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{"created":"2022-01-31T16:45:55.615141+00:00","id":"lit36197","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kries, J. v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 12: 81-101","fulltext":[{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus dem physiologischen Institut Freiburg i. B.)\n\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize\nauf das Sehorgan.\nVon\nJ. y. Kries.\n(Hierzu Tafel I.)\nDie Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf unser Sehorgan ist in letzter Zeit wiederholt zum Gegenst\u00e4nde eingehender Untersuchungen gemacht worden.1 Dafs hierbei eine Anzahl sehr eigenartiger und nicht ganz einfach deutbarer Erscheinungen auftreten, konnte schon durch die Beobachtungen Purkinjes als festgestellt gelten. Die Untersuchungen der neueren Autoren gehen nicht blofs bez\u00fcglich der Deutung, sondern auch bez\u00fcglich der Erscheinungen selbst einigermafsen auseinander. Allgemeine \u00dcbereinstimmung besteht nur darin, dafs auf die erste Empfindung, welche qualitativ mit derjenigen \u00fcbereinstimmt, die das betreffende Licht bei l\u00e4ngerer Einwirkung erzeugt, sehr bald (d h. etwa um Vs Sekunden sp\u00e4ter) eine zweite, mehr oder weniger lang andauernde, folgt. Dies ist die Grundthatsache, welche, in mancherlei Variierungen beobachtet, auch schon eine Anzahl verschiedener Namen erhalten hat; in Deutschland seit lange unter dem Namen des Purkinje-schen Nachbildes bekannt, hat sie von englischen Autoren, die sie in den 70er Jahren neu fanden, die Benennung der recurrent vision erhalten. \"Widerspr\u00fcche bestehen dabei haupts\u00e4chlich in Bezug auf zwei Punkte. Die englischen Beob-\n1 Yergl. die in meiner fr\u00fcheren Arbeit (diese Zeitschrift IX. S. 113, Anmerkung) gegebene Zusammenstellung der Litteratur.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XII.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nJ. v. Kries.\nachter, gleichermafsen auch Hess und Bosscha, sehen diese zweite Helligkeitsempfindung durch ein deutliches Intervall des Dunkels getrennt; Exner konnte eine solchen Zwischenraum nicht bemerken. Bei Anwendung farbiger Lichter ferner beschreiben die meisten Autoren die zweite Empfindung als der Farbe des angewandten Lichtes komplement\u00e4r. Bidwell findet diese Hegel allerdings nicht ganz ausnahmslos und genau zutreffend, doch stimmt mit ihr die Mehrzahl seiner Angaben. Hess dagegen beschreibt das sekund\u00e4re Bild als dem prim\u00e4ren gleichartig gef\u00e4rbt. Eine Erkl\u00e4rung dieser doppelten Beaktionsweise des Gesichtsapparates war bis vor kurzem nicht versucht worden. Nachdem aber andere Thatsachen zu der Vermutung gef\u00fchrt hatten, dafs die Zapfen einer- und die St\u00e4bchen andererseits zwei einigermafsen voneinander unabh\u00e4ngige lichtempfindliche Apparate darstellten, beide zur Ausl\u00f6sung von Empfindungen bef\u00e4higt, war es nahe gelegt, das prim\u00e4re Bild als einen durch die Heizung der Zapfen, das versp\u00e4tete sekund\u00e4re als einen durch die Heizung der St\u00e4bchen bewirkten Empfindungseffekt anzusehen. Hierf\u00fcr schien vor allem der Umstand zu sprechen, dafs, wie Bidwell und ich nahe gleichzeitig fanden, die Erscheinung nur im roten Lichte fehlt, eben jenem, dem gegen\u00fcber wir auch aus anderen Gr\u00fcnden die St\u00e4bchen als unerregbar uns denken m\u00fcssen.\nEin weiteres Studium des Gebietes erschien bei dieser Sachlage zum Teil wegen der eben erw\u00e4hnten Widerspr\u00fcche der verschiedenen Autoren erw\u00fcnscht, zum Teil aber auch im Hinblick auf ein sich gleich auf dr\u00e4ngendes Bedenken. Nach den Beobachtungen Bidwells entsteht die sekund\u00e4re Erregung etwa um V*\u20141U Sekunden versp\u00e4tet gegen\u00fcber der prim\u00e4ren. Man kann bemerken, dafs eine so stark verz\u00f6gerte Erregung des St\u00e4bchenapparates \u00fcberall da, wo er allein funktioniert, n\u00e4mlich in einem schwachen Licht, \u00ab welches keine Unterscheidung von Farben mehr gestattet, beim \u201eD\u00e4mmerungssehenu, wie ich es genannt habe, einen schwerwiegenden Nachteil darstellen w\u00fcrde. Es wird sieh Gelegenheit finden, auf diesen Punkt sp\u00e4ter zur\u00fcckzukommen. Vorderhand ist klar, dafs eine weitere Untersuchung der Ph\u00e4nomene mit H\u00fccksicht auf theoretische Fragen haupts\u00e4chlich darauf zu achten hatte, wie die Erscheinung von der Art und St\u00e4rke des benutzten Lichtes und ganz besonders auch, wie sie von dem jeweiligen","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan.\n83\nAdaptationszustande des Auges abh\u00e4ngt. Namentlich, das letztere, bisher wenig beachtete Moment erschien im Hinblick auf die theoretische Vermutung besonders wichtig, da wir die Funktion der St\u00e4bchen in h\u00f6chstem Mafse uns durch die Adaptation beeinflufsbar denken m\u00fcssen.\nWas das benutzte Versuchsverfahren angeht, so bin ich zumeist dem von Purkinje, Exner und den englischen Autoren eingeschlagenen Wege gefolgt und habe mit fixiertem Blick ein im Kreise umlaufendes, Licht aussendendes Objekt beobachtet. Das Licht gleitet auf diese Weise \u00fcber die Netzhaut hin, und man sieht demgem\u00e4fs in jedem Augenblicke die einander zeitlich folgenden Phasen des Empfindungseffektes in r\u00e4umlicher Folge aneinandergeschlossen. Erblicken wir z. B. einen voranlaufenden blauen Kreis, dem, durch ein dunkles Intervall getrennt, ein heller, schwach gelblicher Schweif folgt, so k\u00f6nnen wir diesem sehr sicher zu , beurteilenden Ph\u00e4nomen ohne weiteres entnehmen, dafs das blaue Licht bei kurzer Einwirkung auf eine Netzhautstelle eine Blauempfindung erzeugt, dann nach einem gewissen Intervall des Dunkels eine zweite Helligkeitsempfindung mit gelblicher F\u00e4rbung ausgel\u00f6st hat. Das Zeitintervall beider Effekte ist, wenn gleichzeitig der eine auf der Stelle a und der andere auf der Stelle b des Gesichtsfeldes gesehen wird, demjenigen Zeitwerte gleich zu setzen, w\u00e4hrend dessen das Objekt von der Stelle a bis zur Stelle b hinl\u00e4uft. Mir scheint die Beobachtung durch diese r\u00e4umliche Auseinanderlegung eine gr\u00f6lsere Sicherheit zu gewinnen als sie bei der Momentanreizung einer einzelnen Netzhautstelle er reichen kann, der kontinuierliche umlaufende Lichtreiz also im Allgemeinen den Vorzug vor dem einfachen Momentanreiz zu verdienen.\nIm \u00fcbrigen schlofs sich mein Versuchsverfahren fast genau dem von Bid well ge\u00fcbten an. In der Th\u00fcr zweier Dunkelzimmer wurde eine runde \u00d6ffnung angebracht, die von der einen Seite her mit dem Lichte der elektrischen Bogenlampe,\neventuell durch Entwerfung eines reellen Spektrums mit farbigem\n\u2022\u2022\nLichte erleuchtet werden konnte. Das die \u00d6ffnung passierende Licht fiel im anderen Zimmer zun\u00e4chst auf ein achromatisches Objektiv, sodann auf einen Spiegel, so dafs auf einem passend aufgestellten weifsen Schirm ein reelles Bild der \u00d6ffnung entworfen wurde; der Spiegel konnte um eine gegen seine Normale etwas geneigte Achse in Umdrehung versetzt werden, wobei\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nJ. v. Kries.\ndas reelle Bild auf dem Schirm eine Kreisbahn beschrieb. Die Kotatioh des Spiegels besorgte ein kleiner Elektromotor mit Zentrifugalregulierung, gew\u00f6hnlich so, dafs eine Umdrehung 1,5 Sekunden erforderte. Die erw\u00e4hnten objektiven Spektren wurden ebenso wie die weifse Beleuchtung durch das elektrische Bogenlicht gewonnen, was mit Benutzung eines geradsichtigen Wernicke sehen Prismas mit grofser Leichtigkeit geschehen konnte; doch sei bemerkt, dafs ich in vielen F\u00e4llen auch farbige Gl\u00e4ser, unter Verzicht auf die spektrale Zerlegung, verwendet habe, um die Farben von gr\u00f6fserer Lichtst\u00e4rke zu erhalten. Sodann ist noch zu erw\u00e4hnen, dafs in dem Schirme eine kleine \u00d6ffnung angebracht war, welche, von hinten her mit einer Milchglasplatte verdeckt und von einer sehr kleinen Gasflamme beleuchtet, ein passendes Fixationszeichen abgab. Eine kleine Verschiebung des rotierenden Spiegels erlaubt, die von dem Lichtbilde durchlaufene Bahn gegen die Fixationsmarke zu verschieben, so dafs diese nach Belieben in der Mitte derselben, an den Band etc. fiel, Verh\u00e4ltnisse, auf die sogleich genauer einzugehen sein wird.\nEhe ich an die Er\u00f6rterung des Punktes gehe, dessen Aufkl\u00e4rung ich mir haupts\u00e4chlich vorgesetzt hatte, n\u00e4mlich, wie die fraglichen Erscheinungen von dem Adaptationszustande des Auges abh\u00e4ngen, will ich eine bisher nicht bemerkte Eigent\u00fcmlichkeit des Ph\u00e4nomens beschreiben. Wenn sich dasselbe in der, namentlich von den englischen Autoren beschriebenen Form pr\u00e4sentiert, dafs das Nachbild durch ein ziemlich langes dunkles Intervall getrennt hinter dem prim\u00e4ren Bilde herl\u00e4uft,1 und wenn man alsdann seine Bahn so legt, dafs sie durch das Fixationszeichen geht, so ist in auff\u00e4lligster Weise zu bemerken, dafs das Nachbild (der ,,ghostu) in der n\u00e4chsten Umgebung des Fixationspunktes verschwindet. Ich bin nicht durch theoretische Erw\u00e4gung auf diese Beobachtung gef\u00fchrt worden, bemerkte vielmehr eigentlich zuf\u00e4llig eine eigent\u00fcmliche Diskontinuit\u00e4t, etwas sozusagen Sprungweises in der Bewegung des Nachbildes. Bei genauerer Beobachtung stellte sich sogleich heraus, dafs dasselbe einen kleinen Bezirk am Fixationspunkte \u00fcberspringt. Die Erscheinung ist unter g\u00fcnstigen Bedin-\n1 Die Bedingungen f\u00fcr diese Art der Erscheinung werden unten angegeben werden.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan. 85\ngungen sehr leicht zu sehen und ungemein deutlich ; es geh\u00f6rt dazu, wie gesagt, dafs das Nachbild gut entwickelt und von dem prim\u00e4ren Bilde durch ein m\u00f6glichst langes dunkles Intervall getrennt ist; auch darf die Rotationsbewegung nicht zu schnell sein. So ist sie von mehreren Kollegen, denen ich sie zu zeigen Gelegenheit hatte, in ganz gleicher Weise wie von mir gesehen worden. Man hat, wie es einer derselben sehr treffend ausdr\u00fcckte, den Eindruck, als ob das Bild in einem kleinen Abstande vom Pixationspunkte in einen Tunnel schl\u00fcpfte, aus dem es jenseits des Pixationspunktes wieder herausf\u00e4hrt.\nNachdem das Springen des sekund\u00e4ren Bildes in der N\u00e4he des Fixationspunktes einmal nachgewiesen war, erschien es von Wichtigkeit, die Gr\u00f6fse desjenigen Bezirkes zu ermitteln, der der Duplizit\u00e4t des Erregungseffektes ermangelt und \u00fcber den also das sekund\u00e4re Bild hinwegzuh\u00fcpfen scheint. Der Versuch lehrte indessen sogleich, dafs die Bestimmung auf diese Weise, mit der Methode des umlaufenden Bildes, sehr unsicher und ungenau ist. Ich versuchte, auf den weifsen Schirm, auf den das umlaufende Bild projiziert war, und der eine kleine, von hinten erleuchtete \u00d6ffnung als Fixationszeichen trug, das reelle Bild einer kleinen Licht\u00f6ffnung zu projizieren und dieses auf denjenigen Punkt in der N\u00e4he des Pixierzeichens einzustellen, wo der \u201eghosttt zu verschwinden schien. Doch war das Verfahren so schwierig und unsicher, dafs ich keine brauchbaren Resultate erhalten konnte. Sehr gut gelangte ich dagegen zum Ziel, indem ich auf das umlaufende Bild ganz verzichtete. Vor der das Licht liefernden \u00d6ffnung rotierte eine Scheibe mit einem Schlitz, so dafs die \u00d6ffnung einmal inDA\u20142 Sekunden f\u00fcr einen kleinen Bruchteil einer Sekunde sichtbar wurde. In den ersten Orientierungsversuchen, die ich selbst anstellte, war das reelle Bild der\n\u2022* ________________________ #\n\u00d6ffnung auf eine weifse Tafel projiziert und konnte leicht m\nvariable Entfernung von dem daselbst angebrachten Fixierzeichen gebracht werden. Hier war nun vortrefflich zu sehen, dafs, wenn das aufblitzende Bild sich in gr\u00f6fserer Entfernung vom Pixierpunkte befand, jedem Auf blitzen des blauen Bildes ein zweites Aufleuchten in kurzem Intervall folgte. Sobald dagegen das Bild nahe an den Pixationspunkt fiel, war hiervon nichts zu bemerken. Um die Grenze zu bestimmen, verfuhr","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nJ. v. Kries.\nich bei diesen ersten Versuchen so, dafs ich dem kreisf\u00f6rmigen Bilde eine Grr\u00f6fse von 1 cm Durchmesser und 4 cm Abstand vom Fixationspunkte gab. Ich wechselte dann meine Entfernung und bestimmte denjenigen Abstand, in den ich gehen mufste, um die Doppelschl\u00e4gigkeit der Erregung verschwinden zu machen. Ich fand diese Abst\u00e4nde, wenn das Objekt horizontal neben dem Fixationszeichen stand, in verschiedenen Versuchen zwischen 172 und 211 cm, im Durchschnitt 184 cm, ohne sicheren Unterschied zwischen nasaler und temporaler Seite; bei Lage des Objektes \u00fcber oder unter dem Fixierpunkt war ein Abstand von 212 cm erforderlich. Berechnet man unter der Voraussetzung, dafs in diesen F\u00e4llen noch das ganze Objekt auf st\u00e4bchenfreiem Gebiete abgebildet worden ist, so erg\u00e4be sich die Grr\u00f6fse desselben derart, dafs es, auf 1 m projiziert, einen horizontalen Durchmesser von 55, einen vertikalen von 47 m haben w\u00fcrde.\nEmpfehlenswert ist es f\u00fcr diese Versuche, niemals sehr starke Dunkeladaptation eintreten zu lassen, weil dadurch die Doppelschl\u00e4gigkeit aus den alsbald zu er\u00f6rternden Gr\u00fcnden an Deutlichkeit verliert. Ferner mag erw\u00e4hnt werden, dafs man wohl gelegentlich einmal zweifelhaft wird, ob nicht auch zentral eine Duplizit\u00e4t des Vorganges stattfindet; beobachtet man genau, so findet man, dafs es die beiden schnell folgenden Ver\u00e4nderungen, Erhellung und Verdunkelung, sind, welche den unbestimmten Eindruck einer Duplizit\u00e4t hervorrufen. Es empfiehlt sich deswegen, von Zeit zu Zeit den Blick abzuwenden und sich durch Vergleichung wieder die charakteristische Erscheinung des zweiten Aufleuchtens vorzuf\u00fchren. Instruktiv ist es auch, das Fixierzeichen in die Mitte des intermittierend aufleuchtenden kreisf\u00f6rmigen Objektes zu bringen. Man sieht dann, dafs bei Betrachtung aus gr\u00f6fserer Entfernung die Doppelschl\u00e4gigkeit vollkommen fehlt; n\u00e4hert man sich dem Objekte, so bemerkt man sehr deutlich, dafs das zweite Aufleuchten zun\u00e4chst nur am Bande auftritt, im allgemeinen einen schmalen sichelf\u00f6rmigen Streifen darstellend.\nUm von subjektiven Pr\u00e4okkupationen unabh\u00e4ngig zu sein, veranlafste ich Herrn Dr. Pertz, eine Beihe \u00e4hnlicher Bestimmungen auszuf\u00fchren. Das Verfahren war dabei ein etwas abweichendes; um m\u00f6glichst hohe Lichtst\u00e4rken in Anwendung bringen zu k\u00f6nnen, wurde eine im Fensterladen angebrachte,","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan. 87\nmit Mattglas und einem blauen Glase verdeckte \u00d6ffnung direkt betrachtet. Dicht vor der \u00d6ffnung rotierte die verdeckende Scheibe mit ihrem Spalt. Der Abstand des Beobachters betrug 1 m, der Durchmesser der \u00d6ffnung 5 mm. Unmittelbar vor dem Auge des Beobachters war ein mikroskopisches Deckgl\u00e4schen angebracht, welches das virtuelle Bild eines sehr kleinen und ganz schwach leuchtenden Gl\u00fchl\u00e4mpchens in die N\u00e4he der \u00d6ffnung warf. Das L\u00e4mpchen war an einem horizontalen Arme drehbar befestigt, so dafs sein Spiegelbild, sich horizontal verschiebend, \u00fcber die Licht\u00f6ffnung hinglitt und in kleinen oder gr\u00f6fseren Abstand von dieser gebracht werden konnte. Der Beobachter hatte in wiederholten Versuchen diejenige Stellung des L\u00e4mpchens aufzusuchen, f\u00fcr welche bei Fixation desselben noch sicher keine Doppelerregung zu bemerken war. Die Bestimmungen gelangen mit verh\u00e4ltnis-m\u00e4fsig grofser Genauigkeit und guter \u00dcbereinstimmung. Es ergab sich vom Fixationspunkt bis zu dem ihm abgekehrten Bande der \u00d6ffnung in einer ersten Beihe:\na)\tbei lateraler Lage der Licht\u00f6ffnung 18,5\u201426,5, im Mittel 22 mm,\nb)\tbei medialer Lage der Licht\u00f6ffnung 13,5\u201418,5, im Mittel 15,5 mm;\nin einer zweiten Beihe:\na)\tbei medialer Lage 19,5\u201424,5, im Mittel 20,8 mm,\nb)\tbei lateraler Lage 12,5\u201417,5, im Mittel 14,8 mm. D\u00fcrften wir annehmen, dafs bei der hier ermittelten Grenze das Netzhautbild der \u00d6ffnung sich noch ganz auf st\u00e4bchenfreiem Gebiete abbildet, so k\u00f6nnten wir also den Durchmesser dieses Bezirkes, auf 1 m Entfernung projiziert, auf etwa 35\u201438 mm veranschlagen, was mit den anatomischen That-sachen in gen\u00fcgender \u00dcbereinstimmung ist.1\nIch wende mich nunmehr zu der Besprechung des Ein^ flusses, den die Adaptationszust\u00e4nde des Auges auf die fragliche Erscheinung aus\u00fcben. Es sei vorausgeschickt, dafs dieser Einflufs in der That ein aufserordentlich grofser ist. Das eine Extrem h\u00e4tten wir, wenn das Auge vollkommen hell adaptiert ist. Es m\u00f6ge also in dem zur Beobachtung dienenden Dunkelzimmer sonst alles vorbereitet und in Gang gesetzt, die L\u00e4den\n1 Yergl. hier\u00fcber die Er\u00f6rterungen in der vorangehenden Arbeit, diese Zeitschr. Bd. XII. S. 29.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nJ. v. Kries.\njedoch noch offen sein; der Beobachter stehe auch nahe am Fenster, so dafs die Angen dem vollen Tageslicht ansgesetzt sind. In wenigen Sekunden k\u00f6nnen alsdann die L\u00e4den hernntergelassen werden und die Beobachtung des umlaufenden Lichtbildes beginnen. Man sieht alsdann, wenn das angewandte Licht sehr hell ist, sogleich, bei etwas geringerer Lichtst\u00e4rke aber nach ganz kurzer Zeit (1\u20142 Minuten), diejenige Form der Erscheinung, welche am charakteristischsten der Bezeichnung der englischen Autoren (recurrent vision) entspricht, n\u00e4mlich das sekund\u00e4re Bild, von dem prim\u00e4ren durch ein betr\u00e4chtliches ganz dunkles Intervall getrennt, hinter ihm herlaufen. Wendet man nicht sehr starke Lichter an, so ist, wie gesagt, die Erscheinung nicht gleich im ersten Moment sichtbar; sie entwickelt sich in einigen Minuten. Man sieht dabei in einer gewissen Entfernung von dem prim\u00e4ren Bilde zun\u00e4chst eine besonders tiefe Schw\u00e4rze ; in dieser tritt zuerst ein unbestimmter heller Schein auf, welcher demgem\u00e4fs von einem tief schwarz erscheinenden Hofe umgeben ist. Bald gewinnt das sekund\u00e4re Bild an Helligkeit und Deutlichkeit und wird auch zugleich l\u00e4nger. Anfangs nur ein schmaler Streifen, der hinter der Ausdehnung des prim\u00e4ren Bildes noch zur\u00fcckzubleiben scheint, streckt es sich in die L\u00e4nge, wobei sein hinteres Ende, in einen langen Schweif verwandelt, nach hinten zu sehr unbestimmt begrenzt wird. Dabei sehe auch ich (ganz in \u00dcbereinstimmung mit Bidwell) die tiefe Schw\u00e4rze als einen nicht scharf begrenzten Hof, der das sekund\u00e4re Bild einfafst, und zwar vorn sowohl als seitlich.\nDiese, wenn ich so sagen darf, sch\u00f6nste und eleganteste Erscheinung der recurrent vision habe ich versucht in Figur 1 darzustellen. Einige Besonderheiten sind an derselben noch hervorzuheben. An dem vorauslaufenden (prim\u00e4ren) Bilde ist oft in sehr auff\u00e4lliger Weise zu sehen, dafs sein hinterer Band konkav, das ganze Bild also halbmondf\u00f6rmig erscheint. Dies w\u00fcrde darauf hindeuten, dafs der kurze Lichtreiz an jeder Netzhautstelle eine Erregung bewirkt, deren Dauer nicht im einfachen Verh\u00e4ltnis mit der Dauer des Lichtreizes w\u00e4chst, so dafs insbesondere ihr Ende nicht einfach \u00fcberall um den gleichen Wert nach dem Ende der Beleuchtung stattfindet.\nWas sodann die Farbe der sekund\u00e4ren, versp\u00e4teten Bilder anlangt, so habe ich sie stets schwach komplement\u00e4r oder","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan. 89\nwenigstens nahezu komplement\u00e4r gef\u00e4rbt gesehen; ich notierte bei Anwendung spektraler Lichter bei ein wirkendem Licht Orange das nachlaufende Bild als bl\u00e4ulich, bei G-r\u00fcnlichgelb sch\u00f6n blau, bei Gelblichgr\u00fcn blauviolett, bei Blaugr\u00fcn sch\u00f6n rosa, bei Blau gelb, bei Violett schwach gelblich oder gr\u00fcnlich. Einzig bei blauem Licht konnte die F\u00e4rbung zuweilen zweifelhaft sein und (besonders bei sehr starkem Licht) auch das sekund\u00e4re Bild bl\u00e4ulich erscheinen. Diese Abweichung von der Regel d\u00fcrfte wohl daher zu erkl\u00e4ren sein, dafs an sich die durch St\u00e4bchenerregung ausgel\u00f6ste Empfindung nicht genau farblos, sondern leicht bl\u00e4ulich zu sein scheint, somit die komplement\u00e4re Gelbf\u00e4rbung unter besonders ung\u00fcnstigen Bedingungen steht.\nEs wird jetzt zun\u00e4chst zu betrachten sein, wie die Erscheinung von der Intensit\u00e4t des einwirkenden Lichtes abh\u00e4ngt, wobei im Auge zu behalten w\u00e4re, dafs das Gesagte sich auf kurze Dunkeladaptation (4\u201410 Almuten) bezieht. Hier ist nun anzuf\u00fchren, dafs, um das Ph\u00e4nomen in der geschilderten Weise hervorzubringen, das einwirkende Licht selbstverst\u00e4ndlich nicht zu schwach, aber auch nicht zu stark sein darf. Schw\u00e4cht man w\u00e4hrend der Beobachtung das Licht ab, so erlischt alsbald das sekund\u00e4re Bild, und zwar lange ehe das prim\u00e4re unsichtbar wird. Macht man den Versuch mit sehr intensivem Lichte, so erh\u00e4lt man gleichfalls eine andere Form der Erscheinung. Man sieht n\u00e4mlich jetzt das prim\u00e4re Bild weit mehr in die L\u00e4nge gezogen, und das sekund\u00e4re schliefst sich ihm direkt an. Dies ist etwa die Erscheinungsweise, welche Exneb, beschrieben und abgebildet hat; die gleiche bekam auch ich bei den ersten Orientierungsversuchen zur Anschauung, deren ich fr\u00fcher kurz Erw\u00e4hnung that und bei denen das in einer Kugel gespiegelte Licht eines Auerbrenners als Objekt diente.1 Bei der Projizierung eines Lichtbildes habe ich so hohe Lichtst\u00e4rken nicht erreichen k\u00f6nnen, wohl aber das Gleiche auch jetzt wieder beobachtet, wenn ich das leuchtende Diaphragma nicht auf dem Schirm abbilden liefs, sondern direkt im Spiegel betrachtete. Wenn ich solche Lichtst\u00e4rken w\u00e4hle, dafs der gelbliche Schweif fast die ganze Kreisbahn\n1 \u00dcber den Ein flufs der Adaptation auf Licht- und Farbenempfindung und \u00fcber die Funktion der St\u00e4bchen. Freiburg i. B. 1894. S. 11.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nJ. v. Kries.\nausf\u00fcllt, so ist auch das prim\u00e4re Bild bereits so weit nach hinten erstreckt, dafs es den Beginn des sekund\u00e4ren erreicht. Hierbei ist noch eines zu beachten. Bei zunehmender Dunkeladaptation des Auges w\u00e4chst (wovon gleich noch zu reden sein wird) ohnehin die Erstreckung des prim\u00e4ren Bildes. Es kann daher kommen, wie ich es oft gesehen habe, dafs man zu-| n\u00e4chst das sekund\u00e4re Bild deutlich getrennt von dem prim\u00e4ren sieht, nach einiger Zeit die Bilder verschmolzen scheinen, | dann aber eine Verminderung der Lichtst\u00e4rke gen\u00fcgt, um das I sekund\u00e4re wieder in deutlichem Abstand auftreten zu sehen.\nDie Frage, weshalb einige Beobachter ein dunkles Intervall zwischen dem prim\u00e4ren und sekund\u00e4ren Bilde beschreiben, andere nicht, l\u00e4fst sich hiernach mit gen\u00fcgender Sicherheit beantworten. Wer mit gut dunkeladaptiertem Auge und intensiven Lichtern arbeitet, wird das Intervall vermissen; wer mit geringerer Dunkeladaptation und schw\u00e4cheren Lichtern operiert, wird es finden.\nWas das Zeitintervall des prim\u00e4ren und sekund\u00e4ren Bildes anlangt, so ist eine genaue Bestimmung desselben schwierig. Die Sch\u00e4tzung des Bogenabstandes der beiden Bilder ist sehr unsicher und gewinnt auch nicht viel, wenn man, wie ich zun\u00e4chst that, ein kleines Lichtzeichen auf einem Kreisbogen verschieblich anordnet und in solchen Abstand vom Fixationspunkte zu bringen sucht, dafs er dem Abstande der beiden Bilder gleichkommt, resp. so, dafs das sekund\u00e4re Bild jenes Signal in dem gleichen Augenblick erreicht, wo das prim\u00e4re Bild am Fixierpunkte vorbeigleitet. Bessere Besultate erzielt man schon durch die bekannte Begistriermethode, wie sie z. B. zur Darstellung der Zeitdifferenz der Herzt\u00f6ne viel benutzt worden ist. Man schl\u00e4gt mit einem Metallstift auf eine Messingplatte so auf, dafs die beiden Ger\u00e4usche m\u00f6glichst genau mit den Zeitpunkten zu koinzidieren scheinen, in welchen das prim\u00e4re und das sekund\u00e4re Bild am Fixierpunkte vorbeigleiten. Weitaus am genauesten ist aber ein anderes Verfahren. An dem rotierenden Spiegel selbst kann man eine Vorrichtung treffen, verm\u00f6ge deren bei jedem Umlauf zwei kurze Anschl\u00e4ge h\u00f6rbar werden. Ein an dem Spiegel angebrachter und mit ihm umlaufender Vorsprung streift \u00fcber zwei federnde Pl\u00e4ttchen hin; dieselben werden dabei ein wenig niedergedr\u00fcckt, und es kann auf diese Weise zugleich ein elektrischer Kontakt kurz","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan.\n91\nunterbrochen werden. Die Tr\u00e4ger nun, an denen jene Pl\u00e4ttchen befestigt sind, lassen sich (etwa wie beim Differentialrheotom) l\u00e4ngs der Kreisperipherie verschieben. So kann man es nun ganz wohl und mit relativ grofser Genauigkeit dahin bringen, dafs der erste Anschlag dann geh\u00f6rt wird, wenn das prim\u00e4re, der zweite dann, wenn das sekund\u00e4re Bild am Fixationspunkte vorbeil\u00e4uft. Auf diese Weise l\u00e4fst sich wenigstens das mit Sicherheit konstatieren, dafs die Zeitdifferenz zwischen dem Beginn des prim\u00e4ren und dem Beginn des sekund\u00e4ren Bildes mit zunehmender Lichtst\u00e4rke sich vermindert. Bei nicht sehr starkem Licht konnte ich das Intervall bis auf 7* Sekunde ansteigen sehen, und hiermit ist zugleich der h\u00f6chste Wert der Verz\u00f6gerung bezeichnet, den, soweit ich finde, die sekund\u00e4re Erregung gegen\u00fcber der prim\u00e4ren erfahren kann. Mit Benutzung gr\u00f6fserer Lichtst\u00e4rken konnte ich das Intervall bei dem gleichen Adaptationszustande auf etwa V\u00df Sekunde vermindern und h\u00e4tte es wohl noch weiter vermindern k\u00f6nnen, wenn nicht alsdann die Verl\u00e4ngerung des prim\u00e4ren Bildes und die damit verbundene Reduzierung des dunklen Intervalls die Bestimmung erschwerte. Mit zunehmender Dunkeladaptation nimmt das in Rede stehende Zeitintervall, wenn man die Lichtst\u00e4rke unvermindert erh\u00e4lt, auch ab. Doch kann ich dar\u00fcber keine bestimmten Angaben machen, weil die niemals \u00fcber l\u00e4ngere Zeiten ganz konstante Lichtst\u00e4rke der Bogenlampe sich hier als st\u00f6rende Fehlerquelle geltend machte.\nDie Erscheinung kann in der oben beschriebenen Form, wie gesagt, bei hell oder schwach dunkeladaptiertem Auge gesehen werden. Zum Verst\u00e4ndnis des Folgenden wird es am dienlichsten sein, wenn ich sogleich das entgegengesetzte Extrem schildere. Dies entspricht einer sehr hochgradigen Dunkeladaptation, und ich betone, dafs, wenn man das Ph\u00e4nomen in der nunmehr zu schildernden Art sicher beobachten will, die im allgemeinen f\u00fcr maximale Adaptation ausreichende Dauer von einer halben Stunde nicht gen\u00fcgt; es ist w\u00fcnschenswert, mindestens zwei Stunden die Augen vor Lichteinfall zu sch\u00fctzen. Bei diesem Augenzustande nun ist die Erscheinung v\u00f6llig ver\u00e4ndert. Eine recurrent vision ist gar nicht zu sehen; dagegen sieht man im unmittelbaren Anschlufs an das prim\u00e4re Bild einen, je nach der angewandten Lichtst\u00e4rke l\u00e4ngeren oder k\u00fcrzeren, gl\u00e4nzend weifsen Streifen.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nJ. v. K'i'ies.\nIch habe diese Erscheinung, wiederum f\u00fcr blaues Licht, in Figur 2 abzubilden versucht; man beachte, dafs das Blau hier auf eine schmale vorauslaufende Sichel reduziert ist, welche in der That tief farbig erscheint, w\u00e4hrend gleich dahinter das gl\u00e4nzende Weifs die Farbe nahezu oder ganz verdeckt. Die \u00fcbrigen Farben, wiederum mit alleiniger Ausnahme des Rots, zeigen ganz das Gleiche. In Vergleich zu demjenigen Ph\u00e4nomen, welches bei helladaptiertem Auge beobachtet wird, scheint also hier einerseits etwas Neues hinzu, andererseits etwas in Fortfall gekommen zu sein. Es schien mir zun\u00e4chst wichtig, festzustellen, ob letzteres wirklich der Fall sei. Man konnte n\u00e4mlich auch denken, dafs vielleicht der durch die lange Adaptation neu-aufgetretene leuchtende Schweif das sekund\u00e4re Bild nur \u00fcberdecke und verm\u00f6ge seiner \u00fcberwiegenden Helligkeit unbemerkbar mache. Es liefs sich in sehr einfacher Weise feststellen, dafs dies nicht der Fall ist, sondern das sekund\u00e4re Bild wirklich durch die lange Dunkeladaptation fortf\u00e4llt. Wenn man n\u00e4mlich nur ein Auge in diesen Zustand versetzt und abwechselnd mit dem einen und dem anderen Auge beobachtet, so sieht man sehr deutlich mit dem einen den hellen weifsen Schweif, mit dem anderen das sekund\u00e4re Bild. Beobachtet man alsdann binokular, so sieht man in grofser Deutlichkeit beides. Dabei ist oft zugleich bemerklich, dafs der weifse Schweif sich gar nicht bis an diejenige Stelle hin erstreckt, welche das sekund\u00e4re Bild einnehmen w\u00fcrde, sondern eine k\u00fcrzere Erstreckung hat. Hieraus scheint mir zu folgen, dafs die analoge Erscheinung, wenn sie im dunkeladaptierten Auge in \u00e4hnlicher Weise und besonders im gleichen Zeitintervall auftr\u00e4te, auch sichtbar sein m\u00fcfste.\nDie n\u00e4chstliegende Deutung dieser Thatsache wird offenbar die sein, dafs durch die lange fortgesetzte Dunkeladaptation die Reaktionsweise der St\u00e4bchen sich so modifiziere, dafs nicht nur die St\u00e4rke ihrer Reaktion w\u00e4chst, sondern zugleich auch die Promptheit, oder dafs die anf\u00e4nglich bedeutende Verz\u00f6gerung, mit der sie in Erregung geraten, mit zunehmender Adaptation immer geringer wird. In der That spricht die genauere Betrachtung auch der zuletzt beschriebenen Erscheinung ganz daf\u00fcr, dafs der weifse Schweif der Erregung der St\u00e4bchen seine Entstehung verdankt. Auch hier tritt das Weifs mit einer deutlichen, wenn auch freilich nur noch geringen Ver-","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan. 93\nz\u00f6gerung gegen\u00fcber der farbigen Erregung auf; dies macht sich in der, den vorderen Eand des prim\u00e4ren Bildes ausmachenden tieffarbigen Sichel bemerkbar. Da diese Erscheinung sich bei Lichtern jeder beliebigen Farbe (mit alleiniger Ausnahme des roten) wiederfindet, so wird man sich wiederum zu der Annahme eines mit geringer Versp\u00e4tung reagierenden und bei jeder Beizung die gleiche farblose Helligkeitsempfindung liefernden Apparates gedr\u00e4ngt sehen, wobei das Fehlen im roten Licht auch wiederum auf die St\u00e4bchen hinweist.1\nIch darf nicht unterlassen, an dieser Stelle zu bemerken, dafs die zuletzt er\u00f6rterten Erscheinungen sich mit einer Anzahl schon von anderen Autoren beschriebener und zum Teil wohl-bekannter Dinge decken, und dafs diese in der That aus dem Zeitverh\u00e4ltnis der St\u00e4bchen- und Zapfenerregung sich sehr gut erkl\u00e4ren. Es sind die sog. \u201eflatternden Herzen1\u201c, die hier anzuf\u00fchren sind. Allerdings k\u00f6nnen gewifs die Schein Verschiebungen verschiedenfarbiger, rasch hin und her bewegter Objekte gegeneinander durch sehr mannigfache Umst\u00e4nde bedingt sein, und ich will keineswegs bestreiten, dafs die von Schapringer u. A. gegebenen physikalischen Erkl\u00e4rungen f\u00fcr gewisse F\u00e4lle zutreffen. Zum Teil aber handelt es sich auch um ganz andere Dinge, und namentlich das, was Szili beschrieben hat, steht mit den vorhin angef\u00fchrten Erscheinungen in genauester Beziehung. Ich werde auf seine Angaben sogleich noch zur\u00fcckkommen. Will man die Dinge in der theoretisch durchsichtigsten Weise zur Anschauung bringen, so befestige man auf der mattschwarzen Scheibe eines Farbenkreisels ein rotes und ein blaues Quadrat von 1 cm Seite und beobachte bei so herabgesetzter\n1 Das Fehlen an der Stelle des deutlichsten Sehens ist freilich hier, wo der Schweif sich dem prim\u00e4ren Bilde unmittelbar anschliefst, schwieriger zu sehen. Doch kann man sich auch davon ganz wohl \u00fcberzeugen. Ich fand es dazu am vorteilhaftesten, dem laufenden Lichtbilde die Gestalt eines Streifens zu geben, der z. B. horizontal liegt und den Fixationspunkt vertikal aufsteigend passiert. \u00dcberdies h\u00e4lt man zweck-m\u00e4fsig einen Schirm mit seinem oberen horizontalen Bande derart vor die Augen, dafs der blaue Streifen erst dicht am Fixationspunkte dahinter auftaucht. Alsdann sieht man recht gut, dafs das blaue Bild rechts und links zwei weifse Schw\u00e4nze hinter sich herzieht, welche gegen den Fixationspunkt zu unscharf begrenzt sind, diesen aber selbst frei lassen. Erst etwas \u00fcber dem Fixationspunkte erstreckt sich der weifse Schein von rechts nach links kontinuierlich.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nJ. v. Kries.\nBeleuchtung, dafs das Bot noch gut sichtbar und in seiner Farbe erkennbar, das Blau exzentrisch gut sichtbar ist, bei direkter Fixation dagegen verschwindet. Angenehm ist f\u00fcr diesen Versuch, wenn man im Beobachtungszimmer etwa mit H\u00fclfe zweier Licht\u00f6ffnungen, deren eine mit rotem, die andere mit blauem Glase bedeckt ist, die St\u00e4rke der roten und der blauen Beleuchtung unabh\u00e4ngig voneinander regulieren kann. Hat man sich in der angegebenen Weise ein nur st\u00e4bchen-sichtbares Blau hergestellt und l\u00e4fst dann die Scheibe langsam rotieren, so bemerkt man, wie der vordere Band des roten Feldes dem des (farblos erscheinenden) blauen um einige Millimeter voraneilt. Fafst man den Farbenkreisel mit der Hand derart, dafs man ihn kurze Hin- und Herdrehungen ausf\u00fchren lassen kann, so ist das gleiche Zur\u00fcckbleiben des lichtschwachen Blaus hinter dem Bot wahrzunehmen, und eben hierdurch entsteht der Eindruck des \u201eFlatterns\u201c in der frappantesten Weise. Befestigt man einfach auf einem schwarzen T\u00e4felchen ein rotes und ein blaues Scheibchen und macht mit dem T\u00e4felchen kurze Bewegungen, so ist das n\u00e4mliche zu beobachten. Will man das Flattern mit Benutzung eines farbigen Objektes auf andersfarbigem Hintergr\u00fcnde gut sehen, so ist es erforderlich, zwei Farben zu w\u00e4hlen, die m\u00f6glichst ungleiche St\u00e4bchenvalenz haben, und es so einzurichten, dafs das eine keine Farbenempfindung hervorruft. In der That sieht man, dafs in all den von Szili angegebenen Kombinationen die St\u00e4bchenvalenz von Objekt und G-rund sehr verschieden ist.\nIn besonders interessanter Weise finde ich aber diejenigen Beobachtungen Szili\u2019s mit dem auch von mir Gesehenen im Einkl\u00e4nge, welche sich auf etwas gr\u00f6fsere Lichtst\u00e4rken beziehen. Ich f\u00fchre als vorzugsweise beachtenswert den nachfolgenden Passus an:\n\u201eWenn ich diese Tafel (roter Grund mit kreisrunder gr\u00fcner Scheibe) etwa in einem Meter Entfernung von der Kerzenflamme vor mir halte, indem ich meinen Blick auf die gr\u00fcne Scheibe richte, so bemerke ich bald \u00fcber der letzteren einen hellen glanz\u00e4hnlichen Schimmer, welcher mit den leisesten Schwankungen meiner Hand oder meines Blickes erzittert. Bewege ich die Tafel in m\u00e4fsigem Tempo und in kurzen Abweichungen in ihrer Ebene hin und her, dann bleibt dieser Schimmer als zusammenh\u00e4ngendes zweites Bild der Scheibe","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan. 95\noffenbar mit meinem nicht rasch genug folgenden Auge zur\u00fcck. Am besten kann ich daher die Erscheinung beobachten, wenn ich bei dem Versuche wom\u00f6glich die gleiche Blickrichtung beibehalte. Beim Hin- und Herbewegen schiebt sich bald rechts, bald links von der wirklichen Scheibe ein sichelf\u00f6rmiges St\u00fcck dieses zweiten Bildes \u00fcber den roten Grrund, w\u00e4hrend am entgegengesetzten Bande ein ebensogrofses sichelf\u00f6rmiges St\u00fcck der Scheibe selbst von dem Schimmer frei wird. Wenn ich bei diesem Versuche meine Aufmerksamkeit auf die Vorg\u00e4nge an immer demselben Bande der Scheibe gerichtet halte, so erscheint mir das zur\u00fcckbleibende sichelf\u00f6rmige St\u00fcck des zweiten Bildes ganz untr\u00fcglich in der Farbe des roten Grundes, jedoch viel heller als dieser; hingegen sehe ich das St\u00fcck der Scheibe selbst, welches bei der Bewegung jenem zweiten Bilde vorauseilt, in ihrer urspr\u00fcnglichen gr\u00fcnen Farbe, aber wesentlich dunkler, als der von dem Schimmer bedeckte Teil der Scheibe.01\nMan sieht, Szili kommt lediglich durch die Analyse dieser Erscheinung auch geradezu zu der Annahme eines mit einiger Versp\u00e4tung auftretenden farbloshellen Bildes der gr\u00fcnen (ebenso einer blauen) Scheibe.\nWer die Erscheinung eines blauen Quadrates, welches auf schwarzer Scheibe des Farbenkreisels befestigt ist und mit dieser langsam uml\u00e4uft, mit Aufmerksamkeit beobachtet, wird die Bichtigkeit der SziLischen Beschreibung best\u00e4tigen und den vorauslaufenden tiefblauen Band wahrnehmen, sofern er mit* geringen Lichtst\u00e4rken und einigermafsen dunkeladaptiertem Auge arbeitet. Bei weitem frappanter ist freilich die Erscheinung, wenn man, in der oben geschilderten Weise, im Dunkelzimmer einen umlaufend en, ziemlich lichtstarken, farbigen Fleck beobachtet, nachdem das Auge etwa eine Viertelstunde oder l\u00e4nger f\u00fcr dunkel adaptiert worden ist. Gewifs aber ist, dafs meine oben mitgeteilten Beobachtungen sich zum Teil mit denjenigen Szilis decken, und dafs, die Bichtigkeit unserer Deutung vorausgesetzt, auch diese letzteren auf das zwischen Zapfen- und St\u00e4bchenreaktion bestehende Zeitverh\u00e4ltnis zur\u00fcckzuf\u00fchren sein werden.\nIm ganzen wird es hiernach als eine nicht unwahrscheinliche Vorstellung erscheinen, dafs die St\u00e4bchen mit zunehmen-\n1 Biese Zeitschr. III. S. 362.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nJ. v. Kries.\nj der Adaptation immer st\u00e4rker und immer schneller reagieren, 1 und auf diese Weise die eine Erscheinungsart ihrer Th\u00e4tigkeit in die andere \u00fcbergeht. So einfach und ansprechend aber eine solche Vorstellung auch erscheinen mag, so glaube ich doch, dafs die genauere Betrachtung n\u00f6tigt, sie abzuweisen und eine kompliziertere an ihre Stelle zu setzen. Wir k\u00f6nnen, um das Resultat sogleich vorauszuschicken, der Annahme nicht aus-weichen, dafs Empfindungen unter Vermittelung des St\u00e4bchenapparates in zwei verschiedenen Modis ausgel\u00f6st werden k\u00f6nnen, welche sich bez\u00fcglich ihrer zeitlichen Verh\u00e4ltnisse unterscheiden und von denen der eine, stark verz\u00f6gerte, im helladaptierten oder doch nur schwach dunkeladaptierten Auge besonders stark bemerkbar ist, bei sehr langer Dunkeladaptation aber schwindet, der andere dagegen (weit weniger verz\u00f6gerte) mit zunehmender Dunkeladaptation immer st\u00e4rker hervortritt.\nDer Grund f\u00fcr diese Annahme liegt zun\u00e4chst darin, dafs, wenn man die allm\u00e4hliche Modifikation der Erscheinungen bei zunehmender Dunkeladaptation verfolgt, keineswegs die eine Erscheinungsform dergestalt in die andere \u00fcbergeht, dafs das sekund\u00e4re Bild dem prim\u00e4ren immer n\u00e4her r\u00fcckte und dabei an Helligkeit gew\u00f6nne. Es verh\u00e4lt sich in der That nicht so ; sondern schon nach einigen Minuten der Dunkeladaptation, w\u00e4hrend das sekund\u00e4re Bild in grofser Deutlichkeit und Sch\u00f6nheit getrennt sichtbar ist, sieht man an dem prim\u00e4ren den weifsen Schweif sich entwickeln. Es ist auch hier besonders instruktiv, das eine Auge helladaptiert zu lassen, das andere etwa zehn Minuten lang dunkel zu halten. Beobachtet man dann abwechselnd mit dem einen und dem anderen, so ist der Unterschied in der Erscheinung des prim\u00e4ren Bilde \u00e4ufserst auff\u00e4llig, das helladaptierte sieht das blaue Bild in der Art des in Figur 1 dargestellten. Das m\u00e4fsig dunkeladaptierte sieht es dagegen in der Erscheinung der Figur 2, wenn auch noch nicht in st\u00e4rkster Entwickelung, so doch schon mit grofser Deutlichkeit; es kann kein Zweifel sein, dafs dieser Teil der ganzen Erscheinung schon durch die kurze Adaptierung stark modifiziert ist ; daneben aber besteht das versp\u00e4tete sekund\u00e4re Bild noch ganz deutlich. Hier bestehen also, wie man sagen kann, beide St\u00e4bchenfunktionen, die wenig und die stark verz\u00f6gerte, deutlich nebeneinander.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan.\n97\nDer andere Grund ist der folgende. Wenn man bei m\u00e4fsig dunkeladaptiertem Auge ein z. B. blaues Liebt so weit ab-schw\u00e4cht, dafs dasselbe zentral unsichtbar ist und \u00fcberhaupt nur farblos gesehen wird, also, wie wir annehmen d\u00fcrfen, nur die St\u00e4bchen erregt, so ist seine Wirkung gegen\u00fcber derjenigen eines roten Lichtes zwar merklich verz\u00f6gert, aber nicht entfernt um denjenigen Betrag (Vs Sek.), den wir erwarten m\u00fcfsten, wenn die hier zur Geltung kommende St\u00e4bchenerregung identisch w\u00e4re mit derjenigen, die sonst das sekund\u00e4re Bild lieferte. Stellt man sich zwei Bilder her, die miteinander umlaufen, ein rotes und ein blaues, und richtet die Lichtst\u00e4rke des blauen in der oben erw\u00e4hnten Weise ein, so sieht man allerdings das farblose Bild des lichtschwachen Blaus um ein weniges hinter dem roten Bilde herlaufen, wenn die Objekte genau neben-oder \u00fcbereinander stehen; aber die Verschiebung ist gering, sie erreicht niemals auch nur entfernt den Wert jenes grofsen Abstandes, um den die recurrent vision getrennt erscheint.1 Verst\u00e4rkt man das blaue Licht, so sieht man dieses wenig versp\u00e4tete Bild allm\u00e4hlich Farbe gewinnen, und, ohne seine Stellung zu dem roten sehr erheblich zu \u00e4ndern, allm\u00e4hlich in die uns bekannte Form des prim\u00e4ren Bildes \u00fcbergehen, w\u00e4hrend gleichzeitig in bedeutendem Abstande das sekund\u00e4re Bild aufzutreten beginnt. Hiermit steht auch ganz in \u00dcbereinstimmung, dafs (wie die Herren Dr. Nagel und Beeueb fanden) bei Anwendung von zentral unsichtbaren, lichtschwachen blauen Lichtern als Signalen keineswegs besonders stark verl\u00e4ngerte Reaktionszeiten gefunden wurden. Die Versuche sind, da im wesentlichen nur dies negative Resultat interessierte, nicht weiter fortgesetzt worden ; mit Sicherheit aber ergeben sie, dafs zwischen der Anwendung roter und (nur st\u00e4bchensichtbarer) blauer Lichter, und zwar bei m\u00e4fsig dunkeladaptiertem Auge, kein sehr grofser Unterschied, jedenfalls entfernt keiner von Vs Sekunde besteht.\nEs ist hiernach klar, dafs bei der Beobachtung mit m\u00e4fsiger Dunkeladaptation schon in dem prim\u00e4ren (vorderen) Bilde eine Beteiligung der St\u00e4bchenfunktion angenommen werden mufs.\n1 Nach den oben erw\u00e4hnten Versuchen, hei denen nebeneinander ein rotes und ein (nur st\u00e4bchensichtbares) blaues Objekt auf schwarzer Scheibe rotieren, m\u00f6chte ich die Verz\u00f6gerung der farblosen Empfindung gegen\u00fcber der roten nur auf etwa Vso Sekunde taxieren.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XII.\n7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nJ. v. Kries.\nHierdurch l\u00f6st sich die ganz zu Anfang beregte Schwierigkeit ; in der That kommt der St\u00e4bchenerregung eine so starke Versp\u00e4tung (welche anzunehmen man aus allgemeinenGr\u00fcndenBedenken tragen m\u00fcfste)nicht allgemein zu, sondern nur unter besonderen Bedingungen. Auf der anderen Seite aber mufs man ohne weiteres zugestehen, dafs die Erkl\u00e4rung der sekund\u00e4ren Bilder hiermit jene Einfachheit einb\u00fcfst, welche sie auf den ersten Blick zu gestatten schien. Die Duplizit\u00e4t der Erregung schien v\u00f6llig begreiflich, wenn man durchweg in der ersten die Th\u00e4tigkeit des einen, in der zweiten die des anderen Apparates erblicken durfte. M\u00fcssen wir (und das ist, wie ich glaube, der Fall) den St\u00e4bchen die F\u00e4higkeit zuschreiben, bei momentaner Beizung zwei zeitlich auseinanderfallende Empfindungseffekte zu liefern, so stehen wir doch wieder vor einem Problem. Nat\u00fcrlich dr\u00e4ngen sich mancherlei Vermutungen dar\u00fcber auf, wie sich dasselbe vielleicht l\u00f6sen wird. Mancher wird geneigt sein, an die Zersetzung des Sehpurpurs einer- und des Sehgelbs andererseits zu denken. Ein anderer Gedanke w\u00e4re der, dafs nach allem, was man \u00fcber die Bildung des lichtempfindlichen Stoffes weifs, ein Vorkommen desselben nicht blofs in den St\u00e4bchen, sondern auch aufserhalb derselben angenommen werden kann, und dafs die versp\u00e4tete Erregung vielleicht auf einer Wirkung des Lichtes auf diesen letzteren Anteil beruhen k\u00f6nne. Hierbei wird dann nicht blofs an eine sekund\u00e4re Wirkung auf die St\u00e4bchen zu denken sein, sondern es k\u00f6nnte eventuell sogar auch eine \u00e4hnliche auf die Zapfen ausge\u00fcbte in Erw\u00e4gung zu ziehen sein. Denn es ist ja klar, dafs die Umst\u00e4nde, die uns zun\u00e4chst veranlafsten, das sekund\u00e4re Bild auf die St\u00e4bchen zu beziehen, sein Fehlen im roten Lichte und auf der Fovea, sich gleich gut auch verstehen liefsen, wenn es sich \u00fcberhaupt um eine Wirkung des Sehpurpurs handelte. Beruht vielleicht die wenig verz\u00f6gerte Weifsempfindung auf der direkten Erregung der St\u00e4bchen mittelst des in ihnen angesammelten Sehpurpurs, die stark verz\u00f6gerte auf einer Erregung der Zapfen durch den nicht in ihnen, sondern nur in ihrer Umgebung angesammelten Sehstoff?1\n1 Bei dieser Auffassung wird sich verstehen lassen, weshalb nur das stark verz\u00f6gerte Bild komplement\u00e4r gef\u00e4rbt erscheint. Ferner spricht zu ihren Gunsten auch eine Thatsache, die ich um so weniger unerw\u00e4hnt lassen m\u00f6chte, als sie meinen im voraus gehegten Erwartungen widersprochen hat. Eine total Farbenblinde, die ich k\u00fcrzlich zu untersuchen","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"99\n\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan.\nF\u00fcr eine Beantwortung dieser Fragen wird wohl die sehr eigenartige Abh\u00e4ngigkeit der versp\u00e4teten sekund\u00e4ren Bilder von der Adaptation ganz besonders zu ber\u00fccksichtigen sein. G\u00fcnstigste Bedingung f\u00fcr die recurrent vision ist in der That das Verweilen im hellen Licht mit darauffolgender kurzer Dunkeladaptation. Denkt man sich, dafs die Bildung des Sehpurpurs, die sekretorische Th\u00e4tigkeit des Pigmentepithels durch die Belichtung des Auges angeregt wird, so begreift man, dafs, wenn das Auge verdunkelt wird, der Vorrat dieses K\u00f6rpers zun\u00e4chst, wegen der fortfallenden Zerst\u00f6rung bei noch lebhafter Bildung, anw\u00e4chst, allm\u00e4hlich aber bei nachlassender Th\u00e4tigkeit der secernierenden Elemente wieder mehr und mehr abnimmt.* 2 Aber auch an andere Vorg\u00e4nge, namentlich die Vor- und R\u00fcckwanderung des Pigments, kann nat\u00fcrlich gedacht werden.\nNiemand wird bestreiten und niemand wird sich dar\u00fcber wundern, dafs wir uns hier noch im ungewissen bewegen. Ich m\u00f6chte betonen, dafs auch in einer anderen Beziehung, n\u00e4mlich hinsichtlich der F\u00e4rbung der sekund\u00e4ren Bilder, wir zun\u00e4chst nur zu einigermafsen unbestimmten und weitere Fragen involvierenden Vorstellungen gelangen k\u00f6nnen. Mit dem, was wir sonst wissen, wird es im Einklang sein, dafs in dem trichro-matischen Apparat alsbald nach Beendigung des farbigen Lichtreizes ein negativ komplement\u00e4res Nachbild entsteht. Man darf nicht \u00fcbersehen, dafs, wenn wir die F\u00e4rbung des nachlaufenden Bildes hierauf zur\u00fcckf\u00fchren, dabei doch die Art und\nGelegenheit hatte, konnte die nachlaufenden Bilder nicht wahrnehmen. Die recht gute Beohachtungsf\u00e4higkeit des M\u00e4dchens macht es unwahrscheinlich, dafs sie es lediglich \u00fcbersehen haben sollte ; immerhin wird die Best\u00e4tigung an anderen F\u00e4llen abzuwarten sein. Fehlt aber die recurrent vision wirklich hei dem nur mit St\u00e4bchen ausger\u00fcsteten Sehapparate des total Farbenbenblinden, ebenso, wie an der nur Zapfen f\u00fchrenden Fovea des Normalsehenden, so bliebe in der That kaum etwas anderes \u00fcbrig, als die Erscheinung auf irgend ein Zusammenwirken beider Apparate zur\u00fcckzuf\u00fchren.\n2 Die Bedeutung des voraufgegangenen Aufenthaltes im Hellen f\u00fcr die recurrent vision hat sich uns im Laufe fortgesetzter Beobachtungen mit immer gr\u00f6fserer Deutlichkeit herausgestellt. Wir fanden stets bei l\u00e4nger ausgedehnten Beobachtungen, dafs es vorteilhaft ist, den Aufenthalt im Dunkelzimmer zu unterbrechen, sich f\u00fcr kurze Zeit in volle Tagesbeleuchtung zu begeben und dann wieder nach einem Dunkelaufenthalt von nur wenigen Minuten zu beobachten.\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nJ. v. Kries.\nWeise, wie liier beide Apparate zur Erzeugung einer Empfindung Zusammenwirken, ungewifs bleibt. In meiner ersten Mitteilung habe ich den Ausdruck gebraucht, dafs das von den St\u00e4bchen herr\u00fchrende positive mit dem negativ-komplement\u00e4ren der Zapfen \u201everschmilzt\u201c, um damit in m\u00f6glichst allgemeiner Weise anzudeuten, dafs der Empfindungseffekt als ein kombiniertes Ergebnis beider Th\u00e4tigkeiten aufzufassen ist. Wie sie sich aber kombinieren, das scheint mir vorderhand auch noch fraglich. Es wird um so weniger angezeigt sein, sich in der Er\u00f6rterung von M\u00f6glichkeiten zu verlieren, als hier Fragen vorliegen, zu deren Beantwortung eine passend gef\u00fchrte Untersuchung der Umstimmungserscheinungen wohl Angriffspunkte bieten wird. Interessant ist jedenfalls, dafs der dem prim\u00e4ren Bilde sich direkt anschliefsende Schweif, wie er bei guter Dunkeladaptation gesehen wird, rein weifs, oder schwach gleichfarbig, niemals komplement\u00e4r gesehen wird.\nDie Unbestimmtheit des theoretischen Ergebnisses wird, wie ich hoffe, nicht die ganze obige Mitteilung als gegenstands-und nutzlos erscheinen lassen. In der That haben wir kaum \u00fcber die gleich zu Anfang sich ergebende Vermutung hinausgelangen k\u00f6nnen, dafs das nachlaufende Bild irgendwie unter Beteiligung der St\u00e4bchen oder des Sehpurpurs zu st\u00e4nde komme, und wir mufsten hierf\u00fcr sogar noch mannigfaltigere M\u00f6glichkeiten in Betracht ziehen, als zu Anfang vermutet werden konnte. Als Hauptsache erschien mir aber, einige neue Thatsachen angeben zu k\u00f6nnen, n\u00e4mlich das Fehlen des Ph\u00e4nomens am Fixationspunkte und seine ausf\u00fchrlicher geschilderte Abh\u00e4ngigkeit von der Adaptation. In theoretischer Beziehung l\u00e4fst sich wohl erwarten, dafs sich das ganze Erscheinungsgebiet noch fruchtbarer erweisen wird, wenn unsere Kenntnisse auch in anderen Beziehungen vervollst\u00e4ndigt sein werden. Auch gegenw\u00e4rtig aber verdient es wohl mehr Beachtung, als es bis jetzt gefunden hat. Ich erinnere an die an anderer Stelle mitgeteilte, vorl\u00e4ufig auch noch vereinzelte Beobachtung, dafs einem mit Hemeralopie Behafteten das nachlaufende Bild in keiner Weise sichtbar gemacht werden konnte. Weitere Ermittelungen \u00fcber individuelle Unterschiede, oder pathologische Modifikationen der Erscheinungen k\u00f6nnten wohl von Interesse sein. Ich kann in dieser ftichtung nur noch anf\u00fchren, dafs ein Dichromat (Dr. Nagel) die Dinge genau wie ich selbst sah, allein mit dem","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreise auf das Sehorgan. 101\nUnterschiede bez\u00fcglich der F\u00e4rbung, die sich aus seiner Farben blindheit selbstverst\u00e4ndlich ergaben.\nErkl\u00e4rung der Tafel.\nDie Bilder stellen die Erscheinung eines im dunkelen Gesichtsfelde in kreisf\u00f6rmiger Bahn umlaufenden blauen Kreises (bei fixiertem Blick) dar, und zwar Fig. 1 bei helladaptiertem Auge oder nach Dunkelaufenthalt von nur wenigen Minuten, Fig. 2 nach sehr langer Dunkeladaptation (mehr als zwei Stunden). Die schwarzen Kreislinien sind in der Tafel nur zur Erl\u00e4uterung beigef\u00fcgt und bezeichnen die vom blauen Bilde durchlaufene Bahn, geh\u00f6ren aber nicht zum Ph\u00e4nomen. Bemerkt sei noch, dafs die Darstellung der Erscheinung im Farbendruck selbstverst\u00e4ndlich zu w\u00fcnschen \u00fcbrig l\u00e4fst. Doch giebt die Abbildung eine gewisse Vorstellung von der Sache und wird es jedenfalls dem, der die Versuche wiederholt, erleichtern, das von mir Gesehene wiederzuerkennen.","page":101},{"file":"p0101s0001table1.txt","language":"de","ocr_de":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane.\nBi. M, Tafel I.\nVerlag von Leopold Voss m Hamburg und Leipzig.","page":0}],"identifier":"lit36197","issued":"1896","language":"de","pages":"81-101","startpages":"81","title":"\u00dcber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Sehorgan","type":"Journal Article","volume":"12"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:45:55.615147+00:00"}