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{"created":"2022-01-31T16:46:34.552542+00:00","id":"lit36223","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stern, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 18: 253-255","fulltext":[{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturberich ,\n253\n4, Gsorge m. Stratton. YIiIob vtthoit latersitB if the Retinal laufe.\nEbenda IV, 4, S. 341\u2014360 n. IV, 5, 8. 468-481. (Juli u. Sept. 1897.)\n\u2022f). Edmond G\u00fcblot. La vIslOB irelte. Revue ph\u00fcos. 44, 11, S. 476\u2014493. (Nov.\n1897.)\nDie Frage, wie es komme, dafs wir die auf der Netzhaut sieh verkehrt abbildemden Gegenst\u00e4nde \u201eaufrecht11 sehen, ist alt genug; und m \u00abiitiren zahlreiche Erkl\u00e4rungsversuche, die aber s\u00e4mmtlich wenig befriedigen. Durch ein. h\u00f6chst sinnvoll erdachtes und mit Heroismus durchgef\u00fchrtes Experiment ist es nun Stratton gelungen, die Angelegenheit In eine v\u00f6llig neue Beleuchtung zu r\u00fccken und der L\u00f6sung um ein gewaltiges St\u00fcck n\u00e4her zu bringen. Nr. 1 schildert kurz eine vorl\u00e4ufige Experimentalreihe, \u00fcber welche Stratton auch auf dem Psychologencongrefs zu M\u00fcnchen Vortrag gehalten hatte (S. Congrefsbericht S. 193). Nr. 8 bringt eine polemisch\u00a9 Ausf\u00fchrung Btolop\u2019s, Nr. 3 die Antwort Stratton\u2019s darauf. Nr. 4 enth\u00e4lt die sehr ausf\u00fchrliche Schilderung einer neuen umfangreicheren Versuchsreihe, Nr. \u00a7 einen \u00fcber die verschiedenen Theorieen recht gut orientirenden Artikel GoBLoris, der im Wesentlichen eine mit Stratton \u00fcbereinstimmende Anschauung vertritt.\nDie Frage lautete bisher im Allgemeinen so: Wieso 1st die verkehrte Stellung der Netzhautbilder nothwendige Vorbedingung des Aufrechtsehens ? Die Antwort suchte man auf doppelt\u00a9 Weise zu geben: erstens durch die \u201eProjectionstheorie\u201c, nach der die Bilder in die Aufsenwelt zur\u00fcckgeworfen werden in der Richtung der Lichtstrahlen, zweitens durch di\u00a9 \u201eAugen-b\u00a9 wegumgstheori e\u201c, nach welcher z. B, \u201eOben\" im Gesichtsfeld bestimmt wird durch das, was. bei Abw\u00e4rtsbewegung der Augen, ins Gesichtsfeld tritt; dies geschieht aber am. unteren Rande der Netzhaut.\nStratton aber formu\u00fcrt di\u00a9 Frage anders: \u201eIst \u00fcberhaupt die verkehrte Stellung der Netzhautbilder nothwendige Vorbedingung des Auf rechtsehems?\u201c und vermag sie auf Grund seiner Versuche mit einem runden Nein zu beantworten. Das Experiment bestand darin, dafs 8m, tagelang bei verdecktem linken Auge das rechte mit einer Linsen-combination versah, welche die Bilder umkehrte, sodafs also auf der Netzhaut die Bilder nicht, wie normal, auf dem Kopf, sondern aufrecht standen. Der Apparat wurde den ganzen Tag \u00fcber getragen, nur w\u00e4hrend des Schlafes abgelegt, Di\u00a9 Dauer des Versuchs betrug das erste Mal (Nr. 1.) drei Tage, das zweite Mal (Nr. 4.) gar acht Tage. W\u00e4hrend dieser Zeit hatte Str. als einziges optisches Datum ein Weltbild, welches gegen das normale um volle 180\u00ae gedreht war.\nHochinteressant sind nun die sorgf\u00e4ltigen Selbstbeobachtungen, die namentlich heim zweiten Versuch in ausf\u00fchrlichen. Tagesprotokollen wieder gegeben werden, und deren Originalleet\u00fcre durch ein Referat auch nicht ann\u00e4hernd ersetzt werden kann. Di\u00a9 ersten Tage erschien die ganz\u00a9 sichtbare Seemeile durchaus kopfstehend, nicht als reales Ding, sondern wie ein Phantasma, in unl\u00f6slichem Widerspruch zu der optischen Vorstellung der wirklichen Welt und zu den Eindr\u00fccken des Tastsinns. Alles Gesehene umfste erst um gedeutet, im Geiste umgedreht werden, um verst\u00e4ndlich zu werden; vieles wurde \u00fcberhaupt nicht wiedererkannt. Das actuelle Ge\u00ab Bichtsfeld in analoger Weise \u00fcber seine Grenzen hinaus erweitert zu","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"264\nLi fera imrberich t\ndenken (wie es im normalen Sehen stete der Fall ist) war unm\u00f6glich. Die Bewegungen waren fast ganz deeorientirt ; um etwa\u00ab' za erreichen, einem Hlndemifa zu entgehen u. s. w, wurde meist di\u00a9 entgegengesetzt\u00a9 Bewegung gemacht, die dann erst mit grofser M\u00fche sich corrigiren lieb. Bei kleinen Bewegungen des Kopfes schien das ganze Gesichtsfeld in schwingen. Die sichtbaren Theile des K\u00f6rpers wurden gleichsam doppelt localisirt, arf Grund der Lage- und Bewegangsempfind ungen in der alten Lag\u00a9, \u00bbif Grund des optischen Eindrucks in der umgedrehten. Aehnlch ging m mit Ger\u00e4uscheindr\u00fccken, die von sichtbaren Gegenst\u00e4nden herr\u00fchrten. Auch ein\u00a9 Herabsetzung des Allgemeinbefindens und UebHgkeit etefite sich, in der ersten Zeit ein.\nDieser Totaleindruck \u00c4ndert sich nun aber mit \u00fcberraschimder Schnelligkeit. Das Gesichtsfeld verliert von Tag zu Tag seinen visionlren Charakter mehr und mehr und erscheint Immer realer* die Vewnchspenom beginnt sich in der neuen Ordnung der Dinge heimisch zu f\u00fchlen. Freilich stellen sich Erinnerungsbilder in der normalen d. h. vorexperimentellen Form noch h\u00e4ufig ein ; aber sie treten, je weiter der Versuch fortschreitet, immer mehr zur\u00fcck, und vor allem verlieren sie mit der Zeit immer mehr den Charakter eines Canons, auf den die neuen Eindr\u00fccke erst bezogea werden m\u00fcssen, um begreiflich und real zu erscheinen. Allm\u00e4hlich gelingt m das neue Gesichtsfeld nach aufsen hin entsprechend za erg\u00e4nzen, ungesehene Object\u00a9 correct zu localisiren, und solch\u00a9 di\u00a9 im Begriff sind, in das Gesichtsfeld einzutreten, richtig zu anticipiren. Die Zuordnung der Bewegungen zu den Gesichtseindr\u00fccken wird leichter und zum Theil bei h\u00e4ufiger ge\u00fcbten Motionen mechanisch; schliefslich treten h\u00f6chstens noch Verfehlungen in der Intensit\u00e4t der n\u00f6thigen Bewegung ein. Bemerkeni-werth ist besonders zweierlei. Erstens: diejenigen Objecte, die niemals Gegenstand director optischer Wahrnehmung sein k\u00f6nnen, n\u00e4mlich der eigene Kopf und Hals, widerstanden am. z\u00e4hesten der Einreihung in di\u00a9 neue Ordnung (hier w\u00fcrde wahrscheinlich Betrachtung im Spiegel, die 8\u00bb' wie es scheint, nicht versucht hat, f\u00f6rderlich gewesen sein. Bef.}. Und zweitens: die Anpassung an die neue Constellation war dann am vollkommensten, ja zuweilen eine durchaus restlose, wenn die Versuchsperson sich in einer starken, sie absorbirenden, activen Tbltigkeit befand ; w\u00e4hrend im Zustand der Ruhe und Reflexion der Widerstreit zwischen der alten und neuen Welt-\u201eAnschaaung\u201c (wie man hier im eigentlichsten Sinne des Worte\u00ab sagen kann) nie ganz aufgehoben war. Doch hatte schliefslich an den letzten, Tagen die neue Ordnung durchaus die Oberhand; die Dinge erschienen in ihr aufrecht und wirklich.\nHtr. sucht nun diese Befunde durch ein\u00a9 Theorie der complexen Localzeichen zu erkl\u00e4ren. Das System der optischen Localzeichen und das der tactilen stehen in einer festen Corresponde\u00ab z, was nichts anderes heilst, als\ndaft gewisse optische und tactile Eindr\u00fccke auf dieselben Objecte beiopn werden. Diese Zuordnung bestimmter Gesichtseindr\u00fccke zu bestimmten Eindr\u00fccken des Tast- und Muskelsinnes ist aber eine empirische und daher durch ein\u00a9 neue Erfahrung (wie sie in dem Versuch Stbattom\u2019s realisirt war) aufhebbar und umstellbar. Die verkehrte Lage des Xetzhautbildes ist nicht noth-","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht\n256\nwendig, nia die Harmonie zwischen. Gesicht und Getost (und weiter bedeutet \u201eAufrechtsehen\u201c nichts) herzusteilen. \u2014 (Das Wesentliche dieser - Theorie ist wohl auch ftr denjenigen acc\u00e7ptabel, der sich zum r\u00e4umlichen Nativismus bekennt. Empirisch ist ja lediglich, wie obiger Versuch beweist und die Theorie es verlangt, die Zuordnung der Baamesdaten verschiedener Sinne ; damit ist nat\u00fcrlich nichts Uber die Urspr\u00fcnglichkeit der Raumanschauung innerhalb jedes einzelnen Sinnes pr\u00e4judicirt. Bef,). \u2014\nHysjlop (Hr. 2.), der nur den ersten Artikel Stratton's kannte, h\u00e4lt die form der Problemstellung f\u00fcr falsch* Die Art, wie wir Eindr\u00fccke des Tsst- und Muskelsinns mit denen des Gesichts verkn\u00fcpfen, habe nichts *1 thun mit der .Frage, wie es komme, ciafis unsere Netzhau tbllder die umgekehrte1 Lage haben, wie die Objecte, di\u00a9 sie abspiegeln. Hierf\u00fcr stellt er \u00a9ine\u2022Art Pro jectionstheori\u00a9 auf: \u201eDas Gesetz der visuellen Richtung oder Beziehung besteht darin, dafs sie in einer Linie sich vollzieht, die senkrecht in der Oberfl\u00e4che Ist, auf welche das Licht f\u00e4llt.\u201c Auf Grund dieses Gesetzes, 'das mutet\u00bb mutandis auch f\u00fcr den Tastsinn gilt, ist die Inversion, des Hetihaufcbildes die selbstverst\u00e4ndliche Folge der Kr\u00fcmmung der Netzhaut. \u2014 Stratton's Erwiderung (Er, 3.) lautet ganz im, Sinn der oben, erw\u00e4hnten Theorie.\nGoblot (Nr. 5.) betrachtet der Reihe nach die bisherigen Theorieen \u00fcber das Aufrechtsteheil : di\u00a9 Projectionstheorie, die Augenbewegungstheorie und die von La Cat auf gestellte Theorie der Erziehung des Sehens. (Urspr\u00fcnglich sehen wir die Objecte so, wie sie sich auf der Netzhaut ab* bilden; erst durch die Corrector der anderen Sinne werden wir veranlagst, das Bild umzukehren.) Besondere gut sind seine Ausf\u00fchrungen gegen die Projectionstheorie, die noch Immer die \u00fcberw\u00e4ltigende Majorit\u00e4t der physiologischen Lehrb\u00fccher beherrscht. Nach, ihr m\u00fcfsten wir urspr\u00fcnglich von, der Lage des Bildes auf der Netzhaut etwas wissen, was nicht der fall ist; und es m\u00fcfste von der Netzhaut einen psychischen Richtumgs-rtrahl nach draufsen geben, der sich mit dem physischen Lichtstrahl deckt \u2014 was ebenfalls nicht zutrifft. Im Grunde ist die Projectionstheorie eine nicht einmal einwandsfreie Veranschaulichung des Thatbestandes, aber nichts weniger, als eine Erkl\u00e4rung. \u2014 Goblot f\u00fchrt seine eigene, der SfjATToifschen sehr \u00e4hnliche Theorie zur\u00fcck auf Berkeley, Jon. M\u00fcller, Volkmann, Helmholtz, Di\u00a9 Erziehung der Sinne \u00e4ndert nicht den a priori feststehenden. Sinn der Netzhautbilder, sondern giebt ihnen erst einen Sinn. G. macht auf operirte Blindgeborene aufmerksam, die die neuen Geaichteeindrtcke gegen\u00fcber ihren alten Ta\u00abteindr\u00fccken weder umgekehrt noch aufrecht sehen, vielmehr noch gar keine Zuordnung zwischen ihnen hergestellt haben. Auch darauf weist G. hin, wie schnell beim Mikro-skopiren di\u00a9 Zuordnung der Bewegungen und Deutungen zu den umgekehrten Gesichtseindr\u00fccken sich einstellt; die Aehnlichkeit dieses Ph\u00e4nomens mit Stratton's Experiment ist augenf\u00e4llig. (Analog geht es \u00fcbrigens jedem Menschen vor dem Spiegel, wo ja auch rechts und links, vorn und hinten ihren Sinn verkehren.)\tW. Stirn (Breslau).","page":255}],"identifier":"lit36223","issued":"1898","language":"de","pages":"253-255","startpages":"253","title":"1. George M. Stratton: Some Preliminary Experiments on Vision without Inversion of the Retinal Image. Psychol. Review III, 6, S. 611-617. Nov. 1896 / 2. James H. Hyslop: Upright Vision. Ebenda IV, 2, S. 142-163. M\u00e4rz 1897 / 3. George M. Stratton: Upright Vision and the Retinal Image. Ebenda IV, 2, S. 182-187. M\u00e4rz 1897 / 4. George M. Stratton: Vision without Inversion of the Retinal Image. Ebenda IV, 4, S. 341-360 u. IV, 5, S. 463-481. Juli u. Sept. 1897 / 5. Edmond Goblot: La vision droite. Revue philos. 44, 11, S. 476-493. Nov. 1897","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:46:34.552548+00:00"}