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{"created":"2022-01-31T16:51:35.916873+00:00","id":"lit36186","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Martius, G\u00f6tz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 18: 442-456","fulltext":[{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\nFmbbrich Jodl. Lehrbuch der Psychologie. Stuttgart\u00bb Verl. d. Cott&sehen Buchhandlung 1896. 767 8.\nDer durch seine \u201eGeschichte der Ethik in der neueren Philosophie\u201c rtihmlichst bekannte Verl, bietet uns hier eine Darstellung der Psychologie\u00bb von der von vornherein geb\u00fchrend anzuerkennen ist, dafs sie eine auf umfassender Kenntnifs des Gegenstandes beruhende\u00bb verdienstvolle Leistung ist. Die Ergebnisse der neuem physiologischen und psychologischen Forschungen, einschliefslich die der experimentellen .Psychologie, werden \u00fcberall ber\u00fccksichtigt. Die Schreibart ist verst\u00e4ndlich\u00bb die Eintheilung \u00fcbersichtlich. Und doch haben wir es mit einem merkw\u00fcrdigen Buche zu thun\u00bb dessen Ausf\u00fchrungen sich uns in principieller Beziehung mehrfach zu widersprechen scheinen und dessen eigentlicher Werth nach unserer Ansicht mit seiner ausgesprochenen Absicht nicht ganz zu warn menstimmt. Es ist daher auch nicht ganz leicht, den Standpunkt des Buches kun in .kennzeichnen. Und. doch m\u00fcssen wir es an der Hand des Verf. versuchen.\nJodl definirt die Psychologie als \u00bb\u00bbdie Wissenschaft von den Formen und Naturgesetzen des normalen Verlaufs der Bewufsteemserscheinumgen, welche im menschlich t hie rischen Organismus mit den Vorg\u00e4ngen des Lebens und der Anpassung des Organismus an di\u00a9 ihn umgebenden Medien verbunden sind und deren Gesammtheit wir als seelische (psychische) Functionen oder Processe bezeichnen\u201c (S. 5). Diese Definition ist gewils vielverheifsend. Di\u00a9 Formen des normalen Verlaufs der BewuJTsteeins-erscheinungen nicht allein, sondern auch ihre Naturgesetze soll die Psychologie darsteilen. Die Bewufstseinserscheinungen sollen zu den Vorg\u00e4ngen des Lebens in Beziehung gesetzt\u00bb als Anpassungsvorg\u00e4nge an die umgebenden Medien begriffen und dies Verfahren auf die Gesammtheit der psychischen Process\u00a9 ausgedehnt werden. Eine vollkommen gelungene Ausf\u00fchrung dieses Programms w\u00fcrde die L\u00f6sung so manchen alten R\u00e4thsels einschliefsen, w\u00fcrde das Verh\u00e4ltnis von Subject und Object, von physischen und psychischen Erscheinungen in v\u00f6llige Klarheit r\u00fccken, w\u00fcrde die Lieblingsidee der Zeit \u2014 die Entwickelungsidee \u2014 in vollkommenster Durch* ftthrung f\u00fcr alles Seiende zeigen.","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n443\nN\u00e4her wird der allgemeine Standpunkt des Verf. sogleich in den beiden, folgenden Capiteln (Cap, II, Leib und Seele 8. 32\u201489 und Cap, III, Beschreibung und Gliederung der Bewufstseinserscheinungen im Allgemeinen S, 90\u2014166) ausgefflhrt. Unter Seele will hier J. nichts Anderes, als die Gesammtheit der psychischen Zustand\u00a9 verstehen (S. 31). All\u00a9 Bewufst-eeiusvorg\u00e4nge, unmittelbar wahrgenommen\u00a9 wie erschlossene sind an die Functionen des lebenden Organismus gekn\u00fcpft (S, 36), Bewufstsein ist eine Art der Lebenserscheinungen, wenn auch nicht \u00fcberall wo Leben ist, Bewufstseinserscheinungen angenommen werden m\u00fcssen. Man darf nicht der Materie als solcher in einep. infinitesimalen Grade psychische Eigenschaften beilegen, die erst \u201eden h\u00f6chsten morphologischen Gestaltungen der Materie\u201c eigen sind (8, 40). Nachdem darauf \u00fcber das Centralnerven-system des Menschen und die Bedeutung der Grofshirnrinde gehandelt ist, wird auf das Verhftltnifs von Leib und Seele naher eingegangen. Zuerst wird die Theorie des psychophysischen Parallelismus er\u00f6rtert, nach welcher die physiologische und die psychologische Reihe des lebendigen Geschehene '\u201ezwei Seiten oder zwei Erscheinungsweisen eines und, desselben Vorganges, n\u00e4mlich der mit Bewuf\u00dftsein, verkn\u00fcpften Lebens\u00e4ufserungen eines central organisirten Wesens sind\u201c (S. 57). F\u00fcr diese Auffassung besteht aber (S. 61) die Schwierigkeit, dafs \u201eNervenvorgang und Bewu\u00dftseins* Vorgang, zwischen welchen ein Verh\u00e4ltnis der Identit\u00e4t bestehen soll, in der unmittelbaren Erfahrung als etwas Heterogenes erscheinen\u201c Der in Folge dessen nahe Hegende Gedanke von dem Vorhandensein zweier verschiedener Wesenheiten, der substantielle Dualismus, ist aber noch entschiedener abzuweisen. Ein eigentliches Causalverhftltnifs zwischen K\u00f6rper und Geist besteht nicht, auch weist der Aufwand von Zeit, der bei allen Bewufsteeinsfunctionen, auch den abstractesten, n\u00f6thig ist, darauf Mn\u00bb \u201edafs alles, was im Bewufstsein geschieht, zugleich im Centralnervensystem geschieht, und den Gesetzen jeder mechanischen Leistung gemftfs sein mufs\u201c. Di\u00a9 Theorie des psychophysischen Parallelismus bleibt daher he* stehen, erfordert aber eine Einschr\u00e4nkung. \u201eCausaler Zusammenhang besteht nur zwischen neurologischen Processen einerseits\u00bb zwischen Bewufst-seinsvorg\u00e4ngen andererseits. Bewufstsein kann sich nicht in Nerven-bewegung und Bewegung nicht in Bewufstsein. Ums\u00e4tzen, wie sich W\u00e4rm\u00a9 in Arbeit umsetzt und umgekehrt\u201c (S. 74). Die Discrepanz zwischen, dem Bewufstsein und der Materie ist daher als \u00a9Ine letzte Thatsache festzu-halten (S. 75). Der psychophysische Parallelismus ist dann ein Parallelismus der Erscheinungen des K\u00f6rperlichen und Geistigen und besteht nur soweit\u00bb als die Erfahrung ihn best\u00e4tigt. Das Bewufstsein ist auch weder der Zweck\u00bb noch die Ursache der Weltentwickelung\u00bb \u201esondern ein nothwendiger Erfolg, der zu. dem Kreislauf des kosmischen Werdens als integrirendes Glied geh\u00f6rt; der \u00fcberall da eintritt, wo die Organisation eines. Weltk\u00f6rpers die Bedingungen daf\u00fcr geschaffen hat und \u00fcberall wieder verschwindet, sobald diese Bedingungen auf h\u00f6ren\u201c (8. 87).\nDiese vorsichtige Fassung des Verh\u00e4ltnisses von Leib und Seel\u00a9 w\u00e4re wohl geeignet gewesen\u00bb einer empirischen Untersuchung des Psychischen zu Grunde gelegt zu werden. Die weiteren Darlegungen \u00fcber \u201edas Wesen des Bewu\u00dftseins\u201c \u00e4ndern aber das Bild, das man sich bis hierher von .der","page":443},{"file":"p0444.txt","language":"de","ocr_de":"444\nBestechung.\nallgemeinen Auffassung des Seelischen bei Jobl gemacht hat. Zun\u00e4chst wird die Correlation von Subject und Object als ein\u00a9 urspr\u00fcngliche in jedem Bewu\u00dftsein und jedem Bewusstseinsinhalte liegende und daher unaufhebliche angegeben. Aber nicht in dem, Sinne allein, dale Object-sein eein und f\u00fcr ein Bewu\u00dfteein-sein dasselbe ist. Bas Bewu\u00dftsein \"Oder ich ist nicht Mos der eine Beziehungspunkt, von dem. aus das Object als Object beieichnet wird; das Bewu\u00dftsein Ist mehr, es hat Ihm eigenartige Functionen, die es als nicht substantiell kaum haben sollte. Bas Bewu\u00dftsein bei Jobb ist viel weniger das durch di\u00a9 psychologische Analyse \u00bberlegte, als das noch umzerlegte einer fr\u00fcheren Psychologie. \u201eEs ist Receptivitit und Spontaneit\u00e4t zugleich\u201c (S. 98). Biese Receptivitit und Spontaneit\u00e4t ist am die neurocerebrale Organisation gebunden, eo sehr da\u00df alle Erstehung nach Jobl auf Zuf\u00fchrung des Stofles beschr\u00e4nkt ist. Sie ist aber doch mehr als \u00a9in Ausdruck f\u00fcr diese Organisation. Sie schafft aus den Reizen das Bewufsteein. Soll \u201eaus Einwirkungen der einen Organismus umgebenden Welt in diesem Bewufstsein entstehen, so mufs dieser selbst d. h. eine Anzahl von Organen oder reisempf\u00e4nglichen Functionen und die F\u00e4higkeit der Verinnerlichung von Belsen d. h. psychische Beeeptivltit und Spontaneit\u00e4t gegeben Bein\u201c (S. 106). Bas Bewufstsein verinnerlicht dadurch da\u00df es wahmimmt, unterscheidet und vergleicht, di\u00a9 Mannigfaltigkeit der physisch-materiellen Vorg\u00e4nge, wandelt diese physischem Beziehungen io psychische um. \u201eAlle Bestehungen als gedachte oder gef\u00fchlte stemmen also aus dem Bewu\u00dftsein; aber sie k\u00f6nnen nur gedacht oder gef\u00fchlt werden, soweit sie au\u00dferhalb des. Bewu\u00dftseins in objeciiven Qualit\u00e4ten vorgebildet sind\u201c (S. 107). Der Vorgang der Verinnerlichung schlie\u00dft also die objective Existons der Bewu\u00dftseinsinhalte nicht aus. Banach w\u00fcrde die \u201eobjective Qualit\u00e4t\u201c des Farbigen durch das Bewu\u00dftsein mit H\u00fclfe der vermittelnden, Reise sur Farbenempfindling werden.\nJobl tritt dann in die Er\u00f6rterung der Functionen des Bewu\u00dftseins ein. Gegenstand der Aufmerksamkeit ist der Theil der Bewu\u00dftseinsinhalte^ welcher in einem, gegebenen Augenblicke \u201eden gr\u00f6\u00dften Grad von Bewu\u00dftsein\u201c besitzt (S. 110). Die Verkn\u00fcpfung des unmittelbar gegenw\u00e4rtigen Bewu\u00dftseinsinhaltes mit anderen Bewu\u00dfteeinselementen erm\u00f6glicht die Conti nuit\u00e4t des Bewu\u00dftseins und damit alle Erfahrung und Erkenntni\u00df. Bei dieser Gelegenheit wird wieder betont, da\u00df in\u00ae Bewu\u00dftsein \u201etreten\u201c nichts anderes hei\u00dft, wie \u201eals psychischer Zustand, vorhanden sein\u201c. \u201eBas Bewu\u00dftsein ist keine Qualit\u00e4t, welche m psychischen Acten noch hinsu-k\u00e4me\u201c (S. 111), es ist mit den einzelnen Bewu\u00dftseinsph\u00e4nomenen identisch.\nDas \u201esecund\u00e4re Ged\u00e4chtni\u00df\u201c (8. 113), so genannt im. Unterschiede su dem zeitweisen Beharren von, Elementen, nach Abwendung der Aufmerksamkeit, dem \u201eprim\u00e4ren Ged\u00e4chtni\u00df\u201c, erm\u00f6glicht die Wiederbelebung1 entschwundener Wahrnehmungen und ihre Verschmelzung mit den. gegenw\u00e4rtigen. \u201eDiese Erscheinung macht das bewu\u00dfte Leben zu einem Summationsphinomen.\u201c Auf ihr beruht alle Entwickelung des Bewu\u00dftseins. (S. 114). Ba dieser Proce\u00df zugleich ein solcher des Inhalte des Bewu\u00dftseins und des Ich\u00ab ist, \u2014 denn beides ist nicht von einander trennbar, \u2014 so w\u00e4chst die Erfahrung von den Dingen zugleich mit unserer Person, und alle Entwickelung de\u00ab Bewu\u00dftseins ist eine \u201efortlaufende Steigerung","page":444},{"file":"p0445.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n445\ndes urspr\u00fcnglichen Processes der Analyse und Synthese, des Unterscheidena und Vergleichen\u00ab\u201c (S. 114). \u201eDiese Summation bedeutet zwar einerseits immerfort wachsend\u00a9 Gomplicirtheit der psychischen Vorg\u00e4nge, aber zugleich Abk\u00fcrzung, Krafterspsmifs, Vereinfachung44, (n\u00e4mlich bei den Denk\u00ab Vorg\u00e4ngen).\nEs ist zu unterscheiden das \u201eactuelle\u201c Bewufsfcsein und das \u201elatente\u201c' oder \u201epotentielle\u201c. Beide sind \u201eFunctionen des lebendigen Organismus\u201c (S. 118). Aber es ist nach Jodl nicht ang\u00e4ngig, das Bewufste mit dem, Unbewufsten gleichartig zu behandeln, beides als Seelenzust\u00e4nde anzu-sehen. Trotz der best\u00e4ndigen Wechselwirkung zwischen bewufsten und unbewufsten Zust\u00e4nden sind beide durch eine v\u00f6llig scharfe Grenze von einander geschieden. Man darf nicht von unbewufsten Seelenvorg\u00e4ngen, man kann nur von unbewufster Hirnth\u00e4tigkeit sprechen.\nSoweit h\u00e4tte wieder kaum Jemand einen Grund zur Einwendung, Die weiteren Ausf\u00fchrungen \u00fcber die Grundfunctionen des Bewusstseins gehen aber viel weiter und f\u00fchren, wie oben bei der Lehre vom, Wesen des Be-wufsteems, fremde und unvereinbare Gesichtspunkte ein. Die Urund-functionen des Bewufstseins, die aber kein\u00a9 Seelen verm\u00f6gen sind, sind Denken, F\u00fchlen und Wollen. Denn der bewufet\u00a9 Vorgang, ein Reaction s-vorgang, ist schon auf der niedrigsten Stufe seiner Entwickelung gegliedert und enth\u00e4lt \u201egein\u00e4fs dem allgemeinsten Grundverh\u00e4ltnisse alles bewufsten Lebens\u201c drei Momente in sich: \u201eDie Einwirkung von aufsen nach innen, die R\u00fcckwirkung von innen nach aufsen und ein\u00a9 innere Vermittelung zwischen beulen Gliedern\u201c (S. 130). in allen drei Momenten ist das Subjective und Objective zugleich. In der Empfindung1 erscheint der Reiz innerlich, das Gef\u00fchl verk\u00fcndet den Werth der dadurch eingetretenen Zustand \u00bb\u00c4nderung f\u00fcr den, Organismus, im. Streben verk\u00fcndet sich das Bedftrfnifs des Organismus nach Reizen, nach Lebemslufserung\u00bb Bethfttigung durch Entladung von Energie, die entweder Bewegungen der peripheren Organe oder Verschiebungen des Bewusstseinsinhaltes sein k\u00f6nnen, meistens aber beides zugleich sind. Die Gef\u00fchlswirkungen sind rein central, die Empfindung verl\u00e4uft centripetal, das Streben centrifugal. Das \u201eWas\u201c einer prim\u00e4ren psychischen Erregung ist die Empfindung, das \u201eWie\u201c das Gef\u00fchl, das \u201eWohin\u201c oder \u201eWozu\u201c das Streben. Und diese Drei-Einheit der psychischen Functionen, ist auch \u201eda, wo sie mikroskopisch wird\u201c, bei den, unvollkommenen Organismen, ja bei den nur aus Protoplasma bestehenden niedersten Thieren erkennbar; \u201edenn (!) sie geh\u00f6rt mm Wesen des Bewufstseins\u201c (S. 137). Ja, sie geh\u00f6rt so sehr zum Wesen des Bewufstseins, daft es doch schliefslich wieder nur das Subject selbst ist, dem diese Grund* functionen zukommen. \u201eDas Subject, \u00c2enderungen im Zustande seiner Sensorien bemerkend, in Folge dessen entweder Lust oder Unlust f\u00fchlend, in Folge dessen Aenderungen seines Zustandes durch Bewegungen bewirkend, hat entweder Sinnesempfindungen, oder Gef\u00fchle, oder macht Willensanstrengungen, welches die drei Hauptarten der bewufsten Reaction organischer Wesen auf di\u00a9 Einwirkungen der umgebenden Welt und zugleich die drei Hauptarten der psychischen Objecte oder der Gegenst\u00e4nde der inneren Wahrnehmung sind\u201c (S. 1,30). Und an anderer Stelle heilst es: \u201eDiese drei Formen der prim\u00e4ren Bewufstseinserregungen entsprechen","page":445},{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446\nBcspf'eckm\u00ff.\nder allgemeinen Stellung des Bewufstseins \u00fcberhaupt, wie selbe schon fr\u00fcher angedeutet worden ist: Function, eines lebendigen Organismus, umgeben von physischen und socialen Medien d. h. von der Natur und andern Gesch\u00f6pfen, f\u00fcr Beiie empf\u00e4nglich, derselben bed\u00fcrfend, dieselben innerlich verarbeitend, durch entsprechende R\u00fcckwirkung und Anpassung sich im Dasein behauptend, innerhalb der Umgebung als ein Kraftcentrum th\u00e4tig\u201c (S. 133). Das Bewufstsein ein Kraftcentrum, wobei man sieh zu vergegenw\u00e4rtigen hat, daft oben die Wechsel Wirkung zwischen Physischem und Psychischem ausgeschlossen war.\nDie h\u00f6here geistige Entwickelung, wie die der Menschen, beruht auf \u201eeiner Verselbstst\u00e4ndigung psychischer Gebilde\u201c, die durch ihr Fortbestehen und durch einen Summationsvorgang erm\u00f6glicht wird. Das Leben desBe-wufstseins ist Synthese und Analyse, Differentiation und Integration von, Aggregaten. Bei diesem Processe sondert sich das Empfindungsleben, das repr\u00e4sentative Element, sch\u00e4rfer von dem Gef\u00fchlsleben und den Willensimpulsen. Erst durch diese Trennung wird der Schein m\u00f6glich, clafs #es sich um verschiedene Grundkr\u00e4fte oder Verm\u00f6gen und nicht um die verschiedenen Seiten der einen psychischen Reaction bei den Ponctions-\u00e4ufserungen des Bewufstseins handelt.\nDie Entwickelung des Bewufstseins f\u00fchrt zu einer neuen Eintheilung der Bewufstseinserscheinungen \u201enicht aus dem Gesichtspunkt des Nebeneinander, sondern des genetischen Uebereinander\u201c (8. 139). Die so entstehenden Entwickelungsstufen heifsen das prim\u00e4re, secund&re und terti\u00e4re Bewnfsteeim. Den Unterschied der prim\u00e4ren und secund\u00e4ren Stufe kennen, wir bereits als den Unterschied der Empfindungen, und Wahrnehmungen (impressions) von den Vorstellungen (ideas). Die secund\u00e4ren Erregungen verschmelzen mit den prim\u00e4ren schon beim Wahrnehmungsprocefs. Aber auch die h\u00f6here Entwickelung des Bewufstseins, der Verstand im weitesten Sinne, beruht auf solchen Verschmelzungen. Mannigfaltige Associationen verkn\u00fcpfen das Prim\u00e4re mit dem Secund\u00e4ren und, bilden sieb innerhalb des Secund\u00e4ren. Die Urtheile entstehen erst in Folge der terti\u00e4ren Bildungen. F\u00fcr diese sind die Reproductionsvorg\u00e4nge die Voraussetzung, wie es die Wahmehmungsvorg\u00e4nge f\u00fcr das Secund\u00e4re waren. \u201eDie h\u00f6chste Leistung\u201c des Bewufstseins ist es, durch die Verschmelzung \u201eund, Verdichtung\u201c der prim\u00e4ren und secund\u00e4ren Bewufstseinselement\u00a9 \u201eneue eigenartige Gebilde\u201c zu schaffen (S. 143). Dies\u00a9 Gebilde sind Begriff\u00a9 und Phantasievorstellungen, die entsprechende Function ist Denken und Dichten. Die Benkth\u00e4tigkeit unterscheidet sich von der Dichtth\u00e4tigkeit nicht etwa durch den Vorgang der Abstraction. Beide sind abs trahi rend (aussondernd) und construirend (zusammenfassend). Aber die Dichtth\u00e4tigkeit f\u00fchrt zu anschaulichen, Bildungen, die Benkth\u00e4tigkeit \u201ebegn\u00fcgt sich, mit der eindeutigen Bestimmtheit der Elemente und ihrer Functionen und mit einem Symbol f\u00fcr ihre Neusch\u00f6pfung (Begriff, Gesetz, Formel)\u201c (S. 145).\nUeberall, in allen drei Stufen des Bewufstseins, bleibt das Gef\u00fchl der Regulator f\u00fcr die Strebungen und das Kriterium f\u00fcr den Werth der psychischen Vorg\u00e4nge. Die Gef\u00fchle und Willensacte selbst sind prim\u00e4re Ph\u00e4nomene 'S. 147), wie schon ihr enger Zusammenhang mit den. vitalen Functionen, besonders mit den Bewegungen des Herzens, zeigt. Es ist f\u00fcr","page":446},{"file":"p0447.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n447\ndie Abgrenzung des Ich und Non-Ich von gro\u00dfer Bedeutung, da\u00df durch den Willen und das Gef\u00fchl zwar Vorstellungen und Gedanken, aber keine (prim\u00e4ren) Empfindungen hervorgeriifen werden k\u00f6nnen. Die Wichtigkeit der Beeinflussung des Vorstellungs- und Gedankenlaufs durch Gef\u00fchl und Willen zeigt sich in den Vorg\u00e4ngen der Aufmerksamkeit und der Selbstbeherrschung. Bi\u00a9 Macht starker Gef\u00fchle auf Intellect und Willen ersieht man auch aus der zerst\u00f6renden Wirkung einer verderblichen Leidenschaft.\nDie drei Entwickelengsstufen des Bewu\u00dftseins sind in verschiedener Weise von dem Gegebenen abh\u00e4ngig, das pr\u00e4sent&tive Bewu\u00dftsein am Meisten, das reflexive am Wenigsten. Das letztere \u201eentwickelt di\u00a9 gr\u00f6\u00dfte psychische Energie\" (S. 155). Die relative Unabh\u00e4ngigkeit des reflexiven Bewusstseins bedeutet aber nicht Willk\u00fcr oder Regellosigkeit., \u201esondern Ersatz der \u00e4u\u00dferen Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit des sinnlichen Scheins durch die innere Gesetzm\u00e4fsigkeit der Sache\" (S. 155). Es kann daher von einer eigentlich sch\u00f6pferischen Kraft des Bewufstseins (Denkens) nicht gesprochen werden. Die Product\u00a9 der k\u00fcnstlerischen und erkennenden Thfttigkeit sind theils Verdichtungen und Zusammenfassungen der unmittelbaren Erfahrung, theils Ausschnitte aus derselben; \u201esie enthalten intensiv, was in der con-c re ten Wirklichkeit und sinnlichen Wahrnehmung extensiv vorliegt\" (8.157) ; \u201esie haben die Wahrheit des Allgemeinen, die Bedeutung des Wesentlichen, unter Beseitigung st\u00f6render Zuthaten\".\nW\u00e4hrend die Wissenschaft das Wirkliche in derartigen Verdichtungen oder Begriffen abbilden will, hebt die Kunst in anschaulicher Weise typische F\u00e4lle, interessante Erlebnisse aus der Wirklichkeit heraus, die Religion endlich negirt die Wirklichkeit, ihr Gebiet ist das Unm\u00f6gliche, eie l\u00e4fst die den W\u00fcnschen des Herzens nicht entsprechenden Z\u00fcge aus der Wirklichkeit fort und stattet dies\u00a9 mit dem aus, was Gegenstand des Verlangens und der Sehnsucht ist (S. 158). Feste Grenzen sind zwischen Wissenschaft, Kunst und Religion nicht vorhanden. Denn sie stammen alle drei aus der allgemeinen Gesetzm\u00e4fsigkeit der terti\u00e4ren Stufe (S, 153). Und doch ist hier der Punkt, wo das Bewufstsein noch eine Steigerung erf\u00e4hrt. Die Einwirkungen der Dinge auf das Bewufstsein sind nicht vor\u00fcbergehend. Es haut eich ans ihnen \u201eim Laufe der Zeit etwas auf, das dem Aeufseren und seinen Einwirkungen als selbstst\u00e4ndiger Wesenskern, als Individualit\u00e4t, gegen\u00fcbersteht und das, wie es von au\u00dfen gestaltet ist und gestaltet wird, so auch seinerseits das Aeufsere gestaltet\" (S, 160). Der bewufate denkende Wille wird dadurch aus einem Product in der Welt zu einem selbstst\u00e4ndigen Factor, zu einer Kraft unter Kr\u00e4ften. Die Evolution der Menschheit ist nicht das Werk blinder Naturkr\u00e4fte, sondern \u201edas Ergebni\u00df stetigen Zusammenwirkens der blinden Naturkr\u00e4fte mit den sehend gewordenen Naturkr\u00e4ften, d. h. den menschlichen Zweckgedanken\" (8. 160).\nDarauf beruht denn auch der Einflu\u00df des geistigen Milieus oder des \u201eobjectiven Geistes\u201c. Es 1st dies die durch Mittheilungen \u00fcbertragbare und in'Vbjectiven Symbolen fixirbare Gedankenwelt. \u201eDer objective Geist bildet eine Welt f\u00fcr sich, eine aus der geistigen Activit\u00e4t stammende Natur \u00fcber der Natur\" (S. 161), deren Aufbau den unerme\u00dflichen Unterschied zwischen dem menschlichen und thierischen Bewufstsein im heutigen Dasein ausmacht. Die Entwickelung des objectiven Geistes hat eine Ge-","page":447},{"file":"p0448.txt","language":"de","ocr_de":"448\nB&jprechwtf.\nschichte\u00bb die Gultur lat der geistige Gattungsbeeite, \u201eIm Gesammtgeiste erh\u00e4lt sich fort\u00bb was irgeftd Werth hat\u00bb behauptet su werden\u201c (S. 161), die individuellen Tr\u00e4ger des Bewusstseins sind verg\u00e4nglich und wechselnd.\nSoweit der allgemein\u00a9 Th eil. Dafs diese Ausf\u00fchrungen, deren hervorstechende Z\u00f6ge offenbar der Aufgabe, wie sie vorher hingestellt war, entsprechen\u00bb nicht \u00fcberall in sich folgerichtig sind, haben wir schon durch ihre Anordnung anzudeuten gesucht. Zuerst werden die Bewu\u00dftsein\u00bb-eracheinungen als Lebensvorg\u00e4nge bezeichnet, sie entwickeln \u00bbich in genauem Parallelismus zu bestimmten physiologischen Vorg\u00e4ngen. Trotzdem wird bestritten\u00bb dafs die Bewufstaeinserscheiiiungen nur ein Ausdruck der betreffenden K\u00f6rpervorg\u00e4nge oder centralen Erregungen seien. Bolze m\u00fcssen verinnerlicht werden, damit Empfindungen entstehen\u00bb und zu dieser Verinnerlichung geh\u00f6rt \u00a9in Act der Spontaneit\u00e4t des Bewu\u00dftseins. Derselbe Widerspruch wiederholt sich bei Ableitung der Grundfunctionen de\u00bb Bewu\u00dftseins. Vorstellen, F\u00fchlen und Wollen sind nur die subjective .Erscheinungsform eines Reactionsvorganges. Die h\u00f6heren Bewu\u00dftseinsvorg\u00e4ng\u00a9 sind nichts als ein Summationsph\u00e4nomen. Und doch ist bei der Ausgestaltung der geistigen Entwickelung die spontane Kraft des Bewu\u00dftseins Mitbedingung. Und wenn auch gerade hier, bei den h\u00f6heren intellectuelle!! Vorg\u00e4ngen\u00bb die Spontaneit\u00e4t des Bewu\u00dftseins zur\u00fccktritt, so f\u00fchrt die Entwickelung zu dem Endergebnis, dafs jede einzeln voll entwickelte geistige Individualit\u00e4t als eine von sich aus die Binge umgeataitende Kraft,, als \u201eeine sehend gewordene Naturkraft\u201c bezeichnet wird\u00bb ein Begriff\u00bb den nicht als contradictio in ad j ec to aufzufassen mir nicht gelingen will. .Es ist nur eine Umkehrung des gleichen Widerspruchs, wenn an anderen Stellen die Seele als nichts neben den seelischen Erscheinungen Bestehendes geschildert wird und ihr doch wieder Grundkr\u00e4ft\u00a9 und Functionen beigelegt werden, die aus dem blo\u00dfen seelischen Inhalt\u00a9 abzuleiten jedenfalls nicht gelungen ist. Daneben tritt in den Ausf\u00fchrungen Jodl\u2019s mehrfach eine naiv-realistisch\u00ae Grundauffassung hervor. Die Empfindungen sind ihm zugleich objectiv und subjectiv. Bas Bewu\u00dftsein fa\u00dft die objectiv en (Licht-, Farben-, Ton-) Empfindungen auf, dies selbe Bewu\u00dftsein, das als blo\u00dfer Ausdruck f\u00fcr di\u00a9 Gesammtheit seines Inhaltes genommen war. Ich glaube, da\u00df hier der Grundfehler des Standpunktes des Vert, liegt. Aus ihm sind jene Widerspr\u00fcche zuletzt entsprungen. Jobl geht in diesem Realismus gelegentlich so weit\u00bb dafs er erkl\u00e4rt, die gro\u00dfen Differenzen der Schwingunga-zahlen bei T\u00f6nen und beim Licht mache die Verschiedenheit der ent-sprechenden Empfindungsqualit\u00e4ten \u00a9inigermaaften begreiflich (S. IM), Steht man auf diesem Standpunkt, entsprechen di\u00a9 Empfindungen ata Empfindungen einem objectiv Wirklichen\u00bb so mufa auch das auffassende Subject ein \u00e4hnliches Wirkliches sein. Das Bewu\u00dftsein ist dann eine selbstst\u00e4ndige Potenz, die das objectiv Wirkliche in eich aufnimmt. Hat man sich aber an dies\u00a9 Anschauung gew\u00f6hnt\u00bb so wird sie alle \u00fcbrigen Theorieen beeinflussen,. Der richtige Gedanke\u00bb da\u00df die Relation Objectiv-Subjectiv in allen psychischen Inhalten mitgegeben ist\u00bb der sich gleichfalls bei. Jot\u00bbl vorfand\u00bb bleibt unwirksam. Die Annahme, da\u00df die Reize\u00bb um auf\u00ab gefafst zu werden\u00bb einer Verinnerlichung bed\u00fcrfen, beruht auf derselben Grundanschauung. Thats\u00e4chlich sind es aber nicht die Beize\u00bb die wir auf-","page":448},{"file":"p0449.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n449\nfassen, sondern es sind di\u00a9 Empfindungen, die gegeben sind, und als deren Ursache die Reize durch die refiectirende Wissenschaft, di\u00a9 'von. den Sinnesqualit\u00e4ten absieht, \u00a9rat erkannt werden. Der naive Realismus, der die Smnesqualitlten objectivirt, wird in Verbindung mit den wissenschaftlichen Vorstellungen bei jeder Wahrnehmung eine zweifache Art von Objecten annehmen m\u00fcssen, die Reize und di\u00a9 Qualit\u00e4ten, wie es auch bei Jodl mehrfach sich zeigt. Sieht man aber von dieser Verdoppelung der .Dinge wieder ab und h\u00e4lt di\u00a9 Reize f\u00fcr das eigentlich Objective im Sinne des cartesianischen Realismus, so kann sich derselbe Vorgang wiederholen. Ist es doch heute, und nicht blos in der Physiologie, eine weit verbreitet\u00a9 Redeweise, dafs wir Licht- oder Farbenreize auffassen, eine Redeweise, die auch so lange g\u00e4nzlich unsch\u00e4dlich ist, als sie nicht mit einer philosophischen Anschauung vermengt wird.\nUnter diesen. Umst\u00e4nden kann die Neigung Jodl\u2019s unter Bewufstsein nicht, wie er eigentlich will, di\u00a9 psychischen Erscheinungen, sondern ein Bewufstseinswesen mit eigenartigen Functionen zu verstehen nicht auffallen, Die realistische Denkweise ist weder mit der Theorie des psychophysischen Paralleliemus, den Jodl wenn auch mit Einschr\u00e4nkung anerkennt, noch mit seiner evolutionistischen Grundvorstellung vereinbar. Kritische Gesichtspunkte h\u00e4lt er seinem Denken fern. Und doch zielt dies offenbar auf eine nur mit kritischen Grunds\u00e4tzen vereinbare teleologische Auffassung auch, der BewufBtsemBerscheinungen hin. Es -ist daher nicht zu verwundern, dafs der Zusammenhang zwischen seinem Programm und seinen Ausf\u00fchrungen um so lockerer wird, je mehr er sich dem Gebiete n\u00e4hert, in dem jene Neigung am deutlichsten zu Tag\u00a9 tritt, der Darstellung der h\u00f6heren Bewufstseinsvorg\u00e4nge, insbesondere der h\u00f6heren Gef\u00fchls- und Willenserscheinungen. Wir werden dies best\u00e4tigt finden, wenn wir uns seinem zweiten (speciellen Theile zuwenden.\nEmpfindung definirt Jodl als einen \u201eim Centralorgan auf Veranlassung eines ihm von den peripheren. Organen zugef\u00fchrten Nervenreizes entwickelten BewufstseinaiuBtand, In welchem, ein qualitativ und quantitativ bestimmtes Etwas (Inhalt, Aliquid) zur innerlichen Erscheinung kommt.\" \u201eDieses wird in der englischen und franz\u00f6sischen Psychologie\u201c, so f\u00fcgt Jodl hinzu, auch als das pr\u00e4sentative oder perceptive Element in der Empfindung bezeichnet.\u201c Hier haben wir die verschiedenen und, wie wir meinen, unvereinbaren Gesichtspunkte in einem Satze vereinigt. Die Empfindung ist ein im Centralorgan entwickelter Bewufitseinszustand, hiefse streng genommen, die Empfindung sei 'zugleich ein Zustand des Gehirne und des Bewufstseins. Dafs in der Empfindung nicht die zu. Grunde liegenden Reizvorg\u00e4nge zum Bewufstsein kommen, hebt Jodl Mer selbst hervor. Die Empfindung ist, so sagt der zweite Theil der Definition nicht blos ein qualitativ bestimmter Inhalt des Bewufstseins, sondern es kommt ein solcher Inhalt durch die Empfindung zur innerlichen Erscheinung, wird percipirt. Der Inhalt ist also zugleich etwas Inneres und etwas Aeufseres; er wird in dem Procefs der Empfindung aus etwas Aeufserem zu etwas Innerem. An dieser Verquickung von unvers\u00f6hnlichen Gesichtspunkten wird auch nichts ge\u00e4ndert, wenn der \u201eGesammtvorgang\u201c der Zeitschrift f\u00fcr Psychologie XVIII.\t29","page":449},{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450\nBesprechung.\nEmpfindung sp\u00e4ter (S, 175) in den Reiz, die Nervenerregung und in einen psychischen Vorgang unterschieden wird\u00bb, ro welchem letzteren die innere Wahrnehmung de\u00ab Reize\u00ae als eines bestimmten BewufstseinsinhalteB und die Projection, \u00bb\u00bbdieser Erregung\u201c an die periphere Stell\u00ab der Reizung oder in den umgebenden Raum geh\u00f6rt, Es \u00c4ndert dieser doppelte Gebrauch des Wortes Empfindung im engeren und weiteren Sinne darum nichts an dem. Gesagten, weil dies sich auf den in der Definition offenbar gemeinten Gesammtvorgang bezog. Auch tritt ja bei Beschreibung der Empfindung im engeren Sinne, des \u201epsychischen Vorgangs\u201c, die Ungenauigkeit der Unterscheidung des Psychischen und Physischen und die Substantialisirung des Bewufstseins gleich wieder deutlich hervor\u00bb wenn Jonn die \u201eErregung\" in die Peripherie oder den. Raum projicirt werden und die \u201eEmpfindung\u201c aus einer inneren Wahrnehmung des \u201eReizes\u201c hervorgehen l&fst. Johl l\u00fcgt dann in. Uebereiustimmung mit seinen allgemeinen Ausf\u00fchrungen hinzu, dafs diese innere Wahrnehmung bereits als ein Act der Spontaneit\u00e4t aufzufassen ist, dafs sich in ihr eine Th\u00c4tigkeit des Vergleichen\u00ae und Beliebens kund thut (S. 176), die zum Wesen des Bewufstseins geh\u00f6rt (S. 178). Die sogenannte einfache Empfindung sei eine Abstraction (S. 177), wirklich, gegeben ein Sensationscontinuum, ein Nebeneinander von verschiedenen Farben, abgestuften Lichtem\u00bb damit auch Grenzen\u00bb Linien\u00bb Formen. Er f\u00fcgt dann, den beherzigenswerthen Satz hinzu: \u201eEs ist ein Irrthum aller Irrth\u00fcmer auf psychologischem Gebiet, zu meinen\u00bb dafs sich unser\u00a9 Bewufst-seinsentwickelung genetisch ans dem aufbaue, was die Analyse als einfaches Element kennen lehrt.\u201c Aber ist nicht die Bem\u00fchung Jodl\u2019s, wie so vieler Anderer\u00bb gerade auf diesen Punkt gerichtet, die Entwickelung des Bewufstseins aus dem Empfindungsinhalte begreiflich zu machen? Und ist es nicht wieder \u00a9in. director Widerspruch, wenn. Iqbl das Sensationscontinuum als gegeben ansieht und zur Entstehung der Empfindung \u00a9inen Act der Spontaneit\u00e4t, der Unterscheidung und. Vergleichung f\u00fcr n\u00f6thig h\u00e4lt? Er sagt in dem gleichen Zusammenhang: \u201eGegeben ist uns urspr\u00fcnglich immer ein Complex, und der wirkliche Hergang ist nicht der Aufbau dieses Complexes aus seinen. Elementen, sondern die Zerlegung dienes Complexes in seine Theile\u201c (S. 177) und. einige Zeilen, vorher (S\u201e 178) : \u201eDenn einerseits ist das Bewufstsein kein einfaches Spiegelbild von Dingen oder Vorg\u00e4ngen, die aufser ihm fertig daliegen und nun durch die Empfindung gewissenn&afsen nur einfach von aufsen nach innen, in. das Bewufstsein hineinversetzt w\u00fcrden ; sondern es ist, durchaus Spontaneit\u00e4t\u00bb d. h. eine Th\u00e4tigkeit des Vergleichen\u00bb und Beziehen\u00ab,\u201c Ich vermag nicht zu verstehen, wie die Th\u00e4tigkeit des Vergleichen\u00ae und Beliebens zur Erkl\u00e4rung des Entstehens der Empfindungen aus den. Reizen herbeigezogen werden, kann\u00bb wenn, doch ein Sensationscontinuum als gegeben betrachtet wird, wenn das Ganze, wie Jobl sagt, im Leben den Theilen vorangeht, und es nur in. der Wissenschaft umgekehrt' ist. Ist jener Complex, jenes Sensationscontinuum, wirklich gegeben, so ist die Th\u00e4tigkeit des Bewusstseins eine blo\u00df analyeirende, Es sind dann, auch die einzelnen Empfindungen wirklich und im eigentlichen Sinn\u00a9 des Wortes mitgegeben, und es ist die spontane Th\u00e4tigkeit des Bewufstseins nicht zum Zustandekommen der Empfindungen\u00bb sondern nur zu ihrer Herausl\u00f6sung aus der Gemein-","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"' Besprechung,\n451\nschalt der anderen n\u00f6thig, Oder jener Complex selbst ist ebenfalls nur durch die Th\u00e4tigkeit des Bewufstseins m\u00f6glich. Dann ist offenbar von zwei Th\u00e4tigkeit en die Rede; die eine analysirt das Sensationscontinuum oder fa\u00dft die Empfindung auf, die andere schafft das Continuum und mit ihm die einzelnen Empfindungen. Es w\u00e4re dies jene Th\u00e4tigkeit der Verinnerlichung der Reize\u00bb die fr\u00fcher erw\u00e4hnt, aber nicht weiter charakterisirt ist. Man darf dann aber diese Th\u00e4tigkeit nicht als eine solche des Ver gleichen\u00ab und Beliebens bezeichnen, wie es von Jodl geschieht. Es ist eine sch\u00f6pferische, g\u00f6ttlich\u00a9 Th\u00e4tigkeit, die eine wunderbare, unerkl\u00e4rliche Kraft besitzt aus Erregungen Empfindungen zu machen, darum aber gerade nicht\u00ab erkl\u00e4rt, die nichts anderes bedeutet als das Bewu\u00dftsein selbst, als eine Umschreibung der Thatsache der Verkn\u00fcpfung von Reizen und Empfindungen, die um. nichts verst\u00e4ndlicher wird, wenn ich sie auf eine Kraft zu r\u00fcck f\u00fchre, die aber jedenfalls noch viel unbegreiflicher wird, wenn Ich diese vermeintliche Kraft dem. individuellen Bewu\u00dftsein zuschreibe und damit G\u00f6ttliche\u00bb und Menschliches ganz und gar durcheinander menge.\nEs ist keineswegs unsere Absicht, in dieser Weise die weiteren Ausf\u00fchrungen Jodl\u2019s zu verfolgen. Es war uns nur darum zu thun zu, zeigen, daft die Eigent\u00fcmlichkeiten der allgemeinen Er\u00f6rterungen auch in dem speciellen Theil zu finden sind.\nAn die Besprechung der Formen und Gesetze der Empfindung im Allgemeinen schliefst sich die Definition der Modalit\u00e4ten, und Qualit\u00e4ten der Empfindung, ihrer Intensit\u00e4t und Extensit\u00e4t (Ausdehnung und Dauer). E\u00df folgt die Lehre von den Maafsmethoden und di\u00a9 Psychophysik im Sinne der Lehre von der Beziehung der Intensitfttsunterschiede der Empfindung .zu den, Reizintensit\u00e4ten. Jobb h\u00e4lt Im Allgemeinen an der M\u00f6glichkeit einer wirklichen Messung der Empfindungsgr\u00f6\u00dfe fest, wenn er auch, durch die vielen Bedenken gegen die Messungsmethoden bestimmt, eine endg\u00fcltige Entscheidung hier\u00fcber vermeidet (S. 222). Er w\u00fcrde jenen Bedenken vielleicht noch mehr nachzugeben geneigt gewesen sein\u00bb wenn er nicht der Ansicht w\u00e4re, dafs von der ganzen Psychophysik nichts \u00fcbrig Wiebe, \u201eals di\u00a9 der gew\u00f6hnlichen Erfahrung entsprechende Proportionalit\u00e4t zwischen Reiz und Empfindung \u00dcberhaupt\u201c (S. 224), falls man die Me\u00dfbarkeit der Empfindungsintensit\u00e4t leugnete, die Annahme, dafs eine Empfindung von gewisser St\u00e4rk\u00a9 ein Multi plum einer vorausgehenden Empfindung sein k\u00f6nne, bestritte. Als ob nicht schon E. H. Weber, der eigentliche Vater dieser Untersuchungen, von einem ganz anderen Gesichtspunkte aus ihren Werth erkannt h\u00e4tte 1 F\u00e4llt die Messung der Empfindungsgr\u00f6fsen, so bleibt die Aufkl\u00e4rung \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit. Und zu wissen, wie fein die menschliche Unterscheidungsf\u00e4higkeit ist, hat ganz gewlle einen gr\u00f6fseren praktischen Werth, als zu wissen, ob eine Helligkeitsempfindung das zwei- oder dreifache einer anderen ist.\nBei der ausf\u00fchrlichen Behandlung der einzelnen Sinnesgebiete (Cap/*, g, 236\u2014374) erfreuen sich die Vitalempfindungen, und das ist ein Vc^ug, einer besonderen Ber\u00fccksichtigung. Die R\u00e4umlichkeit h\u00e4lt Jobb in Sinne des heute immer allgemeinere Verbreitung findenden Nativismus \u00fcr \u00a9inen specifischen Theil der Gesichtsempfindungen. Das \u201eungef\u00e4hr kernf\u00f6rmige\n2t*","page":451},{"file":"p0452.txt","language":"de","ocr_de":"452\nBesprechung,\nsogenannt\u00a9 Gesichtsfeld\u201c ist der specifische Inhalt der Gesichtsempfindong, wie sie beim Sehen sich dem Bewulsteein darstellt (S. '324). Und zwar wird dies Gesichtsbild zugleich mit der Transformation der Beize in die Empfindung (s. o.) nach aufsen projicirt oder externalisirt \u201ein einer viel vollkommeneren Weise, als dies bei den \u00fcbrigen Empfindungen der Fall ist\u201c (8. 325). Di\u00a9 optischen Beize werden dabei nicht bios in ein subjectives Erleb ni fa verwandelt und nicht nur im Organ \u201elokalisirt\u201c wie all\u00a9 \u00fcbrigen Empfindungen, sondern dies subjective Erlebnifs wird zugleich nach Anisen jenseits des Leibes projieirt.\" Dafs Jour an der nach neueren Anschauungen \u00fcberfl\u00fcssigen Projectionshypothese festh\u00e4lt\u00bb ist nach dem Obigen kaum, zu verwundern. Dafs aber jede Empfindung als solche in ihrem Organ localiairt wird, ist als Irrthum zu bezeichnen. Auch sonst m\u00f6chten wir gegen manche Einzelheiten dieses Abschnittes Einspruch erheben. Der Umstand, dafs Schwingungen des t\u00f6nenden K\u00f6rpers vom. Alge gesehen werden, wird von Jobl als eine Ausnahme vom Gesetz der speci-fischen Sinnesenergien bezeichnet, die aber die Begel 'best\u00e4tige (S. 188). Die Verkleinerung der Pupille bei pl\u00f6tzlich eindringendem Lichtstrahl ist nicht wohl als Mitempfindung anzusprechen, wie es geschieht (S. 188). Die Bezeichnung der Unterschiede starker und schwacher Tine, heller und dunkler Lichteindr\u00fccke u. s, w. als Intensit\u00e4tsunterschiede stammt offenbar aus der Ber\u00fccksichtigung der Beize, also aus physikalischen Erw\u00e4gungen, nicht aus der biofsen Variabilit\u00e4t der qualitativ gleichen Empfindungen in intensiver Beziehung, wie Jobl annimmt (S. 203). Jobl stellt (S. 204) den Begriff der extensiven Schwelle auf. Er Ulst mit Recht di\u00a9 extensive Schwelle der Empfindung durch die Dauer (Ausdehnung) des Kelzes gemessen werden, bei welcher eine Empfindung noch eben entsteht und dieser Dauer reciprok sein. Dann ist es aber falsch unter der extensiven Schwelle die einfache Wahrnehmung von Dauer oder Volumen an einer Empfin* d\u00fcng zu verstehen, wie es ebendort heilst. Und es ist auch noch keineswegs gelungen, wie Jobl annimmt (S. 212), die extensive Dauer der Empfindung durch \u00e4ufserst vollkommene Einrichtungen genau zu bestimmen. Die Dauer einer Gesichtsempfindung \u00fcbersteigt z. B. aller Wahrscheinlich-\u00ab keit nach die Dauer der Reize um ganz bestimmte Zeiten, aber diese in bestimmen ist bisher nicht gegl\u00fcckt. W\u00e4hrend nach 8. 252 das Moment der R\u00e4umlichkeit unmittelbar in den Bewegungsempfindungen liegen zu sollen scheint, wird auf S. 254 die Extensit\u00e4t der Bewegungsempfindlingen auf die Wahrnehmung der Amplitude der Bewegung znr\u00fcckgef\u00fchrt. Nur das letztere d\u00fcrfte richtig sein. Dafs der unmittelbaren Wahrnehmung kleinster Tondi ff erenzen die Schwebungen zu H\u00fclfe kommen (S. 304), ist dahin zu berichtigen, dafs an diesen Schwebungen beim Zusammenert\u00f6nen die Abweichung der Schwingungszahlen der T\u00f6ne von einander (die Differenzen) festgestellt werden k\u00f6nnen, von der Feststellung 'der objective,! (Reiz-) Unterschiede ist aber die Wahrnehmung des H\u00f6henunterschiedes bei Buccessiver Darbietung wohl zu unterscheiden. Auch die Behauptung, dale \u201edi\u00a9 Schallempfindung so wie so die Anleitung zu einer Differenz!ring ihrer Reiz\u00a9 in sich enthalte\u201c, die im weitesten Sinne als rhythmische und melodische Gliederung zu bezeichnen ist (S. 814), und dafs die Schall \u00a9mpfindung erfahrungsm\u00e4fsig der Continuirlichkeit des Eindrucks durchaus","page":452},{"file":"p0453.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n453\nentbehrt (8. 313), d\u00fcrfte nicht viel Zustimmung finden* Doch lassen wir diese Einzelheiten, zumal der folgende Abschnitt (Cap, VI, DI\u00a9 Gef\u00fchle der prim\u00e4ren Stufe S', 375\u2014414) uns eine h\u00f6chst leaenswerthe und interessante Ausf\u00fchrung \u00fcber die Natur der Gef\u00fchle bescheert.\nDas Gef\u00fchl d\u00e9finir! Jodl als \u201eeine psychische Erregung, in welcher der Werth einer im Zustande des lebendigen Organismus oder im Zustande des Bewufsteeins eingetretene Aenderung f\u00fcr das Wohl oder Wehe des Subjects unmittelbar als Lust oder Schmerz wahrgenommen wird\" (S. 375). Wie schon der Zusatz \u201eoder im Zustande des Bewufstseine\u201c anzeigt, fast Jodl das Gef\u00fchl subject!ver, wir k\u00f6nnten sagen, psychologischer als die Empfindung, Das Gef\u00fchl ist ihm lediglich ein Zustand, welchem die Beziehung auf das Subject wesentlich ist, es bringt nicht wie di\u00a9 Empfindung und Vorstellung vor das Bewufstsein \u201eeinen bestimmten Inhalt, aus welchem sich die Beziehung auf \u00a9in gegebenes und dargestelltes Object entwickelt\". Nach unserer Ansicht freilich folgt diese m\u00f6gliche Beziehung der Empfindung auf das Object nicht aus ihrer andersartigen psychologischen Beschaffenheit, sondern aus ihrem Inhalt. Scheinbar sagt Jodl dasselbe. Indessen seine pr\u00e4sentativen Bewufstseinsph\u00e4nomene erhielten diesen Charakter nicht aus ihrem eigenen Inhalte, sondern ans der vergleichenden Th\u00e4tigkeit des Bewufstseins und der Uebereinstimmung mit den wirklichen Objecten, w\u00e4hrend f\u00fcr uns die vorgestellten Objecte von vornherein auch die wirklichen sind.\nWas die wichtig\u00a9 Frage nach der Selbst\u00e4ndigkeit der Gef\u00fchlsph\u00e4no-mene betrifft, so nennt Jodl die Gef\u00fchle die Ich Seite an. den pr\u00e4sentativen und perceptiven Bewufstseinserscheinungen (B, 376), eine Ansicht, die der Lehre vom. Gef\u00fchlston der Empfindungen sehr nahe steht, Die Verschiedenheit der Gef\u00fchle leitet er (abgesehen von dem Unterschied\u00a9 der Lust und Unlust) von den pr\u00e4sentativen Elementen ab, \u201ean. welchen und mit welchen die Gef\u00fchle im. Bewufstsein auftreten\u201c (S. 319). \u201eDiese k\u00f6nnen sowohl. Empfindungen, als Vorstellungen und Gedanken sein, und bilden die unentbehrliche Voraussetzung f\u00fcr das Zustandekommen der Gef\u00fchle ; sie bestimmen dasjenige, was man. die Modalit\u00e4t und den Inhalt derselben nennen, kann.\" Zugleich sagt er aber, dafs die Gef\u00fchle auch, im physiologischen Sinne rein centraler Art seien, setzt damit also anscheinend eine besondere Erregung f\u00fcr sie voraus. Und nachdem er die Gef\u00fchle im \u00c4nscMufs an die hewufsten Vorg\u00e4nge, an die sie gebunden sind, in prftaen-tative, repr\u00e4sentative und intellectuelle getheilt hat, sagt er von den sinn liehen Gef\u00fchlen, dafs sie keineswegs .mit den. Empfindungen, an welchen sie zum Vorschein kommen, identisch seien (S. 381) und weder als eine bestimmte Art (Modalit\u00e4t), noch als Function der Empfindungen aufzufazsen sind. Die Gef\u00fchlswirkung einer Empfindung ist deutlich, als eine \u201egesonderte Bewufstseinserscheinung zu erkennen\u201c, welche sp\u00e4ter auftritt (ausgenommen bei grofser Intensit\u00e4t der veranlassenden Reize), langsamer zum Bewufst-sein kommt und den verursachenden Reiz oft um einige Zeitr\u00e4ume \u00fcberdauert. Das Gef\u00fchl ist darum nach Jodl nicht als Eigenschaft oder Function der Empfindungen, zu betrachten, sondern mufs als selbstst\u00e4ndige Bewufstseinsfunction angesehen werden, wenn auch \u201eeingeschlossen in. das stete Zusammenwirken der Bewufstseinsfumctionen \u00fcberhaupt\u201c (S, 382).","page":453},{"file":"p0454.txt","language":"de","ocr_de":"454\nBesprechung.\nIn der psychologischen, Analyse der Gef\u00fchl\u00a9 gewinnt diese letztere Ansicht, der wir nur zustimmen k\u00f6nnen, aeMieJMieh die Oberhand. Ir verfolgt dann ins Einzelne die Abh\u00e4ngigkeit der Gef\u00fchle von dem Geflammt-zustande des Bewufstseins, von der Intensit\u00e4t und Extensit\u00e4t der Empfindungen, wie von ihrer Modalit\u00e4t und Qualit\u00e4t. Dabei tritt die relative Selbstst\u00e4ndigkeit der Gef\u00fchle besondere bei der Er\u00f6rterung ihrer Abh\u00e4ngigkeit von dem, Gesammtiustande des Bewufstaein\u00ab und der Modalit\u00e4t der Empfindungen (Vitalsinn) deutlich hervor.\nAuch die \u00e4sthetischen Elementargef\u00fchle (Gap. VI, 2. Abschn. S. #4\u2014414) leitet JoMj nicht aus dem Gef\u00fchlston der mitwirkenden Empfindungen, sondern aus ihrer passenden. Vereinigung ab. Das \u00e4sthetische Gef\u00fchl giebt nicht eine \u201eWerth un g des einzelnen Reizes, sondern den Werth der Verkn\u00fcpfung einer neben oder nach einander gegebenen Mannigfaltigkeit von Reizen zu einem Ganzen der sinnlichen Wahrnehmung\u201c. Solche Wirkungen kn\u00fcpfen sich an die rhythmische und melodisch\u00a9 Tonbewegung, die\nHarmonie, di\u00a9 Raumbegrenzung durch Linien und die Raumerf\u00fcliung durch\n%\nverschieden\u00a9 Farben. Diese trefflichen Zergliederungen halten aich vom. jeder Beimischung fremder Elemente frei, Die Definition des Streben\u00bb, des Gegenstandes des VII. Cap. (die Willenserscheinungen der prim\u00e4ren Stufe S, 415\u2014447), sondert wieder, \u00e4hnlich wie es bei der Definition der Empfindungen der Fall war, den physiologischen und psychologischen Standpunkt nicht scharf genug. \u201eStreben ist . . . der Gesammtbegriff f\u00fcr diejenigen psychischen Erregungen, in welchen ein Bed\u00fcrfnifs des Organismus nach Reizen hervortritt oder die R\u00fcckwirkung desselben auf empfangene und im Gef\u00fchl gewerthete Eindr\u00fccke durch Entladung von Energie zur Herbeif\u00fchrung von Ver\u00e4nderungen in dem Verh\u00e4ltnisse des Organismus zur Aufsenwelt oder im Bewusstseinsinhalt zum Ausdruck kommt4* (S. 415). \u201eDas Streben steht in dem engsten Zusammenhang\u00a9 mit dem. F\u00fchlen ; es bezeichnet den, Inbegriff der den Gef\u00fchlsph\u00e4nomenen entsprechenden Reactionen; es stellt deren nach aufsen gerichtet\u00a9 d. h in physische oder psychische Bewegung sich umsetzen.de Seite dar.\u201c Die Bewegungen sind nur eine, nicht stete vorhandene, \u00e4ufsere Folge der Strebungen. Willensbandlungen (der Begriff des Willens ist enger als: der des Strebenh) sind zweckbewufste, willk\u00fcrlich\u00a9 Bewegungen, die Vorstellung des Zweckes also ist die Bedingung der Entstehung f\u00fcr ein\u00a9 Willen* handlung. Die Menschen sind, von Natur mit einem System von Triebe\u00bb ausgestattet : Athmungs-, Ern\u00e4hrung\u00bb-, Spiel-, Wahrnehmungstrieb, Trieb nach Schlaf und Ruhe. Durch wiederholte Befriedigung des Bed\u00fcrfnis\u00bb\u00bb ergiebt sich, \u00a9ine associative Beziehung, das blofse Streben wird zum, Verlangen oder Begehren. Und so entstehen, aus urspr\u00fcnglich unwillk\u00fcrlichem die willk\u00fcrlichen und, zweckmftfsigen Bewegungen oder Willenshandlunge\u00bb* Dabei spielt der Versuch, die Dressur, die Lust an der erweiterten T\u00e4tigkeit, die Nachahmung eine Bolle. Auch geht neben dem Procefs, welcher dem Willen die urspr\u00fcnglich unwillk\u00fcrlichen Bewegungen dienstbar macht, der Procefs der Mechanisirung von Bewegungen her, die zuerst nur unter der Mitwirkung des Bewufsteeins zu Stande kamen (Hebung). \u2014 Was von dem Willen im Allgemeinen gilt, gilt von der sinnlichen Aufmerksamkeit im Besonderen. Die unwillk\u00fcrliche Aufmerksamkeit ist die instinctive","page":454},{"file":"p0455.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n455\nReaction anf einen intensiv ausgezeichneten Reiz, die willk\u00fcrliche ist eine aasgebildete Willenshandlung.\nIm VIII. Cap. (S. 448\u2014513) folgen die secund\u00e4ren Ph\u00e4nomene. Die Reproduction ist \u201eder Vorgang, durch welchen eine fr\u00fcher\u00a9 prim\u00e4r\u00a9 Erregung, die unbewufst geworden war, mittels psychisch-centraler Energie ohne \u00e4ufseren Reiz neu ins Bewufstsein tritt\u201c (8. 449). Die secund\u00e4ren Phinomene oder Vorstellungen unterscheiden sich von den prim\u00e4ren nicht ihrem Inhalte, auch nicht Mob ihrer Intensit\u00e4t nach; sondern die Bewufst-seinsth\u00e4tigkeit in dem. einen und anderen Falle ist verschieden. Es zeigt sich das an dem Fehlen der Organempfindungen bei den secund\u00e4ren Ph\u00e4nomenen. Die Reproduction beruht auf Spuren (cerebralen Lagerungen), und das Behalten werden ist abh\u00e4ngig von der Bedeutsamkeit der Eindr\u00fccke, von ihrer Verkn\u00fcpfung mit Gef\u00fchlsmomenten und Strebungen und von der H\u00e4ufigkeit der prim\u00e4ren Erregungen. Die Wiedererweckung der Vorstellungen unterliegt den Aseociationsgesetzen. Die Associationsarten der Aehnlichkeit und der Ber\u00fchrung lassen sich nicht auf einander zurtick-f\u00fchren.\nDie Associationsgesetze f\u00fchren zu secund\u00e4ren Complexen von Vorstellungen, zu \u201eAssociationscentren\u201c, die den Gedankenlauf organisiren und den Anhaltspunkt geben nicht Mos f\u00fcr die Begehrungen, sondern, auch, f\u00fcr di\u00a9 grundlegenden. Begriffe, di\u00a9 zur Construction der Erfahrung dienen, die Begriff\u00a9 des Dinges, der Substanz und ihrer Eigenschaften, des lohe und der Aufsenwelt, der Causalit\u00e4t u. e. w. (S. 488). Von solchen wichtigsten Gebilden, di\u00a9 aus Reproduction und Association hervorgehen, werden in dem IX. Cap, (S. 514\u2014563) die Zeit, der Raum und die Aufsen- und Innenwelt (Ich und Nicht-Ich) besonders er\u00f6rtert, woran sich, dann in Cap. X (664\u2014640) eine ausgedehnte Besprechung des Verh\u00e4ltnisses von Sprechen und Denken anschliefst, in welcher die Selbstst\u00e4ndigkeit der Denkvorg\u00e4nge im Verh\u00e4ltnis zur Sprach\u00a9 geb\u00fchrend hervorgehoben wird. Wir \u00fcbergehen diese Abschnitt\u00a9 und bemerken nur, dafs in diesen im Geiste der Asso-ciationspsycbologie gehaltenen Er\u00f6rterungen di\u00a9 vorher bei der Lehr\u00a9 von den Empfindungen so lebhaft betonte Bedeutung der Spontaneit\u00e4t dm Bewusstseins ganz zur\u00fccktritt. Das Urtheilen ist zwar nach Jodl nichts Anderes als die Grundfunction des Bewufsteeins, das Beziehen und Vergleichen, \u201eauf einer h\u00f6heren Stufe\u201c. Das Urtheilen beruht nach ihm aber wesentlich auf den durch die associative Th\u00e4tigkeit entstandenen Begriffen, es bringt die Begriffe nicht hervor. Von dem Urtheilsvorgang, der Beziehung einer Vorstellung auf eine andere, oder der \u201eVerdeutlichung\u201c einer Vorstellung durch ein\u00a9 andere, Ist der Glaube an die Richtigkeit des TJrtheils nach Jodl ganz zu trennen. Dieser Glaube ist ein Urtheil \u00fcber das Urtheil und hat viele Grade der Gewifsheit.\nIn eine Kritik dieses neuen. Versuchs, die Begriffsbildung auf die associative!! Vorg\u00e4nge zur\u00fcckzuf\u00fchren, hier einzutreten, ist umsoweniger Veranlassung, als Jodl sich auf seinen Hinweis, dafs auch hier di\u00a9 Grundfunction des Beziehens und Vergleichen\u00ab sich beth\u00e4tige, zur\u00fcckziehen k\u00f6nnte. Es gen\u00fcgt, die gegens\u00e4tzliche Stellung, die mancher Leser theilen wird, an.zmd.euton. Nicht sowohl bei der Entstehung der Empfindungen zeigt sich die Spontaneit\u00e4t des Bewufstsein\u00bb, als bei ihrer Auffassung","page":455},{"file":"p0456.txt","language":"de","ocr_de":"458\nBesprechung.\n(Apperception), und in dieser Auffassung liegt bereits ein. Herausbeben eines Theilinhaltee aus einem Gesammtinhalte und ein Belieben des Theilw auf das Ganze, liegt also das, was man das prim\u00e4re \u00fcrtheilen nennen kann, der Anfang der Begriffsbildung. Eine solche Spontaneit\u00e4t, obschoi sie di\u00a9 Form der sinnlichen Inhalte ver\u00e4ndert, erfordert nicht di\u00a9 Annahme einer besonderen Grundfunction des Bewusstseins, eie ist nur der Ausdruck f\u00fcr das thais\u00e4chliche Geschehen, w\u00fcrde also auch der urspr\u00fcnglich von Jom, selbst gelehrten Theorie des Bewufstseins gerecht werden. Allerdings ist \u00a9ine realistische Vorstellungsweise mit diesem Standpunkt nicht vereinbar.\nMit Cap. XI (S. 641\u201471) kehren wir sur Lehr\u00a9 vom Gef\u00fchl zur\u00fcck. Es behandelt die Gef\u00fchle der secundftren und. terti\u00e4ren Stufe, die h\u00f6heren oder geistigen Gef\u00fchle, die Jom, in Formalgef\u00fcMe und Persongef\u00fchle theilt, ferner die Affecte und die eomplexen \u00e4sthetischen und ethischem Gef\u00fchle. Dazu kommen Im ScMufscapite! (S. 718 \u2014 738) die h\u00f6heren Willenserscheinungen, bei welcher Gelegenheit auch di\u00a9 Frage der Willensfreiheit ausf\u00fchrlich er\u00f6rtert wird. Es w\u00e4re Schade, diese feinsinnigen Ausf\u00fchrungen, die von feinstem Verst\u00e4ndnifis f\u00fcr di\u00a9 menschliche Natur zeugen und aus einer an ethischen Gegenst\u00e4nden ge\u00fcbten hohen Zergliederungskunst hervorgegangen sind, auszugsweise wiederzugeben. Wir empfehlen sie weitgehender Beachtung. Man wird bei ihrem Lesen an, die vorausgegangenen principiellen Er\u00f6rterungen kaum erinnert; sie liegen von dem urspr\u00fcnglichen Programm, wie es dl\u00a9 Einleitung aufstellte, weitab. Wir befinden uns hier innerhalb rein psychologischer Thatsachen, die in ansprechender Weise vor uns aufgerollt werden. Wenn wir oben zu behaupten wagten, dafs der Werth, dieses Buche\u00ae von seiner eigentlichen Absicht sich entferne, so hatten, wir dies\u00a9 Abschnitte im Auge. Im specieien Theil erhielten wir an Stelle einer einleuchtenden Durchf\u00fchrung des urspr\u00fcnglichen Programms \u00a9ine mit diesem in Zusammenhang stehende, aber nicht einwandfreie Ausf\u00fchrung \u00fcber die Lehre von den Sinnea-empfindungen, sodann eine mit dem Programm schon viel lockerer verkn\u00fcpfte Darstellung der Lehr\u00a9 vom Begriff und Urtheil auf associativer Grundlage und schliefslich eine fast ganz davon losgel\u00f6ste analytische Beschreibung der h\u00f6heren Gef\u00fchls- und Willens Vorg\u00e4nge. deren besonderen Werth anzuerkennen wir nicht umhin konnten. Wir m\u00fcssen es den Lesern, \u00fcberlassen, ob sie mit uns hieraus auf die Undurchf\u00fchrbarkeit jenes Programms schliefsen wollen.\nG\u00fctz Mjj\u00efiiot (Bonn).","page":456}],"identifier":"lit36186","issued":"1898","language":"de","pages":"442-456","startpages":"442","title":"Friedrich Jodl: Lehrbuch der Psychologie. Stuttgart, Verl. d. Cotta'schen Buchhandlung 1896. 767 S.","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:51:35.916878+00:00"}