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{"created":"2022-01-31T16:38:02.676234+00:00","id":"lit36683","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 1: Handbuch der Physiologie der Bewegungsapparate","contributors":[{"name":"Gr\u00fctzner, P.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 1: Handbuch der Physiologie der Bewegungsapparate, edited by Ludimar Hermann, 1-236. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"PHYSIOLOGIE\nDER\nSTIMME UND SPRACHE\nDr. P. GrE\u00dcTZNE\u00df in Breslau.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\n1","page":1},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"EINLEITUNG.\nEin Vorrecht der h\u00f6her organisirten Gesch\u00f6pfe gegen\u00fcber vielen niederen ist die F\u00e4higkeit sich zu bewegen, sei es dass ihr ganzer K\u00f6rper seinen Ort wechselt, sei es dass nur gewisse Theile desselben willk\u00fcrliche oder unwillk\u00fcrliche Bewegungen vollziehen. Diese Bewegungsf\u00e4higkeit, die nach der Ansicht fr\u00fcherer Forscher ein sicheres Unterscheidungsmerkmal zwischen Thier und Pflanze bildete, setzt jene Gesch\u00f6pfe unter gleichzeitiger Benutzung ihrer Sinnes- und Gei-stesth\u00e4tigkeiten vorzugsweise in den Stand, \u00fcber sich und die Aussen-welt Vorstellungen zu gewinnen; denn gerade die F\u00e4higkeit, sich vor etwas zu stellen und etwas vor sich hinzustellen, ist einer der ersten Schritte f\u00fcr das Verst\u00e4ndniss seiner selbst und seiner Umgebung.\nAber es ist f\u00fcr die h\u00f6heren Gesch\u00f6pfe nicht bloss die augenf\u00e4llige, sichtbare Bewegung ihres K\u00f6rpers oder gewisser Theile desselben, die es mit der Aussenwelt und Gesch\u00f6pfen gleicher Art verbindet, es ist auch eine unsichtbare Bewegung, die von ihnen ausgeht, von anderen aufgefasst wird, und gleichartige wie ungleichartige mit einem festen Bande umschliesst. Jenes Band ist die Bewegung der atmosph\u00e4rischen Luft, die, auch wenn die Gesch\u00f6pfe ihren Ort nicht wechseln und weit von einander entfernt sind, doch eine innige Vereinigung zwischen ihnen vermittelt.\nEs ist bekannt, dass, wenn die uns umgebende Luft in bestimmter Weise ersch\u00fcttert wird, ein nerv\u00f6ser Endapparat unseres K\u00f6rpers, das Ohr, jene Ersch\u00fctterungen als Ger\u00e4usch oder Klang wahrnimmt. Kl\u00e4nge und Ger\u00e4usche zu erzeugen, dieselben wahrzunehmen und immer mit bestimmten Vorstellungen verkn\u00fcpfen zu k\u00f6nnen, darin beruht jenes Band, welches uns sowohl wie auch h\u00f6here Thiere unter einander vereint und mit dem Worte \u201eSprache\u201c bezeichnet werden kann.\nDie Sprache ist also zun\u00e4chst ein akustisches Ph\u00e4nomen; ihre Bausteine sind Kl\u00e4nge und Ger\u00e4usche. Die Bedingungen, unter\nl*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nGe\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. Einleitung.\nwelchen sie von uns oder h\u00f6heren Lebewesen hervorgebracht werden, beruhen selbstverst\u00e4ndlich auf besonderen anatomischen Vorrichtungen, deren sich jene Gesch\u00f6pfe erfreuen. Diese Vorrichtungen zu untersuchen und die Gesetze zu erforschen, auf Grund deren sie in Th\u00e4tig-keit gerathen und zum Entstehen von Kl\u00e4ngen und Ger\u00e4uschen Veranlassung geben, ist der Inhalt vorliegender Abhandlung. Die rein geistigen Vorg\u00e4nge, welche einerseits zur Bildung, andrerseits zum Verst\u00e4ndniss der erzeugten Klangbilder unbedingt noth wendig sind, werden, da sie sich eng an die Physiologie der Centralorgane an-schliessen, von uns nicht behandelt.\nIndem uns unser Weg naturgem\u00e4ss vom Einfachen zum Zusammengesetzten f\u00fchrt, wenden wir uns zun\u00e4chst zur Stimme und untersuchen die Bedingungen, unter welchen entweder Stimmkl\u00e4nge oder solche Kl\u00e4nge, die der menschlichen Stimme \u00e4hnlich sind, erzeugt werden. Da es nun \u00fcber allen Zweifel feststeht, dass bei den Menschen die Erzeugung der Stimme im Kehlkopf vor sich geht, und da es eben so sicher ist, dass die durch jenen Apparat hindurchstreichende Luft das T\u00f6nen veranlasst, handeln wir in erster Linie von denjenigen physikalischen Apparaten, bei denen ebenfalls prim\u00e4r durch Bewegung und Verdichtung der Luft Kl\u00e4nge gebildet werden, von den \u201ePfeifen\".","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"DIE PHYSIOLOGIE DER STIMME.\nERSTES CAPITEL.\nDie Zungenpfeifen.\nObwohl lange Zeit von bedeutenden M\u00e4nnern die Ansicht ver-theidigt wurde, dass die menschliche Stimme durch prim\u00e4re Ersch\u00fctterungen der Luft etwa wie in einer Fl\u00f6te oder Lippenpfeife entstehe, ist doch heut zu Tage auf Grund der Kenntnisse, die wir aus der directen Beobachtung des t\u00f6nenden Kehlkopfes gewonnen haben, Jedermann von der Irrigkeit jener Ansicht \u00fcberzeugt. Es geh\u00f6rt demzufolge die Betrachtung der Fl\u00f6tenpfeifen, die sonst in keiner Physiologie der Stimme und Sprache fehlte, unseres Erachtens nicht hierher. Wir wenden uns vielmehr sofort zu den Zungenpfeifen.\nEine Zunge im akustischen Sinne des Wortes ist eine elastische Platte, welche durch ihre Schwingungen einen continuirlichen Luftstrom periodisch unterbricht und je nach der H\u00e4ufigkeit dieser Unterbrechungen einen h\u00f6hern oder tiefem Ton erzeugt. Gew\u00f6hnlich befinden sich die Zungen in ihren Rahmen in Verbindung mit passenden Wind- und Ansatzr\u00f6hren (Zungenpfeifen), nicht selten sind sie aber auch, wie bei der Mundharmonika, dem Harmonium etc., nur zwischen Rahmen befestigt und werden direct angeblasen.\nJe nachdem die Zunge durch den Rahmen frei hindurchschwingt oder auf denselben aufschl\u00e4gt, unterscheiden wir durchschlagende oder aufschlagende Zungen.\nBeiderlei Zungen k\u00f6nnen nun aber verschieden gestellt sein und der Luft entweder den Durchtritt gestatten, wenn sie in derselben Richtung schwingen, wie die Luft sich bewegt, oder wenn sie, gegen den Luftstrom schwingend, die Communication zwischen Windrohr und umgebender Luft (beziehungsweise Ansatzrohr) herstellen. Folgende schematische Zeichnungen demonstriren diese Unterschiede.","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nEs sei zz, (Fig. 1) eine elastische Platte, die von dem Windrohr W lier angeblasen wird und sich in das Ansatzrohr A hinein bewegen kann, also eine durchschlagende Zunge. Die Communication zwischen Wind- oder Ansatzrohr wird offenbar von ihr immer dann hergestellt, wenn sie gegen \u25a0die Windrichtung nach oben schwingend die Stellung z o angenommen hat.\nIn jeder andern Lage, wie in zz, oder zu ist die Communication ganz oder fast ganz gesperrt. Die Zunge zz, (Fig. 1) ist eine einschlagende.\nAndrerseits kann das Gegenlager so gegen den freien Rand der Zunge verschoben sein, wie in Fig. 2. Wird hier zz,\nw Y\t\tw Y\nI\t\tI\n0\tz\t0 \t\n*~\t----\t\u00a3 /\u00dfgfa XV A\t\t\u2014z-izm TI A\nFig. 1. EinseMagen.de Zunge ( dur chs eMagend).\nFig. 2. AusseMagende Zunge ( dur cEs eMagend).\nW\n21\nW\nwieder von oben her angeblasen, so \u00f6ffnet sie das Windrohr, wenn sie mit der Windrichtung schwingend die Stellung zu angenommen hat. In ihrer Mittellage jedoch und in der Lage z o ist Wind- und Ansatzrohr von einander abgesperrt. Eine derartige durchschlagende Zunge ist eine ausschlagende.\nSchliesslich k\u00f6nnen wir uns das Gegenlager oder die Zunge vergr\u00f6ssert denken wie in Fig. 3 und 4. Unter diesen Umst\u00e4nden schwingt die Zunge nicht mehr frei durch den Rahmen hindurch, sondern schl\u00e4gt auf ihn auf. Wiederum aber kann sie auch als aufschla-gende Zunge gegen den Wind-und Ansatzrohr mit einander in Communication \u2014 wie gew\u00f6hnlich \u2014 gegen den Wind (s. Fig. 3) oder\nA\nFig. 3. EinscMagende Zunge (aufs eMagend).\nA\n. 4. AusseMagende Zunge (aufscMagend).\nschwingend Wind-\nstrom\nsetzen, wenn sie \u2014 was seltener \u2014 mit demselben (s. Fig. 4) sich bewegt.\nI. Die Kl\u00e4nge frei schwingender, nicht durch den Luftdruck\nbewegter Zungen.\n1) Indem wir jetzt des Genaueren auf die Vorg\u00e4nge eingehen, welche an Zungenpfeifen beobachtet werden, betrachten wir zun\u00e4chst die Schwingungsgesetze isolirter metallener Zungen, welche nicht durch den Luftstrom, sondern durch andere mechanische Mittel (Zupfen, Streichen mit dem Violinbogen) aus ihrer Gleichgewichtslage getrieben werden und um dieselbe hin- und herschwingen.\nSpannt man, wie dies W. Weber gethan hat, eine Zunge, das ist eine elastische, schmale Messingplatte in einen Schraubstock fest und bringt sie durch Verbiegen aus ihrer Gleichgewichtslage, so os-cillirt sie, losgelassen, nach Art elastischer St\u00e4be und giebt einen schwachen, aber deutlichen Ton von bestimmter H\u00f6he.","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge frei schwingender Zungen.\n7\nDie Sckwingungszahl (n) dieses Tones ist abh\u00e4ngig von der Reihe folgender Factoren ; sie ist zun\u00e4chst proportional der Dicke (e), so dass also dickere Zungen einen h\u00f6heren Ton geben, als d\u00fcnnere, 2) umgekehrt proportional dem Quadrat der L\u00e4nge (/), daher denn auch sonst gleichartige Zungen im Vergleich zu Saiten, deren Schwingungszahl bei gleicher Spannung im umgekehrten Verh\u00e4ltniss der L\u00e4ngen steht, nur geringe Verschiedenheit in ihrer L\u00e4nge zu haben brauchen, um doch betr\u00e4chtlich verschiedene T\u00f6ne zu geben. Die Schwingungszahl ist 3) direct proportional der Quadratwurzel aus dem Elasticit\u00e4tsmodulus (K) und 4) umgekehrt proportional der Quadratwurzel aus dem specifischen Gewicht der Substanz (cp).\nDie Formel lautet hiernach ____________\nin welcher C eine Constante und g die beschleunigende Kraft der Schwere bezeichnet.1\n2) Die T\u00f6ne frei schwingender membran\u00f6ser Zungen, welche durch Spannung elastisch sind, bieten folgende Besonderheiten dar. Spannt man beispielsweise einen etwa 5 mm. breiten Riemen von Kautschuk quer \u00fcber einen Rahmen und entlockt ihm durch Zupfen T\u00f6ne, so sind dieselben bekanntlich sehr verg\u00e4nglicher Natur, ziemlich schwach und folgen betreffs ihrer H\u00f6he vollkommen den Gesetzen gespannter Saiten. Ihre Schwingungszahlen stehen im umgekehrten Verh\u00e4ltniss zu ihrer L\u00e4nge und im geraden zu den Quadratwurzeln aus den Spannungen.\nLiegt hingegen die elastische Membran, die wir uns rechtwinklig denken, mit ihren beiden kurzen und einer langen Seite auf einem Rahmen und ist die andere lange Seite frei, so sind die Erscheinungen schon bei Weitem complicirter. Joh. M\u00fcller giebt an, dass auch dergleichen Membranen den Gesetzen schwingender Saiten folgen, so dass, wenn beispielsweise ihr schwingender Rand durch einen quer gelegten Faden in zwei gleiche schwingende Abschnitte getheilt wird, die Octave ert\u00f6nt. Indess diese Behauptung gilt nur innerhalb enger Grenzen. Da hierbei von der allergr\u00f6ssten Wichtigkeit ist, wie weit sich die Schwingungen der Membran von dem freien Rande aus auf die Membran selbst erstrecken, und da mit der L\u00e4nge zugleich auch die Breite des schwingenden Randes abzunehmen pflegt, so erklingen gew\u00f6hnlich h\u00f6here T\u00f6ne, als unter gleichen Umst\u00e4nden bei Saiten oder l\u00e4ngsgespannten schmalen Bl\u00e4ttern.\n1 Joh. M\u00fchler. Lehrbuch der Physik und Meteorologie I. S. 425. Braunschweig\n1868.","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nUeber dergleichen Membranen hat k\u00fcrzlich Carl M\u00fcller 1 sorgf\u00e4ltige Untersuchungen angestellt und dabei in folgender Weise operirt.\nAls Membranen verwendete er Pergamentpapier, welches angefeuchtet auf rechteckige, rhombische oder runde Rahmen von Holz mit warmem Leim geklebt wurde. Beim Trocknen stellte sich die n\u00f6thige Spannung und Elasticit\u00e4t ein und die Membranen waren hierdurch bef\u00e4higt, durch verschiedene Mittel zum T\u00f6nen gebracht zu werden. Diese allseitig und gleichm\u00e4ssig gespannten Membranen wurden nun mit einem scharfen Messer in ihrer Mitte durchschnitten, so dass sie hierdurch in je zwei H\u00e4lften zerfielen, welche entweder die Gestalt von Quadraten, Dreiecken oder Halbkreisen hatten. Um die Art der Schwingung gut beobachten zu k\u00f6nnen, wurden sie bei dem Experiment mit gef\u00e4rbtem Quarzsand bestreut und vermittelst verschiedener Methoden zum T\u00f6nen gebracht, zun\u00e4chst vermittelst der Resonanz. M\u00fcller blies in ihrer N\u00e4he eine gedeckte Orgelpfeife an, deren Ton durch einen Stempel beliebig ver\u00e4ndert werden konnte, oder er versetzte sie direct in Oscillationen vermittelst eines sogenannten \u201e Streichst\u00e4bchens das ist eines kleinen, d\u00fcnnen, auf die Membran aufgeklebten Glasst\u00e4bchens, welches mit den Fingern gerieben wird.\nHierbei zeigte sich, dass bei ein und derselben Membran die Tonh\u00f6hen wuchsen wie die Quadratwurzeln der Spannungen und dass verschieden hohe T\u00f6ne bei gleicher Spannung der Membran immer durch Schwingungen aliquoter Th eile derselben (Knotenlinien) erzeugt wurden.\nAusserdem wissen wir, dass die Tonh\u00f6he abh\u00e4ngt von dem Material, der L\u00e4nge, Dicke und Breite der Membran, ohne dass jedoch meines Wissens bestimmte Beziehungen zwischen diesen Gr\u00f6ssen gefunden w\u00e4ren. Denn s\u00e4mmtliche Formeln, welche \u00fcber Membranschwingungen handeln, beziehen sich auf allseitig gespannte, oder wenigstens nicht auf Membranen mit einem frei schwingenden Rande.\nII. Die Kl\u00e4nge an ge bl as euer, frei schwingender Zungen.\n1) Joh. M\u00fcller'1 2 isolirte die l\u00e4ngste Zunge einer Mundharmonika von ihrem Rahmen und blies mittelst eines feinen R\u00f6hrchens, welches in der Ebene der Zunge gehalten wurde, senkrecht auf ihren freien vorderen Rand. Auf diese Weise gelang es ihm einigemale, eine t\u00f6nende Schwingung des Bl\u00e4ttchens hervorzurufen. Der Ton war aber bei weitem schw\u00e4cher, als wenn die Luft zwischen den R\u00e4ndern der Zunge und ihrem Rahmen hindurchtreten musste.\nWie die gleichm\u00e4ssig bewegte Luft jene periodische Ersch\u00fctterung des Pl\u00e4ttchens erzeugt, ist leicht zu begreifen und ebenfalls von\n1\tC. M\u00fcller, Unters, \u00fcber einseitig frei schwingende Membranen. Cassel 1877.\n2\tJoh. M\u00fcller, Handbuch der Physiologie des Menschen S. 144. Coblenz 1840.","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge angeblasener Zungen.\n9\nihm in \u00fcberzeugender Weise auseinander gesetzt. \u201eDer Strom der comprimirten Luft gegen den Rand der freien Zunge treibt diese vor sich hin, die Zunge entfernt sieh verm\u00f6ge des Gesetzes der Tr\u00e4gheit von dem stossenden Strom, gelangt aus der Direction des Stroms heraus und geht so weit, bis die mit der Dehnung der Zunge wachsende Elasticit\u00e4t derselben ihrer Geschwindigkeit das Gleichgewicht h\u00e4lt. Sie geht nun verm\u00f6ge der Elasticit\u00e4t und zwar, da diese fortdauernd wirkt, mit beschleunigter Geschwindigkeit zur\u00fcck, bis sie wieder in den Strom kommt, welcher sie abtreibt.\u201c\nEs fragt sich, was bei dieser Art der Tonerregung das wesentlich T\u00f6nende ist. Nach Joh. M\u00fcller ist es lediglich die Zunge, welche ungef\u00e4hr so t\u00f6nt wie eine Saite, die mit einem geharzten Bogen gestrichen wird. Indess unterliegt es keinem Zweifel, dass bei der Erzeugung des Tones sich sowohl die Schwingungen der Zunge f\u00fcr sich, als auch die durch ihre Schwingungen erzeugten Luftst\u00f6sse combiniren. Denn Joh. M\u00fcller liess ganz und gar ausser Acht, dass sich die Zunge in dem einen Moment hindernd gegen den Luftstrom stellt und ihn kurz darauf wieder frei aus dem R\u00f6hrchen heraustreten l\u00e4sst. Wenn sie auch nicht einen vollst\u00e4ndigen Verschluss des R\u00f6hrchens herbeif\u00fchrt und den Luftstrom nach Art einer im Rahmen schwingenden Zunge so gut wie vollst\u00e4ndig unterbricht, so macht sie ihn doch zu einem remittirenden, wenn auch nicht in-termittir enden.\nDie auf diese Weise erzeugten T\u00f6ne sind desshalb 1) schwach, 2) mit vielem Ger\u00e4usch begleitet und 3) arm an Obert\u00f6nen.\n2) Bei Weitem leichter als metallene Zungen sprechen mem-bran\u00f6se an, wenn man ihren freien Rand anbl\u00e4st. Joh. M\u00fcller, der diese Art, die Membranen zum T\u00f6nen zu bringen, zuerst erw\u00e4hnt und sogar f\u00fcr die Theorie der Zungenpfeifen auf das Ausgiebigste verwertet, verwendete Kautschukstreifen, die er quer \u00fcber einen h\u00f6lzernen Rahmen spannte und anblies. Die auf diese Weise erzeugten T\u00f6ne verhalten sich durchaus so wie die durch die Schwingungen von Saiten gebildeten.\nViel wichtiger aber sind f\u00fcr uns diejenigen Membranen, die nur an einer ihrer Langseiten frei sind und sonst \u00fcberall dem Rahmen anliegen.\nVon h\u00f6chstem Einfluss ist hierbei, nat\u00fcrlich abgesehen von den Momenten, die, wie oben angef\u00fchrt, die Tonh\u00f6he der Membran an und f\u00fcr sich beeinflussen, die Art und Weise, auf welche sie angeblasen wird. Eigent\u00fcmlicherweise hat man diesen Umstand, soweit mir wenigstens bekannt, bisher noch nicht ber\u00fccksichtigt. Nur Carl","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10 Gr\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nM\u00fcller fand bei seinen Membranen von Pergamentpapier die St\u00e4rke des Windes von bedeutender Wirkung auf die Tonh\u00f6he. Ein st\u00e4rkeres Anblasen vertiefte regelm\u00e4ssig den Ton der Membran, ohne dass dabei der aufgestreute Sand eine Aenderung der Klangfigur anzeigte. Das Anblasen geschah vermittelst einer breitschnabligen R\u00f6hre (die auch ich f\u00fcr sehr praktisch gefunden habe) unter stumpfem Winkel auf die Fl\u00e4che gegen die freie Kante der Membran. Ich muss bemerken, dass auch ich bei Kautschukmembranen in Folge st\u00e4rkeren Anblasens unter \u00e4hnlichen Bedingungen regelm\u00e4ssig tiefere T\u00f6ne erhielt und kann nach dieser Richtung hin die Angaben C. M\u00fcller\u2019s durchaus best\u00e4tigen.\nBei gleicher Windst\u00e4rke aber ist der Ton der Membran sehr leicht durch die Richtung des Windes zu modificiren. Man wird sich n\u00e4mlich bei dergleichen Versuchen sehr bald \u00fcberzeugen, dass es unter den verschiedenen Richtungen, unter welchen man auf den Rand der Membran blasen kann, zwei giebt, bei denen sie \u00fcberhaupt oder am leichtesten anspricht. Dies geschieht n\u00e4mlich, wenn die Windrichtung mit der Membran selbst einen stumpfen Winkel bildet, wie in Fig. 5a oder, wenn sie einen spitzen Winkel bildet, wie in\nFig. 5 b. Im ersten Fall, der bisher vorzugsweise oder ausschliesslich untersucht wurde, ist regelm\u00e4ssig der Ton tiefer als der Eigenton der Membran, im zweiten ist er regelm\u00e4ssig h\u00f6her. Folgender Versuch erl\u00e4utert diese Verh\u00e4ltnisse.\nEine halbkreisf\u00f6rmige d\u00fcnne Kautschukmembran auf einem passenden Messingrahmen aufgespannt, deren Durchmesser etwa 4. cm. mass, gab gezupft den Ton c', in stumpfem Winkel gegen ihre Mitte angeblasen h, in spitzem Winkel gegen ihre Mitte angeblasen in stumpfem Winkel seitlich von der Mitte, so dass sich ihr freier Rand in zwei schwingende Abtheilungen theilte, den Ton c\". Eine andere kleinere (3 cm. grossfe) halbkreisf\u00f6rmige, aus sehr gutem rothen Kautschuk, wie er zu kleinen Luftballons verwendet wird, gab gezupft br, im stumpfen Winkel gegen ihre Mitte angeblasen a', im spitzen Winkel gegen ihre Mitte angeblasen d\"j im stumpfen Winkel seitlich von der Mitte angeblasen b\".\nUeber die Entstehung des Tones kann kein Zweifel sein; es wird die continuirlich aus dem Rohr str\u00f6mende Luft durch die schwingende Membran in \u00e4hnlicher Weise unterbrochen, wie wir dies schon fr\u00fcher (s. S. 9) geschildert. Das T\u00f6nende ist also ebensowohl die schwingende Membran, wie der durch ihre Schwingungen in Ersch\u00fctterung versetzte, discontinuirliche Luftstrom. Die T\u00f6ne sind aber in Folge","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge angeblasener Zungen.\n11\nder gr\u00f6sseren schwingenden Massen lauter und wegen der gr\u00f6sseren Leichtigkeit, mit der die Membran dem Luftstrom aus weicht, unver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig viel leichter zu erzeugen als an Metallzungen. >\nDie Thatsache aber, dass die Membran regelm\u00e4ssig tiefer t\u00f6nt, wenn man sie unter stumpfem Winkel, als wenn man sie unter spitzem anbl\u00e4st, bedarf noch einer Er\u00f6rterung. Da die Winkel, unter welchen das Anblasen geschieht, sich ann\u00e4hernd zu zwei Rechten erg\u00e4nzen, so ist die das Band nach abw\u00e4rts treibende Componente in beiden F\u00e4llen in den ersten Momenten ihrer Wirkung gleich, n\u00e4mlich = ab, beziehungsweise = a\u00df. Sie erkl\u00e4rt also nicht die verschiedene Tonh\u00f6he, sondern vielmehr folgender Umstand. (S. Fig. 6.)\nFig. 6. A stumpfwinklig angeblasene Membran. B 'spitzwinklig angeblasene Membran.\nDie Membran A wird zun\u00e4chst von dem Luftdruck abw\u00e4rts getrieben, es bildet sich \u00fcber ihr verdichtete Luft, die erst dann nach abw\u00e4rts entweichen kann, sobald die Membran aufw\u00e4rts schwingend in Folge ihrer Elasticit\u00e4t die Stellung so angenommen hat. Jetzt verdichtet sich die frei in der Richtung des Pfeils entweichende Luft wieder unter ihr und die Membran hat auch ein St\u00fcck gegen verdichtete Luft abw\u00e4rts zu schwingen, ehe sie wieder vom Luftstrom erfasst und mit gr\u00f6sserer Geschwindigkeit, weil von ihrer eigenen Elasticit\u00e4t und vom Luftdruck bewegt, abw\u00e4rts getrieben wird.\nDie Membran B dagegen bewegt sich zun\u00e4chst vom Luftdruck getrieben abw\u00e4rts und l\u00e4sst den Luftstrom an sich vorbeistreichen, sobald sie in die Stellung s, u gekommen. Die Luft str\u00f6mt ab, verd\u00fcnnt sich nach momentaner Verdichtung \u00fcber der Membran und die Zunge schwingt gegen verd\u00fcnnte Luft, also mit vergr\u00f6sserter Geschwindigkeit aufw\u00e4rts. Hat sie die Lage % o eingenommen, so treibt sie ihre Elasticit\u00e4t und der inzwischen verdichtete Luftdruck nach abw\u00e4rts; letzterer beschleunigt also auch ihren Abschwung.\nDa die Membran A also zeitweise gegen verdichtete Luft zu schwingen hat, die B aber nicht, so ergiebt sich hieraus zun\u00e4chst die Thatsache, dass A stets tiefer klingt als B. Andrerseits erkl\u00e4rt sich das ganz verschiedene Verhalten der beiden Membranen, wenn man die St\u00e4rke des Anblasens \u00e4ndert. Die Membran A n\u00e4mlich, welche \u00fcberhaupt bei schw\u00e4cherem Luftdruck anspricht als B, giebt jedesmal einen tieferen Ton, wenn man sie innerhalb gewisser Grenzen st\u00e4rker anbl\u00e4st (wie dies auch C* M\u00fcller beobachtet), die Membran","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"I\n12 Gr\u00fctznek, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nB hingegen klingt regelm\u00e4ssig h\u00f6her bei st\u00e4rkerem Luftdruck. Sehr deutlich h\u00f6rt man dies beim Verklingen des Tones, wenn man mit dem Druck der Exspirationsluft nachl\u00e4sst; die Membran A zieht ihren Ton etwas in die H\u00f6he, die B dagegen herunter, beide etwa um einen halben Ton.\nDer Klang, den ferner caeteris paribus, die Membran A giebt, ist ein anderer als derjenige der spitzwinklig angeblasenen Membran B. Dieser ist matt und mit blasendem Nebenger\u00e4usch verbunden, jener klangvoll und frei von Ger\u00e4uschen, offenbar desshalb, weil im ersten Fall der continuirliche Luftstrom beinahe in einen intermitti-renden, im zweiten aber nur in einen remittirenden verwandelt wird.\nAuch der Ort, an welchem der Rand der Membran (stumpfwinklig) angeblasen wird, erweist sich insofern von Bedeutung auf die Tonh\u00f6he, da es sehr leicht gelingt, ihn in zwei, drei schwingende Abtheilungen zu zerlegen, je nachdem man das erste Viertel oder Sechstel sch\u00fcrf anbl\u00e4st. Die Schwingungszahlen der dann auftretenden \u201eFlageolett\u00f6ne\u201c, welche gut und rein klingen, folgen anderen Gesetzen als diejenigen, welche bei Saiten, die in alicpioten Theilen schwingen, beobachtet werden (s. S. 10).\nIII. Die Kl\u00e4nge der eigentlichen Zungenpfeifen, das ist der in einem Kalmen schwingenden, angeblasenen Zungen.\n1. Der festen, gr\u00f6sseren metallenen.\nSchrauben wir die S. 8 erw\u00e4hnte metallene Zunge in passender Stellung in einenRahmen und blasen sie mit dem n\u00f6thigen Luftdruck in der Richtung des Pfeiles (s. Fig. 7) an, so vernehmen wir einen\nFig. 7.\nKlang von derselben oder fast derselben H\u00f6he, den sie frei schwingend erzeugte, aber von viel bedeutenderer St\u00e4rke und Klangf\u00fclle.\nW\u00e4hrend n\u00e4mlich in den bis jetzt beschriebenen Versuchen die Unterbrechung des Luftstromes durch die Zunge sich nur an der Klangbildung betheiligte, ist sie jetzt bei Weitem die Hauptsache; denn jndem die Zunge in dem engen Rahmen schwingt, den sie","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der eigentlichen Zungenpfeifen.\n13\nnahezu ausf\u00fcllt, unterbricht sie den auf sie gerichteten Luftstrom eine gewisse Zeit lang fast vollst\u00e4ndig, um ihm dann wieder bei anderer Stellung den Durchtritt voll und ganz zu gestatten. Es wird sonach die Luft durch die in dem Rahmen schwingende Zunge \u00e4hnlich wie bei der Sirene periodisch ersch\u00fcttert und in dem schnell folgenden, j\u00e4hen Wechsel von Verdichtung und Verd\u00fcnnung der Luft liegt die Ursache der eigent\u00fcmlichen scharfen, schneidenden oder schnarrenden Klangfarbe jener Apparate.\nDie Kenntniss dieser Thatsachen verdanken wir zum grossen Theil den Grund legenden, classischen Untersuchungen W. Weber\u2019s1, welcher sich folgendermassen \u00fcber das Zustandekommen von T\u00f6nen bei Zungenpfeifen ausspricht. Der volle und starke Ton, welcher durch Zungenpfeifen hervorgebracht wird, ist weder, wie bei den Stimmgabeln, die unmittelbare Folge der oscillirenden Zunge, noch ist er, wie' bei den Labialpfeifen, die unmittelbare Folge der Schwingungen der Lufts\u00e4ule (wor\u00fcber viel gestritten worden ist), sondern dieser Ton ist die unmittelbare Wirkung eines Luftstroms, welcher durch den Rahmen der Zunge geht und dann ruckweise auf die \u00e4ussere Luft trifft und sie ersch\u00fcttert, indem ihm von der schwingenden Zunge, wie von einer Klappe, der Weg bei jeder Schwingung abwechselnd versperrt und ge\u00f6ffnet wird.\nDie Beweise f\u00fcr diese Annahmen findet Weber mit Recht in folgenden Thatsachen. Dass es zuerst nicht allein oder wesentlich die in den R\u00f6hren eingeschlossene Luft ist, welche man als Ans\u00e4tze zu den Zungenpfeifen gebraucht, geht einfach daraus hervor, dass auch die Zunge an und f\u00fcr sich ohne Ansatzrohr in ihrem Rahmen angeblasen werden kann und denselben Ton erzeugt wie mit einem Ansatzrohr. Der Ton hat namentlich dieselbe scharfe Klangfarbe, wenn auch nicht immer dieselbe H\u00f6he.\nZweitens wird der volle Ton auch nicht von der schwingenden Zunge allein hervorgebracht; denn dann h\u00e4tte man nicht n\u00f6thig gehabt, sie anzublasen. Auch auf andere Weise in ausreichende Ersch\u00fctterung versetzt, m\u00fcsste sie denselben Ton geben. Das ist nun aber durchaus nicht der Fall. Man kann sie durch Zupfen oder durch Streichen mit dem Violinbogen in die heftigsten Schwingungen versetzen, der so erzeugte Ton aber ist nur ganz nahe h\u00f6rbar und unvergleichlich viel schw\u00e4cher als der Ton des Instrumentes, wenn es geblasen wurde.\nEinen anderen, eleganten Beweis daf\u00fcr, dass bei einer in einem\n1 Ann. d. Physik XVI. S. 415. 1829.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14 Gr\u00fctznek. Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nRahmen angeblasenen Zunge nicht deren Schwingungen an und f\u00fcr sich, sondern die hierdurch erzeugten Luftst\u00f6sse die Ursache des Klanges sind, verdanken wir Helmholtz.1\nWenn ein t\u00f6nender K\u00f6rper genau nach dem Gesetz eines schwingenden Pendels sich bewegt, wenn also die Entfernung eines schwingenden Punktes von der Gleichgewichtslage immeV gleich ist dem Sinus eines der Zeit proportional wachsenden Bogens, so erzeugen derartige Schwingungen in uns die Empfindung eines einfachen Tones, der von keinen Obert\u00f6nen begleitet ist. Jede andere periodische Luftbewegung, die wir als Klang wahrnehmen, l\u00e4sst sich bekanntlich zerlegen in eine Summe einfacher, pendelartiger Schwingungen, deren Schwingungszahlen 1, 2* 3, 4. .. mal so gross sind als die urspr\u00fcngliche Schwingungszahl, und wird auch von unserem Ohr in derselben Weise zerlegt.\nHelmholtz stellte nun vermittelst des LissAjous\u2019schen Vibrations-mikroskopes fest, dass eine angeblasene Zunge pendelartig schwingt, dass sie also allein t\u00f6nend immer nur einen einfachen Ton, keinen aus einem Grundton und einer Reihe von Obert\u00f6nen zusammengesetzten Klang geben kann. Da nun andererseits die Kl\u00e4nge der Zungenpfeifen sich gerade durch die grosse Menge von Obert\u00f6nen auszeichnen, so liegt es auf der Hand, dass ihr Klang nicht direct oder gar allein, sondern nur indirect der Zunge verdankt und durch dis-continuirliche Luftst\u00f6sse, wie bei der Sirene, erzeugt wird.\nDiese HELMHOLTz\u2019schen Angaben darf man jedoch nicht \u2014 wie dies vielfach geschehen ist \u2014 verallgemeinern. So richtig es sicherlich sein mag, dass die von Helmholtz untersuchte Zunge pendel-artige Schwingungen ausf\u00fchrte, so wenig gilt diese Thatsache f\u00fcr alle Zungen. Vielmehr l\u00e4sst sich zeigen, dass die bei weitem gr\u00f6sste Anzahl von Zungen, wenn sie angeblasen werden, nicht pendelartige, einfache, sondern zusammengesetzte Schwingungen ausf\u00fchrt.\n1) Zun\u00e4chst \u00fcberzeugte ich mich hiervon vermittelst der graphischen Methode. Wenn man nicht wie gew\u00f6hnlich eine Zungenpfeife durch Blasen, sondern von dem entgegengesetzten Ende her durch Saugen zum T\u00f6nen bringt (was im Wesen der Sache nat\u00fcrlich Nichts \u00e4ndert), so ist es nicht schwer, die auf diese Weise schwingende Zunge ihre Oscilla-tionen aufschreiben zu lassen. Man hat nur n\u00f6thig, an die Spitze der Zunge seitlich eine kleine Borste so zu befestigen, dass sie die Schwingungen nicht st\u00f6rt und diese selbst auf eine berusste, rotirende Trommel aufschreibt. Die auf diese Weise erzeugten Curven sind nun selten sogenannte Sinuscurven, wie sie etwa von einer Stimmgabel gezeichnet werden, sondern weichen von diesen in der verschiedenartigsten Weise ab.\n4 Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen. Braunschweig 1870. S. 160.","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Der Schwingungsmodus angeblasener Zungen.\n15\n2) Zur Contr\u00f4le der graphischen Methode wendete ich noch folgende, sehr einfache und, wie ich glaube, empfehlenswerthe Methoden an. Anstatt der Borste klebte ich mit Schellak eine etwa 2\u20143 mm. grosse, leichte Silberperle (Glasperle, innen versilbert) auf, beleuchtete sie intensiv, brachte, wie oben, die Zungenpfeife zum T\u00f6nen und beobachtete die Schwingungen der Zunge in dem K\u00f6NiG\u2019schen Spiegel, den man langsam zu drehen hat. Die ungemein zierlichen Curven, welche die beleuchtete Perle im Spiegel entwarf, stimmten vollkommen mit der von der Zunge gezeichneten \u00fcberein.\nMan kann nun auch 3) ohne K\u00f6NiG\u2019schen Spiegel auf noch einfachere Art die Schwingungen der Zunge beobachten. Zu diesem Zweck setzt man die mit der Perle ausgestattete Zungenpfeife an einen Gummischlauch und zieht sie, w\u00e4hrend sie t\u00f6nt, rasch in einer Richtung an den Augen vorbei oder bewegt sie, indem man an dem der Zunge abgewendeten. Ende (an einem festen Rohr) saugt, in einem horizontalen' Kreisbogen vor den Augen hin und her. Bei einiger Uebung gelingt es, die Curve so genau zu sehen, dass man sie direct zeichnen kann.\nVermittelst dieser Methoden stellte ich nun fest, dass nach den Gesetzen des Pendels fast nur diejenigen durchschlagenden Zungen schwingen, die von ihrem Befestigungspunkt bis zu ihrem freien Rande sich nicht verd\u00fcnnen und in kleinen Excursionen oscilliren.\nEine Zunge aus gewalztem d\u00fcnnen Messingblech, 3,5 cm. lang, 0,7 Cm. breit, zeichnete beispielsweise nebenstehende Curve (s. Fig. 8).\t0 0 bedeutet die Gleichgewichtslage der\nZunge, die mit ihrem vorderen Rande etwa 4 mm. in das Windrohr aufgebogen war; ab ist die Richtungslinie, d. h. diejenige Linie, welche die Zunge auf der ruhenden Trommel schrieb. Die Bewegung des Cylinders geschah \u2014 wie in allen nachfolgenden F\u00e4llen \u2014 von links nach rechts, die Curve ist also von rechts nach links zu lesen. Sie stellt, auch wenn man von den Verzerrungen absieht, welche die ann\u00e4hernd in einem Kreisbogen sich bewegende Zungenspitze (s. ab Fig. 8) der Curve aufdr\u00fcckt, doch nicht genau eine Sinuscurve dar, sondern man sieht deutlich, dass der Schwung der Zunge aus dem Ansatzrohr in das Windrohr (entsprechend den Curvenst\u00fccken A W) sich in anderer Weise vollzieht, als in umgekehrter Richtung (WAfj.\nHierbei ist zu bemerken, dass die vorderen Partien der Zunge andere Curven zeichnen, als die weiter nach hinten, dem Befestigungspunkt n\u00e4her gelegenen. Diese beschreiben ann\u00e4hernd senkrechte, symmetrisch zur Abscisse gelegene Bogen, jene schiefe, wie aus den umstehenden Figuren\nhervor geht. Die Zunge verbiegt sich also in jedem ihrem freien Ende n\u00e4her gelegenen Abschnitt st\u00e4rker, als in dem weiter zur\u00fcckliegenden und nimmt\nCurve einer durchschlagenden Zunge.","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16 Gr\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nsomit etwa die Gestalt AB (s. Fig. 9) an. Die von dem Punkt B gezeichnete Curve zeigt Fig. 10 (B), die von C bei derselben Lage der Zunge gezeichnete die Fig. 10 (C).\nj_________________________B Bei weitem gr\u00f6ssere Abweichungen von\nC\tden Oscillationen eines Pendels zeigen nun\naber diejenigen Zungen, welche nach vorn Fig. 9.\tzu an Dicke abnehmen. (Dergleichen Zungen\nsind wegen ihres scharfen, durchdringenden Tones vielfach in Gebrauch sowohl an musikalischen Instrumenten, wie namentlich auch an Signalh\u00f6rnern zur Signalisirung von Eisenbahnziigen etc.)\nFig. 10. Curven einer durchschlagenden Zunge, in ihrer vorderen Portion B und hinteren C.\nDie Fig. 11 zeigt die Bewegungen einer derartigen Zunge. Als Richtungslinie ist wegen der kleinen Amplitude der 3,5 Cm. langen Zunge eine auf der Abscisse senkrechte gerade Linie anzusehen; die Curve\nFig. 11. Curve einer durchschlagenden (vorn d\u00fcnneren) Zunge.\nstellt also ohne Weiteres die Bewegung der Zunge dar. Man sieht, wie sie mit beschleunigter Geschwindigkeit in das Ansatzrohr herein- und mit verz\u00f6gerter aus demselben herausschwingt. Die unteren Winkel der Curve sind spitz, die oberen abgerundet, im Uebrigen die Zeiten des Auf- und Niederschwunges gleich.\nLetzteres ist aber nicht immer der Fall, wie die Curve in Fig. 12\t}\nzeigt. Sie r\u00fchrt her von einer neusilbernen Zunge, die einen ungemein\nFig. 12. Curve einer durchschlagenden (vorn d\u00fcnneren) Zunge.\ndurchdringenden und h\u00f6heren Ton als die vorige Messingzunge gab. Ihr Aufschwung in das Windrohr geschah viel langsamer, als der Abschwung ins Ansatzrohr.\nSchliesslich sind noch die aufschlagenden Zungen zu erw\u00e4hnen, die wiederum je nach ihrer Beschaffenheit ganz verschiedene, aber niemals pendelartige Bewegungen ausf\u00fchren. Im Allgemeinen schwingen sie mit beschleunigter Geschwindigkeit, wie ein fallender K\u00f6rper auf den Rahmen zu und schnellen von ihm wie ein Gummiball, also mit verlangsamter","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Klangfarbe der Zangenpfeifen.\n17\nGeschwindigkeit von ihm zur\u00fcck. Fig. 13 versinnlicht diese Bewegungen. Werden aufschlagende Zungen nach vorn zu d\u00fcnner, so bewegen sie sich\nFig. 13. Curve einer aufschlagenden Zunge.\nFig. 14. Curve einer aufschlagenden, nacli vorn d\u00fcnneren Zunge.\noft mit durchweg gleichm\u00e4ssiger Geschwindigkeit; die von ihnen gezeichneten Curven sind geradlinig (s. Fig. 14).\nObwohl durch diese Beispiele die verschiedenen Schwingungsarten der Zungen noch keineswegs erledigt sind, so erhellt doch vollkommen, dass es sich um eine pendelartige Oscillation in den seltensten F\u00e4llen handelt. Es gilt somit die \u00dcELMHOLTz\u2019sche Beweisf\u00fchrung nur f\u00fcr wenige Zungen. Nichtsdestoweniger bleibt aber das, was zuerst Weber, sp\u00e4ter Helmholtz \u00fcber die Erzeugung der Zungent\u00f6ne behauptet, durchaus bestehen. Die Schwingungen der Zunge an und f\u00fcr sich, m\u00f6gen sie einfache pendelartige oder, wie ich gezeigt, irgendwie andere zusammengesetzte sein, sind f\u00fcr den Klang der Zungenpfeife irrelevant. Allein f\u00fcr sich w\u00e4ren sie niemals im Stande, denselben zu erzeugen. Von Wichtigkeit ist immer nur die Art, wie die Zungen den Luftstrom unterbrechen. Hiernach erkl\u00e4rt sich denn auch die Klangfarbe der Zungenpfeifen.\nA) Die Klangfarbe der Zungenpfeifen.\nDa die einzelnen Luftst\u00f6sse, welche in ihrer Gesammtheit den Klang zusammensetzen, in den meisten F\u00e4llen kurz sind und j\u00e4h erfolgen und da sie ferner \u00e4hnlich wie bei einer Sirene, deren drehbare Scheibe sich in unmittelbarer N\u00e4he an der anderen feststehenden vorbeibewegt, durch k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Pausen von einander getrennt sind, so vollziehen sich die der Luft ertheilten Bewegungen nicht nach dem Gesetz der Pendelschwingungen, sondern lassen sich im Gegentheil als eine aus sehr vielen Pendelschwingungen zusammengesetzte Bewegung auffassen. Die Kl\u00e4nge der Zungenpfeifen sind ungemein reich an Obert\u00f6nen.\nJe genauer die Zungen ihren Rahmen ausf\u00fcllen oder durch Auf-\nHandbueh der Physiologie. Bd. Ia.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18 Gtr\u00fctznek, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen,\nschlagen verschliessen, um so discontinuirlieher werden die St\u00f6sse und um so zusammengesetzter, nicht selten h\u00e4rter ihr Klang, und je mehr sie auf der andern Seite Luft zwischen sich und den Rahmen vorbeistr\u00f6men lassen oder als weiche, biegsame Gebilde einen mehr allm\u00e4hlichen Luftaustritt gestatten, um so weicher und milder t\u00f6nen sie.\nB)\tDie St\u00e4rke des Klanges.\nDie St\u00e4rke des Klanges f\u00e4llt zum Theil mit seiner Farbe zusammen, klangreiche Pfeifen klingen \u2014 caeteris paribus \u2014 lauter als-klangarme. Je vollst\u00e4ndiger die Zunge das Windrohr absperrt, um so mehr steigt in demselben hinter ihr der Luftdruck und um so st\u00e4rker ist dann auch die Intensit\u00e4t der einzelnen Luftst\u00f6sse, wenn die Zunge der Luft den Durchtritt gestattet, um so lauter also ihr Klang. Im andern Falle entweicht viel Luft unter blasendem Ger\u00e4usch und der Klang verliert an Intensit\u00e4t und musikalischem Werth.\nIm Allgemeinen nimmt daher die St\u00e4rke des Klanges auch zu mit der St\u00e4rke des Luftdruckes; stark angeblasene Zungen schwingen in weiten Excursionen um ihre Gleichgewichtslage und t\u00f6nen laut* schwach angeblasene schwach. Es darf jedoch nat\u00fcrlich der Luftdruck nicht zu stark sein, sonst treibt er die Zunge dauernd von ihrer Gleichgewichtslage ab und es tritt gar kein Ton auf, und er darf auf der anderen Seite nicht zu schwach sein, sonst wird die-Zunge gar nicht aus ihrer Gleichgewichtslage entfernt und es herrscht wiederum Stillschweigen. Diese Grenzen sind f\u00fcr verschiedene Zungen ungemein verschieden; manche Zungen sprechen bei sehr starkem und schwachem Luftdruck fast gleich gut an, andere nur bei sehr geringem, wieder andere nur bei sehr starkem Luftdruck.\nC)\tDie H\u00f6he des Klanges.\nDie H\u00f6he des Klanges der Zungenpfeifen ist von einer Menge von Umst\u00e4nden abh\u00e4ngig.\n1) Sie ist zun\u00e4chst bei grossen und schweren Zungen gleich derjenigen, welche die Zunge giebt, wenn sie auf irgend eine andere Weise zum Schwingen gebracht wird; bei leichteren Zungen gew\u00f6hnlich etwas tiefer, vorausgesetzt, dass es sich um einschlagende Zungen handelt, welche sich durchaus \u00e4hnlich verhalten den stumpfwinklig angeblasenen Membranen. Demgem\u00e4ss h\u00e4ngt sie von den Dimensionen und der Elasticit\u00e2t der Zunge ab, welche nach Art der elastischen St\u00e4be schwingt, die an einem Ende befestigt sind (s. S. 7). Praktisch verwerthet man bekanntlich jene Gesetze, indem man die Zungen durch Verschiebung der sogenannten \u201eKr\u00fccke\u201c nach","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Die H\u00f6he des Klanges. Einfluss des Ansatzrohrs nach W. Weber.\n19\nihrem freien Ende zu verk\u00fcrzt und dadurch ihren Ton erh\u00f6ht, oder sie vorn mit einem Bleigewicht beschwert und sie vertieft.\n2) Von dem gr\u00f6ssten Einfluss ist weiter die Verbindung der Zunge mit einem Ansatzrohr. Die in demselben enthaltene Luft ger\u00e4th wie in einer Labialpfeife in stehende Schwingungen, welche immer den Schwingungen der Zunge isochron sind, aber ebenso schnell oder seltener erfolgen k\u00f6nnen als die Schwingungen der Zunge, wenn diese allein f\u00fcr sich durch irgend einen Anstoss zum T\u00f6nen gebracht wird.\nBezeichnen wir die L\u00e4nge einer beiderseits offenen cylindrischen R\u00f6hre, welche denselben Ton giebt, wie die Zunge f\u00fcr sich mit V2 \u00c4 \u00df = Wellenl\u00e4nge des Tones), so ergiebt sich nach W. Weber, dass, wenn man zun\u00e4chst kurze R\u00f6hren unter X auf das Mundst\u00fcck mit der Zunge setzt und diese durch immer l\u00e4ngere vertauscht, der Ton nach und nach um eine ganze- Octave vertieft wird und zwar in der ersten Zeit, wenn die L\u00e4ngen von Vs \u00c4 bis V* ^ zunehmen, nur sehr wenig, wenn sie aber von 1 4 X bis nahezu V2 ^ steigen, schnell sinkt, so dass das Sinken der Tonh\u00f6he mit der Verl\u00e4ngerung der R\u00f6hren gleichen Schritt h\u00e4lt, wie folgendes Beispiel zeigt.\nEine messingene Zunge, 16,6'\" lang, 0,22'\" dick und 2,5'\" breit, gab f\u00fcr sich angeblasen den Ton g\\ eine beiderseits offene, 4,7'\" weite R\u00f6hre von 16\" 3'\" \u00df/2 X) ebenfalls. Nun setzte Weber R\u00f6hren auf, kleinere oder gr\u00f6ssere als Vs und erhielt folgende T\u00f6ne:\nL\u00e4nge des Rohres.\n1\" 6'\" < Vs A g\nTon.\ni\n3\"\n4\"\n0\n9'\"\n> fs*\n6\" 7'\n9'\nfis\u2019\nfis'\nL\u00e4nge des Rohres. 6\" 11'\"\n7\" 6'\"\n10'\"\n4'\" > V'4 l 9'\"\n3'\" > Vs * 8'\"\n7\"\n9\"\n10\"\n12\"\n13\"\nTon.\nf\nf\ne'\n\u00e4\u2019\ncf\naisf\ngis\ng (schwach) daneben\n16\" 2'\" = V2X gr gleichzeitig g\u2019 Wurde die R\u00f6hre weiter verl\u00e4ngert \u2022 bis auf V2 so sprang zun\u00e4chst der Ton wieder auf die h\u00f6here Octave zur\u00fcck und vertiefte sich jetzt, wenn die L\u00e4nge aufs Doppelte wuchs, also = X wurde, nur um eine Quarte erst langsam, dann rasch von g, auf d, wie folgt:\nL\u00e4nge des Rohres. Ton 16\" 2'\" = V21 9\u2019 19\" 4\"'>V2* 9' 21\" 4'\" > 5/s^ fts' 24\"\tf\nL\u00e4nge des Rohres. Ton 28\" 10'\" > Vs l dis' 30\" 9'\"\tdr\n32\"\td'\n32\" 9'\"\t=\tX\tg'\n27\" > 6/s A e'\nEine noch weitere Verl\u00e4ngerung der Rohre von X auf V2 X liess in \u00e4hnlicher Weise den Ton erst langsam, dann schneller, jetzt aber bloss um eine kleine Terz von gr auf e' herabsinken.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nImmer also, wenn die L\u00e4nge der R\u00f6hre = \u2014 oder ein Vielfaches von ~ war, wurde der Eigenton der Zunge nicht ver\u00e4ndert ;\nes hatte das Ansatzrohr weder eine erh\u00f6hende, noch vertiefende Kraft ; bewegten sich aber die L\u00e4ngen in den Grenzen von Vs A bis 1/2 A} so sank der Ton um eine Octave von g, bis <7, nahmen die L\u00e4ngen zu\nvon \u2014 bis A} so sank der Ton g' nur bis d! und wuchsen die L\u00e4ngen\nvon 3/2 A bis auf 2A, so sank dasselbe gf bis auf e\u2019. Die Schwingungszahlen der T\u00f6ne vor und nach dem Sprunge verhielten sich sonach wie\t1 : 2\n3 : 4 5 : 6\nund w\u00fcrden sich bei weiterer Verl\u00e4ngerung verhalten haben wie\n7 : 8 9 : 10\n11 : 12 etc.\nR. Willis1 arbeitete fast zu gleicher Zeit wie Weber \u00fcber dasselbe Thema. Die Resultate seiner Untersuchungen, die mit meinen eignen am genauesten \u00fcbereinstimmen, stellen sich am einfachsten in folgender graphischen Zeichnung dar (s. Fig. 15). Es sei ab die\nFig. 15.\nH\u00f6he des Zungentones (ein Maass f\u00fcr die Schwingungszahl), die Abschnitte auf der Abscisse ax (\u00abc, ad, ae ...) repr\u00e4sentiren die L\u00e4ngen der angesetzten R\u00f6hrenst\u00fccke und die dazugeh\u00f6rigen Ordinaten die jedesmaligen Tonh\u00f6hen, so zeigt sich, dass die H\u00f6he des Tones sich nicht \u00e4ndert, wenn man das Ansatzrohr von a bis etwa c {ac = V4A) verl\u00e4ngert. Von hier ab vertieft sich der Ton und im Punkte d {ad \u2014 V2 A) oder in dessen n\u00e4chster Umgebung ist er eine Octave tiefer als in 0, sehr schwach und nicht selten von dem urspr\u00fcnglichen h\u00f6hern Ton begleitet, in den er bei weiterer Verl\u00e4ngerung \u00fcberspringt. Ist die Zunge steif oder der Druck auf dieselbe nicht stark\n1 Ann. d. Physik XXIV. S. 397. 1832.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss des Ansatzrohrs nach W. Weber.\n21\ngenug, so verstummt die Pfeife auf eine betr\u00e4chtliche Strecke zu beiden Seiten von d g\u00e4nzlich. Weitere Verl\u00e4ngerung des Eohres bis e (ae= 3/4 X) l\u00e4sst den urspr\u00fcnglichen Ton wieder kr\u00e4ftig hervortreten und ihn in m\u00e4ssiger St\u00e4rke bis vor f {of= A) bestehen. Hier springt der Ton, nachdem er sich vorher um eine Quarte erniedrigt, wieder auf den urspr\u00fcnglichen zur\u00fcck, ist in der N\u00e4he von / unrein oder doppelt oder verschwindet ganz u. s. f.\nSuchen wir uns nun aus diesen empirisch festgestellten Thatsachen, ungef\u00e4hr dem Gedankengange Weber\u2019s folgend, die Gesetze abzuleiten, nach denen \u00fcberhaupt die Luft in Zungenpfeifen schwingt und einen hohen oder tiefen Ton erzeugt.\nZun\u00e4chst ist es klar, dass die Lufts\u00e4ule oder bei mehreren Schwingungsknoten die Lufts\u00e4ulen in stehenden Schwingungen sich befinden, die mit denen der Zunge nicht bloss isochronisch, sondern auch synchronisch sein m\u00fcssen. Die Existenz stehender Schwingungen ergiebt sich ohne Weiteres aus der Thatsache, dass eine bestimmte Verl\u00e4ngerung des Ansatzrohres die entsprechenden T\u00f6ne erzeugte und dass eine jedesmalige\nVerl\u00e4ngerung um \u2014 ein Zur\u00fcckspringen des Tones auf seine urspr\u00fcngliche H\u00f6he bedingte, gerade wie dies bei offenen Labialpfeifen, wenn sie in passender Weise angeblasen werden, der Fall ist. Mit der Verl\u00e4ngerung des Rohres um \u2014 vermehrt sich n\u00e4mlich die Zahl der Knoten immer\num einen, ihre gegenseitige Entfernung \u00e4ndert sich nicht, die Wellenl\u00e4nge und die H\u00f6he des Tones bleiben somit dieselben. Indem nun die Zahl der Schwingungen, welche die Zunge macht, gleich derjenigen ist, welche von der oder den Lufts\u00e4ulen ausgef\u00fchrt wird und eine gegenseitige St\u00f6rung nicht zu beobachten ist \u2014 man h\u00f6rt ja in der Regel nur einen einzigen vollen Ton \u2014, so m\u00fcssen auch beiderlei Schwingungen synchronisch sein.\nIn welcher Weise nun eine schwingende Zunge die stehenden Luftwellen einer R\u00f6hre beeinflusst und umgekehrt diese auf die Zunge zur\u00fcckwirken, geht am einfachsten aus folgender Betrachtung hervor.\nEs sei A B eine beiderseits offene R\u00f6hre, deren Lufts\u00e4ule in mehrere stehende Wellen getheilt ist, so dass in b, V, b\" Schwingungsb\u00e4uche, also maximale Geschwindigkeit und Excursion, aber keine (oder minimale) Verdichtung der Lufttheilchen, in k und k! dagegen Schwingungsknoten, also maximaler Druckwechsel, aber minimale Bewegung der Lufttheilchen stattfindet. Man kann sich nun nach Weber in diese R\u00f6hre eine nat\u00fcrlich synchronisch mit den Lufttheilchen schwingende Zunge eingesetzt denken an drei verschiedenen Punkten\n1.\tIn einem Schwingungsknoten k, k', k\u201d.\n2.\tIn einem Schwingungsbauch b, br, b\".\n3.\tIn keinem von beiden, sondern zwischen einem Schwingungsknoten und Schwingungsbauch, so dass\na)\tein Schwingungsbauch kurz vor der Zunge,\nb)\tein Schwingungsknoten kurz vor der Zunge gelegen ist.","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nStreng genommen scheint der erste Fall unm\u00f6glich, da eine t\u00f6nende Zunge sich in Bewegung befindet, in einem Knotenpunkt aber Ruhe, keine Oscillation der Lufttheilchen stattfinden soll. Aber gerade zeigt die Erfahrung, dass er der bei weitem h\u00e4ufigste und praktisch verwendbarste ist. Denn da die Bewegung der Zunge geringf\u00fcgig ist, in ihrer unmittelbaren N\u00e4he aber der gr\u00f6sste Druckwechsel stattfindet, wird sich auch daselbst am ehesten ein Knotenpunkt bilden, in dem ja auch nicht absolute Ruhe, sondern nur minimale Bewegung der Lufttheilchen beobachtet wird. Die Luft in solch einer Zungenpfeife schwingt daher \u00e4hnlich, wie in einer gedeckten Lippenpfeife ; dort, wo die Zunge sitzt, muss man sich die Pfeife geschlossen denken, weil hier wie am geschlossenen Ende der Lippenpfeife der gr\u00f6sste Druckwechsel stattfindet. Da nun ausserdem das Rohr (den einfachsten Fall angenommen) = 1/4 \u00c0 ist, so gelangen die reflectirten (positiven oder negativen) Wellen immer zur selben Zeit in die unmittelbare N\u00e4he der Zunge, wenn auch sie, indem sie angeblasen wird, dieselben Verd\u00fcnnungen und Verdichtungen der Luft erzeugt. Dergleichen Pfeifen t\u00f6nen laut und kr\u00e4ftig, ihre Zungen schwingen in weiten Excur-sionen hin und her, gebrauchen wenig Luft, aber einen nicht unbedeutenden Druck.\nDie Tonh\u00f6he solcher Zungenpfeifen ist nicht weit entfernt von derjenigen der frei angeblasenen Zunge, die L\u00e4nge des Ansatzrohres ist dann immer nahezu gleich \u00c4, 3 *,4 A, 5/4 A etc.\n2.\tGanz anders liegt die Sache, wenn wir uns jetzt eine Zunge eingesetzt denken in einen Schwingungsbauch b, br. Jetzt herrscht in ihrer unmittelbaren N\u00e4he so gut wie gar kein Druck Wechsel, sie wird deshalb auch dann, wenn die Luft im Rohr t\u00f6nte, in Ruhe bleiben und durch Anblasen von dem Ende des Rohrs aus nicht in Schwingungen versetzt werden k\u00f6nnen. In Wirklichkeit stellt sich die Sache etwas anders; die Zunge spricht in der That sehr schlecht an und nur unter gewissen Bedingungen versagt sie ganz. Es entweicht unn\u00fctz eine Menge von Luft, die Excursionen der Zunge sind gering und die so erhaltenen T\u00f6ne schlecht und unbrauchbar.1 Sie treten, wie leicht ersichtlich ist und wie die Erfahrung zeigt, auf, wenn das Ansatzrohr nahezu gleich ist 2/4 A, 4/4 \u00c0, 6/41 etc.\n3.\tW\u00e4hrend in den beiden ersten beschriebenen F\u00e4llen, durch das Ansatzrohr der Blaston der Zunge nicht oder kaum ver\u00e4ndert wurde, ist die Ausf\u00fchrung des dritten Falles, dass die Zunge in irgend einem Punkt zwischen einem Schwingungsknoten und einem Schwingungsbauche eingesetzt wird, immer mit Aenderung des Zungentones vereint. Dieser dritte Fall schliesst zwei M\u00f6glichkeiten in sich.\n1 Es ist hier die Gelegenheit zugleich die Ursache des unter diesen Um-\nst\u00e4nden nicht selten auftretenden Doppeltones zu erledigen, dem bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Nehmen wir den Fall an, das Ansatzrohr\nsei V2X, so werden, falls sich die Lufts\u00e4ule in dem Rohr nicht in zwei schwingende Abtheilungen zerlegt, immer dann positive Wellen, welche den Schwung der Zunge unterst\u00fctzen, in ihre unmittelbare N\u00e4he gelangen, wemi sie beispielsweise\nihren 1., 3., 5. Ausschlag, negative dagegen, welche den gleichgerichteten Aus-\nschlag abschw\u00e4chen, wenn sie ihren 2., 4., 6. Ausschlag vollf\u00fchrt. Es erfolgt also einmal, wenn die Zunge eine grosse Excursion ausf\u00fchrt, ein starker Luftstoss, im entgegengesetzten Falle aber ein schwacher. In solchen F\u00e4llen h\u00f6ren wir aber bekanntlich zwei T\u00f6ne nebeneinander, den Grundton und seine Octave.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss des Ansatzrohrs nach W. Weber.\n23\na) Es befinde sich zun\u00e4chst die Zunge im Punkte z und habe \u00fcber sich den Schwingungsbauch V, unter sich den Schwingungsknoten kr Sollen die Bewegungen der Zunge und die in ihrer N\u00e4he befindlichen Lufttheilchen wieder synchronisch schwingen, so muss die Zunge nach abw\u00e4rts sich bewegen, wenn auch die Lufttheilchen nach abw\u00e4rts schwingen. Da diese aber von einem Schwingungsbauche fort auf einen Knotenpunkt zu sich bewegen, erzeugen sie eine Luftverdiehtung in dem Raum der Pfeife unterhalb der Zunge. Diese Verdichtung erreicht ihr Maximum kurz bevor die Zunge am meisten nach abw\u00e4rts sich bewegt und die Stellung zu angenommen hat. W\u00e4hrend dieses Schwunges wird sie von zwei Kr\u00e4ften beeinflusst, erstens von ihrer Elasticit\u00e4t, welche sie nach abw\u00e4rts treibt, zweitens von der comprimirten Luft, welche sie nach aufw\u00e4rts in die R\u00f6hre zA hineinzubewegen sucht. Die Zunge schwingt also mit geringerer Geschwindigkeit abw\u00e4rts, als wenn sie isolirt in freier Luft oscillirte. Ausserdem stellt sie die Communication zwischen zB und z A her, sobald sie gegen verdichtete Luft schwingend ihre Gleichgewichtslage nach abw\u00e4rts \u00fcberschritten hat.\nWenn'die Zunge zur\u00fcckschwingt und dabei die Bewegung der Lufttheilchen nicht st\u00f6ren soll, muss sie ihre Aufw\u00e4rtsbewegung beginnen in dem Moment, in welchem auch die benachbarten Lufttheilchen einen Auftrieb nach oben erhalten und sich unter ihr in k eine Luftverd\u00fcnnung ausbildet. Das Maximum dieser Verd\u00fcnnung wird eingetreten sein, wenn die Zunge etwa die Stellung zo eingenommen hat. Wiederum also wird der Schnelligkeit ihres Schwunges Abbruch gethan, da die a verd\u00fcnnte Luft unter z sie gewissermassen nach unten saugt, ihr einen Trieb nach unten, ihre Elasticit\u00e4t aber einen nach oben ertheilt. Der Ton der Zunge wird also vertieft im Vergleich mit demjenigen, den sie allein schwingend giebt.\nHieraus ergiebt sich nun Folgendes. Zun\u00e4chst \u00fcbersieht man leicht, dass bei dieser Art von Schwingung die Zunge als eine sogenannte einschlagende gestellt ist, welche eine Verbindung der Luft zwischen zA und zB immer nur 3 herstellt, w\u00e4hrend sie in die verdichtete Luft nach k, hineinschwingt, dagegen die Pfeife abschliesst und in sie hinein sich bewegt (nach z 0), wenn sich ausserhalb der Zunge (in k,) eine Luftverd\u00fcnnung ausgebildet hat. Es w\u00fcrde sich z hiernach an dem Vorg\u00e4nge Nichts \u00e4ndern, wenn wir uns die Pfeife in z oder etwas unterhalb z abgeschnitten d\u00e4chten und sie von hier aus anbliesen. Auch dann w\u00fcrde die Zunge immer aus Luft mittlerer Dichtigkeit gegen verdichtete nach abw\u00e4rts oder aus verd\u00fcnnter gegen Luft von mittlerer Dichtigkeit sich aufw\u00e4rts bewegen. Sie w\u00fcrde bei ihrem Niederschwung die Communication zwischen dem Windrohr zB und dem Ansatzrohr zA vermitteln, w\u00e4hrend die Verdichtung im ersteren allm\u00e4hlich zunimmt, und sie w\u00fcrde die beiden R\u00e4ume von einander trennen, wenn sie sich in das Ansatzrohr hineinbewegt und sich unter ihr im Windrohr eine Luftverd\u00fcnnung ausbildet. Da hiernach eine einschlagende Zunge der in z befindlichen durchaus gleichwertig ist, wird auch sie regelm\u00e4ssig einen tiefem Ton","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\ngeben, als die Zunge an und f\u00fcr sich isolirt schwingend erzeugt.1\nb) Wenden wir uns nun zu dem letzten Fall und denken uns ,die Zunge in die Pfeife AB in dem Punkte zf eingesetzt, so dass sie unmittelbar \u00fcber sich nicht einen Schwingungsbauch wie bei z, sondern den Schwingungsknoten k hat. \u2014 Sollen die Oscillationen der Zunge wiederum synchronisch sein mit denjenigen der Lufttheilchen, so ist es klar, dass z' nach abw\u00e4rts schwingen muss, wenn auch die Lufttheilchen dieselbe Bewegungsrichtung haben. Die Zunge habe die Stellung zo, wenn in k das Maximum der Luftverdichtung eingetreten ist; alsdann wird sie in Folge ihrer Elasticit\u00e4t und der \u00fcber ihr bestehenden Luftverdichtung nach abw\u00e4rts bewegt, wenn auch die Lufttheilchen von dem Knotenpunkt aus nach abw\u00e4rts schwingen. Ihr Niederschwung wird also sich schneller vollziehen als in freier Luft. W\u00e4hrend die Zunge hierbei ihre Gleichgewichtslage passirt oder eben passirt hat, setzt sie den dichteren oberen Luftraum mit dem d\u00fcnneren unter ihr befindlichen in Verbindung. Ihr R\u00fcckschwung von z,u nach z,o beginnt, wenn auch die Lufttheilchen dieselbe Bewegungsrichtung einschlagen, wenn also in k das Maximum der Luftverd\u00fcnnung eingetreten ist. Auch hierbei unterst\u00fctzt der Luftdruck ihre Elasticit\u00e4t; denn sie hat \u00fcber sich verd\u00fcnnte Luft, nach welcher zu sie sich bewegt. Ihr Aufschwung wird daher ebenfalls zeitlich verk\u00fcrzt.\nEine Zunge z, ist demnach einer sogenannten ausschlagenden Zunge gleichzusetzen, welche das Rohr z,B abschliesst und von A aus angeblasen wird. Sie giebt, wie \u00fcberhaupt alle ausschlagenden Zungen, einen h\u00f6herenTon als derjenige ist, welchen sie isolirt schwingend erzeugt.\nDiese Darstellung schliesst sich eng an die WEBE\u00df\u2019schen Arbeiten und Ausf\u00fchrungen an. Indess scheinen mir letztere das Wesen der Sache nicht vollst\u00e4ndig zu ersch\u00f6pfen. Wenn, wie Weber ausf\u00fchrt, eine einschlagende Zunge das eine Mal in verdichtete Luft hinein, das andere Mal aus verd\u00fcnnter Luft heraus schwingen soll, was treibt sie denn schliesslich? warum kommt sie nicht innerhalb kurzer Zeit zur Ruhe? Hier ist, soweit ich sehe, eine L\u00fccke in der Betrachtung. . Die Zunge wird eben in gewissen Momenten getrieben, in andern aufgehalten.\n3)\tAus dem soeben Mitgetheilten und aus fr\u00fcheren Betrachtungen (s. S. 11) leuchtet ein, dass wir als dritten Factor, der die Tonh\u00f6he einer Zungenpfeife beeinflusst, die Stellung derselben gegen ihren Rahmen betrachten m\u00fcssen. Ist sie einschlagend gestellt, so ist ihr Ton stets tiefer als ihr Eigenton, ist sie eine ausschlagende, so findet das Entgegengesetzte statt.\n4)\tist zu erw\u00e4hnen die Abh\u00e4ngigkeit der Tonh\u00f6he von der St\u00e4rke des Anblasens. Die Angaben der Forscher \u00fcber diesen Gegenstand gehen diametral auseinander. Weber beobachtete\n1 Dies ist nat\u00fcrlich auch sehr leicht aus einer directen Betrachtung ohne Zuhilfenahme der Schwingungen der Lufts\u00e4ule in dem Ansatzrohr zu erweisen. Siehe den \u00e4hnlichen Fall der stumpfwinklig angeblasenen Membran (S. 11).","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Tonh\u00f6he, abh\u00e4ngig von der St\u00e4rke des Anblasens.\n25\nbei st\u00e4rkerem Anblasen nie eine Erh\u00f6hung, sondern immer eine bedeutende Vertiefung des Tones; Joh. M\u00fcller giebt dasselbe f\u00fcr grosse Zungen zu und meint, in Folge st\u00e4rkeren Anblasens schwinge die Zunge in gr\u00f6sserer L\u00e4nge als in Folge schwachen Anblasens, demzufolge sinke der Ton, indem gewissermassen eine gr\u00f6ssere Zunge f\u00fcr eine kleinere substituirt werde. Andrerseits behauptet er aber mit Recht, dass die Zungen der Mundharmonika bei st\u00e4rkerem Blasen mit ihrem Ton etwas in die H\u00f6he stiegen und dass namentlich kleine Zungen (diejenige einer Kinderschalmei) auf diese Weise continuir-lich um 1 j,2 Octave gesteigert werden k\u00f6nnte.\nAlle diese Thatsachen sind richtig und lassen sich unter folgenden Gesichtspunkten vereinigen. Zun\u00e4chst ist es wichtig, ob die^ zu pr\u00fcfende Zungenpfeife ein Ansatzrohr hat oder nicht. Ist sie mit einem solchen versehen, so ereignet sich fast regelm\u00e4ssig, dass, wenn sie bei starkem Luftdruck \u00fcberhaupt noch gut anspricht, dann die kr\u00e4ftigen Luftersch\u00fctterungen in dem Ansatzrohr ihren Rhythmus demjenigen der Zunge aufdr\u00e4ngen und den Ton etwas in die H\u00f6he treiben, da bekanntlich longitudinal schwingende Lufts\u00e4ulen (wie diejenigen der Lippenpfeifen) in schnellere Oscillationen versetzt werden, sobald man sie mit verst\u00e4rktem Luftdruck anbl\u00e4st. Hat dagegen die Zunge kein Ansatzrohr oder nur ein sehr kurzes (<< V4\u00c4), so wird durch verst\u00e4rktes Anblasen der Regel nach der Ton vertieft, indem nach Weber1 eine in grossen Amplituden schwingende Zunge, gleich wie ein weit ausschlagendes Pendel, f\u00fcr einen grossem Ausschlag auch eine gr\u00f6ssere Zeit braucht als f\u00fcr einen kleinern. (Auf dem gegenseitigen Abw\u00e4gen jener beiden Factoren beruht bekanntlich die von Weber gemachte Entdeckung \u201e compensirter Orgelpfeifen \u201c, die auch bei dem verschiedensten Luftdruck ihren Ton halten.)\nHieraus folgt ohne Weiteres, dass es nur leicht bewegliche und nicht zu schwere Zungen sind, die \u00fcberhaupt auf Aenderung des Luftdruckes mit Aenderung ihrer Tonh\u00f6he reagiren. Schwere oder steife Metallzungen, die auch bei starkem Luftdruck nur innerhalb kleiner Excursionen hin- und herschwingen, werden in ihrer Tonh\u00f6he nicht beeinflusst, sondern klingen nur lauter.\nSchliesslich ist hierbei noch von Wichtigkeit die Stellung, welche die Zunge in ihrem Rahmen entweder von Haus aus hat oder welche sie in Folge st\u00e4rkeren Anblasens im Mittel annimmt. Ereignet es sich n\u00e4mlich, dass durch den verst\u00e4rkten Luftdruck die Zunge eine andere Gleichgewichtslage annimmt, um welche sie, gleichsam st\u00e4rker gespannt, hin- und herschwingt, so erh\u00f6ht der verst\u00e4rkte Luftdruck\n1 Ann. d. Physik XIV. S. 397. 1828.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26 Gr\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nregelm\u00e4ssig ihren Ton. Diese Erh\u00f6hung beobachtet man ausnahmslos an allen ausschlagenden (membran\u00f6sen) Zungen, selten dagegen an einschlagenden.\n2. Die kleineren leichten Zungen\nzeigen noch folgende Besonderheiten.\na) Die durchschlagenden folgen im Allgemeinen den oben ausf\u00fchrlich besprochenen Gesetzen. Nur ist es begreiflich, dass, wenn dergleichen Zungen mit Ansatzr\u00f6hren versehen werden, die Yerdich-tungs- und Verd\u00fcnnungswellen einen bei weitem grossem Einfluss auf sie aus\u00fcben, als auf die tr\u00e4gen Massen der grossen von Weber untersuchten Zungen. Diese springen leicht auf ihren urspr\u00fcnglichen Ton zur\u00fcck, jene vertiefen bei der Verl\u00e4ngerung des Ansatzrohrs, wie beispielsweise die Zunge der Clarinette, ihren Ton fort und fort und schmiegen sich genau an die Oscillationen der Lufts\u00e4ule des Ansatzrohres an.\nDabei ist folgender von mir beobachtete Punkt, wie ich glaube, von Interesse. Wenn man zwei gleich grosse Zungen hat, von denen die eine \u00fcberall gleich dick ist (wie die Weber\u2019sehen Zungen), die andere hingegen von vorn nach hinten an Dicke glerchm\u00e4ssig zunimmt (dabei vorn m\u00f6glichst d\u00fcnn, hinten aber etwa zweimal dicker als die erste Zunge durchweg ist), so wird die erste Zunge viel weniger durch ein Ansatzrohr beeinflusst als die zweite. Eine gleichm\u00e4ssige dicke Messingzunge, 3,5 cm. lang, 0,7 cm. breit und 0,3 mm. dick, vertiefte sich beispielsweise durch ein Ansatzrohr von 160 cm. um eine Secunde, eine nach vorn zu sich verd\u00fcnnende von derselben Gr\u00f6sse und aus demselben Material, hinten 0,6, vorn 0,18 mm. dick, um eine Quart. Ohne Ansatzrohr gaben beide Zungen ann\u00e4hernd denselben Ton.\nDiese praktisch wichtige Thatsache \u2014 denn die Zungen s\u00e4mmtlicher Holzblasinstrumente (Oboe, Clarinette, Fagot), sowie die meisten Zungen von Harmonien etc. (s. S. 12) sind nach vorn zu d\u00fcnner \u2014 erkl\u00e4rt sich folgendermassen. Da die vordersten Partien der Zunge die gr\u00f6ssten Ex-cursionen ausf\u00fchren, so wird f\u00fcr ihre Bewegung ein grosser Theil der lebendigen Kraft des Luftstroms verwendet, und nat\u00fcrlich um so mehr, je weiter sie ausschlagen und je schwerer sie sind. Umgekehrt wird lim so weniger lebendige Kraft des Luftstroms verbraucht, je geringer cae-teris paribus die Excursionen und je leichter gerade diejenigen Theile sind, welche die bedeutendsten Ortsver\u00e4nderungen ausf\u00fchren. Letzteren beiden Bedingungen gen\u00fcgen die nach vorn sich im Dickendurchmesser verj\u00fcngenden Zungen.\nAusserdem ist hierbei von Wichtigkeit, dass Zungen, welche vorn und hinten gleich dick sind, schon bei geringer Verst\u00e4rkung des Luftdruckes in weitem Bogen hin- und herschwingen. Die Luft fliesst demzufolge sehr schnell ab, eine bedeutende Verst\u00e4rkung des Luftdruckes kommt gar nicht zu Stande. So wie er selbst, bleiben auch seine im Ansatzrohr erzeugten Schwankungen gering. Dahingegen bewegen sich","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Die durchschlagenden \u2014 die leichten aufschlagenden Zungen.\t27\ndie Zungen, welche nach vorn d\u00fcnner werden, selbst bei sehr starkem Luftdruck in relativ geringen Excursionen und gestatten somit die Anwendung starken Luftdrucks. Ja je st\u00e4rker dann der Luftdruck, um so bedeutender auch \u2014 bei gut den Rahmen ausfiillenden Zungen \u2014 seine Schwankungen, um so gr\u00f6sser seine Wirkung auf die Zunge selbst. Auch die Zunge der Maultrommel, deren Ton durch den Eigenton der Mundh\u00f6hle bestimmt wird, ist nach demselben Princip gebaut.\nb) Die festen, leichten, aufschlagenden Zungen verdienen noch eine besondere Betrachtung.\nWas zun\u00e4chst ihren Klang anlangt, so ist derselbe, weil er sich aus einer sehr grossen Menge von Obert\u00f6nen zusammensetzt, die unter sich zu Dissonanzen Veranlassung geben, als sch\u00f6n nicht zu bezeichnen; er ist vielmehr schreiend, bl\u00f6kend oder unter g\u00fcnstigeren Bedingungen hart und scharf.\nNichtsdestoweniger sind dergleichen Kl\u00e4nge in der orchestralen Musik, weil von durchdringender Kraft und leichter Beweglichkeit, vielfach in Anwendung. Zudem wird ihnen durch passende Ansatzr\u00f6hren und eine von A. Ellis 1 erw\u00e4hnte Modification der Zunge viel von ihrer Sch\u00e4rfe genommen. Diese Modification besteht darin, dass ein grosser Theil \u2014 wie es scheint englischer \u2014 Orgelbauer die aufschlagenden Zungen an ihrem Ende schwach kr\u00fcmmt, so dass sie nicht mit einem Male gegen den Rahmen schlagen, sondern sich allm\u00e4hlich an diesem abrollen.\nDer ungemein zusammengesetzte Klang jener Zungen kommt bekanntlich dadurch zu Stande, dass die ihn erzeugenden Luftst\u00f6sse, wie bei einer guten Sirene, vollst\u00e4ndig von einander durch Pausen getrennt sind und selbst ungemein j\u00e4h und schnell erfolgen.\nIch habe mich durch die S. 14 beschriebenen Methoden direct von der Schwingungsart gr\u00f6sserer und kleinerer aufschlagenden Zungen \u00fcberzeugt (s. Fig. 14, S. 17). Fig. 17 stellt die Schwingungscurve einer kleineren messingenen aufschlagenden Zunge dar, welche 1,5 cm. lang und\n19\tBBB\t\t\u00dc\u00dcM\tmm\t\n\tum\t\tggmmH\t\t\nFig. IT. Curve einer kleinen aufschlagenden Zunge.\n0,5 cm. breit und sehr d\u00fcnn war. Man sieht die ann\u00e4hernd gleichm\u00e4ssige Geschwindigkeit, welche die Zunge auf allen Punkten ihrer Bahn aufweist. Der Schlag gegen den Rahmen erfolgt mit ziemlicher Kraft und Schnelligkeit. Hiermit h\u00e4ngt es zusammen, dass jegliche aufschlagende Zunge einen h\u00f6hern Ton giebt, als wenn sie als einschlagende gestellt ist. Denn indem sie mit noch bedeutender lebendiger Kraft auf den Rahmen aufschl\u00e4gt und in ihrem Schw\u00fcnge aufgehalten wird, so begreift es sich, warum sie wie ein Pendel, das man nicht ausschwingen, sondern von einem elastischen Gegenlager abspringen l\u00e4sst, Zeit erspart und jede ihre unvollst\u00e4ndigen Oscillationen in k\u00fcrzerer Zeit ausf\u00fchrt, als wenn sie ganze\n1 Engl. Uebersetzung von Helmholtz\u2019s Tonempfindungen. App. XIX. p. 711.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"Pig. 19.\n28 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nOscillationen zu machen h\u00e4tte. Von dieser Thatsache \u00fcberzeugt man sich sehr leicht, wenn man eine Zunge einmal durch ihren Rahmen hindurchschwingen l\u00e4sst und sie dann durch Unterschieben eines passenden R\u00e4hmchens zu einer aufschla-genden macht. Ihr Ton erh\u00f6ht sich, je nachdem sie fr\u00fcher oder sp\u00e4ter in ihrem Schw\u00fcnge aufgehalten wird, um eine Terz bis Quinte.\nVon h\u00f6chstem Interesse ist nun weiter die Schwingung derselben leichten aufschla-genden (einschlagenden) Zunge, wenn deren Ton durch ein Ansatzrohr bedeutend vertieft ist. Wie leicht begreiflich, folgt solch\u2019 eine Zunge sehr genau den Schwingungen der Luft im Ansatzrohr und l\u00e4sst sich deren Rhythmus aufn\u00f6thigen.\nWie dies geschieht zeigt die nebenstehende Curve (Fig. 18). Die Zunge bleibt, wie man sieht, eine geraume Zeit auf dem Rahmen liegen, wie wenn sie angeklebt w\u00e4re, dann schnellt sie in die H\u00f6he und fliegt schliesslich ebenso schnell auf den Rahmen nieder; der Aufschlag ist so heftig, dass die Zunge mitunter in kleine Erzitterungen ger\u00e4th, die man auch als ein klirrendes , den Ton verunreinigendes Ger\u00e4usch h\u00f6ren kann. Nichtsdestoweniger kann sie vom Rahmen nicht los; die jetzt in dem Rohr herrschende Luftverd\u00fcnnung saugt sie an; wird diese durch eine Luftverdichtung ersetzt, kommt also die Welle, nachdem sie das Rohr entlang gelaufen ist, wieder an der Zunge an, so \u00f6ffnet sich diese f\u00fcr ganz kurze Zeit. Die Luft des Windrohres tritt in das Ansatzrohr -und ein momentaner Luftstoss wird erzeugt.\nMan sieht auf das Aller deutlichste, wie hier der Zungenton sich aus einer Reihe getrennter, einzelner Luftst\u00f6sse zusammensetzt. Uebrigens war der Ton dieser Zunge ohne Ansatzrohr schreiend, bl\u00f6kend, mit einem Ansatzrohr von Kautschuk aber weich, \u00e4hnlich einem Fagot.\nWurde ein k\u00fcrzerer oder l\u00e4ngerer Schlauch angesetzt, so verk\u00fcrzten oder verl\u00e4ngerten sich die horizontalen St\u00fccke der Curve. Ungemein zierlich sieht eine derartige Curve aus, wenn man sie sich subjectiv vermittelst einer Glasperle zur Anschauung bringt (s. S. 15). es mir sogar gelungen, an einer noch d\u00fcnnem, h\u00f6her von elastischem Messingblech direct den Kampf der\nBi\nWeiterhin ist\ngestimmten\nZunge","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Membran\u00f6se Zungen.\n29\nLuftersch\u00fctterungen des Ansatzrohres mit den Eigenschwingungen der Zunge zu beobachten. Fig. 19 zeigt deutlich diesen Kampf, in welchem, was den schliesslichen Effect f\u00fcr das Ohr anlangt, die Luftersch\u00fctterungen des Ansatzrohres den Sieg davon tragen. Die Zunge schwingt so schnell, dass sie vom Rahmen entfernt 2\u20144 Oscillationen ausf\u00fchrt. Dann wird sie von der Verd\u00fcnnungswelle im Ansatzrohr auf den Rahmen niedergerissen und bleibt eine geraume Zeit, haften. Hierauf erfolgt ihr Aufschwung ins Windrohr und die gleichzeitig eintretende Luftverdichtung im Ansatzrohr u. s. f.1\nDie Tonh\u00f6he von dergleichen Zungenpfeifen folgt, falls sie kein Ansatzrohr haben, im Wesentlichen den oben ausf\u00fchrlich dargelegten Gesetzen. Besitzen sie aber ein solches, so l\u00e4sst sich ihr Ton bis in infinitum vertiefen. Niemals springt er auf seine erste H\u00f6he zur\u00fcck, sondern geht schliesslich bei allzulangem Ansatzrohr in ein klapperndes Ger\u00e4usch \u00fcber.\nZu den eben beschriebenen Zungenpfeifen geh\u00f6ren alle h\u00f6lzernen Blasinstrume-nte des Orchesters, die Clarinette, die Oboe und das Fagot. Ihre Zungen sind aufschlagende, beziehungsweise (bei den beiden letzten Instrumenten) gegenschlagende, welche den Luftstrom auf k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Zeit vollst\u00e4ndig unterbrechen, indem sie entweder gegeneinander oder gegen die Unterlage aufsehlagen oder sich ihr wenigstens auf ein Minimum n\u00e4hern. Namentlich schwingen die Zungenbl\u00e4tter des Fagot ganz \u00e4hnlich, w\u00fce die Fig. 18 und 19 es darstellen.\n3. Die membran\u00f6sen Zungenpfeifen.\nWir handeln schliesslich noch von den membran\u00f6sen Zungenpfeifen, die ein um so gr\u00f6sseres Interesse f\u00fcr sich in Anspruch nehmen, als sie gegen\u00fcber den Pfeifen mit festen Zungen manche Eigen-th\u00fcmliehkeiten darbieten und der menschliche Kehlkopf unzweifelhaft eine membran\u00f6se Zungenpfeife darstellt.\nWenn man eine Membran quer \u00fcber die Oeffnung eines Cylinders spannt, so dass sie die H\u00e4lfte seiner Grundfl\u00e4che \u00fcberzieht und von der andern Seite her gegen den freien Rand der Membran ein festes \u201eGegenlager\u201c aus Pappe, Messing etc. bis fast zur Ber\u00fchrung derselben heranschiebt, so hat man eine sogenannte einlippige membran\u00f6se Zungenpfeife hergestellt, die von ihrer oberen, wie unteren Seite angeblasen, leicht zum T\u00f6nen gebracht wird. Den einlippigen Zungenpfeifen gegen\u00fcber stehen die z weilippigen, die anstatt des Gegenlagers eine zweite Membran aufweisen, welche der ersten bis zur Bildung eines feinen Spaltes gen\u00e4hert ist.\nDergleichen membran\u00f6se Zungen sind durchschlagende, sie k\u00f6nnen\n1 Die Figur 19 zeigt auch unmittelbar, dass die Luftersch\u00fctterungen im Ansatzrohr um so eher die Eigenschwingungen der Zunge \u00fcberw\u00e4ltigen, je langsamer die ersten und je schneller die letzten an und f\u00fcr sich erfolgen, mit andern Worten, je h\u00f6her die Zunge gestimmt ist und je l\u00e4nger ihr Ansatzrohr ist (Fagot), eine Thatsache, welche Helmholtz auch theoretisch festgestellt. \u2014 Ueber weitere Eigenschaften des Ansatzrohres siehe weiter unten S. 34 unter ,.membran\u00f6se Zungen\u201c.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\naber leicht in auf- oder gegenschlagende verwandelt werden, wenn man bei den einlippigen das Gegenlager unter (oder \u00fcber) den freien Rand der Membran hinausschiebt oder bei Doppelzungen daf\u00fcr sorgt, dass sich ihre freien R\u00e4nder in massiger Ausdehnung ber\u00fchren. Letzteren Zweck erreicht man am besten, indem man die Membranen nicht gerade zu quer, sondern schief gegen die Richtung des Rohres stellt. Dann schlagen sie mit ihren freien R\u00e4ndern wie zwei gegeneinanderklatschende H\u00e4nde zusammen.\nMan hat mancherlei Methoden angegeben, sich dergleichen Zungen, die als ein k\u00fcnstlicher Kehlkopf betrachtet werden k\u00f6nnen, anzufertigen. Meiner Erfahrung nach ist folgende die einfachste. Man zieht auf ein cylindrisches Rohr ein d\u00fcnnes, kurzes Kautschukrohr auf, so dass es des ersten Verl\u00e4ngerung bildet, fasst mit dem Daumen und Zeigefinger jeder Hand zwei diametral gegen\u00fcber liegende Stellen des Kautschukrohres und zieht dieselben auseinander, so dass das kreisf\u00f6rmige Ende in eine gerade Linie verwandelt wird und die Enden des Rohres sich wie zwei Lippen ber\u00fchren. Dergleichen Pfeifen geben kr\u00e4ftige und laute T\u00f6ne, sprechen gut an und sind geeignet, fast alle an membran\u00f6sen Zungenpfeifen zu beobachtenden Thatsachen leicht zu demonstriren. Die Spannung der Zungen, ihre L\u00e4nge und Breite sind auf das leichteste zu ver\u00e4ndern und die dabei auftretenden T\u00f6ne zu beobachten.\nMembran\u00f6se Zungenpfeifen klingen mit geringen Ausnahmen weicher als Zungen aus festem, wenig nachgiebigem Material. Die Ursache hiervon liegt in ihrer eignen Weichheit und in der Art und Weise, wie sie demgem\u00e4ss den Luftstrom unterbrechen. Solch\u2019 kurze abgebrochene Luftst\u00f6sse, wie gewisse feste, namentlich aufschlagende Zungen erzeugen, werden durch ihre Schwingungen nicht hervorgebracht ; sie \u00f6ffnen allm\u00e4hlicher und schliessen allm\u00e4hlicher das Windrohr und nur wenn sie mit grosser Kraft gegen einander schlagen oder irgendwie momentane, vollst\u00e4ndige Verschl\u00fcsse erzeugen, n\u00e4hert sich ihre Klangfarbe derjenigen der festen Zungen, sie wird sch\u00e4rfer und reicher an hohen Obert\u00f6nen.1\nVermittelst der oben (S. 14) beschriebenen Methoden gelang es mir ebenfalls \u00fcber den Schwingungsmodus derartiger Zungen ins Klare zu kommen. Hierbei ergab sich Folgendes.\nDie HELMHOLTz\u2019sche Angabe, dass sie pendelartig schwingen, gilt keineswegs ausnahmslos, sondern bezieht sich nach meiner Erfahrung nur auf dickere und nicht aufschlagende Zungen.\nUm die Schwingungen membran\u00f6ser Zungen aufzuzeichnen, verf\u00e4hrt man am besten wie folgt. Man stellt sich aus Messingblech ein Rohr her, wie nebenstehendes, s. Fig. 20, welches an dem einen Ende ab rund, an dem andern aber cd platt ist. Die eine Wand an dem platten Ende, be\n1 Merkel hat die Schwingungsart membran\u00f6ser, namentlich zweilippiger Zungenpfeifen auf das Scrupul\u00f6seste untersucht und hiernach vier verschiedene, auch in ihrem Klange von einander abweichende Register unterschieden, betreffs derer ich hiermit auf seine Anthropophonik verweise.","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Klangfarbe und Tonh\u00f6he membran\u00f6ser Zungen.\n31\n\u00ef\nragt nicht so tief herab, wie die andere a c und \u00fcber das freie St\u00fcck wird die Kautschukmembran ausgespannt, welche mit ihrem freien entweder ganz oder fast ganz auf cd aufliegt und nahe ihrer Mitte die zeichnende Borste g tr\u00e4gt. Bl\u00e4st man in der Richtung des Pfeils, so schwingt die Membran und schl\u00e4gt je nach der Stellung des Gegenlagers cd entweder auf dasselbe auf oder ber\u00fchrt es \u00fcberhaupt gar nicht. Im ersten Fall sind der Regel nach die T\u00f6ne grell und schreiend, im zweiten dumpf und matt. Nebenstehende Curven (Fig. 21 und 22) erl\u00e4utern ohne Weiteres den Schwingungsmodus.\nIm Allgemeinen weicht die Schwingung membran\u00f6ser Zungen insofern von derjenigen der festen ab, als letztere nur in einer einzigen Art, entweder als eim schlagende oder \u2014 was seltener, als ausschlagende, die membran\u00f6sen aber auf\ncdef\nRand\nFig. 22. Curve einer merubran\u00f6sen Zunge, die nickt aufschl\u00e4gt.\nmancherlei Weise ihre Oscillationen ausf\u00fchren k\u00f6nnen. Damit h\u00e4ngt es zusammen, dass man irgend eine beliebige feste Zunge immer nur von einer Seite mit Erfolg anblasen kann; es gelingt fast nie eine eine Metallzunge durch Blasen und Saugen vom Windrohr aus zum T\u00f6nen zu bringen, bei einer membran\u00f6sen ist das die Regel, wie dies schon Joh. M\u00fcller, Merkel u. A. erkannt haben.\nFreilich ist der Ton, wenn man von ein und derselben Seite die Pfeife einmal durch Saugen, das andere Mal durch Blasen zum T\u00f6nen bringt, nicht immer derselbe. Dies f\u00fchrt uns zur Frage, wovon \u00fcberhaupt die Tonh\u00f6he abh\u00e4ngig ist.\n1) Die H\u00f6he des Klanges ist abh\u00e4ngig von den Eigenschaften der Membran, ihrer Gr\u00f6sse, Gestalt, Schwere, Elasticit\u00e4t, ohne dass man jedoch meines Wissens genauere Angaben hier\u00fcber gemacht","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32 G-r\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nhat. Grosse Membranen t\u00f6nen tiefer als kleine, solche, deren schwingender Rand irgendwie beschwert ist, tiefer als nicht beschwerte, hochgradig elastische h\u00f6her als wenig elastische u. s. f.\n2)\tAls zweiter wichtiger Factor aber tritt jetzt auf die Spannung. Es war Joh. M\u00fcller, der zuerst an ausgeschnittenen Kehlk\u00f6pfen, sowie Harless und Merkel, welche an k\u00fcnstlichen Kehlk\u00f6pfen, deren Zungen aus Kautschukbl\u00e4ttern bestanden, den Einfluss der Spannung auf die Tonh\u00f6he studirten. Auch hier stossen wir wieder auf complicirte Verh\u00e4ltnisse. Harless, der sich offenbar von den \u00e4lteren Forschern des besten Apparates bediente \u2014 die Membran war quer \u00fcber die Fl\u00e4che eines hohlen W\u00fcrfels gelegt und konnte, indem sie auf einer Seite \u00fcber eine Frictionsrolle lief, beliebig gespannt werden; ihr gegen\u00fcber befand sich das bewegliche Gegenlager \u2014 giebt an, dass die Tonh\u00f6he nicht im Verh\u00e4ltniss der Quadratwurzeln der spannenden Gewichte steigt, sondern, was ich best\u00e4tigen kann, dass, je breiter namentlich die zu spannenden Membranen sind, man mehr als w2mal so viel Gewichte braucht, um die Tonh\u00f6he, beziehungsweise die Schwingungszahl auf das nfache zu erheben. Bestimmte Gesetze lassen sich auf Grund der Empirie kaum feststellen, da noch eine Menge von Schwierigkeiten und st\u00f6renden Bedingungen (Ungleichm\u00e4ssigkeit in der Spannung, Ungleichartigkeit des Materials u. s. w.) sich mit derartigen Versuchen verbinden.\nHandelt es sich um kleinere, zweilippige Zungen, wie ich sie S. 30 beschrieben habe, so lassen sich diese leicht und bequem spannen; dieselben verl\u00e4ngern sich aber nat\u00fcrlich \u2014 wie auch die Stimmb\u00e4nder \u2014 bei ihrer Spannung (bei den HARLESs\u2019schen Versuchen war eine Verl\u00e4ngerung der Membran durch erh\u00f6hte Spannung nicht m\u00f6glich) und geben wohl wesentlich aus diesem Grunde stets tiefere T\u00f6ne, als Saiten, welche durch dieselben steigenden Gewichte gespannt wurden.1\n3)\tDie Stellung der Zunge zu ihrem Rahmen ist ein weiterer Punkt, der so wie bei den festen Zungen auch hier die Tonh\u00f6he beeinflusst. Bereits Joh. M\u00fcller macht die richtige Bemerkung, dass Lage und Gestalt des Rahmens oder Gegenlagers den Ton der membran\u00f6sen Pfeife fast regelm\u00e4ssig \u00e4ndert. \u201eLege ich\u201c, so sagt er, \u201e gegen eine membran\u00f6se Zunge, die auf dem Ende eines Windrohres aufgespannt ist, eine feste Platte von Pappe oder Holz,\n1 S. Harless, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. IV. S. 608 u. Merkel, Antbropopbonik S. 684.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Klangfarbe und Tonh\u00f6he membran\u00f6ser Zungen.\n33\nso ist der Ton derselbe, mag die feste Platte gerade der Zunge gegen\u00fcber, d. h. in einer Ebene mit derselben sein oder nach einw\u00e4rts gegen das Windrohr gedr\u00fcckt werden. Wird aber die Platte so aufgelegt, dass ihr Rand vor der Ebene der Zunge liegt, so ist der Ton vom Windrohr aus erregt, viel tiefer, oft um das Intervall von c und f tiefer.u Im ersten Fall, f\u00fcgen wir hinzu, handelte es sich um eine ausschlagende, im zweiten um eine einschlagende Zunge, von denen die erste einer stumpfwinklig, die zweite einer spitzwinklig angeblasenen Membran gleichzusetzen ist (s. S. 11).\nDie grosse Reihe von Versuchen, die Harless und die beinahe unendliche, die Merkel \u00fcber die Tonh\u00f6he membran\u00f6ser Zungenpfeifen angestellt hat, lassen sieh fast s\u00e4mmtlich auf dieses einfache Princip zur\u00fcckf\u00fchren.\nDen festen, aufschlagenden Zungen entsprechen sowohl die membran\u00f6sen (einlippigen) aufschlagenden, als auch die (zwei-lippigen) gegen schlagen den Zungen. F\u00fcr sie, f\u00fcr die Art und H\u00f6he ihres Klanges gelten im Wesentlichen dieselben Gesetze, die wir bei den festen, aufschlagenden Zungen des Weiteren auseinandergesetzt. Ihr Ton ist unter allen Umst\u00e4nden h\u00f6her als der Ton derselben Membran, wenn sie als durchschlagende Zungen auftreten, und ist ausserdem viel sch\u00e4rfer und reicher an hohen Obert\u00f6nen, weil die von ihnen erzeugten Luftst\u00f6sse durch k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Pausen von einander getrennt sind.\nAuch die Tonh\u00f6he einer und derselben auf- und zugleich ausschlagenden Zunge l\u00e4sst sich noch innerhalb bedeutender Grenzen variiren, wenn man das Gegenlager gegen die Zunge heranr\u00fcckt und diese selbst zwingt, um eine andere Gleichgewichtslage und zwar als st\u00e4rker gespanntes Gebilde zu schwingen. Man hat, um sich hiervon zu \u00fcberzeugen, nur noting, zwischen Zunge und Gegenlager, die am besten etwa in der Richtung des Windrohres liegen (s. Fig. 18), ein St\u00fcck Papier oder Kartenblatt etc. zu schieben. Sofort wird der Ton erh\u00f6ht.\nAn zweilippigen Zungen ist ausserdem noch die Frage zu entscheiden, welche T\u00f6ne geh\u00f6rt werden, wenn die Zungen von Haus aus ungleich gestimmt sind. F\u00fcr sie stellte Joh. M\u00fcller folgende Regel auf: \u201e diejenige Lamelle t\u00f6nt, welche bei dem jedesmaligen Anspruch des Blasens am leichtesten in Schwingung versetzt werden kann und ist der Anspruch der Bewegung beider Lamellen angemessen, so k\u00f6nnen sogar beide schwingen und sich zu einem einfachen Ton aecomodiren; sie k\u00f6nnen aber auch verschiedene T\u00f6ne\n1 Merkel unterscheidet bei dergleichen zweilippigen Zungen geradezu eine Menge Register, die aber meiner Meinung nach sich aUe unter die oben ausgesprochenen Gesichtspunkte unterordnen lassen. Die Zungen schlagen entweder aus oder ein und sind entweder als durch- oder aufschlagende eingestellt.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I a.\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\noder der Anspruch, wenn er sich ver\u00e4ndert, hinter einander beide T\u00f6ne hervorbringen. \u201c\nIm ersten Fall handelt es sich um eine einfache Zunge, f\u00fcr welche die andere das Gegenlager darstellt, im zweiten entweder um die Schwingung einer oder beider Membranen derart, dass die durch ihre Oscilla-tionen erzeugten Luftersch\u00fctterungen ihrer St\u00e4rke nach nicht gleich sind, sondern periodisch an St\u00e4rke abwechseln. W\u00fcrde beispielsweise mit jedem zweiten Schw\u00fcnge der ersten Membran auch die zweite eine Bewegung nach derselben Richtung hin ausf\u00fchren, so \u00d6ffnete sich jedesmal das Windrohr mehr, als wenn nur eine Membran die Oeffnung desselben vermittelte. Es w\u00fcrde also abwechselnd ein starker und ein schwacher Luftstoss erfolgen, wir h\u00f6rten zwei T\u00f6ne, die eine Octave von einander entfernt liegen.\n4)\tDie St\u00e4rke des Anblasens ist bei den membran\u00f6sen Zungen von viel gr\u00f6sserer Bedeutung als bei festen, einmal, weil sie eher als diese um eine andere Gleichgewichtslage schwingen k\u00f6nnen und dann gewissermassen st\u00e4rker gespannten Zungen gleichen und zweitens, weil sie meistens als ausschlagende Zungen gestellt sind, die, wie wir gesehen, durch den verst\u00e4rkten Luftdruck unter allen Umst\u00e4nden in ihren Schwingungen beschleunigt werden, w\u00e4hrend von einschlagenden dies nur ausnahmsweise gilt. Schon Liskovius 1 und Joh. M\u00fcller geben gemeinschaftlich an, durch verst\u00e4rktes Anblasen mit dem Munde den Ton membran\u00f6ser Zungenpfeifen um etwa eine Quinte erh\u00f6hen zu k\u00f6nnen.\n5)\tSchliesslich ist noch das Ansatz- beziehungsweise Wind-rohr von Einfluss auf die Tonh\u00f6he. Aus der grossen F\u00fclle von Thatsachen, welche \u00fcber diese Angelegenheit von Joh. M\u00fcller, Rinne1 2, Harless und namentlich Merkel niedergelegt wurden, sowie aus eignen Untersuchungen lassen sich folgende allgemeine Gesichtspunkte ableiten. Die folgenden Thatsachen gelten auch mutatis mutandis f\u00fcr Zungenpfeifen mit festen Zungen, werden aber hier, weil an membran\u00f6sen Zungen gefunden, auch bei ihnen besprochen.\nDamit das Ansatzrohr einen Einfluss auf die H\u00f6he der Zunge aus\u00fcbe, ist zun\u00e4chst dessen Gestalt und Gr\u00f6sse von hervorragender Wichtigkeit. Handeln wir zun\u00e4chst von cylindrisch en Ansatzr\u00f6hren, so d\u00fcrfen dieselben unter keinen Umst\u00e4nden im Vergleiche zur Zunge zu weit sein und m\u00fcssen ausserdem aus festem Material bestehen, dessen innere W\u00e4nde glatt sind. Rauhigkeit zerst\u00f6rt die Regelm\u00e4ssigkeit der Schwingungen ebenso, wie allzu grosse Nachgiebigkeit. Enge, feste R\u00f6hren dagegen sind aus zwei Gr\u00fcnden vor-\n1\tLiskovius, Physiologie der menschl. Stimme. Leipzig 1846.\n2\tArch. f. Anat. u. Physiol. 1850. S. 1.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Klangfarbe und Tonb\u00f6be membran\u00f6ser Zungen.\n35\nzugsweise geeignet, den Eigenton der Zunge zu ver\u00e4ndern. Einmal lehrt die Theorie und Praxis, dass sie stets nur f\u00fcr einen oder ein Paar sehr nahe gelegene T\u00f6ne als Resonanzr\u00e4ume dienen, w\u00e4hrend hei R\u00f6hren mit gr\u00f6sserem Querschnitt sich die st\u00e4rkere Resonanz auf einen breiteren Theil der Scala erstreckt.1 Ausserdem ist die Art, wie die Luft in ihnen schwingt, eine andere als in weiten. Selbst angenommen, dass das Maximum der Luftverdichtung und Verd\u00fcnnung in beiden F\u00e4llen gleich gross sei, so vollziehen sich doch die Druckschwankungen in einer engen R\u00f6hre viel rapider und j\u00e4her als in einer weiten. Es f\u00fchrt dies, nebenbei bemerkt, zur Erzeugung von vielen Obert\u00f6nen, an denen enge Pfeifen stets reicher sind als weite.\nEs liegt nun auf der Hand und l\u00e4sst sich experimentell sehr leicht nachweisen, dass derartige kurze und kr\u00e4ftige Luftst\u00f6sse viel eher und leichter die Schwingungen der, Zunge ver\u00e4ndern als Luftst\u00f6sse von derselben Intensit\u00e4t, die sich aber langsam und allm\u00e4hlich vollziehen.2\nb) Ist das Ansatzrohr ein conisches und befindet sich die Zunge nahe an der Spitze des Kegels, so ergiebt die Erfahrung, dass dergleichen Ansatzr\u00f6hren, wie diejenigen des Fagot und der Oboe sind, den Ton selbstverst\u00e4ndlich in anderer Weise beeinflussen, als cylin-drische von gleicher L\u00e4nge. W\u00e4hrend bei einer Zungenpfeife mit cylindrischem Ansatzrohr die Luft wie in einer gedeckten Lippenpfeife schwingt (s. S. 22) und demzufolge auch nur die ungeradzahligen Obert\u00f6ne in dem Klange derartiger Instrumente wie in demjenigen der Clarinette enthalten sind, so weisen Zungenpfeifen mit conischen Ansatzr\u00f6hren nach der Angabe der meisten Autoren3 in ihrem Klange alle Obert\u00f6ne, auch die geradzahligen auf. Er gleicht somit eher dem Klange offener Lippenpfeifen. Oboe und Fagot \u201eoctaviren\u201c daher, das heisst springen bei Ueberblasung in die Octaven \u00fcber, die Clarinette octavirt nicht, ihre Ueberblasung f\u00fchrt gleich zur Entstehung des dritten Obertones, der Quinte in der Octave.\n1\tS. Helmholtz, Tonempfindungen S. 604.\n2\tEinige der hier geschilderten Beziehungen konnte Helmholtz in folgender Formel zusammenfassen :\n. 4 7t {l -j- a) 4 7t ^ ^\tL2\nX\n\nin welcher l die L\u00e4nge des Ansatzrohres, a eine von der Form der R\u00f6hre abh\u00e4ngige Constante, L die Wellenl\u00e4nge des Tones der freien Zunge, X die des wirklich eingetretenen Tones, \u00df2 eine Constante, die bei Zungen von leichtem Material und gr\u00f6sserer Reibung gr\u00f6sser ist als bei schwerem und vollkommen elastischem Material.\n3\tS. Zamminer, Die Musik und die musikalischen Instrumente S, 295. Giessen\n1855.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36 Gr\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 1. Cap. Die Zungenpfeifen.\nEs hat nun aber Helmholtz 1 gezeigt, dass die kr\u00e4ftig ansprechenden h\u00f6heren T\u00f6ne einer conischen R\u00f6hre weder genau das eine, noch genau das andere thun. Er fand vielmehr, dass eine membra-n\u00f6se Zungenpfeife mit einem conischen Ansatzrohr von Zink, welches folgende Masse hatte: L\u00e4nge / = 122,7 cm., Durchmesser der Oeff-nungen 5,5 und 0,7 cm., in ihren tieferen Obert\u00f6nen sich allerdings nahe an diejenigen einer offenen Pfeife anschloss, dass die hohen dagegen (vom 6.\u20149.) denen einer gedeckten Pfeife nahezu gleich kamen. Und zwar war die L\u00e4nge der imagin\u00e4ren offenen Pfeife ann\u00e4hernd gleich der L\u00e4nge des ganzen Kegels von der Grundfl\u00e4che bis zur Spitze, diejenige der gedeckten ann\u00e4hernd gleich der L\u00e4nge der abgestutzten.\nWenn man daher bei Trompeten und H\u00f6rnern die durch verst\u00e4rktes Anblasen zu erzeugenden h\u00f6heren T\u00f6ne gleich denen einer offenen Pfeife setzt, so begeht man einen Fehler; denn die oberen sind verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zu tief gegen die unteren.\nDiesem Fehler helfen die Musiker auf zweierlei Weise ab. Der zu hohe Ton l\u00e4sst sich durch \u201eStopfen\u201c, d. h. durch Einfuhren der vollen Hand in den Schallbecher, ein wenig niedrige^, der zu niedrige durch \u201eTreiben\u201c, d. h. durch einen m\u00e4ssig verst\u00e4rkten Luftdruck ein wenig erh\u00f6hen.\n2. Von weiterer Bedeutung f\u00fcr die Wirkung der Ansatzr\u00f6hren ist die Art der Zunge. Joh. M\u00fcller, Rinne und Merkel haben unter ihren Versuchen eine grosse Menge negativer, bei denen also eine Verl\u00e4ngerung des Ansatzrohres keinen Einfluss auf die Tonh\u00f6he der Zunge aus\u00fcbte. Ein grosser Theil jener V ersuche ward aber angestellt mit grossen Kautschukbl\u00e4ttern, die 16 mm. und mehr breit waren. In der That \u00e4ussert auf dergleichen Membranen ein k\u00fcrzeres oder l\u00e4ngeres Rohr desshalb keine Wirkung, weil selbst, wenn in ihrer N\u00e4he ein bedeutender Druckwechsel in Folge de? reflectirten Wellen stattf\u00e4nde, dieser doch nicht ausreichte der grossen Masse eine bestimmte Schwingungsart aufzun\u00f6thigen, und weil ausserdem grosse Membranen, wenn sie \u00fcberhaupt t\u00f6nend schwingen sollen, in ziemlich bedeutenden Excursionen sich bewegen und es in Wirklichkeit zu starken Luftdruckschwankungen gar nicht kommen lassen.\nKleine Zungen sind es daher, welche am ehesten einen beliebigen Schwingungsrhythmus annehmen, da sie selbst kleine Excursionen\n1 Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen S. 627. Braunschweig 1877. Die Gesetze, welche hierbei herrschen, sprach Helmholtz in folgender Formel aus :\n2 7tU-\\-o)\tInr\ntang------,---==-------,\u2014;\nin welcher die Buchstaben dasselbe wie oben bezeichnen und r den Abstand der Zunge von der ideellen Spitze des Kegels bedeutet.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Klangfarbe und Tonh\u00f6he membran\u00f6ser Zungen.\n37\nmachen und auf ihre geringe Masse ein periodischer Druckwechsel eher wirksam sein kann, als auf die bedeutende Masse grosser Zungen. Desshalb sehen wir auch, dass bei den Versuchen Rinne\u2019s die Wirkung der Ansatzst\u00fccke um so bedeutender zu Tage trat, je schmaler der schwingende Zungenrand durch Decken der nicht schwingenden Theile gemacht wurde.\nWar beispielsweise die Breite des schwingenden Randes = 3'\", so betrug der Unterschied des h\u00f6chsten und niedrigsten Zungentones, der durch passende Verl\u00e4ngerung des Ansatzrohres erreicht werden konnte, eine\tQuinte\tvon\tcis'\tbis\tgis';\tbei einer Breite von 3 ff'\"\n\u00bb\tQuarte\t\u201e\tcis'\t\u201e\tfis',\t\u201e\t\u201e\t4'\"\n\u00bb\tTerz\t\u201e\tcis'\t\u201e\te',\t\u201e\t6 ff'\"\n\u201e\tSecunde\t\u201e\tc'\t\u201e\td'.\nDen kleinen, stark gespannten Zungen gegen\u00fcber stehen die grossen, schlaffen, die durch kein Ansatzrohr irgend welcher Art in ihrer Tonh\u00f6he ver\u00e4ndert werden, namentlich wenn sie schon bei massigem Luftdruck ansprechen. Zu ihnen geh\u00f6ren die menschlichen.Lippen, die Stimmb\u00e4nder eines aus der Leiche herausgeschnittenen Kehlkopfes und schlaffe, grosse Kautschukmembranen mit relativ weiter Stimmspalte. Bei all diesen Zungen ist \u2014 mit gewissen gleich zu erw\u00e4hnenden Ausnahmen \u2014 auch die Bewegung der Luft eine mehr remittirende, w\u00e4hrend sie bei den vorher erw\u00e4hnten eine ausgesprochen intermittirende war. Die mittlere Geschwindigkeit der Luft ist daher caeteris paribus im ersten Fall eine viel geringere, als im letzten. Man gebraucht um eine Clarinette anzublasen, sehr wenig Luft, diese aber von starkem Druck; um einen Kehlkopf, der passend hergerichtet ist, viel mehr, aber von viel geringerem Druck.\nWill man daher gr\u00f6ssere membran\u00f6se Zungen, wie etwa die menschlichen Lippen oder dicke Kautschukmembranen, in ihren Schwingungen beeinflussen, so muss man sie ausschlagend stellen und kr\u00e4ftig gegen einander pressen. Dann wirkt auf sie, damit sie \u00fcberhaupt t\u00f6nen, ein ungemein kr\u00e4ftiger Luftdruck. Die unter diesem Druck entstr\u00f6mende Luft wird dann durch die gegeneinander schlagenden Lippen ebenfalls vollst\u00e4ndig unterbrochen und der Ton des Ansatzrohres gegen\u00fcber ihrem eigenen zur Geltung gebracht. Zudem schwingen sie in kleineren Amplituden und lassen die Luft nicht so leicht abstr\u00f6men. Bei fast allen Blasinstrumenten von Blech, deren Zungen bekanntlich die Lippen des Bl\u00e4sers sind, k\u00f6nnen daher nur diejenigen T\u00f6ne verwendet werden, welche bei hohem Druck ansprechen; das sind aber nicht die Eigent\u00f6ne des Ansatzrohres, sondern dessen Obert\u00f6ne vom 2. oder 3. an. Die Eigent\u00f6ne des Rohres sind vielmehr so unsicher, dass sie von den \u00e4ltern Musikern den Namen \u201eFlattert\u00f6ne\u201c erhielten.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38 (xr\u00fctznee. Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nZWEITES CAPITEL.\nDie stimmbildenden Apparate.\nGleich wie bei den meisten Zungenpfeifen drei St\u00fccke das Instrument zusammensetzen, n\u00e4mlich 1. die Zunge, 2. ein Windrohr, in welchem die Luft mit mehr oder weniger Druck gegen die Zunge getrieben wird, 3. ein Ansatzrohr, das Tonh\u00f6he und Farbe mannigfach ver\u00e4ndert, so besteht auch der menschliche Stimmapparat aus jenen drei Theilen: 1. der Zunge, das ist den Stimmb\u00e4ndern des Kehlkopfs, 2. dem Windrohr, der Luftr\u00f6hre mit ihren Bronchien, in der die Luft durch die Ausathmungsmuskeln unter h\u00f6heren Druck gesetzt wird, 3. dem Ansatzrohr, das ist dem gesammten Hohlraum \u00fcber dem Kehlkopf, also Mund-, Rachen- und Nasenraum mit den verschiedenen Nebenh\u00f6hlen.\nWir beginnen mit der Schilderung des Kehlkopfs.\nI. Der Kehlkopf.\n(Anatomische Vorbemerkungen.)\nDas Knorpelger\u00fcst des Kehlkopfes bilden drei unpaarige und drei paarige Knorpel. Der erste der unpaaren, um den alle anderen sich gruppiren und der gewissermaassen die Grundlage des ganzen Baues darstellt, hat die Gestalt eines Siegelrings mit vorderer niederer und hinterer h\u00f6herer Wand; Ludwig nennt ihn passend den Grundknorpel, in den anatomischen Lehrb\u00fcchern figurirt er als Ringknorpel, Cartilago cricoidea.\nAussen auf seinen seitlichen Fl\u00e4chen nahe dem hinteren Rande finden sich fast regelm\u00e4ssig zwei kleine concave Gelenkfl\u00e4chen, vermittelst deren der zweite unpaare, zugleich der gr\u00f6sste Knorpel des Kehlkopfes mit dem Ringknorpel articulirt. Dieser, die Cartilago thyreoidea, der Schild- oder Spannknorpel ist aus zwei etwa viereckigen Platten zusammengesetzt, welche sich vorn unter einem Winkel von etwa 90\u00b0 vereinigen und dort den vorspringendsten Theil des Kehlkopfs, das Po-mum Adami, bilden; er zeigt an seiner hinteren Seite ein kleines, nach abw\u00e4rts und ein grosses, nach aufw\u00e4rts gerichtetes Horn. An der inneren Seite des ersteren befindet sich die Articulation mit der Cartilago cricoidea, am oberen Ende des letzteren ein elastisches Band, vermittelst dessen der Schildknorpel jederseits und damit der ganze Kehlkopf an der Spitze des grossen Zungenbeinhorns befestigt ist.\nDer dritte unpaare, f\u00fcr die akustischen Leistungen des Kehlkopfes weniger wichtige Knorpel ist der Kehldeckel, die Cartilago epi-glottica, aus elastischem Knorpel bestehend und mit seiner unteren Spitze an die innere Fl\u00e4che der Cartilago thyreoidea nahe an ihrem","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Kehlkopf. Gelenke des Kehlkopfs.\n39\noberen Ausschnitt befestigt. Ihre wechselnde Gestalt interessirt mehr den Laryngoskopiker als den Physiologen.\nVon h\u00f6chster psysiologisclier Wichtigkeit f\u00fcr die Stimmbildung sind zwei paarige Knorpel, welche jederseits auf dem abh\u00e4ngigen Rande der Cartilago cricoidea ruhen und durch einen complicirten Muskelmechanismus mit den von ihnen ausgehenden Stimmb\u00e4ndern in verschiedenster Weise gestellt und gerichtet werden k\u00f6nnen. Es sind die Giessbeckenknorpel, Cartilagines arytaenoideae, von Ludwig Stellknorpel genannt.\nDie andern paarigen Knorpel, die Cartilagines Santorinianae seu corniculatae (Henle), welche auf der obern Spitze der Giessbeckenknorpel aufsitzen und die Cartilagines Wrisbergianae seu cun\u00e9iformes (Henle), die in den Ligamentis ary - epiglotticis eingelagert sind, haben wegen ihrer Lage und Gr\u00f6sse keine physiologische Bedeutung.\nVon den Gelenken und elastischen B\u00e4ndern des Kehlkopfes sind folgende f\u00fcr uns von Interesse.\n1) Die Articulatio crico-thyreoidea.\nDie Gelenkoberfl\u00e4che der Cartilago cricoidea ist auf- und seitw\u00e4rts geneigt, sehr flach und hat auf sich ruhen die innere und untere Endfl\u00e4che des kleinen Horns des Spannknorpels. Das Gelenk ist von einer Kapselmembran umgeben, die unten stark ist und in deren hinterer und vorderer Wand besondere Faserz\u00fcge (B\u00e4nder) eingelagert sind.\nDie Bewegung, welche der Schildknorpel auf dem Ringknorpel nach Maassgabe der B\u00e4nder und der Gestalt der Gelenkfl\u00e4chen vornehmen kann, ist, abgesehen von kleinen gleitenden Bewegungen nach vor- und r\u00fcckw\u00e4rts., eine Rotation des Schildknorpels um eine horizontale, durch die beiden Cornua minora gelegte Axe.\n2) Die Articulatio crico-arytaenoidea.\nEine ziemlich ausgedehnte Beweglichkeit ist den zwei Stellknorpeln verliehen. Das Gelenk zwischen jenen beiden Knorpeln und dem Ringknorpel wird von Henle als Sattelgelenk, von Anderen1 jedoch als einfacher Ginglymus angesehen. Die Gelenkfl\u00e4che des Ringknorpels, die von innen und hinten nach aussen und vorn steil abf\u00e4llt, ist l\u00e4nglich elliptisch. Ihr l\u00e4ngerer Durchmesser liegt in dem aufsteigenden Rande der Cartilago cricoidea. In dieser Richtung ist die Fl\u00e4che leicht concav oder vollst\u00e4ndig eben, convex dagegen in einer darauf senkrechten, also in einer mit der kleinen Axe der Ellipse zusammenfallenden Richtung. Auch die Gelenkfl\u00e4che des Stellknorpels ist elliptisch, aber die beiden Gelenkfl\u00e4chen liegen gekreuzt \u00fcber einander, so dass deren gleichnamige Axen beinahe einen rechten Winkel bilden und die Fl\u00e4chen selbst sich nie ganz decken k\u00f6nnen.\nZudem ist die Gelenkfl\u00e4che des Giessbeckenknorpels nur in einer Richtung gekr\u00fcmmt, beziehungsweise ausgeh\u00f6hlt und stellt einen Theil der Mantelfl\u00e4che eines Cylinders dar, dessen Axe ungef\u00e4hr parallel dem absch\u00fcssigen Rande des Ringknorpels (also von vorn, aussen und unten nach hinten, innen und oben) verl\u00e4uft.\n1 Magendie, Grundriss der Physiologie, \u00fcbers, von Heusinger. I. S. 198.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nDie schlaffe Gelenkkapsel w\u00fcrde eine sehr ausgiebige Bewegung der Giessbeckenknorpel auf ihrer Unterlage gestatten, wenn nicht das kr\u00e4ftige, von innen und unten nach aussen und vorn ziehende Ligamentum crico-aryta\u00e8noideum seu triquetrum ein Gleiten der Knorpel einigermaassen beschr\u00e4nkte.\nDie Bewegungen, wrelche der Aryknorpel auf dem Ringknorpel ausf\u00fchren kann, sind, obwohl ziemlich mannigfaltig, doch unter folgende drei Gesichtspunkte zu bringen: Die Bewegung des Aryknorpels ist zun\u00e4chst eine rotirende um jene oben beschriebene Axe des Cylinders, von dessen Mantel die Gelenkfl\u00e4chen herausgeschnitten sind. Dabei beschreibt sein Stimmfortsatz einen Kreisbogen nach oben und entfernt sich von dem gegen\u00fcberliegenden oder nach unten und n\u00e4hert sich demselben. Die Bewegungen geschehen dabei nat\u00fcrlich in Ebenen, welche senkrecht stehen auf den Axen der betreffenden Cylinder und sich in einem stumpfen, nach oben und hinten offenen Fl\u00e4chenwinkel schneiden.\nHierdurch wird die Stimmspalte (Glottis vocalis) erweitert oder verengt (beziehungsweise geschlossen), ohne dass die Spannung der Stimmb\u00e4nder sich irgendwie \u00e4ndert; niemals aber wird hierbei die Glottis in-tercartilaginea vollst\u00e4ndig geschlossen, sondern im g\u00fcnstigsten Fall ber\u00fchren sich die Processus vocales, und zwischen den innern Fl\u00e4chen der Giessbeckenknorpel bleibt ein dreieckiger Raum.\nDie zweite Bewegung ist eine gleitende, parallel der Axe des Cylinders, also von oben innen nach unten und aussen. Sie ist nie rein und ausgiebig, sondern wegen des Ligamentum triquetrum beschr\u00e4nkt und mit kleinen Aus- oder Einw\u00e4rtsdrehungen verbunden. Dabei \u00e4ndert sich aber zugleich die Spannung der Stimmb\u00e4nder ein wenig, weil ihr hinterer Ansatzpunkt an den Giessbeckenknorpeln sich von vorn nach hinten, also in der Richtung der Stimmb\u00e4nder verschiebt.\nDie dritte Bewegung schliesslich, welche die Giessbeckenknorpel auf dem Ringknorpel ausf\u00fchren, l\u00e4sst sich weniger aus dem Pr\u00e4parat, als direct mit dem Kehlkopfspiegel am Lebenden beobachten. Es ist eine derartige Drehung der Aryknorpel, dass nicht bloss ihre Stimmforts\u00e4tze, sondern ihre gesammten innern Fl\u00e4chen in unmittelbare Ber\u00fchrung ge-ratlien. Dieser Verschluss der Glottis intercartilaginea ist nur-dann m\u00f6glich, wenn die Giessbeckenknorpel mit ihren hintern innern Kanten sich m\u00f6glichst gen\u00e4hert haben (durch Contraction des M. aryt. transv.) und auf der h\u00f6chsten Stelle der Gelenkfl\u00e4che des Ringknorpels stehen. Alsdann k\u00f6nnen sie um eine verticale, etwa durch den Ansatzpunkt des Lig. triquetrum gehende Axe rotiren.\nNebenbei sei bemerkt, dass gew\u00f6hnlich der Giessbeckenknorpel bei freier Respiration und m\u00e4ssig ge\u00f6ffneter Stimmritze auf dem untern lateralen Theil der Gelenkfl\u00e4che des Ringknorpels sitzt und den obern medialen Theil frei l\u00e4sst.\n1. Die elastischen B\u00e4nder des Kehlkopfes und seine innere Auskleidung.\nDie gesammte Schleimhaut des Kehlkopfes ist dadurch charakterisirt, dass sie eine ungemein grosse Menge zarter elastischer Fasern in sich","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Kehlkopf. B\u00e4nder des Kehlkopfs.\t41\nbirgt, die ein zierliches Geflecht bilden und bis dicht unter die Oberfl\u00e4che ausstrahlen.\nBeginnen wir von der dem Kehlkopf zugewendeten Seite der Epiglottis, so wird dieselbe bekanntlich von einer Schleimhaut \u00fcberzogen, die, namentlich in ihren unteren Partien, reich an stecknadelkopfgrossen, acin\u00f6sen Dr\u00fcsen ist. Ein niedriges, einfaches Pflasterepithel \u00fcberzieht sie, w\u00e4hrend die der Zunge zugewendete mit geschichtetem Pflasterepithel bedeckt ist.\nDas Epithel der Kehlkopfschleimhaut, die ebenfalls viele kleine rnokn-korn- bis stecknadelkopfgrosse Dr\u00fcsen enth\u00e4lt, erweist sich durchweg mit Flimmerh\u00e4rchen bekleidet, deren Schlag nach aussen, nach der M\u00fcndung des Respirationstractus, gerichtet ist. Nur der freie Rand der Stimmb\u00e4nder ist hiervon ausgenommen. Er zeigt ein geschichtetes Pflasterepithel und ist auf der nach oben gewendeten Seite frei von jeglicher Dr\u00fcse.\nVon den B\u00e4ndern des Kehlkopfes nehmen die sogenannten Stimmb\u00e4nder, die wahren und die falschen, wesentlich unser Interesse in Anspruch.\n1)\tDie oberen falschen, Ligamenta thyreo-arytaenoidea superiora, welche zwei dreikantige, von vorn nach hinten ziehende Vorspr\u00fcnge bilden, f\u00fchren die Namen der B\u00e4nder mit wenig Recht, da sie nur in ihren oberfl\u00e4chlichen Schichten elastisches Gewebe zeigen, ihre Substanz selbst aber ungemein reich von acin\u00f6sen Dr\u00fcsen durchsetzt ist, welche auf der Oberfl\u00e4che der B\u00e4nder ausm\u00fcnden. Sie beginnen an dem den Winkel der Cartilago thyreoidea ausf\u00fcllenden Bindegewebswulst, ziehen dann nach hinten und aussen und enden am vorderen Rand der Cartilago arytaenoidea zwischen der Spina superior und inferior dieses Knorpels (Henle). Unterhalb und seitlich von diesen B\u00e4ndern liegt ein Hohlraum, der sich ziemlich weit nach oben erstreckt und unter dem Namen Ven-triculus Morgagni bekannt ist.\n2)\tDie eigentlichen, wahren Stimmb\u00e4nder, Ligamenta thy reo-arytaenoidea infer iora entspringen unterhalb der falschen von einem Faserknorpelwulst, der den Winkel der beiden Schildknorpelplatten einnimmt und etwa in der Mitte der vorderen Kante gelegen ist. Gleich in ihrem vordersten Anfangstheil charakterisiren sie sich als festes, gelbliches, elastisches Gewebe, das sich an einer kleinen beschr\u00e4nkten Stelle knorpelhart anf\u00fchlt. Die Einen glaubten hier ein elastisches Knorpelst\u00fcckchen vor sich zu haben (Luschka)1, Andere (Verson2, Krause3); deren Meinung ich beisfimme, sahen nur einen dichten Filz elastischer und bindegebiger Fasern mit zahlreichen Kernen. Von hier ab ziehen die elastischen B\u00e4nder, indem sie den vorspringenden, leicht in eine Falte erhebbaren Saum des dreikantigen unteren Stimmbandes im weiteren Sinn des Wortes bilden, als sogenannte Chordae vocales an den\n'Stimmfortsatz des Giessbeckenknorpels. Das Gewebe dieser Chordae selbst ist ein sehr inniges. Ungemein zarte elastische Fasern verflechten und verfilzen sich derart, dass man eine bestimmte regelm\u00e4ssige Anordnung in ihnen kaum herausfinden kann. Zwischen ihnen aber gewahrt man auch dickere\n1\tH. Luschka. Der Kehlkopf des Menschen S. SO. T\u00fcbingen 1871.\n2\tE. Verson, Wiener Sitzungsber. 1868.\n3\tW. Krause, Allg. u. mikroskop. Anatomie S. 197. Hannover 1876.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nelastische B\u00fcndel, die bei ausreichender Vergr\u00f6sserung in Querschnitten als gl\u00e4nzende Punkte, in L\u00e4ngsdurchschnitten als scharf contourirte Fasern von dem tr\u00fcben feinen Fasergeflecht abstechen. Diese starken Fasern verlaufen in frontaler Ebene namentlich in den vorderen Partien des Bandes von der Kante der Stimmb\u00e4nder nach oben und aussen parallel der obern Fl\u00e4che ab (Fig. 36) und ein m\u00e4chtiges Geflecht bildend, auch nach unten und seitw\u00e4rts in der Kichtung b c. Vornehmlich letztere Fasern werden von sagittalen durchsetzt, die sich bekanntlich an der freien vorspringenden Kante des Stimmbandes (b) in gr\u00f6sster Menge vorfinden und jenen Theil wesentlich zusammensetzen.\nDem Stimmbande im weiteren Sinne des Wortes ist ausser den von jenen elastischen Fasern eingeschlossenen Muskeln noch beizuz\u00e4hlen derjenige Theil der Kehlkopfschleimhaut, welcher unterhalb der Kante auf dem eben geschilderten elastischen Gewebe aufliegt. Er bildet selbst ein wreites Maschennetz aus elastischen Fasern, in dessen Hohlr\u00e4umen kleine acinose Dr\u00fcsen liegen, deren Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge alle schr\u00e4g nach oben und innen verlaufen.\n2. Die Muskeln des Kehlkopfs.\nDer eine Theil derselben dient dazu, entweder den Kehlkopf als Ganzes zu bewegen, ihn ab- oder aufw\u00e4rts zu ziehen, oder, was bei Hervorbringung jeglichen Tones unerl\u00e4sslich ist, ihn zu fixiren; der andere Theil \u00e4ndert die Stellung der eigentlichen Kehlkopfknorpel gegeneinander und somit die Gestalt dieses Gebildes und die Spannung der in ihm liegenden elastischen Theile, insonderheit der Stimmb\u00e4nder.\nDie Bedeutung dieser letzteren im Kehlkopf gelegenen Muskeln ist eine dreifache; einen Theil derselben k\u00f6nnen wir als respiratorische bezeichnen, sie dienen auf der einen Seite wesentlich dazu, den Weg zwischen \u00e4usserer Atmosph\u00e4re und dem Innern der Lunge offen zu erhalten und der Aus- und Einathmungsluft an der engsten und ver\u00e4nderlichsten Stelle des Weges, im Kehlkopf selbst, eine bequeme Durchgangspforte zu sichern. Ein anderer Theil der Kehlkopfmuskeln erf\u00fcllt die entgegengesetzte Aufgabe, er bildet einen absolut luftdichten Verschluss und erm\u00f6glicht uns, die in der Lunge enthaltene Luft unter ausserordentlich starken Druck zu setzen und unter diesem Druck zu erhalten. Sie kann selbst bei heftiger Anstrengung der Ausathmungsmuskeln jene Pforte nicht sprengen und \u00fcbt als elastisches Polster einen starken Druck auf die gespannten W\u00e4nde des Thorax, insonderheit das Zwerchfell aus, wenn, wie beim Dr\u00e4ngen und Pressen die Bauchmuskeln sich contrahiren.\nDie dritte physiologische Gruppe der Kehlkopfmuskeln ist die, welche mit der Erzeugung der Stimme in unmittelbarem Zusammenhang steht und f\u00fcr deren Bildung unerl\u00e4sslich nothwendig ist. Anatomisch sind jene beiden Gruppen nicht durchaus getrennt und es wirken bekanntlich Fasern derjenigen Muskeln, welche den festen Verschluss oder eine mehr oder weniger erhebliche Erweiterung der Stimmritze bewirken, auch bei der Stimmbildung activ mit.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Kehlkopf. Aeussere Muskeln des Kehlkopfs.\n43\nA) Die \u00e4usseren Muskeln des Kehlkopfs.\n1.\tDer M. sterno-thyreoideus, von der Innenfl\u00e4che des Brustbeins entspringend, setzt sich an die Seitenplatte des Schildknorpels in der Richtung einer schr\u00e4g von aussen nach innen absteigenden Linie an, zieht den Kehlkopf kraftvoll nach unten und vermag ausserdem, da eine Menge von seinen l\u00e4ngeren Fasern sich an die hintersten Partieen des Schildknorpels hinter der Articulatio crico-thyreoi-dea ansetzen, diesen in seinen vorderen Partieen zu heben und die Stimmb\u00e4nder zu erschlaffen (Merkel).\n2.\tSein Antagonist, der hyo-thyreoideus, hebt den Kehlkopf im Ganzen, vermag aber bei fixirtem Zungenbein mit seinen vor dem Drehpunkt des Schildknorpels gelegenen Fasern, welche an derselben schr\u00e4gen Linie sich ansetzen, diesen nach hinten \u00fcberzukippen und ebenfalls die Stimmb\u00e4nder zu entspannen, eine Bewegung, welche man bei alleiniger elektrischer Reizung des Muskels mit Leichtigkeit beobachten kann.\nDies geschieht nun aber in Wirklichkeit, wie es scheint, durch die Th\u00e4tigkeit dieses Muskels niemals, sondern da mit ihm sich stets gleichzeitig die Heber des Zungenbeins (genio-hyoideus etc.) contra-hiren und dieses weit nach vorn dr\u00e4ngen, so \u00e4ndert sich die Zugrichtung der Muskelfasern; der Schildknorpel wird jetzt in seinen vorn \u00fcbergegekoben und, Fixation des Ringknorpels vorausgesetzt, hintern Partieen kippt. Hierdurch spannen sich die Stimmb\u00e4nder und der hyo-thyreoideus tritt somit als Spanner der Stimmb\u00e4nder auf.\nHiermit steht in Uebereinstimmung die interessante Beobachtung von Vierordt !, dass nach Durchschneidung dieses Muskels bei Katzen die Stimme um 3\u20144 T\u00f6ne sinkt und die Stimmritze sich nicht mehr so eng zusammenschliesst, so wie die nicht minder interessante von Steiner1 2, dass nach L\u00e4hmung aller inneren Kehlkopfmuskeln die Stimme bei Kaninchen noch m\u00f6glich ist, wenn entweder der Hyo-thyreoideus oder die Constrictoren normal innervirt werden. L\u00e4hmt man auch einen von diesen beiden Muskeln, so ist keine Stimmbildung mehr m\u00f6glich.3\n3.\tAls \u00e4ussere, nicht unwichtige Muskeln des Kehlkopfes haben wir daher auch noch die Constrict or es und zwar den Laryngo-pharyngeus zu erw\u00e4hnen. Seine Wichtigkeit bei der Stimmbildung geht aus dem soeben mitgetheilten STEiNER\u2019schen Versuche hervor. Sie besteht, wie ich glaube, in folgenden Actionen. Einmal vermag er\n1\tVierordt, Grundriss der Physiologie S. 536. T\u00fcbingen 1877.\n2\tM\u00fcndliche Mittheilung.\n3\tAuch C. Mayer (Nova Acta Acad. Leopold. Carol. Vol. XX. p. 659) betrachtet den Hyo-thyreoideus als einen Muskel, der die Stimmb\u00e4nder spannt und den Kehlkopf zusammendr\u00fcckt.","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nden Kehlkopf entweder im Ganzen oder vorzugsweise einen der beiden grossem Knorpel (Cart. thyr. oder cric.) hinten, an der Wirbels\u00e4ule festzuhalten, andrerseits bei biegsamen Knorpeln (wie vielleicht bei den Kaninchen) den Schildknorpel im Ganzen zu verbiegen, die Platten desselben einander zu n\u00e4hern und durch die hierbei stattfindende Ann\u00e4herung und Spannung der Stimmb\u00e4nder (denn ihr vorderer Ansatzpunkt wird hierdurch weiter nach vorn bewegtj die Stimmbildung zu erleichtern, wenn auch nicht allein m\u00f6glich zu machen.\nWir sind hiernach berechtigt in jenen drei Muskeln (dem m. sterno-thyreoideus, hyo-thyreoideus, laryngo-pharyngeus) nicht bloss Apparate zur Fixation des Kehlkopfes und seiner einzelnen, gr\u00f6sseren Knor^ pel, sondern auch gr\u00f6bere Einstellungsmechanismen zu sehen, welche allein f\u00fcr sich die Stimmb\u00e4nder in die f\u00fcr die Erzeugung der Stimme n\u00f6thige Spannung und Ann\u00e4herung versetzen k\u00f6nnen. Die feinere Abstufung und Graduirung dieser Th\u00e4tigkeiten liegt nat\u00fcrlich den inneren, eigentlichen Kehlkopfmuskeln ob. Selbstverst\u00e4ndlich haben auf die Bewegung des Kehlkopfes ausser den genannten Muskeln noch alle am Zungenbein befestigten Muskeln einen indireeten Einfluss.\nB) Die inneren Kehlkopfmuskeln.\n1) Die Muskeln zwischen Schild- und Eingknorpel. a. Musculus crico-thyreoideus anlicus.\nDie Bewegungen zwischen dem Spann- und Grundknorpel, die sich in der articulatio crico-thyreoidea vollziehen, werden wesentlich durch den musc, crico-thyreoideus anticus bewirkt. Henle und Luschka theilen ihn in 2 Portionen, von denen die eine direct von oben nach unten, die andere zugleich von vorn nach hinten zieht.\nDie erste kleinere Portion, der muse, cr.-thyr. rectus, entspringt an dem vorderen unteren Rande der cartilago ericoidea dicht neben der Mitte und zieht, mit dem der anderen Seite einen kleinen spitzen Winkel bildend, schr\u00e4g nach aufw\u00e4rts und seitlich, um an der Mitte des unteren Randes der cartilago thyreoidea zu enden.\nDie 2. Portion, der musc, cr.-thyreoideus oblicpius, ist ein f\u00e4cherartig gestalteter Muskel, der mit seinen Fasern weiter seitw\u00e4rts an der Aussenfl\u00e4che der cart, ericoidea beginnt und schr\u00e4g nach oben und hinten zieht. Er endet an dem unteren Rande der cart, thyreoidea hinter dessen Mitte bis an das kleine Horn hin.\nSeine Wirkung ist leicht verst\u00e4ndlich. Wenn wir den Ringknorpel als punctum fixum betrachten, so ist ersichtlich, dass namentlich die vorderen Fasern den Schildknorpel nach vorn abw\u00e4rts bewegen und","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Kehlkopf. Die inneren Kehlkopfmuskeln. M. crico-thyreoideus ant. 45\ndadurch die Stimmb\u00e4nder spannen. Die hintere seitliche Partie des Muskels hat eine geringe drehende Kraft; sie sucht vielmehr den Spannknorpel nach vorn zu ziehen, presst ihn somit an den Ringknorpel an und tr\u00e4gt in jeder beliebigen Stellung der Knorpel zu ihrer Fixirung bei, was bei der Stimmbildung nicht ohne Wichtigkeit ist. Schliesslich liegt in diesen Fasern noch eine dritte Componente, welche in frontaler Richtung verl\u00e4uft und die beiden Schildknorpelplatten von der Seite her an den Ringknorpel heranzuziehen sucht. Dadurch kann die Substanz des Schildknorpels verbogen werden. Der Winkel, unter welchem sich vorn seine Platten schneiden, wird spitzer, er tritt mehr hervor und die Stimmb\u00e4nder werden st\u00e4rker gespannt.\nDiese Auffassung ist einer Arbeit Jelenffy\u2019s 1 entnommen, in welcher ausserdem die Ansicht vertreten ist, dass bei der Th\u00e4tigkeit besagten Muskels der Schildknorpel in seinen vordem Theilen niemals an den Ringknorpel, sondern umgekehrt der Ringknorpel an den Schildknorpel herangehoben werde. Der Effect der Spannung bleibt sich nat\u00fcrlich gleich ; im ersten Falle, der sonst als der gew\u00f6hnliche gilt, ist das hintere Ende der Stimmb\u00e4nder fest und ihr vorderes bewegt sich, im zweiten ist es umgekehrt. Da ist ihr vorderer Ansatz das Puctum fixum, ihr hinterer wird noch weiter nach hinten gezogen.\nK\u00fcnstlich kann man immer eine der 3 Componenten des Muskels durch passenden Druck1 2 entweder in ihren Wirkungen verst\u00e4rken oder schwachen. Hebt man beispielsweise den Ringknorpel, w\u00e4hrend man einen Ton aush\u00e4lt, gegen den Schildknorpel in die Hohe und unterst\u00fctzt somit die verticale Componente (M. er. thyr. rectus), oder dr\u00fcckt man den Ringknorpel nach hinten (Verst\u00e4rkung der sagittalen Componente), oder quetscht man schliesslich von beiden Seiten her die Platten des Schildknorpels zusammen (Verst\u00e4rkung der 3. Componente), so erh\u00f6ht man in allen 3 F\u00e4llen den Ton. Dr\u00fcckt man aber in entgegengesetzter Richtung, n\u00e4hert man z. B., was am besten gelingt, das Pomum Adami der Wirbels\u00e4ule durch Druck von vorn nach hinten, so vertieft sich regelm\u00e4ssig der Ton.\nEine von allen Andern abweichende Auffassung \u00fcber die Wirkung dieses Muskels finden wir .bei Vierordt, welcher sich etwa folgender-maassen hier\u00fcber \u00e4ussert : Zur Spannung der B\u00e4nder dient ein doppelter Mechanismus. Die beiden Endpunkte der B\u00e4nder werden in ihrer gegenseitigen Lage erstens fixirt, indem ihr vorderer Ansatzpunkt durch den genannten Muskel nach vorn, ihr hinterer (bei geschlossener Stimmritze) durch die M. crico-arytaenoidei postici nach hinten gezogen wird. Beide Muskeln halten sich im Gleichgewicht und der M. cricothyreoideus habe nicht sowohl Ring- und Schildknorpel einander zu n\u00e4hern, als vielmehr ihre Entfernung zu fixiren, um zweitens an den gespannten und in ihrer L\u00e4nge fixirten B\u00e4ndern den M. thyreo - arytaenoideus in Wirksamkeit treten zu lassen, der seinerseits die Spannung noch vermehren soll.\n1\tJelenffy, Arch. f. d. ges. Physiol. VH S. 77.\n2\tDasselbe Verfahren wendete k\u00fcrzlich Michael an. um sich \u00fcber die Leistungsf\u00e4higkeit (bez. L\u00e4hmung) gewisser Muskeln zu unterrichten. (S. Berliner klin. Wochenschr. 1876. S. 520.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nDiese von Vierordt und Luschka vertretene Ansicht wird wohl von R\u00fchlmann 1 am besten dadurch widerlegt, dass ein Muskel allein irgend ein Gelenk, wenn er nicht eine gegen ihn gerichtete Spannung zu \u00fcberwinden hat, nicht fixiren kann, und dass in der That beim in die H\u00f6he treiben der Stimme die Entfernung zwischen Ring- und Schildknorpel sich verkleinert.\nObwohl die physiologische Wirkung des M. crico - thyreoideus als Spanner der Stimmb\u00e4nder schon aus der rein anatomischen Betrachtung unzweifelhaft hervorgehen d\u00fcrfte, hat man doch auch noch durch das physiologische Experiment seine Th\u00e4tigkeit direct zu erforschen gesucht. \u2014 Die ersten bekannten Versuche der Art r\u00fchren von Magendie und f\u00fcr den Muse, crico-thyreoideus von Longet 2 her. Dieser durchschnitt bei Hunden den \u00e4usseren Ast des Nervus laryn-geus superior, welcher jenen Muskel versorgt: Die Stimme wurde eigenth\u00fcmlich rauh, wie er richtig erkl\u00e4rt, in Folge der pl\u00f6tzlichen Abspannung der Stimmb\u00e4nder. Spannt man daher die Stimmb\u00e4nder wieder an, indem man vorn den Ringknorpel an den Schildknorpel mit einer Pincette in die H\u00f6he hebt und durch diesen Zug die gel\u00e4hmten Muskeln ersetzt, so schwindet augenblicklich jene Rauheit. Sp\u00e4ter haben Schmidt (im Laboratorium von Vierordt) an Hatzen und Schech an Hunden die genannten Muskeln einseitig und doppelseitig gel\u00e4hmt, indem sie theils ihre motorischen Nerven (Laryng. sup.), theils die Muskeln selbst durchschnitten. Schmidt1 2 3 fand dabei das Stimmband der operirten Seite l\u00e4nger als das der anderen, leichter durch den Luftstrom beweglich, nicht so prompt in seinen Actionen beim Glottisschluss und die Stimme regelm\u00e4ssig tiefer, rauher, nicht selten heiser. Bei doppelseitiger Durchschneidung ist die Beweglichkeit der Stimmb\u00e4nder schon beim gew\u00f6hnlichen Ath-men auffallend, der Ton der Stimme noch tiefer und Heiserer. \u2014 Electrische Reizung des Muskels hebt den vorderen Theil des Ringknorpels an den Schildknorpel, so wie es Jelenffy und Schech4 auch f\u00fcr den Menschen behaupten und Longet5 bei Reizung der motorischen Nerven dieses Muskels an Hunden gesehen hat. An denselben Thieren operirte auch Schech; seine Schlussresultate stimmen mit denen Schmidt\u2019s \u00fcberein: Durchschneidung des Nervus laryngeus superior verhindert die L\u00e4ngsspannung der Stimmb\u00e4nder,\n1\tR\u00fchlmann, Sitzungsber. d. Wiener Acad. Mathem.-naturw. Classe LXIX.\nS. 257. Wien 1874.\tTT\t\u201e\t. . o\u00dfn\n2\tLonget. Trait\u00e9 de physiologie. TomeII. 3. ed. p. /30. Fans 18o9.\n3\tG. Schmidt, Die Laryngoskopie an Thieren, experimentelle Studien aus dem physiol. Institut in T\u00fcbingen. T\u00fcbingen 1873.\n4\tSchech, Ztschr. f. Biologie IX. S. 270. M\u00fcnchen 1873.\n5\tLonget, Trait\u00e9 de physiol, p. 729.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Kehlkopf. Innere Kehlkopfmuskeln. M. crico-thyr. post. \u2014 M. crico-aryt. post. 47\nhat eine rauhe, tiefe Stimme zur Folge und macht die Produktion hoher T\u00f6ne unm\u00f6glich. In manchen F\u00e4llen beobachtet man auch, dass das Stimmband der operirten Seite w\u00e4hrend der Phonation nicht das Niveau des gesunden erreicht, bei Reizung des durchschnittenen Nerven dagegen, wenn die Stimmritze nicht zum T\u00f6nen verengt ist, \u00fcber das des gesunden sich erhebt.\nDie Form der Stimmb\u00e4nder wird allerdings von jenen beiden Experimentatoren als durchaus verschieden angegeben. Schech findet bei ruhiger Athmung gar keine Ver\u00e4nderung an den Stimmb\u00e4ndern weder in ihrer Form noch Beweglichkeit; bei der Stimmgebung dagegen war das Band der operirten Seite etwas k\u00fcrzer und innen leicht concav; Schmidt fand es verl\u00e4ngert. \u2014 Dies h\u00e4ngt meiner Meinung nach wesentlich ab von der gr\u00f6sseren Nachgiebigkeit der Knorpel der Katze. Die Muskeln der nicht gel\u00e4hmten Seite wirken auch auf das Stimmband der andern (gel\u00e4hmten) Seite spannend ein, indem sie es zu gleicher Zeit vorn auf ihre Seite hin\u00fcberziehen und es dadurch mehr verl\u00e4ngern, als das nicht gel\u00e4hmte. Die festeren Knorpel des Hundes gestatten ein derartiges Verziehen nicht; man bemerkt auch keine Asymmetrie. Uebrigens ergeben die neueren Versuche von Vierordt an Katzen ebenfalls geringere Ver\u00e4nderungen, als diejenigen waren, welche Schmidt beschrieb. \u2014 \u2014\nSchliesslich sei noch erw\u00e4hnt, dass auch L\u00e4hmungen dieses Muskels an Menschen mit ziemlicher Sicherheit constatirt wurden. Einen interessanten Fall der Art beschreibt Riegel. 1 Eine Kranke zeigte normalen Befund ihrer Kehlkopfmuskeln bei gew\u00f6hnlicher Sprache und Bruststimme, schnappte aber \u00fcber, sobald sie in hohen T\u00f6nen zu sprechen versuchte. Liess man sie ein hohes i sagen, so erhob sich das rechte Stimmband \u00fcber das linke und erschien zugleich etwas l\u00e4nger. Riegel nahm auf Grund dieses Befundes eine L\u00e4hmung des linken M. crico-thyreoid. an, der nicht mehr im Stande sei, die linke vordere Partie des Ringknorpels in die H\u00f6he zu heben.\nb. Musculus crico-thyreoid eus posticus.\nDerselbe ist ein kleiner unbedeutender Muskel, welcher das untere Horn der Cartilago thyreoidea mit der Ringplatte der Cart, eri-coidea in Verbindung setzt und zur Fixirung derselben vielleicht einiges beitr\u00e4gt.\n2) Muskeln zwischen Ring- und Giessbeckenknorpel. a. Musculus crico-arytaenoideus posticus.\nEin ungemein wichtiger, bei der Respiration in h\u00f6chstem Masse betheiligter Muskel ist der Crico-arytaenoideus posticus. Von der normalen Th\u00e4tigkeit dieses kleinen Muskels ist nicht selten das Leben des Menschen abh\u00e4ngig ; denn da er von der platten Hinterfl\u00e4cbe des\n1 Riegel, L\u00e4hmungen einzelner Kehlkopfmuskeln. Deutsch. Arch. f. klin. Med. VII. S. 204. Weiteres \u00fcber diesen Gegenstand siehe im Handb. d. spec. Pathol, u. Therapie von H. v. Ziemssen IV. 1.1. Aufl. S. 440. Leipzig 1876.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nRingknorpels nach aussen und oben zieht, um sich an den hinteren Rand des Proc. muscularis der Cart, arytaenoidea anzusetzen, ist er der haupts\u00e4chlichste Erweiterer der Stimmritze. Seine L\u00e4hmung oder Unth\u00e4tigkeit hat namentlich bei dem Ueberwiegen seiner Antagonisten die hochgradigste Athemnoth zur Folge. Zudem tr\u00e4gt er, indem er die Giessbeckenknorpel nach hinten zieht, zur Spannung der Chordae vocales und, wenn der n\u00f6thige Gegenzug vorhanden, auch zur Fixi-rung der Giessbeckenknorpel bei.1\nDie elektrische Reizung dieses Muskels, welche bereits Longet ausgef\u00fchrt, sowie die Durchschneidungsversuche von Schmidt und Schech documentiren deutlich seine Wirkung. Schmidt beschreibt die Resultate dieser Operation folgendermassen : Das Stimmband der operirten Seite ist v\u00f6llig unbeweglich und zieht grade von vorn nach hinten in unmittelbarer N\u00e4he der Medianlinie; beim Athmen macht es schwache Bewegungen. Das gesunde steht nat\u00fcrlich mit seinem hinteren Th eile nach aussen gerichtet. Bei der Stimmbildung n\u00e4hern sich die B\u00e4nder in normaler Weise; das Band der operirten Seite zeigt eine unbedeutende Kr\u00fcmmung, deren Convexit\u00e4t nach der kranken Seite gerichtet ist. Die Stimme ist etwas unrein und tiefer als gew\u00f6hnlich, sonst aber stark und laut. (Siehe die nebenstehenden, der Physiologie von Vierordt entlehnten Abbildungen Fig. 23\u201426.) \u2014 Die beiderseitige L\u00e4hmung der Muskeln, am besten\nFig. 23 zeigt das normale laryngoskopische Bild des Katzenkehlkopfes w\u00e4hrend der Inspiration, Fig. 24 w\u00e4hrend der Stimmgehung, Fig. 25 und 26 rechtsseitige L\u00e4hmung des Crico-aryt. posticus, Fig. 25 Athmungsstellung, Fig. 26 Intonationsstellung, Fig. 27 doppelseitige Postieus-L\u00e4hmung (die linke Seite der Bilder entspricht nat\u00fcrlich der rechten Seite des Thieres).\nin der Weise ausgef\u00fchrt, dass man sie in der N\u00e4he ihrer Ansatzpunkte durchschneidet, hatte sofortige hochgradige Athemnoth zur Folge. Die Stimmb\u00e4nder waren einander gen\u00e4hert und Hessen zwischen sich eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grosse Spalte \u00fcbrig, die aber bei der Inspiration verschwand, bei der Exspiration wieder auftrat. (S. Fig. 27.) Stimmbildung war \u00fcberhaupt nicht m\u00f6glich. \u2014 Bei Hunden ergiebt\n1 S. Jelenffy, Wiener med. Wochensehr. 1872. S. 52.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Die inneren Kehlkopfmuskeln.\n49\nbeiderseitige Durchschneidung dieses Muskels nach Schech Folgendes: Die Stimmb\u00e4nder n\u00e4hern sich \u00fcber die \u201e Cadaverstellungu hinaus gegen die Mittellinie zu, verlieren die F\u00e4higkeit, sich inspiratorisch nach aussen zu bewegen. Complete Medianstellung und andauernde Dyspnoe treten nicht sofort auf. Die Verengerung der Glottis und die Schwingungen der Stimmb\u00e4nder erfolgen normal, die Stimme bleibt vollst\u00e4ndig unver\u00e4ndert.\nDass der Muse, crico-aryt. posticus auch am menschlichen Kehlkopfe durchaus die gleichen Funktionen zu erf\u00fcllen hat, geht, abgesehen von seiner anatomischen Beschaffenheit, der Anordnung seiner Fasern, auch aus einer Reihe von L\u00e4hmungen hervor, die Gerhardt, Riegel, v. Ziemssen 1 und Andere beschrieben. Am \u00fcberzeugendsten ist der Fall von Riegel 2 : Ein 6 j\u00e4hriger Knabe litt an hochgradiger Athem-noth, die nur durch den Luftr\u00f6hrenschnitt beseitigt werden konnte ; die Glottis war selbst bei ruhiger Respiration spaltf\u00f6rmig geschlossen und die Inspiration von einem laut h\u00f6rbaren Pfeifen begleitet, die Stimme nicht alterirt. Die Sektion ergab hochgradige Atrophie der Muse, crico-arytaenoidei post., die sich durch auffallende Versehm\u00e4chtigung und Verf\u00e4rbung, sowie totalen Verlust der Querstreifung zu erkennen gab. Das laryngoscopische Bild des menschlichen Kehlkopfes bei beiderseitiger L\u00e4h-\nj. 28. Crico-ayt. posticus-L\u00e4hmung beim Menschen. Ein-athmungsstellung.\nmung dieser\nwichtigen\nMuskeln w\u00e4hrend der Einathmung zeigt Fig. 28.\nb. Der Musculus crico-arytaenoideus lateralis.\nVon der ganzen Breite des oberen schr\u00e4gen Randes des Ringknorpels vor der Gelenkfl\u00e4che entspringend, zieht er, nicht selten in eine obere und untere Portion gespalten, nach hinten und oben an den unteren und \u00e4usseren Theil des Processus muscularis vom Giessbeckenknorpel. Seine Wirkung ist, wenn er allein th\u00e4tig, da seine Fasern wesentlich nach hinten verlaufen, eine Rotation der Giessbeckenknorpel um eine ann\u00e4hernd verticale Axe derart, dass ihre Stimmforts\u00e4tze gen\u00e4hert, die Stimmritze also (und zwar wesentlich die Glottis ligamentosa) geschlossen oder verengt wird. Ist die Wirkung dieser Fasern an und f\u00fcr sich geringf\u00fcgig, oder werden sie durch entgegengesetzt wirkende des Crico-aryt. post, aufgehoben, so gerathen wesentlich die nahezu von unten nach oben verlaufenden Fasern des Muskels in wirksame Th\u00e4tigkeit und ziehen den Giessbeckenknorpel auf der absch\u00fcssigen Gelenkfl\u00e4che nach aussen und\n1\tS. hier\u00fcber v. Ziemssen, Handb. d. spec. Pathol, u. Therapie (^rankheiten des Respirationsapparates) IY. 1. S. 171. Leipzig 1876, welchem Werke auch die folgenden Abbildungen der menschlichen Kehlk\u00f6pfe entlehnt sind.\n2\tRiegel, Berliner klin. Wochenschr. 1872. Nr. 20 u. 21, 1873. Nr. 7.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nIn diesem Sinne ist also der Muskel, gleichzeitig mit seinem wirkend, nicht ein Verengerer, sondern ein Erweiterer die durch diese gemeinschaftliche Action der beiden (R\u00fchlmann.)\nabw\u00e4rts.\nAntagonisten der Stimmritze,\nMuskeln vergr\u00f6ssert wird.\nFig. 29.\tFig. 30. Fig. 31.\nFig. 29 zeigt die doppelseitige L\u00e4hmung des\nSeine Durchschneidung bei der Katze (Vierordt) l\u00e4sst das Stimmband der operirten Seite sich nicht so bedeutend der Mittellinie n\u00e4hern. Damit die Stimme zu Stande komme, bewegt sich das der anderen \u00fcber die Mittellinie hinaus. (S. Fig. 31.) Nach beiderseitiger Durchschneidung zeigt\nIS\u00c4wfS\u2019S?\u201c sich die Stimmritze nach hinten klaf-\nmung desselben Muskels bei der Intonation. fen(J im(J pei\tIntonationSVerSUCll\nnoch so weit ge\u00f6ffnet, dass keine Stimme zu Stande kommt. (S. die Figuren 29 und 30.)\n3) Muskeln zwischen den Giessbeckenknorpeln.\nIhrer werden gew\u00f6hnlich zwei beschrieben, der Arytaenoideus transversus und obliquus.\na. Musculus arytaenoideus transversus.\nDerselbe, ein kr\u00e4ftiger Muskel, unmittelbar auf den Knorpeln aufliegend, ist zwischen den beiden lateralen Kanten der Giessbeckenknorpel ausgespannt und n\u00e4hert durch seine Contraction die beiden Knorpel so, dass sich ihre inneren Fl\u00e4chen und insbesondere die hinteren, unteren Theile derselben innig ber\u00fchren. Seine Durchschneidung hebt (bei Katzen) die Stimmbildung auf ; es bleibt eine zu grosse Oeff-nung zwischen den Stellknorpeln. (S. Fig. 32 u. 33.) Durchaus dasselbe\nBild beobachtete auch v. Ziemssen bei einer Arytaenoideus-L\u00e4hmung des Menschen. Die Stimme war in dem vorliegenden Falle stark heiser. (S. Fig.,34.)","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"M. thyreo-arytaenoideus externns und internus.\n51\nb. Der Musculus arytaenoidens obliquus,\nder auf dem vorigen mit seinen d\u00fcnnen, sicli kreuzenden Fasern aufliegt, wird von Henle nicht als besonderer Muskel anerkannt, sondern als Theil eines von ihm benannten Muse, thyreo-ary-epiglotticus beschrieben, dessen Fasern vom Processus muscularis eines Giessbeckenknorpels nach der Spitze des anderen hin\u00fcberziehen, hier aber nicht enden, sondern an dem Winkel der Cart, thyreoidea nach vorn ziehen und ausserdem zarte B\u00fcndel nach dem Santorin\u2019schen Knorpel, der Plica ary-epiglottica und der Epiglottis selbst aussenden. Die gesammte Wirkung dieses Muskels besteht in einem Zuschn\u00fcren des oberen Kehlkopfeinganges und einem Herabziehen des Kehldeckels.\nDie alleinige Wirkung des Aryt. obliquus w\u00fcrde, wenn vorhanden, in der Ann\u00e4herung der Stellknorpel bestehen und namentlich deren obere Partien gegen einander ziehen.\n4) Muskeln zwischen den Schild- und Giessheckenknorpeln.\nDerjenige Muskel des Kehlkopfes, der das Interesse der Anatomen und Physiologen in gleich hohem Grade in Anspruch genommen hat, ist der Muse, thyreo-arytaenoideus. Er wird von den meisten Autoren, insbesondere auch von Henle in zwei getrennt; man unterscheidet einen Thyreo-arytaenoideus externus und internus.\na. Der Musculus thyreo-arytaenoideus externus\nist ein platter Muskel, dessen B\u00fcndel der Mehrzahl nach von vorn und unten nach hinten und oben ansteigen und so \u00fcber einander geordnet sind, dass sie einen membran\u00f6sen, platten Muskel zusammensetzen, der hinten h\u00f6her ist als vorn. Sie entspringen an dem unteren Theil des Winkels der Cart, thyreoidea, zum Theil auch an dem benachbarten Ligamentum conicum (Stratum ary-syndesm. Merkel) und setzen sich an den seitlichen Rand der Giessbeckenknorpel und den vorderen, oberen Theil des Processus muscularis an. Sie stossen also aussen an die innere Fl\u00e4che des Schildknorpels und ber\u00fchren innen zum Theil die laterale Seite des Thyreo-arytaenoideus int.\nVon der Mannigfaltigkeit der Fasern dieses Muskels bekommt man durch die gew\u00f6hnliche Pr\u00e4paration nur ein unvollkommenes Bild. Sein zusammengesetzter Bau ergiebt sich am besten aus Schnittreihen 1, die man in horizontaler und vertikaler (frontaler) Richtung durch den mensch-\n1 F\u00fcr die Anfertigung der Schnittreihen bediente ich mich folgenden Verfahrens. Die (wenn n\u00f6thig entkalkten) Kehlk\u00f6pfe werden in Alkohol erh\u00e4rtet, im Ganzen in Carmin oder Pikrocarmin gef\u00e4rbt, abgesp\u00fclt, mit absol. Alkohol entw\u00e4ssert, in Berga-mot\u00f6l gelegt, in die KnEiNENBERG\u2019sche Masse (Wallrath 4 The\u00fce und Ricinus\u00f6l l The\u00fc) bei 40\u201450\u00b0 C. (!) eingeschmolzen und dann mit dem LoN\u00f6\u2019schen Mikrotom in Schnitte von der gew\u00fcnschten St\u00e4rke zerlegt. Das Fett wird durch eine Mischung von Creosot und Terpentin\u00f6l (1:4) aufgel\u00f6st, die Pr\u00e4parate in Canadabalsam auf bewahrt.\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52 Gr\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nliehen Kehlkopf legt. Hierbei zeigt sich erstens, dass eine Reihe einzelner kleiner Muskelbiindelchen, die isolirt gar nicht darzustellen sind, aus den wahren in die falschen Stimmb\u00e4nder strahlen, dass zweitens die Hauptb\u00fcndel des Muskels selbst durchaus nicht gleiche Richtung haben, sondern dass von den dicht nebeneinander liegenden B\u00fcndeln ein Tlieil mehr von oben nach unten, ein anderer mehr von vorn nach hinten zieht. Es stellt somit der Muskel ein Geflecht von B\u00fcndeln dar, die zwar vorwiegend in sagittaler Richtung von hinten nach vorn verlaufen, aber auch vielfach von mehr vertikal aufsteigenden Fasern durchsetzt sind.\nAus dieser Anordnung der Muskelb\u00fcndel l\u00e4sst sich auf die Th\u00e4tig-keit des Muskels schliessen. Er entspannt erstens die Stimmb\u00e4nder sensu strictiori, d. h. die elastischen Streifen, welche auf dem medialen Rande der muscul\u00f6sen Stimmb\u00e4nder (Stimmlippen) aufsitzen, in ihrer L\u00e4ngsrichtung, indem er die Befestigungspunkte derselben zu n\u00e4hern bestrebt ist. Ferner drehen seine Fasern, welche sich an dem Processus muscularis anheften, den Stimmfortsatz nach innen und schliessen, wenn beiderseits th\u00e4tig, die Stimmritze. In dritter Linie aber hilft er wesentlich mit jene vorspringende Falte bilden, indem er die unteren Partien des Stimmbandes in die H\u00f6he hebt, es dadurch verbreitert und der Medianlinie n\u00e4hert,\ngerade so wie ein zwischen 2 biegsame Platten, ab und cb (s. Fig. 35), eingeschaltetes elastisches Band, de, bei seiner Contraction die Punkte d und e einander n\u00e4hert und den Winkel der Platten spitzer macht und mehr hervortreibt. Dieses Heraus- und Heraufheben des Stimmbandes, vergleichbar dem Raffen eines Kleides, geschieht nun derart, dass der Muse, thyreo-arytae-noideus internus, sowie die in der unteren Seite des Stimmbandes lagernden, in elastisches Gewebe eingebetteten Dr\u00fcsen hierbei mit nach oben und innen getrieben werden. \u2014 S. Fig. 36, woselbst die \u00e4ussersten, schr\u00e4gen Fasern der im Stimmband liegenden Muskelfasern (.Tha-e) die eben beschriebene Wirkung auf die Masse des Stimmbandes haben.\nDie in das falsche Stimmband einstrahlenden Muskelb\u00fcndel hat man als einen eigenen \u201eTaschenbandmuskel\u201c beschrieben, der die falschen Stimmb\u00e4nder nach aussen und unten ziehen soll (R\u00fcdinger).\nFig. 35.\nb. Der Musculus thyreo-arytaenoideus internus seu vocalis.\nEin Muskel von etwa dreiseitig prismatischer Gestalt, welcher das Stimmband fast vollkommen ausf\u00fcllt und mit seiner medialen scharfen Kante in das elastische Gewebe desselben (die Chorda vocalis) \u00fcbergebt, w\u00e4hrend die gegen\u00fcberliegende laterale Fl\u00e4che an den Thyreo-arytaenoideus externus anst\u00f6sst und nicht selten mit ihm verschmilzt. Seine Fasern sind so \u00fcber und neben einander geordnet, dass der Muskel einem um seine L\u00e4ngsaxe gedrehten Bande","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"M. Yo calis.\n53\nvergleichbar ist, welches vorn von oben nach unten und hinten von rechts nach links gerichtet ist. Sie entspringen von einem sehnigen Streifen ausgehend, an dem Winkel des Schildknorpels und steigen der Hauptsache nach schr\u00e4g r\u00fcckw\u00e4rts zum Processsus vocalis und an die \u00e4ussere Fl\u00e4che der Cart, arytaenoidea hinauf.\nSoviel lehrt die Pr\u00e4paration mit Messer und Pincette. Etwas mehr erf\u00e4hrt man durch d\u00fcnne Schnitte, welche in der-Ebene der Stimmb\u00e4nder durch den Kehlkopf gelegt sind. Hierbei zeigt sich, dass die Muskelfasern nicht bloss vom Perichondrium entspringen, sondern auch von einem faserknorpeligen Wulst ausgehen, der in dem Winkel des Schildknorpels liegt und fest mit ihm verbunden ist, wie von einem kleinen Kn\u00f6tchen, das in dem vorderen Theil des Stimmbandes gelegen ist (Luschka\u2019s vorderer Sesamknorpel). Die Fasern ziehen dann, nach hinten an Zahl zunehmend, in einem Bogen, dessen Concavit\u00e4t nach der Mitte zu gerichtet ist, an den Muskelfortsatz und die \u00e4ussere Fl\u00e4che des Giessbeckenknorpels. Je n\u00e4her dem freien Rande des Stircmbandes, um so zarter und d\u00fcnner werden sie, enden aber in seinem Gewebe nicht.1 (S.\nFig. 36, Thai 2.)\nNeben diesen langen, im Wesentlichen sagittal ver-laufenden Fasern treffen wir aber auch schr\u00e4ge, die auf C.\nFrontalschnitten mehr der L\u00e4nge nach (siehe Fig. 36,\nThai 1), auf Horizontal-\nschnitten hingegen quer ge-troffen sind. Bei genauer Tfut.\u25a0 Durchmusterung der Pr\u00e4parate \u00fcberzeugt man sich, dass diese schr\u00e4gen Fasern von unten, innen und vorn, nach hinten, aussen und oben ziem- c-lieh steil in die H\u00f6he steigen und ohne irgend welche bestimmbare Gr\u00e4nze in die ebenso verlaufenden des Thyreo-arytaenoideus externus \u00fcbergehen, zu dem sie auch, wenn man will, gerechnet werden k\u00f6nnen. Diese Fasern entspringen aber, wie Frontralschnitte lehren, von der medialen, schr\u00e4g abfallenden Fl\u00e4che des\nFig. 36. Frontalschnitt eines menschlichen (kindlichen) Kehlkopfes dnreh das vordere Drittel der Stimmb\u00e4nder. V. M. Ventriculus Morgagni; C. e. Cart, epiglottica; C. thyr. Cart, thyreoidea; Gl. Dr\u00fcsen; Thai ! Muse, thyreo-aryt. int., schr\u00e4g aufsteigende Kasern, deren Ursprung an der medialen Wand des Stimmhandes zum Theil getroffen ist ; Thai \u00ef quer getroffene L\u00e4ngsfasern; Thae Fasern des M. thyreo-aryt. ext, ihr Ursprung liegt vor der Schnittfl\u00e4che: nach aussen davon der Muse, crieo-thyreoid. (links die Muskulatur halhsche-matisch) ; C. cric. Cart, crieoidea ; Tr. Trachealknorpel.\n1 Dasselbe behauptet auch Luschka u. R\u00fchlmann gegen\u00fcber anderen Autoren.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nStimmbandes1 etwa aus dem Bereiche seines vorderen Drittels, geh\u00f6ren also bis dahin durchaus dem Stimmbandk\u00f6rper an, treten aber dann aus dem Stimmband heraus und enden, indem sie zum Theil den Grund der MouGAGNi\u2019schen Ventrikel bilden, in den falschen Stimmb\u00e4ndern, vielleicht auch noch h\u00f6her.\nSchliesslich giebt es noch ein zweites System schr\u00e4ger Fasern (Fig. 86, in Thai 2 enthalten), welches aber nicht aus dem Stimmbande heraustritt, und nicht so steil wie die eben geschilderten aufsteigt. Es sind Fasern, die man zu Gesicht bekommt, wenn man den Muskel von der medialen Schleimhautseite pr\u00e4parirt, und die von Ludwig als Portio ary-vocalis bezeichnet wurde. Sie steigen in umgekehrter Richtung, wie die vorigen, n\u00e4mlich vom Processus vocalis von hinten, unten und aussen nach vorn, oben und innen aufw\u00e4rts, die hintersten am steilsten, die vorderen weniger steil und enden sowohl in der freien Stimmbandkante (der elastischen Chorda vocalis), wie an der medialen Fl\u00e4che des Stimmbandes, soweit sie nicht schon von den ersten in Beschlag genommen ist, und im Muskel selbst. Damit h\u00e4ngt es zusammen, dass, wenn man den Muskel von innen her zerfasert, indem man ein Paar oberfl\u00e4chliche B\u00fcndel erfasst, man nicht diese allein abzieht, sondern dass man, wie bei einem Neidnagel, immer tiefer ins Gewebe hineinreisst. Ueberhaupt ist mir kein \u00e4hnlicher Muskel des menschlichen K\u00f6rpers bekannt, in dessen Innerem eine so grosse Zahl von Muskelfasern entspringt und auch wieder endet, wodurch er einerseits zu vielfachen Gestaltsver\u00e4nderungen bef\u00e4higt wird und andererseits, indem die Fasern in den verschiedensten Richtungen des Raumes orientirt sind, in die L\u00e4nge, Quere und Dicke gespannt werden kann.\nDie Wirkungsweise dieses Muskels, der sich von dem Thyreo-arytaenoideus externus anatomisch schwer trennen l\u00e4sst, f\u00e4llt in vielen Punkten mit derjenigen seines \u00e4usseren Nachbars zusammen. Es ist in erster Linie ein Erschlaffer des Stimmbandes sensu strictiori, indem die von worn nach hinten ziehenden Fasern die Befestigungspunkte des Stimmbandes einander n\u00e4hern, dieses also entspannen m\u00fcssen.\nEs ist selbstverst\u00e4ndlich, dass diese Ann\u00e4herung in der That ausgef\u00fchrt werden muss, wenn der gew\u00fcnschte Erfolg eintreten soll. Da aber die Entfernung der Ansatzpunkte der elastischen Stimmb\u00e4nder andererseits auch durch die Spanner (insonderheit den Crico-thyreoideus) bestimmt wird, so ist es klar, dass, wenn beispielsweise diese stark contrahirt sind, eine geringf\u00fcgige Zusammenziehung des Stimmmuskels dagegen nicht auf kommen und auch die Ansatzpunkte der Stimmb\u00e4nder nicht n\u00e4hern kann, gerade wie ein allzu schweres Gewicht von einem Muskel nicht gehoben wird. Die alleinige Spannung des M. vocalis entspannt also nicht immer mit Nothwendigkeit die Chorda vocalis, sondern der Effect seiner Action ist immer davon abh\u00e4ngig, welche Kr\u00e4fte er erst zu \u00fcberwinden hat, ehe er \u00fcberhaupt sich wirklich verk\u00fcrzen, die Chorda also erschlaffen kann. Sind diese gering, so ist seine Wirkung gross ; sind sie gross, so ist seine Wirkung, anlangend die Entspannung, gering.\n1 Das Mikroskop zeigt hier eine Menge von Muskelenden, lauter zierliche, in das elastische Gewebe hineinragende Spitzen.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"M. vocalis.\n55\nEs darf aber nicht vergessen werden, dass hierbei das Stimmband als Ganzes in physikalischer Beziehung durch Aenderung seiner Consistenz und Elasticit\u00e2t hochgradig ver\u00e4ndert und in seiner Schwingungsdauer modificirt wird. Und das ist denn in der That das Wichtigste; der Muskel verleiht der ganzenMasse des Stimmbandes eine f\u00fcr die Ansprache g\u00fcnstige Stellung und Form, sowie die n\u00f6thige innere Spannung und Festigkeit.\nAuf die Stellung der Stimmb\u00e4nder wirken wesentlich seine \u00e4usseren langen Fasern, welche die Stimmforts\u00e4tze einander zukehren und die Stimmritze schliessen, \u00e4hnlich wie der Crieo-arytaenoideus lateralis und der Thyreo-arytaenoideus externus.\nDie Form des Stimmbandes wird durch ihn in doppelter Weise beeinflusst. Da seine horizontalen, dicht neben der Chorda vocalis gelegenen Fasern nicht geradlinig, sondern gekr\u00fcmmt (mit innerer Concavit\u00e4t) zum Giessbeckenknorpel sich begeben, so werden sie bei ihrer Geradstreckung zugleich die elastische Schleimhaut von aussen nach der Mitte zu hindr\u00e4ngen und gewissermassen eine d\u00fcnne, leicht bewegliche Membran auf die Kante des dreieckigen Stimmbandes seiner L\u00e4nge nach aufsetzen. Die interessanten ViERORDT\u2019schen Versuche beweisen die Richtigkeit dieser Annahme. Denn l\u00e4hmt man den Muskel, so zeigt das gel\u00e4hmte Stimmband eine hochgradige Concavit\u00e4t nach der Mitte zu, die auch bei dem Versuche, die Stimme t\u00f6nen zu lassen, nicht ganz schwindet. (Siehe Fig. 37 und 38.) Sind beide Muskeln gel\u00e4hmt, so haben beide Stimmb\u00e4nder den\nFig. 37.\tFig. 38.\tFig. 39.\tFig. 40.\nFig. 37 und 38 L\u00e4hmung des rechtsseitigen Thyreo-aryt. int., 37 Athmungs-, 38 Intonationsstellung. Fig. 39 und 40 doppelseitige Thyreo-aryt.-L\u00e4hmung (Intonationsstellung). Fig. 37, 38 und 39 von der\nKatze, Fig. 40 vom Menschen.\nsichelf\u00f6rmigen Rand (siehe Fig. 39); eine Stimme ist nur bei sehr starkem Ausathmungsdruck m\u00f6glich ; dabei ist sie noch tiefer und rauher als bei blos einseitiger L\u00e4hmung. Ein vollkommen analoges Bild zeigt die beiderseitige \u201eInternusl\u00e4hmung\u201c beim Menschen (siehe Fig. 40).\nAuf die Form und Consistenz der Stimmb\u00e4nder wirken nun aber wesentlich ein die schr\u00e4g aufsteigenden kurzen und langen Muskelb\u00fcndel, die, wie oben auseinandergesetzt, vorzugsweise an den vorderen und hinteren Partieen steil in die H\u00f6he ziehen. Bei ihrer Contraction heben sie offenbar die unteren, mehr nach der Luftr\u00f6hre zu gelegenen Partieen der Schleimhaut in die H\u00f6he und der Mitte zu, vorausgesetzt, dass ihre oberen Enden puncta fixa seien. Das ist aber nicht zweifelhaft, wenn man sich daran erinnert, wie innig sie sich mit den (jetzt stark gespannten) sagittalen Fasern verweben. Sie verkleinern somit auch den H\u00f6hendurch-","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nmesser des Stimmbandes, wie wir dies in \u00e4hnlicher Weise von dem Thyreo-aryt. ext. (siehe Fig. 35) gesehen, und versch\u00e4rfen seinen medialen Rand.\nDiese soeben vorgetragene Auffassung widerspricht der von Ludwig herr\u00fchrenden, welcher die Th\u00e4tigkeit der Portio ary*vocalis in folgender Weise schildert.1 \u201eDiese Fasern ziehen insgesammt das Stimmband nach unten und aussen und insoweit sie sich gesondert zusammenziehen k\u00f6nnen, werden sie dem Stimmband nach seiner L\u00e4nge ungleiche Spannungen er-theilen k\u00f6nnen, indem die zwischen dem Ursprung der zusammengezogenen Fasern am Aryknorpel und ihrem Ansatz am Stimmbande gelegene Abtheilung des letzteren abgespannt und der Rest desselben angespannt wird. \u201c Wenn wirklich bei der Stimmgebung die inneren Partieen des Stimmbandes nach unten und aussen gezogen und auch dorthin bewegt w\u00fcrden, k\u00f6nnten die Stimmb\u00e4nder bei der Stimmbildung nie so genau schliessen, wie sie es factisch thun, sondern w\u00fcrden einen mehr oder weniger breiten Spalt bilden m\u00fcssen. Die Bewegung, d. h. der wirksame Zug erfolgt denn auch nicht nach unten und aussen, sondern nach innen und oben, wie der Kehlkopfspiegel lehrt. Ist daher der M. vocalis gel\u00e4hmt, so vermisst man bei der Phonation die Erhebung des Stimmbandk\u00f6rpers nach innen und oben und die Stimmritze klafft dann, wie k\u00fcrzlich Juracz2 vermittelst der seitlichen Beleuchtung beobachtet hat, weniger in einem horizontalen als schr\u00e4gen Spalt. Das kranke Stimmband steht n\u00e4mlich mit seinem medialen Rande verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig tief unter dem gesunden, erreicht aber beinahe die sagittale Mittellinie des Kehlkopfes.\nDass ' endlich der Muskel, wenn er sich als Ganzes contrahirt, dem Stimmbande eine nicht unerhebliche Resistenz und Festigkeit verleiht, ist aus seinem Bau ohne Weiteres verst\u00e4ndlich und geht ausserdem aus Beobachtungen von Gerhardt hervor, der bei L\u00e4hmung des Muskels das kranke Stimmband w\u00e4hrend der Stimmbildung schlottern sah.\n5) Muskeln zwischen dem Kehldeckel und anderen Knorpeln.\nAlle die zarten Muskeln sind f\u00fcr die Stimmbildung insofern von Bedeutung, als eine Lage oder Gestaltsver\u00e4nderung jener elastischen Platte, des Kehldeckels, die Stimme zwar weder erzeugen noch auf-heben kann, wohl aber auf die Klangfarbe derselben einen nicht zu untersch\u00e4tzenden Einfluss aus\u00fcbt.\na. Der M. ary-epiglotticus oder Constrictor vestibuli laryngis (Luschka)\nbesteht aus dem Arytaenoideus obliquus der Autoren und Fasern, welche von dem Muskelfortsatz des Giessbeckenknorpels aus sich theils in die Plicae ary-epiglotticae begeben, theils auf der Epiglottis selbst strahlenf\u00f6rmig enden. Als Wirkung dieses \u201eMuskelg\u00fcrtels\u201c bezeichnet Luschka mit Recht die Verkleinerung des Vestibulum laryngis derart, dass die obere Kehlkopfapertur in eine enge sagittale Spalte umgewandelt werden kann.\n1\tC. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie I. S. 576. Leipzig u. Heidelberg 1858.\n2\tJuracz, Deutsche med. Wochenschr. 1878. Nr. 52.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"M. thyreo-epiglotticus. Combinirte Wirkungen der Keblkopfmuskeln. 57 b. Der M. thyreo-epiglotticus oder Dilatator vestibuli laryngis (Luschka)\nist derjenige Antheil des HENLE\u2019schen Thyreo-ary-epiglottieus, welcher von der innern vordem Fl\u00e4che des Schildknorpels nach r\u00fcckw\u00e4rts anf die hintere Fl\u00e4che der Epiglottis und in die Membrana quadran-gularis 1 ausstrahlt. Nach Merkel dilatirt dieser Muskel die obere Kehlkopfsapertur, indem er die beiden Membranae quadrangul\u00e4res spannt und seitw\u00e4rts zieht. Luschka ist derselben Ansicht.\nC) Die combinirten Wirkungen der Kehlkopfmuskeln bei bestimmten Stellungen der Kehlkopfknorpel.\n1) Die Erweiterung der Stimmritze.\nBeim tiefen und energischen Athmen ist die Communication zwischen \u00e4usserer und Lungenluft, insoweit sie sich im Kehlkopf vollzieht, eine weite, etwa f\u00fcnfeckige Pforte. Die beiden langen Seiten beginnen vorn an dem Schildkorpel, divergiren stark nach hinten, knicken dann im Stimmfortsatze im stumpfen Winkel nach innen um und gehen wiederum im abgerundeten stumpfen Winkel hinten in einander \u00fcber (siehe Fig. 41).\nDiese Stellung der Stimmb\u00e4nder, beziehungsweise der Giessbeckenknorpel wird wesentlich bedingt durch energische Contraction der Crico-arytaenoidei postici ; K\u00fchlmann2 aber macht mit Fis' 4t0pf SRMAK)KeM~ Recht darauf aufmerksam, dass sie hierbei auch\nvon ihren sonstigen Antagonisten, den M. crico-arytaenoid. lateral., und zwar von den vertical aufw\u00e4rts ziehenden Fasern derselben unterst\u00fctzt werden, indem sowohl die aufw\u00e4rts strebenden Fasern des Crico-arytae-noideus posticus sowie lateralis mit gleichzeitigem Ueberwiegen der erste-ren den Giessbeckenknorpel auch nach unten zu rutschen lassen und seinen Stimmfortsatz nach aussen rotiren.\nEs versteht sich von selbst, dass bei dieser Stellung der Stimmb\u00e4nder alle diejenigen Muskeln, beziehungsweise Muskeltheile erschlafft sein m\u00fcssen, welche ein energisches Ann\u00e4hern oder einen Verschluss der Stimmritze bewirken (Thyreo-aryt. ext. und int., die arytaenoidei obliqui und transv.) und dass auch der Spanner der Stimmb\u00e4nder der Crico-thyreoideus sich nicht in starker Action befinden darf.\n2) Die Stimmritze beim gew\u00f6hnlichen ruhigen Athmen\nist bei weitem weniger ge\u00f6ffnet, sie stellt ein schmales, gleichschenkliges Dreieck dar, dessen Schenkel an ihren hinteren Partieen stumpfwinklig nach aussen geknickt sind (siehe Fig. 42).\n1\tDie Membrana quadrangularis, wie sie Tourtual genannt hat, spannt sich zwischen dem Seitenrande der Epiglottis und der vorderen Kante des Giessbeckenknorpels aus, geht nach unten in das falsche Stimmband \u00fcber und wird oben von der Plica ary-epiglottica ums\u00e4umt. (Siehe Merkel, Anthropophonik S. 102, Fig. 36.)\n2\tK\u00fchlmann, Sitzungsber. d. Wiener Acad. LXIX. 1873.","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nSchon a priori l\u00e4sst sich erwarten, dass diese Stellung des Kehlkopfes, welche ja die bei weitem l\u00e4ngste Dauer in Anspruch nimmt, mit m\u00f6glichst geringer Muskelaction zu Stande kommen wird. Dies ist nun\nFig. 42. Das laryngoskopische Bild des menschlichen Kehlkopfes heim ruhigen Einathmen (nach Heitzmann) in doppelter Gr\u00f6sse.\nin der That der Fall. Es l\u00e4sst sich nicht angeben, welche Muskeln bei dieser Stellung der Stimmb\u00e4nder in irgendwie nennenswerthe Action versetzt sein sollten.\nDamit stimmt tiberein, dass auch die von Ziemssen sogen. \u201eCadaver-\nste llung\u201c und die Stellung der Stimmb\u00e4nder nach L\u00e4hmung s\u00e4mmt-licher Muskeln in Folge von Recur-rensl\u00e4hmung nicht allzuweit von der eben angezeigten abweicht. (Siehe Fig. 43 und 44.)\nEs ist selbstverst\u00e4ndlich, dass, sobald die Stimmritze wirklich activ, wenn auch nur wenig \u00fcber die eben bezeichneten Grenzen sich erweitert, die Muskelaction des Crico-aryt. post, hinzukommt.\nFig. 43. Cadaverstellung der Stimmh\u00e4nder.\nFig. 44. Doppelseitige Reeurrensl\u00e4hmung.\n3) Die fest geschlossene Stimmritze.\nWie bekannt, sind wir im Stande, den Verschluss des Kehlkopfes ungemein schnell, fest und sicher auszuf\u00fchren. Die hierbei betheiligten","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Combinirte Wirkungen der Kehlkopfmuskeln.\n59\nMuskeln sind die Schliesser der Stimmritze, welche zun\u00e4chst die Giessbeckenknorpel einander n\u00e4hern und ihre medialen Fl\u00e4chen fest aneinander drucken. Der arytaenoideus transv. u. obl., welche die hinteren, ferner der Crico-arytaenoideus lateralis, sowie der Thyreo-aryt. extern, u. int., welcher durch die Rotation der Stimmforts\u00e4tze nach innen vorzugsweise die vorderen Partien der Giessbeckenknorpel gegen einander pressen. Der Thyreo-arytaenoid. int. besorgt dann auch noch den Verschluss der Stimmritze selbst, indem seine langen, von vorn nach hinten ziehenden, an der medialen Seite concaven B\u00fcndel bei ihrer Geradstreckung die elastischen Stimmb\u00e4nder gegen einander dr\u00e4ngen.\nVon R\u00fchlmann wird auch der Crico-aryt. posticus als hilfreich f\u00fcr den festen Verschluss der Stimmritze herbeigezogen, freilich nicht jene aufw\u00e4rts verlaufenden Componenten, deren Action die Giessbeckenknorpel nach aussen und abw\u00e4rts rutschen liess, sondern wesentlich die oberen Fasern, welche fast horizontal verlaufend, eine die Giessbeckenknorpel n\u00e4hernde Componente in sich enthalten. Dass diese Componente in der That vorhanden ist, beweisen die Experimente von Vierordt (s. Fig. *27) und das Verhalten des Kehlkopfes nach L\u00e4hmung dieser Muskeln beim Menschen.1 Ausserdem ist noch zu bemerken, dass behufs festen Verschlusses auch die Taschenb\u00e4nder h\u00e4ufig gegen einander gen\u00e4hert und der Epiglottiswulst auf sie niedergesenkt wird. Hierdurch wird nat\u00fcrlich ein ungemein fester Verschluss erzielt (Czermak). An seiner Herstellung sind\nFig. 45.\tFig. 46.\nKeblkopfversehluss bei gehobener (Fig. 45) und bei gesenkter (Fig. 46) Epiglottis. /. S., falsche Stimmb\u00e4nder.\nbetheiligt die in die falschen Stimmb\u00e4nder einstrahlenden B\u00fcndel des Thyreo-aryt. externus, sowie die in die Epiglottis ziehenden des Ary-epi-glotticus (s. Fig. 45 u. 46).\n4) Die zum T\u00f6nen verengte Stimmritze.-\nDie erste Bedingung, die erf\u00fcllt sein muss, damit eine doppelz\u00fcngige, membran\u00f6se Pfeife anspricht, ist die, dass die beiden Zungen ausreichend gespannt und einander entweder bis zur Ber\u00fchrung oder fast bis zur Ber\u00fchrung gen\u00e4hert sein m\u00fcssen. Der Anspruch geschieht ausserdem um so leichter und bei um so geringerem Luftdruck, je beweglicher, also je d\u00fcnner, die frei schwingenden R\u00e4nder der Zungen sind. Diese Bedingungen werden erf\u00fcllt, indem einmal die Spanner (Crico-tliyreoideus an-\n1 In einem k\u00fcrzlich hierselbst von Sommerbrodt beobachteten Falle von L\u00e4hmung dieser Muskeln schlossen die Stimmb\u00e4nder beim Phoniren nicht, sondern liessen einen flachovalen Spalt zwischen sich. Eine Stimmbildung war nicht m\u00f6glich. (S. G-. Lazar, Ueber doppelseitige L\u00e4hmung der Glottis-Erweiter. Inaug.-Diss. Breslau 1879.)","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\ntiens und Crico-aryt. posticus) und ausserdem alle diejenigen Muskeln in Th\u00e4tigkeit gesetzt werden, welche die Stimmb\u00e4nder einander n\u00e4hern (Aryt. transvers, und obliq., Crico-aryt. lat., Thyreo-aryt. ext. und int.). Hierbei braucht es zu einem vollst\u00e4ndigen Verschluss der Glottis intercartilag. nicht zu kommen (s. unten Brustregister S. 94). Zusch\u00e4rfung der R\u00e4nder und innere Spannung der gesammten Stimmb\u00e4nder erm\u00f6glichen schliesslich der Thyr. aryt. ext. und int. in oben geschilderter Weise mit ihren schr\u00e4gen Fasern. Das Bild des t\u00f6nenden Kehlkopfs bei Erzeugung eine tiefen Tones zeigt Fig. 47.\n5) Die theilweise geschlossene Stimmritze.\nMan kann nun die Th\u00e4tigkeit der Kehlkopfmuskeln auch in der Weise combiniren, dass man Fig. 47. Der t\u00f6nende KeMkopf nur die Glottis vocalis, aber nicht die Glottis car-nach Mandl.\ttilaginea seu respiratoria zum Schl\u00fcsse bringt.\nDie Stimmritze hat alsdann die Gestalt, wie sie Fig. 34 zeigt. Die Glottis respiratoria bildet ein Dreieck mit vorderer Spitze ; die Stimmb\u00e4nder ber\u00fchren einander mehr oder weniger. Damit diese Gestalt der Stimmritze zu Stande komme, ist es n\u00f6thig, dass die Muskeln, welche die Processus vocales nach innen rotiren, wesentlich th\u00e4tig sind, w\u00e4hrend die Aryt. transversi und obliqui erschlafft sein m\u00fcssen.\nEs ist mir ein Leichtes, meine Stimmb\u00e4nder in der Weise einzustellen. Spreche ich bei dieser Stellung mit starkem Luftdruck, so klingt meine Stimme hohl, heiser, wenn man will geisterhaft, spreche ich mit geringem Luftdruck, so entsteht die bekannte Fl\u00fcsterstimme. Auch das Hha der Araber soll nach R\u00fchlmann in \u00e4hnlicher Weise gebildet werden.1\n3. Die individuellen Verschiedenheiten des Kehlkopfes.\nA. Nach dem Alter. Dieselben sind von den Anatomen durch zahlreiche Untersuchungen und Messungen klar gelegt worden.\nWas zun\u00e4chst den Kehlkopf des neugeborenen Kindes anlangt, so bietet derselbe neben seiner Kleinheit auch eine etwas andere Gestalt, als der des Erwachsenen, dar. Die ungemein weichen Knorpel setzen ein mehr rundliches, \u201eplumpes\u201c (Merkel) Hohlgebilde zusammen, welches auf der verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kleinen und engen Luftr\u00f6hre aufsitzt. Die Glottis respir. ist fast ebenso lang wie die Glottis vocalis, was Horizon-tal-Schnitte leicht demonstriren. Eigenth\u00fcmlich ist die mehrfach wiederkehrende Angabe, dass die Giessbeckenknorpel oder gewisse Theile derselben (die Stimmforts\u00e4tze) unvollkommen resp. gar nicht existiren. Sie finden sich aber regelm\u00e4ssig, wenn man sie ihrer Weichheit wegen auch nicht so leicht und deutlich von dem umgebenden Gewebe isoliren kann. Bis zum Alter von 2\u20143 Jahren \u00e4ndert sich der Kehlkopf sehr wenig. Ein langsames Wachsthum, aber eine bedeutende Erweiterung der physiologischen Th\u00e4tigkeit, ein bei weitem gr\u00f6sserer Stimmumfang, bedingt\n1 Eine vorz\u00fcgliche schematische Darstellung aller dieser einfachen und coin-binirten Muskel Wirkungen an einem Phantom gab k\u00fcrzlich Oertel (Deutsch. Arch, f. klin. Med. XXI. S. 520. Leipzig 1878).","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Individuelle Verschiedenheiten des Kehlkopfes.\n61\ndurch die Ausbildung und Uebung der Kehlkopf-Muskulatur, wird dann vom 6. bis 12. oder 13. Jahre beobachtet, und eine ungemein rasche Entwicklung macht sich zur Zeit der Pubert\u00e4t1 2 bemerkbar. Namentlich nimmt der m\u00e4nnliche Kehlkopf rasch an Gr\u00f6sse zu und erreicht binnen Kurzem seine definitive Gestalt, wenn auch ein geringes Wachsthum bis in die zwanziger Jahre fortdauert und stellenweise Verkn\u00f6cherungen und Verkalkungen des Schildknorpels noch sp\u00e4terhin die Festigkeit des Geh\u00e4uses bedeutend erh\u00f6hen. Im Greisenalter nehmen diese Verkalkungen zu, die Muskeln zugleich ab und die Stimme selbst wird schw\u00e4cher, klang- und kraftloser.\nB. Nach dem Geschlecht. Von der Pubert\u00e4t an markirt sich auch deutlich die Verschiedenheit der Kehlk\u00f6pfe nach dem Geschlecht.\nDer m\u00e4nnliche Kehlkopf ist in allen Dimensionen gr\u00f6sser als der weibliche; namentlich hat er sich in dem sagittalen Durchmesser ver-gr\u00f6ssert, so dass der Winkel des Schildknorpels ein spitzerer geworden ist und das Poinum Adami deutlich hervorspringt. Mit dem sagittalen Durchmesser nimmt nat\u00fcrlich gleichzeitig auch die L\u00e4nge der Stimmb\u00e4nder zu. Im- \u00fcbrigen schwankt gerade dieser Durchmesser in nicht unbedeutenden Grenzen, sodass kleine Kehlk\u00f6pfe erwachsener m\u00e4nnlicher Individuen nach den ausf\u00fchrlichen Messungen von Fournie 2 und Anderen zwischen dem Ringknorpel und dem vorderen Ansatz der Stimmb\u00e4nder ein Ausmaass von 2,6\u20142,7 Ctm., gr\u00f6ssere dagegen ein solches von 3,2\u20143,7 Ctm. aufweisen. Dementsprechend sind auch die Stimmb\u00e4nder, gemessen von den Stimmforts\u00e4tzen der Giessbeckenknorpel bis zu ihrem vorderen Ansatzpunkt an den Schildknorpel 1,9\u20142,2 Ctm., resp. 2,6 \u2014 2,9 Ctm. lang. Ihre mittlere L\u00e4nge betr\u00e4gt nach M\u00fcller 1,82, nach Harless 1,75 Ctm.\nDer weibliche Kehlkopf w\u00e4chst in jener Zeit vorzugsweise im vertikalen Durchmesser und zeigt in seiner endg\u00fcltigen Gestalt Knorpel, die mehr abgerundet, weniger hart und weniger eckig sind, als beim Manne. Die Stimmb\u00e4nder sind demzufolge k\u00fcrzer, nebenbei auch d\u00fcnner. Ihre mittlere L\u00e4nge betr\u00e4gt nach Jon. M\u00fcller3 1,26, nach Har-\n1\tEine der eigenth\u00fcmlichsten Erscheinungen, welche auf den innigen Zusammenhang der verschiedenen Organe hinweist, ist die Thatsache, dass, wenn l\u00e4ngere Zeit vor der Pubert\u00e4tsperiode die Hoden exstirpirt werden, auch der Kehlkopf nicht wie gew\u00f6hnlich w\u00e4chst, sondern auf einer niederen Stufe der Entwicklung stehen bleibt; Castraten haben daher regelm\u00e4ssig sehr hohe Stimmen, \u00fcber deren \u00e4sthetischen Werth die Urtheile der Kenner sehr getheilt sind. Liskovius findet sie widerlich, von jedem anderen Discant verschieden; nach ihm k\u00f6nnen sie nie einen sch\u00f6nen weiblichen Gesang oder die liebliche Stimme eines Knaben vollkommen erreichen und ersetzen. Heinse dagegen meint in seinem musikalischen Romane \u201eHildegard v. Hohenthal\u201c I. S. 22, \u201edass eine sch\u00f6ne, jugendliche, v\u00f6llig ausgebildete Castratenstimme \u00fcber Alles in der Musik geht. Kein Frauenzimmer hat die Festigkeit, St\u00e4rke und S\u00fcssigkeit des Tones und so aushaltende Lungen\u201d. Gruber (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1847. S. 463) beschreibt den Kehlkopf eines 65-j\u00e4hrigen Castraten, der in fr\u00fcher Jugend entmannt war, folgend\u00e8rmassen: \u201eDer Winkel und die Eminentia thyreoidea sind sehr flach, wesswegen letztere wenig oder nicht durch die Haut hindurch bemerkbar war. Alle denselben constituiren-den Knorpel sind noch durchaus knorplig, zeigen nirgends eine Spur von Knochen oder Kalkablagerung. Er ist in allen Dimensionen kleiner. (Die genaueren Maasse siehe in der Arbeit Gruber\u2019s.)\n2\tFournie, Physiologie de la voix et de la parole. Paris 1866; siehe auch Merkel, Anthropophonik S. 173. Leipzig 1857.\n3\tJoh. M\u00fcller, Handbuch der Physiologie des Menschen S. 200. Coblenz 1840.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nless1 1,85 Centimeter, und verh\u00e4lt sich also zu derjenigen der m\u00e4nnlichen Stimmb\u00e4nder ann\u00e4hernd wie 2:3.\nC. Nach der Individualit\u00e4t machen sich noch weiterhin folgende Schwankungen in der Gr\u00f6sse bemerklich. Die Gr\u00f6sse des Kehlkopfes steht zun\u00e4chst nicht in direktem Yerh\u00e4ltniss zur K\u00f6rpergr\u00f6sse, sondern es ist bekannt, dass sehr oft riesige Gestalten die h\u00f6chsten Stimmlagen aufweisen in Folge ihres kleinen Kehlkopfes, w\u00e4hrend mittelgrosse und selbst kleine Leute sich eines kr\u00e4ftigen Basses erfreuen. Muskul\u00f6se oder magere Individuen, bei denen meistens auch das Knochenskelet mit seinen charakteristischen Vorspr\u00fcngen scharf markirt ist, haben gew\u00f6hnlich tiefere, wohlbeleibte dagegen mit weicheren Formen h\u00f6here Stimmlagen.\nAehnliches kann man \u00fcbrigens auch an andern Gesch\u00f6pfen beobachten. Wer viel Yivisectionen an Hunden gemacht und bei Einleitung der k\u00fcnstlichen Respiration auf die ungemeinen Verschiedenheiten der Luftr\u00f6hre und des Kehlkopfes geachtet hat, dem wird es sehr h\u00e4ufig begegnet sein, dass kleine, aber muskul\u00f6se Hunde (Dachse, Doggen) viel gr\u00f6ssere Luftr\u00f6hren und Kehlk\u00f6pfe haben, als grosse, aber zartere (Jagdhunde, Pudel). \u2014 \u2014\t-\nII. Die windgehenden Apparate und das Windroln*.\nDamit die Stimmb\u00e4nder zum T\u00f6nen gebracht werden, ist es, abgesehen von ihrer Spannung und gegenseitigen Ann\u00e4herung, n\u00f6thig, dass ein Theil der in den Lungen und Bronchien enthaltenen Luft mit einem gewissen Druck gegen den Kehlkopf getrieben wird.\nDas die comprimirte Luft zuf\u00fchrende Windrohr, die Luftr\u00f6hre, ist ein Schlauch, dessen Wandungen sich bekanntlich aus knorpeligen und membran\u00f6sen Theilen zusammensetzen und der gewisser Gestaltsver\u00e4nderungen f\u00e4hig ist. Sowohl in Folge des elastischen Gewebes, welches in der hinteren Wand der Luftr\u00f6hre und vorn zwischen den Knorpelringen in grosser Menge auftritt, als auch in Folge der glatten Muskeln, welche quer verlaufend, die hintere Wand der Luftr\u00f6hre bilden helfen, besitzt die Luftr\u00f6hre die F\u00e4higkeit, ihr Lumen innerhalb m\u00e4ssiger Grenzen, die Spannung ihrer Wandungen dagegen in allerh\u00f6chstem Maasse zu ver\u00e4ndern, sobald sie in Folge Hebung des Kehlkopfes gestreckt oder im entgegengesetzten Fall erschlafft wird.\nA. Horvath2 hat in einer eingehenden Untersuchung die Wirkungsweise jener Muskeln an ausgeschnittenen, mit erw\u00e4rmtem, defibrinirtem Blut gef\u00fcllten Luftr\u00f6hren studirt und dabei gefunden, dass derartige Tracheen selbst\u00e4ndige, rhythmische Contractionen und Erweiterungen zeigen, die sich an dem Steigen oder Sinken der Bluts\u00e4ule bemerklich machten. Die Verengerung des Lumens vollzieht sich durch Contraction der quer\n1\tHarless, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. IV. 1. S. 503.\n2\tHorvath, Arch. f. d. ges. Physiol. XIII. S. 508.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Windrohr. Luftdruck in der Trachea.\n63\nverlaufenden Muskelb\u00e4nder, welche die hinten offenen, sogenannten Knorpelringe zusammenziehen, w\u00e4hrend beim Nachlassen der Contraction oder \u00fcberhaupt bei Erschlaffung der betreffenden Muskeln die Knorpelringe, ihrem elastischen Zuge folgend, auseinandergehen und die Luftr\u00f6hre erweitern.\nDass diese unbedeutenden Gestaltsver\u00e4nderungen des Luftr\u00f6hren Volumens einen nennenswerthen Einfluss auf die Stimmgebung haben, l\u00e4sst sich kaum annehmen, wohl aber ist die Wirkung der glatten Muskeln nicht zu untersch\u00e4tzen, wenn, wie nicht unwahrscheinlich, auch die in der Lunge selbst vorhandenen, um die kleinen und kleinsten Bronchien gelagerten Muskeln eine \u00e4hnliche rhythmische Th\u00e4tigkeit aufweisen. Diese k\u00f6nnten dann als Regulatoren der Windgebung sehr wohl in Anspruch genommen werden.\nWenn daher manche Autoren in dem Verhalten der Luftr\u00f6hre ihrer Erweiterung, Verengerung, Durchfeuchtung u. s. f. Faetoren sahen, welche wesentlich die H\u00f6he der Stimme beeinflussen sollten, so haben alle diese Behauptungen h\u00f6chstens insofern eine Berechtigung, als im Grossen und Ganzen die Spannung der Luftr\u00f6hre sich in der That nach der H\u00f6he und Art des Tones richtet, indem sie bei hohen und scharfen T\u00f6nen durch Hebung des Kehlkopfes gespannt, im entgegengesetzten Falle aber erschlafft ist.1 2\nDie Luft, welche den Kehlkopf zum T\u00f6nen bringt, ist bekanntlich die ann\u00e4hernd auf die K\u00f6rpertemperatur erw\u00e4rmte, mit Wasserdampf ges\u00e4ttigte Exspirationsluft, welche je nach der Th\u00e4tigkeit der Ausathmungsmuskeln mit mehr oder weniger Druck oder Geschwindigkeit nach aussen durch den Kehlkopf getrieben wird.\nUeber die absolute Gr\u00f6sse des Luftdruckes, welcher zur Stimmgebung n\u00f6thig ist, lassen sich zun\u00e4chst Schl\u00fcsse ziehen aus den Versuchen von Joh. M\u00fcller und Anderen (s. S. 79), die f\u00fcr den ausgeschnittenen Kehlkopf zur Erzeugung tiefer T\u00f6ne (piano) 13\u201426, zu derjenigen hoher T\u00f6ne (fortissimo) 80\u2014135 mm. Wasserdruck gebrauchten.\nCagniard-Latour 2 beobachtete aber an einem lebenden Individuum, welches eine Luftr\u00f6hrenfistel hatte, dass zur Erzeugung von T\u00f6nen ein bei weitem h\u00f6herer Druck nothwendig war. Wenn der Kranke laut seinen Namen rief, so stieg die Wassers\u00e4ule auf 945 mm., sang er einen mittleren Ton, so zeigte das Manometer eine Wasserh\u00f6he von 160 mm., trieb er den Ton, ohne ihn zu verst\u00e4rken, in die H\u00f6he, so stieg auch der Luftdruck auf 200 mm. Wasser und sprach er fl\u00fcsternd, so betrug er nur 30 mm.\n1\tSiehe Arch. f. Anat. u. Physiol. 1850. S. 1. Rinne, Ueber das Stimmorgan etc.\n2\tCagniard-Latour, L\u2019institut 1837. V. p. 394 und Ann. d. sc. nat. 1837. II. s\u00e9r. VII. p. 180, VIII. p. 319.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nIch selbst habe \u00fcber diesen Punkt eigene Erfahrungen gesammelt, die mit den CAGNiARD-LATOim\u2019schen Angaben im Wesentlichen \u00fcbereinstimmen.\nIch hatte Gelegenheit lange Zeit einen kr\u00e4ftigen, jungen Mann von 20 Jahren zu beobachten, dem in Folge von Erstickungsgefahr w\u00e4hrend eines Typhus die Tracheotomie gemacht wurde. Der Kranke trug dauernd seine Can\u00fcle und alle Versuche, die abnorme Oeffnung zeitweise oder gar dauernd zu schliessen, scheiterten an der Unm\u00f6glichkeit des freien Ath-mens. Schloss oder verengerte man die Wund\u00f6ffnung nur kurze Zeit und zwang so den Kranken durch den Kehlkopf zu athmen, der sich \u00fcbrigens, mit dem Kehlkopfspiegel untersucht, durchaus normal erwies, so trat bald hochgradige Athemnoth auf, die das sofortige Einlegen der Can\u00fcle dringend erheischte. \u2014 Die Stimme des Patienten war bei verschlossener Can\u00fcle von mittlerer Lage, ziemlich klangvoll und nur ein wenig rauh.\nVon den mit ihm angestellten Versuchen seien folgende hier erw\u00e4hnt.\nAn die gut schliessende und fest in der Wunde sitzende Can\u00fcle wird ein kurzer Gummischlauch mit einem T-Rohr angesetzt. Der abw\u00e4rts reichende Theil des T-Rohres wird ebenfalls mit einem kurzen Gummischlauch versehen, der durch eine Klemme beliebig ge\u00f6ffnet und geschlossen werden kann; der wagrechte Theil desselben f\u00fchrt zu einem Manometer, welches mit gef\u00e4rbtem Wasser oder Quecksilber gef\u00fcllt war.\nDer Kranke athmet 24 mal in der Minute ohne Beschwerden durch das T-Rohr, dabei schwankt die Wassers\u00e4ule um 30 mm. auf und ab.\nSobald ich ihn auffordere, zu sprechen oder zu singen, schliesse ich den Quetschhahn und beobachte den Stand des Manometers, welches immer erst nach erheblichen Schwankungen eine mittlere Stellung ein-\nnimmt.\nSang der Kranke mit mittlerer, gleich bleibender St\u00e4rke den Ton c', so erhielt ich zu verschiedenen Zeiten folgende mittlere Manometerwerthe\n140 mm. Wasser, bei f (eine Quart h\u00f6her) 180 mm. Wasser,\n160 \u201e 160 \u201e 150 \u201e 160 \u201e\n200 190 \u201e 170 \u201e 200 \u201e 204 \u201e\nn\nn\nn\nbei a (eine Terz tiefer) 140 mm. Wasser,\nbei cr crescendo, also lauter als im Fall 1. 220 mm. Wasser,\n130\n140\n160\n140\nn\tn\nr>\tr>\nn\tn\nri\tn\n240\n200\n180\nn\nn\nWeitere Verst\u00e4rkung des Tones hob die S\u00e4ule noch h\u00f6her. Der Druck stieg auf 20 bis 30 mm. Quecksilber.\nDas waren leider die \u00e4ussersten Grenzen der Tonh\u00f6he, in denen ich den Kranken untersuchen konnte. Denn forderte ich ihn auf, tiefer zu singen, so begann er zu grunzen und bat ich ihn, mit seiner Stimme in die H\u00f6he zu steigen, so traten sehr bald Hustenst\u00f6sse ein, welche das Experiment unterbrachen.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Windrohr. Die windgebenden Apparate.\n65\nAls ich den Kranken nach ungef\u00e4hr 6 Monaten wieder zu Gesicht bekam, hatte sich seine Stimme bedeutend verschlechtert ; er war dauernd heiser und die laryngoskopische Untersuchung ergab bedeutende rothe Schleimhautwucherungen, die von unten her \u00fcber das rechte Stimmband gewachsen waren.\nDer Luftdruck, unter welchem er jetzt sprach oder sang, war dauernd viel niedriger, als vor einem halben Jahre; offenbar hatte der gegenseitige Verschluss der Stimmb\u00e4nder bedeutend gelitten und es entwich nebenher immer noch Luft, welche der Stimme den heiseren Beiklang gab.\nErw\u00e4hnenswerth ist schliesslich noch der verschiedene Luftdruck, unter dem bei gleicher Tonh\u00f6he (c'j und St\u00e4rke die verschiedenen Vocale ausgesprochen wurden. Es zeigte sich, dass das a einen mittleren Luftdruck von 125 mm., das e einen von 212, das i einen von 220, das o einen von 198 und das u einen von 200 mm. Wasser gebrauchten, eine Thatsache, die wohl mit der Gr\u00f6sse der Mund\u00f6ffnung in Zusammenhang steht. Alle diese Versuche stellte ich mit dem Kranken in der ersten Versuchsreihe, einige Wochen nach der Operation an, als seine Stimme noch nicht heiser und sein Kehlkopf noch relativ gesund war.\nDie Kr\u00e4fte, welche der Ausathmungsluft die n\u00f6thige Spannung und Geschwindigkeit ertheilen, sind theils elastische, dem Willen nicht unterworfene, theils willk\u00fcrliche, auf der Th\u00e4tigkeit der Exspirationsmuskeln beruhende. Die Breite, innerhalb der die Gr\u00f6sse jener Kr\u00e4fte sich bewegt, sowie die Schnelligkeit, mit welcher sie, dem Willen gehorchend, von dem Maximum ihrer Th\u00e4tigkeit bis zum Minimum \u00fcberspringen, jenachdem unsere Stimme weithin schallen oder nur in n\u00e4chster N\u00e4he verstanden werden soll, ist eine ungemein grosse und giebt uns einen deutlichen Beweis, welch\u2019 unendlich vieler Abstufungen irgend ein complicirter Bewegungsmechanismus unseres K\u00f6rpers f\u00e4hig ist.\nHierf\u00fcr werden im vorliegenden Falle wie \u00fcberhaupt in der Natur verschiedene Mittel angewendet. Zun\u00e4chst ist die Schnelligkeit, mit welcher die Exspirationsmuskeln zum H\u00f6hepunkt ihrer Kraftentwickelung gelangen und die Kraft selbst, mit welcher sie sich zusammenziehen, an und f\u00fcr sich innerhalb weiter Grenzen schwankend, zweitens arbeiten sie aber im Verein mit elastischen Kr\u00e4ften, die ihre Th\u00e4tigkeit unterst\u00fctzen, und wie fast s\u00e4mmtliche Muskeln des K\u00f6rpers gegen Antagonisten, die ihre Th\u00e4tigkeit hemmen.\nZu den Muskeln, welche den Luftdruck in der Trachea erh\u00f6hen und die Stimmbildung veranlassen, sind alle diejenigen zu z\u00e4hlen, welche auf irgend eine Weise den Brustraum verkleinern, also insonderheit alle Bauchmuskeln. Denn einmal ziehen sie die Rippen herab und andererseits comprimiren sie den Bauchraum und treiben das Zwerchfell in die H\u00f6he. Nat\u00fcrlich sind hier eine Menge von\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\n0","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nCombinationen m\u00f6glich, je nachdem die Kippen oder das Zwerchfell fixirt, beziehungsweise gespannt sind oder dem Zug oder Druck nachgeben.\nWeiter kommen f\u00fcr die Verkleinerung des Brustraumes noch in Betracht der Quadratus lumborum, die \u00e4usseren Fasern des Longissi-mus dorsi und der Ilio-costalis.\nVon welcher Bedeutung dieses gegenseitige Abw\u00e4gen der Muskel-th\u00e4tigkeiten ist, damit es dem anhaltenden Exspirationsstrom nie an dem n\u00f6thigen Drucke fehle, geht am besten daraus hervor, wenn wir mit unseren Stimm- und Athemwerkzeugen in Collision kommen und dadurch oder aus irgend welchen Ursachen gezwungen sind, h\u00e4ufiger zu athmen. Sind wir beispielsweise rasch und anhaltend gelaufen, so werden wir immer nur einen Theil der Exspirationsluft zur Sprache verwenden. Schon nach kurzer Zeit macht sich das Athmungsbeditrfniss geltend ; wir k\u00f6nnen deshalb nur wenig Worte in einem Athemzuge sprechen, d. h. ohne uns durch eine neue Inspiration zu unterbrechen, w\u00e4hrend wir bekanntlich bei gew\u00f6hnlicher, ruhiger Sprache mehrere Worte und ganze S\u00e4tze mit der n\u00f6thigen Hebung und Senkung der Stimme produeiren. Auch krankhafter Weise kann eine solche \u201eeoupirte Sprache\u201c entstehen, wenn in Folge centraler Erkrankungen (der Medulla oblongata) die Th\u00e4tigkeit der oben geschilderten Muskeln nicht harmonisch ineinandergreift1 oder wenn beim Stottern, welches als eine \u201espastische Coordinationsneuroseu zu bezeichnen ist, die centralen coordinirenden Kr\u00e4fte schon bei geringen z. B. gem\u00fcthlichen St\u00f6rungen aus ihrem labilen Gleichgewicht2 gerathen und den gleichm\u00e4ssigen Fluss der Sprache vernichten.\nIII. Das Ansatzrolir.\nAls Ansatzrohr des Kehlkopfs m\u00fcssen wir den Raum \u00fcber den wahren Stimmb\u00e4ndern ansehen. Es geh\u00f6ren also hierzu die Morgag-nischen Ventrikel mit den falschen Stimmb\u00e4ndern, die Rachen-, Mund- und Nasenh\u00f6hle mit ihren verschiedenen Ausbuchtungen.\nUeber die physiologische Bedeutung der Morgagnischen Ventrikel hat man mannigfache Ansichten ausgesprochen. Nach Joh. M\u00fcller dienen sie dazu, die ; wahren Stimmb\u00e4nder aussen frei zu machen, damit ihre Schwingungen ungehindert sind. Malgaigne vergleicht nicht mit Unrecht jene R\u00e4ume mit der Aush\u00f6hlung des Mundst\u00fcckes der Trompete, in welche hinein die Lippen des Bl\u00e4sers als ausschlagende Zungen frei schwingen. Sie fehlen, sowie die falschen Stimmb\u00e4nder vollst\u00e4ndig den Wiederk\u00e4uern und bauchen\n1\tA. Frey, Ein Fall von coupirter Sprache. Berliner klin. Wochenschr. 1878. Nr. 29.\n2\tK\u00fcssmaul, Die St\u00f6rungen der Sprache. Leipzig 1873, woselbst die ausf\u00fchrliche Literatur nachzusehen.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Ansatzrohr.\n67\nsich andererseits zu grossen resonirenden Hohlr\u00e4umen aus bei manchen Affen (Br\u00fcllaffen, Orang etc.).\nNeben dieser mechanischen oder akustischen Bedeutung, die jedoch beim Menschen um so verschwindender sein muss, je kleiner die Ventrikel an und f\u00fcr sich sind und je mehr sie bei der Stimm-gebung durch die Entfernung der falschen Stimmb\u00e4nder von der Mittellinie sich noch verkleinern, kommt ihnen noch eine zweite viel wuchtigere zu.\nJeder Durchschnitt durch den Kehlkopf belehrt uns n\u00e4mlich von dem \u00fcbergrossen Reichthum jener Partieen an traubigen Dr\u00fcsen, die theils ein schleimiges, theils ein ser\u00f6ses Secret absondern. Es ist sicher, dass jene Dr\u00fcsenanh\u00e4ufungen ihr Secret in die Ventrikel er-giessen, die es dann ihrerseits durch den schmalen Spalt auf die schwingenden Stimmb\u00e4nder entleeren, eine Thatsache, auf deren Wichtigkeit meines Wissens zuerst Merkel aufmerksam machte.\nDie falschen Stimmb\u00e4nder mit ihren vielen Dr\u00fcsen, deren Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge bei Weitem der Hauptsache nach in die Ventrikel m\u00fcnden, sind in erster Linie, wie schon angedeutet, Befeuchtungsapparate der wahren Stimmb\u00e4nder. Ausserdem dienen sie dem Kehlkopf als Schutzorgan, indem sie beim dichten Verschluss desselben mitwirken, ja in pathologischen F\u00e4llen schliesslich \u2014 bei L\u00e4hmungen der wahren Stimmb\u00e4nder \u2014 k\u00f6nnen sie diese zum Theil substituiren. Die Stimmritze wird alsdann von einem falschen und einem wahren Stimmband gebildet. 1\nSteigen wir weiter aufw\u00e4rts, so gelangen wir in einen Raum von ungemein complicirter Gestalt, den man in eine vordere, etwas h\u00f6her gelegene und in eine hintere, zugleich tiefere Abtheilung trennen kann, welche ohne bestimmte Grenzen nach abw\u00e4rts in den Anfangstheil der Speiser\u00f6hre \u00fcbergeht. Der vordere \u00fcber den falschen Stimmb\u00e4ndern befindliche Raum ist durch die schr\u00e4g in ihn hineinragende Epiglottis nach oben und vorn begrenzt, der hintere dagegen baucht sich seitlich in zwei Vertiefungen aus, welche aussen\n1 Siehe Bruns, Die Laryngoskopie und die laryngoskopische Chirurgie. T\u00fcbingen 1865 ; Rossbach, Physiologie und Pathologie der mensch\u00fcchen Stimme S. 55. W\u00fcrzburg 1869 ; C. Stork, Klinik der Krankheiten des Kehlkopfes I. S. 56. Stuttgart 1876. Die immer wieder auftauchende Angabe, dass die falschen Stimmb\u00e4nder auch unter normalen Verh\u00e4ltnissen sich direct bei der Stimmbildung betheiligen, sowie die wahren Stimmb\u00e4nder und durch ihre Schwingungen, namentlich die ,.Kopfstimme\" erzeugen, habe weder ich, noch soweit mir bekannt, ausser Kilian (Beitr\u00e4ge zur Physiologie der menschlichen Stimme im Arch. f. d. ges. Physiol. IX. S. 244) und Deppe (Die Laute der deutschen Sprache. Heidelberg 1872), irgend Jemand, der hier\u00fcber laryngoskopische Beobachtungen angestellt, best\u00e4tigen k\u00f6nnen. Diese Thatsache muss also, wenn vorhanden, \u00e4usserst selten sein und vielleicht auf die ausnahmsweise starke Muskulatur der Taschenb\u00e4nder zur\u00fcckgef\u00fchrt werden.","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68 Ge\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\nund vorn von der hinteren, oberen Partie des Schildknorpels, nach innen und vorn von einem Theil des Ringknorpels, den Giessbeckenknorpeln und der Plica ary-epiglottica begrenzt werden (s. Fig. 42 S. 59). Nach unten endigen sie blind, etwa in der H\u00f6he der wahren Stimmb\u00e4nder und nach innen und hinten gehen sie jederseits in einen engen Canal \u00fcber, den Anfang des Schlundrohres, der die beiderseitigen Ausbuchtungen mit einander in Verbindung setzt. Jene Ausbuchtungen f\u00fchren nach Tourtual den Namen der Sinus pyriformes, von Luschka werden sie Recessus pharyngo-laryngei genannt.\nIn wie weit die Epiglottis die Stimme beeinflusst, ist schwer zu sagen. Der Kehlkopfspiegel lehrt, dass sie bei verschieden hohen T\u00f6nen, verschiedene Stellungen einnimmt, sich senkt bei tiefen und erhebt bei hohen T\u00f6nen. Longet behauptete, dass sie wenigstens bei Hunden, denen er sie niederdr\u00fcckte oder vollst\u00e4ndig abschnitt, keinen Einfluss auf die H\u00f6he und Art der Stimme habe, was auch Joh. M\u00fcller auf Grund seiner Versuche am menschlichen Kehlkopf angenommen. Neuerdings hat jedoch Walton1 es wahrscheinlich gemacht, dass die Epiglottis durch ihre verschiedene Stellung die Klangfarbe der Stimme in hohem Maasse ver\u00e4ndert. Liegt sie bei nach hinten gedr\u00e4ngter Zunge fest auf den Stimmb\u00e4ndern auf, so dass man dieselben mit dem Kehlkopfspiegel gar nicht sehen kann, so wirkt sie d\u00e4mpfend und erzeugt dumpfe Kl\u00e4nge, verdeckt sie hingegen die Stimmb\u00e4nder nur zum Theil, so ist die Stimme am hellsten, und richtet sie sich ganz auf, so dass man die Stimmb\u00e4nder vollkommen frei \u00fcbersehen kann, so verliert die Stimme an Glanz und wird sch\u00e4rfer.\nAn den eben beschriebenen tiefsten Theil des Ansatzrohres, den Merkel die Pars laryngea tubi phonoleptici genannt hat, schliesst sich der Rachentheil die Pars isthmica an, welche von der H\u00f6he des Kehldeckels bis zum weichen Gaumen reicht. Der in ihr liegende Isthmus faucium trennt die Rachenh\u00f6hle gegen die Mundh\u00f6hle ab. Die Enge selbst, der Isthmus, wird gebildet durch die beiden muskul\u00f6sen Bogen, den Arcus glossopalatinus und pharyngopalatinus, welche wie zwei vorspringende Coulissen den Raum seitlich einengen, w\u00e4hrend der weiche Gaumen mit dem Z\u00e4pfchen die obere und der Zungenr\u00fccken mit der an ihn sich anschliessenden Epiglottis die untere Umgrenzung herstellt.\nVon hier geht nun die erste grosse vordere Ausbuchtung des Ansatzrohres, die Mundh\u00f6hle, ab, die f\u00fcr uns wesentlich von Interesse ist, weil sie durch ihre beweglichen und in ihrer Spannung\n1 Walton. Journ. of Physiol. I. p. 303. 1878.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Ansatzrohr.\n69\nver\u00e4nderlichen Wandungen und den in ihr liegenden Muskelapparat, die Zunge, mannigfacher Gestalts- und Gr\u00f6ssenver\u00e4nderungen f\u00e4hig ist. Ihr Volumen kann hei geschlossenem Kiefer durch luftdichtes Anlegen des Zungenr\u00fcckens an den Gaumen und N\u00e4herung der Wangenschleimhaut bis fast auf 0 verkleinert und andererseits durch Oeffnung des Mundes oder Senkung seines Bodens in einen weiten Hohlraum umgewandelt werden, dessen Ausgangs\u00f6ffnung von den beweglichen Lippen beherrscht wird.\nWeiter aufw\u00e4rts geht das Ansatzrohr in einen bis an die Sch\u00e4delbasis heranreichenden, querovalen Hohlraum, das Cavum pha-ryngo-nasale \u00fcber, welches vorn mit dem Zweiten seitlichen Ansatzrohr oder besser dem zweiten Paar seitlicher Ansatzr\u00f6hren, den Nasen r\u00e4umen, in Verbindung steht.\nEs ist somit das Ansatzrohr des menschlichen Kehlkopfes im Wesentlichen eine etwa 11,5 Cm. lange, 2 Cm. tiefe und 1,5\u20144,5 Cm. breite Rinne, die zwei grosse seitliche Ausbuchtungen nach vorn tr\u00e4gt, die eine \u00fcber der anderen. Durch muskul\u00f6se Apparate sind wir nun in den Stand gesetzt, mit dem unteren Theil des Ansatzrohres entweder beide oder nur eine von beiden H\u00f6hlen in Verbindung zu setzen und die Gestalt des Ansatzrohres selbst vielfach zu ver\u00e4ndern.\nVerk\u00fcrzt wird das Ansatzrohr nat\u00fcrlich durch jegliche Hebung des Kehlkopfes, verl\u00e4ngert durch Senkung desselben, in seiner Gestalt aber ver\u00e4ndert durch seine muskul\u00f6sen W\u00e4nde und die in sein Lumen hineinragenden muskul\u00f6sen Apparate.\nDie Muskeln, welche hierbei in Betracht kommen, sind zun\u00e4chst die verschiedenen Constrictoren, die nach Henle passend mit dem Namen des Laryngo-hyo- und Cephalopharyngeus bezeichnet werden und deren Fasern alle einen wesentlich horizontalen Verlauf haben. Ihre Zusammenziehung verengt hiernach das Lumen des von ihnen umschlossenen Rohres, ohne es in seiner L\u00e4nge bedeutend zu alteriren. Ihnen entgegen stehen die Levatoren, deren Fasern von oben nach abw\u00e4rts verlaufen, der Stylo-und Palatopharyngeus, die gem\u00e4ss ihrer anatomischen Anordnung den Schlund im Ganzen heben und somit verk\u00fcrzen k\u00f6nnen.\nW\u00e4hrend die Gestaltsver\u00e4nderung des Ansatzrohres durch die genannten Muskeln und ihre Wichtigkeit bei der Stimmbildung weniger in die Augen springt, so sind wir andererseits durch muskul\u00f6se Organe, welche in das Lumen des Ansatzrohres selbst hineinragen, in den Stand gesetzt, die Gestalt desselben auf das Ergiebigste und Augenscheinlichste zu ver\u00e4ndern. Jene Organe sind das Gaumensegel und die Z u n g e.\nDie erstere ist bekanntlich eine Klappe, die, wenn sie stark","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"7 0 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 2. Cap. Stimmbildende Apparate.\ngesenkt ist, den \u00fcber dem Kehlkopfe befindlichen Luftraum nur mit den Hohlr\u00e4umen der Nase in Verbindung setzt und dadurch die in ihnen enthaltene Luft - bei t\u00f6nendem Kehlkopf - zum Mitschwingen veranlasst, oder wenn sie erhoben ist, die Nasenr\u00e4ume ganz und gar von dem unteren Theil des Ansatzrohres absperrt und nur die Mundh\u00f6hle mit ihm vereinigt. Nimmt sie schliesslich eine mittlere Stellung ein, so werden sowohl die Mund-, wie die Nasenh\u00f6hle gleichzeitig mit dem unteren Theil des Ansatzrohres verbunden und die Luft entweicht sowohl durch Mund als Nase nach aussen.\nUeber den Bewegungsmechanismus des weichen Gaumens sind mannigfache Untersuchungen angestellt worden. Bei der Complicirtheit der hier befindlichen Muskeln und der mannigfachen Art ihrer gegenseitigen Verflechtung ist es begreiflich, dass die Ansichten der Untersucher \u00fcber die Betheiligung dieser Muskeln nicht in allen Punkten \u00fcbereinstimmen.\nNach der Darstellung von Passavant1 contrahiren sich, wenn das Gaumensegel die Nasenh\u00f6hle von der Mundh\u00f6hle absperren soll, zun\u00e4chst die Levatores palati mollis und, wie ich hinzuf\u00fcge, die Tensores seu Cir-cumflexi palati mollis. Hierdurch wird das Gaumensegel in seinem vorderen Abschnitte horizontal erhoben, in seiner Totalit\u00e4t gespannt und in ein Gebilde verwandelt, das nicht leicht dem Drucke der Luft oder dem andringenden Bissen nachgiebt. In seinen hinteren Partieen hingegen wird es duich die Glosso- und Pharyngopalatini eher vertical gestellt, so dass es einen rechtwinkligen Knick nach unten bildet. Indem sich ausserdem die Pharyngopalatini bei ihrer Contraction gerad strecken, n\u00e4hern sie sich der Mittellinie und verengern den Isthmus. Dabei kommen sie aber nicht, wie Dzondi2 behauptete, zu gegenseitiger Ber\u00fchrung und festem Verschluss; dieser vollzieht sich vielmehr dadurch, dass das Gaumensegel in oben beschriebener Art gehoben und gegen die hintere Pharynxwand angestemmt wird.\nDass auch diese bei dem ganzen Vorg\u00e4nge nicht passiv bleibt hat zuerst Passavant an einem Individuum mit einer Gaumenspalte nachgewiesen. Er hat beobachtet, dass die ganze hintere Pharynxwand 3 etwa in der Gegend des Atlas nach vorn r\u00fcckt und dadurch dem Gaumensegel den Verschluss erleichtert, welches sich unter dem hervorgetriebenen Wulst anlegt. Hierdurch wird ventilartig die Mundh\u00f6hle von der Nase, aber nicht umgekehrt diese von jener, luftdicht abgesperrt. Jener Wulst wird erzeugt durch Contraction des Constrictor pharyngis superior, dessen Fasern bogenf\u00f6rmig von einem Hamulus pterygoideus zum anderen gehen und im contrahirten Zustande die hintere Pharynxwand nach vorn treiben\n1\tG. Passavant, Ueber die Verscbliessung des Schlundes beim Sprechen. Frankfurt a. M. 1863 und Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. XLYI. S. 1. 1869.\n2\tDzondi, Die Functionen des weichen Gaumens. Halle 1813.\n3\tNach neueren rhinoskopischen Untersuchungen scheint dieses Vorw\u00f6lben der hinteren Pharynxwand kein constantes Vorkommniss zu sein. (Siehe C. Michel, Berliner klin. Wochenschr. 1875. Nr. 42.) Herr Prof. Voltolini versichert mir jedoch, es nie vermisst zu haben. An mir selbst ist es, wenn ich das Z\u00e4pfchen nach vorn ziehe und Schlingbewegungen mache, deutlich zu sehen oder auch ohne Weiteres mit dem'Finger zu f\u00fchlen.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Ansatzrohr.\n71\nm\u00fcssen. Auch die Ann\u00e4herung der Gaumenbogen wird von Passavant nicht so sehr der Th\u00e4tigkeit der Pharyngopalatini, wie ebenfalls jenem Constrictor superior zugeschrieben, der sich contrahirend alles zwischen seinen Ansatzpunkten Gelegene der Mittellinie zutreibt. Es ist dieser Muskel daher vorzugsweise ein der Sprache dienender Apparat, w\u00e4hrend die anderen Constrictoren wesentlich Schlingmuskeln sind.\nDas Gaumensegel vermag aber auch andererseits sich nach vorn zu bewegen und mit dem R\u00fccken der Zunge in Ber\u00fchrung zu kommen. Auf diese Weise sperrt es den Mundraum von dem Kehlkopfe ab und bringt diesen lediglich mit den Nasenh\u00f6hlen in Verbindung. Dieser Verschluss d\u00fcrfte wesentlich durch die Th\u00e4tigkeit der Glosso- und Palatopharyngei zu Stande kommen.\nDer zweite, f\u00fcr die artieulirte Sprache wichtige Muskel oder Muskelapparat, der im Inneren des Ansatzrohres gelegen ist, ist die Zunge mit ihren eigenen und den von aussen an sie herantretenden Muskeln. Sowohl mannigfacher Gestalts- wie Ortsver\u00e4nderungen f\u00e4hig, vermag sie den Raum, in welchem sie liegt, zu erweitern oder zu verengen, ihn in Unterabtheilungen zu zerlegen, welche sie wieder, je nach dem Grade der Ann\u00e4herung an gegen\u00fcberliegende \"W\u00e4nde ganz von einander trennen., oder durch enge Spalten mit einander in Verbindung setzen kann. Diese ihre unendlich mannigfaltige Th\u00e4tigkeit werden wir bei der Lautbildung n\u00e4her kennen lernen.\nDie physiologische Bedeutung des Ansatzrohres liegt in Folgendem. Indem wir dasselbe in der ausgiebigsten Weise ver\u00e4ndern k\u00f6nnen, besitzen wir zugleich die F\u00e4higkeit, den Klang unserer Stimme in eben der Ausdehnung wechseln zu lassen. Eine helle oder dumpfe, eine schnarrende oder n\u00e4selnde Stimme, die verschiedenen Vocale sind das Resultat dieser Ver\u00e4nderungen des Ansatzrohres. Die H\u00f6he des Stimmtones wird aber hierdurch nicht beeinflusst; dazu ist erstens das Ansatzrohr nicht fest genug, seine W\u00e4nde sind gr\u00f6sstentheils weich und nachgiebig, ausserdem sind die Stimmb\u00e4nder zu grosse, elastische Membranen, die schon bei verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig niederem Luftdrucke leicht ansprechen (s. Seite 36).\nEine andere Function des Ansatzrohres besteht darin, die Tonwellen zusammenzuhalten und ihnen eine bestimmte Richtung zu geben. Und gerade so wie der Trompeter die Trompete dahin richtet, wo ihre T\u00f6ne vornehmlich geh\u00f6rt werden sollen, so richten auch wir, wenn wir sprechen oder singen, die Mund\u00f6ffnung unseres Ansatzrohres, aus dem die Schallwellen heraustreten, dorthin, wo wir wollen, dass sie vernommen werden, ja wir verl\u00e4ngern nicht selten das Ansatzrohr mit den H\u00e4nden, um unsere Stimme recht weit h\u00f6rbar zu machen.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72 (xEt\u00fcTZNER, Physiologie der Stimme und Sprache. 3. Cap. Stimmbild, im Lebenden.\nDRITTES CAPITEL.\nDie Stimmbildung im Lebenden.\nI. Geschichtliches. \u2022\nDie Kenntnisse der Alten \u00fcber das Zustandekommen der menschlichen; beziehungsweise der tliierischen Stimme sind nicht so unbedeutend und geringf\u00fcgig, als man sich vielleicht im Allgemeinen vorzustellen gew\u00f6hnt ist. Die Bedeutung der durch die Stimmritze str\u00f6menden Luft war bereits Hippokrates 1 bekannt. Er weiss; dass; wenn in Folge von Verletzungen die Luft unterhalb des Kehlkopfes die Luftr\u00f6hre verl\u00e4sst; eine Stimme nicht mehr erzeugt werden kann. Sie tritt aber sofort wieder auf; wenn man die Wunde der Luftr\u00f6hre fest verschliesst. Zum Lautsprechen geh\u00f6rt viel Luft; die vorher eingeathmet werden und dann mit einer ziemlichen Kraft durch die Luftr\u00f6hre; resp. den Kehlkopf herausge-stossen werden muss. Die Verbindung der Luftr\u00f6hre mit den hohlen d. i. lufthaltigen Lungen und dem Kehlkopf ist ihm bekannt; er betrachtet dieselbe nicht; wie viele seiner Vorg\u00e4nger und Zeitgenossen; als ein Rohr; welches zur Aufnahme der Fl\u00fcssigkeiten in den K\u00f6rper dient; denn wenn man ein durstiges Thier (am besten ein Schwein) gef\u00e4rbte Fl\u00fcssigkeit trinken l\u00e4sst und ihm w\u00e4hrend des Trinkens die Kehle durchschneidet; so findet man die Kehle nur ein wenig; die Speiser\u00f6hre aber intensiv gef\u00e4rbt.\nUeber die H\u00f6he der von uns oder den Thieren in den Stimmorganen erzeugten T\u00f6ne und ihre Vereinigung mit Ger\u00e4uschen zur Sprache berichtet Aristoteles unter Anderem Folgendes : Die H\u00f6he der Stimme ist wesentlich von dem Alter der Individuen abh\u00e4ngig. Alle jungen Gesch\u00f6pfe und meistens auch alle weiblichen haben eine h\u00f6here Stimme; als erwachsene; und die F\u00e4higkeit eines und desselben Individuums; hintereinander hohe und tiefe T\u00f6ne zu erzeugen; d\u00fcrfte auf dieselben Eigenschaften d. h. also aufVer-gr\u00f6sserung oder Verkleinerung der stimmgebenden Apparate zur\u00fcckzuf\u00fchren sein. Kleine K\u00f6rper oder solche; die \u00fcberhaupt leicht durch Kr\u00e4fte zu bewegen sind; geben in der That hohe Tone und bewegen sich schnell; grosse oder schwer bewegliche geben tiefe T\u00f6ne und bewegen sich langsam. Da nun die Frauen und Kinder nur wenig Luft in Bewegung setzen; ist deren Stimme hoch; und da die M\u00e4nner grosse Mengen Luft bewegen; so ist deren Stimme tief. \u2014 Im Gegensatz zu diesen theoretischen Annahmen treten praktische; anatomische Kenntnisse bei einem sp\u00e4teren For-\n1\t\u00fcsqI gciqxc\u00fcv Cap. XVHI. El8ov S\u00e8 rjSrjy 6\u00ce ocp\u00e2\u00c7avres \u00e9avrovs an\u00e8xafiov Tov (paQvyya navraTtaoiv. ovtcos \"\u00c7cogi fi\u00e8v, cpd'\u00e9yyovxai 8\u00e8 oiS\u00e8r, s\u00ef firj n\u00a3 GvXXa\u00dfrj rov cpaQvyya.\n2\tIls qI rijs x a \u00e7 8 ta s Cap. II. Et y\u00e2.Q ns xv\u00e2vco t] fiiXrco cpoQv\u00ef;as v8co\u00e7> 8otr] Se8ixpr]x\u00f4n n\u00e2vv nis\u00efv, fx\u00e2Xtora S\u00e8 avi (to y\u00e0\u00e7 xrrjros o\u00eex \u00e8ort STtifxsX\u00e8e ovS\u00e8 cpiX\u00f4xaXov), STtstra 8\u00e8 si en ntvovros avax\u00e8f.tvoi\u00a3 rcv Xat/ncv, ev\u00e7ots av rovrov xey\u00e7coofi\u00e9vov tco tcotco.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Galenits. Dodart.\n73\nscher, Galenus, hervor. Derselbe kennt die Knorpel des Kehlkopfes und bezeichnet sie mit den auch uns gel\u00e4ufigen Namen (er nimmt allerdings nur einen Giessbeckenknorpel an), er kennt die haupts\u00e4chlichsten Muskeln desselben und ihre Wirkungsweise; er weiss oder behauptet es wenigstens1; dass eine Stimme nur zu Stande kommen k\u00f6nne; wenn die Stimmritze verengt; die betreffenden Knorpel einander gen\u00e4hert sind; der Kehlkopf selbst und die in ihm liegenden Stimmb\u00e4nder werden mit der Zunge einer Fl\u00f6te verglichen; welche das wesentlichste an diesem Instrument sei. An einer anderen Stelle (de voce et anhelitu) vergleicht er freilich den Kehlkopf mit der darauf sitzenden Epiglottis mit einer Fl\u00f6te und spricht diesem Knorpel verm\u00f6ge seines Querstandes eine grosse Bedeutung bei der Tonbildung zu. Verst\u00e4rkt werde der Ton des Kehlkopfes durch den Gaumen; der wie eine Wand vorliege; und durch das Z\u00e4pfchen, welches nach Art eines Plektrum\u2019s wirke. Letzteres ist; wenn man unter Plektrum den Schlagring der Citherspieler versteht, unverst\u00e4ndlich.\nSoviel \u00fcber die Kenntnisse der Stimmerzeugung bei den Alten. Die sp\u00e4tere Zeit bietet uns nichts wesentlich Neues; die Aristotelischen und Galenischen Anschauungen zeigen sich in dem individuellen Spiegel der mittelalterlichen Forscher, die nur aus B\u00fcchern, nicht aus der lebendigen Natur selbst ihre Kenntnisse sch\u00f6pften. Zwar machte im 16. und 17. Jahrhundert die Anatomie des menschlichen K\u00f6rpers und besonders auch die des Kehlkopfes derartige Fortschritte, dass sie als Grundlage der physiologischen Vorg\u00e4nge durchaus als gen\u00fcgend betrachtet werden konnte. Indess erst das 18. Jahrhundert erzeugte M\u00e4nner, die nicht blos den Kehlkopf genau kannten, sondern auch seine Th\u00e4tigkeit, die Erzeugung der Stimme, mit Erfolg zu analysiren versuchten. \u2014\nIn den Memoiren der Pariser Akademie vom Jahre 1700\u20141707 ver\u00f6ffentlichte Dodart mehrere Aufs\u00e4tze \u00fcber die Ursachen der menschlichen Stimme. Die Ansichten, welche er in den ersten Aufs\u00e4tzen niederlegt, werden vielfach in den sp\u00e4teren wissentlich oder auch unwissentlich um-gestossen; bald ist der Kehlkopf eine Pfeife, bald ist er ein Zungeninstrument. Folgende Thatsache ist es jedoch, die Dodart offenbar zu jener schwankenden Ansicht gebracht hat. Er vergleicht n\u00e4mlich das Zustandekommen der menschlichen Stimme mit dem Ton und dem flatternden Ger\u00e4usche, welches man h\u00f6rt, wenn man ein Papierblatt schlecht vor die Spalte eines Fensters geklebt hat, durch die der Wind pfeift. Wie hier der Ton lediglich durch die mit grosser oder geringer Kraft sich bewegende Luft erzeugt werde, so entstehe auch die menschliche Stimme in der Glottis, durch welche die Luft mehr oder weniger schnell gepresst wird ; die H\u00f6he des Tones aber sei abh\u00e4ngig von der Schnelligkeit, mit welcher die Stimmb\u00e4nder analog dem Papier flatterten. Bei starkem Luftdruck, der die Luft schnell durch die Oeffnung hindurchtreibt, sei auch das Flattern schneller und der Ton also h\u00f6her. Obwohl der Wahrheit so ungemein nahe, kommt Dodart doch zu keinem befriedigenden Resultat, indem er bald der Gr\u00f6sse der Oeffnung und des Luftdruckes, bald wieder den B\u00e4ndern die Tonbildung und Erh\u00f6hung zuschreibt.\n1 De usu part. Lib. VH. Cap. XIII. fafaxrai . .. ro fit] Svvaad'ou yev\u00e9od'ou (pcovrr avev rov orsvcod'rjvai r)]v diat-oSov (sc. rov X\u00e4ovyyoe).","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 3. Cap. Stimmbild, im Lebenden.\nEtwa 40 Jahre sp\u00e4ter arbeitete Ferrein1 \u00fcber denselben Gegenstand. Er war der erste, der an ausgeschnittenen Kehlk\u00f6pfen akustische Untersuchungen anstellte, zun\u00e4chst an demjenigen eines Hundes: \u201eIch n\u00e4herte die Lippen der Glottis und blies stark in die Luftr\u00f6hre ; sofort schien sich das Organ zu beleben und liess \u2014 ich sage nicht blos einen Laut, sondern eine Stimme h\u00f6ren, angenehmer f\u00fcr mich, als die ergreifendsten Concerte.\u201c Weiterhin untersucht er den Einfluss der Glottis-Weite oder Enge und findet entgegen der herrschenden Meinung von Aristoteles, dass der Ton kr\u00e4ftiger hervorbreche, wenn die Stimmb\u00e4nder eng aneinandergelegt, dass er dagegen an St\u00e4rke nicht so bedeutend sei, wenn die Stimmb\u00e4nder weiter von einander abstehen. Die Hohe des Tones aber wird durch die Oeffnungsweite nicht beeinflusst. F\u00fcr ihn sind hiernach die Stimmb\u00e4nder das wesentliche; sie gleichen den Saiten eines musikalischen Instrumentes, etwa einer Aeolsharfe, die von der vorbeistreichenden Luft, gleich einem Violinbogen, in t\u00f6nende Schwingungen versetzt werden. Es t\u00f6nt also nicht die Luft, sondern es t\u00f6nen die Stimmb\u00e4nder oder Stimmsaiten \u2014 cordes vocales \u2014 wie er sie aus diesem Grunde benennt. Bl\u00e4st man stark, so sind ihre Excursionsweiten bedeutend und ihr Ton laut ; verhindert man sie \u00fcberhaupt am Schwingen, so wird kein Ton geh\u00f6rt, verk\u00fcrzt man ihre L\u00e4nge durch tlieilweises Aneinanderdr\u00e4ngen ihrer hinteren oder vorderen Partieen, so steigt die H\u00f6he des Tones, den sie geben, wie dies bei den Saiten ebenfalls bekannt ist. Diese Verk\u00fcrzung komme allerdings kaum im Leben vor; hier bewirke vielmehr die verschiedene Spannung der Stimmb\u00e4nder und die damit verbundene Verl\u00e4ngerung die Verschiedenheit der Tonh\u00f6he. Dass dem so sei, ergiebt sich aus der Beobachtung; denn drehe man den vorderen Theil des Schildknorpels nach abw\u00e4rts, sodass der Raum zwischen seinem Winkel und dem Ringknorpel verkleinert wird, so erh\u00f6he man den Ton wegen st\u00e4rkerer Spannung der B\u00e4nder; in ganz gleicher Weise werde der n\u00e4mliche Raum im Lebenden verkleinert, wenn wir immer h\u00f6here T\u00f6ne der Skala singen.\nFerrein\u2019s Ansicht, gest\u00fctzt durch eine Reihe sorgf\u00e4ltiger und origineller Experimente, hielt sich lange Zeit (etwa 100 Jahre), ehe ihr eine andere entgegentrat und sie v\u00f6llig verdr\u00e4ngte. Ein Forscher,. gleich ausgezeichnet durch vorz\u00fcgliche Beobachtungsgabe wie durch technische Fertigkeiten, W. v. Kempelen, glaubte die Theorien von Ferrein und Dodart vereinigen zu k\u00f6nnen. In seinem h\u00f6chst interessanten und vorz\u00fcglichen Werke \u00fcber \u201eDen Mechanismus der menschlichen Sprache\u201c, Wien 1791, spricht er die Ansicht aus, dass st\u00e4rkere Spannung der Stimmb\u00e4nder mit Verkleinerung der Stimmritze Zusammenfalle und umgekehrt Erweiterung derselben jedesmal mit einer gewissen Entspannung Hand in Hand gehe. Zu dieser Ansicht wird er namentlich gef\u00fchrt durch sein Schema des Kehlkopfes, n\u00e4mlich einen biegsamen elastischen Ring, \u00fcber dem eine in zwei H\u00e4lften gespaltene Membran aufgezogen ist. Dr\u00fcckt man den Ring in der Richtung der engen Spalte zusammen, so wird diese elliptisch, verbreitert sich also, und die Membranen erschlaffen namentlich an ihren freien R\u00e4ndern; \u00fcbt man dagegen einen Druck in senkrechter Richtung\n1 Ferrein, M\u00e9moires de l\u2019acad\u00e9mie des sciences 1741.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Kempelen. Duteochet.\n75\nauf die Spalte aus, so wird diese bis auf eine haarfeine Linie verkleinert und die freien R\u00e4nder der Membranen gespannt. \u2014 In ganz \u00e4hnlicher Weise \u00e4ussert sich etwa um dieselbe Zeit Chladni (1807, Akustik) der aus denselben Gr\u00fcnden, wie v. Kempelen, den Vertretern beider Ansichten Recht giebt. \u2014 Ausserdem sei bemerkt, dass sowohl Kempelen, wie alle diejenigen, welche die menschliche Stimme nachzuahmen versuchten (Kratzenstein u. A.), hierzu stets gewissermassen instinktiv Zungen-, niemals Fl\u00f6tenpfeifen angewendet, das menschliche Stimmorgan selbst also mit den ersteren identificirt haben.\nDies that auch Duteochet. 1 Auf Grund des Klanges der menschlichen Stimme, welche namentlich in ihren tieferen Lagen ein Zittern wahrnehmen lasse, h\u00e4lt er sich f\u00fcr berechtigt, nicht einfach die Luft, wie bei den gew\u00f6hnlichen Orgelpfeifen, sondern einen festen schwingenden K\u00f6rper als dabei betheiligt anzusehen ; denn nur solche Instrumente, bei denen feste schwingende K\u00f6rper zur Tonbildung mitwirken, erzeugten dergl. Erzitterungen. Das menschliche Stimmorgan gleiche demnach dem Horn, bei dessen Spiel die erste Ursache des Tones in den Schwingungen des Lippenmuskels liege. Was aber f\u00fcr den Hornbl\u00e4ser der Orbicularis oris mit seinen h\u00e4utigen Bedeckungen, das ist f\u00fcr den S\u00e4nger oder Sprecher der M. tliyr. aryt. mit den Stimmb\u00e4ndern. Die Schwingungen des Muskels sind das wesentliche, die Stimmb\u00e4nder \u2014 als feste Aponeurosen des Muskels \u2014 sch\u00fctzen ihn nur vor Verletzungen, die ein allzu starkes Aneinanderschlagen der Muskelb\u00fcndel zur Folge haben k\u00f6nnte. Die Verschiedenheit in der H\u00f6he der hervorgebrachten T\u00f6ne werde erzeugt einmal durch st\u00e4rkere (passive) Spannung jener Muskeln, indem namentlich der Constrictor pharyngis uud der Thyreo-hyoideus den Winkel des Schildknorpels spitzer macht und ihn weiter nach vorn treibt, andererseits durch active Spannung der Stimmmuskeln selbst, welche hierbei h\u00e4rter werden, bauchig hervortreten und ihre Elasticit\u00e4t vermehren. \u2014\nEtwas Genaueres \u00fcber das Zustandekommen der menschlichen Stimme \u2014 namentlich vom theoretischen Standpunkt aus \u2014 l\u00e4sst im Jahre 1814 ein deutscher Arzt C. Liskovius vernehmen. In seiner \u201eTheorie der Stimme \u201c wendet er sich zun\u00e4chst gegen Ferrein\u2019s Ansicht, dass die menschlichen Stimmb\u00e4nder den Saiten der musikalischen Instrumente gleichzustellen w\u00e4ren. Die m\u00e4chtigen Kl\u00e4nge der menschlichen Stimme, die soweit in die Tiefe reiche, k\u00f6nnten durch die Schwingungen dieser kleinen Stimmb\u00e4nder durchaus nicht erkl\u00e4rt werden, um so weniger, als in denjenigen Instrumenten, deren Saiten durch defi blossen Luftzug ersch\u00fcttert werden, wie in den Aeolsharfen, nie ein der menschlichen Stimme \u00e4hnlicher, geschweige denn ein so m\u00e4chtiger Ton erzeugt werde. Die Stimme entstehe vielmehr dadurch, \u2014 so schloss er aus seinen sorgf\u00e4ltigen Versuchen am ausgeschnittenen Kehlkopf \u2014 dass die wahren Stimmb\u00e4nder sich einander n\u00e4herten und der exspirirten Luft eine Enge bereiteten. Indem sie durch dieselbe streiche, erzitterten ihre Theilchen und es entstehe ein Ton, der um so h\u00f6her, je enger die Stimmritze und je st\u00e4rker der Druck der ausgeathmeten Luft sei. Die Stimmb\u00e4nder schwingen hier-\n1 Duteochet, M\u00e9moires de l\u2019acad\u00e9mie des sciences. 1806.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 3. Cap. Stimmbild, im Lebenden.\nbei nur passiv mit, gerade so wie die ganze Luftr\u00f6hre, deren Erzittern man mit der Hand f\u00fchlen k\u00f6nne. \u2014\nNach Liskovius1 ist also der Kehlkopf eine Pfeife, wie es \u00e4hnlich, wenn auch nicht so bestimmt Dodart behauptet hatte und nach ihm noch manche andere, unter ihnen in erster Reihe Savart.2 Wir d\u00fcrfen aber jenen hervorragenden Akustiker um deswillen nicht allzu hart verurtheilen, da er auf Grund unrichtiger Annahmen per exclusionem zu dieser Ansicht gelangte. Er sagt w\u00f6rtlich : Il faudrait donc, pour que l\u2019analogie f\u00fbt admissible que le larynx ne p\u00fbt rendre aucun son, tandis que les ligaments vocaux inf\u00e9rieurs sont \u00e9cart\u00e9s l\u2019un de l\u2019autre ; il faudrait, quand on chante, qu\u2019ils fussent presque en contact et que l\u2019air comprim\u00e9 dans la trach\u00e9e, faisant effort pour se m\u00e9nager une issue, les contraign\u00eet \u00e0 s\u2019\u00e9carter et qu\u2019ensuite insuffisant pour surmonter celle des ligaments, il se fit une nouvelle condensation dans la trach\u00e9e et ainsi de suite. Voil\u00e0 ce qui devait arriver, si l\u2019organe de la voix \u00e9tait une anche libre.\nFreilich erh\u00e4lt er T\u00f6ne, wenn er die Stimmb\u00e4nder einander n\u00e4hert und sie von der Luftr\u00f6hre aus anbl\u00e4st; aber diese T\u00f6ne sind schreiend und der menschlichen Stimme un\u00e4hnlich. Sch\u00f6ne und der menschlichen Stimme \u00e4hnliche dagegen glaubt er zu h\u00f6ren, wenn er einigermassen die Stimmb\u00e4nder von einander entfernt und sie schwach anbl\u00e4st. Er kommt daher zu dem Schl\u00fcsse, dass die menschliche und thierische Stimme wie bei den Vogelpfeifen zu Stande kommt, welche kleine niedrige Cylinder sind, deren gegen\u00fcberliegende Basen je ein Loch haben (s. Fig. 54). Die einander gegen\u00fcberstehenden L\u00f6cher werden im Kehlkopf substituirt durch die untere und die obere Glottis, und der cylindrische Hohlraum durch die MoRGAGNi\u2019schen Ventrikel. Die h\u00f6her gelegenen Theile, insonderheit die Mundh\u00f6hle, dienen als Ansatzrohr, welches diese T\u00f6ne in der mannigfaltigsten Weise ver\u00e4ndert.\nDie Unrichtigkeit der SAVART\u2019schen Annahmen springt in die Augen, da die T\u00f6ne, die der lebendige Kehlkopf producirt, absolut nichts mit jenen hohen zwitschernden T\u00f6nen der J\u00e4gerpfeifen zu thun haben, und da vielen Thieren, die mit starker Stimme begabt sind, die MoRGAGNi\u2019schen Ventrikel vollst\u00e4ndig fehlen.\nNichtsdestoweniger tritt uns dieselbe Ansicht etwa 20 Jahre sp\u00e4ter, wenn auch in etwas ver\u00e4nderter Form und gest\u00fctzt auf eine Reihe interessanter physikalischer Versuche, noch einmal entgegen. Der Physiker Masson3 hat des Genaueren die periodischen Ersch\u00fctterungen von Gasen untersucht, welche aus irgend einem Hohlraum durch eine kleine Oeffnung desselben hervortreten. Er construirte sich Apparate derart, dass die in einem K\u00e4stchen unter bestimmtem, genau messbarem Drucke eingeschlossene Luft durch durchl\u00f6cherte Metallscheiben entwich. Die L\u00f6cher der Scheiben waren alle scharfkantig und sie selbst 8 Millimeter gross und 2\u20143 Millimeter dick. So wie in diesen Apparaten, sollte auch bei der mensch-\n1\tIn seinem sp\u00e4teren ausgezeichneten Werke (Physiologie der menschlichen Stimme. Leipzig 1846), welches sich durch das vollkommenste mir bekannte Litera-turverzeichniss \u00fcber Stimme und Sprache auszeichnet, erkl\u00e4rt er den Kehlkopf f\u00fcr eine Zungenpfeife.\n2\tSavart, Ann. d. chim. et. phys. XXX. 1825.\n3\tMasson, Ann. cl. chim. III. s\u00e9r. XL. p. 333.1854.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Masson 1854. Malgaigne. Magendie.\n77\nlichen Stimme der Ton durch einen periodisch wechselnden Luftstrom, welcher durch die dauernd offenstehende Glottis ginge, erzeugt werden. (Le son est produit par l\u2019ecoulement p\u00e9riodiquement variable \u00e0 travers la glotte). Man sieht, dass gegen diesen Satz durchaus nichts einzuwenden ist, nur die Art und Weise wie diese periodischen Luftersch\u00fctterungen in der Glottis zu Stande kommen sollen, ist offenbar nicht richtig. Nach ihm sind es nicht die Stimmb\u00e4nder, welche periodisch sich \u00f6ffnen und schliessen und dadurch den continuirlichen Luftstrom unterbrechen, sondern lediglich die ge\u00f6ffnete Stimmritze selbst, die gleich dem scharfkantigen Loch der Scheibe den continuirlichen Luftstrom discontinuirlich und periodisch macht. Longet hat in der ersten Ausgabe seines Lehrbuches diese MASsoN\u2019sche Theorie des weiteren auseinandergesetzt und, wie es scheint, sie selbst vertreten. In der 3. Auflage jedoch \u00e4ussert er, dass sie nicht angenommen werden k\u00f6nne, weil in der That die menschliche Glottis mit den dicken durchl\u00f6cherten Metallscheiben keine Aehnlichkeit darbiete.\nEine durchaus klare und richtige Vorstellung von dem Zustandekommen der Stimme haben sich, wenn ich mich so ausdr\u00fccken darf, zwei Praktiker, Magendie, ein physiologischer und.Malgaigne, ein chirurgischer Praktiker, durch das Experiment verschafft. Magendie1 2 behauptete, dass der Kehlkopf mit seinen Stimmb\u00e4ndern eine Zungenpfeife darstelle, deren Zunge an Gr\u00f6sse und Gestalt ver\u00e4nderlich und alle T\u00f6ne des menschlichen Stimmorgans zu erzeugen im Stande sei. Schwinge sie in ihrer ganzen L\u00e4nge, so werden die tiefen, schwingen nur gewisse Theile derselben, indem die nicht schwingenden durch Muskelkraft fest gegen einander gepresst werden, so werden die hohen T\u00f6ne hervorgebracht.\nDie \u00fcber dem Kehlkopf gelegenen Theile beeinflussen den im Kehlkopf erzeugten Ton nicht wesentlich, sondern setzen sich nur so weit wie m\u00f6glich mit demselben durch Ver\u00e4nderung ihrer Gestalt und Gr\u00f6sse in Einklang. Diese Ansichten gewann Magendie aus Versuchen an lebenden Thieren (Hunden), deren Kehlkopf er blosslegte, und w\u00e4hrend die Thiere ihre Stimme h\u00f6ren Hessen, direkt beobachtete. Dabei sah er, dass bei tiefen T\u00f6nen die Stimmb\u00e4nder in ihrer ganzen L\u00e4nge in Erzitterung geriethen, w\u00e4hrend bei hohen nur die hinteren Theile desselben schwingen sollten.\nDieser Angabe trat Malgaigne 2 entgegen, der darauf bestand, dass sich bei der Stimmgebung nur die vorderen Partieen der Stimmb\u00e4nder betheiligen und dass das Ansatzrohr, namentlich auch die Nasenh\u00f6hlen, die durch das Gaumensegel ge\u00f6ffnet oder abgesperrt werden k\u00f6nnen, von un-gemeiner Bedeutung f\u00fcr den Klang der Stimme seien. Die Stimme komme lediglich im Kehlkopf zu Stande, der eine doppelz\u00fcngige membran\u00f6se Pfeife darstellt, aber nicht im Ansatzrohr, was BeNnati3 glaubte, der die sp\u00e4terhin noch oft wiederkehrende Ansicht ausspricht, dass namentlich gewisse hohe T\u00f6ne (notes sus - laryngiennes) nicht im Kehlkopfe, sondern lediglich oberhalb desselben erzeugt werden.\nEinige Jahre sp\u00e4ter erschienen die Epoche machenden Arbeiten von\n1\tMagendie, Pr\u00e9cis \u00e9l\u00e9mentaire de physiologie, \u00fcbers, von Heusinger I.\n2\tMalgaigne, Arch, g\u00e9n\u00e9ral, d. m\u00e9d. XXV. 1831.\n3\tBennati, M\u00e9moire sur le m\u00e9canisme de la voix pendant le chant. Paris 1832.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 3. Cap. Stimmbild, im Lebenden.\nJoh. M\u00fcller \u00fcber die Erzeugung der Stimme, die eine Menge positives, \u00e4usserst werthvolles Material zu Tage f\u00f6rderten, auf das wir sp\u00e4ter noch des Genaueren eingehen, betreffs der Theorie der Stimmbildung aber sich durchaus an die Ansichten Ferrein\u2019s anlehnten. Joh. M\u00fcller sah, so wie Ferrein in den Stimmb\u00e4ndern das prim\u00e4r T\u00f6nende, die Exspirationsluft treibt sie nur, wie der Wind die Saiten der Aeolsharfe, ohne selbst dabei zu t\u00f6nen.\nDiese Ansicht vertheidigte M\u00fcller auch noch sp\u00e4ter in seinem Lehrbuche, obwohl die classischen Untersuchungen W. Weber\u2019s \u00fcber das Zustandekommen der Kl\u00e4nge in Zungenpfeifen bereits eine andere Ursache der Klangbildung gelehrt hatten.\nDie Ansichten Weber\u2019s fanden aber auch anderw\u00e4rts wenig Anklang. Wenn man sie auch f\u00fcr gewisse Zungen gelten liess, so wollte man sie doch nicht ohne Weiteres auf alle Zungen, namentlich nicht auf den menschlichen Kehlkopf und seine Stimmb\u00e4nder \u00fcbertragen.\nDies geschah erst, als ein Genie ersten Ranges, der Gesanglehrer Manuel Garcia, von Abstammung ein Spanier, von Geburt ein Franzose, den Kehlkopfspiegel erfand und es erm\u00f6glichte, den t\u00f6nenden Kehlkopf des Menschen direkt zu beobachten. Zwar hatten nach den Angaben von T\u00fcrck 1 bereits mehrere Chirurgen mit mehr oder weniger Gl\u00fcck versucht, den Kehlkopf durch Spiegelung sichtbar zu machen (Senn, B. Babington, Baumes, Liston). Als den Erfinder des Kehlkopfspiegels muss man aber nichts destoweniger Garcia ansehen, da er nicht blos die Methode selbst\u00e4ndig geschaffen, sondern sie praktisch verwerthet und ausgen\u00fctzt hat. Er \u00e4usserte sich hier\u00fcber folgendermaassen.1 2 3 \u201eThe method which I have adopted is very simple, it consists in placing a little mirror, fixed on a long handle suitably bent, in the throat of the person experimented on, against the soft palate and uvula. The party ought to turn himself towards the sun, so that the luminous rays falling on the little mirror may be reflected on the larynx. If the observer experiments on himself, he ought by means of a second mirror to receive the rays of the sun and direct them on the mirror which is placed against the uvula.\u201c\nDie Resultate, zu denen Garcia vermittelst dieses Apparates gekommen, sind nach jeder Richtung hin ausserordentlich. Die Erzeugung der Brust- und Falsetstimme, die Bildung der T\u00f6ne \u00fcberhaupt,, die er entgegen der damals herrschenden Ansicht von Johannes M\u00fcller ganz im Sinne von Weber durch einzelne periodisch aufeinander folgende Explosionen erkl\u00e4rt, die sich durch Oeffnen und Schliessen der Glottis vollziehen, die weiteren Betrachtungen \u00fcber die Anatomie und Physiologie der Kehlkopfmuskeln zeugen von einem eminenten Scharfblick und hervorragender Beurtheilungskraft eines Nicht-Anatomen \u00fcber anatomischphysiologische Thatsachen. Wunderbarer Weise fanden die Angaben Garcia\u2019s wenig Beachtung und Glauben. Ja Merkel \u00e4usserte sich, nachdem Segond 3 die Untersuchungen Garcia\u2019s allerdings auch nicht recht\n1\tT\u00fcrck, Klinik d. Krankh. d. Kehlkopfes u. d. Luftr\u00f6hre S. 27. Wien 1866.\n2\tThe London, Edinburgh and Dublin philosophical magazine and Journal of Science X. 1855. Deutsch in der Monatsschr. f. Ohrenheilkunde XII. Nr. 1\u20146. Berlin 1878.\n3\tSegond, Gaz. hebd. 16. novbr. 1855. M. Garcia a la facult\u00e9 de supporter dans le pharynx et \u00e0 l\u2019istme du gosier le contact prolong\u00e9 des corps \u00e9trangers sans que cela provoque chez lui des efforts de vomissements.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"T\u00fcrck. Czermak. Versuche, angestellt am herausgeschnittenen Kehlkopf. 79\ngl\u00e4ubig referirt hatte, in seiner Anthropophonik 1857, Seite 608, folgender-massen: \u201eIch habe zwar die Originalbeobachtungen Garcia\u2019s noch nicht erlangen k\u00f6nnen, weiss daher nicht, wie Garcia bei diesen angeblichen Experimenten verfuhr, was er dabei gesehen und was er nicht gesehen hat, aber ich habe gerechten Grund an der Realit\u00e4t dieser Beobachtungen so lange zu zweifeln, bis ich erfahren habe, auf welche Weise Garcia das Anlaufen des Spiegels beseitigt, wie er den Kehldeckel (der die Glottis dem selbst in die Gegend der uvula durch den Spiegel versetzten Auge grossentheils entzieht), nach vorn zieht, wie er die Taschenb\u00e4nder auseinander h\u00e4lt, um das Schwingen der seitlichen Partieen der Stimmb\u00e4nder und das Schwingen derselben in ihrer ganzen Tiefe zu beobachten u. s. w Der Kehlkopfspiegel wurde daher, wie dergleichen nicht selten vorkommt, einige Zeit sp\u00e4ter noch einmal erfunden von Ludwig T\u00fcrck in Wien, der auf \u00e4hnliche Weise, wie Garcia, das Innere des Kehlkopfes an Kranken seiner Abtheilung vielfach beobachtete. Zu gleicher Zeit bem\u00e4chtigte sich auch Joh. Czermak, welcher sich von T\u00fcrck Kehlkopfspiegel entlieh und damit auf T\u00fcrck\u2019s Abtheilung Versuche anstellte, der Angelegenheit, f\u00f6rderte sie durch viele eigene Beobachtungen und trug namentlich, durch zahlreiche Journalaufs\u00e4tze und Demonstrationen an sich selbst und Anderen zur Popularisirung des Kehlkopfspiegels bei. Darum wird h\u00e4ufig nicht sowohl T\u00fcrck, als vielmehr Czermak, ob mit Recht oder Unrecht, das wollen wir dahin gestellt sein lassen, als der Entdecker dieses wichtigen Instrumentes angesehen, welches in der Hand des Physiologen nicht bloss, sondern wesentlich in derjenigen des Arztes von hervorragender Bedeutung geworden ist.\nHiermit sind wir in die Gegenwart oder vielmehr auf den Standpunkt gelangt, den die Gegenwart \u00fcber die Frage der Stimmbildung einnimmt. Wir handeln somit in Folgendem \u00fcber die Theorie der Stimmbildung und wenden uns zun\u00e4chst zu den Experimenten, welche am ausgeschnittenen Kehlkopfe angestellt wurden.\nII. Yersuche und Beobachtungen, welche am herausgeschnittenen Kehlkopfe gemacht wurden.\nEs war bekanntlich F erre in (s. Seite 74), der es zum ersten Mal mit gl\u00fccklichem Erfolge versuchte, einen herausgeschnittenen Kehlkopf anzublasen. Welche T\u00f6ne er dabei geh\u00f6rt, und auf welche Weise er die Entstehung der Stimme erkl\u00e4rt, haben wir bereits oben skizzirt. \u2014 Wir wenden uns daher zu den Untersuchungen zweier Deutschen, denen von Liskovius (s. Seite 75) und Joh. M\u00fcller. Namentlich war es M\u00fcller, der in seinem Buche \u201eUeber die Compensation der physischen Kr\u00e4fte am menschlichen Stimmapparat\u201c, Berlin 1839, eine Reihe der wichtigsten Beobachtungen niederlegte. Sie haben heut zu Tage nach Kenntniss des Kehlkopfspiegels, wenn auch nicht mehr die Bedeutung und das Interesse, das sie ihrer Zeit in Anspruch nahmen, sind aber gerade als messende Versuche zur Beantwortung mancher theoretischen Fragen immer noch von hervorragender Wichtigkeit.","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 3. Cap. Stimmbild, im Lebenden.\nWenn man in einem Kehlkopfe durch Anblasen T\u00f6ne hervorrufen will; so muss man auf irgend eine Weise die beiden Giessbeckenknorpel mit ihren Innenfl\u00e4chen zur Ber\u00fchrung bringen und sie aneinander befestigen. Schon das Gegeneinanderdriicken derselben mit den Fingerspitzen und ein geringes Herabziehen des Schildknorpels gen\u00fcgt in den meisten F\u00e4llen; um durch Blasen in die Luftr\u00f6hre die Stimmb\u00e4nder in t\u00f6nende Schwingungen zu versetzen.\nF\u00fcr seine messenden Versuche verfuhr jedoch Joh. M\u00fcller folgen-dermassen : Der Kehlkopf mit einem St\u00fcck der Luftr\u00f6hre wurde mit der hinteren Wand auf ein Brettchen gelegt und der Ringknorpel darauf festgebunden. Durch die Giessbeckenknorpel wurde alsdann ein Pfriemen gestossen; so? dass ihre vorderen Kanten sich eng ber\u00fchrten. Gekreuzte Schn\u00fcre befestigten sie gegeneinander und weitere Touren den Pfriemen an das Brettchen, sodass also hiermit das hintere Ende der Lig. vocalia \u00fcberhaupt fixirt war.1\nZieht man dann durch den Winkel der Cartilago thyreoidea dicht oberhalb des Ansatzes der Stimmb\u00e4nder einen Faden, so kann man, wenn er \u00fcber eine Rolle gef\u00fchrt und mit Gewichten belastet wird, den Stimmb\u00e4ndern jede beliebige Spannung ertheilen. Um den Druck der Blasluft zu controliren, befindet sich seitlich ein Uf\u00f6rmiges Rohr, welches entweder mit Wasser oder Quecksilber gef\u00fcllt wird. \u2014 Alle oberhalb der wahren Stimmb\u00e4nder befindlichen Theile k\u00f6nnen, ohne die Resultate erheblich zu \u00e4ndern, der Einfachheit und Uebersichtlichkeit halber entfernt werden.\nWird ein derartig pr\u00e4parirter Kehlkopf entweder direkt mit dem Munde oder vermittelst eines Gebl\u00e4ses angeblasen, dessen Luft man nach Haeless \u00fcber laues Wasser streichen l\u00e4sst, damit die Stimmb\u00e4nder nicht vertrocknen und zum T\u00f6nen untauglich werden, so h\u00f6rt man, sobald dieStimmb\u00e4nder durch Herabziehen des Schildknorpels, wenn auch nur wenig, gespannt sind, einen Ton, der einigermassen der menschlichen Stimme gleicht.\nEr wird um so leichter erzeugt, die B\u00e4nder sprechen um so besser an, je mehr sie einander gen\u00e4hert sind, je fester also die Giessbeckenknorpel an einander anliegen. Thun sie das nicht, so entsteht zwar auch ein Ton, aber zwischen den Knorpeln entweicht nebenbei unter brodelndem Ger\u00e4usch die Luft.\nDie H\u00f6he der so erzeugten T\u00f6ne ist nun bei einem und demselben Kehlkopfe abh\u00e4ngig von der Gr\u00f6sse der spannenden Gewichte. Freilich nicht in dem einfachen Verh\u00e4ltnisse, wie das bei den Saiten der Fall ist, deren Schwingungszahl bekanntlich im geraden Verh\u00e4ltniss aus den Quadratwurzeln der spannenden Gewichte steht.\u2019 Die T\u00f6ne der Stimmb\u00e4nder steigen nicht so schnell und regelm\u00e4ssig, was aber durchaus nicht befremdlich ist, da sich ja das\n1 Ich habe es immer viel bequemer gefunden, die beiden Giessbeckenknorpel nicht vermittelst eines Pfriemens, der oft zu bedeutend verletzt, sondern vermittelst der gew\u00f6hnlichen Naht, die man mit d\u00fcnnen chirurgischen Nadeln anzulegen hat, aneinander zu befestigen.","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"H\u00f6he der Kehlkopft\u00f6ne. Wirkung des Ansatzrohres.\n81\nStimmband mit jeder Mehrbelastung mehr dehnt, also l\u00e4nger wird, w\u00e4hrend dies bei der auf ein Monocord aufgespannten Saite nicht geschieht.\nBei all\u2019 diesen Versuchen ist ausserdem darauf zu achten, dass sich die Stimmb\u00e4nder nicht gegenseitig in gr\u00f6sserer Ausdehnung ber\u00fchren und aneinander anschlagen, da sonst sehr hohe, schreiende T\u00f6ne entstehen, welche ihren Grund darin haben, dass nicht die ganzen Stimmb\u00e4nder, sondern nur aliquote Theile derselben in Schwingungen gerathen und die periodischen Unterbrechungen des Luftstromes besorgen. Schwingen aber die B\u00e4nder in ihrer ganzen L\u00e4nge und Breite, so kann man durch Vermehrung der spannenden Gewichte in dem Umfang von ungef\u00e4hr zwei Octaven reine T\u00f6ne erhalten. Eine weitere Spannung giebt zu sehr hohen, pfeifenden und schreienden T\u00f6nen Veranlassung.\nFolgende Zahlen erl\u00e4utern die Einzelheiten:\nSp. Gewiehte\tT\u00f6ne\tSp. Gewichte\tT\u00f6ne '\tSp. Gewichte\tT\u00f6ne\nVs Loth\t1 ais\t5 Vs Loth\ta1\t15 Loth\tg'\n1\th\t6 \u201e\tais1\t17\t\u201e\tgis2\n11 2 ..\tc1\t6 V2 jj\th1\tio ;;\ta2\n21 ;;\tcis1\t7\t\u201e\th1\u2014c-\t22 \u201e\tais2\n01/9 * 1* ? ?\tcl1\t7 V2 55\tc2\t25\t\u201e\th2\n28/10 \u201e\tdis1\t8\tcis2\t28 \u201e\tc3\n3\te1\t81/2 \u201e\td2\t31\t\u201e\tcis3\n3v2 \u201e\tf1\t97/io .,\tdis2\t35\t\u201e\td3\n4' \u201e\tfis1\t107/io \u201e\te2\t37\t\u201e\tdis3\n41/2 jj\tg1\tIU/10 ..\tf2\t\tKein Ton\n5\t\u201e\tgis1\t13\t\u201e\tfis2\t\tmehr\nSpannt man im Gegentheil die Stimmb\u00e4nder ab, indem man wie der M. thyreo - arytaenoideus internus ihre Ansatzpunkte einander n\u00e4hert, also einen Zug an den Schildknorpel von vorn nach hinten anbringt, so erzeugt man bedeutend tiefere T\u00f6ne, die den tiefsten des Basses gleich sind.\nDas Ansatzrohr, dessen Wirkung wir des Genaueren bei den k\u00fcnstlichen membran\u00f6sen Zungen kennen gelernt haben, hat auf die H\u00f6he der im Kehlkopf erzeugten T\u00f6ne keinen nennenswerten Einfluss. (Nur wenn man kleine Kehlk\u00f6pfe verwendet, oder nur die \u00e4ussersten Randpartieen der Stimmb\u00e4nder gegen einander schlagen l\u00e4sst, beeinflusst das Ansatz- und Windrohr die H\u00f6he des Tones, eine Thatsache, die wir bereits oben (s. Seite 36) des N\u00e4heren begr\u00fcndet haben.)\nJoh. M\u00fcller zieht hieraus den richtigen Schluss, dass auch das nat\u00fcrliche, lebende Ansatzrohr auf die H\u00f6he der Kehlkopft\u00f6ne keine Wirkung \u00e4ussere, wenn es auch die Klangfarbe derselben in bedeutendem Umfange ver\u00e4ndern k\u00f6nne.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 3. Cap. Stimmbild, im Lebenden.\nVon h\u00f6chster Bedeutung dagegen ist die St\u00e4rke des Anblasens, der Luftdruck, vermittelst dessen die B\u00e4nder zum T\u00f6nen gebracht werden. Gerade wie bei den k\u00fcnstlichen membran\u00f6sen und gewissen metallenen Zungen der Ton allm\u00e4hlich in die H\u00f6he getrieben werden kann, wenn man unter immer st\u00e4rkerem Drucke Luft durch die Zunge treibt, so ist man auch am Kehlkopf im Stande, durch Erh\u00f6hung des Luftdruckes die Tonh\u00f6he der schwingenden B\u00e4nder um etwa eine Quinte zu steigern. Hierbei ergeben sich interessante Beziehungen zwischen dem Einfluss, den die spannenden Gewichte und dem, welchen der gesteigerte Luftdruck aus\u00fcbt.\nAus dem eben mitgetheilten und anderen \u00e4hnlichen Versuchen geht hervor, dass etwa eine 13\u201414 fach vermehrte Spannung der Stimmb\u00e4nder den Eigenton derselben oder einen ihm nahe gelegenen (die h\u00f6heren und h\u00f6chsten Tone verhalten sich anders) um eine Octave, eine 4 fach vermehrte Spannung ihn um eine Quarte bis Quinte erh\u00f6ht. Will man denselben Effect durch Verst\u00e4rkung des Luftdruckes erzielen, so bedarf man (bei gleich bleibender Spannung) in dem ersten Falle h\u00f6chstens einen 5 \u2014 8 mal, in dem zweiten einen 2 \u2014 3 mal so starken Luftdruck. Es m\u00fcssen also die spannenden Gewichte, um dieselbe Tonerh\u00f6hung zu bewirken, viel rascher steigen, als die Spannungen des Luftdruckes.\nHieraus ergiebt sich nun eine dritte Versuchsreihe, welche die Frage beantwortet, wie sowohl die spannenden Gewichte, als auch der Luftdruck gleichzeitig ver\u00e4ndert werden m\u00fcssen, damit der Ton der Stimmb\u00e4nder in seiner H\u00f6he, wenn auch nicht in seiner St\u00e4rke, constant bleibt.\nFolgender Versuch giebt \u00fcber diese Angelegenheit n\u00e4here Auskunft:\nGleicher Ton an St\u00e4rke zunehmend\tZunehmender Luftdruck Quecksibers\u00e4ule von cm.\tAbnehmende Spannung der Stimmb\u00e4nder\npiano a'\t1/i cm.\t4 Va Loth\ncrescendo a'\t3A \u201e\t21/* \u201e\n\u00bb\ta\ti \u201e\tDA \u201e -\n\u201e\ta\tIV* \u00bb\t3A \u201e\nforte a\t2 \u201e\ti// /\u25a0*\nDer Versuch zeigt, dass, entsprechend den fr\u00fcheren Resultaten, der Luftdruck nur um das 4 fache vermehrt, die Spannung der Stimmb\u00e4nder aber um das 18 fache vermindert werden m\u00fcsste, damit dieselbe Tonh\u00f6he erhalten blieb.\nUebertragen wir diese Resultate auf den Lebenden, so stellt sich Folgendes heraus:\nSingen wir beispielsweise irgend einen mittleren Ton erst forte bei starkem Luftdruck, so w\u00fcrde die Spannung der Stimmb\u00e4nder, ausgedr\u00fcckt durch die Th\u00e4tigkeit des Crico-thyreoideus = 1 sein, singen wir ihn dagegen piano bei schwachem Luftdruck, so w\u00fcrde","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung des Luftdruckes. Brust- und Fistelregister.\t83\nderselbe Muskel etwa eine 18fach gr\u00f6ssere Arbeit zu leisten haben. Es fragt sich, ob wir zu diesem Schl\u00fcsse berechtigt sind. Ich glaube sicher nicht; denn bei all\u2019 den erw\u00e4hnten Versuchen ist bis jetzt die Th\u00e4tigkeit der anderen Kehlkopfmuskeln (Thyr. ar. int., Crico-aryt. lat. etc.) ausser Acht gelassen worden, die, ohne dass die Arbeit des Crico-thyreoideus in jenen bedeutenden Grenzen zu schwanken n\u00f6thig hat, durch Ver\u00e4nderung der Consistenz und Gestalt der Stimmb\u00e4nder, also mit viel geringerem Kraftaufwande dasselbe erreichen k\u00f6nnen und in Wirklichkeit erreichen.\n2) Wir wenden uns jetzt zu denjenigen Versuchen M\u00fcller's, welche weniger auf die H\u00f6he der verschiedenen T\u00f6ne, als vielmehr auf die Art ihrer Entstehung und Klangfarbe Bezug haben und zur Erkl\u00e4rung der sogenannten \u201eRegister\u201c wesentlich beitragen.\nLehfeldt1 hat zuerst beobachtet, dass die Stimmb\u00e4nder (im weiteren Sinne des Wortes mit den in ihnen liegenden Muskeln) der Regel nach als Ganzes schwingen, dass sie aber auch blos mit ihren \u00e4ussersten R\u00e4ndern in oscillatorische Bewegungen versetzt werden k\u00f6nnen. Die im ersteren Falle erzeugten tiefen T\u00f6ne gleichen den Brustt\u00f6nen, die zweiten hohen den Falsett\u00f6nen der menschlichen Stimme. M\u00fcller \u00fcberzeugte sich mehrfach von der Richtigkeit dieser Annahme, suchte aber auch das Vorkommen eben dieser Verh\u00e4ltnisse am Lebenden durch folgende Versuche wahrscheinlich zu machen und zu erkl\u00e4ren. F\u00fcr das Zustandekommen der Bruststimme ist der unter den Stimmb\u00e4ndern gelegene Raum nach M\u00fcller von wesentlicher Bedeutung. Die Gestalt und Gr\u00f6sse dieses Raumes aber kann ver\u00e4ndert werden durch den Musculus thyreo-arytae-noideus internus, dessen untere Fasern nach Art eines \u201eStopfens\u201c jenen Raum verkleinern und die unter den Stimmb\u00e4ndern liegenden Schleim-hautpartieen entweder einander n\u00e4hern oder sogar mit breiten Fl\u00e4chen zur Ber\u00fchrung bringen (s. Fig. 48 b).\nRuft man k\u00fcnstlich, durch seitliches Zusammendr\u00fccken des Kehlkopfes\n. . -p,. ,, . ..-I\tFig. 48. a Frontalsehnitt eines (Kehlkopfes\nVermittelst einer Fincette eine \u00e4un- W\u00e4hrend der Fistelstimme, b w\u00e4hrend der .. -, TTT. -,\t-,\ti \u2022\tBruststimme (schematisch) nach Mebkel.\nliehe Wirkung hervor, so verhindert man auf diese Weise am besten und sichersten das Zustandekommen der Fistelstimme; es besteht auch bei starkem Blasen die Bruststimme fort. Spannt man dagegen bloss die Stimmb\u00e4nder\n1 Lehfeldt, Nonnulla de vocis formatione. Biss, inaug. physiol. Berlin 1835.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 3. Cap. Stimmbild, im Lebenden.\nimmer st\u00e4rker und st\u00e4rker, ohne sie gegen die Mitte zu dr\u00e4ngen, so werden sie leicht sehr d\u00fcnn, und schwingen nur mit ihren medialen R\u00e4ndern; es entsteht die Fistelstimme. (S. Fig. 48 a.)\n3) Bei all diesen Versuchen wurde stillschweigend vorausgesetzt, dass die beiden Stimmb\u00e4nder in einer Ebene lagen und gleichm\u00e4ssig gespannt waren. Aber auch wenn dieses nicht stattfindet, wenn namentlich die Spannung der Stimmb\u00e4nder nicht gleichartig ist, auch dann erh\u00e4lt man T\u00f6ne und zwar analog den Experimenten mit k\u00fcnstlichen Zungen, entweder nur einen Ton, indem nur ein Band schwingt und das andere als mehr oder weniger festes Gegenlager dient, oder gleichzeitig zwei T\u00f6ne (s. Seite 22). Diese nicht gerade schwer zu beobachtende Thatsache bestimmte M\u00fcller, die Stimmb\u00e4nder und nicht die Luft als das prim\u00e4r t\u00f6nende zu betrachten, weil, wenn die Weber\u2019sehe Theorie der Zungenpfeifen richtig w\u00e4re, man immer nur einen, aber niemals zwei T\u00f6ne zugleich h\u00f6ren k\u00f6nnte. Dieser Einwand ist jedoch, wie wir wissen, hinf\u00e4llig.\nDie sp\u00e4teren Versuche von Harless und Merkel \u00fcber die T\u00f6ne des ausgeschnittenen Kehlkopfes ergaben nichts wesentlich Neues. Die originelle Vorstellung des ersteren, dass der zwischen den Giessbeckenknorpeln gelegene Theil der Stimmritze auch w\u00e4hrend der Stimmbildung offen steht und dann gewissermassen als regulatorisches \u201eVentil\u201c f\u00fcr den Luftdruck dient, um den Ton auf gleicher H\u00f6he zu erhalten, hat sich als nicht zutreffend erwiesen. Die bis ins Unendliche modificirten Untersuchungen des Letzteren jedoch f\u00fchrten ihn zu f\u00fcnf verschiedenen, durch allerlei Kunstgriffe erzeugten Registern, in denen der ausgeschnittene Kehlkopf ert\u00f6nen soll und boten eine Menge von geringf\u00fcgigen Einzelheiten dar, welche den Leser kaum interessiren d\u00fcrften.\nMeine eigenen Erfahrungen schliesslich, die ich wesentlich an Kehlk\u00f6pfen von Hunden gesammelt habe, deren Giessbeckenknorpel aneinandergen\u00e4ht waren und deren Stimmb\u00e4nder ich einfach mit der Hand anspannte, lassen mich neben den beiden von M\u00fcller erw\u00e4hnten, Brust- und Fistelregister, noch ein, beziehungsweise zwei andere unterscheiden, von denen ich das eine das Gegenschlag-, das andere das Doppelstimmregister nennen m\u00f6chte. 1) Das gew\u00f6hnliche, wohl dem M\u00fcLLER\u2019schen Brustregister entsprechende klingt dumpf, die Stimmb\u00e4nder sprechen bei geringem Drucke an, brauchen aber zum T\u00f6nen viel Luft und schwingen in weiten Excursionen hin und her. Bei geringer Bewegung des Kehlkopfes oder Aenderung in der Spannung der Stimmb\u00e4nder springt es nicht selten in das zweite, das Gegenschlagregister, \u00fcber. Hierbei steigt der Ton in die H\u00f6he und nimmt eine ganz andere F\u00e4rbung an, er wird voller und reicher an Obert\u00f6nen. Bl\u00e4st man den Kehlkopf mit dem Munde an, so f\u00fchlt man, wie die Exspirationsluft bei dem pl\u00f6tzlichen Uebergange des ersten in das zweite Register gewissermassen zur\u00fcckgehalten wird. Dieses Register braucht n\u00e4mlich viel weniger Luft, diese aber von st\u00e4rkerem Druck. 3) Das Fistelregister bietet nichts besonderes dar. 4) Das Doppelstimmregister, welches M\u00fcller ebenfalls bekannt war, tritt nicht selten auf,","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Stimmbildung im lebenden Keblkopf.\n85\nsobald die Stimmb\u00e4nder (wahrscheinlich ungleichm\u00e4ssig) entspannt werden. Man h\u00f6rt entweder zwei T\u00f6ne oder, was gew\u00f6hnlich, ein trommelndes Get\u00f6se neben einem Tone.\nIII. Die Stimmbildung im lebenden Kehlkopfe.\n1. Beobachtung des blossgelegten Kehlkopfes.\nDie ersten rationellen Versuche, um die Th\u00e4tigkeit des Kehlkopfes w\u00e4hrend der Stimmgebung zu beobachten, machte Magendie, der bei Hunden zwischen dem Zungenbeine und dem Kehlkopf in die Tiefe einging und den t\u00f6nenden Kehlkopf direkt beobachtete. Dabei stellte er, so wie alle diejenigen, welche nach ihm in \u00e4hnlicher Weise experimentirten (Malgaigne, Longet), fest, dass f\u00fcr die Erzeugung der Stimme die gegenseitige Ann\u00e4herung der Giessbeckenknorpel unerl\u00e4ssliche Bedingung sei; steht die Stimmritze offen, so bildet sich nie ein Ton. Ist dagegen nur die Glottis intercarti-laginea ge\u00f6ffnet, sei es, dass man wie Malgaigne ein St\u00fcckchen Holz quer dazwischen steckt, sei es, dass sie \u2014 in seltenen F\u00e4llen \u2014 spontan offen bleibt, so entsteht noch sehr wohl ein Ton, der sich an H\u00f6he und Intensit\u00e4t ver\u00e4ndert, sobald dieser Raum sich ver-gr\u00f6ssert oder verkleinert (Longet).\nEntsprechend diesen Beobachtungen am Thiere hat man auch in einigen seltenen F\u00e4llen den Kehlkopf des Menschen auf dieselbe Weise zug\u00e4nglich gefunden. Meistens waren es Leute, die beim Versuche des Selbstmordes sich durch einen scharfen Schnitt die Gegend oberhalb der Stimmb\u00e4nder verletzten und diese sodann dem Auge des Beobachters blosslegten1, oder Personen, die in Folge pathologischer Processe (gewisser Defecte) einen directen Einblick in ihren Kehlkopf gestatteten.2 Allgemein wird hierbei angegeben, dass bei der Stimmbildung die Glottis sich von vorn bis hinten schliesst und die Stimmb\u00e4nder heftig erzittern.\n2. Beobachtungen mit dem Kehlkopfspiegel und anderen Hilfsmitteln.\nDiese seltenen Beobachtungen waren nicht danach angethan, die Lehre von der Stimmbildung des Menschen \u00fcber allen Zweifel zu erheben. Dieses ward vielmehr erst m\u00f6glich durch den Kehlkopfspiegel. Nichts ist bekanntlich einfacher, als sein Princip, das aus umstehender Abbildung (Fig. 49) zu ersehen. Die von dein Punkte a ausgehenden Licht-\n1\tSiehe Merkel, Anthropophonik S. 592, woselbst mehrere F\u00e4lle zusammengestellt sind.\n2\tRtjdolphi, Physiologie II. S. 370.","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"\n86 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 3. Cap. Stimmbild, im Lebenden.\nFig. 49. Der Kehlkopfspiegel. Schema, um den Gang der mit einem Hohlspiegel gewonnenen Lichtstrahlen zu veranschaulichen, a Flamme, b Hohlspiegel, c Beobachtendes Auge, d Flammenbild. e Kehlkopfspiegel, f Glottis mit darin befindl., durch den Kehlkopfspiegel reflectirtem Flammenbild.\n","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Klang der mens eh lieh en Stimme. Individuelle Verschiedenheiten. 87\nstrahlen werden vermittelst des in b durchl\u00f6cherten Hohlspiegels convergent in den Rachen des zu Untersuchenden geworfen. Daselbst treffen sie auf den eigentlichen Kehlkopfspiegel e, und gelangen abw\u00e4rts in den Kehlkopf selbst, den sie beleuchten. Ein durch den Hohlspiegel blickendes Auge c ist sonach im Stande, das Spiegelbild des beleuchteten Kehlkopfes zu sehen.\nIndem ich die Technik des Kehlkopfpiegels als bekannt voraussetze und betreffs der Einzelheiten auf die darauf bez\u00fcglichen Werke verweise erlaube ich mir nur die Bemerkung, dass man f\u00fcr physiologische Zwecke vermittelst der Selbstbeobachtung mit dem CzERMAx\u2019schen Spiegel \u2014 nachdem man die ersten Schwierigkeiten \u00fcberwunden \u2014 wolil am ehesten und leichtesten zu befriedigenden Resultaten f\u00fcr sieh und f\u00fcr Andere behufs der Demonstration gelangt.\nMit Zugrundelegung der Thatsachen, die uns der Kehlkopfspiegel gelehrt, wenden wir uns nun zur Besprechung der menschlichen Stimme, die wir wie jedes akustische Ph\u00e4nomen nach ihrer Art und Klangfarbe, nach ihrer H\u00f6he und St\u00e4rke beurtheilen.\nVIERTES CAPITEL.\nI. Per Klang der menschlichen Stimme.\nI. Die individuellen Verschiedenheiten im Klange der menschlichen Stimmen.\nSo sicher wir mit unseren Augen eine Person, die wir \u00f6fter gesehen, wieder erkennen an ihrer Gestalt und der Art ihrer Bewegungen, ebenso sicher verm\u00f6gen wir mit unserem Ohr die Stimme irgend eines Bekannten als ihm und nur ihm eigenth\u00fcmlich und zugeh\u00f6rig festzustellen und ihn lediglich an seiner Stimme zu erkennen. Keine menschliche Stimme ist einer anderen vollst\u00e4ndig gleich, wenn auch mitunter sehr \u00e4hnlich, und so ge\u00fcbt sind wir allm\u00e4hlich in der Beurtheilung jener oft \u00e4usserst geringf\u00fcgigen Unterschiede geworden, dass wir uns darin kaum t\u00e4uschen.\nDie Klangfarbe irgend eines Tones h\u00e4ngt nach den Untersuchungen von Helmholtz bekanntlich von mehreren Umst\u00e4nden ab, 1) von der Art, Zahl und St\u00e4rke der in jedem Klange enthalte-\n1 Czermak, Der Kehlkopfspiegel etc. Leipzig 1860 ; T\u00fcrck, Klinik der Krankheiten des Kehlkopfes. Wien 1866 ; Mandl. Maladies du larynx. Paris 1872 : B. Frankel in Ziemssen\u2019s Handb. d. spec. Pathol, u. Therapie IY. 1. Leipzig 1876 etc.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\nnen Obert\u00f6ne, 2) von dem ihm beigemischten Ger\u00e4usche und 3) von einem dynamischen Momente, der Art seines Entstehens und Vergehens. \u2014 Alle diese Momente machen sich auch bei der menschlichen Stimme bemerklich.\na)\tZun\u00e4chst ist es Helmholtz vermittelst der Resonatoren gelungen, die Existenz vieler Obert\u00f6ne in der menschlichen Stimme nachzuweisen. Ihre Zahl ist um so gr\u00f6sser, je discontinuirlicher die prim\u00e4ren St\u00f6sse sind, welche die Stimme bilden, je vollkommener also der Schluss der Stimmb\u00e4nder und je rapider die Ersch\u00fctterung ist, welche sie bei ihrem Ausschlage der \u00fcber ihnen befindlichen Luft ertheilen. Kr\u00e4ftige, mit Bruststimme gesungene T\u00f6ne lassen daher 20 und mehr Obert\u00f6ne wahrnehmen, die, je h\u00f6her sie sind, nat\u00fcrlich um so n\u00e4her r\u00fccken und untereinander zu Dissonanzen Veranlassung geben. Dergleichen Dissonanzen in den Obert\u00f6nen eines Klanges verleihen demselben bekanntlich nicht selten etwas Unangenehmes, Rauhes, Scharfes, was aber mehr oder weniger verloren geht, wenn man aus der ganzen Schaar der Obert\u00f6ne durch bestimmte Ansatzr\u00f6hren nur gewisse verst\u00e4rkt und die anderen zum Verschwinden bringt.\nAndererseits bilden sich jene hohen und starken Obert\u00f6ne gar nicht erst aus, wenn die St\u00f6sse der Luft, welche den Ton zusammensetzen, nicht so pl\u00f6tzlich sich vollziehen, sondern die der Luft er-theilte periodische Bewegung, beziehungsweise Verdichtung von einem Minimum bis zu einem Maximum allm\u00e4hlich fortschreitet. Schwingen also unsere Stimmb\u00e4nder so, dass sie den durch sie hindurchgehenden Luftstrom nicht pl\u00f6tzlich unterbrechen, sondern ihn nur allm\u00e4hlich absperren und allm\u00e4hlich wieder den Durchtritt gestatten, so entbehrt die Stimme von vornherein jener hohen starken Obert\u00f6ne, hat somit ihre Sch\u00e4rfe und H\u00e4rte verloren und eine gewisse weiche Klangfarbe angenommen.\nDie Art also, wie unsere Stimmb\u00e4nder f\u00fcr gew\u00f6hnlich schwingen, und die individuelle Gestalt und Beschaffenheit des Ansatzrohres und der resonirenden Apparate \u00fcberhaupt, die eben bei dem einen nie ganz so ist, wie bei dem anderen, bestimmen die verschiedene Klangfarbe der menschlichen Stimmen. Die Stimme des einen ist hiernach dumpf, die des anderen hell, die eines dritten scharf schreiend, qu\u00e4kend, weich, hart u. s. w.\nb)\tHierzu kommt, dass kein Klang, am allerwenigsten der der menschlichen Stimme, ablosut frei von Ger\u00e4uschen ist. Diese begleiten ihn und verweben sich derart mit ihm, dass auch sie zur Charakteristik und Unterscheidung einzelner Stimmen ungemein viel","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Individuelle Verschiedenheiten. Bruststimme.\n89\nbeitragen. Jene Ger\u00e4usche machen sich um so weniger bemerkbar, in je gr\u00f6sserer Entfernung man die betreffende Stimme h\u00f6rt, oder je mehr sie von Haus aus, z. B. beim Ges\u00e4nge, gegen den Stimmklang selbst verschwinden. Diese beiden Umst\u00e4nde sind es daher auch, welche die Erkennung von Stimmen wesentlich erschweren.\nDie erw\u00e4hnten Ger\u00e4usche sind aber wiederum so charakteristisch, dass man an ihnen allein, z. B. beim h\u00f6rbaren Athmen (Seufzen) oder in der Fl\u00fcstersprache nicht selten die Person, die diese Ger\u00e4usche producirt, mit Sicherheit zu erkennen vermag.\nc) Eine weitere bezeichnende Eigenschaft jeder Stimme ist die Art, wie sie von ihrem Besitzer gebraucht wird. Diese Thatsache, welche zwar mehr in das Gebiet der Sprache geh\u00f6rt, verdient hier doch kurz erw\u00e4hnt zu werden, weil sie uns ebenfalls mehr, als man gew\u00f6hnlich denkt, zur Erkennung irgend einer Stimme, oder, sagen wir genauer, der Sprache einer Person dient. Die Kraft, mit der \u00fcberhaupt die Stimme verwendet, die Art, wie ein Ton eingesetzt, wie er beim Sprechen ausgehalten wird, gewisse regelm\u00e4ssig wiederkehrende Tonf\u00fclle und Hebungen sollen hier nur angedeutet werden.\nDie Stimme des Erwachsenen hat etwas Festes und Sicheres, sie detonirt wenig, weil er im Vollbesitz seiner Muskeln (auch derjenigen seines Kehlkopfes) ist, und sie mit Gewandtheit ben\u00fctzt ; die des kleinen Kindes zeigt etwas Unsicheres, Klagendes und Schreiendes, weil es die Muskeln seines Kehlkopfes noch nicht ausreichend beherrscht und durch Kraft zu ersetzen sucht, was ihm an Geschicklichkeit abgeht; die des Greises endlich ist ebenfalls schwach und unsicher, weil auch ihm die Muskeln nicht mit der Kraft und Sicherheit gehorchen, wie dem J\u00fcngling. Die Stimme des Weibes ist weicher, weil seine Stimmb\u00e4nder zarter und die Action seiner Muskeln ruhiger ist und weniger kraftvoll, als beim Manne.\nII. Per verschiedene Klang der Stimme hei ein und demselben\nIndividuum.\n1. Die Register.\nA) Die Bruststimme.\nDer Unterschied in der Stimme bei ein und demselben Individuum, je nachdem es in der Brust- oder Kopfstimme spricht oder singt, ist ein so bemerkenswerther, dass er auch den fr\u00fcheren Forschern auf dem Gebiete der Stimme und Sprache aufgefallen ist und zu mannigfachen Erkl\u00e4rungen und Hypothesen Veranlassung gegeben hat. Was zuerst die Bruststimme anlangt, so ist aus der allt\u00e4g-","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90 Gr\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\nliehen Erfahrung eines Jeden bekannt, dass derselben etwa folgende charakteristische Merkmale zukommen.\n1) Sie zeichnet sich aus durch eine gewisse Kraft und St\u00e4rke, die ihr eigent\u00fcmlich zukommt. Zwar verm\u00f6gen wir nat\u00fcrlich, sei es in der gew\u00f6hnlichen Sprache, sei es im Ges\u00e4nge, sie auch schwach ert\u00f6nen zu lassen, nichtsdestoweniger \u00fcbertrifft sie aber der Regel nach die Fistelstimme doch durch eine gewisse nat\u00fcrliche Kraft, die wir ihr um so bereitwilliger als Eigenschaft beilegen, als uns die Hervorbringung derselben (nat\u00fcrlich innerhalb gewisser Grenzen) ver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig wenig Kraftanstrengung kostet. W\u00e4hrend wir n\u00e4mlich bei dem Singen von Fistelt\u00f6nen regelm\u00e4ssig das Gef\u00fchl starker Spannung und Anstrengung in unserem Kehlkopfe empfinden, str\u00f6mt die Bruststimme als die nat\u00fcrliche und allt\u00e4glich ge\u00fcbte leicht und ungezwungen aus unserer Kehle. Dabei ist ihr Klang, wie die Untersuchungen von Helmholtz gezeigt haben, namentlich wenn wir sie mit Kraft im Ges\u00e4nge anwenden, reich an vielen und starken Obert\u00f6nen, die wir entweder \u2014 bei der n\u00f6thigen Uebung und Aufmerksamkeit \u2014 an und f\u00fcr sich oder mit H\u00fclfe von Resonatoren wahrnehmen k\u00f6nnen.\nIhrer H\u00f6he nach geh\u00f6ren schliesslich die in diesem Register hervorgebrachten T\u00f6ne den tiefen \u2014 wenn auch nach Merkel nicht den allertiefsten \u2014 an, die wir \u00fcberhaupt vermittelst unseres Stimmapparates erzeugen k\u00f6nnen.\n1) Vorbereitende Actionen f\u00fcr das Hervorbringen der Bruststimme.\nDamit unsere Stimme t\u00f6ne, ist es in erster Linie noth wendig, dass wir eine gewisse Menge Luft unter m\u00e4ssigem Drucke durch die passend eingestellten Stimmb\u00e4nder hindurchtreiben. Wir haben bereits bei der Besprechung des Windrohres das N\u00f6thige hier\u00fcber gesagt und auch die H\u00f6he des minimalen Luftdruckes angegeben, bei dem eben noch ein Ton entstehen kann, sowie die H\u00f6he desjenigen theils aus eigener Erfahrung, theils aus den Beobachtungen Cagnard de Latours ann\u00e4hernd bezeichnet, bei dem kr\u00e4ftige und hohe T\u00f6ne producirt werden. Damit wir nun bei der Sprache oder dem Ges\u00e4nge \u00fcber das n\u00f6thige Quantum Luft verf\u00fcgen k\u00f6nnen, pflegen wir \u2014 namentlich bei voraussichtlich lauter Stimmgebung \u2014 durch eine rasche, aber intensive Einathmung unsere Lungen damit zu versehen.\nHippokrates (ti\u00a3q\u00ee twv ouQy.\u00fciv Cap. XVIII) beschreibt diesen Vorgang genau und schliesst dabei die Bemerkung an, dass nach einer Aus-athmung es f\u00fcr uns \u00fcberhaupt unm\u00f6glich sei, die Stimme h\u00f6ren zu lassen.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Brust stimme.\n91\nDas ist nun offenbar niclit der Fall; es gelingt fast Jedem ohne M\u00fche, auch wenn er schon bei weit ge\u00f6ffneter Stimmritze kr\u00e4ftig ausgeathmet hat, hinterher noch einen, wenn auch kurzen Ton zu bilden. Daraus geht hervor, dass die nach einer Ausathmung unter Atmosph\u00e4rendruck stehende Luft der Trachea noch ziemlich stark comprimirt werden kann, und dass man durch eine t\u00f6nende Exspiration die Lungen viel besser entleert, als durch eine nicht t\u00f6nende, bei offener Stimmritze.\nSobald wir die n\u00f6thige Luft eingenommen, ist als zweite vorbereitende Action f\u00fcr die Stimmengebung das Feststellen des Kehlkopfes anzusehen. In einem bestimmten Register k\u00f6nnen wir f\u00fcr bestimmte T\u00f6ne auch regelm\u00e4ssig bestimmte Stellungen des Kehlkopfes beobachten. Die bei der Anatomie des Kehlkopfes erw\u00e4hnten \u00e4usseren Muskeln (M. hyo-thyreoideus, sterno-thyreoideus, con-strictores pharyngis etc.) gerathen hierbei in wohlabgemessene Th\u00e4-tigkeit, die sich eben darin \u00e4ussert, dass das Organ entweder h\u00f6her oder niedriger und mehr oder weniger fixirt wird.\nJe tiefer die T\u00f6ne sind, welche wir von unserer mittleren Stimmlage ausgehend \u2014 erzeugen, desto weniger straff spannen sich die antagonistischen Muskeln an und solch\u2019 ein Kehlkopf ist von aussen mit dem Finger leichter zu verschieben, als wenn er beim Produci-ren von hohen T\u00f6nen selbst in die H\u00f6he steigt.\n2) Der Einsatz der Stimme.\nNach diesen Vorbereitungen erfolgt der Einsatz der Stimme. Dieser vollzieht sich auf zwei, nach Anderen sogar auf drei verschiedene Arten. Haben sich n\u00e4mlich, wie oben beschrieben, die Giessbeckenknorpel mit ihren inneren Fl\u00e4chen fest aneinander gelegt und schliessen die Stimmb\u00e4nder, als zwei mit ihren scharfen medialen R\u00e4ndern sich ber\u00fchrende Falten, genau die B\u00e4nder-Glottis zu, so wird dieser Verschluss, sobald die Stimme einsetzt, durchbrochen.\nDiese Sprengung des Kehlkopfthores verursacht ein gewisses kurzes Explosions-Ger\u00e4usch, welches wir in unserer Sprache immer h\u00f6ren, sobald wir einen Vokal anlauten. Dieses ist das Hamze der Araber, der Spiritus lenis der Griechen.\nEin zweiter Einsatz der Stimme, den man nach Sievers1 von vorn herein als den nat\u00fcrlichsten anseben k\u00f6nnte, ist gerade der seltenste. Er besteht darin, dass man die Stimmb\u00e4nder gerade nur soweit einander n\u00e4hert und anspannt, als zur Bildung des beabsichtigten Stimmtones n\u00f6thig ist, die Stimmritze also nicht fest verschliesst. Dieser\n1 E. Sievers. Grundz\u00fcge der Lautphysiologie S. 77. Leipzig 1876.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\nvon Sievers als leiser Vokal-Einsatz bezeichnete Mechanismus ist, wie jener Forscher mit Reckt ausf\u00fchrt, deshalb so selten, weil es f\u00fcr uns namentlich bei rascher und lebhafter Sprechweise schwierig ist, gleich im Anf\u00e4nge die richtige Energie der Exspiration mit der n\u00f6thigen Spannung der Stimmb\u00e4nder zu vereinigen. Exspirirten wir zu stark, so entst\u00e4nde leicht ein viel h\u00f6herer Ton, als wir beabsichtigt; exspirirten wir zu schwach, so w\u00fcrde es einige Zeit dauern, ehe der Ton \u00fcberhaupt anspricht und sicher einsetzt. Er w\u00fcrde sonach auch an seiner charakteristischen Eigenth\u00fcmlichkeit, die in jeder Sprache vorzugsweise am Anf\u00e4nge eines Vocals ausgepr\u00e4gt wird, bedeutende Einbusse erleiden. Dieser Einsatz ist daher in der Sprache selten ; man findet ihn noch am h\u00e4ufigsten im Ges\u00e4nge, wenn ein Ton piano angegeben und der Ausathmungsdruck allm\u00e4hlich gesteigert wird. Der Stimme geht alsdann ein ganz leises Ger\u00e4usch voraus, welches schon Purkine1 bekannt Avar und von ihm als \u201eleiser Hauch\u201c (lekki chuch) bezeichnet worden ist.\nDie dritte, recht h\u00e4ufige Art des Stimmeneinsatzes geschieht so, dass die Exspirationsluft schon entweicht, wenn die Stimmb\u00e4nder noch nicht verengt, geschweige denn geschlossen, sondern nur gen\u00e4hert sind. Das Ger\u00e4usch, unter Avelchem dann vor dem Anlauten der Stimme die Luft entweicht, ist als Laut in unserer und vielen anderen Sprachen aufgenommen. Es ist das h, der Spiritus asper der Griechen.\nWenn in Folge von L\u00e4hmungen der Verschluss der Stimmb\u00e4nder sich nicht correkt vollziehen kann, so ereignet es sich, wie Rossbach2, Stork3 u. A., mehrfach beobachtet haben, dass andere Theile des Kehlkopfes zum Verschluss herbeigezogen werden. Der obere Kehlkopfraum, die Taschenb\u00e4nder, die aryepiglottischen Falten und der Kehldeckel treten dann f\u00fcr die Stimmb\u00e4nder ein, legen sich eng aneinander, um bei Beginn des Klanges sogleich wieder auseinander zu fahren. Ist auch dieser Hilfsmechanismus nicht m\u00f6glich, und tritt in Folge von Stimmb\u00e4nderl\u00e4hmung ein rechtzeitiger Glottisverschluss nicht ein, so sprechen diese Leute alle Vocale mit dem H aus. Sie sagen halt \u2014 statt alt, Hange \u2014 statt Auge u. s. w.\n3) Die B\u00fcdung der Bruststimme selbst. a. Aeussere Merkmale bei derselben.\nResonanzen.\nWenn sich nun schliesslich die Stimme selbst h\u00f6ren l\u00e4sst, beobachten wir \u00e4usserlich folgendes: Der Kehlkopf ist fixirt, je\n1\tPurkine, Badania w przedmiocie fizyologii mowy ludzki\u00e9j. Krakow 1836, auch ver\u00f6ffentlicht im Kwartalnik naukowy II. p. 12t, III. p. 104. Krakow 1835 u. 1836.\n2\tM. J. Rossbach, Physiol, u. Pathol, d. menschl. Stimme S. 55. W\u00fcrzburg 1869.\n3\tC. St\u00f6rk, Klinik der Krankheiten des Kehlkopfes S. 56. Stuttgart 1876.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Bruststimme.\n93\nnach der H\u00f6he der T\u00f6ne, unter oder \u00fcber seiner Ruhestellung; das Ansatzrohr verl\u00e4ngert oder verk\u00fcrzt, geschlossen, verengt oder erweitert, l\u00e4sst die Stimme entweder frei oder gehemmt nach aussen treten. Je enger die Pforten, durch welche die Stimme ins Freie tritt, um so mehr erzittern die Wandungen des Ansatzrohres und seine benachbarten Theile, der Kopf.\nSprechen wir z. B. den Yocal i aus, wobei die Luft nur durch einen engen Kanal zwischen Zunge und Gaumen nach aussen tritt, so f\u00fchlt unsere Hand ein starkes Erzittern der Kopfknochen; \u00e4hnlich, wenn der Mund geschlossen und der t\u00f6nende Luftstrom nur durch die Nase entweicht, wie bei der Aussprache des m, n und ng.\nGemeiniglich wird nun aber die Bruststimme, indem sie laut und kr\u00e4ftig nach aussen t\u00f6nen soll, nicht durch die Engp\u00e4sse im Ansatzrohre aufgehalten, sondern t\u00f6nt bei ge\u00f6ffnetem Munde frei heraus. Da bemerken wir \u2014 wie z. B. bei der Aussprache des A \u2014 nichts von jener Ersch\u00fctterung der Kopfknochen; sie sind verh\u00e4lt-nissm\u00e4ssig ruhig, wohl aber erzittert und dr\u00f6hnt gewissermassen das Windrohr und alle ihm benachbarten elastischen Organe, der gesammte Brustkorb. Die Stimme scheint deshalb dem Laien aus der Brust zu kommen, und wird \u201eBruststimme\u201c genannt.\nDiese Ersch\u00fctterungen des Brustkorbes sind so intensiv, dass sie Jeder nicht bloss direct, sondern auch indirect durch andere feste Gegenst\u00e4nde hindurch (z. B. Stuhllehnen, wenn man mit dem Sprechendenden R\u00fccken an R\u00fccken sitzt) deutlich zu f\u00fchlen vermag. Sie sind ausserdem f\u00fcr bestimmte Laute so charakteristisch, dass manche Taubstumme lediglich dadurch, dass sie die Brust eines Sprechenden betasten, ohne ihn zu sehen, die gesprochenen Worte verstehen k\u00f6nnen.\nDer Thorax ist sonach ein grosser Resonanzkasten, welcher der Stimme Kraft verleiht und uns somit verst\u00e4ndlich macht, warum die auf dem todten Kehlkopfe producirten T\u00f6ne den nat\u00fcrlichen stets an F\u00fclle und Kraft bedeutend nachstelien.\nVon gr\u00f6sster Bedeutung ist hierbei nat\u00fcrlich die Elasticit\u00e4t der resonirenden Theile. Es ist begreiflich, dass dieselben um so st\u00e4rker und besser in Erzitterungen versetzt werden, je elastischer das gesammte mitschwingende Material ist, aus welchem sie bestehen. Fl\u00fcssigkeiten, welche sich daher zwischen die elastischen Lungen und Rippen ergiessen und die Elasticit\u00e4t dieser Theile in hohem Grade herabgesetzt haben, heben auch den Pectoral-Fremitus, wie man jene Erzitterung bekanntlich in der praktischen Medicin nennt, auf, w\u00e4hrend andererseits die dem ge-sammten Thorax, den Rippen und der Lunge, im Stadium m\u00e4ssiger Inspiration zukommende h\u00f6here Spannung auch die Resonanz und die Stimme \u00fcberhaupt verst\u00e4rkt. Lautes Sprechen und Singen fordert daher einen gespannten Thorax, der sich in m\u00e4ssiger Inspirationsstellung befindet und","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94 Gk\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\ndurch die in ihm enthaltene unter starkem Drucke stehende Luft noch aufgebl\u00e4ht und in seiner Elasticit\u00e4t bedeutend erh\u00f6ht wird.\nb. Die Vorg\u00e4nge im Kehlkopje selbst bei der Erzeugung der Eruststimme.\nWenn man den Kehlkopf w\u00e4hrend der Production der Bruststimme mit dem Kehlkopfspiegel betrachtet, so sieht man nachstehendes Bild:\nDie Giessbeckenknorpel sind einander gen\u00e4hert und liegen mit ihren hintersten Partieen durch die Th\u00e4tigkeit der Mm. arytaenoidei fest aneinander. Von diesem Punkte aus beginnt die Glottis vocalis bei den tiefen T\u00f6nen. Es schwingen also sowohl die wahren Stimmb\u00e4nder als auch die Giessbeckenknorpel selbst, deren zugewendete Seiten die Glottis vocalis (ligamentosa) nach hinten verl\u00e4ngern.\nNicht selten sind bei T\u00f6nen gewisser Tiefe die Stimmforts\u00e4tze hierbei mehr gen\u00e4hert als die hintersten Partieen der Giessbeckenknorpel (s. Fig. 50), noch h\u00e4ufiger aber die ganzen Innenfl\u00e4chen der Giessbeckenknorpel bis zu inniger Ber\u00fchrung gebracht, so dass von der Glottis intercartilaginea nichts \u00fcbrig Fis' 5^registerf6na^^MANDL^rust- ist. Die freien B\u00e4nder der Stimmb\u00e4nder sind in lebhafter Oscillation und lassen zwischen sich einen lang elliptischen oder haarfeinen linearen Spalt. Fl\u00fcssigkeitstheilchen (Schleim etc.) nicht selten mit Luft vermischt, sieht man hierbei die Erzitterungen mitmachen oder sich nach Stellen begeben, die in relativer Buhe sich befinden.\nWelche Muskeln die Stimmb\u00e4nder in der eben beschriebenen Weise spannen und einstellen, das haben wir bereits oben auseinandergesetzt (s. S. 59) ; nur ist hier noch einmal an die Th\u00e4tigkeit des Thyreo-arytaenoideus internus zu erinnern, der durch seine Contraction dem ganzen Stimmband Besistenz verleiht, und namentlich an diejenige seiner \u00e4usseren Fasern, sowie an die des Thyreo-arytaenoideus externus und Crico-arytaenoideus lateralis, welche, wie schon Gaecia und Joh. M\u00fcllee richtig erkannt hatten, wesentlich bei der Erzeugung der Bruststimme betheiligt sind, indem sie die gesammten Massen der Stimmb\u00e4nder nach der Mitte zu dr\u00e4ngen und dadurch relativ dicke, nicht membranartig verd\u00fcnnte Stimmlippen zu Oscillationen bringen (s. Fig. 40 b). Sie thun hierbei im Wesentlichen dasselbe, was Joh. M\u00fcllee am ausgeschnittenen Kehlkopfe erreichte, als er mit einer breiten Pincette oder zwei Skalpelstielen die unteren Partieen der Stimmb\u00e4nder von beiden Seiten her kr\u00e4ftig zusammen-","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fistelstimme. Aeussere Merkmale.\n95\npresste. Ein beliebig verst\u00e4rkter Luftdruck liess dann niemals die Stimme \u2014 wie sonst h\u00e4ufig \u2014 in das Fistelregister \u00fcberspringen, sondern es erhielten sich stets die tieferen T\u00f6ne des Brustregisters.\nB) Die Fistelstimme.\nEigenschaften und Mechanismus der Fistelstimme.\n1) Aeussere Merkmale der Fistelstimme.\nDie Fistelstimme weist folgende charakteristische Eigent\u00fcmlichkeiten auf. Sie ist der Regel nach 1) nicht so tief, 2) nicht so kr\u00e4ftig, 3) nicht so voll und reich an Obert\u00f6nen wie die Bruststimme, und ihre Hervorbringung veranlasst in uns \u2014 wenn wir uns nicht besonders darauf einge\u00fcbt haben \u2014 das Gef\u00fchl der Spannung und Anstrengung des Kehlkopfes und seiner Umgebung.\nSobald wir uns anschicken, einen Fistelton zu erzeugen, wird, \u00e4hnlich wie bei der Bruststimme, der Kehlkopf und zwar ziemlich hoch und nahe dem Zungenbein fixirt. Dabei wird er zugleich durch die an seine hintere Partie sich ansetzenden Muskeln (die Constric-toren) nach hinten gezogen und an der Wirbels\u00e4ule festgehalten.\nDas Ansatzrohr ist in Folge der hohen Kehlkopfstellung verk\u00fcrzt, der Mund, namentlich bei den h\u00f6chsten T\u00f6nen weit ge\u00f6ffnet. Ausserdem beobachtet man, dass die in der Nachbarschaft des Kehlkopfes liegenden Muskeln in erh\u00f6hte Spannung gerathen und hierdurch gewisse Formver\u00e4nderungen im Ansatzrohre bedingen. Das Gaumensegel hebt sich in die H\u00f6he, das Z\u00e4pfchen verschwindet bei sehr hohen T\u00f6nen nicht selten ganz durch Contraction des Azygos uvulae und die hinteren Gaumenb\u00f6gen treten straff gespannt der Mittellinie n\u00e4her, so dass sie dann einem spitzen gothischen Fenster nicht un\u00e4hnlich sind.\nDas Ansatzrohr und seine Umgebung ist zugleich aus noch n\u00e4her zu beschreibenden Gr\u00fcnden bei der Fistelstimme vorzugsweise Resonanzapparat. W\u00e4hrend bei der Bruststimme die T\u00f6ne aus der Tiefe, aus der Brust, zu kommen scheinen, d\u00fcnkt es dem Laien jetzt, als entst\u00e4nden sie viel h\u00f6her, in dem Ansatzrohr und seiner Umgebung, in dem Kopfe ; daher die Fistelstimme auch vielfach Kopfstimme genannt worden ist.\nEs ist ungemein leicht, sich davon zu \u00fcberzeugen, dass bei der Fistelstimme der Thorax fast gar nicht, die Kopfknochen dagegen unter g\u00fcnstigen Bedingungen (s. S. 93) nicht unbedeutend erzittern. Die aufgelegte Hand giebt dar\u00fcber Auskunft. Dabei ist aber \u2014 wie Rossbach mit Recht bemerkt \u2014 die Resonanz der Kopfknochen bei","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\nder Bruststimme nicht etwa geringer. Sie tritt nur hier der m\u00e4chtigen Ersch\u00fctterung des Brustkastens gegen\u00fcber zur\u00fcck, dagegen dort, wo jene fehlt, in den Vordergrund.\n2) Die Vorg\u00e4nge im Kehlkopf bei Erzeugung der Fistelstimme.\nDas Bild, welches wir zu Gesicht bekommen, sobald wir einen Fistelton singen, zeigt Fig. 51. Man sieht die hinteren Partieen der\nStimmritze fest und ziemlich weit nach vorn geschlossen; die Stimmritze selbst und die sie umgebenden schwingenden Theile der Stimmb\u00e4nder sind hiernach kurz und lassen ausserdem, was geradezu charakteristisch f\u00fcr dieses Register ist, einen verh\u00e4ltnissin\u00e4ssig breiten elliptischen Spalt zwischen sich, der sich oft breiter erweist, als die haarfeine Ber\u00fchrungslinie der Stimmb\u00e4nder w\u00e4hrend des\nJLl^. Cil. J.UJJ.OX1U.OX JA.\u00d61XXJ&.UJJX\n(Fistelstimme) nach Mandl. T\u00f6nens der Bruststimme.\nDer Einblick in den Kehlkopf ist, weil auch die Hebemuskeln der Epiglottis contrakirt sind, vollkommen frei, man \u00fcbersieht ohne weitere M\u00fche die Stimmb\u00e4nder bis an ihren vorderen Ansatzpunkt.\nDer Kehlkopf ist von vorn nach hinten verl\u00e4ngert, die ary-epi-glott. Falten sind stark gespannt, die Sinus pyriformes ebenfalls in ihrem sagittalen Durchmesser vergr\u00f6ssert. Die falschen Stimmb\u00e4nder desgleichen straff angespannt, wie es scheint, stark verd\u00fcnnt und der Mitte und den wahren Stimmb\u00e4ndern selbst bedeutend gen\u00e4hert. Die Eing\u00e4nge in die Ventrikel sind entweder feine Spalten oder ganz verstrichen. Viele Laryngoskopiker 1 glauben hiernach, dass die falschen Stimmb\u00e4nder geradezu auf den Randtheilen der wahren Stimmb\u00e4nder als fest gespannte d\u00fcnne Str\u00e4nge aufliegen und die unter ihnen befindlichen lateralen Partieen der wahren Stimmb\u00e4nder am Schwingen verhindern, wie die Kr\u00fccke, welche man an aufscklagen-den Zungen nach vorn verschiebt, um deren schwingungsf\u00e4hige Partieen zu verkleinern.\nDie Stimmb\u00e4nder selbst sind d\u00fcnne, membran\u00f6se Vorspr\u00fcnge, deren scharfe innere Kanten in kleiner Amplitude hin und her schwingen. F\u00fcr Ersteres spricht zwar nicht die directe Besichtigung im auffallenden Lichte, wohl aber diejenige im durchfallenden. Es hat n\u00e4mlich St\u00f6rk'2\n1\tL. Mandl, Trait\u00e9 pratique etc. p. 273; C. St\u00f6rk, Klinik der Krankheiten des Kehlkopfes S. 66. Stuttgart 1876.\n2\tC. St\u00f6rk, Klinik der Krankheiten des Kehlkopfes S. 65.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanismus der Fistelstimme.\n97\nnach dem Vorbilde von Czermak bei passenden (mageren) Individuen vermittelst des Kehlkopfspiegels auch den von aussen her durchleuchteten Kehlkopf untersucht und dabei folgende interessante Beobachtung gemacht. \u201eWenn man, so \u00e4ussert er sich, ein intensives Licht von aussen auf den unteren Theil des Kehlkopfes fallen l\u00e4sst, so sieht man dasselbe im laryngoskopischen Bilde immer st\u00e4rker durch die Stimmb\u00e4nder durchscheinen, ein je h\u00f6herer Ton hervorgebracht wird, bis zuletzt bei den Falsett\u00f6nen nur mehr ein d\u00fcnner Flor \u00fcber dem Lichte zu schweben scheint.\u201c\nAuch \u00fcber die Schwingungsart dieser d\u00fcnnen vorspringenden Platten sind wir genugsam unterrichtet. Wenn nach den Beobachtungen von Lehfeldt und Joh. M\u00fcller gemeiniglich die Ansicht ausgesprochen wird, dass bei der Fistelstimme nur die innersten R\u00e4nder der Stimmb\u00e4nder schwingen, so ist diese Behauptung nicht ganz richtig. Denn auch die lateralen Theile sind nicht ruhig, schwingen aber im anderen Sinne als die medialen R\u00e4nder. Dass sie \u00fcberhaupt in Erzitterung sich befinden, geht aus der nicht schwer zu beobachtenden Thatsache hervor, dass Secret von den lateralen Thei-len der Stimmb\u00e4nder h\u00e4ufig nach der Mitte zu, wenn auch nicht bis auf den freien Rand, getrieben wird.\nDass sie aber in anderem Sinne schwingen, zeigte k\u00fcrzlich Oertel1 auf folgende sinnreiche Weise. Er untersuchte die schwingenden Stimmb\u00e4nder, so wie es bereits Mach2, T\u00f6pler an anderen schwingenden t\u00f6nenden K\u00f6rpern (Saiten u. s. w.) gethan, im intermittirenden Licht. Dabei entdeckte er die interessante Thatsache, dass bei einem ge\u00fcbten S\u00e4nger mit ausgebildetem Falsett die Stimmb\u00e4nder in ihrer ganzen Breite schwingen, aber nicht als ganze Massen, sondern so, dass sich Schwingungsknoten oder vielmehr sagittale Knotenlinien bildeten, offenbar analog denen, die Carl M\u00fcller an seinen Membranen (s. S. 8) beobachtet hatte und die er auch folgerichtig auf die Stimmb\u00e4nder, wenn sie einen Fistelton bilden, \u00fcbertrug. Das, was Oertel praktisch gefunden, hatte jener theoretisch construirt; denn er \u00e4ussert sich hier\u00fcber folgendermassen : \u201eDie Falsett- oder Fistelt\u00f6ne der menschlichen Stimme entstehen nicht durch Grundschwingung der Stimmb\u00e4nder, sondern durch Partialschwingung derselben, so dass auf der Oberfl\u00e4che jeder einzelnen Lippe eine oder mehrere Knotenlinien vorhanden sind. \u201c Hierdurch ist es m\u00f6glich, dass die der Stimmritze zun\u00e4chst liegenden Theile der Stimmb\u00e4nder, obwohl auch die seitlichen Partieen oscilliren, sehr rasche Schwingungen machen und den Luftstrom so rasch unterbrechen, als es f\u00fcr die hohen T\u00f6ne der Fistelstimme nothwendig ist.\nIndem wir betreffs des Princips der OERTEL\u2019schen Methode auf die Ar-\n1\tOertel, Centralbl. f. d. med. Wiss. S. 99. 1878.\n2\tMach, Optisch-akustische Versuche. Prag 1873, woselbst die Geschichte dieser Methode nachzusehen.\nHandbuch der Physiologie. Bd. la.\tt","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\nbeiten von Mach und T\u00f6pler verweisen, erw\u00e4hnen wir nur, dass Oertel die Stimmb\u00e4nder sich durch eine rotirende Scheibe betrachtete, die nahe an ihrer Peripherie gleichabst\u00e4ndige L\u00f6cher hatte. Je nach der Rotationsgeschwindigkeit der Scheibe, die Oertel mit der Hand vermittelst eines Schnurlaufes in Bewegung setzte, sah man dann die schwingenden Stimmb\u00e4nder entweder in Ruhe oder in einer Bewegung, die derjenigen, welche sie in Wirklichkeit ausf\u00fchrten \u00e4hnlich (beziehungsweise entgegengesetzt), aber viel langsamer war und direct mit dem Auge verfolgt werden konnte.\nDie Muskeln, deren Contraction f\u00fcr das Zustandekommen der Fistelstimme erforderlich ist, sind im Wesentlichen dieselben, welche wir bei der Erzeugung der Bruststimme in Th\u00e4tigkeit sahen. Zun\u00e4chst m\u00fcssen die Schliesser der Glottis (Mm. aryt. transv. und ob-liqui), ferner die Crico-aryt. lat. und thyreo-aryt. ext. und int., letztere jedoch nicht in der Art und Intensit\u00e4t wie bei der Bruststimme, in Contraction versetzt werden. Schliesslich sind die Spanner, der Stimmb\u00e4nder (Crico-thyr., die Constrictoren etc.) in starker Action, wof\u00fcr die Verl\u00e4ngerung des sagittalen Durchmessers den besten Beweis liefert. Die Schildknorpelplatten sind, wenn irgend m\u00f6glich, der Mittellinie gen\u00e4hert, der Winkel des Pomum Adami also ein spitzerer, als bei der Bruststimme.\nEs bleibt nun noch zu erkl\u00e4ren, durch welchen Mechanismus die immerhin doch dicken, wulstigen Stimmb\u00e4nder in diese d\u00fcnnen, membran\u00f6sen Falten umgewandelt werden. Dies ist meiner Meinung nach nur dadurch m\u00f6glich, dass diejenigen Muskelb\u00fcndel des Thyr. aryt. int. und ext., und Crico-aryt. lat., welche bei der Bildung der Bruststimme relativ bedeutende Massen der Stimmb\u00e4nder nach innen, der Mitte zu, dr\u00e4ngten, jetzt relativ unth\u00e4tig sind. Bei der starken L\u00e4ngsspannung der Stimmb\u00e4nder k\u00f6nnen diese sonst in ihnen liegenden Kraftcomponenten nicht oder nur wenig zur Entwickelung kommen. Man darf jedoch nicht einfach annehmen, wie es Merkel und Andere thun, dass die Fistelstimme sich von der Bruststimme nur durch die Unth\u00e4tigkeit des M. vocalis unterscheidet. W\u00e4re dies der Fall, so w\u00fcrde ein Kehlkopf, dessen beide Mm. vocales gel\u00e4hmt sind, bei der n\u00f6thigen Spannung der \u00fcbrigen Muskeln, Fistelt\u00f6ne erzeugen, was bekanntlich nie der Fall ist. Gewisse Fasern des M. vocalis \u2014 namentlich die medialen \u2014 sind auch bei der Fistelstimme regelm\u00e4ssig in Action.\nAus diesem Mechanismus erkl\u00e4ren sich nun folgende Eigenth\u00fcm-lichkeiten der Fistelstimme, von denen wir bereits oben gesprochen haben.\nZun\u00e4chst ist die hohe Lage der Fistelt\u00f6ne verst\u00e4ndlich, da bei ihrer Erzeugung ja immer nur die medialen, d\u00fcnnen R\u00e4nder der Stimmb\u00e4nder","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Eigenschaften des Fistelklanges. Luftdruck bei der Fistelstimme. 99\nden Luftstrom unterbrechen, welche wie kleine und d\u00fcnne Membranen oder Saiten rasch schwingen und hohe T\u00f6ne erzeugen. \u2014\nAls ein zweites Merkmal der Fistelstimme gegen\u00fcber der Bruststimme bezeichneten wir ihre geringe Kraft und ihre geringe Rundung und F\u00fclle. Auch dieser Umstand erkl\u00e4rt sich aus der Art ihrer Entstehung. Wir sahen, dass bei Erzeugung von Fistelt\u00f6nen die Stimmb\u00e4nder nie so genau sich zu einem haarfeinen Spalt aneinanderlegten, wie bei der Bruststimme, sondern dass stets ein kleiner elliptischer Spalt zwischen ihnen frei blieb. Die einzelnen in Folge der schwingenden Randpartieen erzeugten Luft-st\u00f6sse k\u00f6nnen daher weder mit der Kraft, noch auch mit der Pl\u00f6tzlichkeit und Schnelligkeit erfolgen, wie bei den schwereren, gut schliessen-den Stimmb\u00e4ndern, die f\u00fcr die Bruststimme eingestellt sind. Diese erfordern eine bedeutende Spannung der Luft, ehe ihr Verschluss gebrochen wird, jene als nachgiebige, leichte Falten nur eine geringe. Die ersteren hinwiederum lassen die stark gespannte Luft explosionsartig herausst\u00fcrzen, die letzteren geben leichter und allm\u00e4hlich nach und erzeugen einen weniger intermittirenden, als remittirenden Luftstrom.1\nDarnach ist die Bruststimme reich an vielen und starken Obert\u00f6nen und klingt voll, die Fistelstimme aber leer und d\u00fcnn. Hierzu kommt, dass auch f\u00fcr diese die Resonanzverh\u00e4ltnisse viel ung\u00fcnstiger sind, als f\u00fcr jene. Die Schwingungen der Lufttheilchen, die bei der Fistelstimme in der Luftr\u00f6hre stattfinden, sind, wie wir gesehen haben, an und f\u00fcr sich geringer und vollziehen sich ausserdem nicht rapid, sondern allm\u00e4hlich, eignen sich also wegen der geringeren lebendigen Kraft, die ihnen innewohnt und der Art, wie sie dieselbe zur Verwendung bringen, nicht dazu, ihre Umgebung in Mitschwingung zu versetzen. Der Thorax, dieser vorz\u00fcgliche Resonanzapparat, tritt f\u00fcr die Fistelstimme in den Hintergrund ; es resonirt wesentlich nur das Ansatzrohr und seine Umgebung, welche von den bewegten Lufttheilchen direkt getroffen wird.\nSo wie der Luftdruck, so sind schliesslich auch die Luft mengen, welche f\u00fcr die beiden Register gebraucht werden, verschieden. Die Bruststimme namentlich in ihren mittleren und h\u00f6heren Lagen erfordert Luft von starkem Druck, aber weil die Explosionen immer nur einen Moment dauern, \u00fcberhaupt nur wenig Luft; es entweicht jedesmal immer nur eine \u00e4usserst geringe Menge Luft nach aussen; die Spannung der Luft in der Trachea h\u00e4lt sich daher, ohne dass wir unsere Ausathmungs-muskeln besonders anstrengen, ziemlich lange hoch und wir sind im Stande, auch die Stimme entsprechend lange auszuhalten. \u2014 Anders beim Falsett. Hier gebrauchen wir viel Luft, aber nicht von dem hohen Druck ; denn sie fliesst wegen des geringen Widerstandes der hochgradig verd\u00fcnnten Stimmb\u00e4nder so rasch ab,dass sie erstens nicht stark gespannt, zweitens auch nicht lange zur\u00fcckgehalten werden kann. Fistelt\u00f6ne verm\u00f6gen wir daher caeteris paribus nicht so lange auszuhalten, wie Brustt\u00f6ne, sie aber andererseits auch bei minimalem Luftdruck zu erzeugen. Auch hier\u00fcber verdanken wir Garcia\n1 Ausgedehnte analytische Untersuchungen, welche ein und denselben Ton, das eine Mal mit Fistel-, das andere Mal mit Brustmechanismus erzeugt, in seine einzelnen Obert\u00f6ne zerlegen, sind meines Wissens bis jetzt noch nicht angestellt. EigeneVersuche, die ich hier\u00fcber gemacht, sind vorl\u00e4ufig noch nicht abgeschlossen.","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\ndirekte Beobachtungen. Er liess einen S\u00e4nger m\u00f6glichst tief einathmen und ihn dann ein und denselben Ton einmal mit Bruststimme, das zweite Mal wiederum nach m\u00f6glichst tiefer Einathmung mit Fistelstimme so lange singen, als es ihm eben m\u00f6glich war. Im ersten Falle machte ein Metronom 24\u201426 Schwingungen, im zweiten nur 18.1\nDabei ist, wie Merkel mit Recht hervorhebt, zu beachten die H\u00f6he des Tones. Hohe Fistelt\u00f6ne kann man wegen der wenn auch nicht relativ, so doch absolut sehr engen Stimmritze ungemein lange aushalten, tiefe aber nat\u00fcrlich nicht. Nach demselben Forscher kann man auch die von mir oben besprochenen Unterschiede der bei beiden Registern verbrauchten Luftmenge erkennen an den Bewegungen einer Flaumenfeder. Sie wird bei der Fistelstimme in Folge der gr\u00f6sseren Menge Luft, die sich mit grosser Geschwindigkeit fortbewegt, st\u00e4rker abgelenkt als bei der Bruststimme.\nEs darf nun aber nicht \u00fcbersehen werden, dass alle diese S\u00e4tze nur unter der Bedingung gelten, unter welcher nach unserer Auseinandersetzung die Fistelstimme erzeugt wurde, n\u00e4mlich bei einer m\u00e4ssig offen stehenden Stimmritze. Nun kann aber durch Uebung hierin ungemein viel erreicht und der oben geschilderte Mechanismus in h\u00f6chstem Grade modificirt werden.\nLeute, welche viel in Fistelregistern singen, die es so handhaben, dass es ihnen nicht mehr Anstrengung macht als das Brustregister, eignen sich durch Uebung auch eine Menge von Bewegungen an, welche einzelne jener ausgesprochenen Gesetze umzustossen scheinen. So wird namentlich das schnelle Entweichen der Luft dadurch verhindert, dass man die Stimmritze auch bei Fistelt\u00f6nen bedeutend verengt. Hierdurch \u00e4ndert sich nat\u00fcrlich der Klang und die St\u00e4rke der Stimme bedeutend, sie wird aus oben angef\u00fchrten Gr\u00fcnden zun\u00e4chst klangreicher und voller, ihre T\u00f6ne k\u00f6nnen wegen des erschwerten Luftabflusses auch l\u00e4nger aus-gehalten und mit mehr Kraft produeirt werden.\nMerkel2 behauptet demnach mit Recht, dass eine wesentliche Uebung und Arbeit des S\u00e4ngers darin bestehen m\u00fcsse, den. Unterschied jener beiden Register m\u00f6glichst zu verwischen. Guten S\u00e4ngerinnen gelingt dies leichter, als S\u00e4ngern, wie denn \u00fcberhaupt wegen der Kleinheit der weiblichen Stimmb\u00e4nder die Falsettstimme des Weibes, sowohl was die H\u00f6he wie Klangfarbe anlangt, sich nicht so scharf von der Bruststimme unterscheidet. . Aehnliches gilt von der Stimme der Kinder.\nBetreffend das Gef\u00fchl der Muskelanstrengung und Anspannung, welches wir bei der Fistelstimme gew\u00f6hnlich empfinden, sei nebenbei erw\u00e4hnt, dass wir dergleichen Gef\u00fchle dann haben, wenn wir entweder gewisse zusammengeh\u00f6rige gr\u00f6ssere Muskelgruppen stark anstrengen, oder noch mehr, wenn wir nur einzelne Muskeln oder Theile derselben in hervorragende Action versetzen und benachbarte, gew\u00f6hnlich gleichzeitig mitarbeitende Muskeln von der Bewegung ausschliessen. Wir haben dann das Gef\u00fchl starker Anstrengung in den th\u00e4tigen Muskeln. Auch treten hierbei leicht Mitbewegungen auf, die sich auch bei der Fistel-\n1\tGaz. m\u00e9d. d. Paris IX. p. 270. 1841.\n2\tMerkel. Anthropophonik S. 621.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Geschichtliches. Dodart. Savart. Masson.\n101\nstimme bemerklich machen. Die starke Spannung der Muskulatur des Gaumens, des Z\u00e4pfchens, der Epiglottis, ja die nicht seltene Yerzenung des Gesichtes geh\u00f6ren hierher. Es sind dies alles Bewegungen, welche f\u00fcr das Zustandekommen dieses Registers nicht wesentlich sind, zum Theil sich auch abgew\u00f6linen lassen, aber uns insofern interessirenals gerade f\u00fcr die Erzeugung der Fistelstimme eine hochgradige Th\u00e4tigkeit der Spanner (Crico-thyr., Constrictores etc.), dagegen eine geringf\u00fcgige der sonst gleichzeitig th\u00e4tigen Mm. thyreo-aryt. und crico-aryt. lat. etc. n\u00f6thig war.\n3) Geschichtliches \u00fcber die Theorie der Fistelstimme.\nAus der grossen F\u00fclle von Untersuchungen, welche durch viele Jahrzehnte \u00fcber die Entstehung der Fistelstimme angestellt wurden, seien nur folgende kurz hervorgehoben.\nDodart l\u00e4sst die Fistelstimme bei ungemein verengter Glottis und geringem Luftstrom entstehen und die Luftersch\u00fctterung sich direct in den Nasen\u00e7aum fortsetzen. Demzufolge resonire derselbe und die Luft entweiche durch die Nase. Es sind also f\u00fcr ihn im Wesentlichen ver\u00e4nderte Resonanzbeding un gen'die Ursachen dieses Registers. Aehnliches behauptet Cagniard-Latour, welcher die Schw\u00e4che der Falsettt\u00f6ne von dem Alleinschwingen der Stimmb\u00e4nder ohne gleichzeitige Resonanz der Morgagnischen Ventrikel ableitet.\nAndere lassen die Fistelstimme gar nicht im Kehlkopfe, sondern oberhalb desselben, noch andere wieder durch einen besonderen Schwingungsmechanismus der im Kehlkopfe eingeschlossenen Luftmassen entstehen, wie folgende Beispiele lehren.\nGeoffroi-St.-Hilaire1 2, welcher die Bruststimme durch Schwingungen der wahren Stimmb\u00e4nder entstehen l\u00e4sst, glaubt, dass bei der Fistelstimme die unteren Stimmb\u00e4nder ihrer ganzen L\u00e4nge nach auseinanderst\u00fcnden und der durch ihre Spalte tretende Luftstrom an die falschen Stimmb\u00e4nder anstosse und sich breche, wie an der Lippe einer gew\u00f6hnlichen Pfeife.\nSavar.th\u00e4lt es nicht f\u00fcr unwahrscheinlich, dass w\u00e4hrend bei der Bruststimme \u2014 wie oben ausgef\u00fchrt \u2014 die Luft in dem Windrohre und den Morgagnischen Ventrikeln oscillire nach Art der J\u00e4gerpfeifen, hier m\u00f6glicherweise blos die in den Ventrikeln eingeschlossene zum T\u00f6nen gebracht, die Ventrikel gewissermassen, wie ein hohler Schl\u00fcssel angeblasen w\u00fcrden.\nMasson3 und mit ihm (wenigstens in der ersten Auflage seines Buches) Borget vergleichen die Fistelt\u00f6ne den harmonischen Obert\u00f6nen der Pfeifen. Gleich wie man bei einer Pfeife je nach der Art des Anblasens, entweder durch sehr starkes oder sehr schwaches Anblasen, den ersten oder zweiten Oberton erhalten kann, so sei auch die ganze Configuration des Kehlkopfes bei Fistelt\u00f6nen nicht anders als bei den Brustt\u00f6nen ; f\u00fcr gewisse T\u00f6ne sei der Kehlkopf bestimmt eingestellt ; blase man ihn alsdann schwach an, dann ert\u00f6ne nicht der Grundton, sondern ein harmo-\n1\tGEOFFROi-St.-Hilaire, Philosophie anatomique II. 1818.\n2\tSavart, Ann. d. chim. etphys. 2. s\u00e9r. XXX. p. 65. 182o.\n3\tMasson, Ann. d. chim. etphys. 3. s\u00e9r. XL. p. 333. 1854.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\nnischer Oberton, indem sich immer in der Gegend der falschen Stimmb\u00e4nder ein Schwingungsbauch bildet. Diday und Petrequin 1 schliesslich erneuern im Wesentlichen die Ansicht von Geoffroi-St.-Hilaire : bei der Bruststimme sei der Kehlkopf eine Zungenpfeife, bei der Fistelstimme aber eine Lippenpfeife; er gleiche dann durchaus der M\u00fcndung einer Fl\u00f6te.\nEine andere Reihe von Forschern l\u00e4sst die Fistelstimme gar nicht im Kehlkopfe, sondern geradezu in benachbarten Theilen desselben entstehen. Es sind Mayer1 2, Bennati3 und Colombat4, welche f\u00fcr das Zustandekommen hoher T\u00f6ne \u2014 sei es dass man dieselben im Fistel- oder Brustregister singt \u2014 dem Kehlkopfe eine untergeo. dnete Stellung anweisen und hierf\u00fcr die Muskeln des Zungenbeines, der Zunge und namentlich des weichen Gaumens heranziehen. Durch sie, ihre Contraction und Aneinanderlagerung allein (ohne H\u00fclfe des Kehlkopfes) entstehen die h\u00f6chsten, wesentlich durch sie die tiefen Fistelt\u00f6ne oder die Fistelt\u00f6ne \u00fcberhaupt. M\u00fcller hob deshalb in seinen Untersuchungen, um das Falsche jener Ansicht zu beweisen, hervor, dass man bei h\u00f6heren Brust- oder Falsettt\u00f6nen das Gaumensegel mit den Fingern ber\u00fchren k\u00f6nnte, ohne den Ton zu ver\u00e4ndern.\nSegond5 6 schliesslich h\u00e4lt sich auf Grund von Versuchen, die er an Katzen angestellt hat, f\u00fcr berechtigt, die Fistelstimme durch die oberen, falschen, die Bruststimme aber durch die unteren, wahren Stimmb\u00e4nder entstehen zu lassen. Denn auch, wenn man einer Katze die unteren Stimmb\u00e4nder durchschnitte, so k\u00f6nne sie doch \u2014 nach einiger Zeit \u2014 wieder miauen, niemals aber, wenn man die oberen Stimmb\u00e4nder durchschnitten habe. Die Richtigkeit dieser Behauptung steht aber auf sehr schwachen F\u00fcssen, sie widerspricht vielmehr durchaus den Versuchen von Longet und anderen Physiologen.\nNach all diesen Hypothesen, die zum grossen Theil auf falschen Grundlagen beruhten und sich nicht direct an Experimente anlehnten, ist es erfreulich zu sehen, dass auf Grund des Versuches Lehfeldt auf die wahre Ursache der Fistelstimme kam. In seiner Dissertation \u201ede vocis formatione\u201c, Berlin 1835, begr\u00fcndete er die Ansicht, dass dieselbe immer dann gebildet werde, wenn blos die R\u00e4nder der Stimmb\u00e4nder oscillirten und den Luftstrom unterbr\u00e4chen. Dieselbe Ansicht wurde dann auch von Joh. M\u00fcller des N\u00e4heren begr\u00fcndet und durch zahlreiche Experimente am ausgeschnittenen Kehlkopfe erh\u00e4rtet.\nDer Hauptsache nach richtige Ansichten lehrte Liskovius0, welcher die Resonanzverh\u00e4ltnisse der Wahrheit gem\u00e4ss schildert, ferner den Stimmb\u00e4ndern bei der Bruststimme einen minderscharfen Rand zuertheilt, als bei der Fistelstimme, weil sie bei dieser wegen ihrer Spannung d\u00fcnner seien, schliesslich sogar behauptet, dass die Stimmritze bei der Brust -\n1\tDiday et P\u00e9trequin, Gaz. m\u00e9d. 1844. p. 135.\n2\tMayer, Meckel\u2019s Arch. f. Anat. u. Physiol. 1826. S. 216.\n3\tBennati. Du m\u00e9canisme de la voix humaine pendant le chant, lu \u00e0 l\u2019Acad\u00e9mie des sciences de Paris, janvier 1830.\n4\tColombat, Trait\u00e9 des maladies et de l\u2019hygi\u00e8ne de la voix. Paris 1838.\n5\tSegond, Arch. g\u00e9n. d. m\u00e9d. 1848 u. 49.\n6\tLiskovius, Physiologie der menschlichen Stimme. Leipzig 1846.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Geschichtliches. Liskovius. Garcia. Bataille. Andere Register.\n103\nstimme weiter und k\u00fcrzer, bei der Fistelstimme (Halsstimme) schmaler und l\u00e4nger sei. Das Aufsteigen in der Fistelstimme geschehe lediglich durch L\u00e4ngsspannung, das in der Bruststimme durch D\u00e4mpfung d. h. durch Verk\u00fcrzung der schwingenden Partieen und st\u00e4rkeres Aneinanderpressen der Giessbeckenknorpel.\nFreilich hatte bisher am Lebenden noch Niemand die Bildung von Fistelt\u00f6nen beobachten k\u00f6nnen, und es war wiederum Garcia, der uns die genaueste Schilderung dieses Vorganges und seines Mechanismus gleich in seiner ersten Arbeit \u00fcber die menschliche Stimme gab. \u201eWenn bei der f\u00fcr die Erzeugung der Stimme n\u00f6thigen Stellung der Stimmb\u00e4nder die \u00e4usseren Fasern des M. crico-aryt. lateralis unth\u00e4tig bleiben, so entsteht das Falsett. Die Lippen der Glottis, gestreckt durch das horizontale B\u00fcndel des Thyreo-aryt.-Muskels, kommen nur mit ihren R\u00e4ndern in Ber\u00fchrung und bieten der Luft geringen Widerstand. Dadurch entsteht der grosse Verlust an diesem Hauptagens und die allgemeine Schw\u00e4che der so gebildeten T\u00f6ne, die im \u00fcbrigen wie bei der Bruststimme nicht etwa durch die Schwingungen der B\u00e4nder, sondern durch die successiven Explosionen der Luft, die sich bei ihrer Schwingung vollziehen, gebildet werden.\u201c\nVon anderen Theorieen erw\u00e4hnenswerth, weil sie die Wahrheit ganz oder fast ganz treffen, sind noch die von Battaille1, der ebenfalls den Vorgang durchaus correct beschreibt und mit Recht auf die D\u00fcnnheit der Stimmb\u00e4nder Gewicht legt und die originelle von Gottfried Weber'2, der die Fistelt\u00f6ne mit den Flageolett\u00f6nen der Saiten verglich und die Existenz von Schwingungsknoten resp. Linien annahm, die aber quer verlaufen und die Stimmb\u00e4nder von vorn nach hinten in schwingende Abtheilungeu trennen sollten.\nNach den neueren Untersuchungen von Oertel existiren bei der Fistelstimme in der That Schwingungsknoten beziehungsweise Linien ; sie verlaufen aber senkrecht zu den von Weber vermutheten.\n2. Die anderen Register der menschlichen Stimme.\na) Eine Reihe Forscher halten es f\u00fcr n\u00f6thig, neben diesen beiden charakteristischen Registern noch andere zu unterscheiden. Da ist es zun\u00e4chst die Voix mixte der Franzosen, welche von Fournie am genauesten beschrieben und von Merkel und Rossbach Kopfstimme3 oder besser Zwischen stimme genannt wird.\nSie soll das Mittel- und Verbindungsglied zwischen Brust- und Fistelt\u00f6nen darstellen und wird deshalb von den Einen zur Brust-, von Anderen zur Fistelstimme gerechnet und nicht als besonderes Register anerkannt.4\n1\tBataille, Gaz. hebd. No. 20 u. 24. Paris 1861.\n2\tGottfried Weber, Caecilia I. p. 80.\n3\tHier wird dies Wort in specif. Bedeutung angewendet, w\u00e4hrend im gew\u00f6hnlichen Leben und von der Mehrzahl der Schriftsteller Kopfstimme mit Fistelstimme identificirt wird. Garcia, Bataille und namentlich auch Frau Seiler in ihrer vorz\u00fcglichen Schrift (Altes und Neues \u00fcber die Ausbildung des Gesangorgans etc.) verstehen unter Kopfstimme die h\u00f6chsten T\u00f6ne der Fistelstimme oder der \u00fcber die Fistelstimme hinausreichenden.\n4\tEs ist nicht unwahrscheinlich, dass bei diesem Register durch abgemessene Th\u00e4tigkeit des Crico-thyreoideus und der inneren Fasern des M. vocalis die ela-","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\nNach Fourni\u00eaV Untersuchungen kommt die Voix mixte auf folgende Weise zu Stande : Wenn ein S\u00e4nger im Brustregister immer h\u00f6her und hoher zu singen sich bem\u00fcht, so gelangt er an einen Punkt, an welchem mittelst des bei der Bruststimme \u00fcblichen Mechanismus nichts mehr erreicht wird; er w\u00e4hlt einen andern Mechanismus, den der Voix mixte, d. h. er treibt die T\u00f6ne wesentlich in die H\u00f6he durch Anspannen der Stimmb\u00e4nder ihrer L\u00e4nge nach (Contraction d. M. crico-thyreoid.), w\u00e4hrend der Stimmmuskel (M. vocalis) wenig Widerstand leistet. Da nach den Untersuchungen von Rossbach hierbei zugleich die Epiglottis gehoben ist, \u00fcbersieht man die Stimmb\u00e4nder ihrer ganzen L\u00e4nge nach. Sie entfernen sich nach Fourni\u00e9 ein wenig in ihren hinteren Partieen, nach Rossbach hingegen bilden sie einen so feinen Spalt, dass man ihn nur mit M\u00fche erkennt. Zugleich wird das Zungenbein sammt dem Kehlkopfe nach vorn und ein wenig nach oben gezogen und man versp\u00fcrt die heftige Anstrengung in der ganzen Muskulatur des Halses.\nDie auf diese Weise erzeugten Tone sollen namentlich bei Tenoristen, denen sie vorzugsweise zukommen (Merkel), ungemein angenehm, geradezu \u201e einschmeichelnd \u201c sein, weil sie am sch\u00f6nsten Kraft und Milde paaren. Sie beginnen mit den h\u00f6chsten Brustkl\u00e4ngen und reichen in manchen F\u00e4llen 5 Noten und bei hinreichender Einschulung gewiss noch weiter in das Fistelregister hinein (Rossbach).\nNach Garcia* 1 2, dem wir wohl in dieser Beziehung das competenteste Urtheil Zutrauen m\u00fcssen, umfasst die Voix mixte indess weiter Nichts als die mit dunklem Klanggepr\u00e4ge erzeugten hohen Brustt\u00f6ne. Daf\u00fcr spricht auch der relativ tiefe Stand des Kehlkopfes bei der Erzeugung dieser hohen T\u00f6ne (s. S. 106).\nb)\tDas Kehlbass register, von Merkel angenommen, beginnt bei den tiefsten \u201eklingenden\u201c Brustt\u00f6nen und l\u00e4sst sich von hier aus mit abnehmender Klangf\u00fclle etwa 3\u20144 Stufen vertiefen. Nur bei guter Disposition des Kehlkopfes soll es gut ansprechen und dann im Ges\u00e4nge, wenigstens im Chor, erlaubt sein.\nAusserdem unterscheidet es sich durch den im Yerh\u00e4ltniss zur Tonh\u00f6he hohen Stand des Kehlkopfes und durch Olfenbleiben der Knorpelglottis (Rossbach). Es verlangt demgem\u00e4ss viel Luft und eine kr\u00e4ftige Anstrengung der Exspirationsmuskeln, sowie derjenigen des Halses. Seine T\u00f6ne sind in Folge dessen von einem hauchenden Ger\u00e4usch begleitet, welches jedoch noch intensiver auftritt bei dem\nc)\tStrohbassregister, in welches das vorhergenannte \u00fcbergeht. Es umfasst die tiefsten T\u00f6ne, welche von einer menschlichen Stimme erzeugt werden k\u00f6nnen. Nach Merkel hat dabei der Kehlkopf eine mittlere Stellung, die ihn umgebende Muskulatur ist wenig gespannt und was charakteristisch, der Kehlkopf wird durch die gleichzeitige Action des Sterno- und Hyo-thyreoideus nach hinten \u00fcbergekippt und in dieser Stellung erhalten. Auf diese Weise werden die Stimmb\u00e4nder im Ganzen in\nstischen Chordae vocales gewissennassen auf einer festen Unterlage aufsitzen und allein schwingen, ohne dass der Stimmmuskel Antheil an den Oscillationen nimmt. (Siehe Michael, Berliner klin. Wochenschr. 1876. S. 534.)\n1\tFournl\u00e9, Physiologie de la voix et de la parole p. 464. Paris 1866.\n2\t\u00c9cole du chant par Manuel Garcia fils. Mayence, p. XIX.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Strohbassregister. Helles und dunkles Timbre.\n105\nliohem Masse erschlafft und verk\u00fcrzt, ausserdem noch dadurch tiefer gestimmt, dass auch der Stimmmuskel sich nicht contrahiren soll (Merkel, Rossbach), der Kehldeckel liegt nach hinten und versperrt den Einblick mit dem Spiegel (Rossbach). Die Stimmb\u00e4nder sollen einander bedeutend gen\u00e4hert sein und die Stimmritze um so enger werden, je tiefer der Ton sinkt (Merkel). Die demgem\u00e4ss verbrauchte Luftmenge ist unbedeutend, man kann einen Strohbasston sehr lange aushalten. Die T\u00f6ne dieses Registers haben etwas Knarrendes und tragen mehr den Charakter eines Ger\u00e4usches, als eines Klanges an sich.\nZur besseren Uebersicht der genannten Register lasse ich nach Rossbach die Tonleiter eines Mannes mit ideal grossem Stimmumf\u00e4nge folgen, in welcher die einem jeden Register angeh\u00f6renden Noten bezeichnet sind.\nStrohbass _____________Bruststimme________\nE, F, G, A, H, CDE F G A H c d e f g a k c*di e* D g1 aOD c2d2e2 Keblbass\tKopfstimme\nFistelstimme\nF\u00fcr die Stimmregister des Weibes gilt nach demselben Autor folgende Zusammenstellung:\nd e f g a h c1 d1 e1 f1 g1 a1 h1 c2 d'2 e2 f1 g2 a2 li2 c3 d3 e3 Bruststimme\nFistelstimme\nWie man sieht, geh\u00f6rt eine Reihe von T\u00f6nen mehreren Registern an. Namentlich ist es uns m\u00f6glich, mehrere T\u00f6ne sowohl mittelst Bruststimme, als auch mittelst Fistelstimme zu erzeugen. Frau Seiler1 macht mit Recht darauf aufmerksam, dass f\u00fcr denselben Ton die L\u00e4nge der Stimmb\u00e4nder stets bedeutender ist, wenn er in der Fistel, geringer, wenn er mit Bruststimme gesungen wird.\n3. Das sogenannte helle und dunkle Timbre der menschlichen Stimme.\nWir nennen irgend einen Klang gew\u00f6hnlich dann dunkel, wenn er sich in seiner Farbe dem Vocal u n\u00e4hert. Dieser aber wird, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, wesentlich dadurch gebildet, dass in ihm die hohen Obert\u00f6ne ausgel\u00f6scht und nur die tieferen, beziehungsweise ein tiefer sich dem Ohre bemerkbar macht. Auch das dunkle Timbre der Stimme beruht auf diesem Umstande.\nDasselbe wird, wie Meekel'2 richtig bemerkt, am besten und leichtesten bei Tiefstand des Kehlkopfes und leicht vorn \u00fcbergebeugtem Kopfe gebildet. Hierbei aber \u00e4ndern sich die Resonanzapparate unserer Stimme folgendermassen. Das Ansatzrohr ist verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig lang, und was von viel gr\u00f6sserer Bedeutung, seine W\u00e4nde\n1\tE. Seiler, Altes und Neues \u00fcber die Ausbildung des Gesangorganes. Leipzig\n1861.\n2\tMerkel, Anthropopbonik S. 611.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. I. Klang der Stimme.\nsind so gut wie gar nicht gespannt. Dasselbe gilt von der Luftr\u00f6hre, welche durch den tiefen Stand des Kehlkopfes an und f\u00fcr sich erschlafft ist und ausserdem von der \u00e4usseren, ebenfalls schlaffen Haut bedeckt und beschwert wird. Es sind dies \u2014 wie bekannt \u2014 lauter Bedingungen, welche das Zustandekommen hoher Obert\u00f6ne vernichten, selbst wenn der urspr\u00fcnglich erzeugte Stimmklang reich daran w\u00e4re.\nDiese Unterdr\u00fcckung der hohen Obert\u00f6ne f\u00e4llt um so vollst\u00e4ndiger aus, je weniger die schwingenden Lufttheilchen aus den R\u00e4umen mit schlaffen Wandungen entweichen k\u00f6nnen, je mehr sie in denselben zur\u00fcckgehalten werden. Und auch dieser Umstand findet bei der Bildung der dunklen Stimme seine Verwendung; denn die Mundh\u00f6hle ist, wenn auch nicht geschlossen, so doch nie sehr weit ge\u00f6ffnet, zudem der Anfangstheil des Ansatzrohres durch die nach hinten gezogene Zunge, deren R\u00fccken gehoben ist, eingeengt. Der Ton wird, wie sich die Laien vielfach ausdr\u00fccken, im Kehlkopfe zur\u00fcckgehalten. Bei der laryngoskopischen Untersuchung sieht man nach Merkel 1 weiter nichts, als das Zungenhintertheil und die Capitula Santorini, bis zu welchen der Zungenr\u00fccken ragt. Die Epiglottis wird vollst\u00e4ndig von der Zunge verdeckt; das Gaumensegel steht hoch und sperrt den Mund vom Nasenraume ab.\nSchliesslich ist es mir nicht zweifelhaft, dass auch, abgesehen von den Einfl\u00fcssen der Resonanz, die Schwingung der Stimmb\u00e4nder von Haus aus eine bestimmte, eigenartige ist und zur Erzeugung der dunklen Klangfarbe wesentlich beitr\u00e4gt, Wie oben (S. 31) gezeigt, k\u00f6nnen membran\u00f6se Zungen schwingen, ohne je bis zu ihrer Gleichgewichtslage zur\u00fcckzukehren (s. Fig. 22) oder \u00fcberhaupt den Luftstrom vollst\u00e4ndig zu unterbrechen. Der hierbei erzeugte Ton ist in der Regel dumpf. Etwas Aehnliches findet nun sicher bei der Erzeugung der dunkeln Stimme statt. Die Proc, vocales sind offenbar nicht so fest aneinandergedr\u00e4ngt wie bei der hellen, daher man auch mit hellem Timbre mehr T\u00f6ne in einem Athem zu erzeugen vermag, als mit dunklem.\nII. Die helle Stimme1 2, deren Klang an die Vocale A oder E erinnert, verdankt gerade den entgegengesetzten Ursachen ihre Entstehung. Der Kehlkopf steht hoch und tritt mehr hervor, das Windrohr ist gespannt, die Haut straff \u00fcber dasselbe angezogen, nicht selten durch eine geringe R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung des Kopfes, der Mund\n1\tMerkel, Die Functionen des menschl. Schlund- u. Kehlkopfes. Leipzig 1862.\n2\tVoce bianca haben nach Bezeichnung der alten italienischen Gesanglehrer die Violine, Clarinette, Oboe.","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Helle Stimme. Sprech- und Singstimme.\n107\nge\u00f6ffnet und die Zunge mit ihren hinteren Partieen etwas niedergedr\u00fcckt, so dass sie den Schall frei und leicht in die Mundh\u00f6hle treten l\u00e4sst.\nIm Kehlkopfspiegel sieht man beim Singen mit heller Stimme fast nur den Rand der Epiglottis und mit Leichtigkeit einen gr\u00f6sseren Theil der Stimmb\u00e4nder, weil auch die Epiglottis halb aufgerichtet ist und der Stimme einen freieren Ausgang verschafft.\nDer Schwingungsmechanismus der Stimmb\u00e4nder ist anders als beim dunklen Timbre. Hier sind die Processus vocales fester aneinandergepresst; die freien R\u00e4nder der Stimmb\u00e4nder gehen haarscharf aneinander vorbei oder schlagen wahrscheinlich nicht selten aneinander an. Der Klang wird hierdurch gerade wie bei einer membran\u00f6sen, aufschlagenden Zunge sch\u00e4rfer und, wie Garcia sich ausdr\u00fcckt, bei Uebertreibung dieser Singweise schreiend und kl\u00e4ffend (criard et glapissant).\n4. Die Sprech- und Singstimme.\nEs ist vielfach die Behauptung aufgestellt worden, dass die Stimme, deren wir uns gew\u00f6hnlich in der Sprache bedienen, die Sprechstimme, etwas durchaus anderes sei und auf andere Mechanismen zur\u00fcckgef\u00fchrt werden m\u00fcsse, als die Stimme im Gesang, die Singstimme. Auch Helmholtz 1 und Donders 2 sprechen die Ver-muthung aus, dass die Stimmb\u00e4nder bei der Sprechstimme als gegenschlagende Zungen gestellt sind, w\u00e4hrend sie beim Ges\u00e4nge durchschlagende seien. Denn der sch\u00e4rfere Klang, namentlich der offenen Vocale, im Sprechton, sowie der st\u00e4rkere Druck, den wir dabei im Kehlkopf f\u00fchlen, deuten darauf hin, w\u00e4hrend auf der anderen Seite die ungemeine Weichheit mancher Singstimme nur durchschlagenden Zungen zukommt. Meiner Meinung nach darf man jedoch diese Behauptung nicht verallgemeinern. Ich glaube sicher, dass sowohl in der Sing- als auch in der Sprechstimme beide Mechanismen gleich h\u00e4ufig Vorkommen und dass ausserdem unendlich viel individuelle Schwankungen sich bemerklich machen.\nLiskovius, ein um die Theorie der Stimme hochverdienter Forscher, \u00e4ussert sich hier\u00fcber etwa wie folgt: Der Behauptung, dass die Sprechstimme eine andere sei als die Singstimme, liegt wesentlich der Umstand zu Grunde, dass im Sprechen die T\u00f6ne und Intervalle nicht so deutlich hervortreten, wie im Singen. Das ist aber nicht zweierlei Stimme, sondern nur zweierlei Art, die Stimme zu gebrauchen. Der Unterschied ist eben der, dass man im Singen die T\u00f6ne festh\u00e4lt und die Intervalle \u00fcberschreitet,\n1\tHelmholtz, Die Lehre von den Tonempfindlingen. Braunschweig 1876.\n2\tDondeks, Over de tongwerktuigen van het stem- en spraakorgaan.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. II. H\u00f6he der Stimme.\nim Sprechen aber auf keinem Tone verweilt und die Intervalle nicht \u00fcberschreitet, sondern durch sie hindurchgeht oder vielmehr hindurchschwebt.\nJe bestimmter im Singen die T\u00f6ne gehalten werden, desto besser ist es f\u00fcr den Gesang. Je weniger dagegen die T\u00f6ne festgehalten und die Intervalle \u00fcberschritten werden, desto besser f\u00fcr die Sprache. Widrigenfalls entsteht jenes widerliche Sprechen, welches man das singende nennt. Den Uebergang vom Sprechen zum Singen macht das Recitativ, zumal das Recitativo portante. Die Allm\u00e4ligkeit des Ueberganges ist f\u00fcr Liskovius zugleich ein Beweis, dass es nur ein und dieselbe Stimme ist, die spricht und die singt.\nZu dieser durchaus zutreffenden Schilderung, welche freilich \u00fcber den Schwingungsmodus der Stimmb\u00e4nder im Ges\u00e4nge und in der Sprache nichts aussagt, l\u00e4sst sich auch heut zu Tage kaum noch etwas Wesentliches hinzuf\u00fcgen. Ueber die Art des Schwingens w\u00fcrde \u2014 nebenbei bemerkt \u2014 die Beobachtung der Stimmb\u00e4nder im intermittirenden Licht vielleicht am ehesten Aufschluss geben, da, wie ich oben gezeigt, gegenschlagende Zungen einen anderen Schwingungsmodus haben, als durchschlagende. Ich habe bis jetzt noch nicht Gelegenheit gehabt, eine derartige Untersuchung anzustellen.\nII. Die H\u00f6he der menschlichen Stimme.\nI. An Yerscliiedenen Individuen.\nWie der Klang der menschlichen Stimme, so ist auch ihre H\u00f6he oder Tiefe, in welcher sie gew\u00f6hnlich f\u00fcr die Sprache verwendet wird oder im Ges\u00e4nge verwendet werden kann, bei den einzelnen Personen je nach der Gr\u00f6sse und Beschaffenheit des Kehlkopfes und der Stimmb\u00e4nder ungemein verschieden und durch Uebung nur innerhalb bestimmter Grenzen zu erweitern. Die h\u00f6chsten T\u00f6ne erzeugt mit seinen kleinen Stimmb\u00e4ndern das Kind, die tiefsten mit seinen grossen der Mann, mittlere T\u00f6ne kommen beiden erwachsenen Geschlechtern zu, die h\u00f6heren nat\u00fcrlich dem weiblichen. Die tiefste Stimmlage der M\u00e4nner bezeichnen wir bekanntlich mit Bass, eine h\u00f6here mit Baryton, die h\u00f6chste mit Tenor; die tieferen Stimmen des Weibes, beziehungsweise Knaben mit Alt, die h\u00f6heren mit Sopran.\nIch lasse hier nach der Compositionslehre von Marx den Umfang der verschiedenen menschlichen Stimmlagen folgen, wobei zu bemerken, dass die in [ ] stehenden Noten die Mitte jeder Stimmlage begrenzen, in der sie sich am kr\u00e4ftigsten entfaltet, w\u00e4hrend die in ( ) f\u00fcr gew\u00f6hnlich keinen guten Klang mehr haben.1\n1 Zamminer, Die Musik und die musikalischen Instrumente. Giessen 1855.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"H\u00f6he der menschlichen Stimme, verschieden nach dem Alter und Geschlecht. 109\nSopran : (c1) d1 e1 fl [g1 a1 li1 c2 d2] e2f2 g2 (a2 b2)\nAlt: (g) ahc1 [d1 e1 f1 g1 a1 b1] c2(d2)\nTenor: (e d) e f g [a h c1 d1 e1] f1 g1 a1 (h1)\nBass: (F) G A H c [d e f g a h] c1 d1 (e1).\nIn \u00fcbersichtlicher, wenn auch nicht ganz mit dem Vorstehenden \u00fcbereinstimmender Weise giebt Joh. M\u00fcller die Breiten der einzelnen Stimmen an:\nSopran\n'\tAlt\nE F G AH c d ef g ah c1 d1 e1 f1 g'a1 h1 c2 d2 e2f2g2 a2h2 c1*\nBass\nTenor\nAusnahmsweise wurde vom Basse das Contra F (42 Schwingungen) und vom Discant das a3 (1708 Schwingungen) erreicht. Eine gute Singstimme umfasst etwa 2 Octaven.\nDieses Stimmumfanges erfreut sich aber nur der erwachsene, in der Vollkraft seiner Jahre stehende Mensch. In h\u00f6herem Alter verliert die Stimme nicht blos an Kraft und Wohlklang, sondern auch an Umfang. Die Verkn\u00f6cherung der Kehlkopfknorpel, welche beim Manne schon in den zwanziger bis dreissiger Jahren beginnt, beim Weibe entweder gar nicht oder viel sp\u00e4ter eintritt, sowie der geringe Turgor des Gewebes und der Schwund der Muskeln (auch derjenigen des Kehlkopfes) ist die offenbare Ursache jener Ver\u00e4nderung. Nach Rossbach erh\u00f6ht sich im Allgemeinen die Stimme der bejahrten M\u00e4nner, es vertieft sich dagegen die der bejahrten Weiber, was vielleicht mit der verschiedenen Art des Verkn\u00f6cherungsprocesses in Verbindung zu bringen ist. \u2014 Auch die fr\u00fche Jugend verf\u00fcgt nicht \u00fcber so reiche Stimmmittel.\nDas N\u00e4here hier\u00fcber lehren ausgedehnte Untersuchungen von Vier-ordt1, die an einer grossen Anzahl von Schulkindern angestellt wurden. Es ergab sich, dass die Bruststimme der Knaben vom 8. bis 14. Jahr durchschnittlich 7,5 bis 9,2 musikalisch verwerthbare T\u00f6ne umfasst. Den Knaben s\u00e4mmtlicher Altersklassen sind 5 V2 T\u00f6ne von c' bis gis' gemeinschaftlich. Der tiefste Brustton der Knaben ist gis, der h\u00f6chste d\" bis dis\".\nDer durchschnittliche Stimmumfang bei M\u00e4dchen (Brust- und Fistelt\u00f6ne) betr\u00e4gt im 6. Jahr 9 T\u00f6ne, 7. Jahr 10, 8. bis 10. Jahr 13, 11. Jahr 14, 12. und 13. Jahr sogar 16 ganze T\u00f6ne. Gemeinsam sind den M\u00e4dchen aller dieser Jahresklasse die 6 T\u00f6ne von e' bis c\". Die M\u00e4dchen-stimme gewinnt vom 6. bis 13. Jahr nach unten 4, nach oben 2 T\u00f6ne. Ausnahmsweise wird unten e, oben c'\" selbst d'\" erreicht.\nVon weiterem Interesse ist dann die Zeit der herannahenden Mann-\n1 K. ViERORDT, Grundriss der Physiologie des Menschen S. 617. T\u00fcbingen 1877.","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. II. H\u00f6he der Stimme.\nbarkeit, die Zeit des Stimmbruches. Darunter verstehen wir bekanntlich die mit dem raschen Wachsthum des m\u00e4nnlichen, weniger des weiblichen Kehlkopfes Hand in Hand gehende Aenderung in dem Klange und namentlich in der H\u00f6he des Stimmtones. Beim m\u00e4nnlichen Geschlecht sinkt die mittlere Stimmlage um etwa eine Octave, beim weiblichen um zwei Stufen.\nGew\u00f6hnlich vollzieht sich der Wechsel ziemlich rasch. Die Stimme ist in dieser Zeit rauh, wird nicht in gewohnter Weise von ihrem Besitzer beherrscht und schnappt leicht \u00fcber, indem ein hoher, quietschender Ton producirt wird, wenn der Betreffende einen tiefen Ton angeben will.\nFournie1 hat diesen physiologischen Vorgang an einer Menge heranreifender Knaben und M\u00e4dchen laryngoskopisch studirt. Die erste That-sache, welche hierbei beobachtet wird, ist eine erh\u00f6hte \u201e Vitalit\u00e4t \u201c in dem Kehlkopf und seiner Umgebung. Die Stimmb\u00e4nder sind wie bei einem heftigen Katarrh ger\u00f6thet, die Blutzufuhr selbstverst\u00e4ndlich f\u00fcr jene rasch wachsenden Organe bedeutend vermehrt. Hierdurch erkl\u00e4rt sich die Rauhigkeit und Heiserkeit der Stimme, welche es passend erscheinen l\u00e4sst, den Kehlkopf \u2014 wie es auch verst\u00e4ndige Gesanglehrer thun \u2014 in jener Zeit zu schonen.\nJe nach der Schnelligkeit, mit welcher sich dann der eine oder andere Knorpel oder die zugeh\u00f6rigen Muskeln entwickeln, sollen die verschiedensten laryngoskopischen Bilder entstehen, \u00fcber deren Deutung die Acten jedoch noch lange nicht geschlossen sein d\u00fcrften.\nII. Die verschiedene H\u00f6he der menschlichen Stimme an einem Individuum. (Gesang.)\nVon vornherein ist f\u00fcr die Erh\u00f6hung oder Vertiefung der Stimme die Wirkung des Ansatzrohres ausgeschlossen; denn es ist die Mundh\u00f6hle ein zu kurzer und meist zu weit ge\u00f6ffneter Hohlraum, dessen Luftmasse keinen wesentlichen Einfluss auf die Tonh\u00f6he haben kann ; zudem sind ihre W\u00e4nde zu nachgiebig, als dass in ihnen Luftschwingungen zu Stande kommen k\u00f6nnten, stark genug, um den Stimmb\u00e4ndern eine Schwingungsperiode aufzudr\u00e4ngen, die nicht der von ihrer eigenen Elasticit\u00e4t geforderten sich anpasst. (Helmholtz).\nDasselbe was vom Ansatzrohr, gilt im Wesentlichen auch vom Windrohr. Wie unsere Versuche gezeigt, vermag in der That eine Verl\u00e4ngerung 'der Luftr\u00f6hre die Tonh\u00f6he des Kehlkopfklanges unter Umst\u00e4nden zu beeinflussen; die Grenzen aber, in denen factisch in der Sprache oder im Ges\u00e4nge jene L\u00e4ngenver\u00e4nderung der Luftr\u00f6hre sich bewegt, ist viel zu unbedeutend, um irgend welchen Einfluss auf die H\u00f6he der T\u00f6ne \u00e4ussern zu k\u00f6nnen. Zudem ist die Luftr\u00f6hre ebenfalls ein viel zu nachgiebiges und weiches Rohr. (Siehe S. 34.)\n1 Fourni\u00e9, Physiologie de la voix et de la parole p. 545.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"H\u00f6he der menschlichen Stimme, verschieden nach dem Alter und Geschlecht. 111\nWir m\u00fcssen also die Aenderungen der Tonh\u00f6he lediglich in den Kehlkopf selbst, in die Stimmb\u00e4nder verlegen und fragen, welche von denjenigen Mitteln, die den Ton einer Zungenpfeife erh\u00f6hen, beziehungsweise vertiefen, in unserem Kehlkopfe angewendet werden.\nHarless 1 hatte auf Grund der W. WEBER\u2019schen Angabe, dass ein contrahirter Muskel dehnbarer sei und eine geringere Elasticit\u00e4t besitze als ein nicht contrahirter, mit Froschmuskeln als tonerzeugenden Apparaten Versuche angestellt. Es wurde der Rectus abdominis eines Frosches quer \u00fcber die Ausfluss\u00f6ffnung eines Gebl\u00e4ses gespannt und einmal im Zustand der Contraction, das andere Mal in dem der Erschlaffung, aber immer mit dem gleichen Gewicht gespannt, angeblasen. Obwohl die Resultate schwankend ausfielen, glaubt doch Harless, dass der Ton des contrahirten Muskels in Folge der Aenderung seiner inneren elastischen Eigenschaften gesetzm\u00e4ssig tiefer sein m\u00fcsse und der Regel nach auch tiefer, etwa um eine Terz, gewesen sei.\nWunderbarer Weise war dabei auf die Verdickung des Muskels gar keine R\u00fccksicht genommen und aus den Versuchen der Schluss gezogen, dass der Ton der ganzen Stimmb\u00e4nder tiefer werden m\u00fcsse, wenn die an ihren Enden wirkenden Zugkr\u00e4fte nicht zu gross sind und der Stimmmuskel in Contraction ger\u00e4th. Diese Vertiefung muss bedeutender aus-fallen, wenn die Th\u00e4tigkeit des Stimmmuskels zur Verk\u00fcrzung des Stimmbandes f\u00fchrt und der Ton muss steigen, wenn das Band verk\u00fcrzt bleibt, der Stimmmuskel aber auf h\u00f6rt, sich zu contrahiren.\nOhne uns bei diesen durchaus nicht zutreffenden Annahmen aufzuhalten, wenden wir uns zu dem, was man an dem Kehlkopfe und seiner Umgebung bei Erzeugung hoher und tiefer T\u00f6ne direct sehen kann.\nDa f\u00e4llt zun\u00e4chst die Thatsache auf, dass normaler Weise bei hohen T\u00f6nen der Kehlkopf in die H\u00f6he steigt, bei tiefen sich aber senkt. Es entsteht nat\u00fcrlich die Frage, ob dieses Heben und Senken einfach eine Begleiterscheinung hoher und tiefer T\u00f6ne ist, oder ob sie mit deren Erzeugung in urs\u00e4chlichem Zusammenh\u00e4nge steht. Die Wahrscheinlichkeit spricht f\u00fcr letzteres.\nEs ist n\u00e4mlich in der That bei Hochstand des Kehlkopfes zun\u00e4chst die Resonanz f\u00fcr hohe T\u00f6ne eine g\u00fcnstigere, da hierbei sowohl das Windrohr, wie auch das Ansatzrohr st\u00e4rker gespannte W\u00e4nde besitzen, ersteres mehr durch passive, letzteres durch active Spannung. Ausserdem aber ist es \u2014 wie oben S. 43 ausgef\u00fchrt \u2014 im h\u00f6chsten Maasse wahrscheinlich, dass f\u00fcr gew\u00f6hnlich eine Hebung des Kehlkopfes mit einem Vorn\u00fcberbeugen des Schildknorpels, also einer Spannung, eine Senkung aber mit der entgegengesetzten Bewegung, also einer Entspannung der Stimmb\u00e4nder, Hand in Hand geht.\n1 Harless, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. IV. S. 598.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112 Gr\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. II. H\u00f6he der Stimme.\nEs vollzieht sich hierbei, wie ich glaube, ein \u00e4hnlicher Mechanismus, wie wir ihn bei vielen complicirten Muskelbewegungen wahrnehmen ; die gr\u00f6bere Einstellung irgend welcher beweglicher Organe wird durch gr\u00f6ssere, die feinere durch kleine und ge\u00fcbte Muskeln vorgenommen; und so wie wir bei der genaueren Beobachtung eines Gegenstandes zun\u00e4chst den Kopf in die passende Stellung bringen und erst die kleineren Correcturen durch die Augenmuskeln aus\u00fcben, so wird auch die grobe Einstellung des Kehlkopfes f\u00fcr hohe, bez. tiefe T\u00f6ne durch die grossen \u00e4usseren Muskeln, die feinere aber durch das genau abgemessene Spiel der kleinen antagonistischen Kehlkopfmuskeln erm\u00f6glicht und in der That ausgef\u00fchrt.\nUeber die Art nun, wie diese kleinen Kehlkopfmuskeln bei der Erzeugung von hohen und tiefen T\u00f6nen sich betheiligen, herrschen verschiedene, zum Theil einander widersprechende Ansichten. Aus all diesen Angaben und aus meinen eigenen Beobachtungen geht mit Sicherheit hervor, dass in der That mannigfache individuelle Verschiedenheiten Vorkommen, die um so gr\u00f6sser sind, je mehr man es auf der einen Seite mit geschulten S\u00e4ngern, auf der anderen mit Nichts\u00e4ngern oder Naturs\u00e4ngern zu thun hat und je verschiedener an Gr\u00f6sse und Gestalt von Haus aus die Kehlk\u00f6pfe sind, welche man darauf hin untersucht.\nEs stehen uns n\u00e4mlich folgende durchaus verschiedene Mittel zur Ver\u00e4nderung in der H\u00f6he unserer Stimme zu Gebote. 1) Die ver\u00e4nderte L\u00e4ngsspannung der Stimmb\u00e4nder, herbeigef\u00fchrt durch die verschiedene Th\u00e4tigkeit der Spanner und ihrer Antagonisten. 2) Die Verk\u00fcrzung der schwingenden Theile der Stimmb\u00e4nder, dadurch erzeugt, dass sich von hinten her die Giessbeckenknorpel mit ihren inneren Fl\u00e4chen immer mehr und mehr aneinanderlegen und die schwingungsf\u00e4higen Partieen der Stimmb\u00e4nder verkleinern, so wie der Violinspieler die Saite verk\u00fcrzt, indem er seinen Finger immer n\u00e4her dem Stege auf das Griffbrett aufsetzt. 3) Die Ver\u00e4nderung der Gestalt, vornehmlich die Zusch\u00e4rfung, beziehungsweise Abstumpfung der schwingenden R\u00e4nder, erzeugt durch die verschiedene Th\u00e4tigkeit gewisser Muskeltheile des Musculus vocalis. 4) Die damit h\u00e4ufig Hand in Hand gehende Verschm\u00e4lerung oder Verbreiterung der schwingenden R\u00e4nder, 5) endlich der verschiedene Luftdruck, unter den die Brustmuskeln die Luft in dem Windrohr setzen,1\n1 Als nebens\u00e4chliche Begleiterscheinung bei der Erzeugung verschieden hoher T\u00f6ne ist schliesslich der verschiedene Stand der Epiglottis zu erw\u00e4hnen, welche bei hohen hoch steht, bei tiefen oft so tief nach hinten \u00fcbergelegt ist, dass man im Kehlkopfspiegel die Stimmb\u00e4nder gar nicht zu Gesicht bekommt.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"H\u00f6he der menschlichen Stimme, verschieden nach dem Alter und Geschlecht. 113\nJe nachdem nun ein S\u00e4nger vorzugsweise den einen oder den anderen Mechanismus f\u00fcr die Aenderung in der H\u00f6he seiner Stimme verwendet, oder verschiedene, oder schliesslich mehr oder weniger Mechanismen zu gleicher Zeit in Anwendung bringt, gestaltet sich nat\u00fcrlich das \u00e4ussere Bild des Kehlkopfes hei der Erzeugung hoher oder tiefer T\u00f6ne verschieden. Als Beleg hierf\u00fcr. dienen folgende Beobachtungen.\nWenn Merkel1 (ein Bassist) von seinem platonischen Nullpunkt2 (f), bei dessen Erzeugung seine Stimmb\u00e4nder 6 Linie massen, mit Bruststimme abw\u00e4rts bis F oder E ging, so wurde der Raum zwischen vorderer Insertion der Stimmb\u00e4nder und den Stimmforts\u00e4tzen der Giessbeckenknorpel erheblich k\u00fcrzer. Es betrug nach seinen Messungen die Stimmb\u00e4nderl\u00e4nge bei Erzeugung von F etwa 5r\", sie war also, w\u00e4hrend die Schwingungszahl auf die H\u00e4lfte, nur um etwas mehr als ein Viertel heruntergegangen. Zugleich wurde hierbei die Epiglottis \u2014 aber nicht nothwendig \u2014 niedergezogen. Die Capitula Santorini blieben w\u00e4hrend dieses Vorganges un-verr\u00fcckt auf ihrer Stelle. Die Stimmforts\u00e4tze der Giessbeckenknorpel erhielten aber durch Relaxirung der Stimmb\u00e4nder Neigung, sich etwas von einander zu entfernen, so dass die Glottis cartilaginea mehr und mehr sich \u00f6ffnete, je tiefer der Ton wurde. Hierbei war sie am engsten zwischen den Spitzen der Stimmforts\u00e4tze, nach hinten zu am weitesten.\nStieg Merkel umgekehrt von dem f aufw\u00e4rts zum D, welches er noch ohne Anstrengung mit Brustmechanik erreichte, so konnte er eine Verl\u00e4ngerung der Stimmb\u00e4nder bei gleichzeitigem, festem Schl\u00fcsse der Glottis intercartilaginea beobachten. Diese Verl\u00e4ngerung betrug aber nur etwa 1m, die Stimmb\u00e4nder Merkel\u2019s waren hiernach lang : bei einem mittleren Ton Qlj2rrr bei hohen Brustt\u00f6nen\t\u2014T\u00e8li\"r\nbei tiefen Brustt\u00f6nen hr\"\nRossbach hat an sich, wie er angiebt, durchaus \u00e4hnliche Resultate erhalten. Sein phonischer Nullpunkt liegt zwischen f und g und die Hebung und Senkung der Stimme betr\u00e4gt im Brustregister nur eine Quint.\nAndere, so zum Beispiel Garcia, mit dessen Angaben die an mir selbst ange stellten Beobachtungen am genauesten \u00fcbereinstimmen, steigen wesentlich durch Verk\u00fcrzung der Stimmb\u00e4nder in die H\u00f6he. Wie die Bl\u00e4tter einer Scheere, die geschlossen wird, sich immer mehr n\u00e4hern und den zwischen ihnen liegenden Raum verkleinern, so zwicken gewisser-massen bei mir die medialen Fl\u00e4chen der Giessbeckenknorpel immer mehr zusammen und verk\u00fcrzen die schwingenden Partien der Stimmb\u00e4nder; ich habe bei mir nie, sobald ich einen vollen und nicht heiseren Ton singe, die Glottis intercartilaginea in Form eines Dreiecks offen gesehen. Dasselbe behauptet auch Garcia von sich, der den Vorgang des in die H\u00f6he Steigens folgendermassen beschreibt. Sang er die Noten c, d, e, so\n1 Merkel, Die Functionen des menschlichen Schlund- und Kehlkopfes S. 88. \u2022\t2 Hierunter versteht Merkel denjenigen Stand des Kehlkopfes und diejenige\nSpannung der Stimmb\u00e4nder, welche sich bei Angabe mittlerer T\u00f6ne, wie etwa in der ruhigen Sprache, beobachten l\u00e4sst.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\n8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. II. H\u00f6he der Stimme.\nerzitterten mit den Stimmb\u00e4ndern zugleich die vorderen Partieen der Giessbeckenknorpel. Mit dem Ansteigen des Tones jedoch traten die Stimmforts\u00e4tze unter einer allm\u00e4hlichen Ann\u00e4herung von r\u00fcckw\u00e4rts her beginnend, der L\u00e4nge der Glottis nach aneinander und etwa bei dem Tone c' hatten sie sich vollst\u00e4ndig aneinandergelegt. Aehnliches beschreibt auch Battaille 1 von sich und Frau Seiler von dem Kehlkopfe der Frauen. Nach ihren Untersuchungen werden die verschieden hohen T\u00f6ne der Frauenstimme im Brustregister ebenfalls bis etwa zu c' durch Verk\u00fcrzung der Stimmb\u00e4nder, der Rest von c' bis g' durch andere Mechanismen erzeugt.\nAnaloges gilt nun auch von den verschieden hohen T\u00f6nen des Fistelregisters. Der besseren Uebersicht halber stelle ich in folgenden Tabellen die vermittelst der beiden Mechanismen erzeugten T\u00f6ne zusammen.\nM\u00e4nnerstimme nach Garcia.\nFalset\nGl. eart. ganz oder fast ganz vorhanden\nGl. cart, geschl.\nCDEFGAHcdefgahc'd'e'fg' a'h' c\"\nGl. cart, ganz oder fast ganz ge\u00f6ffnet1 2 ^s\u00eatiosse^i \"\nBruststimme\nFrauenstimme nach Seiler. Falset\nKopft\u00f6ne\ndefgahc'd'e'f g' a' h' c\" d\" e\" f ' g\"\nGl. eart. ganz oder Gl. cart, gefast ganz ge\u00f6ffnet schlossen\nBruststimme.\na\" h\" c'\" d'\" e\"\nDas letzte Mittel endlich, dessen wir uns (abgesehen von dem verschieden hohen Luftdrucke) zur Erzeugung hoher oder tiefer T\u00f6ne bedienen, ist die Gestaltsver\u00e4nderung der Stimmb\u00e4nder. Dass in der That die Stimmb\u00e4nder, insonderheit ihre R\u00e4nder, bei h\u00f6heren T\u00f6nen immer d\u00fcnner und sch\u00e4rfer werden, lehren die Durchleuchtungsversuche von Stork (s. S. 97), sowie unter g\u00fcnstigen Bedingungen die directe laryngo-skopisclie Beobachtung. Diese Formver\u00e4nderung der Stimmb\u00e4nder ist nun aber nicht blos eine passive, etwa durch vermehrte Spannung erzeugte, sondern sicherlich auch eine active durch Fasern des Musculus vocalis bedingte. Es wird nicht blos die Chorda vocalis mehr gedehnt, sondern die Masse des ganzen Stimmbandes mit den darin liegenden Muskeln, die ja stets mitschwingen, in ihrer Gestalt ver\u00e4ndert. Man setzt sich ge-wissermassen ein neues Stimmband ein, welches wieder verschiedenen Spannungen oder Verk\u00fcrzungen unterworfen werden kann. Dieses Einsetzen\n1\tBattaille, Gaz. hebd. No. 20. Paris 1868. Nouvelles recherches etc.\n2\tDabei hat die Glottis intercartilaginea keineswegs die Form eines Dreiecks mit vorderer Spitze, sondern der Rand der Stimmb\u00e4nder geht in ungef\u00e4hr gerader Linie in die innere Fl\u00e4che des Giessbeckenknorpels \u00fcber.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Die verschied. Stimmh\u00f6he b. einem Individuum. Mechan. d. hohen u. tiefen T\u00f6ne. 115\neines anderen Stimmbandes wird meiner Meinung nach h\u00e4ufiger vorgenommen 7 als man gew\u00f6hnlich glaubt. Vornehmlich giebt es eine Reihe von T\u00f6nen, zu deren Bildung man weder die Stimmb\u00e4nder \u2014 so weit man dies wenigstens nachweisen kann \u2014 st\u00e4rker spannt, noch auch verk\u00fcrzt. Hier vollzieht sich sicher eine mit dem Kehlkopfspiegel nicht nachweisbare Verd\u00fcnnung oder Verschm\u00e4lerung der freien, schwingenden R\u00e4nder durch die combinatorische Th\u00e4tigkeit der Stimmbandspanner und gewisser, im Stimmband selbst gelegenen Muskelb\u00fcndel. Man hat hierbei, wie ich glaube, vom physikalischen Standpunkt aus, vielfach den Fehler gemacht und die Stimmb\u00e4nder immer nur als zwei d\u00fcnne, elastische Str\u00e4nge angesehen, deren Eigenton sich wesentlich durch Spannung \u00e4ndert. Aber wie man bei den Lippen des Bl\u00e4sers nicht blos die mehr oder weniger gespannte Lippenschleimhaut als tonerzeugendes Moment betrachtet, so \u00e4hnlich darf man auch nicht die Chorda vocalis als das allein T\u00f6nende, beziehungsweise die Tonh\u00f6he Bestimmende ansehen. Das Stimmband, insoweit es die Stimme erzeugt, die Stimmlippe, ist nicht eine Saite, sondern ein keilf\u00f6rmiger Strang, dessen Tonh\u00f6he bei gleicher L\u00e4ngsspannung sich auch \u00e4ndert, wenn sein frei schwingender Rand entweder verdickt (beziehungsweise verd\u00fcnnt) oder verbreitert (beziehungsweise verschm\u00e4lert) wird. Dass Letzteres als tonver\u00e4nderndes Mittel vorkommt, indem die falschen Stimmb\u00e4nder den schwingenden Rand der wahren verschm\u00e4lern und sich auf die seitlichen Partieen fest auflegen (Mandl, St\u00f6rk) oder auch, wenn dieses nicht geschieht, aus anderen Gr\u00fcnden, der schwingende Rand der Stimmb\u00e4nder verschm\u00e4lert wird (Oertel), darin stimmen verschiedene Laryngoskopiker \u00fcberein. Namentlich konnte sich Oertel vermittelst der oben beschriebenen Methode (s. S. 97) davon \u00fcberzeugen, dass je h\u00f6her die T\u00f6ne der Fistelstimme, um so schm\u00e4ler die frei schwingenden R\u00e4nder der Stimmb\u00e4nder wurden.\nAuf diesen verschiedenen Mechanismen, insonderheit auf demjenigen des Spannens und Verk\u00fcrzens der Stimmb\u00e4nder, beruht nach einer treffenden Bemerkung von Br\u00fccke1 h\u00f6chst wahrscheinlich die einhellige Angabe der S\u00e4nger, dass, wenn sie angesetzt h\u00e4tten zu einem gewissen Tone, sie dann durch eine Reihe von T\u00f6nen aufsteigen k\u00f6nnten, ohne etwas in ihrem Kehlkopfe zu ver\u00e4ndern, dass sie aber dann, wie sie sich ausdr\u00fccken, einen neuen Einsatz nehmen m\u00fcssten, um wieder weiter im Tone aufsteigen zu k\u00f6nnen. Es erkl\u00e4rt sich dies so, dass sie erst ihre Giessbeckenknorpel und ihre Processus vocales fixiren, dann durch Anspannen der Stimmb\u00e4nder mittels des Crico-thyreoideus aufsteigen, so weit sie k\u00f6nnen, dann aber, wenn sie noch weiter aufsteigen wollen, erst ihre Processus vocales st\u00e4rker an- oder \u00dcbereinanderdr\u00e4ngen, mit einer schw\u00e4cheren Spannung der Stimmb\u00e4nder anfangen und nun wiederum durch st\u00e4rkere Spannung der Stimmb\u00e4nder aufsteigen.\n1 Br\u00fccke, Vorlesungen \u00fcber Physiologie I. S. 506. Wien 1874.","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. III. St\u00e4rke der Stimme.\nIII. Die St\u00e4rke der menscliliclieii Stimme nebst Bemerkungen \u00fcber ihre Genauigkeit.\nSo wie die Zunge einer Pfeife bei st\u00e4rkerem Blasen in weiteren Excursionen schwingt und zu lauteren T\u00f6nen Veranlassung giebt, so sieht man auch caeteris paribus die Stimmb\u00e4nder in weiten Bogen ihre Excursionen vollziehen, wenn laut und kr\u00e4ftig, dagegen schwach erzittern, wenn leise und schwach gesungen oder gesprochen wird. Obwohl sie nun selbst nicht (oder so gut wie nicht) t\u00f6nen, liegt doch in dem Grade, in welchem sie von ihrer Gleichgewichtslage abgelenkt werden, ein Maass f\u00fcr die Kraft des jedesmaligen Stosses, welcher von den benachbarten Lufttheilchen auf sie \u00fcbertragen wird. Hiernach ist f\u00fcr die Hervorbringung einer lauten Stimme, mag man dieselbe im Ges\u00e4nge oder in der Sprache anwenden, nothwendig ein hoher Exspirationsdruck, wie das einem Jeden aus der allt\u00e4glichen Erfahrung bekannt ist und wie es auch direct an Leuten mit Trachealfisteln gezeigt werden kann.\nDa nun aber membran\u00f6se (ausschlagende) Zungen durch st\u00e4rkeres Anblasen ihren Ton erh\u00f6hen (nicht selten um eine Quinte), so ist es klar, dass, wenn wir ein und denselben Ton crescendo singen, die Stimmb\u00e4nder selbst andere werden, d. h. zu an und f\u00fcr sich langsamer schwingenden Gebilden umgewandelt werden m\u00fcssen. Diese tiefere Stimmung kann nun wiederum auf doppelte Weise erzielt werden, einmal durch Entspannung, das andere Mal durch Ver-gr\u00f6sserung der schwingenden Massen.\nDass ersterer Mechanismus beim Crescendosingen eines Tones vorkommt, d\u00fcrfte aus folgendem, bereits von Liskovius beschriebenen Vorg\u00e4nge sich ergeben. Wenn man einen mittleren Ton piano einsetzt und dann allm\u00e4hlich zum forte und fortissimo \u00fcbergeht, so sinkt hierbei gew\u00f6hnlich der Kehlkopf mehr und mehr abw\u00e4rts, was, wie wir oben (S. 43) gesehen, immer mit einer gewissen Entspannung der Stimmb\u00e4nder Hand in Hand geht. Hiermit \u00fcbereinstimmend, konnten beim Crescendosingen eines Tones auch Merkel1 und Battaille'2 an sich eine Verk\u00fcrzung und Entspannung der Stimmb\u00e4nder vermittelst des Kehlkopfspiegels beobachten.\nZu gleicher Zeit \u00f6ffnet sich aber auch die Stimmritze immer mehr in ihren hinteren Partieen. Die Giessbeckenknorpel und ihre Umgebungen schwingen gleichzeitig mit den Stimmb\u00e4ndern mit; und der Ton w\u00fcrde in Folge der gr\u00f6sseren schwingenden Massen sinken m\u00fcssen, wenn eben der Luftdruck sich nicht entsprechend vermehrte. (Bruns.3)\n1\tMerkel, Die Functionen des menschlichen Schlund- und Kehlkopfes.\n2\tBattaille, Gaz. hebd. No. 20, 24. Paris 1861.\n3\tBruns, Die Laryngoskopie etc. S. 104. T\u00fcbingen 1865.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"St\u00e4rke der menschl. Stimmcompensation. Genauigkeit der menschl. Stimme. 117\nWird andererseits an den S\u00e4nger die Anforderung gestellt, einen Ton abschwellen zu lassen, so vollziehen sich die umgekehrten Vorg\u00e4nge. Der Kehlkopf steigt etwas in die H\u00f6he (Liskovius), die B\u00e4nder werden hierdurch mehr gespannt und ausserdem in ihren schwingenden Partieen durch Verschluss von hinten her verk\u00fcrzt.1 Schliesslich betheiligen sich auch noch die Muskeln der Epiglottis und des Kehlkopfeinganges beim An- und Abschwellen von T\u00f6nen. Die Epiglottis senkt sich, der Kehlkopfeingang verkleinert sich bei starken ; das Umgekehrte tritt ein bei schwachen T\u00f6nen.\nAus all\u2019 diesen complicirten Muskelactionen erkl\u00e4rt es sich, wie Joh. M\u00fcller mit Recht sagt, warum das Schwellen und Schw\u00e4chen der T\u00f6ne, ohne ihren musikalischen Werth zu \u00e4ndern, selbst f\u00fcr ge\u00fcbte S\u00e4nger so schwer und f\u00fcr unge\u00fcbte ohne Detonation auf die eine oder andere Art ganz unm\u00f6glich ist. Weiterhin erkl\u00e4rt sich hieraus die Schwierigkeit, einen hohen Ton und zwar im Brustregister .piano zu singen und namentlich ihn piano einzusetzen, weil dabei die Stimmb\u00e4nder ungemein stark gespannt sein m\u00fcssen, damit auch bei schwachem Luftdruck doch noch ein hoher Ton erzeugt werde. Im Fistelregister jedoch, wo die Spanner der Stimmb\u00e4nder nicht in so kraftvolle Action gesetzt zu werden brauchen (denn sie haben nicht wie im Brustregister gegen den stark con-trahirtenM. vocalis und Crico-aryt. lat. anzuk\u00e4mpfen), ist bekanntlich Nichts leichter, als hohe T\u00f6ne piano zu singen und einzu setzen.\nWenn wir nun irgend einen Ton in beliebiger St\u00e4rke singen wollen, so wissen wir aus Erfahrung und Uebung, dass einerseits durch die Exspirationsmuskeln die Luft mit einer gewissen Kraft ausgetrieben werden muss und dass andererseits die Stimmb\u00e4nder in die f\u00fcr die St\u00e4rke und H\u00f6he des Tones passende Stellung und Spannung durch bestimmte Actionen der Kehlkopfmuskeln gebracht werden m\u00fcssen. In der schnellen und sicheren Handhabung aller dieser Muskeln beruht \u2014 ein normales musikalisches Geh\u00f6r vorausgesetzt, das ist die F\u00e4higkeit, die T\u00f6ne nach ihrer H\u00f6he richtig zu beurtheilen und aufzufassen \u2014 das Treffen der T\u00f6ne und, wenn man will, die Grundlage des Gesanges \u00fcberhaupt.\nGanz k\u00fcrzlich haben \u00fcber die Genauigkeit der menschlichen Stimme, d. h. also \u00fcber die Feinheit der eben besprochenen compensatorischen\n1 Bataille (1. c. p. 384) sagt: Pour un m\u00eame son l\u2019accroissement d\u2019intensit\u00e9 d\u2019un courant d\u2019air d\u00e9t\u00e9rmine une tension moins forte des ligaments et une plus grande ouverture de la glotte en arri\u00e8re. Bei mir \u00e4ndert der Kehlkopf seine Stellung bei diesen Vorg\u00e4ngen so gut wie gar nicht; ich compensire, wie es scheint, nicht durch ver\u00e4nderte Spannung, sondern nur durch Vergr\u00f6sserung oder Verkleinerung der schwingenden Massen. Ja es machte mir sogar oftmals den Eindruck, als vermehre sich sogar die Spannung der Stimmb\u00e4nder, wenn ich ein und denselben mittleren Ton im Brustregister lauter sang.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. III. St\u00e4rke der Stimme.\nVorrichtungen Hensen und Kl\u00fcnder 1 geistvolle Experimente angestellt. Hensen untersuchte nach dem LissAJous\u2019schen Princip die Bilder, welche eine angesungene K\u00f6NiG\u2019sche Flamme in einem horizontal oscillirenden Spiegel entwarf, der vertical an die Zinke einer Stimmgabel befestigt war. Befanden sich der Ton der Stimme und der Stimmgabel genau im Einklang, beziehungsweise in einem consonanten Verh\u00e4ltnis, so wurden in dem Spiegel ruhende Flammenbilder beobachtet, schwankte jedoch die Tonh\u00f6he der Stimme nach oben oder nach unten, so zeigten die Bilder eine Bewegung nach links oder nach rechts, wie Aehnliches von den LissAJOUs\u2019schen Stimmgabelcurven bekannt ist. Dabei stellte sich heraus, dass keine Stimme auf die Dauer den Ton genau halten kann.\nDes Genaueren pr\u00fcfte vermittelst einer anderen Methode dieselbe Angelegenheit Kl\u00fcnder. Er zeichnete mit Hilfe eines Doppelphonautographen (s. Cap. Vocale) sowohl die Schwingungen der Stimmb\u00e4nder als die einer Tonquelle von constanter H\u00f6he (einer Orgelpfeife) \u00fcbereinander auf einem rotirenden Cylinder auf. Hierzu bediente er sich zweier Metallr\u00f6hren, deren einander zugewendete Enden mit je einer Membran \u00fcberspannt waren, welche Zeichenstifte trugen. In die eine Rohre wurde gesungen, in die andere mit der Pfeife geblasen. Es ergab sich ebenfalls, dass die Genauigkeit der compensatorischen Vorrichtungen keine absolute war. Ein Fehler von 0,357 \u2014 1,54 pCt., d. h. 0,357 \u2014 1,54 Schwingungen mehr oder weniger auf 100, kam bei den besten S\u00e4ngern in ihren mittleren Stimmlagen vor.\nAus dem mittleren Fehler, der h\u00f6chstens gemacht werden darf, damit ein feines Ohr den Ton noch in seiner richtigen H\u00f6he erkennt, und aus der Zahl der einzelnen (ganzen) T\u00f6ne \u00fcberhaupt, die ein normaler menschlicher Kehlkopf erzeugen kann, ist man im Stande, festzustellen, wie weit von einander entfernte T\u00f6ne wir \u00fcberhaupt zu bilden verm\u00f6gen. Kl\u00fcnder nimmt an, dass wir h\u00f6chstens in Intervallen von etwa einem viertel Ton mit unserem Stimmorgan auf- oder abw\u00e4rts steigen k\u00f6nnen.\nAusserdem sind, wie bereits bei der Charakterisirung der Register erw\u00e4hnt, noch folgende Umst\u00e4nde f\u00fcr die St\u00e4rke der menschlichen Stimme von Belang. Das Brustreg.ister enthielt die vollen lind kr\u00e4ftigen, die Fistel und der Strohbass dagegen mehr die d\u00fcnnen, leeren und klangarmen T\u00f6ne. So wie diese T\u00f6ne an und f\u00fcr sich schwach sind, so sind sie auch einer bedeutenden Verst\u00e4rkung und Schwellung nicht f\u00e4hig; die Fistelt\u00f6ne deshalb nicht, weil bei der gr\u00f6sseren Stimmritze zu viel Luft entweicht und die zur\u00fcckbleibende nicht so stark gespannt werden kann und die Strohbass- oder \u00fcberhaupt die tiefen Basst\u00f6ne, zum Theil aus demselben Grunde, zum Theil deshalb, weil bei ihnen schon ein sehr geringer Luftdruck gen\u00fcgt, um die schlaffen B\u00e4nder stark auseinander zutreiben und die Luft rasch entweichen zu lassen.\nSchliesslich ist, wie bei jedem musikalischen Instrument, die\n1 Hensen u. Kl\u00fcnder, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1879. Physiol. Abth. S. 119.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Yon den resonirenden Apparaten. Detoniren, Geheul. Auf h\u00f6ren der Stimme. 119\nResonanz der letzte Factor, der sowohl bei der St\u00e4rke der Stimme einer, wie verschiedener Personen besonders ins G-ewicht f\u00e4llt. Da Luftr\u00e4ume mit gespannten Wandungen besser resoniren, als solche mit schlaffen, so ist es leicht verst\u00e4ndlich, dass der aufgebl\u00e4hte Thorax (die Lungen sowohl wie der kn\u00f6cherne Brustkorb) mit der in ihm befindlichen comprimirten Luft besser die Stimme wiederhallen l\u00e4sst, als der im Exspirationszustand befindliche. Wollen wir deshalb mit lauter, gehobener Stimme sprechen, so muss auch unsere Brust gehoben sein, unsere Lungen gespannt und mit viel Luft erf\u00fcllt. Hierzu kommt, dass wir, wie jegliches h\u00f6here G-esch\u00f6pf, welches laut zu schreien oder zu rufen sich anschickt, den Kopf hoch nehmen und damit die ganze Luftr\u00f6hre und die auf ihr liegende \u00e4ussere Haut stark anspannen, auf dass diese nicht als schlaffe schwere Masse d\u00e4mpfend auf die Ersch\u00fctterungen der Luftr\u00f6hre ein wirke.\nSo wie die Resonanzbedingungen bei einem Individuum ver\u00e4ndert werden k\u00f6nnen, so sind sie nat\u00fcrlich von Haus'aus verschieden bei verschiedenen Individuen. Hierauf beruht \u2014 abgesehen von der gr\u00f6sseren Kraft der Muskeln \u2014 die kr\u00e4ftigere, lautere Stimme des Mannes, im Vergleich mit der schw\u00e4cheren und milderen des Weibes oder Kindes, die mattere Stimme des Greises im Vergleich zu der kraftvolleren der Jugend und so fort.\nWeitere Bemerkungen \u00fcber die Schwankungen in der H\u00f6he und St\u00e4rke unserer Stimmt\u00f6ne.\nWie die Untersuchungen Hensen\u2019s und Kl\u00fcnder\u2019s lehren, ist auch der ge\u00fcbteste S\u00e4nger nicht im Stande, l\u00e4ngere Zeit einen Ton von absolut derselben H\u00f6he auszuhalten. Bewegen sieh jedoch die Schwankungen in den oben erw\u00e4hnten Grenzen, so werden sie auch von dem ge\u00fcbten Ohre nicht bemerkt, sie fallen jedoch h\u00f6chst unangenehm auf, sobald sie diese Grenzen \u00fcberschreiten. Man spricht dann von Detoniren der Stimme oder, wenn sich das allm\u00e4hliche Heben und Senken des Tones gar \u00fcber mehrere Stufen erstreckt, von einem Geheul. Bei diesem tritt gew\u00f6hnlich beides, sowohl ein Heben, wie am Schluss ein geringes Senken der Stimme auf. Letzteres allein, zumal wenn der Ton zugleich an H\u00f6he und St\u00e4rke verliert, macht auf uns einen kl\u00e4glichen Eindruck, wir bezeichnen eine derartige Stimmgebung mit Gejammer.\nAuch das Aufh\u00f6ren der Stimme hat, wie leicht begreiflich, einen Einfluss auf die Stimmh\u00f6he. Indem hierbei der Exspirationsdruck weder momentan auf 0 sinkt, sondern allm\u00e4hlich abnimmt, noch auch die Stimmb\u00e4nder momentan aus der Phonationsstellung in die Respirationsstellung \u00fcbergehen, ereignet es sich, dass der Ton am Schluss ein wenig sinkt oder, wie der technische Ausdruck lautet, \u201e heruntergezogen \u201c wird.","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. III. St\u00e4rke der Stimme.\nDieses Herunterziehen tritt um so leichter ein, je h\u00f6her f\u00fcr den S\u00e4nger die T\u00f6ne sind und je l\u00e4nger sie ausgehalten werden m\u00fcssen, je gr\u00f6sser also die seiner Brust und Kehlkopfmuskeln zugemuthete Arbeit ist. Da namentlich am Ende eines l\u00e4ngeren Tones der Luftdruck zuletzt etwas nachl\u00e4sst, so muss ein hoher Ton um so sicherer sinken, je weniger dem S\u00e4nger noch Mittel zu Gebote stehen, die Stimmb\u00e4nder st\u00e4rker zu spannen oder irgendwie compensatorisch zu wirken.\nWir k\u00f6nnen nun aber auch die Stimme dadurch aufh\u00f6ren lassen, dass wir die Stimmritze schnell schliessen und, was gew\u00f6hnlich damit verbunden ist, die Th\u00e4tigkeit der Exspirationsmuskeln einstellen. Indessen dieser Mechanismus kommt beim Ges\u00e4nge und auch in unserer Sprache \u00e4usserst selten vor.1 Die T\u00f6ne werden dann gewissermassen abgeschnitten, es macht den Eindruck, als seien sie \u201e in der Kehle stecken geblieben Ein derartiger Mechanismus des Aufh\u00f6rens pr\u00e4disponirt nicht zum Herunter-, sondern zum in die H\u00f6he ziehen der T\u00f6ne, weil der Druck der Exspirationsluft in der Zeit des Verschlusses etwas steigt.\nDer dritte Mechanismus, die Stimme abzubrechen, besteht darin, dass man einfach, wie bei einer Zungenpfeife, auf h\u00f6rt zu blasen. Er ist jedoch, weil allzu sehr die Detonation beg\u00fcnstigend, kaum- in Gebrauch. Koch bevor der Ton sinkt, \u00d6ffnen wir die Stimmritze und machen dem Tone ein Ende ; ihm schliesst sich daher fast regelm\u00e4ssig ein starkes oder kaum h\u00f6rbares Hauchger\u00e4usch an.\nWeiter ist hier zu erw\u00e4hnen das Tremuliren oder Beben der Stimme, dadurch charakterisirt, dass die H\u00f6he und namentlich die St\u00e4rke eines Tones innerhalb geringer Grenzen hin und her schwankt. Nach Merkel vollzieht sich dieses Schwanken beim Sopran 12 \u201418 mal, beim Bass 8\u201410 mal in der Secunde. W\u00e4hrend des Tremulirens beobachtete Merkel mit dem Kehlkopfspiegel, dass bei jedem Tremolostosse die Giessbeckenknorpel ein wenig nach hinten r\u00fccken, der Kehldeckel sich etwas nach vorn bewegt und die Kehlkopfsapertur weiter wird.\nDa der Vorgang im Kehlkopfe, welcher dem Tremuliren zu Grunde liegt, im Wesentlichen ein Zittern ist, welches vorn\u00e4mlich in Momenten heftiger psychischer Erregung oder in Folge k\u00f6rperlicher Schw\u00e4chezust\u00e4nde uns bef\u00e4llt, so wird auch das Tremolo als Ausdruck einer bewegten oder ersch\u00fctterten Gem\u00fcthsstimmung im Ges\u00e4nge verwerthet.\nDer Schrei schliesslich charakterisirt sich ebenfalls durch die St\u00e4rke des Stimmtones und die Schwankung in der H\u00f6he. In Folge der ungemeinen Kraft, mit welcher beim Schrei die Muskeln der Brust und des Kehlkopfes in Th\u00e4tigkeit gerathen, wird eine regelm\u00e4ssige Klangbildung gest\u00f6rt; die Schreit\u00f6ne sind daher reich an dissonanten Obert\u00f6nen und Ger\u00e4uschen verschiedener Art. Nichtsdestoweniger hat Colombat de l\u2019Is\u00e8re2 die verschiedenen Schreie in Noten darzustellen versucht, die ich der Originalit\u00e4t halber hier folgen lasse :\n1\tWir gebrauchen, wie Sievers (Grundz\u00fcge der Lautphysiologie. Leipzig 1876) mit Hecht ausf\u00fchrt, diesen \u201eAbsatz\u201c, wo wir zwei benachbarte, namentlich gleiche Vocale scharf von einander trennen wollen, ferner in solchen, in \u00e4rgerlichem Affect gesprochenen W\u00f6rtchen, wie da, wo. Nicht selten wird dann, nachdem die Stimme durch Kehlkopverschluss aufgehoben ist, dieser Verschluss noch einmal gesprengt, so dass ein intensiver Hauchlaut auf ihn folgt.\n2\tColombat de l\u2019Is\u00e8re, Maladies des organes de la voix p. 112. Paris 1834.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Unreine und belegte Stimme. Fl\u00fcsterstimme.\n121\nNr. 1 soll den Schrei ausdr\u00fccken, den Jemand ausst\u00f6sst im Moment des Verbrennens, Nr. 2 den Schrei, den ein mit einem Messer Geschnittener h\u00f6ren l\u00e4sst, Nr. 3 den bei einer heftigen Gem\u00fcthsbewegung, Nr. 4 den durch einen j\u00e4hen Schreck bei drohender Gefahr, Nr. 5 zeigt den Schrei bei der Entbindung, Nr. 6 den Freudenschrei.\nIV. Weitere Besonderheiten der menschlichen\nStimme.\nI. Die unreine und belegte Stimme.\nWir nennen einen Klang dann rein, wenn er frei ist von st\u00f6renden Ger\u00e4uschen und solchen Obert\u00f6nen, die wegen ihrer bedeutenden Intensit\u00e4t und geringen Verschiedenheit in ihrer H\u00f6he zu starken Discontinui-t\u00e4ten in dem Klange selbst Veranlassung geben und ihn f\u00fcr unser Ohr schreiend, rauh, kratzend u. s. w. erscheinen lassen.\nWenn bei allzu kr\u00e4ftiger Stimmgebung die Stimmb\u00e4nder aneinanderschlagen oder wenn sie in irgend welchem Affecte bei der Sprache kr\u00e4ftig aneinandergepresst werden, so wird die Stimme in Folge oben geschilderter Discontinuit\u00e4ten rauh und scharf ; wenn sich andererseits Unregeh m\u00e4ssigkeiten im Schluss der Stimmb\u00e4nder bemerklicli machen, sei es dass sie in Folge von katarrhalischer Schwellung nicht gut schliessen, sei es dass Schleimmassen die Regelm\u00e4ssigkeit ihrer Schwingung beeintr\u00e4chtigen, so leidet ebenfalls die Reinheit der Stimme, sie wird heiser und belegt. Wenn gar Schleimhautwucherungen oder Polypen sich an den Stimmb\u00e4ndern bilden, so ist hochgradige Heiserkeit und selbst vollst\u00e4ndige Stimmlosigkeit eine bekanntlich sehr h\u00e4ufig beobachtete Erscheinung.\nDer reinen Stimme entgegen steht ferner in gewisser Beziehung die verschleierte, von einem hauchenden Ger\u00e4usche begleitete. Man kann sie sehr leicht erzeugen, wenn man die Glottis intercartilaginea in Form eines Dreiecks offen l\u00e4sst, aber die Stimmforts\u00e4tze kr\u00e4ftig gegen einander presst. Ich hajbe mich \u00fcberzeugt, dass \u2014 in einigen F\u00e4llen \u2014 sogenannte verschleierte, matte Stimmen durch einen \u00e4hnlichen unvollkommenen Schluss der Stimmritze gebildet werden.\nII. Die Fliisterstimme.\nSie verdient eigentlich diesen Namen nicht, da bei ihr die Stimmb\u00e4nder, beziehungsweise die durch sie hindurchstreichende Luft nicht in rhythmische Bewegungen versetzt werden, welche der Stimme den Klang verleihen. Diese Stimme ist vielmehr klanglos und setzt sich nur aus","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. IV. Besonderh.d.Stimme.\nFig. 52. Fl\u00fcsterstimme.\narhythmischen Ersch\u00fctterungen der Luft zusammen, sie ist ein Ger\u00e4usch. Werden n\u00e4mlich die Stimmb\u00e4nder einander bis auf einen schmalen Spalt gen\u00e4hert, dessen Gestalt zuerst Czermak 1 genauer beschrieb, so bewirkt die durch jene Enge tretende Luft, je nach der St\u00e4rke des Luftstromes, ein st\u00e4rkeres oder leiseres Reibeger\u00e4usch. Der Kehlkopf bietet dann ein Bild dar, wie das nebenstehende (Fig. 52), der Arbeit von Czermak entlehnte. Man sieht, dass die wahren Stimmb\u00e4nder durch die mit ihren Spitzen nach innen convergirenden Proc, vocales einen vorspringenden Knick erhalten. Je mehr diese Spitzen einander sich n\u00e4hern, so dass schliesslich nur noch die Glottis intercartilaginea offen bleibt, um so st\u00e4rker und heiserer wird das Ger\u00e4usch, welches nach Br\u00fccke demjenigen \u00e4hnlich ist, das man h\u00f6rt, wenn man Wasser in einem nicht zu grossen metallenen Gef\u00e4sse allm\u00e4hlich bis zum Sieden erw\u00e4rmt.\nDieses Ger\u00e4usch ist die Fl\u00fcsterstimme ; sie wird von uns in der Sprache dann angewendet, wenn nur eine geringe Entfernung die Sprechenden trennt und der laute Klang der Stimme vermieden werden soll, oder wenn er in Folge von Erkrankungen der Stimmb\u00e4nder (L\u00e4hmungen) \u00fcberhaupt nicht gebildet werden kann. \u2014 Das Ger\u00e4usch der Fl\u00fcsterstimme, welches, wie oben gezeigt, im Kehlkopfe entsteht und durch das Ansatzrohr selbstverst\u00e4ndlich modificirt wird, kann man auch k\u00fcnstlich durch ein anderes im Pharynx erzeugtes substituiren. Deleau1 2 3 f\u00fchrte einen Schlauch durch den unteren Nasengang in den Pharynxraum, blies Luft durch und ahmte so, indem er den Mundtheilen die n\u00f6thige Stellung gab, die Fl\u00fcstersprache t\u00e4uschend nach. Die freilich von ihm und Milne Edwards 3 gezogene Schlussfolge, dass auch f\u00fcr gew\u00f6hnlich die Entstehungsursache der Fl\u00fcsterstimme nicht im Kehlkopfe, sondern im Ansatzrohre zu suchen sei, ist aus diesem Experiment ebensowenig abzuleiten, wie aus der Angabe, dass Leute, welche wegen Verwachsung der Glottis durch den Kehlkopf gar nicht athmen konnten, dennoch mit Fl\u00fcstersprache sich zu verst\u00e4ndigen lernten.4 Diese Leute verwenden dann die Muskulatur ihrer Wangen, Lippen u. s. w. mit solcher Gewandtheit, dass sie, wenn auch kurz dauernde Luftstr\u00f6me und die den Lauten entsprechenden Ger\u00e4usche mit wenigen Ausnahmen ziemlich deutlich erzeugen k\u00f6nnen.\nIII. Die Nasenstiumie und die n\u00e4selnde Stimme.\nWenn man auch im Allgemeinen dar\u00fcber einig ist, wie der Klang irgend eines Instrumentes oder einer menschlichen Stimme beschaffen sein\n1\tCzermak, Der Kehlkopfspiegel S. 85. Leipzig 1863.\n2\tDeleau, Nouvelles recherches physiologiques sur les \u00e9l\u00e9ments de la parole. M\u00e9moire lu \u00e0 l\u2019Acad\u00e9mie des sciences. 26 juin 1830 et publi\u00e9 1838.\n3\tMilne Edwards, Le\u00e7ons sur la physiologie compar\u00e9e XII. p. 486. Paris 1876 bis 1877.\n4\tJourn. d. physiol. IX. p. 119.1829; Arch. g\u00e9n. d. m\u00e9d. May 1856; Bourgeut, Oblit\u00e9ration de la glotte etc. ; Czermak, Molesch. Unters. VI. S. 275.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Nasenstimme und n\u00e4selnde Stimme. Die Ursachen der n\u00e4selnden Stimme. 123\nmuss, damit wir ihn n\u00e4selnd nennen, und wenn man ausserdem durch die Untersuchungen von Helmholtz weiss, dass ein Klang dann einen n\u00e4selnden Charakter annimmt, wenn in ihm zwar viele, aber nur ungeradzahlige Obert\u00f6ne enthalten sind, so ist doch der Mechanismus und die Art und Weise, wie der Nasenton der Stimme gebildet wird, noch nicht \u00fcber allen Zweifel erhaben. So viel ist sicher, dass die Nasenstimme immer dann zu Stande kommt, wenn die Hohlr\u00e4ume der Nase und ihre Umgebung in ausreichend starke resonirende Schwingungen gerathen. Je nach der Art und St\u00e4rke dieser Resonanz gegen\u00fcber derjenigen in der Mundh\u00f6hle m\u00fcssen wir eine Nasenstimme und eine n\u00e4selnde unterscheiden.\nZun\u00e4chst ist hervorzuheben, dass die Luft in der Nasenh\u00f6hle auch beim Aussprechen reiner, nicht nasalirter Laute nicht absolut ruhig ist, sondern stets, wenn auch in geringem Grade, mitschwingt, ja dass sogar ein Tlieil des t\u00f6nenden Luftstromes geradezu durch die Nase entweicht, eine Thatsache, von der sich bereits Liskovius1 \u00fcberzeugt hat. \u201eWenn man\u201c, so \u00e4ussert er sich in seinem inhaltreichen Buche mit bekannter K\u00fcrze und Sch\u00e4rfe, \u201e einen seiner mittleren oder tieferen T\u00f6ne auf den Vokal A m\u00f6glichst frei von Nasenton angiebt und w\u00e4hrend seines T\u00f6nens eine abgekiililte polirte Stahlfl\u00e4che aufw\u00e4rts an die Oberlippe h\u00e4lt, die aus dem Munde str\u00f6mende Luft aber durch ein zwischen den Mund und den Stahlk\u00f6rper gehaltenes Brettchen oder dergl. von dem Stahle ableitet, so l\u00e4uft dennoch der Stahl an, ein offenbarer Beweis, dass dabei einiger Athem durch die Nase geht, und doch ohne Nasenton. Ist daher der Nasencanal regelm\u00e4ssig beschaffen, und wird nur so viel Luft herausgelassen, als ungehemmt hindurchstr\u00f6men kann, so entsteht dadurch eine Vermehrung der Resonanz, aber kein Nasenton. \u201c\nWenn wir nun jetzt nach der allgemeinen Meinung die Resonanz der Nasenh\u00f6hlen auf das Maximum verst\u00e4rken, indem wir bei geschlossenem Munde beliebige hohe oder tiefe T\u00f6ne singen, so treiben wir zwar die gesammte Exspirationsluft bei offenem Gaumensegel selbstverst\u00e4ndlich durch die Nase hindurch, wir produciren summend den Laut m, aber die Stimme ist durchaus nicht n\u00e4selnd und wird es auch nicht, selbst wenn wir mit aller Kraft singen, sodass sogar die Nasenfl\u00fcgel heftig zittern. Wir k\u00f6nnen die Stimme in Folge dieser Vorg\u00e4nge, weil sie durch die Nase entweicht, eine Nasenstimme nennen, werden aber den auf diese Weise producirten Stimmkl\u00e4ngen nie den Charakter des N\u00e4selnden beilegen : Also scheinbar starke Resonanz in der Nasenh\u00f6hle und doch keine n\u00e4selnde Stimme.\ni. Die h\u00e4ufigsten Ursachen der n\u00e4selnden Stimme.\nWas geschieht nun, wenn wir entweder bei geschlossenem oder ge\u00f6ffnetem Munde der Stimme den n\u00e4selnden Charakter verleihen?\nDiese auff\u00e4llige Aenderung in der Klangfarbe vollzieht sich in der Weise, dass wir zun\u00e4chst den Kehlkopf in die H\u00f6he ziehen, das Gaumensegel offen halten und, je auff\u00e4lliger das N\u00e4seln hervortreten soll, das Hintertheil der Zunge dem Gaumen mehr und mehr entgegenheben. Wenn\n1 Liskovius, S. 64.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124 Ge\u00fctz\u00eeter, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. 1Y. Besonderh.d.Stimme.\nhierbei die Lippen geschlossen sind, so wird der Klang des m (oder genauer , des Klanges, den wir bei geschlossenen Lippen produciren) ein n\u00e4selnder; sind sie ge\u00f6ffnet, so werden die je nach Gr\u00f6sse und Gestalt der Mundh\u00f6hle gebildeten Vocale nasalirt.\nZun\u00e4chst muss es auffallen, dass, wenn bei der Erzeugung des m die ganze t\u00f6nende Luftmasse durch die Nase hindurchgetrieben wird, die Stimme doch keineswegs den n\u00e4selnden Charakter annimmt, w\u00e4hrend eine geringe Aenderung in der Stellung des Kehlkopfes und seiner Umgebung die Stimme in so auff\u00e4lliger Weise ver\u00e4ndert. Dies beruht nun auf Folgendem :\nDer Ton, welcher gew\u00f6hnlich geh\u00f6rt wird, wenn wir bei geschlossenen Lippen die Stimme t\u00f6nen lassen, hat einen brummenden, dumpfen Klang und erinnert an das U. Er enth\u00e4lt auch, wie dieser Vocal, nur wenig Obert\u00f6ne von nennenswerther St\u00e4rke ; blos der erste Partialton ist gut h\u00f6rbar, alle h\u00f6heren aber sind \u00e4usserst schwach. Sie sind es deshalb, weil das Ansatzrohr, welches bekanntlich die Klangfarbe bedingt, im vorliegenden Falle ein, beziehungsweise mehrere grosse Hohlr\u00e4ume mit engen Ausgangs\u00f6ffnungen darstellt, n\u00e4mlich: die Mundh\u00f6hle, die Nasenh\u00f6hlen und den hinter ihnen liegenden Nasenrachenraum, welcher von dem tief stehenden Kehlkopfe bis zur Basis cranii heraufreicht. Mund- und Rachenh\u00f6hle aber sind, abgesehen von ihrer Gr\u00f6sse, auch von schlaffen Wandungen umgeben, welche die Existenz hoher Obert\u00f6ne, auch wenn sie urspr\u00fcnglich im Klange vorhanden sind, vernichten. \u2014 Je mehr wir aber den Kehlkopf heben und die Zunge nach hinten dr\u00e4ngen, um so mehr verkleinern wir jenen Raum und seine Communication mit dem Kehlkopfe, wogegen in Folge des tief gesenkten Gaumensegels eine weite Communication mit den Nasenh\u00f6hlen hergestellt wird. In ihnen und so gut wie in ihnen allein findet jetzt die Resonanz statt, die in Folge der Kleinheit jener H\u00f6hlen und ihrer festen elastischen W\u00e4nde nat\u00fcrlich die Verst\u00e4rkung der h\u00f6heren Obert\u00f6ne beg\u00fcnstigt.\nVon der Richtigkeit dieser Thatsaehe kann man sich subjectiv und objectiv \u00fcberzeugen. Wenn man n\u00e4mlich beim Brummen mit geschlossenem Munde sich mit den Fingern die Ohren verstopft, so h\u00f6rt man ein m\u00e4ssig starkes Summen im Kopf; n\u00e4selt man dagegen, ohne die Hohe oder St\u00e4rke des Tones zu ver\u00e4ndern, so schwirrt der Kopf auf das heftigste. Einen \u00e4hnlichen Unterschied empfindet man, wenn man ebenfalls bei verstopften Ohren die verschiedenen Vokale, am besten A und I singt; A klingt wie von fern, bei I dr\u00f6hnt der Kopf in Folge der st\u00e4rkeren Ersch\u00fctterungen der kn\u00f6chernen Nasenh\u00f6hlen und der Kopfknochen \u00fcberhaupt.\nAndererseits kann man sich auch objectiv davon \u00fcberzeugen, dass bei der brummenden Nasenstimme die Wangen sehr stark, bei der n\u00e4selnden dagegen so gut wie gar nicht ersch\u00fcttert werden. Das lehrt die einfache Betastung mit dem Finger oder das Aufsetzen eines kleinen Trich-terchens auf die Wange, nachdem man sein spitzes Ende mit der K\u00f6nig-schen Kapsel in Verbindung gebracht hat. In dem einen Falle zuckt die Flamme hoch auf und nieder, in dem anderen kaum.\nDie Bewegung undTh\u00e4tigkeit des Gaumensegels als des wichtigsten Muskelapparates bei Erzeugung der n\u00e4selnden Stimme bedarf","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Function des Gaumensegels.\n125\nnoch einer ausf\u00fchrlicheren Auseinandersetzung. Passavant1 hat dar\u00fcber h\u00f6chst interessante Untersuchungen angestellt; er hat erstens den Mechanismus des Verschlusses2 genauer kennen gelehrt (s. S. 70) und ausserdem die Grenzen festgestellt, bis zu welchen etwa das Gaumensegel ge\u00f6ffnet sein kann, ohne der Stimme den nasalen Klang zu gehen.\nGummir\u00f6hren, elastische Katheter wurden zwischen Gaumensegel und hintere Pharynxwand geschoben, so dass sie die Communication des Rachen- und Nasenraumes unterhielten. Und doch trat selbst bei R\u00f6hrchen Von der Dicke von 10 mm. (Lumen = 6 mm.) keine n\u00e4selnde Sprache auf, wenn nur Vocale gesprochen oder gesungen wurden, w\u00e4hrend schneller und rapider Druckwechsel in der Mundh\u00f6hle bei der Aus-f spr\u00e4che von T und P u. s. w. die Stimme n\u00e4selnd machte, offenbar, weil dann ein kr\u00e4ftigerer Luftstrom gerade gegen die Nasenh\u00f6hlen sich richtete und die oben geschilderte Resonanz der kleinen Nebenh\u00f6hlen bewirkte.\nDer Verschluss des Gaumensegels ist denn auch f\u00fcr gew\u00f6hnlich keineswegs immer so dicht und fest; geringe Oeffnungen erzeugen noch [ nicht den nasalen Klang und sie erzeugen ihn um so weniger, je mehr die Stimme aus der der Sprache in die des Gesanges sich umwandelt und je tiefere T\u00f6ne erzeugt werden.3\nLonget4 macht darauf aufmerksam, dass Leute, welche in Folge von Gaumendefecten Obturatoren tragen, beim Sprechen h\u00e4ufig eine stark n\u00e4selnde Stimme haben, w\u00e4hrend sie sich der sch\u00f6nsten Stimme von der Welt erfreuen, die absolut frei ist von jeglichem n\u00e4selnden Charakter, sobald sie singen.\nDieselbe Beobachtung machte auch Passavant, der den vollkommenen Abschluss der Nasenh\u00f6hle von der Mundh\u00f6hle beim Gesang noch weniger unbedingt n\u00f6thig findet, als bei der Sprache. Ohne dass der Stimme irgend ein Eintrag geschieht, fehlt \u2014 wie Liskovius angiebt \u2014 der Abschluss durch das Gaumensegel vollst\u00e4ndig bei tieferen und mittleren T\u00f6nen, bei hohen seltener. \u2014 Der Grund, dass beim Ges\u00e4nge die Stimme nicht n\u00e4selt, liegt darin, dass die wenn auch stark t\u00f6nende Luft ; doch nicht allein und auch nicht wesentlich die Nasenh\u00f6hlen und ihre Wandungen in resonatorische Ersch\u00fctterungen versetzt und dies um so weniger thun kann, je tiefer der Kehlkopf (bei Erzeugung tiefer T\u00f6ne) schon von Haus aus steht.\nEine n\u00e4selnde Stimme werden aber unter allen Umst\u00e4nden diejenigen Leute haben, bei denen nur ein h\u00f6chst mangelhafter oder \u00fcberhaupt gar kein Abschluss der Nasen- von der Mundh\u00f6hle stattfindet. Gaumendefecte,\n1\tPassavant, Ueber die Verschliessung des Schlundes beim Sprechen. Frankfurt a. M. 1863.\n2\tDas Hervortreten der hinteren Rachenwand wurde von vielen sp\u00e4teren Forschern best\u00e4tigt. So von Gentzen (Inaugural-Dissert. K\u00f6nigsberg 1876), von Kingsley (The dental and oral science magazine. New-York, Febr. 1878), von Pieniazek, Voltolini; von Michel geleugnet (s. S. 70).\n3\tDasselbe beobachtete k\u00fcrzlich Pieniazek (Wiener med. Bl\u00e4tter 1878. Nr. 23 u. 24) vermittelst des rhinoskopischen Spiegels. Auch bei den reinsten, ohne nasalen Beiklang ausgesprochenen Vocalen war eine L\u00fccke zwischen Gaumensegel und hinterer Rachenwand zu beobachten, die in der Mitte, wo die Uvula liegt, am kleinsten, nach den beiden Seiten zu aber breiter wird.\n4\tLonget, Trait\u00e9 de physiologie IL","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126 Gr\u00fctzner. Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. IY. Besonderh.d.Stimme.\nim weichen oder harten Gaumen, L\u00e4hmungen der Gaumenmuskulatur nach Diphtheritis wirken in dieser Weise. Hierbei ist interessant, was mir mein College J. Bruck mittheilte, dass bei gleichzeitigem Fehlen des Septum narium niemals eine n\u00e4selnde Stimme auftritt, offenbar, weil eine sehr grosse, anstatt zweier kleinen H\u00f6hlen, als resonatorischer Baum figurirt.1\n2. Eine seltenere Ursache der n\u00e4selnden Stimme.\nEs ist bekannt, dass die Stimme einen entschieden n\u00e4selnden Charakter auch dann annimmt, wenn das Gaumensegel scheinbar gut schliesst, aber krankhafte Processe in den vorderen Partieen der Nasenh\u00f6hle Platz gegriffen haben. So spricht man n\u00e4selnd, wenn beim Schnupfen die Schleimh\u00e4ute der Nase in entz\u00fcndlicher Schwellung sich befinden, oder wenn man sich mit den Fingern die Nase unterhalb des Nasenbeines zusammendr\u00fcckt.\nDie Ursache dieser n\u00e4selnden Stimme ist ziemlich einfach.\nDie Kesonanz eines Hohlraumes und die Ersch\u00fctterung seiner W\u00e4nde ist bekanntlich um so gr\u00f6sser, je mehr die Luft eingeschlossen ist, je schwerer sie abfliessen kann. Daher kommt es denn, dass die in der Nasenh\u00f6hle schwach resonirende Luft in st\u00e4rkere Erzitterungen ger\u00e4th und diese der Umgebung mittlieilt, sobald die Ausg\u00e4nge verengert werden. Singt man daher den Yocal A, bei welchem der Gaumenverschluss ein unvollst\u00e4ndiger ist, und kneift sich die Nase unterhalb der Nasenbeine zu, so wird sein Klang entschieden nasal, verliert jedoch diesen Beiklang, sobald man die Nase wieder \u00f6ffnet. Dasselbe Experiment gelingt aber nicht beim J, 0 oder U. Diese Yocale \u00e4ndern ihre Klangfarbe nicht, wenn man sich die Nase zukneift, und die bei geschlossenen Ohren f\u00fchlbare, an und f\u00fcr sich sehr starke Resonanz wird nicht vermehrt, weil das Gaumensegel sehr fest schliesst. Aus alledem folgt, dass, wenn die Luft in der Nasenh\u00f6hle in geringe resonatorische Schwingungen versetzt ist (welche der Stimme durchaus noch nicht den n\u00e4selnden Beiklang geben), die Stimme dann n\u00e4selnd wird, sobald durch Verengerung oder Ver-schliessung der vorderen Nasenausg\u00e4nge das Abfliessen der Luft verhindert und die Resonanz erh\u00f6ht wird. Jegliche Schwellung, der Nasenschleimhaut oder Afterbildung in ihren vorderen Abschnitten kann deshalb eine n\u00e4selnde Sprache bedingen, vorausgesetzt nat\u00fcrlich, dass das Gaumensegel nicht absolut dicht schliesst.\nIY. Die Stimme bei v\u00f6lligem Abschluss der Mund- und Nasenh\u00f6hle und Mangel jeglicher Resonanz in letzterer.\nIn letzter Linie ist nun noch die Aenderung der Stimme zu besprechen, welche bedingt wird durch einen Verschluss in den hinteren\n1 Einen hierher geh\u00f6rigen Fall beschrieb auf das Genaueste Br\u00fccke (Sitzungs-ber. d. Wiener Acad. 1858. XNVIII. S. 63). Es handelte sich um ein M\u00e4dchen, dem der ganze weiche Gaumen fehlte. Es n\u00e4selte nicht so bedeutend, wie Jemand, der willk\u00fcrlich stark n\u00e4selt, weil auch der Mundraum stark mit resonirte.\n2-Einen derartigen Fall beschrieb Czebmak (Molesch. Unters. Y. S. 6. 1858) an einem 14j\u00e4hrigen M\u00e4dchen, welches Yocale mit Nasenton gar nicht, dagegen","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Die Stimme ohne Resonanz der Nasenh\u00f6hle. Kehlstimme.\n127\nPartieen des Nasenraumes, sei es, dass das Gaumensegel total mit der Schlundwand verwachsen ist2, sei es, dass Neubildungen die Choanen oder den Raum zwischen Gaumensegel und Schlund einnehmen, oder schliesslich der ganze Nasenraum mit Fl\u00fcssigkeiten (Blut oder Blutgerinnseln) erf\u00fcllt ist. Diese Stimme ist dann in der That keine n\u00e4selnde, sie ist objectiv und subjectiv ihr gerades Gegentheil; denn sie wird erzeugt durch Mangel jeglicher Resonanz in der Nasenh\u00f6hle (die bekanntlich selbst bei normaler Stimme nicht ganz fehlte) und klingt auch nicht n\u00e4selnd, sondern dumpf, matt, verschleiert. Man darf sie deshalb auch nicht, wie viele (auch Passavant) es thun, mit der n\u00e4selnden verwechseln, die durch Verengerung der vorderen Nasenausg\u00e4nge gebildet werden kann.\nDie Franzosen haben f\u00fcr den Nasenton zwei verschiedene Worte; sie kennen ein \u201e nasonnement \u201c und ein \u201enasillement\u201c, die sie freilich promiscue gebrauchen. Indess hat k\u00fcrzlich L\u00f6w\u00fcenberg* 1 diese Ausdr\u00fccke in der Weise definirt, dass er das nasillement (N\u00e4seln) als eine \u201er\u00e9sonance nasale* exag\u00e9r\u00e9e\u201c bezeichnet, welches sich findet in unseren deutschen Worten \u201eEngel, Klingel\u201c, sowie bei theilweise verschlossener \u00e4usserer Nase, wogegen das nasonnement ein Sprechen ohne Hilfe der Nase ist, \u201ela r\u00e9sonance nasale faisant d\u00e9faut\u201c, und sich findet bei Pharynxgeschw\u00fclsten, welche den Nasenrachenraum hochgradig beengen, also mit dem zuletzt von uns besprochenen Stimmklang identisch ist.2\nY. Die Kelil- oder Ofurgelstimme (Timbre guttural).\nGarcia3 behauptet, dass dieselbe dann zu Stande kommt, wenn sich die Basis der Zunge verdickt und dadurch die Epiglottis st\u00e4rker nach hinten umbiegt, als es sonst gew\u00f6hnlich stattfindet. Hierdurch werde der Ton gleichsam gedr\u00fcckt, gequetscht (\u00e9cras\u00e9). Nachahmen kann man diese Stimme nach der Meinung Garcia\u2019s sehr gut, wenn man auf das Zungenbein dr\u00fcckt; ich finde, dass ihre Nachahmung mit Unterst\u00fctzung \u00e4usserer Mittel noch besser gelingt, wenn man mit Zeigefinger und Daumen den Raum oberhalb des Schildknorpels etwas hinter der Mitte der Knorpelplatten seitlich zusammendr\u00fcckt. Diese Stimme hat einen nicht angenehmen, quakenden, quarrenden Klang, dem lauten Quarren der Fr\u00f6sche oder dem Geschrei der Dohlen nicht un\u00e4hnlich. Wenn ich meiner Stimme den gutturalen Beiklang ertheile, ohne \u00e4ussere Hilfsmittel, so beobachte ich folgendes: Der Kehlkopf steigt ein wenig in die H\u00f6he und steht caeteris paribus h\u00f6her als bei normaler Stimme, das Gaumensegel wird\ndie Laute m und n, weil bei diesen die Resonanz in den Nasenh\u00f6hlen nicht wesentlich ist, hervorbringen konnte.\n1\tL\u00f6wenberg, Gaz. d. hopit. 1878. No. 75, 76.\n2\tAnlangend die Ansichten fr\u00fcherer Forscher \u00fcber die Entstehung der Nasenstimme siehe Joh. M\u00fcller (Handb. d. Physiol. S. 215), der \u00fcber die Bedeutung des Gaumensegels keine richtige Vorstellung hatte, sowie Merkel (iUithropophonik S. 652) und Segond (Arch. g\u00e9n. d. m\u00e9d. XVI. p. 347. Paris 1848). Des letzteren Ansichten, der drei verschiedene Arten von Nasonnement unterscheidet, sind zwar von hohem Interesse, st\u00fctzen sich aber meiner Meinung nach nicht auf richtige Beobachtungen.\n3\t. Garcia, Ecole du chant p. XXIII.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. IY. Besonderh. d.Stimme.\ngeschlossen und die Zunge nach hinten gedr\u00e4ngt. Die Epiglottis verdeckt in der That mehr oder weniger den Kehlkopf, der Aditus laryngis ist verkleinert durch Contraction der Arytaenoidei ohliqui und ihrer Fortsetzungen der Ary-epiglottici. Das quarrende Ger\u00e4usch kommt dadurch zu Stande, dass in Folge des eben geschilderten Mechanismus die Giessbeckenknorpel und Stimmb\u00e4nder aneinander schlagen und dadurch die regelm\u00e4ssigen Schwingungen der Stimmb\u00e4nder st\u00f6ren.\nDergleichen l\u00e4rmende Stimmen, die auch \u201efette\u201c genannt werden, begegnet man h\u00e4ufig bei fetten Leuten, namentlich bei Leuten mit fettem Halse; m\u00f6glich, dass hier das Fettgewebe mittelbar oder unmittelbar \u00e4hnliche St\u00f6rungen in den regelm\u00e4ssigen Schwingungen der Stimmb\u00e4nder hervorruft, wie der oben geschilderte Druck mit den Fingern.\nYI. Die inspiratorische Stimme.\nEs ist bekannt, dass nicht blos der Exspirationsluftstrom, sondern auch der Inspirationsstrom die Stimmb\u00e4nder in t\u00f6nende Schwingungen versetzen kann. Die so gebildete Stimme ist aber nicht wohllautend ; es m\u00fcsste denn sein, dass man durch besondere Uebung seiner Kehlkopfmuskeln die Stimmb\u00e4nder so einstellt, dass sie auch bei einem entgegengesetzt gerichteten Luftstrome gut ansprechen und nicht durch Unregelm\u00e4ssigkeiten in ihren Schwingungen zu widerlichen Ger\u00e4uschen oder Schreit\u00f6nen Veranlassung geben.\nKempelen1 macht \u00fcbrigens die ganz richtige Bemerkung, dass manche Leute diese inspiratorische Stimme auch in der Sprache anwenden. \u201eIch habe, so schreibt er, unter dem gemeinen Haufen so manches geschw\u00e4tzige Weib bemerkt, das ihrer Nachbarin mit so viel Eifer erz\u00e4hlte, dass sie, um ja keinen Augenblick zu verlieren, fast immer unter dem Athemholen ganze Redensarten liineinw\u00e4rts sprach. Man findet sich in katholischen Kirchen, wo ein jeder f\u00fcr sich betet, oft in der Gelegenheit, dieses zu h\u00f6ren, wenn man da neben Jemanden zu stehen kommt, der mit zu heftigem Eifer und mit einer halblauten Stimme betet, dabei aber ohne abzusetzen, ebensoviel Worte zum Munde hinein- als herausmurmelt. \u201c\nBei Thieren findet sich diese Art der Stimme nicht so' selten ; das wiehernde Pferd und der schreiende Esel wenden sie an ; wenn letzterer I-A schreit, so bringt er regelm\u00e4ssig das I mit inspiratorischer, das A mit exspiratorischer Stimme zu Stande. Ferner wird die inspiratorische Stimme bei einer Menge von Naturlauten angewendet. So lachen viele Leute inspiratorisch; beim Weinen und Schluchzen werden nicht selten T\u00f6ne producirt, wenn der Brustkorb sich inspiratorisch erweitert, und eine eigenthiimliche Art von Weinen wird durch kurze stossende T\u00f6ne unterbrochen, indem sich das Zwerchfell stark und schnell zusammenzieht : Es ist ein Zusammenzucken, wie wenn man, so lautet die provinzielle Bezeichnung, \u201evom Bocke gestossen wird\u201c (Singultus).\nNach Segond kann man inspiratorisch auch singen2 und zwar in\n1\tW. v. Kempelen, Mechanismus der menschlichen Sprache nebst der Beschreibung einer sprechenden Maschine S. 104. Wien 1791.\n2\tSegond, Arch. g\u00e9n. d. m\u00e9d. 1848. Nr. 2. XVII. p. 200 (voix inspiratoire).","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Das Bauchreden.\n129\nbeiden Registern, dem Brust- und Falset-Register. Die tiefen T\u00f6ne klingen nicht \u00fcbel, und man erreicht auf diese Weise, wie er richtig bemerkt, eine bedeutendere Tiefe, als bei exspiratorisclier Stimme. Man f\u00fchlt hierbei deutlich das Aneinanderschlagen der Stimmb\u00e4nder (\u201e Strohbass Merkel). Die hohen Falsett\u00f6ne dagegen haben nach ihm eine grosse Kraft und Intensit\u00e4t und reichen ebenfalls weiter ala,exspiratorische Falsett\u00f6ne. Von den Lauten der Sprache lassen sich fast alle, mit Ausnahme des R, inspiratorisch hervorbringen.\nYII. Das Bauclireden.\nDer Bauchredner bezweckt mit seiner Kunst Folgendes: indem er seine Stimme in eigent\u00fcmlicher Weise ver\u00e4ndert, sucht er uns betreffs der Entfernung und Richtung, aus welcher seine Stimme factisch kommt, zu t\u00e4uschen. Die von ihm producirte Stimme soll auf uns den Eindruck machen, als sei nicht er, sondern irgend ein Anderer der Sprechende. Als dieser Andere wird gew\u00f6hnlich nicht eine Person angenommen, die in unmittelbarer N\u00e4he des Bauchredners sich befindet und mit derselben lauten Stimme sprechen m\u00fcsste, wie der Bauchredner selbst, sondern vielmehr Jemand, der entfernt oder zum mindesten durch feste Massen, W\u00e4nde, Thiiren u. s. w. von dem K\u00fcnstler getrennt sein und mit ihm sprechen soll.\nDer Bauchredner hat also zun\u00e4chst mit seiner Stimme den Stimmklang jener fingirten Person nachzuahmen, ferner seine zum Sprechen n\u00f6thigen Bewegungen uns zu verdecken und schliesslich uns betreffs der Richtung, aus welcher seine Stimme kommt zu Trugschl\u00fcssen zu verleiten. Die beiden letzteren Bedingungen erf\u00fcllt er am einfachsten dadurch, dass er mit abgewendetem Gesicht oder verdecktem Munde bauchredet und den Kopf dahin richtet, von wo die fingirte Stimme kommen soll, das ist gew\u00f6hnlich aus einem Orte, der vor den Zuh\u00f6rern gelegen ist, wenn der Bauchredner selbst als vor ihnen stehend angenommen wird.\nSchwieriger ist die Nachahmung der fingirten Stimme. Hierbei muss man sich erinnern, dass erstens jeder Klang und jedes Ger\u00e4usch um so mehr an Intensit\u00e4t ab nimmt, aus je gr\u00f6sserer Entfernung es kommt und je mehr es entweder blos Luft oder gar wechselweise Luft und feste K\u00f6rper zu durchsetzen hat. Die Stimme des Bauchredners muss also viel schw\u00e4cher, ged\u00e4mpfter sein, als die des frei Redenden.\nZweitens aber \u00e4ndert jeder Klang, je nachdem er verschiedene, gut und schlecht leitende Mittel hintereinander zu passiren hat und in gr\u00f6sseren oder kleineren R\u00e4umen erzeugt wird, einigermassen seine Farbe, ja hin und wieder seine H\u00f6he. So hat Seiler in Leipzig (wie Helmholtz mittheilt), in schlaflosen N\u00e4chten auf den Gesang des Nachtw\u00e4chters lauschend, zuweilen anfangs aus der Ferne die Duodecime des Gesanges und erst sp\u00e4ter den Grundton vernommen. Je nachdem n\u00e4mlich der Grundton oder die Obert\u00f6ne in ihrer Intensit\u00e4t verringert oder ganz ausgel\u00f6scht werden, vernehmen wir den Klang in seiner H\u00f6he oder in seiner Klangfarbe ver\u00e4ndert. Nun kann man im Allgemeinen schwer sagen, wie die Klangfarbe der menschlichen Stimme sich \u00e4ndert, wenn sie ged\u00e4mpft durch schlecht leitende Massen oder aus der Entfernung an unser Ohr gelangt.\nSo viel scheint mir jedoch sicher, dass alle diejenigen Partialt\u00f6ne,\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. IY. Besonderh. d.Stimme.\ndie von Haus aus schwach sind, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig fr\u00fch vernichtet werden und um so fr\u00fcher, je schw\u00e4cher sie sind. So erh\u00e4lt sich ein I, welches viele Obert\u00f6ne hat, die jedoch nur relativ stark sind, nur kurze Zeit rein und geht in ein unbestimmtes \u00c4 \u00fcber, wenn es aus grosser Entfernung oder aus R\u00e4umen gerufen wird, die durch W\u00e4nde, Th\u00fcren u. s. w. von uns getrennt sind. A, sowie namentlich 0 und U halten sich viel besser in ihrer Klangfarbe rein. Ferner ist zu ber\u00fccksichtigen, dass die den Klang begleitenden Ger\u00e4usche oder auch diese f\u00fcr sich, insofern sie als Laute in der Sprache auftreten, ebenfalls ziemlich schnell (wenn auch unter sich verschieden schnell) durch die Leitung vernichtet werden und dass andererseits die Periodicit\u00e4t der Luftersch\u00fctterungen, welche irgend einen Klang bilden, \u00fcberhaupt leidet, wenn er durch verschiedene Massen geleitet wird. Die Stimme verliert ihr Metall, sie wird dumpf und klanglos, indem sich ihr Ger\u00e4usche heimischen. Diese Umst\u00e4nde muss also der Bauchredner alle ber\u00fccksichtigen, wenn er uns \u00fcber den Ort und die Entfernung der Stimme t\u00e4uschen will und jeder, der diese Bedingungen auf irgend eine Weise mit seinem Stimmorgan erf\u00fcllt und dabei die anfangs angegebenen Regeln betreffs der Verdeckung seiner Sprachorgane und der Wendung seines Kopfes mit einiger Geschicklichkeit befolgt, ist ein Bauchredner; es wird ihm gelingen uns \u00fcber die Entfernung und Richtung seiner Stimme zu t\u00e4uschen.\nDie Mittel, die man nun zur Erreichung dieses Zweckes anwendet, sind verschieden. Ich selbst besass einige Gewandtheit im Bauchreden und habe ausserdem an mir nahe Stehenden, welche \u00fcber diese Fertigkeit in viel h\u00f6herem Masse verf\u00fcgten, Beobachtungen angestellt, die mir Folgendes gelehrt haben.\nZun\u00e4chst spricht man dabei \u2014 so weit eben meine Erfahrungen reichen \u2014 niemals inspiratorisch ; das ist viel zu m\u00fchsam, die Sprache wird zu ungelenk und zu schwer zu handhaben.1 Man spricht aber \u2014 wie auch Joh. M\u00fcller angiebt \u2014 mit Tiefstand des Zwerchfells und bringt den n\u00f6thigen Exspirationsdruck durch die Exspirationsmuskeln der Brust hervor, oder wenn man die Bauchmuskeln anwendet, doch so, dass sie in dem nach abw\u00e4rts gedr\u00e4ngten Zwerchfell einen \u00fcberm\u00e4chtigen Gegner finden, den sie kaum \u00fcberwinden k\u00f6nnen. Demzufolge bleibt der Leib dann immer einigermassen aufgetrieben. Nebenbei hat dieser Mechanismus, wenn man dem Zuh\u00f6rer nicht ganz den R\u00fccken kehren kann, den Vortheil, die sonst beim Sprechen gew\u00f6hnlichen und Jedem bekannten exspiratorischen Bewegungen zu vermeiden und so den Schein zu erwecken, als spreche man eben nicht.\nDer Kehlkopf wird beim Bauchreden ungemein hoch in die H\u00f6he gezogen, ein Umstand, der f\u00fcr die Dauer sehr erm\u00fcdend ist, die Zunge r\u00fcckt weit nach hinten, das Gaumensegel steht horizontal und schliesst den Nasenraum ab, das Z\u00e4pfchen ist nicht selten nach hinten umgeschlagen, so dass der Einblick in den Rachen des th\u00e4tigen Bauchredners einen eigenth\u00fcmlichen Anblick gew\u00e4hrt. Die Menge Luft, welche verbraucht wird, ist \u00e4usserst gering; h\u00e4lt man sich, w\u00e4hrend man bauchredet, einen\n1 Die gegentheilige Behauptung wird von Ammann (Dissertatio de loquela 1700), Haller (Physiol.) und Segond (Arch. g\u00e9n. XVII. 1848) aufgestellt.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Das Bauchreden. Die Doppelstimme, Diplophonie.\n131\nkalten, blanken Spiegel vor den Mund, so wird er kaum beschlagen, spricht man denselben Ton mit gleicher Kraft auf gew\u00f6hnliche Weise, so ist er sofort mit einem Hauch \u00fcberzogen. Durch die Nase entweicht keine Luft, ein vor sie gehobener Spiegel beschl\u00e4gt sich nicht, ausgenommen nat\u00fcrlich, wenn man n\u00e4selnd bauchredet oder die Nasenlaute m, n u. s. w. hervorbringt.\nDie Resonanz der Kopfknochen ist demnach eine verschwindende, auch die der Brust ist wenigstens mit der Hand und dem Ohre nicht nachzuweisen.\nDie directe Beobachtung des Kehlkopfes war mir bisher entweder nicht m\u00f6glich oder zeigte, bei einem Individuum, das zwar einen vorz\u00fcglichen Einblick in seinen Kehlkopf gew\u00e4hrte, aber nicht gut bauchredete, nichts besonderes. Ich glaube nach alledem, was ich hier\u00fcber gesehen und geh\u00f6rt, dass die eigenth\u00fcmliche Klangfarbe der Bauchrednerstimme dadurch zu Stande kommt, dass man mit \u00e4usserst geringem Luftdruck den Kehlkopf anspricht und die an und f\u00fcr sich nicht starke Stimme noch d\u00e4mpft, indem die nach hinten gedr\u00fcckte Zunge mit dem Kehldeckel sich \u00fcber den Kehlkopf schiebt und den freien Ausgang der Stimme hemmt.\nVIII. Die Doppelstimme, Diplophonie.1\nEine eigenth\u00fcmliche Erscheinung ist die sogenannte Doppelstimme, welche darin besteht, dass zu gleicher Zeit im Kehlkopfe zwei T\u00f6ne gebildet werden.\nSehen wir von der pathologischen Doppelstimme ab, die zuerst T\u00fcrck2 des Genaueren beschrieb und welche ihre Ursache krankhaften Neubildungen verdankt, die in das Gewebe eines Stimmbandes hinabreichen und es in eine vordere und hintere Stimmritze theilen, so giebt es auch noch eine gewisse physiologische Diplophonie. Sie besteht darin, dass Leute mit durchaus gesunden Stimmorganen die F\u00e4higkeit besitzen, willk\u00fcrlich zu gleicher Zeit zweistimmig zu singen. Dieses vermochte Merkel (An-thropophonik S. 628), wenn er im Falsett h' oder ihm nahegelegene T\u00f6ne sang; dieselben waren dann von der tieferen Octave begleitet. Auch Donders3 giebt an, gleichzeitig 2 T\u00f6ne, die eine Octave oder Duodecime auseinander liegen, bilden zu k\u00f6nnen. Freilich ist er der Meinung, dass nicht beide zugleich im Kehlkopfe entstehen.\nUntersuchungen, die ich \u00fcber diesen Gegenstand angestellt, zeigten mir indess, dass sehr wohl im Kehlkopfe zu gleicher Zeit 2 T\u00f6ne gebildet werden k\u00f6nnen.\nZun\u00e4chst ist es schon R. Willis und W. Weber bekannt gewesen, dass eine metallene Zunge bei gewisser L\u00e4nge ihres Ansatzrohres zwei T\u00f6ne zu gleicher Zeit giebt (s. S. 22), dann ist es ein Leichtes, sich davon zu \u00fcberzeugen, dass membranose Zungen, die gegen ein festes Gegen-\n1\tT\u00fcrck bezeichnet diesen Zustand Diphthonie, Rossbach Diphthongie ; der Name Diplophonie d\u00fcrfte wohl der beste sein.\n2\tT\u00fcrck, Klinik der Krankheiten des Kehlkopfes S. 473. Wien 1866.\n3\tDonders, Over de tong-Werktuigen van hat stem- en spraakorgaan p. 20.\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. IY. Besonderh. d.Stimme.\nlager schwingen (also nicht Doppelzungen), ebenfalls nicht selten Doppelt\u00f6ne erzeugen.\nWillis und Harless beobachteten richtig und \u00fcberzeugten sich, dass derartig t\u00f6nende Zungen eigenth\u00fcmliche unregelm\u00e4ssige Schwingungen ausf\u00fchrten und, wie Willis sagt, in wunderliche Convulsionen geriethen. Diese wunderlichen Convulsionen bestehen nun einfach darin, dass die Zunge das eine Mal nicht so weit ausschl\u00e4gt, wie das andere Mal und dass sie beispielsweise \u2014 den einfachsten Fall angenommen \u2014 abwechselnd einmal wenig, das andere Mal viel ausschwingt. In diesem Falle h\u00f6ren wir zwei um eine Octave von einander entfernte T\u00f6ne, gerade so wie umgekehrt 2 eine Octave auseinanderliegende, gleichzeitig erklingende T\u00f6ne sich aus einer Reihe von St\u00f6ssen zusammensetzen, die zeitlich gleich weit von einander entfernt sind, aber an St\u00e4rke alterniren.1\nVon der Richtigkeit dieser Thatsaclien \u00fcberzeugt man sich entweder, indem man derartig schwingende, doppelt\u00f6nige Zungen im intermittiren-den Lichte beobachtet, beziehungsweise ihre Schwingungen aufschreibt, oder auf umgekehrtem Wege, indem man eine Reihe von verschieden starken St\u00f6ssen auf einander folgen l\u00e4sst und die dann entstehenden Tone feststellt.\nIch habe vorzugsweise letzteren Weg eingeschlagen und auf einer grossen, metallenen Sirenenscheibe mit vielen Lochern2 entweder immer das dritte, vierte Loch u. s. w. ganz zugeklebt oder die L\u00f6cher nur theil-weise verklebt, so dass gr\u00f6ssere und kleinere in bestimmter Reihenfolge alternirten.3 Die auf diese Weise entstehenden Doppelt\u00f6ne waren zum Theil schon Seebeck4 5 bekannt, zum Theil wurden sie jetzt k\u00fcrzlich von R. K\u00f6nig 5 auf das Genaueste mit den vorz\u00fcglichsten Instrumenten untersucht.\nEs ist nun keine Frage, dass auch die Doppelstimme, welche von gesunden Leuten willk\u00fcrlich erzeugt werden kann, so wie diejenige, welche bei halbseitigen Stimmbandl\u00e4hmungen, die in Genesung \u00fcbergehen, hin und wieder beobachtet wird, auf ganz gleiche Weise entsteht. Wenn die einzelnen, den Klang der Stimme erzeugenden Luftst\u00f6sse an St\u00e4rke nicht gleich sind, oder wenn nach so und so viel gleichstarken und der Zeit nach gleich abst\u00e4ndigen St\u00f6ssen immer einer ganz ausbleibt, beziehungsweise stark auftritt, so entstehen im Kehlkopfe zu gleicher Zeit zwei T\u00f6ne nebeneinander.\nMan hat also nicht n\u00f6thig, wie dies Rossbach6 that, die bei einseitiger Parese eines Stimmbandes bestehende Doppelstimme auf verschieden schnelle Schwingungen der beiden Stimmb\u00e4nder zur\u00fcckzuf\u00fchren, so dass etwa die beiden Stimmb\u00e4nder, jedes f\u00fcr sich, wie zwei nebeneinander\n1\tYgl. die bekannten, vermittelst des Phonautographen oder zweier Stimmgabeln gewonnenen Curven in K\u00f6nig\u2019s akustischem Catalog.\n2\tZur Feststellung der T\u00f6ne empfiehlt es sich, mindestens 2 concentrische L\u00f6cherreihen zu haben.\n3\tIch habe es praktisch gefunden, in diese Sirenenscheiben nicht runde, sondern rectangul\u00e4re L\u00f6cher schneiden zu lassen.\n4\tSeebeck, Ann. d. Physik LUI. S. 417. 1841.\n5\tR. K\u00f6nig, ibid. CLYII. S. 177. 1876.\n6\tRossbach, Arch. f. pathol. Anat. LIY. S. 571. 1872.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Anhang zum 4. Capitel. Yon den Mundt\u00f6nen. Das Pfeifen.\n133\ngespannte, verschiedene Saiten, zu gleicher Zeit schwingen und t\u00f6nen. Hier wie bei der normalen Stimme kommt der Ton zu Stande durch die periodischen Ersch\u00fctterungen der Luft, welche stossweise durch die sich \u00f6ffnenden Stimmb\u00e4nder entweicht, w\u00e4hrend sie selbst nur indirect, nicht direct die Stimme erzeugen.\nAnhang znm vierten Capitel.\nI. Von den Mundt\u00f6nen.\nDie von uns lediglich im Ansatzrohre erzeugten T\u00f6ne haben zweierlei Ursachen ; sie sind entweder nach Art des Zungenmechanismus oder nach Art der sogenannten kurzen Pfeifen gebildet.\nAls Zungen k\u00f6nnen auftreten: 1) die Lippen, 2) die Zunge, 3) das Gaumensegel.\n1)\tWenn man die Lippen aneinanderpresst und Luft mit einiger Kraft durch die enge Oeffnung hindurchtreibt, so schwingen sie rhythmisch und unterbrechen den Luftstrom ausreichend schnell, um Kl\u00e4nge zu erzeugen, die an und f\u00fcr sich zwar musikalisch nicht anwendbar sind, es aber be-kanntermassen werden, sobald die Lippen wie beim Horn, der Trompete u. s. w. mit den passenden Ansatzr\u00f6hren versehen und mit dem geh\u00f6rigen Luftdrucke angesprochen werden.\n2)\tDie Zunge kann ebenfalls nach Art einer akustischen Zunge den Luftstrom rhythmisch unterbrechen. Dabei stemmt sie sich an den harten Gaumen und bildet hier bald einen Verschluss, bald entfernt sie sich ein wenig, um der Luft einen Durchtritt zu gestatten. Diese Unterbrechungen, welche als Lautelement bekannt sind, erfolgen aber nie so schnell, dass sie in unserem Ohre zu einem Klange verschmelzen.\n3)\tAnders beim Gaumensegel. Dieses schwingt, wenn auch immer noch sehr langsam, doch so schnell, dass dadurch tiefe, klanglose T\u00f6ne wie beim Schnarchen und zwar, wie Kempelen (\u00a7 63) genauer beschreibt, auf 3 verschiedene Arten erzeugt werden.\nII. Das Pfeifen.\nEs ist durch die Untersuchungen von Savart, Masson u. A. gezeigt worden, dass Fl\u00fcssigkeiten, gasf\u00f6rmige wie fl\u00fcssige, welche sich aus engen Ausfluss\u00f6ffnungen ergiessen, nicht eine gleichm\u00e4ssige, continuirliche, sondern eine ungleichm\u00e4ssige, discontinuirliche Bewegung annehmen, die unter Umst\u00e4nden periodisch wird und sogar zu T\u00f6nen Veranlassung giebt.\nEiner der einfachsten Apparate dieser Art ist das sogenannte J\u00e4gerpfeifchen von Savart, ein kurzer, kleiner Hohlcylinder, dessen Basen in ihrer Mitte je ein kleines Loch haben (s. Fig. 53, a u. b). Nimmt man diesen Apparat zwischen die Lippen und bl\u00e4st quer durch denselben in der Richtung des Pfeiles hindurch, so h\u00f6rt man pfeifende, zwitschernde T\u00f6ne, den Stimmen kleiner V\u00f6gel nicht un\u00e4hnlich. Durch Verst\u00e4rkung des Luftstromes wird der Ton jenes K\u00e4stchens allm\u00e4hlich und bedeutend in die","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 4. Cap. IV. Besonderh. d.Stimme\nFig. 53.\nH\u00f6he getrieben, sogar um zwei Octaven erh\u00f6ht. Zudem hat die Gestalt und Gr\u00f6sse des ganzen K\u00e4stchens, sowie diejenige der Oeffnungen einen Einfluss auf die Tonh\u00f6he. Grosse K\u00e4stchen oder solche mit grossen Oeffnungen oder mit Oeffnungen, deren R\u00e4nder in das K\u00e4stchen hineingebogen sind, klingen tiefer als anders gestaltete.1\nDie Art, wie bei diesen Pfeifen der Ton zu Stande kommt, erkl\u00e4rt sich Savart fol-gendermassen. Der quer durch das K\u00e4stchen streichende Luftstrom reisst die Luft aus dem K\u00e4stchen mit sich nach aussen und erzeugt dadurch eine Verd\u00fcnnung im Innern desselben. Jetzt st\u00fcrzt die \u00e4ussere atmosph\u00e4rische Luft in das K\u00e4stchen hinein, verdichtet die in diesem enthaltene Luft so lange und so stark, bis durch den dauernden Luftstrom wieder eine Verd\u00fcnnung erzeugt wird und das Spiel von Neuem beginnt.\nAuf ganz dieselbe Weise, wie in diesem K\u00e4stchen, werden auch mit dem Munde Pfeift\u00f6ne erzeugt ; die erste Enge, welche hier von der Exspirationsluft passirt werden muss, liegt zwischen dem Zungenr\u00fccken und harten Gaumen, die zweite zwischen den zugespitzten Lippen; und der in der Mitte liegende Hohlraum wird dadurch gebildet, dass sich die Zunge fest an die Unterz\u00e4hne stemmt und in ihrer Mitte ein wenig aush\u00f6hlt.\nVon h\u00f6chstem Interesse ist nun die Art, wie wir mit Leichtigkeit und Sicherheit die Tonh\u00f6he \u00e4ndern. Dies geschieht dadurch, dass wir den Hohlraum, dessen Luft in stehende Schwingungen versetzt wird, sowohl in seinem sagittalen, wie verticalen Durchmesser durch Heranhebung der vorderen Zungenpartieen an den harten Gaumen verkleinern. Die Lippen\u00f6ffnung wird dabei nicht oder kaum ge\u00e4ndert, die St\u00e4rke des Luftstromes ebensowenig. Es ist erstaunlich, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit wir die jedesmalige Gr\u00f6sse des Hohlraumes treffen, der angeblasen oder durchgeblasen, den erw\u00fcnschten Ton giebt. Wenn man sich den kleinen Finger in einen Mundwinkel steckt, so dass er auf dem vorderen Abschnitt der Zunge liegt und nun pfeift, was unschwer auszuf\u00fchren ist, so kann man erstens mit Leichtigkeit f\u00fchlen, wie bei den h\u00f6heren T\u00f6nen* die Zunge sowohl von unten nach oben (in ihren vorderen Partieen) und von hinten nach vorn (in ihren hinteren Partieen) sich bewegt und den Hohlraum verkleinert, ferner sich aber auch davon \u00fcberzeugen, wie genau f\u00fcr jeden Ton die Gr\u00f6sse des Hohlraumes von uns getroffen werden muss. Steigt man n\u00e4mlich (staccato) die Tonleiter in die H\u00f6he und dr\u00fcckt nur ein wenig mit dem kleinen Finger auf die Zunge, so verkleinert sich der Raum um eine Spur weniger und diese Spur gen\u00fcgt, um den Ton nicht unbedeutend zu vertiefen, oder wenn man den Finger schon vorher eingelegt hat, einen anderen Ton zu erhalten, als man erwartet hat. Die auf diese Weise zu erzeugenden Pfeift\u00f6ne liegen etwa zwischen c2 bis c5. Die Grenze f\u00fcr die tiefen T\u00f6ne ist durch die Gr\u00f6sse der Mundh\u00f6hle von selbst gegeben, w\u00e4hrend sich der Umfang des Pfeifregisters nach oben hin durch Uebung erweitern l\u00e4sst. (Sondhauss.)\n1 Siehe Magendie\u2019s Journ. d. physiol, exp\u00e9r. et pathol. V. p. 367.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Anhang zum 4. Capitel. Das Pfeifen.\n135\nObwohl bereits Kempelen \u00fcber die Entstehung der Lippenpfeift\u00f6ne dieselbe Ansicht hatte, die wir soeben begr\u00fcndet, und sieh auch an einem, der J\u00e4gerpfeife \u00e4hnlichen Apparate von der Richtigkeit seiner Annahme experimentell \u00fcberzeugen konnte, haben doch manche Forscher nach ihm andere, zum Theil eigenth\u00fcmliche Ansichten \u00fcber besagten Gegenstand ausgesprochen.\nSo behauptet M\u00fcncke l 2, dass das Pfeifen durch Schwingungen der Lippen zu Stande komme, w\u00e4hrend doch Jeder mit Leichtigkeit sich davon \u00fcberzeugen kann, dass auch, wenn er seine Lippen festh\u00e4lt, dr\u00fcckt oder ber\u00fchrt, ohne ihre Oeffnung zu ver\u00e4ndern, der Pfeifton in seiner H\u00f6he und St\u00e4rke bestehen bleibt.\nCagniard la Tour 2 ersetzte sogar die von den Lippen gebildete Enge durch kleine, durchbohrte Metallscheiben. Er nahm sie zwischen die Lippen und konnte bequem den Umfang von Octaven pfeifen, wenn er den Hohlraum des Mundes passend ver\u00e4nderte. Nach seiner Ansicht, die auch von Joh. M\u00fcller adoptirt wird, ist es haupts\u00e4chlich die Reibung der Luft am den W\u00e4nden, welche sie zu regelm\u00e4ssigen Schwingungen veranlasst, geradeso wie die Reibung zwischen dem Fidelbogen und der Saite oder zwischen dem befeuchteten Finger und dem Rande eines .Weinglases zu t\u00f6nenden Schwingungen Veranlassung giebt. (Dass in der That die Reibung der Luft f\u00fcr die leichte, periodische Unterbrechung des Luftstromes von Einfluss ist, steht fest, und Jeder, der ordentlich pfeifen will, befeuchtet sich die Lippen, um die beabsichtigten T\u00f6ne gut und leicht zu treffen.)\nEbenso ist die L\u00e4nge und Gestalt der Can\u00e4le, durch welche die Luft hindurchtritt, von Bedeutung. Alle Ausfluss\u00f6ffnungen, die sich conisch erweitern (Cagniard la Tour, Sondhauss3) geben leichter zu T\u00f6nen Veranlassung als diejenigen, welche sich conisch verengen. Aus eben dem Grunde kann man bei bestimmter Lippenstellung zwar exspiratorisch, aber nicht inspiratorisch pfeifen, man muss dann die Lippenstellung ein wenig ver\u00e4ndern, damit der Ton anspricht.\nEine dritte Reihe von Erkl\u00e4rungen l\u00e4uft darauf hinaus, die Pfeift\u00f6ne des Mundes mit denen zu identificiren, welche entstehen, wenn man einen feinen Luftstrom gegen eine schmale Kante, einen Messerr\u00fccken, ein steifes Blatt Papier u. s. w., anprallen und sich zerstieben l\u00e4sst. F\u00fcr die Bildung von dergleichen T\u00f6nen, die ebenfalls von Sondhauss des Genaueren untersucht worden sind, sehe ich aber beim Pfeifen mit dem Munde keine Analoga; hier giebt es keine scharfen Kanten, gegen die der Luftstrom getrieben wird; denn die scharfen Zahnreihen k\u00f6nnen mit der Lippe oder Zunge bedeckt werden, ohne dass das Pfeifen dadurch unm\u00f6glich gemacht wird.\n1\tMuncke, Gehler\u2019s physik. W\u00f6rterb. Vin. S. 283.\n2\tCagniard la Tour, Journ. d. physiol. X. p. 170.\n3\tSondhauss, Ann. d. Physik XCI. S. 126. 1854.","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136 Gk\u00fctznek, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\nF\u00dcNFTES CAPITEL.\nDie Stimme der Thiere.\nEs ist nat\u00fcrlich hier nicht der Ort, des Genaueren auf die Stimme der einzelnen Thiere einzugehen ; wir wollen daher aus diesem reichen und interessanten Materiale nur folgende, uns wichtig erscheinende Thatsachen heiworheben.\nI. Die Stimme der S\u00e4ugetliiere.\nDie Stimme der S\u00e4ugethiere wird in Organen gebildet, die dem menschlichen Kehlkopfe und seinen Nebenapparaten ihrem Wesen nach ganz \u00e4hnlich sind. Ueberall sind es elastische, mit Muskeln ausgestattete B\u00e4nder, welche in einer knorpeligen H\u00f6hle, dem Kehlkopfe, liegen und je nach der Art ihrer Spannung und Gestaltung, sowie nach dem Mechanismus des Anblasens die Stimme erzeugen.\nJe gr\u00f6sser der Kehlkopf und die Stimmb\u00e4nder, um so lauter und dr\u00f6hnender ist die Stimme von Haus aus, um so mehr wird sie gew\u00f6hnlich noch durch grosse resonatorisehe Nebenapparate verst\u00e4rkt und in ihrer Klangfarbe beeinflusst. Das Br\u00fcllen des Rindes, das Brummen der Hirsche zur Brunstzeit, das Gebr\u00fcll der L\u00f6wen sind hierf\u00fcr Beispiele.\nWenn, wie bei vielen Affen, sich noch besondere resonatorisehe Apparate am Kehlkopfe selbst befinden, so gewinnt die Stimme un-gemein an Kraft und dr\u00f6hnt weithin. Dergleichen Apparate finden sich z. B. bei den anthropoiden Affen, von denen der Schimpanse zwei m\u00e4ssig grosse, seitliche Ausbuchtungen des Kehlkopfes, ver-gr\u00f6sserten Morgagni\u2019schen Ventrikeln gleichend, aufweist, w\u00e4hrend sie beim Orang und Gorilla von betr\u00e4chtlicher Gr\u00f6sse sind und sich bei letzterem nach verschiedenen Richtungen, theils auf dem Halse, theils auf dem Brustk\u00f6rbe herab bis in die Achselh\u00f6hle verzweigen.\nDes gr\u00f6ssten resonirenden Apparates erfreuen sich die Heulafifen (Mycetes), welche ein hohles, stark aufgetriebenes Zungenbein besitzen, dessen H\u00f6hlung durch einen Sack mit dem Kehlkopfe com-municirt, und ausserdem noch zwei grosse, seitliche S\u00e4cke, die den Morgagni\u2019schen Ventrikeln entsprechen.\nJe kleiner die Thiere und dem entsprechend ihre Kehlk\u00f6pfe sind, um so h\u00f6her, d\u00fcnner und quietschender wird ihre Stimme, wie z. B. die der M\u00e4use und Flederm\u00e4use.","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Stimme der S\u00e4ugethiere.\n137\nWenn sehr grosse Thiere hohe T\u00f6ne produciren, so bedienen sie sich sehr h\u00e4ufig der Fistelstimme; der Hund, dessen Wau-Wau in Bruststimme erklingt, piept durch die Fistel; wenn er entweder etwas durch Bitten erlangen will, sich heftig nach etwas sehnt oder Schmerzen empfindend; mit geschlossenem Munde ruhig daliegt.\nDesgleichen bringen die Hirsche zur Brunstzeit nicht blos ihr Brummen, sondern auch (ebenfalls bei geschlossenem Munde); ein eigenth\u00fcmliches hohes Quieken hervor; welches aus zwei tieferen und einem hohen Tone besteht ; die 3 T\u00f6ne werden mit einander verbunden und der letzte; h\u00f6chste scharf abgesetzt.\nDabei ist nat\u00fcrlich nicht ausgeschlossen; dass von grossen Thieren auch vermittelst der Bruststimme hohe T\u00f6ne erzeugt werden; dieselben sind dann \u00e4usserst laut und durchdringend und werden meist mit gehobenem Kopfe und ge\u00f6ffnetem Munde hervorgebracht.\nDie Stimme ein und desselben Thieres hat gew\u00f6hnlich keinen grossen Umfang; so bewegt sich die des Rindes und Schafes und der meisten Wiederk\u00e4uer nach M. Edwards innerhalb einer bis zwei Tonstufen. Dabei ist aber hervorzuheben; dass viele Thiere T\u00f6ne hervorbringen; die in ihrer H\u00f6he sehr weit von einander abstehen, ohne jedoch die dazwischen liegenden T\u00f6ne erzeugen zu k\u00f6nnen. Das tiefe Grunzen des Schweines, ungemein verschieden von seinem widerlichen lauten Geschrei, das Schnurren der Katze, ebenso verschieden von ihrem Miau, sind hierf\u00fcr Beispiele.\nNebenbei sei bemerkt, dass diese tiefen, grunzenden T\u00f6ne meist ein gewisses Wohlbehagen anzeigen, w\u00e4hrend die lauten und hohen f\u00fcr den Ausdruck des Schmerzes oder starker psychischer Erregung verwendet werden.\nDass bei vielen Thieren (Pferd, Esel, Panther) auch der Inspirationsluftstrom zur Erzeugung von T\u00f6nen verwendet wird,\u00bbdie entweder in dem Kehlkopfe oder dem Gaumensegel ihren Sitz haben, ist eine leicht zu constatirende Thatsache, auf die bereits oben hingewiesen wurde.\nEine nicht geringe Anzahl von S\u00e4ugethieren scheint der Stimme ganz zu entbehren. Es sind dies die fischartigen S\u00e4ugethiere, die Walfische, Delphine u. s. w., deren Kehlk\u00f6pfe auch keine Stimmb\u00e4nder oder \u00e4hnliche, analoge Falten aufweisen1, und das Stachelschwein, welches nach Mayer'2 ebenfalls weder Stimmb\u00e4nder, noch Morgagnische Ventrikel besitzt, so dass ihm seine Stimmmittel nur ein tiefes Grunzen gestatten.\nVon Interesse ist schliesslich noch die Bemerkung, dass vorzugsweise die gesellig lebenden und intelligenten Thiere, die ihre Stimme zur gegenseitigen Verst\u00e4ndigung brauchen und ausbilden m\u00fcssen, auch \u00fcber vollkommenere Stimmmuskeln verf\u00fcgen; so z. B. die Affen unter den S\u00e4ugethieren, die Papageien unter den V\u00f6geln. \u2014 Sowie die Glieder einer Gesellschaft von Thieren durch die Stimme vereinigt werden, so ist sie auch ein wesentliches Vereinigungsmittel der verschiedenen Geschlechter. Thiere, die sonst fast nie von ihrer Stimme Gebrauch machen, lassen sie, wie die Hirsche, laut ert\u00f6nen zur Brunstzeit, um sie dann wieder in Stillschwei-\n1\tDas N\u00e4here \u00fcber die anat. Verh\u00e4ltnisse siehe in M. Edwards\u2019 Le\u00e7ons sur la physiologie XII. p. 442, wo auch die anat. Literatur verzeichnet ist.\n2\tC. Mayer, Ueber den Bau des Organs der Stimme bei Menschen, S\u00e4ugethieren etc. (Nova acta Acad. nat. curios. XXIII.)","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\ngen zu versenken. Dieser Zusammenhang zwischen den Werkzeugen der Stimme und den Geschlechtsorganen, der uns hier nur functionell entgegentritt, indem die Stimme die Vereinigung erm\u00f6glicht oder erleichtert, ist entweder von Haus aus ein innerer organischer, oder hat sich im Sinne Darwin\u2019s zu einem organischen entwickelt; denn fr\u00fchzeitige Entfernung der Geschlechtsdr\u00fcsen ver\u00e4ndert die Stimmorgane und die Stimme der meisten m\u00e4nnlichen Thiere in hohem Grade.\nII. Die Stimme der V\u00f6gel.\nWie bekannt, sind nicht bloss die Stimmen der V\u00f6gel untereinander ungemein verschieden, sondern es ist auch die Stimme eines Individuums nicht selten der allergr\u00f6ssten Modulationen f\u00e4hig und umfasst eine grosse Reihe von T\u00f6nen, die in ihrer Klangfarbe und H\u00f6he weit von einander abstehen; eine grosse Zahl unter ihnen besitzt die F\u00e4higkeit zu singen. Dieselbe ist jedoch verschieden vertheilt. Zun\u00e4chst ist hierin das m\u00e4nnliche Geschlecht bevorzugt; die S\u00e4nger unter den Singv\u00f6geln sind fast nur M\u00e4nnchen und, obwohl die Weibchen nicht stimmlos sind, besitzen sie doch nicht die grosse Gewandtheit und den Umfang der entsprechenden, m\u00e4nnlichen Vogelstimme.\nFerner h\u00e4ngt diese Begabung verschiedener V\u00f6gel ab von dem mehr oder weniger complicirten Bau ihrer Stimmorgane; die Singv\u00f6gel und Papageien haben bei weitem h\u00f6her organisirte und mit complicirteren MusJ|dapparaten ausgestattete Kehlk\u00f6pfe, als beispielsweise die enten- und h\u00fchnerartigen V\u00f6gel, deren Stimme auf keine besondere Sch\u00f6nheit und Mannigfaltigkeit Anspruch macht.\nDas Stimm organ der V\u00f6gel verdient, weil h\u00f6chst eigent\u00fcmlich, eine besondere Beachtung.\nAlle V\u00f6gel haben (mindestens) einen doppelten Kehlkopf, von denen der erste am Ende der Zunge liegt und anatomisch dem Kehlkopfe der S\u00e4ugethiere entspricht, mit der Stimmbildung aber nichts zu thun hat, w\u00e4hrend der zweite an der Vereinigungsstelle der Bronchien, im Brustraume gelegen, den stimmbildenden Apparat darstellt. Der obere Kehlkopf, Larynx, bildet den Eingang zur Luftr\u00f6hre ; man kann ihn, d. h. die obere Stimmritze sehen, wenn man einem Vogel den Schnabel weit aufsperrt. Er besteht nicht aus Knorpel-, sondern Knochenst\u00fcckchen, gemeiniglich 6 (2 paarigen und 2 unpaaren), die dem Schildknorpel und dem Giessbeckenknorpel der S\u00e4ugethiere als gleickwerthig angesehen werden; ein dem Kehldeckel analoges Organ fehlt fast durchg\u00e4ngig.1\nl Siehe hier\u00fcber das classische Werk von Henle, Vergleichende anatomische Beschreibung des Kehlkopfes. Leipzig 1S39, sowie Tiedemann. Zoologie IL S. 632.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Stimme der V\u00f6gel.\n139\nDie obere Oeffnung des Kehlkopfes, die falsche Stimmritze, sieht nach hinten und hat keine nach innen vorspringenden Stimmb\u00e4nder, sondern stellt eine elliptische, von Muskeln und Knochen gebildete, Spalte dar, welche erweitert, verengt und geschlossen werden kann. Diese ihre Gestaltsver\u00e4nderung kann man sich nach dem Vorg\u00e4nge von Ballantus* 1 an den meisten V\u00f6geln sichtbar machen, wenn man entweder den Schnabel der Thiere weit aufsperrt, oder durch Pr\u00e4paration den Eingang des Kehlkopfes bioslegt. Ber\u00fchrt man dann seine Umgebung mit einem Stift-chen, so klappt der Kehlkopf zu und verschliesst, wie beim Schlingen nothwendig, den Eingang zur Luftr\u00f6hre.\nDie Verschliessung wird auch vielfach bei der Stimmgebung verwendet, wenn sie auch nicht zur Stimmbildung beitr\u00e4gt. Das Gluck-Gluck der Henne und die in der Stimme mancher anderer V\u00f6gel vorkommenden Verschlusslaute, etwa unserem g oder k entsprechend, werden hier in der oberen Stimmritze gebildet.\nDie Luftr\u00f6hre, bei vielen V\u00f6geln durch ihre bedeutende L\u00e4nge ausgezeichnet, stellt ein elastisches Bohr dar, welches sich aus elastischem Bindegewebe und vollst\u00e4ndig geschlossenen, meistens kn\u00f6chernen, nicht knorpeligen Bingen zusammensetzt. Die Zahl der Binge betr\u00e4gt bei langhalsigen V\u00f6geln (Kranich, Flamingo) bis 350 und steigt vielleicht noch bedeutend h\u00f6her, wenn, wie bei vielen Schw\u00e4nen und Kranicharten, die Luftr\u00f6hre nicht gerade verl\u00e4uft, sondern in Kr\u00fcmmungen und Windungen, welche in das Brustbein eingelagert sind, nach oben steigt.2\nDie Weite der Luftr\u00f6hre ist nicht an allen Stellen gleich, nicht selten baucht sie sich, wie bei vielen Entenarten und Tauchern (Mer-gus) ein- oder zweimal aus oder endet in einen grossen, meist kn\u00f6chernen, asymmetrischen Hohlraum, wie bei den m\u00e4nnlichen Enten ; lauter Verh\u00e4ltnisse, welche f\u00fcr die Verst\u00e4rkung der Stimme durch Besonanz ins Gewicht fallen.\nDer eigentliche Kehlkopf oder, wie er nach dem Vorschl\u00e4ge Huxley\u2019s genannt wird, der Syrinx, liegt im Brustk\u00f6rbe und zwar 1) entweder am Ende der Luftr\u00f6hre in ihr allein oder 2) am Uebergange in die beiden Bronchien oder 3) in jedem der Bronchien, ist in diesem Falle also doppelt vorhanden, wie bei Steatorius cari-pensis.3 Selten fehlt er ganz, wie bei einigen Straussen und Geiern.\nHeidelberg 1810, woselbst die \u00e4ltere, und Milne Edwards, Le\u00e7ons sur la physiologie compar\u00e9e XII. p. 604, woselbst in bekannter musterhafter Weise auch die neuere Literatur zusammengestellt ist.\n1\tJ. Ballantus et Cajetanus Uttinus, De quorundam animalium organo vocis in den Comment. Bononiens. 1783.\n2\tBarkow, Bemerkungen zur vergleichenden Anatomie und Physiologie. 1. Abth. Breslau 1871.\n3\tJoh. M\u00fcller. Ueber die bisher unbekannten typischen Verschiedenheiten der Stimmorgane der Passerinen. Berlin 1847, oder Berliner Acad. d. Wiss. 1845 und 1846.","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\nDie am h\u00e4ufigsten vorkommende Form des unteren Kehlkopfes ist die zweite. Die Luftr\u00f6hre geht dann in einen winkligen, knochigen Hohlraum (Tympanum) (Fig. 54 v. tr. R) \u00fcber, der frontal1 durchschnitten in seiner einfachsten Form ein F\u00fcnfeck darstellt, dessen\neiner Winkel nach unten ausgezogen ist. Die obere Seite des F\u00fcnfeckes stellt die Verbindung mit der Luftr\u00f6hre, die beiden unteren die mit den Bronchien her. Dort, wo die beiden Bronchien zusam-menostssen, also in dem unteren Winkel des Tympanum, verbindet eine sagittal e, h\u00e4ufig kn\u00f6cherne Leiste die vordere mit der hinteren Wand des Hohlraumes. Diese Leiste, L.ibr\tL.ibr\tSteg (Septum) (Fig. 54 S.)\ngenannt, tr\u00e4gt nun jeder-seits eine elastische mem-bran\u00f6se Falte (Membrana tympani int. seu semilunaris) (m. t. /.), welche vom Steg aus sich quer vor die Einm\u00fcndung eines jeden Bronchus stellt und hierdurch mit der gegen\u00fcberliegenden Wand eine Art Stimmritze bildet. (Siehe Fig. 54 Ar.) Die Membran, tympani int. ist selbst als eine directe Fortsetzung einer anderen Membran anzusehen, welche die einander zugekehrten Seiten der Bronchien bildet. Denn w\u00e4hrend die Luftr\u00f6hre geschlossene Ringe hat, sind bei den Bronchien die sogenannten Ringe, wie diejenigen der S\u00e4ugethierluftr\u00f6hre nicht geschlossen, sondern bilden nur\nFig. 54. Unterer Kehlkopf der Truthenne. A w\u00e4hrend der Stimm -gehung. B hei freier Athmung (Vorderansicht, hei A' und B' die Yorderwand entfernt). M. st. fr-Muse, sterno-traeheales, hei A und. A! eontrahirt. Tr. Trachea. v.Tr.R. verschmolzene untere Traeheal\u00e4nge, dem Tympanum entsprechend, mit dem von vorn nach hinten verlaufenden Stege S. B. Sp. Bronchialspangen. M.t.e Memhr. tympani ext., M.t.i Memhr. tympani int., hei B und B' glatt ausgespannt, hei A und A' als scharfe Falte ins Lumen der Bronchien his nahe an deren Aussenwand vorspringend. L.ibr Ligam. interhronchiale. b Band, welches zur dorsalen Wand der Trachea verl\u00e4uft (hei A und B nicht gezeichnet).\n1 Hierbei hat man sich den Kehlkopf vertical in den K\u00f6rper, \u00e4hnlich dem des S\u00e4ugethieres zu denken.","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Stimme der Y\u00f6gel. Theorie der Vogelstimme.\n141\nderen laterale Wandungen (B. Sp). Die Membrana tympani externa schliesslich spannt sich aus zwischen dem Tympanum und den Bronchien an deren \u00e4usserer Seite, vereinigt also den obersten Knorpelring des Bronchus mit der lateralen Wand des Tympanum (m. t. e.). Werden nun durch Muskelwirkungen die Bronchien, wie in Fig. 54 A und A' nach oben, beziehungsweise die Luftr\u00f6hre nach unten gezogen, so n\u00e4hern sich die obersten Ringe der Bronchi dem Tympanum und treiben die Membran, tympani ext. als Falte nach innen hervor, so dass sie sich der Membran, tympani int. entgegenstellt und mit ihr eine Enge bildet. Indem die Exspirationsluft durch diese Enge mit der n\u00f6thigen Kraft hindurchtritt, versetzt sie die einander zugekehrten Falten in Schwingungen und wird hierdurch selbst rhythmisch unterbrochen; die Stimme erschallt. Werden andererseits die Bronchien gestreckt durch Muskeln, welche die Luftr\u00f6hre nach oben ziehen, wie in Fig. 54 B und B', so spannt sich die Membran, tympani ext. zwischen Tympanum und obersten Bronchialring straff an und tritt aus dem Lumen des Bronchus heraus. Auch die Membran, tympani int. weicht von der Mittellinie zur\u00fcck und geht theilweise in der elastischen inneren Begrenzungs-Membran der Bronchien auf. Die Luft hat jetzt freien Durchtritt und wird, weil keine vorspringenden elastischen Falten mehr da sind, auch nicht zum T\u00f6nen gebracht.\nDie soeben geschilderten Verh\u00e4ltnisse finden sich nicht bei allen V\u00f6geln; so haben beispielsweise die Papageien keinen Steg, sondern ge-wissermassen nur zwei Membr. tymp. extern., welche durch Hebung der Bronchien einander gen\u00e4hert werden und nur eine einzige in der Mitte gelegene Stimmritze bilden. Bei den Singv\u00f6geln trifft man auf noch complicirtere Vorrichtungen, auf die n\u00e4her einzugehen jedoch hier nicht der Ort ist.\nDamit der Kehlkopf oder, besser gesagt, die Kehlk\u00f6pfe ansprechen, m\u00fcssen, wie gesagt, jene beiden Membranen einander gen\u00e4hert werden. Dies geschieht entweder nur durch Muskeln, die an der Luftr\u00f6hre enden und sie herabziehen (die Ypsilo- und Sterno-traeheales) oder noch durch einen complicirten Muskelapparat (5 \u2014 6 Paare), der lediglich auf den unteren Kehlkopf beschr\u00e4nkt ist. Im ersten Falle sind die Stimmmittel unbedeutend (Gans, Huhn u. s. w.), im zweiten ungemein reich (Singv\u00f6gel, Papageien). Aufgehoben wird die Stimme durch Contraction des Mylohyoideus, der die Luftr\u00f6hre am Zungenbein in die H\u00f6he zieht (s. Fig. 54 B).\nTheorie der Vogelstimme.\nDie wichtigsten und eingehendsten Untersuchungen \u00fcber das Zustandekommen der Vogelstimme sind angestellt worden von Cuvier1,\n1 Cuvier, Le\u00e7ons d\u2019anatomie compar\u00e9e 1805. IV.","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\nSavart1 und Joh. M\u00fcller.2 Zun\u00e4chst unterliegt es keinem Zweifel, dass in der That in dem unteren Kehlkopfe, dem Syrinx, die Stimme gebildet wird. Cuvier schnitt einer lebenden Amsel die Luftr\u00f6hre mitten durch. Das Thier schrie, wenn auch etwas schw\u00e4cher, nach wie vor. Es wurde an einer Elster und Ente dieselbe Operation gemacht; die Stimme der letzteren namentlich \u00e4nderte sich gar nicht, selbst nachdem man den oberen Theil der Luftr\u00f6hre zugestopft und den Schnabel zugebunden hatte; ja selbst, als der Kopf ganz abgeschnitten war, liess das Thier noch ein paar Mal seine Stimme ert\u00f6nen.\nEs gelingt auch ungemein leicht, die grossen Kehlk\u00f6pfe unserer Hausv\u00f6gel anzublasen und hierdurch einen der Stimme \u00e4hnlichen Ton zu erzeugen. Ja Joh. M\u00fcller hat sogar an dem Kehlkopfe der Papageien ganz \u00e4hnliche Gesetze feststellen k\u00f6nnen, wie er sie an demjenigen des Menschen gefunden.\nVerengerung der Stimmritze, verbunden mit gleichzeitiger st\u00e4rkerer Spannung der Stimmb\u00e4nder und hervorgebracht durch seitliches Zusammendr\u00fccken des Kehlkopfes, sowie vermehrter Luftdruck trieben den Ton in die H\u00f6he. Der Anspruch erfolgte sowohl von der Seite der Luftr\u00f6hre in verkehrter Richtung), wie von Seiten der Bronchien (in der nat\u00fcrlichen). Im letzten Falle glichen die erzeugten T\u00f6ne ganz der Stimme der lebendigen Thiere und es war f\u00fcr ihre H\u00f6he von Belang, ob ein k\u00fcrzeres oder l\u00e4ngeres St\u00fcck der Luftr\u00f6hre noch an dem Kehlkopfe erhalten blieb. Die Verk\u00fcrzung der Luftr\u00f6hre um ihre H\u00e4lfte erh\u00f6hte den Ton um eine Quinte, theilweise Bedeckung ihres oberen Endes erniedrigte ihn um eine halbe Stufe. Es ist also auch der Stimmapparat der V\u00f6gel, namentlich der gr\u00f6sseren, der sich in Folge seiner Festigkeit allein zu Experimenten eignet, einer membran\u00f6sen Zungenpfeife gleichzusetzen. Seine Zunge oder genauer seine Zungen, die Cuvier mit den Lippen des Hornbl\u00e4sers vergleicht, k\u00f6nnen nun, wie dieser Forscher nachgewiesen, mannigfache Ver\u00e4nderungen in ihrer Gestalt und Spannung durchmachen. Ihre Verl\u00e4ngerung und Erschlaffung machen die T\u00f6ne tiefer; ihre Verk\u00fcrzung und st\u00e4rkere Spannung h\u00f6her. Hierzu kommen die Aenderungen in der Breite der Stimmritze oder im Luftdrucke, welche gleichfalls die Tonh\u00f6he beeinflussen, jedoch nach der Ansicht- von Cuvier nur auf indirectem Wege. Aendere sich n\u00e4mlich nur die Zunge und bleiben die Dimensionen der Luftr\u00f6hre und ihrer M\u00fcndung im oberen Kehlkopfe dieselben, so k\u00f6nne der Vogel immer nur die harmonischen Obert\u00f6ne des Grundtons erzeugen wie etwa ein Hornbl\u00e4ser. Wolle er dagegen zwei in ihrer H\u00f6he weniger verschiedene Tone bilden, so m\u00fcsse er dies durch Verk\u00fcrzung der Luftr\u00f6hre thun. Dann k\u00f6nne er wieder durch Aenderung im Anblasen die Obert\u00f6ne dieses zweiten Tones erhalten. Hier sind offenbar falsche Anschauungen mit richtigen gemischt; so richtig es auf der einen Seite ist, dass der Kehlkopf der V\u00f6gel einer membran\u00f6sen Zungen pfeife gleichzustellen ist, so unrichtig ist auf der anderen die Behauptung des grossen Naturforschers, dass bei Aenderung der Zunge nur\n1\tSavart, Ann. d. chim. et d. phys. 1826. XXXII.\n2\tJoh. M\u00fcller, Compensation der phys. Kr\u00e4fte etc. und obige (S. 139) citirte Abhandlung.","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie der Vogelstimme. Ansicht von Savart und Joh. M\u00fcller. 143\ndie Obert\u00f6ne des Grundtones auftreten, w\u00e4hrend das allm\u00e4hliche Aufsteigen in der Tonleiter lediglich durch Verk\u00fcrzung der Luftr\u00f6hre erzeugt werden k\u00f6nne. Es ist vielmehr bekannt, dass auch der erstere Umstand ein ganz allm\u00e4hliches Aufsteigen zur Folge hat.\nIn \u00e4hnliche Widerspr\u00fcche ist auch Savart gerathen. Obwohl er de facto den Kehlkopf der V\u00f6gel mit einer membran\u00f6sen Zungenpfeife vergleicht, deren Wandungen ebenfalls membran\u00f6s sind, so kann er sich doch nicht dazu entschlossen, ihn theoretisch daf\u00fcr zu erkl\u00e4ren. Er \u00e4ussert sich hier\u00fcber folgendermassen : Man macht sich von dem Kehlkopfe der V\u00f6gel und der Art seines T\u00f6nens am besten eine Vorstellung an folgendem Kinderspielzeug. Nimmt man einen hohlen Stengel irgend einer Pflanze, fasst ihn zwischen die Lippen, indem man ihn leicht zusammendr\u00fcckt, und treibt Luft durch ihn, so entsteht, indem zu gleicher Zeit die W\u00e4nde des Rohres in heftige Erzitterungen gerathen, ein tiefer Ton. Durch verschieden starken Luftanspruch kann man den Ton eines solchen Stengels, falls derselbe sehr kurz ist, um eine Quart bis eine Quint erh\u00f6hen.\nHierauf folgt die Erkl\u00e4rung der Vorg\u00e4nge an diesem akustischen Apparat. Mit Recht f\u00fchrt Savart die Entstehung des Tones zur\u00fcck auf die Bewegung der elastischen Lippen des Stengels, die durch ihre jedesmalige Oeffnung die Luft verdichten und sie unter gleichzeitigen und gleich schnell erfolgenden Ersch\u00fctterungen der elastischen Wand zum T\u00f6nen bringen. Trotz dieser Auseinandersetzung, welche den Kehlkopf der V\u00f6gel auf das Klarste zu einer (und zwar membran\u00f6sen) Zungenpfeife stempelt, f\u00e4hrt er fort, dass er ihn daf\u00fcr nicht halten k\u00f6nne, weil man, in den Kehlkopf eines Singvogels blasend, eine Reihe von verschieden hohen T\u00f6nen erh\u00e4lt, w\u00e4hrend die Zungen \u2014 er denkt dabei an die schweren Metallzungen der Orgelpfeifen \u2014 ihren Ton kaum \u00e4ndern mit der verschiedenen St\u00e4rke des Anblasens. Dieser Schluss ist um so befremdlicher, als er an seinem Kinderspielzeug, einem offenbaren Zungeninstrument, durch verst\u00e4rktes Anblasen den Ton um 4\u20145 Stufen in die H\u00f6he treiben konnte.\nEr versucht nun den Kehlkopf der V\u00f6gel k\u00fcnstlich nachzuahmen, indem er quer \u00fcber ein Rohr ein d\u00fcnnes elastisches H\u00e4utchen spannt und durch das Rohr bl\u00e4st. Je nach der Spannung des H\u00e4utchens und der St\u00e4rke des Anblasens erh\u00e4lt er verschieden hohe T\u00f6ne, und am Ende all dieser Versuche wird der Kehlkopf der V\u00f6gel doch als eine Pfeife hingestellt, deren W\u00e4nde membran\u00f6s sind, und die deshalb gewisse Eigen-thiimlichkeiten darbietet, gegen\u00fcber einer anderen, deren W\u00e4nde aus festem Material bestehen. Nur der Kehlkopf der Singv\u00f6gel, die eine sehr aus-gebildete Membrana tympani interna haben, wird nicht unter die Pfeifen rubricirt, sondern den prim\u00e4ren Ersch\u00fctterungen dieser Membran das Hauptgewicht beigelegt.\nNach diesen Auseinandersetzungen haben wir nur noch die Meinung Joh. M\u00fcller\u2019s zuzuf\u00fcgen, welcher den Stimmenapparat der meisten V\u00f6gel (G\u00e4nse, Enten, H\u00fchner, Kr\u00e4hen) als eine membran\u00f6se Zungenpfeife ansieht, mit dem Bemerken jedoch, dass in den Kehlen vieler kleiner Singv\u00f6gel vielleicht auch Pfeift\u00f6ne gebildet werden, die mit Membrant\u00f6nen nichts zu schaffen haben. Es l\u00e4sst sich diese Behauptung, so allgemein","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\nausgesprochen, nat\u00fcrlich nicht widerlegen, nur ist hinzuzuf\u00fcgen, dass viele T\u00f6ne, welche ganz wie die einer Pfeife oder Fl\u00f6te klingen, dennoch den Schwingungen einer membran\u00f6sen Zunge ihr Entstehen verdanken. Die ungemeine Kleinheit und Zartheit dieser Zungen auf der einen und die Kraft und Gewandtheit auf der anderen Seite, mit der sie in Schwingungen versetzt werden, erkl\u00e4rt diese Klangfarbe. Auch ist es bekannt, dass man ganz \u00e4hnliche T\u00f6ne, die nur Pfeift\u00f6nen gleichen, aber keine sind,'erhalten kann, wenn man, wie das Joh. M\u00fcller anempfiehlt, \u00fcber eine schr\u00e4g abgeschliffene Glasr\u00f6hre ein zartes H\u00e4utchen spannt und durch die R\u00f6hre von der anderen Seite bl\u00e4st. Selbst wenn das H\u00e4utchen nicht einmal die H\u00e4lfte der Oeffnung bedeckt, erh\u00e4lt man feine, pfeifende, zwitschernde T\u00f6ne, die noch gellender gemacht werden k\u00f6nnen, wenn man ein kleines Resonanzrohr \u00fcber das erste R\u00f6hrchen st\u00fclpt. Diese T\u00f6ne kommen aber nicht durch prim\u00e4re Luftersch\u00fctterung zu Stande, wie etwa in einer Fl\u00f6te oder Pfeife; denn die L\u00e4nge des R\u00f6hrchens, an dem die Membran befestigt ist, ist von ganz untergeordneter Bedeutung f\u00fcr die H\u00f6he des Tones, entscheidend ist nur die Spannung und Art der Membran und die St\u00e4rke des Luftstromes.\nSchliesslich sei noch bemerkt, dass auch die kleinen Apparate aus Birkenrinde, mit denen man t\u00e4uschend die Stimmen vieler Singv\u00f6gel nachahmen kann, immer nur t\u00f6nen in Folge eines zarten Bl\u00e4ttchens, welches feucht wird und nach Art einer Zunge schwingt.\nIch glaube daher, dass nur mit sehr geringen Ausnahmen die Stimme der V\u00f6gel auf ganz demselben Principe beruht, wie diejenige der S\u00e4uge-thiere ; hier wie dort sind die Stimmapparate membran\u00f6se Zungenpfeifen, keine Fl\u00f6tenpfeifen, auf die jedoch wegen der Kleinheit der Stimmb\u00e4nder, der bedeutenden Kraft des Luftdruckes und der festen elastischen Beschaffenheit des Ansatzrohres letzteres auch tonerh\u00f6hend oder -vertiefend wirkt, was beim Menschen bekanntlich nicht der Fall.\nErw\u00e4hnenswerth scheint mir noch, dass, obwohl die meisten V\u00f6gel zwei Kehlk\u00f6pfe haben, die durch zwei besondere R\u00f6hren (die Bronchi) angesprochen werden, sie zu gleicher Zeit doch immer nur einen Ton, nie zwei T\u00f6ne auf einmal erzeugen oder, wie es scheint, erzeugen k\u00f6nnen. Dies liegt einmal in dem einfachen resistenten Ansatzrohre und zweitens in der directen oder indirecten Vereinigung der beiden Membranae tym-pani internae. Tritt daher eine Luftverdichtung in der Trachea ein, so werden beide Membranae tympani zu gleicher Zeit nach abw\u00e4rts getrieben; denn sie sind ungemein leicht und die Bewegung der einen \u00fcbertr\u00e4gt sich leicht auf die andere. Wahrscheinlich aber m\u00fcssen die V\u00f6gel ihre beiden Kehlk\u00f6pfe \u2014 namentlich wenn sie in den Bronchien sitzen und ganz und gar von einander getrennt sind \u2014 in gleichm\u00e4ssiger Weise einstellen, wenn nicht zwei verschiedene T\u00f6ne zu gleicher Zeit auftreten sollen. Letzteres beobachtet man \u00fcbrigens an unseren Hausv\u00f6geln (G\u00e4nsen, Enten etc.) nicht sogar selten. Das oft laute, widerliche Geschrei derselben erweist sich bei genauem Zuh\u00f6ren als aus zwei nahe gelegenen, dissonanten T\u00f6nen zusammengesetzt.","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Stimme der Amphibien.\n145\nIII. Die Stimme der Amphibien.\nDie Stimme der Amphibien ist von geringerem Interesse, weil sie sich einmal nur bei wenigen Repr\u00e4sentanten dieser Gattung vorfindet und, wo sie auftritt, einfachen Apparaten ihre Entstehung verdankt.\nUeber die Stimmen der Schildkr\u00f6ten ist wenig bekannt, nach den Einen sollen sie pfeifende T\u00f6ne erzeugen, nach Anderen Laute, die einem tiefen Seufzer \u00e4hnlich sind.1\nDie Schlangen sind stumm, wenn wir von dem eigenth\u00fcm-liehen zischelnden Ger\u00e4usch absehen, welches sie in der Erregung erzeugen, indem sie dabei ihre Zunge weit hervorstrecken, oder von dem Klappern der Klapperschlange, das bekanntlich durch die Klapper an dem Ende ihres Schwanzes erzeugt wird und als Stimme nicht bezeichnet werden kann.\nAnders\u2019bei den Krokodilen. Obwohl man von den in zoologischen G\u00e4rten auf bewahrten Exemplaren kaum je einen Laut h\u00f6rt, ist es .doch allgemein bekannt, dass die Stimmen der Krokodile eine ungemein kr\u00e4ftige, durchdringende, schreiende ist.\nAuch der Kehlkopf dieser Thiere bietet einige Besonderheiten dar. Derselbe ist n\u00e4mlich ein niedriger, knorpliger Ring, dem Schild- und Ringknorpel der S\u00e4ugethiere analog, der vorn und an den Seiten h\u00f6her ist als hinten, und in seinem Inneren ein Paar eigent\u00fcmliche Knorpelleisten zeigt. Diese letzteren paarigen Knorpelst\u00fccke, von Gegenbaur Stellknorpel genannt, und der Cartilago arytaenoidea der h\u00f6heren Thiere entsprechend, finden sich regelm\u00e4ssig bei den Amphibien, auch denjenigen, die ein besonderes Kehlkopfger\u00fcst nicht besitzen. Dann liegen sie an dem Eingang zu den Respirationsorganen und k\u00f6nnen durch ihre gegenseitige Ann\u00e4herung oder Entfernung die Communication der Luft mit den Lungen beliebig ver\u00e4ndern. Bei dem Krokodile sind sie der L\u00e4nge nach von vorn nach hinten in dem knorpligen Ringe ausgespannt und vorn und hinten eingelenkt, so dass sie sich einigermassen frei bewegen k\u00f6nnen. Ihr medialer Rand ist membran\u00f6s und geht in eine ziemlich dicke Lippe \u00fcber, welche das Stimmband darstellt.2 Bl\u00e4st man sie an, so erh\u00e4lt man hohe T\u00f6ne, den Fistelt\u00f6nen des Menschen \u00e4hnlich. Sobald die Stimme ert\u00f6nt, gerathen sie in Schwingungen und schlagen wahrscheinlich aneinander, wodurch die an und f\u00fcr sich ziemlich tiefe Stimme etwas Rauhes, Brummendes, Widerw\u00e4rtiges erh\u00e4lt. Junge Alligatoren hingegen, deren Stimmritze klein und deren Stellknorpel noch wenig entwickelt sind, stossen, wenn sie aus dem Ei kriechen, durchdringende, gellende Schreie aus.3\nDer Kehlkopf der Eidechsen (Saurier) ist dem der Krokodile nicht un\u00e4hnlich, ein ringf\u00f6rmiger Grundknorpel, der nicht selten\n1\tM. Edwards, p. 633.\n2\tSiehe Henle, Taf. Y. Fig. 1\u201414.\n3\tA. v. Humboldt, Beob. aus der Zoologie und vergl. Anatomie in Mayer\u2019s Ana-lektenl. S. 11.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\n10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\nin mehrere St\u00fccke zerf\u00e4llt, sowie die paarigen Stellknorpel finden sich hier wie dort. Feine vorspringende Membranen, in denen die kleinen Stellknorpel liegen, treten als Stimmb\u00e4nder auf und erkl\u00e4ren die hohe Stimmlage jener Thiere, wenigstens der kleinen Exemplare, die bei uns leben. Viele unter ihnen sind ganz stimmlos, weil sie keine Stimmb\u00e4nder haben.\nVon gr\u00f6sserem Interesse ist wieder der Stimmapparat der Lurche, insonderheit der ungeschw\u00e4nzten, w\u00e4hrend derjenige der phylogene-tich viel niedriger stehenden geschw\u00e4nzten \u00e4usserst primitiv ist.\nDer des Wassermolches (Triton cristatus) beispielsweise stellt ein kleines, knorpliges Geh\u00e4use dar, welches nach unten unmittelbar in die Lunge sich fortsetzt und nach oben zwei kleine Stellknorpel tr\u00e4gt, die zum Theil mit den Stimmb\u00e4ndern verwachsen, den Eingang des Kehlkopfes bilden und die Stimme erzeugen. Ihre Muskeln sind so angeordnet, dass man mit Leichtigkeit einen Sphinkter, den Stimmmuskel und zwei Oeffner (Dilatatoren) erkennen kann.\nDie Stimmapparate der ungeschw\u00e4nzten Lurche hingegen sind durchweg h\u00f6her entwickelt und geeignet, eine laute Stimme zu erzeugen, zumal neben den eigentlichen stimmbildenden Apparaten sich noch resonatorische befinden, welche zur Verst\u00e4rkung der Stimme wesentlich beitragen. So ist es bekannt, dass die m\u00e4nnlichen Exemplare unseres gr\u00fcnen Wasserfrosches, sobald sie laut quaken, zwei grosse, seitliche Blasen auftreiben, welche mit dem hinteren Theil des Mundes durch eine kleine Oeffnung in Verbindung stehen, dass ferner der Laubfrosch eine mittlere unpaare, sehr grosse Blase unterhalb des Unterkiefers auftreibt, die ebenfalls dem Zwecke der Resonanz und Stimmverst\u00e4rkung dient.\nDiejenigen ungeschw\u00e4nzten Lurche, welche jene Apparate nicht besitzen, haben keine so laute Stimme, sind aber nicht, wie vielfach behauptet wird, v\u00f6llig stimmlos. So die Weibchen der'beiden genannten Arten, einige Kr\u00f6ten, Unken u. s. w. Indem jene Schallblasen, welche Muskeln in ihren Wandungen haben, grosse Quantit\u00e4ten Luft fassen, begreift man, dass viele von diesen Thieren so lange Zeit hindurch selbst auch unter Wasser ihre Stimme kr\u00e4ftig k\u00f6nnen erschallen lassen.\nDer Kehlkopf der Anuren, beispielsweise derjenige des Frosches, ist ziemlich einfach. Das Ger\u00fcst desselben bildet ein rundlicher, sehr niedriger, ringf\u00f6rmiger Knorpel, der sich nach unten in das Rudiment des Laryngo-Trachealknorpels fortsetzt, an seinem oberen Rande aber zwei verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grosse paarige Knorpelst\u00fccke, die Stellknorpel, tr\u00e4gt, welche nach innen concav, nach aussen convex sind und ausserdem auf ihrer Spitze noch je ein kleines keilf\u00f6rmiges Knorpelst\u00fcckchen, den San-torinischen Knorpel, tragen. Diese letzteren alle sind eingeschlossen in","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Stimme der Lurche. Stimme der Fische.\n147\ndie Substanz des Stimmbandes , dessen medialer Rand aus elastischem Gewebe besteht.1\nUnterhalb dieser oberen wahren Stimmb\u00e4nder bemerkt man noch zwei kleine Schleimhautvorspr\u00fcnge , die aber f\u00fcr die Stimmbildung von keiner Bedeutung sein d\u00fcrften.\nDie verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig tiefe Stimme, welche diese Thiere haben und die bei der Kleinheit der Stimmapparate auffallen muss, liegt offenbar in der geringen Spannung und relativ bedeutenden Dicke der Stimmb\u00e4nder, sowie in ihrem nicht unbetr\u00e4chtlichen Gewichte, welches durch die eingelagerten Knorpelst\u00fccke vermehrt wird.\nEine besondere Erw\u00e4hnung verdient noch der Kehlkopf der Pipen. Er stellt eine knorplige Lade dar, in deren Innerem zwei knorplige (beim M\u00e4nnchen verkn\u00f6cherte) lange St\u00e4be von vorn nach hinten liegen. Sie sind so lang, wie die Lade selbst und an ihrem vorderen (beziehungsweise oberen) Ende befestigt, w\u00e4hrend ihr hinteres (unteres) frei ist und gerade \u00fcber der Einm\u00fcndung eines jeden Bronchus in die Lade zu liegen kommt. Sie gleichen also durchaus den Zungen einer Harmonika und geben, mit einem R\u00f6hrchen angeblasen, einen tiefen, brummenden Ton von sich.\nIV. Die Stimme der Fische.\nDie meisten Fische sind bekanntlich stumm. Doch war es schon im Alterthum (Aristoteles2) bekannt, dass manche Fische sowohl ausserhalb ihres feuchten Elementes, als namentlich, wenn man sie aus dem Wasser herausnimmt, tiefe, brummende T\u00f6ne von sich geben. Cuvier und Valenciennes 3 4, sowie Joh. M\u00fcller j forschten der Ursache dieser T\u00f6ne nach ; neuerdings haben Dufoss\u00e9, ein franz\u00f6sischer Marinearzt, und Moreau Untersuchungen \u00fcber denselben Gegenstand angestellt. Die Resultate dieser Untersuchungen sind folgende.\nZun\u00e4chst ist es sicher, dass die Ursache der Stimmen bei den verschiedenen Individuen eine durchaus verschiedene ist, indem ein-\n1\tSehr \u00fcbersichtliche und zierliche Pr\u00e4parate hiervon erh\u00e4lt man, wenn man den Kehlkopf in horizontale Schnittreihen zerlegt. Namentlich treten die Muskeln (der Sphinkter und die Dilatatoren, die sich an die Santorinischen Knorpel ansetzen) deutlich hervor.\n2\tAristoteles, Historia animalium IV. 9. Die betreffende Stelle lautet \u00fcbersetzt: \u201eAuch die Fische sind stumm, denn sie haben weder Lunge noch Luftr\u00f6hre oder Kehlkopf, doch geben diejenigen einige Ger\u00e4usche von sich, von denen man sagt, dass sie Stimmen haben, wie Lyra und Chromis ; denn diese stossen eine Art Grunzen aus ; auch Kapros im Flusse Acheloos, ferner Chalkeus und Kokkys. Jener giebt ein Ger\u00e4usch wie ein Schnurren, dieser aber einen Ton wie der Kuckuk, woher er auch den Namen hat, von sich. Alle erzeugen die scheinbare Stimme theils durch das Reiben der Kiemen, denn da sind dornige Stellen, theils aus den Theilen im Bauche, denn ein jeglicher von ihnen enth\u00e4lt Luft, durch deren Reibung und Bewegung sie die T\u00f6ne hervorbringen.\n3\tValenciennes, Histoire des poissons XV. p. 261.\n4\tJoh. M\u00fcller, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1852. S. 249. U\u00ebber die Fische, welche T\u00f6ne von sich geben und die Entstehung dieser T\u00f6ne.\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\nmal die T\u00f6ne durch directe Ersch\u00fctterung der Luft, das andere Mal durch Erzitterung fester Theile erzeugt werden.\nF\u00fcr die erste Art der Stimmenerzeugung ist der Schlammpeizger ein Beispiel. Wenn man einen Schlammpeizger f\u00e4ngt und ihn aus dem Wasser in die freie Luft h\u00e4lt, so h\u00f6rt man fast regelm\u00e4ssig ein ganz feines, hohes Piepen oder Quiken. Dieses Get\u00f6n kommt offenbar dadurch zu Stande, dass das Thier Saugbewegungen mit seinen Lippen macht, geradeso wie es auch Saugbewegungen unter Wasser ausf\u00fchrt und sich an Steine und dergleichen ansaugt. Indem dabei die feinen Lippen als sehr kleine akustische Zungen wirken, bildet sich der hohe, quikende Ton, obwohl man, wie auch Joh. M\u00fcller angiebt, eine Bewegung jener Theile nicht beobachten kann. Unter Wasser habe ich Schlammpeizger nie quiken h\u00f6ren.\nGanz anderer Art ist das knarrende Ger\u00e4usch, welches die sogenannten Knurrh\u00e4hne (Trigla gurnardus) oder Flugh\u00e4hne (Daetylopterus voli-tans) von sich geben. Ueber die Stimme der ersteren \u00e4ussert sich Joh. M\u00fcller folgendermassen : \u201e Die lebende Trigla lag in einem Boote und ich h\u00f6rte sie mehrere Male laut in der Luft knurren. Jedesmal beim Knurren schwoll der Vorderbauck seitlich hinter dem Schulterg\u00fcrtel an, und ich f\u00fchlte dort mit dem hinter dem Schulterg\u00fcrtel angelegten Finger beim Knurren einen Druck. Ich konnte durch die Bewegung der Kiemendeckel keinen Ton hervorbringen, weder an dem lebenden Fische, noch an dem todten. Bei der Section fand ich in der Schwimmblase Nichts vor, was die Entstehung von T\u00f6nen erkl\u00e4ren k\u00f6nnte.\u201c Dufoss\u00ea1 hingegen, welcher die Tonh\u00f6he der von jenen Thieren erzeugten Laute auf h' und d\" angiebt, ist der Ansicht, dass dieses Knurren ein Muskelton sei, bedingt durch eine mechanische Contraction der Intercostalmuskeln und verst\u00e4rkt durch die Kesonanz der benachbarten Schwimmblase. Letztere sei zur Erzeugung des Tones unbedingt notkwendig; denn w\u00e4hrend des Brummens kann man mit dem Finger ihre Ersch\u00fctterungen f\u00fchlen. Das laute Brummen bleibt ganz aus, wenn man die Schwimmblase entfernt oder ihrer Luft beraubt, w\u00e4hrend ein geringes Schnurren in den Intercostalmuskeln geh\u00f6rt wird und der ganze \u00fcbrige K\u00f6rper sich ruhig verh\u00e4lt. Jegliches Get\u00f6n aber h\u00f6rt auf, sobald man die Muskeln durch Zerschneiden ihrer Nerven vollst\u00e4ndig l\u00e4hmt.\nAehnlich steht es mit dem Flugbahn, Daetylopterus volitans, einem bekannten Fische des Mittelmeeres. Joh. M\u00fcller beobachtete ein Exemplar in- und ausserhalb des Wassers und behauptet, dass er nicht (wie Aristoteles glaubte, der ihn Chelidon nennt) mit den Fl\u00fcgeln, sondern verm\u00f6ge der Gelenke der Kiemendeckel t\u00f6nt. Der Fisch gab n\u00e4mlich, als er frei in der Hand gehalten wurde, das Knurren von sich; indem er jedesmal die Kiemendeckel weit aufsperrte; gerade in dem Augenblicke, als er die Bewegung machte, erfolgte der Ton. Der Fisch wurde unter Wasser gebracht, und auch jetzt gab er freiwillig auf dieselbe Weise, immer durch aufsperrende Bewegung der Kiemendeckel denselben knarrenden Ton von sich. Joh. M\u00fcller ist demnach nicht zweifelhaft, dass der Ton sowie, in den Angeln einer knarrenden Tli\u00fcre, in dem Gelenke des\n1 Dufoss\u00fc, Ann. d. sc. nat. 5. s\u00e9r. XXX.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Stimme cler Fische. Stimme der Insekten.\n149\nSchl\u00e4fenbeines am Sch\u00e4del entsteht und die Schwimmblase dabei ganz unbetheiligt ist.\nAnders einige neuere Forscher. Dufoss\u00e9 nimmt f\u00fcr den Flughahn denselben Mechanismus der Stimmenerzeugung an, wie beim Knurrhahn; M. Edwards legt das Hauptgewicht auf die Schwimmblase und die in ihr befindliche Luft, welche aus einer Abtheilung der Schwimmblase in eine andere durch einen Spalt getrieben werde und hierdurch t\u00f6ne, sowie auch das Gas in unseren D\u00e4rmen, indem es enge Stellen passire, zu bekannten knurrenden T\u00f6nen Veranlassung g\u00e4be. Moreau1 2 vertritt dieselbe Ansicht, zumal er in der Schwimmblase einiger mit Stimme begabten Fische (Trigla hirundo und Zeus faber) einen queren Muskelapparat entdeckt hat, welcher die Schwimmblase in zwei Abtheilungen trennt. In der Mitte des Muskelringes befindet sich eine Oeffnung, die vergr\u00f6ssert oder verkleinert werden kann, wie die Pupille des Auges. Treibt das Thier die Luft durch diesen engen Spalt, so erzeugt es einen knarrenden oder grunzenden Ton, und reizt man k\u00fcnstlich die Nerven, welche zu jenen Muskeln gehen, so ist man im Stande, auch im todten Thiere \u00e4hnliche T\u00f6ne zu erzeugen.\nEiner ganz besonders wohlklingenden und selbst in ihrer H\u00f6he wechselnden Stimme erfreuen sich die Umberfische (Sciaenoidei), die Maigres der Franzosen, welche, wenn sie in gr\u00f6sseren Schaaren vorhanden sind, eine unterseeische Musik machen, die selbst 20 Klafter tief erzeugt, doch auf der Oberfl\u00e4che des Meeres deutlich geh\u00f6rt werden kann. Die Fischer legen, wie Duhamel 2 berichtet, das Ohr an den Rand des Schiffes, um sich nach diesem Brummen zu richten und den ungef\u00e4hren Ort der Fische zu bestimmen ; auch behaupten sie, dieselben durch T\u00f6ne (Pfeifen) ohne Lockspeise anlocken und leicht fangen zu k\u00f6nnen.\nDie Ursache dieser brummenden, singenden T\u00f6ne, welche nicht selten denen einer entfernten Orgel gleichen sollen, verlegt man ebenfalls in die Schwimmblase.\nIch selbst habe keine eigenen Erfahrungen in dieser Angelegenheit und stelle der Uebersichtlichkeit halber nach den Untersuchungen von Joh. M\u00fcller die verschiedenen \u201ePisces vocales\u201c zusammen.\nAus der Familie der Cataphracti die Gattungen Dactylopterus, Trigla, Cettus. Familie Sciaenoidei, Sciaena, Corvina, Otolithus, Prestispoma, Pogonias; Scomberoidei \u2014 Zeus; Pediculati \u2014 Batrachus; Gymnodontes \u2014 Orthragoriscus, Tetrodon und Diodon; Sclerodermi \u2014 Balistes; Siluroi-dei \u2014 Synodontis ; Cyprinoidei \u2014 Cyprinus tinea und barbus und Cobitis.\nY. Die Stimme der Insekten.\nWir bezeichnen mit der Stimme der Insekten, geradeso wie wir es bei der Stimme der Fische gethan haben, die F\u00e4higkeit jener Thiere, auf irgend eine Weise T\u00f6ne zu erzeugen, vornehmlich, wenn jene T\u00f6ne als Mittel zur gegenseitigen Verst\u00e4ndigung angewendet\n1\tMoreau, Sur la voix des poissons. Compt. rend. 1864. IL. p. 436.\n2\tDuhamel, Trait\u00e9 des p\u00eaches II. Sect. VI. p. 138.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\noder in Folge irgend welcher psychischer Erregung erzeugt werden. Die lediglich durch den Schlag der Fl\u00fcgel erzeugten T\u00f6ne kann man daher mit dem Namen Stimme kaum belegen.\nUnter den Schnabelkerfen in der Ordnung der Homop-tera treffen wir sofort auf den classischen Vertreter der mit Stimme begabten Insekten, die C i c a d e. Ihr Chorgesang ert\u00f6nt weithin, nach den Angaben des Capit\u00e4n Hannock1 eine ganze englische Meile weit; sie war beliebt bei den Alten2 und ist es noch heut bei den Chinesen. Mit Stimme begabt sind nur die M\u00e4nnchen, die Weibchen sind stumm. Xenarchus3 begl\u00fcckw\u00fcnscht jene deshalb mit den Worten:\nH\u00eet eiolv oi TZTTiyeg ovx evdai/Lioveg, c\u00fcv Talg yvvai^lv ov\u00f63 otiovv cpcovrjg evi ;\nUeber die Ursache des Gesanges haben R\u00e9aumur4, R\u00f6sel5 und in neuerer Zeit Landois6, Paul Mayer7 und Andere8 Untersuchungen angestellt. Um sie zu verstehen, diene folgende kurze anatomische Auseinandersetzung. Auf der Unterseite des Metathorax der m\u00e4nnlichen Ci-caden liegen unter der Einlenkung der beiden Hinterbeine zwei lederartige, dunkel gef\u00e4rbte Schuppen, jede etwa von der halben Breite des Leibes. Schl\u00e4gt man sie nach oben zur\u00fcck, so gewahrt man die membran\u00f6se Wandung des Singapparates, ein zartes, glashelles H\u00e4utchen, welches an trockenen Exemplaren in Regenbogenfarben schillert. Einen Einblick in den Apparat selbst aber verschafft man sich, wenn man die Cicade von der R\u00fcckenseite \u00f6ffnet und ihn von unten und hinten her betrachtet, wie etwa das menschliche Zwerchfell von der Bauchh\u00f6hle aus. Indem ich betreffs der complicirten Einzelheiten, deren Verst\u00e4ndniss man sich mit Hilfe guter Beschreibungen wohl nur durch eigene Untersuchungen verschaffen kann, auf die obigen Werke verweise, f\u00fchre ich nur folgende wesentlichen Punkte an. Das erste, was, wie ich glaube, Jedem, der eine\n1\tDarwin, Abstammung des Menschen, \u00fcbers, von Victor Carus. I. S. 313,\n2\tAnakreon besang sie folgendermassen (Anakreontis avfinoaiaxd rj^u\u00e4fi\u00dfta ed. Rose p. 34) :\nMaxagi^o/rev Ge, rerri\u00a3, bre SevSoecov en axQcov oXiyrjv Sgboov nencox\u0153s \u00dfaGiXevs oncos aeiSeis. oct y\u00e2\u00e7 sari xelva navra, onboa \u00dfXeneis \u00e8v dyoo\u00efe, bnoG1 av cpeQOVGiv vXat' gv Se q>iXraros yecogycbv, dno /urjSevbs n \u00dflanrtov,\nGv Se rifuos \u00dfoordlGiv, d'epeoe yXvxv s ngotprjrrjs. (piX\u00e8ovGi fiev Ge Movcai,\n(piXeei \u00a7e <Pol\u00dfos avrbs, Xiyvgrjv eScoxev o\u00effirjv. ro Se yrjgas ov Ge reigei, Gocpe yrjyeves, (piXvfive' anad'rjS S\\ dvaiu\u00d6Gagxos G%e\u00a7ov el d'edls o/uoios.\n3\tXenarchus, Fragmenta comicorum graecorum ed. Meineke III. p. 625.\n4\tR\u00e9aumur, M\u00e9moire pour servir \u00e0 l\u2019histoire des Insectes V. partie I. Amsterdam 1745.\n5\tR\u00f6sel. Insectenbelustigungen. II. Theil. Verschiedene ausl\u00e4ndische Sorten von Cicaden. Ein entz\u00fcckendes Werk, gleich hervorragend durch die Kunst der Abbildungen wie die Naivit\u00e4t und Frische der Darstellung.\n6\tLandois, Ztschr. f. wiss. Zoologie XVII. S. 105, XXII. S. 348.\n7\tPaul Mayer, ebenda XXVIII. S. 79, woselbst auch die neuere ausl\u00e4ndische Literatur verzeichnet.\n8\tM. Carlet, Ann. d. sc. nat. 1877. s\u00e9r. 6. V.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Stimme der Cicade, Haut- und Zweifl\u00fcgler.\n151\nCicade zum ersten Male \u00f6ffnet, auffallen muss, ist ihr, wie es scheint, ganz leerer Hinterleib.1 2 Es ist derselbe also, weil mit Luft gef\u00fcllt und aus elastischem Chitin bestehend, ein vortrefflicher Resonator, eine That-saclie, worauf zuerst Targioni Tozzetti 2 aufmerksam gemacht. Weiterhin f\u00e4llt sofort (und nur an den singenden m\u00e4nnlichen Exemplaren) ein Paar Muskeln auf, welche von einer beschr\u00e4nkten Stelle der Bauchseite entspringen und nach dem R\u00fccken zu, in etwa einem rechten Winkel di-vergirend, sich mit je einer feinen Sehne an eine elastische Haut ansetzen, die ihrerseits fest mit der hinteren, seitlichen Wandung des Singapparates vereinigt ist. Wir haben also im Wesentlichen jederseits ein K\u00e4stchen vor uns, dessen eine elastische (membranose) Wand mit der gegen\u00fcberliegenden festen durch einen Muskel verbunden ist. Denken wir uns nun den Muskel in schnell aufeinander folgende Zuckungen versetzt, so wird die elastische Wand in t\u00f6nende Schwingungen gerathen und die gesammte elastische Umgebung (der Hinterk\u00f6rper des Thieres mit seinen Luftr\u00e4umen) kr\u00e4ftig mitschwingen.3 Dass dies Alles in der That geschieht, beweist die unmittelbare Beobachtung der singenden Thiere und ein interessanter Versuch von Mayer, welcher den Singmuskel erst einseitig, dann doppelseitig durchschnitt und hierdurch eine Abschw\u00e4chung, beziehungsweise ein Aufh\u00f6ren des Gesanges bewirkte.\nWir wenden uns zu der Stimme der \u00fcbrigen Insekten, insonderheit der Zweifl\u00fcgler und Hautfl\u00fcgler. Sie ist, wenn man dem gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauche folgt, eine doppelte, einmal bedingt durch den raschen Fl\u00fcgelschlag jener Thiere und das andere Mal unabh\u00e4ngig von ihm und durch andere Bedingungen hervorgerufen. Der erstere, der Flugton der Insekten, zeigt bei denselben Individuen dieselbe H\u00f6he; doch kann man beobachten, dass er ein wenig in seiner Tonh\u00f6he schwankt. Eine M\u00fccke, welche im Begriff steht, sich auf unsere Haut niederzulassen, summt etwas tiefer als im freien Fluge ; eine erm\u00fcdete Fliege oder Biene tiefer als eine muntere, frische.\n1\tAnakreon (s. S. 150) nennt sie \u00e0voufi\u00f4aa\u00e7xos.\n2\tTargioni Tozzetti, Annuario scientifico ed industriale 1867.\n3\tEin Modell von dem Singapparat der Cicaden verschafft man sich meiner Meinung nach einfach in der Weise, dass man \u00fcber ein cylindrisches Glas eine Membran spannt und auf deren Mitte ein leichtes, beharztes Holzst\u00e4bchen klebt. Streicht man an diesem Holzst\u00e4bchen mit den Fingern, so t\u00f6nt die Membran, indem die streichende, contmuirliche Bewegung der Finger durch die Reibung \u2019(wie beim Fiedelbogen) in eine discontinuirliche und durch die Elasticit\u00e4t der Membran in eine periodische umgewandelt wird. Aehnliches gilt auch von dem Singmuskel der Cicade, der nicht nothwendig ebenso h\u00e4ufig sich zu contrahiren braucht, als die t\u00f6nende Membran hin und her schwingt. \u2014 Auch die sogenannten \u201eWaldteufel\u201c, die auf deutschen Weihnachtsm\u00e4rkten ihre Stimmen h\u00f6ren lassen, sind ein gutes\u2019 Beispiel daf\u00fcr, wie man im Grossen nach demselben Princip T\u00f6ne erzeugt, nach welchem die Cicade es im Kleinen thut. Die Waldteufel sind bekanntlich offene kurze Cylinder aus Pappe, durch deren basale Wand ein Pferdehaar gezogen ist! Das Pferdehaar wird um einen befeuchteten runden Stab passend geschlungen und der ganze Cylinder um den Stab selbst gedreht. Je nach der Gr\u00f6sse und Beschaffenheit des Cylinders giebt das Spielzeug einen h\u00f6heren (quarrenden) oder tieferen (brummenden) Ton. \u2014 Die entgegengesetzte Ansicht von Landois, dass der Singapparat der Cicaden eine Zungenpfeife sei, findet weiter unten (S. 154) ihre Erledigung","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 5. Cap. Stimme der Thiere.\nDie eigentliche Stimme jener Thiere, die gemeiniglich viel h\u00f6her als ihr Flugton ist, ist einer Modulation f\u00e4hig, und zwar in Bezug auf Tonh\u00f6he wie Tonst\u00e4rke. Die gemeine Schmeissfliege brummt die T\u00f6ne des2, d2, c3, indem sie dieselben in einander schleift; die Honigbiene besitzt den gr\u00f6ssten Tonumfang, sie brummt c3, cis3, d3, e3, f3 in der mannigfaltigsten Weise durcheinander (Landois).\nDie Ursache dieser Stimme liegt nach Landois in kleinen membra-n\u00f6sen Stimmb\u00e4ndern, welche quer vor gewisse Stigmata gespannt sind und durch den Exspirationsluftstrom zum T\u00f6nen gebracht werden. Wenn man nun aber liest, dass jene Stimmb\u00e4nder z. B. bei der Brummfliege etwa 0,25 mm. lang und 0,16 mm. breit und 0,003 mm. dick sind, so ist es absolut unm\u00f6glich, dass so kleine und zarte Gebilde die eben genannten T\u00f6ne durch eigene Schwingungen oder nach Art der Zungen erzeugen k\u00f6nnen.1\nSicher ist nur, dass, w\u00e4hrend die Stimme des Insektes tont, mit grosser Kraft Luft aus den Stigmaten heraustritt, welche den isolirten Thorax des Thieres, dem ausserdem Beine und Fl\u00fcgel abgeschnitten sind, in entgegengesetzter Richtung fortbewegt, und dass andererseits Verklebung der Stigmata mit Wachs oder Gummi arabicum die Stimme vernichtet.\nDie n\u00e4heren Ursachen jedoch, welche die Stimme dieser Insekten bedingen, bin ich ausser Stande anzugeben, m\u00f6chte jedoch die Muskeln des Thorax, deren rapide Zusammenziehungen den schnellen Schlag der Fl\u00fcgel erzeugen, wesentlich daf\u00fcr verantwortlich machen, sei es nun, dass die Fl\u00fcgel wirklich bewegt werden oder, wie im vorgenannten Experimente, abgeschnitten sind. Dann bleiben immer noch die Fliegmuskeln im Thorax zur\u00fcck und k\u00f6nnen durch rasch aufeinander folgende Contrac-tionen, die sonst die Fl\u00fcgel in Bewegung setzten (denn eine ruhende Biene erzeugt meines Wissens nie einen Ton), die W\u00e4nde des Thorax erzittern lassen und die Luft aus den Stigmaten heraustreiben. Dass deren Ver-schliessung die Stimme vernichtet, beweist Nichts f\u00fcr die LANDOis\u2019sche Annahme, da hierdurch der Athmungsprocess und die energische Muskel-th\u00e4tigkeit zu sehr gest\u00f6rt wird. Verklebung der Stigmata bei Cicaden hebt \u00fcbrigens ihren Gesang nicht auf.'2\nGanz verschieden von jeglicher Art der Stimmerzeugung und h\u00f6chst eigenartig ist die Art und Weise, vermittelst deren einige Geradfl\u00fcgler und K\u00e4fer zirpende oder quikende T\u00f6ne erzeugen. Allen jenen Thieren kommen sogenannte S tri dul at io ns organe zu, d. h. Apparate, in denen 2 rauhe K\u00f6rper gegen einander gerieben und dadurch zum T\u00f6nen gebracht werden, einigermassen \u00e4hnlich der Saite der Violine, wenn sie mit dem rauhen Bogen gestrichen wird.\nDiese Stridulationsorgane, die auf das Genaueste und Sorgf\u00e4ltigste zuerst von Landois untersucht und abgebildet worden sind, finden sich\n1\tDasselbe gilt \u00fcbrigens auch von der Cicade, an deren Singapparat Landois ebenfalls Stimmb\u00e4nder beschrieben, welche wie diejenigen des Kehlkopfes die aus den oben beschriebenen Hohlr\u00e4umen des K\u00f6rpers str\u00f6mende Luft periodisch unterbrechen sollen.\n2\tLepori, Bulletino della societ\u00e0 entomologica italiana I. 1869.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Stimme der Geradfl\u00fcgler und K\u00e4fer. Stimme der Schmetterlinge. 153\nan verschiedenen Organen jener Thiere. Bei der gemeinen Feldheuschrecke (Stenobothrus pratorum), welche im Sommer auf allen Wiesen zu Hunderten musicirt, liegt die \u201eSchrillleiste\u201c (s. Fig. 55, s) an der inneren Oberfl\u00e4che des Oberschenkels und dort zeigt das Mikroskop 85\u201493 zierliche, gleich weit von einander entfernte1 Z\u00e4hnchen von Lanzettform\nFig. 55. Schrillleiste der Heuschrecke (a nat\u00fcrl. Gr\u00f6sse, \u00f6 stark vergr\u00f6ssert) nach Landois.\n(s). Reibt das Thier jene Z\u00e4hnchen gegen eine vorspringende Leiste der gleichseitigen Fl\u00fcgeldecke, so wird diese elastische Platte in t\u00f6nende Schwingungen versetzt, die um so lauter sind, je freier die Fl\u00fcgeldecke in der Luft gehalten und je kr\u00e4ftiger sie gestrichen wird.\nBei den Grillen (Gryllus campestris) und Heimchen (Gryllus dome-sticus) ist jede der beiden Fl\u00fcgeldecken mit einer Schrillleiste versehen, und das Thier geigt einen Fl\u00fcgel mit dem anderen. Auf \u00e4hnliche Weise entsteht auch die Stimme vieler K\u00e4fer. Bei den Bockk\u00e4fern (Longicornia), indem der Prothorax mit seiner scharfen, inneren Randkante \u00fcber eine Reibleiste des Mesothorax reibt, bei dem Todtengr\u00e4ber (Necrophorus) dadurch, dass an einer queren Chitinleiste der Fl\u00fcgeldecken eine L\u00e4ngsleiste feiner Rillen, die auf dem f\u00fcnften Hinterleibsringe sitzen, auf- und abgef\u00fchrt wird.\nUnter den Schmetterlingen kommt nur dem Todtenkopf (Sphynx atropos) eine Stimme zu. Sie ist quikend und piepend und ert\u00f6nt fast jedesmal, wenn man das Thier irgendwie bel\u00e4stigt, reizt oder betastet. Ihre Ursache zu erforschen haben sich R\u00e9aumur 2, R\u00f6sel 3, Passerini 4, Duponchel 5, Rudolph Wagner 6 7, Landois 7 u. A. bem\u00fcht, so dass dieses an und f\u00fcr sich wenig interessante Thier eine nicht unbedeutende Literatur aufzuweisen hat. Ohne hier auf die streitigen Punkte n\u00e4her einzugehen, sei erw\u00e4hnt, dass die Ansicht von R\u00e9aumur und Landois wohl die richtige ist, nach welchen das Piepen durch Reibung der rauhen Palpen an dem R\u00fcssel erzeugt wird. Ein Hindurchblasen von Luft durch den S\u00e4ugr\u00fcssel, \u2014 wie es Rudolph Wagner und neuerdings Moseley8 annimmt \u2014, ist hierbei von keiner Bedeutung.\n1\tBei den Exemplaren, die ich untersucht, fand ich in Uebereinstimmung mit Gr\u00e4ber (Ztschr. f. wiss. Zoologie XXII. S. 100) diese Z\u00e4hnchen nicht so gleichm\u00e4ssig angeordnet, sondern an Gr\u00f6sse und Gestalt verschieden.\n2\tR\u00e9aumur, M\u00e9moires pour servir \u00e0 l\u2019histoire des insectes II. Part. H. p. 51. Amsterdam 1737.\n3\tR\u00f6sel, Insektenbelustigungen III. 1755.\n4\tPasserini, Osservazioni sopra la Sphinx atropos. Pisa 1828.\n5\tDuponchel, Ann. d. la soc. entomologique 1839. VIII.\n6\tRudolph Wagner, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1836.\n7\tLandois, 1. c. p. 159.\n8\tMoseley, Nature VI. p. 151. London and Newyork 1872.","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"DIE PHYSIOLOGIE DER SPRACHE,\nDIE ELEMENTE (LAUTE) DER SPRACHE.\nIhre Eintheilung. (Vocale und Consonanten.)\nDie Kl\u00e4nge und Ger\u00e4usche, welche wir mit unseren Stimmorganen, sei es wesentlich im Kehlkopfe allein, sei es im Ansatzrohre oder in beiden zusammen, erzeugen, bilden die Elemente der Sprache; sie sind die Bausteine, aus denen sie aufgebaut wird und nehmen deshalb in erster Linie unsere Aufmerksamkeit in Anspruch.\nWir wenden uns zun\u00e4chst zur Eintheilung der Sprachlaute und stossen sofort auf ein schwieriges Gebiet, indem fast jeder Lautphysiologe oder Sprachforscher andere Eintheilungsprincipien angewendet hat als seine Vorg\u00e4nger oder Mitarbeiter.\nAlthergebracht ist die Eintheilung in Vocale und Consonanten und schon Aristoteles1 sagt, dass die Vocale im Kehlkopfe mit Stimme, die Consonanten aber mit der Zunge und den Lippen erzeugt werden. Als Eintheilungsprincip tritt also hier auf sowohl der verschiedene Eindruck, den die Laute auf unser Ohr machen, wie auch die Art und der Ort ihrer Entstehung.\nNimmt man aber, wie es vielfach geschieht, bloss eines dieser Principien an, z. B. das erste akustische, so ereignet sich, dass Laute in eine Gruppe zusammengestellt werden, die zwar \u00e4hnlich klingen, aber doch einen sehr verschiedenen Bildungsmodus haben, und theilt man andererseits die Laute nur auf Grund ihrer Entstehung ein, beziehungsweise auf Grund der verschiedenen Mundstellungen, welche zu ihrer Entstehung nothwendig sind, so werden wiederum akustisch sehr \u00e4hnliche Laute k\u00fcnstlich von einander getrennt.\nJedes der beiden Principien hat eine gewisse Berechtigung. Von der grossen Menge wird wesentlich das akustische als das nat\u00fcrliche be-\n1 Aeistoteles, Historia animal. IV. Cap. 9.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologie der Sprache. Elemente (Laute) der Sprache.\n155\ntrachtet ; denn kein Mensch ist sich, wenn er nicht besonders darauf aufmerksam gemacht wird, bewusst, wie er seine Laute in der Sprache bildet, er fasst nur ihr Klangbild auf und ahmt es nach ; wie er dabei die Lippen, die Zunge oder gar das Gaumensegel stellt und die Kehlkopfmuskeln zusammenzieht, davon hat er keine Ahnung.\nDieses akustische Princip ist daher auch bei der Bildung und Entwicklung der Sprache von hervorragender Bedeutung gewesen; nicht sowohl gleichartig oder \u00e4hnlich gebildete, als vielmehr \u00e4hnlich klingende Laute sind f\u00fcr einander eingetreten und haben zu Lautverschiebungen, Wortver\u00e4nderungen und dergleichen gef\u00fchrt. Freilich ist dabei nicht ausser Acht zu lassen, dass auch die Bildung der einzelnen Laute, namentlich die Leichtigkeit und Bequemlichkeit, mit welcher sie ausgesprochen und in einander \u00fcbergef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, von entscheidendem Einfluss gewesen ist und immer bleiben wird. Ausnahmsweise sind deshalb auch sehr verschieden klingende Laute, nur weil sie \u00e4hnlich gebildet werden, als gleichwerthig angesehen und mit einander verwechselt worden.\nKehren wir wiederum zu den Yocalen und Consonanten zur\u00fcck, so ist die gew\u00f6hnliche Definition, dass erstere nur mit Stimme f\u00fcr sich allein, letztere nur in Verbindung mit den Vocalen ausgesprochen werden k\u00f6nnen, bekanntlich nicht richtig; denn viele Consonanten (m, n, 1 etc.) werden nur mit Stimme erzeugt und k\u00f6nnen beliebig lange allein f\u00fcr sich gesprochen werden und andererseits kann man auch in Fl\u00fcsterstimme jeden beliebigen Vocal bilden.\nDer wesentliche Unterschied jener beiden Lautgruppen liegt, wie Thausing 1 und Sievers 2 richtig bemerken, nicht sowohl in ihrem Lautcharakter als in ihrer Function, in ihrer Verwendung bei der Sprache. Die Vocale sind meistentheils die Tr\u00e4ger des Silbenklanges, namentlich in den Zeitmomenten, in denen er am st\u00e4rksten ist, die Tr\u00e4ger des Accentes, die Consonanten verbinden sich mit den Vocalen, Sonanten (Thausing) und treten, auch wenn sie mit Stimmton erzeugt werden, zur\u00fcck, sie t\u00f6nen nur mit, sie sind selten die Tr\u00e4ger des Accentes einer Silbe. Spreche ich beispielsweise das Wort \u201eberitten\u201c (berittn) aus, so tritt das n vocalisch auf, es tr\u00e4gt den Ton der letzten Silbe, sage ich hingegen \u201eberittne\u201c, so wird das n ein Consonant, der Ton \u00fcbertr\u00e4gt sich auf das letzte e.\nNichtsdestoweniger wollen wir bei der althergebrachten und bekannten Eintheilung der Vocale und Consonanten stehen bleiben und uns zun\u00e4chst mit den Vocalen besch\u00e4ftigen.\n1\tThausing, Das nat\u00fcrliche Lautsystem S. 97. Leipzig 1863.\n2\tSievers, G-rundz\u00fcge der Lautphysiologie S. 27. Leipzig 1876.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nSECHSTES CAPITEL.\nDie Vocale.\nI. Die Eintheilimg der Yocale.\nEs w\u00fcrde den Leser wenig interessiren, wollte ich an dieser Stelle alle oder auch nur den gr\u00f6ssten Theil der verschiedenen Ein-theilungsversuche der Vocale hersetzen. Es gen\u00fcge daher Folgendes:\nKempelen1 2 theilte die Vocale genetisch ein, indem er einerseits die Gr\u00f6sse der Mund\u00f6ffnung und andererseits die Gr\u00f6sse des Mundcanals (d. i. des zwischen Zunge und Gaumen liegenden Raumes), welche zur Bildung der verschiedenen Vocale n\u00f6thig sind, als Eintheilungsprineip verwendete. Denkt man sich die Oeffnung des Mundes der Gr\u00f6sse nach in f\u00fcnf Grade getheilt, so wird\nbeim Grad 1, d. i. der geringsten Mund\u00f6ffnung hervorgebracht, U,\n2,\t\u201e einer geringen\tn\t\u00bb 0,\n3,\t\u201e einer mittleren\tn\t\u00bb\tJ,\n\t\u201e der gr\u00f6ssten\tn\t\u00bb\tE,\nAndererseits\t\t\t\n\tbei Grad 1 des Mundcanales J,\t\t\n\t2 \u201e\tE,\t\n\t3 \u201e\t\u00bb\tA,\t\n\t4 \u201e\t0,\t\n\t5 n\t\u201e\tu,\t\nAls die Grundpfeiler der Vocale, d. h. als die auf unser Geh\u00f6r den verschiedensten Eindruck hervorrufenden Kl\u00e4nge, welche allein die hiero-glyphische, indische, althebr\u00e4ische und gothische Schrift kannte, treten uns entgegen i, a, u, die von Lepsitjs 2 passend in folgender Form angeordnet werden :\na\n1\u2014u\nwodurch angedeutet, dass zwischen je zweien dieser Laute Ueberg\u00e4nge existiren. Hiernach gestaltet sich das Schema folgendermassen :\na\ne\u2014\u00f6\u2014o\n1\tUeber akustische Eigenschaften, die er an ihnen beobachtete, siehe unter Theorie der Vocale.\n2\tLepsitjs, Das allgemeine linguistische Alphabet, Berlin 1855 und Standard Alphabet II. London and Berlin 1863.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Die Eintheilung der Vocale.\n157\nViele betrachten das A als den Grundvocal, so Stellwag1 2 3; du Bois-Reymond 2 der Aeltere in seinen ersten Arbeiten, Thausing 3 u. A., und lassen die \u00fcbrigen Vocale aus ihm hervorgehen. Es hat dies insofern eine gewisse Berechtigung; als das A in der That der wohl am wenigsten ver\u00e4nderte Stimmklang des Kehlkopfes ist; und ein weit ge\u00f6ffnetes Ansatzrohr verlangt.\nBer\u00fccksichtigt man jedoch bei den Voealen, insofern sie Sprach-laute sind, nicht bloss den akustischen Effect, sondern auch ihre Genese, die Art ihrer Entstehung und Bildung, so gelangt man durch folgende Betrachtung zu einem nat\u00fcrlichen, genetischen und zugleich akustischen Eintheilungsprincip. Der jeweilige Klangcharakter der Vocale wird bedingt, wie dies bereits Kempelen angedeutet, sowohl durch die verschiedene Gr\u00f6sse der Mund\u00f6ffnung f\u00fcr sich, wie die des Mundcanals f\u00fcr sich, wie durch beides zusammen. L\u00e4sst man daher die Stimme ert\u00f6nen, indem man bei tiefer Lage der abgeplatteten Zunge die Lippen erst wenig, dann immer mehr \u00f6ffnet, so geht der zuerst gebildete Vocal U in den Vocal A \u00fcber; das Umgekehrte geschieht, wenn man bei ge\u00f6ffnetem Kiefer die zuerst weit von einander abstehenden Lippen allm\u00e4hlich n\u00e4hert, ohne die Stellung der Zunge, des Kiefers oder des Kehlkopfes irgendwie zu ver\u00e4ndern.4 Wir gelangen also zur A, O, U Reihe lediglich durch Ver\u00e4nderung der Lippenstellung oder der Mund\u00f6ffnung. Bringen wir jetzt wiederum A bei m\u00e4ssig weitem Munde hervor und lassen die Mund\u00f6ffnung so wie sie ist bestehen, heben aber allm\u00e4hlich die Zunge von hinten her h\u00f6her an den harten Gaumen heran, so gelangen wir zu der Vocalreihe A, \u00c4, E, J.\nNun k\u00f6nnen aber beide Ver\u00e4nderungen combinirt werden, d. h. wir k\u00f6nnen zugleich die Lippen f\u00fcr ein U (oder einen Laut der A, 0, U Reihe) und die Zunge f\u00fcr ein J (oder einen Laut der A, E, J Reihe) einstellen und erhalten unser \u00dc, \u00d6 oder einen \u00e4hnlichen Zwischenlaut.5\n1\tStellwag sagt in seiner Dissertation De formatione loquelae. T\u00fcbingen 1780: Princeps vocalium reliquarum basis vel in scala positarura centrum est a; ex bac duplex ascendit scala in gradus extremos i et u terminata.\n2\tdu Bois-Reymond, Kadmus oder allgemeine Alpbabetik. Berlin 1862.\n3\tThausing, Das nat\u00fcrliche Lautsystem. Leipzig 1863. Thausing l\u00e4sst die verschiedenen Vocale durch \u201eVerdumpfung\u201c des A entstehen. Grimm nennt das A die Quelle und die Mitte aller Laute.\n4\tDie verschiedene Stellung des Kehlkopfes bei Hervorbringung der verschiedenen Vocale ist insofern von geringer Bedeutung, als man alle Vocale bei gleich hohem Stande des Kehlkopfes deutlich hervorbringen kann. Dass dies freilich in der Regel nicht geschieht, ist allgemein bekannt (siehe unten S. 158 ff.).\n5\tDie von manchen Autoren, namentlich von Sprachforschern (Lepsius, Wiedemann, Sie vers etc.) ausgesprochene Ansicht, dass zwischen i und u nicht bloss ein, sondern zwei genetisch verschiedene Laute liegen, verdient hier noch erw\u00e4hnt zu werden. Lepsius stellt die Sache folgendermassen dar: das \u00fc, der Mittel-","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nDiese soeben besprochene, nur auf die Genese der Vocale R\u00fccksicht nehmende Eintheilung hat aber nebenbei noch den Vortheil, dass die genetisch verschiedenen Vocalgruppen es auch akustisch sind. Es hat n\u00e4mlich Purkine zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass bei der A, E, JReihe ein sogenannter \u201eKehlraum\u201c (przestworze gardla) entsteht, d. h. ein gr\u00f6sserer Hohlraum zwischen Kehlkopf, hinterer Rachenwand, Gaumensegel und Zungenwurzel sich bildet, der dann, wie die classischen Untersuchungen von Helmholtz gezeigt, den so gebildeten Lauten ein bestimmtes akustisches Gepr\u00e4ge verleiht.\nII. Die Bildung der Vocale.\n1. Die U, O, A Reihe.\nU.\nWir beginnen am besten an der einen \u00e4ussersten Grenze der Vocale, dem U. Dasselbe wird bekanntlich dadurch gebildet, dass wir das Ansatzrohr gross und ger\u00e4umig machen und seine Ausgangs\u00f6ffnung m\u00f6glichst verengen. Dies geschieht, indem 1) der Kehlkopf abw\u00e4rts steigt oder von seiner Indifferenzlage aus gerechnet (d. i. die Lage, die er beim ruhigen Athmen einnimmt) sich nur wenig erhebt, und indem 2) die Lippen so nach vorw\u00e4rts bewegt werden, dass nur eine kleine, rundliche Oeffnung zwischen ihnen bestehen bleibt. Dadurch wird der Binnenraum der Mundh\u00f6hle zum Resonanzraum f\u00fcr tiefe T\u00f6ne umgebildet, die um so tiefer werden, je mehr sich die Lippen\u00f6ffnung verkleinert.\nDiese Gr\u00f6sse und Ger\u00e4umigkeit des Ansatzrohres ist wesentlich f\u00fcr die Bildung des U. Alles was sie st\u00f6rt, hebt sofort den charakteristischen Vocalklang auf; eine geringf\u00fcgige Erweiterung der Lippen\u00f6ffnung, ein sehr hoher Stand des Kehlkopfes, erschweren oder machen die Bildung des U unm\u00f6glich. Es gleicht demnach beim U das Ansatzrohr einer rundlichen Flasche ohne Hals, mit zwei diametralen Oeffnungen, von denen die Ausgangs\u00f6ffnung zwischen den\nlaut zwischen u und i, entsteht, indem die Lippen u und die Zunge i articulirt; nun kann auch umgekehrt die Zunge u und die Lippen i articuliren ; es muss auf diese Weise ein zweiter Mittellaut zwischen u und i entstehen. Obwohl von den genannten Sprachforschern (siehe unten) dergleichen Laute als gewissen V\u00f6lkern eigent\u00fcmlich beschrieben werden, so muss ich doch dagegen bemerken, dass man unser \u00fc einem derartigen Zwischenvocale nicht gleichstellen darf. Unser \u00fc steht auch akustisch zwischen u und i ; ein derartiger Zwischenvocal kann dies aber nicht; denn die Lippenarticulation allein charakterisirt niemals ein i, ist der Mund-raum f\u00fcr ein u eingestellt, so mag man die Lippen breit ziehen, wie man will, niemals entsteht ein i oder i artiger Vocal. Klingt also der betreffende Zwischenvocal einem \u00fc oder i \u00e4hnlich, dann articulirt sicher die Zunge kein u.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Die Bildung der Vocale. DasU. Donders.\n159\nLippen eng, die Eingangs\u00f6ffnung dagegen, da die Zunge platt auf dem Boden der Mundh\u00f6hle liegt und nur in ihren hinteren Partieen zum Gaumen emporgehoben ist, massig weit ist. (Siehe Fig. 56, die Mekkel\u2019s Laletik entlehnt ist.) Sonst ist die H\u00f6hlung rings geschlossen, da auch das Gaumensegel den Nasenraum vom Munde absperrt. 1\nDer Eigenton solcher Hohlr\u00e4ume ist wie gesagt um so tiefer, je ger\u00e4umiger sie sind und je kleinere Ausgangs\u00f6ffnungen sie darbieten. Nach Helmholtz ist aber der Eigenton der Mundh\u00f6hle eines jeglichen (grossen oder kleinen) Individuums, sobald es ein dumpfes, deutliches U spricht, immer derselbe, er ist f.\nDie kleineren Mundh\u00f6hlen der Frauen und Kinder m\u00fcssen demnach durch Verkleinerung der Lippen\u00f6ffnung ersetzen, was ihnen an Gr\u00f6sse abgeht, um ebenfalls auf f gestimmt zu werden.2\nEs ist, wie Helmholtz ausf\u00fchrt, nicht leicht, sich von dieser That-sache zu \u00fcberzeugen. Das bekannteste, schon von Wheatstone angewendete Mittel, vor den Hohlraum, dessen Resonanz man untersuchen will, verschiedene, schwingende Stimmgabeln zu halten und den Ton der am st\u00e4rksten t\u00f6nenden als den Eigenton des Hohlraumes anzusehen, l\u00e4sst hier im Stich, weil wegen der Kleinheit der Lippen\u00f6ffnung die Resonanz desselben \u00fcberhaupt \u00e4usserst schwach ist. Da hilft ein anderes Mittel aus. Wenn man vom c die Scala auf den Vocal u singt, so f\u00fchlt man, wie die Ersch\u00fctterung der Luft im Munde und selbst an den Trommelfellen beider Ohren, wo sie Kitzel erregt, am heftigsten wird, sobald man bei f angelangt ist; steigt man h\u00f6her, so h\u00f6rt die Ersch\u00fctterung im Munde und das Kitzeln in den Ohren auf.\nDonders3, welcher zuerst erkannte, dass f\u00fcr jeden bestimmten Vocal seine Mundh\u00f6hle auf einen bestimmten Ton und nur auf diesen abgestimmt war, bediente sich folgenden Verfahrens. Er fl\u00fcsterte die Vocale und war\n1\tDas dies nicht immer luftdicht, geschieht hat k\u00fcrzlich Pieniazek gezeigt (siehe S. 125).\n2\tAuch die Beschaffenheit der Wandungen (ihre Weiche oder H\u00e4rte) ist wohl von Bedeutung.\n3\tDonders, Arch. f. d. holl\u00e4nd. Beitr\u00e4ge f. Natur u. Heilk. I. S. 157. 1857. Streng genommen sind als die Entdecker dieser wichtigen Thatsache R. Willis (siehe weiter unten) und Wheatstone anzusehen. Donders entdeckte sie freilich von Neuem und bediente sich auch einer neuen Methode.","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nim Stande, die jedesmalige Tonh\u00f6he der auf diese Weise entstehenden Ger\u00e4usche genau zu bestimmen. Damit das fl\u00fcsternde Ger\u00e4usch deutlich den Charakter des U trage, ist es nach ihm n\u00f6thig, dass die Mundh\u00f6hle auf f', also eine Octave h\u00f6her als nach Helmholtz, oder einem dem fr nahe gelegenen Tone abgestimmt sei. Man hat einen gr\u00f6sseren Spielraum, ohne dass das Geh\u00f6r eine Aenderung in dem U kl\u00e4nge bemerkt. Neuerdings hat Donders einen eigenen kleinen Apparat angegeben, der dazu bestimmt ist, die Mundh\u00f6hle geradezu wie eine Pfeife anzublasen und so ihren Eigenton zu finden. Der Apparat besteht aus einer R\u00f6hre, die in eine schmale Spalte endet und vor den Mund des Sprechers befestigt werden kann. Wird durch die R\u00f6hre ein Luftstrom geleitet, so h\u00f6rt man den Eigenton der Mundh\u00f6hle.\nUebrigens haben auch Andere nach Donders, z. B. Kr\u00f6nig1, sich der Fl\u00fcsterstimme zur Feststellung der Tonh\u00f6he bedient, auf die bei den verschiedenen Vocalen die Mundh\u00f6hle abgestimmt ist. F\u00fcr das tiefste reine U, was Kr\u00f6nig \u201e fl\u00fcsternd singen \u201c konnte, war seine Mundh\u00f6hle abgestimmt auf c', und nach K\u00f6nig, dem bekannten Pariser Akustiker und dem Meister in der Anfertigung akustischer Apparate, ist sie abgestimmt auf b.\nWir werden sp\u00e4ter bei der Theorie der Vocale auf den Grund dieser verschiedenen Angaben zur\u00fcckkommen.\nO.\nDas 0 vermittelt den Uebergang vom U zum A. Es wird in der einfachsten Weise gebildet, indem die Lippen\u00f6ffnung, welche bei U sehr klein war, sich ein wenig erweitert, sei es, dass die Lippen allein sich von einander entfernen, sei es, dass, wie gew\u00f6hnlich, auch der Unterkiefer nach abw\u00e4rts bewegt wird. Der Hohlraum wird daher nicht selten in seinem verticalen Durchmesser um ein Geringes vergr\u00f6ssert. Der Eigenton der Mundh\u00f6hle ist h\u00f6her als beim U, er betr\u00e4gt nach Helmholtz b', nach Donders d\\\nMerkel2 macht mit Recht darauf aufmerkam, dass wir im Deutschen das 0, namentlich wenn es l\u00e4ngere Zeit ausgehalten werden soll, sehr leicht in ein U oder einen dem U nahe liegenden Laut \u00fcberf\u00fchren.\nA.\nOeffnen wir den Mund immer mehr und mehr, so verschwindet sehr bald das 0, wenn auch langsamer als das U, und macht zuerst einem A\u00b0, dann einem A Platz. Nun kann die Mundh\u00f6hle, sobald nur einmal der A klang da ist, beliebig weit ge\u00f6ffnet werden, das A bleibt bestehen und \u00e4ndert sich in seiner Klangfarbe so gut wie gar nicht.\n1\tKr\u00f6nig, Ann. d. Physik VIL S. 389. 1876.\n2\tMerkel, Physiologie der menschl. Sprache (Laletik). Leipzig 1866.","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Die Bildung der Vocale. Das \u00c0.\n161\nDer Kehlkopf nimmt beim \u00c0 eine mittlere Stellung ein, steht gew\u00f6hnlich etwas h\u00f6her als beim U, und ist nach Br\u00fccke dem Zungenbeine gen\u00e4hert. Die Zunge liegt platt auf dem Boden der Mundh\u00f6hle und schiebt sich etwas nach hinten, so dass nach Merkel der Sinus glosso-epiglotticus in eine feine Spalte verwandelt und durch den gleichzeitig nach hinten geschobenen Kehldeckel der Einblick in den Kehlkopf erschwert ist (siehe Fig. 57).\nDie Gaumenklappe steht massig hoch und schliesst nicht fest, l\u00e4sst deshalb stets etwas Luft durch die Nase entweichen, ein Umstand, der dem A noch lange keinen nasalen Beiklang verschafft (siehe S. 123).\nDas Ansatzrohr gleicht beim A hiernach einem vorn offenen Trichter, dessen Eigenton nach Helmholtz eine Oc-\n...\ti i \u2022\ti\tFig. 57. Die Bildung des \u00c0.\ntave hoher als beim 0, also\nb\" ist, und beim scharfen A der Italiener und Engl\u00e4nder sogar bis d'\" in die H\u00f6he steigt.\n2. Die A, E, J Gruppe.\nWir gelangen zu einer zweiten Gruppe von Voealen, die, so wie sie genetisch, auch akustisch gewisse Eigenthtimlichkeiten darbieten.\nWie oben erw\u00e4hnt, wies n\u00e4mlich Purkine nach, dass bei der sogenannten J Artikulation der Zunge sich ein grosser Raum \u00fcber dem Kehlkopfe, der sogenannte Kehlraum, bildet, der gelegen ist zwischen den hinteren Partieen der nach vorn und an den Gaumen gehobenen Zunge und der hinteren Rachenwand. An diesen Kehlraum, dessen Gr\u00f6sse bei den jetzt folgenden Voealen von dem A nach dem J an Gr\u00f6sse zunimmt, schliesst sich nach vorn der Binnenraum der Mundh\u00f6hle an, der, weil die Zunge dem harten Gaumen ihrer ganzen L\u00e4nge nach gen\u00e4hert ist, eine Spalte von wechselnder H\u00f6he darstellt. Das Ansatzrohr gleicht also jetzt nicht einem einfachen bauchigen Hohl-raum, sondern zwei an Gestalt sehr verschiedenen Hohlr\u00e4umen, die mit einander Zusammenh\u00e4ngen, wie der Hals einer Flasche mit ihrem Bauch.\nHandbuch der Physiologie. Bd. la.\tH","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\n\u00c4.\nDer erste in dieser Gruppe als sogenannter einfacher Vocal in unserer Sprache auftretende Vocal ist das E; ihm geht jedoch genetisch das \u00c4 voraus. Spricht man bei massig ge\u00f6ffnetem Munde ein A aus, so ist es leicht, im Spiegel die Bewegung der Zunge zu sehen, welche zur \u00c4bildung nothwendig ist. Es geschieht weiter nichts, als dass durch Verschieben der hinteren Partieen der Zunge ein Kehlraum gebildet wird; dieser Kehlraum erweitert sich nach oben, denn das Gaumensegel hebt sich h\u00f6her als beim A. Indem sich die Zunge nach vorn schiebt und dabei doch nicht aus dem Munde herausgestreckt wird (was \u00fcbrigens den \u00c4klang nicht alterirt), n\u00e4hert sie sich nothwendigerweise in ihren vorderen Partieen dem harten Gaumen und bildet auf diese Weise den vorderen weiten Hals der Flasche, deren K\u00f6rper der Kehlraum darstellt. Indess bekundet das \u00c4 dadurch seine Verwandtschaft mit dem A, dass es auch bei sehr verschiedener Mund\u00f6ffnung und bei wechselnder H\u00f6he des vorderen Thei-les des Ansatzrohres (d. i. des Raumes zwischen der Oberfl\u00e4che der Zunge und dem harten Gahmen) gebildet werden kann.\nIn Folge dieser Anordnung der Mund- und Rachenorgane ist es gerade dieser Vocal, bei dessen Aussprache man einen guten Einblick in den Kehlkopf gewinnt; denn durch die nach vorn gezogene Zunge ist ein ausreichend grosser Kehlraum gebildet, und zugleich der Kehldeckel mit der Zunge nach vorn bewegt worden. Er erlaubt also einen viel freieren und besseren Einblick in den Kehlkopf als beim U oder A, und dies um so mehr, als sich zu gleicher Zeit der Kehldeckel selbst, wahrscheinlich durch seine eigene Musculatur activ aufgerichtet hat.\nNach Helmholtz sind beim \u00c4 die beiden Resonanzr\u00e4ume des Mundes abgestimmt, der hintere auf d\", der vordere auf g'\" bis as'\".\nE.\nVon dem \u00c4 gelangt man sehr leicht zum E. Ohne die Mund\u00f6ffnung zu ver\u00e4ndern, hat man nur n\u00f6thig den hinteren Theil der Zunge ein wenig mehr nach vorn zu schieben und sie in ihrer Totalit\u00e4t dem harten Gaumen zu n\u00e4hern ; hierdurch wird der Kehlraum, der Bauch der Flasche, etwas vergr\u00f6ssert, der Mundraum dagegen, ihr Hals, bedeutend verkleinert. Die Spitze der Zunge stemmt sich dabei, wie sie auch bei der Bildung des \u00c4 gethan, an die mittleren Unterz\u00e4hne, ihre R\u00e4nder legen sich an die Backz\u00e4hne und die seitlichen Partieen des harten Gaumens in m\u00e4ssiger Ausdehnung an, so dass zwischen dem mittleren Theil der Zungenoberfl\u00e4che und dem harten","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Die Bildung der Yocale. Das \u00c4, E, J.\n163\nGaumen ein etwa 7\u20149 mm. hoher und 30 mm. breiter 1 Spalt bestehen bleibt. Der Kehlraum ist dabei abgestimmt auf f', der vordere Resonanzraum auf b\"\\\nEs ist eigenthitmlich, dass wir ein spitzes e (\u00e9) fast nie bis zu Ende rein aushalten, sondern sobald es zu verklingen anf\u00e4ngt, den Zungenr\u00fccken noch etwas heben und es in ein i \u00fcberf\u00fchren. Es mag dies vielleicht damit Zusammenh\u00e4ngen, dass unsere Zunge je nach der St\u00e4rke, mit welcher der t\u00f6nende Luftstrom sie niederzudr\u00fccken versucht, durch Muskelaction einen verschiedenen Widerstand entgegensetzen muss. Wird nun beim Auslauten des Vocales E der Luftdruck schwach und bleibt die Spannung der Zunge bestehen, so hebt sie sich naturgem\u00e4ss, weil gegen ein geringeres Hinderniss ank\u00e4mpfend, etwas h\u00f6her, bildet ein J. Damit steht im Zusammenh\u00e4nge, dass wir f\u00fcr gewisse Laute (\u00c4, Ej den Mund, beziehungsweise die Zunge nicht einstellen k\u00f6nnen, sobald wir nicht Luft (wenn auch nur die der Fl\u00fcsterstimme) hindurchtreiben. (Helmholtz.)\nJ.\nDas J stellt das Ende der Vocale nach der einen Richtung, sowie das U dasselbe nach der anderen, dar. Seine Bildung ist der des E analog; die schon beim Uebergange von A nach E gemachten Bewegungen der Zunge werden fortgesetzt; d. h. der hintere Theil der Zunge r\u00fcckt noch weiter nach vorn, der Kehlraum erreicht seine maximale Gr\u00f6sse, der K\u00f6rper der Zunge hebt sich nahe an den harten Gaumen heran, so dass zwischen beiden nur eine enge Spalte \u00fcbrig bleibt. Auch seitlich wird diese Spalte eingeengt, indem die R\u00e4nder der Zunge sich von hinten her an die lateralen Theile des harten Gaumens und die inneren R\u00e4nder der Oberz\u00e4hne vom ersten Mahlzahn (oder Augenzahn) bis zum letzten Backzahn anschmiegen. Die Spitze der Zunge stemmt sich an die mittleren Unterz\u00e4hne an. (S. Fig. 58).\nFig. 58. Die Bildung des J.\n1 Dies habe ich in der Weise festgestellt, dass ich mir die Zungenoberfl\u00e4che mit Carmintusche roth f\u00e4rbte und die Breite der nicht gef\u00e4rbten Stelle des harten Gaumens ausmass (siehe unter Consonanten).\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\tGr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Yocale.\nDer Kehlkopf steht beim J am h\u00f6chsten, die Lippen m\u00fcssen so zur\u00fcckgezogen sein, dass sie den vorderen engen Canal des Ansatzrohres nicht verl\u00e4ngern. Das Gaumensegel ist beim J hoch gehoben und schliesst gew\u00f6hnlich Mund von Nase dicht ab.\nDie Mundh\u00f6hle bildet demnach beim J eine Flasche mit grossem K\u00f6rper und engem und langem Hals. Der Eigenton des K\u00f6rpers ist nach Helmholtz f, der des Halses d\"\". Die L\u00e4nge des engen Canals betr\u00e4gt etwa 6 Ctm., und ein beiderseits offenes R\u00f6hrchen von dieser L\u00e4nge angeblasen giebt in der That den ungemein nahen Ton e\"\".\n\u00fc und J sind die Grenzen der Yocale; bei ihnen sind denn auch die im Mundraume gebildeten Engen am kleinsten; beim \u00fc stehen die Lippen einander, beim J die Zunge dem Gaumen m\u00f6glichst gen\u00e4hert. Ueberschreitet man diese Grenze, so verwischt sich immer mehr der Charakter der Kl\u00e4nge, der Yocale; die durch die Engen streichende Luft erzeugt Ger\u00e4usche, die sich dem Stimmklang allzu bemerklick beimischen und die Yocale in Consonanten \u00fcberf\u00fchren, das U in das W der Engl\u00e4nder, das J in das vordere Ch (den Laut im Worte ich).\nMit dem Umstande, dass bei diesen Endgliedern der vocalischen Kl\u00e4nge bedeutend eingeengte Stellen des Ansatzrohres den freien Abfluss der schwingenden Luft hindern, h\u00e4ngt es zusammen, dass diese Vocale nicht so laut und frei gesungen und soweit verstanden werden k\u00f6nnen, wie diejenigen, bei denen der Mund frei ge\u00f6ffnet ist. Denn man muss sich erinnern, dass die Wandungen der H\u00f6hlen des Kopfes, die durch die Stimme ersch\u00fcttert werden, sich nicht durch Elasticit\u00e4t auszeichnen, sondern im Gegentheil entweder aus feuchtem, unelastischem Gewebe bestehen oder wenigstens von demselben \u00fcberzogen sind. Das U hat daher meistens einen dumpfen, matten Klang und wird nach den interessanten Untersuchungen von 0. Wolf 1 in ruhiger Luft im Freien nur 280, das sch\u00e4rfere J 300 und das A \u00fcber 360 Schritt weit gut verstanden und unterschieden.\nAndererseits ist aber die Ersch\u00fctterung der die oscillirende Luft versehliessenden Wandungen am gr\u00f6ssten bei den Yocalen U und J und am geringsten beim A.\nYerschliesst man sich daher mit den Fingern die Ohren, so summt bei U und J m\u00e4chtig der Kopf, das A t\u00f6nt wie von der Ferne. Diese Ersch\u00fctterungen der Kopfknochen kann man auch mit Leichtigkeit f\u00fchlen, wenn man die Hand flach auf den Kopf legt. Sie ist am bedeutendsten bei J und \u00dc, geringer bei U, \u00c4, \u00d6 und kaum zu f\u00fchlen bei A, eine That-sache, die f\u00fcr den Taubstummenunterricht von Bedeutung ist. Wie ich mich \u00fcberzeugt, lernen intelligente Taubstumme, wenn man mit abgewendetem Gesichte die verschiedenen Yocale spricht, dieselben durch Betastung des Kopfes unterscheiden.1 2\n1\tO. Wolf, Sprache und Ohr. Braunschweig 1871.\n2\tMeines Wissens machte hierauf auch zuerst der Taubstummenlehrer Deutsch in Wien aufmerksam. (Siehe Br\u00fccke, Grundz\u00fcge etc. S. 24. 1876.)","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Die Zwischenvocale.\n165\n3. Die Zwischenvocale.\nA) Die Zwischen- (Vermittelungs-) Vocale zwischen u\u2014i.\n1) Das \u00dc.\nWenn man ein U ausspricht und w\u00e4hrend dessen die Zunge in ihrem hinteren Abschnitte nach vorn schiebt, so dass ein Kehlraum gebildet wird und sie zu gleicher Zeit dem Gaumen n\u00e4hert, also im Wesentlichen mit der U Artikulation der Lippen eine J Artikulation der Zunge verbindet, so wird eine Reihe von Yocalen erzeugt, welche sich dem J n\u00e4hern, ohne es aber je zu erreichen. Als Repr\u00e4sentanten dieser Laute betrachten wir das \u00dc.\nDer Kehlkopf steht beim U gew\u00f6hnlich etwas tiefer als beim J. Der Raum der Mundh\u00f6hle zerf\u00e4llt in den hinteren Kehlraum, der, seiner Gr\u00f6sse nach etwas kleiner als beim J und etwas gr\u00f6sser als beim E, etwa auf f abgestimmt ist, und in den vorderen engen Mundh\u00f6hlenraum, der durch die zugespitzten Lippen noch verl\u00e4ngert wird, und sich um etwa 2 Cm. l\u00e4nger erweist als beim J, also ca. 8 Cm. betr\u00e4gt. Demgem\u00e4ss ist sein Eigenton etwa um eine Quart tiefer als beim J. Eine vor den Mund gehaltene Stimmgabel klingt am lautesten, wenn ihr Ton zwischen gr\" und as\"' liegt.\n2) Das J< (Lepsius1), U (Sievers2).\nDieser Laut wird gebildet, indem die Lippen J und die Zunge U articulirt. Er soll nach jenen Autoren das harte J der slavonischen Sprachen, das i\u00bb (Yeri) der Russen sein.\nB) Die Vermittelungsvocale zwischen O\u2014E.\n1) Das \u00d6.\nDieselbe Betrachtung, die wir soeben beim Uebergange vom U zum J angestellt, wiederholt sich in \u00e4hnlicher Weise bei dem zwischen 0 und E ; indessen ist zu ber\u00fccksichtigen, dass aus einem E durch alleinige Ver\u00e4nderung der Lippenartikulation, nie ein 0 sondern immer ein \u00dc wird. Damit wir durch alleinige Aenderung der Lippenstellung ein 0 erhalten, muss die Zunge vorher f\u00fcr ein A oder mindestens f\u00fcr ein breites E eingestellt sein. Das 0 ist also genetisch streng genommen ein Zwischenvocal zwischen A und 0, nicht, wie es gew\u00f6hnlich heisst, zwischen E und 0.\nHieraus ergiebt sich die Gestalt des Ansatzrohres von selbst. Es existirt ein kleiner Kehlraum wie beim A oder breiten E; derselbe\n1\tLepsius, Standard alphabet p. 54.\n2\tSievers, Grundz\u00fcge etc. S. 44.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\ngeht nach vorn \u00fcber in eine massig weite Spalte, die zwischen dem harten Gaumen und den mittleren Theilen der Zunge gelegen ist und durch die vorgest\u00fclpten Lippen verl\u00e4ngert wird.\nDer hintere Hohlraum ist auf f', der vordere auf eis\"' abgestimmt.\n2) Das E< (Lepsius), \u00d4 (Sievers).\nKehrt sich wieder das Verh\u00e4ltniss um und schiebt sich also die Zunge nach hinten, so dass der Kehlraum verschwindet, wie beim 0 oder U, sind dagegen die Lippen in die Breite gezogen, wie beim E oder \u00c4, so erhalten wir, analog dem \u00abL von Lepsius, jetzt den zweiten Vermittlungs-vocal zwischen E und 0, das E,. von Lepsius. Dieser Laut findet sich nach Sievers in der esthnischen, nach Lepsius in der rum\u00e4nischen Sprache vor.\n4. Der unbestimmte Vocal von Lepsius und die unvollkommene Bildung\nder Vocale.\nLepsius 1 hat die Zahl der Vocale noch um einen vermehrt, indem er zu den von uns eben charakterisirten noch den sogenannten unbestimmten Vocal hinzuf\u00fcgte. Dieser stellt gewissermassen, wenn wir die Vocal-kl\u00e4nge mit den Farbent\u00f6nen vergleichen, ein neutrales Grau dar ; keinem der Vocale soll er besonders \u00e4hnlich sein und sich von allen gleich sehr unterscheiden, sowie auch im neutralen Grau keine der Spectralfarben heraustreten darf. Nichtsdestoweniger scheint er am meisten dem kurzen \u00d6 verwandt, wie es im Deutschen in lieben, Verstand; im Franz\u00f6sischen in sabre, tenir, im Englischen in nation, but etc. geh\u00f6rt wird.\nWie aber Br\u00fccke in seinen bekannten Grundz\u00fcgen scharfsinnig ausf\u00fchrt, ist man strenggenommen nicht berechtigt, von einem unbestimmten Vocale zu sprechen. Es zeigt sich vielmehr, dass er sich bei genauerer Betrachtung entweder in einen dem \u00d6, \u00c4 oder 0 \u00e4hnlichen Laut aufl\u00f6st, der uns vorzugsweise desshalb unbestimmt erscheint, weil er gew\u00f6hnlich kurz und ohne besonderen Accent angegeben wird. In Folge dessen bietet die Mundstellung, die f\u00fcr jeden Vocal bestimmend ist, gewissermassen nur eine Uebergangsperiode dar, die ebenso schnell vergeht, als sie aus einer anderen entstanden ist.\nMit dem unbestimmten Vocal einigermassen verwandt ist jeder sogenannte unvollkommen gebildete Vocal, bei dessen Bildung, wie Br\u00fccke sich ausdr\u00fcckt, nicht alle Mittel in Gebrauch gezogen werden, welche die menschlichen Sprachwerkzeuge darbieten, um den Vocallaut deutlich unterscheidbar und klangvoll hervortreten zu lassen. Diese Bezeichnung ist aber eine durchaus relative ; denn, wenn wir von den drei Grundvoealen A, I, U absehen, ist jeder der \u00fcbrigen Vocale ebenso vollkommen gebildet, wie der andere. Es entscheidet da nur der Gebrauch, welche akustischen Eigenschaften wir eben dem einen oder anderen Zwi-sclienvocal beilegen. Unvollkommen gebildet erscheinen uns Deutschen\n1 Lepsius, Das linguistische Alphabet. Berlin 1855.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Der unbestimmte Vocal. Die nasalirten Vocale.\n167\ndaher die meisten englischen Vocale, weil, wie Sievers mit Recht hervorhebt, die Lippen zu ihrer Bildung verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig wenig herangezogen werden. Die Engl\u00e4nder k\u00f6nnten aber ebenso gut unsere Vocale als unvollkommen gebildete bezeichnen, weil wir f\u00fcr ihre Bildung zu viel thun. Um diese unbestimmte Bezeichnung zu vermeiden, schl\u00e4gt daher Sievers vor, diese unvollkommene Bildung f\u00fcr jeden Fall genauer zu bezeichnen und beispielsweise von einer activen oder passiven Lippenarticulation zu sprechen, je nachdem bei der Bildung der Vocale die Lippen mit den Muskeln des Unterkiefers oder letztere wesentlich allein th\u00e4tig sind u. s. f.\n5. Die nasalirten Vocale.\nWie wir bereits bei Besprechung der Nasen- und n\u00e4selnden Stimme ausgef\u00fchrt, entsteht die letztere immer dann, wenn die Wandungen der Nasenh\u00f6hlen und die in ihnen eingeseklossene Luft entweder allein oder doch ausreichend stark mit der des Mundes zugleich in resonatorische Schwingungen versetzt wird. Die Stellung des Gaumensegels, welches einerseits mehr oder weniger die Communication dieser H\u00f6hlen vermittelt und andererseits entweder mehr die eine oder mehr die andere H\u00f6hle mit dem Raum \u00fcber dem Kehlkopf in Verbindung setzt, entscheidet \u00fcber die St\u00e4rke des N\u00e4selns.\nLiskovius wendete zuerst das Vorhalten eines kalten Metallst\u00fcckes vor die Nase an, um sich davon zu \u00fcberzeugen, ob und wie viel Luft beim Sprechen und Singen durch die Nase entweicht. Dasselbe that sp\u00e4ter Czermak; Br\u00fccke hielt sich ein brennendes Licht vor die Nase, welches flackert, wenn man nasalirt oder die Luft wie beim M oder N durch die Nase entweichen l\u00e4sst, aber ruhig bleibt, wenn man die Vocale rein spricht. Erstere Probe ist aber die bei weitem empfindlichere. Genauere Methoden \u00fcber die Stellung des Gaumensegels bei den verschiedenen Vocalen lehrte Czermak.1 Er f\u00fchrte sich einen 1,8 mm. dicken, etwa 200 mm. langen, geraden Eisendraht in die Nase. Das in die Nase gef\u00fchrte Ende war in eine 12 mm. breite Oese, die mit Wachs erf\u00fcllt war, umgeformt, das herausstehende jedoch rechtwinklig umgebogen, so dass die beiden Schenkel des Winkels in der Ebene der Oese lagen. Bei Hebungen des Gaumensegels wurde nun der ganze Draht um seine L\u00e4ngsaxe gedreht und zwar um so bedeutender, je h\u00f6her das Segel sich nach oben bewegte. So fand Czermak, dass f\u00fcr das I die Ablenkung des Zeigers am gr\u00f6ssten ist, f\u00fcr U war sie um ein weniges, f\u00fcr 0 merklich, f\u00fcr E viel geringer, f\u00fcr A endlich Null oder fast Null.2\n1\tCzermak, Sitzungsber. d. Wiener Acad. (matli.-naturw. Cl.) XXIV. S. 4. 1857.\n2\tNebenbei sei bemerkt, dass jede gew\u00f6hnliche Myrthenblattsonde, deren Myrthenblatt durch den unteren Nasengang eingef\u00fchrt wird und auf dem Gaumensegel platt auf liegt, dasselbe leistet, wie der CzERMAK\u2019sche Draht, und dass es auf diese Weise leicht ist, die Richtigkeit der Czermak\u2019sehen Angaben zu pr\u00fcfen, die \u00fcbrigens von sp\u00e4teren Forschern (Passavant, Pieniazek) best\u00e4tigt wurden. Andere freilich sahen die h\u00f6chste Stellung des Gaumensegels beim U, eine weniger hohe beim J und, wie immer, die niedrigste beim A ; so Gentzen (siehe dessen interessante","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Yocale.\nHand in Hand mit diesem Versuch geht ein zweiter, der dahin zielt, geradezu die Dichtigkeit des Gaumensegelverschlusses zu pr\u00fcfen. Er besteht darin, Fl\u00fcssigkeit (am besten lauwarme Milch nach Passavant) in die Nasenrachenh\u00f6hle zu f\u00fcllen und zu beobachten, bei welcher Vocal-stellung die Fl\u00fcssigkeit abfliesst. Es ergiebt sich das entsprechende Resultat, dass bei I der Verschluss am festesten ist, bei A aber die Fl\u00fcssigkeit in den Mund st\u00fcrzt. Passavant zeigte indess, dass man ein geringes Durchsickern der Fl\u00fcssigkeit, die nur die hintere Rachenwand benetzt, \u00fcberhaupt nicht f\u00fchlt, dass also, auch wenn der Verschluss dicht scheine, er es doch nicht ist. Dasselbe lehrte k\u00fcrzlich Pienazek auf directem Wege vermittelst des Rhinoskopes, indem er sich davon \u00fcberzeugte, dass auch bei allen nicht nasalirten Vocalen trotz deutlicher Hebung des Gaumensegels ein Spalt zwischen diesem und der Rachenwand \u00fcbrig blieb, der am weitesten bei A, weniger breit bei \u00c4 und am geringsten bei E, J, 0 und U war. Sobald man jedoch die Vocale nasalirt, wird das Gaumensegel so gut wie gar nicht gehoben, der Eingang in die Nasenh\u00f6hle ist frei, der in die Mundh\u00f6hle beschr\u00e4nkt.\nDie verschiedenen Vocale lassen sich nun verschieden gut nasa-liren. Am besten wird nasalirt das O, A, A, E, weniger gut das J und so gut wie gar nicht das U. Das liegt nicht sowohl in der Schwierigkeit der Bildung ; denn es ist f\u00fcr uns kaum schwerer, die Gaumenklappe offen zu halten, wenn wir U, als wenn wir 0 sagen, die Schwierigkeit ist eine rein akustische und liegt in Folgendem. Wenn wir U mit offener Gaumenklappe sprechen, so sind zwei F\u00e4lle m\u00f6glich, entweder wir versetzen die Luft in den Nasenh\u00f6hlen in starke Resonanz \u2014 wie wir das oben (siehe S. 123) bei dem ge-n\u00e4selten M thaten \u2014, dann verliert das U seinen eigenth\u00fcmlichen Vo-calklang und wird einem 0 \u00e4hnlich, oder wir versetzen sie in geringere Resonanz \u2014, wie wir dies bei -der Bildung des gew\u00f6hnlichen M, beim Brummen mit geschlossenem Munde thun \u2014, dann bleibt das U ein gew\u00f6hnliches U und hat so wenig wie das M einen nasalen Beiklang. Aehnliches, nur in umgekehrtem Sinne gilt vom J. Sprechen wir dieses bei offener Gaumenklappe, so wird dem J klang durch die Resonanz in der Nasenh\u00f6hle eine Reihe von Obert\u00f6nen beigemischt, die das J einem A n\u00e4hern und dies desshalb, weil die Nasenh\u00f6hlen zu gross sind, um die f\u00fcr ein spitzes J charakteristischen hohen Obert\u00f6ne zur Entwicklung zu bringen.\nBetreffend die nasalirten Vocale des Franz\u00f6sischen, wie in den W\u00f6rtern un, on, dans u. s. w., sei bemerkt, dass diese W\u00f6rter \u2014 wenigstens\nInauguraldissertation. K\u00f6nigberg 1876), welcher das Gaumensegel in Folge operativer Eingriffe direct beobachten konnte, und Lucae (Arch. f. Physiol. S. 179. Leipzig 1878), der es sich durch Spiegelung sichtbar machte. Bei mir steht das Gaumensegel wie bei Czermak w\u00e4hrend der J articulation am h\u00f6chsten.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Die Diphthonge.\n169\nnach der jetzt \u00fcblichen Aussprache \u2014 nur in nasalirte Vocale enden, deren Nasalirung nach dem Ende zu ein wenig zunimmt, die aber nicht in unser ng, wie in Klingel, Engel u. s. w., \u00fcbergehen. Als Deutsche haben wir leicht die Neigung, obige franz\u00f6sische W\u00f6rter so auszusprechen, als ob sie aus einem mehr oder weniger nasalirten Vocal best\u00e4nden, der in dieses ng auslautet, d. h. das N\u00e4seln zu weit zu treiben und durch starke Senkung des Gaumensegels die Resonanz nur in den Nasenh\u00f6hlen entstehen zu lassen.\n6. Die Diphthonge.\nNach Br\u00fccke entsteht ein Diphthong dann, wenn man aus der Stellung f\u00fcr einen Vocal in einen anderen \u00fcbergeht, w\u00e4hrend dieser Bewegung, und zwar nur w\u00e4hrend derselben, die Stimme lauten l\u00e4sst und, wie ich mit Sievers hinzuf\u00fcge, den ersten der beiden vocalischen. Bestandtheile der Regel nach st\u00e4rker accentuirt. Jeder Diphthong enth\u00e4lt demzufolge drei Bestandtheile: 1) einen Laut, von dem aus seine Bildung beginnt, 2) einen oder eine beliebige Menge Uebergangslaute und 3) einen Laut, in den er endet. In der Schriftsprache wird er durch den Laut 1 und 3 bezeichnet, oder sagen wir lieber, bildet man sich ein, ihn hierdurch zu bezeichnen. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass wenigstens unsere deutschen Diphthonge mit Ausnahme etwa von Au (das auch oft wie Ao gesprochen wird), Ai und Ui unrichtig bezeichnet werden ; denn in Ei ist beispielsweise der normalen deutschen Aussprache nach ebensowenig ein E, wie in Eu ein U enthalten.\nWie bekannt, eignen sich nicht alle Vocale gleich gut, mit einander verschmolzen zu werden. Hierbei entscheidet nicht bloss die Leichtigkeit der Bildung, sondern auch wesentlich das Ohr. Die besten Diphthonge sind diejenigen, welche von einem klangvollen Vocal (A) aus- und in einen weniger klangvollen (U oder J) \u00fcbergehen; die auf umgekehrtem Wege erzeugten Diphthonge machen auf uns weniger den Eindruck einheitlicher Vocalverbindungen, sondern erwecken in uns, wenn der erste Bestandtheil zu sehr hervortritt, zu leicht die Vorstellung von zwei Sylben, wenn das Umgekehrte der Fall, zwar die Vorstellung einer Sylbe, die aber aus einem Consonanten und einem Vocal zu bestehen scheint. Das\nUA klingt sehr leicht wie WA, IA sehr leicht wie IA (ja).\nNebenbei sei erw\u00e4hnt, dass auch die sogenannten reinen, nicht diphthongischen Vocale sehr h\u00e4ufig diphthongisch gesprochen werden, d. h. dass die Articulationsorgane nicht vollkommen ruhig in der Lage verharren, die sie bei Beginn des Vocales hatten (0 geht leicht in ein U, ein spitzes E regelm\u00e4ssig in ein J \u00fcber), und dass ausserdem gerade die Diphthonge in den verschiedenen Dialekten den mannigfachsten Umformungen unterliegen.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"1 TO\tGb\u00fctzhkr, Physiologie dor Stimme und Sprache. 6. Cap. Di: Vocale.\nII. Die Theorie der Vocale.\nI. Die Ansichten fr\u00fcherer Forscher \u00fcber das TI esen der 1 ocale.\nDass die Vocale der menschlichen Sprache Kl\u00e4nge seien, bei deren Bildung die verschiedene Hohe oder Tiefe irgend einen Einfluss habe, ist eine Ansicht, so alt wie die Untersuchungen \u00fcber das Wesen der Vocale \u00fcberhaupt.\nSc finden wii in iei Mathesis mosaica von Samuel Reyher, Professor\nin Kiel. 1619 folgende Vocaltonleiter :\nA\tbreve\that\tdie\tTonh\u00f6he\te'\nA medium\tr\tr\tc\nA longurn\t\u201e\t\u00ab\ta\n0\t-\t-\tg\nU\t-\t-\t-\te\nE\t..\tr\t\u201e\ta'\n1\tr\t-\te\"\n\u00c2 franconicum \u201e\t-\t\u201e\tf\nA\t_\t-\tr\tf\nIn \u00e4hnlicher Weise \u00e4ussert sich in seiner interessanten Dissertatio physiologo-medica de formatione loquelae. T\u00fcbingen 17S0 Ohr. Fr. Stellwag folgendermassen: Si vocales secundum scalam naturalem . . successive pronuncientur. etiam ordo susurrorum cum or dine tonorum in scala musiea mire concordabit, ita ut u respondeat tono gravissimo, a medio , i acu-tissimo: u, o. \u00e4. a. \u00e4. e. i.\nUm etwa dieselbe Zeit fallen die Bem\u00fchungen des geistvollen W. v. Kfwpftfx. eine sprechende Maschine zu bauen. Um diesen seinen innigsten Wunsch erf\u00fcllt zu sehen, studirt er nicht bloss die Bildung der verschiedenen Sprachlaute. sondern sucht sich auch \u00fcber ihr Wesen, ihren akustischen Werth Klarheit zu verschaffen. Er \u00e4ussert sich hierbei folgendermassen : . Mir scheint. wenn ich verschiedene Selbstlaute auch in dem n\u00e4mlichen Ton ausspreche, so haben sie doch so etwas an sich, das mein Ohr t\u00e4uscht und mich glauben l\u00e4sst, als liege eine Melodie darin, die doch, wie ich sehr wohl weiss. durch nichts Anderes als. die Ver\u00e4nderung der T\u00f6ne in h\u00f6here oder tiefere hervorgebracht werden kann. Wenn ich wie in nebenstehender Tafel. Fig. 59 \u00bb eine Reihe derselben in\n9\t* * *\t\tI\ts\u2014|\tr* ~r~H\trw5\u201c\u00ae\u201c]\ti\u2014; . :\u2014|\t\t\u2014\n/\t\u2022) a a a\te e e\t1 a~i a i\t1 i a \u00fc\t! a a a\te e e 1 a i a i a J\te\t\n\t\t\t\t\t| \"1\t\nI\t\t\t\t\t1\tI\t\nFis. 59.\neinem gewissen, von meinem Maassstabe des Zungencanals hergeholten Verh\u00e4ltnisse auf die n\u00e4mliche Linie des Xotenpapiers setze und sie alle in einer und der n\u00e4mlichen H\u00f6he oder Tiefe ausspreche, so scheinen sie mir doch immer eine Art von Gesang auszumachen, oder wenigstens werde ich wider Willen verleitet, diejenigen Buchstaben, welche nach dem Maassstabe eine gr\u00f6ssere Oeffnung haben, tiefer und die, welche eine minder grosse Oeffnung haben, h\u00f6her anzustimmen\u201c ('siehe S. 156).\nMan erkennt hieraus, dass Kempelen 1 i in den verschiedenen, gleich","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Die Theorie der Yocale. Kempelen. Kratzenstein.\n171\nhoch gesungenen Yocalkl\u00e4ngen verschieden hohe T\u00f6ne (Obert\u00f6ne) heraus-li\u00f6rte und 2) dass er sehr wohl f\u00fchlte, wie ein und derselbe, verschieden hoch gesungene Yocal in den verschiedenen Tonh\u00f6hen keineswegs gleich gut ansprach.\nNichtsdestoweniger gelingt es ihm, empirisch nach mancherlei fruchtlosen Versuchen die Yocale ziemlich deutlich nachzubilden ; zu diesem Behufe setzt er auf eine aufschlagende Zunge, deren Ton durch Unterlegen von Leder gemildert wird, eine hohle, l\u00e4nglich runde B\u00fcchse aus Holz auf, die der L\u00e4nge nach durchschnitten wird ; dort, wo dieser Hohlk\u00f6rper, der den Hohlraum des Mundes darstellen sollte, auf der Pfeife aufsass, hatte er ein Charnier und konnte, sowie der Kiefer, mehr oder weniger ge\u00f6ffnet werden. Auf diese Weise gelang es ihm, je nach der Art der Oeffnung die Yocale a, o, u und e ziemlich gut, i dagegen nur ann\u00e4hernd zu erhalten. Sp\u00e4ter verwendete er noch einen Trichter von Kautschuk, den er mit der Hand beliebig gestaltete oder in den er die Hand einf\u00fchrte.\nKempelen definirt schliesslich den Yocal lediglich in genetischer, nicht in akustischer Beziehung, wenn wir von ihrer ihm verschieden d\u00fcnkenden Tonh\u00f6he absehen ; nach ihm ist ein Selbstlaut ein Laut der Stimme, der durch die Zunge den Lippen zugef\u00fchrt und durch ihre Oeffnung herausgelassen wird. Der Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Selbstlaute wird durch nichts Anderes zu Wege gebracht, als den weiten oder engeren Durchgang, den entweder die Zunge oder die Lippen oder beide zusammen der Stimme gestatten.\nMehr vom theoretischen Standpunkte trat der Frage nach dem Wesen der Yocale n\u00e4her Christian Gottlieb Kratzenstein. Im Jahre 1780 wurde n\u00e4mlich von der Petersburger Academie folgende Aufgabe gestellt, welche Kratzenstein1 l\u00f6ste: Qualis sit natura et character sonorum litte-rarum vocalium a, e, i, o, u tarn insigniter inter se diversorum. 2) Annon construi queant instrumenta ordinis tuborum organicorum, sub termino vocis humanae noto similia, quae litterarum vocalium a, e, i, o, u sonos exprimant. Der erste Theil seiner Arbeit ist anatomisch, in dem zweiten bespricht er die Bildung der verschiedenen Yocale, die bereits Ammann durchaus richtig beschrieben habe ; er f\u00fcgt jedoch die jedesmalige Stellung des Kehlkopfes, der Epiglottis und der Zunge hinzu und giebt genau die Gr\u00f6sse an von der Oeffnung der Gaumenenge, der Z\u00e4hne und Lippen.\nSo genau und sorgf\u00e4ltig alle diese Beobachtungen sein m\u00f6gen, und so interessant es namentlich auf der einen Seite ist, dass er bei der Bestrebung, ein Instrument zu erfinden, welches m\u00f6glichst genau die menschliche Stimme nachahmt, zum ersten Male durchschlagende Zungen construire, so unerkl\u00e4rlich muss es einem auf der anderen Seite erscheinen, dass er die Epiglottis als die akustische Zunge des menschlichen Stimmapparates ansieht und den Stimmb\u00e4ndern ganz und gar die F\u00e4higkeit abspricht, T\u00f6ne zu erzeugen.\n[ Kratzenstein, Observations sur la physique d\u00e9di\u00e9es \u00e0 Mgr. le Comte d\u2019Artois par M. l\u2019abb\u00e9 Rozier et Mongez le jeune etc. Supplement 1782. XXI. p. 358. Paris 1782. Diese Observations haben als Fortsetzung das Journal de physique. Im Auszuge ist die Arbeit Kratzenstein\u2019s mitgetheilt in Acta Academiae Seientiarum imp. Petropolitanae pro anno 1780 pars posterior p. 13. Petropoli 1784.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172 Gr\u00fctznee, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nOhne mich weiter auf die theoretischen Betrachtungen Kratzenstein\u2019s einzulassen, die zum Theil irrig und unverst\u00e4ndlich sind, theile ich des Interesses halber nur die Form der Ans\u00e4tze mit, die seiner Meinung nach am besten dem Tone der durchschlagenden Zunge einen Vocalklang verleihen.\nUm ein A zu erhalten, ist es n\u00f6thig, einen hohlen, abgestutzten Kegel, dessen Basis in der Mitte ein Loch hat, mit dem spitzen Ende auf das Ende der Pfeife zu setzen. Der Eigenton dieses Hohlraumes muss entweder gleich dem Tone der Pfeife sein oder dessen Octave oder Quinte betragen. Die relativen Verh\u00e4ltnisse zeigt nebenstehende Fig. 60, Nr. 1. Den Vocalklang des E giebt ein Ansatzst\u00fcck von der Gestalt\neines Doppelkegels, dessen obere Oeffnung etwa die Gr\u00f6sse eines kleinen Fingers haben muss (Nr. 2). Das J bereitete ihm die gr\u00f6ssten Schwierigkeiten, weil, wie er glaubte, die Oeffnung des Ansatzst\u00fcckes zu klein genommen werden muss und dann sehr leicht in Folge zu geringen Luftdruckes die Pfeife nicht anspricht. Am ehesten erh\u00e4lt man es noch, wenn man den Ansatz f\u00fcr das E mit einem feinen R\u00f6hrchen anbl\u00e4st (Nr. 3). Das 0 und U entsteht, wxnn man auf den Ansatz des A einen h\u00f6lzernen Hohleylinder st\u00fclpt, so dass ersterer etwa bis in die Mitte des Cylinders hineinragt. Wenn die Oeffnung in der Basis des Kegels klein ist, ert\u00f6nt das U, ist sie gr\u00f6sser das 0 (Nr. 4).\nWir sehen, dass, wenn es auch Kempelen und Kratzenstein gelang, die Vocale in befriedigender Weise nachzubilden, sie doch \u00fcber die Natur dieser Laute eine bestimmte und klare Ansicht sich nicht verschaffen konnten. Diese Aufgabe l\u00f6ste nun in ann\u00e4hernd richtiger und origineller Weise zum ersten Male Robert Willis1 im Jahre 1830.\nEr versucht ebenfalls die Vocale k\u00fcnstlich nachzubilden und bedient sich, wie seine Vorg\u00e4nger, zun\u00e4chst einer durchschlagenden, Kratzenstein-schen Zunge, auf die er verschiedene Hohlr\u00e4ume oder verschiedene, lange R\u00f6hren aufsetzt. Er kommt betreffs der ersteren zu dem wichtigen Gesetze, dass auch verschieden gestaltete Hohlr\u00e4ume, falls sie angeblasen, nur denselben, und zwar einen h\u00f6heren Ton als die Zunge f\u00fcr sich geben, auch stets denselben Vocal erzeugen. Betreffs der R\u00f6hren aber findet er, dass eine kurze R\u00f6hre den Vocal J giebt, der mit der Verl\u00e4ngerung derselben in E, A, O, U \u00fcbergeht; bei weiterer Verl\u00e4ngerung der R\u00f6hre \u00fcber den Punkt hinaus, wo die in ihr enthaltene (einerseits geschlossene) Lufts\u00e4ule denselben Ton giebt, wie die Zunge, kehren die Vocale in um-\nFig. 60.\n1 R. Willis, Ann. d. Physik XXIV. S. 397. 1832.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Die Theorie der Vocale. R. Willis.\n173\ngekehrter Reihe wieder, um dann nochmals, aber nicht mehr so deutlich, in der ersten Reihenfolge aufzutreten. Nebenstehendes Schema (Fig. 61) verdeutlicht diese Angabe ; denkt man sich in Z die Zunge, so giebt eine\n\u201e JE A O V\tU O AE J JE A 0 U\n\u2014 j-\t; 1\t1\t- i\nFig. 61.\nR\u00f6hre von der L\u00e4nge ZJ den Vocal J, eine von der L\u00e4nge ZA den Vocal A u. s. f., von b ab [Zb \u2014 i/i l des Tones) wiederholen sich die Erscheinungen in umgekehrter Reihenfolge. Eine Bedingung, die erf\u00fcllt sein muss, damit alle Vocale gebildet werden, ist die, dass der Ton der Zunge tiefer sei, als der Eigenton der R\u00f6hren ZJ, ZE etc. Eine sehr hohe Zungenpfeife giebt daher nie die Vocale 0 und U, w\u00e4hrend man J, E, A noch mit ihr zu bilden vermag.\nDie absoluten Tonh\u00f6hen, welche Willis f\u00fcr die verschiedenen Vocale findet, d. h. also die T\u00f6ne, welche den Pfeifenl\u00e4ngen ZJ, ZE etc. entsprechen, sind folgende :\nJ im englischen Worte See g\";\"\nE\tn\tn\tn\tPet c'\"\"\nund\tn\tn\tn\tPay d\"\"\nA\tn\t\tr\tPaa f'\"\nund\tn\tn\tn\tPart des\"\nA\u00b0\tn\tr>\tn\tPaw g\"\nund\tn\tn\tn\tnought esJ\n0\tV)\tii\tn\tno c\"\nU (unbestimmt).\nDie Theorie, welche sich nun Willis \u00fcber die Vocale bildete, geht am besten aus der zweiten, h\u00f6chst sinnreichen Methode hervor, deren er sich ebenfalls zu ihrer Erzeugung bediente. L\u00e4sst man ein gez\u00e4hntes Rad schnell rotiren und h\u00e4lt w\u00e4hrend dessen eine elastische Stahlfeder an seine Z\u00e4hne, so h\u00f6rt man in Folge der einzelnen St\u00f6sse, die jeder Zahn der Feder ertheilt, einen Ton von gewisser H\u00f6he. Das sind die prim\u00e4ren Pulsationen nach Willis. Die Feder schwingt aber als elastischer K\u00f6rper ebenfalls mit einer gewissen Geschwindigkeit auf und nieder, die caeteris paribus lediglich abh\u00e4ngig ist von ihrer L\u00e4nge, und diese Erzitterungen sind die secund\u00e4ren Pulsationen, welche sich zu den prim\u00e4ren, nur von der Geschwindigkeit des rotirenden Rades abh\u00e4ngigen, hinzuf\u00fcgen. Auf diese Weise entstehen vocalische Kl\u00e4nge von verschiedener H\u00f6he, und zwar 0 und U bei l\u00e4ngerer, A, E, J bei k\u00fcrzerer Feder.\nEin Vocal ist hiernach f\u00fcr Willis weiter nichts als eine verschieden rasche Wiederholung eines kurzen, musikalischen Tones von derselben H\u00f6he. Je nach der verschiedenen Schnelligkeit, mit welcher diese kurzen Tonfragmente auf einander folgen, bestimmen sie die verschiedene Hohe, in der ein Vocal gesungen oder gesprochen wird, w\u00e4hrend sie selbst, den secund\u00e4ren Pulsationen der Feder ihre Entstehung verdankend, f\u00fcr jeden Vocal ein und dieselbe absolute Tonh\u00f6he haben.\nAehnlich verh\u00e4lt es sich bei den Pfeifen; die prim\u00e4ren Pulsationen","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nund somit die H\u00f6he, in welcher der Vocal geh\u00f6rt wird, bildet die Zunge, die secund\u00e4ren aber h\u00e4ngen ab von der jeweiligen L\u00e4nge der Ansatzst\u00fccke. L\u00e4ngere Ansatzst\u00fccke erzeugen, wie die l\u00e4ngere Feder die Vocale U. O, A, k\u00fcrzere E und J. Der Scharfsinn, mit dem Willis durch verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig einfache, aber \u00e4usserst sinnreiche Methoden das Wesen des Vocalklanges nahezu aufdeckte, ist im h\u00f6chsten Maasse zu bewundern.\nWiederum einen bedeutenden Schritt vorw\u00e4rts in der Theorie der Vocale that Wheatstone; er ist es eigentlich, den man als den Begr\u00fcnder der noch heut zu Tage g\u00fcltigen Vocaltheorie ansehen muss.\nIn der leider wenig bekannt gewordenen Kritik der Versuche1 von Kratzenstein, Kempelen und Willis f\u00fchrt Wheatstone aus, dass der Vocalklang das Resultat einer sogenannten \u201emultiplen Resonanz\u201c sei. Darunter versteht er eine Resonanz, das Mitschwingen einer Luftmasse, deren Eigenton nicht dem urspr\u00fcnglichen Tone eines prim\u00e4r schwingenden K\u00f6rpers entspricht, sondern einer solchen, die 2, 3, 4 mal etc. so schnell schwingt, als dieser. Gebe also beispielsweise eine Stimmgabel oder die Zunge einer Maultrommel den Ton c, so wird nicht bloss eine Luftmasse mitschwingen, die angeblasen ebenfalls c giebt, sondern auch Luftmassen, die den Obert\u00f6nen e', g\" etc. entsprechen. Diese f\u00fcr die Theorie des Vocalklanges fundamentale Thatsaclie, sowie der von ihm zuerst gef\u00fchrte Nachweis, dass unsere Mundh\u00f6hle auf verschiedene T\u00f6ne abzustimmen sei,- indem eine vor sie gehaltene schwingende Stimmgabel nur bei bestimmten Stellungen des Mundes in Folge verst\u00e4rkter Resonanz laut klinge, dann schliesslich die ebenfalls wichtige Beobachtung, dass ein Vocalklang nur dann deutlich hervortrete, wenn ein relatives Ueber-wiegen eines Obertones \u00fcber den Grundton vorhanden sei, die vocale F\u00e4rbung dagegen verschwinde, wenn, wie bei den meisten Blasinstrumenten, der Grundton die Obert\u00f6ne weit an St\u00e4rke \u00fcbertreffe, alle diese Thatsachen sind, wie man sieht, der Kern der heutigen Vocaltheorie. Wheatstone selbst sprach sie etwa in folgenden Worten aus: Nicht jede multiple Resonanz f\u00fchrt zu einem Vocalklang, wohl aber sind die multiple Resonanz und die vocale Beschaffenheit nur verschiedene Formen ein und desselben Ph\u00e4nomens.\n2. Die jetzt herrschenden Ansichten \u00fcber die Theorie der Vocale.\nObwohl die Bausteine, welche das Geb\u00e4ude der Vocaltheorie zusammensetzen konnten, schon seit lange geliefert, ja obwohl sie von Wheatstone bereits zu einem stattlichen Bau vereint waren, so wurden sie doch wunderbarer AVeise von Physikern und Physiologen gleich wenig beachtet und bei Seite liegen gelassen. Es waren hierhalb zwei M\u00e4nner, Donders und Helmholtz, welche in den f\u00fcnfziger Jahren die schon fr\u00fcher bekannten Thatsachen theils von Neuem entdeckten, theils sammelten und erweiterten. Auf ihren Untersuchungen basirt wesentlich die heutige Theorie der Vocale.\n1 The London and Westminster Review. Octbr. p. 27. London 1837.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Die Theorie der Yocale. Donders.\n175\nDas Erste, was von Neuem entdeckt wurde, war die Thatsache, welche unmittelbar aus den Beobachtungen von Willis und Wheatstone folgte, n\u00e4mlich dass f\u00fcr verschiedene Vocale die Mundh\u00f6hle auf T\u00f6ne von bestimmter H\u00f6he eingestellt ist. Es war Donders1, dessen feinem Geh\u00f6r es gelang, in den Vocalen der Fl\u00fcsterstimme Ger\u00e4usche von bestimmter Tonh\u00f6he zu erkennen. Das U-Ger\u00e4usch hat nach ihm, wie schon oben ausgef\u00fchrt, einen ziemlich breiten Spielraum, es liegt indessen gew\u00f6hnlich eine grosse Decime unter a\", ist also fi. Das \u00dc Ger\u00e4usch ist gerade eine Octave h\u00f6her als das a' des Orchesters, so dass es Donders mit Sicherheit gelingt dieses a' zu finden, wenn er \u00dc vor sich hin fl\u00fcstert und den Ton der Stimme etwas nachrauschen l\u00e4sst. Das Ger\u00e4usch des A l\u00e4sst schwer einen domi-nirenden Ton erkennen, doch tritt derselbe sehr gut neben anderen Ger\u00e4uschen z. B. neben denen von 0 und Oa zu Tage; denn die Ger\u00e4usche von O, Oa, A bilden einen grossen Dreiklang und das des A ist fast 72 Ton h\u00f6her als das aJ des Orchesters, Oa also eine kleine Terz, 0 eine Quint tiefer.\nIn dem E Ger\u00e4usch k\u00f6nnen zwei dominirende T\u00f6ne bestimmt werden, von denen der h\u00f6here etwa eine Decime h\u00f6her ist als das a' des Orchesters; in dem J Ger\u00e4usch macht sich ein sehr hoher Ton (f\") bemerklich, von einigen schw\u00e4cheren h\u00f6heren Nebent\u00f6nen begleitet.\nAlle diese Bezeichnungen beziehen sich auf die langen Vocale; werden dieselben kurz ausgesprochen, so wird der Ton ein wenig in die H\u00f6he getrieben.\nDiese eben beschriebenen Ger\u00e4usche sind nun nach Donders die charakteristischen Eigenschaften eines jeden Vocals, denn 1. begleiten sie ihn nicht nur, wenn er mit lauter Stimme ausgesprochen wird, sondern \u00fcberdauern ihn noch und zwar um so mehr, je accen-tuirter und deutlicher man den Vocal auszusprechen w\u00fcnscht. Ferner reicht jedes Ger\u00e4usch an und f\u00fcr sich vollkommen aus, um einen Vocal in Fl\u00fcsterstimme bestimmt zu charakterisiren, und schliesslich leidet die Deutlichkeit der vocalischen Kl\u00e4nge um so mehr Einbusse, je mehr das Ger\u00e4usch bei der lauten Sprache zur\u00fccktritt, sei es, dass die Stimme es allzu kr\u00e4ftig \u00fcbert\u00f6nt, sei es, dass eine gr\u00f6ssere Entfernung es vernichtet, w\u00e4hrend sie der lauten Stimme keinen Abbruch thut.2\n1\tDonders, Arch. f. d. holl\u00e4nd. Beitr\u00e4ge zur Natur- u. Heilkunde I. 1857.\n2\tUm sich von der Richtigkeit der DoNDERs\u2019schen Angaben zu \u00fcberzeugen, finde ich folgendes Experiment am geeignetsten. Man stelle den Mund auf irgend einen Yocal, z. B. A oder 0 ein, und versuche fl\u00fcsternd, indem man sich bestrebt, das Yocalger\u00e4usch genau beizubehalten , in die H\u00f6he zu singen. Es ist absolut","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nWir gelangen schliesslich zu den classischen Arbeiten yon Helmholtz, die vor etwa 20 Jahren begonnen und neuerdings durch eigene Untersuchungen und Arbeiten aus seinem Institut erweitert wurden.\nNach Helmholtz* 1 sind die Vocale der menschlichen Stimme Kl\u00e4nge membran\u00f6ser Zungen, n\u00e4mlich der Stimmb\u00e4nder, deren Ansatzrohr, n\u00e4mlich die Mundh\u00f6hle, verschiedene Weite, L\u00e4nge und Stimmung erhalten kann, so dass dadurch bald dieser bald jener Theilton des Klanges verst\u00e4rkt wird.\nWie schon oben bei der Bildung der Vocale beschrieben, stellte Helmholtz vermittels der Methode der Resonanz fest, dass f\u00fcr die verschiedenen Vocale der Raum der Mundh\u00f6hle auf folgende Noten\nabgestimmt sei.\nDiese T\u00f6ne werden nun, wenn sie in dem Stimmklange als Obert\u00f6ne enthalten sind, vorzugsweise verst\u00e4rkt und charakterisiren den Vocal.2 Die Vocalkl\u00e4nge unterscheiden sich hiernach von den Kl\u00e4ngen der meisten anderen Instrumente wesentlich dadurch, dass die St\u00e4rke ihrer Ob ert\u00f6ne nicht nur von der Ordnungszahl derselben, sondern \u00fcberwiegend von deren absoluter Tonh\u00f6he abh\u00e4ngt. \u201eWenn ich z. B. den Vocal A auf die Note Es singe, ist der verst\u00e4rkte Ton b\" der zw\u00f6lfte des Klanges,\nunm\u00f6glich; steigt man in die H\u00f6he, so \u00e4ndert sich sofort die Vocalfarbe; es wird aus dem A ein EA oder E. Das U Ger\u00e4usch ist noch das einzige, auf welches man einige T\u00f6ne fl\u00fcsternd singen kann, ohne dass es auf h\u00f6rt, wie U zu klingen. \u2014 In einer h\u00f6chst interessanten Schrift (Die Musik in der deutschen Sprache. Leipzig 1879, sowie in Herrig\u2019s Arch. f. d. Studium etc. LIV. p. 367. Braunschweig 1875) macht auch k\u00fcrzlich Grabow darauf aufmerksam, wie schwer es ist, auf einen bestimmten Text fl\u00fcsternd irgend eine Melodie zu singen. Sollen auf hohe T\u00f6ne die Vocale 0 oder U z. B. die Worte soll und gut gefl\u00fcstert werden, so gehen sie \u00fcber in soll und g\u00fct oder sill und git.\n1\tHelmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen S. 168. Braunschweig\n1877.\n2\tAndere Beobachter, z. B. Merkel, geben andere Tonh\u00f6hen an, weil jede geringe Aenderung in dem Klange des Vocals die absolute H\u00f6he des charakteristischen Tones oft in hohem Maasse ver\u00e4ndert. K\u00fcrzlich hat F. Auerbach durch Percussion des Kehlkopfes ebenfalls von obigen Angaben abweichende T\u00f6ne gefunden, wor\u00fcber weiter unten das N\u00e4here zu finden ist.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie der Yocale. Helmholtz. Analyse der Vocalkl\u00e4nge.\n177\nund wenn ich denselben Vocal auf die Note b' singe, ist es der zweite Ton des Klanges, der verst\u00e4rkt wird.\u201c\nIn Folge dieser Thatsache ist es auch m\u00f6glich, \u2014 so wie bereits Kratzenstein, Kempelen und Willis gezeigt, \u2014 Vocale k\u00fcnstlich nachzubilden, wenn man aus dem Klange einer Pfeife, den oder jenen Partialton durch Aufsetzen eines passenden Resonators verst\u00e4rkt. So erhielt Helmholtz, wenn er auf eine Zungenpfeife, welche b gab, die gl\u00e4serne Resonanzkugel f\u00fcr b aufsetzte, den Vocal U, mit der Kugel V nur 0, mit der Kugel b\" dagegen ein geschlossenes, mit d'\" ein scharfes A. Auch gelang es ihm mit derselben Zungenpfeife verschiedene Abstufungen von A, 0, E und J hervorzubringen, indem er in die \u00e4ussere Oeffnung der gl\u00e4sernen Hohlkugeln noch 6\u201410 cm. lange Glasr\u00f6hrchen einf\u00fcgte, und auf diese Weise die doppelte Resonanz der Mundh\u00f6hle nachahmte.\nWir finden also hier im Wesentlichen, wenn auch in bestimmterer Form, die Ansichten von Willis und Wheatstone wieder. Helmholtz aber arbeitete dieselben in genialer Weise nach zwei Richtungen hin aus; erstens analysirte er die Vocalkl\u00e4nge nach einer neuen von ihm erfundenen Methode vermittelst der Resonatoren, zweitens setzte er sie zusammen aus den einfachen T\u00f6nen von Stimmgabeln.\nIV. Die Analyse der Vocalkl\u00e4nge.\n1. Die subjective Methode.\nHelmholtz bediente sich, wie schon gesagt, hierzu der Resonatoren. Es sind dies nach der jetzt gebr\u00e4uchlichen Form Hohlkugeln aus Messingblech, die an dem einen Pole in eine kleine hohle Spitze ausgezogen sind, welche in das Ohr gesteckt wird, und die auf dem entgegengesetzten eine ihrer Gr\u00f6sse entsprechende kreisf\u00f6rmige Oeffnung von 1\u20142,5 cm. Durchmesser haben. Jede dieser Kugeln ist auf einen Ton abgestimmt, so dass die in ihnen enthaltene Luft in starke Mitschwingungen ger\u00e4th, sobald dieser Ton irgendwo ausserhalb angegeben wird. Befindet sich dabei der Resonator in dem Ohre des Beobachters, so wird dieser den betreffenden \u2014 weil durch die Resonanz verst\u00e4rkten \u2014 Ton ungemein laut, mitunter geradezu schmetternd wahrnehmen; die anderen gleichzeitig in der Luft gebildeten T\u00f6ne hingegen vernimmt er nicht oder wesentlich abgeschw\u00e4cht, weil die sie bildenden Ersch\u00fctterungen sich nicht auf die Luftmasse des Resonators \u00fcbertragen. Die Resonatoren sind demzufolge ein vorz\u00fcgliches Hilfsmittel, T\u00f6ne und selbst schwache T\u00f6ne aus einer beliebigen Klangmasse herauszuheben und gut h\u00f6rbar zu machen.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Yocale.\nVermittelst dieser Methode hat k\u00fcrzlich F. Auerbach1 in dem Laboratorium von Helmholtz die verschiedenen, in wechselnder Tonh\u00f6he gesungenen Vocale analysirt und die in denselben enthaltenen Partialt\u00f6ne ihrer relativen St\u00e4rke nach bestimmt, indem er sowohl einen Vocal auf ein und denselben Ton sang und die Resonatoren wechselte, als auch die Tonh\u00f6he des Vocals \u00e4nderte, aber einen und denselben Resonator im Ohre liess, der f\u00fcr einen in allen gesungenen Vocalkl\u00e4ngen enthaltenen Oberton abgestimmt war. Auerbach sch\u00e4tzte immer das Verh\u00e4ltnis je zweier Obert\u00f6ne zu einander ab, wobei er sich innerhalb der Grenzen 1:1, 1 : 2, 2 : 5, 3:5 hielt, setzte dann die Intensit\u00e4t des Gesammt-klanges gleich 100 und f\u00fcr die Partialt\u00f6ne, die sich durch Umrechnung ergebenden, dem wahren Werth e am n\u00e4chsten kommenden ganzen Zahlen.\nAuf diese Weise erhielt er als den Ausdruck der Thatsachen folgende Tabellen :\nPartialt\u00f6ne.\nTonh\u00f6he.\tI.\tII.\tIII.\tIV. P\tV. art\tVI. i a 1 t\tVII. o n.\tVIII.\tIS.\tI x. 1\tXI.\n\t\t\t\t1. Dumpfes U.\t\t\t\t\t\t\t\nC\t27\t25\t14\t22\t7\t4\t1\t\t\t\t\ng\t33\t30\t16\t14\t5\t1\t\t\t\t\t\nc'\t40\t28\t10\t19\t3\t\t\t\t\t\t\ng'\t49\t?\t?\t?\t?\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t2.\tHelles U.\t\t\t\t\t\t\nc\t20\t31\t23\t16\t5\t3\t2\t\t\t\t\ng\t18\t45\t24\t8\t3\t2\t\t\t\t\t\nc'\t39\t39\t18\t3\t1\t\t\t\t\t\t\ng'\t61\t28\t9\t2\t\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t3.\tScharfes O.\t\t\t\t\t\t\nc\t9\t16\t36\t14\t12\t9\t4\t1\t\t\t\ng\t19\t46\t17\t11\t6\t1\t\t\t\t\t\nc'\t25\t42\t21\t10\t2\t\t\t\t\t\t\ng'\t42\t38\t16\t3\t\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t4.\tHelles A.\t\t\t\t\t\t\nc\t5\t7\t12\t20\t15\t30\t7\t4\t1\t\t\ng\t8\t13\t17\t30\t22\t8\t2\t\t\t\t\nc'\t11\t21\t36\t22\t8\t2\t\t\t\t\t\ng'\t19\t42\t25\t10\t2\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t\t5. E.\t\t\t\t\t\t\nc\t9\t13\t25\t18\t10\t8\t7\t5\t2\t1\t\nff \u00f6\t12\t16\t24\t24\t12\t6\t3\t2\t1\t\t\ncr\t21 *\t27\t31\t10\t5\t4\t2\t1\t\t\t\ng'\t40\t33\t13\t8\t3\t2\t1\t\t\t\t\n1 Auerbach, Ann. d. Physik. (N. F. Erg.-Bd.) VIII. S. 177. 1876.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Absolutes und relatives Moment.\n179\nTonh\u00f6he.\tI.\tII.\tIII.\tIV. I\tV. 3 a r t\tVI. ! VII. ; i a 1 t o n.\t\tVIII. 1 IX. 1 1\tX.\tXI.\nc\t10\t16\t12\t21\t6. J. 14\t9\t7\t5\t3\t2\t1\ng\t12\t17\t28\t18\t10\t7\t4\t2 1\t1\t\nc'\t12\t16\t22\t21\t13\t9\t5\t2 1\t\t\ng'\t24\t28\t! 18\t14\t9\t4\t2\t1\t\t\nDiese Tabellen scheinen nun in gar keiner Beziehung zu stehen zu den oben auseinandergesetzten HELMHOLTz\u2019schen Ansichten, nach denen f\u00fcr irgend einen Vocalklang ein Ton von bestimmter, absoluter H\u00f6he zur Charakterisirung noth wendig ist. Ja in vielen dieser pro-ducirten Vocale findet sich gar nicht der charakteristische Ton weder als Grundton noch als Oberton und dennoch ist es unzweifelhaft, dass sie von Auerbach gesungen und auch innerhalb der erforderlichen Grenzen richtig analysirt wurden. Und in der That wird durch die AuERBACH\u2019sche Arbeit ein Schritt weiter in der Theorie der Vocale gethan und ein neues Moment als gleich wichtig und bedeutungsvoll f\u00fcr das Wesen der Vocale eingef\u00fchrt und dieses Moment ist das sogenannte \u201erelative\u201c. Das will sagen: Ein Vocalklang wird nicht blos dadurch charakterisirt, dass in ihm irgend ein Oberton (s. S. 176),. sei es der 1., 2. oder 3., aus der Menge der andern hervortritt und immer ein und dieselbe bestimmte absolute Tonh\u00f6he zeigt, sondern auch dadurch, dass die in ihm enthaltenen Obert\u00f6ne unabh\u00e4ngig von ihrer absoluten H\u00f6he entweder in gr\u00f6sserer oder kleinerer Anzahl vorhanden sind oder dass wesentlich der 1., 2. oder nte sich an St\u00e4rke auszeichnen, mag die absolute Tonh\u00f6he dieser Ober t\u00f6ne und ihres Grundtones sein, welche sie wolle.1\n1 Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass bereits vor den Helmholtz-schen Arbeiten ein ungemein feiner Beobachter, Grassmann, jene beiden Momente ausgesprochen hat. In dem Programme des Stettiner Gymnasiums vom Jahre 1854 f\u00fchrte er aus, dass es ihm m\u00f6glich sei, ohne irgend welche Hilfsmittel in den Vocal-kl\u00e4ngen der menschlichen Stimme eine betr\u00e4chtliche Anzahl von Obert\u00f6nen zu vernehmen. Je nach der Beschaffenheit dieser Obert\u00f6ne unterscheidet er nun alle Vocale in 3 Gruppen und zwar \u2014 wie er sp\u00e4ter (Ann. d. Physik. N. F. I. S. 606. 1877) genauer darlegt \u2014 1) in die Gruppe der u, \u00fc, i Reihe, bei denen unter den verschiedenen Obert\u00f6nen immer einer und zwar einer von bestimmter H\u00f6he heraustritt (ein tieferer bei dem U, ein h\u00f6herer bei dem J), 2) in den einzig dastehenden Vocal A, bei dem nicht ein Oberton von bestimmter Tonh\u00f6he hervortritt, sondern welcher sich durch die ganze Reihe der Obert\u00f6ne bis zur dritten Octave des Grundtones charakterisirt. Je h\u00f6her also der Vocal A gesungen wird, um so h\u00f6her steigen auch alle seine Obert\u00f6ne, 3) unterschied er eine Reihe von Zwischen-vocalen, o, \u00f6, e, zu deren Erzeugung sich beide Momente, die Eigenschaften der\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Yocale.\nAuerbach zeigt nun, dass die obigen verschiedenen Intensit\u00e4ten der Partialt\u00f6ne als das Produkt zweier Faktoren aufgefasst werden k\u00f6nnen, deren einer abh\u00e4ngt von ihrer Ordnungszahl; denn in jedem Klange nimmt die St\u00e4rke der sp\u00e4teren Obert\u00f6ne ab, der Grundton ist der st\u00e4rkste, der letzte Oberton der schw\u00e4chste. Der andere Faktor ist unabh\u00e4ngig von der Ordnungszahl der Partialt\u00f6ne und allein abh\u00e4ngig von der absoluten Tonh\u00f6he. Ob der betreffende Oberton der erste, zweite oder nte eines Klanges ist, das ist gleichg\u00fcltig, wenn er nur die entsprechende Tonh\u00f6he hat, so wird er durch die passenden Dimensionen des Ansatzrohres verst\u00e4rkt.\nEs diene als Beispiel die Tabelle f\u00fcr das dumpfe U (S. 178). Die Intensit\u00e4t eines jeden Partialklanges in dieser Tabelle ist das Produkt von einem Faktor x, der von der Ordnungszahl des Partialtones abh\u00e4ngt, und einem zweiten y, der von der absoluten Tonh\u00f6he abh\u00e4ngt. Bezeichnen wir die ersten Faktoren mit xL, x2, wobei der Index die Ordnungszahl bedeutet, und die zweiten mit yc, yc>, yg,, wobei der Index die absolute Tonh\u00f6he angiebt, so lassen sich die obigen Intensit\u00e4tszahlen auf folgende Weise darstellen:\nX\\ y c\tx2 y c'\tx3 y y'\tX\\ y ci\ny g\ty g'\tyd2\nXi yc>\tX) y ci\tx3 y g %\nXi y y'\tx-2 y g 2\nDas erste Produkt xj yc ist 27 ; nehmen wir nun der Einfachheit halber xt = 27, yc also =1, an, so ergiebt sich aus xt yg, welches gleich ist 33, yg = 1,2, aus Xi yc> = 40, yc> = 1,5, aus Xi yg> = 49, yg' = 1?8 u. s. f. ; da nun x2 yc' = 25 ist und yc> = 1,5 gefunden wurde, so folgt f\u00fcr x-2 = 17. yg> war = 1,8 ; x2 ygr muss hiernach auf Grund der Rechnung gleich sein 17 . 1,8, was mit der 30, der zweiten Zahl in der zweiten Yerticalreihe, gut \u00fcbereinstimmt.\nDie Tabelle II (S. 181) enth\u00e4lt die Faktoren Xi, x2, x3 etc. Die folgende Tabelle (S. 182) die Faktoren yc, yc>, yg> etc.\nWenn man nun auf diese Weise die Yocalkl\u00e4nge durch Rechnung des zweiten Faktors {yc, yc- etc.) entkleidet, d. h. die Frage beantwortet, wie stark jeder der betreffenden Partialt\u00f6ne w\u00e4re, wenn nicht der eine oder andere durch Resonanz verst\u00e4rkt w\u00fcrde, so findet man sie in der That gleich den verschiedenen Kl\u00e4ngen der Instrumente, aber unter sich verschieden; ihr Grundton ist der st\u00e4rkste, die Obert\u00f6ne nehmen, je h\u00f6her sie werden, an St\u00e4rke ab, wie folgende Tabelle zeigt, welche die Faktoren a?i, x-2, x3 etc. enth\u00e4lt (xv \u2014 27 gesetzt).\nU, \u00dc, J Reihe und diejenigen des A in bestimmten Gr\u00f6ssenantheilen summiren m\u00fcssten. Hiernach w\u00e4ren also die Yocale U, \u00dc, J solche, die vorzugsweise durch das absolute Moment der Tonh\u00f6he, das A hingegen ein solcher, der nur durch das relative Moment gekennzeichnet wird. Ganz k\u00fcrzlich hat Auerbach (Ann. d. Physik. N. F. IY. S. 508. 1878) gezeigt, dass in der That diesen GRASSMA\u00eera\u2019schen Behauptungen viel Wahres zu Grunde liegt, wenn sie auch nicht in der Ausdeh-nung gelten, wie Grassmann selbst es angenommen. Beispielsweise bewegt sich nach Auerbach, wenn man den Yocal A auf die verschiedenen Tonh\u00f6hen von c. g. c , g' singt, dessen erster Oberton in dem Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse von 2 : 3, wenn man dasselbe mit dem Yocal U thut, in dem Yerh\u00e4ltnisse von 1 : 6.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Absolutes und relatives Moment.\n181\nPartialt\u00f6ne.\nVocale.\tI.\tII.\tIII.\tIV.\tV.\tVI.\tVII. VIII.\t\t1 IX.\tX.\ti XI.\tXII.\tXIII.\tXIV.\n1. U, dumpf\t27\t17\t8\t121\t4\t3\t1\t\t\t\t\t\t\t\n2. U, hell .\t27\t19\t10\t9\t4\t3\t2\t1\t\t\t\t\t\t\n3. 0, scharf\t27\t19\t14\t10\t6\t5\t2\t1\t\t\t\t\t\t\n4. A\u00b0 ...\t27\t14\t8\t8\t6\t5\t4\t3\t2\t1\t\t\t\t\n5. A ....\t27\t18\t17\t17\t15\t7\t5\t3\t2\t1\t\t\t\t\n6. E . . . .\t27\t19\t18\t12\t8\t6\t5\t5\t4\t3\t2\t1\t\t\n7. J ....\t27\t21\t15\t11\t9\t7\t6\t5\t5\t4\t4\t3\t2\t1\n8. \u00dc . . . .\t27\t14\t10\t11\t8\t4\t2\t1\t\t\t\t\t\t\n9. \u00d6 ....\t27\t21\t22\t15\t10\t6\t3\t2\t1\t\t\t\t\t\n10. \u00c4 ....\t*11\t19\t15\t10\t161\t9\t6\t4\t2\t1\t\t\t\t\nMan ersieht aus der Tabelle, dass beim dumpfen U die Intensit\u00e4t der Partialt\u00f6ne am schnellsten abnimmt, dass folglich auch ihre Anzahl die geringste ist. Der 7. Partialton betr\u00e4gt nur noch etwa 1 Proc. der Gesammtst\u00e4rke, beim hellen U und scharfen 0 hat sie erst beim 8., bei A beim 11., beim E beim 12. und bei J erst beim 14. Partialtone diesen Werth erreicht.\nAndererseits ist es nun aber auch m\u00f6glich, sich den zweiten Faktor (x\\, etc.) wegzudenken und nur die Frage zu beantworten, welche T\u00f6ne von einer bestimmten, absoluten H\u00f6he in dem oder jenem Vocale die gr\u00f6sste Intensit\u00e4t bes\u00e4ssen, wenn ihnen nicht in Folge ihrer Stellung als niedere oder h\u00f6here Obert\u00f6ne schon an und f\u00fcr sich eine gewisse St\u00e4rke zuk\u00e4me.\nWenn also beispielsweise in irgend einem Vocalklange ein hoher Oberton, der an und f\u00fcr sich sehr schwach sein m\u00fcsste, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig bedeutende Intensit\u00e4t besitzt, so muss diese Verst\u00e4rkung seiner Intensit\u00e4t durch ein sehr g\u00fcnstiges Moment bedingt sein. Dieses g\u00fcnstige Moment, bekanntlich in der Resonanz der Mundh\u00f6hle gelegen, ist denn der zweite Faktor, welcher zu den verschiedenen Intensit\u00e4ten der einzelnen Partial-kl\u00e4nge hinzutritt, um sie zu derjenigen St\u00e4rke zu bringen, in welcher wir sie fertig h\u00f6ren. Hieraus geht andererseits hervor, dass ein tiefer Oberton, der an und f\u00fcr sich viel st\u00e4rker ist, garnicht unter so g\u00fcnstige Bedingungen der Resonanz gesetzt zu werden braucht, um doch in Wirklichkeit eine gr\u00f6ssere Intensit\u00e4t zu besitzen, als ein sp\u00e4terer, der sogar durch Resonanz verst\u00e4rkt, wird. Diese Faktoren nun, welche die Intensit\u00e4t der einzelnen Obert\u00f6ne, insofern ihnen eine bestimmte, absolute Tonh\u00f6he zukommt, beeinflussen, sind in der folgenden Tabelle verzeichnet.\n1 Nur zwei Ausnahmen finden sieh. Der vierte Oberton vom dumpfen U ist st\u00e4rker als der dritte, der 5. vom \u00c4 st\u00e4rker als der 4., vielleicht weil diese Vocale schwer ohne gewisse Ger\u00e4usche producirt werden k\u00f6nnen, die ihrer H\u00f6he nach eben jenem Partialton entsprechen.","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Yocale.\nT\u00f6ne, welche in dem Yocale enthalten sind, alle Yocale auf c gesungen.\nVocale.\n2. U, hell\nMan erkennt hieraus, dass bei den dumpfen Yocalen die charakteristische Tonh\u00f6he oder vielmehr die Breite der charakteristischen Tonh\u00f6he ziemlich tief liegt, also einem der ersten tieferen Obert\u00f6ne zukommt. F\u00fcr das dumpfe U liegt sie in der Gegend des gr, f\u00fcr das helle U von g' bis c1 2. Je heller \u00fcberhaupt die Yocale werden, je mehr sie sich also dem \u00c0 n\u00e4hern, um so h\u00f6her wird der charakteristische Ton und um so weiter r\u00fcckt er hiernach in der Reihe der Obert\u00f6ne in die H\u00f6he; beim A ist er beispielsweise gelegen bei g2, die Yocale \u00dc, \u00d6, \u00c4 zeigen zwei charakteristische Tonh\u00f6hen, f\u00fcr das \u00dc liegen die Maxima der Intensit\u00e4t bei g' und g2, f\u00fcr \u00d6 weiter von einander entfernt bei g und c3 u. s. f.\nWenn man sich der fr\u00fcheren Untersuchungen und Angaben von Helmholtz erinnert, so zeigt es sich, dass sich hier ganz andere charakteristische Tonh\u00f6hen ergeben, als diejenigen, die Helmholtz bezeichnet hat. Auerbach nennt die soeben mitgetheilten Tonh\u00f6hen die reducirten, charakteristischen Tonh\u00f6hen, die anderen oben mitgetheilten dagegen die scheinbaren. Die scheinbare, charakteristische Tonh\u00f6he des U ist hiernach das f, die reducirte etwa f,, das will sagen : der st\u00e4rkste Theilton, den ich unter gewissen Bedingungen beim U Klange h\u00f6re, ist das tiefere f, er ist es aber nicht in Folge der verst\u00e4rkten Resonanz, sondern nur in Folge seiner Stellung als einer der ersten Obert\u00f6ne. Derjenige Ton, der wirklich durch Resonanz verst\u00e4rkt wird \u2014 wenn er auch in Wirklichkeit nicht der st\u00e4rkste zu sein braucht \u2014 dagegen das f.\nWie man ferner sofort sieht, liegen die sogenannten scheinbaren Tonh\u00f6hen viel weiter auseinander als die reducirten. Es hat aber k\u00fcrzlich Auerbach2 gezeigt, dass die reducirten Tonh\u00f6hen in der That diejenigen sind, auf welche die Mundh\u00f6hle abgestimmt ist. Percutirt man sich n\u00e4m-\n1\tIn dieser Tabelle sind diejenigen Faktoren fettgedruckt, die als die gr\u00f6ssten oder sich einem Maximum n\u00e4hernden herausgefunden wurden.\n2\tAuerbach, Ann. d. Physik. N. F. III. S. 152. Leipzig 1878.","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Absolutes und relatives Moment. Vorwiegen des relativen Momentes.\t183\nlicli den Kehlkopf \u2014 den Schildknorpel \u2014 und giebt dabei dem Munde die f\u00fcr die Bildung der verschiedenen Vocale nothwendigen Stellungen, so h\u00f6rt man nach Auerbach ganz deutlich den f dur-Ac cord f a! c\" f wenn der Mund die Stellungen f\u00fcr U, O, A0, A annimmt. Man h\u00f6rt ferner bei AE die T\u00f6ne c' bis d\"\nbei E h\u00f6rt man g'\u2014a'\nT\tf\nn\tV.\t\u00bb\tn\t1\n\u00bb\t\u00f6\t\u201e\t\u201e\tgis\u2014a!\n\u00ab\t\u00dc\tB\t\u201e\te'\u2014f.\nDie Eigent\u00f6ne der vorderen Partieen der Mundh\u00f6hle beim J, \u00dc etc. kann man nat\u00fcrlich auf diese Weise nicht feststellen , dagegen sehr gut diejenigen der hinteren, die jedoch mit Angaben von Helmholtz nicht \u00fcbereinstimmen.\nDie beiden Momente, das absolute und relative, durchkreuzen einander mehrfach und leiten uns bei der Beurtheilung irgend eines Yocalklanges. Ja innerhalb einer gewissen Breite ist sogar jedes f\u00fcr sich im Stande, einen Vocal zu kennzeichnen. Dass wir in der Fl\u00fcstersprache Vocale verstehen, danken wir lediglich dem absoluten Moment, indem wir weiter nichts als ein Ger\u00e4usch von bestimmter Tonh\u00f6he h\u00f6ren ; ja selbst ein einfacher Ton, der durch pendelartige Bewegungen der Luft entsteht, beispielsweise eine vor einem abgestimmten Resonator schwingende Stimmgabel erweckt in uns die Vorstellung eines bestimmten Vocals und zwar, je nach der Tiefe desselben, eines U, 0 oder A. Dass wir ferner das U nicht in den h\u00f6chsten und das J nicht in den tiefsten Stimmlagen singen k\u00f6nnen, h\u00e4ngt ebenfalls mit dem Moment der absoluten Tonh\u00f6he (siehe die Tabelle auf voriger Seite) zusammen. Andererseits l\u00e4sst sich nicht l\u00e4ugnen, dass gewisse zusammengesetzte Kl\u00e4nge, von deren Partialt\u00f6nen keineswegs der eine oder der andere eine bestimmte, absolute Tonh\u00f6he hat, vocalisch klingen. Nehmen beispielsweise die Obert\u00f6ne sehr rasch an Intensit\u00e4t ab und ist der Grundton selbst nicht zu hoch, so erinnert uns dieser Klang immer an ein U; wir bezeichnen ihn als dumpf; ist andererseits die Reihe der Obert\u00f6ne eine l\u00e4ngere, so \u00e4hnelt er in gewissen Tonbreiten einem A u. s. f.\nIn wie weit das relative Moment, welches die ersten IlELMHOLTz\u2019schen Untersuchungen zu wenig ber\u00fccksichtigten, oft allein massgebend ist, das hat k\u00fcrzlich in eleganter Weise Schneebeli1 dargethan. Er zeichnete mittelst des Phonautographen (s. S. 187) die Schwingungen der Luft auf, je nachdem er den Vocal 0 auf die T\u00f6ne c' g' c\" e\" sang und stellte an den erhaltenen Curven durch Messung und Rechnung fest, dass das Charakteristische f\u00fcr diesen Vocal gar nicht eine bestimmte, absolute Tonh\u00f6he war, sondern dass unter allen Umst\u00e4nden der erste Oberton aus der\n1 Schneebeli, Arch. d. sc. phys. et natur. I. p. 149. Genf 1879.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nKlangmasse hervortreten musste, mochte die absolute Tonh\u00f6he, in welcher der Vocal gesungen wurde, sein, welche sie wollte.\nHiermit stimmen meine eigenen Beobachtungen, die ich am Edison\u2019-schen Phonographen (s. S. 189) angestellt habe, \u00fcberein. Wenn n\u00e4mlich immer die absolute Tonh\u00f6he f\u00fcr irgend einen Vocal das wesentlich Charakteristische w\u00e4re, so m\u00fcsste, wenn man in den Phonographen irgend einen Vocal bei einer gewissen Drehungsgeschwindigkeit der Walze hineinsingt oder spricht, sich regelm\u00e4ssig die Vocalfarbe \u00e4ndern, sobald bei der Reproduction des Lautes die Walze entweder schneller oder langsamer gedreht wird. Das ist nun aber nicht der Fall, namentlich \u00e4ndert sich \u2014 so weit meine, allerdings nicht mit einem sehr vollkommenen Apparate angestellten Versuche zeigen \u2014 das 0 verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig am wenigsten, am ehesten wird bei schnellerer Rotation noch das A zu einem \u00c4. Zu \u00e4hnlichen Resultaten gelangten, wie ich eben sehe, die Engl\u00e4nder Fleeming Jenkin und J. A. Ewing1, die auch bei den verschiedensten Drehungsgeschwindigkeiten der Walze nat\u00fcrlich eine Aenderung in der Tonh\u00f6he, aber keine in der Klangfarbe zu erkennen vermochten.\nIm Besitze dieser eben dargelegten Kenntnisse sind wir nun auch im Stande, kurz auf einige, gegen die fr\u00fcheren \u00cf\u00cfELMHOLTz\u2019schen Ansichten gerichteten Angriffe einzugehen. Vor allen Dingen erw\u00e4hne ich der Arbeit von v. Qvanten 2, der aus der Angabe von Helmholtz, dass immer ein Ton von bestimmter H\u00f6he, der zugleich Oberton des Stimmb\u00e4nderklanges sein soll, die Unzul\u00e4nglichkeit der HELMH\u00f6LTz\u2019sehen Theorie ableiten zu k\u00f6nnen glaubte. Sei beispielsweise der charakteristische, aus dem Klange hervortretende Ton des U das f, so sei es klar, dass das U nicht gesungen werden k\u00f6nne auf alle diejenigen T\u00f6ne, die eben f nicht als einen Oberton enthalten. Aehnliches gelte f\u00fcr alle anderen Vocale in demselben oder noch viel h\u00f6herem Grade. G. Engel3 hat zwar behauptet, dass unter diesen Umst\u00e4nden anstatt des charakteristischen Tones die ihm zun\u00e4chst liegenden Obert\u00f6ne etwas verst\u00e4rkt werden, wodurch die Vocale eine schlechte Klangfarbe bekommen. Indess auch dies sei nicht richtig ; denn der Vocal A klingt beispielsweise ebenso gut auf cis wie auf c, obwohl sein charakteristischer Ton das b\" nur in dem Klange des c enthalten ist. Singe man ferner die Tonleiter* auf irgend einen Vocal, so m\u00fcsse dessen Klang bald deutlich hervortreten, bald wieder verschwinden, je nachdem mit der Aenderung des Grundtones der charakteristische Ton des Vocals in den Obert\u00f6nen auftrete und verst\u00e4rkt werden k\u00f6nne oder aus deren Reihe verschwinde. Da die Erfahrung nun all diesen direct aus der Theorie zu folgernden Schl\u00fcssen widerspricht, so k\u00f6nne sie selbst nicht richtig sein. \u2014 Diesen Einw\u00e4nden gegen\u00fcber macht nun Helmholtz selbst Folgendes geltend.\nEin K\u00f6rper von erheblicher Masse, der seine Schwingungen m\u00f6glichst frei von allen Hemmungen durch die benachbarten K\u00f6rper aus-\n1\tFleeming Jenkin und J. A. Ewing, Nature XVII. p. 384. London and New-York 1878. Die ausf\u00fchrliche, soeben ver\u00f6ffentlichte Arbeit dieser Forscher findet sich in den Transactions of royal society of Edinburgh Vol. XXVIII. S. 745. 1879.\n2\tv. Qvanten, Ann. d. Physik CL1V. S. 272. Leipzig 1875.\n3\tG. Engel, Die Vocaltheorie von Helmholtz und die Kopfstimme : ausserdem Arch. f. Anat. u. Physiol. 1869. S. 309.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Objective Methoden. Die K\u00f6NiG\u2019sche manometrische Kapsel.\n185\nf\u00fchren kann; und dessen Bewegung auch nicht durch innere Reibung seiner Theile ged\u00e4mpft wird, wie beispielweise eine Stimmgabel, wird in resonatorische Schwingungen versetzt nur durch T\u00f6ne von sehr eng begrenzter Tonh\u00f6he und auch durch diese nur nach verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig langer Einwirkung des prim\u00e4r t\u00f6nenden K\u00f6rpers. Solche K\u00f6rper hingegen, die ungemein leicht und wenig dicht sind, werden durch T\u00f6ne verschiedenster H\u00f6he zum Mitschwingen gebracht. So auch die Luft der Mundh\u00f6hle; ihre weichen Wandungen und ihre nicht unbedeutende Communications-\u00d6ffnung mit der freien atmosph\u00e4rischen Luft vernichtet ungemein schnell die in ihr erzeugten oscillatorischen Ersch\u00fctterungen. Schnellt man einen Finger an die Backe, w\u00e4hrend die Mundh\u00f6hle f\u00fcr einen Vocal der UOAReihe eingestellt ist, so h\u00f6rt man deshalb einen schnell verklingenden Ton von bestimmter H\u00f6he.\nHierin liegt nun der Grund, dass wenn wir irgend einen Vocal sprechen oder singen, die Luft der Mundh\u00f6hle doch durch die nahe gelegenen Obert\u00f6ne in ausreichend starke Mitschwingungen versetzt wird, um den Vocal, namentlich im Anf\u00e4nge eines kr\u00e4ftigen Stimmeinsatzes, deutlich zu charakterisiren ; denn dann macht sich wenigstens auf kurze Zeit die Resonanz der Mundh\u00f6hle bemerklich. Ein kurzer Tonstoss von der charakteristischen H\u00f6he bestimmt den Vocal. Beim Ges\u00e4nge hingegen, wo so scharfe Stimmeins\u00e4tze seltener sind, leidet in Folge dessen auch die Deutlichkeit der Vocale, namentlich wenn sie in den h\u00f6heren Stimmlagen angegeben und in einer f\u00fcr sie ung\u00fcnstigen H\u00f6he einige Zeit ausgehalten werden sollen.\n2. Objective Methodens die Vocalkl\u00e4nge zu analysiren.\nA) Die K\u00f6nig\u2019sclien Flammenbilder.\nIm Jahre 1864 erfand R. K\u00f6nig1 die sogenannte manometrische Kapsel. Es ist dies ein kleiner, niedriger Hohleylinder, dessen eine Basis mit einer zarten Membran \u00fcberspannt ist, w\u00e4hrend in der Mitte der gegen\u00fcberliegenden festen Wand ein in eine kleine Spitze aus-laufendes, rechtwinklig gebogenes R\u00f6hrchen aufsitzt. In das K\u00e4stchen m\u00fcndet ausserdem eine zweite weitere R\u00f6hre, durch welche (Jas in den Hohlraum eintritt. Dasselbe entweicht durch die erst beschriebene R\u00f6hre und wird daselbst entz\u00fcndet. Die Membran begrenzt zu gleicher Zeit einen zweiten Hohlraum, der durch einen weiten Gummischlauch mit einem conisehen Ansatzst\u00fcck vereint ist. Singt oder spricht man daher in das conische Ansatzst\u00fcck, so wird die Membran als ungemein leichter, elastischer K\u00f6rper gezwungen, die den Klang zusammensetzenden Einzelersch\u00fctterungen mitzumachen und indem sie sich, je nach der Schnelligkeit und Intensit\u00e4t der Luft-\n1 R. K\u00f6nig, Ann. d. Physik CXXXXVI. S. 161. 1872.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186 Gr\u00fctzker, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nVerdichtung und Luftverd\u00fcnnung in den Kapselraum hineinbaucht und denselben verkleinert oder aus demselben heraus sich bewegt und ihn vergr\u00f6ssert, treibt sie das durch die Kapsel str\u00f6mende Glas mit verschieden grosser Geschwindigkeit aus und bewegt die Flamme in ann\u00e4hernd derselben Weise, wie sie selbst durch den entsprechenden Klang bewegt wird. Diese Erzitterungen der Flamme werden in einem ro-tirenden Spiegel aufgel\u00f6st und geben dann die bekannten zackigen Flammenbilder. Freilich zeigen dieselben nicht diejenige Formengleichheit, die man von vornherein erwarten sollte. Eine jede geringe Aende-rung inderVocalfarbe \u00e4ndert das Flammenbild oft in hohem Masse, und so wie ein und derselbe Vocal, von zwei Personen ausgesprochen, nicht gleich klingt, so sieht er auch nicht gleich aus. Im Allgemeinen\naber gilt das Gesetz, dass die dumpfen Vocale, 0 und U, die nicht so reich an Obert\u00f6nen sind, einfachere Bilder geben, als die helleren A, E und J. Nicht selten sieht man beim U eine Reihe ganz gleicher, scharf gezeichneter, tiefer Zacken, beim E und namentlich beim J hingegen sind die Spitzen der Zacken verwischt, weil die hohen Obert\u00f6ne sich in Folge der Tr\u00e4gheit der Membran oder der St\u00f6rungen durch das str\u00f6mende Gas nicht genau auf die Flammen \u00fcbertragen oder bei tieferer Stimmlage h\u00f6chstens als kleine gl\u00e4nzende P\u00fcnktchen zu sehen sind. Die Zacken selbst sind gew\u00f6hnlich flacher.\nObenstehende, der Arbeit von K\u00f6nig entnommene Bilder verdeutlichen das Gesagte. Die Vocale sind alle auf den Ton c' gesungen. (S. Fig. 62).","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Phonautograph. Hensen\u2019s Phonautograph.\n187\nB) Der Phonautograph von Scott und K\u00f6nig.1\nEin zweites Mittel, die Vocalkl\u00e4nge objectiv darzustellen, beruht auf der graphischen Methode. Man l\u00e4sst geradezu eine Membran ihre Schwingungen, die sie vollf\u00fchrt, wenn sie in dem oder jenem Vocale angesprochen wird, auf eine sich bewegende Fl\u00e4che aufschreiben. Dies geschieht vermittelst des Phonautographen. \u2014 Der Apparat, so wie er jetzt gebr\u00e4uchlich ist, stellt ein hohles Paraboloid von etwa 50 cm. L\u00e4nge dar, welches in der Gegend seines Brennpunktes abgestutzt und daselbst mit einer zarten Membran \u00fcberzogen ist. Die Membran, welche sich mehr oder weniger anspannen l\u00e4sst, tr\u00e4gt dort, wo sie die ausgiebigsten Bewegungen macht, einen kleinen Schreibstift (aus Aluminium oder eine starke Borste), der die Ersch\u00fctterungen der Membran auf einen rotirenden, berussten Cylinder aufzeichnet, der zugleich bei der Rotation f\u00f6rtschreitet.\nDer erste, welcher vermittelst dieses Apparates Untersuchungen \u00fcber die Klangbilder der Vocale anstellte, war meines Wissens Donders.2 Er\nfand, dass jeder Vocal, auf eine eine* charakteristische Curve3 giebt, die jedoch f\u00fcr das U, \u00dc und J nahezu einfach d. h. eine Sinus-curve ist, im ersten Fall, weil in dem U Klang in der That wenig Obert\u00f6ne enthalten sind, im zweiten Fall, weil sich die hohen Partialt\u00f6ne des J Klanges nicht gut auf die Membran \u00fcbertragen und durch die Bewegung und Reibung des Schreibstiftes vernichtet werden.\nDer Apparat ist nun in neuerer Zeit verbessert worden. Namentlich hat Hensen, dessen Liebensw\u00fcrdigkeit ich die nachfolgenden Curven danke, ihn in hohem Masse vervollkommnet. Den Apparat vonHENSEN zeigt nebenstehende, schematische Skizze (s. Fig. 63). An dem Balkenwerk AB, welches in den Lagern L und Ly so ruht, dass es auf eine ela-\nbestimmte H\u00f6he gesungen, eine und nur\no\nFig. 63 a.\nBr\nFig. 63. Hensbn\u2019s Phonautograph.\n1\tSiehe Pisco, Die neueren akustischen Instrumente. Wien 1868, woselbst auch die Geschichte des Apparates nachzusehen.\n2\tDonders, Ann. d. Physik CXXIH. S. 527. 1864.\n3\tIn welcher Weise man aus solch\u2019 einer Curve auf die Existenz von starken oder schwachen Obert\u00f6nen etc. Schl\u00fcsse machen kann, das siehe in der physiologischen Akustik.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nstische Feder gest\u00fctzt; eine horizontale Stellung einnimmt; ist befestigt 1) eine Stimmgabel St, deren eine Zinke mit einer schreibenden Spitze versehen ist; 2) die trommelfellartig gespannte Membran m mit dem Schalltrichter S, in den man hineinsingt oder spricht. Auf der Mitte der Membran ist der Schreibstift a befestigt; der einen zweiarmigen, um den Punkte sich drehenden Hebel vorstellt. Der Theil 2 des Apparates ist \u00fcbrigens so angebracht, dass er senkrecht zur Ebene des Papieres in dem Balken AB verschoben und ausserdem durch Drehung um die Axe x mehr oder weniger schief gestellt und mit Schrauben fixirt werden kann. Hierdurch ist man im Stande den Schreibstift a in verschiedenem Winkel gegen die Glasplatte g einzustellen, was f\u00fcr das Zeichnen der Cur-ven von Wichtigkeit. Auch gestattet die Einlenkung bei r eine Drehung des Schalltrichters um die Axe ro und die Schraubenvorrichtung beio eine Verschiebung desselben in der Richtung ro.\nDie Drehung des Schreibstiftes a geschieht so, dass die in dem Punkte p befind-liehe Axe in ihrer Sub-A A A A A A A /v= 256\t' Stanz torquirt werden\nV/ W- \\J \\J \\J \\J \\J\tj muss. Diese Axe pp\nzeigt die Fig. 63 a\nvw\\AvAAAAAAi\tin nat\u00fcrlicher Grosse,\nVIII. die Schrauben s und /\\/\\/\\/\\J\\/\\y\\y\\/\\y\\J\\/\\j c'= *256 J sr fixiren ihre Lage,\nFig. 64. Die Curvei\u00ef fou I. bis VIII. sind vermittelst des HENSEN\u2019schen die Torsion findet an Phonantograpben gewonnen.\tden d\u00fcnnsten Stellen\nnahe dem Schreibstift a statt). Hierdurch und durch ihre Form wird die Membran in hohem Masse in ihren Eigenschwingungen gehemmt (ged\u00e4mpft), sie giebt deshalb die Ersch\u00fctterungen der Luft auf das Genaueste wieder. Der Schreibstift a zeichnet mit minimaler Reibung dicht neben der Stimmgabel auf eine berusste Glasplatte g, die auf dem Brette Br befestigt ist","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Der Phonograph.\n189\nDieses selbst wird in einem passenden Ausschnitt auf der Unterlage U senkrecht zur Ebene des Papiers mit der Hand fortbewegfc.\nAuch Schneebeli1 hat seine oben (S. 183) erw\u00e4hnten Curven auf eine Glastafel gezeichnet, den Schreibstift aber gr\u00f6ssere Excursionen machen lassen, als dies Hensen gethan; denn die HENSEN\u2019schen Curven sind alle mikroskopisch und mit blossem Auge nicht zu entziffern, aber deshalb den urspr\u00fcnglichen Schwingungen der Luft um so \u00e4hnlicher. Die vorstehende Figur 64 zeigt einige Hensen\u2019scIic Vocalcurven, alle 28 mal vergrossert. Die absolute H\u00f6he, in welcher der Vocal gesungen wurde, ergiebt sich ohne Weiteres aus der darunter gezeichneten Stimmgabel-curve, die von der Stimmgabel d (256 Schwingungen) herr\u00fchrt.\nC) Der Phonograph von Edison.\nDer erfindungsreiche, geniale Amerikaner Thomas A. Edison hat k\u00fcrzlich die Aufgabe gel\u00f6st, die verschiedenen Kl\u00e4nge und Ger\u00e4usche nicht blos graphisch darzustellen und die f\u00fcr jeden Klang und jedes Ger\u00e4usch eigehth\u00fcmlichen Ersch\u00fctterungen einer Membran in eine festweiche Masse einzugraben, sondern die so erzeugten Vertiefungen wieder als Tonerreger f\u00fcr die Membran zu benutzen, \u00e4hnlich den Z\u00e4hnen eines Sa-vart\u2019schen Rades und auf diese Weise die Membran zu zwingen, dieselben Kl\u00e4nge und Ger\u00e4usche zu erzeugen, mit denen man sie angesprochen. Der Bau dieses einfachen und interessanten Apparates ist folgender : Eine Membran, die in ihrer Mitte einen kleinen Stift tr\u00e4gt oder vermittelst einer elastischen Unterlage auf einen, an einem Stahldraht befestigten Stift dr\u00fcckt, ist \u00fcber das eine Ende eines Hohlcylinders aufgespannt, in dessen anderes, sich conisch erweiterndes Ende hineineingesprochen oder gesungen wird. Dieses eylindrische Sprachrohr steht mit seiner Axe senkrecht auf der Oberfl\u00e4che eines horizontalen rotirenden Cylinders, an dessen Mantelfl\u00e4che es durch eine Schraubenvorrichtung mehr oder weniger heranbewegt, oder von der es \u00fcberhaupt ganz entfernt werden kann.\nDie Mantelfl\u00e4che des horizontalen Cylinders, welcher bei der Rotation zu gleicher Zeit horizontal fortschreitet, stellt ein Schraubengewinde dar, gleich demjenigen, welches in die Axe des Cylinders eingeschnitten ist. Wenn man nun den Cylinder mit m\u00e4ssig dickem Stanniol \u00fcberzieht und den Stift der Membran genau so einstellt, dass er \u00fcber einer Vertiefung des Schraubenganges zu stehen kommt (das Stanniol leise ber\u00fchrend), so macht der Stift nat\u00fcrlich, sobald man in das Schallrohr spricht und die Membran hierdurch in Erzitterungen versetzt, je nach der Art und St\u00e4rke des Stimmklanges verschieden gestaltete Vertiefungen in das hohl liegende Stanniol.\nF\u00fchrt man nun diese Abdr\u00fccke in derselben Reihenfolge, in welcher sie gemacht wurden und mit derselben Geschwindigkeit an dem Stift der Membran vorbei, so dass dieser wieder genau in die Vertiefungen versinkt, die er sich eben vorher gegraben, so wird auch die Membran in dieselben Schwingungen versetzt, in welche sie durch das gesprochene Wort versetzt wurde und sie spricht jetzt das nach, was man in den\n1 Schneebeli, Arch. d. sc. pliys. et nat. LXIII. p. 79. Gen\u00e8ve 1878.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nSchalltrichter hineingesprochen. Obwohl nat\u00fcrlich bei dem Einpressen des Stiftes in die weiche Zinnfolie eine nicht unbetr\u00e4chtliche Arbeit geleistet wird, und selbstverst\u00e4ndlich die reproducirte Sprache immer viel schw\u00e4cher sein muss als die urspr\u00fcngliche, so ist es geradezu wunderbar, mit welcher Genauigkeit die verschiedenen Stimmkl\u00e4nge von einem guten Apparate nachgebildet werden.\nEs liegt nun nahe, diejenigen Eindr\u00fccke genauer zu studiren, welche durch die Aussprache der verschiedenen Vocale in das Stanniol gemacht werden. Diese Aufgabe hat man in doppelter Weise gel\u00f6st. Einmal dadurch, dass man sich die Eindr\u00fccke en face mit dem Mikroskop betrachtete oder in vergr\u00f6ssertem Massstabe photographirte, ein Verfahren, welches aber, so viel ich davon gesehen, kein gutes Bild von den Schwingungen der Membran giebt, wenn es auch z. B. zeigt, dass bei dem J die Vertiefungen viel flacher sind, als bei dem 0 oder U etc.; das Profil jener in das Staniol gegrabenen Vertiefungen lehrte jedoch auf eine sinnreiche Methode k\u00fcrzlich Alfred M. Mayer1 kennen, indem er einen F\u00fchlhebel mit seinem k\u00fcrzeren Arm in die Vertiefungen sinken liess (so wie es der Stift der Membran bei der Reproduction der Laute thut), w\u00e4hrend der l\u00e4ngere Arm auf einer gleichm\u00e4ssig fortbewegten, berussten Glasplatte das vergr\u00f6sserte Profil der Vertiefungen aufzeichnete. Er fand hierbei, dass beispielsweise die Vocalcurve des \u00c4 (in dem Worte bat) ungemein viel Aehnlichkeit hat mit derjenigen, welche der K\u00f6NiG\u2019sche Spiegel zeigt, wenn man die Membran der manometrischen Kapsel aus derselben Entfernung anspricht, wie diejenige des Phonographen.\nD) Das Telephon.\nDas Telephon in der Form, wie es heut zu Tage einem Jeden bekannt ist, eine Erfindung des geistvollen Amerikaners Graham Bell, ist gleichfalls f\u00fcr die Theorie der Vocale von Interesse. Das Wesentliche des Telephons bildet eine Membran, aber eine Membran von Eisen, die, so wie die des Phonautographen oder Phonographen, durch die Luftersch\u00fctterungen, welche jedem Sprachlaute eigenth\u00fcmlich sind, in bestimmte Oscillationen versetzt wird.\nDiese Membran schwingt in unmittelbarer N\u00e4he eines weichen Eisenkernes, der mit einer Drahtspirale umgeben ist und auf einem mittelstarken Magneten aufsitzend, selbst ein Magnet wird. Die Enden der Drahtspirale f\u00fchren zu einem zweiten Apparat, der denselben Bau hat, wie der eben genannte.\nJe nachdem sich nun die d\u00fcnne Eisenplatte dem Magneten viel oder wenig, schnell oder langsam n\u00e4hert, erzeugt sie durch Aenderung seines Magnetismus Inductionsstr\u00f6me in der ihn umgebenden Drahtspirale, welche, durch die Drahtspirale des zweiten Apparates gehend, den Magneten des zweiten Telephons in ganz derselben Weise beeinflussen, wie der erste es wurde durch die schwingende Membran. Das Resultat f\u00fcr das zweite Telephon ist daher, dass auch seine Platte dieselben Schwingungen wie die Platte im ersten Telephon, wenn auch in geringeren Amplituden, ausf\u00fchrt. Die zweite Platte erzeugt demzufolge auch dieselben Kl\u00e4nge und\n1 M. Mayer, Nature XVII. p. 469. 18TS.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Das Telephon.\n191\nGer\u00e4usche und giebt in bedeutender Entfernung von dem Entstehungsorte der Kl\u00e4nge und Ger\u00e4usche diese selbst ziemlich deutlich wieder.\ndu Bois-Reymond1 war der Erste, welcher auf die Bedeutung des Telephons f\u00fcr die Theorie der Sprachkl\u00e4nge, insonderheit der Vocale, aufmerksam machte. Wie Helmholtz nachgewiesen und wie sich aus der unten mitzutheilenden Synthese der Vocale ergiebt, ist f\u00fcr die Klangfarbe nur bestimmend die Menge und relative St\u00e4rke der Partialt\u00f6ne, ihre Schwingungsphasen aber haben auf die Klangfarbe keinen Einfluss, du Bois-Reymond glaubte nun auf Grund der Theorie elektrischer Inductionen scliliessen zu d\u00fcrfen, dass bei der Wiedererzeugung des Klanges im zweiten Telephon nothwendigerweise eine Verschiebung der Phasen der einzelnen Partialt\u00f6ne eintreten m\u00fcsse. Da nun aber die Vocalkl\u00e4nge bestehen bleiben und im zweiten Telephon so geh\u00f6rt werden, wie sie in das erste hineingesprochen wurden, so ergebe sich auch hieraus die Richtigkeit des HELMHOLTz\u2019schen Satzes, dass die Phasenverschiebungen der einzelnen Partialt\u00f6ne den Gesammtklang nicht alteriren.\nHingegen wies nun Hermann2 experimentell nach, dass eine Phasenverschiebung bei der Induction schlechterdings nicht stattfinden kann; denn wenn man in ein Telephon zu gleicher Zeit hineinleitet 1) einen oscilliren-den Inductionsstrom (abcde s. Fig. 65), erzeugt durch eine magnetische Stimmgabel, welche vor einer Drahtspirale (A) schwingt,\n2) einen oscillirenden se-cund\u00e4ren Inductionsstrom fdc, durch den eben genannten prim\u00e4ren inducirt, so tritt je nach der Richtung des zweiten Stromes entweder eine Vernichtung des Stimmgabeltones oder Verst\u00e4rkung (nahezu Verdoppelung) desselben auf, verglichen mit der St\u00e4rke desjenigen Tones, den wir h\u00f6ren, wenn er entweder allein auf dem Wege abcde oder dcf geh\u00f6rt wird. Hieraus folgt unwiderleglich, dass bei der Induction keine Phasenverschiebung um 1 4 Periode, wie es von du Bois-Reymond angenommen wurde, stattfindet, sondern dass die Phasen der einzelnen Schwingungen genau zusammenfallen. Demnach findet, wenn die gleichen Schwingungszust\u00e4nde sich zeitlich decken, eine Verdoppelung oder im entgegengesetzten Falle nahezu ein Aufheben des Stimmgabeltones statt.\nK\u00fcrzlich haben denn auch F. H. Weber3 und Helmholtz4 auf theoretischem Wege durch Rechnung nachgewiesen, dass, wenn man nicht blos die Induction jedes Stromkreises auf den benachbarten, sondern auch die jedes Stromkreises auf sich selbst ber\u00fccksichtigt, man dann auch nicht zu der An-\n1\tdu Bois-Reymond, Arck. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. S. 573.\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVII. S. 319.\n3\tF. H. Weber. Vjschr. d. natur. Ges. in Z\u00fcrich 1878. S. 265.\n4\tHelmholtz, Monatsber. d. Berliner Acad. 11. Juli 1878.\nFig. 65. Der Hermann'scLo Telephonversueh (schematisch).","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Vocale.\nn\u00e4hme gelangt, dass bei der Induction eine Phasenverschiebung stattfinden m\u00fcsse, ausgenommen h\u00f6chstens tiefe T\u00f6ne, die auch in ihrer St\u00e4rke etwas benachteiligt werden. H\u00e4tte n\u00e4mlich dieses letztere stattgefunden, so w\u00e4re entweder die Theorie der elektromagnetischen Induction, auf Grund deren die elektromagnetische Kraft des Inductionsstromes dem Differentialquo-tienten der prim\u00e4ren Stromintensit\u00e4t proportional ist, oder die Helmholtz\u2019-sche Theorie, welche die Klangfarbe nur von der Menge und relativen St\u00e4rke der Partialt\u00f6ne, nicht von deren Phase abh\u00e4ngen l\u00e4sst, in grellen Widerspruch gerathen mit der Praxis am Telephon. Auf Grund der ersten Theorie h\u00e4tte zugleich mit der Phasenverschiebung, namentlich bei mehrfacher Induction, stattfinden m\u00fcssen eine bedeutende Verst\u00e4rkung der sp\u00e4teren Partialt\u00f6ne, also nach Helmholtz eine Aenderung des Vocalklan-ges, die aber in der That auch nach mehrfacher Induction, wie Hermann gezeigt, nicht zu constatiren war. Diese Widerspr\u00fcche l\u00f6sen sich nun durch die eben genannten Arbeiten auf. \u2014\nEs ist hier noch der Ort, eines interessanten Versuches zu gedenken, der wohl von einer grossen Anzahl von Physiologen gleichzeitig1 angestellt wurde, dessen elegante Form wir aber du Bois-Reymond'2 verdanken, der ihn auch zuerst ver\u00f6ffentlichte. Wenn man n\u00e4mlich die Dr\u00e4hte eines Telephons nicht mit denen eines anderen verbindet, sondern zwischen sie in passender Weise den Nervus ischiadicus eines Froschschenkels einschaltet , so zuckt dieser nur bei gewissen Vocalen, die man in das Telephon hineinspricht. Am besten reagirt er auf u, o und a, viel weniger auf e und, so gut wie gar nicht, auf i. Ruft man ihn daher an \u201ezucke\u201c, so zuckt er, \u201eliege still\u201c, so bleibt er ruhig.\nDie Erkl\u00e4rung dieses interessanten Versuches ist nach dem, was wir aus der Analyse der Vocalkl\u00e4nge vermittelst schwingender Membranen wissen, nicht schwer. Wie wir n\u00e4mlich bei den K\u00f6NiG\u2019schen Flammenbildern und dem Phonautographen oder Phonographen direct sehen konnten, schwingt die Membran in Folge des J Klanges nicht in so weiten Excursionen, wie in Folge des U Klanges. Demnach sind nat\u00fcrlich auch die einzelnen Inductionsstr\u00f6me bei dem J schw\u00e4cher als bei den anderen Vocalen.3\nY. Die Synthese der Yocale.\n1. Der Stimmgabelapparat von Helmholtz.\nDie k\u00fcnstliche Zusammensetzung der Vocalkl\u00e4nge aus einfachen T\u00f6nen, eine zweite Erfindung von Helmholtz, ist geeignet die schon\n1\tSiehe Goltz. Ein Vorlesungsversuch etc. im Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 189 und Hermann, Notiz \u00fcber das Telephon im Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 264.\n2\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Physiol, etc. 1877. S. 573.\n3\tDiese verschieden starke Ersch\u00fctterung schwingender Membranen, je nachdem sie in verschiedenen Vocalen angerufen werden, l\u00e4sst sich auch sehr leicht aus folgendem Versuche entnehmen. Wenn man auf einen kleinen runden Rahmen von Draht oder Holz eine Seifenblasenmembran spannt, so sieht man bei den verschiedenen Vocalen die Farben der Blase in gr\u00f6sserer oder geringerer Bewegung, ja nicht selten platzt sie, w\u00e4hrend in ihrer N\u00e4he ein U oder 0, aber niemals caeteris paribus, wenn ein J gerufen wird. Im Gegens\u00e4tze hierzu stehen bekanntlich die meisten \u201esensitiven Flammen\u201c, die viel besser auf hohe T\u00f6ne oder den Vocal J. als auf tiefere rea-giren und ihre Formen ver\u00e4ndern. S. J. Tyndall, Der Schall S. 286. Braunschw. 1869.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Die Synthese der Yocale. Der Stimmgabelapparat von Helmholtz. 193\nbei der Analyse der Vocale gefundenen Thatsachen von anderer Seite her zu best\u00e4tigen. Das Princip der Synthese des Voealklanges ist einfach, seine Ausf\u00fchrung schwierig. Es handelt sich darum, reine continuirliche T\u00f6ne zu erzeugen, deren Schwingungszahlen sich zu einander verhalten wie 1:2:3 u. s. w. und deren St\u00e4rke beliebig ge\u00e4ndert werden kann. Diese Aufgaben l\u00f6ste Helmholtz durch folgenden Apparat.\nEine Reihe Stimmgabeln, welche dem Tone B und seinen harmonischen Obert\u00f6nen (b, f, b', d\", f\", gis\", b\") entsprechen, wurden durch eine elektrische Unterbrechungsstimmgabel in regelm\u00e4ssige Schwingungen versetzt, so dass ihre durch Resonatoren h\u00f6rbar gemachten T\u00f6ne, einzeln oder gemeinschaftlich in beliebiger St\u00e4rke erzeugt und vereinigt werden konnten.\nFig. 66. Der Voealapparat yon Helmholtz (schematisch).\nDer Unterbrechungsapparat (s. Fig. 66) stellt dar eine grosse in horizontaler Lage befestigte Stimmgabel (b), deren eine Zinke, gew\u00f6hnlich die obere, die Unterbrechung eines elektrischen Stromes nach Art eines WAGNER\u2019schen Hammers besorgt. An der Spitze der Zinke ist ein rechtwinklig gebogener Platindraht befestigt, welcher in ein kleines Gef\u00e4ss\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194 Ge\u00fctznee, Physiologie der Stimme und Sprache. 6. Cap. Die Yocale.\neintaucht, das mit Quecksilber und Alkohol gef\u00fcllt ist. Der elektrische Strom geht nun von den Elementen um den hufeisenf\u00f6rmigen Elektromagneten f zwischen dessen Polen die magnetische Stimmgabel b steht, tritt in das Quecksilbern\u00e4pfchen ein, geht, wenn Contact stattfindet, durch die obere Zinke der Stimmgabel und deren Griff (g) nach allen \u00fcbrigen Elektromagneten, a{, a2 bis a\u00a7, zwischen deren Schenkeln die t\u00f6nenden Stimmgabeln (die man alle im Aufblick sieht) aufgestellt sind.\nDiese werden nun, weil ihre Schwingungen genau 2-, 3- oder nmal so schnell erfolgen, wie die der Unterbrechungsgabel, von ihren Elektromagneten in ausdauernde Oscillationen versetzt, indem sie selbst magnetisch, entweder beim jedesmaligen Auseinanderschwingen von den Polen des Elektromagnets momentan angezogen werden oder dieses erst bei ihrem zweiten, dritten Schw\u00fcnge u. s. w. geschieht. Vor ihnen befinden sich cylindrische, abgestimmte Resonatoren, welche den Stimmgabeln gen\u00e4hert oder von ihnen entfernt werden und deren den Gabeln zugewendete Oeffnungen durch eine Klappe ganz und gar geschlossen oder in verschiedenem Grade ge\u00f6ffnet werden k\u00f6nnen. Im ersten Falle h\u00f6rt man die Schwingungen der Gabel, auch wenn sie stark sind, gar nicht, weil sie sich nicht durch ihre feste Umgebung auf die Luft \u00fcbertragen k\u00f6nnen ; denn der Apparat ruht auf untergeschobenen Gummischl\u00e4uchen. Im zweiten Falle dagegen h\u00f6rt man den Ton der Stimmgabel mehr oder weniger stark je nach der Gr\u00f6sse der Oeffnung.\nVorstehende dem Werke von Helmholtz entnommene schematische Skizze erl\u00e4utert die Aufstellung des Apparates. Die Unterbrechung ist hier so -angeordnet, dass die Stimmgabel beim Auseinanderschwingen der Zinken den Kreis bei h, bei ihrer gegenseitigen Ann\u00e4herung bei i \u00f6ffnen. Von den Elementen e und e, geht zun\u00e4chst ein Leitungsdraht zu den verschiedenen Elektromagneten, der andere f\u00fchrt zum Unterbrechungsapparat, indem er sich in die Zweige kf und ki spaltet und den elektrischen Strom je nachdem ein Mal durch die obere, das andere Mal durch die untere Zinke der Gabel nach ihrem Griff (g) und den Elektromagneten a, bis as leitet. Zwischen g und i sind noch 2 Nebenschliessungen angebracht, die eine gc enth\u00e4lt bei c einen Condensator, dazu dienend, das Ger\u00e4usch des Funkens an der Unterbrechungsstelle abzuschw\u00e4chen, die zweite ist eine Nebenschliessung von betr\u00e4chtlichem Widerstand, aus hin- und hergef\u00fchrtem d\u00fcnnen Drahte dd bestehend. Sie hebt das Ger\u00e4usch des Funkens fast ganz auf, weil sie die kr\u00e4ftigen Extracurrenten, welche bei Oeffnung in Folge der vielen Elektromagnete unvermeidlich entstehen, in sich ableitet, und bei geschlossenem Strom in Folge ihres grossen Widerstandes (der viel gr\u00f6sser sein muss als alle Drahtleitungen der Elektromagnete zusammengenommen), den die Gabeln bewegenden elektrischen Strom kaum abschw\u00e4cht. Zwischen h und k fand Helmholtz. noch noting einen Seitenzweig, hlk, von m\u00e4ssigem Widerstand einzuschalten, um den Strom in den Elektromagneten so zu schw\u00e4chen, dass die Gabel b nicht zu heftige Schwingungen macht.\nWurde nun die Untersuchungsgabel in Bewegung gesetzt, so h\u00f6rte man, trotzdem alle Stimmgabeln schwangen, bei geschlossenen Resonatoren nur ein leises Summen, entfernte man aber die Klappen","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Die Synthese der Vocale. Der Stimmgabelapparat von Helmholtz. 195\nvon den Oeffnungen der Resonatoren, so kamen die entsprechenden T\u00f6ne kr\u00e4ftig zu Geh\u00f6r. Die Stimmgabel B allein gab ein dumpfes U, viel dumpfer, als es die Sprache hervorbringen kann; der Klang wurde dem U \u00e4hnlicher, wenn man den zweiten und dritten Partialton b und f schwach mitt\u00f6nen liess.\nEin sehr sch\u00f6nes 0 brachte Helmholtz hervor, indem er b' stark angab, daneben schw\u00e4cher b, f\" und d'\" und zugleich den Grundton B etwas d\u00e4mpfte. Verst\u00e4rkte er dann wieder den Grundton B und schw\u00e4chte die Obert\u00f6ne ab, so sprach der Apparat wieder deutlich U hinter dem O. A wurde erhalten, indem man die h\u00f6chsten Obert\u00f6ne vom 5. bis 8. m\u00f6glichst hervortreten liess und die unteren schw\u00e4chte. Die Vocale \u00c4, E, J und \u00d6, \u00dc gelangen schlecht, weil es vermittelst des geschilderten Apparates schwer, beziehungsweise unm\u00f6glich war, die in jenen Vocalen charakteristischen hohen Obert\u00f6ne ausreichend stark hervortreten zu lassen.\nWurde als der tiefste Ton aller Stimmgabeln nicht B, sondern b gew\u00e4hlt, so ergab dieses allein wiederum einen deutlichen U klang, ein 0 kam heraus, wenn neben l> der erste Oberton b' kr\u00e4ftig, f\" dagegen schwach angegeben wurde. Liess man dagegen b' und f\" m\u00e4ssig stark, dagegen b\" und d'\" kr\u00e4ftig t\u00f6nen, so erschien ein A; dieses ging in A \u00fcber, wenn man b' und f\" etwas verst\u00e4rkte, b\" dagegen d\u00e4mpfte, und d'\" und f\" m\u00f6glichst stark hervortreten liess. F\u00fcr E musste man die beiden tiefsten T\u00f6ne der Reihe b und b' m\u00e4ssig stark halten und die h\u00f6chsten f'\", as'\", b'\" m\u00f6glichst kr\u00e4ftig hervorheben.\nDie zweite wichtige Frage, welche Helmholtz vermittelst dieses Apparates beantwortete, und die sich weniger auf die Physiologie der Sprache als vielmehr auf diejenige des Geh\u00f6rorganes bezieht, betrifft die Abh\u00e4ngigkeit der Klangfarbe von den Phasen der einzelnen einfachen T\u00f6ne. Helmholtz zeigte, dass die Klangfarbe unabh\u00e4ngig ist von den Phasen; denn wenn man die Phasen einzelner Stimmgabeln ver\u00e4ndert, indem man entweder den Strom in umgekehrter Richtung durch den betreffenden Electromagnet schickt, oder die Resonatoren ein wenig verstimmt, so \u00e4ndert sich trotzdem die Vocalfarbe nicht. Auch zeigt ein ungemein einfaches Experiment, auf welches du Bois-Reymond aufmerksam machte, dass die Phasen f\u00fcr den Klang gleichg\u00fcltig seien. L\u00e4sst man n\u00e4mlich zwei Stimmgabeln zu gleicher Zeit ert\u00f6nen (indem man sie beispielsweise mit einem Bogen streicht), so bleibt der Klang, den sie beide gemeinschaftlich geben, derselbe, zu welcher Zeit man auch immer die eine hinter der anderen zum T\u00f6nen bringt. Da es nun so gut wie sicher ist, dass die Phasen in dem einen Falle nicht immer so sein werden, wie in dem anderen, so folgt auch hieraus die Richtigkeit des HELMHOLTz\u2019schen Gesetzes.\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\n2. Die Synthese der Vocalkl\u00e4nge durch die T\u00f6ne von Saiten.\nEin zweites, und zwar sehr einfaches Mittel, Vocale aus einzelnen T\u00f6nen zusammenzusetzen, gab ebenfalls Helmholtz an. Wenn man gegen eine Reihe von frei schwingenden Saiten verschiedener Tonh\u00f6he, z. B. in ein ge\u00f6ffnetes Clavier, dessen D\u00e4mpfer gehoben sind, deutlich und kr\u00e4ftig Vocalkl\u00e4nge singt oder spricht, so t\u00f6nt nach dem Aufh\u00f6ren der Stimme aus dem Clavier der betreffende Klang deutlich heraus1; denn die in demselben enthaltenen einfachen T\u00f6ne versetzen je nach ihrer St\u00e4rke und H\u00f6he die gleich gestimmten Saiten in entsprechende resonatorische Schwingungen und die Summe der so erzeugten T\u00f6ne giebt wiederum, unabh\u00e4ngig von der Phase, den Vocalklang zur\u00fcck.\nSIEBENTES CAPITEL.\nDie Consonanten.\nIhre Definition und Eintheilung.\nW\u00e4hrend es f\u00fcr die Bildung der Vocale charakteristisch war, dass das nirgends gesperrte oder zu hochgradig verengte Ansatzrohr als Resonanzraum wirkte und dadurch den Klang der Stimme oder das Ger\u00e4usch der Fl\u00fcsterstimme modificirte, so zeigt sich jetzt, dass zur Bildung der Consonanten erforderlich ist irgend eine Articulations-stelle, das heisst ein Ort im Ansatzrohr vom Kehlkopf einschliesslich j bis zu den Lippen, an welchem entweder eine Enge gebildet wird, die zu einem deutlich wahrnehmbaren, selbst\u00e4ndigen, vom Tone der Stimme unabh\u00e4ngigen Ger\u00e4usch Veranlassung giebt2, oder irgend wo im Ansatzrohr, wiederum unter Bildung charakteristischer Ge-r\u00e4usche, ein Verschluss hergestellt oder gel\u00f6st wird. Das Ansatzrohr wirkt jetzt Schall bildend, w\u00e4hrend es bei den Vocalen, die ja Kl\u00e4nge sind, nur Schall modifie!rend auftrat.\nWie es scheint, umfasst diese Definition nicht alle die Laute als Consonanten, die sprachlich als solche bezeichnet werden ; denn streng\n1\tDes Ansprechens oder Ansingens von Saiten bediente sich auch Donders, um die in irgend einem Klange vorhandenen starken \u00dcbert\u00f6ne leicht h\u00f6rbar zu machen (Donders, Over stem en spraak).\n2\tSiehe hier\u00fcber Br\u00fccke, Grundz\u00fcge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute. Wien 1876.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Definition und Eintheilung.\n197\ngenommen d\u00fcrfte man dann die Liqnidae M, X nicht zu den Consonanten rechnen. Bringen wir n\u00e4mlich M oder X eontinuirlich hervor, so ist von einem selbstst\u00e4ndigen, vom Tone der Stimme unabh\u00e4ngigen Ger\u00e4usche ebensowenig die Rede, wie wenn wir J oder U sagen. Alle diese Laute sind, soweit man \u00fcberhaupt von reinen Kl\u00e4ngen sprechen kann, reine Kl\u00e4nge. Die blosse Existenz eines Verschlusses oder einer Enge im Mundraume, wenn sie eben nicht zu auff\u00e4lligen Ger\u00e4uschen f\u00fchren, giebt aber auch bei gleichzeitig t\u00f6nender Stimme zur Bildung von Consonanten keine Veranlassung. Ein eontinuirlich ausgesprochenes M oder X ist eben kein Consonant, es ist ein Vocal, so gut wie ein J oder U.\nGenetisch wie akustisch muss man jene Laute dann zu den Voealen z\u00e4hlen; das Ansatzrohr wirkt nur Schall modificirend, nicht Schall bildend, und ob in dem einen Falle bei den Voealen (im gew\u00f6hnlichen Sinne des Wortes) die Mundh\u00f6hle mit oder ohne Xasenh\u00f6hle, bei diesen aber die Xasenh\u00f6hle mit oder ohne (geschlossene; Mundh\u00f6hle als Ansatzrohr auf-tritt, das kann man doch unm\u00f6glich als wesentliches Unterscheidungsmerkmal der beiden grossen Lautgruppen (Vocale und Consonanten i aufstellen.\nWarum aber fragt es sich, nennt Jedweder die Laute M oder X Consonanten ? Sehr' einfach desshalb, weil sie, um mich so auszudr\u00fceken, zu bescheiden sind, weil sie sich sehr leicht consonantisch gebrauchen lassen. An Intensit\u00e4t, wie zeitlicher Dauer ihres Klanges ordnen sie sich n\u00e4mlich leicht anderen Sonanten unter und nehmen ausserdem nicht selten noch consonantische Eigenschaften, gewisse charakteristische Ger\u00e4usche an. So gut wie wir aber das U oder J, wenn sie auch hin und wieder consonantisch gebraucht werden, nicht zu den Consonanten rechnen, sondern ein consonantisches J von einem vocalischen unterscheiden, so m\u00fcssen wir dies auch bei den Xasalen M und X thun.\nIndem man nun diese Gesichtspunkte ber\u00fccksichtigt, kann man die Consonanten eintheilen 1) in die Semivocales Liquidae), welche sowohl als Consonanten. wie Vocale gebraucht werden und in der (lauten) Sprache entweder reine Kl\u00e4nge (M, X, X (ng)) sind oder nicht (L und R); 2) in die Verschluss- oder Explosivlaute, welche entstehen, indem irgend wo im Ansatzrohr (die Stimmb\u00e4nder mit eingeschlossen).1 ein Verschluss gesprengt oder in bestimmter Weise hergestellt wird. Alle diese Laute sind von momentaner Dauer und treten nat\u00fcrlich nie vocalisch auf. Zudem sind sie durch ein die Verschluss-Bildung oder -Sprengung begleitendes Ger\u00e4usch eharakterisirt: 3) in die Reibungslaute. Sie werden gebildet, indem die Exspirationsluft durch eine oder mehrere Engen (die Stimrn-\n1 Dass man. wie vielfach die im Kehlkopfe erzeugten Verschluss und Reibungslaute. weh etwas weiter hinten erzeugt, aus dem Systeme der Consonanten ausschliesst. kommt mir beinahe so vor. wie das Benehmen eines Specialisten (Magenarztes), der jeden Kranken von sich abwiese, welcher etwa in der Speiser\u00f6hre einen Centimeter oberhalb der Cardia eine Erkrankung h\u00e4tte, die aber noch nicht den Magen ber\u00fchrt. Die Ursache, wesshalb sie in der Schriftsprache vielfach nicht bezeichnet werden, liegt nach P\u00fcrkixe\u2019s scharfsinnigem \u00fcrtheil in der Verstecktheit ihrer Bildung.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\nb\u00e4nder mit eingeschlossen) hindurchtritt und ein bestimmtes Ger\u00e4usch erzeugt, welches so lange dauert, als der Exspirationsluftstrom in der n\u00f6thigen Kraft entweicht. Dieses Ger\u00e4usch ist f\u00fcr sie charakteristisch.\n1. Die Liquidae.\nA) Die Nasale, die Resonanten Br\u00fccke\u2019s, M. N, N (ng).\n1) Die t\u00f6nenden.\nDiese Laute entstehen s\u00e4mmtlich dadurch, dass der Mundcanal irgendwo verschlossen ist und der t\u00f6nende Luftstrom bei offenem Gaumensegel durch die Nase entweicht. Hierbei wird die in der Nase eingeschlossene Luft in starke oder schwache Resonanz versetzt. Wenn man aber gew\u00f6hnlich annimmt, dass dieser letztere Umstand allen Nasalen ihren akustischen Charakter verleiht und sie demgem\u00e4ss mit dem gemeinschaftlichen Namen der Resonanten belegt, so thut man meiner Meinung nach nicht recht daran; denn es ist f\u00fcr die Bildung des M die Resonanz in der Nasenh\u00f6hle nicht wesentlich, was daraus am einfachsten hervorgeht, dass man auch bei geschlossenem Gaumensegel (wobei also die Resonanz der Nasenh\u00f6hle = 0 ist), ein M, ja auch ein N oder ihnen ganz \u00e4hnliche Laute hervorbringen kann.1 Man ist aber niemals im Stande bei geschlossenem Gaumensegel zu n\u00e4seln oder ein N (ng) zu bilden, weil hiezu die Resonanz in der Nasenh\u00f6hle unbedingt nothwendig ist.\nMan muss in dieser Beziehung meiner Meinung nach die drei Laute M, N, N auseinanderhalten. Bei der Bildung des M ist die Resonanz in der Nasenh\u00f6hle wegen des Tiefstandes des Kehlkopfes und der weiten Verbindung mit der grossen und weichwandigen Mund- und Rachenh\u00f6hle gleichg\u00fcltig und geringf\u00fcgig und hat auf den Klang dieses Lautes so gut wie gar keinen Einfluss. Von Bedeutung hingegen ist sie f\u00fcr den Klang des N, unentbehrlich dagegen und den Laut allein charakterisirend beim\nN (ng).\nBer\u00fccksichtigt man ferner wesentlich die consonantischen Eigenschaften dieser Laute und ihre Verwendung in der Sprache, so findet man vielfach die Meinung vertreten, dass sie als Verschlusslaute aufzufassen seien. Aber auch das ist nicht richtig. Es wird zwar Niemand bestreiten, dass zur Bildung eines M oder N ein Verschluss gel\u00f6st oder gebildet werden muss, aber nicht, dass diese L\u00f6sung des\n1 Czermak (Molescli. Unters. V. S. 1.1858) beschreibt die Sprache eines M\u00e4dchens, dessen Gaumensegel mit der hinteren Rachenwand fest verwachsen war, und giebt an, dass dieses M\u00e4dchen die Laute m und n, aber nicht das ng (z. B. in Klingel) oder nasalirte Vocale bilden konnte. Dasselbe beschrieb auch k\u00fcrzlich L\u00f6wenberg (siehe n\u00e4selnde Stimme).","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Die Nasale M, N, N. Das M.\n199\nVerschlusses stattfindet, sondern wie sie stattfindet, charakterisirt jene Laute.\nEs kann sich Jeder leicht davon \u00fcberzeugen, dass, wenn man, wie bei der Bildung der Verschlusslaute (sei das Gaumensegel offen 1 oder geschlossen), wirklich einen Verschluss im Mundcanale sprengt, man niemals ein M oder N, sondern stets ein B, beziehungsweise D h\u00f6rt. Damit ein M oder N erklinge, ist es durchaus nothwendig, dass die L\u00f6sung des Verschlusses activ durch Muskelth\u00e4tigkeit (durch Entfernung des Kiefers etc.), nicht passiv durch erh\u00f6hten Luftdruck erfolge.2 Auch jenes von Czermak beschriebene M\u00e4dchen, dessen Gaumenklappe mit der Rachenwand verwachsen war, unterschied das B deutlich vom M dadurch, dass es bei der Bildung des letzteren den \u201eVerschluss des Mundcanales m\u00f6glichst ger\u00e4uschlos bewerkstelligte oder l\u00f6ste \u201c, was f\u00fcr dasselbe nat\u00fcrlich, da die Luft nicht durch die Nase entweichen konnte und im Munde leicht eine zu hohe Spannung annahm, mit Schwierigkeiten verbunden war.\nBesteht andererseits eine dauernde Verbindung der Mund- und Nasenh\u00f6hle, so ist es, wie Br\u00fccke3 zuerst beobachtete, schwer, den gerade f\u00fcr die t\u00f6nenden Verschlusslaute (B, D, G) n\u00f6thigen Luftdruck zu erzeugen. Es wird aber gewissermassen spontan ein M oder N gebildet und nur bei der n\u00f6thigen Kraft der Exspirationsmuskeln auch ein P oder T erzeugt, die eine viel h\u00f6here Spannung der Luft in der Mundh\u00f6hle ben\u00f6thigen. Ist schliesslich die Kraft der Exspirationsmuskeln gering und sind auch die Lippen- und Wangenmuskeln, wie man dies bei der Bulb\u00e4rparalyse4 beobachten kann, keiner energischen Action mehr f\u00e4hig, so bereiten die Verschlusslaute P, T un\u00fcberwindliche Schwierigkeiten. Es klingen ihnen stets die betreffenden, leicht zu bildenden Nasale voraus, die man aber nicht mehr h\u00f6rt, sobald man jenen Kranken die Nase zuh\u00e4lt, hiermit den hinter dem Verschl\u00fcsse gelegenen Raum, der wegen des paretischen Gaumensegels nicht abgeschlossen werden kann, k\u00fcnstlich verschliesst und den Kranken in den Stand setzt, eine Sprengung des Verschlusses, nicht bloss eine L\u00f6sung desselben zu erm\u00f6glichen.\na. Das M.\nDie Lippen sind geschlossen, die Stimme t\u00f6nt, der Mund- und Nasenraum resoniren in oben geschilderter Weise. Dieses vocalische M, das Brummen bei geschlossenen Lippen, ist ein bestimmter voca-\n1\tHierbei hat man sich nat\u00fcrlich die Nase zuzuhalten.\n2\tDies beweist folgendes, sehr leicht anzustellende Experiment. Wenn man bei zugehaltener Nase ma und ba hintereinander spricht und w\u00e4hrend der Bildung des M und B den Druck der Luft in der Mundh\u00f6hle mit einem einfachen Wassermanometer misst, so wird man sich \u00fcberzeugen, dass die L\u00f6sung des Lippenverschlusses, wenn das B ert\u00f6nt, mit einer nicht unbetr\u00e4chtlichen Erh\u00f6hung des Luftdruckes, wenn dagegen das M geh\u00f6rt wird, mit einer geringf\u00fcgigen Erh\u00f6hung oder, was h\u00e4ufiger, namentlich wenn das M kurz ausgesprochen wird, mit einer m\u00e4ssigen Luft Verd\u00fcnnung Hand in Hand geht.\n3\tBr\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. (mathem.-naturw. Classe) XXVIII. S. 63. Wien 1858.\n4\tSiehe L. Lichtheim, Ueber apoplektiforme Bulb\u00e4rparalyse im Deutsch. Arch, f. klin. Med. XVIII.","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200 Gk\u00fctznek, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\nlischer Klang, dem U \u00e4hnlich, nur noch \u00e4rmer an Obert\u00f6nen, also ungemein dumpf. Dies r\u00fchrt her von der Gr\u00f6sse des Mundh\u00f6hlenraumes und seinen schlaffen Wandungen, welche die Obert\u00f6ne des Stimmklanges vernichten. Uebrigens kann man den Klang des M durch Verschieben der Lippen und Bewegung der Zunge ein wenig vocalisch ver\u00e4ndern. Er bleibt aber immer dumpf.1\nDas consonantische M t\u00f6nt nur eine ganz kurze Zeit, n\u00e4mlich diejenige, welche der Bildung des Lippenverschlusses vorausgeht oder folgt. Ausserdem wird es durch das bei der Verschlussbildung oder L\u00f6sung auftretende Ger\u00e4usch charakterisirt.\nEin ausserordentlich klares Bild von dem Ineinandergreifen der eben beschriebenen Th\u00e4tigkeiten giebt die graphische Darstellung dieses Lautes, wie sie Rosapelly2 im MAEEv\u2019schen Laboratorium auf folgende Weise gewann: An die Lippen wurde zun\u00e4chst ein passendes Charnier angelegt, dessen beide Schenkel sich schlossen und \u00d6ffneten, so wie die Lippen dieselben Bewegungen machten; ihre Bewegung comprimirte die Luft in einem MAEEv\u2019schen Tambour, von dem aus vermittelst Luft\u00fcbertragung in bekannter Weise der F\u00fchlhebel eines registrirenden Tambours in Bewegung gesetzt wurde. 2) Zeichnete er in \u00e4hnlicher Weise die Bewegung des Gaumensegels auf vermittels eines in die Nase geschobenen Schlauches, in dem sich die Luft verdichtete, sobald und so lange bei ge\u00f6ffneter Gaumenklappe der t\u00f6nende Luftstrom durch die Nase entwich. 3) Mar-kirte er die Stimme durch einen elektrischen Apparat, der auf den Kehlkopf gesetzt wurde, und der erzitterte, w\u00e4hrend die Stimme t\u00f6nte. Auf diese Weise erhielt er folgende Curven, wenn er die Worte appa, abba, amma sprach (siehe Fig. 67).\n/\n2\n3\nFig 67. Curve 1 zeigt den Druck in der Nase an, der = 0 ist hei p und h, dagegen kedeutend ist kei m: Curve 2 l\u00e4sst erkennen, in welchen Momenten die Stimme t\u00f6nt oder nickt, im ersten Falle sieht man die gezackte, im zweiten die horizontale, gerade Linie ; Curve 3 gieht die Bewegung der Lippen an.\nctppa\t(/-oi\termannt\n:\\amawVvVN/vuvvvy'V'ajvV'A\nb. Das N (alveolare).\nWenn man bei m\u00e4ssig ge\u00f6ffneten Lippen die Zunge ringsherum dicht oberhalb der Oberz\u00e4hne an den Alveolarfortsatz anlegt, so dass\n1\tDieses vocalische M wird allein f\u00fcr sich vielfach als Interjection benutzt und auch im Verein mit anderen Lauten angewendet (siehe folgende Seite).\n2\tTravaux du laboratoire de M. Marey II. p. 109. Paris 1876.","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Das N, K (ng der Deutschen),\n201\nnirgends durch den Mund Luft entweichen kann, und dann die Stimme t\u00f6nen l\u00e4sst, so h\u00f6rt man einen bestimmten vocalischen Klang, der mit N bezeichnet wird. Er ist nicht so dumpf, wie der Stimmklang bei geschlossenem Munde und besitzt h\u00f6here Obert\u00f6ne, da der Resonanzraum jetzt bedeutend verkleinert worden (auch steht der Kehlkopf etwas h\u00f6her als beim M) und mehr von starren W\u00e4nden umgeben ist als vorher.\nNichts destoweniger wird dieser NKlang, der sich \u00fcbrigens kaum ver\u00e4ndert, wenn man die Zunge an die Z\u00e4hne oder hinter den Alveolarfortsatz anlegt, und sich im Vergleich zum M durch st\u00e4rkere Resonanz der Nasenh\u00f6hlen auszeichnet, doch nicht selten mit dem M Klang in der Umgangssprache verwechselt. Spricht man beispielsweise die Worte haben, Raben etc., so \u00f6ffnet man, damit die zweite Silbe erklinge, die Lippen gew\u00f6hnlich nicht, man bildet also hinter dem B ein M und spricht streng genommen liabm, Rabm; aber das f\u00e4llt nicht auf, weil das vocalische M von dem vocalischen N wenig verschieden ist.\nF\u00fcr das consonantische N ist hingegen die Stelle, wo der Verschluss gebildet wird, von Wichtigkeit; Br\u00fccke unterscheidet hiernach neben dem gew\u00f6hnlichen N alveolare 1) noch ein N cerebrale oder cacuminale, bei dessen Bildung die Unterseite der Zunge nach vorn convex wird und die Zugenspitze sich an das Graumendach stemmt (das N cerebrale des Sanskrit), 2) ein N dorsale, bei dem der Zungenr\u00fccken mit einem etwas weiter nach vorn gelegenen Theil des Gaumens und 3) ein N dentale, bei dem nur die Z\u00e4hne und die Zunge den Verschluss bilden.\nc. Das N (ng der Deutschen).\nDas N wird gebildet, indem die Zunge mit ihrem R\u00fccken einen Verschluss entweder an den hinteren Partieen des harten oder an denjenigen des weichen Gaumens herstellt, w\u00e4hrend die Stimme ert\u00f6nt. Im ersten Falle h\u00f6ren wir das N in Ringe, Engel, im zweiten das in Rang, Trunk, oder, wenn auch gew\u00f6hnlich nur momentan, in den franz\u00f6sischen Worten encore, encre, w\u00e4hrend Worte wie dans, train, pons etc. nicht mit diesem N endigen, sondern nur mit dem nasalirten Vocal gebildet werden.\nDie Verwendung dieses N Lautes in der Sprache ist anders als die vom M oder N. Zun\u00e4chst tritt es vocalisch sehr selten auf, z. B. in dem Worte ein engen, welches man in der Umgangssprache etwa wie einen ausspricht, indem man f\u00fcr die letzte Sylbe gen das kurz vorher gesenkte Gaumensegel nicht erst hebt, wie zu ihrer Bildung noting w\u00e4re, sondern einfach die Stimme durch die Nase weiter t\u00f6nen l\u00e4sst.\nAls Consonant tritt es in unserer und in keiner anderen mir bekannten Sprache im Anf\u00e4nge eines Wortes vor einem Vocale auf, sondern h\u00e4ngt sich immer an die Vocale an und beeinflusst deren Klang in hohem","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\nMasse. Es macht sie n\u00e4mlich entweder in ihrer ganzen Dauer oder mindestens in der letzten Zeit ihres Erklingens zu Nasalen. Wie leicht verst\u00e4ndlich, unterscheidet es sich hierdurch auff\u00e4llig von dem M und N; denn sage ich z. B. o m e oder one, so wird im selben Moment, in welchem der Lippen- oder Zungenverschluss erfolgt, der Vocal abgeschnitten, mag dabei das Gaumensegel etwas schneller oder langsamer den Weg durch die Nase \u00f6ffnen. Bei N aber bildet das Gaumensegel allein den Verschluss; sage ich daher Onkel und setze ich auch wirklich das 0 ganz rein und nicht nasal ein, so muss sich noch, w\u00e4hrend das 0 t\u00f6nt, das Gaumensegel senken. Da dies stets eine gewisse Zeit dauert, auch wenn die Zunge sich dem Gaumen entgegen hebt, so wird w\u00e4hrend dieser Zeit das 0 nasalirt. Weil nun in unserer deutschen und auch in anderen bekannten Sprachen vor diesem N gew\u00f6hnlich kurze Vocale stehen, so sind sie fast die ganze Dauer ihres Bestehens nasalirt. Das kann man nicht blos h\u00f6ren, sondern direkt sehen. Man hat nur noting, sich in ein Nasenloch einen Gummischlauch einzuf\u00fchren, der in ein Uf\u00f6rmiges mit Wasser gef\u00fclltes Glasrohr endet. Spricht man alsdann bei geschlossenem anderen Nasenloch Ome, One, Onkel, so sieht man, dass das Wasser bei den beiden ersten Worten, w\u00e4hrend des 0 Lautes sich nicht r\u00fchrt, und beim Einsetzen des M oder N in die H\u00f6he schnellt, w\u00e4hrend im letzten Worte schon w\u00e4hrend des 0 Klanges das Wasser ansteigt.\n2) Die Nasale ohne Stimme.\nSo gut, wie man die Vocale, deren Wesen in der Resonanz des Mundraumes begr\u00fcndet ist, mit Fl\u00fcsterstimme, so gut sollte man auch die Resonanten mit Fl\u00fcsterstimme continuirlich erzeugen k\u00f6nnen. Das gelingt aber nur h\u00f6chst unvollkommen. Die Gestalt der vereinigten Mund-und Nasenh\u00f6hlen ist nicht derart beschaffen, dass sie durch die Fl\u00fcsterstimme oder durch den einfachen Exspirationsluftstrom angeblasen ihre charakteristischen T\u00f6ne h\u00f6ren Hessen. Die dann auftretenden Ger\u00e4usche sind, obwohl verschieden, doch schwer von einander zu unterscheiden ; man h\u00f6rt nur ein mehr oder weniger lautes \u201e Schnaufenu.\nConsonantisch aber sind die Resonanten mit Fl\u00fcsterstimme leicht zu bilden und unter sich, wie von anderen \u00e4hnlichen Lauten zu unterscheiden; denn Niemand wird die gefl\u00fcsterten Worte, marna, baba, nana, da da etc. mit einander verwechseln. Die L\u00f6sung oder Sprengung der verschiedenen Verschl\u00fcsse und die dadurch erzeugten Ger\u00e4usche charak-terisiren alsdann jene Laute so gut, wie in der lauten Sprache.\nB) Die L Laute.\nDieselben sind alle dadurch gekennzeichnet, dass der (gew\u00f6hnlich t\u00f6nende) Luftstrom durch zwei seitliche, symmetrisch zur Mittellinie gelegene Engen des Mundcanals nach aussen entweicht und dadurch ein bestimmtes Ger\u00e4usch, sowie durch die jeweilige Gestalt der Mundh\u00f6hle einen bestimmten vocalischen Klang annimmt. Damit ersteres entstehe, ist es nothwendig, dass die Engen von bestimmter Gestalt","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Die L Laute.\n203\nimd namentlich nicht zu gross seien, sonst bleibt nur das vocalische Element \u00fcbrig, wie man in der That alle Vocale deutlich aussprechen kann, wenn man die mittleren und vorderen Theile der Zunge an den harten Gaumen anlegt.1\n1) Die t\u00f6nenden L Laute. a. Das L der Deutschen (l alveolare).\nDasselbe wird gebildet, indem der Rand der Zunge dicht oberhalb der Vorder- und Backenz\u00e4hne sich an den Alveolarfortsatz des Oberkiefers anlegt, dabei aber zwei seitliche kleine L\u00fccken in der Gegend der ersten Backz\u00e4hne2 \u00fcbrig l\u00e4sst. Durch diese L\u00fccken entweicht der t\u00f6nende Luftstrom und geht zwischen der inneren Seite der Wangenschleimhaut und der \u00e4usseren der seitlichen Z\u00e4hne nach aussen. Das Gaumensegel ist geschlossen, die Lippen so weit ge\u00f6ffnet, dass man die Z\u00e4hne sieht. Verengert man die Mund\u00f6ffnung oder schiebt man die Lippen weiter vor, so \u00e4ndert sich die Klangfarbe des L sehr bedeutend und nimmt verschiedene vocalische F\u00e4rbung an. In unserer Sprache ist dasjenige L gebr\u00e4uchlich, welches etwa dem Vocal A am n\u00e4chsten steht, seltener auch das, welches \u2014 bei etwas nach vorn geschobenen Lippen \u2014 an das U erinnert.\nSehr viel weniger \u00e4ndert sich der akustische (vocalische) Charakter des L, wenn die vorderen Zungenpartieen sich entweder etwas mehr nach hinten und oben oder mehr nach vorn und unten, also mehr an die Z\u00e4hne oder selbst zwischen die Vorderz\u00e4hne legen. R\u00fcckt jedoch die Articu-lationsstelle etwa hinter die Mitte des harten Gaumens, so \u00e4ndert sich unweigerlich, sowohl der vocalische, wie consonantische Charakter des L; beide, sein Klang, wie sein charakteristisches Ger\u00e4usch werden tiefer. Letzteres tritt um so mehr zu Tage, je k\u00fcrzer, klang\u00e4rmer (consonanti-seher) das L gebildet wird.3\nEs unterscheidet hiernach Br\u00fccke ein L cerebrale, bei welchem die nach r\u00fcckw\u00e4rts gebogene Zungenspitze, also die untere Fl\u00e4che der Zunge, ein L dorsale, bei welchem der Zungenr\u00fccken an dem harten Gaumen und ein L dentale, bei dessen Bildung die Zunge zwischen den Z\u00e4hnen liegt. Nach demselben Autor ist das L cerebrale wahrscheinlich der Laut der Veden, den Bopp Ira nennt und der in norwegischen Worten z. B. olo vorkommt. Das L dentale wird von Leuten gebildet, die lispeln und das L dorsale ist in dem L mouill\u00e9 der Franzosen enthalten.\nUm \u00fcber die Articulationsstellen dieser und anderer Laute ins\n1\tSiehe Sievers, Grundz\u00fcge der Lautphysiologie S. 55.\n2\tDer Ort, wo diese L\u00fccken gebildet werden, h\u00e4ngt wesentlich davon ab, wie das Gebiss des Betreffenden beschaffen ist. Eine Zahnl\u00fccke verschiebt die Stelle regelm\u00e4ssig.\n3\tYocalisch, Sylben b\u00fcdend wenden wir in unserer Sprache bekanntlich das L in \"Worten wie Handel, Wandel etc. an, indem wir die mittlere Zunge hinter dem D nicht mehr vom Gaumen entfernen. Auch das slavische 1 wird vielfach vo-calisch gebraucht (Purkine).","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\nKlare zu kommen, habe ich eine Methode angegeben, die, wie ich glaube, durch ihre Einfachheit und Genauigkeit sich empfiehlt.1 Da man n\u00e4mlich bei Schleimh\u00e4uten unseres K\u00f6rpers, die einander hin und wieder ber\u00fchren, eine genaue Vorstellung, wo und wie die Ber\u00fchrung stattfindet, nicht hat, so habe ich, um die Articulationsstel-len genau zu erkennen und zu fixiren, mir die Zunge gef\u00e4rbt und dann nat\u00fcrlich diejenigen Stellen am Gaumen gef\u00e4rbt gefunden, an welche behufs Bildung irgend eines Lautes die Zunge angelegt wurde.\nIch verfahre dabei folgen-dermassen: Die trocken abgewischte Zunge bestreiche ich mir dick mit Carmin- oder chinesischer Tusche und ar-ticulire dann m\u00f6glichst deutlich und zwanglos die Laute. Hierauf wird der Mund ge\u00f6ffnet gehalten und bei passendem Licht mit einem grossen Kehlkopfspiegel, der schr\u00e4g oben nach dem Gaumen sieht und einem gew\u00f6hnlichen Toilettenspiegel betrachtet. Die Bilder, welche man zu Gesicht bekommt, sind oft \u00fcberraschend, bei verschiedenen Personen etwas wechselnd, bei ein und\nFig. 68. Die Articulation des L. Die rothen Stellen be- t\t-m t\ti\ti\nzeichnen die Gegenden, an welche sich die Zunge anlegt. demselben UlCilViaUlim aber\nfast constant.\nArticulirt man unter sothanen Umst\u00e4nden ein alveolares (gew\u00f6hnliches deutsches) L, so sieht man den Gaumen in der Weise gef\u00e4rbt, wie ihn die Figur 68 zeigt, vorausgesetzt, dass keine Zahnl\u00fccken vorhanden. Die Luft entweicht zu beiden Seiten in der Gegend der ersten Backz\u00e4hne, in nebenstehender Figur links mehr als rechts.\n1 An dieser Stelle muss ich jedoch erw\u00e4hnen, dass bereits vor mir, ohne dass ich davon etwas wusste, ein englischer Zahnarzt J. Oakley Coles (Transactions of the odontological society of Great Britain IY. New Series. London 1872) ein \u00e4hnliches Verfahren einschlug, um bei k\u00fcnstlichem Verschluss von Gaumenspalten durch Obturatoren zu sehen, welche Sprachlaute vorzugsweise des Obturators zu ihrer Bildung bed\u00fcrfen. Er bestrich sich das ganze Innere seines Mundes mit einer Mischung aus Mehl und Gummi arabicum und machte dann \u00e4hnliche Beobachtungen, wie ich oben mitgetheilt ; freilich kam er zu ganz anderen Resultaten als ich, auf deren Ursache ich nicht n\u00e4her eingehen kann. So liegt z. B. beim B nach ihm die Zunge fast am ganzen harten Gaumen, ausserdem ertheilt er dem X, Z etc. eigene Articulationsstellen etc.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Die tonlosen L Laute. Die R Laute.\n205\nb. Das tiefe l der Slaven, 1 der Polen.\nDieser Laut ist deshalb schwer zu definiren, weil er verschieden gebildet wird. Nach meinen Erfahrungen, die sich auf einige Russen und die uns benachbarten Polen beziehen, ist er \u00fcberhaupt den L Lauten gar nicht beizuz\u00e4hlen1, weil der Luftstrom nicht durch zwei symmetrische Engen im Munde entweicht. Was ihn aber sicher charakterisirt, ist sein tiefer Klang, der den vorgest\u00fclpten Lippen und dem verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig tiefen Stand des Kehlkopfes seine Entstehung verdankt. Die Zunge pflegt gew\u00f6hnlich gar nicht bis an den harten Gaumen herangehoben zu werden, sondern wird ihm mehr passiv als activ gen\u00e4hert. Das I ist also ein kurzer, dumpfer (Uartiger) Klang, dem durch die Stellung der Zunge und der Lippen ein an unser L einigermassen erinnerndes Ger\u00e4usch beigemischt wird.\n2) Die tonlosen L Laute.\nWenn man das Mundorgan so einstellt, wie ich es eben f\u00fcr die t\u00f6nenden L Laute beschrieben, aber dabei zu gleicher Zeit nicht die laute, sondern die Fl\u00fcsterstimme erklingen l\u00e4sst oder einfach die Luft durch die weit g\u00f6ffnete Stimmritze treibt, so entsteht eine doppelt so grosse Zahl tonloser Laute, wie vordem t\u00f6nender. Die ersteren wenden wir in der Fl\u00fcstersprache an, zuweilen auch in der lauten Sprache, wenn die betreffenden Laute in tonlosen Endsilben stehen 5 die letzteren kommen in unserer Sprache nur ausnahmsweise vor. So h\u00f6rt man nicht selten ein stimmloses und zwar h\u00e4ufig asymmetrisch d. h. nur durch einseitige Engenbildung erzeugtes L hinter den Verschlusslauten T und K, hinter denen die Fl\u00fcsterstimme ert\u00f6nen zu lassen Vielen unbequem ist, oder von Leuten, die in Folge einer \u00fcblen Angewohnheit den so entstandenen Zischlaut f\u00fcr andere, z. B. f\u00fcr das Sch verwenden.\nC) Die R- oder Zitterlaute.\n1) Die t\u00f6nenden.\nAlle R Laute haben das Gemeinschaftliche, dass ihr Klang, der durch verschiedene Gestaltung der Mundh\u00f6hle alle m\u00f6glichen voca-lischen F\u00e4rbungen annehmen kann, nicht ein continuirlicher, gleich-massiger, sondern ein an Intensit\u00e4t wechselnder, intermittirender ist. Immer findet sich im Ansatzrohr oder im Kehlkopf selbst ein leicht beweglicher K\u00f6rper, der durch den Luftstrom wie eine Zunge in Schwingungen versetzt wird und je nachdem er den Stimmton frei heraustreten l\u00e4sst oder abschneidet, jenen Lauten ihr eigenthitmliches, rollendes, schnarrendes Klanggepr\u00e4ge aufdr\u00fcckt.\nDiese periodischen Unterbrechungen sind verschieden, je nach\n1 Manche Polen bilden allerdings ihr 1 nach Art des cerebralen, wie ich es oben beschrieben; in der Umgangssprache habe ich es jedoch nie so geh\u00f6rt. Nach P\u00fcrkiAe (Kwartalnik naukowny m. p. 120. Krakow 1836) liegt die Articulations -stelle f\u00fcr das 1 noch weiter hinten.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\ndem Ort und den Organen, die in Schwingungen versetzt werden. Wir theilen die R Laute nach den Articulationsstellen daher natur-gem\u00e4ss folgendermassen ein.\na. Das Lippen-R.\nEs wird gebildet, indem man die Lippen nach vorw\u00e4rts bewegt, massig gegen einander presst und durch den Exspirationsstrom in Schwingungen versetzt. Diese Schwingungen erfolgen nach Donders 1 etwa 30 mal in der Secunde und geben zugleich, ohne dass die Stimme mitt\u00f6nt, einen brummenden Ton, der aber nicht durch diese prim\u00e4ren Erzitterungen erzeugt wird.\nDieses R, welches man nat\u00fcrlich mit oder ohne Stimme hervorbringen kann, wird in unserer Schriftsprache nicht bezeichnet. Man h\u00f6rt es jedoch mit Stimme als Interjection, um Abscheu oder Verachtung auszudr\u00fccken. Auch der, welcher unter heftiger K\u00e4lte leidet, oder der, welcher eine grosse Menge scharf schmeckenden Getr\u00e4nkes, z. B. Cognac, auf einmal hinunter geschluckt, bringt leicht diesen Laut hervor, w\u00e4hrend die meisten Kutscher, die den Pferden durch Brr Halt gebieten, ein B mit einem Zungen-R bilden.\nEs verdient noch erw\u00e4hnt zu werden, dass diesem Lippen-R, weil es mit einer Sprengung des Lippenthores beginnt, auch stets ein P oder B vorausgeht.\nb. Das Zungen-R, R alveolare.\nHier erzittert der vordere Theil der Zunge, der hierbei an den Alveolarfortsatz des Oberkiefers und an die Vorderz\u00e4hne anschl\u00e4gt, w\u00e4hrend ihre seitlichen R\u00e4nder sich luftdicht an die hinteren Backenz\u00e4hne anlegen und der Luft den Weg nur gestatten zwischen der Spitze der Zunge und dem Alveolarfortsatz.\nNach Beschreibungen Anderer schl\u00e4gt die Zunge etwas weiter hinten mehr an den harten Gaumen an, wieder nach Anderen (Hoff\u00f6ry2) bloss an das Zahnfleisch. Ohne diesen Angaben entgegenzutreten \u2014 denn es giebt da gewiss mannigfache individuelle Schwankungen \u2014, will ich nur bemerken, dass mein Gaumen, wenn ich ein deutliches, alveolares R spreche, sich unter Anwendung oben beschriebener Methoden so f\u00e4rbt, wie es Fig. 69 zeigt.3 Die Zungenspitze schl\u00e4gt an die Z\u00e4hne und den Processus alveolaris.\n1\tDonders (Over de tongwerktuigen van het stem en spraakorgaan) bestimmte die Schl\u00e4ge vermittelst der LissAJOUs\u2019schen Methode und des Phonautographen. Nach meinen Erfahrungen hat man nur n\u00f6thig, irgend einen Zitterlaut in ein co-nisches Gef\u00e4ss zu sprechen, welches mit einem MAREY\u2019schen Tambour nebst F\u00fchlhebel in Verbindung steht. Die Zahl der Schl\u00e4ge kann man ohne Weiteres sehen und aufzeichnen.\n2\tHofeory, Ztschr. f. vergl. Sprachforschung. N. F. III. 6. S. 525.\n3\tDiese, sowie die meisten Originalzeichnungen dieser Arbeit verdanke ich meinem Freunde und Collegen H. Strasser.","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Das Zungen-R.\n207\nDie Zahl der f\u00fcr das R n\u00f6thigen Zungenschl\u00e4ge und ihren zeitlichen Abstand von einander bestimmte Donders vermittelst des Phonautographen und erhielt etwa folgende charakteristische. Curve (s. Fig. 7 0).\nIn derselben bezeichnen die kleinen Wellen die Momente, in denen die Zunge am Gaumen anliegt, die Stimme also geschw\u00e4cht wird, die grossen, in denen sie frei nach aussen entweicht.1 Im Uebri-gen ist die Zahl der Zungenschl\u00e4ge verschieden, je nachdem das R zwischen 2 Yocalen, am Anf\u00e4nge oder am Ende eines Wortes vorkommt. Zwischen 2 Yocalen gen\u00fcgen 2\u2014\n3 Zungenschl\u00e4ge (eine Zahl, die bereits Kempelen angegeben), am Ende eines Wortes nicht selten ein einziger Zungenschlag, um es zu charak-terisiren, sowie andererseits, wenn es als Doppelconsonant (harren, Starrheit etc.) auftritt, mindestens 3 Schwingungen zu seiner Bildung noting1 sind. \u2014 Alle diese That-\nFig. 69. Der vordere rothe Saum ist die Articulationsstelle des R, die punktirto Linie die Gr\u00e4nze, bis zu welcher hei der Articulation des T sieh die Zunge anzulegen pflegt.\nFig. 70. I. Die Curve des deutlich articnlirten Zungen-R. ln den Momenten, in welchen die Zunge dem Gaumen anliegt, verschwindet die Stimme fast ganz. II. Die Curve des Z\u00e4pfchen-R. Die Intermissionen der Stimme sind nicht so bedeutend (nach Dokders). (Siehe folgende Seite.)\nSachen kann man auch vermittelst des oben beschriebenen einfachen Ma-REv\u2019schen Zeichenapparates feststellen.\nEigent\u00fcmlich und beachtenswert scheint mir hierbei noch die That-saelie, dass man das Zungen-R nicht aus dem Verschl\u00fcsse herauszubilden gezwungen ist, dass es daher auch nicht mit einem T oder D beginnt, wie das Lippen-R mit einem P oder B, und andererseits, dass, wenn man das R nur mit einem einzigen Zungenschlag bildet, es doch ein ganz anderer Laut ist, als wenn die Zunge an derselben Articulationsstelle liegt und sich mit st\u00e4rkerem Luftdrucke entfernt, wodurch ein T oder D erzeugt wird.\nI Auch im K\u00f6Ni\u00f6\u2019schen Spiegel, den man langsam zu drehen hat, ist die R-Curve sehr zierlich und charakteristisch.","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\nDie Schnelligkeit und Leichtigkeit, mit welcher im ersten Falle die Zunge den Alveolarfortsatz verl\u00e4sst, den sie eben nur ber\u00fchrt hat, und die Art und Weise, wie sie im zweiten davon abgedr\u00e4ngt wird, charakterisirt jene beiden Laute. Es ist diese Thatsache insofern nicht ohne Interesse, als sie zeigt, dass ein Laut durch den Ort seiner Bildung, die Articula-tionsstelle, allein lange nicht ausreichend gekennzeichnet ist, sondern dass vor allen Dingen auch die Art seiner Entstehung ber\u00fccksichtigt werden muss, wenn man von seinem Wesen eine richtige Vorstellung bekommen will. Dieses Eintheilungsprincip des innigen oder fl\u00fcchtigen Ber\u00fchrens der articulirenden Organe finden wir \u00fcbrigens schon bei den alten Indern1 ausgesprochen. (Siehe auch S. 198 und 199.)\nc. Das Z\u00e4pfchen- oder Gaumen-R, R uvulare.\ndu Bois-Reymond, der Vater2, hat die Bildung dieses R zum ersten Male richtig beschrieben. Es wird n\u00e4mlich erzeugt, indem die hinteren Partieen der Zunge sich heben und in ihrer Mitte eine kleine Rinne lassen. In diese Rinne legt sich das Z\u00e4pfchen und schwirrt, wie man deutlich sehen kann, auf und nieder, sobald der Laut erklingt. Bei vielen Leuten ger\u00e4th dabei das ganze Gaumensegel mit in Ersch\u00fctterung.\nBringt man dieses R mit t\u00f6nender Stimme hervor, so ist es das pro-ven\u00e7alische R und \u00fcberhaupt das franz\u00f6sische, welches zu Kempelen\u2019s Zeit vorzugsweise in Paris gesprochen wurde. Auch die Berliner halten dieses R f\u00fcr feiner, als das Zungen-R, und bedienen sich desselben sehr h\u00e4ufig. (Siehe seine Curve auf voriger Seite.)\nDas R uvulare wird nicht selten von einem Ger\u00e4usche begleitet, welches dem hinteren ch \u00e4hnlich ist. Ich war daher ganz erstaunt, vor l\u00e4ngerer Zeit von einem Franzosen zu h\u00f6ren, dass wir Deutschen ein und dasselbe Schriftzeichen f\u00fcr so viele Laute gebrauchen, z. B. das g f\u00fcr das r; denn die Deutschen sagen nicht guten Tag, sondern guten Tar. F\u00fcr ihn war also der cliLaut des Tag, der ja vielfach mit Erzitterungen des weichen Gaumens vergesellschaftet ist, identisch mit einem R.\nd. Das Kehlkopf R.\nR gutturale oder besser laryngale.3\n\u201eWenn man einen tiefen und immer tieferen Laut zu singen sucht und dabei verm\u00f6ge der wachsenden Abspannung seiner Stimmb\u00e4nder zuletzt die untere Grenze seines Stimmumfanges \u00fcberschreitet, so wird man bemerken, dass die Stimmb\u00e4nder nicht mehr in der gew\u00f6hnlichen Weise t\u00f6nen, sondern in einzelnen vernehmbaren St\u00f6ssen zittern und dadurch ein Ger\u00e4usch hervorbringen, welches, wenn man es mit der Vocalfolge oa, oa, oa verbindet, dem Quaken der Fr\u00f6sche\n1\tM. M\u00fcller, Rig Veda Pratisakhya p. XI.\n2\tSiehe Kalmus etc. S. 221.\n3\tSiehe Donders, Over de tong-werktuigen etc.","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Das Kehlkopf-R. Die Verschlusslaute.\t209\nnicht un\u00e4hnlich ist.\u201c So schildert Bk\u00fccke die Bildung dieses Kehlkopf-R.\nEs findet sich nach ihm in den nieders\u00e4chsischen W\u00f6rtern \u00f6rt (Art), w\u00fcrt (Wort), Diirt (Dorothea) und geht, wenn die Stimme etwas h\u00f6her gebracht wird, in einen knarrenden Laut, das Ain der Araber, \u00fcber. Derselbe Laut tritt auch als das soft-R der Engl\u00e4nder in den Worten bird, lord etc. auf und wird im Deutschen vielfach von Personen gebraucht, die affectiren oder ihrer Stimme durch Verh\u00e4rtung des Timbre eine gr\u00f6ssere Tragweite zu geben suchen (Br\u00fccke), auch von solchen, die einen dicken Hals haben (Donders) und mit sogenannter Gaumenstimme sprechen.\nUeber die Bildung des Kehlkopf-R herrschten verschiedene Ansichten; die laryngoskopische Beobachtung hat jedoch gelehrt1, dass es durch langsames Erzittern der mehr oder weniger gespannten Stimmb\u00e4nder entsteht. Dabei k\u00f6nnen dieselben zu gleicher Zeit in normaler Weise schwingen und an und f\u00fcr sich den gew\u00f6hnlichen Stimmton erzeugen, aber in gr\u00f6sseren Pausen immer einmal weiter auseinander schwingen und stark zusammenschlagen, wodurch der Stimme das discontinuirliche, knarrende Ger\u00e4usch ertheilt wird.2 (Siehe oben Diplophonie S. 131.)\n2) Die tonlosen Zitterlaute.\nAlle Zitterlaute sind mit Ausnahme des laryngalen R auch ohne Stimme zu bilden und werden in unserer Sprache vielfach in tonlosen Endsylben, namentlich nach Verschlusslauten, angewendet. Will man tonlose Zitterlaute mit einer gewissen Kraft erzeugen, so muss die Stimmritze weit ge\u00f6ffnet sein, die zur Fl\u00fcsterstimme verengte l\u00e4sst zu wenig Luft hindurch. Das R alveolare auf diese Weise erzeugt, gleicht nach Kempelen\u2019s treffender Schilderung dem Klappern eines Schmetterlings, das er mit den Fl\u00fcgeln macht, wenn man ihn zwischen den Fingern festh\u00e4lt.\nD) Die Verschlusslaute.\nWenn der frei entweichende t\u00f6nende oder nicht t\u00f6nende Exspirationsluftstrom dadurch abgeschnitten wird, dass sich irgendwo im Ansatzrohr von den Lippen bis zum Kehlkopf (diesen mit eingeschlossen) ein Verschluss bildet oder, was gew\u00f6hnlich, der schon gebildete Verschluss durch den exspiratorischen Luftstrom durchbrochen wird, so h\u00f6ren wir gewisse Ger\u00e4usche, die verschieden klingen 1) je nach dem Ort, an welchem der Verschluss gel\u00f6st, 2) je nach der St\u00e4rke, mit welcher die L\u00f6sung erfolgt, und 3) je nachdem die Stimme\n1\tBr\u00fccke, Grundz\u00fcge etc. S. 13.\n2\tEs ist mir gelungen, durch Anblasen einer membran\u00f6sen Zungenpfeife ein R zu erzeugen. Die von der Membran gezeichneten Curven gleichen vollst\u00e4ndig den DoNDERs\u2019schenund treten immer dann auf, wenn die Membran nicht freischwingt, der Schreibstift z. B. etwas zu fest anliegt u. s. w.\nHandbuch, der Physiologie. Bd. Ia.\n14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\ndas Ger\u00e4usch der Verschlusssprengung begleitet oder nicht. Je nachdem man das eine oder andere Moment in den Vordergrund gestellt, hat man diese Laute eingetheilt in 1) Labiales, Linguo-palatales, Gutturales, besser Laryngales1, 2) in Fortes und Lenes, 3) in Tenues (Mutae) und Mediae.\nAlle diese Laute fasst man auch unter dem gemeinschaftlichen Namen der Knalllaute (du Bois-Reymond) oder Explosivlaute zusammen und eha-rakterisirt damit meiner Meinung nach ihr Wesen sehr gut, da in der That fast alle Verschlusslaute nicht durch Bildung, sondern durch Sprengung bestehender Verschl\u00fcsse erzeugt werden. Sobald diese Laute als Anlaute auftreten, wie in den Sylben pa, ta, ka bezweifelt dies Niemand, aber auch wenn sie eine Sylbe oder ein Wort auslauten, also in Lautverbindungen wie a p, a k etc. Vorkommen, werden sie durch Sprengung der bestimmten Verschl\u00fcsse kenntlich gemacht, wie jeder leicht an sich selbst versuchen kann, wenn er diese Sylben deutlich auszusprechen sich bem\u00fcht. (Auch der oben beschriebene Versuch mit dem MAREY\u2019schen F\u00fchlhebel zeigt deutlich, dass diese Laute am Ende von Sylben durch Verschlusssprengung gebildet und da hierbei die Exspirationsluft, nachdem der Verschluss gel\u00f6st durch die massig weite Stimmritze entweicht, \u201easpirirt\u201c werden. Der Hebel schnellt nach den betreffenden Lauten immer noch einmal kr\u00e4ftig in die H\u00f6he, d. h. man spricht aph, akh.)\nDie Bildung des Verschlusses auf der anderen Seite erzeugt streng genommen jene Laute nicht; es erzeugt im g\u00fcnstigsten Falle ihnen \u00e4hnliche, die wir mit den Explosivlauten verwechseln, oder schneidet nur, wie in der gr\u00f6ssten Mehrzahl der F\u00e4lle, die Vocale in einer bestimmten Weise ab, so dass man, wie Sievers richtig hervorhebt, den Verschlusslaut, der darauf folgen w\u00fcrde, erschliesst, err\u00e4th, aber in Wirklichkeit nicht h\u00f6rt. Damit wir den charakteristischen Laut bei der Bildung des Verschlusses wahrnehmen, ist es n\u00f6thig, dass dieselbe mit einer gewissen Kraft vor sich geht und die dann abgeschlossene H\u00f6hle, in welcher sich die Luft unter erh\u00f6htem Drucke befinden muss, noch in resonatorische Schwingungen versetzen kann. Ist dies nicht der Fall, so erzeugt die einfache Verschlussbildung niemals ein h\u00f6rbares Ger\u00e4usch also auch keinen Laut. Man spreche ein langes A und schliesse den Mund, ohne die Lippen kraftvoll aneinander zu schlagen, und man spreche ein kurzes A und thue das Entgegengesetzte, um sich von der Richtigkeit des Gesagten zu \u00fcberzeugen. Im ersten Falle h\u00f6rt man ein einfaches A, im zweiten ein Ap.\n1) Die Lippenverschlusslaute, Labiales. a. Das P.\nDas P ist ein einfacher Laut, der wie alle Lippenlaute schon im kindlichen Alphabet vorkommt, und durch energische Sprengung (beziehungsweise Bildung) des Lippenverschlusses erzeugt wird, w\u00e4h-\n1 Siebe Donders, Over tong-werktuigen etc. und Michaelis, Zur Lehre von den Kl\u00e4ngen der Consonanten. Berlin 1839.","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Die Lippenverschlusslaute. Das P, B.\n211\nrend hierbei die Stimmritze1 ge\u00f6ffnet und das Gaumensegel selbstverst\u00e4ndlich fest geschlossen ist.\nDa der Laut nur eine momentane Dauer hat , so ereignet es sich leicht, dass, wenn auf ihn in der Sprache ein Vocal folgt; die Stimmritze einen Moment nach dem Sprengen des Verschlusses noch nicht zum T\u00f6nen verengt ist; sondern noch Luft durch die sich verengernde Stimmritze entweicht; sprachlich ausgedr\u00fcckt; dass wir hinter dem P oder vor dem betreffenden Vocal ein H h\u00f6ren. Das P ist aspirirt.\nEin Beweis; dass wir die Sprengung des Verschlusses bei offener Stimmritze vornehmen, liegt in folgendem einfachen Experiment. Man stecke sich ein d\u00fcnnes Glasr\u00f6hrchen zwischen die geschlossenen Lippen und spreche P. Noch bevor der Verschluss gesprengt wird, entweicht zischend die Luft. Nebenbei sei bemerkt, dass man auch vorher den Kehlkopf verschliessen (wobei keine Luft entweicht) und dann gleichzeitig beide Verschl\u00fcsse, den des Kehlkopfes und den der Lippen sprengen kann. Dann h\u00f6rt man keine Aspiration; der Laut ist knapper und unmittelbar nach ihm setzt der Vocal ein. So werden die anlautenden Verschlusslaute von den Polen, Ungarn etc. gesprochen, w\u00e4hrend wir sie fast regelm\u00e4ssig aspiriren, indem wir nicht Tal, kal etc., sondern Thal, khal etc. sagen.2\nb. Das B.\n(Bemerkungen \u00fcber Tenues und Mediae.)\nDem P steht gegen\u00fcber das B. F\u00fcr die Engl\u00e4nder3, Franzosen4 und uns Norddeutsche liegt der charakteristische Unterschied jener beiden Laute, die wir namentlich im Anlaut5 nie mit einander verwechseln, darin, dass bei dem B die Stimme t\u00f6nt, w\u00e4hrend sie beim P das nicht thut.\nDamit h\u00e4ngt Folgendes zusammen. Weil auch das B ein momentaner Laut ist, so geht ihm sehr h\u00e4ufig \u2014 wenn es als Anlaut auftritt \u2014 die Stimme schon voraus : da nun aber die Luft hierbei nirgends ent-\n1\tMan kann auch bei absolut geschlossener Stimmritze nur durch die Mus-culatur des Mundes und der Nachbarorgane eine Sprengung des Lippen- oder eines beliebigen Zungenverschlusses erm\u00f6glichen und so ebenfalls tonlose Explosivlaute erzeugen. Nach Sievers treten diese Laute auf im Armenischen in der Aussprache von Tiflis und im Georgischen. Ausserdem werden sie von den Leuten gebildet, deren Kehlkopf dauernd geschlossen ist, wie z. B. von jenem M\u00e4dchen, welches Czermak beschrieb (Molesch. Unters. V. S. 275), oder jenem Soldaten, dessen Sprache Bourgtjet geschildert (Arch. g\u00e9n. de m\u00e9d. 1856. p. 544 und Wiener med. Wochenschr. 1856. Nr. 23).\n2\tN\u00e4heres hier\u00fcber siehe in der Ztschr. f. vergl. Sprachforschung XXI. S. 30. Berlin 1873, in Kr\u00e4tjter\u2019s Aufsatz: Ueber die neuhochdeutschen Aspiraten und Tenues.\n3\tSiehe Wheatstone, The London and Westminster Review p. 37. Octbr. 1837.\n4\tTravaux du laboratoire du Marey 1876. p. 125 und diese Arbeit S. 200, die Curven von appa und abba.\n5\tIm Auslaut freilich nehmen auch wir es damit nicht sehr genau. Wir sprechen abmachen, Rad, Tag wie apmachen, Rat, Tak, w\u00e4hrend bekanntlich die Engl\u00e4nder die auslautenden Medien auch t\u00f6nend sprechen und genau von den entsprechenden Tenues unterscheiden.\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\nweichen kann, wird der \u00fcber dem Kehlkopfe befindliche Raum aufgebl\u00e4ht, man h\u00f6rt den sogenannten Pu\u00dfKiNE\u2019schen Bl\u00e4hlaut, der einem dumpfen M \u00e4hnlich klingt. So wenig aber die Aspiration f\u00fcr das P, so wenig ist dieser Bl\u00e4hlaut f\u00fcr das B charakteristisch. Kempelen glaubte dies zwar einige Zeit und die meisten Franzosen lassen dem B im Anlaute fast jedesmal ein kurzes, dumpfes M vorangehen, ja die Neugriechen bezeichnen sogar die Mediae in der That dadurch, dass sie vor den betreffenden Tenues die zugeh\u00f6rigen Resonanten setzen, so dass vt f\u00fcr d, /lin f\u00fcr b, yy. f\u00fcr g auftritt, wie aus folgenden Transscriptionen hervorgeht (/un\u00e2\u00c7aQi \u2014 basari (Markt), vrayyi = dengi (Waarenballen), FxXtifj. \u2014 Gleim.1 2 \u2014-Denn ihre Schriftzeichen \u00df, tf, y bedeuten bei ihnen bekanntlich keine Verschlusslaute mehr, sondern stehen f\u00fcr die entsprechenden t\u00f6nenden Dauerlaute (w, s, j).\nW\u00e4hrend andererseits das P leicht aspirirt wurde, so ist dies f\u00fcr das B, wenn es t\u00f6nend gebildet wird, schwierig und unnat\u00fcrlich; denn da schon w\u00e4hrend oder sogar vor der Verschlusssprengung die Stimme t\u00f6nt, so t\u00f6nt sie nat\u00fcrlich weiter, wenn auf das B ein Vocal folgt.\nSchliesslich ist f\u00fcr das B noch die St\u00e4rke der Lippenexplosion als charakteristisches Merkmal herbeigezogen worden. Und diese Thatsache hat eine gr\u00f6ssere Bedeutung, als selbst der Norddeutsche ihr beizumessen gewohnt ist. Da n\u00e4mlich das B bei zum Tonen verengter Stimmritze, also mit wenig Luftdruck gesprochen wird, so ist diese schwache Explosion, die man auch sehr gut aus den gelinde auf einander gepressten Lippen erschliessen oder direct aus dem geriugen Ansteigen der Wassers\u00e4ule eines in den Mund eingef\u00fchrten Manometers beobachten kann, als dem B eigenthtimlich betrachtet worden. Wenn man daher ohne jegliche Stimme (auch ohne Fl\u00fcsterstimme) einen festen Verschluss der Lippen l\u00f6st, so wird Jeder dieses Explosionsger\u00e4usch als P bezeichnen, w\u00e4hrend eine schwache Explosion eher einem B \u00e4hnlich ist.\nVon Interesse ist auch hierbei die Sprache derjenigen Leute, die in Folge eines dauernden Kehlkopfverschlusses ganz ohne Stimme sprechen. Czermak 2 giebt zwar an, dass sie die T\u00e9nues von den Medien nicht gut unterscheiden, andere3 indess behaupten, dass sie auch diese Laute deutlich unterscheidbar von einander hervorbringen k\u00f6nnen. Es liegt auf der Hand, dass wer dieses behauptet, nicht die begleitende Stimme, sondern lediglich die St\u00e4rke der Explosion als charakteristisches Merkmal jener Laute ansieht. Andererseits darf man aber nie vergessen, dass auch das kr\u00e4ftigste Lippenexplosionsger\u00e4usch mit Stimme erzeugt uns nie den Eindruck eines P, sondern stets den eines B macht.\nDasselbe, was von der Sprache ohne jegliche Stimme, gilt auch von der Sprache mit Fl\u00fcsterstimme. In ihr unterscheiden wir das B vom P nur durch die St\u00e4rke, mit welcher der Verschluss gesprengt wird. Zwar wird von denjenigen, welche die Medien t\u00f6nend sprechen, das B mit einem Bl\u00e4hger\u00e4usch und Fl\u00fcsterstimme erzeugt, was die Auscultation des\n1\tSiehe Rumpelt, Das System der Sprachlaute S. 17. Halle 1861.\n2\tCzermak, siehe vorige Seite.\n3\tJener Soldat unterschied nach Bourguet schwer B von P, dagegen deutlich D von T und G von K.","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Das B. Die Zungenverschlusslaute.\n213\nKehlkopfes 1 lehrt, was aber das Ohr ohne Hilfsmittel nicht wahrzunehmen vermag. Vielfach bestimmt uns nur die St\u00e4rke der Explosion den Laut als P oder B aufzufassen; und dies geschieht bekanntlich auch in der lauten Sprache in den meisten s\u00fcddeutschen Dialecten. Die Ansicht, dass in diesen die Medien zwar mit Stimme, aber mit Fl\u00fcsterstimme erzeugt w\u00fcrden, ist irrig. Die S\u00fcddeutschen sprechen daher keine \u201egefl\u00fcsterten Medien \u201c ; sondern wie sie Sievers mit Recht bezeichnet, \u201e tonlose Medien\u201c, sie unterscheiden jene Laute lediglich durch die St\u00e4rke, mit welcher sie den Verschluss sprengen. Freilich ist das ein schlechtes Charakteristicum, welches, wie Br\u00fccke treffend bemerkt, zu allerhand Verwechselungen und Wortwitzen Veranlassung giebt, die uns Norddeutschen geradezu unverst\u00e4ndlich sind.\nEs ist hier noch der Ort, auf eine Thatsache aufmerksam zu machen, die vielleicht geeignet ist, die Ansicht derjenigen zu unterst\u00fctzen, welche als oberstes Eintheilungsprincip der Verschlusslaute die St\u00e4rke der Explosion hinstellen. Ich habe n\u00e4mlich bemerkt, dass eine Reihe Taubstummer, auch wenn ihnen der Unterschied von B und P nach unseren Begriffen nicht richtig gelehrt wird, d. h. wenn ihnen nur begreiflich gemacht wird, sie sollen B mit schwacher, P mit starker Explosion hervorbringen, sie dennoch nach einigen Versuchen und Uebungen das B t\u00f6nend und das P tonlos hervorbringen. Ich weiss sehr wohl, dass das keineswegs die Regel ist, aber wenn man genau darauf achtet, so wird man es nicht so gar selten beobachten. Ich erkl\u00e4re mir diesen Umstand auf folgende Weise: Damit man eine schwache Explosion der Lippen hervorbringe, kann man sich folgender Mittel bedienen; entweder man verwendet von vornherein einen schwachen Exspirationsdruck, indem man die Exspirationsmuskeln in geringe Th\u00e4tigkeit setzt, oder man hemmt die St\u00e4rke des Luftdruckes, indem man der bewegten Luft ein Hinderniss in den Weg setzt durch Verengen der Stimmritze, oder schliesslich man thut beides zusammen. Es scheint nun Vielen leichter und nat\u00fcrlicher die Stimmritze zu verengen, als die Th\u00e4tigkeit ihrer Athmungsmuskeln zu reguliren, und bei diesen ereignet es sich auch leicht, dass sie die Stimmritze sogar bis zum T\u00f6nen verengen und dann t\u00f6nende Explosionslaute erzeugen. Hiernach w\u00fcrde das Auftreten der Stimme gewissermassen als eine Art Mitbewegung f\u00fcr eine intendirte schwache Sprengung eines Verschlusses aufzufassen sein.\n2) Die Zungenverschlusslaute, Linguo-palatales.\nSo wie die Lippen mit einander einen Verschluss bilden, der aber wegen ihrer anatomischen und physiologischen Beschaffenheit immer gleichartig ausf\u00e4llt und sich stets auf dieselben Stellen erstreckt, so kann andererseits die \u00e4usserst bewegliche und in ihrer Gestalt ver\u00e4nderliche Zunge mit den ihr gegen\u00fcberliegenden Theilen\n1 Um sie auszuf\u00fchren, setzt man auf den Hals in die Gegend des Kehlkopfes einen kleinen Trichter, an dessen spitzes Ende man einen Gummischlauch gesteckt hat, den man sich ins Ohr f\u00fchrt.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214 Gk\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\ndes Mundraumes von den Z\u00e4hnen ab bis hinten zum weichen Gaumen herunter eine streng genommen unendliche Anzahl von Verschl\u00fcssen bilden und zu einer ebenso grossen Menge von Verschlusslauten Veranlassung geben.\nPraktisch hat es sich nun herausgestellt, dass das Ohr alle diese Laute nicht zu unterscheiden vermag; aus der Menge der Articula-tionsstellen hat man daher zwei Regionen herausgegriffen, die zur Erzeugung von zwei f\u00fcr unser Ohr ganz verschiedenen Lautgruppen Veranlassung geben; die erste dieser Regionen reicht von den Z\u00e4hnen bis etwa hinter die Mitte des harten Gaumens, alle in ihr gebildeten Verschlusslaute haben f\u00fcr uns den akustischen Charakter des T; die zweite Region beginnt hinter der Mitte des harten Gaumens und erstreckt sich bis in den weichen Gaumen hinein, alle hier gebildeten Verschlusslaute haben f\u00fcr uns den Charakter des K.\na. Die vorderen Zungenverschlusslaute.\nDas T.\n\u00ab. Die orale Articulation.\n1)\tDas T dentale. Das am meisten nach vorn gelegene T wird gebildet, indem die Zunge sich an die Vorderz\u00e4hne und nur an diese sich anlehnt und mit ihnen den Verschluss bildet. Zu diesem Behuf schiebt sie sich entweder zwischen die Zahnreihen oder legt sich an den unteren Theil der Oberz\u00e4hne an. Dieses T wird in unserer Sprache nicht oder nur ausnahmsweise gebildet, und unterscheidet sich auch in seinen akustischen Eigenschaften so gut wie gar nicht von dem etwas weiter r\u00fcckw\u00e4rts gebildeten T, bei welchem der Verschluss an den Z\u00e4hnen und dem Alveolarfortsatz. stattfindet.\n2)\tDas T alveolare, das gew\u00f6hnliche T unserer deutschen Sprache. Nach meinen Erfahrungen ist es sehr selten rein alveolar, indem die Zunge nicht blos den Alveolarfortsatz, sondern auch die Oberz\u00e4hne ber\u00fchrt. F\u00fcr wen hier das Gef\u00fchl nicht ausreicht, der braucht sich nur die Zunge mit Carmin zu bestreichen und T zu artikuliren, die Vorderz\u00e4hne werden jedesmal gew\u00f6hnlich in ihrer oberen H\u00e4lfte roth gef\u00e4rbt sein. (S. Fig. 69, woselbst die vordere Grenze der T Articulation genau gezeichnet, die hintere durch die punktirte Linie angezeigt ist.)\n3)\tDas T cerebrale oder cacuminale entsteht, indem die nach r\u00fcckw\u00e4rts aufgebogene Zungenspitze das Gaumendach ber\u00fchrt. Dieses T ist das T cerebrale des Sanskrit; es kommt, so viel ich weiss, in unserer Sprache nicht vor.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Die Zungeny ers chlus slaute. Das T, D.\n215\n\u00df. Die dorsale Articulation.\nDie soeben beschriebenen T Laute hatten das Gemeinsame, dass bei ihnen als Verchluss bildend die Zungenspitze, also das \u201eorale\u201c Ende der Zunge, auftrat, w\u00e4hrend die jetzt zu erw\u00e4hnenden mit dem Zungenr\u00fccken (dorsal) articulirt werden. Man muss, wie dies Sievers thut, diesen durchgreifenden Unterschied gelten lassen, da die blosse Articulationsstelle f\u00fcr Kennzeichnung dieser Laute nicht mehr gen\u00fcgt. Ein dorsal articulirtes T klingt ganz anders als ein oral articulirtes, wenn auch die Articulationsstelle ganz dieselbe ist, wie man sich durch die Carminmethode \u00fcberzeugen kann. Alle dorsalen T Laute haben etwas, was uns an das K erinnert, obwohl sie doch auf der anderen Seite von einem reinen K Klang entfernt sind.\nDieser Umstand h\u00e4ngt, glaube ich, damit zusammen, dass das K nicht bloss weiter hinten articulirt, sondern dass die Art der Verschluss-Sprengung beim K eine andere ist als beim T. Die K Articulation ist eine breite ; die Zunge, welche sich ihrer ganzen Breite nach anlegt, wird in ihrer ganzen Breite gel\u00f6st. Die T Articulation ist (eben mit Ausnahme des dorsalen T) eine spitze, bei der nur die mittleren Theile der Zunge in viel geringerer Breite den Verschluss bilden, beziehungsweise bei seiner L\u00f6sung betheiligt sind. Demzufolge ist diese L\u00f6sung bei den ersten T-Lauten eine k\u00fcrzere, rapidere, als bei den zweiten, dorsalen T- oder den KLauten, und hierin beruht der wichtige, akustische Unterschied jener beidenLautgr up pen, den man auch dem Auge sichtbar machen kann. K\u00f6nig1 beschreibt die Flammenbilder der drei Laute P, T, K folgendermassen. Bei P erhebt sich die Flamme ganz pl\u00f6tzlich und steil bis zu einer bedeutenden Hohe \u00fcber die Abscisse, beim T ist die Erhebung weniger pl\u00f6tzlich und nicht so hoch, beim K aber ist sie noch viel geringf\u00fcgiger und stellt eine \u201efast gleichm\u00e4ssig auf- und absteigende Welle\u201c dar.2\n4) Das T dorsale. Die Zungenspitze ber\u00fchrt die Unterz\u00e4hne, der Zungenr\u00fccken bildet mit einer in der T Region gelegenen Stelle einen m\u00e4ssig breiten Verschluss. Der so gebildete Laut ist nach Br\u00fccke das t\u2019 der Czechen.\nDas D.\nL\u00e4sst man w\u00e4hrend des Verschlusses oder gew\u00f6hnlich schon einen Moment fr\u00fcher (Bl\u00e4hlaut) die Stimme t\u00f6nen, so gehen alle die eben beschriebenen T Laute in die entsprechenden D Laute \u00fcber, wir haben demnach ein D dentale, alveolare, cacuminale und dorsale.\n1\tK\u00f6nig, Ann. d. Physik CXLVI. S. 184. 1872.\n2\tLeider ist die objective Darstellung der Consonanten \u00fcberhaupt noch sehr unvollkommen, so dass ich auf die verschiedenen Bilder, welche sich im Phonautographen zeigen, hier nicht n\u00e4her eingehen kann, obwohl sie bei verbesserten (namentlich mit starken D\u00e4mpfungen versehenen) Apparaten noch viel Interessantes zu lehren versprechen.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\nb. Die hinteren Zungenverschlusslaute.\nDas K.\nZu den Zungenverschlusslauten geh\u00f6ren ferner die K Laute, die, wie schon erw\u00e4hnt, alle dorsal gebildet werden, indem ein Theil des Zungenr\u00fcckens mit den hinteren Partieen des harten Gaumens oder selbst mit dem weichen Gaumen den Verschluss herstellt.\nVon den auf diese Weise zu erzeugenden Lauten, deren Zahl nat\u00fcrlich je nach der Uebung der Zunge sehr gross ist, unterscheiden wir in unserer Sprache zwei, ein vorderes nur mit dem harten Gaumen gebildetes und ein hinteres, entweder blos mit dem weichen oder dem weichen und harten Gaumen zugleich gebildetes K.\nDas erstere findet sich naturgem\u00e4ss vor oder hinter denjenigen Vocalen, bei denen der mittlere Theil des Zungenr\u00fcckens schon dem harten Gaumen gen\u00e4hert ist, so dass nur eine geringf\u00fcgige Bewegung der Zunge den Verschluss herstellt oder l\u00f6st (wie in Kirche, Kegel, Picke, Ecke), das zweite in Verbindung mit denjenigen Vocalen, behufs deren Bildung der hintere Theil des Zungenr\u00fcckens dem Gaumen nahe ist, der vordere Theil der Zunge aber platt im Grunde der Mundh\u00f6hle liegt, wie in den Worten Hacke, Hucke, kahl, Kugel.\nIm Arabischen kommt 3) nach Br\u00fccke noch ein K vor, welches so weit wie m\u00f6glich an der hintersten Grenze des weichen Gaumens gebildet wird, das Kaf (O0-\nDas G.\nAus den K Lauten entstehen, wenn wir die Stimme t\u00f6nen lassen, die entsprechenden G Laute, deren es ebenfalls in unserer Sprache zwei giebt (gieb, geben; gab, Gold).\nIm Auslaut verliert das G seinen Charakter, es wird entweder ein K, wie in den W\u00f6rtern Tag, mag, Gang, Haltung, oder ein Reibungslaut, wie in arg, Balg, und wie ch gesprochen. Bekannt ist, dass es dialectisch auch im Anlaut als t\u00f6nender Reibungslaut gesprochen wird, wie in jejeben, je gangen.\n3) Der Verschlusslaut des Kehlkopfes, das Hamze.\nWenn man im Deutschen irgend einen anlautenden Vocal ausspricht, so geschieht das in der Weise, dass die verschlossene Stimmritze durch den Exspirationsstrom gesprengt wird. Diese Sprengung, auf welche unmittelbar die t\u00f6nende Stimme f\u00fcr den Vocal folgt, stellt jedoch einen Explosivlaut dar, so gut wie das K oder P und wird, wenn auch in unserer Sprache nicht als besonderer Laut geschrieben, doch von den Arabern als ein solcher angesehen und mit Hamze","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Das Hamze. Die Reibungslaute.\n217\nbezeichnet. Die alten Griechen setzten f\u00fcr diesen Laut bekanntlich den Spiritus lenis. (Siehe Anmerkung auf S. 197.)\nDas Sprengen des Stimmbandverschlusses, wie es beim Husten geschieht , ist ein verst\u00e4rktes Hamze. Hier zeigt sich auch eine gewisse Aehnlichkeit dieses Lautes mit dem K, dem es im Schalle einigermassen \u00e4hnelt. Das Meckern der Ziegen, welches weiter nichts ist, als eine Reihe schnell aufeinander folgender Stimmst\u00f6sse, die alle mit einer energischen Sprengung des Kehlkopfverschlusses einsetzen, hat wohl aus diesem Grunde auch als charakteristischen Consonant das K (Meckern, /Arjxaof.iai), ebenso die verschiedenen, das Husten charakterisirenden provinciellen Bezeichnungen (k\u00fclstern, k\u00e4kzen, kuzen etc.).\nW\u00e4hrend uns dieser Laut in unserer Sprache gel\u00e4ufig ist, sobald er vor einem Vocale gebildet wird, so fremdartig erscheint er uns, sobald er nach einem Vocale auftreten und diesen also durch Kehlkopfverschluss gewissermassen abschneiden soll. Nichtsdestoweniger geschieht dies nach Br\u00fccke, um das Hamze auch im Auslaute deutlich h\u00f6rbar zu machen, beim Koranlesen und der sorgf\u00e4ltigen Aussprache dadurch, dass die Exspirationsluft gegen Ende des Vocales st\u00e4rker gedr\u00e4ngt wird (was wir oben S. 210 als charakteristisch f\u00fcr jeden durch Bildung eines Verschlusses erzeugten Verschlusslautes hinstellten) und ihm dann der Ton durch die zuklappende Stimmritze pl\u00f6tzlich abgeschnitten wird. Dadurch erh\u00f6ht sich naturgem\u00e4ss der Stimmton ein wenig; solch\u2019 ein Hamze heisst desshalb ein Erh\u00f6hungs-Hamze.\nE) Die Reibungs- oder Zischlaute (Spiranten).\nDie Reibungslaute haben alle das Gemeinschaftliche, dass sie Ger\u00e4usche darstellen, welche entstehen, indem der Exspirationsluftstrom durch eine im Ansatzrohr oder im Kehlkopf selbst gebildete Enge tritt. Da man diese Enge willk\u00fcrlich lange bilden und auch die Ausathmung \u00fcber mehrere Secunden ausdehnen kann, so sind alle diese Laute im Gegensatz zu den vorigen nicht momentane, sondern Dauerlaute. Sie zerfallen je nach dem Ort, wo die Engen gebildet und die Reibungsger\u00e4usche erzeugt werden, naturgem\u00e4ss in Lippen-, Zungen- und Kehlkopfsreibungslaute.\n1) Die Lippenreibungslaute, Spirantes labiales.\nDas F.\n1)\tDas F bilabiale. Wenn man die Lippen einander n\u00e4hert und durch die gebildete kleine Oeffnung Luft treibt, so wie wenn man Staub wegblasen wollte, so h\u00f6rt man ein sanftes, zischendes Ger\u00e4usch, welches jedoch in unserer Sprache als Consonant nicht auftritt.\n2)\tDas F labiodentale. Wie der Name besagt, nehmen an seiner Bildung Theil die Lippen und die Z\u00e4hne, und zwar die Oberz\u00e4hne und die Unterlippe, nur ausnahmsweise die Unterz\u00e4hne und","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\ndie Oberlippe (Kempelen). Das so gebildete Ger\u00e4usch ist bei weitem sch\u00e4rfer, weil die Luft durch eine enge L\u00fccke hindurchgetrieben wird, deren einer Rand (die Z\u00e4hne) scharfkantig ist.\nDas W.\nDen beiden tonlosen F Lauten entsprechen zwei t\u00f6nende W Laute, ein W bilabiale, welches, so weit meine Erfahrungen reichen, von Deutschen nur ausnahmsweise gebildet wird, sich aber in der englischen Sprache (W, Wh)1 h\u00e4ufig findet, w\u00e4hrend das W labiodentale unser gew\u00f6hnliches W, das v der Franzosen und Engl\u00e4nder 2 darstellt. Uebrigens finden sich gerade bei diesem Laute mannigfache Abweichungen in der Bildung und seinem Gebrauch ; daher die verschiedenen Angaben der Autoren.\n2) Die Zungenreibungslaute, deren Engen gebildet werden von der Zunge einerseits und den Z\u00e4hnen oder dem Gaumen andererseits.\nDieselben sind, wie alle diejenigen Laute, bei deren Bildung die Zunge betheiligt ist, aus oben schon dargelegten Gr\u00fcnden \u00e4usserst mannigfaltig in der Art ihrer Entstehung und ihrem Schall. Nichtsdestoweniger zerfallen sie auf Grund ihres verschiedenen akustischen Charakters, sowie die entsprechenden Verschlusslaute in zwei gr\u00f6ssere Gruppen, die vorderen, die wir alle mit dem Namen der S Laute, und die hinteren, die wir mit dem der Ch Laute zusammenfassen k\u00f6nnen.\na. Die vorderen Reibungslaute, S Laute, a. Die stimmlosen.\naa. Das harte th der Engl\u00e4nder, & der Neugriechen.\nDieser Laut ist in unserer Sprache nicht gebr\u00e4uchlich3; man bildet ihn, indem man eine Enge herstellt zwischen den Schheidez\u00e4hnen und der Zunge, die sich entweder zwischen die Zahnreihen schiebt oder nur die unteren Partieen der Schneidez\u00e4hne, aber nicht den Gaumen ber\u00fchrt. Die Lippen m\u00fcssen m\u00e4ssig zur\u00fcckgezogen sein; schiebt man sie vor wie beim U, so verliert der Laut sein charakteristisches Ger\u00e4usch.\nSowohl in der Art seiner Bildung, wie auch in seinem akustischen\n1\tHenry Sweet, Handbook of phonetics p. 41. Oxford 1877 und Kingsley, Mechanism of Speech in The dental and oral science Magazine p. 40. New-York, Febr. 1878.\n2\tPronunciation for Singers by Alexander J. Ellis p. 64. London 1877. Eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Thatsachen, die ausf\u00fchrlich in dem gr\u00f6sseren Werke Early Pronuntiation niedergelegt sind.\n3\tNur Leute, von denen wir sagen, sie stossen mit der Zunge an, bilden diesen Laut statt des S.","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Die Zungenreibungslaute. Das S.\n219\nCharakter ist er am \u00e4hnlichsten dem f, mit dem es auch von Engl\u00e4ndern verwechselt wird, so dass Dickens nothing in dem Munde des gemeinen Mannes zu miffing, nuffin werden l\u00e4sst, und es in dieser Weise umschreibt. Es ist weiter bekannt, dass das griechische 9, welches nicht bloss von den Neugriechen, sondern h\u00f6chst wahrscheinlich auch von den Altgriechen als ein Zischlaut ausgesprochen wurde, vielfach mit dem cp oder f verwechselt wird oder in dasselbe \u00fcbergeht, z. B. 9tf\u00e7} \u00e4olisch pijQ, lat. fera, 9v\u00e7a, lat. fores, 9v/uo\u00e7, lat. fumus etc.\nIm Russischen tritt fast regelm\u00e4ssig statt des griechischen 9 ein f auf : Feodor (Theodor), Marfa (Martha), Afanasia (Athanasia).1\nbb. Das S.\nDer S Laut ist derjenige, dessen Ger\u00e4usch von allen Consonan-ten am weitesten und deutlichsten wahrgenommen und unterschieden werden kann; es ist der Zischlaut par excellence; deshalb tritt er auch allein- in unserer Sprache als Interjection auf und dient bekanntlich dazu, um Ruhe zu gebieten oder Missfallen auszudr\u00fccken (St, Zischen). Um diesen Laut zu bilden, m\u00fcssen wir eine Enge erzeugen zwischen der Zungenspitze, die sich in ihrer Mitte ein wenig aush\u00f6hlt, den Schneidez\u00e4hnen und dem Alveolarfortsatz (s. Fig. 71). Die -Sch\u00e4rfe wird ihm jedoch erst dadurch ertheilt, dass sich die Unterz\u00e4hne den Oberz\u00e4hnen bis auf eine \u00e4usserst geringe Entfernung n\u00e4hern.\nDie wesentlichen Eigenschaften des S Lautes, durch die er sich auch akustisch von dem vorigen unterscheidet, liegen darin, dass 1) die f\u00fcr das S gebildete Enge stets gr\u00f6sser ist, als die f\u00fcr das 9 notkwendige, und dass demgem\u00e4ss das S Ger\u00e4usch stets lauter ist als das ^Ger\u00e4usch, 2) dass als die obere Begr\u00e4n-zung dieser Enge nie auftreten d\u00fcrfen die Schneidefl\u00e4chen der Oberz\u00e4hne. Wird zwischen ihnen und der Zunge die Luft hindurch getrieben, so ert\u00f6nt immer ein 9, nie ein S. Man kann auf der anderen Seite aber auch ein ganz deutliches S bilden, wenn man die Enge nur herstellt zwischen der Zunge und den oberen Par-tieen der Schneidez\u00e4hne, so\nFig. 71. Die Articulation des S. Sehr h\u00e4ufig ist die Spalte an den Schneide z\u00e4hnen noch schm\u00e4ler.\n1 Rumpelt, Das nat\u00fcrliche System der Sprachlaute. Halle 1869.","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\ndass der Luftstrom an die unteren Abschnitte der Z\u00e4hne anprallt. Dieses S ist allerdings nicht ganz gleich dem S unserer Sprache, aber doch noch lange kein & oder Th.\nSehr zierlich sieht das Bild des S, d. h. die Figur, aus, welche von der mit Carmin gef\u00e4rbten Zunge an dem harten Gaumen gezeichnet wird. Dasselbe stellt bei mir dar einen etwa 5 \u2014 7 mm. breiten Streifen, der genau parallel dem oberen Rande der Z\u00e4hne sich auf dem Alveolarfortsatze und den oberen Theilen der Z\u00e4hne selbst nach hinten zieht und oberhalb des rechten, mittleren Schneidezahnes eine etwa 3\u20145 mm. grosse L\u00fccke zeigt. Das ist die Articulationsstelle, die Enge f\u00fcr das S.1 (Siehe Fig. 71.)\nInteressant ist der Wechsel, welchen der Laut erf\u00e4hrt, wenn man die leicht ausgeh\u00f6hlte Zungenspitze immer weiter nach hinten mit dem Gaumen in Ber\u00fchrung bringt, so dass die untere Fl\u00e4che der Zunge nach vorn gewendet bleibt. Je mehr sich diese Enge f\u00fcr das S, die also bei mir nicht ganz genau in der Mitte liegt, nach hinten bewegt und je l\u00e4nger mithin der Raum wird, welcher zwischen ihr und den Z\u00e4hnen liegt, um so tiefer wird das zischende Ger\u00e4usch es n\u00e4hert sich mehr und mehr dem folgenden Laut, dem Sch. Auf diesem Wege liegt, allerdings mit dorsaler Articulation ausgesprochen, das polnische s.\ncc. Das Sch.\nDas Sch, dem vorigen Laut ungemein nahe verwandt, tritt (bei mir) auf, sobald die Zunge sich mindestens 1 cm. hinter den vorderen Schneidez\u00e4hnen an den harten Gaumen anstemmt und daselbst die Enge bildet. Jeder wird ann\u00e4hernd dasselbe an sich beobachten k\u00f6nnen, wenn er entweder mit gef\u00e4rbter Zunge ein Sch spricht oder bei m\u00e4ssig ge\u00f6ffnetem Munde die in ihrer Mitte leicht ausgeh\u00f6hlte Zungenspitze (mit ihrer unteren Fl\u00e4che nach vorn gewendet) immer weiter nach hinten schiebt bis ein Sch erklingt und sich dabei im Spiegel beobachtet.\nObwohl man auf diese Weise ein reines Sch erh\u00e4lt, 'muss doch bemerkt werden, dass man es gew\u00f6hnlich nicht so bildet, weil das Emporheben der Zungenspitze nicht ganz bequem ist. Man articulirt vielmehr mit dem Zungenr\u00fccken und stellt mit diesem die Enge her; zu gleicher Zeit versch\u00e4rft man den Laut, indem man die Z\u00e4hne schliesst, und man entfernt ihn noch mehr vom S, das heisst man macht ihn tiefer, indem man die Lippen ein wenig vorschiebt. Dieses Yorschieben der Lippen vertieft auch den SLaut, f\u00fchrt ihn aber nicht ohne Weiteres, wie Einige glauben, in den Sch Laut \u00fcber.\n1 Die H\u00f6he der verschiedenen S Laute, sowie ihre sprachgeschichtliche Entwickelung findet man bei Michaelis, Ueber die Physiologie und Orthographie des S Lautes (Herrig\u2019s Archiv XXXII. 1863). Er unterscheidet eine grosse Menge von S, auf die einzugehen hier nicht der Ort ist. Die H\u00f6he des S Ger\u00e4usches wird selbstverst\u00e4ndlich verschieden angegeben. (Siehe Merkel, Laletik S. 140, Kr\u00e4uter, Ueber mundartliche Orthographie 1876, Wole, Sprache und Ohr S. 30 etc.)","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Die aus zwei Consonanten zusammengesetzten Laute.\n221\nDie Zweifler d\u00fcrfte am besten und schnellsten wieder meine Carmin-methode \u00fcberzeugen, und vor Allem dazu dienen, die irrige Ansicht zu widerlegen, dass in der Sch Articulation diejenige des S enthalten sei. Davon ist keine Rede. Das Bild des Sch ist vielmehr folgendes : In der Gegend des zweiten bis dritten Backzahnes (mitunter auch noch weiter nach hinten) sieht man jeder-seits zwei breite Vorspr\u00fcnge sich der Mitte n\u00e4hern. Hier lassen sie eine Enge von etwa 8 \u201410 mm., die bei mir wiederum (siehe Fig. 72) rechts gelegen ist. Die Vorspr\u00fcnge ziehen sich dann in Form breiter Streifen bis an die letzten Backz\u00e4hne. Die Ar-ticulationsstelle des Sch ist also viel breiter als diejenige des S, und viel weiter nach hinten gelegen (vgl. Fig. 71 und 72). Die Thatsache, dass der Sch Laut tiefer als der S-Laut ist, finde ich zuerst ber\u00fccksichtigt von Kempelen, des Weiteren dann ausgef\u00fchrt von Merkel, Wolf, Michaelis u. A. ; dennoch ist sie ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen ihm und dem S. Uebrigens geht auch aus der k\u00fcnstlichen Nachbildung des Lautes, wie wir sie dem Meister Kempelen verdanken, diese Thatsache hervor. Kempelen musste, um mit einer gew\u00f6hnlichen Kinderpfeife ein Sch zu erhalten, den Kern (K) (siehe Fig. 73) weiter herausziehen, so dass zwischen ihm und der Schneide (s) der Pfeife ein gr\u00f6sserer Raum blieb, als derjenige war, den er f\u00fcr die Herstellung des S an einem ganz \u00e4hnlichen Apparat f\u00fcr n\u00f6thig fand. Was bei der Pfeife die Enge zwischen Kern und Wand ist, das ist beim Munde die ausgeh\u00f6hlte Zunge und der Gaumen ; die Schneide der Pfeife entspricht der Schneide der Z\u00e4hne. Hier wie dort muss sich die Enge weiter von der scharfen Kante, sei es der Z\u00e4hne oder der Schneide entfernen, um das tiefe Ger\u00e4usch zu erzeugen.\nHiermit erledigt sich die eigenthiimliche Ansicht von Br\u00fccke (die\nFig. 72. Die Articulation des Sch.\n\n73. S die S Pfeife, Sch die Sch Pfeife von Kempelen. (Nat\u00fcrliche Gr\u00f6sse.)","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\n\u00fcbrigens von keinem der nachfolgenden Untersucher1 getheilt wird), dass das Sch ein zusammengesetzter Laut sei und zweier Articulationsstellen, das des S und des hinteren Ch zu seiner Bildung ben\u00f6thige. Dass erstelle nicht existirt, lehren die oben mitgetheilten Beobachtungen, dass letztere nur zu existiren scheint, weil eine in den Mund genommene Bleikugel bei nach hinten gebeugtem Kopfe w\u00e4hrend der Articulation des S, aber nicht w\u00e4hrend der des Sch in den Rachen f\u00e4llt \u2014 was leicht zu constatiren \u2014, r\u00fchrt daher, dass bei der Sch Bildung die Seiten der Zunge in gr\u00f6sserer Breite dem Gaumen anliegen. Zudem ist ihr R\u00fccken in gr\u00f6sserer Ausdehnung dem Gaumen gen\u00e4hert, als beim S und verl\u00e4uft ihm ein St\u00fcck ann\u00e4hernd parallel, w\u00e4hrend er beim S sich rasch von ihm entfernt (vgl. Fig. 71 und 7 2).\n\u00df. Die t\u00f6nenden, vorderen Reibungs- (S) Laute.\nDen beschriebenen tonlosen Zischlauten entsprechen folgende t\u00f6nende: 1) das weiche th der Engl\u00e4nder, oder \u00f6 der Neugriechen: 2) das weiche S, das S unserer Sprache, wie es im Anlaut (Sache, Salbe) auftritt, das z der Franzosen ; 3) das t\u00f6nende Sch, das J der Franzosen (in jour, jardin).\nW\u00e4hrend eigenth\u00fcmlicher Weise das anlautende S in der deutschen Sprache (sofern auf dasselbe ein Vocal folgt) immer t\u00f6nend gebildet wird, tritt der ihm verwandte Laut, das Sch, immer tonlos auf (Schaben, Sch\u00fcrze u. s. w.). Auch bei diesem Laut zeigt sich der Vortheil der t\u00f6nenden Aussprache behufs seiner deutlichen Charakterisirung. Indem die Norddeutschen das franz\u00f6sische j stets t\u00f6nend aussprechen (was viele S\u00fcddeutsche nicht thun), bleiben letztere den Franzosen entweder ganz unverst\u00e4ndlich oder erscheinen ihnen l\u00e4cherlich. (Siehe die verschiedenen Nummern des \u201eJournal am\u00fcsant\u201c nach dem Feldzuge 1870 bis 71.)\nIn der Fl\u00fcstersprache unterscheiden wir die weichen (sonst t\u00f6nenden) Zischlaute von den harten (sonst tonlosen) durch die St\u00e4rke, mit welcher wir die Luft durch die Enge treiben. Dabei kann gleichzeitig im ersten Falle die Stimmritze etwas verengt sein, ohne dass deshalb dem S Ger\u00e4usch sich das der Fl\u00fcsterstimme beizumischen braucht.\nb. Die hinteren Reibungslaute, die Ch Laute, a. Die stimmlosen.\nDas Ch.\nMan unterscheidet deren zwei, ein vorderes, wie es in Verbindung mit den Vocal en \u00e4, e, i (acht, Pech, Licht) und ein hinteres (wie in Wache, Woche, Wucht) entsprechend den gleichartigen Verschlusslauten gebildet wird.\nDer akustische Charakter aller dieser Laute beruht darauf, dass die durch die Enge getriebene Luft an dem Gaumen und nicht an\nl Merkel, Rumpelt, Sievers, Hofeory, Kingsley, Alexander W. Ellis u. A. in den betreffenden, \u00f6fters cifirten Werken.","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Das Ch. Der Reibungslaut des Kehlkopfes, das H.\n223\nden Z\u00e4hnen sich bricht; deshalb klingen sie stumpfer und haben lange nicht die Intensit\u00e4t wie ihre Vorg\u00e4nger, die durch Brandung des Luftstromes an der Sch\u00e4rfe der Z\u00e4hne entstanden (Br\u00fccke). Zudem sind ihre Ger\u00e4usche s\u00e4mmtlich, weil sie gr\u00f6sseren Resonanzr\u00e4umen ihre Entstehung verdanken, tief und um so tiefer, je weiter hinten die Enge liegt, je gr\u00f6sser also die R\u00e4ume werden.\nWarum wir bei den tiefen Vocalen das hintere und bei den spitzen das vordere Ch anwenden, liegt auf der Hand; es ist bequemer, dort die Enge zu bilden, wo Zunge und Gaumen schon gen\u00e4hert sind, das ist beim A, O, U bekanntlich in den hinteren Partieen, bei E, J in den vorderen. L\u00e4sst man daher einem J ein hinteres Ch folgen und unterdr\u00fcckt nicht sofort die Stimme von dem Augenblicke an, von welchem die Zunge den Verschluss zu bilden sich anschickt, so ert\u00f6nt zwischen dem J und dem hinteren Ch ein Zwischenlaut ein A furtivum (Purkine).1 Setzt man andererseits ein vorderes Ch hinter ein U, so schiebt sich naturgem\u00e4ss unter denselben Bedingungen wie oben hier ein J ein. \u2014 Soweit mir bekannt, bringen die Schweizer und die polnischen Juden vorzugsweise diese tiefen Ch hervor, auch in Verbindungen, in denen sie uns unnat\u00fcrlich erscheinen. Der Schweizer sagt ich (hinteres ch) mit dumpfem J, der polnische Jude iach mit spitzem J.\n\u00df. Die hinteren, t\u00f6nenden Reibungslaute\nsind 1) das J der Deutschen, welches dem vorderen Ch entspricht (im Worte ja, je u. s. w.), 2) ein hinteres t\u00f6nendes Ch, das in unserer norddeutschen Sprache geh\u00f6rt wird in den Worten Lage, Bogen.\n3) Der Reibungslaut des Kehlkopfes, das H.\nSind die Stimmb\u00e4nder nicht vollst\u00e4ndig geschlossen, sondern entweicht die Luft mit erheblicher Schnelligkeit durch die mehr oder weniger verengte Stimmritze, so erklingt ein Ger\u00e4usch, welches in unserer Sprache mit H bezeichnet wird, im Altgriechischen durch den Spiritus asper angezeigt wurde.\nDas H besitzt gewisse Eigenth\u00fcmlichkeiten, welche Kempelen in folgenden Worten vorz\u00fcglich schildert: \u201eDieser Buchstabe hat eine besondere Eigenschaft, die ihn von allen anderen unterscheidet. Sie besteht in dem, dass er keine eigene Lage hat, sondern immer desjenigen Selbstlauters seine annimmt, der ihm nachfolgt. Wenn n\u00e4mlich Gaumensegel, Zunge und Lippen sich in die Lage irgend eines Selbstlauters gerichtet, so l\u00e4sst sich die Stimme, die diesen Selbstlauter beleben soll, nicht sogleich h\u00f6ren, sondern die Lunge st\u00f6sst vorher in diese Lage einen Hauch, dann verengt sich erst die Stimmritze und f\u00e4ngt an zu t\u00f6nen. Sagt man z. B. Himmel, so liegen, ehe das II noch anf\u00e4ngt, schon Zunge und Lippe in der Lage des J, bei Huld in der Lage des U, bei Haus in der Lage\n1 Siehe Purkine in Kwartalnik naukowy II. p. 154. Krakow 1835.","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 7. Cap. Die Consonanten.\ndes A u. s. f. Um hiervon wieder einen Beweis zu haben, so richte man die Zunge und Lippen zu einem A, dann halte man die flache Hand vor den Mund in der Entfernung etwa eines Zolles und spreche langsam H, so wird man, so lange das H dauert, ein L\u00fcftchen auf der Hand versp\u00fcren, sobald aber der Selbstlauter A anf\u00e4ngt, so h\u00f6rt jenes auf. \u201c\nAuf Grund dieser von Kempelen beobachteten Thatsache, dass das H keine eigene Lage hat, sondern zu seiner Bildung die Articulations-organe immer die Lage des folgenden Vocals annehmen, schliesst Hoffory1, dass das H unserer Sprache den Vocalen zugerechnet werden muss. Denn erstens sei es klar, dass man nicht von einem H schlechtweg sprechen darf, sondern f\u00fcr jeden Vocal ein entsprechendes H aufstellen muss ha, ID, hu, h\u00b0 u. s. w., zweitens sei es ebenso klar, dass jeder dieser verschiedenen HLaute ganz dieselbe Mundstellung einnimmt, wie der cor-respondirende Vocal, und dass er sich von dem correspondirenden Vocal durch Nichts als durch das Fehlen des Stimmtones unterscheidet. Er verhalte sich mithin zum Vocal ganz wie ein tonloser Consonant oder Halb vocal zum t\u00f6nenden, mit einem Worte das H sei ein tonloser Vocal, ha ein tonloses A, das Id ein tonloses J u. s. w.\nGegen diese Auseinandersetzungen, die dem H eine ganz besondere Stellung unter den Lauten einr\u00e4umen, ist meiner Meinung nach Folgendes geltend zu machen.\nEinmal wird nicht blos das H durch benachbarte Vocale beeinflusst, so wie es Kempelen von ihm beschrieben, sondern fast alle Consonanten werden je nach ihrer Umgebung vocaliscli gef\u00e4rbt. (Man spreche, um sich hiervon zu \u00fcberzeugen li, la, lu, ri, ra, ru etc. und achte auf die Lippenstellungen). Wir bilden eben gleichzeitig den Vocal und den Consonanten; das 1 vor dem i ist ein D, das vor dem u ein l11 u. s. f.\nFerner ist das H nicht ganz gleich einem gefl\u00fcsterten Vocal, sondern stellt eben in Folge der verschiedenen Stellungen der Stimmb\u00e4nder ein anderes Ger\u00e4usch dar, als das der Fl\u00fcsterstimme ist und bedarf auch viel mehr Luft, als diese. Schliesslich kann man auch fl\u00fcsternd ha, hi, hu sprechen, was nach Hoffory nicht m\u00f6glich w\u00e4re.\nDas H ist eben weiter Nichts als der Reibungslaut des Kehlkopfes, so gut wie das F bilabiale derjenige der Lippen ist.\nDer t\u00f6nende Reibungslaut des Kehlkopfes\nist ebenfalls zu erzeugen. Er stellt eine matte, hauchende Stimme dar, die aber meines Wissens nicht als sprachliches Element auftritt. Um ihn zu bilden, muss man die Glottis intercartil. offen halten und die Stimmb\u00e4nder in Schwingungen versetzen.\nF) Die zusammengesetzten Laute.\n1) Die aus Vocalen und Consonanten zusammengesetzten Laute. (Die Mouillirung und Labialisirung der Consonanten.)\nF\u00fcr Br\u00fccke, der die Ansicht Chladni\u2019s theilt, sind die mouillirten Laute weiter Nichts, als zwei sich ber\u00fchrende Laute, \u00e4hnlich dem X oder\n1 Hoffory, Ztschr. f. vergl. Sprachforschung. N. F. III. 6. S. 525.","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Die zusammengesetzten Laute.\n225\nZ; das L mouill\u00e9 der Franzosen beispielsweise = einem L mit folgendem j, das N mouill\u00e9 der Italiener und Spanier (gn, n) ebenfalls \u2014 einem IST \u2014j\u2014 j. Br\u00fccke behauptet demnach mouillirte Laute nicht continuiren zu k\u00f6nnen, gerade so wenig wie man einen Diphthongen oder ein X con-tinuirlich auszusprechen verm\u00f6ge. Dieser Ansicht steht die anderer Forscher entgegen, von denen ich nenne Kudelka, Rumpelt, Hoffory, Sievers. Sie alle sind der Meinung die mouillirten Laute, zu denen Rumpelt zuerst die jerirten Laute der slavischen Sprachen rechnete (z. B. s, z, b, 1 im Polnischen) continuiren zu k\u00f6nnen. F\u00fcr sie handelt es sich also nicht um eine Folge von Lauten (nj, lj), sondern um eine wirkliche Verschmelzung, um eine Zusammensetzung zweier Laute \u201ees sei beispielsweise das n des Polen gewissermassen mit einem J getr\u00e4nkt, welches man unausgesetzt vernehmen k\u00f6nne \u201c (Rumpelt).\nNach Hoffory unterscheiden sich alle dentalen mouillirten Verschluss-, Reibe-, L und Nasallaute dadurch von den entsprechenden nicht mouillirten, dass bei ihrer Hervorbringung ein gr\u00f6sserer Theil der Zunge gegen den Gaumen gestemmt ist, als bei den nicht mouillirten. Durch diese Articulation werde die Durchdringung der betreffenden Consonanten mit einem j hervorgerufen.\nSievers endlich fasst die mouillirten Laute in dem Sinne als zusammengesetzt auf, dass sich zu ihrer Hervorbringung eine Vocal- und zwar die J-Articulation (d. i. Hebung der Vorderzunge und spaltf\u00f6rmige Erweiterung der Lippen) mit einer Consonantenarticulation vereinige; so geschehe es in den slavischen Sprachen (n, s der Polen, .Ji> (lj), H\u00ef> (nj), Cl (sj) der Russen), w\u00e4hrend die mouillirten Laute der Romanen in der That nur Lautverbindungen, wie es Br\u00fccke angegeben hat, darstellen, jedoch wie ich hinzuf\u00fcge mit Unterschied. Das N der Franzosen beispielsweise (wie in campagne) ist entschieden mouillirt, das heisst mit J durchtr\u00e4nkt, wie die geschilderten slavischen Laute; das L mouill\u00e9 nach der heutigen Aussprache bekanntlich \u00e4 einem einfachen j (fille = fije, Versailles =Versaje).\nWenn ich diese slavischen Laute (nach dem Urtheile von Slaven) richtig hervorbringe, so hebe ich dabei auch bedeutend den Kehlkopf, was meiner Meinung nach wesentlich zur Zuspitzung dieser Kl\u00e4nge (s. den Unterschied zwischen N und N S. 201) beitr\u00e4gt; dasselbe beschreibt auch Br\u00fccke von Piotrowski. \u2014\nSo wie man verschiedene consonantische Laute durch die geschilderten Mittel mit einem J durchtr\u00e4nken kann, so vermag man sie andererseits durch Vorst\u00fclpung und Rundung der Lippen und gew\u00f6hnlich gleichzeitige Senkung des Kehlkopfes mit einem U zu verschmelzen, sie zu \u201elabialisiren\u201c, wie das nach Sievers hin und wieder im D\u00e4nischen vorkommt (Kun, pund, tunge). (Siehe ausserdem S. 224 und 227.)\n2) Die aus zwei Consonanten zusammengesetzten Laute.\nWie begreiflich, kann man leicht die Zunge zu gleicher Zeit f\u00fcr zwei verschiedene Consonanten einstellen z. B. f\u00fcr ein L und W etc. ; diese Laute machen uns aber akustisch nicht den Eindruck von zusammengesetzten. Ein seiner Genese und seinem Ger\u00e4usche nach zusammen-\nHaadhuch der Physiologie. Bd. Ia.\t15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 8. Cap. I. Ber\u00fchrung der Laute.\ngesetzter Consonant eigener Art ist hingegen das rz der Polen, das f der Czechen. Es ist schwer \u00fcber seinen Mechanismus ins Klare zu kommen, weil er nicht durchweg gleich gebildet wird. So weit ich den Laut von den Polen aus der Umgangssprache kenne, muss ich sagen, dass ich in ihm selten ein R geh\u00f6rt habe, wie dies auch Purkine angiebt, sondern lediglich das bekannte polnische L Wenn indessen eine ge\u00fcbte polnische Zunge diese beiden Laute in W\u00f6rtern ausspricht, deren Sinn und Schreibweise dem deutschen H\u00f6rer fremd sein m\u00fcssen, so wird er bei einiger Aufmerksamkeit h\u00e4ufig das s von einem rz unterscheiden.\nWenn ich diesen Laut (rz) bilde, so bringe ich das Zittern im Kehlkopf vor (R laryngale) oder was vielleicht noch richtiger durch kraftlose Articulation des Sch; dann werden bei der n\u00f6thigen Hebung dem durch den Luftstrom erzeugten Sch Ger\u00e4usch R artige, wenn auch nur sehr geringf\u00fcgige Erzitterungen ertheilt.\nDas czechische r, \u00fcber das ich keine Erfahrungen besitze, stellt nach Br\u00fccke weiter Nichts dar, als ein kurzes auf zwei Vibrationen bestehendes R, welches dem Sch vorausgeht.\nACHTES CAPITEL.\nI. Pie Ber\u00fchrung der Laute in der Sprache.\nI. Ber\u00fchrung der Vocale und Halbvocale.\nWenn sich zwei Vocale ber\u00fchren, so entstehen entweder Diphthonge, indem man die Stimme wesentlich w\u00e4hrend des Ueberganges aus einer Stellung in die andere t\u00f6nen l\u00e4sst, oder die klang\u00e4rmeren Vocale (J, \u00dc, U) werden, falls sie vor klangreicheren stehen, noch mehr reducirt, sie werden den Consonanten fast gleichwertig; (s. S. 169). Will man zwei Vocale von einander als getrennt bezeichnen, sollen sie sich also in der Sprache nicht direkt ber\u00fchren, sei es dass sie in einem Worte hintereinander Vorkommen oder das Ende des einen und den Anfang eines anderen Wortes bilden, so setzen wir den zweiten mit dem Kehlkopfverschlusslaut, dem Harnze, ein; wir schliessen die Stimmritze und sprengen den Verschluss. Den auslautenden Vocal hingegen schneiden wir nicht mit dem Harnze ab, sondern lassen die Stimme schon vorher verklingen durch Abnahme des Exspirationsdruckes.\nWerden miteinander verbunden ein Klanglaut oder Halb vocal (L, M, N) und ein Vocal, so erscheint ersterer stets consonantiseh. Letzterer ist der Tr\u00e4ger des Sylbenaccents, auf ihm ruht der st\u00e4rkere Stimmton, vorausgesetzt nat\u00fcrlich, dass der Vocal \u00fcberhaupt gespro-","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Ber\u00fchrung der Yocale und Halbvocale. Ber\u00fchrung der Vocale mit Consonanten. 227\nchen und nicht wie ein stummes E (in Endungen em, en, el) verschluckt wird.\nW\u00e4hrend wir den Vocal regelm\u00e4ssig mit der Sprengung des Kehlkopfverschlusses einsetzen, thun wir dieses, sobald ein Halb vocal ein Wort beginnt, nicht. Wir bilden das anlautende L, M, R u. s. w. so, dass die zum T\u00f6nen verengte Stimmritze sofort tont, erst schwach, dann st\u00e4rker, aber nie so, dass sie mit einer gewissen Gewalt gesprengt wird. Ja man kann, wenn man diese Laute aus dem Kehlkopfverschluss heraus bildet, Leuten, die das Hamze nicht gut h\u00f6ren, es auf diese Weise leicht deutlich machen; denn die so gebildeten Laute klingen fremdartig.\nAbgesetzt aber werden alle Sonoren in unserer Sprache \u2014 mit nur geringer Ausnahme gewisser Interjectionen \u2014 durch Abnahme des Exspirationsdruckes; man l\u00e4sst sie verklingen und der Stimmton sinkt etwas herab. Anders dagegen im Orient; hier schneidet man die t\u00f6nenden Laute, die Vocale vielfach durch den Kehlkopfverschluss ab. Dies f\u00fchrt gerade zu dem entgegengesetzten Resultat, die Stimme hebt sich und wird lauter gegen das Ende der Worte oder Sylben. Am eigenth\u00fcmlichsten tritt uns diese fremdartige Aussprache entgegen im Koranlesen (Be\u00fccke) und in abgeschw\u00e4chter, ver\u00e4nderter Form in dem j\u00fcdischen Dialect, in dem sogenannten \u201eJ\u00fcdeln\u201c; denn auch hierbei wird oft der Stimmton bis ans Ende eines Vocals mehr und mehr gehoben und dann pl\u00f6tzlich abgeschnitten.\nII. Ber\u00fchrung der Vocale mit Consonanten im engeren Sinne.\nWenn sich Vocale mit Consonanten in einer Sylbe oder einem Wort vereinigen, so ist es erkl\u00e4rlich, dass der st\u00e4rkere und charakteristische Laut, der Vocal, eher den Consonanten als umgekehrt dieser den Vocal beeinflusst (s. S. 224).\nSchon an dieser Stelle stossen wir auf das wichtige Gesetz, dass, wo immer Laute (namentlich solche, bei denen complicate Muskelactionen n\u00f6thig sind) einander ber\u00fchren, wir dieselben vielfach so aussprechen, wie sie uns die geringste M\u00fche machen, ohne dass wir nat\u00fcrlich dabei das Klangbild jenes Wortes hochgradig ver\u00e4ndern d\u00fcrfen.\nEs war Kempelen, der meines Wissens zuerst und zu wiederholten Malen auf dieses wichtige Gesetz aufmerksam machte und es mit Beispielen belegte. Nach ihm ist es von einer grossen Reihe Sprachforschern und Sprachphysiologen des weiteren ausgef\u00fchrt worden. Dieses Trachten nach Arbeitsersparniss und schnellerem Fortschreiten im Redefluss ist es wohl auch wesentlich, welches, abgesehen von manchen anderen Ursachen, die Klangbilder der Worte \u00fcberhaupt ver\u00e4ndert, welches Dialecte schafft und jede lebende Sprache fortdauernd, wenn auch langsam umgestaltet.\n15*","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stinmie und Sprache. 8. Cap. I. Ber\u00fchrung der Laute.\nI. Von h\u00f6chstem Interesse sind nun die Ber\u00fchrungen der Verschlusslaute mit den Vocalen, namentlich weil sie zu den wunderlichsten Ansichten Veranlassung gegeben haben. Wir betrachten zun\u00e4chst den Fall, dass der nicht t\u00f6nende Verschlusslaut einem Vocal vorausgeht. Da kann sich nun Folgendes ereignen: 1) Der Verschluss l\u00f6st sich verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig langsam; w\u00e4hrend dieser Zeit entweicht die Luft durch die sich allm\u00e4hlich vergr\u00f6ssernde Enge, beispielsweise durch die Lippen, wenn dieselben nicht schnell auseinanderfliegen, sondern sich zu langsam von einander entfernen. Es erklingt also nach dem P ein unbestimmtes \u201eunentwickeltes\u201c (v. Raumer) bilabiales F, also das dem P entsprechende Reibungsger\u00e4usch, wir h\u00f6ren die Affricata1 zu F. 2) Der Verschluss wird rasch gel\u00f6st, es exist\u00e2t die f\u00fcr das Reibungsger\u00e4usch n\u00f6thige Enge nur einen Moment, die entsprechende Affricata kann nicht gebildet werden, sondern da hier wie im ersten Fall die Stimme immer noch nicht eingesetzt hat, entweicht die Luft zwischen den Stimmb\u00e4ndern, die behufs der Stimmbildung auf einander zufliegen. Wir h\u00f6ren also, da die Luft durch die verengte (besser die sich verengende) Stimmritze hindurchtreibt, ein H, der betreffende Verschlusslaut ist aspirirt. 3) Wie man sieht, muss Derjenige, welcher die Verschlusslaute aspirirt sprechen will, schon gewandtere und schnellere Muskelbewegungen ausf\u00fchren als der erste, bei dem sich der Verschluss langsam l\u00f6st und der es deshalb nur zu Affricaten bringt. Die gr\u00f6sste Schnelligkeit in der Articulation bekundet aber schliesslich der, dessen Stimme auch schon in dem Moment einsetzt, in welchem der Verschluss eben gesprengt ist, den betreffenden Verschlusslaut also nicht aspirirt ausspricht, wie dies die slavischen V\u00f6lker h\u00e4ufiger, wir seltener thun.2\nEin sehr anschauliches Bild von der Schnelligkeit, mit welcher behufs Bildung der geschilderten Laute, die Lippen sich auseirianderbewegen, giebt die graphische Methode. Man klemme sich ein kleines l\u00e4ngs gespaltenes Rohrst\u00fcck (spanisches Rohr), dessen eines Ende man passend zugespitzt und zurecht gebogen hat, an seine Unterlippe und spreche, w\u00e4hrend das H\u00f6lzchen die Bewegungen der Lippen auf einen berussten, sich drehenden Cylinder aufschreibt, die Silben pfa, plia, pa. Im ersten Falle sinkt die Curve ganz allm\u00e4hlich, in den beiden letzten dagegen j\u00e4h. \u2014\nDies sind, so weit ich sehe, die drei M\u00f6glichkeiten der Aussprache, welche bei einer anlautenden, von einem Vocal gefolgten Tenuis vorliegen, und die, wie ich sie hier entwickelt habe, nicht blos bei den einzelnen Individuen, sondern auch im Leben der Sprache vielfach in der\n1\tDer sehr passende Name Affricaten f\u00fcr derartige Laute wurde von Rumpelt eingef\u00fchrt.\n2\tSiehe Kr\u00e4uter, Ztschr. f. vergl. Sprachforschung XXI. S. 30. Berlin 1873 und diese Arbeit S. 211.","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Ber\u00fchrung der Yocale mit Consonanten.\n229\noder jener Richtung sich vollzogen haben und noch vollziehen. Indem dann das eine oder andere Element der Affricata in den Vordergrund tritt, entstehen entweder die reinen (resp. aspirirten) Verschlusslaute oder die entsprechenden Reibungslaute. So wird das Pferd der Schriftsprache in unserer Umgangssprache zum Ferd oder im plattdeutschen zum Pird, so wurde aus T ab ern um, Zabern und Savern etc. Und dieser Lautwandel1 vollzieht sich nat\u00fcrlich um so eher und leichter, je weniger die Unterdr\u00fcckung des einen oder anderen Elementes in der Affricata das Klangbild des gesammten Wortes sch\u00e4digt.\nIndem dann schliesslich noch die St\u00e4rke, mit welcher die Verschl\u00fcsse gesprengt werden, eine wechselnde ist und bald die Tenuis, bald die Media, sei sie t\u00f6nend oder nicht t\u00f6nend, eintritt, vollzieht sich, wie es scheint, in bestimmter Reihenfolge eine Aenderung der verschiedenen Laute, auf deren Gesetzlichkeit zuerst J. Grimm hingewiesen (das Gunofsche Gesetz). \u2014\nEs ist hier noch der Ort kurz derjenigen Laute zu gedenken, welche die Grammatiker vielfach als Aspiraten bezeichnet haben, n\u00e4mlich der griechischen Laute <p, /, &. Die Ursache, warum man jene Laute Aspiraten nennt, liegt darin, dass der von uns dargestellte Affricationsprocess vielfach als Aspiration bezeichnet wird, indem auf den Verschlusslaut der ihm entsprechende Hauchlaut folge; demnach betrachtete man das q, welches die Griechen sicher bilabial bildeten, als den zum n geh\u00f6rigen Hauch, das x als den zu x, das & als den zu t; und in diesem Sinne nannte man qn, yvJ & Aspiraten. Ausserdem sind sie mit dem Hauchlaut katexochen, dem H, insofern verwandt, als sie wie dieses dadurch entstehen, dass die aus der Luftr\u00f6hre str\u00f6mende Luft bestimmte Engen pas-sirt und hierdurch alle jene Laute (H,.Ch, S, F) erzeugt,\nAnders gestalten sich die Verh\u00e4ltnisse, wenn die t\u00f6nenden Verschlusslaute (B, D, G) sich mit Vocalen verbinden. Die einfachste und bei uns durchweg eingef\u00fchrte Aussprache besteht darin, dass eben einfach die Stimme weiter t\u00f6nt, so wie sie schon kurze Zeit vor der Sprengung des Verschlusses (Bl\u00e4hlaut) und w\u00e4hrend desselben t\u00f6nte. Von Aspiration ist also hier keine Rede; sie w\u00e4re auch im h\u00f6chsten Masse unnat\u00fcrlich und st\u00f6rend f\u00fcr den Fluss der Rede. Nichtsdestoweniger kommen sogenannte Medialaspiraten im Sanskrit vor, \u00fcber deren Aussprache die Gelehrten uneinig sind.2\nII. Wenn den Vocalen der Verschlusslaut nicht vorausgeht, sondern folgt, so liegen die Verh\u00e4ltnisse einfacher. Indem wir den Verschluss bilden und dadurch den Vocal abschneiden, wird der\n1\tSiehe das classische Werk von Max M\u00fcller, Vorlesungen \u00fcber die Wissenschaft der Sprache S. 152. Leipzig 1866, sowie A. Schleicher, Die deutsche Sprache S. 97. Stuttgart 1879 und W. Scherer, Zur Geschichte der deutschen Sprache S. 96. Berlin 1878. A. Schleicher, Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar 1863.\n2\tSiehe Br\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad,, phil.-hist. Cl. XXI. S. 219, Sie-vers, Grundz\u00fcge S. 93 und Rumpelt, System etc. S. 138.","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230 Gk\u00fctzneb, Physiologie der Stimme und Sprache. 8. Cap. I. Ber\u00fchrung der Laute.\nVerschlusslaut gew\u00f6hnlich ausreichend charakterisirt und das um so mehr, je energischer der Verschluss gebildet oder gar, wie in der Mehrzahl der F\u00e4lle, sofort wieder durchbrochen wird (siehe S. 210).\nIII. Ber\u00fchrung der Ger\u00e4uschlaute unter sich.\nAuch bei ihnen'findet das Gesetz von der geringsten Arbeit seine Anwendung, falls diese verringerte Arbeit nicht zu ganz fremdartigen Klangbildern f\u00fchrt.\nAm leichtesten sind daher die Ger\u00e4uschlaute zu verbinden, die an denselben oder nahe gelegenen Stellen des Mundraumes gebildet werden, z. B. mp, mf, st, nd, nk u. s. w. oder \u00fcberhaupt solche, deren Ueberf\u00fchrung in einander mit keinen bedeutenden M\u00fchen verbunden ist. Dergleichen Doppelconsonanten erhalten dann wohl auch nur ein Schriftzeichen (z = ts, x = ks, q = kw, ip = ps u. s. w.).\nSollen Consonanten mit einander vereinigt werden, deren Arti-culationsstellen weit von einander entfernt liegen oder die sich sonst schwer vereinigen lassen, so ereignet es sich nicht selten, dass um der leichteren Articulation willen selbst das Klangbild geopfert und der Laut, wenn auch nur wenig f\u00fcr unser Ohr ver\u00e4ndert wird.\nSoll beispielsweise ein K mit einem N verbunden werden (wie in Knabe, Knochen), so legen Viele die Zunge vorn an den Gaumen an, wie dies zur Bildung des N erforderlich, und bilden kein normales K, sondern einen ihm sehr \u00e4hnlichen Laut, indem sie mit Kraft den Gaumensegelverschluss sprengen : Beides Actionen, die dem folgenden N zugute kommen.\nHierher geh\u00f6rt ferner die Beeinflussung eines Consonanten, der am Ende einer Sylbe steht, durch den n\u00e4chstfolgenden, welcher die n\u00e4chste Sylbe beginnt. Die beiden Consonanten werden dann um so eher gleichartig gemacht, je enger ihre Verbindung in der Sprache sein muss (z. B. Lyw \u2014 Xey.zog, scribo \u2014 scriptum, leben \u2014 lept, regen \u2014 rekt, wenn wir auch lebt und regt schreiben). Ja diese Ausgleichung trat im Indischen regelm\u00e4ssig und bei dem \u201efeinh\u00f6rigen Notker1\u201c selbst zwischen verschiedenen W\u00f6rtern auf.\n1 Siehe Rumpelt. Das nat\u00fcrliche System etc. S. 122.","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Vereinigung der Sprachlaute zu Sylben und W\u00f6rtern. Der Accent. 231\nII. Die Vereinigung der Spracklante zu Sylben\nund W\u00f6rtern.\nDer Sylbenaecent.\nSievers1 definirt die Sylbe als eine Lautmasse, welche mit einem selbstst\u00e4ndigen, einheitlichen, ununterbrochenen Exspirationshub hervorgebracht wird. Einheitlich, ununterbrochen nennen wir aber einen Exspirationshub nur dann, wenn weder die Stimmb\u00e4nder noch auch die Mundtheile den Abfluss der Exspirationsluft irgendwie betr\u00e4chtlich hemmen oder \u00fcberhaupt ver\u00e4ndern. Jeder Kehlkopfsverschluss oder jede Kehlkopfs\u00f6ffnung, die dem Stimmklange ein Ende macht, sowie jede hochgradige Ver\u00e4nderung der articulirenden Organe des Mundes, die ebenfalls den gleichm\u00e4ssigen Abfluss der Exspirationsluft in hohem Grade modificiren, treten als Sylben scheidende Elemente auf.\nSagen wir beispielsweise a, a oder aha, so erhalten wir zweisylbige Lautverbindungen, weil durch Verschluss, beziehungsweise geringe Erweiterung der Stimmritze die Einheitlichkeit des Exspirationsstromes aufgehoben wird. Bilden wir andererseits die Lautverbindungen ade oder asa, so sind auch sie zweisylbig, weil jetzt durch den Verschluss der Zunge gegen den Gaumen (bei d) oder durch eine erhebliche Engenbildung (bei s) der gleichm\u00e4ssige Abfluss der Stimme unterbrochen wird. \u2014 Sagen wir dagegen al oder au, so bezeichnen wir diese Lautverbindungen als einsylbig, weil, wie uns das Gef\u00fchl lehrt, hier das Einheitliche der Exspiration nicht leidet, indem einmal das 1 und das u nur eine sehr kurze Zeit in Anspruch nehmen und ausserdem gegen\u00fcber dem a bedeutend an Intensit\u00e4t zur\u00fcckstehen. Sie werden also faktisch noch in dieselbe Exspirationsbewegung mit hineingenommen, die ja so wie so gegen ihr Ende hin an Intensit\u00e4t abnimmt. \u2014 Es ist zu bemerken, dass die grammatikalische Eintheilung in Sylben mit der eben genannten vielfach nicht zusammenf\u00e4llt; wir theilen beispielsweise ab \u201ehert-sig, st\u00fcrt-sen\u201c, die Grammatik \u201eher-zig, st\u00fcr-zen\u201c u. s. w. \u2014\nDamit die Laute wirklich als Einheit wahrgenommen werden, m\u00fcssen, sobald die Sylbe aus mehreren Lauten besteht, diese alle sich einem einzigen unterordnen ; dieser ist dann der Sonant, die anderen die Consonanten der Sylbe. \u2014 Aus alledem geht hervor, dass wesentlich die Vocale als Tr\u00e4ger des Stimmklanges auftreten, und dies um so mehr, je schall\u00e4rmere Laute sich in ihrer Umgebung befinden;\n1 Sievers, siehe S. 112.","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232 (xr\u00fctznek, Physiologie der Stimme und Sprache. 8. Cap. II.Yerein. d.Sprachlaute.\nebenso k\u00f6nnen aber auch andere t\u00f6nende Laute, namentlich die Li-quidae (L, M, N,- R) diese Function \u00fcbernehmen, wenn sie ihrer Umgebung bedeutend an Schallintensit\u00e4t \u00fcberlegen sind (s. S. 200 u. 203). Ja, der Ger\u00e4uschlaut S kann als der st\u00e4rkste seiner Art als wortbildend auftreten.\nDie Klangf\u00fclle wird aber auf eine Sylbe nie gleichm\u00e4ssig ausgebreitet; nie wird also im ersten Moment der Vocal mit derselben St\u00e4rke der Stimme ausgesprochen, wie in irgend einem sp\u00e4teren. Es zeigt sich vielmehr in allen Sprachen, dass jegliche Sylbe nur in einem Momente die gr\u00f6sste Schallintensit\u00e4t besitzt, und dass sie von diesem Augenblicke an schnell oder langsam, gleichm\u00e4ssig oder un-gleichm\u00e4ssig an St\u00e4rke abnimmt, Die Momente der gr\u00f6ssten Schallintensit\u00e4t bezeichnen wir mit dem Namen der \u201eAccente\u201c. \u2014 Da der Accent jedesmal das Resultat eines st\u00e4rkeren Ausathmungsdruckes ist, so ist es begreiflich, dass w\u00e4hrend der Accentuirung nicht blos die Intensit\u00e4t des Stimmtones, sondern gem\u00e4ss den Gesetzen mem-bran\u00f6ser Zungenpfeifen auch die H\u00f6he desselben gesteigert wird. Was hier von dem Sylbenaccent gesagt, gilt \u00fcberhaupt von jedem Accent, auch von dem ganzer W\u00f6rter und, wenn man will, ganzer S\u00e4tze: Alles, was wir mit besonderem Nachdruck, mit besonderem Accente sprechen wollen, das bringen wir nicht blos mit lauterer, sondern meist auch mit h\u00f6herer Stimme hervor.\nSie vers, dessen Darstellung ich der meinigen zu Grunde lege, unterscheidet folgende Accente:\n1. Eingip\u00dfige Accente (geschnittene).\n1)\tDer Acutus: Der Stimmton steigt von dem Anfang des Vocals bis gegen sein Ende und hier auf dem Maximum seiner H\u00f6he angelangt, wird er pl\u00f6tzlich durch den darauf folgenden Consonanten abgeschnitten. Graphisch stellt sich also der Stimmklang solch\u2019 einer Silbe in einer auf-steigenden (und da wir von links nach rechts schreiben) von links aufsteigenden Linie dar, die auf ihrem H\u00f6hepunkte pl\u00f6tzlich abgebrochen wird: Es ist dies bekanntlich das Zeichen des Acut ', den wir in folgenden W\u00f6rtern sprechen: Rappe, hatte, Kette u. s. w.\n2)\tDer Gravis: Er ist ebenfalls eingipflig. Das Maximum der Schallintensit\u00e4t wird jedoch nicht am Ende der Sylbe, sondern schon fr\u00fcher erreicht und die Sylbe wird abgeschnitten, wenn ihr Schall bereits im Abnehmen begriffen ist. Es h\u00e4tte somit dieser Accent das Bild eines V Man bezeichnet ihn jedoch, den kurzen Zeitraum vor dem Maximum der Schallintensit\u00e4t unber\u00fccksichtigt lassend, mit einem einfachen '. Er ruht vorzugsweise auf langen Vocalen und Diphthongen, die nicht bis an ihr Ende mit steigender, sondern mit abnehmender Schallst\u00e4rke gesprochen werden (Rabe, Auge).","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Bildung von W\u00f6rtern und S\u00e4tzen.\n233\n2. Zweigipflige Accente.\n1)\tDer geschliffene (circumflexus): Der erste derselben, der circumflexus (<v>) ist in unserer normalen Sprache selten ; er findet sich hingegen nach Sievers im Lithauischen auf Diphthongen und bei uns in \u201esingenden\u201c Dialekten. Die Sylbe, welche ihn tr\u00e4gt, hat zwei Schall-maxima, ein erstes absolutes und ein zweites relatives, die allm\u00e4hlich in einander \u00fcbergehen. Sein Bild w\u00e4re hiernach\n2)\tDer gestossene: Er geh\u00f6rt streng genommen nicht in die Sylbenaccente, da seine beiden Gipfel durch einen Kehlkopfverschluss von einander getrennt sind, also eigentlich zwei, nicht einer Sylbe zukommen. Sein Bild w\u00e4re hiernach A A. Er findet sich bei den Letten und D\u00e4nen (z. B. in folgenden d\u00e4nischen W\u00f6rtern and, vild, fod, saret die Wunde, gegen\u00fcber s\u00e0ret verwundet).\nIII. Die Bildung you W\u00f6rtern und S\u00e4tzen.\nDer Wort- und Satzaccent in der gebundenen und ungebundenen Rede.\nWenn sich Sylben zu W\u00f6rtern vereinigen, so vollzieht sich ein \u00e4hnlicher Vorgang, wie wenn Laute zu Sylben zusammentreten. Hier wie dort ordnen sich gewisse Elemente unter andere unter. Von den Sylben eines Wortes hat daher eine stets den st\u00e4rksten Accent, den \u201eHochton\u201c, die anderen treten mehr oder weniger zur\u00fcck, so dass auf sie, wie man sich ausdr\u00fcckt, entweder gar kein oder nur ein schw\u00e4cherer Accent, ein solcher zweiter Ordnung f\u00e4llt. Jenen bezeichnet Br\u00fccke 1 passend mit Haupt- (') diesen mit Nebenaccent ('). Worte wie Bek\u00fc'mmernisse, vaterlos, wiinderv\u00f6ller erl\u00e4utern dieses Verh\u00e4ltnis.\nIn letzter Linie erw\u00e4hnen wir noch den Satzaccent ;* ihm kommt die Bezeichnung um so weniger zu, als er nicht wie die \u00fcbrigen Accente einen H\u00f6hepunkt, sondern gewissermassen ein Hochplateau darstellt, in welchem gr\u00f6ssere und kleinere Erhebungen mit einander ab wechseln. Denn im Fluss der Bede schwankt die Tonst\u00e4rke und Tonh\u00f6he fortw\u00e4hrend hin und her und das, was der Sprechende hervorheben will, das spricht er dauernd lauter und h\u00f6her, als das ihm unwichtig und nebens\u00e4chlich Erscheinende.\n1 Br\u00fccke, Die physiologischen Grundlagen der neuhochdeutschen Verskunst. Wien 1871.","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234 Gr\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 8. Cap. III. Bildung v.W\u00f6rtern.\nSobald der Sprechende ferner zu einem gewissen Abschluss eines Gedankens gekommen ist, ruht er einen Moment aus und l\u00e4sst schon kurz vorher mit der Intensit\u00e4t der Stimme nach ; er l\u00e4sst sie ausserdem \u2014 oft um eine Quart \u2014 sinken. Er hebt sie dagegen, wenn er entweder den H\u00f6rer auf den Fortgang des Gedankens aufmerksam machen will oder von diesem selbst die Fortsetzung seiner Rede erbittet, wie in der Frage, in letzterem Falle nicht selten um eine Quint.1 So liest man im Lehrbuch des Gregorianischen Kirchengesanges von Antony, welches dem \u201ecantus firmus\u201c der katholischen Kirche zu Grunde liegt und weniger ein Gesang nach unseren Begriffen, als die Wiedergabe der gew\u00f6hnlichen Rede war,2 folgender-massen :\n\u20140\t\t\t\t\u2014\t\t\t\t\tM\tM\t1\t\t\t\t\t\t\t= m\t0\u2014|J\nJL~\u00df\t\u2022\t*\t\u00ab #\t* \u00df\ti*\u2014!\t*\t0-\tvp\u2014p i r -j-\t-F\t\t\u00df\u2014i\t0\u00df\t\u00df \u2022 |\t0\u00df^W\n\t\t\t\t\t\t1\ttfc=4- F =\t\t\t\u20141\u2014\t!\tt dJ\nSic can-ta com-ma, sic du-o pun-ta: sic ve-ropunetum. Sic signum in-ter-ro-ga-ti-o-uis?\nW\u00e4hrend in der ungebundenen Rede die einzelnen Accente sich regellos \u00fcber die Klangmasse des Gesprochenen vertheilen, zeigt es sich im Gegentheil in der gebundenen, dass die starken Accente, die sogenannten Arsengipfel, wie sie von Br\u00fccke genannt werden, der Zeit nach gleich abst\u00e4ndig sind. Sie stellen die Punkte dar, die wie Taktschl\u00e4ge in das Ohr des H\u00f6renden fallen und zwischen sie muss die Masse des weniger t\u00f6nenden Materials vertheilt werden. Damit dieses zwanglos geschehe, hat man sich vor Allem daran zu erinnern, dass jeder Laut eine gewisse Zeit zu seiner Bildung bedarf, und dass der Regel nach eine Sylbe um so l\u00e4nger ist, je mehr sie Laute in sich einschliesst. Wenn man daher in der Metrik, der Kunst die vom Messen den Hamen f\u00fchrt, wirklich misst, wie es in geistvoller Weise Br\u00fccke zuerst vermittelst der graphischen Methode (s. S. 200) gethan hat, so ergiebt sich, dass sogenannte kurze (resp. lange) Sylben durchaus nicht gleichwerthig sind, sondern, so wie sie factisch an L\u00e4nge verschieden, auch f\u00fcr den Vers die allerverschiedenste Bedeutung haben.\nVergleichen wir zum Beispiel die Hexameter:\n1)\tTragt1 s zum Gestade hinab, in die lustig bewimpelten Schiffe\n2)\tGeht zum Gestade hinab, in die lustig bewimpelten Schiffe und\n3)\tTragt\u2019s in die Bucht am Gestade des Meeres ! Alln\u00e4chtlich erscheinen so f\u00fchlt Jeder mit Leichtigkeit heraus, dass die Anf\u00e4nge der drei Hexameter nicht gleich gut und fliessend sind. No. 2 und 3 ist entschieden hierin besser als No. 1, einfach deshalb, weil das Tragt\u2019s zu viel Zeit\n1\tHelmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen S. 393. 1877.\n2\tSiehe Merkel, Laletik S. 412. Leipzig 1866.","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Die k\u00fcnstliche Nachbildung der Laute.\n235\nin Anspruch nimmt, um in der gegebenen Zeit bis zum n\u00e4chsten Arsengipfel noch die beiden K\u00fcrzen des Daktylus (zum Ge) zwanglos sprechen zu lassen. Verk\u00fcrzt man aber die L\u00e4nge des Daktylus, indem f\u00fcr Tragt\u2019s, Geht setzt (No. 2) oder seine K\u00fcrzen, indem man zum Ge durch in die ersetzt, so wird der Hexameter bei weitem besser.\nAnhang znm achten Capitel.\nDie k\u00fcnstliche Nachbildung der Laute.\nDie Sprechmaschilien und der Phonograph.\nBekanntlich war es der geistvolle Kempelen, dessen technischer Gewandtheit, Geduld und Beobachtungstalent wir eine Sprechmaschire verdanken. Dieselbe leistete, obwohl in gewissen Beziehungen primitiv, doch Vortreffliches und sprach zusammengesetzte Worte und S\u00e4tze deutlich und gut aus. Sie ist bekanntlich sp\u00e4ter von Faber1 verbessert worden und hat unter dem Namen \u201eFABER\u2019sche Sprechmaschine\u201c vielfach die Reise durch die gr\u00f6sseren St\u00e4dte Deutschlands gemacht.\nDa ich eine genaue Beschreibung, resp. Einsicht in den Bau dieser verbesserten Maschine bisher nicht erlangen konnte, so begn\u00fcge ich mich in ganz kurzen Z\u00fcgen \u2014 denjenigen, der sich genauere Belehrung \u00fcber diese Angelegenheit verschaffen will, auf das un\u00fcbertreffliche Buch von Kempelen verweisend \u2014 eine Beschreibung der Apparate zu geben, die Kempelen f\u00fcr die Nachahmung der Sprachlaute erfunden und angewendet hat.\nAls Stimme diente ihm eine aufschlagende Zunge, deren Klang durch untergelegtes Leder milder gemacht war; sie wurde vermittelst eines Blasebalges angeblasen. F\u00fcr die Vocale verwendete er, wie bereits Seite 171 auseinandergesetzt, entweder zwei halbkuglige Hohlschalen, die durch ein Charnier gegeneinander beweglich waren, oder sp\u00e4ter (und dann ausschliesslich) einen trichter\u00e4hnlichen Ansatz aus Gummi. Je nachdem er den Hohlraum des Trichters durch Einf\u00fchrung der Hand verkleinerte, erhielt er E und J, oder durch Vorhalten der hohlen Hand verl\u00e4ngerte und seine Oeffnung verringerte, 0 und U.\nDie Lippenlaute P und B wurden durch rasche Entfernung der den elastischen \u201e Mund\u201c zusammendr\u00fcckenden Hand erzeugt, nachdem in denselben vorher entweder ohne Stimme (und dann durch einen besonderen kleinen Blasebalg), oder mit Stimme Luft eingepresst war. Das M wurde erhalten, indem er die Stimme nicht zum \u201eMunde\u201c, sondern vielmehr zu zwei Neben\u00f6ffnungen (\u201eder Nase\u201c) heraustreten liess, die in eine vereinigt in den hinteren Theil des Mundes einm\u00fcndeten; das F und V, indem er die Luft durch eine passende Enge trieb, oder sie einfach durch die Fugen der verschiedenen Ansatzst\u00fccke, wenn sonst alles geschlossen\n1 Eine h\u00f6chst interessante Schilderung der Geschichte dieser Maschine findet sich ausser bei Kempelen im Kadmus von F. H. du Bois-Reymond. S. 129. Berlin 1862.","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236 Gk\u00fctzner, Physiologie der Stimme und Sprache. 8. Cap. Anhang.\nwar, entweichen Hess. \u2014 T und D bildete er dem P und B \u00e4hnlich; das Abziehen der Hand musste nur schneller geschehen und der Wind etwas kr\u00e4ftiger gegeben werden. Das N erschien, wenn die Stimme bei geschlossenem Munde t\u00f6nte und nur durch eine der genannten Neben\u00f6ffnungen entwich. F\u00fcr das S hatte er sich ein kleines viereckiges K\u00e4stchen hergerichtet, durch welches die Luft geblasen wurde. Die hintere Wand desselben hatte in einer Seite einen kleinen Schlitz \u2014 durch ihn trat die Luft ein \u2014 die vordere an der entgegengesetzten Seite einen ebensolchen \u2014 durch ihn trat sie mit einem dem S \u00e4hnlichen Ger\u00e4usche aus. \u2014 Die Bildung des Sch war ganz \u00e4hnlich, der Hohlraum nur gr\u00f6sser und l\u00e4nger (s. S. 221). K und G kamen in ihrer Bildung der des P und B sehr nahe. H und Ch entstanden durch schw\u00e4cheren oder st\u00e4rkeren Druck auf den Blasebalg bei offenem Munde; das L durch Einlegen des Daumens in die Mitte des Mundes, so dass seitlich zwei Oeffnungen blieben; das R durch ein klapperndes Brettchen, welches der Wind in Bewegung setzte.\nAlle Sprechmaschinen haben den Uebelstand, dass der Stimmton der Zunge stets ein und dieselbe H\u00f6he beh\u00e4lt, und dadurch die Sprache un-gemein eint\u00f6nig macht. Es ist demselben meines Wissens bis jetzt noch nicht abgeholfen worden. \u2014\nIn der Wiedergabe des Accentes und der wechselnden H\u00f6he des Stimmtones steht unerreichbar da der Phonograph von Edison. Wenn die Walze, welche das Stanniol tr\u00e4gt, mit genau derselben Geschwindigkeit gedreht wird bei der Reproduction der Laute, wie bei deren Production, so werden die Vocalkl\u00e4nge (vielleicht mit Ausnahme des J) sehr gut und das Schwanken der Tonh\u00f6he un\u00fcbertrefflich nachgebildet. Was aber die Sprechmaschine in gewisser Beziehung voraushat, das ist die Sch\u00e4rfe und St\u00e4rke, mit welcher sie Consonanten z. B. S und Sch etc. wiedergiebt, w\u00e4hrend der Phonograph (wenigstens nach meinen Erfahrungen) in diesem Punkte ziemlich schwach ist, weil ja diese Ger\u00e4uschlaute die Membran in nicht ausreichend starke Schwingungen versetzen k\u00f6nnen.","page":236}],"identifier":"lit36683","issued":"1879","language":"de","pages":"1-236","startpages":"1","title":"Zweiter Theil: Physiologie der Stimme und Sprache","type":"Book Section","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:38:02.676240+00:00"}