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{"created":"2022-01-31T14:58:58.190199+00:00","id":"lit36203","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Witasek, Stephan","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 12: 185-225","fulltext":[{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Yorstellungsverbindung.\nVon\nDr. Stephan Witasek.\nEs giebt verschiedene Arten willk\u00fcrlicher Vorstellungsverbindung, und so w\u00e4re es bei ihrer theoretischen Behandlung vielleicht der nat\u00fcrliche Weg, zuerst ihr allgemeines Cha-rakteristikon vorzuf\u00fchren und dann die einzelnen Klassen zu besprechen. Mir scheint es jedoch besser, zun\u00e4chst an einem m\u00f6glichst konkreten Beispiele das f\u00fcr uns Wichtige ins Auge zu fassen und dann erst den Blick auf willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindungen anderer Art zu richten, um schliefslich das allgemeine Bild derselben zu entwerfen.\nMan denke sich folgenden Fall. In einem Vortrag ergeht an die H\u00f6rer die Aufforderung, sich die \u201eSpektralfarbe bei der J3-Liniea vorzustellen. Die mit dem Sonnenspektrum Vertrauten werden dieser Aufforderung mehr oder minder leicht nach-kommen k\u00f6nnen; andere jedoch werden es nicht im st\u00e4nde sein, sie werden die verlangte Farbe nicht \u201evorstellenu k\u00f6nnen. Aber sie wollen sie ja doch vorstellen, und indem sie sie vorstellen wollen, m\u00fcssen sie sie ja bereits vorstellen, da das Objekt des Wollens vorgestellt sein mufs?1 Nat\u00fcrlich; sie stellen die Farbe auch vor; aber nicht so, wie es in der Aufforderung gemeint war, nicht so, wie jene, die das Sonnenspektrum mit seinen Linien wohl im Kopfe haben, kurz, nicht anschaulich (was ja der Sprachgebrauch des gew\u00f6hnlichen Lebens\n1 Diesem Bedenken gegen die M\u00f6glichkeit eines willk\u00fcrliclien Her-vorrufens von Vorstellungen meint Lipps (Grundthatsachen des Seelenlebens, S. 48) durch, die Annahme eines \u201eUnbewufsten am Willen\" begegnen zu m\u00fcssen. Ich glaube, dieser Hypothese durch die obigen Gedanken ent-raten zu k\u00f6nnen.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nStephan WitaseJc.\nallgemein unter \u201evorstellen\u201c kurzweg meint), sondern \u201eunan-schaulicb\u201c (sie \u201edenken\u201c nur daran), \u201eindirekt\u201c, mit H\u00fclfe der relativen Bestimmung der Lage im Spektrum. Durch diese wird n\u00e4mlich die Allgemeinvorstellung \u201eSpektralfarbe\u201c, die offenbar in der unanschaulichen Vorstellung enthalten ist, zu der der bestimmten verlangten Farbe. Demnach liegen in unserem Beispiele zwei voneinder verschiedene Vorstellungen von der \u201eFarbe an der B-Linie\u201c vor: eine anschauliche und eine unanschauliche.\nWenn wir die letztere einer Analyse unterziehen,, so ergeben sich uns als ihre Bestandst\u00fccke: 1. die Allgemeinvorstellung \u201eSpektralfarbe\u201c, 2. die Vorstellung der \u201emit JB bezeichneten Fraunhofers chen Linie\u201c und 3. die Vorstellung des zwischen diesen beiden Inhalten geforderten Verh\u00e4ltnisses des Beiein-anderliegens. Diese drei, m\u00f6glicherweise selbst wieder unanschaulichen Vorstellungen m\u00f6gen die Bestandst\u00fccke jener Komplexion bilden, die wir die unanschauliche Vorstellung der bezeichneten Farbe nennen.1\nMit dieser m\u00fcssen sich aber die minder Unterrichteten unter jenen Zuh\u00f6rern begn\u00fcgen. Aber wie macht sich die Sache bei den anderen, die zur anschaulichen Vorstellung ge-\n1 Eine wie grofse Bolle die unanschaulichen Vorstellungen in unserem psychischen Lehen spielen, wird klar, wenn man bedenkt, dafs sie nicht nur f\u00fcr jene Inhalte eintreten, f\u00fcr die unter den eben gegebenen oder unter allen Bedingungen eine anschauliche Vorstellung unm\u00f6glich ist; (so kann auch der von G-eburt Blinde von Farben reden und an sie \u201edenken\u201c, sie vorstellen, freilich nicht anschaulich ; so sprechen wir vom viereckigen Kreis, von der Entfernung der Erde von der Sonne, einer Temperatur von \u2014 273\u00b0, der Zahl oo etc. etc., und haben dabei ganz bestimmte \u2014 unanschauliche \u2014 Vorstellungen); sondern wir begn\u00fcgen uns zur Sparung psychischer Energie oft und oft auch dort mit der unanschaulichen Vorstellung, wo wir eine anschauliche bilden k\u00f6nnten. \u2022Wenn ich dem Diener befehle, mir die Stiefel ins Zimmer zu bringen, stelle ich nicht einmal die Stiefel, geschweige denn den ganzen gew\u00fcnschten Vorgang anschaulich vor. \u2014 Klare Grundlagen zur Einsicht in Wesen und Bau der unanschaulichen Vorstellungen giebt die Arbeit Meinongs: \u201ePhantasievorstellung und Phantasie\u201c, Zdtschr. f. Philos, u. philos. Kritik. Bd. 95.\t(1889.) S. 161 ff., auf deren Ergebnissen auch\ndie hier gebrachten Ausf\u00fchrungen fufsen. Wichtig f\u00fcr das Folgende ist die Charakterisierung der in Bede stehenden Vorstellungen, \u201edafs alle Unanschaulichkeit zuletzt auf Unvertr\u00e4glichkeit zur\u00fcckgeht\u201c (S. 210) und \u201eanschaulich ist eine komplexe Vorstellung, sofern sie nach jeder Bich-tung frei von Unvertr\u00e4glichkeit ist\u201c.","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Liber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n187\nlangen? Wird ihnen dieselbe durch die Sprache ebenso relativ unmittelbar zugef\u00fchrt, wie in vielen F\u00e4llen, in denen das blofse H\u00f6ren eines Wortes durch Assoziation die anschauliche Vorstellung hervorruft? Wenn ein mit gutem Tonged\u00e4chtnis Begabter das Zeichen \u00f6l sieht, wird in den meisten F\u00e4llen das Normal-a ganz unwillk\u00fcrlich in ihm zu erklingen beginnen; wenn ich das Wort \u201erot\u201c h\u00f6re, so entsteht in mir assoziativ die anschauliche Vorstellung der Farbe; analog durch die W\u00f6rter \u201eQuadrat\u201c, \u201eW\u00fcrfel\u201c. Anders bei W\u00f6rtern, wie allenfalls \u201eregel-m\u00e4fsiges Neuneck\u201c oder \u201eIkositetraeder\u201c; da bleiben die anschaulichen Vorstellungen zun\u00e4chst aus, sind also nicht assoziativ an das Wort gekn\u00fcpft. Auch in unserem Beispiel wird das nur h\u00f6chst selten der Fall sein. Ist ja doch schon der Ums/and, dafs die Sprache so viele verschiedene Bezeichnungen f\u00fcr diesen Gegenstand zul\u00e4fst, dem Zustandekommen einer Assoziation zwischen Wort und anschaulicher Vorstellung in diesem Falle h\u00f6chst ung\u00fcnstig. Schon daraus also k\u00f6nnen wir vermuten, dafs es meistens nicht die Assoziation vom Wort zur anschaulichen Vorstellung ist, die diese dem betreffenden H\u00f6rer vermittelt. \u00dcberdies mufs ja auch der Kundige nicht zu ihr gelangen; er mufs sie erst haben wollen, und dann wird er sie \u2014 sonst g\u00fcnstige Umst\u00e4nde vorausgesetzt \u2014 bekommen; zum Unterschied vom assoziativen Eintreten von Vorstellungen, das wirkt, ob man will oder nicht, wenn nur die assoziierende Vorstellung da ist. Er mufs die Farbe anschaulich vorstellen wollen, er mufs sie also schon beim Wollen vorstellen, und in diesem Zustande nat\u00fcrlich noch unanschaulich.\n.Ist aber dieses Wollen mit dem K\u00f6nnen gepaart, so geht die\nunanschauliche Vorstellung in die anschauliche \u00fcber, und der\ngew\u00fcnschte Zustand ist erreicht. Das geh\u00f6rte Wort ruft also\nin solchem Falle \u2014 nat\u00fcrlich assoziativ \u2014 die unanschauliche\n\u00ab\u00ab\nVorstellung wach, und von dieser wird dann erst der \u00dcbergang zur anschaulichen bewerkstelligt.\nDieser \u00dcbergang nun spielt in unserem Vorstellungs-verlauf eine aufs er ordentlich grofse Rolle. Wenn wir die Beschreibung irgend eines Gegenstandes, eines Apparates, einer Landschaft lesen oder h\u00f6ren, ist es die unanschauliche Vorstellung, die uns zun\u00e4chst durch die Worte vermittelt wird. Die Zeichnung, das Gem\u00e4lde f\u00fchrt uns s\u00e4mtliche Bestandst\u00fccke des beschriebenen Objektes zugleich vor, und zwar sofort in","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nStephan WitaseJc.\nder richtigen Verbindung und Beziehung zu einander, kurz, es giebt uns unmittelbar die anschauliche Vorstellung. Die Sprache jedoch kann mit ihren W\u00f6rtern nur der Reihe nach von Bestandteil zu Bestandteil, von Merkmal zu Merkmal gehen, und es braucht oft eine betr\u00e4chtliche Spanne Zeit, bis alles Zum Zustandekommen der anschaulichen Vorstellung Erforderliche gegeben ist. So lange m\u00fcssen wir die Bedeutungen der bereits vernommenen W\u00f6rter, die zudem oft erst durch das Nachfolgende eindeutig festgestellt werden, behalten, um sie endlich, wieder nur an der Hand h\u00f6chst farbloser sprachlicher Angaben, in die richtige Verbindung zu bringen und zusammenzuf\u00fcgen. Man sehe sich nur einmal daraufhin die Beschreibung eines einigermafsen komplizierten Gegenstandes, eines Geb\u00e4udes, einer Maschine, eines Apparates an und vergegenw\u00e4rtige sich weiter die Art und Weise, wie wir, von derselben geleitet, zur anschaulichen Vorstellung des Beschriebenen Vordringen. Je leichter diese Arbeit dem Leser gemacht wird, desto anschaulicher nennen wir die Beschreibung, desto malerischer die Schilderung. Welcher Mittel sich zu diesem Zwecke Erz\u00e4hlungskunst und Poesie bedienen, und wie die Wirkung derselben psychologisch zu erkl\u00e4ren ist, w\u00e4re eigener Untersuchung wert. \u2014\nDies d\u00fcrfte gen\u00fcgen, die aufserordentliche Bedeutung des in Rede stehenden \u00dcberganges f\u00fcr den Vorstellungsverlauf erkennen zu lassen, und wir wollen uns nun der n\u00e4heren Beschreibung und Analyse desselben zuwenden.\nVor allem eine leicht zu findende Unterscheidung; eine Unterscheidung, die sich zwar nur auf F\u00e4lle, in denen es sich* um Komplexionsvorstellungen1 handelt, bezieht, deren Anf\u00fch-\n1 Komplexions Vorstellung nenne ick jede V orstellung, deren Inkalt nickt einfack ist. Danack f\u00e4llt nat\u00fcrlick die weitaus \u00fcberwiegende Mekrzakl aller Vorstellungen unter diesen Begriff. Je nack der Art des Zusammenseins der Bestandst\u00fccke und ikrer Verbindung zur Komplexionsvorstellung scheiden sie sick in verschiedene Klassen; so erkennt man auf den ersten Blick, dafs die Vorstellungen einer Melodie; einer r\u00e4umlichen Gestalt, einer Bewegung, eines Akkordes einander n\u00e4her verwandt sind, als allenfalls den Vorstellungen einer Zahl, eines Kontrastes, einer notwendigen Verbindung etc. Sie geh\u00f6ren einer nat\u00fcrlichen Klasse an, und ihr werden wir im obigen am liebsten unsere Beispiele entnehmen; doch wird man leicht finden, dafs die Ergebnisse auch f\u00fcr die anderen Arten der Komplexionsvorstellungen gelten. \u2014 Analysieren wir den","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"189\n\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung,\nrung an dieser Stelle aber durch das Folgende gerechtfertigt erscheinen d\u00fcrfte. In solchen F\u00e4llen giebt es n\u00e4mlich zwei verschiedene Wege, auf denen sich der zu untersuchende \u00dcbergang vollziehen kann: entweder es ergeben sich zun\u00e4chst und prim\u00e4r die anschaulichen Vorstellungen der Bestandst\u00fccke, und diese fundieren dann erst den betreffenden fundierten Inhalt, so dafs man zu diesem nicht auf direktem, sondern auf indirektem Wege gelangt; oder es ergiebt sich als prim\u00e4r Vorgestelltes sofort der fundierte Inhalt, der nat\u00fcrlich zugleich die fundierenden Inhalte und somit die ganze Komplexion mit sich bringt, so dafs der \u00dcbergang ein direkter genannt werden kann. Dabei ist nat\u00fcrlich der Ausdruck \u201eprim\u00e4r\u201c nicht im zeitlichen Sinne zu verstehen; ein fundierter Inhalt kann ja nicht vorgestellt werden, ohne dafs es auch gleichzeitig die fundierenden sind. Wohl aber kann sich die reproduzierende Th\u00e4tigkeit, das Reproduzieren-Wollen zun\u00e4chst entweder auf jenen f\u00fcr sich oder auf diese f\u00fcr sich richten, und darin liegt der hier gekennzeichnete Unterschied. Wenn ich eine mir noch unbekannte Melodie, die ich in Noten vor mir habe, h\u00f6ren, vorstellen (also von der noch unanschaulichen Vorstellung \u201edieser hier aufgeschriebenen Melodie\u201c zur anschaulichen \u00fcbergehen) will, so bleibt mir nichts anderes \u00fcbrig, als Ton f\u00fcr Ton\nInhalt einer Komplexions-Yorstellung, so kommen wir zun\u00e4chst auf seine \u201eBestandst\u00fceke\u201c: z. B. hei einer Melodie, einem Akkord auf die einzelnen T\u00f6ne. Dabei erhalten wir aber keineswegs alles, was der Inhalt der Komplexionsvorstellung enthalten hat; ein wichtiger Inhaltsteil geht dabei notwendigerweise verloren, ein Inhaltsteil, der sich niemals isoliert, sondern immer nur durch gleichzeitiges Vorstellen der Bestandst\u00fccke vorstellen l\u00e4fst, der \u201efundierte Inhalt\u201c oder die \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c. Es ist n\u00e4mlich zur Evidenz nachgewiesen, dafs die Inhalte solcher Komplexionsvorstellungen keineswegs nur aus den Inhalten der Bestandst\u00fccke zusammengesetzt sind, sondern noch einen Inhaltsteil mehr aufweisen, den fundierten Inhalt, dessen Vorstellung entsteht, sobald die Bestandst\u00fcckvorstellungen in der richtigen Weise vorliegen, der also von diesen letzteren als den \u201efundierenden Inhalten\u201c fundiert wird. Und dieser fundierte Inhalt zusammen mit den Bestandst\u00fcckvorstellungen macht erst die Komplexionsvorstellung aus. \u2014\u2022 Bekanntlich wurden \u00e4hnliche Gedanken in mehr oder minder klarer Weise schon von verschiedenen Psychologen angedeutet. Die grundlegenden klaren Ausf\u00fchrungen \u00fcber diesen Gegenstand haben Ehrenfels (\u201e\u00dcber Gestaltqualit\u00e4ten\u201c Vierteljahrsschr. f wiss. Philos. 1890. S. 249\u2014292) und Meinong (\u201eZur Psychologie der Komplexionen und Relationen\u201c diese Zeitschr. Bd. II. S. 245\u2014265) gegeben.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nStephan Witasek.\nnach den Noten vorzustellen oder anzuschlagen, mir also die einzelnen Bestandst\u00fccke zu verschaffen, die dann den fundierten Inhalt geben: indirekter \u00dcbergang. Wenn es aber heilst: \u201eWir singen das Lied: Im schwarzen Walfisch zu Askalon . . ,w, da f\u00e4llt mir sofort die verlangte Melodie ein, und ich brauche nicht erst an das Reproduzieren von einzelnen Tonh\u00f6hen zu denken: direkter \u00dcbergang.1 Oder wenn ich z. B. die Aufgabe zu l\u00f6sen h\u00e4tte, den Quinten schritt c-g zu singen und mir die Tonh\u00f6he des c nicht angegeben w\u00e4re, so m\u00fcfste ich zun\u00e4chst trachten, aus blofsem Ged\u00e4chtnis das c zu treffen \u2014 f\u00fcr viele eine sehr schwere oder ganz unl\u00f6sbare Aufgabe; habe ich es aber, dann brauche ich das g nicht mehr in derselben unsicheren Weise, bei der man sich gleichsam in der Luft h\u00e4ngen f\u00fchlt, zu suchen j sondern ich halte mich an das c und reproduziere von diesem aus die Quintenmelodie, die mir sehr gut im Ohr ist, und von der ich weifs, dafs sie mir als zweiten Ton das g liefern mufs. Ich reproduziere dabei also das g indirekt, mit H\u00fclfe der Quinte; meine Reproduktionsarbeit ist dabei nicht darauf gerichtet, aus der Tonreihe, ohne an irgend einen anderen Ton zu denken und an ihm einen Anhaltspunkt zu haben, das g zu finden, sondern ich suche mir den Quintenschritt zu vergegenw\u00e4rtigen : also ein direktes Reproduzieren des fundierten Inhaltes. Ein indirektes w\u00fcrde es geben, wenn jemand, der wohl im st\u00e4nde ist, einzelne absolute Tonh\u00f6hen einzubilden, aber noch nicht weifs, wie ein Qnintenschritt klingt, nun, um es einmal zu erfahren, zuerst das c s\u00e4nge und darauf das g und sich die so entstehende Melodie gut an s\u00e4he. Ein indirekter \u00dcbergang w\u00e4re es auch, wenn jemand, der das Kreuz der russischen Kirche noch nicht kennt, es vorstellen wollte, etwa nach der Angabe: es besteht aus einem vertikalen Balken, der ein wenig \u00fcber seinem Mittelpunkte von einem etwas k\u00fcrzeren und \u00fcber diesem von einem noch k\u00fcrzeren horizontalen Balken gekreuzt wird. La nimmt er in der Vorstellung ein Bestandst\u00fcck nach dem anderen, f\u00fcgt sie in die richtige Lage und erh\u00e4lt so die gew\u00fcnschte Figur. Wenn er sich aber ein Quadrat vorstellen will, steht die Figur auf einmal vor ihm,\n1 Dafs in solchen F\u00e4llen nicht die einzelnen Tonh\u00f6hen, sondern wirklich der fundierte Inhalt das vom Ged\u00e4chtnis Gelieferte ist, dar\u00fcber vergleiche Ehremfels a. a. 0. S. 258 f.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n191\nohne dafs er erst daran d\u00e4chte, eine Seite rechtwinklig an die andere zu legen.\nWas bietet nun dieser \u00dcbergang, gleichg\u00fcltig, ob direkter oder indirekter, der psychologischen Analyse dar, und in .welche Klasse psychischen Geschehens ist er demnach einzureihen?\nVon mancher Seite wird man von vornherein geneigt sein, ihn f\u00fcr eine Art der Assoziationsbeth\u00e4tigung anzusehen, und begreiflicherweise; denn die Bedeutung derselben f\u00fcr den Vorstellungsverlauf ist durch die Entstehung einer \u201eAssoziationspsychologie \u00fc in volles Licht gestellt. Auch giebt es That-sachen, die offenbar f\u00fcr diese Auffassung sprechen. Wenn sich irgendwo zum ersten Male an eine unanschauliche Vorstellung die entsprechende anschauliche anreihen soll, so macht sich das in der Kegel nicht von selbst, sondern entweder nur auf Umwegen oder gar nur mit H\u00fclfe der Wahrnehmung: die Assoziation mufs begr\u00fcndet werden. Wenn ferner nach und\nnach der indirekte \u00dcbergang dem direkten Platz macht, so\n\u00ab\u00ab\nw\u00e4re das nichts anderes, als die bekannte Uberspringung von Assoziationsgliedern. Und je \u00f6fter der \u00dcbergang sich vollzieht, desto sicherer geht er vor sich: Assoziations\u00fcbung. \u2014 Diesen Analogien stehen jedoch Thatsachen gegen\u00fcber, die es mir ganz und gar zu verbieten scheinen, die in Frage stehende psychische Funktion als Assoziationsfall zu qualifizieren. Denn wenn wirklich ein solcher vorliegt, so ist damit freilich nicht gesagt, dafs die homologen Assoziationsglieder einander immer gleich sein m\u00fcssen; es gen\u00fcgt auch \u00c4hnlichkeit.1 Doch das hat nat\u00fcrlich seine Grenzen, und wenn der eine dieser Inhalte \u00fcber jene Grenze hinausgehend variiert, kann von Assoziation keine Bede mehr sein. Das liegt aber in dem zu untersuchenden Falle vor. Die unanschauliche Vorstellung eines und desselben Gegenstandes wird sich in verschiedenen F\u00e4llen nur selten ann\u00e4hernd gleicher Substrate bedienen; das ist einfach in der grofsen Freiheit begr\u00fcndet, die jener bei der Wahl dieser zukommt. In der unanschaulichen Vorstellung des Dreivierteltaktes etwa kann die Zahl drei das eine Mal z. B. an drei Punkten, ein anderes Mal an drei Kugeln Steinen, Strichen,2 ein anderes Mal gar nur indirekt durch\n1 Yergl. Meinong, Phantasievorstellung und ... a. a. O. S. 181.\n3 Fl\u00fcchtiger psychologischer Betrachtung mag diese Auffassung vielleicht absurd erscheinen; ich weifs aber nicht, wie man um sie","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nStephan Witasek.\ndas Wort gedacht werden. Die Mannigfaltigkeit ist kaum zu \u00fcberblicken und findet sich wieder bei allen anderen Merkmalen des un anschaulichen Inhaltes. Wie gering ist da die Aussicht, dafs sich unter solchen Umst\u00e4nden diese Variationen in jenen Grenzen hielten, innerhalb welcher allein Assoziation m\u00f6glich ist. \u2014 \u00dcberdies w\u00fcrde es der wahren Sachlage, wie sie sich der inneren Wahrnehmung bei unmittelbarem Vergleichen der beiden psychischen Vorg\u00e4nge darstellt, g\u00e4nzlich widersprechen, sie zu identifizieren. Denn ein tiefgehender Unterschied zwischen ihnen dr\u00e4ngt sich dabei sofort auf. Zwischen dem unanschaulichen und dem anschaulichen Inhalte besteht immer eine ganz bestimmte Relation, verm\u00f6ge der sie eben einen und denselben Gegenstand zur Vorstellung bringen, anschauliche und unanschauliche Vorstellung desselben Gegenstandes sind. Und diese Relation mufs, wenn der \u00dcbergang von der einen zur anderen mit Bedacht und Absicht vollzogen wird, auch vorgest eilt werden. In Assoziationsf\u00e4llen ' ist aber von dem Vorhandensein einer solchen Relationsvorstellung gar nichts zu merken ; vielmehr ist es ihnen ja charakteristisch, aller derartiger Beschr\u00e4nkungen zu entbehren. Wir sind geneigt, gerade solche Assoziationsf\u00e4lle als besonders typisch hinzustellen, in denen die beiden assoziierten Vorstellungen \u201egar nichts miteinander zu thun\nherumkommen k\u00f6nnte. Wenn ich mir \u201erot\u201c vorstelle, so ist es anders unm\u00f6glich, als dafs ich eine rote Fl\u00e4che vorstelle, also mit der Farbe zugleich auch Ausdehnung und Gestalt; freilich werden diese beiden letzteren, wenn ich \u201erot\u201c vorstellen will, von der Aufmerksamkeit g\u00e4nzlich vernachl\u00e4ssigt; sie entgehen ihr, weil sie ganz und gar auf den Farbeninhalt konzentriert ist. Die Allgemeinvorstellung \u201eFarbe\u201c ist auch nur dadurch m\u00f6glich, dafs ich irgend eine beliebige, aber ganz bestimmte Farbe vorstelle, meine Aufmerksamkeit jedoch ganz und gar von dieser ihrer Bestimmtheit ablenke und nur an das denke, was sie mit allen Farben gemeinsam hat, das aber gesondert von einer bestimmten Farbe vorzustellen unm\u00f6glich ist. Ebenso unm\u00f6glich ist es, \u201edrei\u201c zu denken ohne drei Dinge, an denen sich die Dreiheit vorstellen liefse, wenn auch die Art der als \u201eSubstrat\u201c verwendeten Dinge wegen der nur auf die \u201eDreiheit\u201c konzentrierten Aufmerksamkeit g\u00e4nzlich in den Hintergrund tritt und diese gleichsam aus dem Bewufstsein verschwinden. Die hier vertretene Psychologie der Allgemeinvorstellungen ist bekanntlich. nicht neu, sondern schon von Berkeley angeregt. \u2014 Eine klare Durchf\u00fchrung derselben findet man bei Meinong, HuME-Studien. I. Wiener Sitsgsber. phil.-hist. Kh 1877. Bd. 87.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n193\nhaben64, in gar keinem inneren Zusammenh\u00e4nge stehen. W\u00e4hrend also bei jenem \u00dcberg\u00e4nge gerade dieser Relationsinhalt im Vordergr\u00fcnde des Vorstellens steht, ist f\u00fcr die assoziative Vorstellungsverbindung der Mangel eines solchen bezeichnend, und der um so mehr, je inniger und fester sie ist.\nMancher wird vielleicht daran Anstofs nehmen, dafs die, wie es scheint, doch gar nicht allt\u00e4gliche Relation, die zwischen unanschaulicher und anschaulicher Vorstellung besteht, bei dem so gew\u00f6hnlichen Vollziehen dieses \u00dcberganges auch wirklich gedacht werden soll. Wer wird, k\u00f6nnte man sagen, dem Naiven zumuten, eine so komplizierte Relation, wie es die in Rede stehende offenbar ist, vorzustellen! Nicht einmal daran denkt er, dafs sie besteht, geschweige denn, dafs er sie bei jedesmaligem \u00dcbergang wirklich vorstellt. Geht denn die Sache nicht vielmehr so vor sich, dafs, so wie der Schlafende, wenn er unbequem liegt, auch in tiefstem Schlafe sich hin und her w\u00e4lzt, bis er die passende Lage gefunden hat, so derjenige, der noch im Zustande des unanschaulichen Vorstellens steht, sich dabei nicht behaglich f\u00fchlt \u2014 es ist ja noch gar kein \u201eVor st eilen\u201c \u2014 und es anders w\u00fcnscht, sich\u2019s \u201evorstellen\u201c will, bis sich der gew\u00fcnschte Zustand einstellt?\nIch glaube, dafs dieser Vergleich darin zutrifft, dafs sich der in Rede stehende \u00dcbergang in den allermeisten F\u00e4llen wirklich \u201ewie im Schlaf\u201c vollzieht ; so ohne alle Schwierigkeit geht es von statten. Im \u00fcbrigen aber ist die Divergenz eine so bedeutende, dafs es mir unzul\u00e4ssig erscheint, aus ihm irgend etwas zu folgern. Trotz aller Leichtigkeit, mit der der \u00dcbergang auch vor sich gehen mag, bleibt er doch immer eine psychische Th\u00e4tigkeit, ein absichtliches Thun, das vom Willen ausgeht, der darauf gerichtet ist, das, was hier unanschaulich vorgestellt vorliegt,1 * einmal \u201evorzustellen\u201c. Das Ziel ist also kein unbewufstes, das man unwillk\u00fcrlich erreicht, sondern ein beabsichtigtes, das erarbeitet werden mufs. Und da es als Willensobjekt, noch bevor es erreicht ist, vorgestellt werden mufs, es aber als Vorstellungsthatbestand auf diesem Punkte des Prozesses\nt\nnat\u00fcrlich noch nicht direkt vorgestellt werden kann, weil ja\n1 Der Thatbestand dieser unanschaulichen Vorstellung ist es auch, was z. B. Ziehen (Leitf. d. physiol. Psychol.3 S. 184) die \u201eEigent\u00fcmlichkeit,\ndais eine gesuchte Zielvorstellung schon implicite in den vorausgehenden Vorstellungsreihen enthalten\u201c ist, nennt.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XII.\n13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nStephan Witasek.\nsonst das Ziel schon erreicht w\u00e4re, so kann es nur indirekt geschehen, d. h. mit H\u00fclfe relativer Daten.\nDas Objekt des Willens ist in unserem Falle ein psychischer Thatbestand: ich will mir etwas vors teilen. Ich will es anschaulich vorstellen, und zwar soll diese anschauliche Vorstellung dasselbe vorstellen, wie diese meine vorl\u00e4ufige unanschauliche, d. h. sie soll die dieser letzteren zugeh\u00f6rige anschauliche Vorstellung sein. Das Objekt meines Willens ist also eine anschauliche Vorstellung, die dadurch n\u00e4her bestimmt ist, dafs sie zu der bereits vorhandenen unanschaulichen im Verh\u00e4ltnis der Zugeh\u00f6rigkeit steht. Soll ich also dieses Willensobjekt vorstellen, so mufs ich auch die [Relation, die zwischen der unanschaulichen und der zugeh\u00f6rigen anschaulichen Vorstellung besteht, vorstellen.\nIch hoffe, damit gezeigt zu haben, dafs diese Forderung keineswegs so befremdlich ist, als es anfangs vielleicht geschienen haben mag. Sie ist ja nichts anderes, als der ans Tageslicht gezogene Sinn der einfachen Worte des psychologisch Naiven: \u201eIch will mir das vorstellen.\u201c\nNun haben wir aber auch schon eine wichtige Einsicht in\ndas Wesen des fraglichen \u00dcberganges gewonnen. Bekanntlich\ngiebt es [Relationen, die bei Gregebensein eines ihrer Glieder\ndas andere eindeutig bestimmen, die Gleichheits- und bis zu\n\u2022\u2022\ngewissem Grade unter besonderen Umst\u00e4nden auch die Ahnlich-keits- und Verschiedenheitsrelationen.1 Das Gleiche glaube ich nun auch von jener [Relation sagen zu k\u00f6nnen, die zwischen unanschaulicher und anschaulicher Vorstellung besteht, nur mit dem Unterschiede, dafs hier die eindeutige Zuordnung blofs in der einen [Richtung, von jener zu dieser geht. Die notwendige Voraussetzung dazu fehlt ihr nicht; denn ist die unanschauliche Vorstellung eines individuellen Gegenstandes entsprechend gebildet, so darf und kann es nur eine einzige anschauliche geben, mit der sie in jener [Relation steht. Mit dieser letzteren ist nun, wie gesagt, jedermann wohl vertraut, auch wenn ihm psychologische [Reflexion fern hegt; denn er stellt sie jedesmal, wenn er diesen \u00dcbergang vollzieht, vor und mufs sich ihrer\n1 Vergl. Meinong, Belationstlieorie (H\u00fcME-Studien. II.), Wiener Sitzgsber philos.-hist. Kl 1882. 101. Bd. S. 657. S.-A. S. 87.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n195\nauch, bewufst werden, wenn er ihn bewufst vollzogen hat. Es liegt demnach in seinem Verm\u00f6gen, falls er neuerdings aus einer unansschaulichen Vorstellung die zugeh\u00f6rige anschauliche gewinnen will, diese Relation mit der gegebenen unanschaulichen Vorstellung als einem ihrer Glieder einzubilden, und er mufs es thun, wenn er zum Ziele gelangen soll. Hat er es nun aber gethan, so bringt sie ihn, ganz analog wie bei den Gleichheitsrelationen, zur Vorstellung des zweiten Gliedes, das ist des anschaulichen Inhaltes, vorausgesetzt, dafs die dazu erforderlichen Vorsteliungsdispositionen in irgend einer Weise gegeben sind.\nWir haben nun das Bild des untersuchten \u00dcberganges m groben Umrissen skizziert. Bevor wir daran gehen, es in seinen wichtigen Einzelheiten n\u00e4her auszuf\u00fchren, wollen wir an einem konkreten Beispiele sehen, wie sich das bereits Gefundene bew\u00e4hrt.\nIch w\u00e4hle dazu einen ganz gew\u00f6hnlichen Vorgang aus der musikalischen Praxis : das anschauliche Vorstellen vom Rhythmus. \u2014 Wenn ich ein Notenheft aufschlage und am Anf\u00e4nge eines Tonst\u00fcckes das Zeichen 3A erblicke, so vermittelt mir dasselbe, wenn ich \u00fcberhaupt gen\u00fcgende Kenntnis der musikalischen Notenschrift besitze, das Zeichen verstehe, zun\u00e4chst eine unanschauliche Vorstellung des Dreivierteltaktes. Dieselbe kann in verschiedener Weise gebaut sein; das ist uns jedoch f\u00fcr jetzt gleichg\u00fcltig. Wichtig ist aber, dafs weder der Anblick des Zeichens, noch die dadurch hervorgerufene unanschauliche Vorstellung die zugeh\u00f6rige anschauliche Vorstellung assoziativ hervorrufen. Wenigstens ist das in der Regel so. Nur in den seltensten F\u00e4llen geht sofort auf den blofsen Anblick des Zeichens das Geklapper des Dreivierteltaktes in der Vorstellung los, gewifs niemals beim Anf\u00e4nger, an dessen Leistungen wir uns im Folgenden besonders halten wollen. \u2014 Wir betrachten also den Fall, in welchem die Notenschrift eine unanschauliche Vorstellung einer Taktart vermittelt hat, die nun zur zugeh\u00f6rigen anschaulichen auf dem Wege des bereits kurz skizzierten \u00dcberganges f\u00fchren soll.\nNun ist bekannt, dafs das anschauliche Einbilden eines bestimmten Rhythmus nicht unter allen Umst\u00e4nden gleich gut gelingt; besonders bei Anf\u00e4ngern lassen sich darin grofse Schwan-\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"Stephan Witasek.\nkungen beobachten. Der \u00dcbergang von der unanschaulichen zur anschaulichen Vorstellung vollzieht sich also in verschiedenen F\u00e4llen verschieden leicht, und der Ursache dieser Thatsache auf den Grund zu kommen, wollen wir sie einer n\u00e4heren Betrachtung unterziehen.\nDieser dr\u00e4ngt sich sofort die Beobachtung auf, dafs es f\u00fcr das Einbilden von Rhythmen durchaus nicht gleichg\u00fcltig ist, ob gleichzeitig oder unmittelbar vorher eine andere rhythmische Reihe anschaulich vorgestellt wurde. Das wollen wir in der weiteren Untersuchung als disponierender Gesichtspunkt verwerten, indem wir uns zuerst mit den F\u00e4llen befassen, in denen der betreffende Rhythmus weder in unmittelbarem Anschlufs, noch gleichzeitig mit einem anderen einzubilden ist, dann mit jenen, in welchen das erstere, und schliefslich mit jenen, in welchen das letztere vorliegt. Das Erfahrungsmaterial dazu wird am besten aus den Hervorbringungen des Anf\u00e4ngers gesch\u00f6pft, bei dem ein st\u00f6rendes Hereinspielen von Assoziationen ganz und gar nicht zu bef\u00fcrchten ist; versteht er nur die Rhythmusbezeichnung der Notenschrift, so ist er im st\u00e4nde, die unanschauliche Vorstellung des verlangten Rhythmus zu bilden, und der Erfolg des \u00dcberganges von dieser zur anschaulichen tritt in ihnen zu Tage.\nWas nun den ersten der drei vorhin auseinandergehaltenen F\u00e4lle anlangt, in welchem also das Einbilden des Rhythmus ganz unbeeinffufst von der Vorstellung irgend eines anderen vor sich geht, so sagt uns die Erfahrung, dafs sich der \u00dcbergang unter solchen Umst\u00e4nden, von wenigen unkontrollierbaren Ausnahmen abgesehen, wenigstens bei den in der Musik gebr\u00e4uchlichen Rhythmen von allem Anfang an v\u00f6llig anstandslos vollzieht. Freilich, handelt es sich etwa um f\u00fcnf- oder sieb ent eiligen Takt, so machen sich Schwierigkeiten f\u00fchlbar, die in der Regel durch Eintreten des indirekten \u00dcberganges f\u00fcr den versagenden direkten behoben werden; es werden dann in gleichen Zeitabschnitten Schl\u00e4ge vorgestellt, von denen jeder f\u00fcnfte resp. siebente accentuiert ist, und die ihrerseits erst den fundierten Inhalt fundieren. Man sieht also, durch diese Komplikation des Vorganges mufs das ersetzt werden, was der Disposition zum Vorstellen des anschaulichen Inhaltes an Leistungsf\u00e4higkeit abgeht,\nMerkw\u00fcrdigeres ergiebt die Betrachtung jener F\u00e4lle, in","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n197\nwelchen ein Rhythmus in unmittelbarem Anschlufs an einen anderen einzubilden ist. Die Erfahrung, dafs pl\u00f6tzlicher Rhythmuswechsel Schwierigkeiten verursacht, ist eine so allt\u00e4gliche, dafs man daran achtlos vor\u00fcbergeht; und doch ist sie, wie mich d\u00fcnkt, einer n\u00e4heren Beleuchtung werk Was ist der Grund dieser an sich schon gewifs merkw\u00fcrdigen Thatsache?1\nOffenbar mufs ihre Wurzel in irgend einer Weise mit dem Vorhandensein des zuerst vorgestellten Rhythmus Zusammenh\u00e4ngen. Dafs sie nicht in einem allf\u00e4lligen Ausbleiben der unanschaulichen Vorstellung oder gar in einem Mifsverstehen der Taktbezeichnung liegen k\u00f6nne, ist klar, um so mehr, da ja das \u201eZ\u00e4hlen\u201c, das der Sch\u00fcler, um sich aus der Not zu helfen, in solchen F\u00e4llen bisweilen anhebt, hinl\u00e4nglich kundthut, dafs er weifs, was f\u00fcr einen Rhythmus er vorzustellen hat. Aber dieses Z\u00e4hlen bleibt hier wirklich nur ein Z\u00e4hlen und wird nicht zu jener rhythmischen Reihe, die es sonst wohl darstellt. \u2014 Aber wie? Die Ursache des Versagens soll in dem zuerst gegebenen Rhythmus liegen? M\u00fcfste da nicht der Thatbestand immer und in allen F\u00e4llen, auch in jenen oben besprochenen, in denen sich der \u00dcbergang so leicht und anstandslos vollzieht, der n\u00e4mliche sein, wie hier? Im Grunde genommen liegt ja dort auch nichts anderes vor. Denn in der unanschaulichen Vorstellung mufs ja der Inhaltsteil Takt oder Rhythmus\n1 Sie stellt \u00fcbrigens nicht vereinzelt da; es lassen sich Analoga in anderen Inhaltsgruppen beobachten. So f\u00e4llt es z. B. musikalisch schlecht Begabten bisweilen schwer, unmittelbar nach einem Durdreiklang einen Molldreiklang sowohl auf demselben, als ganz besonders auf einem anderen G-rundton zu singen, auch wenn sie jeden f\u00fcr sich getrennt ganz gut angeben k\u00f6nnen. Ferner kann sich jedermann selbst leicht \u00fcberzeugen, dafs es immer mit einer gewissen Schwierigkeit verbunden ist, einen einigermafsen komplizierten K\u00f6rper, nachdem man ihn von der einen Seite recht anschaulich vorgestellt hat, dann pl\u00f6tzlich von einer anderen ebenso anschaulich vorzustellen. Man erinnere sich der Erscheinungen an der bekannten Treppenfigur. Vielleicht geh\u00f6ren auch manche Erfahrungen, die man beim Stereoskopieren und am Wettstreit der Sehfelder machen kann, hierher. Ob und inwieweit sich alle diese Thatsachen der oben f\u00fcr das analoge Ph\u00e4nomen gegebenen Erkl\u00e4rung einf\u00fcgen, und wenn nicht, welcher anderen, ist allerdings noch eine Frage f\u00fcr sich, auf die jedoch hier n\u00e4her einzugehen die R\u00fccksicht auf den Zusammenhang verbietet. Das eine aber m\u00f6chte ich kurz bemerken, dais das besprochene Ph\u00e4nomen sich nur an komplexen Inhalten zu finden scheint.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nStephan WitaseJc.\ndoch auch an einem Substrat vorgestellt werden, das wohl selbst die Vorstellung eines Rhythmus, aber, wie nat\u00fcrlich, in der Regel die eines von dem anschaulich vorzustellenden verschiedenen sein wird. Es geht also in allen F\u00e4llen der anschaulichen Vorstellung die eines anderen Rhythmus unmittelbar vorher; die letztere kann also nicht Ursache des Versagens der ersteren nur in einzelnen F\u00e4llen sein.1 \u2014 Aber dieses Bedenken kann uns doch nur auf die richtige L\u00f6sung bringen. Denn schon ein fl\u00fcchtiger Vergleich der beiden soeben als wesentlich gleich bezeichneten F\u00e4lle belehrt uns, dafs zwischen ihnen immer noch ein Unterschied besteht, grofs genug, die Verschiedenheit ihrer Wirkungen zu erkl\u00e4ren. Allerdings geht auch dem frei einsetzenden Rhythmus als Substrat f\u00fcr den Inhaltsteil Takt oder Rhythmus in der unanschaulichen Vorstellung die eines von dem einzubildenden in den meisten F\u00e4llen wohl verschiedenen Rhythmus voraus. Aber \u2014 abgesehen davon, dafs es gar nicht ausgemacht ist, ob in allen F\u00e4llen gerade f\u00fcr diesen Inhaltsteil ein solches anschauliches Substrat vorliegen m\u00fcsse \u2014 die Aufmerksamkeit ist dabei so sehr von der Qualit\u00e4t desselben abgewendet, dafs es kaum je gelingt, sich zu entsinnen, was f\u00fcr eines Rhythmus man sich als Substrat bedient habe; sie beleuchtet lediglich nur das allen Rhythmen Gemeinsame und schafft so die eigentliche allgemeine Vorstellung desselben. Ganz anders steht die Sache bei einem wirklichen Rhythmuswechsel. Da ist die Aufmerksamkeit ganz ausdr\u00fccklich mit den eigent\u00fcmlichen Qualit\u00e4ten des vorausgehenden Rhythmus besch\u00e4ftigt; diese stehen im Vordergr\u00fcnde und erf\u00fcllen lebhaft das Bewufstsein. Darin liegt der Unterschied der beiden F\u00e4lle. Der verschiedene Verlauf derselben l\u00e4fst sich nun7>glaube ich, leicht verstehen. Es ist ja doch eine jedenfalls sehr nahe liegende Annahme, dafs beim Rhythmuswechsel als Substrat f\u00fcr den Inhaltsteil \u201eTakt44 oder \u201eRhythmus14 die Vorstellung des vorausgehenden Rhythmus in die unanschauliche Vorstellung eingeht. Nun ist sie aber l\u00e4ngere Zeit hindurch mit allen ihren Bestimmtheiten und mit voller Betonung ihrer Qualit\u00e4t vorgestellt gewesen; jedoch statt\n1 Yergl. die Anmerkung 2 S. 191. Der Einwand, den ich mir da mache, wird in den F\u00e4llen gegenstandslos, in denen erwiesen ist, dafs in der unanschaulichen Vorstellung f\u00fcr den Inhaltsteil \u201eRhythmus\u201c keine anschauliche Vorstellung als Substrat verwendet wurde.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche VorStellung ^Verbindung.\n199\ndafs in dem Momente, in welchem sie min znm blofsen Substrat wird, die dazu n\u00f6tigen Ver\u00e4nderungen thats\u00e4ehlich ein-treten, d. h. also, statt dafs die Aufmerksamkeit, sich von den speziellen Qualit\u00e4ten dieses Rhythmus ab wendend, lediglich die allen Rhythmen zukommenden Merkmale im Auge beh\u00e4lt, verharrt sie in ihrer bisher eingehaltenen Richtung, so dafs in der unanschaulichen Vorstellung ein Merkmal von der Aufmerksamkeit getroffen ist, das nicht in die zu bildende anschauliche Vorstellung aufgenommen werden soll. Dieses solcherweise in die unanschauliche Vorstellung hineingeratene Merkmal ist nat\u00fcrlich mit jenem, das an seiner Stelle in die anschauliche Vorstellung aufgenommen werden soll, unvertr\u00e4glich; das letztere ist aber nat\u00fcrlich, wie wir bereits gesehen haben, in der unanschaulichen Vorstellung auch mit enthalten und von der Aufmerksamkeit getroffen. W\u00e4hrend nun unter normalen Umst\u00e4nden der \u00dcbergang vom unanschaulichen Inhalt zum anschaulichen nichts weiter zu leisten hat, als alle jene Merkmale, die in der unanschaulichen Vorstellung an verschiedenen Substraten, von der Aufmerksamkeit herausgehoben, vor gestellt sind, zu einer einzigen Komplexion zusammenzufassen, so ist dieser einfache Vorgang unter diesen besonderen Verh\u00e4ltnissen unm\u00f6glich gemacht, da, wie gesagt, in dem hier zu Grrunde liegenden, zum Vorstellen des un anschaulichen Inhaltes dienenden Vorstellungskomplexe zwei miteinander unvertr\u00e4gliche Merkmale von der Aufmerksamkeit getroffen sind, die niemals in ein und denselben anschaulichen Inhalt eingehen k\u00f6nnen.1\nDie in solcher Weise versuchte L\u00f6sung erf\u00e4hrt noch eine St\u00fctze in der Thatsache, dafs Anf\u00e4nger, denen der Rhythmuswechsel noch Schwierigkeit macht, nach allbekannter Praxis dabei am ehesten zum Ziel kommen, wenn sie beim Spielen des ersten Rhythmus, wie man zu sagen pflegt, \u201ean den Takt gar nicht denkenu, d. h. also, die Aufmerksamkeit von der ihm speziell eigenen Qualit\u00e4t soviel als m\u00f6glich ablenken. Bei wachsender \u00dcbung gelingt dieses Absehen von der Qualit\u00e4t des eben vorgestellten Rhythmus immer besser, so dafs das\n1 \u00dcber die Bedeutung der Unvertr\u00e4glichkeit von Merkmalen zur Charakterisierung der unanschaulichen Vorstellungen vergl. Meinong,\n\u201ePhantasievorstellungen und 'Phantasie11 a. a. O. S. 204 ff.","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\nStephan WitaseJc.\nHindernis bald beseitigt ist. Dafs zur \u00dcberwindung dieses Hindernisses erst \u00dcbung erforderlich ist, ja dafs es, auf den oben dargelegten Verh\u00e4ltnissen beruhend, \u00fcberhaupt besteht, giebt uns ein Hecht, den Komplexionsvorstellungen eine Eigenschaft zuzusprechen, verm\u00f6ge welcher sie anderen Vorstellungen gegen\u00fcber in ihrer Qualit\u00e4t zu beharren bestrebt sind, eine Eigenschaft, welche ich, da eine Bezeichnung daf\u00fcr w\u00fcnschenswert ist, in Ermangelung eines besseren Einfalles das \u201eBeharrungsverm\u00f6gen\u201c der Komplexionsvorstellungen nennen m\u00f6chte.1 Es soll das nat\u00fcrlich nur der kurze Ausdruck der oben auseinandergesetzten Verh\u00e4ltnisse sein und nicht etwa eine den fundierten Inhalten in \u00e4hnlicher Weise, wie etwa Earbe der Gesichtsempfindung, zukommende Eigenschaft meinen. An unserem Beispiel macht sich dieses Beharrungsverm\u00f6gen einerseits als die Leichtigkeit des Beharrens in dem einmal gefundenen Khythmus, andererseits als Schwierigkeit des \u00dcberganges in einen anderen geltend.\nWichtiger ist jedoch, dafs, wie wir gesehen haben, der\n\u00ab\u00bb\n\u00dcbergang von der unanschaulichen Vorstellung zur anschaulichen nur dann zum Ziele f\u00fchren kann, wenn von denjenigen Merkmalen der ersteren, welche als miteinander unvertr\u00e4glich das Charakteristikon der unanschaulichen Vorstellung ausmachen, nicht ein derart zusammengeh\u00f6riges Paar gleichzeitig von der Aufmerksamkeit herausgehoben ist.\nViel mehr noch als der eben besprochene Pall zieht der in unserer an die Spitze gestellten Einteilung an dritter Stelle genannte die Aufmerksamkeit auf sich; die Schwierigkeit, die dem Anf\u00e4nger das Hervorbringen gleichzeitig nebeneinander herlaufenden zwei- und dreiteiligen Taktes verursacht, ist nur zu bekannt. Dem einigermafsen ge\u00fcbten Musiker ist diese Kombination von Hhythmen wohl gel\u00e4ufig, denn sie giebt einen v\u00f6llig eigenartigen fundierten Inhalt (h\u00f6herer Ordnung),2\n1\tVergl. die \u00e4hnlichen Gedanken in H\u00f6flers Artikel \u201ePsychische Arbeit\u201c diese Zeitschr. VIII. S. 166 ff.\n2\tEs ist klar, dafs jeder der beiden Rhythmen einer eigenen Melodie angeh\u00f6ren nmfs, und dafs diese beiden Melodien es sind, die gleichzeitig nebeneinander verlaufen. Dafs diese zusammen eine Komplexion h\u00f6herer Ordnung fundieren, erfordert eigentlich erst einen speziellen Beweis, wenn auch vielleicht mancher, dessen Blick durch Studien auf diesem Gebiete bereits einigermafsen ge\u00fcbt ist, meinen mag, davon auf Grund der direkten inneren Wahrnehmung auch ohne Beweis \u00fcberzeugt sein","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n201\nmit dem er gut vertraut ist und den er daher nach Bedarf ebenso direkt einzubilden im st\u00e4nde ist, wie jeden anderen, einfachen Rhythmus. Beim Anf\u00e4nger steht das anders ; ihm ist dieser solcherweise zu st\u00e4nde kommende fundierte Inhalt noch unbekannt, die Disposition zum Reproduzieren desselben ist bei ihm also noch nicht begr\u00fcndet ; er kann daher zur Einbildungsvorstellung nur auf indirektem Wege gelangen, d. h. er mufs zun\u00e4chst und als erstes die Bestandst\u00fccke vorstellen und es dann der Fundierung \u00fcberlassen, die gew\u00fcnschte Komplexion zu vollenden. Die Bestandst\u00fccke sind aber zwei Reihen, von denen die eine im zweiteiligen, die andere im dreiteiligen Rhythmus gehalten ist. Diese m\u00fcssen vorgestellt werden. Nun, bei einer von beiden wird es ungest\u00f6rt gelingen. Nehmen wir an, die anschauliche Vorstellung, z. B. die des zweiteiligen Rhythmus, sei bereits zu st\u00e4nde gebracht. Da beginnen nun aber die Schwierigkeiten; das anschauliche Einbilden des dreiteiligen, das nun an die Reihe kommen soll, will durchaus\nzu k\u00f6nnen. Es w\u00e4re ja ganz gut denkbar, dafs die beiden Melodien nebeneinander verliefen, obne miteinander psychisch noch irgend eine n\u00e4here Verbindung einzugehen, wie ich ja auch ganz gut zwei Figuren gleichzeitig auf einem Blatt Papier sehen kann, die miteinander sozusagen gar nichts zu thun haben. Aber wenn der polyphone Satz, von dem hier die Rede ist, wirklich so aufzufassen w\u00e4re, dann m\u00fcfste es f\u00fcr den Effekt gleichg\u00fcltig sein, ob ich die beiden Melodien in den vorgezeichneten Tonarten spiele, oder die eine von ihnen um etwa einen halben Ton transponiert; denn wenn das, was beim verst\u00e4ndnisvollen Anh\u00f6ren eines solchen Satzes vorliegt, wirklich nur die beiden Melodien sind, so wird daran durch diese Transposition nichts ge\u00e4ndert, da ja die transponierte Melodie dabei doch die gleiche bleibt. TJnd doch w\u00e4re der Effekt ein abscheulicher. (Man kann sich dabei auch nicht auf die durch die Transposition zu st\u00e4nde gekommenen Dissonanzen zwischen den einzelnen gleichzeitigen T\u00f6nen berufen, denn solcher Dissonanzen bringt auch der korrekte polyphone Satz genug.) Doch lassen sich solche Transpositionen einer der beiden Melodien, wie der Kontrapunkt lehrt, auch durchf\u00fchren, ohne etwas \u00e4sthetisch Minderwertiges, aber dabei doch etwas Anderes zu liefern: die zwei Melodien sind wieder die gleichen geblieben, der Effekt ist ein anderer. Es kann also nicht in denselben allein schon alles gegeben sein, was dabei psychisch vorliegt. \u2014 Als einen zweiten Beweis daf\u00fcr stellt sich vielleicht auch eine blofse \u00dcbertragung eines schon von Ehrenfels (a. a. O. S. 258 f.) angewendeten Momentes dar: alle Fugen z. B. sind einander \u00e4hnlicher als irgend einem Musikst\u00fcck anderer Form; und diese \u00c4hnlichkeit ist doch nicht \u00c4hnlichkeit der Melodien.","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\n\u2019 Stephan Witaselc.\nnicht gelingen. Wer jemals Gelegenheit gehabt hat, derartige F\u00e4lle zu beobachten, wird zuweilen \u00fcber die Hartn\u00e4ckigkeit des Mifslingens zum Staunen gebracht worden sein. Es macht fast, den Eindruck, als w\u00e4re das Zusammenbestehen der Vorstellungen verschiedener Rhythmen in ein und demselben Individuum unm\u00f6glich, als w\u00e4ren die beiden gew\u00fcnschten anschaulichen Vorstellungen als Bestandst\u00fccke einer anschaulichen Komplexionsvorstellung h\u00f6herer Ordnung unvertr\u00e4glich: eine Annahme, die nat\u00fcrlich durch andere Erfahrung als grundfalsch erwiesen ist.\nWas das Hindernis f\u00fcr den Eintritt der zweiten anschaulichen Vorstellung bildet, kann vielmehr nichts Anderes sein, als irgend ein Begleitumstand, der aber so beschaffen sein mufs, dafs er, ohne an den Qualit\u00e4ten der beiden Rhythmen etwas zu \u00e4ndern, auch ausbleiben kann. Worin besteht er nun? Es wird nach der Kl\u00e4rung des zuvor behandelten zweiten Falles gewifs nahe liegen, zu vermuten, dafs er auf \u00e4hnlichen Umst\u00e4nden beruhe, wie dort. Wir sind in dem oben begonnenen Beispiele bis zur anschaulichen Vorstellung des zweiteiligen Rhythmus gekommen; es liegt also diese und die unanschauliche Vorstellung des dreiteiligen vor. So wiederholt sich hier nun derselbe Vorgang, den wir schon beim Rhythmuswechsel zu beobachten Gelegenheit hatten: die anschauliche Vorstellung geht als Substrat f\u00fcr irgend einen Inhaltsteil in die unanschauliche Vorstellung ein, ohne die dazu erforderlichen Ver\u00e4nderungen durch Verschieben der Aufmerksamkeit zu erleiden; sonach liegen in dem zum Vorstellen des unanschaulichen Inhaltes dienenden Vorstellungskomplexe wieder zwei von der Aufmerksamkeit gleichm\u00e4fsig getroffene, miteinander unvertr\u00e4gliche Merkmale vor. Es ist die gleiche Sachlage, von der wir schon beim zweiten Fall erkannt haben, dafs sie den \u00dcbergang zur anschaulichen Vorstellung unm\u00f6glich macht. Nur kommen hier noch erschwerende Umst\u00e4nde hinzu. Denn w\u00e4hrend es dort m\u00f6glich ist, die st\u00f6rende anschauliche Vorstellung ganz fallen zu lassen, oder wenigstens die Aufmerksamkeit soviel als m\u00f6glich von ihr abzuziehen, ist im gegenw\u00e4rtigen Falle das erstere ganz ausgeschlossen, das letztere nur bis zu einem gewissen Grade thunlich. Denn eben dieser, dem Eintritt der Vorstellung des zweiten Rhythmus so hinderliche anschauliche","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n203\nInhalt soll ja doch als Bestandst\u00fcck in die zu bildende Komplexion h\u00f6herer Ordnung eingehen. Dennoch sucht und findet der Anf\u00e4nger auch hier darin einige H\u00fclfe, dafs er von dieser hindernden, zuerst eingetretenen anschaulichen Vorstellung die Aufmerksamkeit wenigstens so weit ablenkt, als es angeht, dafs er an sie \u201egar nicht denkt\u201c und diese rhythmische Reihe nur \u201eganz mechanisch\u201c fortspielen l\u00e4fst; vielleicht kann ihr dadurch das Eindringen in die un anschauliche Vorstellung \u00fcberhaupt verwehrt werden. Durch solche und andere H\u00fclfsmittel z. B. das dabei so vielfach angewendete \u201eSechsz\u00e4hlen\u201c, das zwar wenigstens die richtige zeitliche Verteilung der einzelnen Schl\u00e4ge unterst\u00fctzt, aber die angemessene Accentuierung doch auch dem Zufall \u00fcberl\u00e4fst \u2014 gelangt der Sch\u00fcler endlich mehr oder weniger unwillk\u00fcrlich zur anschaulichen Vorstellung der zweiten, mit der ersten gleichzeitig verlaufenden rhythmischen Reihe und dadurch auch zu der der verlangten Komplexion h\u00f6herer Ordnung. Hat sich nun nach \u00f6fterer Wiederholung dieses indirekten \u00dcberganges die Disposition zum Reproduzieren derselben resp. ihres fundierten Inhaltes gen\u00fcgend gefestigt, so tritt an Stelle jenes komplizierteren Vorganges der einfachere des direkten \u00dcberganges, in welchem nat\u00fcrlich der zur Erkl\u00e4rung der Schwierigkeit herangezogene Umstand nicht mehr wirksam sein kann. \u2014 So sehen wir hier ein Beispiel daf\u00fcr, in welcher Weise die fundierten Inhalte dazu beitragen, psychische Leistungen, die ohne sie mit betr\u00e4chtlichen Schwierigkeiten verbunden w\u00e4ren, zu erleichtern und zu vereinfachen.\nEine andere, durch dieses Beispiel vermittelte, sehr wichtige Einsicht in die Natur des \u00dcberganges von der unanschaulichen zur anschaulichen Vorstellung mufs noch eigens hervorgehoben werden. Man k\u00f6nnte n\u00e4mlich geneigt sein, von ihm anzunehmen, dafs er ein in seinem ganzen Verlaufe der Einwirkung des Willens zug\u00e4nglicher Prozefs sei, und dafs es dem Willen bis zum letzten Augenblick vor Eintritt der anschaulichen Vorstellung unbenommen bleibe, Merkmale zur Aufnahme in diese zu bestimmen oder davon auszuschliefsen. Wir haben gesehen, dafs diese Macht des Willens nur bis zur Bildung der unanschaulichen Vorstellung reicht; von da an ist der Vorgang seiner Einwirkung entzogen, man k\u00f6nnte sagen, ein durchaus mechanischer. Der Wille ist an ihm insofern beteiligt, als er","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nStephan WitaseJc.\nihn eingeleitet haben nrafs,1 ohne aber dann auf das Endergebnis irgend einen EinfLufs mehr nehmen zu k\u00f6nnen. Dieses ist in seiner Qualit\u00e4t lediglich durch die unanschauliche Vorstellung bestimmt;2 der ganze Vorgang versagt daher, wenn in dieser letzteren jene oben auseinandergesetzte Anomalie vorliegt. Denn der Wille ist, wie gesagt, nicht mehr im st\u00e4nde, aus den in der unanschaulichen Vorstellung von der Aufmerksamkeit herausgehobenen Merkmalen noch einige speziell zur Aufnahme in den anschaulichen Inhalt zu bestimmen oder eines davon auszuschliefsen.\nNun sind\u2019s aber Erfahrungen allt\u00e4glichster Natur, die die bisher gewonnenen Einsichten in das psychische Geschehen\nM\njenes \u00dcberganges zu ersch\u00fcttern drohen. Es ist doch nichts gew\u00f6hnlicher, als dafs Bestrebungen, zu einer anschaulichen Vorstellung zu gelangen, mifsgl\u00fccken, indem entweder gar keine, oder eine \u201efalsche\u201c, inad\u00e4quate Vorstellung ein tritt. Wie ist das zu verstehen, zumal da die vorhin besprochene Anomalie doch nur ein Ausnahmsfall ist und zur Erkl\u00e4rung des Eintretens eines falschen anschaulichen Inhaltes \u00fcberhaupt nichts leisten kann? Der anschauliche Inhalt soll ja nach den obigen Ausf\u00fchrungen durch den unanschaulichen kausal bestimmt sein. Kommt nun aber ein inad\u00e4quater zu st\u00e4nde, so mufs der Eehler offenbar schon im unanschaulichen Inhalt liegen. Ist diese Konsequenz annehmbar? Oder hiefse das nicht vielmehr so viel, als von dem wollenden, vorstellenden Subjekt zu sagen, es weifs nicht, was es will, oder es will etwas anderes als es eigentlich will, oder einen \u00e4hnlichen Ungedanken? Die un-\n1\tW\u00e4hrend assoziative Verbindung niemals vom Willen, sondern eben von der assoziierenden Vorstellung eingeleitet wird und der Wille h\u00f6chstens, diese hervorzurufen, in Aktion tritt.\n2\tAuch hier scheinen mir diese Gedanken im Gegensatz zu Lipps die M\u00f6glichkeit zu bieten, um die Annahme eines \u201eUnbewufsten am Willen\u201c herumzukommen. Der Wille ist und bleibt Teilursache der schliefslich eintretenden anschaulichen Vorstellung, wenn auch deren Inhalt von den am ganzen Vorgang beteiligten. Vorstellungselementen abh\u00e4ngig ist. Er hilft \u201eden Vorstellungsverlauf im Gange erhalten\u201c und ist \u201ean dem so und nicht anders Sein desselben\u201c genau in demselben Sinne \u201eunschuldig\u201c, als er gem\u00e4fs seiner kausalen Determination an allen seinen Aktionen unschuldig ist. Vergl. Lipps, Grundthatsachen. S. 52 f.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Tiber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n205\nanschauliche Vorstellung kann nicht falsch sein; sie ist es ja doch, mit deren H\u00fclfe in unseren F\u00e4llen zun\u00e4chst der Gegenstand der gewollten anschaulichen Vorstellung dargestellt ist; ihr Gegenstand ist auch Gegenstand der gewollten Vorstellung. Wenn ich von der Spektralfarbe bei der R-Linie h\u00f6re, so will ich die anschauliche Vorstellung der \u201eSpektralfarbe bei der R-Linieu, und das ist der ganze unanschaulich vorgestellte Inhalt; von dem wird man doch nicht sagen k\u00f6nnen, dafs er jemals bereits Sitz des Fehlers sein k\u00f6nne. \u2014 Wenn dem so ist, woher soll dann die Unrichtigkeit des anschaulichen Inhaltes kommen, da wir ja doch behauptet haben, dafs er lediglich von dem unanschaulichen bestimmt sei?\nWenn ich recht sehe, so spricht dieser empirische Sachverhalt ganz und gar nicht gegen die bisherigen Ergebnisse. Er scheint mir nur dazu geeignet, unsere Ans\u00e4tze einer Einsicht in die Art des untersuchten \u00dcberganges noch um ein weniges zu erweitern.\nDazu m\u00fcssen wir uns freilich zun\u00e4chst eines Umstandes erinnern, den man nicht vergessen darf, wenn man es mit unanschaulichen Vorstellungen zu thun hat. \"Welchen ich meine, das wird zun\u00e4chst am besten durch ein Beispiel klar werden. Nehmen wir die beiden unanschaulichen Vorstellungen folgenden Inhaltes: \u201eEin vollkommen wasserheller Stein von lebhaftem Farbenspiel, in Gestalt einer zw\u00f6lfseitigen, geraden, beiderseits abgestumpften Doppelpyramide, von 6.24 cm3 Rauminhalt und 21.85 g Gewicht, im Besitz der K\u00f6nigin von England\u201c, das die eine, und die andere: \u201eDer grofse Brillant des englischen Kronschatzes\u201c, so sind das zwei unanschauliche Vorstellungen, die denselben Gegenstand haben und nat\u00fcrlich zur gleichen anschaulichen f\u00fchren m\u00fcfsten, wenn diese auf Ad\u00e4quatheit Anspruch machen will. Es ist aber klar, dafs sie nicht in gleichem Mafse dazu angethan sind, die Erreichung dieses Zieles zu f\u00f6rdern. W\u00e4hrend gar mancher mit der zweiten nicht viel wird anzufangen wissen, kann ihm die erste dennoch eine anschauliche Vorstellung des betreffenden Gegenstandes vermitteln. Zwischen diesen beiden Formen der unanschaulichen Vorstellung dieses Gegenstandes giebt es aber nat\u00fcrlich noch eine ganze, grofse Reihe anderer, die man sich so geordnet denken kann, dafs jede folgende weniger leicht zum anschaulichen Inhalt f\u00fchrt als die vorhergehende.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nStephan WitaseJc.\nDabei k\u00f6nnen wir zwei Gruppen von Inhaltsteilen der unanschaulichen Vorstellung von einander sondern, die sieb durch die Art und Weise der Fixierung des von ihnen beigesteilten, in die anschauliche Vorstellung aufzunehmenden Merkmales oder Merkmalkomplexes unterscheiden: solche, welche schon in der unanschaulichen Vorstellung in der Form gedacht werden, in der sie auch der anschaulichen angeh\u00f6ren und daher nur von dieser in jene her\u00fcbergenommen zu werden brauchen; und solche, bei welchen von der Gestalt, in der sie der unanschauliche Inhalt bietet, noch ein gewisser Weg zur\u00fcckzulegen ist, bis sie in der Weise gegeben sind, in welcher sie in die anschauliche Vorstellung aufgenommen werden k\u00f6nnen; der schon bekannte Gegensatz von direkt und indirekt vorgestellten Attributen.1 Aus diesen beiden Gruppen von Bestimmungen setzen sich die unanschaulichen Inhalte zusammen. Die aufserordentlich grofsen Verschiedenheiten, die sie je nach der Art dieser Zusammensetzung aufweisen k\u00f6nnen; brauchen hier nicht n\u00e4her er\u00f6rtert zu werden. Zu bemerken ist nur noch, dafs auch unter den indirekt vorgestellten Attributen grofse Unterschiede der \u201eLeistungsf\u00e4higkeit\u201c vorliegen wenn ich zu jemandem von einer ihm unbekannten Person sage, sie sei \u201eso grofs wie ich\u201c oder aber, sie sei \u201e186 cm\u201c grofs, so leiste ich ihm zum Zustandekommen der anschaulichen Vorstellung nicht gleichwertiges; oder wenn ich ihm sage, er sei \u201eder Vater des X\u201c, ein andermal, er sei ein \u201eMann von meiner G-r\u00f6fse, kastanienbraunem Haar etc.\u201c, so sind das auch beide Male indirekte Bestimmungen, die aber nat\u00fcrlich f\u00fcr die Erreichung der anschaulichen Vorstellung nicht gleich gut brauchbar sind. Die direkt vorgestellten Attribute leisten immer etwas f\u00fcr die anschauliche Vorstellung, bei den indirekt vorgestellten braucht das nicht jedesmal der Fall zu sein; bei diesen kann es auch Vorkommen, dafs man sich mit ihnen zufrieden geben mufs, ohne weiter zu direkt vorgestellten oder gar zum anschaulichen Inhalt kommen zu k\u00f6nnen.\nIn welcher Weise nun auch der Gedanke pr\u00e4zise zu fassen w\u00e4re, es wird verst\u00e4ndlich sein, wenn ich von verschiedener Leistungsf\u00e4higkeit der unanschaulichen Inhalte zur Hervor-\n1 Vergl. Meinong, Hume- Studien. II. A. a. O. S. 657. (Sonder-Abdruck S. 87 ff.)","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n207\nrufung der anschaulichen spreche; wir k\u00f6nnen uns demnach eine Reihe denken, in welcher alle f\u00fcr einen bestimmten Gegenstand m\u00f6glichen un anschaulichen \"Vorstellungen nach dem Grade eben dieser Leistungsf\u00e4higkeit geordnet sind: den h\u00f6chsten Punkt derselben wird jene einnehmen m\u00fcssen, die am meisten direkt vorgestellte Attribute enth\u00e4lt, den tiefsten jene, die sozusagen durch die indirektest vorgestellten ausgemacht wird.\nWenn nun aber von dieser Seite zur Herstellung des anschaulichen Inhaltes einmal ein gr\u00f6fserer, einmal ein geringerer Beitrag geleistet wird, so ist klar, dafs, soll immer die gleiche Wirkung ein treten, der etwaigen Unzul\u00e4nglichkeit desselben von anderer Seite Ersatz geschaffen werden mufs. Es ist nicht schwer, das zu finden, was da aushilft. Eine zweite Teilursache der anschaulichen Vorstellung ist ja doch die Disposition zum Einbilden derselben. Auch da k\u00f6nnen wir von einer nach der Leistungsf\u00e4higkeit geordneten Reihe sprechen, die in diesem Falle wohl unbedenklich als Kontinuum agnosziert werden kann, als Kontinuum der \u00dcbungsgrade.\nNun wissen wir schon, dafs zum Erlangen des anschaulichen Inhaltes von einer auf dem h\u00f6chsten Grad der Leistungsf\u00e4higkeit stehenden unanschaulichen Vorstellung aus eine eigene Disposition f\u00fcr den einzubildenden anschaulichen Inhalt noch gar nicht erforderlich ist, sondern dafs sie, wenn dermafsen eine genaue Beschreibung mittelst direkt vorgestellter Attribute vorliegt, durch die Dispositionen zum anschaulichen V erstellen der Attribute im Verein mit der Fundierungsdisposition ersetzt werden kann; es tritt der indirekte \u00dcbergang f\u00fcr den direkten ein.1 Es ist also dem h\u00f6chsten Grade der den unanschaulichen Inhalten angeh\u00f6rigen Reihe der Nullpunkt der auf die Dispositions\u00fcbung bez\u00fcglichen zugeordnet. Umgekehrt sehen wir, dafs, wenn die \u00dcbung der Vorstellungsdisposition der betreffenden Komplexion ihr Maximum erreicht hat, auch die leistungsunf\u00e4higste unanschauliche Vorstellung zum Ziele f\u00fchrt. Wenn einer das Bild der sixtinischen Madonna sehr gut im Kopf hat, so braucht er keine ausf\u00fchrliche Beschreibung desselben mehr,1 um es anschaulich vorzustellen; es gen\u00fcgt die aller-\u00e4ufserlichste Vor-\n1 Siehe S. 189.","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nStephan Witas\u00e9k.\nstellungsweise, zum Beispiel \u201eder gr\u00f6fste Schatz der Dresdener\n\u2022\u2022\nGalerie\u201c, oder etwas \u00c4hnliches. Es ist also dem Maximum der Dispositions\u00fcbung das Minimum der Leistungsf\u00e4higkeit der betreffenden unanschaulichen Vorstellung zugeordnet. Und weiter geben uns jedermann gel\u00e4ufige Erfahrungen das Recht zur Behauptung, dafs jeder Punkt der einen Reihe einem Punkt der anderen zugeordnet ist, der den geringsten Grad der Leistungsf\u00e4higkeit anzeigt, den das Glied dieser Reihe noch aufweisen darf, um mit dem der anderen Reihe von der durch jenen Punkt bezeichneten Leistungsf\u00e4higkeit zusammen zur anschaulichen Vorstellung zu f\u00fchren.\nZur leichteren Verst\u00e4ndigung k\u00f6nnen wir den Sachverhalt in der Weise versinnlichen, dafs zwei Gerade die beiden Reihen darstellen; die eine (I), welche die Grade der Leistungsf\u00e4higkeit der unanschaulichen Inhalte anzeigt (von denen aber dadurch noch keineswegs gesagt sein soll, dafs sie ein Kontinuum bilden), beginne oben mit dem Maximalpunkt und endige unten mit dem Stande desjenigen unanschaulichen Inhaltes, der am wenigsten geeignet ist, zur anschaulichen Vorstellung zu f\u00fchren; die andere (II), die das Kontinuum der \u00dcbungsgrade versinnliche, stelle mit ihrem Anfangspunkte oben das Minimum, im vorliegenden Fall genauer den Nullpunkt,1 mit ihrem Endpunkt unten das Maximum dar, so dafs nun die beiden Anfangs- und die beiden Endpunkte einander zugeordnet sind. Nehmen wir die\tSache\tnun\tso\tan, dafs auch\tdie anderen zugeordneten\nPunkte\tin\tHorizontalen liegen, so\theifst das, dafs auch alle\n\u00fcber irgend einer beliebigen Horizontalen in I mit allen unterhalb derselben\tin II gelegenen Punkten\nzusammen zur\tanschaulichen Vorstellung\nf\u00fchren. (Man sieht, dafs diese Darstellung auch dann brauchbar ist, wenn I kein Kontinuum sein sollte.)\nEine unanschauliche Vorstellung vom Grade a kann\tnur mit einer Disposition\nvom \u00dcbungsgrade a zur anschaulichen Vorstellung f\u00fchren, oder b mit \u00df. \u2014 Was geschieht jedoch, wenn einmal zuf\u00e4llig &'mit\nI.\nII.\nMax.\nMin. _\n-\u00df\n\u2014 Max.\n1 Also der Fall, wenn eine Disposition znm Reproduzieren des fandierten Inhaltes noch gar nicht begr\u00fcndet ist.","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Uber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n209:\na zusammentrifft? Die Antwort ist eigentlich schon gegeben:-es kommt zu gar keiner anschaulichen Vorstellung. Es ist ja* etwas ganz Gew\u00f6hnliches, jemand sagen zu h\u00f6ren, er k\u00f6nne sich das. oder jenes nicht vorstellen ; anschaulich vorstellen ist nat\u00fcrlich gemeint (falls nicht der Ausdruck f\u00e4lschlich f\u00fcr mangelndes Urteilen gebraucht ist). Wenn jemand arabische Schriftzeichen noch nicht gesehen hat, so wird er sich, wenn einmal davon die Rede ist, mit der unanschaulichen Vorstellung begn\u00fcgen m\u00fcssen.\nDoch, entspricht das in allen F\u00e4llen der Wahrheit? Wenn jemand den oben erw\u00e4hnten englischen Krondiamanten weder gesehen, noch durch Abbildung oder Beschreibung n\u00e4her kennen gelernt hat, und er denke nun den durch die Worte \u201eder grofse Diamant des englischen Kronschatzes\u201c vermittelten unanschaulichen Inhalt, ist er da absolut aufser st\u00e4nde, sich eine anschauliche Vorstellung zu bilden? Freilich ist er es im st\u00e4nde; er kann irgend ein Phantasiegebilde schaffen; aber was dabei herauskommt, hat kein Recht darauf, f\u00fcr eine anschauliche Vorstellung dieses Gegenstandes zu gelten, und ist auch gar nicht so gemeint. Mit anderen Worten, es besteht einfach zwischen dieser anschaulichen Vorstellung und jener unanschaulichen nicht die Relation, die zwischen einem derart zusammengeh\u00f6rigen Paar bestehen mufs, wenn sie beide, die eine anschaulich, die andere unanschaulich, denselben Gegenstand zur Vorstellung bringen sollen.\nAber, wie kommen die Vorstellungen \u00fcberhaupt zu st\u00e4nde, wenn die vorliegende Ursache doch dazu, wie gezeigt, unzureichend ist? Der gegebene unanschauliche Inhalt gen\u00fcgt nicht f\u00fcr den vorhandenen \u00dcbungsgrad, und zudem soll noch die Relations vor Stellung fehlen, die wir ja auch als eine Teilursache dieses \u00dcberganges erkannt haben ? \u2014 Nun, was zun\u00e4chst die letztere anlangt, so kann sie immerhin vorgestellt werden; denn auch in F\u00e4llen, in denen es zum ad\u00e4quaten anschaulichen Inhalt kommt, wird sie ja, solange sie als Teilursache wirkt, nicht vollst\u00e4ndig, sondern gleichsam nur mit einem Glied vorgestellt werden k\u00f6nnen ;1 wie die obige, diesbez\u00fcgliche Behauptung zu verstehen ist, wird sofort klar werden. Aber.\n1 Yergl. Meinong, Belationstheorie. A. a. O. S. 658. (Sonder-Abdruck\nS. 88 f.)\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XII.\n14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nStephan WitaseJc.\nauch der zweite Punkt findet seine L\u00f6sung. Freilich, soll unbedingt nur die richtige, dem Gegenstand entsprechende anschauliche Vorstellung zu st\u00e4nde kommen, so wird die gegebene unanschauliche bei dem vorliegenden \u00dcbungsgrad die Ursache nicht kompletieren k\u00f6nnen und wirklich zu keiner Wirkung, zu keiner anschaulichen Vorstellung f\u00fchren. Praktische F\u00e4lle best\u00e4tigen diese Behauptung. Will aber das vorstellende Subjekt aus irgend einem Grund trotz der ung\u00fcnstigen Umst\u00e4nde auf jeden Fall zu einer anschaulichen Vorstellung gelangen, nun, so bleibt nichts anderes \u00fcbrig, als das Fehlende aus eigenen Mitteln in irgend einer Weise zu erg\u00e4nzen. Das kann nun nat\u00fcrlich nur am vorliegenden unanschaulichen Inhalt geschehen, und an diesem nur so, dafs er durch mehr oder minder willk\u00fcrlich angebrachte Erg\u00e4nzungen \u2014 wohl meist an direkten Daten \u2014 zu jenem Grad der Leistungsf\u00e4higkeit emporgehoben wird, der im Verein mit dem vorliegenden \u00dcbungsgrad zu einer anschaulichen Vorstellung zu f\u00fchren geeignet ist. Dadurch begiebt sich der Vorstellende zwar der Sicherheit, zur richtigen anschaulichen Vorstellung zu gelangen; aber er gelangt wenigstens \u00fcberhaupt zu einer, und in einzelnen F\u00e4llen kann das vorl\u00e4ufig wichtiger und notwendiger sein. \u00dcberdies ist ja dabei der Ausfall des anschaulichen Inhaltes keineswegs durchaus der Willk\u00fcr oder dem Zufall \u00fcberlassen. Denn die auch in der urspr\u00fcnglichen, unzul\u00e4nglichen unanschaulichen Vorstellung immer noch direkt gegebenen Attribute und von den indirekten jene, die leicht in direkte verwandelt werden k\u00f6nnen, werden ja in die modifizierte her\u00fcbergenommen und verlieren ihre Wirksamkeit durchaus nicht. Der anschauliche Inhalt, der in dem obigen Beispiel vom englischen Krondiamanten zu st\u00e4nde kommt, wird ja doch wenigstens all\u2019 die bekannten Merkmale des Inhalts \u201eDiamanta aufweisen, denn diese waren ja schon in der urspr\u00fcnglichen unanschaulichen Vorstellung gegeben; er wird nur vielleicht in Bezug auf Farbe, Gestalt, Gr\u00f6fse und \u00c4hnliches unrichtig sein. Die Verbindungsrelation aber besteht in diesem Falle zwischen der zu st\u00e4nde gekommenen anschaulichen und der durch die Phantasie erg\u00e4nzten unanschaulichen V orstellung.","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n211\nRes\u00fcmieren wir kurz, was uns die Analyse des besprochenen \u00dcberganges an aktuellen psychischen Thatbest\u00e4nden ergeben hat, so haben wir zu nennen: 1. den Willensakt, der auf die anschauliche Vorstellung irgend eines Gegenstandes gerichtet ist, 2. die unanschauiiche Vorstellung des vorzustellenden Gegenstandes, die 3. durch die Vorstellung der zwischen ihr und der anschaulichen Vorstellung bestehenden Eelation in den Stand gesetzt ist, das Willensobjekt zu repr\u00e4sentieren.\nDamit haben wir die Beschreibung dieser Klasse willk\u00fcrlicher Vorstellungsverbindung abgeschlossen, aber auch schon f\u00fcr die allgemeine Charakteristik dieses Vorganges ziemlich vorgearbeitet; denn aus den drei eben genannten Punkten ist dasjenige, was bei jedem willk\u00fcrlichen Hervorrufen einer Vorstellung psychisch vorhanden sein mufs, leicht herauszufinden: die Wollung, deren Objekt, eine Vorstellung, mit H\u00fclfe einer Eelation und einer anderen Vorstellung, die das eine Glied dieser Eelation ist, gedacht wird; diese andere Vorstellung mufs dem Inhalte nach von der gewollten verschieden sein, aber den gleichen Gegenstand wie diese haben; durch diese Bedingung ist auch die Eelation im allgemeinen bestimmt.\nDiese allgemeine Charakteristik des willk\u00fcrlichen Vorstellungsverlaufes wird uns nun beim Durchsuchen der inneren Erfahrung nach seinen verschiedenen Arten insofern einen erw\u00fcnschten Wegweiser abgeben, als wir an den gefundenen Elementen die der Natur der Sache nach m\u00f6glichen Determinationen vornehmen und die so zu st\u00e4nde kommenden Bildungen an der Empirie pr\u00fcfen k\u00f6nnen.\nWas nun zun\u00e4chst den Willensakt f\u00fcr sich, abgesehen von den ihm zugeh\u00f6rigen Vorstellungsthatbest\u00e4nden, anlangt, so ist er zwar mannigfachen Determinationen sowohl nach Qualit\u00e4t wie nach Intensit\u00e4t zug\u00e4nglich, wir erkennen aber sofort, dafs von hier aus eine Einteilung der willk\u00fcrlichen Vorstellungsverbindungen nicht zu gewinnen ist. Die Intensit\u00e4tsgrade gehen kontinuierlich ineinander \u00fcber und sind schon deshalb als Einteilungsgrundlage nicht viel wert, k\u00f6nnen aber auch davon abgesehen f\u00fcr unseren Zweck nichts leisten; und die Wollungsqualit\u00e4t mit ihren beiden charakteristischen Punkten \u201eWollen\u201c und \u201eNicht-wollen\u201c (dieses nat\u00fcrlich nicht im Sinne des Ausbleibens jedes Begehrungsaktes, sondern als negatives\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\tStephan WitaseT\u00e7.\nWollen, Verabscheuen etc. gemeint) kann schon deshalb nicht zu einer Einteilung herangezogen werden, weil eine willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung ja nur mit der einen der beiden Determinationen, der positiven, zu st\u00e4nde kommen kann.\nDie ganze Einteilungsangelegenheit ist sonach nur von dem an dem Vorg\u00e4nge beteiligten Vorstellungskomplex aus zu erledigen. F\u00fcr diesen ist, wie wir bereits wissen, charakteristisch, dafs er zwei Vorstellungen verschiedenen Inhalts von demselben Gegenst\u00e4nde aufweist. Das mag nun, wie eine leichte Betrachtung lehrt, in aufserordentlich mannigfacher Weise erreicht werden; denn ein und derselbe Gegenstand kann ja in der Hegel durch eine grofse Zahl von Vorstellungen verschiedenen Inhalts gedacht werden. Wollen wir System in diese Mannigfaltigkeit hineinbringen, so geschieht das am besten dadurch, dafs wir uns an die bereits wohl bew\u00e4hrte Einteilung der Vorstellungen in anschauliche und unanschauliche halten und sagen: die zwei Vorstellungen sind entweder beide anschaulich,., oder beide unanschaulich, oder die eine von beiden ist anschaulich, die andere unanschaulich. Wenden wir diesen Gesichtspunkt auf unsere Frage an, so bekommen wir folgende vor-g\u00e4ngig denkbaren Arten des willk\u00fcrlichen \u00dcberganges von einer Vorstellung zur anderen: a) von der anschaulichen zur anschaulichen ; b) von der anschaulichen zur unanschaulichen ; c) von der unanschaulichen zur anschaulichen; d) von der unanschaulichen zur unanschaulichen.\nIst nun jeder dieser vier F\u00e4lle, deren Sonderung vorl\u00e4ufig nur durch \u00e4ufsere Gesichtspunkte gewonnen wurde, in unserem psychischen Geschehen auch m\u00f6glich und thats\u00e4chlich gegeben?\nAd a. Zwei verschiedene anschauliche Vorstellungen eines und desselben Gegenstandes sind wohl leicht genug zu beschaffen. Soll aber eine von ihnen Wollungsziel sein und mit H\u00fclfe der anderen dem Willen pr\u00e4sentiert werden, so reicht diese andere anschauliche Vorstellung allein und als solche nicht aus. Denn sie enth\u00e4lt absolut keinen Hinweis auf irgend eine andere anschauliche Vorstellung, sie f\u00fchrt in keiner Weise \u00fcber sich hinaus, wie es ja doch unbedingt der Fall sein m\u00fcfste, wenn sie das willk\u00fcrliche Vorstellen auf einen anderen Inhalt leiten soll; kurz, sie ist f\u00fcr sich allein nicht im st\u00e4nde, das Wollungsziel, die andere anschauliche Vorstellung dem Willen vorzuhalten, sie kann das nur mit Hinzuziehung irgend","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n213\nwelcher aufser ihr liegenden Daten. So kann ich mir z. B. ein Haus von Norden her gesehen anschaulich vorstellen und von dieser anschaulichen Vorstellung willk\u00fcrlich auf jene \u00fcbergehen, die mir das Haus bietet, wenn ich es von S\u00fcden her ansehe. Dazu ist aber erforderlich, dafs die anschauliche Vorstellung der S\u00fcdansicht dem Willen als Wollungsziel vorgehalten \"werde, und wenn dabei die anschauliche Vorstellung der Nordansicht mit wirken soll, so mufs zu dieser notwendig noch die unanschauliche Bestimmung treten, welche besagt, dafs eben die \u201eS\u00fcdansichtu dieses vorl\u00e4ufig von Norden gesehenen Hauses gew\u00fcnscht wird. Durch diese Bestimmung, zusammen mit der ersten anschaulichen Vorstellung, ist aber die unanschauliche Vorstellung dessen gegeben, was anschaulich vorgestellt werden soll, und so bekommen wir auf diesem Wege immer nur wieder den \u00dcbergang von der anschaulichen zur zugeh\u00f6rigen unanschaulichen, niemals aber den von einer anschaulichen zu einer anderen desselben Gegenstandes. Wir k\u00f6nnen somit sagen: einen willk\u00fcrlichen \u00dcbergang von einer anschaulichen Vorstellung zu einer anderen giebt es nicht.\nAd b. Ein willk\u00fcrlicher \u00dcbergang von einer anschaulichen Vorstellung zu einer zugeh\u00f6rigen unanschaulichen ist wohl denkbar und der Natur der Sache nach m\u00f6glich. Ob er jedoch in Wirklichkeit vorkommt, ist mir sehr fraglich. Wenigstens k\u00f6nnte ich kein gen\u00fcgend ungezwungenes Beispiel daf\u00fcr ang\u00eaben. Verm\u00f6ge der \u00d6konomie unserer psychischen Th\u00e4tig-keit tritt die unanschauliche Vorstellung schon von vornherein \u00fcberall dort ein, wo sie gen\u00fcgt ; und wenn aus irgend welchen Ursachen in solchen F\u00e4llen urspr\u00fcnglich eine anschauliche Vorstellung vorhanden war, so geht sie, sobald auch die unanschauliche genug bietet, ganz unwillk\u00fcrlich in diese \u00fcber.\nAd c. Dieser Fall ist bereits ausf\u00fchrlich behandelt.\n\u2022 \u2022\nAd d. Auch der M\u00f6glichkeit des willk\u00fcrlichen \u00dcberganges einer unanschaulichen Vorstellung zu einer anderen desselben Gegenstandes l\u00e4fst sich vorg\u00e4ngig nichts entgegenhalten. Wird z. B. die unanschauliche Vorstellung \u00fc eines Gegenstandes gewollt, so kann dieses Wollungsziel sehr wohl durch eine andere unanschauliche Vorstellung desselben Gegenstandes TJ mit Zuziehung einer Bestimmung, die das Verh\u00e4ltnis von U zu 'U\u00b1 festlegt, gedacht und dem Willen vorgehalten werden. -\u2014 Die innere Erfahrung ist aber \u00e4ufserst karg mit hieher passenden","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nStephan Witasek.\nBeispielen. Es ist mir nicht gelungen \u2014 solange ich mich auf das Gebiet des blofsen Vorstellens beschr\u00e4nkte \u2014 im ungezwungenen Verlauf meiner Gedanken eines hierher geh\u00f6rigen Falles habhaft zu werden ; eine um so auffallendere Thatsache, wenn man bedenkt, einen wie breiten Raum die unanschau-jiehen Vorstellungen in unserem Gedankenverlaufe in der Regel einnehmen. \u2014 Konstruieren liefsen sich freilich manche Beispiele. Nehme ich allenfalls f\u00fcr das U1 die unanschauliche Vorstellung des Inhalts \u201eDer kontr\u00e4re Gegensatz von unendlich grofs\u201c und will ich das direkt vorstellen, so kann ich zur anderen unanschaulichen Vorstellung (U) \u201eunendlich klein\u201c \u00fcbergehen. Man sieht jedoch diesem und anderen \u00e4hnlichen Beispielen die K\u00fcnstlichkeit leicht genug an, und ich bin daher nicht abgeneigt, zu glauben, dafs diese Art der willk\u00fcrlichen Vorstellungsverbindung auf dem Gebiete blofsen Vorst eil en s, wenn sie \u00fcberhaupt vorkommt, so doch nur \u00e4ufserst geringe Bedeutung hat.\nWohlgemerkt: solange wir uns auf blofsem Vorstellungsgebiete halten. Anders stellt sich mir die Sache dar, sobald ich auf F\u00e4lle R\u00fccksicht nehme, bei denen Urteilsdispositionen mitwirken. Ich denke da an jene Urteile, deren Gegenstand eine Relation ist, die es sonach mit zwei Vorstellungen zu thun haben, zun\u00e4chst also an die kategorischen Urteile. Der psychische Vorgang beim Entstehen eines solchen ist wohl in der Regel der, dafs zuerst nur die eine der beiden Vorstellungen gegenw\u00e4rtig ist und nun der Wunsch rege wird, den Gegenstand dieser Vorstellung durch eine zweite Vorstellung ganz anderen, aber indirekt bereits bestimmten Inhalts zu charakterisieren ; dieser Wunschzustand ist das Stadium der Frage. Liegt nun die betreffende Urteilsdisposition vor, so taucht diese zweite gew\u00fcnschte Vorstellung auf und geht in ihrer Weise in den den Gegenstand des Urteils repr\u00e4sentierenden Komplex ein. \u2014 Die Betrachtung eines konkreten Falles wird, was ich meine, klar machen. So sei z. B. die Frage nach der Einwohnerzahl Berlins gestellt. In diesem Stadium liegt die unanschauliche Vorstellung \u201eEinwohnerzahl Berlins\u201c vor, und die Frage ist, psychologisch besehen, nichts anderes, als der Wunsch nach einem bejahenden Urteil \u00fcber die Identit\u00e4t des Gegenstandes dieser unanschaulichen Vorstellung mit dem einer anderen, durch diese Frage indirekt bereits bestimmten Vorstellung.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"tjber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n215\nDiese letztere mufs also auch Gegenstand des Wunsches sein und wird, wenn der Gefragte die Einwohnerzahl Berlins eben kennt, d. h. wenn er die betreffende llrteilsdisposition besitzt infolge des Willensaktes aktuell werden. Es wird ihm dann die Zahl 1710000 einfallen und das Urteil \u201eDie Einwohnerzahl Berlins betr\u00e4gt 1710 000u, wird eintreten. Das Urteil ist Folge der Frage, d. i. des Wunsches nach dem Urteil; darin ist aber auch der Wunsch nach der zweiten Vorstellung eingeschlossen, und diese stellt sich sonach als eine willk\u00fcrlich hervorgerufene dar.\nIst diese Auffassung der Sachlage richtig, so ist damit gleichzeitig gesagt, dafs mit dem Erwerben von Wissen, d. i. also mit dem Begr\u00fcnden von Urteilsdispositionen eo ipso auch Dispositionen zum willk\u00fcrlichen Hervorrufen der zugeh\u00f6rigen Vorstellungen begr\u00fcndet werden.\nVor allem mufs nun dieser neue Gedanke \u00fcber das Aktuell* werden der zum Urteile n\u00f6tigen Vorstellungen seine Berechtigung gegen\u00fcber der jetzt landl\u00e4ufigen Erkl\u00e4rung dieses Gegenstandes erweisen. Diese lautet bekanntlich dahin, dafs die eine, bereits in der Frage enthaltene Vorstellung die andere zum Zustandekommen des Urteils erforderliche assoziativ hervorruft. \u2014 Ich glaube, dafs das in vielen F\u00e4llen allerdings zutreffen wird. Dafs aber in anderen F\u00e4llen Momente vorliegen^ die eine Zur\u00fcckf\u00fchrung auf Assoziation verbieten, scheint mir ebenso sicher. Dabei brauche ich wohl nicht zu betonen, dafs es sich mir um den psychologischen Assoziationsbegriff handelt, nicht um den psychophysiologischen, unter den ja jede VorstellungsVerbindung von vornherein unbedingt fiele.1 *\nWas mich hier also in einzelnen F\u00e4llen mit der Assoziation nicht auslangen l\u00e4fst und mir die Annahme eines willk\u00fcrlichen Hervorrufens der Vorstellung abn\u00f6tigt, das sind folgende drei Thatsachen.\n1. Die zweite Vorstellung kommt nur zu st\u00e4nde, wenn sie ausdr\u00fccklich verlangt, gewollt ist. \u2014 Das stimmt nicht zum psychologischen Assoziationsbegriff. Denn der Einfiufs des Willens auf den assoziativen Verlauf der Vorstellungen ist doch ganz anderer Natur, als der hier zu beobachtende; er ist nur ein indirekter und leistet als solcher nichts anderes, als\n1 Vergl. z. B. Ziehen, Leitfaden d.physol. Psychol.3 S. 149. Zur Sonderung\nder beiden Assoziations-Begriffe vergl. die Ausf\u00fchrungen S. 222.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nStephan WitaseJc.\ndafs die assoziierenden Vorstellungen willk\u00fcrlich hervorgerufen Werden; ist das gelungen, so ist das ganze Gesch\u00e4ft des Willens im assoziativen Vorstellungsverlaufe zu Ende, und es mufs nun geduldig gewartet werden, ob diese willk\u00fcrlich hervorgerufene Vorstellung die Assoziation einleitet oder nicht. Der Assoziationsvorgang selbst steht aufserhalb der Machtsph\u00e4re des Willens. Daher ist es ihm auch eigent\u00fcmlich, einer vorl\u00e4ufigen ndirekten Vorstellung des zu assoziierenden Inhaltes nicht zu bed\u00fcrfen; oder bei willk\u00fcrlicher (nat\u00fcrlich mittelbarer) Beeinflussung der Assoziation doch nur zur Charakterisierung der willk\u00fcrlich hervorzurufenden assoziierenden Vorstellung.\nDie Beobachtungen, die wir an recht intensivem Besinnen machen k\u00f6nnen, best\u00e4tigen das deutlich genug. Im Anfangsstadium hat dieser Vorgang gew\u00f6hnlich ganz den Charakter der Einl\u00e9itung einer willk\u00fcrlichen Vorstellungs Verbindung. Das, Worauf man sieb besinnt, ist indirekt oder unanschaulich vorgestellt, und die direkte oder anschauliche Vorstellung davon ist ausdr\u00fccklich Willensobjekt. Der \u00dcbergang versagt, und so versucht man zun\u00e4chst, durch Modifikationen an der Ausgangs-vorstell\u00fcng die Bachlage f\u00fcr den Eintritt der gew\u00fcnschten Vorstellung g\u00fcnstiger zu gestalten. N\u00fctzt auch das nichts, so tritt das Besinnen in ein neues Stadium, das assoziative. Da zieht sich der Wille von seinem bisherigen Gegenst\u00e4nde zur\u00fcck und ist nun zun\u00e4chst darauf gerichtet, irgend welche Vorstellungen hervorzurufen, von denen angenommen werden kann, dafs sie mit der urspr\u00fcnglich gew\u00fcnschten in Assoziation stehen; und nur um diese assoziierenden Vorstellungen willk\u00fcrlich hervorrufen zu k\u00f6nnen, ist die unanschauliche oder indirekte Vorstellung nun noch n\u00f6tig. Der Wille aber ist in diesem Stadium direkt auf die assoziierenden Vorstellungen gerichtet, und das ist ja \u00fcberhaupt alles, was er bei Assoziationen zu leisten hat, \u2014 Es werden nun freilich in der Praxis beide Arten der Vorstellungs Verbindung oft genug nebeneinander gehen und die Grenzen zwischen ihnen nur fliefsende sein. Das Vorkommen reiner F\u00e4lle kann aber nicht in Frage gestellt werden.\t:\n2. Sobald bei den in Bede stehenden F\u00e4llen die Urteilsdisposition verloren geht, hat es auch mit dem Eintreten der betreffenden Vorstellung ein Ende. \u2014 Was ich damit meine, ist an einem Beispiele sehr rasch klar gemacht. Nehmen wir","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n217\nan, es halte jemand die Luft f\u00fcr eine chemische Verbindung von Stickstoff und Sauerstoff, d. h. er habe die Disposition zum F\u00e4llen dieses falschen Urteils, so wird sich ihm auf die Frage nach der chemischen Natur der Luft diese Vorstellung umstellen. Wird ihm nun seine Ansicht als irrig bezeichnet, so ist die diesbez\u00fcgliche Urteilsdisposition zerst\u00f6rt; in Zukunft wird die ganze Frage nicht mehr die Vorstellung \u201eVerbindung\u201c, sondern \u201eGemenge\u201c hervorrufen. Assoziationen aber lassen sich durch solche Verschiebungen der Wissensdisposition nicht beeinflussen. Oder ein anderes Beispiel. Mein Freund befindet sich auf einer Reise. Ich weifs, er weilt gegenw\u00e4rtig in Berlin. Auf die Frage \u201eWo ist Dein Freund eben\u201c?, das ist also infolge des Wunsches, dafs der \u201egegenw\u00e4rtige Aufenthalt des X\u201c genannt werde, taucht mir die Vorstellung \u201eBerlin\u201c auf. Bekomme ich jedoch unmittelbar darauf ein aus Magdeburg datiertes Telegramm von ihm, so werde ich auf die gleiche Frage mit \u201eMagdeburg\u201c antworten. Durch ein blofses Wort jedoch, das sich gar nicht auf die Vorstellungsverbindung, sondern nur auf das Urteil bezieht, werden bereits bestehende Assoziationen nicht zerst\u00f6rt. Wenn sich ein Kind beim Einmal-einslernen die Assoziation 7 X 8 = 65 angeeignet hat, so wird es trotz wiederholten Ermahnens beim Bechnen noch oft genug diesen Fehler machen\u00bb\n3. Die Relation, durch welche die beiden Vorstellungen verbunden sind, steht so sehr im Vordergr\u00fcnde des Bewufst-seins, dafs der ganze psychische Aspekt des Vorganges von dem bei Assoziationen typischen grundverschieden ist.1\nSollten sich diese Gr\u00fcnde gegen die Gleichartigkeit der in Bede stehenden Vorstellungsverbindungen mit Assoziation als triftig erweisen, so w\u00e4chst die Bedeutung des direkten Einflusses des Willens auf den Vorstellungsverlauf um ein betr\u00e4chtliches St\u00fcck; das ganze Gebiet des kategorischen Urteils ist ihm erschlossen, und wenn Assoziation darin wohl auch eine wichtige Bolle zu spielen hat, so bleibt ihm immer noch genug zu thun \u00fcbrig. Eine allgemeine Regel, wo das eine, wo das andere wirksam ist, l\u00e4fst sich nicht abstrahieren ; die Ent-\n1 Vielleicht k\u00f6nnte unter einem 4. noch die Behauptung Stumpfs herangezogen werden: \u201eAssoziationen finden, scheint es, nur zwischen konkreten Vorstellungen statt.\u201c Tonpsychol I. S. 201.","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nStephan Witasek.\nScheidung dar\u00fcber kann nur in jedem einzelnen Falle f\u00fcr sich versucht werden.\nDoch ist nun zu bemerken, dafs diese auf Grund einer vorhandenen Urteilsdisposition ablaufende willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung durchaus nicht nur von einer unanschaulichen zu einer anderen unanschaulichen Vorstellung m\u00f6glich ist. Besonders kommt hiernach der Weg von einer unanschaulichen zur zugeh\u00f6rigen anschaulichen Vorstellung in Betracht. Ein einfaches Beispiel wird das erweisen. Wenn nach dem \u201eNamen des dritten K\u00f6nigs von Rom\u201c gefragt wird, so f\u00fchrt, das Wissen vorausgesetzt, diese unanschauliche Vorstellung zur zugeh\u00f6rigen anschaulichen : Tullus Hostilius. M\u00f6glich \u00fcbrigens, dafs gerade dieses Beispiel bei manchen assoziativ verl\u00e4uft; das kann individuell verschieden sein. F\u00e4lle aber, die der oben ausgef\u00fchrten Gr\u00fcnde wegen nicht den Assoziationen zugez\u00e4hlt werden k\u00f6nnen, d\u00fcrften sich bei jedermann leicht finden.\nAuf diesem Gedanken von der Mitwirkung der Urteilsdispositionen beim Vorstellungsverlaufe weiterbauend, k\u00f6nnte ich nun noch gar manches sagen. So liefse sich von ihm aus eine Einteilung der VorstellungsVerbindungen in apriorische und aposteriorische begr\u00fcnden. Auch w\u00fcrde er vielleicht eine Erkl\u00e4rung der Thatsache gestatten, warum die einen Vorstellungsverbindungen vom Urteile anerkannt werden, die anderen nicht. Und so noch manches andere. Doch will ich damit lieber noch zur\u00fcckhalten. Der Grundgedanke selbst ist zu jung und unerprobt. Ich werde erst sein weiteres Schicksal abwarten, um nicht allenfalls das kl\u00e4gliche Schauspiel des Luftschl\u00f6sserbauens zu gew\u00e4hren.\nWir haben nun, soweit ich sehe, das ganze Gebiet des willk\u00fcrlichen Hervorrufens von Vorstellungen durchmessen. \u00dcberblicken wir es nochmals, so m\u00fcssen wir gestehen, dafs es\n\u2022 m\nein auffallend beschr\u00e4nktes ist. Der \u00dcbergang von der un-anschaulichen zur anschaulichen Vorstellung hat zwar gewisse Bedeutung, ist aber doch nur eine einzige unter den vielen m\u00f6glichen Kombinationen des Vorstellungsverlaufes; der \u00dcbergang von einer anschaulichen Vorstellung zur unanschaulichen hat gar nichts zu bedeuten und der von einer un anschaulichen zu einer anderen auch nur dann, wenn man die Urteilsverbindungen mit in","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung .\n219\nBetracht zieht. Noch mehr aber springt die enge Begrenztheit dieses Gebietes in die Angen, wenn man bedenkt, dafs ihm nur \u00dcberg\u00e4nge von einer Vorstellung zu einer anderen desselben Gegenstandes angeh\u00f6ren k\u00f6nnen ; eine Beschr\u00e4nkung, die ebenso weitgehend als unabweislich ist.\nAngesichts dieses Ergebnisses ist es am Platze, sich daran zu erinnern, dafs wir uns nur mit dem direkten Einfl\u00fcsse des Willens auf das Vorstellen befafst haben. Freilich, wollten wir behaupten, die Mitwirkung des Willens bei unserem Denken sei \u00fcberhaupt nur innerhalb dieser engen Grenzen zu versp\u00fcren, so w\u00e4re das befremdlich genug. Aber so ist\u2019s ja nicht gemeint. #Nur jene F\u00e4lle haben wir untersucht, in denen die Vorstellung der n\u00e4chste Gegenstand des Willens ist. Und da ist\u2019s wohl begreiflich, dafs wir das in Betracht kommende Gebiet rasch durchmessen haben. Ein fl\u00fcchtiger Blick auf unsere Geistesth\u00e4tigkeit sagt uns ja, ein wie seltener, aufsergew\u00f6hnlicher Fall es ist, dafs wir unseren Willen gerade auf eine Vorstellung richten. Die weit gr\u00f6fsere Bedeutung des Willens f\u00fcr das Vorstellen liegt erst in der indirekten Beeinflussung, und diese f\u00e4llt ja ganz in das Gebiet unserer willk\u00fcrlichen geistigen Th\u00e4tigkeit. Bei dieser handelt es sich aber zun\u00e4chst keineswegs um ein Vorstellenwollen, sondern um analysieren, fundieren und erkennen wollen. Diese Funktionen sind es, die in erster Linie unsere Denkarbeit ausmachen, und sie sind es daher auch, mit denen sich der Wille in der Kegel besch\u00e4ftigt, wenn wir unseren Gedanken nicht freien Lauf lassen, sondern geistig arbeiten. Es ist daher gar nicht befremdlich, dafs sich der Kreis von psychischen Vorg\u00e4ngen, von dem die vorliegende Arbeit handelt, als ein so kleiner erweist.1\nEs er\u00fcbrigt noch, das Verh\u00e4ltnis der eben dargelegten Ansichten zu den herrschenden psychologischen Systemen kurz zu charakterisieren.\n1 Dafs ich die vorhin behandelten \u201eUrteilsverbindungen\u201c mit einbezogen habe, scheint mir dadurch gerechtfertigt, dafs die Vorstellung zum Urteile gewissermafsen Voraussetzung ist, w\u00e4hrend sie beim Analysieren, Fundieren etc. als deren Folge erscheint.","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nStephan WitaseTc.\nZun\u00e4chst, wie stellen sie sidh zur Apperzeptions-Psychologie ?\nIn einem Hauptpunkte stimmen sie mit ihr \u00fcberein. So wie diese treten sie n\u00e4mlich daf\u00fcr ein, dafs, eine so wichtige Grundlage auch die Assoziationen f\u00fcr die psychischen Vorg\u00e4nge bilden, sich diese doch nimmermehr in jene ohne Pest aufl\u00f6sen lassen.1 Auch in der Fassung der Grundeigent\u00fcmlichkeit der assoziativen Yorstellungsverbindung begegnen sie sich auf gleichem Boden. \u201eHie Assoziationen in allen ihren Formen werden von uns .... als passive Erlebnisse aufgefafst, weil das f\u00fcr die Willens- und Aufmersamkeitsvorg\u00e4nge charakteristische Th\u00e4tigkeitsgef\u00fchl immer nur in der Weise in sie eingreift, dafs es an die bereits gebildeten Verbindungen . . . sich anschliefst.\u201c2\nVielleicht ist man nun geneigt, das Wesen meiner willk\u00fcrlichen Vorstellungsverbindung im Grofsen und Hanzen mit dem der apperzeptiven zu identifizieren. Wundt kennzeichnet letztere ausdr\u00fccklich als innere Willenshandlung und sieht ihre Bedeutung in dem \u201eHereingreifen von Willensvorg\u00e4ngen in den Verlauf von Vorstellungen.\u201c3 Ebenso \u00e4ufsert sich Staude: \u201eIhrem Wesen nach ist also die Apperzeption eine Einwirkung des Willens auf die Vorstellungen.\u201c4 Soweit w\u00fcrde die Sache auch noch stimmen. Jede weitergehende Vermengung der beiden Begriffe jedoch k\u00f6nnte ihnen nur zum Schaden gereichen. Ja, nach der neuesten Fassung der Apperzeptionstheorie steht sie mit den Ausf\u00fchrungen der vorliegenden Arbeit in striktem Gegensatz. Denn sie behauptet nun nicht nur, dafs alle apperzeptiven VorstellungsVerbindungen die Assoziation zur Voraussetzung haben und von ihr v\u00f6llig abh\u00e4ngen \u2014 da k\u00f6nnte immer noch neben diesen beiden eine dritte Art der Vorstellungsverbindung stehen, die rein willk\u00fcrliche \u2014 sondern sie sagt ausdr\u00fccklich, \u201edafs die Assoziationsvorg\u00e4nge die Grundlage jeder Art von Vorstellungsverbindungen sind.\u201c5 Da giebt es\n1\tVergl. z. B. Wundt, Phys. Psych.* II. 448.\n2\tWundt, Grundr. d. Psych., 291 f; ganz \u00e4hnlich Phys. Psych* IL 487.\n3\tWundt, Grundr. d. Psych. 225 u. 257.\n4\tPhil. Stud. I. 193. \u00c4hnlich Wundt, Phys. Psych* II. 475 f.\n5\tWundt, Phys. Psych* II. 284., 11.476., Grundr. 293. Am sch\u00e4rfsten in den \u201eBemerkungen zur Assoziationslehre\u201c Phil. Stud. VII. 361: \u201eAller Wechsel der Vorstellungen beruht, soweit er nicht durch direkte Sinnes-","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"221\n\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\nfreilich keinen Vergleich mehr und ich w\u00e4re nun gezwungen, mich mit dieser gegnerischen Position auseinander zu setzen. Sie st\u00fctzt sich aber auf keine eigentliche Begr\u00fcndung (die in den \u201eBemerkungen zur Assoziationslehre44 enthaltenen Ausf\u00fchrungen sind ja zun\u00e4chst auch nur gegen die frei steigenden Vorstellungen gerichtet), sondern ist als ziemlich selbstverst\u00e4ndlich hingestellt. Demgegen\u00fcber kann ich nur auf die im Verlauf meiner Arbeit gegebene Schilderung der betreffenden psychischen Vorg\u00e4nge verweisen und auf die Gr\u00fcnde, die mich bestimmt haben, dieselben strenge von den assoziativen Vorstellungsverbindungen zu sondern ; ich habe ja dabei ohnedies einen Assoziationsbegriff verwendet, der, wie gesagt, mit dem Wundts in seinem Hauptmerkmale \u00fcbereinstimmt. Dort habe ich gewisse VorstellungsVerbindungen auf Grund der Thatsache, dafs sie direkt von Willensakten abh\u00e4ngen, von den Assoziationen gesondert. Dafs die betreffenden Vorstellungen infolge des Willensaktes nur von der Aufmerksamkeit getroffen werden, aber schon vorher durch Assoziation aktuell gewesen sein sollen \u2014 oder nach Wundts Terminologie, durch jenen nur apperzipiert, durch diese vorher immer schon perzipiert seien \u2014 scheint mir eine willk\u00fcrliche Annahme, f\u00fcr die ein empirischer Beweis, so weit ich sehe, naturgem\u00e4fs nicht erbracht werden kann.* 1\nViel besser als mit Wundt vertr\u00e4gt sich die vorliegende Arbeit mit der neueren Assoziations-Psychologie.2 Diese Behauptung mag auf den ersten Blick seltsam genug erscheinen. Aber der kundige Leser wird ja bemerkt haben, dafs es mir um nichts weiter als um rein psychologische Behandlung gewisser Vorstellungsverbindungen zu thun i&t, denen die Beteiligung eines eigent\u00fcmlichen psychischen Thatbestandes,\neindr\u00fccke bestimmt ist, auf der Assoziation, d. h. auf der ununterbrochenen Verflechtung, in welcher alle Dispositionen einmal gehabter und unserem Bewufstsein noch verf\u00fcgbarer Vorstellungen mit einander stehen.\u201c\n1\t\u00c4hnlich \u00e4ufsert sich dar\u00fcber Meinong, Phantasievorst. . . . a. a. 0. S. 195 und auch sonst.\n2\tIch habe im Folgenden haupts\u00e4chlich Ziehens Leitfaden d. phys. Psych.,3 M\u00fcnsteebergs \u201e Willenshandlung\u201c und die Beitr\u00e4ge z. exp. Psych. H. 1\ndesselben Autors im Auge. Mich auf einzelne Stellen zu berufen, w\u00e4re \u00fcberfl\u00fcssig, da die genannten Werke von den Grundgedanken, die mich hier allein angehen, ohnedies von Anfang bis Ende durchzogen sind.","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nStephan Witaseb\neines Willensaktes, gegen\u00fcber anderen ein ganz charakteristisches Gepr\u00e4ge verleiht. Ebenso kann ich ja daran erinnern, dafs auch von den konsequentesten Vertretern der Assoziationspsychologie die Eigent\u00fcmlichkeit solcher Vorstellungsverbindungen anerkannt und die Berechtigung einer rein psychologischen Beschreibung derselben zugegeben wird.1 In den Prinzipien also d\u00fcrfte sich ein Dissens zwischen ihnen und mir kaum erkennen lassen. Nur in der weiteren Durchf\u00fchrung derselben findet sich ein Punkt, an welchem ihre Ausf\u00fchrungen mit den meinigen im Gegensatz stehen.\nDie neuere Assoziationspsychologie ruht ganz auf psychophysiologischer Grundlage; hier findet sie ihre mafsgebenden Gesichtspunkte. Nur das nimmt sie in den Kreis ihrer Erkenntnisse auf, was sich nach den physikalisch-chemischen Gesetzen der Nerventh\u00e4tigkeit verst\u00e4ndlich machen l\u00e4fst; nur solche Hypothesen ben\u00fctzt sie zur Erkl\u00e4rung psychischer Thatbest\u00e4nde, die sich auf die Lehren der Hirnphysiologie aufbauen \u2014 und niemand wird dagegen prinzipiell etwas haltbares einwenden k\u00f6nnen. Auf solchem Boden erw\u00e4chst nun der durch Klarheit und Einfachheit ausgezeichnete Grundsatz : Unser Vorstellungsverlauf ist psychophysiologisch als Fortpflanzung der Erregung von Zelle zu Zelle verst\u00e4ndlich. Damit ist der psychophysiologische Assoziationsbegriff gewonnen. Unter ihn fallen nat\u00fcrlich alle Arten von Vorstellungsbewegung Und jetzt kommt der Punkt, an dem, wie ich glaube, die auf den so gewonnenen Begriff gegr\u00fcndete Psychologie einen Fehler aufweist. Sie l\u00e4fst n\u00e4mlich ihren Assoziationsbegriff nach seiner Bedeutung f\u00fcr das Psychische irrt\u00fcmlich mit dem schon der \u00e4lteren Forschung gel\u00e4ufigen psychologischen Assoziationsbegriff zusammenfallen, und meint daher, alle Vorstellungsverbindungen in diesen hineinzw\u00e4ngen zu m\u00fcssen. Da geschieht nun Gewaltsamkeit \u00fcber Gewaltsamkeit, und das willk\u00fcrliche Vorstellen kommt dabei schlecht weg. So heilst es z. B., der Wille sei gerade so ein Empfindungskomplex, wie irgend eine Empfindung, und dieser Empfindungskomplex k\u00f6nnte ja selbst eine physisch bedingte, passive Assoziation sein, deren Einflufs von dem Einflufs sonstiger Assoziationen nicht ver-\n1 Ygl. z. B. M\u00fcnsterbeeg, Beitr. I. S. 65 oder 107. Ebenso Ziehen. Leitf. S. 181 und an andern Orten.","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindimg.\n223\nschieden ist.1 Nat\u00fcrlich \u2014 wenn man alles dasjenige Empfindung oder Vorstellung nennen will, dem man physische Parallelvorg\u00e4nge zuschreiben darf. Aber da sich trotz alledem der Wille von dem, was man sonst gew\u00f6hnlich Vorstellung zu nennen pflegt, in seinem psychischen Aspekt deutlich genug unterscheidet \u2014 z, B. schon dadurch, dafs er auf irgend etwas gerichtet ist, was in diesem Sinne bei einer Vorstellung niemals der Pall sein kann \u2014 so mufs man doch konsequentermafsen auch annehmen, dafs auch die den beiden zugeh\u00f6rigen physischen Parallelvorg\u00e4nge voneinander verschieden sind. Und das f\u00fchrt zur Forderung von Determinationen des vorl\u00e4ufig noch sehr unbestimmten, inhaltsarmen psychophysiologischen Assoziationsbegriffes ; eine Forderung, die zu befriedigen die heutige Hirnphysiologie der physiologischen Psychologie allerdings noch nicht die n\u00f6tigen Mittel an die Hand giebt, deren Befriedigung aber doch in das Programm dieser fallen mufs.\nEs ist unrichtig, dafs die Willensph\u00e4nomene, so wie sie sich der inneren Wahrnehmung darbieten, etwas Unbegreifliches, \u00fcber dem Getriebe der anderen psychischen Ereignisse Schwebendes, daher physiologisch Unfassbares seien, das in der Bahn der Erregungsfortpflanzung keine Repr\u00e4sentation haben k\u00f6nne. Es lehrt ja jede wissenschaftliche Psychologie, dafs die Willens\u00e4ufserungen genau so wie alles andere Naturgeschehen kausal determiniert seien. Man braucht also gar nicht zu f\u00fcrchten^ ein Imponderabile, ein unberechenbares Agens in die physikalisch-chemischen Prozesse der Hirnvorg\u00e4nge aufnehmen zu m\u00fcssen, wenn man, dem Prinzipe des psychophysischen Parallelismus folgend, auch f\u00fcr sie ein eigenes physisches Substrat in diesem Gebiete wirksam denkt. Nat\u00fcrlich m\u00fcfste man sich dann darauf gefafst machen, dafs dieses Substrat wenigstens teilweise anders geartet ist, als jenes, das wir den anderen,\n1 Yergl. M\u00fcnsterberg, Beitr. z. exper. Psgch. I. 67. u. a. anderen Orten. Hierher geh\u00f6rt auch der schon oft, so auch von Ziehen (Leitfaden S. 20, 182.) gemachte Versuch, den Willen auf Spannungsempfindungen in den Stirn-, Nacken- und Lippenmuskeln zur\u00fcckzuf\u00fchren, auf psych. That-\"best\u00e4nde also, die sich in der inneren Wahrnehmung sehr wohl vom Willensakt unterscheiden lassen und schon deshalb nicht mit ihm identisch sind, weil sie sehr wohl gegeben sein k\u00f6nnen, ohne dafs ein Willensakt vorliegt. Noch ungl\u00fccklicher scheint mir das Auskunftsmittel, die willk\u00fcrlichen Vorstellungsverbindungen dadurch zu erkl\u00e4ren, dafs man sie von der Ich-Vorstellung begleitet sein l\u00e4fst. (Ziehen, ebenda S. 184).","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nStephan Witasek.\nvon den Willensakten doch so auffallend verschiedenen psychischen Vorg\u00e4ngen zuschreiben,\u201c1\nDemnach scheint mir der Wert, den die rein psychologische Beschreibung und Analyse der psychischen That-sachen auch f\u00fcr deren psycho-physiologische Behandlung hat, darin zu liegen, dafs sie ihr bei der Aufstellung der Erkl\u00e4rungshypothesen und der Determination ihrer Begriffe, nat\u00fcrlich nur im Verein mit den Lehren der Physiologie, als Wegweiser dient. Mein einziger Dissens gegen\u00fcber unserer Assoziationspsychologie hat also nur darin seine Wurzel, dafs ich nicht sagen m\u00f6chte: \u201eDie Anspr\u00fcche der Psychophysik sind mafsge bender, als die der Psychologie\u201c, sondern lieber nur \u201eDie Thatsachen der Psychologie hat auch die Psychophysik unbedingt zu respektieren.2\nIch bilde mir nun keineswegs ein,:; mit den vorstehenden kurzen Bemerkungen an den behandelten Systemen eine ihrer Bedeutung auch nur halbwegs entsprechende Kritik ge\u00fcbt zu haben ; die skizzenhaften Andeutungen hatten vielmehr nur den Zweck, das Verst\u00e4ndnis meiner Arbeit durch Charakterisierung ihrer Stellung zu den sonst herrschenden Ansichten zu f\u00f6rdern. Und dazu d\u00fcrften sie ausreichen. Freilich ergiebt sich daraus, dafs ich nur auf wenig Zustimmung hoffen darf. Doch ich tr\u00f6ste mich damit, dafs ich gegen die Angriffe, die ich, falls mir \u00fcberhaupt Beachtung zu Teil wird, zu. erwarten habe, keineswegs verlassen und einsam dastehen werde. Von den vielen \u00e4lteren, die im Prinzipe wenigstens auf meine Seite treten w\u00fcrden, nenne ich nur Lotze3 und Fechneb,4 von j\u00fcngeren beispielsweise Stumpe,5 Meinong,6\n1\tleb. erinnere bier beispielsweise an Ostwalds Aufsatz \u201eChemische Theorie der Willensfreiheit\u201c (Ber. \u00fcber d. Verh. d. k. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. Math.-phys. Kl. Bd. 46. S. 334ff.) eine Arbeit, die mir wegen ihres Mangels an erkenntnistheoretischer und psychologischer Sch\u00e4rfe zwar im einzelnen verfehlt scheint, im ganzen aber doch einen Beweis daf\u00fcr liefert, dafs den oben ge\u00e4ufserten G-edanken Rechnung getragen werden kann.\n2\tM\u00fcnsterberg, Beitr. z. experim. Psychol. I. 41.\n3\tVergl. Med. Psychol. S. 472. Der Dissens, in dem ich mich ihm gegen\u00fcber bez\u00fcglich des Verh\u00e4ltnisses von Psychischem zu Physischem streng genommen befinde, ist heute wohl gegenstandslos.\n4\tVergl. z. B. Elem. d. Psychophys\u00ab II. S. 467.\n5\tTonpsychol. I. S. 279.\n6\tPhantasievorstellung und Phantasie. A. a. O. S. 195f.","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung.\n225\nLipps,1 H\u00f6eler,2 , Oelzelt-Newin3 und H\u00f6eeding.4 Mit solchen Gesinnungsgenossen zur Seite mag man jedem Angriff getrost entgegensehen.\n%\nZum Schl\u00fcsse dieser meiner ersten in die \u00d6ffentlichkeit tretenden Arbeit sei mir eine pers\u00f6nliche Bemerkung gestattet. Ich bin ein Sch\u00fcler Meinongs. W\u00e4re es mir nun schon schwer, all die Stellen zu bezeichnen, an denen die vorliegende Arbeit seinem direkten Eingreifen F\u00f6rderung verdankt, so ist es mir vollends unm\u00f6glich, in den Grundlagen und Voraussetzungen sein Eigentum von meinem getrennt ersichtlich zu machen; es ist so ganz mein geistiger Besitz geworden, dafs ich in den meisten F\u00e4llen aufser st\u00e4nde bin, die einzelnen Punkte herauszul\u00f6sen, an denen ich eigentlich das Ergebnis seiner und nicht meiner Arbeit bringe. Darum erkl\u00e4re ich ein- f\u00fcr allemal: ich bin sein Sch\u00fcler. Der Verstofs gegen das litter arische Herkommen, der im einzelnen dadurch begangen werden mag, wird, hoffe ich, reichlich aufgewogen durch die Gew\u00e4hr f\u00fcr Kontinuit\u00e4t der Forschung, die in einem solchen Verh\u00e4ltnisse des Sch\u00fclers zum Lehrer liegt.\n1\tGrundthatsachen. S. 45 ff. Warum ich im Gegens\u00e4tze zu ihm eines \u201eUnbewufsten am Willen\u201c entraten zu k\u00f6nnen glaube, ist aus dem Gedankengange meiner Arbeit ersichtlich.\n2\tDiese Zeitschr. Bd. VIII. S. 181.\n3\t\u00dcber Phantasievorstellungen. 1889. S. 38.\n4\tPsychologie in Umrissend S. 408 ff.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XII.\n15","page":225}],"identifier":"lit36203","issued":"1896","language":"de","pages":"185-225","startpages":"185","title":"\u00dcber willk\u00fcrliche Vorstellungsverbindung","type":"Journal Article","volume":"12"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:58:58.190205+00:00"}