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{"created":"2022-01-31T16:43:17.378344+00:00","id":"lit36195","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Thomas, Fr.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 12: 60-61","fulltext":[{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"Ein weiteres Beispiel von Assoziation durch eine Geruchsempfindung als unbewufstes\nMittelglied.\nVon\nDr. Fe. Thomas in Ohrdruf.\nIn Band IX (1895) S. 142 dieser Zeitschr. findet sich ein Referat \u00fcber W. Jeeusalems Mitteilung in den Philos. Stud. X. 1894. S. 323\u2014325 (betreffend Erweckung einer weit zur\u00fcck liegenden Erinnerung durch den Geruch einer Pflanze). Einen ebenso \u201ereinen und korrekt beobachteten Fall\u201c, welcher wenigstens in einem Nebenumstand dem dort berichteten noch \u00fcberlegen ist, halte ich der Mitteilung wert.\nIch war seit Fr\u00fchjahr 1861 Student in Berlin. Mein t\u00e4glicher Weg zur Universit\u00e4t f\u00fchrte mich von der Artillerie-strafse \u00fcber die Ebertsbr\u00fccke. Als ich eines Tages im Sp\u00e4therbst 1861, in Gedanken v\u00f6llig vertieft, diese Br\u00fccke passierte, stand mir urpl\u00f6tzlich das H\u00fcttenthal bei K\u00f6nigstein in der S\u00e4chsischen Schweiz, in welchem ich mehrere Jahre vorher l\u00e4ngere Zeit gelebt hatte, so lebhaft vor Augen, dafs ich gar nicht verstand, was die Richtung meiner Gedanken so unvermittelt, mit einem Rucke ge\u00e4ndert haben konnte. Ich hatte es eilig, um rechtzeitig im Kolleg zu sein und kn\u00fcpfte auch alsbald den zerrissenen Faden meines fr\u00fcheren Gedankenganges wieder an. Am n\u00e4chsten Tage zur gleichen Stunde \u2014 ich hatte an den Vorfall bis dahin nicht wieder gedacht \u2014 dieselbe Sache! Jetzt blieb ich stehen, denn die Wiederkehr an der genau gleichen Stelle war mir doch zu auff\u00e4llig. Ich ging nur einige wenige Schritte zur\u00fcck, langsam und meine Aufmerksamkeit konzentrierend, als auch schon die Ursache mir klar wurde: An der Br\u00fccke lag ein b\u00f6hmisches Obstschiff,","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Ein weiteres Beispiel von Assoziation durch eine Geruchsempfindung. 61\ndessen Besitzer seine Ware am G-el\u00e4nder der Br\u00fccke in Wannen feil hielt, w\u00e4hrend das Schiff selbst ais Vorratskeller und zugleich als Wohnraum f\u00fcr den Inhaber dieser schwimmenden Obsthandlung diente. Der B\u00f6hme hatte seine Braunkohle als billiges Heizmaterial mitgebracht. Der Geruch des Rauches dieser Kohle, die auch im H\u00fcttenthale allgemein gebraucht worden war, hatte mir das Erinnerungsbild wachgerufen. In Gotha und Jena, wo ich bis 1861 aufserdem nur gelebt hatte, war damals dieses Heizmaterial noch nicht in Gebrauch. Mir war dasselbe und der ihm eigene Rauchgeruch in der S\u00e4chsischen Schweiz neu gewesen, und so war dieser ein integrierender Bestandteil des Gesamtbildes jener f\u00fcr mich neuen Welt geworden und vermochte auch drei Jahre sp\u00e4ter dieses Bild wieder hervorzurufen.\nDie Thatsache, dafs ich am ersten Tage \u00fcber die Ursache der Erweckung der Vorstellung gar nicht ins Klare gekommen bin, beweist, dafs hier von Bewufstsein im gew\u00f6hnlichen Sinne keine Rede sein kann.\nAus der viel gr\u00f6fseren Zahl solcher Beispiele, bei denen das Mittelglied der Geruchsempfindung als ein unbewufstes nicht ausdr\u00fccklich konstatiert ist, f\u00fcge ich eines an, das Prof. Dr. Otto Spetee erz\u00e4hlte, als wir in gr\u00f6fserer, haupts\u00e4chlich aus Botanikern bestehender Gesellschaft von der Naturforscher-Versammlung in Kassel (1878) aus eine Exkursion unternahmen. Speyer hatte als fr\u00fchreifer Knabe im Bade Pyrmont, wo sein Vater f\u00fcrstlicher Administrator war, das Lesezimmer der Kuranstalt, in welchem viel Cigaretten geraucht wurden, oft besucht und dort 1830 die ersten Nachrichten vom Ausbruch der Pariser Jnlirevolution und von den Strafsenk\u00e4mpfen gelesen. Er rannte heim, dem Vater die Kunde zu bringen. Dieser glaubte ihm nicht, folgte aber dem Knaben nach der Quelle seiner Weisheit und fand die Best\u00e4tigung. Dem erregten Knaben aber pr\u00e4gte sich die ganze Situation so lebhaft ein, dafs ihm fortan dauernd der Geruch t\u00fcrkischen Tabaks das Bild von Strafsenk\u00e4mpfen hervorrief.","page":61}],"identifier":"lit36195","issued":"1896","language":"de","pages":"60-61","startpages":"60","title":"Ein weiteres Beispiel von Assoziation durch eine Geruchsempfindung als unbewu\u00dftes Mittelglied","type":"Journal Article","volume":"12"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:43:17.378350+00:00"}