\u00f6nnte ich, ohne es zu wissen oder zu wollen, in das Geh\u00f6rte hinein verlegen, in ihm objectiviren, so dafs ich es wie etwas aus dem Geh\u00f6rten mir entgegen Klingendes versp\u00fcrte. Und es k\u00f6nnte sein, dafs erst dieser, mit meinem eigenen 'Leben erf\u00fcllte\u00bb von meiner Pers\u00f6nlichkeit durch tr\u00e4nkte Rhythmus die eigentlich\u00a9 \u00e4sthetische Wirkung auf mieb\u00fcbte\u00bb dafs ich von dem geh\u00f6rten Rhythmus einen \u00e4sthetischen Genufs hatte\u00bb nicht weil er dieser geh\u00f6rte Rhythmus ist, oder weil in ihm diese regelm\u00e4fsige Folg\u00a9 st\u00e4rker und schw\u00e4cher 'betonter Silben oder Tacttheile sich verwirklicht, sondern weil in Ihm ein sich selbst gleichartiges oder in sich einstimmiges, rasches oder gehaltenes, freudiges oder sehnsuchtsvolles, ruhiges oder st\u00fcrmisches, sanftes oder leidenschaftliches Leben zu pulsiren oder sich auszustr\u00f6men scheint: Dann wire Hetmans' Furcht unbegr\u00fcndet. Und ich darf sagen: sie ist unbegr\u00fcndet W\u00e4re hier dazu Gelegenheit, so w\u00fcrde ich vielleicht Hermans \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dafs es sich so verh\u00e4lt, \u2014 'nicht weil es","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408\nTheodor Lippe.\nmir, sondern weil es den psychologischen Thatsaehen \u201eso\nbehebt\u201c.\nEingehender ist Heymans\u2019 Kritik an meiner Theorie, sofern dieselbe die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen betrifft Hbymanb vermifst Mer zun\u00e4chst ganz allgemein \u201edie f\u00fcr den inductiven Forscher charakteristische Neigung, kein Urtheil \u00fcber Thatsaehen auch nur f\u00fcr m\u00f6glich anzusehen, ohne sofort nach f * rfahrungen sich umzusehen, die es best\u00e4tigen; und keines als gesichert anzusehen, ohne dafs man diese Erfahrungen bis zu Ende hat ansreden lassen,\u201c\nHinsichtlich des ersten dieser beiden Punkte befindet sich Hetmans in einem sachlichen Irrthum. Ich habe in der That die Neigung, wenn, ein Urtheil \u00fcber Thatsaehen mir als m\u00f6glich erscheint, sofort darauf bez\u00fcgliche Erfahrungen aufzusuchen. Vielleicht darf ich hinzuf\u00fcgen, dafs ich freilich ebensowohl die Neigung habe, keine Erfahrung zu deuten, oder die Deutung keiner Erfahrung f\u00fcr m\u00f6glich zu halten, ohne sofort die Frage zu stellen, ob diese Deutung mit allen anderweitigen Erfahrungen, auf demselben oder verwandten Gebieten, in Einklang steht Ich nehme an, dafs Hetmans diesen Versicherungen \u00fcber meine pers\u00f6nlichen Neigungen Glauben schenken wird.\nDagegen mufs ich 'in, dem zweiten Punkt\u00a9 in gewisser Weise mich schuldig bekennen.\nZwar hat in der Frage der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen zweifellos bisher Niemand die Erfahrungen vollst\u00e4ndiger zum Worte kommen lassen, als ich dies gethan habe. Und ich lege darauf alles Gewicht; und mache den gegnerischen Theorien, auch der llEYMANs\u2019schen, nichts mehr zum Vorwurf, als dafs sie so leicht auf einzelne F\u00e4lle allgemeine S\u00e4tze bauen. Aber die Neigung, erst die Erfahrungen bis zu Ende ausreden zu lassen, \u00a9he ich ein Urtheil f\u00fcr gesichert halte, besitze ich allerdings nicht Indem ich eine Theorie im Licht\u00a9 der Erfahrungen und immer neuer Erfahrungen betrachte, kommt .f\u00fcr mich seMiefslick ein Punkt, wo ich meiner Sache sicher bin; auch wenn ich recht wohl weifs, dafs noch eine weitere Pr\u00fcfung an Erfahrungen m\u00f6glich w\u00e4re. Ich vermuth\u00a9 aber freilich, dafs es sich bei Heymans nicht anders verh\u00e4lt,\nAber ich mufs im vorliegenden halle noch etwas mehr zugestehen. Als mir der Gedanke kam, es k\u00f6nnten die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen aus dem Princip sich erkl\u00e4ren, das ich","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Bawn\u00e2sthettk und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n409\njetzt kurz als das Frincip der \u201e\u00e4sthetischen Mechanik\u201c bezeichne\u00bb da sagte ich 'mir sofort : Diese Erkl\u00e4rung kann nicht nur, sondern sie mufs die richtige sein. Nicht in dem Sinne, als k\u00f6nnten nicht da und dort andere Momente die Wirkung mitbedingen. Aber dafs der \u00e4sthetisch-mechanische Factor bestehe, und dafs er \u00fcberall seine Wirkung zeigen m\u00fcsse\u00bb dies schien mir \u2014\u25a0 ich gestehe \u00a9s \u2014 sogleich vollkommen einleuchtend, so sehr, dafs ich mich wunderte\u00bb wie Andere hatten an diesem Gedanken vorbeisehen k\u00f6nnen. In der That, was kann es Einfacheres geben als dies \u2022 rincip der \u00e4sthetischen Mechanik ; & h. was kann einfacher sein als der Gedanke, dafs ein r\u00e4umliches Gebilde, das im\tVergleich\tmit\teinem\tanderen sich auszudehnen oder in\nh\u00f6herem Grade sich auszudehnen scheint\u00bb den Eindruck macht, es sei ausgedehnter als jenes, dafs ein Gebilde, das in seiner Ausdehnung gehemmt erscheint, minder ausgedehnt scheint, dafs das\tin h\u00f6herem\tGrade\t\u201esich Streckende\u201c gestreckter, das\nim\tVergleich\tmit\teinem\tanderen \u201esich Ausweitende\u201c weiter\nscheint u. s. w.\nDiesen Gedanken nun habe ich, wie He\u00efmaks weife, in meinen \u201eAesthotischen Faetoren der Raumanschauung14 sehr1 ungen\u00fcgend ausgef\u00fchrt. Dann aber liefs ich den Gedanken nicht fallen,, sondern kehrte durch Jahre hindurch immer wieder zu ihm\tzur\u00fcck.\tIch\tspann\tihn weiter aus, zeichnete in Mufse-\nstunden allerlei Figuren\u00bb schnitt aus\u00bb fertigte Modelle an oder liefs solche anfertigen, und bel\u00e4stigte endlos Angeh\u00f6rige und Fremde, Kinder und Erwachsene, Gebildete und Ungebildete mit dem Ansinnen, dies\u00a9 oder jene Dimension, Richtung, Form im, Vergleich mit anderen zu beurtheilen. Dabei stellte ich meine Versuche nicht auf\u2019s Geradewohl an\u00bb sondern so, dafs ich mir sagte, wenn mein Gedanke richtig sei\u00bb so m\u00fcsse sich dieser oder jener bestimmte Erfolg ergeben. Gelegentlich ergab sich der erwartete Erfolg nicht. Dann sah ich aber bald, dafs ich eine Gonsequenz meiner Theorie \u00fcbersehen oder nicht v\u00f6llig scharf gefafst hatte. Endlich ging ich an die systematische Durcharbeitung der Theorie. Dabei ergaben sich im Einzelnen neue Gesichtspunkte und neue T\u00e4uschungen. Sie ergaben sich auf deductivem Wege. Das Ergebnifs von allem dem nun ist, dafs ich jetzt allerdings auf dem Punkt stehe zu sagen: Entweder meine Theorie ist in ihren Grundz\u00fcgen durchaus zutreffend, oder ich bin ein Opfer des merkw\u00fcrdigsten Zufalles, oder besitze","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410\nTheodor Lipps.\neine Kunst der Selbstt\u00e4uschung, deren ich sonst nicht meine mich r\u00fchmen zu d\u00fcrfen.\nGehen wir aber zu Heymans\u2019 sachlichen Einwendungen. Ich habe zun\u00e4chst versucht, ganz allgemein zu zeigen, wie geometrisch-optische T\u00e4uschungen zu Stande kommen k\u00f6nnen. Zweifellos sind diese T\u00e4uschungen Urtheile: Ich beurtheile Gr\u00f6fsen, Richtungen, Formen. Und ich urtheile dabei anders, als ich sonst urtheile.\nDiese Urtheile nun k\u00f6nnten zun\u00e4chst beruhen auf dem, was ich wahr nehme: Ich nehme etwas Anderes wahr, als sonst. Aber diese Meinung st\u00f6fst auf un\u00fcberwindliche Schwierigkeiten. Man denke etwa an die Z\u00f6llner\u2019sehe Figur. Wenn ich eine Divergenz zweier Geraden wahrnehme, so nehme ich am einen Ende einen gr\u00f6fseren, am anderen einen geringeren Abstand der di verg\u00fctenden Geraden wahr. Wenn ich aber bei den scheinbar divergirenden Hauptlinien der genannten Figur den Abstand am Anfang und den Abstand am Ende dieser Linien sorgf\u00e4ltig vergleiche, so finde ich keinen Unterschied. Oder: wenn ich eine Distanz in mehrere gleiche Theile theile, so erscheint mir jeder Theil verkleinert und zugleich das Ganze vergr\u00f6fsert. Ich verstehe aber nicht, wie sich kleinere Wahr-nehmungsgr\u00f6fsen zu einem gr\u00f6fseren wahrgenommenen Ganzen sollten zusammensetzen k\u00f6nnen. U. s. w.\nDagegen verstehe ich sehr wohl, wie entsprechende Ur-theilst\u00e4uschungen sich ergeben k\u00f6nnen. Ich verstehe jedenfalls, wie sie sich ergeben k\u00f6nnen unter meinen Voraussetzungen. Wenn ich diese Voraussetzungen mache, so m\u00fcssen die T\u00e4uschungen jedesmal abh\u00e4ngen von dem Vorstellungs-zusammenhange, der in dem gegebenen Falle durch die Umst\u00e4nde dem Betrachter aufgen\u00f6thigt wird. Wenn ich aber das eine Mal eine getheilte Distanz im Ganzen nehme, das andere Mal die Theile f\u00fcr sich betrachte, so f\u00fcge ich nothwendig das Wahrgenommene in verschiedene Vorstellungszusammenh\u00e4nge, ich vollziehe nicht verschiedene Wahrnehmungen, aber es heften sich an dieselben verschiedene Gedanken.\nMan k\u00f6nnte nun, trotz des oben Gesagten, meinen, diese Vorstellungen oder Gedanken \u00e4nderten die Wahrnehmungen: Wahrnehmungsinhalte werden andere je nach der Betrachtungsweise. Dagegen habe ich in meinem Buche bemerkt: Dafs im normalen Leben \u201eVorstellungen\u201c, \u2014 worunter","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch optische T\u00e4uschungen.\t411\nich immer reproductive Vorstellungen verstehe, \u2014Wahrnehmungen zu modificiren verm\u00f6gen, davon wissen wir nichts. Heymans meint, damit sei nur das zu Beweisende in anderer Form wiederholt.\nDies ist nicht ganz richtig. Jener Satz ist allgemein zu nehmen. Ich fordere durch denselben den Leser oder Kritiker auf, mir auf irgend einem Gebiete \u2014 von Hallucinationen abgesehen \u2014 einen Fall aufzuzeigen, in dem sicher nachweisbar eine Wahrnehmung durch eine Vorstellung modificirt werde. Und ich schliefse: Da ein solcher Fall bis jetzt nicht gefunden ist, so besteht kein Hecht auf dem Gebiete der Raumanschauung dergleichen anzunehmen.\nIn der That giebt es keinen solchen Fall. Die Erscheinungen des Licht- und Farbenkontrastes werden jetzt, soviel ich sehe, allgemein als physiologisch begr\u00fcndet, und auf der besonderen Natur des Sehorganes beruhend angesehen. Dafs Vorstellungen von Bewegungen des Auges f\u00fcr die Wahrnehmung von Raumgr\u00f6fsen bestimmend sind, oder darauf Einflufs \u00fcben, behauptet freilich Wundt noch immer und Heymans operirt mit dieser Hypothese wie mit einer feststehenden Thatsache. Aber ich habe gegen diese Meinung bei verschiedenen Gelegenheiten1 Gr\u00fcnde angef\u00fchrt, die bis jetzt nicht widerlegt sind, und von denen ich auch nicht sehe, wie sie widerlegt werden sollten. Und so lange dies der Fall ist, bin ich berechtigt, der fraglichen Hypothese jedes Recht abzustreiten.\nAuch dafs das Bewufstsein der Entfernung der Objecte vom Auge ihre Gr\u00f6fse f\u00fcr die Wahrnehmung \u00e4ndere, dafs also dasselbe Object von uns gr\u00f6fser gesehen werde, wenn wir es als weiter vom Auge entfernt erkennen, ist nur eine im Widerspruch mit Thatsachen und gemeiner Logik von Einigen festgehaltene Behauptung.\nSo m\u00fcfste ich einen h\u00f6chst sonderbaren Ausnahmefall statuiren, wenn ich annehmen wollte, dafs bei den geometrischoptischen T\u00e4uschungen eine Ver\u00e4nderung der Wahrnehmungsinhalte durch hinzutretende Vorstellungen bewirkt werde. Und zur Anerkenntnifs eines solchen Ausnahmefalles w\u00fcrden mich allerdings nur zwingende Gr\u00fcnde veranlassen k\u00f6nnen. Es be-\n1 Grundthatsachen des Seelenlebens S. 515 ff. ; Psychologische Studien S. 3ff. ; \u201eRaumanschauung und Augenbewegungen\u201c in Zeitschr. f. Psychol. Ill, S. 123 ff.","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412\nTheodor Lippe.\nsteht eben auch hier f\u00fcr mich die oben zugestandene Neigung, auch bei der Deutung von Erfahrungen durch Erfahrungen mich leiten zu lassen,\nDer Annahme eines solchen Ausnahmefalles bedarf es nun aber auch gar nicht Die Urtheile, die wir .als optisch\u00a9 T\u00e4uschungen bezeichnen, sind durchweg V er gl eich surt heil e. Ich vergleiche, wenn ich sage, eine Ausdehnung sei \u201egr\u00f6fser\u201c als eine andere, daneben stehende, oder : zwei Linien divergiren, es habe also die eine eine \u201eandere\u201c Richtung als 'die andere. Ich vergleiche nicht minder, wenn ich sage, eine thats\u00e4cUich gerade Linie erscheine krumm. Auch Mer vergleiche ich Richtungen. Krumm ist dasjenige, das seine Richtung stetig \u201e\u00e4ndert\u201c. Endlich vergleiche ich auch, wenn ich sage, eine einzelne, thats\u00e4ch\u00fcch verticale Lime scheine im Sehfeld schr\u00e4g oder schief gestellt. Ich vergleich\u00a9 hier die Richtung der Linie mit dem Bild der verticalen Linie, das ich aus der Erfahrung gewonnen habe. Alie Raumbestimmungen sind nun einmal relativ. Und darin liegt immer ein. Vergleichen oder Messen von Einem an einem Anderen.\nVon solchem Vergleichen oder Messen nun wissen wir, wie es zu T\u00e4uschungen f\u00fchren kann. Nehmen wir gleich ein Beispiel aus dem Gebiet\u00a9 der r\u00e4umlichen Gr\u00f6fsenvergleichung, zun\u00e4chst ein. solches, das mit den. geometrisch-optischen T\u00e4uschungen nichts zu thun hat. Ich vergleiche etwa zwei an L\u00e4nge wenig verschiedene, im Uebrigen gleiche, einfache, gerade Linien. So lange ich dieselben sehr nahe an einander halte, erkenne ich ihr wahres L\u00e4ngenverh\u00e4ltnifs. Dagegen kann ich vielleicht keinen. Unterschied mehr1 constatiren, ich nenne die Linien also einander gleich, wenn ich sie weiter auseinander r\u00fccke. Hat sich, so frage ich, im letzteren Falle eine Aenderung der Wahrnehmung vollzogen? Sehe ich jetzt beide Limen gleich lang? Vielleicht geschieht es ein. ander Mai, dafs ich den Unterschied \u00fcbersch\u00e4tze. Sehe ich in diesem Falle zwei in h\u00f6herem Grade verschiedene Linien? Und wenn ich zwischen beiden Urtheilen schwanke, wenn, ich nicht weifs, wie es mit dem Verh\u00e4ltniis der L\u00e4ngen bestellt ist, heilst dies, dafs die Gesichtsbilder als solche jetzt in der einen, dann in der anderen Richtung ihre Gr\u00f6fse Indern, oder dafs die Gesiehtebilder als solche kein, festes Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnifs mehr zu einander haben?","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Baum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\t4 |g\nNiemand wird dies meinen. Sondern Jeder wird sagen: Die Gesichtsbilder sind dieselben geblieben; ich sehe, was ich vorher sah. Freilich hat sich das Gr\u00f6feenverh\u00e4ltmfe f\u00fcr mein Bewufsteein verschoben, aber es hat sich verschoben im Acte des Vergleichen, in diesem gedanklichen Vorgang. Es hat sich verschoben auf Grund der Bedingungen, die in einem solchen gedanklichen Vorgang zur Wirkung kommen k\u00f6nnen,\nDann frage ich weiter: Was heilst \u201eVergleichen\u201c. Und: Auf Grand wovon k\u00f6nnen im Acte des Vergleichen Gr\u00f6fsenver-verh\u00e4ltnisse sich verschieben?\nAuf die erster\u00a9 Frag\u00a9 nun antworte ich: Wenn ich eine Linie A mit einer anderen B hinsichtlich ihrer Gr\u00fcfte vergleiche, so will ich wissen, ob die L\u00e4nge der \u00a9men Linie mit der L\u00e4nge der anderen zusammenfftilt, bezw. mit welchem Stuck der einen Linie die andere zusammenf\u00e4llt, oder, was dasselbe sagt, wie weit auf der einen Linie die andere reicht. Eu dem Ewecke mufe ich die eine auf die andere legen. Ich thue dies materiell, d. h. ich \u00fcbertrage die w a h r g e n ommene Linie A auf die wahrgenommene Linie 2?, bezw. umgekehrt, wenn dies an ge hi Ich thue es anderenfalls ideell, d. h. ich begn\u00fcge mich das Vorstellungsbild oder unmittelbar\u00a9 Erinnerung\u00ab-nachbild von A auf B, bezw. umgekehrt, zu \u00fcbertragen. Dem entspricht das Kegultat der Vergleichung. Es besteht darin, daft ich wells, die eine Linie geht oder erstreckt sich auf der anderen bis zu diesem oder jenem bestimmten Punkte. Darin liegt doch offenbar eine solche Uebertragung.\nOder wenn man lieber will: Die Vergleichung beider Linien schliefst die Frage in sich, ob bezw. wie weit die L\u00e4nge der einen Linie auch der anderen Linie \u201ezukomme\u201c. Diese .Frage nun ist der Versuch, di\u00a9 L\u00e4nge jener Linie als L\u00e4nge dieser Linie oder als L\u00e4nge, die an dieser Linie bezw. einem bestimmten Theile derselben \u201estattfindet\u201c, vorzustellen. Ob ich sie aber so vorstellen kann, davon \u00fcberzeug\u00a9 ich mich wiederum durch materielle oder ideelle Uebertragung. Oder vielmehr: Jener Versuch ist in jedem Falle eine ideelle Uebertragung ; nur daft diese gegebenen Falles durch die materielle Uebertragung unterst\u00fctzt wird.\nBei. jenen aufser einander liegenden, an L\u00e4nge wenig verschiedenen Linien nun, von denen soeben die Kode war, handelt","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414\t'\u2022\t. TM\u00fbior Lippi.\nes sich nur um eine ideelle Uebertragung ; also um eine Uebertragung eines V orstelhmgsnachbildes. Wenn ich die Langen der beiden Linien vergleiche* so trage ich ako die in der Vorstellung festgehaltene L\u00e4nge der einen Linie auf der anderen ab. So nur kann ich das Bewufstsem gewinnen* die eine Linie reiche auf der anderen bis zu ihrem Endpunkte, oder sie bleibe dahinter um ein gr\u00f6fseres St\u00fcck zur\u00fcck, bezw. sie reiche um ein gr\u00f6fseres St\u00fcck dar\u00fcber hinaus, als es ihrer wirklichen L\u00e4nge entspricht Und darin besteht doch eben hier das Vergleichsresultat.\nBin ich mir nun \u00fcber diesen Sachverhalt klar, dann verstehe ich auch, wie die T\u00e4uschung \u00fcber das Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnils, bezw. die Unsicherheit dar\u00fcber \u2014 die ein Schwanken zwischen T\u00e4uschungen ist \u2014 zu Stande kommen kann. Von Bildern vahrgenommener Objecte, die wir in der Vorstellung festhalt en, wissen vir, dafs sie schwanken. Bl\u00f6ke Vorstellungen sind leicht, sogar au\u00dferordentlich leicht modificirbar.\nWodurch nun in dem hier besprochenen, aufserhalb der Sph\u00e4re der geometrisch'optischen T\u00e4uschungen liegenden Falle die Modification bewirkt wird, interessirt uns Mer nicht. Dagegen ist mir wichtig, dafs bei den geometrisch - optischen T\u00e4uschungen eine solche Modification geschehen kann und geschehen mufs durch die an r\u00e4umliche Formen aufs Unmittelbarste sich heftenden Vorstellungen von Bewegungstendenzen. Zwei Linien, A und By seien gleich, aber an der einen derselben, etwa A, hafte aus irgend welchem Grande mehr als an der anderen die Vorstellung einer in ihr wirkenden Tendenz der Ausdehnung. Die Vorstellung einer Ausdehnungs-tendenz, so sag\u00a9 ich in meinem Buche, ist nicht vollziehbar, ohne dafs ich dieser Tendenz in meiner Vorstellung folge. Oder 'vielmehr: Die Vorstellung einer Ausdelmungstendenz ist die Vorstellung einer andeutungsweise sich vollziehenden Aus-dehnungsbewegung. indem ich also jene Linie vorstelle, unterliege ich einer N\u00f6thigung, sie in meiner Vorstellung eine solche Bewegung ausf\u00fchren zu lassen. Dieser N\u00f6thigung wurde das Wahrnehmungsbild der Linie A eich widersetzem Das in der blofsen Vorstellung festgehaltene Bild von A aber gehorcht derselben.\nNun will ich wissen, wie die Gr\u00f6fse dieser Linie zur Gr\u00f6fse der anderen Linie sich verh\u00e4lt. Dies heilst nach oben Ge-","page":414},{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen,\n415\ngagtem: Ich trage das Vorstellungsbild der Linie A auf der Linie B ab, und sehe zu, wie weit dies Vorstellungsbild auf der Linie B reicht. Da dies Vorstellungsbild eine Ausdehnung erfahren hat, so geschieht es xmturgem\u00e4fs, dafs dasselbe \u00fcber A hinausragt. Ich sage demgem\u00e4fs : A ist oder scheint gr\u00f6fser als fit\nDiesen ganzen Gedankengang findet Hbtmamb, wie es scheint* verwunderlich- Mir scheint er sehr einfach, Ja ich finde, er enth\u00e4lt im Grunde ziemlich Selbstverst\u00e4ndliches.\nAber Heymans hat einen Einwand : Die Linie A sei eine einfache gerade Linie, die Linie B eine eben solche Linie, nur dafs an die Endpunkte dieser Linie B schr\u00e4g nach aufsen gehende Linien angeftgt sind. Nun verdecke ich zun\u00e4chst die Linie B, Ich sehe also zuerst nur die einfache Linie A. Dann verdecke ich A, w\u00e4hrend B sichtbar wird. Jetzt erscheint B gr\u00f6fser. Offenbar wird Mer nur das Vorstellungsbild der Linie A auf B \u00fcbertragen, nicht auch umgekehrt. Nachdem. A verdeckt worden ist, bleibt dies A in der Vorstellung, und diese Vorstellung messen wir an der Wahrnehmung fi. Da nun nach meiner Auffassung di\u00a9 Gr\u00f6fsenverschiebung, auf welcher die T\u00e4uschung beruht, nur an den Vorstellungsbildern sich vollzieht, so mufs sie in diesem Falle an A sich vollziehen. B scheint gr\u00f6fser, weil A sich in der Vorstellung verkleinert. Eu dieser Verkleinerung aber, meint Hetmans, bestehe kein Grund.\nAber darin irrt Hetmans, Zu dieser Verkleinerung besteht in. Wahrheit ein zwingender Grund. Ich sehe, nachdem A verdeckt ist, nur das fi. Dies B ist ein\u00a9 Linie von bestimmter L\u00e4nge. Wir wollen dieselbe L nennen. Aber es ist zugleich, ein\u00a9 Linie, die diese bestimmt\u00a9 L\u00e4nge L hat, w\u00e4hrend \u2014 durch die schr\u00e4g nach aufsen gehenden Schenkel \u2014 die begrenzende Th\u00e4tig-keit ihrer Endpunkte aufgehoben ist Nun \u00fcbertrage ich darauf das Vorstellungsbild der verdeckten Linie A, A ist dieselbe Linie, nur dafs bei ihr die Aufhebung der begrenzenden Thltigkeit nicht stattfindet. Oder k\u00fcrzer: A ist das in seiner linearen Ausdehnung in h\u00f6herem Grade begrenzte B. Vir haben also vor uns eine Linie fi, die nach Aussage der Wahrnehmung die Linge L hat, w\u00e4hrend ihre Ausdehnung einer minderen Begrenzung oder Hemmung unterliegt, und wir haben zugleich das Vorstellungsbild der ihr gleichen Linie A, bei welcher eine gr\u00f6fser\u00a9 Hemmung der Ausdehnungsbewegung","page":415},{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416\nTheodor Lippe.\nstattfindet. Nun m\u00fcssen wir, wenn eine und dieselbe Linie das eine Mal sich freier ansdehnt, das andere Mal in ihrer Ausdehnung einer gr\u00f6fseren Hemmung unterliegt, diese Linde das eine Mal gr\u00f6fsor, das andere Mal Heiner vorstellen. Dies thun w:ir also Mer. Und. da dies nur in der Weise m\u00f6glich ist, iai wir die lediglich vorgestellte Linie A in der Vorstellung verkleinern, so vollziehen wir diese Verkleinerung. Wir verkleinern also das. A in der Vorstellung.\nOder in etwas anderen Worten: Ist B unter Voraussetzung einer gr\u00f6fseren Freiheit der Ausdehnung so grofs, 'wie es nach Aussage der Wahrnehmung ist, so mufs A, von dessen wirklicher Ausdehnung uns im Acte der Vergleichung die Wahrnehmung kein\u00a9 Kunde mehr giebt, im Act\u00a9 der Vergleichung kleiner vorgestellt werden. Wir stellen es also Heiner vor.\nIch sage : wir thun dies im Acte der Vergleichung. In der That besteht lediglich innerhalb dieses Actes die N\u00f6tMgung zu der Verkleinerung des A, Ist dieser Act vor\u00fcber, vergleichen wir das A nicht mehr mit dem B3 so f\u00e4llt diese N\u00f6tMgung weg. Es kann dann die Erinnerung an das J, so wie es gesehen, wurde, wiederum frei zur Geltung kommen. Wir geben aber den Act der Vergleichung mit B auf, wenn A wiederum aufgedeckt wird, und wir nun fragen, ob das Erinnerungsbild, das wir von A haben, mit dem gesehenen. A \u00fcbereinstimmt Es braucht uns demnach das gesehene A jetzt nicht etwa gr\u00f6feer zu erscheinen als das Erinnerungsbild desselben. Die Verkleinerung, die im\u201c Gegensatz zur nat\u00fcrlichen Tendenz jedes Wahrgenommenen, in der Erinnerung unver\u00e4ndert weiter zu bestehen, von uns vollzogen wurde, h\u00f6rt auf, um! jene Tendenz \u00fcbt demgem\u00e4fs wiederum ihr\u00a9 Wirkung, so bald der Zwang zur Verkleinerung verschwunden ist.\nErst recht schwindet der Zwang zur Verkleinerung des A, wenn wir an die Stell\u00a9 des Vergleiches mit B den Vergleich mit einer Linie C freien lassen, von deren Endpunkten schr\u00e4g nach innen laufende Schenkel ausgehen, die demnach in h\u00f6herem Grade in ihrer Ausdehnung gehemmt erscheint An, die Steile jenes Zwanges zur Verkleinerung tritt jetzt \u00a9in. Zwang zur Ver-gr\u00f6fserung. \u00c2 scheint l\u00e4nger als C3 oder was dasselbe sagt, C scheint k\u00fcrzer als A. Es erscheint so \u2014 'wiederum im Acte der Vergleichung von C und A.\nielleicht ist es n\u00fctzlich, wenn ich Mer zwei Analoga au\u00ab","page":416},{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"Baum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n417\nanderen Gebieten anf\u00fchre. Das erste ist von Wilhelm Wihth in Zeitschr. f. Psychol. XVIII, S. 59 ff. besprochen worden. Ich sali eine Zeit lang sehr kleine Menschen. Dann scheinen mir in der Folge mittelgro\u00df Menschen mehr' als mittelgrofs. Dies heilst zun\u00e4chst: Nachdem ich mich in gewissem Grade an die kleineren Menschen gew\u00f6hnt habe, ihre Gr\u00f6fse also f\u00fcr mich zu einer gewohnten oder gew\u00f6hnlichen geworden war, ist die Mittel\u00bb gr\u00f6fse f\u00fcr mich auffallender, oder eindrucksvoller. Damit nun vergleiche ich die Mittelgr\u00f6\u00dfe, deren ich mich erinnere. Indem ich mich ihrer erinnere, weifs ich zugleich, dafs sie mir nicht auffiel, sondern f\u00fcr mich den Charakter des Gew\u00f6hnlichen hatte. Ich habe also jetzt einerseits das Wahmehmungsbild einer auffallenden, andererseits das Erinnerungsbild einer gew\u00f6hnlichen Gr\u00f6fse. Nun pflegt das auffallend Gr\u00f6fse erfahrungsgem\u00e4\u00df das Gr\u00f6fsere, das nicht auffallend Gr\u00f6fse erfahrungsgem\u00e4fs das Kleinere zu sein. Es besteht also f\u00fcr mich eine erfahrungs-gem\u00e4fse N\u00f6tMgung die gesehene Mittelgr\u00f6fse gr\u00f6fser vorzustellen als diejenige, deren ich mich erinnere, oder was dasselbe sagt, diese kleiner vorzustellen als jene. Dies thue ich also wirklich. Und da ich das jetzt Gesehene nicht gr\u00f6\u00dfer sehen kann, als ich es sehe, dagegen recht wohl das ehemals Gesehene kleiner vorstellen, als ich es ehemals sah, so thue ich dies Letztere. Ich verkleinere also auf Grund jener erfahrungsgem\u00e4fsen N\u00f6thigung mein Erinnerungsbild der fr\u00fcher gesehenen Mittelgr\u00f6fse. So geschieht es, dafs mir die jetzt gesehene Mittelgr\u00f6fse gr\u00f6fser erscheint als die von fr\u00fcherer Wahrnehmung her mir bekannte.\nVielleicht meint Jemand auch hier, die Mittelgr\u00f6fse werde jetzt gr\u00f6fser gesehen, als sie fr\u00fcher gesehen wurde. Und vielleicht hat man daf\u00fcr ein Wort, wie \u201eContrastgesetz\u201c oder \u201eGesetz der Beziehung44 zur Hand. Dann bitte ich zu bedenken, dafs die Thatsache, um deren Erkl\u00e4rung es sich hier handelt \u2014 dafs mittelgr\u00f6fse Menschen mir jetzt gr\u00f6fser erscheinen als sonst \u2014 von vornherein gewifs ebensowohl aus einer Vergr\u00f6fserung des Wahmehraungsbildes, das ich jetzt von diesen Menschen habe, wie aus einer Verkleinerung des Erinnerungsbildes derselben sich erkl\u00e4rt. Aber ich bitte zweitens zu bedenken, dafs doch gewi\u00df nach Jedermanns Meinung die Thatsache der Ver\u00e4nderlichkeit unserer Erinnerungsbilder fester steht als die angebliche Thatsache der Ver\u00e4nderlichkeit von Wahrnehmungen bei gleichbleibenden physiologischen Bedingungen.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVIII.\n27","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418\nThcodm* Lipps.\nNat\u00fcrlich, w\u00fcrde das entgegengesetzte Resultat sich ein-stellen, d. h. ich w\u00fcrde mein Erinnerungsbild der Mittelgr\u00f6\u00dfe vergr\u00f6fserm, also mittelgr\u00f6fse Menschen, di\u00a9 ich jetzt sehe, f\u00fcr untermittelgrofs halten, wenn die Bedingungen die entgegengesetzten w\u00e4ren, d. h. wenn ich l\u00e4nger sehr grofs\u00a9 Menschen gesehen h\u00e4tte, und dann mein B\u00fcck wiederum auf mittel grofse fiele.\nHierzu f\u00fcge ich das ander\u00a9 Analogon, Ich meine damit die Gr\u00f6fsensch\u00e4tzung bei verschiedener Entfernung vom Auge. Vor mir in grofser Entfernung erhebe' sich ein Berg, in mittlerer Entfernung ein Haus. Endlich befinde sich meine Band in der Entfernung von mir, in der ich sie gew\u00f6hnlich zu sehei pflege. Alle diese Objecte, so nehme ich an, werden von mir in ihrer H\u00f6hen- bezw. L\u00e4ngsausdehnung gleich grofs gesehen, Nun vergleiche ich das Haus mit den beiden anderen Objecten. Zun\u00e4chst mit dem Berg. Der Vergleich geschehe in der Weise, dafs ich das Haus aus dem Auge verliere, w\u00e4hrend ich den Blick dem Berge zuwende, Der Vergleich besteht dann wiederum, darin, dafs ich. das Vorstellungsbild des Hauses auf dem Berg abtrage, und zusehe, wie weit es auf diesem reicht Nun ist der Berg f\u00fcr mein Auge so grofs, wie er ist, unter Voraussetzung seiner gr\u00f6fseren Entfernung. Erfahrung aber sagt mir, dafs entferntere Objecte, die f\u00fcrs Auge gleich grofs sind., wie n\u00e4here, in Wirklichkeit gr\u00f6fser sind. Es besteht also f\u00fcr mich eine erfahrungsgem\u00e4fse N\u00f6tWgung, den Berg gr\u00f6fser vor zustellen als das Haus, oder das Haus kleiner als den. Berg. Da ich unter der von mir gemachten Voraussetzung nur das Baus kleiner vorstellen kann, so thue ich dies: Indem ich das Hais in. Gedanken in die Entfernung des Berges r\u00fccke, verkleinere ich es entsprechend.\nDagegen vergr\u00f6fsere ich das Haus in der Vorstellung in entsprechendem Maafse, wenn ich es mit der Hand vergleiche, cs also auf die Hand und demnach, in. Gedanken in die geringe Entfernung der Hand \u00fcbertrage. \u2014 So entsteht mir das Bewufstsein, der Berg sei gr\u00f6fser und die Hand kleiner als das Haus. Ich verfalle der T\u00e4uschung, als sehe Ich den. Berg gr\u00f6fser, die Hand kleiner. In der That sehe ich den Berg gr\u00f6fser, d. h. ich sehe ihn gr\u00f6fser als das in der Vorstellung zwangsweise verkleinerte, und ich sehe ebenso die Hand kleiner, als das in der Vorstellung zwangsweise vergr\u00f6fserte Haus.","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Baum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen,\n419\nFassen wir die Sache so, dann erscheinen unsere Urtheil\u00a9 \u00fcber die Gr\u00f6fse tob Objecten bei verschiedener Entfernung derselben vom. Auge v\u00f6llig verst\u00e4ndlich. Auch hier m\u00fcssen wir sagen, dais von Hause aus die beiden M\u00f6glichkeiten der Erkl\u00e4rung neben einander stehen: Entweder das Wahrnehmungs-bild des Berges, bezw. der Hand hat sich im Acte des Vergleiches, oder schon, vorher, hinsichtlich seiner Gr\u00f6fse ver\u00e4ndert, -oder der in der orstellung an beide \u2019angelegte Maafsstab hat unvermerkt die Ver\u00e4nderung erlitten. Das eine w\u00e4re an sich ebensowohl denkbar, wie das andere. Und, wie schon oben gesagt, scheinen noch immer Einige die erster\u00a9 Erkl\u00e4rung zu bevorzugen. Aber ich brauche nicht mehr zu wiederholen, warum man dazu kein Recht hat, so lange nicht die zweite als unm\u00f6glich nachgewiesen ist.\nGenau aus demselben Grunde nun hat man kein Recht, bei. unseren Linien A, B und C eine Vergr\u00f6fserung, bezw. Verkleinerung der Wahrnehmiiiigsbilder von B und 0 anzunehmen, wenn die bei der Vergleichung dieser Linien sich ergebende T\u00e4uschung aus einer im Acte der Vergleichung stattfindenden \" erkleinerung bezw. Vergr\u00f6\u00dferung des Vorstellungsbildes von A erkl\u00e4rbar ist. Wie wir aber gesehen haben, findet sie darin ihre volle Erkl\u00e4rung.\nDiese Erkl\u00e4rung erscheint aber schlieMich als die einzig m\u00f6gliche, wrenn wir die Schwierigkeiten bezw. Widerspr\u00fcche bedenken, denen jene andere Erkl\u00e4rung begegnet. Einiges hierher Geh\u00f6rige habe ich schon oben angedeutet.\nIch will aber noch Eines hinzuf\u00fcgen. Ich sagt\u00a9 in meinem Buche, die T\u00e4uschung, bei den Linien A und B etwa, schwinde, wenn man die eine der Linien materiell auf die andere \u00dcbertr\u00e4ge. Hetmans bemerkt dazu, dies sei selbstverst\u00e4ndlich, weil dann die zu vergleichenden Figuren sich nicht mehr unterscheiden. Lege ich etwa die einfache Linie A materiell auf die Linie B, an deren Endpunkten schr\u00e4g nach aufsen gehende Schenkel angef\u00fcgt sind, so geh\u00f6ren die Schenkel auch der Linie A an. Es ist also jetzt zu einer T\u00e4uschung kein Grund mehr,\nDies trifft nat\u00fcrlich zu. Aber \u2014 es giebt auch Mittelstufen zwischen dem Aufsereinander der beiden Linien A und #, so wie es bei der Demonstration der T\u00e4uschung vorausgesetzt zu sein pflegt, einerseits, und der v\u00f6lligen Deckung andererseits,\n27*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\nTheodor Lipps.\nIch kann A und B successive einander nahem. Und es ist von entscheidender Wichtigkeit zuzusehen, was hierbei geschieht.\nDabei erinnern wir uns an oben bereits Gesagtes. Ich sprach davon, dials auch da, wo von geometrisch - optischen T\u00e4uschungen noch keine .Rede ist, irrige oder schwankende Vergleichsresultate weniger leicht sich ergeben, wenn wir das zu Vergleichende nahe an einander halten. Dies kann ich verallgemeinern und sagen: Solche Resultat\u00a9 ergeben sich um so weniger leicht, je mehr di\u00a9 zur Vergleichung erforderliche Ueber-tragung in einfacher und unmittelbarer Weise sich vollziehen kann.\nDas Gleiche gilt nun auch bei den geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. Angenommen, ich bringe unsere Linien A und. B einander sehr nahe. Ich stelle sie so nebeneinander, dafs sie die L\u00e4ngsseiten eines sehr schmalen Rechteckes bilden. Dann mindert sich die T\u00e4uschung sichtlich, obgleich dabei \u00c2 die unver\u00e4nderte einfach\u00a9 Linie A bleibt, und di\u00a9 Schenkel, die an B angef\u00fcgt sind, vollkommen deutlich als lediglich der Lime M zugeh\u00f6rig erscheinen. So ist \u00fcberhaupt allzu greise r\u00e4umliche N\u00e4he der zu vergleichenden Gr\u00f6fsen oder Formen den geometrisch-optischen T\u00e4uschungen sch\u00e4dlich. Und die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen werden ebenso beeintr\u00e4chtigt, wenn die Liebertragung eines Raumelementes naturgemifs durch ein\u00a9 einfache Verschiebung in horizontaler bezw. verticaler Richtung geschieht, also keine Verr\u00fcckung in eine andere H\u00f6hen- bezw. Breitenlago erforderlich ist. Oder kurz: die T\u00e4uschung ist um so geringer, in je einfacherer und unmittelbarerer Weise die zum Vergleichen und Messen erforderliche Uebertragung sich vollziehen kann. Umgekehrt werden di\u00a9 Bedingungen der T\u00e4uschung g\u00fcnstiger, wenn die Uebertragung eine weniger unmittelbare ist, sei es dafs bei der Uebertragung ein l\u00e4ngerer Weg zur\u00fcckgelegt werden mais, sei es dafs dazu irgend welche Lagenver\u00e4nderungen erforderlich sind.\nWie nun dieser Umstand sich f\u00fcr uns erkl\u00e4rt, liegt auf der Hand. Das Vorste\u00fcungs- oder unmittelbar\u00a9 Erinnerungsbild der Linie A, \u2014 wenn wir zun\u00e4chst bei den Linien A und B bleiben, \u2014 besitzt, wenn der Weg zu B kurz ist, bei der Uebertragung' auf B noch in h\u00f6herem Grade die Widerstandsf\u00e4higkeit gegen modificirende Facto ren, welche dem Wahmehimmgsbilde als solchem eigen ist. Wahmehmungsbilder, di\u00a9 in blofse Vor-","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Baum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen*\n421\nstell ungshilder \u00fcbergehen, verlieren ja ihren Wahrnehmungs* Charakter a 11 m \u00e4 h 1 i c h. Sie klinge n in die Vorstellungsbilder stetig ab. Sie gewinnen erst rascher dann langsamer die Labilit\u00e4t, 'die den Vorstel hmgsbildern eigen ist\nZugleich steht der Grad dieser Labilit\u00e4t, oder die Raschheit, mit der sie sich einstellt, im umgekehrten Verh\u00e4ltnis zu der Energie, mit der wir das aus der Wahrnehmung gewonnene Bild in der Vorstellung festhalten, oder zu der auf die Beschaffenheit dieses Bildes gerichteten \u201eAufmerksamkeit\u201c. Diese Aufmerksamkeit aber mufs abgelenkt also vermindert werden durch jede Lage- oder Situationsver\u00e4nderung, die wir mit dem Vorstellungsbild\u00a9 vornehmen. Es ergiebt sich also aus jeder solchen Ver\u00e4nderung eine Steigerung jener Labilit\u00e4t, oder eine Erh\u00f6hung der Verschiebbarkeit der Vorstellungsbilder durch Factoren, die zur Erzeugung' einer solchen Verschiebung geeignet sind.\nDafg diese Erkl\u00e4rung bei jenen aufs er halb des Gebietes der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen liegenden T\u00e4uschungen zutrifft, bezweifelt Niemand. Erscheinen mir zw\u00e9i an L\u00e4nge wenig verschiedene einfache Linien bei weiterer Entfernung der Linien von einander nicht mehr oder nicht mehr deutlich verschieden, so giebt Jeder zu, dies liege daran, dafs beim Heber-gang von der einen Linie zur anderen das Vorstellungsbild der ersteren weniger sicher festgehalten werden k\u00f6nne. Wenigstens nehme ich an, dafs Jedermann so urtheilen wird. Nun, dann mufs bei den geometrisch-optischen T\u00e4uschungen der gleiche Thatbestand in gleicher Weise erkl\u00e4rt werden. Damit ist dann aber zugegeben, dafs es sich bei den geometrisch-optischen T\u00e4uschungen \u00fcberhaupt um eine Verschiebung von Vorstellungs-bildem handelt, und von einer Ver\u00e4nderung der Wahrnehmungsbilder nicht geredet werden darf, dafs also dieser Theil meiner Theorie in Ordnung ist.\nDamit will ich doch nicht ausschliefsen, dafs in diesem oder jenem Fall auch unter Voraussetzung der gegnerischen Anschauung, also derjenigen, die bei den geometrisch-optischen T\u00e4uschungen die Wahrnehmungsinhalte sich \u00e4ndern l\u00e4fst, eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr die hier in Rede stehende Thatsache gefunden werden k\u00f6nnte. So w\u00fcrde Hiymans vielleicht recht wohl eine Antwort auf die Frage geben k\u00f6nnen, warum die einfache Linie A, wenn sie unmittelbar neben die ihr gleiche, aber mit schr\u00e4g nach aufsen gehenden Schenkeln versehene Linie B ge-","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422\nTheodor Lippi.\nstellt wird, im Vergleich mit dieser letzteren, nicht 'um so fiel kleiner gesehen werde, als dies unter anderen Voraussetzungen der Fall ist. Hetmans w\u00fcrde vielleicht sagen, bei dieser Versuchsanordnung werde das Auge auch bei Betrachtung der Linie A von den Schenkeln der Linie B nach au Isen gezogen. Und. da seiner Theorie zufolge die Uebersch\u00e4tzung der Linie B auf einer solchen Tendenz der Ausw\u00e4rtswendung des Auges beruhe, so m\u00fcsse dieser selben Theorie zufolge auch. A, obzwar in geringerem Maafse, \u00fcbersch\u00e4tzt, d. h. gr\u00f6fser gesehen, werden.\nAber mag eine solche Erkl\u00e4rung auch in diesem speeiel,en, Falle plausibel erscheinen. In anderen F\u00e4llen ist es damit um so \u00fcbler bestellt. Werden etwa eine d\u00fcnnere und eine ihr gleiche nur dicker ausgezogene Linie in. der oben bezeichnten Weise neben einander .gestellt, d. h. so dafs beide die L\u00e4ngsseiten eines sehr schmalen Rechtecks bilden, so sehe ich recht wohl, dafs die d\u00fcnnere Linie, die sonst, d. h. bei anderer Versuchsanord-nung l\u00e4nger erscheint, thats&cUich nicht l\u00e4nger ist Auch hier hat man vielleicht einen.,, Erkl\u00e4rungsgrund\u201c bei der Hand. Man sehe eben, dafs die Endpunkte beider Linien die Eckpunkte eines Rechteckes seien. Man sehe, dafs die idealen Geraden, die die Endpunkt\u00a9 der einen Linie mit den Endpunkten der anderen verbinden, einander parallel seien. Und dadurch werde die sonst stattfindende T\u00e4uschung \u201ecorrigirt\u201c. Aber wie dies m\u00f6glich ist, wie es geschehen kann, dafs zwei Linien, verschieden lang gesehen werden und dennoch ihre Endpunkte f\u00fcr die Wahrnehmung in Parallelen liegen, wie dieser Widerspruch der Wahrnehmung mit sich selbst denkbar ist, das ist hier eben die Frage.\nIm Gefangen darf auch ein anderer Umstand, nicht \u00fcber-sehen werden. Auch, wenn ich zwei zu vergleichende Linien ziemlich nahe neben einander stelle, kann es geschehen, dafs \u00a9ine T\u00e4uschung \u00fcber ihr Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnifs sehr bestimmt sich aufdr\u00e4ngt, so lange ich mit dem Blicke leicht \u00fcber beide Linien, hingleite; w\u00e4hrend ich das richtige Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnifs sicher erkenne, so bald ich mir M\u00fche gebe, das Bild der einen Linie beim Uebergange zur anderen, m\u00f6glichst festzuhalten. Biese Thatsache vertr\u00e4gt sich offenbar mit keiner Theorie, die die optischen T\u00e4uschungen auf Ver\u00e4nderung der Wahrnehmungs* .Inhalte gr\u00fcndet. Unterschiede, die in wahrgenommenen Ob-","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Saum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n423\njecten thats\u00e4chlich gegeben sind, k\u00f6nnen bei scharfer Fest-haltung des Wahrgenommenen nur sicherer heraustreten.\nDie bezeichnte Thatsache l\u00e4fst sich aber verallgemeinern. Nicht scharfe Beobachtung der wahrgenommenen Formen, nicht auf solcher Beobachtung beruhendes sicheres Vergleichen, sondern verlorenes, \u201egedankenloses11 Dar\u00fcberhinwegblicken, \u2014 bei dem man immerhin weifs, worum es sich handelt \u2014 ist den geometrisch-optischen T\u00e4uschungen g\u00fcnstig. Dies aber ist \u00fcberall ein Charakteristicum der T\u00e4uschungen, die im Gegensatz zu den Inhalten der Wahrnehmungen stattfinden.\nDoch verfolgen wir diese Frage nicht weiter. Dieselbe ist von grofser principieller Wichtigkeit Und darum habe ich dabei verweilt. Aber f\u00fcr meine Theorie der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen ist sie nicht von entscheidender Bedeutung, Nach Heymaxs\u2019 eigener Theorie werden \u2014 wofern ich Heymans recht versteh\u00a9 \u2014 bei den optischen T\u00e4uschungen die Wahrnehmungs-Inhalte selbst durch Vorstellungen, n\u00e4mlich Vorstellungen von Augenbewegungen ver\u00e4ndert Ich habe schon oben angedeutet, dafs ich speciell diese angebliche Wirkung der Vorstellung von Augenbewegungen aus bestimmten, von mir aufgezeigten und bisher nicht widerlegten Gr\u00fcnden, aufs Bestimmteste leugnen mufs. Daraus folgt, dafs ich der Heymans\u2019scheu Theorie, sofern sie damit operirt, von vornherein di\u00a9 Existenzberechtigung abstreite.\nAber angenommen, Heymans h\u00e4tte wenigstens mit der allgemeinen Voraussetzung seiner Theorie \u2014 dafs \u00fcberhaupt r\u00e4umliche T ahrnehm urigen durch Vorstellungen ver\u00e4ndert werden k\u00f6nnen \u2014 Recht. Dann sehe ich nicht ein, warum nicht ebensowohl die mechanischen Vorstellungen, auf welche ich die optischen T\u00e4uschungen gr\u00fcnde, eine solche Ver\u00e4nderung r\u00e4umlicher Wahrnehmungen bewirken sollten. W\u00e4re dies aber der Fall, dann w\u00e4ren immerhin die optischen T\u00e4uschungen aus diesen Vorstellungen erkl\u00e4rbar. Die optischen f\u00e4n\u00f6chungen vollz\u00f6gen sich anders als ich meine. Aber ihr Grund blieb\u00a9 derselbe.\nIch wende mich jetzt zu einer zweiten allgemeineren Bemerkung meines Kritikers. Heymans tadelt den von mir zugestandenen \u201egeflissentlichen Verzicht auf exacte quantitative Bestimmungen44. Ich betone Mer das Wort \u201eexact44. Nicht auf quantitative Bestimmungen \u00fcberhaupt, sondern auf exacte quantitative Bestimmungen wollte ich verzichten. Hbymaks","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424\nTheodor Lippe.\nerinnert selbst daran, dafs ich an einer Stelle sogar drei Maxima fordere. Er f\u00fcgt hinzu: Eine Best\u00e4tigung dieser Vermuthung durch den Versuch w\u00fcrde gewifs ebenso f\u00fcr, wie das umgekehrte Resultat gegen Lipps\u2019 Theorie beweisen.\nHier scheint Heymans zu \u00fcbersehen, dafs eine ganze Reihe von Capiteln dieser Best\u00e4tigung gewidmet ist. Ich zeige in diesen Capiteln ausf\u00fchrlich, dafs die zun\u00e4chst der M\u00f6glichkeit nach gegebenen Maxima eintreten, so bald und so weit di\u00a9 vorausgesetzten besonderen Bedingungen derselben gegeben, sind. Nebenbei bemerkt, wollte ich diese etwas sehr ins Einzeln\u00a9 und Kleine gehenden Untersuchungen urspmngHeh 'unterdr\u00fccken. Ich habe es daim nicht gethan, weil ich wenigstens in einem, und zwar nicht allzu einfachen Falle zeigen wollte, wie eine aus meinem Princip deduotlv gewonnen\u00a9 Forderung auch im. Einzelnen und Kleinen sich best\u00e4tige, und wie fein und sicher dabei die Gesetzm\u00e4fsigkeit der S irkung der mechanischen Vorstellungen sich erweise. Zudem hatten diese Untersuchungen f\u00fcr mich noch einen besonderen pers\u00f6nlichen, Werth. Ich hatte die ganze in, den bezeichneten Capiteln enthaltene Deduction in allen ihren Verzweigungen in Gedanken durchgef\u00fchrt, ehe ich an die betreffenden Versuche ging. Ich that dies um meiner eigenen Sicherheit willen. Und ich war dann selbst erstaunt \u00fcber die Best\u00e4tigung, welche die Versuch\u00a9 ergaben.\nAber die Exactheit, d. h. die zaMenm\u00e4fsige Bestimmung fehlt in meinen Darlegungen. Dies begr\u00fcnde ich damit, dafs die \u201epsychische Energie44 der mechanischen Vorstellungen, und ihre F\u00e4higkeit, die Vorstellungen von r\u00e4umlichen Formen in. modiheiren, sich nicht messen lasse. Exacte Bestimmungen sollen sch\u00fcefslich der exacten Formulirung von Gesetzen dienen. Dazu m\u00fcssen aber sowohl die Ursachen, als die Wirkungen zahlenm\u00e4\u00dfig sieh bestimmen lassen.\nBesonders m\u00f6chte ich Mer noch auf Folgendes aufmerksam machen., In jedem r\u00e4umlichen Formelement, das Gegenstand einer optischen T\u00e4uschung sein kann, \u2014 also in jedem r\u00e4umlichen Formelement \u00fcberhaupt, aufser dem isolirten Funkte \u2014 stehen sich jederzeit zwei mechanische Factoreii entgegen. Ein\u00a9 begrenzte r\u00e4umliche Ausdehnungsgr\u00f6fse etwa scheint ihr Dasein zu haben, indem sie einerseits sich ausdehnt, andererseits, sich begrenzt oder einer Begrenzung unterliegt Jene Ausdehnung","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Raummtheiik und geometriich-optische T\u00e4uschungen.\n425\ni\u00dft eine Bewegung von innen nach aufsen; diese Begrenzung eine Gegenbewegung von aufsen nach innen. Beide Bewegungen halten, sich das Gleichgewicht und erzeugen so die ruhende Form. In dieser sind die beiden Bewegungen nicht mehr als actuelle Bewegungen, sondern als Bewegungstendenzen, oder als auf Erhaltung der Form gerichtete r\u00e4umliche Th\u00e4tigkeiten, Jede der beiden Tendenzen ist th\u00e4tig gegen ihre Gegentendenz.\nJede dieser Th\u00e4tigkeiten oder Tendenzen nun begr\u00fcndet die M\u00f6glichkeit einer entsprechenden, d. h, einer in ihrer Richtung liegenden geometrisch-optischen T\u00e4uschung. Es liegt also in jedem r\u00e4umlichen Formelement die M\u00f6glichkeit zu entgegengesetzten optischen T\u00e4uschungen. Von diesen verwirklicht sich die eine oder die andere, je nachdem, in unserer Vorstellung die eine oder die andere der Th\u00e4tigkeiten oder Tendenzen \u00fcber* wiegt Dabei bestehen zwei M\u00f6glichkeiten i Entweder es l&fst sich darthun, dafs und warum in einer Raumform von bestimmter Beschaffenheit allgemein die eine der beiden Th\u00e4tigkeiten oder Tendenzen \u00fcberwiegen m\u00fcsse, oder dafs und warum eine derselben die \u201eprim\u00e4re Th\u00e4tigkeit\u201c, die andere die \u201esecund\u00e4re Gegenteil de nzu sei Oder aber es liegt in der Natur der fraglichen Raumform, dafs je nach Umst\u00e4nden ein Ueber-wiegen sowohl der \u00a9inen als der anderen stattfinden kann.\nIm letzteren Falle nun ist die Aufgabe folgende: Es mufs gezeigt werden, unter welchen Voraussetzungen, nach allgemeinen und einleuchtenden Regeln, die eine oder die andere der fraglichen, Tendenzen in unserer Vorstellung gesteigert erscheint, oder was dasselbe sagt: unter welchen Voraussetzungen die Vorstellung der einen oder der anderen Tendenz in uns erh\u00f6ht\u00a9 Kraft besitzt Je nachdem mufs dann \u2014 nicht ohne Weiteres ein\u00a9 bestimmte T\u00e4uschung eintreten, wohl aber eine bestehende T\u00e4uschung sich mehren oder sich mindern und auch wohl schliefslich in die entgegengesetzte T\u00e4uschung \u00fcbergehen. Dabei aber l\u00e4fst sich niemals Voraussagen, wo der Punkt des Ueberganges sich finden m\u00fcsse. Der Grand ist schon angegeben: Wir k\u00f6nnen nun einmal die Kraft, welche die Vorstellungen der Tendenzen besitzen, und das relative Verh\u00e4itnifs der Wirkungen, welche sie in uns \u00fcben, nicht messen. Dann aber hat es offenbar auch keinen Werth, den Punkt, wo eine T\u00e4uschung in die entgegengesetzte umschl\u00e4gt, zahlenm\u00e4fsig zu bestimmen. Wir h\u00e4tten damit ein\u00a9 Thatsache, aber eine solche, mit der wir","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426\nTlieodor, Z\u00c2pps.\nnichts anfangen k\u00f6nnen. Sondern das Entscheidende ist Mer jedesmal das dem Mehr oder Minder der Bedingungen einer T\u00e4uschung entsprechende Mehr oder Minder dieser T\u00e4uschung, Ist eine solche Corresponded, \u00fcberall aufgezeigt, so ist die ganze Einsicht in den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen gegeben, die der Natur der Sache nach gegeben werden kann. Zahlen w\u00e4ren dabei ein blofses Ornament.\nDamit ist doch nicht ausgeschlossen, dafs nicht zahlenm\u00e4fsige Bestimmungen f\u00fcr meine Untersuchungen Werth gehabt h\u00e4tten. Sie h\u00e4tten zur Contr\u00f4le dienen k\u00f6nnen. Nicht zur einzigen Contr\u00f4le, auch nicht zu einer besonders entscheidenden. Auch jede \\ ariation der Bedingungen, jedes Mehr oder Minder der eben bezeichnten Art, jeder Nachweis, dafs eine Bedingung unter verschiedenen Umst\u00e4nden immer wieder in gleicher Richtung wirkt, ist eine Contr\u00f4le und kann eine ebenso entscheidende Contr\u00f4le sein. Aber die zahlenm\u00e4\u00dfigen Bestimmungen h\u00e4tten die Contr\u00f4le vervollst\u00e4ndigt und versch\u00e4rft. Ich h\u00e4tte wenigstens versuchen k\u00f6nnen zu zeigen, dafs die m\u00f6glichen exacten Resultate mit meinen Voraussetzungen nicht im Widerspruch stehen.\t^\nIndessen hier mufs ich nun bekennen : Ich konnte und wollte in. meinem Buche nicht Alles thun. Mochten gegen meine Theorie auf Grund zahlenm\u00e4\u00dfiger Bestimmungen Einw\u00e4nde erhoben, werden, so war ich entschlossen und bin es noch, dieselben abzuwarten. Gesetzt, es ergeben sich unter den exacten Bestimmungen solche, die mit meiner Theorie in keiner Weis\u00a9 vereinbar sind, dann habe ich eben, trotz dem was mich jetzt sicher macht, \u2014 geirrt. Einstweilen aber kenne ich kein\u00a9 derartigen Thatsachen. Ich bemerke gleich, dafs auch die von Heymaks gegen mich angef\u00fchrte nicht dieser Art ist.\nAuf diese Thatsache komme ich gleich. Zun\u00e4chst wende ich mich zu einer weiteren allgemeineren Bemerkung meines Kritikers. Heymans findet gewisse von mir mitgetheilte T\u00e4uschungen wenig \u00fcberzeugend. Dies liegt, soweit nicht etwa ungenaue Reproduction der von mir gezeichneten Figuren di\u00a9 Schuld tr\u00e4gt, in der Natur der Sache. Ich habe bei Er\u00f6rterung einzelner Figuren selbst gesagt, bei Anderen ergiebt sich dies leicht aus der Maren Auffassung der Voraussetzungen, warum die F\u00e4he, die durch diese Figuren veranschaulicht werden sollen, an der Grenz\u00a9 liegen, keine auffallende T\u00e4uschung ergeben k\u00f6nnen, oder zu","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch optische T\u00e4uschungen.\n427\n\u25a0ergeben brauchen, welche Momente der T\u00e4uschung entgegenwirken, sie vermindern und sogar vielleicht gelegentlich in das Gegentheil Umschlagen lassen. Ich h\u00e4tte alle solche Figuren weg-lassen. und mich mit denjenigen begn\u00fcgen k\u00f6nnen, die, weil bei ihnen die Bedingungen g\u00fcnstiger sind, die Wirkung derselben Factoren deutlicher zeigen. Ich liefs sie nicht weg, weil mir eben diese F\u00e4lle, und zum Theil verm\u00f6ge ihres zweifelhaften Charakters, besonders belehrend schienen. Im Uebrigen weifs ich, dafs manche dieser F\u00e4lle einer weiteren Discussion f\u00e4hig und bed\u00fcrftig sind Auch Irrth\u00fcmern mag ich im Einzelnen, hier wie sonst, unterlegen sein. Freilich sehe ich solche bis jetzt nicht. Um so dankbarer werde ich sein, wenn ich dar\u00fcber belehrt werde. Nur mufs die Kritik auf vorurteilsloser Betrachtung beruhen. Und sie mufs, sofern sie sich gegen meine Theorie .wendet, des Principe derselben und seiner vielfach sich verzweigenden Consequenzen bis ins Einzelne v\u00f6llig Herr sein. Ich gestehe die M\u00f6glichkeit zu, dafs auch bei mir diese Herrschaft keine vollkommene war. Insoweit habe ich s i c h \u00a9 r geirrt.\nJe mehr man in jenes Princip, \u2014 oder in den Sinn der\n\u201e\u00e4sthetischen Mechanik\u201c \u2014 sich hineinlebt \u2014 und solches Hinemleben ist hier nun einmal unbedingt n\u00f6thig \u2014 umsomehr wird sich auch Hkymaks\u2019 Meinung, dafs eine tadelnswerte Biegsamkeit, oder F\u00e4higkeit, den Verh\u00e4ltnissen sich anzupassen, meiner Theorie anhafte, als irrt\u00fcmlich erweisen. Wohl begreife ich, dafs dieser Schein zun\u00e4chst entstehen kann, ja am Ende entstehen mufs. Es ist sogar in gewissem Sinne richtig, dafs die Theorie besondere Biegsamkeit und Anpassungsf\u00e4higkeit besitzt. Nur eben nicht im Heymans'scIioh Sinne.\nHier ist aber der Punkt, wo IIkymans zu einzelnen That* Sachen, sich wendet, und bestimmte Beispiele meiner Theorie ins Auge fafst. Sehen wir zu, wie hier seine allgemeinen Urtheile sich bew\u00e4hren.\nDurch die Endpunkte A und B einer horizontalen Linie AB gehen verticale Linien. Diese verticalen Linien \u201edehnen sich44 in verticaler Richtung \u201eaus41. Die Vorstellung einer solchen verticalen Ausdehnung entsteht uns angesichts der ganzen verticalen Linien. Es haben also auch die Endpunkte der horizontalen Linie, sofern sie zugleich Punkte der verticalen Linien sind, daran Theil Die verticale Bewegung in den verticalen Linien","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428\nTheodor Lipps.\ngeht durch die Punkte \u00c4 und B hindurch. Dadurch wird der Gedanke der begrenzenden Thltigkeit, welche A und B auf die horizontale Linie \u00fcben, relativ zur\u00fcckgedr\u00e4ngt Die Vorstellung jener eoncurrirfc mit der Vorstellung dieser Bewegung oder Th\u00e4tigkeit Es geschieht dies nach einer allgemeinen \u201eRegel der Coneurrenz\u201c. Also scheint die horizontal\u00a9 Linie AB l\u00e4nger. Hbymans meint, man k\u00f6nnt\u00a9 ebensowohl sagen: Die senkrechten Geraden erwecken in h\u00f6herem Grad\u00a9 als die Endpunkt den Eindruck der beengenden, der Ausdehnungstendenz der Linie un\u00fcberwindliche Schranken entgegensetzenden Th\u00e4tigkeit. Aufserdem schein\u00a9 sich die ganz\u00a9 Figur jetzt weniger in der Richtung der Grundlinie, und mehr in der Richtung der Senkrechten zu erstrecken. Daraus erg\u00e4be sich ein\u00a9 Untersch\u00e4tzung der horizontalen Linie.\nBetrachten wir diese beiden Bemerkungen gesondert* In der Thal \u2022 kann man \u201esagen\u201c, die verticalen Linien begrenzen die horizontale mehr als ihre Endpunkte. Aber man kann es nicht meinen. Die verticalen Linien, als Linien* betrachtet, begrenzen die horizontale Linie \u00fcberhaupt nicht. Sie begrenzen die von ihnen eingeschlossene oder begrenzt\u00a9 Fl\u00e4che. Sie begrenzen die horizontale Linie nur soweit sie sie begrenzen, d. h, in den Punkten A und B, die mit den Endpunkten \u00c0 und B der horizontalen Linie identisch sind. Die verticalen Linien als Linien begrenzen aber nicht nur jene Fl\u00e4che, sondern, wie schon gesagt, sie dehnen sich zugleich in ihrer eigenen Richtung aus. Soweit wir nun bei der Betrachtung der verticalen Linien von der Vorstellung dieser Th\u00e4tigkeit oder \u201eFunction\u201c in Anspruch genommen sind, k\u00f6nnen wir nicht in Anspruch genommen oder gedanklich beherrscht sein von der Vorstellung jener begrenzenden Th\u00e4tigkeit Die Vorstellung der begrenzenden Th\u00e4tigkeit der verticalen Linien ist also, durch die Vorstellung der Ausdehnung der Linien in ihrer eigenen Richtung, in ihrer psychischen Wirksamkeit herabgesetzt. Damit ist zugleich, sofern A und B diesen verticalen Linien angeh\u00f6ren, die psychische * Wirksamkeit der Vorstellung der begrenzenden Th\u00e4tigkeit, welche diese Punkte auf di\u00a9 Linie AB \u00fcben, herabgesetzt. Wir unterliegen also bei der Betrachtung der Linie A\u00df in minderem Grade der Erstellung einer in ihren Endpunkten auf diese Linie wirkenden begrenzenden Th\u00e4tigkeit. Hiermit habe ich, was ich vorhin sagte, in etwas anderen Worten wiederholt","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"Saum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n429\nDagegen hat Heymans durchaus Recht, wenn er meint\u00bb die ganz\u00a9 Figur scheine jetzt mehr in der Richtung der Senkrechten sich zu erstrecken. Und ich gebe gern\u00a9 noch mehr zu i W\u00fcrde in einer Figur von der bezeichnten Art di\u00a9 horizontale Linie thats\u00e4ch-lich nicht \u00fcbersch\u00e4tzt sondern untersch\u00e4tzt, so w\u00fcrde ich \u2014 genau, so wie dies Heymans offenbar voraussetzt, und ohne irgend weiches Bedenken \u2014 den von Heymans bezeichneten Umstand daf\u00fcr verantwortlich machen. Nur w\u00fcrde ich mich damit nicht begn\u00fcgen : Ich w\u00fcrde zun\u00e4chst dabei bleiben, dafs die verticalen Linien als Linien eine M\u00f6thigung zur Heber Sch\u00e4tzung der Horizontalen in sich schliefsen. Ich w\u00fcrde aber zugleich con-statiren\u00bb dafs diese N\u00f6thigung zur Ueberseh\u00e4tzung in dem gegebenen Falle durch den Eindruck der verticalen Ausdehnung der Fl\u00e4che, an dem die Linie\u00bb als Theil der Flich\u00eb\u00bb theil-nehme, \u00fcberboten werde. Und ich w\u00fcrde dann diese ganze Anschauung durch Versuche zu bewahrheiten suchen. Ich w\u00fcrde die verticalen Linien einerseits verl\u00e4ngern\u00bb und damit der Fl\u00e4che \u00fcber die Linie das Uebergowieht schaffen, und zugleich den Lindhuck der verticalen Ausdehnung der Fl\u00e4che steigern. Und ich w\u00fcrde Voraussagen und durch die Erfahrung best\u00e4tigt finden, dafs jetzt die horizontale Linie weiter verk\u00fcrzt erscheine. Ich w\u00fcrde andererseits die verticalen. Linien verk\u00fcrzen, also bewirken, dafs die Fl\u00e4che und ihre verticale Ausdehnung im Ganzen, in h\u00f6herem, Grade zur\u00fccktrete, und die Gesammtfigur mehr als vorher im Lichte einer blofsen Linie mit angef\u00fcgten verticalen Li ni en st\u00fccken erscheine. Und ich w\u00fcrde jetzt Voraussagen und durch die Erfahrung best\u00e4tigt finden, dafs die scheinbare Verk\u00fcrzung der horizontalen Linie sich vermindert. In dor That hat\u00bb wie Jedermann leicht sich \u00fcberzeugt, die Verl\u00e4ngerung und Verk\u00fcrzung der verticalen Linie den Erfolg, die horizontale Linie verk\u00fcrzt bezw. verl\u00e4ngert erscheinen zu lassen. So wird durch das\u00bb was Heymans mit Recht aus meiner Theorie folgert, diese Theorie nicht widerlegt, sondern best\u00e4tigt.\n\u201eEin anderes Beispiel. In der M\u00fcLUEB-LYEB\u2019schen Figur wird die Linie mit einw\u00e4rts gerichteten Schenkeln untersch\u00e4tzt\u201c Der Leser meines Buches weifs, wie ich dies erkl\u00e4re. Heymans meint: \u201eLiefse sich nicht\u00bb wenn zuf\u00e4llig eine Uebersch\u00e4tzung statt einer Untersch\u00e4tzung stattf\u00e4nde, mit gleichem Schein von .Recht behaupten\u00bb die begrenzende Th\u00e4tigkeit des Endpunktes\u201c \u2014 genauer: jedes der beiden Endpunkte der fraglichen Linie","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"430\nTheodor Lipps.\noder Distanz \u2014 \u201em\u00fcsse sich jetzt \u00fcber die drei Limen vertheilen, demnach jeder einzelnen gegen\u00fcber eine Abschw\u00e4chung erfahren,\u201c\nHier frage ich: Was heifst dies? Welche begrenzende Th\u00e4tigkeit ist gemeint? Die begrenzende Th\u00e4tigkeit der End\u00bb punkte, oder eine begrenzende Th\u00e4tigkeit der Endpunkte \u00fcberhaupt, giebt es nicht. Kein Punkt tr\u00e4gt in sich ein bestimmtes Quantum von begrenzender Th\u00e4tigkeit, das er so oder so \u201evertheilen\u201c k\u00f6nnte. Jeder Punkt begrenzt zun\u00e4chst der M\u00f6glichkeit nach in allen m\u00f6glichen Richtungen. Eine bestimmte dieser begrenzenden Th\u00e4tigkeiten wird f\u00fcr unsere Vorstellung wirklich, wenn dazu ein Anlafs besteht, d. h. wenn es eine Linie oder Distanz giebt, die durch den Punkt begrenzt erscheinen kann.\nDies bestimmt sich genauer, wenn wir ber\u00fccksichtigen, was die \u201ebegrenzende Th\u00e4tigkeit\u201c will. Eine Th\u00e4tigkeit in dein Sinne, in dem ich hier \u00fcberall das Wort gebrauche, giebt es nicht ohne etwas, wogegen sie gerichtet ist, und das durch sie \u00fcberwunden oder in Schranken gehalten wird. Umgekehrt erscheint jede Th\u00e4tigkeit als Th\u00e4tigkeit, oder jede Th\u00e4tigkeit gewinnt f\u00fcr unsere Vorstellung St\u00e4rke, je nach dem Maafse dessen, was sie \u00fcberwindet oder in Schranken h\u00e4lt.\nNun besteht f\u00fcr die Vorstellung einer begrenzenden Th\u00e4tigkeit, die die Endpunkte der Hauptlinie in der fraglichen M\u00fcller\u00bb Ly kr sehen Figur \u00fcben, und zwar nach der Mitte der Figur Mn oder nach \u201eeinw\u00e4rts\u201c \u00fcben, ein dreifacher Anlafs. Drei Linien sind es, gegen welche die Endpunkte wirken. Eine dreifache Ausdehnung scheint also durch eine in sich identische begrenzende Th\u00e4tigkeit zumal in Schranken gehalten. Damit steigert sich in unserer Vorstellung diese begrenzende Th\u00e4tigkeit. Und daraus ergiebt sich eine entsprechende Steigerung der zugeh\u00f6rigen optischen T\u00e4uschung.\nAngenommen wir sehen einen Mann gleichzeitig Stand halten gegen drei Gegner, die ihn in einer bestimmten Richtung von seinem Standort zu verdr\u00e4ngen bem\u00fcht sind Dann wird freilich die Kraft des Mannes vertheilt. Aber darum handelt es sich Mer nicht. Es ist Mer nicht die Rede von der Kraft, die irgend Jemand oder irgend etwas hat Jene Endpunkte haben in Wahrheit gar keine Kraft Sondern in Frage steht einzig die Vorstellung der Kraft., und nicht die Vorstellung der vorhandenen, sondern di\u00a9 Vorstellung der auf-","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n431\ngewendeten Kraft oder kurz die Vorstellung der Th&tigkeit, Tendenz, Bem\u00fchung, Anstrengung. Die Frage lautet: welche T h\u00e4tigkeit, oder welches M a a f s dersc \u00fcben , scheint in einem gegebenen Falle den Umst\u00e4nden gem\u00e4fs vorzuliegen. Es ist aber kein Zweifel: Der Mann, der in der bezeichneten Weise gegen drei Gegner Stand h\u00e4lt, weckt die Vorstellung einer energischeren oder angespannteren Th\u00e4tigkeit, als derjenige, der in genau der gleichen Weise nur einem einzigen Stand h\u00e4lt. \u2014 Im Uebrigen, d. h. vor Allem f\u00fcr die Frage, warum die begrenzende Th\u00e4tigkeit, und nicht der Widerstand, den die ihr entgegenstehende Ausdehnungstendenz \u00fcbt, die T\u00e4uschung bestimmt, verweise ich auf mein Buch.\n\u201eZuletzt noch ein drittes Beispiel. Von einer geraden Linie zweige sich an irgend einem Punkte eine andere gerade Linie ab, dann erscheint jene vom Verzweigungspunkte an in entgegengesetztem Sinne geneigt, was Lirps auf die Vorstellung einer bis dahin durch die abbiegende Tendenz im Gleichgewicht gehaltenen, jetzt aber sich befreienden Kraft zur\u00fcckf\u00fchrt Was mufs nun aber mit der Zweiglinie vorzugehen scheinen? Ich denke, in die jetzt vorliegende Betrachtungsweise w\u00fcrde es zu passen scheinen, wenn sie weniger abzubiegen schiene, als thats\u00e4ehlieh der Fall ist. Haben wir doch allen Grund uns eine abbiegende Kraft, welche die Bewegung der Hauptlinie so wenig zu modificiren vermag, als \u00e4ufserst schwach vorzustellen.u\nDiesen Ein wand verstehe ich nicht recht Ob die \u201eabbiegende Kraft\u201c grofs oder klein ist, dies thut ja hier zun\u00e4chst gar nichts zur Sache. Wenn sie nur besteht. Die Hauptlinie \u2014 der \u201eStamm\u201c \u2014 heifse AB, ihre geradlinige Fortsetzung BC, die Zweiglinie BD. Dann erscheint als Fortsetzung der Hauptlinie AB zun\u00e4chst ihre geradlinige Fortsetzung, also BC. In gewissem Grade aber betrachten wir auch BB als Fortsetzung von AB. AB setzt sieh in BC fort, aber nicht ausschlie\u00dflich, sondern so, dafs es zugleich in BC und BB aus einander geht oder sich verzweigt. Nicht die Bewegung in AB, aber ein Theil derselben geht weiter in BB. Soweit dies der Pali ist, erscheint uns die Bewegung in BC und in AB als eine und dieselbe. Eine einheitliche Bewegung also erf\u00e4hrt in B ein\u00a9 Ablenkung.\nNun wissen wir, dafs jede Bewegung naturgem\u00e4fs in der Richtung sich fortsetzt, die sie einmal besitzt. Dagegen bedarf","page":431},{"file":"p0432.txt","language":"de","ocr_de":"432 \u2018\nTheodor Lipp$.\nes zur Ablenkung einer Bewegung eines bestimmten Kraftaufwandes oder einer besonderen \u00bbHenkenden Th\u00e4tigkeit Eine solche scheint also in der Linie BD, und vor Allem in .ihrem Beginn\u00bb wirksam,\nVergleichen wir jetzt BB mit einer gleichgerichteten\u00bb aber nicht von einer Hauptlinie abzweigenden Linie MN Beide unterscheiden sich dann derart, dafs mit BD, und nur mit BB, die Vorstellung jener ablenkenden 1 h\u00e4tigkeit sich verbindet Indem wir diese Vorstellung vollziehen\u00bb vollziehen wir in der Vorstellung die entsprechende Bewegung. D. h, die Linie BB erscheint im Vergleich mit MN im Sinne der ablenkenden Th\u00e4tigkeit geneigt. Oder was dasselbe sagt\u00bb sie scheint von AB st\u00e4rker abgelenkt als sie es in Wahrheit ist\nBer\u00fccksichtigen wir jetzt endlich\u00bb dafs doch eben nur ein T heil der Bewegung von AB in BI) sich fortzusetzen\u00bb also nur ein Theil dieser Bewegung di\u00a9 Ablenkung zu erfahren scheint\u00bb so ergiebt sich, dafs die fragliche T\u00e4uschung freilich geringer sein mufs\u00bb als wenn BC fehlte und demnach die ganze Bewegung von AB in BB eine Ablenkung erfahre, \u2014 Dafs sie in der That geringer ist\u00bb habe ich gezeigt \u2014 Aber darum bleibt ein Grad der T\u00e4uschung doch auch in unserem Falle noth wendig bestehen.\nAn den drei erw\u00e4hnten Beispielen will Hetmans die Biegsamkeit meiner Theorie illustriren. In einer weiteren Gruppe von F\u00e4llen soll dargethan werden\u00bb dafs meine Theorie anderweitig festgestellten Resultaten nicht entspricht.\nHier begegnen wir zuerst jener exaeten Bestimmung\u00bb auf die ich oben schon anspielte. Methans erinnert daran, dafs bei der M\u00fcLLEu-LTEKschen Figur das experimentell festgestellte Maximum der T\u00e4uschung bei einer Schenkell\u00e4nge lege\u00bb welche je nach der Gr\u00f6fse des Schenkel Winkels 1/n bis s/4 der L\u00e4nge der Vergleichslinien betr\u00e4gt. Hetmans meint, dies Krgebnifs k\u00f6nne nicht als eine Best\u00e4tigung meiner Theorie angesehen werden.\nIndessen Hetmans \u00fcbersieht Mer offenbar dies: Bei jenen Experimenten wurde jedes Mal eine Linie\u00bb an welche nach au\u00fcsen gehende Schenkel angesetzt waren, verglichen mit einer solchen, von deren Endpunkten eben solche Schenkel nach i n n e n Hefen. Und zugleich waren beide Liniensysteme derart unmittelbar mit einander verbunden, dafs die Vergleichslinien die beiden H\u00e4lften einer einzigen Geraden ausmachten, und die nach aufsen","page":432},{"file":"p0433.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n433\ngehenden Schenkel des einen Endpunktes der einen Linie mit den nach innen gehenden Schenkeln des einen Endpunktes der anderen Linie zusammenfielen. Kurz die Versuche bezogen sich auf die M\u00fcLLER-LYER\u2019sche Figur in der Form, die ihr Brentano gegeben hatte.\nDavon aber rede ich an der Stelle, die Heymans mit jenen Versuchen in Beziehung bringt, gar nicht. Sondern es handelt sich dort um die v\u00f6llig isolirt gedachte und isolirt betrachtete Linie mit schr\u00e4g nach ausw\u00e4rts gehenden Schenkeln. Und es handelt sich um die Sch\u00e4tzung dieser Linie im Vergleich mit einer gleichen Linie, an welcher die Schenkel einfach weggelassen sind. Da bei der Linie mit einw\u00e4rts gekehrten Schenkeln die gesetzm\u00e4fsige Beziehung zwischen Gr\u00f6fse der T\u00e4uschung und L\u00e4nge der Schenkel eine andere, ja entgegengesetzte ist, als bei der Linie mit ausw\u00e4rts gerichteten Schenkeln, und da zweitens auch die Weise der Verbindung der beiden Linien, wie sie in der B\u00dfENTANo\u2019schen Figur stattfindet, nicht ohne Einflufs auf die T\u00e4uschung sein kann, so sind jene Experimente zur Contr\u00f4le meiner Theorie v\u00f6llig unbrauchbar. Sie stehen zu den Con-sequenzen dieser Theorie in gar keiner unmittelbaren Beziehung. Sie k\u00f6nnen ihnen also auch nicht widerstreiten.\nNoch einfacher liegt die Sache in einem zweiten Fall\u00ab Heymans meint, die Poogendore sehe T\u00e4uschung werde von mir aus der Uebersch\u00e4tzung der verticalen Distanzen erkl\u00e4rt. Dies ist ein Irrthum. Die T\u00e4uschung, die Heymans im Auge hat, hat mit der Pogoendore\u2019sehen T\u00e4uschung nichts zu thun. Die wirkliche PooaENDORE\u2019sche T\u00e4uschung erkl\u00e4re ich v\u00f6llig anders.\nUm zu zeigen, wie wenig beide T\u00e4uschungen zusammen fallen, stelle ich sie hier neben einander. Fig. 1 zeigt diejenige, um die es sich bei mir an der von Heymans gemeinten Stelle handelt ; Fig. 2 vergegenw\u00e4rtigt die von Heymans so genannte\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XYIII.\n28","page":433},{"file":"p0434.txt","language":"de","ocr_de":"434\nTheodor Lippf.\nPoGGENDOBF\u2019sche T\u00e4uschung, nur dafs in dieser Figur der schwarze Streifen wagrecht, nicht, wie es meist geschieht, senkrecht gestellt ist. Hbymahs\u2019 Irrthum ist mir nur verst\u00e4ndlich, wenn ich annehme, dafs er niemals auf den Gedanken gekommen ist, auch seinerseits einmal diese kleine Ver\u00e4nderung an der Poogendobf\u2019sehen Figur vorzunehmen.\nWie man sich leicht \u00fcberzeugt, sind bei Fig. 1 und 2 die schr\u00e4gen Linien dieselben. Aber dort befindet sich zwischen den schr\u00e4gen Linien eine einfache leere Distanz, Mer eine Fl\u00e4che. Zugleich sieht man, dais die T\u00e4uschung bei beiden Figuren die direct entgegengesetzte ist. Bei Fig. 1 scheint, obzwar nicht in sehr auffallendem Grade, die geradlinige Fortsetzung der oberen schr\u00e4gen Linie \u00fcber, bei Fig. 2 scheint dieselbe unter der unteren Beitr\u00e4gen Linie weg zu gehen. Nat\u00fcrlich beruht dieser Gegensatz der T\u00e4uschungen auf der Verschiedenheit dessen, was In beiden F\u00e4llen zwischen den schr\u00e4gen Linien sich befindet\nIm einen Falle, n\u00e4mlich bei Fig. 1, l\u00e4fst die Ueber-sch\u00e4tzung der verticalen leeren Distanz, oder genauer die Uebersch\u00e4tzung dieser leeren Distanz, soweit sie eine verticale ist, die obere schr\u00e4ge Linie nach oben, die untere nach unten verschoben erscheinen. Die obere Linie \u201eerhebt sich\u201c \u00fcber die untere, die untere \u201esinkt\u201c unter die obere \u201eherab\u201c. Oder genauer gesagt: Die obere Linie ist \u2014 f\u00fcr unsere durch allt\u00e4gliche Erfahrung beeinfiufste Vorstellung \u25a0\u2014 \u201eoben\u201c verm\u00f6ge einer die Schwere \u00fcberwindende Th\u00e4tigkeit, die untere ist \u201eunten\u201c verm\u00f6ge der Schwere. Die obere Linie w\u00fcrde freilich nicht da verharren, wo sie ist, wenn nicht zugleich die Schwere in ihr oder auf sie wirkte. Ebenso w\u00fcrde die untere Linie nicht in dieser bestimmten Tiefenlag\u00a9 sieh behaupten, wenn es nicht etwas g\u00e4be, das der Schwere entgegenwirkte. Di\u00a9 Lage beider Linien ergiebt sich also erst aus einem Gegeneinander wirken beider Th\u00e4tigkeiten. Aber was das Obensein der oberen Linie, also das f ir sie im Gegensatz zu der unteren Linie Charakteristische eigentlich bewirkt, ist doch die gegen die Schwere gerichtete Th\u00e4tigkeit. Ebenso ist dasjenige, was die untere Linie eigentlich zur unteren macht, di\u00a9 Th\u00e4tigkeit der Schwere. Die Schwere macht nicht, dafs die obere Linie oben ist, sondern verhindert nur, dafs sie noch weiter oben ist; ebenso macht die gegen die Schwere gerichtete verticale Th\u00e4tigkeit in der unteren Linie nicht, dafs sie unten ist, sondern verhindert nur, dafs","page":434},{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\t435\nsie noch weiter unten ist. Indem wir also die beiden Linien betrachten und in ihrem wechselseitigen Lageverh\u00e4ltnifs ins Auge fassen, d. h. die eine im Vergleich zur anderen als \u201eoben\u201c, diese andere , im Vergleich zu jener als \u201eunten\u201c erkennen, unterliegen wir angesichts jener zun\u00e4chst der Vorstellung einer der Schwere entgegen wirkenden, hebenden und dadurch das Obensein bewirkenden Th\u00e4tigkeit; wir unterliegen ebenso angesichts der unteren Linie zun\u00e4chst der Vorstellung einer senkenden, herabdr\u00fcckenden, und dadurch das Untensein bedingenden Th\u00e4tigkeit der Schwere. Dort ist, mit einem Worte, die die Schwere \u00fcberwindende Th\u00e4tigkeit, hier die Th\u00e4tigkeit der Schwere die \u201eprim\u00e4re\u201c. Damit ist die fragliche T\u00e4uschung gegeben.\nNun ist allerdings auch in Fig. 2 die obere schr\u00e4ge Linie oben, die untere unten. Es besteht also auch hier eine N\u00f6thigung zu der gleichen T\u00e4uschung. Nun \u2014 man braucht nur Fig. 2 um 90 0 zu drehen, also Fig.\u2019 2 in Fig. 3 zu verwandeln\nFig. 3.\tFig. 4.\nund Fig. 3 mit Fig. 2 zu vergleichen, um zu sehen, dafs diese T\u00e4usehungsn\u00f6thigung auch hier nicht wirkungslos ist. In Fig. 3 wirkt noth wendig die Poggendobf\u2019 sehe T\u00e4uschung in gleichem' Sinne, wie die T\u00e4uschung, die sie mit Fig. 1 gemein hat. Beide T\u00e4uschungen sind bei ihr ' \u00e4ufserlich betrachtet gleichartig. Es steigern sich also in Fig. 3 beide T\u00e4uschungen wechselseitig. Dagegen wird in Fig. 2 die aus dem Gegensatz des Oben und Unten entstehende T\u00e4uschung durch die Poggen-noBE sche T\u00e4uschung aufgehoben und in ihr Gegentheil verkehrt. Aufserdem mufs noch hinzugef\u00fcgt werden, dafs die erstere T\u00e4uschung, die \u201eH\u00f6hent\u00e4uschung\u201c, sowohl bei Fig. 2 als bei Fig. 3 dadurch vermindert wird, dafs hier die obere schr\u00e4ge Linie nicht frei \u00fcber die untere \u201esicherhebt\u201c, die untere nicht frei unter die obere \u201eherabsinkt\u201c, sondern beide durch den schwarzen Streifen an einander gebunden sind.\n28*","page":435},{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"m\nTh\u00eaodor Lipps\nWie gesagt, erkl\u00e4re ich die Po\u00f6OENDOBF\u2019sehe T\u00e4uschung v\u00f6llig anders. Selbstverst\u00e4ndlich, da ja beide T\u00e4uschungen das v\u00f6llig entgegengesetzte Aussehen haben k\u00f6nnen, und da die leere Distanz, die bei Fig, 1 wesentlich ist, Mer wegf\u00e4llt Ich brauche aber gar nicht mehr zu sagen, wie ich die Pooom-BORF\u2019sehe T\u00e4uschung erkl\u00e4re. Die schr\u00e4gen Linien biegen bei der PouGENDOBF\u2019schen Figur von der Richtung des schwarzen Streifens, und zun\u00e4chst seiner Begrenzungslinien, ab. Diese Abbiegung wird, wie wir oben sahen, \u00fcbersch\u00e4tzt Die schr\u00e4gen Linien scheinen also rechtwinkeliger auf den Streifen zu stofsen, als sie es thun. Daraus ergiebt sich die fragliche T\u00e4uschung ohne Weiter\u00ab.\nHiermit nun ist auch der Einwand hinf\u00e4llig, den Heymanb gegen meine Erkl\u00e4rung von Fig. 1 oder der bei ihr stattfindenden \u201eH\u00f6hent\u00e4uschung\u201c erhebt. Hetmans meint, es sei mit meiner Erkl\u00e4rung dieser Figur die Entdeckung Bubmeistkrs nicht vertr\u00e4glich, der zu Folge \u2014 nicht etwa die T\u00e4uschung in Fig. 1, sondern die foooBNBOBF\u2019sche T\u00e4uschung die doppelte Intensit\u00e4t gewinne, wenn die schr\u00e4gen Linien, von den Ber\u00fchrungspunkten mit den parallelen Linien an, beide nach abw\u00e4rts gezogen werden.\nWas Hetmans hiermit meint zeigt Pig. 4. In der That scheint hier im Vergleich mit Fig. S die Pooo-ENBOBF\u2019sche T\u00e4uschung st\u00e4rker. Es leuchtet aber ein, dafs diese Thats&ehe mit meiner Erkl\u00e4rung von Pig. 1 nichts zu thun hat Zugleich ersieht der Kenner meiner Theorie leicht, wie ich die Buk-MEisTEB\u2019sohe \u201eEntdeckung\u201c erkl\u00e4ren mufs. Die PoouENDOBF\u2019sche T\u00e4uschung, d. h. genauer: der Schein, dafs die untere schr\u00e4ge Linie in ihrer Verl\u00e4ngerung unter dem Anfangspunkt der oberen schr\u00e4gen Linie verlaufe, wird in Fig. 3 vermindert durch den \u2014 auch in anderen F\u00e4llen, z. B. auch bei Fig. 1 \u2014 sehr wesentlichen Umstand, dafs wir die beiden Linien fassen als das, was sie sind, n\u00e4mlich als Theile einer einzigen ideellen Geraden, also als Tr\u00e4ger einer einheitlichen und demnach naturgem\u00e4\u00df in gleicher, gerader Richtung sich fortsetzenden Bewegung*\nSchlie\u00dflich meint Hbymans, er habe den Beweis geliefert, da\u00df di\u00a9 LoEB'sche und di\u00a9 Z\u00d6LLNER\u2019sche T\u00e4uschung demselben Gesetz gehorchen, und h\u00e4lt sich dadurch f\u00fcr berechtigt, beide auch auf das gleiche Princip zur\u00fcckzuf\u00fchren. Dem widerspreche meine Erkl\u00e4rung beider T\u00e4uschungen, die dieselbe auf verschiedene Grunde zur\u00fcckf\u00fchrt","page":436},{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"BsmmmikeM und gemmtrwck-epU\u00eacke T\u00e4uschungen.\t437\nAber auch Mer identifieirt Hkmans F\u00e4he, die nichts mit einander im thun haben. Die wirkliche Lons'sche Figur entsteht, wenn ich zwei in eine einzige ideelle Gerade fallende vertical\u00a9 Linien A und B ziehe, und, dann neben, etwa rechts von B% \u00a9me zu B parallele Linie C setze. Es scheint dann die Fortsetzung' von A zwischen B und C zu fallen. Dies habe ich er-kl\u00e4rt ans einer scheinbaren Ablenkung von AL A, sagte ich, scheine zun\u00e4chst freilich in By in gewissem Grade aber auch in C siel} fortzusetzen. Eine und dieselbe Bewegung, also eine Bewegung von identischer Richtung, scheine A und 0 hervorzubringen. Indem wir diesen Gedanken vollziehen, scheine A gegen den Anfangspunkt von C, bezw. auch umgekehrt, geneigt\nFig. 5.\tFig. 6.\nUnd ich habe gezeigt, dafs in der That Linien, bezw. Punkt reihen, gegen andere Linien, die ann\u00e4hernde Fortsetzungen derselben sind, geneigt erscheinen. Ich that dies in, dies#r Emimkrift$ Band XV.- Ich will zum Ueberflufs den gleichen Nachweis nochmals durch zwei Figuren geben. In Fig. 5 scheinen die Punktreihen, in Fig. 6 di\u00a9 mittleren Linien abwechselnd nach oben und unten convergent Dies kann nur darin seinen Grund haben, dafs die betreffenden Punktreihen bezw. Linien nach","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438\nTheodor hipp**\noben und unten gegen ihre ann\u00e4hernden Fortsetzungen sich zu kehren scheinen. Der letzte Grund hierf\u00fcr wiederum ist das gegen\u00fcber allen Raumfonnen f\u00fcr uns bestehende Bed\u00fcrfnifs einer m\u00f6glichst einheitlichen Auffassung.\nDieser Erkl\u00e4rung steht die Heymahs-Lobb gehe gegen\u00fcber. B soll durch C \u201eabgestofsen\u201c werden. Es soll verm\u00f6ge einer \u201eContrastwirkung\u201c weiter nach links ger\u00fcckt erscheinen. Und darum soll A zwischen B und C sich fortzusetzen scheinen. Aber ich habe in dem von Hetmaks kritisirten Buche gezeigt, imd ich habe schon in dem oben citirten Aufsatz wiederholt, dafs diese Abstofsung thats\u00e4chlich nicht stattfindet; daft zwei parallele verticale Linien sich vielmehr an ziehen. Offenbar konnte Hetmaks, um sich von dem Rechte oder Unrechte seiner ! Leone zu \u00fcberzeugen, nur so verfahren, wie ich verfuhr. Er mufste unter einander in eine geradlinige verticale Reihe verticale Linien stellen, und neben diese, abwechselnd rechts und inks, parallele Linien setzen. Hatte er recht, dann mufsten die der Reih\u00a9 angeh\u00f6rigen Linien jedesmal, von den dazu parallelen Linien hinweg ger\u00fcckt scheinen, d. h. die Reihe mufste in, der dieser Verschiebung entsprechenden Weise gebogen erscheinen. Hatte ich recht, so mufste die entgegengesetzte scheinbar\u00a9 Biegung der Reihe eintreten. Nun, Fig. 9 \u2014 vgl Fig. 8, 10 'und 11 \u2014 meines Buches1 zeigt, dafs meine Behauptung zutrifft Die parallelen Linien \u201eziehen\u201c sich \u201ean\u201c, weil sie di\u00a9 zwischen ihnen liegende Fliehe begrenzen, und weil jede Begrenzung eine Bewegung nach dem Begrenzten hin ist.\nAuch Hetmaks sucht nun freilich seine Behauptung \u2014 dafs die parallelen Linien sich abstofsen, oder daft bei ihnen eine sogenannte Contrast Wirkung stattfindet \u2014 experimentell zu erh\u00e4rten. Er l\u00e4fst in jener LoEB\u2019schen Figur das A -weg und setzt die parallelen Linien B und C zwischen zwei weitere parallele Linien E und Fy derart, dafs B genau in die Mitte zwischen B und F, C rechts davon seine Stelle findet Es ergiebt sich dann, dafs das C etwas nach der entgegengesetzten Seite, also nach E Mn verschoben erscheint, oder genauer, dafs der Abstand zwischen E und B kleiner erscheint als der zwischen B und F, \u25a0\nAber Hetmaks \u00fcbersieht, dafs er mit dieser Versuchs* anordnung die Bedingungen f\u00fcr eine v\u00f6llig neue T\u00e4uschung geschaffen hat. Nicht mehr um den Ort einer Linie neben einer\n1 Baunalsthetlk und geometrisch optische T\u00e4uschungen S. 75.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n439\nanderen, sondern um die Gr\u00f6fse von. Th eilen einer Fliehe handelt es sich jetzt. Die Linie B theilt die Fl\u00e4che zwischen E und F in zwei H\u00e4lften- Die Linie C theilt die eine H\u00e4lfte, n\u00e4mlich die J l\u00e4lfte zwischen B und F, von Neuem, w\u00e4hrend die andere H\u00e4lfte ungetheilt bleibt. Die Folge ist, dafs \u2014 nach dem Gesetz der Theilungst\u00e4uschungen \u2014 die getheilte H\u00e4lfte gr\u00f6fser erscheint.\nVon dieser bestimmt gearteten Theilungst\u00e4uschung nun, und nicht von der LoEB\u2019schen T\u00e4uschung, noch weniger von der vermeintlichen LoEB\u2019schen .T\u00e4uschung, d. h. derjenigen , die aus dem angeblichen Contrast des Rechts und Links sich ergeben soll, zeigt Hetmans, dafs sie mit der Z\u00f6LLNER\u2019schen T\u00e4uschung, oder genauer gesagt, mit einem bestimmten Fall\u00a9 derselben, dem gleichen Gesetz gehorcht. Hetmans kann also auch unm\u00f6glich aus dem., was er gefunden hat, den Schlafs ziehen, dafe der Z\u00f6LLNER\u2019schen T\u00e4uschung dasselbe Princip zu Grunde liege, wie der LoEB\u2019schen oder vielmehr, wie jener vermeintlichen LoEB\u2019schen T\u00e4uschung.\nIn tier That ist es die letztere, auf welch\u00a9 Hetmans die Z\u00f6llner sehe T\u00e4uschung zur\u00fcckf\u00fchren will Wie bei jener eine Lime durch eine neben ihr befindliche Parallele, so -sollen bei der Z\u00f6LLNER\u2019schen Figur die Hauptlinien durch die -neben ihnen verlaufenden schr\u00e4gen Linien \u201eabgestofson\u201c werden. Nach dem eben Gesagten m\u00fcfste Hetmans vielmehr .erkl\u00e4ren: So gewifs jene Parallelen an sich betrachtet, sich nicht abstofsen, sondern anziehen, so gewifs m\u00fcfste bei der .Z\u00f6LLNER\u2019schen Figur, wenn, dabei nicht ein total anderes Princip -in Frage k\u00e4me, die thats\u00e4chlich vorliegende T\u00e4uschung in ihr Gegentheil verkehrt erscheinen.\nAllerdings findet ja im gewissen Sinne bei der Z\u00d6LLNBR'schen Figur eine solche Abstofsung wirklich statt Es wirkt bei ihr -ein Contrastgesetz. Aber der Contrast, um den es sich dabei handelt, ist ein Contrast der Richtungen. Dieser Contrast ist uns oben, schon zweimal begegnet. Hier liegt derselbe in eigenartiger Modification vor. Di\u00a9 schr\u00e4gen Linien der Z\u00f6llnbb'-sehen Figur sehliefsen in sich eine entsprechende Bewegung. Dieser widersetzen sich die Hauptlinien oder halten ihr Stand. Dazu bed\u00fcrfen sie einer nach entgegengesetzter Richtung gehenden Th\u00e4tigkeit Indem, wir dieser in der Vorstellung folgen, \u25a0drehen wir di\u00a9 Hauptlinien entsprechend. Dies ist der Grund -der Z\u00f6llner\u2019 sehen T\u00e4uschung.","page":439},{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"440\t\u2022 \u2022\t\u25a0\u25a0\tThmiw Lipp\u00ab. \u25a0'\t:\nDagegen ist Hetmans* Theorie unm\u00f6glich. Einmal -ans dem eben angegebenen Grunde. Zum, \u00c4nderen, weil, wie fr\u00fcher gesagt, die Weise, wie Hbymanb Mer mit Vorstellungen von Augenbewegungen operirt, unstatthaft ist; endlich auch noch aus allerlei sonstigen Gr\u00fcnden.\nEinen dieser Gr\u00fcnde nur f\u00fchre ich hier noch an. Er ist an sich gewichtig genug. Hitmans1 Erkl\u00e4rung erkl\u00e4rt gar nicht, WM' zu erkl\u00e4ren ist. Die Z\u00f6iiLNEB\u2019sehe T\u00e4uschung besteht zun\u00e4chst darin, dafs die von den schr\u00e4gen Linien durchsetzten H&upt\u00fcnien im Ganzen in ihrer Richtung ver\u00e4ndert erscheinen. Was aber aus den HsTMANs'schen Voraussetzungen \u2022folgen w\u00fcrde, ist lediglich \u00a9in\u00a9 Zickzack- oder Wellenform dieser Linien, ohne dafs einzusehen w\u00e4re, wie damit zugleich eine Richtungs\u00e4nderung im Ganzen gegeben, sein sollte. Es lassen sich Modifications!! der Z\u00d6LLNEB\u2019schen Figur herstelen \u2014 und Hetmans selbst stell solche her \u2014 bei denen f\u00fcr k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Strecken der Hauptlinien kein Grund besteht, warum sie aus ihrer Lage ger\u00fcckt erscheinen sollten., oder bei denen wenigstens gewisse Punkte, weil sie nach beiden Seiten in gleicher Weise \u201eabgestofsen44 w\u00fcrden, in Ruhe bleiben 'und feste Knotenpunkte f\u00fcr ein\u00a9 Wellenlinie bilden m\u00fc&ten. Man construire doch einmal die scheinbare Linie, die sich bei verschiedenen Beispielen der Z\u00f6nLNEB\u2019schen Figur ans Hetmans\u2019 Theorie erg\u00e4be, genau nach den Forderungen dieser Theorie.\nMan verr\u00fccke, wenn di\u00a9 Hauptlinie vertical verl\u00e4uft, jeden Punkt derselben nach rechte oder links in die Lage, in welcher er \u201egesehen44 werden m\u00fcfste, wenn der Contrast zwischen seiner wirklichen \u2019Lage und der Lage der Punkte der schr\u00e4gen Linien, die f\u00fcr1 ihn in Betracht kommen, die von Hetmans angenommene Wirkung h\u00e4tte. Man thu\u00a9 dies etwa bei der nebenstehenden Fig.7 und vergleiche das Ergebnifs mit der that-s\u00e4ch\u00fcch vorliegenden T\u00e4uschung. Dafs mit einer Theorie voller Ernst gemacht wird, die\u00ab ist doch f\u00fcr eine 'Theorie die in vollem Ernste genommen werden soll, erstes Erfordernifs. Soviel ich sehe, w\u00fcrde aber Fig.7bei strengerAnwendung derHEYMANB\u00ab\nFig. 7.","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen\u00bb\n441\nscheu Theorie ein von der thats\u00e4ch\u00fcch vorliegenden T\u00e4uschung' durchaus abweichendes Bild ergeben, S\u00e4mmtliche Schnittpunkt\u00a9 'und aie Punkte in der Mitte zwischen, je zweien dieser Sehnitt-punkteblieben in Ruhe. Die verticale Linie im Ganzen schiene also nicht geneigt. Es schienen nur diese Punkte durch Wellen mit einander verbunden.\nEs ist ja auch nicht etwaso, dafs die Form dieser Wellen eine N\u00f6thigung zur Verschiebung der Gesammtrichtung der HauptMnie in. sich schl\u00f6sse. Auch davon \u00fcberzeugt der Versuch der Construction. Nur ist bei dieser Construction zu ber\u00fccksichtigen, dafs nach der consequent gedachten Hevmams\"sehen Theorie die Punkte der Hauptlinien von allen Punkten der vorangehenden und folgenden schr\u00e4gen Linien, nicht etwa blos von denjenigen, die in genau horizontaler Richtung rechts oder links von ihnen liegen, abgestofsen -werden m\u00fcssen.\nDazu kommt n\u00f6ch Eines. Dafs aus der HBYMANs\u2019schen .Theorie solche scheinbaren Wellen sich ergeben, begr\u00fcndet an sich keinen Einwand gegen Heymans. Solche scheinbaren Wellen bestehen thats\u00e4ch\u00fcch. Aber sie sehen, anders aus, als aus Heymans\u2019 Theorie, wenn ich diese recht verstehe, sich ergeben w\u00fcrde. Die Hauptlinie scheint jedes Mal da wo sie von den schr\u00e4gen Linien durchsetzt ist, st\u00e4rker von der Richtung der schr\u00e4gen Linien weggebogen. Der Richtungsunterschied scheint Mer noch einmal speciell gesteigert Dagegen, m\u00fcfsten, wie mir scheint, die Wellen nach Heymans die entgegengesetzt\u00a9 Form haben. \u2014 Doch gebe ich zu, dafs eine Modification der HBYMANs\u2019schen Theorie m\u00f6glich ist, die diesen Widerspruch beseitigt\nAuch diesen Punkt verfolge ich aber hier nicht weiter. Es liegt mir ja nicht an der Polemik gegen Andere, sondern an Wegr\u00e4umung der Bedenken gegen meine Theorie. Es scheint _mir aber, dafs ich Heymans1 Bedenken beseitigt habe. Dann, habe ich die Bedenken eines besonders scharfsinnigen und sachkundigen Gegners beseitigt.\n(Eingegangen am 6. Juli 1898\u00bb)","page":441}],"identifier":"lit36184","issued":"1898","language":"de","pages":"405-441","startpages":"405","title":"Raum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:58:20.202848+00:00"}