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{"created":"2022-01-31T15:16:03.807248+00:00","id":"lit36685","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 1: Handbuch der Physiologie der Bewegungsapparate","contributors":[{"name":"Hermann, Ludimar","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 1: Handbuch der Physiologie der Bewegungsapparate, edited by Ludimar Hermann, 3-260. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"ALLGEMEINE MUSKELPHYSIK\nProf. De. L. HERMANN in Z\u00fceich.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\n1","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\ni\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"EINLEITUNG.\nMuskeln nennt man diejenigen gefaserten Gewebe, welche die F\u00e4higkeit besitzen, in der Kichtung der Faserung sieh durch innere Kr\u00e4fte vor\u00fcbergehend zu verk\u00fcrzen. Fast alle activen Bewegungen innerhalb des Organismus, und ebenso s\u00e4mmtliche activen Einwirkungen desselben auf die Aussenwelt, beruhen auf dieser vor\u00fcbergehenden Contraction.\nNach dem anatomischen Bau zerfallen die Muskeln in zwei Arten, solche mit quergestreiften und solche mit nicht quergestreiften, sog. glatten Fasern; oder, kurzweg, quergestreifte und glatte Muskeln; erstere mit schneller und rasch nachlassender, letztere mit langsam eintretender und langsam schwindender Verk\u00fcrzung begabt, erstere zugleich gr\u00f6sstentheils im Bereich der dem Willen unterzogenen und in ihrer Th\u00e4tigkeit von sinnlichen Einwirkungen beherrschten Organe angebracht, und deshalb auch \u201e animalische \u201c Muskeln genannt, letztere haupts\u00e4chlich den maschinenm\u00e4ssig und von \u00e4usseren Einwirkungen wenig abh\u00e4ngigen Eingeweiden eigen und als \u201eorganische\u201c Muskeln bezeichnet. Jedoch ist diese zweite Art der Sonderung nicht streng durchf\u00fchrbar, da das Herz zu den letzteren Organen geh\u00f6rt, und dennoch quergestreifte Muskelfasern hat; es besitzt aber, dem ersteren Trennungsprincip entsprechend, energische Verk\u00fcrzung.\nIn der Thierreihe sind die quergestreiften Muskelfasern ebenfalls so weit verbreitet, als energische Bewegungen Vorkommen.1 Ausser den Skelett- und Hautmuskeln aller Wirbelthiere sind bei diesen auch einzelne muscul\u00f6se Apparate der Eingeweide quergestreift, so die Muskeln der Zunge, des Gaumens, des Schlund- und Kehlkopfs, die Schn\u00fcrmuskeln der Harnr\u00f6hre und Scheide, einzelne Aftermuskeln, die \u00e4usseren Augenmuskeln, die Muskeln der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen. Bei den V\u00f6geln ist auch die Iris2, bei einzelnen Fischen das von E. H.\n1\tVgl. f\u00fcr das Folgende Ed. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 29. Braunschweig 1846.\n2\tAuch die Chorioidea der V\u00f6gel enth\u00e4lt nach y. Wittich, Ztschr. f. wissensch. Zool. IV. S. 456.1852, quergestreifte Muskelfasern.\n1*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nHermann, Allg. Muskelphysik. Einleitung.\nWeber entdeckte lebhaft contractile Gaumenorgan quergestreift. An der Speiser\u00f6hre hat Ed. Weber (a. a. 0.) nachgewiesen, dass energische Contraction genau auf den Verbreitungsbezirk quergestreifter Fasern beschr\u00e4nkt ist. Von den Wirbellosen haben die mit lebhafter Bewegung begabten Articulaten quergestreifte Muskeln, w\u00e4hrend die Mollusken, W\u00fcrmer, Echinodermen, Coelenteraten u. s. w., entsprechend ihrer tr\u00e4gen Bewegung, nur glatte Muskelzellen besitzen 1 ; ausnahmsweise kommen hier nach manchen Beobachtern vereinzelte quergestreifte Musculaturen vor; die hervorragendsten, unbestrittenen Vorkommnisse dieser Art sind die Schirmmuskeln mancher Medusen 2 3, und der Herzmuskel der Salpen und anderer Tunicaten; analoge Behauptungen f\u00fcr die Muskeln vieler W\u00fcrmer und Mollusken werden namentlich von Gv Schwalbe 3 bestritten und theils durch Faltenbildung des Sareolemms, theils durch Verwechslung mit Schr\u00e4gstreifung erkl\u00e4rt.\nSehr verbreitet bei den Echinodermen, W\u00fcrmern und Mollusken ist nach den Untersuchungen von Schwalbe (a. a. 0.) die von Anderen schon gelegentlich bemerkte doppelte Schr\u00e4gstreifung, d. h. eine Kreuzung zweier symmetrisch schr\u00e4ger Liniensysteme ; eine solche kommt besonders bei Ringelw\u00fcrmern, Muscheln und Schnecken vor. Auch diese Structur scheint energische Contraction zu beg\u00fcnstigen; wenigstens sah Schwalbe bei solchen Muscheln, welche nur glatte Fasern besitzen, z. B. Mytilus edulis, die Schalenschliessung viel tr\u00e4ger erfolgen als bei der Auster, deren Schliessmuskel schr\u00e4g-streifig ist.\nBemerkenswerth ist noch, dass die Embryonalmuskeln ihre Querstreifung erst in einem gewissen Stadium ihrer Entwicklung erhalten, obwohl ihre Contractilit\u00e4t schon vorher besteht, anscheinend mit jener Tr\u00e4gheit, welche die nichtgestreifte Musculatur characterisirt. Alles deutet also darauf hin, dass die quergestreifte Muskelfaser eine h\u00f6her organisirte Entwicklungsform des contraction Gewebes darstellt, welche mit der F\u00e4higkeit rascherer Zusammenziehung begabt ist.\nIn diesem Abschnitt haben wir es nur mit der Physiologie der quergestreiften Muskeln zu thun.\n1\tZusammenstellungen siehe hei J. M\u00fcller, Handb. d. Physiol. II. S. 36. Coblenz 1837 ; Todd & Bowman, The physiological anatomy etc. I. p. 162. London 1856 ; Milne-Edwards, Le\u00e7ons sur la physiologie etc. X. p. 449. Paris 1874.\n2\tVgl. Max Schultze, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1856. S. 314 ; K\u00f6lliker, W\u00fcrzb. Verb. VIH. S. 111. 1858; Br\u00fc\u0153ke, Sitzungsber. d. Acad, zu Wien 1. Abth. XLVIII. S. 156. 1863; und zahlreiche sp\u00e4tere Arbeiten \u00fcber die Anatomie der Medusen.\n3\tG-. Schwalbe, Arch. f. microscop. Anat. V. S. 205.1868; hier findet sich auch die Literatur der betr. Angaben.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Arten der Muskelfasern. Mechanische Eigenschaften.\n5\nERSTES CAPITEL.\nMechanische Eigenschaften des Muskels.\nBei einem Gebilde, dessen Leistungen durchaus mechanischer Natur sind, kommen die eigenen mechanischen Eigenschaften in erster Linie in Betracht. Die Muskeln sind weiche, biegsame und elastische Gebilde, welche formver\u00e4ndernden Kr\u00e4ften im Allgemeinen wenig Widerstand leisten. Die Druckelasticit\u00e4t und Compres-sibilit\u00e4t der Muskeln ist nicht untersucht; da Wasser ihr Haupt-bestandtheil ist, so ist man geneigt, die Compressibilit\u00e4t als sehr gering anzusehen.\nUngleioh wichtiger als das Verhalten des Muskels gegen Druck ist dasjenige gegen Zug. Denn durch Zug hat der Muskel zu wirken, jeder Zug aber, den er auf \u00e4ussere Gebilde aus\u00fcbt, nimmt in gleichem Grade ihn selbst in Anspruch. Die Dehnbarkeit und Zugelasticit\u00e4t des Muskels in der Richtung der Faserung ist daher der Hauptgegenstand aller Untersuchungen \u00fcber die mechanischen Eigenschaften des ruhenden Muskels.\nDie Untersuchungen \u00fcber die Elasticit\u00e4t der Muskeln sind fast durchg\u00e4ngig an ausgeschnittenen belasteten Muskeln, und zwar von Fr\u00f6schen, angestellt. Zur Beobachtung der Muskell\u00e4nge w\u00e4hrend und nach der Belastung wird das obere Muskelende fixirt und die senkrechte Verlagerung eines mit dem unteren unbeweglich verbundenen Punctes optisch oder graphisch festgestellt.\nDie einfachste, optische Bestimmnngsmethode, welche auch f\u00fcr die Bestimmung der Elasticit\u00e4t von Metalldr\u00e4hten meistens verwendet wird, besteht in Fixation des oberen Endes des dehnbaren K\u00f6rpers und Bestimmung des Abstands einer am oberen und einer am unteren Ende fest angebrachten Marke mittels des Cathetometers. Bei der K\u00fcrze der Muskeln ist es aber vorzuziehen, mit dem unteren Muskelende einen fein getheilten verticalen Maassstab zu verbinden, auf diesen ein fest aufgestelltes Fernrohr oder Microscop zu richten und die Theilstriche zu no-tiren, die sich mit dem horizontalen Faden decken. Um Pendelschwankungen zu verh\u00fcten, kann man nach du Bois-Reymond\u2019s Erfindung das Geh\u00e4nge unten mit einem Kreuz von Glimmerbl\u00e4ttern endigen lassen, das in Oel eintaucht.1- Die von Ed. Weber2 angewandte Methode, durch\n1\tYgl. Heidenhain, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1856. S. 222 ; Physiologische Studien S. 36. Berlin 1856; Wundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 37. Braunschweig 1858.\n2\tEd. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 68.1846.","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6 Hermann, Allg. Muskelphysik. 1. Cap. Mechanische Eigenschaften des Muskels.\ndas untere Muskelende einen horizontalen, leicht gespannten Coconfaden zu ziehen, der vor einer Tkeilung spielt, ist weniger empfehlenswertk. W. Weber (a. unten a. 0.) wandte eine sehr genaue, aber nur f\u00fcr lange leichte F\u00e4den brauchbare Methode an, indem er den gespannten Faden mit einem h\u00e4ngenden Spi\u00e7gelclien verband, dessen Stellungs\u00e4nderung mit Fernrohr und Scala abgelesen wurde. \u2014 Ein von Harless 1 beschriebener und abgebildeter Apparat hat zum Princip, dass eine Marke am Spannfaden zwischen einer durchsichtigen Glastheilung und einem spiegelnden Glasstreifen, zur Vermeidung der Parallaxe, beobachtet wird (der Zweck w\u00fcrde ebensogut erreicht, wenn die Theilung auf der Vorderfl\u00e4che des belegten Spiegelstreifens selbst einge\u00e4tzt w\u00e4re). \u2014 Die graphische Methode l\u00e4sst das untere Muskelende am Schreibhebel irgend eines Myo-graphions (s. das n\u00e4chste Capitel) angreifen, und den der Belastung, resp. Zeit entsprechenden Stand auf einem Cylinder oder einer Platte markiren.\nAlle genauen Untersuchungen \u00fcber die Elasticit\u00e4t der Muskeln und \u00fcberhaupt organischer Gebilde werden betr\u00e4chtlich erschwert durch die sog. elastische Nachwirkung2, welche allerdings, aber in ungemein viel geringerem Grade, auch den unorganischen K\u00f6rpern zukommt. Sie besteht darin, dass ein angeh\u00e4ngtes Gewicht den K\u00f6rper nicht sogleich auf die volle ihm entsprechende L\u00e4nge dehnt, sondern diese zun\u00e4chst nur ann\u00e4hernd erreicht wird, w\u00e4hrend eine langsame weitere Verl\u00e4ngerung nachfolgt; vermuthlich wird eine definitive L\u00e4nge \u00fcberhaupt nur asymptotisch angenommen. Entsprechend findet auch nach Entfernung der Last die Wiederverk\u00fcrzung zuerst nur ann\u00e4hernd, und dann langsam weiter statt.3 Wartet man nun diese Processe wenigstens so weit ab bis die noch folgende Ver\u00e4nderung nicht mehr merklich ist, so geht doch immer kostbare Zeit verloren, da der Muskel in best\u00e4ndigen Ver\u00e4nderungen begriffen ist, der n\u00e4chste Versuch also streng genommen schon auf einen andern K\u00f6rper sich bezieht.\nEin hoher\" Grad von Vollkommenheit der Elasticit\u00e4t, min-\n1\tHarless, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. IV. S. 518.1853.\n2\tDieselbe wurde zuerst von W. Weber an Seidenf\u00e4den genauer beobachtet. G\u00f6ttinger gel. Anz. 1835. St\u00fcck 8; Ann. d. Physik XXXIV. S. 247.. 1835.\n3\tIn einer sp\u00e4teren Arbeit gibt W. Weber (Ann. d. Physik LIV. S. 1. 1841) eine Gleichung f\u00fcr den zeitlichen Verlauf der Xachdehnung; er macht n\u00e4mlich die Annahme, dass die Geschwindigkeit der Nachdehnung einer (gebrochenen)\nd cc\nPotenz der schon erreichten L\u00e4nge proportional ist, d. h. \u2014 = bx\u2122, worin b\nund m von der Substanz abh\u00e4ngen : durch Integration ergibt sich dann x = ____________i_\ti\n[(1\u2014m)b] 1 ~m . (t -f C) I-\u2122, worin C eine Integrationsconstante; und die L\u00e4nge l zur Zeit t w\u00e4re, wenn die L\u00e4nge zur Zeit \u00fc = a war,\n1 1\nl = cl + [(1\u2014w\u00ee)] b l-\u2122 . (t -j- C) i m,\nworin das positive Vorzeichen f\u00fcr Dehnung, das negative f\u00fcr Entlastung zu nehmen ist. Weber findet diese Formel mit den Versuchsresultaten gut \u00fcbereinstimmend.","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"Pr\u00fcfung der Elasticit\u00e4t. Vollkommenheit. Dehnungsgesetz.\n7\ndestens bis zu derjenigen Dehnung, welche die eigene Zugkraft des Muskels bei st\u00e4rkster Anstrengung bewirken kann, ergibt sich schon aus der Erhaltung des thierischen Mechanismus. K\u00e4men Ueber-schreitungen der Elastieit\u00e4tsgrenze w\u00e4hrend des Lebens h\u00e4ufig vor, so m\u00fcsste jede Anstrengung dauernde Verl\u00e4ngerung, also verminderte Leistungsf\u00e4higkeit, der Muskeln nach sich ziehen. Bisher ist aber durch Nichts nachgewiesen, dass an dem, was man Erm\u00fcdung der Muskeln nennt, eine Verl\u00e4ngerung irgend welchen Antheil habe. Jedenfalls m\u00fcsste solchen Ueberdehnungen eine sehr schnelle Reparation des urspr\u00fcnglichen Zustandes folgen.\nDie experimentellen Angaben \u00fcber die Vollkommenheit der Elasticit\u00e4t sind indessen sehr verschieden. Ed. Weber (a. a. O. S. 109) nennt die Muskelelasticit\u00e4t, ohne speeielle Versuche daf\u00fcr anzuf\u00fchren, sehr vollkommen, w\u00e4hrend Wundt (a. a. 0. S. 39) findet, dass schon geringe Belastungen eine bleibende Verl\u00e4ngerung zur Folge haben.\nDie Gr\u00f6sse der Elasticit\u00e4t l\u00e4sst sich f\u00fcr den Muskel nicht, wie f\u00fcr einen Metalldraht, durch eine einzige Zahl, einen Elasticit\u00e4ts-co\u00ebfficienten oder Modulus ausdr\u00fccken, weil, wie Wertheim1 im Verlaufe seiner classischen Untersuchungen fand, das Dehnungs-gesetz der thierischen Gewebe von demjenigen unorganischer K\u00f6rper wesentlich verschieden ist. Wertheim gibt an, dass die feuchten thierischen Gewebe sich nicht einfach proportional den Belastungen, sondern nach dem Gesetze y2 = ax^ -f bx verl\u00e4ngern, worin y die Dehnung, x die Belastung, a und b Constanten bedeuten; diese Gleichung ist die einer Hyperbel, ihre Asymptote erst w\u00fcrde dem Dehnungsgesetz unorganischer K\u00f6rper entsprechen. Beim Eintrocknen wird der Coefficient b immer kleiner; sobald er 0 wird, sind y und x einander einfach proportional wie bei Metallen; die Knochen folgen schon im frischen Zustande diesem Verhalten. W\u00e4hrend fast alle sp\u00e4teren Untersucher die ann\u00e4hernd hyperbolische Form der Dehnungscurve des Muskels best\u00e4tigen'2, behauptet Wundt3, dass dieselbe nur bei so grossen Belastungsvariationen g\u00fcltig ist, dass die Versuche mit denjenigen an unorganischen K\u00f6rpern nicht mehr ver-\n1\tVon den Abhandlungen Wertheim\u2019s bandeln die drei ersten (Ann. d. chim. et pbys. (3) XII. p. 385, 581, 610. 1841) von unorganischen K\u00f6rpern, eine sp\u00e4tere (ebendaselbst XXI. p. 385. 1847) von den thierischen Geweben, \u00fcber welche vorher nur Coh\u00e4sionsbestimmungen existirt hatten.\n2\tVgl. u. A. Ed. Weber. Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. III. 2. S. 110. 1846; Heidenhain, Physiologische Studien S. 46. Berlin 1856; Volkmann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 293, sowie einige weiter unten angef\u00fchrte Autoren.\n3\tWundt, Verhandl. d. naturh.-med. Ver. zu Heidelberg I. S. 2. 1856; II. S. 33 1860 (dasselbe auch Arch. f. Anat. u. Physiol. 1857. S. 298; Ztschr. f. rat. Med. (3. VIII. S. 267) ; Die Lehre von der Muskelbewegung S. 32.","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8 Hermann, Allg. Muskelphysik. 1. Cap. Mechanische Eigenschaften des Muskels.\ngleichbar sind, indem die Form zu sehr ver\u00e4ndert wird ; ferner wirft Wundt den anderen Autoren vor, die elastische Nachwirkung nicht gen\u00fcgend ber\u00fccksichtigt zu haben; da die Curve der zeitlichen Verl\u00e4ngerung durch eine Belastung ganz verschieden ausf\u00e4llt, je nachdem der K\u00f6rper bereits belastet ist (vgl. oben die Formel W. Weber\u2019s, deren Constanten in jedem Einzelf\u00e4ll andere Werthe haben), so kann der Dehnungszuwachs, den der gleiche Belastungszuwachs hervorbringt, obgleich er nach Wundt stets gleich ist, ganz verschieden ausfallen, wenn man gar nicht, oder jedesmal eine constante Zeit (Volkmann) wartet, und so der Anschein eines hyperbolischen Dehnungsgesetzes entstehen. Eine andere Fehlerquelle, auf welche Wundt hinweist, sind die best\u00e4ndigen Aenderungen der Elasticit\u00e4t des ausgeschnittenen Muskels, welche er dadurch zu umgehen suchte, dass er an der Gruppe Gracilis und Semimembranosus des Frosches im Zusammenh\u00e4nge mit dem Rumpf, bei erhaltener Circulation, ex-perimentirte.\nJedenfalls ist es von Wichtigkeit, zu beachten, dass w\u00e4hrend des Lebens die Muskeln zwar starke, aber meist nur sehr kurzdauernde Dehnungen auszuhalten haben, und dass dieselben im Allgemeinen mit dem contrahirten und nicht mit dem Ruhezust\u00e4nde zusammenfallen; fast alle Muskeln sind so angebracht, dass erhebliche Dehnungen \u00fcber die nat\u00fcrliche Ruhel\u00e4nge gar nicht Vorkommen k\u00f6nnen, so lange das Skelett unversehrt ist. Alle Versuche mit starken Belastungen ruhender Muskeln sind daher im Grunde unnat\u00fcrlich, und die bei ihnen zur Beobachtung kommenden bleibenden Dehnungen kommen im Leben, wie schon im Eingang angef\u00fchrt, gar nicht vor. Die elastische Nachwirkung scheint mit der bleibenden Dehnung innig zusammenzuh\u00e4ngen ; erstere besteht h\u00f6chst wahrscheinlich in einer wirklichen Aenderung des Gef\u00fcges, welche nur langsam und unvollkommen wieder zur\u00fcckgeht, und so kann es sein, dass gerade diejenigen Versuche, in welchen die Nachdehnung nicht abgewartet, sondern die Last immer nur f\u00fcr einen Moment angeh\u00e4ngt wird, f\u00fcr die physiologische Betrachtung massgebender sind, als solche mit voller Entwicklung der Nachdehnung. Versuche der ersteren Art ergeben aber immer, wovon man sich leicht \u00fcberzeugen kann, die Wertheim\u2019sehe ann\u00e4hernd hyperbolische Dehnungscurve. Auch ist daran zu erinnern, dass hinreichend kleine St\u00fccke jeder Curve gradlinig erscheinen.\nMarey 1 hat die Dehnungscurve continuirlich dargestellt, indem\n1 Marey, Du mouvement dans les fonctions de la viep. 295. Paris 1868.","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Dehnungsgesetz.\n9\ner einen Muskel, dessen Verl\u00e4ngerung sich auf einem langsam rotirenden Cylinder aufschrieb, mit einem Gef\u00e4sse belastete, in welches Quecksilber in gleichm\u00e4ssigem Strahle einstr\u00f6mte; durch gleichm\u00e4ssiges Ausfliessen des Quecksilbers wurde dann auch umgekehrt die Entlastungscurve gewonnen. Die Curve Fig. 1 ist auf diese Weise von Marey hergestellt.\nFig. 1. Curve eontinuirlicber Dehnung und Entlastung nach Marey. ox ist die die urspr\u00fcngliche L\u00e4nge angebende Abscissenaxe. Der Abstand der Horizontalen bei x und x\u2018 ist der Betrag der nach der Entlastung bleibenden dauernden Verl\u00e4ngerung.\t\\\nFig. 2. Langenzunahme eines Gastrocnemius bei Belastungszuwaehsen von je 5,5 Grm. ox die der urspr\u00fcnglichen L\u00e4nge entsprechende Abscissenaxe. Vgl. auch Fig. 23.\nAehnlich ist das Princip von Holmgren & Blix *, welche gleichzeitig mit der Schreibplatte das Gewicht auf seinem Hebelarm vorschieben. Um den Gang der Verl\u00e4ngerung bei einer einzelnen Belastung zu untersuchen, hatte schon v. Wittich (cit. S. 10) das graphische Verfahren angewandt. \u2014 Fig. 2 ist eine Copie einer bei mir mit dem PFL\u00dcGER\u2019schen Myographion (s. das 2. Capitel) erhaltenen Dehnungsfigur, ox ist die vom unbelasteten Muskel gezeichnete Abscisse; die verticalen Linien sind die bei stillstehender Schreibplatte erhaltenen Dehnungen; der jedesmalige Belastungszuwachs betr\u00e4gt 5,5 Grm. Zwischen je zwei Dehnungen wurde die Schreibplatte um ein stets gleich langes St\u00fcck horizontal verschoben.\nInteressante Versuche \u00fcber Muskeldehnbarkeit haben Donders & van Mans-velt2 am lebenden Menschen angestellt. Vor dem in Fig. 3 dargestellten verticalen, mit Gradtheilung versehenen Brett wurde der Vorderarm so gehalten, dass der Condylus internus in den gepolsterten Ausschnitt a, der sich im Centrum der Theilung befindet, hineinragte ; die Schulter st\u00fctzte sich gegen die Kr\u00fccke b (die Person sitzt hinter dem Brett). Am Vorderarm h\u00e4ngt das Gewicht p mittels des Armbands\nFig. 3. Apparat von Donders & van Mansvelt.\n1\tBlix, Upsala l\u00e4kare-f\u00f6renings fork. IX. p. 555.1874. Auch Blix best\u00e4tigt die hyperbolische Dehnungscurve.\n2\tvanMansvelt, Over de elasticiteit der Spieren. Dissert. Utrecht 1863.","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10 Hermann, Allg. Muskelphysik. 1. Cap. Mechanische Eigenschaften des Muskels.\nc und des Drahtes d. Der Vorderarm wird in irgend einer Stellung etwa 10 Secunden gehalten, der Draht d dann pl\u00f6tzlich durchschnitten, worauf der Arm l\u00e4ngs des Gradbogens in die H\u00f6he schnellt. Gesetzt, es sei durch Rechnung und durch Versuche an Leichen bekannt: 1) Die L\u00e4nge der Beugemuskeln oder einer sie repr\u00e4sentirenden mittleren Faser 1 f\u00fcr jede Stellung des Vorderarms am Bogen, 2) f\u00fcr jede Armstellung das Moment des Vorderarms mv und das des Gewichts p, mp, beide bezogen auf jene mittlere Faser, so ergibt sich offenbar aus Anfangs- und Endstellung des Vorderarms jedesmal die L\u00e4nge eines in gewissem Grade con-trahirten Muskels, einmal bei der Belastung mv (Endstellung) und einmal bei der Belastung mv -j- rnv (Anfangsstellung). Die Versuche wurden so angestellt, dass bei verschiedenen Werthen von p die Anfangsstellung gesucht wurde, von welcher aus der Arm zu einer gegebenen H\u00f6he emporschnellte. Es ergab sich nun aus den Versuchsdaten, dass die L\u00e4ngenzuwachse den Lastzuwachsen durchweg ziemlich proportional waren ; das Resultat ist um so bemerkenswerter, als es besagt, dass die Elasticit\u00e4t des Muskels vom Contractionszustande g\u00e4nzlich unabh\u00e4ngig ist. Indess sind die mannigfachen Ungenauigkeiten des Versuches nicht zu untersch\u00e4tzen, so das Emporschnellen \u00fcber die Gleichgewichtsl\u00e4nge des entlasteten Muskels hinaus, das Auftreten unwillk\u00fcrlicher Contractionen im Augenblick der Entlastung, die unvermeidlichen Ungenauigkeiten der Re-ductionsrechnung u. s. w. F\u00fcr die Versuche l\u00e4sst sich anf\u00fchren, dass sie bisher die einzigen an absolut normalen Muskeln sind, und dass die grosse Einfachheit des Resultats f\u00fcr seine Richtigkeit spricht, insofern geh\u00e4ufte Fehler mit Wahrscheinlichkeit sehr verwickelte Resultate nach sich ziehen w\u00fcrden.\nv. Wittich2 fand am Froschmuskel bis zu 5\u20148 Grm. die Dehnungen den Lasten proportional, \u00fcber diese geringe Belastung hinaus jedoch das WERTHEiM\u2019sche Gesetz. Ein von Preyer3 aufgestelltes \u201emyophysisches \u201c Dehnungsgesetz beruht auf irrth\u00fcmlichen, \u00fcbrigens rein theoretischen Grundlagen.\nNumerische Ausdr\u00fccke f\u00fcr die Elasticit\u00e4tsgr\u00f6sse sind schon deshalb f\u00fcr Muskeln von geringem Werth, weil kein Muskel in seiner ganzen L\u00e4nge constanten Querschnitt hat. F\u00fcr einen K\u00f6rper mit geradliniger Dehnungscurve ist bei der L\u00e4nge /, dem Querschnitt q, und der Belastung p die Verl\u00e4ngerung\n,\tlp , P 1\t^\nq q e l\nworin f eine von der Substanz abh\u00e4ngige Constante. Setzt man plq, d. h. die Belastung f\u00fcr die Einheit des Querschnitts, = n, ferner XJl, d. h. die Verl\u00e4ngerung der L\u00e4ngeneinheit, = d, endlich 1/\u00ab = E, so ist\nE ,\t^ n\nn = -r oder h = v*\n\u00f4\t\u00e0\n1\tDonders fand bei diesem Anlass, dass die Muskelfasern ein solches Ver-h\u00e4ltniss ihrer L\u00e4nge zur Lage ihrer Insertionspuncte haben, dass sie bei der Streckung des Arms alle um gleiche Bruchtheile ihrer L\u00e4nge gedehnt werden.\n2\tv. Wittich, Amtl. Ber. \u00fcb. d. Naturf.-Vers. zu Hannover 1865. S. 238. (Nach\nMeissner\u2019s Jahresber. pro 1866. S. 400.)\t\u201e\t, TTT\t,\n3\tDie Publicationen hier\u00fcber sind im 3. Capitel, sub III, angegeben.","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Dehnungsgesetz.\n11\nDie Gr\u00f6sse E heisst der \u201e Elasticit\u00e4tsmodulus \u201c, und kann auch bezeichnet werden als diejenige Last pro Einheit des Querschnitts, welche erforderlich ist um J=l, d. h. 1 = / zu machen,. oder den K\u00f6rper auf die doppelte L\u00e4nge zu dehnen (oder auch als diejenige elastische Kraft, welche durch Dehnung auf die doppelte L\u00e4nge wach-gerufen wird). Als \u201e Elasticit\u00e4tscoefficienten \u201c bezeichnen Manche die Gr\u00f6sse E, Andere die Gr\u00f6sse e \u2014 1/E. \u2014 Wundt, welcher, wie bemerkt, auch f\u00fcr den Muskel eine geradlinige Dehnungscurve annimmt, fand f\u00fcr den lebenden Froschmuskel den Modulus gleich 94,3 Grm., d. h. etwa scow von dem des Stahls. (Aus der Arbeit van Mansvelt\u2019s berechnet sich die Verl\u00e4ngerung einer einzelnen menschlichen Muskelfaser durch 1 Mgrm. zu etwa 1 pCt.). F\u00fcr K\u00f6rper von complicirterem Dehnungsgesetz ist diese ganze Terminologie unanwendbar.\nDurch eine unzweckm\u00e4ssige Erweiterung des Begriffes \u201eElastiei-t\u00e4t\u201c ist in der Muskelphysiologie eine gewisse Verwirrung entstanden. Wir werden im Folgenden als elastische Kr\u00e4fte nnr diejenigen bezeichnen, welche ein K\u00f6rper von bestimmter nat\u00fcrlicher Gestalt \u00e4usseren formver\u00e4ndernden Kr\u00e4ften entgegensetzt, oder in Folge einer durch letztere bewirkten Gestalt\u00e4nderung als potentielle Energie entwickelt. Wir schreiben also mit Ed. Weber dem Muskel in jedem Zustande eine bestimmte nat\u00fcrliche Form und eine bestimmte Ela-sticit\u00e4t zu, mit welcher erstere \u00e4usseren Kr\u00e4ften gegen\u00fcber behauptet wird. Die Verk\u00fcrzung durch Reizung bei constanter Last betrachten wir also nicht, wie manche Autoren, zun\u00e4chst als Folge einer Ela-sticit\u00e4tszunahme, sondern sogleich als Folge einer Aenderung der nat\u00fcrlichen Form. Das eben verworfene Verfahren, mag es auch vom allgemeinsten Standpuncte aus nicht ganz unberechtigt sein, wirkt um so verwirrender, wenn, wie es bei der activen Contraction der Fall ist, das f\u00fcr einen Augenblick angenommene Schema der Elasticit\u00e4tszunahme sich sofort verwandelt in Aenderung der nat\u00fcrlichen Form mit Abnahme der Elasticit\u00e4t.\nWir werden daher z. B. die L\u00e4ngen\u00e4nderungen, welche der Muskel durch Temperatur\u00e4nderungen erleidet, nicht ohne Weiteres als Elasticit\u00e4ts\u00e4nderungen betrachten (zumal da sie nicht gleichf\u00f6rmig sind mit denen anderer K\u00f6rper unter gleichen Bedingungen) und sie demgem\u00e4ss erst in einem sp\u00e4teren Abschnitt abhandeln. Ueber Ver\u00e4nderungen der Elasticit\u00e4t des Muskels in besonderen Zust\u00e4nden desselben s. das 2. und 6. Capitel.\nDie Bedeutung der Elasticit\u00e4t des Muskels f\u00fcr dessen Function liegt auf der Hand. Sie allein macht es m\u00f6glich, dass der Muskel, obgleich die Distanz seiner Insertionspuncte best\u00e4ndigen Aenderungen unterliegt, dennoch stets gespannt ist, so dass f\u00fcr die","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12 Hermann, Allg. Muskelphysik. 1. Cap. Mechanische Eigenschaften des Muskels.\nContraction keine Zeit verloren geht1; sie verhindert Zerreissungen bei pl\u00f6tzlicher passiver Ansspannung; vor Allem aber bewirkt sie, dass der Zug des Muskels, trotz der Pl\u00f6tzlichkeit, mit der sich seine verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte entwickeln, nicht reissend, sondern verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig sanft erfolgt, indem die verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte zun\u00e4chst elastische Kr\u00e4fte im Muskel selber wachrufen, deren Ausgabe sich dann auf eine l\u00e4ngere Zeit vertheilt; Muskeln, Knochen und Gelenke werden hierdurch geschont, etwa wie die Federn eines Wagens und der Windkessel eines Wassermotors die St\u00f6sse mildern, und ein elastisches Zwischenst\u00fcck im Gespann (Fehrmann\u2019s \u201e Pferdeschoner \u201c) sowohl f\u00fcr Pferd als f\u00fcr Wagen n\u00fctzlich ist.2 3 4\nEine ersch\u00f6pfende Untersuchung der Elasticit\u00e4t des Muskels w\u00fcrde ausser der L\u00e4ngsrichtung auch die quere und die schr\u00e4gen Richtungen, und ausser der Zugelasticit\u00e4t auch die Druckelasticit\u00e4t zu untersuchen haben. Indessen sind solche Untersuchungen, wegen zu geringen Interesses f\u00fcr die Physiologie, bisher nicht ausgef\u00fchrt worden. Nach Analogie anderer gefaserter Gewebe ist zu erwarten, dass die Dehnbarkeit in der Faserrichtung am geringsten ist, und mit dem Winkel gegen dieselbe anfangs zu-, und dann wieder abnimmt.\nAuch die Untersuchung der Festigkeit oder Coh\u00e4sion des Muskelgewebes ist von verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig geringem physiologischen Interesse, kann aber f\u00fcr die Chirurgie in Frage kommen. Alle vorhandenen Untersuchungen beschr\u00e4nken sich auf die Bestimmung der Zugfestigkeit in der Faserrichtung, und sind fast nur an Leichenmuskeln angestellt, in welchen m\u00f6glicherweise die F\u00e4ulniss schon das Gef\u00fcge gelockert hatte. Die folgende Tabelle gibt eine Uebersicht, welche ich nach den Versuchen von Valentin 3 und Wertheim 4 zusammengestellt habe, mit Hinzuf\u00fcgung einiger Elasticit\u00e4tsmessungen von van Mansvelt und Wundt (s. oben).\n1\tDie best\u00e4ndige Anspannung der Muskeln in der Ruhe ist die Ursache der Retraction durchschnittener Muskeln und Sehnen. Ed. Weber (a. a. O. S. 105) erkannte zuerst, dass jene Anspannung einfach darin ihren Grund hat*, dass die nat\u00fcrliche Muskell\u00e4nge im Allgemeinen etwas kleiner ist als der Abstand der In-sertionspuncte.\n2\tDie letztere Vergleichung, sowie Versuche in diesem Sinne s. hei Marey, Trav. du labor, d. Marey 1875. p. 1.\n3\tValentin, Lehrb. d. Physiol. 2. Aufl. I. S. 791. Braunschweig 1847.\n4\tWertheim, a. a. O. XXI. S. 385.","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Bedeutung der Muskelelasticit\u00e4t, Coh\u00e4sion. Zusammenzieliung.\n13\n\tSubstanz\t<D n \u00d6\t| Alter. .Tabre ||\t<D CD m\tDebnungsformel\tElast.-Co\u00ebff. in Kilo\to\tBeobachter\n\tMuse, sartorius . . .\tW.\t41\t\t\t\t0,1296\tValentin\n\tSehne d. Plantaris .\tW.\t41\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t2,264\t\no\tMuse, sartorius . . .\tM.\t1\t1,071\tif- = 607700a;1 2 + 13832a:\t1,271\t0,070\tWertheim\n\u00d6 *\tJ3\t33\t...\tW.\t21\t1,049\ty*= 1351875a:2-)- 8219a:\t0,857\t0,040\t3?\nCD \u00a7\t33\t33\t...\tM.\t30\t1,058\t?/2 = 7960000a:2-)- 38860a:\t0,352\t0,026\t3?\n\t5?\t55\t...\tM.\t74\t1,045\tt/2= 14549333a:2-)-23863a:\t0,261\t0,017\t33\n\tlebend, Armbeuger .\tM.\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0,069\t\u2014\tv.Mansvelt-\n\tMuse, sternomastoid. unmittelb.n. d. Tode\t\t\t1,060\t\t1,425\t0,124\tWertheim\n\u00d6 ,\t5 Tage sp\u00e4ter ....\t\u2014\t\u2014\t1,059\t\u2014\t1,234\t0,086\t33\n\tSehne, unmittelb. n. d. Tode\t\t\t\t1,136\t\t_\t5,061\t\n\tA Tage sp\u00e4ter ....\t\u2014\t\u2014\t1,132\t\u2014\t166,969\t6,001\t33\nFroschmuskel, lebend .\t\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0,094\t1\u2014\tW\u00fcNDT\n\t\u201e\ttodt . . .\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0,157\t\u2014\t55\nZWEITES CAPITEL.\nDie Zusammenziehung' des Muskels.\nDie wesentlichste Eigenschaft der Muskeln besteht darin, dass sie jeden Augenblick sich durch innere Kr\u00e4fte in der Richtung ihrer Faserung mit einer gewissen Energie verk\u00fcrzen k\u00f6nnen. Die Einfl\u00fcsse, welche diese Form Ver\u00e4nderung hervorrufen, und welche im n\u00e4chsten Abschnitt er\u00f6rtert werden, nennt man Reize.\nI. Die Form Ver\u00e4nderung im Allgemeinen.\nDie Verk\u00fcrzung des Muskels in der Richtung der Fasern ist stets mit einer entsprechenden Vergr\u00f6sserung des Querschnitts verbunden, so dass das Volum ann\u00e4hernd dasselbe bleibt.\nGenau ist jedoch letzteres nicht der Fall. Die Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand sind schon sehr alt; Borelli, Glisson, Swammerdam u. A. besch\u00e4ftigten sich mit demselben, ihre Versuche\n1\td. h. das zur Zerreissung n\u00f6thige Gewicht in Kilo, pro \u25a1 mm. Querschnitt.\n2\tDiese Zahl habe ich aus den Angaben van Mansvelt\u2019s berechnet, dass die Armbeuger, bei zusammen 1596 \u25a1 mm. Querschnitt, sich pro Kilo Last um 0,009 (0,00836\u20140,00941) ihrer L\u00e4nge dehnen; sie weicht von Wertheim\u2019s Werthen betr\u00e4chtlich ab.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nsind aber unzureichend.1 Erman beobachtete zuerst nach einer zweckm\u00e4ssigen Methode, dass das Volum sich bei der Contraction ein wenig verkleinert2; er schloss ein etwa 12 cm. langes St\u00fcck Aalschwanz in einen mit Wasser vollst\u00e4ndig gef\u00fcllten Cylinder ein, dessen Kork von einer engen Capillarr\u00f6hre und zwei Leitungsdr\u00e4hten durchbohrt war; das Wasser stand bis in das Capillarrohr. Bei jeder Reizung sank es ein wenig. Um den (von J. M\u00fcller 3 ge\u00e4usserten) Verdacht zu beseitigen, dass die Verdichtung nicht von den Muskeln, sondern von Compression der in den Gef\u00e4ssen eingeschlossenen Luft herr\u00fchrt, wiederholten Marchand4 und Ed. Weber 5 den Versuch so, dass sie das Thier unter ausgekochtem Wasser schlachteten und das Gef\u00e4ss vor vollst\u00e4ndiger Auff\u00fcllung ins Vacuum brachten. Auch so zeigte sich eine Verdichtung, die aber Marchand noch immer von geringen Luftmengen ableiten zu m\u00fcssen glaubte, weil jede neue Evacuirung die Verdichtung verminderte. Weber erkl\u00e4rt letzteres aus dem allm\u00e4hlichen Absterben, und h\u00e4lt Gegenwart von Luft bei dem angewandten Verfahren f\u00fcr ganz unm\u00f6glich. Schiff 6 dagegen macht auf die M\u00f6glichkeit aufmerksam, dass der contrahirte Muskel Blut in die Knochenh\u00f6hlen eintreibe, welche letzteren er demnach auch im unter Wasser get\u00f6dteten Thiere als gashaltig ansieht. Dieser Meinung schliesst sich Harless7 an; er brachte Wasser und Stein\u00f6l in zwei communicirende R\u00f6hren, so dass die Grenze im untersten sehr engen Verbindungsst\u00fcck des Systems war; in das Wasser waren Muskeln getaucht, bei deren Tetanisirung die Grenze sich nur dann im Sinne einer Volumabnahme verschob, wenn die Muskeln noch mit den Knochen in Verbindung waren (die Methode scheint \u00fcbrigens weniger exact als die Erman-WEBER\u2019scke ; die Volum\u00e4nderung wirkt nicht einmal in voller Gr\u00f6sse verschiebend).8 K\u00fchne 9 befestigte\n1\tHaller (Elementa physiologiae IY. p. 477. Lausanne 1762) gibt eine Ueber-sicht dieser Bem\u00fchungen; sie bestanden meist darin, dass menschliche Glieder in einem mit Wasser gef\u00fcllten Gef\u00e4ss contrahirt wurden; Swammerdam schloss ein lufthaltiges Froschherz in Wasser ein. Dass die so beobachteten betr\u00e4chtlichen Volumabnahmen im ersten Falle auf Verdr\u00e4ngung von Blut, im zweiten auf Compression der Luft zu beziehen sind, liegt auf der Hand.\n2\tErman, G\u00fcbert\u2019s Ann. d. Physik XL. S. 13. 1812.\n3\tJoh. M\u00fcller, Handb. d. Physiol. II. S. 40. Coblenz 1837.\n4\tMarchand, bei Weber, a. a. O.\n5\tEd. Weber, a. a. O. S. 53; er wandte Milch statt Wasser an, als indifferentere Fl\u00fcssigkeit.\n6\tSchief, Lehrb. d. Muskel- und Nervenphysiologie S. 30. Lahr 1858\u201459.\n7\tHarless, Sitzungsber. d. bayr. Akad. 1860. S. 131.\n8\tIn einer sp\u00e4teren Arbeit glaubt Harless (Sitzungsber. d. bayr. Akad. 1861.1. S. 67) nach einer ebenso umst\u00e4ndlichen und ebenso wenig beweisenden Methode doch eine Volumverminderung gefunden zu haben; eiim Kritik dieses letzteren Versuches siehe bei du Bois-Reymond , Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 605. (Ges. Abh. II. S. 472.)\n9\tK\u00fchne, Myologische Untersuchungen S. 224. Leipzig 1860.","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Formver\u00e4nderang im Allgemeinen. Verhalten des Volums.\n15\nMuskeln an einem sehr feinen, in verd\u00fcnnter Salz- oder Zuckerl\u00f6sung schwimmenden Ar\u00e4ometer, und sah dasselbe beim Tetanus nicht sinken. Ein positives Resultat erhielt dagegen Valentin1; er tetani-sirte Murmelthiermuskeln, welche an einer hydrostatischen Wage hingen und in verd\u00fcnnte Eiweissl\u00f6sung untertauchten, und beobachtete, dass ihre Dichte im Tetanus bis um lJnio zunahm. Wenn in-dess die Volumabnahme einzelner Muskeln beim EnMAN\u2019schen Verfahren den Verdacht eingeschlossener Luftblasen zul\u00e4sst, so gilt dieser auch f\u00fcr den VALENTiN\u2019schen Versuch. \u2014 Sollten die Versuche \u00fcber die Volumabnahme, was sehr w\u00fcnschenswerth w\u00e4re, wiederholt werden, so w\u00fcrde sich empfehlen, zugleich mit geeigneter Einrichtung des Apparats nachzusehen, welcher Grad von Compression dazu geh\u00f6rt, um eine gleiche Volumverminderung zu erzielen, wie sie die Contraction macht ; w\u00e4re hierzu ein hoher Druck erforderlich, so w\u00e4re der Verdacht der Luftblasen ausgeschlossen; gen\u00fcgt niederer Druck, so bleibt er zun\u00e4chst bestehen. Einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit w\u00fcrde die physiologische Volumabnahme durch die analoge Erscheinung bei der Erstarrung erhalten (s. das 6. Capitel), wenn nicht letztere \u00e4hnliche Einw\u00e4nde zuliesse.\nDie Gestaltver\u00e4nderung des Muskels ergiebt sich aus derjenigen seiner einzelnen Fasern. Sind dieselben parallel und zu einem cy-lindrischen K\u00f6rper vereinigt, so verk\u00fcrzt sich der Cylinder um so viel wie eine einzelne Faser, und verdickt sich um so viel wie die Summe der Verdickungen aller Fasern betr\u00e4gt. Verwickeltere F\u00e4lle treten ein, wenn die Fasern des Muskels nicht parallel sind; die Ableitung der resultirenden Gestalt\u00e4nderung des Muskels aus der seiner einzelnen Fasern kann hier ziemliche Schwierigkeiten darbieten. Die Principien, nach denen solche F\u00e4lle behandelt werden, sind Gegenstand der speciellen Bewegungslehre.\nII. Microscopisclie Erscheinungsweise der Zusanimenzielmng.\nUm Muskelfasern im erregbaren Zustande unter das Mircoscop zu bringen, w\u00e4hlt man solche Muskeln, die so gut wie keine Pr\u00e4paration erfordern, am besten d\u00fcnne Muskeln vom Frosch oder von Insecten. Zur Erregung dient der von Ed. Weber2 erfundene Objecttr\u00e4ger mit aufgeklebten Stanniolplatten, welche als Electroden dienen und zwischen sich nur soviel Raum lassen, dass das kleine Object die L\u00fccke \u00fcberbr\u00fccken kann. Alle sp\u00e4ter an dieser Vorrichtung angebrachten Modificationen\n1\tValentin, Molesch. Unters. X. S. 265. 1866.\n2\tWeber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Pbysiol. III. 2. S. 62.1846.","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16 Hermann, Allg. Mnskelphysik. 2. Cap. Zusammenstellung des Muskels.\nsind unwesentlich. Neuerdings hat man nach Flogel\u2019s Vorgang (Cit\u00e2t s. unten) mit grossem Vortheil die Methode angewandt, Muskeln, w\u00e4hrend Contractionswellen \u00fcber sie abliefen, pl\u00f6tzlich zu t\u00f6dten, und so in einzelnen Fasern die Welle gleichsam zu fixiren; man hat dann alle Stadien der Contraction in der Faser neben einander. Freilich \u00e4ndert der ab-t\u00f6dtende Vorgang an sich manches, so dass die so gewonnenen Resultate stets durch Beobachtung an lebenden Fasern zu controliren sind.\nSehr lange Zeit war die v\u00f6llig irrth\u00fcmliche Meinung verbreitet, dass die Muskelfasern bei der Reizung sich dadurch verk\u00fcrzen, dass sie sich im Zickzack kr\u00fcmmen, Verheyen, Winslow, Hales, Prochasca 1 vertraten diese Angabe, und ganz besonders trug eine Untersuchung von Pr\u00e9vost & Dumas1 2 zur Befestigung derselben bei. Sie fanden die Abnahme der Faserl\u00e4nge den Knickungen entsprechend, und gr\u00fcndeten auf die vermeintliche Zickzackbiegung eine Theorie des Contractionsvorganges (s. das 9. Capitel), deren Unhaltbarkeit freilich leicht zu erkennen war; jene Lehre blieb, trotzdem ihr Fodera schon 1803 widersprochen, und Rudolphi, Owen, Allen Thompson abweichende Beobachtungen-gemacht hatten, unter Zustimmung von Rudolph Wagner, Gerber, Bruns, Henle und Valentin3 bestehen, bis ihr Bowman4 und Ed. Weber (a. a. 0.) ein entschiedenes Ende bereiteten, indem sie den Grund des Irrthums vollst\u00e4ndig aufkl\u00e4rten. Bei Reizung der Fasern auf dem Objecttr\u00e4ger verk\u00fcrzen sich die Fasern und verschieben sich in Folge dessen auf ihrer Unterlage. Beim Aufh\u00f6ren der Reizung nehmen die Fasern ihre alte L\u00e4nge an ; da aber eine streckende Kraft vollst\u00e4ndig fehlt, so m\u00fcssen sie nothwendig eine zickzackf\u00f6rmige Kr\u00fcmmung annehmen. Die fr\u00fcheren Beobachter hatten also den Erschlaffungszustand nach der Contraction mit der Contraction selber verwechselt; was zum Theil sehr erkl\u00e4rlich ist, da z. B. die Erregung bei Pr\u00e9vost & Dumas durch einen constanten Strom erfolgte, und nicht beachtet wurde, dass derselbe nur eine Schliessungszuckung bewirkt, also der anhaltend beobachtete Muskel l\u00e4ngst wieder erschlafft war. Weber, der zum ersten Male sich tetanisirender Inductionsstr\u00f6me bediente, wurde es leicht, den wahren Sachverhalt zu erkennen. Wo w\u00e4hrend der Contraction zickzackf\u00f6rmige Kr\u00fcmmung vorkommt, was ohne Zweifel von Pr\u00e9vost & Dumas ebenfalls beobachtet ist, betrifft sie stets solche Fasern, die an der Erregung nicht Theil nehmen, und\n1\tDie Stellen sind von AVeber, a. a. 0. S. 55, citirt.\n2\tPr\u00e9vost & Dumas, Magendie\u2019s Journ. d. physiol, exp\u00e9r. et pathol. III. p. 301, 339.1823.\n3\tAlle bez\u00fcglichen Literaturangaben s. bei AVeber, a. a. 0. S. 60, 61.\n4\tBowman, Phil. Transact. 1840. II. p. 457.","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Microscopische Erscheinungsweise der Contraction.\t17\nnur passiv verk\u00fcrzt werden.1 2 Zickzackf\u00f6rmig gekr\u00fcmmte Fasern strecken sich bei der Contraction.\nNeben der Verk\u00fcrzung, welche man unter dem Microscop an der Verschiebung, oder wenn Kr\u00fcmmungen vorhanden waren, an deren Verschwinden erkennt, bemerkt man eine Verdickung (Verbreiterung) der Fasern. Dieselbe wird besonders deutlich, wenn die Contraction wellenf\u00f6rmig \u00fcber die Faser abl\u00e4uft, ein Vorgang, von welchem weiterhin die Rede sein wird. Ferner bemerkt man eine gegenseitige Ann\u00e4herung der Querstreifen, welche, wie es scheint, Bowman (a. a. 0.) zuerst beobachtet hat. Er zog daraus den Schluss, dass die Contraction auf einer Verk\u00fcrzung der kleinsten Theile des Muskels beruht. Weber bemerkt mit Recht, es sei selbstverst\u00e4ndlich, dass an einem sich verk\u00fcrzenden oder verl\u00e4ngernden K\u00f6rper auch der Abstand der einzelnen Theile sich \u00e4ndert, wie bei einem mit Querstreifen bemalten Kautschukstrang, den man dehnt und nach-l\u00e4sst; und in der That nimmt der Abstand der Querstreifen umgekehrt durch Dehnung zu, und bleibt unver\u00e4ndert, wenn der Muskel durch Befestigung an der Contraction gehindert ist; dass aber, wie Bowman meinte, die Verk\u00fcrzung auf dem D\u00fcnnerwerden einzelner constituirender Elemente, wie Bowman\u2019s discs, beruhe, w\u00e4hrend die Zwischensubstanz unver\u00e4ndert bliebe, kann nat\u00fcrlich aus blosser Ann\u00e4herung der Querstreifen nicht geschlossen werden.\nEine eigent\u00fcmliche Art, das Engerwerden der Querstreifung zu beobachten, hat neuerdings Ranvier 2 angegeben. Er beobachtete n\u00e4mlich die Interferenzspectra, welche die Querstreifung nach Art eines Nobert-sehen Gitters hervorbringt; diese Spectra werden durch Dehnung des Muskels schmaler, durch Contraction breiter, ein Beweis, dass im ersten Falle das Gitter weiter, im zweiten enger wird. Ranvier hat das Muskel-spectrum sogar zur Construction eines \u201e Myospectroscops \u201c behufs Untersuchung der Absorptionsspectra von Blut u. s. w. zu verwerten gesucht, was wohl nur die Bedeutung einer Curiosit\u00e4t hat.\nUm den letzterw\u00e4hnten Punct im Wesentlichen drehen sich nun im Grunde alle sp\u00e4teren microscopischen Untersuchungen \u00fcber die Contraction. Es fragt sich, ob die Verk\u00fcrzung an kleinsten optisch differenzirten Elementen des Muskels zu sehen ist, und in welcher Weise. Diese Fragen h\u00e4ngen nat\u00fcrlich auf das innigste mit dem anatomischen Problem zusammen, welches diese Elemente sind, ein Gegenstand, auf welchen in diesem Werke nur soweit eingegangen\n1\tVgl. auch Br\u00fccke, a. unten a. 0. S. 15.1858.\n2\tRanvier, Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1874. p. 774; Technisches Lehr' buch der Histologie, \u00fcbersetzt von Nicati & v. Wyss, S. 484. Leipzig 1877.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nwerden kann, als zur Er\u00f6rterung des Contractionsvorganges unumg\u00e4nglich n\u00f6thig ist.\nDie Hauptschwierigkeit dieses Gebietes ist, zu entscheiden, was von den im Muskelinhalt sichtbaren Linien auf wirklichen Substanz-differenzirungen und was auf rein optischen Erscheinungen (Reflexe, Beugungserscheinungen u. dgl.) beruht, und zweitens, wie viel von den wirklichen Substanzdifferenzirungen dem lebenden Muskel zukommt, und wie viel etwa auf Wirkungen der angewandten chemischen Htilfsmittel oder des blossen Absterbens, welches nachweislich mit Gerinnungen verbunden ist (vgl. das 6. Capitel), zu beziehen sei. In letzterer Beziehung ist anscheinend die Beobachtung lebender, erregbarer Muskelfasern von entscheidender Bedeutung, aber es darf doch nicht tibersehen werden, dass mit Ausnahme des Falles, wo lebende Thiere von gen\u00fcgender Kleinheit und Durchsichtigkeit zur Beobachtung kommen, die f\u00fcr das Microscop pr\u00e4parirte Muskelfaser meist im Absterben schon weit vorgeschritten ist, wenn sie auch ihre Erregbarkeit noch nicht v\u00f6llig verloren hat.1 Die vorliegenden Beobachtungen an lebenden Thieren aber sind wohl nur f\u00fcr Eine Frage bis jetzt zu verwenden. Sie stellen n\u00e4mlich das sicher, dass die Querstreifung einem pr\u00e4existirenden Structurverh\u00e4ltniss und nicht etwa, wie zuweilen vermuthet worden ist, einer erst beim Absterben oder der Erregung eintretenden Differenzirung ihr Dasein verdankt. Wenigstens werden wir dies im Folgenden als ausgemacht ansehen.\nDurch Bowman\u2019s und Br\u00fccke\u2019s Untersuchungen ist festgestellt, dass fast bei allen Behandlungsweisen des Muskels der Faserinhalt nach L\u00e4ngs- und Querrichtung gegliedert erscheint, durch eine regelm\u00e4ssige Anordnung doppeltbrechender Elemente in einer einfachbrechenden Grundsubstanz. W\u00e4hrend aber nach fast allen Untersuchern die queren Abtheilungen pr\u00e4existiren und schon am lebenden Muskel in der Querstreifung ihren Ausdruck finden, erkl\u00e4ren Manche die L\u00e4ngszerkl\u00fcftung als eine Folge postmortaler Ver\u00e4nderungen oder Einwirkung von Reagentien. Sehr regelm\u00e4ssig zeigt ferner die doppeltbrechende Schicht noch einen mittleren Streifen, und viele Beobachter behaupten auch in der isotropen Schicht noch eine oder mehrere quere Begrenzungen (zuerst von Br\u00fccke abgebildet). Die Deutungen und Benennungen dieser Befunde sind in den bez\u00fcglichen Arbeiten so verschieden und theilweise einander so direct widersprechend, dass ich es, besonders unter dem unmittelbaren Eindruck\n1 Schon der ausgeschnittene, gar nicht weiter verletzte Muskel zeigt abnorme Erscheinungen; namentlich ist nachgewiesen, dass er die Erregungswelle bei weitem unvollkommener fortpflanzt als in der Norm; vgl. hier\u00fcber das 8. Capitel.","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Optische Eigenschaften der Muskelfasern.\n19\nnochmaligen Studiums dieser Arbeiten, vermessen finden w\u00fcrde, in einem rein physiologischen Werk diesen selbst von den Anatomen gef\u00fcrchteten Gegenstand ausf\u00fchrlich darstellen zu wollen.1 Im Folgenden sind daher nur diejenigen Angaben ber\u00fccksichtigt, welche zur microscopischen Erscheinungsweise der Contraction in unmittelbarer Beziehung stehen.\nDie doppeltbrechende Eigenschaft der Muskeln wurde 1839 von Boeck2 entdeckt, aber erst von Br\u00fccke3 1857 genauer untersucht. Zwischen gekreuzten Nicols betrachtet zeigen sich an den im g\u00fcnstigsten Azimuth (45\u00b0 gegen beide Polarisationsebenen) liegenden Fasern nur die BowMAN\u2019scben Sarcous elements hell, die Zwischensubstanz dunkel, erstere sind also anisotrop, letztere isotrop. Besonders sch\u00f6n erscheint die Doppelbrechung, wenn das Gesichtsfeld durch eine Glimmer- oder Gypsplatte von geeigneter Dicke in der Teinte de passage gef\u00e4rbt ist, die anisotropen Theile erscheinen dann je nach Lage der Faser intensiv gelb oder blau. Die Axe liegt in der Richtung der Fasern. An Querschnitten zeigt sich, wenn die Sarcous elements genau senkrecht zur Ebene des Objecttischs liegen, kein Einfluss des Azimuths auf die Farbe, die anisotropen Gebilde sind also einaxig. Dass sie positiv sind, fand Br\u00fccke mittels verschiebbarer Quarzkeile; jede Muskelfaser wirkt wie die Verdickung eines Quarzkeils, dessen Axe sie parallel liegt, ist also positiv wie der Quarz.\nDie wesentlichsten Angaben der neueren Untersucher, besonders W. Krause 4, Hensen 5, Fl\u00f6gel 6 7 8, Merkel \", Engelmann s, sind folgende: Der Muskelinhalt besteht nicht einfach aus abwechselnden isotropen und anisotropen Schichten, sondern ist durch Quermem-\n1\tSelbst in dem grossen Handbuch der Lehre von den Geweben, herausgegeben von Stricker, Leipzig 1871\u201472, fand sich f\u00fcr diesen Gegenstand kein Bearbeiter. Die Verwirrung hat aber seit jener Zeit nicht abgenommen.\n2\tBoeck, Verh. d. skandin. Naturforschervers. in G\u00f6theborg 1839. S. 107, und in Kopenhagen 1840. S. 303. (Bericht von Hannover, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1844. S. 1.)\n3\tBr\u00fccke. Untersuchungen \u00fcber den Bau der Muskelfasern mit H\u00fclfe des pola-risirtenLichtes. Wien 1858 (aus dem XV. Bande der Denkschriften d. Wiener Acad.) ; vgl. auch Strieker\u2019s Handb. d. Lehre von den Geweben. I. S. 170.\n4\tW. Krause, G\u00f6ttinger Nachrichten 1868. Nr. 17; Ztschr. f. rat. Med. (3) XXXIII. S. 265. 1868; XXXIV. S. 110.1869; Die motorischen Endplatten der quergestreiften Muskelfasern. Hannover 1869; Ztschr. f. Biologie V. S. 411. 1869; VI. S. 453. 1870; VIL S. 104. 1871 ; Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 508. 1873; vgl. auch Kaufmann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1874. S. 273.\n5\tPensen . Arbeiten aus Ilern Kieler physiologischen Institut 1868. S. 1, 172. Kiel 1869.\n6\tFl\u00f6gel, Arch. f. microscop. Anat. VIII. S. 69. 1871.\n7\tMerkel, Arch. f. microscop. Anat. VIII. S. 244. 1872; im Wesentlichen best\u00e4tigt von Sachs, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1872. S. 607.\n8\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 33, 155. 1873.","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20 Hermann. Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nbranen in Querf\u00e4cher getheilt, deren Mitte die Hauptmasse der anisotropen Substanz einnimmt. Diese anisotrope Hauptmasse zeigt aber in der Mitte noch eine hellere Querschicht (\u201eMittelscheibe\u201c) und wird durch diese in zwei \u201e Querscheiben \u201c zerlegt. Etwas anisotrope Substanz (nach Engelmann nur schwach doppeltbrechend) findet sich auch an jedem Ende des Muskelfachs, der Quermembran anliegend, als \u201eNebenscheibe\u201c oder \u201eEndscheibe\u201c. Die zwei F\u00e4cher trennende Membran heisst auch \u201eZwischenscheibe\u201c (Engelmann) oder \u201eKittsubstanz zwischen den zwei angrenzenden Endscheiben\u201c (Merkel) und die Quermembran sammt den anliegenden Theilen der anisotropen Substanz auch \u201eGrundmembran\u201c. Endlich nehmen Krause, Merkel u. A. noch ein System longitudinaler Scheidew\u00e4nde an, welches jedes Muskelfach demnach in eine grosse Anzahl \u201eMuskelk\u00e4stchen \u201c theilt ; der Inhalt eines solchen w\u00fcrde nat\u00fcrlich alle Theile des Querfachs repr\u00e4sentiren, und seine anisotrope Masse einem Sar-cous element entsprechen. Engelmann erkl\u00e4rt jede longitudinale Gliederung, also auch die Sarcous elements selbst, f\u00fcr Wirkung des Ab Sterbens.\nDie Figur 4 stellt die neueren Angaben der Histologen schematisch dar. Das weiss Gelassene ist isotrope, das Scliraffirte anisotrope Substanz. Die isotrope Substanz der fr\u00fcheren Autoren erstreckt sich von a bis b.\nQuermembran\n? Neben- oder Endscheibe (schwach anisotrop).\nMuskel fach J Mittelscheibe B88B\u00a7B ttuertcheibe l anisotrope Hauptsubstanz. I\ta \u00abM\u00c88\u00ca\u00ca\u00ca\u00ca\u00cb\u00e9\u00cai\u00c8\u00ca\u00ca\u00ca\\ Querscheibe J\nggssgyg&jgggg Neben- oder Endscheibe.\n3 Neben- oder Endscheibe,\n(Zwisdienscheibe, Kittsubstanz) Quermembran\nFig. 4. Schema des Muskelbaues nach neueren Histologen (das weiss Gelassene isotrop).\nF\u00fcr die Physiologie der Contraction ist vor Allem .der Ag-gr egatzustand des lebendigen Muskelinhalts zu entscheiden. Die Untersuchung abgestorbener Fasern ist in dieser Hinsicht um so weniger massgebend, als eine Ver\u00e4nderung des Aggregatzustandes bei der Todtenstarre direct nachgewiesen ist. Da diese Gerinnung (vgl. das 6. Capitel) im ausgepressten Safte auftritt, so ist hierdurch mit aller Sicherheit bewiesen, dass der Muskel einen fl\u00fcssigen Be-standtheil von physiologischer Bedeutung enth\u00e4lt, und es fragt sich nur, ob derselbe dem Inhalt der Sarcolemmschl\u00e4uche oder den Saftr\u00e4umen des interstitiellen Gewebes angeh\u00f6rt. Ersteres ist schon deshalb ungemein viel wahrscheinlicher, weil das interstitielle Gewebe so ziemlich in allen Organen gleiche Beschaffenheit hat, und doch nur aus dem Muskel ein gerinnbarer Presssaft erhalten werden kann.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Aggregatzust\u00e4nde des Faserinhalts.\n21\nWie besonders K\u00fchne l, der erste Darsteller dieses Presssaftes, hervorgehoben hat, macht ferner die microscopische Beobachtung lebender Fasern, ihr Verhalten gegen\u00fcber einem vor\u00fcbergehenden Drucke u. dgl., unmittelbar den Eindruck einer fl\u00fcssigen Beschaffenheit des Faserinhalts.\nV\u00f6llig entscheidend aber ist die wenn auch nur einmalige Beobachtung des gleichen Autors 2, n\u00e4mlich das Herumschwimmen einer lebenden Nematode (von Eberth als Myoryctes Weismanni bezeichnet) im Innern einer lebenden Muskelfaser. Da die Querstreifung vor dem Thiere auswich und hinter ihm wieder zusammenschlug, so kann von einem Zweifel, ob dasselbe wirklich im Faserinhalte sich bewegte, nicht die Bede sein, und die Fl\u00fcssigkeit ist so sicher bewiesen, wie man \u00fcberhaupt einer Beobachtung Glauben schenken kann. Beim Erstarren nahm der Widerstand gegen die Bewegung zu und wurde endlich un\u00fcberwindlich. Die gleiche Beobachtung machte ziemlich gleichzeitig auch Eberth3, ohne sie indess zu einem Urtheil \u00fcber die Beschaffenheit des Faserinhalts zu verwerthen; augenscheinlich war die Bewegung in seinem Falle weniger lebhaft, vielleicht der Muskel der Starre n\u00e4her, so dass Eberth von einer Bewegung zwischen den Fibrillen hindurch spricht.\nMan muss nach diesen Thatsachen annehmen, dass die anisotropen Elemente in einer fl\u00fcssigen Zwischensubstanz regelm\u00e4ssig angeordnet sind, so unverst\u00e4ndlich auch die Erhaltung dieser Anordnung sein mag; den anisotropen Elementen selbst aber muss man, eben wegen dieser optischen Eigenschaft, festen Aggregatzustand zuschreiben; in ihnen sind daher auch weitere Differenzirungen, z. B. eine sog. Mittelscheibe, wohl als pr\u00e4existirend denkbar. Dagegen ist die Nichtpr\u00e4existenz aller membran\u00f6sen Scheidew\u00e4nde, welche den Muskel in F\u00e4cher u. dgl. theilen sollen, mit dem Nachweis einer continuirlichen Fl\u00fcssigkeit im Muskelinhalt entschieden4; wenn also in der isotropen Grundsubstanz noch weitere Differenzirungen pr\u00e4-existiren, so m\u00fcssen sie ebenfalls suspendirten K\u00f6rpern angeh\u00f6ren. In dem hier vorliegenden Streite der Meinungen ist nur Eine Entscheidung m\u00f6glich; Gebilde, welche mit noch so grosser Sicherheit als vorhanden nachgewiesen sind, sind deshalb noch keineswegs als\n1\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 806.\n2\tK\u00fchne, Arch. f. pathol. Anat. XXVI. S. 222.1863; K\u00fchne konnte das Ph\u00e4no-\nmen einigen Andern zeigen.\n3\tEberth, Ztschr. f. wissensch. Zool. XII. S. 530.1863.\n4\tMt Recht macht Br\u00fccke (Vorlesungen \u00fcber Physiologie. 2. Aufl. I. S. 471. Wien 1875) darauf aufmerksam, welchen Widerstand ein Muskel, der von einem solchen Scheidewandsystem durchzogen ist, formver\u00e4ndernden Kr\u00e4ften leisten m\u00fcsste.","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\npr\u00e4existirend erwiesen; die Bestreitung der Pr\u00e4existenz ist kein Widerspruch gegen ein thats\u00e4chliches Zeugniss; wohl aber w\u00e4re es ein solcher, wenn man das Dasein einer continuirlichen Fl\u00fcssigkeit bestreiten wollte, weil nur Einer die gl\u00fcckliche Gelegenheit hatte, sie direct zu sehen.\nWelches ist nun, bei dieser Verkeilung der Aggregatzust\u00e4nde, das eigentlich contractile Element? Eine Fl\u00fcssigkeit kann nie durch innere Kr\u00e4fte ihre Gestalt \u00e4ndern, sie m\u00fcsste denn zugleich fest werden. Die directe Beobachtung spricht auch in der That daf\u00fcr, dass die Sarcous elements selbst bei der Contraction ihre Form \u00e4ndern, dass sie sich verk\u00fcrzen und verdicken. Bowman und Br\u00fccke schlossen dies aus dem Engerwerden der Querstreifung; directere Beobachtungen aus neuerer Zeit, zum Theil complicirtere Gestaltver\u00e4nderungen betreffend, welche die Activit\u00e4t der Ver\u00e4nderung sichern \\ liegen von s\u00e4mmtlichen oben genannten neueren Untersuchern der Muskelstructur vor, freilich in den Details ungemein von einander abweichend. Bei den doppeltbrechenden Eigenschaften der Sarcous elements ist active Formver\u00e4nderung derselben von grosser theoretischer Bedeutung, wie im 9. Capitel er\u00f6rtert werden wTird.\nDie neueren detaillirten Angaben \u00fcber das Verhalten der queren Muskelschichten bei der Contraction wurden namentlich durch die Arbeiten von Fl\u00f6gel und Merkel er\u00f6ffnet (a. a. 0.). Merkel unterscheidet bei der Contraction zwei Stadien: a) Stadium der Aufl\u00f6sung (gleichzeitig auch von Fl\u00f6gel und schon vorher von Montgomery1 2 gesehen) : die der Mittelscheibe anliegenden beiden Schichten eontraetiler Substanz (Endscheiben) l\u00f6sen sich gleichsam auf, so dass die Mittelscheibe nackt zur\u00fcckbleibt und der Faserinhalt nahezu homogen, ohne Querstreifung erscheint; b) Stadium der Umkehrung: auf der H\u00f6he der Contraction scheidet sich die von der Mitte abgel\u00f6ste Substanz an den beiden Endscheiben ab, so dass der Querstreif von der Mitte des Muskelfachs in zwei H\u00e4lften an dessen beide Enden verlagert ist.\nEine noch eingehendere Beschreibung der Ver\u00e4nderungen bei der Contraction hat Engelmann3 geliefert. Von den beiden wesent-\n1\tDa n\u00e4mlich die Querstreifung durch Dehnung des Muskels weiter, die Sarcous elements l\u00e4nger werden, so ist die blosse Ver\u00e4nderung in L\u00e4nge und Dicke noch kein Beweis f\u00fcr active FormVer\u00e4nderung, worauf schon Weber aufmerksam gemacht hat (s. oben).\n2\tMontgomery, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1870. S. 161,\n3\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. VH. S. 33,155. 1S73; XI. S. 432. 1875; XVIII. S. 1. 1878; vgl. auch 0. Nasse, ebendaselbst XVII. S. 382. 1878.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Optische Erscheinungen hei der Contraction.\t23\nliehen Querschichten des Muskels ist nach ihm ganz deutlich die anisotrope die sich activ contrahirende ; besonders sicher wird dies dadurch, dass sie bei starker Contraction das Sarcolemm an ihrem Rand convex vorw\u00f6lbt (so dass dasselbe gekerbt erscheint), indem sie sich st\u00e4rker als die isotrope verdickt. Ferner behauptet Engelmann, dass die Verk\u00fcrzung der anisotropen Schicht schw\u00e4cher ist als die der isotropen, also das Volum ersterer auf Kosten der zweiten zunimmt, die Summe beider Volumina bleibt nat\u00fcrlich ann\u00e4hernd constant; er schliesst hieraus, dass eine Quellung der anisotropen Schicht (mit Ausnahme der Mittelscheibe) auf Kosten der isotropen das Wesen der Contraction ausmacht; hierf\u00fcr spreche auch, dass erstere bei der Contraction heller und weicher, letztere dunkler werde. Dass letztere an der activen Contraction sich gar nicht betheiligt, ist freilich durch Engelmann\u2019s Beobachtungen nicht erwiesen, sondern nur dass die anisotrope die haupts\u00e4chliche active Ver\u00e4nderung eingeht. Die isotrope Substanz bezeichnet Engelmann als lediglich gleich dem Nerven erregbar und erregungsleitend. Wichtig ist die Aufkl\u00e4rung, welche dieser Autor neuerdings \u00fcber die beiden MERKEL\u2019schen Stadien giebt ; das Aufl\u00f6sungsstadium entsteht nicht durch Verschwinden der Querscheiben, sondern nur durch Hellerwerden derselben, w\u00e4hrend die Nebenscheiben dunkler werden, so dass zu einer gewissen Zeit beide Schichten gleich hell erscheinen. Indem diese Ver\u00e4nderung in gleichem Sinne weitergeht, entsteht auf der H\u00f6he der Contraction das Stadium der Umkehrung. Zwischen gekreuzten Nicols sieht man, dass die Substanzen keineswegs ihre Stelle vertauschen ; sie \u00e4ndern nur in schon angegebenerWeise ihre Gr\u00f6sse und Gestalt; die Querstreifung bleibt also bei Untersuchung im polarisirten Lichte vollkommen bestehen. Zum Aufl\u00f6sungsstadium muss nach Engelmann die Verk\u00fcrzung nahezu 50 pCt., zum Umkehrstadium \u00fcber 50 pCt. betragen. Die theoretische Deutung, welche Engelmann diesen Erscheinungen giebt, s. im 9. Capitel.\nIII. Die Zuckung.\n1. Der normale zeitliche Verlauf der Zuckung.\nDie rasch vor\u00fcbergehende Contraction, welche ein einziger momentaner Reizstoss im Muskel ausl\u00f6st, bezeichnet man als Zuckung. Ihren zeitlichen Ablauf hat Helmholtz 1 in einer classischen Arbeit festgestellt, welche neben den Arbeiten Ed. Weber\u2019s \u00fcber die Con-\n1 Helmholtz. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1850. S. 276; 1852. S. 199.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\ntraction und du Bois-Reymond\u2019s \u00fcber den Muskel- und Nervenstrom als die Begr\u00fcnderin einer exacten Physiologie der Elementarorgane zu betrachten ist.\nFig. 5. L\u00e4ngsschnitt durch den Haupttheil des HELMHOLTz\u2019schen Myographions. Fig. 6. Das Reizhrett von oben gesehen.\nFig. 7. Der Schreib hebet von oben gesehen.\nDie Aufgabe wurde auf zwei Wegen gel\u00f6st: graphisch und durch galvanische Zeitmessung.\nZur graphischen Darstellung der Zuckung construire Helmholtz sein Myographion, einen schnell um eine verticale Axe rotiren-","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Die Zuckung. Myographion von Helmholtz.\n25\nden Cylinder, anf dessen Mantel ein am unteren Muskelende h\u00e4ngender Schreibstift schrieb.\nFig. 5 stellt einen Durchschnitt durch den Haupttheil des Helm-HOLTz\u2019schen Myographions dar. Der Schreibcylinder C hat einen Mantel von Glas und wird zum Versuche berusst; er ist auf der schweren Schwungscheibe SS befestigt, welche durch ein Gewichtsuhrwerk schnell gedreht wird. Die beiden an der Scheibe befestigten, mittels der Muttern m verstellbaren Fl\u00fcgel F bewegen sich in einer mit Oel gef\u00fcllten Kinne RR, welche durch das Gewinde bei g h\u00f6her und niedriger gestellt werden kann; je h\u00f6her RR und je radialer die Fl\u00fcgel F stehen, um so geringere Geschwindigkeit kann das Uhrwerk annehmen. W\u00e4hrend der kurzen Zeit eines Cylinderumgangs kann die Geschwindigkeit, auch wenn sie noch im Zunehmen ist, als constant angesehen werden. Das Centrifugalpendel P zeigt in dem Augenblick, wo die Kugeln anfangen sich zu trennen, die Erreichung einer bestimmten, leicht zu berechnende!} Geschwindigkeit an; man richtet den Apparat so ein, dass diese die zum Versuch geeignete ist. \u2014 Der Muskel greift mittels der Zwischenst\u00fccke a und b an den Schreibhebel HH an, welchen Fig. 7, von oben gesehen, darstellt; er dreht sich sehr leicht in den Axenlagern cc, und tr\u00e4gt an seinem andern Ende mittels der Lager ee das Schreibgeh\u00e4nge f mit der Spitze i, welche beim Versuch durch den Arm h gegen den Cylinder gedr\u00fcckt wird; der Faden k zieht die Spitze vom Cylinder ab. \u2014 Damit nun der Moment der Reizung mit einer genau bekannten Stellung des Cylinders C Zusammenfalle, ist die Ausl\u00f6sung des erregenden Inductionsschlags der Schwungscheibe SS \u00fcbertragen; dieselbe st\u00f6sst mittels des Daumens d gegen das aufw\u00e4rts gebogene Ende l des Contacthebels o, dreht dadurch denselben bei Seite und \u00f6ffnet den Platincontact p (vgl. Fig. 6) und darauf auch den Quecksilbercontact g\\ beide sind in den prim\u00e4ren Kreis des Inductionsapparats eingeschaltet ; im Moment des Anstossens von d an l entsteht also wegen der Oeffnung bei p ein Oeffnungsinductionsschlag. Das Hebelende l wird aber erst dann in die Rotationsebene des Daumens d gebracht, wenn die n\u00f6thige Geschwindigkeit erreicht ist; zu diesem Behufe ist der Contacthebel ol auf einem beweglichen Brett B angebracht (in Fig. 6 von oben dargestellt), welches um die Axe nn beweglich ist und durch die Feder w gegen die Kuppe der Schraube E gedr\u00fcckt wird; dr\u00fcckt man aber auf den Draht B, so st\u00fctzt sich das Brett B auf die Schraube El und das Ende l steht \u00fcber der Rotationsebene von d. Man h\u00e4lt nun D so lange niedergedr\u00fcckt, bis die Pendelkugeln zu klaffen anfangen; l\u00e4sst man jetzt los, so wird beim n\u00e4chsten Cylinderumgang l von d erfasst, und die Zuckung erfolgt. Da zugleich der Faden k am Draht D befestigt ist, so kann die Spitze i erst dann schreiben, wenn die Zuckung unmittelbar bevorsteht. Damit endlich auf dem Cylinder der Moment der Reizung markirt werde, richtet man Alles wie zum Versuche her und setzt die Scheibe SS langsam mit der Hand in Bewegung; der Muskel schreibt dann, im Moment des Anstosses zwischen d und /, einen verticalen Strich, oder vielmehr eine sehr zusammengedr\u00e4ngte Zuckungscurve. Dieser Strich bezeichnet f\u00fcr alle auf den Cylinder verzeichnete Curven den Reizmoment.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nTheils Helmholtz selbst, tlieils sp\u00e4tere Experimentatoren haben noch einige nicht sehr wesentliche Modificationen am Myographion angebracht. An einem mit dem R\u00e4dersystem verbundenen Z\u00e4hlwerk (Zeiger, der nach einer bestimmten Zahl von Umdrehungen des Cylinders einen Theilstrich weiter springt), kann man die erreichte Geschwindigkeit mit der Uhr con-troliren. Ferner kann man durch ein Hebelsystem das Brett B so mit dem Centrifugalpendel P verbinden, dass letzteres automatisch im richtigen Momente die Zuckung ausl\u00f6st. Eine vollkommnere automatische Ausl\u00f6sung erreichte du Bois-Reymo-nd auf einfache Weise dadurch, dass er den Daumen d in der Schwungscheibe S S beweglich befestigt, und durch eine Feder zur\u00fcckh\u00e4lt, so dass ihn erst die Centrifugalkraft weit genug hervortreibt um an l anzugreifen; durch Verstellung an der zur\u00fcckhaltenden Feder hat man es in der Hand, bei welcher Geschwindigkeit dies geschehen soll. 1 Das Centrifugalpendel sowohl als die Beweglichkeit des Brettes B werden dadurch entbehrlich; l ist von vorn herein in der Rotationsebene des Centrifugaldaumens. Der Faden k wird in diesem Falle mit der Hand zur\u00fcckgehalten, bis das Z\u00e4hlwerk das Herannahen des Ausl\u00f6sungsmomentes anzeigt.\nZur weiteren Verwendung der Myographioncurven \u00fcbertrug sie Helmholtz auf angehauchtes Gelatinepapier, indem er den Cylinder in eine Gabel einspannte (dieselbe diente auch zum Berussen) und mittels derselben \u00fcber die Gelatine abrollte. Zur Vervielf\u00e4ltigung kann man die Bl\u00e4tter auf lichtempfindliches Papier legen und durch Exposition plioto-graphiren. 2\nSp\u00e4ter ist eine grosse Anzahl anderer Myographien construirt worden, von denen nicht jedes einen Fortschritt bezeichnet. Man kann sie in folgende Gruppen bringen:\n1) Myographien mit rotirenden Schreibfl\u00e4chen. Valentin3 ersetzte (ohne ersichtlichen Vortheil) den Cylinder durch eine roti-rende Scheibe, so dass die Abscisse der Curve ein Kreis, die Ordinaten Radien desselben sind. Das Gleiche ist neuerdings von Rosenthal 4, aber zu dem Zwecke die Umdrehungszeit bei grosser Geschwindigkeit doch m\u00f6glichst gross zu haben, und mit der Modification ausgef\u00fchrt worden, dass die schwere Scheibe, statt durch ein Uhrwerk, durch Abziehen einer Schnur in Rotation versetzt wurde. Volkmann scheint der Erste gewesen zu sein, der gr\u00f6ssere, durch Uhrwerke getriebene, verticale oder horizontale mit berusstem Papier \u00fcberzogene Cylinder, etwa wie sie zu kymographisclien Zwecken benutzt werden, nur mit etwas gr\u00f6sserer Geschwindigkeit, zur Myographie verwendete. Dies Verfahren,\n1\tDiese Vorrichtung ist beschrieben und abgebildet bei v. Bezold. Untersuchungen \u00fcber die electrische Erregung u. s. w. S. 85. Taf. I. Leipzig 1861.\n2\tVgl. Funke. Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1860. S. 65; Heidenhain, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 543. Am letzteren Orte ist auch das Verfahren, Curven, die auf be-russtes Papier gezeichnet sind, durch Uebergiessen desselben mit Collodium (jetzt statt dessen alkoholische Harzl\u00f6sungen) zu fixiren, zum ersten Male mitgetheilt.\n3\tValentin. Die Zuckungsgesetze des lebenden Nerven und Muskels S. 1. Leipzig u. Heidelberg 1863; Versuch einer physiologischen Pathologie der Nerven I. S. 86. Fig. 8. Leipzig u. Heidelberg 1864.\n4\tRosenthal. Sitzungsber. d. phys.-med. Societ\u00e4t zu Erlangen 1876. 6. Juni.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Myographische Apparate.\n27\ndas sp\u00e4ter vielfach angewandt und namentlich von Marey 1 ausgebildet worden ist, hat den Vortheil, dass bei dem grossen Umfang geringere Winkelgeschwindigkeit ausreicht, besonders wenn es sich nicht um Messungen des Latenzstadiums handelt1 2, dass ohne Zeitverlust viele Curven neben- und \u00fcbereinander gewonnen werden k\u00f6nnen3, und der Apparat ausserdem noch anderen mannigfachen Zwecken dienen kann; die Reiz-markirung muss hier auf electromagnetischem Wege geschehen. Die Zeitmarkirung geschieht durch schreibende Stimmgabeln, die Fixation dadurch, dass der Cylinder mit berusstem Glanzpapier \u00fcberzogen ist, das nach dem Versuch abgenommen und in alkoholische Harzl\u00f6sung getaucht wird. Zu den rotirenden Myographien geh\u00f6rt noch der Apparat von Thiry4, welcher auf die Axe einer durch einen Blasbalg getriebenen Sirene zugleich den Myographioncylinder aufsetzt, und dadurch das Uhrwerk erspart.\n2)\tMyographien mit Fallbewegung. Den bei der Atwood-schen Fallmaschine benutzten Umstand, dass ein \u00e4quilibrirter, durch ein Uebergewicht zum Fallen gebrachter K\u00f6rper gleichf\u00f6rmige Geschwindigkeit annimmt, sobald das Uebergewicht abgefangen wird, hat zuerst Harless 5 6, und neuerdings JendrXssik 6 zur Construction h\u00f6chst complicirter, kostspieliger und schwerf\u00e4lliger Myographien verwendet, deren Vortheil vor den rotirenden nicht recht ersichtlich ist.\n3)\tMyograpliion mit Federbewegung. Ein solches hat du Bois-Reymond, haupts\u00e4chlich zu Vorlesungsversuchen, construire7 8 Eine plana Glasplatte, in einem Rahmen mit horizontaler F\u00fchrung befestigt, nimmt, berusst, die Zeichnung auf. Man dr\u00fcckt den Rahmen gegen das eine Ende der Bahn, wodurch sich eine Feder spannt, etwa wie beim Laden einer Knabenflinte, und l\u00e4sst ihn in einen Abzug einschnappen ; beim Abziehen wird der Rahmen mit zuerst beschleunigter, dann durch Reibung abnehmender Geschwindigkeit durch seine Bahn geschleudert. Die Ausl\u00f6sung der Zuckung geschieht durch einen am Rahmen befindlichen Daumen, der einen Contacthebel umwirft.\n4)\tMyograpliion mit Pendelbewegung. Fick 8 hat zuerst\n1\tMarey, Du mouvement dans les fonctions de la vie p. 222. Paris 1868.\n2\tSoll das Latenzstadium (0,01 Sec.) 2 mm. lang sein, so muss die Geschwindigkeit der Fl\u00e4che = 0,2 Meter sein. Bei einem Cylinder von 15 cm. Durchmesser sind hierzu etwa 4 Umdrehungen p. Sec. erforderlich.\n3\tUm zahlreiche Curven vergleichen zu k\u00f6nnen, disponirt sie Marey in regelm\u00e4ssiger Folge nahe bei einander, indem er a) den Muskeltr\u00e4ger l\u00e4ngs der Axe des Cylinders zwischen je zwei Zuckungen etwas hebt, und b) den Moment der Reizung f\u00fcr jede folgende Zuckung l\u00e4ngs der Abscisse etwas verschiebt; zu letzterem Zwecke dient eine mit dem Cylinder verbundene Unterbrechungsscheibe, welche auf jede Umdrehung des Cylinders etwas weniger als eine Umdrehung macht. Die Verschiebung a f\u00fcr sich verschiebt die Curven vertical, b f\u00fcr sich horizontal, und a und b combinirt in schr\u00e4ger Anordnung (\u201eimbrication oblique\u201c), wodurch besonders \u00fcbersichtliche Bilder entstehen. Vgl. Marey, a. a. O. S. 237, 242, 247, 323, wo auch zahlreiche Abbildungen.\n4\tThiry, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXI. 1864. Taf. XL S. 300.\n5\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. IX. S. 361.1862.\n6\tJendrXssik, Carl\u2019s Repert. d. Physik IX. S. 313. Taf. 23\u201425. 1873; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1874. S. 513.\n7\tdu Bois-Reymond, Ann. d. Physik. Jubelband S. 596.1873. (Ges. Abh. I. S. 271.)\n8\tFick. Vierteljahrsschr. d. naturf. Ges. in Z\u00fcrich 1862. S.-307.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\ndie Schreibfl\u00e4che des Myograpkion dadurch in Bewegung gesetzt, dass er sie in Gestalt einer ebenen, berussten Glasplatte an einem langen Pendel, parallel seiner Schwingungsebene, befestigte. Dies hat den grossen Vortheil, eine genau gesetzm\u00e4ssige, wenn auch nicht gleichf\u00f6rmige Bewegung ohne Zeitverlust jeden Moment hervorrufen zu k\u00f6nnen.\nAuch hier wird der Reiz dadurch gesetzt, dass ein am eisernen Pendelrahmen angebrachter Daumen einen Contact-hebel umwirft. Helmholtz 1 hat dem Apparat eine etwas ver\u00e4nderte Gestalt gegeben, welche in Fig. 8 in Vorder- und Seitenansicht abgebildet ist. Das an der Wand befestigte Brett tr\u00e4gt das schwere eiserne Pendelgestell P, dessen Axe A A in Frictionsrollen geht. Am unteren Ende des Gestells befindet sich die am Tr\u00e4ger T befestigte gl\u00e4serne Schreib-platte G. Dieselbe l\u00e4sst sich, um mehrere Cur-ven \u00fcbereinander zeichnen zu k\u00f6nnen, vertical auf- und abbewegen, indem die Schraube s den Klotz K in dem Schlitten R verschiebt. Damit aber diese Verschiebung die Schwingungsdauer nicht \u00e4ndere, ist an der R\u00fcckseite des Pendels noch eine zweite Glasplatte G\u2018 in ganz gleicher Weise angebracht, deren Tr\u00e4ger in Folge der Verzahnung rr' nach oben geht, wenn der andere nach unten verstellt wird, so dass der Schwerpunct des Ganzen seine Stelle beh\u00e4lt. Die federnden Schnepper HH, welche sowohl nach aussen, wie nach innen gelegt werden k\u00f6nnen,\nFig. 8. Tick\u2019s Pendel-Myographion, in verbesserter Construction (mit verschiebbarer Schreib platte) nach Helmholtz. (*/12 der nat. Gr.)\n1 Helmholtz, s. bei Fick, W\u00fcrzburger Verhandl. Neue Folge. II. S. 147. 1872.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Myographisehe Apparate.\n29\ndienen, mittels der Daumen aa, zum Loslassen und Einfangen des Pendels. W\u00e4hrend der Schwingung wirft das Pendel den gegen die Schraube c federnden Contacthebel b um, und ertheilt dadurch dem Muskel einen Inductionsschlag.\n5)\tMyograpkion mit vibratorischer Bewegung. Hensen hat mit Kl\u00fcnder1 den Muskel auf eine d\u00fcnne an einer Stimmgabel befestigte Glasplatte schreiben lassen, senkrecht zur Schwingungsrichtung. Das n\u00e4here Verfahren s. i. Orig.\n6)\tMyograph ion mit Handbewegung. Ein solches hat Br\u00fccke2 3 construirt und abgebildet; die ebene Schreibplatte wird mit der Hand rasch verschoben, l\u00e4sst dabei einen gespannten elastischen Zeitschreiber los, und l\u00f6st den Reizstrom aus.\n7)\tMyographion ohne Bewegung. Pfl\u00fcger 3 hat zuerst das HELMHOLTz\u2019sche Myographion in der Weise modificirt, dass er statt des rotirenden Cylinders eine ruhende Glasplatte anbrachte, so dass der\nd d d\nFig. 9. PFL\u00dcGER\u2019sches Myographion in neuerer Construction von Sauerwald; Vorder- und Seitenansicht. iV die Triebplatte, hinter deren Federn / entweder eine Glasplatte oder die zum Aufspannen von Papierstreifen bestimmte Messingplatto 0 eingeschoben wird. (i/5 der nat. Gr.)\nMuskel statt einer Zuckungscurve nur deren gr\u00f6sste Ordinate, d. h. die Zuckungsh\u00f6he, aufzeichnet. Zwischen zwei Zuckungen wird die berusste Platte etwas verschoben. Fig. 9 stellt das PFL\u00fcGER\u2019sche Myographion in neuerer Construction (von Sauerwald) dar. Der Schreibhebel H ist dem in Fig. 5 und 7 abgebildeten HELMH\u00f6LTz\u2019schen ganz gleich eingerichtet.\n1\tKl\u00fcnder, Arbeiten aus dem Kieler physiol. Instit. 1S6S. S. 108.\n2\tBr\u00fccke. Sitzungsber. d. Wiener Acad. LXXV. 3. Abth. Sep.-Abdr. 1877.\n3\tPfl\u00fcger, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 106. Berlin 1859.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nDie Messingplatte N ist in dem Rahmen L, mittels eines Triebes an der Axe des Knopfes M, horizontal verschiebbar, und zwar mittels einer an dem F\u00fchrungskranze von M angebrachten Theilung um genau gleiche Strecken. Hinter die an N befindlichen Federchen f wird eine berusste Glasplatte geschoben, oder statt dessen zweckm\u00e4ssig die auf meinen Wunsch von Sauerwald angefertigte 1 d\u00fcnne Messingplatte 0, auf welche ein St\u00fcck Glac\u00e9papier unter den Backen a hindurch ausgespannt wird. Eine gr\u00f6ssere Selireibplatte und Verschiebungsvorrichtung beschreibt Funke.2 Statt der ebenen Platte benutzt man vielfach einen berussten Kymogra-phion-Cylinder, der mit der Hand zwischen zwei Zuckungen verstellt wird. Sollen viele Zuckungsstriche in regelm\u00e4ssigen Intervallen folgen, so kann man den Cylinder durch sein Uhrwerk sprungweise weiter bewegen lassen, indem man z. B. auf electromagnetischem Wege eine Sperrung des Windfl\u00fcgels regelm\u00e4ssig ausl\u00f6st.3 4\nAnhang. Dicken-Myographien. Bei allen bisher angef\u00fchrten Apparaten wirkt der Muskel auf einen Schreibhebel durch seine Verk\u00fcrzung einen Zug aus. F\u00fcr manche Zwecke ist es wichtig, statt der Verk\u00fcrzung die Verdickung des Muskels aufzuschreiben, z. B. f\u00fcr die Versuche \u00fcber die Fortpflanzung der Contraction l\u00e4ngs des Muskels (s. unten sub V), f\u00fcr Gewinnung von Zuckungscurven am lebenden Menschen (vgl. Bd. II bei der Nervenleitung). Aeby Hess den Muskel einen auf ihm lastenden Schreibhebel durch seine Verdickung heben (s. unten). Marey 4 Hess ihn zwei gegen einander federnde Pl\u00e4ttchen A und B (Fig. 10) durch seine Verdickung aus einander dr\u00e4ngen (Pince myogra-\nphique) ; das eine dieser Pl\u00e4ttchen ( B) wirkt mitteL der Spitze s gegen die Aluminiumplatte der Luftkammer L ; die Muskelzuckung macht also in L eine Luftdruckschwankung, welche durch den Schlauch T auf einen MAREY\u2019schen Tambour enr\u00e9gistreur \u00fcbertragen wird, und so die Curve aufschreibt. Die Schraube D dient um den in der hohlen S\u00e4ule S verschiebbaren Arm 0 festzustellen ; die Feder F, deren Stellung durch den Excenter E reguliert werden\nFig. io.\nMaret\u2019s Pince myograpMque.\nkann, dient zur genauen Einstellung des Theils B s.\nAntagonistische Apparate. Zur Vergleichung der Wirkungen zweier Muskeln kann man dieselben, wie ich5 6 7 und 0. Nasse 3 gethan haben, antagonistisch mittels F\u00e4den an einer Rolle angreifen lassen, die einen vor einer Theilung spielenden Zeiger tr\u00e4gt ; Nasse nannte das Instrument \u201eComparator\u201c. Rollett' hat einen auf gleichem Princip beruhenden Schreibhebel construirt, den er \u201e Antagonistographen \u201c nennt.\n1\tVgl. Willy, Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 279. 1872.\n2\tFunke, ebendas. VIII. S. 219. 1874.\n3\tVgl. Kronecker, Ber. d, s\u00e4chs. Acad. 1871. S. 706.\n4\tMarey, a. a. O. S. 259.\n5\tHermann, De tono ac motu musculorum nonnulla. Dissert. Berlin 1859.\n6\t0. Nasse, Arch. f. d. ges. Physiol. II. S. 97.1869.\n7\tRollett, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXII. S. 354.1875.","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Myographien. Verlauf der Zuckung. Galvanische Zeitmessung. 31\nDas wichtigste Resultat der HELMHOi/rz\u2019schen Untersuchung war, dass der Muskel seine Zuckung erst fast 1,ioo Secunde nach der Reizung beginnt. Diese Zeit, das Stadium der latenten Reizung, wird vergr\u00f6ssert, wenn der Reiz nicht den Muskel selbst, sondern seinen Nerven trifft, und aus diesen Ver-gr\u00f6sserungen wurde die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenerregung ermittelt (s. den zweiten Band).\nDie Verk\u00fcrzung entwickelt sich mit zuerst zunehmender, dann abnehmender Geschwindigkeit, erreicht etwa 4 bis 5 Hundertstel Secunde nach der Reizung ihr Maximum und l\u00e4sst dann in \u00e4hnlichem Verlaufe, wieder nach; von ihrem Ende wird unten ausf\u00fchrlicher die Rede sein.\nAehnliche Resultate wie das graphische Verfahren ergaben galvanische Zeitmessungsversuche, welche sich aber nur auf das Stadium der Verk\u00fcrzung oder der steigenden Energie erstrecken konnten. In diesen Versuchen wurde dem Muskel seine Verk\u00fcrzung nicht einfach freigegeben, sondern derselbe durch Gewichte (\u201eUeber-lastungen\u201c) auf seiner Ruhel\u00e4nge so lange festgehalten, bis seine Energie hoch genug gestiegen war, um dieselben zu heben; indem nun die Zeiten gemessen wurden, welche der Muskel vom Momente der Reizung an brauchte, um die gegebenen Ueberlastungen zu heben, d. h. die ihnen entsprechende Energie zu erreichen, wurde die zeitliche Entwicklung der Energie festgestellt.\nDie von Helmholtz angewandte PouiLLET\u2019sche Zeitmessung 1 beruht darauf, dass die Ablenkungen eines Magneten durch kurzdauernde Str\u00f6me den Schliessungsdauern proportional sind, so dass sich letztere aus den Ablenkungen berechnen lassen. Die Methode hat also nur daf\u00fcr zu sorgen, dass der \u201ezeitmessende\u201c Strom, welcher auf eine Boussole wirkt, genau im Momente der Reizung geschlossen, und im Momente der beginnenden Verk\u00fcrzung, durch den Muskel selbst, ge\u00f6ffnet wird. Ersteres besorgt eine Wippe, welche Fig. 11 bei V in einer neueren Form darstellt.2 Die Feder h\u00e4lt den Ruhecontact r geschlossen ; Niederdr\u00fccken des Schl\u00fcssels s schliesst bei z den zeitmessenden Strom, und \u00d6ffnet bei r den prim\u00e4ren Kreis eines Inductionsapparats PS, dessen secund\u00e4rer Kreis mit dem Muskel verbunden ist ; der Muskel erh\u00e4lt also im Moment der Schliessung des zeitmessenden Stromes einen Oeffnungsinductionsschlag. F\u00fcr die Oeffnung des zeitmessenden Stroms durch den Muskel liess Helmholtz letzteren eine vergoldete Spitze von einer festen vergoldeten Platte abheben, welche letztere zugleich dazu diente, die Ueberlastungen zu st\u00fctzen, ohne den Muskel zu dehnen. Damit ferner der zeitmessende\n1\tPouillet, Compt. rend. XIX. p. 1384.1844; Ann. d. Physik LXIV. S.452.1845.\n2\tDiese Wippe ist von sehr allgemeiner Anwendbarkeit bei Reizversuchen, weil der Ruhecontact eine sehr uniforme Oeffnung gestattet.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32 Hermann. Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nStrom sich nicht nach der Zuckung wieder schliessen k\u00f6nne, wurde auf eine h\u00f6chst sinnreiche Weise der zeitmessende Kreis noch an einer andern Stelle dauernd unterbrochen, und zwar durch Zerreissen eines Quecksilberfadens. Da das HELMHOLTz\u2019sche Geh\u00e4nge manche Unbequemlichkeiten bot, ist statt seiner jetzt ein von du Bois - Keymond 1 con-struirter Hebelapparat in Gebrauch, der sog. Froschunterbrecher W. Die beiden Contacte sind an dem bei aa\u2018 drehbaren Hebel ahq angebracht ; der feste Contact besteht aus der Schraube p, deren Platinspitze auf einer in\ndem Messingtisch iso-lirt verschraubbaren Platinplatte aufruht ; die Schraube q endigt unten in eine verquickte Kupferspitze, die in das isolirte st\u00e4hlerne Quecksilbern\u00e4pfchen Hg von Helmholtz eintaucht. Durch die Schraube s (Fig. 12, welche diesen Theil des Apparats in nat\u00fcrlicher Gr\u00f6sse darstellt), wird das Quecksilber soweit gehoben, bis es die Spitze erreicht, und dann soweit gesenkt, dass der Meniscus zur Spitze einen kurzen Faden bildet. Nach\nder Zuckung kann die Spitze den zur\u00fcckgefallenen Meniscus nicht wieder erreichen, der zeitmessende Strom also sich nicht wieder schliessen.\nF\u00fcr genaue Zeitmessung ist es sehr wichtig, dass der Contact p auf das genaueste eingestellt wird; es geschieht dies erfahrungsgem\u00e4ss am besten, indem man den Muskel selbst mittels der feing\u00e4ngigen Schraube seines Tr\u00e4gers so lange herabl\u00e4sst, wie man beim Aufschlagen des Fingers auf p noch ein Klappen h\u00f6rt.\nDie Berechnung der Zeiten geschieht folgendermassen : ist T die\nFig. 11. Zeitmessung nach Helmholtz, schematisch. Nur der du Bois-REYMOND\u2019sche Erosehunterhrecher W, und die Helmholtz-sehe Wippe V (in neuerer Form) perspeetiviseh.\n1 du Bois-Keymond, Abhandl. d. Berliner Acad. 1862. S. 149. (Ges. Abh. I. S. 215.)","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Zeitliche Entwicklung der Energie.\n33\nSchwingungsdauer des Magneten, welcher unged\u00e4mpft sein muss, h die beobachtete Ablenkung, \u00ab die Ablenkung, die der zeitmessende Strom bei permanentem Schluss hervorbringt, und n die LuDOLF\u2019sche Zahl, so ist die gesuchte Dauer des Stromschlusses\nDa a f\u00fcr directe Ablesung viel zu gross ist, muss man statt des vollen zeitmessenden Stroms nur einen bekannten Bruclitheil desselben, mittels Nebenschliessung, durch die Boussole leiten, und aus der beobachteten Ablenkung a berechnen.\nIst die Ueberlastung Null, d. b. der Muskel nur soweit belastet, wie zur glatten Ausspannung n\u00f6tbig ist (hierzu gen\u00fcgt das Gewicht des Hebels selbst), so wird der Contact sich schon dann \u00f6ffnen, sobald \u00fcberhaupt die Energie einen Werth \u00fcber Null erreicht; die hierzu n\u00f6thige Zeit, welche man als Stadium der latenten Energie bezeichnen kann1 2, ist identisch mit dem der latenten Reizung bei den graphischen Versuchen, und betr\u00e4gt etwas weniger als tytoo Secunde. Werden jetzt, ohne die Einstellung zu \u00e4ndern, Ueber-lastungen auf die Wagschale gelegt, so findet man um so gr\u00f6ssere Zeiten zwischen Reiz und Oeffnung bei p, je gr\u00f6sser die Ueberlastungen. Tr\u00e4gt man die Ueberlastungen als Ordinaten auf die Zeiten als Abscissen auf, so erh\u00e4lt man die Curve der ansteigenden Energie, abc, Fig. 13, nach Helmholtz ;\nFig. 12. Die HELMHOi/rz\u2019sche Doppelschlussvorrichtung mit dem Quecksilberfaden (Detail zum du Bois-KEYMOND\u2019scken Unterbrecher, Fig. 11); 1/2 d. nat. Gr.\ndie AbsCISSen - Theilstliche bedeuten Fig. 13. Zeitliche Entwicklung derEner-\nHundertstel Secunde vom Reizmoment\tS1& nacl1 Helmholtz-\na ab gerechnet; die Ordinaten-Theilstriche bedeuten die Ueberlastungen in grm.\u2018 Auch hier l\u00e4sst sich erkennen, dass die Energie mit zuerst zunehmender, dann abnehmender Geschwindigkeit sich entwickelt.\nDie Erschlaffung des Muskels nach der Zuckung, welche sich nur graphisch beobachten l\u00e4sst, ist gegen das Ende mit Auf- und\n1\tDie Ableitung dieser Formel s. im 8. Capitel bei der Theorie der Boussole, wo auch \u00fcber die Formel f\u00fcr ged\u00e4mpften Magnet, \u00fcber Beruhigungsverfahren, Ablesung u. s. w. das N\u00f6thige angegeben ist.\n2\tDer Vollst\u00e4ndigkeit halber sei eine Arbeit von Harless erw\u00e4hnt, die zur Best\u00e4tigung des Latenzstadiums unternommen wurde ; Gelehrte Anzeigen d. bayr. Acad. XLIX. S. 25. 1859.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\n3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nAbschwankungen des Schreibhebels verbunden. Ein Tbeil derselben r\u00fchrt ohne Zweifel von Eigenschwingungen des Hebels her ; letztere werden nach bekannten Principien sehr vermindert, wenn man dessen Masse m\u00f6glichst gering macht, und den Muskel statt durch ein Gewicht durch eine Feder spannen l\u00e4sst, was Marey zuerst gethan hat.1 Im letzteren Falle k\u00f6nnen jene Schwankungen v\u00f6llig ausbleiben. Helmholtz zog zur Verminderung derselben die Axenlager st\u00e4rker an, so dass etwas Reibung vorhanden war (a. a. O. S. 211,1852).\n.Nach Nawalichin2 und Br\u00fccke3 4 ist die Dauer der ganzen Zuckung von ihrer H\u00f6he fast unabh\u00e4ngig. Die Verdickungscurve des Muskels ist der Verk\u00fcrzungscurve in ihrem Verlauf nat\u00fcrlich \u00e4hnlich, aber keineswegs mit ihr durchaus identisch, worauf Bernstein 4 aufmerksam gemacht hat. Letztere n\u00e4mlich setzt sich, wenigstens bei indirecter Reizung oder bei Reizung an einem Ende des Muskels, aus den succes-siven Verk\u00fcrzungen der einzelnen Querelemente zusammen, muss also in diesen F\u00e4llen mehr in die L\u00e4nge gezogen sein als die Verdickungscurve; nur bei directer Totalreizung braucht dies nicht der Fall zu sein, wenn wirklich der Reiz an jeder Muskelstelle zugleich wirkt, was bei keiner Reizungsart sicher ist.\nFig. 14. Hyographioncurven. AB und CD nacli Helmholtz, EF am Pendelmyographion gewonnen 1 mit tr\u00e4gem Hebel und Gewicht, 2 mit leichtem Hehel und Federspannung. In Curve l sind die Abseis-sen der Originalcurve auf die H\u00e4lfte verkleinert: die Stimmgabelcurve bedeutet f\u00fcr Curve 1 256, f\u00fcr 2\n512 Sehw. p. sec.\nIn Fig. 14 stellt AB die in der ersten HELMHOLTz\u2019schen Arbeit mit-getheilte Zuckungscurve dar, welche wegen starker Eigenschwingung des Schreibhebels zahlreiche Wendepuncte besitzt (bei a, b, c u. s. w., durch\n1\tMarey, Journ. d. l\u2019anat. et d. 1. physiol. 1866. p. 225, 403; Du mouvement dans les fonctions de la vie p. 222. Paris 1868.\n2\tNawalichin, Arch. f. d. ges. Physiol. XIY. S. 327. 1876.\n3\tBr\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXY. Sep.-Abdr. 1877.\n4\tBernstein, Untersuchungen \u00fcber den ErregungsVorgang im Nerven- und Muskelsysteme S. 85. Heidelberg 1871.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Gestalt und Ende der Zuckungscurve. Verkiirzungsr\u00fcckstand.\t35\npunctirte Ordinaten gekennzeichnet, welche zugleich die Ordinaten der schwingungslosen Curve darstellen w\u00fcrden); der Reizmoment liegt bei 0, die Abscissenaxe ist in Hundertstel Secunden eingetheilt, die auch an der Curve selbst markirt sind. C D ist eine mit angezogenen Axenlagern (s. oben) gezeichnete Curve aus der zweiten HELMHOLTz\u2019schen Arbeit. EF sind zwei mit dem Pendelmyographion erhaltene Curven, 1 bei schwerer Belastung, 2 bei sehr leichtem Hebel und Federspannung ; vgl. \u00fcber die Abscissenwerthe derselben die Legende zur Figur. Der Reizmoment ist in den Curven durch den verticalen Strich bei A, C, E markirt. Selbstverst\u00e4ndlich sind die Abscissenwerthe der Curven A B und CD ganz andere als in EF.\nBei geringer Belastung erreicht der Muskel nach der Zuckung seine urspr\u00fcngliche L\u00e4nge nicht vollkommen wieder. Schon die von Helmholtz mitgetheilten Zuckungscurven lassen dies deutlich erkennen (s. vorstehend die Curve CD) ; als allgemeine Regel haben Schiff1 und ich 2 es sp\u00e4ter festgestellt. Die geringe bleibende Verk\u00fcrzung habe ich als Verk\u00fcrzungsr\u00fcckstand bezeichnet. Es scheint, dass hier zwei Umst\u00e4nde Zusammenwirken : einmal sind bei jeder Form Ver\u00e4nderung des Muskels innere Reibungs widerst\u00e4nde zu \u00fcberwinden (zu denen noch \u00e4ussere hinzukommen k\u00f6nnen), und eine zu kleine Last wird hierzu beim Nachlassen der verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte nicht ausreichen. Ein auf Quecksilber liegender Muskel beh\u00e4lt nach der Zuckung \u00fcberhaupt seine eontrahirte Gestalt, wie K\u00fchne3 gefunden hat. Zweitens aber schwindet unter gewissen Umst\u00e4nden die Verk\u00fcrzungskraft selbst nicht vollst\u00e4ndig. Tiegel4 hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass besonders nach heftigen directen Reizungen der Muskel nur unvollkommen erschlafft, und f\u00fcr diesen Fall den Verk\u00fcrzungsr\u00fcckstand \u201eContracta\u201c genannt. Diese Erscheinung steht, wie ich gezeigt habe5, mit einer grossen Reihe anderer in innigem Zusammenhang, welcher weiter unten zu er\u00f6rtern ist.\nDie Analyse des Zuckungsvorgangs haben mehrere Autoren noch etwas weiter zu f\u00fchren versucht, als es die HELMHOLTz\u2019sche Untersuchung that. Man hat die Zuckung bei verschiedenen Anfangsspannungen, sei es durch Gewichte, sei es durch Federn, ausgef\u00fchrt, und ferner durch Anbringung von Ueberlastungen bewirkt, dass der Muskel erst eine gewisse Verk\u00fcrzungskraft erreichen musste, ehe er seine Zuckung beginnen und aufschreiben konnte.6 Das Latenz-\n1\tSchief, Lehrb. cl. Muskel- und Nervenphysiol. S. 17. Lahr 1858\u201459.\n2\tHermann, De tono ac motu musculorum nonnulla. Dissert. Berlin 1859; Arch, f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 350.\n3\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 815.\n4\tTiegel, Arch. f. d. ges. Physiol. XIII. S. 71.1876.\n5\tHermann, ebendas. XIII. S. 370. 1876.\n6\tVgl. Place, Nederl. Arch. v. Genees- en Natuurk. III. p. 177.1867 ; auch On-\n,\t3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nstadium wird selbstverst\u00e4ndlich im letzteren Falle verl\u00e4ngert. Dagegen zeigte es sich im ersten von der Spannung unabh\u00e4ngig. Mit andern Worten: die Verk\u00fcrzungskraft bedarf zu ihrer Entwicklung eine von der Spannung unabh\u00e4ngige Zeit, kann aber zur wirklichen Verk\u00fcrzung erst dann f\u00fchren, wenn sie einen den Widerst\u00e4nden gleichen Werth erreicht hat. Die Dauer des Latenzstadiums erscheint allerdings bei den geringsten Belastungen und namentlich wenn der Muskel in elastischer Nachverk\u00fcrzung nach einer Dehnung begriffen ist, besonders kurz, nach Place (der dem Muskel seine Circulation belassen hatte) bis V.soo, nach Kl\u00fcnder sogar bis V400 Secunde herab, vermuthlieh weil jede gr\u00f6ssere Spannung den Muskel etwas sch\u00e4digt. Die Dauer des ganzen Verk\u00fcrzungsstadiums ist nach Place von der Anfangsspannung unabh\u00e4ngig, nach Kl\u00fcnder w\u00e4chst sie mit letzterer.\nDie mechanische Deutung der Zuekungscurve ist dadurch verwickelt, dass die in Bewegung gesetzten Massen in die H\u00f6he geschleudert werden und nach der Zuckung eine Fallbewegung ausf\u00fchren. So ist weder die Form der Curve der einfache Ausdruck der Entwicklung der Verk\u00fcrzungskraft, noch die Hubh\u00f6he ein Maass der letzteren. Am sch\u00f6nsten sieht man dies, wenn man zwischen Muskel und Last eine elastische Verbindung mittels eines Kautschukb\u00e4ndchens herstellt; die Hub- oder richtiger Wurfh\u00f6he wird dann bedeutend vergr\u00f6ssert, einfach weil die Verk\u00fcrzungskraft zuerst zur Dehnung des elastischen Bandes verwandt wird, und dessen elastische Kraft dann das Gewicht emporschleudert. Da aber der Muskel selbst schon in hohem Grade elastisch ist, so muss der gleiche Vorgang in gewissem Grade auch ohne elastisches Band stattfinden, ganz besonders, wenn der Muskel zuerst durch eine Ueberlastung festgehalten wird. Man kann demnach aus der Zuekungscurve allein nicht ersehen, ob die Verk\u00fcrzungskraft sich momentan oder allm\u00e4hlich entwickelt, ob ihre Entwicklung schon vor Erreichung des Zuckungsmaximums beendet ist oder gar dasselbe noch \u00fcberschreitet.\nDas Schleudern wird, wie schon bemerkt, durch geringste Masse und grosse Widerst\u00e4nde des Schreibhebels betr\u00e4chtlich vermindert; die Ausspannung des Muskels muss aber durchaus, wenn man eine discutirbare Curve erhalten will, w\u00e4hrend der Zuckung constant bleiben, darf also in diesem Falle nicht, wie Marey und Place\nderzoek. physiol, labor. Utrecht (2) I. p. 73. 1867 ; Kl\u00fcnder, in den Untersuchungen aus dem Kieler physiol. Instit. 1868. S. 107.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Discussion der L\u00e4ngen- und Energiecurve.\n37\nes thaten, durch eine Feder geschehen, deren Spannung w\u00e4hrend der Zuckung zunimmt. Fick 1 hat die Belastung seines sehr leichten Schilfhebels durch einen um die Axe geschlungenen Faden mit Gewicht hergestellt und dadurch das Schleudern auf ein Minimum re-ducirt, indem das Gewicht wegen seines kurzen Hebelarms sich nur sehr wenig bewegt und nur kleine Geschwindigkeiten annimmt. Die so erhaltenen Curven zeigten sich von der Belastung in ihrem Verlaufe unabh\u00e4ngig. Sie sind der m\u00f6glichst treue Ausdruck der L\u00e4ngenyer\u00e4nderung bei constanter Spannung.\nL\u00e4sst man umgekehrt den Muskel an einem sehr kurzen Hebelarm angreifen, und auf den langen eine sehr steife Feder (Glasstreifen) wirken1 2, so wird der Muskel \u00fcberhaupt sich kaum verk\u00fcrzen k\u00f6nnen; die mit dem langen Hebelarm aufgeschriebene Curve zeigt jetzt in ihren Ordinaten die Werthe der elastischen Spannungen wie sie in Folge der Erregung bei nahezu gehinderter Verk\u00fcrzung sich entwickeln ; sie stellen also ganz wie die aus den Helmholtz-schen Ueberlastungsversuchen construirten Curven, die Spannungs\u00e4nderung bei (ann\u00e4hernd) constanter L\u00e4nge dar.\nBeide Curven stimmen nun nach Fick in ihrem Verlaufe nicht \u00fcberein ; letztere erreicht ihr Maximum fr\u00fcher als erstere ; ausserdem liegen je zwei Puncte gleicher L\u00e4nge im auf- und absteigenden Theil der ersten Curve nicht entsprechend den Punctpaaren gleicher Spannung in der zweiten Curve, sondern die Erschlaffung ist, ebenso wie das Maximum der Wirkung, in der Spannung fr\u00fcher nachweisbar als in der L\u00e4nge.\nUnter der Voraussetzung, dass diese Ergebnisse nicht etwa aus mechanischen Unvollkommenheiten des Versuches hervorgehen, berechnet Fick aus der Vergleichung der gleichen Momenten entsprechenden L\u00e4ngen und Spannungen, dass der Elasticit\u00e4tscoefficient des Muskels w\u00e4hrend der Contraction best\u00e4ndig abnimmt, und seinen Minimalwerth auch noch w\u00e4hrend der Erschlaffung beh\u00e4lt. Indessen lehren gewisse im 7. Capitel zu erw\u00e4hnende Thatsachen, dass die inneren Vorg\u00e4nge im Muskel unter beiden Versuchsbedingungen nicht die gleichen sind, so dass die gleichen Zeiten entsprechenden Ordinaten beider Curven nicht in dieser Weise zu Schl\u00fcssen verwerthet werden d\u00fcrfen, selbst wenn die Constanz der L\u00e4nge im einen und der Spannung im andern Falle ganz genau und nicht bloss ann\u00e4hernd verwirklicht w\u00e4re.\n1\tFick, Arch. f. d. ges. Physiol. IY. S. 301. 1871.\n2\tYgl. Fick, a. a. 0.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38 Hermann. Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\n. 2. Verschiedene Einfl\u00fcsse auf den Verlauf der Zuckung.\nDie Geschwindigkeit mit welcher die Zuckung sich entwickelt ist von zahlreichen Umst\u00e4nden abh\u00e4ngig, vor Allem von der Natur des Muskels. Schon am Frosch zeigen sich Unterschiede, z. B. ist die Curve bei Fr\u00fchlingsfr\u00f6schen k\u00fcrzer als bei Sommerfr\u00f6schen1, und eigens hierauf gerichtete Untersuchungen haben sogar charac-teristische Unterschiede im Zuckungsverlauf einzelner Froschmuskeln aufgedeckt; Marey2 fand die Zuckungscurve des Hyoglossus viel gedehnter, als die des Gastrocnemius.3 Die Zuckungscurve der Schildkr\u00f6te ist viel gedehnter, die der Insectenmuskeln viel k\u00fcrzer als die des Frosches.4 Wahrscheinlich kann man in der Thierreihe eine continuirliche Scala in dieser Hinsicht aufstellen, welche nach Marey\u2019s Angaben zu urtheilen etwa beginnen W\u00fcrde mit der \u00e4usserst rapiden Zuckung der quergestreiften Insectenmuskeln, dann w\u00fcrden folgen die quergestreiften Skelettmuskeln der V\u00f6gel, Fische, S\u00e4uge-thiere, Fr\u00f6sche, zu unterst die der Schildkr\u00f6te und des winterschlafenden Murmelthieres, dann die Herzmusculatur, endlich die glatten Muskeln, deren Zuckungsverlauf so zu sagen macroscopisck ist.\nSehr merkw\u00fcrdige Unterschiede zeigen die r o t h e n und blassen Muskeln gewisser Thiere, besonders des Kaninchens. Zuerst fand W. Krause5, dass bei diesem Thiere einige fast best\u00e4ndig contrahirte Muskeln, namentlich die Kaumuskeln, der Semitendinosus und So-leus, sich durch rothe Farbe vor den \u00fcbrigen auszeichnen. Aber erst Ranvier6 7, welcher zugleich gewisse Unterschiede im Bau und im Gef\u00e4ssverlauf neben der verschiedenen H\u00e4moglobindurchtr\u00e4nkung (s. die Muskelchemie in diesem Bande) auffand, entdeckte, dass die Zuckungscurve der rofhen Muskeln in allen ihren Theilen viel gedehnter ist als die der blassen, was Kronecker & Stirling 7 best\u00e4tigten (\u00fcber die Tetanisirung beider Muskelarten s. unten sub\n1\tYgl. Nawalichin, a. a. O. S. 325.\n2\tMarey. Du mouvement dans les fonctions de la vie p. 364, 382. Paris 1868.\n3\tBr\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXY. Sep.-\u00c2bdr. 1877. deutet darauf bin, dass der Gastrocnemius, als Springmuskel, auf schnelle Contraction angewiesen ist.\n4\tYgl. Marey, a. a. 0. S. 366.\n5\tW. Krause, Die Anatomie des Kaninchens S. 24. Leipzig 1868; vgl. auch E. Meyer, Arch. f. \u00c0nat. u. Physiol. 1875. S. 218.\n6\tBanvier, Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1874. p. 5,446; zu den rothen Muskeln geh\u00f6ren ausser den schon im Text genannten : Cruralis, Adductor brevis, Quadratus cruris, zu den blassen: Rectus int. und ant.. beide Yasti, Adductor magnus, Biceps, Gemelli; die Wadenmusculatur ist also gemischt. Auch bei Fischen gibt es rothe und blasse, ausserdem auch aus beiderlei Fasern bestehende Muskeln.\n7\tKronecker & Stirling, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878. S. 1.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Einfl\u00fcsse auf die Zuckung. Thierart. Rothe und blasse Muskeln. K\u00e4lte. 39\nIV. l). Fig. 15 ist eine der letzteren Arbeit entnommene Copie; die obere Curve geh\u00f6rt dem (rothen) Soleus, die untere den (blassen) Gemelli an, beide zugleich vomlschia-dicus aus gereizt ; die Strichelung mar-kirt Hundertstel Se-cunden. (Die Cur-ven sind von rechts nach links zu nehmen.)\nFerner ist anzu- Fiff. 15. Zuckungseurve eines rothen (oben) und eines blassen (unten)\n,\tC\tKaninehenmuskels. Zeitmarkirung '/ioo See.\nf\u00fchren, dass nach\nSoltmann1 die Muskeln neugeborener Thiere eine sehr gestreckte Zuckungseurve besitzen.\nVon den Zust\u00e4nden des Muskels ist, abgesehen von den an anderer Stelle anzuf\u00fchrenden Wirkungen des Absterbens, der Erm\u00fcdung und gewisser Gifte, von gr\u00f6sstem Einfluss die Temperatur. Helmholtz hat ohne Zweifel zuerst beobachtet, wie aus gewissen Stellen geschlossen werden kann, dass Abk\u00fchlung des Muskels die Zuckung in die L\u00e4nge zieht. Ausdr\u00fccklich erw\u00e4hnen das Gleiche Pfl\u00fcger2 und Marey3, der zugleich darauf hinweist, dass die bekannte Un-beholfenheit unserer H\u00e4nde bei starker K\u00e4lte (in Berlin als \u201eklamme Finger\u201c bezeichnet) m\u00f6glicherweise von diesem Umstand herr\u00fchrt (obgleich hier wohl noch andere Umst\u00e4nde, besonders Sensibilit\u00e4tsst\u00f6rungen, mitwirken, denn die wichtigsten Fingerbeweger liegen im Vorderarm).\nHelmholtz fand, dass auch Abk\u00fchlung des Nerven die Muskelzuckung in die L\u00e4nge zieht, und zwar nicht bloss wenn die Erregung die abgek\u00fchlte Nervenstelle zu durchlaufen hat (die Erkl\u00e4rung dieses Falles s. im II. Bande), sondern auch wenn die Reizung unterhalb der abgek\u00fchlten Nervenstelle oder sogar am Muskel direct stattfindet. Diese h\u00f6chst paradoxe Thatsache w\u00fcrde n\u00f6thigen einen merkw\u00fcrdigen stimmenden Einfluss jeder Nervenstelle auf die selbstst\u00e4ndige Th\u00e4tigkeit der abw\u00e4rts gelegenen Theile anzunehmen. Allein sehr genaue Versuche, welche die Herren Bleuler & Lehmann in meinem Laboratorium neuerdings mit dem Pendelmyogra-\n1\tS \u00f6lt mann, Separat-Abdruck, wie es scheint aus d. Jahrb. f.Kinderheilk. 1877.\n2\tPfl\u00fcger, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 75. Berlin 1859.\n3\tMarey, a. a. O. S. 257, 344.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehimg des Muskels.\nphion angestellt haben, zeigen, dass jener Einfluss, auf den \u00fcbrigens Helmholtz in seiner zweiten, graphischen Arbeit nicht zur\u00fcckkommt, in Wirklichkeit nicht existirt.\nUeber einige andere Einfl\u00fcsse auf den Zuckungsv erlauf s. unten sub IV. 2.\n3. Superposition zweier Zuckungen.\nHelmholtz1 leitete dem Nerven eines Muskels rasch hintereinander zwei maximale Inductionsschl\u00e4ge zu, indem er zwei derselben secund\u00e4ren Spirale gen\u00e4herte prim\u00e4re Stromkreise rasch hintereinander \u00f6ffnete. Fiel die zweite Reizung in das Latenzstadium der ersten, so war die Curve so als ob die zweite Reizung gar nicht stattgefunden h\u00e4tte ; fiel sie sp\u00e4ter, so entwickelte sich ihre Zuekungs-curve, und zwar in toto so hoch \u00fcber die Abscissenaxe erhoben, als der Muskel zurZeit der zweiten Reizung schon verk\u00fcrzt war. W\u00e4re abc (Fig. 16) die Zuckungscurve der ersten Reizung, und def die\nder zweiten Reizung, jede f\u00fcr sich wirkend (ihr Zeitintervall also rr' \u2014 ad) so hat die wirkliche Zuk-kung den Verlauf a g h i k* Eine zweite Reizung wirkt . r/ ,\talso so als ob der Zustand,\nFie. 16. Schema der Superposition zweier Zuckungen.\t.\t.\t:\nm welchem sie den Muskel trifft, sein nat\u00fcrlicher w\u00e4re. Hierauf folgt dass die Gesammtverk\u00fcr-zung am st\u00e4rksten, n\u00e4mlich etwa verdoppelt ausf\u00e4llt, wenn das Intervall beider Reize gleich dem Stadium der steigenden Energie einer einfachen Zuckung ist; bemerkenswertli ist, dass dies verdoppelte Zuckungsmaximum in eine Zeit f\u00e4llt, wo die Wirkung der ersten Reizung, wenn ihr keine zweite gefolgt w\u00e4re, fast ganz wieder verschwunden sein w\u00fcrde.\nSind beide Reize nicht maximal, so verst\u00e4rken sie sich nach Helmholtz auch dann, wenn ihr Intervall kleiner ist als das Stadium der latenten Reizung. Auch am Ureter fand Enoelmann 2, dass unwirksame Reize, wenn sie rasch auf einander folgen, sich zu erregender Wirkung summiren k\u00f6nnen. Bei Muskeln von langsamer Contraction ist nat\u00fcrlich das zur Superposition n\u00f6thige Intervall entsprechend l\u00e4nger.\n1\tHelmholtz, Monatsber. d. Berliner Acad. 1854. S. 328.\n2\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 280. 1870.","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Superposition. Tetanische Verschmelzung.\n41\nIT. Anhaltende Zusammenzieliungen.\n1. Tetanus durch successive Heizungen.\nSchon im vorigen Jahrhundert war es bekannt \\ dass rasch wiederholte Reizung eines Muskels oder seines Nerven eine anhaltende Contraction hervorbringt, welche man, wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem durch Gift oder Krankheit hervorgerufenen Starrkrampf (r\u00e9ravo\u00e7, Spannung) als Tetanus bezeicknete; um die Einf\u00fchrung des Teta-nisirens in die physiologische Erforschung des Muskels haben sich haupts\u00e4chlich du Bois-Reymond (1842)\u201c, Helmholtz (1845) und Ed. Weber (1846) Verdienste erworben.\nDas Wesentliche des Tetanisirens besteht auf den ersten Blick darin, dass die Reize so rasch hintereinander auf die Muskeln wirken, dass keine Zeit zum Erschlaffen zwischen zwei Zuckungen \u00fcbrig bleibt. Die Vergleichung der Contractionsgr\u00f6ssen bei Zuckung und Tetanus mit im Uebrigen gleich starken Reizen lehrt aber sofort, dass auch eine Superposition der Einzelzuckungen statttindet.\nDie Methoden zumTetanisiren werden zweckm\u00e4ssiger bei der allgemeinen Nervenphysiologie besprochen (vgl. den II. Band dieses Handbuchs).\nDie zur Verschmelzung der Zuckungen n\u00f6thige Reizfrequenz ist nat\u00fcrlich um so geringer, je langsamer die Einzelzuckung abl\u00e4uft; so dass alle S. 38 und unten S. 46 er\u00f6rterten Einfl\u00fcsse sich auch hier geltendmachen, und auf die dort genannten Literaturstellen verwiesen werden kann. Sie ist also geringer bei der Schildkr\u00f6te als beim Frosch, beim Kaltbl\u00fcter geringer als beim Warmbl\u00fcter, und am letzteren geringer bei den rothen als bei den blassen Muskeln, geringer beim Neugebornen als beim Erwachsenen, besonders gering in der K\u00e4lte, im erm\u00fcdeten Zustande, im absterbenden Muskel, bei Vergiftung mit Veratrin und \u00e4hnlichen Substanzen, und unzweifelhaft auch geringer bei heftiger und bei directer Reizung als bei m\u00e4ssiger und indirecter.\nFig. 17, S. 42 (nach Marey) zeigt den Einfluss der Erm\u00fcdung; die Curve ist mit der Pince myographique am Menschen gewonnen. Die anfangs nicht tetanisirende Frequenz f\u00fchrt, obgleich sie unver\u00e4ndert bleibt, durch Erm\u00fcdung zum Tetanus. Ganz \u00e4hnliche Wirkungen erh\u00e4lt man schon bei kurzem Tetanisiren mit nicht ganz zureichenden Reizfrequenzen, wie man aus Fig. 18, S. 43, sieht, welche ich einer (\u00fcbrigens einen ganz anderen Gegenstand betreffenden) Arbeit von Fick'1 2 entnehme; jeder Te-\n1\tVgl. die historischen Bemerkungen hei du Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcber thierische Electr. II. 1. S. 36.\n2\tFick, in den Beitr\u00e4gen zur Anat. u. Physiol., als Festgabe f\u00fcr C. Ludwig, I. S. 162. Leipzig 1874.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42 Hermann. Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\ntamis dauert nur etwa 1,8 Secunden; die Reizfrequenz ist in jedem folgenden Tetanus (von links nach rechts) etwas gr\u00f6sser; man sieht, dass die Erm\u00fcdung die Superposition der verlangsamten Einzelzuckungen beg\u00fcnstigt, so dass die Teta-nuscurve durch Erm\u00fcdung a n s t e i g t, wie in Fig. 17. Minot 1 hat k\u00fcrzlich diese Er-^ scheinung als neu beschrieben und aus Zu-| n\u00e4hme der Erregbarkeit w\u00e4hrend des Teta-! nus erkl\u00e4rt. Dass schon in k\u00fcrzestem Teta-~ nus Erm\u00fcdungserscheinungen sich geltend \u00a7 machen, zeigt sich auch in gewissen gal-| vanischen Erscheinungen (s. d. 8. Capitel). m Ferner zeigt Fig. 19, S. 43 (nach Neon'S Ecker & Stirling) das Verhalten des rothen (obere Curve) und des blassen (unten) | Kaninchenmuskels gegen\u00fcber gleicher | Reizfrequenz (4 p. sec.); der rotlie Mus-! kel ist in Tetanus, der blasse nicht. Die g Curven gehen von rechts nach links.\n* Dass bei minimalen Reizen der Teta-| nus oft nicht gleichm\u00e4ssig zu Stande | kommt, liegt, wie Kronecker2 fand, nur | an M\u00e4ngeln der Unterbrechungsstelle, de-| nen durch seinen \u201e Capillarcontact \u201c abge-\u00ae holfen werden kann (s. d. II. Band).\nFolgende Zahlen geben einen unge-! f\u00e4hren Begriff von der zur tetanischen H Verschmelzung der Zuckungen n\u00f6thigen J Reizfrequenz pro Secunde:\nCG\tMarey :\nSchildkr\u00f6te.............. 2\n- Frosch, Hyoglossus ....\t10\n.\u00ebp\tGastrocnemius\t.\t.\t.\t*27\n\u201e desgl., erm\u00fcdet .\t.\t15\nSOLTMANN:\nNeugeb. Warmbl\u00fcter ...\t16\nRanvier :\nRother Kaninchenmuskel .\t.\t50\nBlasser\t\u201e\t\u00fcber\t357\nKronecker & Stirling:\nRother Kaninchenmuskel .\t.\t4\u2014 10\nBlasser\t,,\t\u00fcber\t20\u2014\t30\nH. Landois3, Marey4:\nFl\u00fcgelmuskeln v. Insecten \u00fcber 330\u2014440\n1\tMinot, Journ. of anat. and physiol. XII. p. 297. 1878.\n2\tKronecker, Verhandl. d. physiol. Ges. z. Berlin 1877; im Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. S. 571.\n3\tH. Landois, Ztschr. f. wiss. Zool. XVII. S. 105. 1867.\n4\tMarey, Compt. rend. LXVII. p. 1341. 1868; La machine animale p. 192. Paris 1873.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Tetanisirende Reizfrequenz.\n43\nDie Zahlen sind unter einander nicht streng vergleichbar, da Reizst\u00e4rke, Temperatur, Pr\u00e4paration u. s. w. Einfluss haben. Die sehr auffallenden Unterschiede in den Angaben bez\u00fcglich der Kaninchenmuskeln beruhen, wie Kronegker\nhpi'vfi\u2019pmipn? nimmt 7n FiS* 18- (S. 41.) Kurze Tetani; Reizungsdauer jedesmal 1,8 Sec mmim au- Reizfrequenz in jedem folgenden gr\u00f6sser, im ersten nur Zuekun\nn\u00e4chst di\u00e8 Intensit\u00e4t\tgen gebend'\ndes Tetanus, d. h. die Verk\u00fcrzungsgr\u00f6sse bei gleicher Last, ebenso\ndie absolute Kraft (s. unten), bis zu einem gewissen Grade durch\nFig. 19. (S. 42.) Reizung eines rotten (oben) und eines blassen (unten) Kaninebenmuskels mit Schl\u00e4gen p. sec. Die untere Linie markirt halbe See.\nSuperposition zu. Man sieht dies z. B. aus Fig. 20 (nach Makey), in welcher die Reize immer schneller auf einander folgen ; bei c ist\nFig. \u00dc0. Wirkung zunehmender Reizfrequenz auf einen Muskel. Stimmgabel 50 p. sec.","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\ndie Frequenz so gross geworden, dass gleiehm\u00e4ssiger Tetanus eingetreten ist; die weitere Frequenzsteigerung aber erh\u00f6ht die Intensit\u00e4t der Contraction noch weiter. (Die Stimmgabelcurve markirt F\u00fcnfzigstel Secunden.)\nBei immer weiterer Frequenzvermehrung machen sich indess Momente geltend, welche die Erregung \u00fcberhaupt erschweren. Nach einer Anzahl von Untersuchungen l\u00e4sst sich von einer gewissen Frequenz ab der Tetanus nur noch durch Steigerung der Intensit\u00e4t der Reize erzwingen, w\u00e4hrend bei der bisherigen Reizst\u00e4rke nach Bernstein, Engelmann, Gr\u00fcnhagen nur im Beginn der Erregung eine einzelne Zuckung (\u201eAnfangszuckung,'\u201c Bernstein), und nach Engelmann und Gr\u00fcnhagen auch am Schluss eine \u201eEndzuckung\u201c auftritt, als w\u00e4re statt der raschen Folge von Inductionsst\u00f6ssen ein constanter Strom vorhanden.1 Ueber die hierzu erforderliche Frequenz gehen die Angaben weit auseinander, was nicht zu verwundern ist, da dieselbe eine Function der Stromst\u00e4rke ist. W\u00e4hrend die Einen schon bei 200\u2014500 Reizen p. sec. den Tetanus ausblei-ben sahen, erhielten ihn andere noch bei einer Frequenz von 22000 p. sec., und selbst bei m\u00e4ssigen Reizen.\nIn einem Theil der F\u00e4lle war unzweifelhaft das Ausbleiben des Tetanus nur in der bekannten Unsicherheit der Contacte bei rasch rotirenden Unterbrechungsapparaten begr\u00fcndet; in anderen war es die grosse K\u00fcrze der Schliessungen des prim\u00e4ren Stromes, welche das Zustandekommen hinreichend kr\u00e4ftiger Inductionsstr\u00f6me verhinderte, wenn nicht der prim\u00e4re Strom verst\u00e4rkt wurde. Dagegen reichen diese Erkl\u00e4rungen offenbar nicht aus f\u00fcr den Fall, wo ein Inductionsapparat mit tetanisirenden Str\u00f6men best\u00e4ndig spielt, und die Zulassung der Str\u00f6me zum Pr\u00e4parat (durch Wegr\u00e4umen einer Nebenschliessung) nur mit \u201eAnfangszuckungen\u201c beantwortet wird (Bernstein). Die hierf\u00fcr aufgestellten Erkl\u00e4rungen laufen zum Theil darauf hinaus, dass eine Verschmelzung der durch die Erregung bedingten galvanischen Processe im Nerven und Muskel selber bei einer allzuschnellen Folge der Reize eintrete (Bernstein, Gr\u00fcn-\n1 Vgl. hierzu Haeless, gel. Anz. d. bayr. Acad. XLY. S. 47; 1857; Ztschr. f. rat. Med. (3) XIV. S. 115.1862 ; Heidenhain, Studien des physiol. Instit. zu Breslau I. S. 64. Leipzig 1861 ; Guillemin, Compt. rend. LII. p. 1140. 1861 ; Valentin, Die Zuckungsgesetze des lebenden Nerven und Muskels S. 41. Leipzig u. Heidelberg 1863; Ztschr. f. Biologie IX. S. 75. 1873 ; Maeey, Du mouvement dans les fonctions de la vie p. 384. Paris 1868; v. Wittich, Arch. f. d. ges. Physiol. IL S. 329. 1869; Engelmann, ebendas. IV. S. 3. 1871 ; Beenstein, Untersuchungen \u00fcber den Erregungsvorgang u. s. w. S. 97. Heidelberg 1871 ; Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 318.1872 ; XVIII. S. 121.1878; Setschenow, ebendas. V. S. 114. 1872; Ge\u00fcnhagen, ebendas. VI. S. 157. 1872; Keon-eckee & Sterling, Monatsber. d. Berliner Acad. 1877. S. 759; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878. S. 1,394.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Angebliche Unwirksamkeit grosser Reizfrequenzen.\n45\nhagen). Bernstein bezieht dies auf die negativen Stromesschwankungen, deren jede etwa V250 Secunde in Anspruch nimmt, so dass sie bei einer Frequenz von 250 zu verschmelzen anfangen, w\u00e4hrend Gr\u00fcnhagen den thierischen Theilen eine gewisse moleculare Tr\u00e4gheit zuschreibt, verm\u00f6ge deren sie unter einer Reihe von St\u00f6ssen in best\u00e4ndiger Ver\u00e4nderung verharren, als durchfl\u00f6sse sie ein constater Strom (wie er vermuthet, die Resultirende der verschieden intensiven beiden Inductionsstr\u00f6me). Engelmann sucht dagegen den Grund darin, dass im Nerven und in noch h\u00f6herem Grade im Muskel jede Stelle nach dem Durchgang einer Erregungswelle einer gewissen Pause bed\u00fcrfe um einer neuen den Durchgang zu gestatten. Bei directer Reizung findet er an der Cathode auch bei nicht tetanisiren-den Frequenzen bleibende Contraction. Sehr bemerkenswerth ist es, dass Kronecker & Stirling mit dem sichersten Inductionsapparat, n\u00e4mlich mit Str\u00f6men, welche von einem longitudinal - schwingenden Magnetstab inducirt wurden (N\u00e4heres s. im II. Bande), bis zu den h\u00f6chsten Frequenzen Tetanus erhielten, und auch keine einer Anfangszuckung entsprechende initiale Verst\u00e4rkung sahen. Es sei noch erw\u00e4hnt, dass die Angaben bez\u00fcglich des Ausbleibens des Tetanus nach Bernstein, Gr\u00fcnhagen u. A. sowohl f\u00fcr directe (bei Curare-vergiftung) als f\u00fcr indirecte Reizung gelten, und nach Masson1, Guillemin, Mare y u. A. sehr frequente Inductionsstr\u00f6me von der Haut auch nicht empfunden werden.\n.2. Anhaliencle Contraction durch einmalige Reizung.\nIm normalen Zustande sind anscheinend niemals anhaltende Contractionen die Folge einfacher Reize. Dagegen treten sie als solche in mannigfachen abnormen Zust\u00e4nden des Muskels auf.\nSchiff hat das Verdienst, eine fr\u00fcher nur gelegentlich beobachtete Erscheinung an ab sterben den Muskeln zuerst genauer verfolgt zu haben.2 Streicht man \u00fcber einen solchen Muskel, am besten von\n1 Masson, Ami. d. chim. et phys. (2) LXYI. p. 28. 1837 ; dies scheint \u00fcberhaupt die erste Beobachtung \u00fcber Wirkungslosigkeit allzufrequenter Str\u00f6me.\n} Eine der ersten hierhergeh\u00f6rigen Beobachtungen, am Gaumenorgan der Schleie, s. bei Ed. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 29.1846. In der von Baierlacher citirten Stelle von Bemak, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1843. S. 182 (vgl. \u00fcber diese Arbeit unten Cap. 3), vermag ich eine unzweifelhafte Beschreibung der idiomuscul\u00e4ren Contraction nicht zu erkennen. Dagegen hat Bennet Dowler (Experimental researches on the post-mortem contractility. New- York 1846 ; ein Auszug von Brown-S\u00e9quard im Journ. d. 1. physiol. I. p. 37) unzweifelhaft die idiomus-cul\u00e4re Contraction gesehen; an eben Verstorbenen sah er Muskelcontractionen auf mechanische Reizung, welche sp\u00e4ter bei abnehmender Erregbarkeit auf die Reizstelle beschr\u00e4nkt blieben. Die Mittheilungen von Schiff s. Froriep\u2019s Tageber. 1851. S. 193; Molesch. Unters. I. S. 84.1S56; Lehrb. d. Muskel- u. Nervenphysiologie S 17 Lahr 1858\u201459.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2, Cap. Zusammenziehung des Muskels.\neinem Warmbl\u00fcter (auch an hingerichteten Menschen sind h\u00e4ufig solche Versuche angestellt worden), mit einem harten Gegenst\u00e4nde hin, so sieht man an den getroffenen Stellen eine locale, lange Zeit anhaltende Verk\u00fcrzung und Verdickung in Form eines Wulstes auf-treten. Am sch\u00f6nsten ist die Erscheinung, wenn die Striche quer zur Faserrichtung laufen, man kann mit dem Instrumente beliebige Relieffiguren schreiben. Anfangs sieht man ausser dem bleibenden localen Wulst eine rasch vor\u00fcbergehende Zuckung der getroffenen Fasern in ihrer ganzen L\u00e4nge; in sp\u00e4teren Stadien des Absterbens tritt nur der Wulst auf. Auch chemische und (was Schiff anfangs bestritt, K\u00fchne aber feststellte) auch electrische Reize wirken in dieser Weise. Schiff nannte diese Erscheinung die \u201eidiomuscu-l\u00e4re Contraction\u201c aus sp\u00e4ter anzugebenden Gr\u00fcnden.\nBei dem soeben beschriebenen Ph\u00e4nomen ist heftige directe Reizung offenbar ausser dem Absterbezustand (der es namentlich beim Warmbl\u00fctermuskel beg\u00fcnstigt) eine wesentliche Bedingung, denn sonst w\u00fcrde auch die fortgeleitete Zuckung des Faserrestes in anhaltende Contraction \u00fcbergehen m\u00fcssen. In der That lehren nun auch noch andere Beobachtungen, dass heftige directe Reizungen, und zwan an ganz normalen Muskeln, anhaltende Contractionen machen, local oder allgemein, je nach der Art der Erregung. An mageren Menschen bewirkt mechanische Reizung, Schlag auf eine muscul\u00f6se Stelle, besonders wenn Knochen darunter liegen, deutliche locale Wulstbildung, die allerdings nur einige Secunden anh\u00e4lt, neben fortgeleiteter Zuckung der getroffenen Fasern.1 Bei directer Totalreizung von Froschmuskeln sah ferner Tiegel, wie schon oben S. 35 erw\u00e4hnt, die Zuckung unvollkommen schwinden, ja bei Fr\u00fchlingsfr\u00f6schen sogar in voller St\u00e4rke als dauernde Verk\u00fcrzung bestehen bleiben (s. d. S. 35 cit. Stellen).\nVon Abnormit\u00e4ten, welche die Beharrung der Verk\u00fcrzung beg\u00fcnstigen, sind ferner, im Anschluss an die schon gemachten Bemerkungen \u00fcber die Dauer der Zuckung \u00fcberhaupt, besonders zu erw\u00e4hnen die Erm\u00fcdung, die K\u00e4lte (s. oben S. 39) und die Einwirkung gewisser Gifte, besonders des Veratrins. Die schon von Helmholtz bemerkte Verl\u00e4ngerung und unvollkommene Beendigung der Zuckungscurve durch Erm\u00fcdung haben Wundt, Marey,\ni Vgl. Baierlacher, Ztschr. f. rat. Med. (3) Vni. B. 263. 1859; Auerbach, Jali-resber. d. schles. Ges. 1859. 1860; Abhandlungen d. med. Sect, 1861; ein Auszug in Ztschr. f. rat. Med. (3) XIV. S. 215. 1862. (Nach einer Bemerkung Auerbach s ist der Verfasser der vorstehenden Abhandlung nicht Baierlacher, sondern M\u00fchlh\u00e4user; doch finde ich in der betr. Zeitschrift keine Berichtigung.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Abnorme Zuckimgsveii\u00e4ngerungen. Idiomusc. Contraction. Nat\u00fcrl. Contraction. 47\nFunke u. A. n\u00e4her studirt.1 Das Veratrin, Antiarin, Digitalin und eine ganze Reihe anderer Gifte haben, wie zuerst Harless'2, dann besonders v. Bezold & Hirt, Pr\u00e9vost, Fick & B\u00f6hm, Buchheim & Eisenmenger festgestellt haben3, die Eigenschaft, jede Zuckung in eine anhaltende Contraction zu verwandeln, welche dem Tetanus sehr \u00e4hnlich aussieht, und zwar liegt die Ursache, wie besonders Fick & B\u00f6hm nach wiesen, in den Muskeln und nicht in den Nerven.\n3. Anhaltende Contractionen durch continuirliehe Einwirkungen.\nHierher geh\u00f6ren die noch wenig untersuchten Verk\u00fcrzungen w\u00e4hrend constanter galvanischer Durchstr\u00f6mung (Wundt) und w\u00e4hrend der Einwirkung h\u00f6herer Temperaturen (Schmulewitsch) , von welchen im folgenden Capitel die Rede ist.\n4. Die nat\u00fcrliche anhaltende Contraction.\nZuckungsartig schnelle nat\u00fcrliche Bewegungen sind gegen\u00fcber den anhaltenderen Contractionen verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig selten. Die letzteren betrachtet man ziemlich allgemein als die Folge intermittiren-der Erregung der motorischen Nerven, also als wirklichen Tetanus, haupts\u00e4chlich weil man durchaus kein Mittel kennt, einen normalen Muskel von seinem Nerven aus auf anderem Wege in anhaltende Verk\u00fcrzung zu versetzen. Dieser Grund ist, so sehr man seine Bedeutung anerkennen muss, doch kein ersch\u00f6pfender Beweis. Man glaubt aber auch directe Beweise zu haben, dass die nat\u00fcrliche Contraction ebenso wie der k\u00fcnstliche Tetanus aus verschmolzenen Zuckungen zusammengesetzt sei.\nEin ausgezeichnetes Mittel, um die discontinuirliche Natur der Contraction festzustellen, w\u00e4re der von discontinuirliehen Actionsstr\u00f6men im tetanisirten Muskel herr\u00fchrende secund\u00e4re Tetanus (s. das 8. Capitel). Solchen von nat\u00fcrlich contrahirten Muskeln zu erhalten ist aber bisher Niemand gelungen; du Bois - Reymond 4, Harless 5, neuerdings Morat & Toussaint 6, Hering & Friedrich 7 und ich 8 haben es vergebens versucht, und besten Falls nur secun-\n1\tN\u00e4heres s. unten im 4. Capitel, sub III.\n2\tHarless, Ztschr. f. rat. Med. (3) XIV. S. 97. 1862.\n3\tGenauere Literaturangaben s. in meinem Lehrb. d. exper. Toxicologie S. 346, 351, 360 u. s. w. Berlin 1874.\n4\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcberthier. Electr. II. 2. S. 304,369.1859.\n5\tHarless, Ztschr. f. rat. Med. (3) XIV. S. 110. 1862.\n6\tMorat & Toussaint, Compt. rend. LXXXII. p. 1269; LXXXIII. p. 155, 834. 1876; Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1877. p. 156.\n7\tHering & Friedrich, Sitzungsber. d. Wiener Acad. LXXII. S. 430. 1874.\n8\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 260. 1877.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48 Hermann. Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nd\u00e4re Zuckung\u2019 im Beginn der Contraction erhalten. Auch der der nat\u00fcrlichen Contraction nahe stehende Strychnintetanus gibt nur selten und unsicher secund\u00e4ren Tetanus.1 Freilich ist das Ausbleiben des secund\u00e4ren Tetanus noch kein zwingender Beweis gegen die discontinuirlicke Natur der Contraction, so beweisend sein Eintritt f\u00fcr die letztere w\u00e4re. Denn erstens sind m\u00f6glicherweise die willk\u00fcrlichen Contractionen im Vergleich mit den k\u00fcnstlichen Beizungen s\u00e4mmtlich zu schwach, oder geschehen mit einem relativ zu geringen Aufwand an galvanischer Action im Muskel, um erregungsf\u00e4hige Stromesschwankungen zu liefern2 ; zweitens ist es m\u00f6glich, dass bei der nat\u00fcrlichen Erregung die einzelnen Fasern nicht gleichzeitig, sondern zu verschiedenen Zeiten ihre Reizst\u00f6sse empfangen, oder wie Br\u00fccke3 4 es ausdr\u00fcckt, nicht nach Art von Salven, sondern nach Art eines Pelotonfeuers; drittens ist in vielen Versuchen der Widerstand im Kreise zu gross gewesen; viertens hat sich neuerdings herausgestellt, dass die v\u00f6llig unversehrten und unerm\u00fcdeten Muskeln Actionsstr\u00f6me besitzen, deren Resultirende, auf die Zeit gleichm\u00e4ssig vertheilt, Null ist, so dass nur unter gewissen Annahmen eine secund\u00e4r erregende Wirkung erfordert wird (vergl. hier\u00fcber das 8. Capitel).\nEine zweite Erscheinung, welche zum Beweise der Discontinuit\u00e4t der Erregung bei der nat\u00fcrlichen Contraction dienen k\u00f6nnte, ist das Muskelger\u00e4usch. Nach Wollaston wurde zuerst Grimaldi4 auf das dumpfe Ger\u00e4usch aufmerksam, welches man h\u00f6rt, wenn man einen Finger ins Ohr steckt und dann den Arm kr\u00e4ftig contrahirt. Wollaston5 bezog dies Ger\u00e4usch, welches er dem eines entfernten Wagens verglich, auf eine intermittirende Natur der Muskelcontrac-tion, und meinte, dass eine Verlangsamung der Schwingungen durch Alter und Schw\u00e4che das Zittern der Greise hervorbringe.* Die Frequenz der Schwingungen suchte er folgendermassen zu bestimmen; der Arm wurde auf ein gekerbtes Brett gest\u00fctzt, \u00fcber welches ein abgerundetes Holz mit solcher Geschwindigkeit hinweggef\u00fchrt wurde, dass das Ger\u00e4usch gleiche H\u00f6he mit dem Muskelger\u00e4usch hatte; so\n1\tVgl. du Bois-Reymond, a. a. 0.; Hermann, a. a. 0. S. 262.\n2\tAuch wenn man den Kreis, der den willk\u00fcrlich contrahirten Muskel und den strompr\u00fcfenden Nerven enth\u00e4lt, w\u00e4hrend des Tetanus schliesst und \u00f6ffnet, entsteht keine secund\u00e4re Zuckung; vgl. du Bois-Reymond, a. a. 0. S. 307, 369.\n3\tBr\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXV. Sep.-Abdr. 1877.\n4\tGrimaldi, Physicomathesis de lumine p. 383; nach einem Cit\u00e2t von Wollaston. Ich finde \u00fcbrigens schon bei Haller (Elementa physiologiae IV. p. 446. 1762) das Muskelger\u00e4usch erw\u00e4hnt, und dabei citirt Swammerdam, bibl. p. 845, und Roger, De perpet. fibr. musc, palpat.\n5\tWollaston, Philos. Transact. Roy. Soc. 1810 ; Uebersetzung von Gilbert in Gilbert\u2019s Ann. d. Physik XL. S. 32. 1812.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Beschaffenheit der nat\u00fcrlichen Contraction. Muskelger\u00e4usch.\n49\nfand er, dass die Frequenz des letzteren zwischen 20 und 30 lag (Minimum 14\u201415, Maximum 35\u201436 per Sec.). Ein Wagen, der \u00fcber ein Pflaster von 6 Zoll Steinbreite f\u00e4hrt, m\u00fcsste, um ein Ger\u00e4usch von 24 per Sec. zu geben, eine Geschwindigkeit von 8 engl. Meilen per Stunde haben, was mit der Geschwindigkeit der Cabs gut stimmt. So weit Wollaston. Sp\u00e4tere Beobachter, besonder^ Haughton1, Collongues2 und Natanson3 fanden die Tonh\u00f6he bei den verschiedensten Muskeln und Individuen sehr constant, und bestimmten sie theils auf \u00e4hnlichen Wegen wie Wollaston, theils durch Orgelpfeifen, Stimmgabeln u. dgl., zu 32\u201436 per Sec. (C\u2014i\u2014D-1).4 5\nDen n\u00e4chsten bedeutenden Schritt auf diesem Gebiete machte Helmholtz 5 ; er beobachtete das Ger\u00e4usch an sich selber, indem er Nachts bei verstopften Ohren die Kaumuskeln oder die Gesichtsmuskeln contrahirte6, an andern Personen mittels des Stethoscops ; er fand die Schwingungszahl ebenfalls zu 36\u201440, ermittelte aber durch Mitschwingen von federnden Bl\u00e4ttchen7 8, dass der eigentliche, freilich nicht h\u00f6rbare Grundton des Muskelger\u00e4usches 18 bis 20 Schw. per Sec. besitzt, man also nur den ersten Oberton h\u00f6rt. Weiter fand er, dass bei k\u00fcnstlicher Tetanisirung des Muskels mittels eines (entfernt aufgestellten) Inductionsapparats ein Ton geh\u00f6rt wird, dessen Schwingungszahl der Reizfrequenz entspricht.3 Somit war der Schluss gerechtfertigt, dass auch der Grundton des nat\u00fcrlichen Muskelger\u00e4usches ein Ausdruck der nat\u00fcrlichen Reizfrequenz sei, der Muskel also bei willk\u00fcrlicher Contraction 18\u201420, wahrscheinlich 19,5 Reize per Sec. empfange. Ein \u00e4hnliches Ger\u00e4usch entsteht auch beim k\u00fcnstlichen Tetanisiren, wenn die Str\u00f6me nicht dem Nerven oder Muskel, sondern dem R\u00fcckenmark zugef\u00fchrt\n1\tHaughton, Outlines of a theory of muscular action. London 1863; Principles of animal mechanics. 2. edition p. 16. London 1873.\n2\tCollongues, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1860. p. 81, 95, 137; Trait\u00e9 de dynamoscopie. Paris 1862.\n3\tNatanson, Amtl. Ber. d. 35. Naturf.-Vers. S. 126. K\u00f6nigsberg 1860.\n4\tHaughton legt Werth darauf, dass das Ohrenklingen (\u201etinnitus\u201c), das er seltsamerweise von einer Nervenschwingung herleitet, ebenfalls ein c sei, jedoch 5 Octa-ven h\u00f6her als das Muskelger\u00e4usch (\u201esusurrus\u201c). Alle Beobachter stimmen darin \u00fcberein, dass der erste Herzton gleiche H\u00f6he mit dem Muskelger\u00e4usch hat. N\u00e4heres \u00fcber die Natur des ersten Herztons s. im IV. Bande dieses Handbuchs.\n5\tHelmholtz, Monatsber. d. Berliner Acad. 1864. S. 307 ; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1864. S. 766; Verh. d. naturh.-med. Ver. z. Heidelberg IV. S. 88. 1868.\n6\tHensen (Arb. a. d. Kieler physiol. Instit. 1868. S. 98) glaubt unter Umst\u00e4nden auch ein Muskelger\u00e4usch des Tensor tympani h\u00f6ren zu k\u00f6nnen.\n7\tDiese Bl\u00e4ttchen (Uhrfedern oder Papierbl\u00e4ttchen) waren an einem Holzbrettchen befestigt, das den Muskeln angelegt wurde; das Mitschwingen war am kr\u00e4ftigsten, wenn das Bl\u00e4ttchen eine Eigenschwingungszahl von 19,5, 39, 58,5 oder 78 hatte.\n8\tDas gleiche fand neuerdings Bernstein auch am Kaninchen; von derjenigen Frequenz ab, bei welcher die \u201eAnfangszuckung\u201c beginnt (s. oben), erschien auch das Muskelger\u00e4usch schw\u00e4cher; vgl. Arch. f. d. ges. Physiol. XI. S. 191.1875.\nHandtuch der Physiologie. Bd. I.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nwerden.1 Es scheint hiernach, dass die Centra der motorischen Nerven im R\u00fcckenmark sowohl die vom Gehirn ausgehende als die directe Erregung (vermuthlich auch die reflectorische und toxische) mit einer selbstst\u00e4ndigen periodischen Action von 19\u201420 per Sec. beantworten.\nAuch an Froschmuskeln gelang es Helmholtz das Muskelger\u00e4usch, wenn auch sehr schwach, zu h\u00f6ren, indem er sie, an einen in den Geh\u00f6rgang gesteckten Stab geh\u00e4ngt, ein Gewicht heben liess. Besser gelang es mit dem oben genannten Apparate Schwingungen der Feder zu sehen, sobald der Muskel, an das Brettchen geh\u00e4ngt, mit 16\u201420 Reizen p. sec. direct oder vom R\u00fcckenmark aus gereizt wurde; im letzteren Falle erschienen die Schwingungen der Feder von 16 p. sec. auch dann schwach, wenn das R\u00fcckenmark 120 Reize p. sec. empfing, kr\u00e4ftig dagegen bei 18 Reizen p. sec. 16\u201418 p. sec. scheint also auch f\u00fcr das Froschmark der Periodenwerth zu sein. Helmholtz fand ferner, dass die nat\u00fcrlichen Muskelschwingungen viel unregelm\u00e4ssiger sind, als die von Federn oder acustischen Apparaten.\nDie Schl\u00fcsse bez\u00fcglich der nat\u00fcrlichen Contraction w\u00fcrden allerdings an Sicherheit bedeutend einb\u00fcssen, wenn sie blos auf das in gew\u00f6hnlicher Weise wahrgenommene Muskelger\u00e4usch gegr\u00fcndet w\u00e4ren, denn Helmholtz fand sp\u00e4ter2, dass dieses mit dem Resonanzton des Ohres \u00fcbereinstimmt, und durch Einwirkungen auf das Ohr selbst, z. B. den VALSALVA\u2019schen Versuch, seine H\u00f6he \u00e4ndert.3 Helmholtz geht \u00fcber die Frage, wie weit diese Thatsache die Schl\u00fcsse \u00fcber die Reizfrequenz des nat\u00fcrlichen Tetanus umstossen, stillschweigend hinweg und bemerkt nur, dass das h\u00f6rbare Muskelger\u00e4usch von 36\u201440 Schw. mit der Schwingungsperiode des Muskels, welche ziemlich unregelm\u00e4ssig ist, nichts zu thun hat, sondern nur ein durch diese unregelm\u00e4ssigen Ersch\u00fctterungen hervorgerufener Resonanztan des Ohres ist.4 Dass trotzdem die Periode der nat\u00fcrlichen Erregung vom Mark aus um 18\u201420 per Sec. liegt, scheint durch die objectiven Resonanzversuche an Federn, sowie durch den\n1\tZuerst bemerkt von du Bois-Reymond. Monatsber. d. Berliner Acad. 1859. S. 318. (Ges. Abh. II. S. 30.)\n2\tHelmholtz, Yerh.d.naturhist.-med. Ver. z. Heidelberg IV. S. 161.1867; schon Collongues (a. a. \u00d6.) hatte bestritten, dass der Ton von den Muskeln herr\u00fchrt.\n3\tSo erkl\u00e4rt sich vielleicht auch die Beobachtung Marey\u2019s (Compt. rend. LXII. p. 1171. 1866). dass der Muskelton des Masseter bei starker Contraction h\u00f6her wird ais bei schwacher, durch eine gleichzeitige Aenderung der Trommelfellspannung in Folge einer Mitcontraction des Tensor tympani.\n4\tDies scheint auch die richtige Erkl\u00e4rung der Beobachtung von Bernstein (a. a. O.), dass Kaninchenmuskeln bei chemischer Reizung des Nerven den nat\u00fcrlichen tiefen Muskelton geben. Bernstein macht zur Erkl\u00e4rung die wenig wahrscheinliche Annahme, dass der Nerv diejenige Periode, in welcher er gew\u00f6hnlich vom R\u00fcckenmark her erregt wird, durch Anpassung dergestalt zu seiner eigenen gemacht habe, dass er auch bei stetiger Reizung in sie verf\u00e4llt.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Frequenz und Ursache des Muskelger\u00e4usches. Nat\u00fcrliche Contraction. 51\nvon du Bois-Reymond erw\u00e4hnten sehr lauten Ton des tetanisirten Kaninchens, also durch zwei von der Resonanz des Ohres unabh\u00e4ngige Versuchsweisen sicher festgestellt.\nDie neuerdings vielfach ausgesprochenen Zweifel, ob die nat\u00fcrliche Contraction wirklich discontinuirlicher Natur sei, st\u00fctzen sich haupts\u00e4chlich auf das Ausbleiben der secund\u00e4ren Zuckung und auf die Thatsache, dass das Muskelger\u00e4usch ein Resonanzton des Ohres ist. Aus dem hier Gesagten erhellt, dass diese Zweifel nicht berechtigt sind, obgleich man zugeben muss, dass ein ganz directer Beweis sehr w\u00fcnschenswerth w\u00e4re. Am vollst\u00e4ndigsten hat Br\u00fccke (a. a. 0.) die Wahrscheinlichkeitsgr\u00fcnde zusammengestellt, welche f\u00fcr discontinuirliche Natur der nat\u00fcrlichen Contraction, selbst ziemlich kurzer Bewegungen, sprechen; u. A. urgirt er das bei Anstrengungen auftretende Zittern. Die Frage, ob wir das Verm\u00f6gen besitzen, dem Ablauf einzelner Zuckungen k\u00fcrzer und l\u00e4nger zu machen, l\u00e4sst sich noch nicht mit Bestimmtheit beantworten; es ist wahrscheinlicher, dass l\u00e4ngere Zuckungen in Wahrheit kurze Tetani sind. Ueber die regulirende Mitwirkung der Antagonisten bei der willk\u00fcrlichen Bewegung s. die specielle Bewegungslehre.\nVon Einigen sind die Zweifel \u00fcber die Discontinuit\u00e4t sogar auf den k\u00fcnstlich erregten Tetanus ausgedehnt worden, meist wegen Mangels des secund\u00e4ren Tetanus1, ein Punct der schon oben er\u00f6rtert worden ist. Rouget2 urgirt ferner, dass man am tetanisirten Muskel Schwingungen der Querstreifen nicht sehen k\u00f6nne, obgleich man doch die gewiss schnelleren Schwingungen der Flimmercilien recht gut sehe. Dass man an einem gespannten und tetanisirten Muskel keine Longitudinalschwingungen sieht, habe ich schon vor vielen Jahren festgestelit, indem ich auf den mit St\u00e4rke bepuderten Muskel ein Microscop richtete ; die P\u00fcnctchen blieben unverzogen. Der periodische Vorgang im tetanisirten Muskel braucht aber durchaus kein grob mechanischer zu sein; schon die Stromesschwankungen gen\u00fcgen, um ein Ger\u00e4usch hervorzubringen. Hiervon habe ich mich neuerdings \u00fcberzeugt, indem ich eine leere Drahtspirale mit einem in einem entfernten Zimmer stehenden Magnetelectromotor verband und erstere ans Ohr hielt; man h\u00f6rt sehr deutlich ein Schnurren, welches nur durch die elect rischen Mole-eularbewegungen im Draht erzeugt sein kann.3 Es konnte sogar, im Hinblick hierauf, die Frage entstehen, ob nicht das isochrone Muskelger\u00e4usch beim HELMHOLTz\u2019schen Versuch lediglich von den Str\u00f6men\n1\tAusser beim willk\u00fcrlichen Tetanus vermissten ihn Hering & Friedrich(a. a. 0.) beim Schliessungs- und Oeffnungstetanus durch den constanten Strom (ebenso Morat & Toussaint), bei ganz gleichm\u00e4ssigem Strychnintetanus, und bei dem respiratorischen Zwerchfelltetanus ; Morat & Toussaint (a. a. 0.) auch bei Tetanus des erm\u00fcdeten Muskels, und bei sehr schneller Reizfolge.\n2\tRouget, Compt. rend. LXIY. p. 1276. 1867.\n3\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XYI. S. 507. 1878.\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52 Hermann. Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nselbst herr\u00fchrte ; allein ich habe mich \u00fcberzeugt, dass dieser Versuch auch bei indirecter Reizung, wo die t\u00f6nenden Muskeln gar nicht durchstr\u00f6mt sind, sehr gut gelingt, dass ferner, als ich an einer Thierleiche die Str\u00f6me durch Muskeln leitete und zwischen den Electroden ein Ste-thoscop aufsetzte, kein Ger\u00e4usch zu h\u00f6ren war (der Versuch wurde Nachts angestellt). Hiernach scheinen die eigenen electrischen Molecularschwin-gungen des Muskels kr\u00e4ftiger zu sein, als die bei Durchstr\u00f6mung mit ziemlich starken Inductionsstr\u00f6men ; ein Wink, wie kr\u00e4ftig die thierisch-electrischen Str\u00f6me sind, so schwach auch ihre nach aussen abgeleiteten Zweige erscheinen.\nY. Die Fortpflanzung der Zusammenziehung l\u00e4ngs der\nMuskelfaser.\nNachdem schon fr\u00fcher von mehreren Beobachtern wellenf\u00f6rmig ablaufende Contractionen beobachtet, von andern aber, wenigstens als regelm\u00e4ssigere Erscheinung, bestritten worden waren1, war es Schiff2, welcher zuerst die klare Angabe machte, dass nach localer Reizung des Muskels die Contraction sich durch die ganze L\u00e4nge des Muskels fortpflanzt, soweit derselbe nicht etwa durch sehnige Inscriptionen unterbrochen ist.3 Er beobachtete diese Fortpflanzung namentlich an absterbenden Muskeln, wo sie, betr\u00e4chtlich verlangsamt, von dem idiomuscul\u00e4ren Wulste ausgeht. Schiff schrieb jedoch, entsprechend seinen Anschauungen \u00fcber Muskelerregung, diese Leitung nicht der Muskelsubstanz, sondern einer Vermittlung des Nerven zu, und erst K\u00fchne4 bewies durch mannigfache Versuche an curarisirten und an nervenfreien Muskeln, dass die Muskelfaser selbst das Verm\u00f6gen hat, die Erregung durch ihre L\u00e4nge hindurchzuleiten. Schon die strenge Beschr\u00e4nkung auf die gereizten Fasern selbst beweist, dass eine Vermittlung des Nerven nicht stattfindet.\nBald darauf erfolgte die erste Messung der Geschwindigkeit des Contractionsablaufs durch Aeby.5 Ein Muskel (Gracilis des Froschs)\n1\tDie \u00e4lteren Beobachtungen, von Baglivi, Haller, Dumas, Ficinus u. A., findet man citirtbei Ed. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 65 ff., und in der unten citirten Schrift von Aeby, S. 9 ff. Weber selbst bestritt diese Erscheinung, offenbar weil er stets den Muskel in toto tetanisirte. Von positiven Beobachtungen sind namentlich zu erw\u00e4hnen die von Bowman, Philos. Transactions 1840. IL p.457; Remak, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1843. S. 182; Harless, Gelehrte Anzeigen, herausg. v. d. bayr. Acad. XXXVII. S. 254. 1853; Br\u00fccke, Untersuchungen \u00fcber den Bau der Muskelfasern mit H\u00fclfe des polarisirten Lichtes S. 9. Wien 1858.\n2\tSchief, Molesch. Unters. I. S. 84.1856 ; Lehrbuch der Muskel- und Nervenphy-siologie S. 25. Lahr 1858\u201459.\n3\tHierzu vgl. Fick, Molesch. Unters. IL S. 62.1857 ; Kupffer, Ztschr. f. rat. Med. (3) IL S. 160.1858; Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 54. 1874.\n4\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 418, 604.\n5\tAeby. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 253; Untersuchungen \u00fcber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in der quergestreiften Muskelfaser. Braunschweig 1862.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Fortpflanzung cler Contraction durch die Faser.\n53\nwurde horizontal ausgespannt, und schrieb mittels zweier Schreibhebel, deren jeder durch die Verdickung eines bestimmten Muskelquerschnitts gehoben wurde, die Verdickungscurve dieser beiden Querschnitte am HELMHOLTz\u2019schen Myographion auf; die beiden Curven, auf derselben Abscissenaxe stehend, waren gegen einander horizontal verschoben : einmal um den Betrag des gegenseitigen Abstands beider Schreibspitzen, der gleich war dem beider Querschnitte, und zweitens um eine dem Zeitintervall zwischen dem Beginn beider Verdickungen entsprechende L\u00e4nge; dies Zeitintervall zeigte sich, wenn der curarisirte 1 Muskel an einem Ende gereizt wurde, dem Abstande beider Querschnitte proportional, und so ergab sich eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Contraetionswelle von im Maximum 1,3\u20141,6, im Mittel etwa 1 m. per Sec. Die Geschwindigkeit nimmt mit dem Absterben des Muskels rasch ab. Aeby schloss an seine Versuche eine klare Er\u00f6rterung, welche es h\u00f6chst wahrscheinlich machte, dass auch bei indirecter Reizung die Contraction wellenf\u00f6rmig durch die Muskelfaser abl\u00e4uft, diesmal nat\u00fcrlich von den Eintrittsstellen der Nervenfasern ausgehend; auch vermochte er, indem er den einen Nervenast des Gracilis durchschnitt, den wellenf\u00f6rmigen Ablauf der Contraction im gel\u00e4hmten Muskelabschnitt bei indirecter Reizung des anderen Abschnittes zu demonstriren, ein Versuch, der damals, wo noch Manche an der, freilich schon durch K\u00fchne widerlegten Lehre von einer Verschiedenheit der idio- und neuromuscul\u00e4ren Contraction festhielten, von Bedeutung war.\nGleichzeitig mass auch v. Bezold 2, und zwar mit \u00e4hnlichem Resultat, aber nach ganz anderer Methode, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Contraction, wobei er freilich haupts\u00e4chlich den Einfluss galvanischer Polarisation als Versuchsziel vor Augen hatte (s. hier\u00fcber weiter unten). Er liess, indem er den Muskel in der Mitte sanft einklemmte, nur den untersten Theil seine Verk\u00fcrzung aufschreiben und bestimmte die Zeit zwischen einer Reizung am\n1\tF\u00fcr reine Versuche ist nat\u00fcrlich der Ausschluss cler Mitreizung der Nerven, also die Curarevergiftung, scheinbar unentbehrlich allein schon Aeby, und ebenso die folgenden Untersucher \u00fcberzeugten sich, dass die Resultate ohne Curare ebenso ausfallen, obgleich doch die Nerven an der Reizstelle, wegen ihrer gr\u00f6sseren speci-fischen Erregbarkeit, sogar st\u00e4rker erregt werden als die direct getroffene Muskelsubstanz, und durch ihre schnellere Leitung gewisse entfernte Muskelstellen in Zuckung gerathen m\u00fcssen, ehe die directe muscul\u00e4re Leitung sie erreicht. Der Grund liegt offenbar darin (vgl. Hekmann, Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 53. 1874), dass diese vereinzelten Zuckungen zur wirksamen Verdickung am zeichnenden Querschnitte noch nicht ausreichen, sondern letztere erst eintritt, wenn die direct geleitete Welle alle Fasern im gleichen Querschnitt gleichzeitig ergreift.\n2\tv. Bezold, Monatsber. d. Berliner Acad. 1861. S. 37Q; Untersuchungen \u00fcber die electrische Erregung der Nerven und Muskeln S. 156. Leipzig 1861.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54 Hermann. AUg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\noberen Muskelabschnitt und dem Beginn der Zuckung des unteren; er fand etwa 1,2 m. als Geschwindigkeit der Fortpflanzung.1\nIm Jahre 1871 erhielten gleichzeitig Bernstein und Valentin bedeutend h\u00f6here Geschwindigkeitswerthe. Ersterer2 war durch seine Versuche \u00fcber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der mit der Erregung verbundenen Negativit\u00e4t (s. unten im 8. Capitel) auf die Vermuthung gekommen, dass auch die Contraction schneller fortschreite, als man bis dahin gefunden hatte. Er \u00e4nderte das Aeby-sche Verfahren insofern ab, als er am gleichen Muskelquerschnitt (Gruppe des Gracilis mit Semimembranosus) das Latenzstadium der Verdickungscurve einmal bei naher, einmal bei entfernter Keizstelle mass ; er bestimmte also nicht die Geschwindigkeit der Contraction, sondern die freilich wohl zweifellos mit ihr identische Geschwindigkeit der ihr zu Grunde liegenden Erregung, und fand dieselbe zu 3,2\u20144,4 m. Auch Valentin, der fr\u00fcher wie Aeby 1 m. gefunden hatte, fand sp\u00e4ter3 am frischen Sartorius Werthe von 4,3 m. und mehr.\nIch selber machte dann auf einen Mangel in den Versuchen Aeby\u2019s und Bernstein\u2019s aufmerksam4; die von ihnen angewandten Muskeln, der Gracilis und Semimembranosus, besitzen n\u00e4mlich beide eine Inscriptio tendinea, die von ihnen nicht beachtet wurde, wenigstens nicht erw\u00e4hnt wird. Dieselbe geht beim Gracilis durch s\u00e4rnrnt-liche 5, beim Semimembranosus durch den gr\u00f6ssten Theil6 der Fasern hindurch, musste also die Muskeln f\u00fcr derartige Versuche sehr ungeeignet machen (dass keine Contractionswelle die Inscriptio \u00fcberschreiten kann, habe ich zum Ueberfluss am curarisirten Gracilis festgestellt), obgleich ihre sehr schr\u00e4ge Lage den Einfluss einiger-massen verwischt. Ich wiederholte deshalb die Versuche an beiden zusammengelegten Sartorien, und zwar, wegen der geringen Genauigkeit, mit der beim graphischen Verfahren die Abl\u00f6sung der Curve von der Abscisse messbar ist, nach der PouiLLET\u2019schen Zeitmessungsmethode, indem ich durch die Verdickung eines Muskelquerschnitts den \u00dcELMHOLTz\u2019schen Doppelcontact (s. oben S. 32)\n1\tAehnliche Resultate wie Aeby und v. Bezold erhielten auch Marey (Methode \u00e4hnlich der AEBY\u2019schen), Gaz. hebd. d. Paris 1S6T. No. 48 ; Du mouvement dans les fonctions de la vie p. 280. Paris 1868; ferner Place & Engelmann (Verfahren wie das v. Bezold\u2019s), Nederl. Arch. v. Genees- en Natuurk. III. p. 177. 1867; Jenai-sche Ztschr. f. Natur- u. He\u00fck. IY. S. 305. 1868.\n2\tBernstein. Untersuchungen u. s. w. S. 76. 1871.\n3\tValentin/Arch. f. cl. ges. Physiol. IY. S. 117.1871.\n4\tHermann. Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 48.1874.\n5\tEcker, Die Anatomie des Frosches S. Ill, 113,114. Braunschweig 1864.\n6\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 351. (Ges. Abh. II. S. 573.)","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Geschwindigkeit der Contractionswelle. Decrement derselben.\t5o\n\u00f6ffnen liess, einmal bei naher, einmal bei entfernte]\u2019 directer Reizung. Die Geschwindigkeit ergab sich im Maximum zu 3,3, im Mittel zu 2,7 m. (Einige wenige Versuche ergaben Geschwindigkeiten von mehr als 5 m.; da sie ohne Vermittlung vereinzelt dastanden, habe ich sie als verd\u00e4chtig ganz ausser Betracht gelassen; es w\u00e4re aber doch m\u00f6glich, dass hier besonders g\u00fcnstige Umst\u00e4nde eine m\u00f6glichst ann\u00e4hernde Erhaltung der vitalen Geschwindigkeit bewirkten, letztere also \u00fcber 5 m. liegt; vergl. unten meine Versuche am Menschen.)\nDer Versuch von Jendrassik *, die Geschwindigkeit aus der einfachen Zuckungscurve durch Rechnung zu finden, muss als verfehlt bezeichnet werden. J. nimmt a priori an, dass jedes Muskeltheilchen bei der Zuckung eine Schwingung nach der bekannten Gleichung y \u2014 a . sin rc tjT ausf\u00fchre und diese Schwingung sich wellenf\u00f6rmig \u00fcber die Faser fortpflanze ; hieraus berechnet er die Gestalt der Zuckungscurve, und indem er die wirkliche Curve mit der berechneten \u00fcbereinstimmend findet, glaubt er aus der Discussion derselben und der Messung ihrer Ordinaten die Werthe: der Schwingungsdauer des Elements (0,09\u20140,13 Sec.), und der Fortpflanzungsgeschwindigkeit (0,5 \u20141,2 m.) berechnen zu k\u00f6nnen. Es braucht kaum gesagt zu werden, wie unwahrscheinlich die zu Grunde gelegte Annahme, und wie viel bei der Identificirung der wirklichen und der berechneten (nach beiden Seiten nat\u00fcrlich vor allem symmetrischen!) Zuckungscurve unterdr\u00fcckt worden ist, ganz abgesehen davon, dass die Zuckungscurve mit den oben besprochenen M\u00e4ngeln behaftet ist, welche ihre unmittelbare theoretische Verwerthung verbieten.\nBernstein ist bei seinen Versuchen zuerst auf den wichtigen Umstand aufmerksam geworden, dass die Contractionswelle beim Ablauf durch die Muskelfaser an Intensit\u00e4t abnimmt, im Gegensatz zur Erregungswelle im Nerven.1 2 Man muss deshalb, um vergleichbare Curven zu erhalten, die Reizintensit\u00e4t an der entfernteren Reizstelle entsprechend vergr\u00f6ssern, und das AEBY\u2019sche Verfahren kann keine congruenten Curven liefern. Das gleiche Decrement hatte Bernstein auch beim Ablauf des galvanischen Erregungsvorgangs am Sartorius beobachtet, und zwar war diese Beobachtung beweisender, weil bei jener die Inscriptio die Ursache sein konnte; ich best\u00e4tigte dies Decrement der Contractionswelle auch f\u00fcr den Sartorius. Neuerdings hat du Bois-Reymond (a. a. 0.) die Frage aufgeworfen, ob nicht das Decrement eine blosse Absterbeerscheinung sei, d. h. der ganz normale Muskel die Erregung unvermindert durch sich hindurchleite. Diese Frage ist hierauf, zun\u00e4chst f\u00fcr den mit der Erregung verbundenen galvanischen Vorgang, in dem Sinne beantwortet\n1\tJendrassik, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1874. S. 513.\n2\tSchon 1868 hatte ich diese Abnahme wegen der Actionsstr\u00f6me unversehrter Muskeln vermuthet (Untersuchungen etc. III. S. 60. Berlin 1868):","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nworden, dass der ganz unversehrte Muskel (im lebenden Thiere oder Menschen) allerdings keine Abnahme der Erregungswelle zeigt, diese aber schon unmittelbar nach dem Ausschneiden zweifellos selbst im Froschmuskel vorhanden ist (vgl. Cap. 8).\nAusser beim Frosch ist die Geschwindigkeit der Erregungs- resp. Contractionswelle von Aeby und mir am Halsretractor der Schildkr\u00f6te, von Bernstein & Steiner1 am Sternomastoideus des Hundes und auch an Kaninchenmuskeln untersucht worden. Am n\u00e4chsten schliessen sich an diese Untersuchungen an: die Versuche Engel-mann\u2019s2 3 \u00fcber die Leitungsgeschwindigkeit des Herzmuskels, welche sp\u00e4ter durch entsprechende Versuche \u00fcber den phasischen Actionsstrom des Herzens von Engelmann & Nuel 3 und von Bernstein & Marchand4 erg\u00e4nzt wurden, endlich entsprechende Versuche an glattmuskeligen Organen (z. B. Ureter)5 und an dem Schirmmuskel der Medusen.6 Die unten zusammengestellten Werthe lehren, dass die Leitungsgeschwindigkeit \u00e4hnliche Unterschiede zeigt wie die Dauer des Zuckungsvorgangs. Im quergestreiften Warmbl\u00fctermuskel am gr\u00f6ssten, sinkt sie beim Kaltbl\u00fcter, und ist bei der Schildkr\u00f6te kleiner als beim Frosch. Am Herzen ist sie bedeutend kleiner als an andern quergestreiften Muskeln, und bildet hier den Uebergang zu den sehr langsam leitenden glatten Muskeln.\nDer Umstand, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit nach dem Ausschneiden des Muskels in rascher Abnahme begriffen ist, machte es sehr wahrscheinlich, dass ihr Werth im Leben weit gr\u00f6sser sei, als er in s\u00e4mmtlichen Versuchen gefunden worden ist. Dies best\u00e4tigte sich in eminentem Grade, als ich an den Vorderarmmuskeln des Menschen den phasischen Actionsstrom untersuchte, und dabei nebenbei auch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung zur Beobachtung kam7; ihr Werth, der absolut genau auf diesem Wege nicht feststellbar ist, liegt zwischen 10 und 13 m. p. sec, ist also viel gr\u00f6sser als sie im ausgeschnittenen Kaninchenmuskel von Bernstein & Steiner gefunden war (2\u20146 m.). In \u00e4hnlichem Verh\u00e4ltnis sind vielleicht alle gefundenen Werthe zu multipliciren, wenn man die wirkliche vitale Geschwindigkeit erhalten will.\n1\tBernstein & Steiner, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 526.\n2\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. XL S. 465. 1875.\n3\tEngelmann & Nuel, Akacl. v. wetensch. Amsterdam 1877. 4. Nov. ; Arch. f. d. ges. Physiol. XVII. S. 68. 1878.\n4\tMarchand, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 511. 1877.\n5\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. II. S. 265. 1869; III. S. 286. 1870.\n6\tRomanes, Proceed. Roy. Soc. XXIV. p. 143.1876; XXV. p. 464. 1877.\n7\tHermann, x\\rch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 410. 1878.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Geschwindigkeit der Contractions- und Erregungswelle.\n57\nFolgende Tabelle stellt die Hauptresultate der vorstehend erw\u00e4hnten Arbeiten \u00fcbersichtlich zusammen.\nObject\tGeschwindigkeit, gemessen an der i Contractions- ! Erregungs- negativen welle\ti welle i Phase\t\t\tBeobachter\nMenschliche Muskeln im leb.\t\t\t\t\nK\u00f6rper \t\t444 \u25a0 ,\t\t\t10\u201413 m.\tHermann.\nHunde- und Kaninchenmus-\t\t\t\t\nkel ausgeschnitten ....\t\t3,6 m.\t2\u2014 6 ,,\tBernstein & Steiner.\nFroschmuskel, ausgeschn. .\tuml\u20141,2 m.\t1\u20141,2 \u201e\t\u2014\tAeby, v. Bezold, Engel-\n\t1111\t3\u20145\t,,\t\tmann, Place u. A. Bernstein, Valentin,\nSch\u00fcdkr\u00f6tenmuskel, ausgeschnitten \t\t\t\t3 \u201e\tHermann. Bernstein.\n\t0,57 \u201e\t\t\tAeby.\nDesgl\t\u2022.\t\t\u2014\t1,8 \u201e\t\t\tHermann.\nHerzmuskel\t|\t>0,1 \u201e\t\t|B|. .\tMarchand.\nUreter\t\t0,01\u20140,03 \u201e\t\u2014\tbis 0,049,,\tEngelmann.\n\t0,025 \u201e\t\t\t\t\tEngel mann.\nMedusenschirm\t 1\t0,5\t\u201e\t\u2014\t*\t\tRomanes.\nVon grossem Interesse ist die Frage, ob die Fortpflanzungsgeschwindigkeit mit der Intensit\u00e4t der Erregung zusammenh\u00e4ngt. Beim gew\u00f6hnlichen Muskel konnte sie bisher nicht entschieden werden, weil nur elec-trische Reize sich gen\u00fcgend abstufen lassen, st\u00e4rkere directe Str\u00f6me aber durch weitere Ausbreitung im Muskel Irrth\u00fcmer veranlassen k\u00f6nnten. Am Ureter dagegen fand Engelmann (a. a. 0.), dass wenn das Leitungsverm\u00f6gen schon gesunken ist, st\u00e4rkere Erregungen schneller ablaufen, w\u00e4hrend im normalen Zustande dieser Einfluss nicht vorhanden ist.\nZu ber\u00fccksichtigen ist, dass h\u00f6chstwahrscheinlich die verschiedenen Muskeln desselben Thieres ebenso verschiedene Leitungsgeschwindigkeiten haben werden, wie ihre Zuckungsdauer verschieden ist (s. oben S. 38).\nF\u00fcr indirecte Reizung war zu erwarten, dass die Erregung von der Nerveneintrittsstelle aus mit \u00e4hnlicher Geschwindigkeit in der Muskelfaser ablaufen w\u00fcrde wie bei director Localreizung; indessen zog du Bois-Reymond (a. a. 0.), gest\u00fctzt auf die GERLACH\u2019schen Angaben \u00fcber die Nervenendigung, es in, Zweifel, ob es \u00fcberhaupt eine Nerveneintrittsstelle im physiologischen Sinne gebe, d. h. ob nicht die vom Nerven ausgehende Erregung alle Puncte der Muskelfaser gleichzeitig ergreife. Dieser Zweifel wurde indess alsbald beseitigt, indem ich erstens den wellenf\u00f6rmigen Ablauf und das oben bezeichnete Decrement der Erregung auch bei indirecter Reizung auf galvanischem Wege nach wies 1 und zweitens am menschlichen Mus-\n1 Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XYI. S. 229, 238.1877.","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58 Hermann. Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehimg des Muskels.\nkel, wie eben erw\u00e4hnt, f\u00fcr indirecte Reizung gradezu die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung feststellte. Freilich besitzen wie es scheint viele Muskelfasern mehr als Eine Nerveneintrittsstelle was die Einheitlichkeit der Contraction nur f\u00f6rdern kann ; es m\u00fcssen sich dann mehrere Wellen begegnen und vielleicht \u00fcberkreuzen (s. unten). Trotzdem l\u00e4sst sich auf galvanischem Wege zeigen, dass jeder Muskel einen \u201enerv\u00f6sen Aequator\u201c hat, wie ich es bezeichnet habe, d. h. einen Querschnitt, welcher die mittlere Lage aller Nerveneintrittsstellen darstellt, und auf welchen man die Leitungserscheinungen wie auf einen gemeinsamen Ausgangsort aller Erregungswellen beziehen kann (s. Cap. 8).\nAusser durch Absterben wird die Leitungsgeschwindigkeit nach allen Beobachtern auch durch K\u00e4lte, viele Gifte, wahrscheinlich auch durch Erm\u00fcdung herabgesetzt ; also auch in dieser Hinsicht dieselbe Analogie mit den Einfl\u00fcssen auf den Zuckungsablauf, wie bei den Verschiedenheiten nach der Natur des Muskels. Nimmt man noch die Erfahrungen \u00fcber das Decrement hinzu, so ergiebt sich folgender wichtige Satz: Die Geschwindigkeit mit der sich die Erregung fortpflanzt, die Vollkommenheit mit der dies geschieht, und die Geschwindigkeit mit welcher der Verk\u00fcrzungsvorgang an jeder Stelle sich abspielt, stehen unter einander in innigem Zusammenhang. Durch Absterben, Erm\u00fcdung, K\u00e4lte, Sch\u00e4digungen aller Art (\u00fcberm\u00e4ssige Reizung, Gifte) werden alle drei Vorg\u00e4nge beeintr\u00e4chtigt. In der Natur der Muskeln und der Thierart liegt ein weiteres Moment, welches die Geschwindigkeit des Zuckungsablaufs und der Fortleitung in gleichem Sinne beeinflusst (jedoch anscheinend nicht die Vollkommenheit der Fortpflanzung, die bei allen untersuchten Gebilden im Normalzustand gleich gross scheint).\nConstante Str\u00f6me, welche den Muskel durchfliessen, haben wie unten (Cap. 3) gezeigt werden wird, einen Einfluss auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit, der jedoch bez\u00fcglich des Catelectrotonus noch stieitig ist. Ferner findet sich hier, wenigstens am Ureter, auch der wichtige Umstand, dass die Erregungswelle beim Ablauf ihre Gr\u00f6sse \u00e4ndert, indem sie anschwillt, wenn sie eine catelectrotonische Strecke durchl\u00e4uft, und abnimmt im Anelectrotonus (Engelmann).\nDer oben besprochene idiomuscul\u00e4re Wulst stellt anscheinend den h\u00f6chsten Grad der Entwicklung desjenigen Zustandes dar, in welchem die Erregung, anstatt sich in voller St\u00e4rke fortzupflanzen, an der Reizstelle in voller St\u00e4rke abnorm lange beharrt. Indessen\n1 Ygl. hier\u00fcber Aeby, Untersuchungen u. s. w. S. 69 u. f.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Nerv\u00f6ser Aequator. Kreuzung. Reflexion. Erl\u00f6schen von Contractions wellen. 59\nw\u00e4re es fehlerhaft, hierauf die (im Uebrigen nicht unwahrscheinliche) Ansicht zu gr\u00fcnden, dass die Erregung oder wenigstens ihr initialer galvanischer Ausdruck nur dadurch sich fortpflanzen kann, dass er an der eben ergriffenen Stelle schwindet. Vielmehr ist der idiomuscul\u00e4re Wulst eine an der Reizstelle relativ langsam sich entwickelnde Erscheinung, w\u00e4hrend schon unmittelbar bei der Reizung eine wahre Zuckungswelle rasch abgelaufen ist. Schiff (a. a. 0.) beobachtete dass solche Wellen in gewissen Intervallen auch sp\u00e4ter noch vom Wulste ausgehen. Der idiomuscul\u00e4re Wulst ist also eine selbstst\u00e4ndige Entwicklung an der Reizstelle, gleichsam eine Erkrankung derselben, welche selbst wieder zu neuen Erregungen Anlass geben kann.\nVon grossem Interesse ist die Frage, was aus den Erregungswellen werde, wenn dieselben am Ende der Faser angelangt sind. Ein Erl\u00f6schen durch Decrement findet wie bemerkt an der normalen und unversehrten Faser nicht statt. Dagegen haben Schiff und Baierlacher bei Versuchen \u00fcber die idiomuscul\u00e4re Contraction eine Reflexion der fortgeleiteten Wellen gesehen \\ w\u00e4hrend Auerbach eine solche vermisste (die Citate s. oben S. 45, 46); sogar mehrmalige Reflexion scheint vorzukommen. Wie dann eigentlich die Erregung zur Ruhe kommt, ist unklar. Ueber angebliche Beziehungen der an den Faserenden anlangenden Erregungswellen zu deren galvanischem Verhalten s. unten Cap. 8.\nDass die Erregungswelle von einer mittleren Reizstelle aus nach beiden Richtungen \u00fcber die Faser abl\u00e4uft, ist leicht an jedem Muskel, ebenso am Ureter (vgl. oben S. 56), zu beobachten, und, abgesehen davon dass die Zuckung vom Nerven aus ohne diese Eigenschaft des Muskels gar nicht verst\u00e4ndlich w\u00e4re, namentlich im Hinblick auf die analoge, lange streitige Eigenschaft des Nerven von Wichtigkeit (vgl. den 2. Band dieses Handbuchs).\nFast g\u00e4nzlich unerforscht ist bisher das Verhalten zweier sich begegnender Contractionswellen; nur soviel ist beobachtet, dass sie \u00fcbereinander hinweg ihren Weg fortsetzen.- Idiomuscul\u00e4re W\u00fclste' werden nach Schiff (a. a. 0.) von den Wellen nicht \u00fcberschritten.\n1\tSchon Remak sah dasselbe am Zwerchfell des Kaninchens; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1843. S. 182; ebenso Harless. .Gelehrte Anzeigen d. bayr. Acad XXXYII S. 254. 1853.\n2\tYgl. Schiff. Molesch. Unters. I. S. 84. 1857.","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nYL Die verk\u00fcrzende Kraft, die Hubh\u00f6he und die Arbeitsleistung des Muskels.\n1. Allgemeine Beziehungen.\nDie mechanischen Leistungen eines Muskels setzen sich zusammen aus den Leistungen seiner einzelnen Fasern. In dem einfachsten Falle eines parallelfasrigen Muskels sieht man ohne Weiteres ein, dass die einzelnen Fasern neben einander an der Last angreifen, f\u00fcr jede Faser also sowohl in der Ruhe als w\u00e4hrend der Th\u00e4tigkeit der nte Theil der Last in Betracht kommt, wenn n Fasern den Querschnitt bilden. Jede Faser wird durch eine bestimmte Last um einen ihrer L\u00e4nge proportionalen Betrag gedehnt wie jeder dehnbare K\u00f6rper, und hebt eine bestimmte Last bei gegebener Erregungsgr\u00f6sse ebenfalls um einen ihrer L\u00e4nge proportionalen Betrag; dies erkl\u00e4rt sich einfach daraus, dass alle L\u00e4ngenelemente (wenn man vom eigenen Gewicht der Faser absieht) gleich stark belastet sind, ihre Dehnungen durch die Last und ihre Hubwirkungen auf die Last also sich zu einem ihrer Anzahl, d. h. der L\u00e4nge der Faser, proportionalen Betrage summiren. W\u00e4hrend also Dehnung und Hub bei gegebener Belastung der einzelnen Faser einfach deren L\u00e4nge proportional sind, wird ein Muskel von n Fasern die gleiche Dehnung erleiden, bez\u00fcglich den gleichen Hub aus\u00fcben, bei n f\u00e2cher Last. Bei verschieden langen Muskeln ist also ceteris paribus Dehnung und Hub der L\u00e4nge proportional, bei verschieden dicken Muskeln ceteris paribus die die gleiche Dehnung bewirkende, bez\u00fcglich den gleichen Hub erleidende Last proportional der Faserzahl, d. h. dem Querschnitte. Diejenige Last, welche den Muskel grade zerreisst, ist hiernach offenbar von der Faserl\u00e4nge unabh\u00e4ngig, dagegen d\u00e7m Querschnitt proportional; ebenso diejenige Last, welche der Muskel eben nicht mehr zu heben vermag. Diese Beziehungen zwischen Dimensionen und Leistungen waren schon Bokelli bekannt.1\nBei nicht parallelfasrigen Muskeln kommt statt des geometrischen Querschnitts nat\u00fcrlich diejenige Fl\u00e4che in Betracht, welche s\u00e4mmt-liche Faserquerschnitte enth\u00e4lt, und welche man den \u201e physiologischen Querschnitt \u201c nennen kann. In solchen Muskeln ist auch die Faserl\u00e4nge im Allgemeinen nicht identisch mit der L\u00e4nge des Muskels, resp. seines fleischigen Theils, und'endlich der Hub des Gesammt-muskels nicht identisch mit der Verk\u00fcrzungsgr\u00f6sse der einzelnen\n1 Bokelli, De motu animalium I. p. 135. Propos. CXXI und folg. Hagae Comi-tum 1743.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Beziehungen zwischen Leistling und Dimensionen. Absolute Kraft.\n61\nFaser. Der Gastrocnemius ist beispielsweise wegen, des schr\u00e4gen Verlaufs seiner kurzen Fasern ein sehr kr\u00e4ftiger Muskel, aber von kurzem Hube. N\u00e4heres \u00fcber diese Verh\u00e4ltnisse s. in der speciellen Bewegungslehre.\n2. Die Kraft der Verk\u00fcrzung.\nIndem wir die Frage nach dem Wesen und Ursprung der Verk\u00fcrzungskraft noch verschieben, werden wir zun\u00e4chst die Gr\u00f6sse derselben festzustellen suchen.\nEd. Weber 1 hat zuerst richtig die Gr\u00f6sse der Muskelkraft durch dasjenige Gewicht gemessen, dessen dehnende Kraft ihr das Gleichgewicht h\u00e4lt. Wenn an einem Muskel in dem gleichen Augenblick wo er durch Erregung sich zu verk\u00fcrzen strebt, eine dehnende Kraft in Gestalt - eines Gewichtes angebracht wird, so wird Verk\u00fcrzung ein-treten, wenn die verk\u00fcrzende, Verl\u00e4ngerung, wenn die dehnende Kraft die gr\u00f6ssere ist; sind beide gleich gross, so beh\u00e4lt der Muskel seine Ruhel\u00e4nge. Die Verk\u00fcrzungskraft wird also durch dasjenige Gewicht gemessen, welches, im Augenblick der Erregung an den Muskel geh\u00e4ngt, die Verk\u00fcrzung hindert, aber keine Verl\u00e4ngerung bewirkt. Dies Gewicht nennt Weber die \u201e absolute Kraft des Muskelsu.\nDie Verwirklichung des Versuchs in der eben angedeuteten Form ist von Weber selbst nicht ausgef\u00fchrt worden. Die dazu n\u00f6thige Methodik ist erst durch das HELMHOLTz\u2019sche Ueberlastungsverfahren (s. oben S. 31) geschaffen worden, welches gestattet, auf den Muskel bei seiner Ruhel\u00e4nge im Augenblick der beginnenden Verk\u00fcrzung eine dehnende Kraft wirken zu lassen. Man hat einfach diejenige Ueberlastung aufzusuchen, bei welcher der Muskel den Contact eben nicht mehr l\u00f6sen kann. Solche Versuche sind gelegentlich andrer Untersuchungen schon von Schwann 1 2 3, Helmholtz 3 und von mir4 5 angestellt, aber erst von Rosenthal 5 behufs Ermittelung der absoluten Kraft ausgef\u00fchrt worden.\nWeber selbst benutzte andre, weniger vollkommne Methoden. Wenn n\u00e4mlich der Muskel in einem gleichm\u00e4ssigen Erregungszust\u00e4nde l\u00e4ngere Zeit erhalten werden k\u00f6nnte (was nicht der Fall ist, und hierin liegt der Mangel des Verfahrens), so kann man ihn zuerst sich frei contrahiren lassen und dann w\u00e4hrend des Tetanus diejenige Last\n1\tEd. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. III. 2. S. 84.1846.\n2\tSchwann, in M\u00fcller\u2019s Handb. d. Physiologie II. S. 59. 1837.\n3\tHelmholtz, in der S. 23ff. besprochenen Untersuchung.\n4\tHermann, \u00c4rch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 392.\n5\tBosenthal, Compt. rend. LXIV. p. 1143.1867.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Ziisammenziehung des Muskels.\naufsuchen, die ihn auf seine Ruhel\u00e4nge zur\u00fcckdehnt ; ist letzteres erfolgt, so ist wiederum die verk\u00fcrzende und die dehnende Kraft im Gleichgewicht. Umgekehrt kann man auch den Muskel in der Ruhe belasten und diejenige Belastung aufsuchen, mit welcher er im Tetanus bis zur Ruhel\u00e4nge sich verk\u00fcrzt; dies Verfahren macht die ebenfalls unzul\u00e4ssige Voraussetzung, dass Dehnungen die Kraft des Muskels nicht sch\u00e4digen.\nWegen der oben S. 40 ff. besprochenen Superposition ist die Kraft des Muskels im Tetanus bedeutend gr\u00f6sser als bei der einfachen Zuckung; von den angef\u00fchrten drei Methoden ist die zweite \u00fcberhaupt nur mit Tetanus ausf\u00fchrbar, die erste und dritte auch mit einfachen Zuckungen, wobei aber die dritte wegen des Schleuderns besonders ungenau ist. Auch mit dem Princip des Dynamometers w\u00e4re eine Bestimmung der Muskelkraft m\u00f6glich, wenn die Einrichtung so getroffen wird, dass schon minimale Verk\u00fcrzungen des Muskels die Feder sehr stark in Anspruch nehmen ; \u00e4hnlich wie bei den S. 37 besprochenen FiCK;schen Versuchen m\u00fcsste der Muskel an einem sehr kurzen, eine starke Feder am langen Hebelarm angreifen.1 2 Valentin 2 hat Dynamometerversuche in der Art angestellt, dass er, um die Verk\u00fcrzung auf ein Minimum zu beschr\u00e4nken, das Dynamometer schon vorher fast auf den erforderlichen Grad anspannte, seine dehnende Wirkung auf den Muskel aber durch eine Arretirung hinderte ; im Wesentlichen also ein Ueberlastungs verfahr en.\nMit Ausnahme der Versuche Weber\u2019s an dem parallelfasrigen, aber sehr verg\u00e4nglichen Hyoglossus sind fast alle Bestimmungen der Kraft am Gastrocnemius des Frosches angestellt worden, der nur den Uebelstand hat, dass wegen seines complicirten Baues sein physiologischer Querschnitt nicht sicher zu bestimmen ist. Aus dem eben Gesagten wird aber klar, dass die Kraft nur vom Querschnitt abh\u00e4ngt, vergleichbare Bestimmungen also eine Reduction auf die Querschnittseinheit erfordern. Die Bestimmungen weichen ausserdem deshalb ungemein von einander ab, weil die einen auf Zuckung, die andern auf Tetanus sich beziehen.\nF\u00fcr den Gastrocnemius fand ich (bei Gelegenheit unten zu er\u00f6rternder Versuche) bei Einzelzuckung die Kraft nicht \u00fcber 400 grm., im Tetanus zu 900, Rosenthal zu 1000\u20141200 grm. F\u00fcr den Quadrat-\n1\tIm Jahre 1871 habe ich solche Versuche anstellen lassen, aber statt der Feder ein Rad mit excentrischer Belastung angewandt, deren Moment mit der Drehung schnell zunahm ; der Muskel zog an einem um die Axe geschlungenen Faden ; brauchbare Ergebnisse wurden nicht gewonnen.\n2\tValentin, Lehrb. d. Physiologie II. S. 176. Braunschweig 1844. (2. Aun. 11. 1. S. 217. 1847.)","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Messungen der absoluten Muskelkraft.\n63\ncentimeter Querschnitt leitet hieraus Rosenthal den Werth von 2800 bis 3000 grm. ab, w\u00e4hrend Weber nur 692 grm. angiebt. Von besonderem Interesse ist die Kraft der menschlichen Muskeln, welche zuerst Weber festzustellen suchte. Sein Resultat war im Maximum 1087 grm. pro Dem., w\u00e4hrend sp\u00e4tere Beobachter auch hier den 4\u20148 fachen Werth als den richtigen angeben.\nWeber\u2019s Verfahren zur KraftmessuDg am Menschen war folgendes: Um den K\u00f6rper auf die Zehen, oder vielmehr die Capitula metatarsi zu erheben, d. h. die Ferse vom Boden abzul\u00f6sen, m\u00fcssen die Wadenmuskeln das K\u00f6rpergewicht bew\u00e4ltigen, wobei sie aber an einem etwas l\u00e4ngeren Hebelarm angreifen als letzteres. Weber beschwerte nun den K\u00f6rper so lange bis die Ferse eben nicht mehr abgel\u00f6st werden konnte; das Moment des K\u00f6rpergewichts -f- seiner Beschwerung, bezogen auf den Angriffspunct der Wadenmuskeln, stellt dann deren absolute Kraft dar, die noch durch die Summe der Querschnitte beider Muskelgruppen zu dividiren ist. Zur Beschwerung des K\u00f6rpers h\u00e4ngte Weber an einen um die H\u00fcften gelegten G\u00fcrtel einen ungleicharmigen Hebel mit endst\u00e4ndigem Drehpunct an, und verschob an dessen l\u00e4ngerem Arm ein Laufgewicht bis der gesuchte Punct erreicht war. Die zum K\u00f6rpergewicht zu addi-rende Beschwerung ist dann gleich dem Moment des Laufgewichts und des Hebels selbst, bezogen auf den Angrilfspunct der am G\u00fcrtel befestigten Zugstange. \u2014 Der physiologische Querschnitt der Wadenmuscula-tur konnte nur unsicher durch Messung an Leichen von ann\u00e4hernd gleicher Statur mit den Versuchspersonen bestimmt werden; er ergiebt sich wenn man das Volum des Muskelfleisches durch die mittlere Faserl\u00e4nge dividirt, die nat\u00fcrlich nie genau bestimmt werden kann. Das Volum findet man indem man das absolute Gewicht durch das specifische (1,058) dividirt.\nSp\u00e4tere Untersucher, namentlich Henke & Knorz1, Haughton2 und Koster3, fanden viel h\u00f6here Werthe als Weber und schrieben letzterem Irrth\u00fcmer zu, theils in der Auswerthuug der Hebelarme, theils in der Bestimmung der physiologischen Querschnitte4; auch scheint Weber nicht an so jugendlich kr\u00e4ftigen Personen experimentirt zu haben wie seine Nachfolger. Ausser dem WEBER\u2019schen Verfahren (nur nahm Koster statt des Belastungshebels einfach eine Last auf die Schultern) wurde auch an den Oberarmmuskeln und an den Streckmuskeln des Fusses (Dorsalflexoren) experimentirt, indem Gewichte bei verticalem Oberarm und horizontalem Vorderarm mittels der Hand, oder bei verticalem Unterschenkel und horizontalem Fuss mittels des 1. Metatarsalk\u00f6pfchens um ein Minimum gehoben wurden. So ergaben sich folgende Werthe pro Quadratcenti-meter :\n1\tKnorz, Ein Beitrag zur Bestimmung der absoluten Muskelkraft. Dissert. Marburg 1865; Henke, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXIV. S. 247. 1865; XXXIII. S. 148. 1868.\n2\tHaughton, Proceed. Boy. Soc. XVI. p. 19. 1867 ; Principles of animal mechanics. 2. ed. p. 63. London 1873.\n3\tKoster, Nederl. Arch. v. Genees- enNatuurk. III. p. 31. 1867.\n4\tSo berechnen Henke & Knorz aus den WEBER\u2019schen Versuchen 4 statt l Kilo.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nWadenmuskeln............. 1,087\n5S\t......... 9\u201410\nFussstrecker (Tib.\tant. etc.)\t5,9\nUnterschenkelbeuger ....\t7,78\nArmbeuger ............... 6,67\n,,\trechts.........\t8,991\nlinks........ 7,38\n\u201e\tMittel.........\t8,178\n\u201e\trechts\tu.\tlinks.\t7,4\nFroschmuskel tetanisirt . .\t0,692\n,,\t.\t2,8\u20143,0\n\u201e zuckend ...\t0,4\nKilo Ed. Weber. (4 Kilo nach Henke corrigirt.)\nKoster.\n., Henke & Knorz.\nHaughton.\nHenke & Knorz.\nKoster.\nWeber.\nRosenthal.\nHermann.\nBei der geringen Uebereinstimmung der bisher gefundenen Werthe ist es nicht zu verwundern, dass \u00fcber physiologische Einfl\u00fcsse auf die Kraftgr\u00f6sse bisher so gut wie Nichts bekannt ist. Dass der Warmbl\u00fctermuskel kr\u00e4ftiger ist als der Kaltbl\u00fctermuskel, scheint nach Vorstehendem festzustehen, es sei denn dass die Resultate an Fr\u00f6schen durch den Umstand, dass die Muskeln ausgeschnitten sind, betr\u00e4chtlich verkleinert werden. Ferner vergr\u00f6ssert Uebung nicht bloss den Umfang, sondern auch die specifische Kraft des Muskels, wie die Unterschiede zwischen rechtem und linkem Arm zeigen; Erm\u00fcdung mindert die Kraft deutlich; eine gewisse Abh\u00e4ngigkeit von der Ern\u00e4hrungsweise ist nach allt\u00e4glichen Erfahrungen h\u00f6chst wahrscheinlich. Ob zwischen m\u00e4nnlichem und weiblichem Geschlecht Unterschiede existiren, ist am Menschen noch nicht untersucht. Beim Frosche fand Baxter j f\u00fcr gew\u00f6hnlich die M\u00e4nnchen kr\u00e4ftiger ; zur Begattungszeit sinke die Kraft bei beiden Geschlechtern, bei M\u00e4nnchen aber bedeutend st\u00e4rker. Curare hat auf die Muskelkraft des Frosches keinen Einfluss.1 2\nNicht recht vergleichbar mit anderen sind diejenigen Kraftmessungen bei denen die Kraft nur auf das Gewicht des Muskels oder gar des K\u00f6rpers reducirt ist. Aus Valentin\u2019s Zahlen (a. a. O.) berechne ich dass die Kraft des Gastrocnemius des Frosches seinem 900\u20141400 fachen Gewichte, die des Rectus abdominis seinem 1000 \u20141100 fachen, die des Sartorius seinem 580 fachen Gewicht gleichkommt; Baxter (a. a. O.) findet f\u00fcr den Gastrocnemius im Normalzustand das 608 fache Gewicht (M\u00e4nnchen 656, Weibchen 508).\nVon ganz besonderer Gr\u00f6sse ist nach den Untersuchungen von de Lucy3 und F. Plateau4 die Muskelkraft der In sec ten. Plateau bestimmte dieselbe indem er die Gewichte, welche das Thier durch Zug,\n1\tBaxter, Edinb. new pbil. journ. XVIII. p. 194. 1864 ; Arch, of med. IV. p. 326.\n1867.\n2\tVgl. Hermann, Lehrb. d. exper. Toxicologie S. 304. Berlin 1874.\n3\tde Lucy, Presse scientifique et industrielle d. deux mondes 1865. p. 583. (Cit.\ny. Plateau.)\tr^rTT\n4\tF. Plateau. Bull. d. Pacad. d. Belg. (2) XX. p. 732. 1865 ; XXII. p. 283. 1866.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Specifische Kraft. Angebl. Bez. zur K\u00f6rpergr\u00f6sse. Bez. zur Dehnbarkeit. 65\nFlug, Sprung etc. lieben kann, mit dem K\u00f6rpergewicht des Thieres verglich ; beim Zuge k\u00f6nnen manche Insecten bis zum 67 fachen ihres K\u00f6rpergewichts bew\u00e4ltigen, das Pferd nur 1 2/b desselben. Er findet ferner die so bestimmte Kraft um so gr\u00f6sser je kleiner das Thier, sowohl innerhalb derselben Art, als bei Vergleichung verschiedener, und sucht den Grund in dem Umstande (auf den schon Straus d\u2019UrkhebU, Bergmann & Leuckart 2 u. A. aufmerksam gemacht haben), dass der Muskelquerschnitt nur im quadratischen Verh\u00e4ltniss zunimmt, wenn das Gewicht in kubischem w\u00e4chst; da die Kraft von ersterem abh\u00e4nge, m\u00fcsse zur Ausgleichung die specifische Kraft mit dem K\u00f6rpergewicht wachsen. Diese Betrachtung ist irrig; schon bei gleicher specifischer Kraft (pro Quadrat-centimeter Querschnitt) muss die absolut genommene Muskelkraft, wenn man sie in K\u00f6rpergewicht ausdr\u00fcckt, um so gr\u00f6sser erscheinen je kleiner letzteres3; und so ist es in der That.\nDie absolute Kraft des Muskels h\u00e4ngt, wie man leicht einsieht, nicht bloss von den inneren Vorg\u00e4ngen ab, welche die Theilchen in der L\u00e4ngsrichtung einander zu n\u00e4hern streben, sondern auch von der Dehnbarkeit des Muskels; je gr\u00f6sser letztere, um so geringer ist die absolute Kraft. Um dies zu zeigen, braucht man nur an einen Muskel ein d\u00fcnnes Kautschukb\u00e4ndchen zu h\u00e4ngen und nun die absolute Kraft dieses Systems nach einer der angef\u00fchrten Methoden zu bestimmen ; man findet sie ungemein viel geringer als ohne das B\u00e4ndchen. Ganz ebenso vermindernd muss aber auch die eigene Dehnbarkeit des Muskels wirken. Letztere wird also wahrscheinlich grade denjenigen Grad besitzen, der n\u00f6thig ist, um den Muskel vor Zerreissung bei pl\u00f6tzlichen Hemmnissen zu sch\u00fctzen (s. oben S. 12), ohne seiner Kraft unn\u00fctz Abbruch zu thun.\nBisher ist bei der Feststellung der Muskelkraft stillschweigend maximale Erregung des Muskels vorausgesetzt worden. Es bedarf kaum der Erw\u00e4hnung, dass der Begriff der erreichten absoluten Kraft auch f\u00fcr ^schw\u00e4chere Erregungen aufgestellt, und z. B. die (weiter unten zu er\u00f6rternde) Frage aufgeworfen werden kann, wie sich beim gleichen Muskel die erreichten Kr\u00e4fte zu der Reizgr\u00f6sse od.er zu nicht mechanischen Leistungen des Muskels verhalten.\nFerner ist es klar, dass bei einer Contraction die Kraft des Mus-\n1\tStraus d\u2019Urkheim, Sur fi anatomie compar\u00e9e des animaux articul\u00e9s p. 188. Paris 1828. (Cit. v. Plateau.)\n2\tBergmann & Leuckart , Anatomisch -physiologische Ueb er sicht des lhier-\nreichs S. 298. Stuttgart 1855.\t.\tT;r ^\n3\tIst k die specifische Kraft pro \u25a1 cm. Querschnitt, so.ist die absolute Kraft, beim Querschnitt q, K\u2014k.q\\ ist P das K\u00f6rpergewicht, so ist das Verh\u00e4ltniss der Kraft zum K\u00f6rpergewicht = K\\P. \u2014 Nun sei bei einem andern Thier von /Hachen Dimensionen die specifische Kraft wie beim fr\u00fcheren unver\u00e4ndert die ganze Kraft des Muskels ist dann K\u2018 = k . a\u2018 \u2014 k . ril q, und das Verh\u00e4ltniss der Kraft zum K\u00f6rpergewicht (i* = ?i3 P) ist jetzt K'jP' = 1/\u00ab \u2022 KjP-\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t**","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenzielnmg des Muskels.\nkels nickt pl\u00f6tzlich, sondern im Verlaufe der Zeit entsteht, und dass der HELMHOLTz\u2019sche Ueberlastungsversuch eben die Zeiten misst, welche zur Erreichung einer bestimmten, durch die Ueberlastung ausgedr\u00fcckten Kraft oder Energie erforderlich sind; denn jeder Einzelversuch misst, wie lange nach der Reizung ein bestimmtes Gewicht ausreicht, den Muskel auf der Ruhel\u00e4nge festzuhalten, d. h. den verk\u00fcrzenden Kr\u00e4ften das Gleichgewicht zu halten. Auch in der von Fick bei minimalem Hube gegen eine Feder gezeichneten Curve (s. oben S. 37) sind die Ordinaten ann\u00e4hernd den Verk\u00fcrzungskr\u00e4ften oder Energien proportional, so dass er sie auch als Energiecurve bezeichnet.\nW\u00e4hrend des Verk\u00fcrzungsVorgangs selbst leisten die verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte Arbeit und werden dadurch verbraucht. Daher ist, je mehr sich der Muskel bereits verk\u00fcrzt hat, ein um so geringeres Gewicht n\u00f6thig, um ihn auf der nunmehrigen L\u00e4nge festzuhalten, d. h. die weitere Verk\u00fcrzung zu verhindern, also dem Reste verk\u00fcrzender Kraft das Gleichgewicht zu halten. Dies constatirte zuerst Schwank1, dessen Verfahren ich neuerdings in bequemer Weise modifient habe.2 Man braucht nur an dem gleichen Apparate, an welchem man durch Ueberlastung die absolute Kraft f\u00fcr die Ruhel\u00e4nge ermittelt hat (am Froschunterbrecher, s. oben S. 31, 61), nunmehr das obere Muskelende millimeterweise zu senken, so dass der Muskel erst nach einer der Senkung gleichen Verk\u00fcrzung an der Last angreifen kann, und stets von neuem die Kraft zu messen ; man findet, dass dieselbe mit zunehmender Verk\u00fcrzung immer kleiner wird. Ueber die theoretische Bedeutung des Versuchs s. unten sub 3.\nSchwann hatte sich einer Wage bedient, an deren einem Ende der Muskel statt der Wagschale von unten her angriff, so dass er die auf der anderen Schale liegenden Gewichte zu heben hatte ; die \u2022 dehnende Wirkung der letzteren war durch einen Anschlag \u00fcber dem Muskelende des Wagbalkens verhindert. Wurde dieser Anschlag millimeterweise gesenkt, so griff der Muskel erst nach entsprechender Verk\u00fcrzung an der Ueberlastung an. Schwann suchte bei bestimmter Ueberlastung (Kraft) das entsprechende Verk\u00fcrzungsstadium, ich umgekehrt bei bestimmter Verk\u00fcrzung die Kraft. Der Einfluss der Erm\u00fcdung wurde von Schwann durch sehr grosse Pausen zwischen den Einzelversuchen oder durch Wiederholung der Versuchsreihe in umgekehrter Richtung und Berechnung des Mittels aus je zwei entsprechenden Versuchen m\u00f6glichst eliminirt, bei mir stets auf letztere Weise. Schwann fand am frischen Muskel die Kraft gradlinigt abnehmend, d. h. dem L\u00e4ngen\u00fcberschuss des Muskels \u00fcber seine gr\u00f6sste Verk\u00fcrzung proportional; sp\u00e4ter ist (und so.fand ich es stets)\n1\tSchwann, in M\u00fcller\u2019s Handb. d. Physiologie II. S. 59. 1837.\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 195. 1871.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Schwann\u2019s Versuch \u00fcber Verk\u00fcrzungskraft. Zug- und Wurfh\u00f6he,\n67\ndie Abnahme der Kraft in den ersten Verkiirzungsstrecken am st\u00e4rksten, Schwann\u2019s Versuche erstrecken sich nur auf Kr\u00e4fte von 0\u2014200 Gran1, welchen L\u00e4ngendifferenzen von kaum 2 mm. entsprechen; sie erstrecken sich also nur auf den letzten Theil des Hubes in der N\u00e4he der gr\u00f6ssten Verk\u00fcrzung; meine Versuche erstrecken sich \u00fcber einen Hub von 5 (im Tetanus 7) mm. mit einer Kraftvariation von 0\u2014400 (im Tetanus 900) G ramm.\n3. Die Gr\u00f6sse der Verk\u00fcrzung.\nDie Verk\u00fcrzungsgr\u00f6sse oder Hubh\u00f6he des Muskels ist, zun\u00e4chst constante oder maximale Erregungsgr\u00f6sse vorausgesetzt, bei gegebener Last, wie schon bemerkt, proportional der L\u00e4nge des Muskels, weiter aber, wie die Erfahrung lehrt, bei gegebenem Muskel eine Function der Belastung. Wir betrachten zun\u00e4chst, als den einfacheren Fall, denjenigen, in welchem der Muskel tetanisirt wird, und sehen von der initialen Hubh\u00f6he, die man als Wurfh\u00f6he bezeichnet, und die unten sub 4 er\u00f6rtert wird, vorl\u00e4ufig ab. Wir wollen die Hubh\u00f6he, in welcher der tetanisirte Muskel mit seiner Last im Gleichgewicht ist, als die Zugh\u00f6he des Muskels bezeichnen (Fick2 hat sie \u201eGleichgewichtsh\u00f6he\u201c genannt).\nSowohl die Wurfh\u00f6hen als die Zugh\u00f6hen bestimmte man fr\u00fcher nach optischen Methoden, welche schon oben S. 5 angef\u00fchrt sind. Jetzt bedient man sich der bequemeren graphischen Methoden. Bei dem HELMHOLTz\u2019schen und den \u00fcbrigen Myographien stellt die gr\u00f6sste Ordinate der Zuckungs-curve die Wurfh\u00f6he, und die definitive H\u00f6he der Tetanuscurve die Zugh\u00f6he dar. Da aber f\u00fcr nicht zeitmessende Versuche die Bewegung der Schreibfl\u00e4che \u00fcberfl\u00fcssig ist, hat man die oben S. 29 besprochenen Myographien construirt, an welchen der Schreibstift auf einer ruhenden ver-ticalen Fl\u00e4che schreibt. Die Wurfh\u00f6hen werden bei diesen Apparaten als verticale Linien verzeichnet ; beim R\u00fcckgang verl\u00e4ngert sich die Linie stets nach unten \u00fcber ihren Ausgangspunkt, letzterer muss daher besonders vor der Zuckung durch einen kleinen Horizontalstrich markirt werden. Will man eine Zugh\u00f6he verzeichnen, so muss man entweder unmittelbar nach Beginn des Tetanus, nach Verzeichnung der Wurfh\u00f6he die Schreibplatte ein wenig horizontal verschieben, oder die Wurfh\u00f6he gar nicht zeichnen lassen, sondern die Schreibspitze erst kurz nach Beginn des Tetanus an die Schreibfl\u00e4che unter horizontaler Verschiebung der letzteren anlehnen. Durch Einf\u00fchrung von Reibungswiderst\u00e4nden (Oelfl\u00fcgel u. dgl.) k\u00f6nnte man vielleicht auch mit einfachen Zuckungen vergleichbare Zugh\u00f6hen gewinnen.\nDie Beziehung der Zugh\u00f6hen zu den Belastungen, seit Ed. Weber vielfach experimentell festgestellt, ergiebt sich nun aus einer sehr\n1\tSchon h\u00e4ufig ist mir die Vermuthung gekommen, dass Joh. M\u00fcller nur durch Versehen hier Gran statt Gramm geschrieben habe.\n2\tFick, Untersuchungen \u00fcber Muskelarbeit. Basel 1867.","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\neinfachen Betrachtung. Wenn, wie es im Begriff der Zugh\u00f6he liegt, von allem Schleudern abg\u00e8sehen wird, so ist es offenbar f\u00fcr die L\u00e4nge des contrahirten Muskels gleichg\u00fcltig, ob er unbelastet teta-nisirt und dann im Tetanus belastet wird, oder ob die Last schon vor dem Tetanus an ihm h\u00e4ngt. Die Zugh\u00f6he des Muskels bei der Belastung p ist also einfach die Differenz der Muskell\u00e4ngen, wenn der Muskel einmal im Ruhezustand, einmal im th\u00e4tigen Zustande durch die Last p gedehnt wird. Stellt also in Fig. 21, deren Ab-\nscissen Lasten bedeuten, BC die Dehnungscuiwe des ruhenden, hc die des th\u00e4tigen Muskels dar, so sind offenbar die zwischen den beiden Curyen liegenden Ordinatenst\u00fccke Bb, Bibi, Bib^i u. s. w. die zu den Lasten 0, B d\\, Bch u. s. w. geh\u00f6rigen Zugh\u00f6hen.1 Versuche, bei denen diese Zugh\u00f6hen in Abst\u00e4nden, die den Belastungen proportional sind, aufgeschrieben werden, ergeben die in der Figur angedeutete (lestait der Verbindungslinien der Zugh\u00f6henendpuncte, d. h. der Dehnungseurven des ruhenden und des th\u00e4tigen Muskels (ygl. unten Fig. 23). Man sieht auch leicht ein, dass die Abscisse Bfa die absolute Kraft des Muskels bedeutet, denn bei dieser Last hat der th\u00e4tige Muskel gleiche L\u00e4nge wie der unbelastete ruhende.2\nDie Zugh\u00f6he kann man also ihrer Gr\u00f6sse nach ohne alle Hypothese unbedenklich so auffassen, als ob der Muskel aus der L\u00e4nge, die ihm im Ruhezustand verm\u00f6ge der Last p zukommt, \u00fcberginge in diejenige L\u00e4nge, die ihm in seiner neuen nat\u00fcrlichen Form, der contrahirten, unter der Dehnung der Last p zugeh\u00f6rt. Insoweit ist die sog. Weber'sehe Theorie unzweifelhaft richtig und lediglich eine\nFig. 21. Zur WEBE\u00df\u2019sehen. Theorie.\n1\tAusf\u00fchrlicheres zu dieser Schematisirung der Weber\u2019sehen Theorie s. bei Hermann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 383.\n2\tAn dem oben S. 65 erw\u00e4hnten System eines Muskels mit sehr dehnbarer Verl\u00e4ngerung w\u00fcrden die Curven BC und b c beide sehr viel steiler abfallen, ihren gegenseitigen Abstand aber durchweg beibehalten; der Punct dz r\u00fcckt dadurch viel weiter nach vorn, die absolute Kraft wird also durch gr\u00f6ssere Dehnbarkeit vermindert, wie a. a. 0. erw\u00e4hnt ist.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"WEBEn\u2019sche Theorie. Dehnungscurve des th\u00e4tigen Muskels.\n69\nUmschreibung des Sachverhalts.1 Unrichtig aber ist es, oder wenigstens eine Hypothese, die der Pr\u00fcfung dringend bedarf, wenn man diese Betrachtung auch auf die Wurfh\u00f6hen anwenden will, und wenn man den eigentlichen Verk\u00fcrzungsvorgang mit einer blossen elastischen Bewegung identificirt. Ersteres wird man ohne Weiteres als unberechtigt anerkennen, letzteres aber w\u00fcrde offenbar nur dann richtig sein, wenn die verk\u00fcrzte Form schon vor dem Beginn der Verk\u00fcrzung die nat\u00fcrliche Form des Muskels w\u00e4re, so dass er schon im Beginn der Zuckung um den vollen Betrag der Hubh\u00f6he von seiner Gleichgewichtslage entfernt w\u00e4re, dieselbe also lediglich mit elastischen Kr\u00e4ften einzunehmen h\u00e4tte. Wir wissen aber im Gegentheil aus der HELMHOLTz\u2019schen Untersuchung, dass die Verk\u00fcrzungskraft, also die Tendenz zu einer neuen nat\u00fcrlichen Form, sich erst allm\u00e4hlich entwickelt, wie denn auch die Zuckungscurve von der Curve elastischer Bewegung, mit der sich eine gespannte und losgelassene Feder verk\u00fcrzt, um so verschiedener ist, je mehr man, etwa nach den Methoden von Marey und Fick (s. oben S. 34, 37), alles Schleudern ausschliesst.2\nWenn nun mit der eben angegebenen Beschr\u00e4nkung die Weber-sehe Theorie festgehalten wird, so kommt f\u00fcr die Beziehung zwischen Last und Zugh\u00f6he offenbar Alles auf die Dehnungscurve des th\u00e4tigen Muskels an. Dieselbe kann am bequemsten aus Versuchen der eben erw\u00e4hnten Art entnommen werden, und dies ist in der That die haupts\u00e4chlichste Methode Weber\u2019s gewesen. Das scheinbar directeste Verfahren, am best\u00e4ndig tetanisirten Muskel Dehnungsversuche mit verschiedenen Belastungen anzustellen, ist unausf\u00fchrbar, weil ein gleich-m\u00e4ssiger Tetanus von so langer Dauer unm\u00f6glich ist. Bei dem erw\u00e4hnten Verfahren wird die Dauer der erforderlichen Tetanisirungen auf ein Minimum beschr\u00e4nkt, besonders wenn man die Zugh\u00f6hen graphisch bestimmt. Trotzdem muss der unvermeidliche Fehler, den die Erm\u00fcdung bewirkt, eliminirt werden, wozu Weber und alle seine Nachfolger das zuerst von Schwann angewandte Verfahren des r\u00fcckg\u00e4ngigen Versuchs und der Mittel aus den correspondirenden Versuchspaaren (s. oben S. 66) benutzten. Aber schon beim einzelnen Tetanus wird eine constante Zugh\u00f6he selbst in den ersten Augenblicken fast nie erreicht.\nWeber berechnete die Dehnbarkeit des Muskels auf folgende\n1\tNur in diesem Sinne ist \u00fcberhaupt die Theorie aufgestellt worden. Alle Versuche Weber\u2019s sind am tetanisirten Muskel angestellt, wie \u00fcberhaupt sein Verfahren nur Zugh\u00f6hen, und nicht Wurfh\u00f6hen zu messen gestattete.\n2\tVgl. hierzu auch die Versuche von Harless, Abhandl. d. bayr. Acad. IN. S. 353. 1862; Kl\u00fcnder, cit. S. 36.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70 Hermann. Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nWeise: Er belastete einen Muskel mit steigenden Gewichten in Spr\u00fcngen von je 5 grm. und ermittelte f\u00fcr jede Belastung seine L\u00e4nge in der Ruhe und im Tetanus. Die Verl\u00e4ngerung durch den Zuwachs von 5 grm. f\u00fcr den Ruhezustand, dividirt durch den Mittelwerth der Ruhel\u00e4ngen bei den beiden successiven Belastungen ergiebt die relative Dehnung durch den Zuwachs von 5 grm., und diese Dehnung durch 5 dividirt die relative Dehnung f\u00fcr 1 grm. Diesen Werth nennt Weber das \u201eMaass der Ausdehnung\u201c. Ganz ebenso wird das Maass der Ausdehnung f\u00fcr den th\u00e4tigen Zustand bestimmt. Sind also L' und L\" die L\u00e4ngen durch zwei um 5 grm. verschiedene Belastungen in der Ruhe, V und l\" die entsprechenden L\u00e4ngen in der Th\u00e4tigkeit, so sind die Maasse der Ausdehnung beziehungsweise\n2 Ln \u2014 V , 2 V \u2014 V\nT \u2018 x\" h- T' und \u00a5 ' i\" + r\nDie Versuche ergaben, dass erstens die Dehnbarkeit sowohl in der Ruhe (vgl. oben S. 7 u. f.) als in der Th\u00e4tigkeit mit zunehmender Belastung abnimmt, und zweitens die Dehnbarkeit bei gleicher Belastung im th\u00e4tigen Zustande gr\u00f6sser ist als in der Ruhe. In den Dehnungscurven der Fig. 21 dr\u00fcckt sich dies dadurch aus, dass erstens beide Dehnungscurven mit abnehmender Steilheit ab-fallen (einer Hyperbel etwa entsprechend), und zweitens die obere durchweg steiler abf\u00e4llt als die untere. Die obere Dehnungscurve zeigt sich ferner von der Erm\u00fcdung begreiflicherweise viel abh\u00e4ngiger als die untere.\nDie Zunahme der Dehnbarkeit oder Abnahme der Elasticit\u00e4t durch die Th\u00e4tigkeit best\u00e4tigte Ed. Weber auch gemeinschaftlich mit seinen Br\u00fcdern E. H. und W. Weber durch Torsionsschwingungsversuche; der ruhende Muskel wurde in Torsionsschwingungen versetzt und w\u00e4hrend derselben pl\u00f6tzlich tetanisirt, wobei die Schwingungsdauer zunahm. Beide Versuchsweisen sind dadurch a fortiori beweisend, dass die Verdickung an sich eine Abnahme der Dehnbarkeit und im zweiten Falle die Verk\u00fcrzung und Verdickung eine Abnahme der Schwingungsdauer h\u00e4tte bewirken m\u00fcssen.1 Dass nicht etwa die zur Erregung benutzte galvanische Durchstr\u00f6mung die Elasti-\n1 Die Torsionsversuche wurden aucli von Wundt (Muskelbewegung S. 99) mit gleichem Resultate wiederholt; dass Wundt die Schwingungsdauer, also die Elasticit\u00e4t, unver\u00e4ndert fand, wenn der Muskel zu stark belastet oder zu erm\u00fcdet war um sich zu verk\u00fcrzen. ist selbstverst\u00e4ndlich, da die L\u00e4ngenconstanz an sich ja schon dasselbe bewies. Das Verfahren von Harless (Wagner\u2019s Ilandw\u00f6rterb. d. Physiol. IV. S. 598. 1853), den Muskel im ruhenden und th\u00e4tigen Zustande anzublasen und seine Tonh\u00f6he zu bestimmen, welches scheinbar das WEBER\u2019sche Resultat bez\u00fcglich der Elasticit\u00e4t best\u00e4tigte, ist zu derartigen Schl\u00fcssen aus mehreren Gr\u00fcnden ungeeignet.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Dehnbarkeit und Dehnungscurve des th\u00e4tigen Muskels. Gr\u00f6sste Verk\u00fcrzung. 71\ncit\u00e2t vermindert, wie sie es nach Wertheim bei Metallen thut, haben Valentin1, Heidenhain2 und Wundt (a. a. 0. S. 148) durch besondere Versuche gezeigt.\nIndirect wird, wie ich gezeigt habe 3, die Dehnungscurve des th\u00e4tigen Muskels auch durch die oben S. 66 er\u00f6rterten S oh w ann1 s ch e n Versuche festgestellt, InFig. 22 bedeutet bg die Zugh\u00f6he des unbelasteten Muskels ; auf die verschiedenen Abtheilungen dieser H\u00f6he sind die durch den Versuch ermittelten Kr\u00e4fte, die diesen Verk\u00fcrzungsgraden entsprechen, als horizontale Ordinaten (bbr, ccr, ddf etc.) aufgetragen. Wenn nun im Stadium ad der Verk\u00fcrzung die verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte mit der Last ddt = gk im Gleichgewicht sind, so ist offenbar auch kdt die Dehnung, welche die\u2019Last gk, an den th\u00e4tigen Muskel a g geh\u00e4ngt, hervorbringt, gr also die Dehnungscurve des letzteren, welche freilich auf diesem Wege nur bis zum Puncte br (bb' ist die absolute Kraft, vgl. oben S. 68) ermittelt werden kann.\nDer steilere Abfall der oberen Dehnungscurve f\u00fchrt beide Curven einander immer n\u00e4her; die Zugh\u00f6hen nehmen also mit steigender Belastung ab. Weber nahm an, dass die Curven sich schliesslich schneiden, die Zugh\u00f6he also am Schnittpunct Null, und bei weiterer Belastung negativ wird ; er glaubte n\u00e4mlich bei gewissen Belastungen Verl\u00e4ngerung statt Verk\u00fcrzung als Folge der Reizung zu beobachten. In diesem Puncte weichen sp\u00e4tere Beobachter4 von ihm ab, so dass z. B. Fick5 die Annahme macht, dass beide Dehnungscurven sich nicht schneiden, sondern sich asymptotisch einander anschliessen.\nAls gr\u00f6sste Verk\u00fcrzung des nicht oder sehr wenig belasteten Muskels beobachtete Weber den Betrag von 65\u201485, im Mittel 72 pCt. der L\u00e4nge, w\u00e4hrend D. Bernoulli nur 18 und Pr\u00e9vost & Dumas 23\u201427 pCt. angegeben hatten.\nJe geringer die Erregung des Muskels ist, je weniger also die nat\u00fcrliche Gestalt des th\u00e4tigen Muskels von der des ruhenden abweicht, um so n\u00e4her m\u00fcssen auch beide Dehnungscurven sich ein-\net a. a, a,\nFig. 22. Zum ScHWANN\u2019seheii Versuch..\n1\tValentin, Lekrb. d. Physiologie 2. Aufl. IL 1. S. 257. Braunschweig 1847.\n2\tHeidenhain, Physiologische Studien S. 47. Berlin 1856.\n3\tHermann. Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 195. 1871.\n4\tVgl. z. B.Wundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 98. Braunschweig 1858.\n5\tFick, Untersuchungen \u00fcber Muskelarbeit S. 47. Basel 1867.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nander anschliessen; da aber kein Grund vorhanden ist, warum ihr Schnittpunct weiter nach vorn r\u00fccken soll, am wenigsten wenn die Annahme Fick\u2019s richtig ist, dass sie sich asymptotisch n\u00e4hern, so folgt daraus, dass die Abnahme der Hubh\u00f6hen mit zunehmender Last desto unmerklicher werden muss, je schw\u00e4cher die Erregung \u00fcberhaupt ist. Bei minimaler Reizung muss gradezu jede Last um einen gleichen minimalen Betrag gehoben werden. Diese Betrachtung liefert den Schl\u00fcssel zu der von mir 1 gemachten Beobachtung, dass zu minimaler Hebung beliebiger Lasten stets gleiche Reizst\u00e4rken ausreichen, eine Thatsache, welche sp\u00e4ter auch von Kronecker2 und Tiegel3 best\u00e4tigt wurde. In Fig. 21 stellt die punctirte Linie B'B\u00b1 die Deh-nungscurve des sehr schwach contrahirten Muskels dar, deren Abst\u00e4nde von BB\\ (Zugh\u00f6hen) f\u00fcr alle Lasten nahezu gleich sind.\nDie WEBEn\u2019sche Lehre von der Abnahme der Elasticit\u00e4t im th\u00e4tigen Zustand ist Gegenstand eines langen und lebhaften Streites zwischen Weber und Volkmann gewesen4, an dem sich auch einige andere Forscher betheiligt haben. Den theoretischen Hintergrund dieses Streites, n\u00e4mlich die Frage nach der Natur der verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte, noch bei Seite lassend, heben wir hier nur hervor, dass vor Allem die Versuche beider Autoren \u00fcberhaupt nicht vergleichbar sind, da Weber durchweg Zugh\u00f6hen, Volkmann aber durchweg Wurfh\u00f6hen bei Einzelzuckungen beobachtete, nur erstere aber, wie Weber urgirt, und wie auch aus unsrer Darstellung hervorgeht, zu Schl\u00fcssen in der hier in Rede stehenden Richtung berechtigen. Ferner behauptet Volkmann, dass in Weber\u2019s Versuchen die Dehnbarkeit des th\u00e4tigen Muskels zu gross erschienen sei, wegen der w\u00e4hrend des Tetanus selbst stattfindenden Erm\u00fcdung und Erschlaffung; und gewiss ist es richtig und auch oben schon erw\u00e4hnt, dass der teta-nisirte Muskel in jedem Momente eine andere nat\u00fcrliche Gestalt hat, und zwar eine stets l\u00e4nger werdende; da aber Weber wie wir gesehen haben bei Berechnung der Dehnbarkeit jedesmal den Mittelwerth zweier tetani-schen L\u00e4ngen (bei Lasten die um 5 grm. verschieden sind) zii Grunde legt, welche beide selber durch Erm\u00fcdung beeinflusst sind, so wird im Grunde die Dehnungscurve eines th\u00e4tigen, aber durchweg, und zwar in constantem Grade erm\u00fcdeten Muskels bestimmt (der Erm\u00fcdungsantheil aus der Dauer des Versuchs, den Volkmann f\u00fcr relativ klein h\u00e4lt, ist n\u00e4mlich durch das WEBER\u2019sehe Recursionsverfahren eliminirt).5 Ausser\n1\tHermann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 369.\n2\tKronecker, Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. 1871. S. 770.\n3\tTiegel, ebendaselbst 1875. S. 26.\n4\tDie Literatur dieses Streites ist folgende: Volkmann, Commentatio de elasti-citate musculorum. Halle 1856; Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. 1856. S. 1, auch Arch. f. Anat. u. Physiol. 1857. S. 27; Weber, Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. 1856. S. 167, auch Arch. f. Anat. u. Physiol. 1858. S. 507 ; Volkmann, ebendaselbst 1858. S. 215; Weber, ebendaselbst 1858. S. 542; Volkmann, ebenda 1860. S. 145, 705 ; Weber, ebenda 1861. S. 248, 530 ; Volkmann, ebenda 1862. S. 140 ; Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. 1870. S. 57 ; Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 372.1870.\n5\tFreilich sind auch in Bezug auf diesen Punct Einw\u00e4nde von Volkmann und","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Minimallml) und Belastung. Controverse zwischen Weber und Volkmann. 7 3\ndem Uebelstande, dass nur f\u00fcr den erm\u00fcdeten Zustand etwas gemessen wird, ist noch ein anderer vorhanden, n\u00e4mlich der, dass die tetanische Erm\u00fcdung unzweifelhaft bei gr\u00f6sseren Belastungen gr\u00f6sser ist, so dass ein weiterer Umstand hinzukommt, der der Curve einen steileren Abfall verleiht. Den Uebelstand der tetanischen Erm\u00fcdung suchte nun Volkmann durch blosse Zuckungen zu umgehen (wodurch aber, wie bemerkt, der eigentliche Versuchszweck vereitelt wird), und liess \u00fcberdies den Muskel nicht vor der Zuckung durch das Gewicht dehnen, sondern h\u00e4ngte es ihm erst w\u00e4hrend der Zuckung an, entweder nachdem er eben die Ruhel\u00e4nge verlassen hatte (also als Ueberlastung im HELMHOLTz\u2019schen Sinne), oder erst in sp\u00e4terem Verk\u00fcrzungsstadium (die Strecke, welche der Muskel dann unbelastet zur\u00fccklegt, nennt Volkmann die \u201eFlucht\u201c). Weber eignete sich diese letzteren Versuchsweisen, deren VortrefFlichkeit f\u00fcr den vorliegenden Zweck auf der Hand liegt, auch f\u00fcr seine Tetanusversuche an, fand aber trotzdem sein Resultat, dass der th\u00e4tige Muskel dehnbarer sei, auch jetzt best\u00e4tigt, wenn auch der Unterschied kleiner erschien als fr\u00fcher ; Volkmann .hatte denselben bestritten und zuweilen sogar in entgegengesetztem Sinne beobachtet. Jedenfalls ist eine Wiederholung der Versuche, wom\u00f6glich mit Erhaltung der Circulation im Muskel und mit Ersparung fast aller \u00e4usseren Arbeit, indem das Gewicht erst angeh\u00e4ngt wird, nachdem die entsprechende Zugh\u00f6he nahezu zur\u00fcckgelegt worden, h\u00f6chst w\u00fcnschenswert!).\nEin noch wichtigerer Einwand Volkmann\u2019s betrifft die Frage, ob \u00fcberhaupt, abgesehen von jeder Art von Erm\u00fcdung, der mit 5 grm. belastete th\u00e4tige Muskel der gleiche K\u00f6rper sei wie der mit 500 grm. belastete, ob nicht der durch den Reiz bewirkte Anstrengungsgrad zum Theil von der Belastung abh\u00e4ngt. In der That sind sp\u00e4ter durch Heidenhain Thatsachen gefunden worden, die in diesem Sinne sprechen und die wir weiter unten, auch in ihren Beziehungen zur WEBER\u2019schen Theorie, er\u00f6rtern werden (Cap. 7 u. 9).\nSchliesslich hat indess Volkmann* 1 2 selbst, bei Gelegenheit einer in theoretischem Interesse angestellten Versuchsreihe, die Abnahme der Ela-sticit\u00e4t bei der Contraction best\u00e4tigt und sich der WEBER\u2019schen Theorie vollkommen angeschlossen.\nNicht unbestritten sind auch einige andere in unserer Darstellung enthaltene WEBER\u2019sche Angaben. Vor Allem sind von der Regel, dass die Zugh\u00f6hen mit zunehmender Last abnehmen, einige h\u00f6chst bemerkens-werthe Ausnahmen gefunden worden. Fick 2 sah Muschelmuskeln gr\u00f6ssere Lasten h\u00f6her heben, und dasselbe fand Heidenhain3 und weiter auch\nvon Wundt erhoben worden ; die Schwann-W'eber\u2019s che Elimination beruht n\u00e4mlich auf der Voraussetzung, dass die Erm\u00fcdung in der Zeit gleichm\u00e4ssig fortschreitet, w\u00e4hrend besonders Versuche Volkmann\u2019s ergaben, dass ein best\u00e4ndig tetanisirter Muskel auf einem gleichm\u00e4ssig rotirenden Cylinder keine grade, sondern eine nach unten convexe Verl\u00e4ngerungscurve zeichnet; ferner ist der Gang der Erm\u00fcdung von der Belastung in hohem Grade abh\u00e4ngig. Vgl. hier\u00fcber unten, im 4. Capitel.\n1\tVolkmann, Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 1. 1873.\n2\tFick, Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Physiologie der irritablen Substanzen S. 53. Braunschweig 1863.\n3\tHeidenhain, Mechanische Leistung, W\u00e4rmeentwicklung und Stoffumsatz bei der Muskelth\u00e4tigkeit S. 114. Leipzig 1864.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\tHermann, All g. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nFick1 2 3 an tetanisirten Froschmuskeln, wenn er sich innerhalb massiger Belastungen hielt und Erm\u00fcdung m\u00f6glichst vermied, aber doch den Tetanus bis zum Maximum der Verk\u00fcrzung fortsetzte; der Versuch gelingt an parallelfasrigen Muskeln nur mit indirecter Reizung, am Gastrocnemius auch mit directer. Erst mit zunehmender Erm\u00fcdung geht das Verk\u00fcrzungsmaximum von den gr\u00f6sseren Belastungen auf mittlere und schliesslich auf die kleinste herab. Fick schloss aus seinem Resultat am Muschelmuskel, dass die Elasticit\u00e4t des th\u00e4tigen Muskels gr\u00f6sser sei, als die des ruhenden, Heidenhain dagegen \u00fcberzeugte sich, dass, obgleich beide (im Sinne der WEBEu\u2019schen Theorie) Dehnungscurven nach der Seite der gr\u00f6sseren Belastungen divergiren, wie die gr\u00f6sseren Hubh\u00f6hen zeigen, dies doch nur in solchem Grade geschieht, dass es durch die gr\u00f6ssere K\u00fcrze und Dicke des th\u00e4tigen Muskels erkl\u00e4rbar ist, ja dass aus letzterem Verh\u00e4ltnis allein eine noch gr\u00f6ssere Divergenz folgen w\u00fcrde, so dass also auf eine Abnahme der Elasticit\u00e4t mit Weber zu schliessen ist, und zu derselben Ansicht gelangte auch Fick in seiner zweiten Arbeit.\nDonders & van Mansvelt 2 fanden bei ihren oben S. 9 besprochenen Versuchen \u00fcber die Elasticit\u00e4t der contrahirten Vorderarmbeuger des Menschen, dass dieselbe bei verschiedenen Contraetionsgraden constant bleibt (nach Weber\u2019s Lehre h\u00e4tte man eine Abnahme mit zunehmendem Contractionsgrad erwarten m\u00fcssen).\nVor Kurzem hat Tiegel 3 auf Grund von Versuchen an curarisirten und entbluteten Froschmuskeln, bei welchen die Muskeln in regelm\u00e4ssigen Intervallen und mit regelm\u00e4ssig wachsenden Belastungen zuckten und ihre Zuckungen in gleichen Abst\u00e4nden mittels eines leichten Hebels aufschrieben, die Behauptung aufgestellt, dass die Verbindungslinie der oberen Endpuncte der Striche eine (schr\u00e4g abfallende) grade Linie sei. Das Gleiche fand er, wenn er die Muskeln stets von ihrer Ruhel\u00e4nge aus zucken liess, also die Gewichte wie Ueberlastungen anbrachte. Ich selber4 fand dagegen sowohl bei gew\u00f6hnlichem als bei genauer Nachahmung des TiEGEL\u2019schen Verfahrens stets diese Linie nach unten convex gekr\u00fcmmt und gebe in Fig. 23 und 24 ein Facsimile eines Belastungs- und eines Ueberlastungsversuchs. Die grade Linie ist auch in der That hier h\u00f6chst unwahrscheinlich, ja fast unm\u00f6glich; denn da die untere Grenzlinie (die Dehnungscurve des ruhenden Muskels) auch nach Tiegel die angegebene Kr\u00fcmmung hat, so ist ein Gesetz, nach welchem die auf dieser Curve stehenden Zuckungsstriche oben in einer graden Linie enden sollen, gradezu undenkbar. Mit der Frage der WEBER\u2019schen Theorie haben \u00fcbrigens diese Versuche nichts zu thun, da sie Wurfh\u00f6hen und nicht Zugh\u00f6hen verzeichnen ; besonders ist dies der Fall in den \u00fceberlastungsversuchen, wo der Muskel, nachdem schon seine verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte theilweise entwickelt sind, eine Zeit lang festgehalten wird und dann erst losschnellt.5 Be-\n1\tFick, Untersuchungen \u00fcber Muskelarbeit S. 14. Basel 1867.\n2\tvan Mansvelt, Over de elasticiteit der spieren. Dissert. Utrecht 1863.\n3\tTiegel, Arch. f. d. ges. Physiol. XII. S. 133. 1876.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Pbysiol. XIII. S. 369. 1876.\n5\tUebrigens kann ich nickt einsehen, was in dieser Frage Ueberlastungsver-suche \u00fcberhaupt sollen; sie f\u00fchren durch anf\u00e4ngliches Festhalten des Muskels auf der Ruhel\u00e4nge nur eine Complication mehr ein. Man k\u00f6nnte sagen, die Muskeln ar-","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Zugh\u00f6he und Belastung. Arbeit des Muskels.\n75\nkanntlich ist jede Curve, wenn sie gen\u00fcgend in die L\u00e4nge gezogen ist und ein relativ kleines St\u00fcck betrachtet wird, in diesem ann\u00e4hernd gradlinig.\nFig. 23. Wurfh\u00f6hen bei zunehmender Belastung. Fig. 24. Wurfh\u00f6hen bei zunehmender Ueberlastung.\nDer zeichnende Muskel besteht in beiden Versuchen aus Triceps und Gastrocnemius, am Knie zusammenh\u00e4ngend, direct maximal gereizt. Die Belastungs- resp. Ueberlastungsvermehrung zwischen je 2 Zuckungen betr\u00e4gt 5,5 grm. Nach. jeder Zuckung wurde in Fig. 23 vor Verschiebung der Platte die neue Last zugelegt, und dann erst die kleine Horizontallinie geschrieben. Der Ausgangspunct jedes Zuekungsstriehs ist also da zu nehmen, wo ihn von rechts die kleine Horizontale trifft.\nAuch Wundt 1 erkl\u00e4rt die Dehnungscurve des th\u00e4tigen Muskels f\u00fcr gradlinig ; liier aber ist diese Angabe verst\u00e4ndlicher, da Wundt auch die Dehnungscurve des ruhenden Muskels f\u00fcr gradlinig h\u00e4lt. Die Gradlinigkeit behaupten auch Dondees & van Mansvelt (a. a. 0.) nach ihren Versuchen am Menschen. Man sieht, dass die Gestalt der Dehnungscurve des th\u00e4tigen Muskel ebenso streitig ist wie die des ruhenden.\n4. Die Ai^beit der Verk\u00fcrzung.\nDie bei der Verk\u00fcrzung des Muskels geleistete \u00e4ussere oder nutzbare Arbeit wird ausgedr\u00fcckt durch das Product der Wurf- resp. Zugh\u00f6he mit der gehobenen Last, Die letztere besteht aber aus dem am Muskel h\u00e4ngenden Gewicht und dem halben Gewicht des Muskels selbst, vorausgesetzt, dass derselbe eine (im weiteren Sinne) cylin-drische Gestalt hat und sieb in seiner ganzen L\u00e4nge gleichm\u00e4ssig verk\u00fcrzt, Bedingungen die nur selten streng erf\u00fcllt sind. Das halbe Gewicht des Muskels ist in diesem Falle zu nehmen, weil am unbelasteten Muskel die Belastung jedes L\u00e4ngenelements dessen Abstand vom unteren Ende proportional ist, die mittlere Belastung aller L\u00e4ngenelemente also die des mittleren L\u00e4ngenelements ist, d. h. das halbe Gewicht des Muskels. In den folgenden Betrachtungen wird dies\nbeiten im lebenden Organismus meist mit Ueberlastung; aber es handelt sich hier nicht um Nachahmung der Bedingungen des Lehens (sonst d\u00fcrfte man \u00fcberhaupt nicht mit einfachen Zuckungen arbeiten) , sondern um Herstellung m\u00f6glichst einfacher und \u00fcbersehbarer physicalischer Verh\u00e4ltnisse.\n1 Wundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 109. Braunschweig 1858.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenzieliimg des Muskels.\nGewicht gegen\u00fcber der eigentlichen Belastung stets vernachl\u00e4ssigt werden.\nDie Arbeit ist hiernach Null, sowohl bei der Belastung Null als bei der Hubh\u00f6he Null. Sie muss demnach, da die Hubh\u00f6hen im Allgemeinen mit der zunehmenden Last abnehmen, bei einer gewissen mittleren Belastung ein Maximum sein, was schon Weber fand und u. A. auch Place (cit. S. 35) f\u00fcr den Fall der Vermeidung von Wurfh\u00f6hen best\u00e4tigte. W\u00e4ren die Dehnungseurven des ruhenden und th\u00e4tigen Muskels gradlinig, so w\u00fcrde das Maximum der Arbeit genau bei der H\u00e4lfte derjenigen Last liegen, welcher der Schnittpunct beider Curven, d. h. die Hubh\u00f6he Null, entspricht; Place fand es bei einem Drittel dieser Last. Die Ordinaten der Curve RUS Fig. 21 stellen den Betrag der Arbeit dar, d. h. das Product von Last und Zugh\u00f6he.\nIm Tetanus leistet der Muskel nur beim Verk\u00fcrzungsact \u00e4ussere Arbeit ; w\u00e4hrend der Beharrung im verk\u00fcrzten Zustande ist dieselbe Null. Ueber die innere Arbeit im Tetanus s. unten.\nDie bei einer Muskelcontraetion geleistete Arbeit h\u00e4ngt, wie man leicht einsieht, durchaus nicht bloss von Last und Erregungsgr\u00f6sse, sondern auch von zahlreichen anderen Umst\u00e4nden ab; z. B. ob die Last an den Muskel von Beginn der Verk\u00fcrzung ab oder erst sp\u00e4ter angeh\u00e4ngt war (in diesem Falle beginnt nat\u00fcrlich die Arbeit, da wir vom Eigengewicht des Muskels absehen, erst mit dem Hube der Last), ob die Verk\u00fcrzung schon w\u00e4hrend der Entwicklung der Verk\u00fcrzungskraft oder in Folge eines anf\u00e4nglichen Hemmnisses erst sp\u00e4ter begann. Auch kommt der Fall vor, dass die Last oder ihr Moment, sich w\u00e4hrend der Verk\u00fcrzung selbst ver\u00e4ndert.\nF\u00fcr die Verk\u00fcrzungsarbeit ist offenbar nicht die bisher allein ber\u00fccksichtigte Zugh\u00f6he, sondern die W u r fh \u00f6 h e massgebend. Diese ist von der Zugh\u00f6he um so verschiedener (\u00fcbertrifft sie um so mehr), je gr\u00f6ssere beschleunigende Kr\u00e4fte in jedem Momente der Verk\u00fcrzung auf die zu bewegenden Massen einwirken. Bei gew\u00f6hnlicher Zuckung giebt es (wie schon Helmholtz entwickelt hat), da die verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte in ihrem Beginn noch bei weitem nicht v\u00f6llig entwickelt sind, Strecken, die ganz ohne beschleunigende Kraft, lediglich durch Tr\u00e4gheit der Last und ohne entsprechende Spannung des Muskels zur\u00fcckgelegt werden. Dies wird dagegen nicht der Fall sein, wenn die Umst\u00e4nde der Art sind, dass die verk\u00fcrzende Kraft entweder schon im Beginn der Verk\u00fcrzung vollkommen entwickelt oder gezwungen ist, sich anfangs in irgend einer Weise dergestalt aufzuspeichern 1 dass\n1 Diese Aufspeicherung ist so zu verstehen, als ob der Muskel eine Uhr aufz\u00f6ge, die dann ihrer Natur gem\u00e4ss mit der ertheilten Spannkraft arbeitet.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Arbeit und Wurfh\u00f6be. Besondere F\u00e4lle.\n77\neine der Last entsprechende Spannung des Muskels w\u00e4hrend des ganzen Verk\u00fcrzungsactes gesichert ist; solche Versuche sind besonders von Fick1 angestellt worden.\nFick hielt z. B. den Muskel im Anfang des Tetanus (oder der Zuckung) durch einen Electromagneten auf der Buhel\u00e4nge fest und entmagnetisirte erst nach v\u00f6lliger Entwicklung der Muskelkraft; die letztere muss sich hierbei ganz als elastische Spannung des Muskels aufspeichern, welche dann als beschleunigende Kraft die Last hoch emporschleudert. Etwas \u00e4hnliches wird erreicht, wenn ein Widerstand in Gestalt \u00e4quilibrirter tr\u00e4ger Massen (\u201eSchwungmassen\u201c, Fick) vorhanden ist, wenn z. B. der Muskel an der Axe eines Schwungrades angreift, auf welche zugleich die Last gewunden ist ; das Schwungrad ger\u00e4th nur in langsame Bewegung, w\u00e4hrend welcher der Muskel stark gespannt ist; die einmal eingeleitete Bewegung h\u00e4lt aber relativ lange an und windet das Gewicht weiter auf, als ohne Schwungmassen ; \u00e4hnlich w\u00fcrde auch ein Windfl\u00fcgel wirken, den der Muskel in schnelle Rotation versetzte. Endlich kann man das Gleiche auf sehr einfache Weise dadurch erreichen, dass man zwischen Muskel und Schreibhebel ein d\u00fcnnes Kautschukb\u00e4ndchen einschaltet (vgl. oben S. 65, 68). Jetzt wirkt die Muskelkraft anfangs, statt hebend auf die Last, vorzugsweise dehnend auf das Band, dessen wachgerufene Elasticit\u00e4t dann die eigentliche beschleunigende Kraft f\u00fcr die Last darstellt. Auch in diesen Versuchen f\u00e4llt, wenigstens f\u00fcr schw\u00e4chere Belastungen, die Arbeit gr\u00f6sser aus.'2 In zahlreichen derartigen Versuchen, bei denen der Muskel die gleiche Last abwechselnd mit und ohne eingeschaltetes elastisches Band zu heben hatte, fand ich, dass die Wurfh\u00f6hen von einer gewissen Last an umgekehrt f\u00fcr den Fall des elastischen Zwischengliedes kleiner sind als ohne dasselbe, vermuthlich wreil der Kautschuk einen Theil der an ihm geleisteten Arbeit in W\u00e4rme umwandelt, also nicht auf die Last \u00fcbertr\u00e4gt.\nEine anf\u00e4ngliche Aufspeicherung der entwickelten Muskelkr\u00e4fte findet auch in dem Falle statt, wo die Last als \u201eUeberlastung\u201c am Muskel bei. dessen nat\u00fcrlicher L\u00e4nge angebracht worden ist; die Arbeit ist jedoch in diesem Falle kleiner, weil der Hub erst viel h\u00f6her beginnt als bei Ruhedehnung durch die Last. Fick fand ausserdem, dass im letzteren Falle die Wurfh\u00f6he auch einen absolut h\u00f6heren Punkt erreicht als im ersteren (wenigstens bei m\u00e4ssigen Belastungen).\nDie theoretische Berechnung der Wurfh\u00f6he und somit der Arbeit ist nur f\u00fcr diejenigen F\u00e4lle ann\u00e4hernd m\u00f6glich ? wo die verk\u00fcrzenden Kr\u00e4fte schon vor dem Beginn der Verk\u00fcrzung vollkommen entwickelt sind, letztere also wirklich rein mit elastischen Kr\u00e4ften erfolgt (wie es in Fick\u2019s Versuchen der Fall war). Fick hat solche Berechnungen zun\u00e4chst f\u00fcr das Aufschleudern eines Gewichtes durch eine gedehnte und dann losgelassene elastische Feder angestellt und das Resultat mit den wirklichen Wurf h\u00f6hen ziemlich \u00fcbereinstimmend gefunden; Theorie und\n1\tFick, Untersuchungen \u00fcber Muskelarbeit. Basel 1867; Verhandl. d. phys.-med. Ges. in W\u00fcrzburg. N. F. III. S. 254. 1872.\n2\tDie gr\u00f6ssere Wurfh\u00f6he in diesem Falle hat schon Marey er\u00f6rtert: Du mouvement etc. p. 456.1868.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78 Hermann, Allg. Muskelphysik. 2. Cap. Zusammenziehung des Muskels.\nVersuch ergaben, dass in diesem Falle die Arbeit vom Gewicht unabh\u00e4ngig, d. h. die Wurfh\u00f6he dem Gewicht umgekehrt proportional ist, so lange das Gewicht eine gewisse Gr\u00f6sse nicht \u00fcberschreitet (n\u00e4mlich dasjenige Gewicht, dessen Hebung um den Dehnungsbetrag der Feder die gleiche Arbeit kostet wie die Dehnung der Feder gekostet hat) ; mit gr\u00f6sseren Gewichten wird die Arbeit immer kleiner, und nat\u00fcrlich Null wenn das Gewicht so gross ist wie die Spannung der gedehnten Feder. Bei Kautschukstr\u00e4ngen, und noch mehr beim Muskel, blieb dagegen die Wurfh\u00f6he und die Arbeit hinter den berechneten Werthen betr\u00e4chtlich zur\u00fcck, was offenbar darauf zu beziehen ist, dass bei diesen K\u00f6rpern ein Theil der Arbeit (beim Muskel mehr als die H\u00e4lfte) zur Ueberwin-dung innerer Widerst\u00e4nde (unter W\u00e4rmebildung) verbraucht wird.\nEine besonders g\u00fcnstige Ausnutzung der Muskelkr\u00e4fte findet, wie Fick gezeigt hat, statt, wenn der Muskel nicht eine constante, sondern eine in dem Maasse w\u00e4hrend des Hubes abnehmende Last hebt, dass dieselbe immer grade seiner augenblicklichen elastischen Spannung nahezu\ngleich ist. Um diesem Ideal sich anzun\u00e4hern, brachte Fick die Last an einem Winkelhebel derartig an, dass ihr Moment im Verlaufe des Hubes abnahm und sah in der That so die Gesammtarbeit des Hubes auf mehr als das Doppelte steigen. Viele Muskeln des K\u00f6rpers arbeiten in der That nach diesem vortheilhaften \u201e Ent-lastungsprincip (N\u00e4heres s. in der speeiellen Bewegungslehre.)\nDie Grenze der bei voller Ausnutzung nach dem erw\u00e4hnten Princip erreichbaren Muskelarbeit wird ausgedr\u00fcckt durch den dreiseitigen Fl\u00e4chenraum zwischen der Dehnungscurve des th\u00e4tigen Muskels, der durch den Null-punct der Abscissenaxe gezogenen Ordinate und einer zur Abscisse parallelen Linie, welche durch den Schnittpunet der Dehnungscurven des ruhenden und th\u00e4tigen Muskels gezogen wird.1 In Figur 25 w\u00e4re bEB\u00b1 diese Fl\u00e4che; da n\u00e4mlich w\u00e4hrend des Hubes die Last best\u00e4ndig abnimmt (von B ch auf Null), so ist w\u00e4hrend des Hub differentials et* die Arbeit gleich der kleinen Fl\u00e4che ee' f f (die zugeh\u00f6rige Last ist n\u00e4mlich gleich e f) ; das Integral dieser kleinen Fl\u00e4chen ist aber die Fl\u00e4che bEZ?4. Der Werth dieser Fl\u00e4che betrug in einem Versuch vop Fick am Gastrocnemius 4820 grm.-mm. Fick bringt aber hiervon in Abzug\nVF b\nFig. 25. Zur Theorie der Muskelarbeit\n1 Findet asymptotischer Anschluss statt (s, oben S. 71), so muss statt des Schnitt-puncts ein Punct gew\u00e4hlt werden, in welchem beide Curven sich m\u00f6glichst nahe gekommen sind.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Gr\u00f6sste Ausnutzung des Muskels. Erregung.\n79\ndiejenige Arbeit, welche die dehnenden Gewichte am ruhenden Muskel verrichtet haben und nennt nur den Rest \u201eNutzeffect\u201c; jene Arbeit wird durch den dreieckigen Fl\u00e4chenraum unter der Dehnungscurve des ruhenden Muskels {BEB\u00b1) ausgedr\u00fcckt, der \u201eNutzeffect\u201c (bei Arbeit mit Entlastung) also durch den Fl\u00e4chenraum b B B\u00b1 zwischen beiden Dehnungs-curven, dessen Werth im angef\u00fchrten Versuch 3460 grm.-mm. betrug. Auf 1 grm. Muskelsubstanz berechnet sich hiernach als Maximum des erreichbaren Nutzeffects 4,385 grm.-rn., und f\u00fcr die entsprechend behandelten Versuche Weber\u2019s 3,324\u20145,760 Grammmeter.\nUeber den maximalen Nutzeffect menschlicher Muskeln ist Nichts bekannt. Die zahlreichen einschl\u00e4gigen Beobachtungen 1 betreffen lediglich den Gesammteffect eines arbeitenden Menschen bei verschiedenen Arten der Arbeit und die g\u00fcnstigste Ausn\u00fctzung der Kr\u00e4fte, Gegenst\u00e4nde die in die specielle Bewegungslehre geh\u00f6ren.\nDRITTES CAPITEL.\nDie Erregung des Muskels.\nI. Allgemeines.\nDie nat\u00fcrlichen Muskelcontractionen sind entweder willk\u00fcrlich oder reflectorisch oder automatisch, und beruhen auf Vorg\u00e4ngen, deren Natur in andern Theilen dieses Werkes er\u00f6rtert wird. Gemeinsam ist diesen Arten der Inanspruchnahme des Muskels, dass der Muskel dem erregenden Vorg\u00e4nge nicht mehr gehorcht, wenn der zu ihm f\u00fchrende sog. motorische Nerv durchschnitten oder sonstwie an irgend einem Puncte nicht mehr unversehrt ist; der Nerv ist also der unentbehrliche Vermittler dieser Vorg\u00e4nge. Verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig selten und stets nur unter nicht ganz normalen Verh\u00e4ltnissen wird der Muskel durch Einwirkungen andrer Art zur Contraction gebracht, und zwar durch Eingriffe, die ihn selbst oder irgend einen Punct seines Nerven treffen, in welchem letzteren Falle wiederum v\u00f6llige Integrit\u00e4t des Nerven zwischen der Einwirkungsstelle und dem Muskel Bedingung ist.\nHaller war der Erste, welcher dem Muskel eine \u201e Irritabilit\u00e4t \u201c,\n1 Eine trefflicke Zusammenstellung der \u00e4lteren Angaben hat Wundt in seiner Lehre von der Muskelbewegung S. 199ff. gegeben; vgl. ausserdem Milne-Edwards, Le\u00e7ons sur la physiologie etc. XL p. 112ff. Paris 1876 ; ferner die Arbeit von Donders, Arch. v. Genees- en Natuurk. II. p. 210. (Uebersetzt in Journ. of anat. and physiol. I. p. 168. 1867.)","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\ncl. li. die Eigenschaft, Reizungen mit Contraction zu beantworten, zuschrieb, ohne indess diejenigen Fragen aufzuwerfen, welche in neuerer Zeit den Inhalt des sog. Irritabilit\u00e4tsstreits ausgemacht haben.1 Das Resultat zahlloser seit Haller angestellter Untersuchungen \u00fcber die Erregung der Muskelcontraction l\u00e4sst sich in die wenigen Worte zusammenfassen, dass die Muskelfaser sich auf gewisse Einwirkungen, welche man Reize nennt, zun\u00e4chst an der direct getroffenen Stelle contrahirt und diese Contraction sich durch die ganze L\u00e4nge der Faser fortpflanzt, dass ferner zu den Reizen auch ein bisher unverst\u00e4ndlicher Vorgang im Nervenende geh\u00f6rt, welcher selber wieder Resultat eines Fortpflanzungsprocesses im Nerven ist. Es giebt also eigentlich nur eine einzige Art, wie Muskelcontractionen entstehen, n\u00e4mlich die Einwirkung von Reizen auf mindestens Einen Punct der Muskelfaser. Den h\u00e4ufigen und zugleich einzig nat\u00fcrlichen Fall jedoch, in welchem der Reiz vom Nervenende ausgeht, bezeichnet man zweckm\u00e4ssigerweise, um schleppende Ausdr\u00fccke zu vermeiden, als indirecte Muskelreizung, obgleich der Reiz f\u00fcr den Muskel selbst auch hier ein durchaus directer ist, n\u00e4mlich jener unbekannte Vorgang im Nervenende. Die \u00fcbrigen Arten der Muskelreizung nennt man directe Reizung.\nDer Umstand, dass die Muskeln ziemlich durchweg von Nerven durchzogen sind, f\u00fchrte viele Autoren zu der Ansicht, dass diese letzteren f\u00fcr eine Muskelcontraction unentbehrlich seien und vor Allem die sog. directen Muskelreize nur durch Vermittlung der intramuscu-l\u00e4ren Nerven die Contraction bewirken. Die letztere Ansicht, welche die directe Erregbarkeit des Muskels bestreitet, hat bis in die. neuere Zeit hinein Vertreter gefunden, und soll hier, obgleich sie nunmehr ganz der Vergangenheit angeh\u00f6rt, beleuchtet werden.\nVor Allem fehlt f\u00fcr diese Behauptung jeder positive Grund; denn das Dasein von Nervenfasern in jedem Theil des Muskels w\u00fcrde nur dann mit einigem Rechte auf Unentbehrlichkeit derselben f\u00fcr directe Reizung schliessen lassen, wenn dieser Verbreitung gar keine sonstige functioneile Bedeutung zugeschrieben werden k\u00f6nnte ; eine solche liegt aber auf der Hand, da die Zuf\u00fchrung der centralen Erregungen zu jeder Muskelfaser erfordert, dass jede Muskelfaser mit Nervenfasern verbunden sei, letztere also sich im ganzen Muskel verbreiten. Dass\n1 Sehr richtig ist dies in neuerer Zeit besonders von Wundt ausgef\u00fchrt worden: Die Lehre von der Muskelbewegung S. 155. Braunschweig 1858. Eine klare Auseinandersetzung der Verr\u00fcckung des Begriffs \u201eIrritabilit\u00e4t\u201c finde ich schon bei Cuviee, in einem Bericht \u00fcber eine Arbeit von Flourens; s. Magendie\u2019s Journ, d. physiol, exp\u00e9r. et pathol. II. p. 372. 1822.","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Angebliche Beweise gegen directe Muskelerregbarkeit. Beweise f\u00fcr dieselbe. 81\nferner Muskeln, deren Nervenfasern sorgf\u00e4ltig aus dem Inneren her-auspr\u00e4parirt sind, nickt mehr erregt werden k\u00f6nnen \\ beweist nichts, da solche Muskeln durch mechanische Sch\u00e4digung get\u00f6dtet sind. Dass im Allgemeinen f\u00fcr Nerv und Muskel dieselben Einwirkungen erregend und dieselben Einwirkungen t\u00f6dtlich sind, kann (abgesehen davon, dass dies nur im Grossen und Ganzen gilt, s. unten) ebenfalls nicht beweisen dass die Wirkungen auf den Muskel nur durch den Nerven zu Stande kommen, da zwei irritable Apparate offenbar gewisse gemeinsame Eigenschaften haben m\u00fcssen, welche mit der Irritabilit\u00e4t Zusammenh\u00e4ngen. Endlich der Umstand, dass Muskeln nach Degeneration ihrer Nerven ihre Erregbarkeit einb\u00fcssen (vgl. hier\u00fcber das 5. Capitel), beweist nur einen erhaltenden Einfluss der Centralorgane auf die Muskeln, zumal da die Nerven schon lange vor den Muskeln ihre Erregbarkeit einb\u00fcssen. Das Vorstehende sind die positiven Gr\u00fcnde, welche z. B. M\u00fcller in seiner Physiologie gegen die directe Muskelirritabilit\u00e4t anf\u00fchrt.\nDie Gr\u00fcnde f\u00fcr die Annahme directer Muskelerregbarkeit sind zahlreich und lassen sich in folgende Gruppen bringen.\n1.\tGr\u00fcnde allgemeinerer Natur. Der Muskel stellt nur ein einzelnes Beispiel dar aus einer grossen Anzahl contractiler und zugleich irritabler Organe im Thier- und Pflanzenreich, und ist zugleich das einzige contractile Organ, welches mit Nerven versehen ist. Nur die zwingendsten positiven Gr\u00fcnde aber k\u00f6nnten dazu veranlassen, im Muskel grade die Irritabilit\u00e4t von dem gleichsam zuf\u00e4llig (n\u00e4mlich zur Zuleitung centraler Erregungen) hier vorhandenen Nerven abh\u00e4ngig zu machen, w\u00e4hrend sie in den zahllosen andern contractilen Organen doch offenbar eine ganz directe ist.\n2.\tDie Erregbarkeit entnervter Muskeln. Die directe Muskelerregbarkeit wird sicher bewiesen, wenn es gelingt, die Nerven innerhalb eines Muskels auf irgend einem Wege unerregbar zu machen und dann die Fortdauer der Erregbarkeit des Muskels festzustellen. Eins des \u00e4ltesten Mittel hierzu ist die Durchschneidung des motorischen Nerven, welcher bald Unerregbarkeit und Entartung des ganzen peripherischen Nervenbereichs nachfolgt (s. d. 2. Band). Zu einer Zeit nun, wo die volle Nervendegeneration schon eingetreten ist, sind die Muskeln nicht allein noch direct erregbar, sondern sogar unter Umst\u00e4nden erregbarer als normal. Sp\u00e4ter allerdings entartet auch der\n1 Nach J. M\u00fcller. Handb. d. Physiol. II. S. 53 hat Humboldt solche Versuche angestellt, die ich aber in dem bekannten Buche \u201eVersuche \u00fcber die gereizte Muskel-und Nervenfaser\u201c nicht auffinden konnte ; der sehr \u00e4hnliche Versuch daselbst, I. S. 236, hat eine ganz andere Bedeutung.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\tHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nMuskel selbst, weil er die Abtrennung von den Centralorganen nicht auf die Dauer ertragen kann (N\u00e4heres \u00fcber diese Verh\u00e4ltnisse s. im 5. Capitel). Um den geforderten Beweis zu erbringen, m\u00fcssen also die Muskeln in dem Zeitraum zwischen Verlust der Nervenerregbarkeit und Eintritt der Muskelentartung untersucht werden. Um aber ersteren zu constatiren, gen\u00fcgt es nat\u00fcrlich nicht, sich von der Erfolglosigkeit der Reizung des Nervenstammes zu \u00fcberzeugen ; denn ' man kann einwenden, dass die intramuscul\u00e4ren Nervenzweige noch erregbar seien. Die vielfachen Nervendurchschneidungsversuche von Fontana1, Legallois2, M\u00fcller & Sticker3, H. Nasse4, Reid5, Stannius 6 7, Longet 7 u. A., welche zeigten, dass die directe Muskelerregbarkeit noch besteht, nachdem der durchschnittene Nerv seine Erregbarkeit verloren hat8, sind daher nicht als streng beweisend zu betrachten. Erst Brown-S\u00e9quard 9 10, Bidder 10 u. A. constatirten, dass die Erregbarkeit auch nach voller Degeneration der intramuscul\u00e4ren Nervenzweige noch lange erhalten bleibt. Aber auch so kann der Zweifler die Frage erheben, ob nicht ein nerv\u00f6ses Endglied von der Degeneration verschont bleibt und dieses die Erregung des Muskels vermittelt.\nEin zweites Mittel, die intramuscul\u00e4ren Nerven, wenn auch nicht absolut, unerregbar zu machen, besteht in der Application eines auf-\n1\tFontana, Beobachtungen und Versuche \u00fcber die Natur der thierischen K\u00f6rper. Uebers. v. Hebenstreit. S. 74. Leipzig 1785.\n2\tLegallois, Oeuvres p. 24. Paris 1830.\n3\tSticker, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1834. S. 202; s. auch J. M\u00fcller, Handb. d. Physiologie II. S. 51. Coblenz 1837, und in der 4. Auflage I. S. 552. Coblenz 1S44.\n4\tH. Nasse, Untersuchungen zur Physiologie und Pathologie. Bonn 1835; Arch, f. Anat. u. Physiol. 1839. S. 405; vgl. auch Engelhardt, De vita musculorum. Bonn 1841.\n5\tReid, Brit. Assoc. Report 1840. II. p. 155; Edinb. monthl. journ*. of med. sc. 1841. I. p. 320.\n6\tStannius, Froriep\u2019s neue Not. XIX. S. 337. 1841 ; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1847. S. 443, 1849. S. 588.\n7\tLonget, Comptes rendus XII. p. 951, XIII. p. 137. 1841 ; Arch. g\u00e9n. d. m\u00e9d. I. p. 81. 1842 ; Anatomie und Physiologie des Nervensystems. Uebers. von Hein. I. S. 51, Leipzig 1847.\n8\tDass in pathologischen L\u00e4hmungen und nach Nervendurchschneidungen die Muskeln noch erregbar sein k\u00f6nnen war schon viel fr\u00fcher bekannt, doch lag entweder die L\u00e4hmungsursache im Bereich der Centra selbst, oder es war Unerregbarkeit der Nervenst\u00e4mme nicht ausdr\u00fccklich festgestellt; vgl. Prochaska, Opera minora. Ed. 1800. p. 84; Fowler in Monro & Fowler, Abhandlung \u00fcber thier. Electricit\u00e4t und ihren Einfluss auf das Nervensystem (Anonyme UeberSetzung) S. 134. Leipzig 1796; Nysten, Recherches de physiologie et de chimie pathol. p. 369, 377, 419. Paris 1811. Dass bei Hirnl\u00e4hmungen die Nerven des gel\u00e4hmtenK\u00f6rperthe\u00fcs erregbar bleiben, con-statirte ausdr\u00fccklich Marshall Hall, Arch. f. Anat, u. Physiol. 1839. S. 200.\n9\tBrown-SiQUARD, Bull. d. 1. soc. philomat. 1847. p. 74, 83; Compt. rend. d. 1. soc. d. biologie 1849. p. 195; Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1857. No. 42 ; Journ. d. 1. physiol. IL p. 75. 1859; etc.\n10\tBidder, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1865. S. 67.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Erregbarkeit nach Entnervung durch Degeneration, Anelectrotonus, Curare. 83\nsteigenden constanten Stromes auf den Nervenstamm (vgl. hier\u00fcber den 2. Band). Eckhard 1 sah hierbei die directe Muskelerregbarkeit entschieden abnehmen und schloss daraus, dass sie durch den Nerven' vermittelt sei. Mit Recht wandte Pfl\u00fcger 2 hiergegen ein, dass, abgesehen davon, dass die erregbarkeitsmindernde Wirkung des Anelectrotonus sich m\u00f6glicherweise auch auf die Muskelfaser erstreckt, die Schw\u00e4chung der Muskelwirkung sich einfach aus dem Wegfall des indirecten Antheils der Muskelerregung erkl\u00e4ren l\u00e4sst (\u00fcber dessen relative Gr\u00f6sse s. unten). Der Versuch h\u00e4tte offenbar nur dann etwas bewiesen, wenn der Anelectrotonus die directe Erregbarkeit g\u00e4nzlich aufgehoben h\u00e4tte.\nDas dritte und vollkommenste Mittel ist die Vergiftung1 2 3 mit Curare. Von diesem s\u00fcdamerikanischen Pfeilgifte ist durch zahllose Untersuchungen, unter welchen die von Bernard und K\u00f6lliker obenan stehen4, festgestellt, dass es in einem Stadium, wo der Nervenstamm in jeder Hinsicht ungest\u00f6rt functionirt, die Wirkung desselben auf den Muskel vollkommen auf hebt, w\u00e4hrend die directe Muskelerregbarkeit erhalten bleibt. Die sch\u00e4digende Wirkung des Giftes muss sich also in erster Linie grade auf gewisse im Muskel liegende nerv\u00f6se Apparate erstrecken, so dass der Fortbestand der directen Erregbarkeit als einer der sichersten Beweise f\u00fcr die directe Muskelerregbarkeit angesehen wird. Dass letztere durch Curare etwas vermindert erscheint, erkl\u00e4rt sich, wie die analoge Erscheinung bei anelectrotonischer Entnervung (s. oben), durch den Wegfall des relativ wirksameren indirecten Erregungsantheils ; dass ferner die Zuckungen nach Curarisirung eine gewisse locale Beschr\u00e4nkung zeigen5, ist begreiflich, da ja nur die direct vom Reiz getroffenen Muskelfasern (diese jedoch in ganzer L\u00e4nge) sich contrahiren k\u00f6nnen; dass endlich gewisse Reizmittel, z. B. schwache Inductionsschl\u00e4ge, nicht mehr erregend wirken, beruht auf specifischen Eigent\u00fcmlichkeiten der directen Muskelerregbarkeit, deren Existenz grade hierdurch mit bewiesen wird (s. unten).\nIndessen lassen alle auf Entnervung des Muskels beruhenden\n1\tEckhard, Beitr\u00e4ge z. Anat. u. Physiol. I. S. 46. 1855.\n2\tPfl\u00fcger, Med. Centralzeitung 1856. No. 57 ; Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 29. Berlin 1859.\n3\tDie Idee einer Entnervung durch Gifte ist zuerst von Harless gefasst worden, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1847. S. 228, jedoch wandte er den hierzu ungeeigneten Aether an; vgl. auch Abhandl. d. bayr. Acad. Y. S. 495. 1848.\n4\tIn Betreff der Literatur der Curare Wirkungen verweise ich auf mein Lehrb. d. exper. Toxicologie S. 299 ff. Berlin 1874.\n5\tVgl. K\u00f6lliker, Arch. f. pathol. Anat. X. S. 291.1856 ; Haber, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 98.","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"\u00bb\n84\tHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nBeweise den in der That oft erhobenen Einwand zu, dass das entnervende Mittel gewisse nerv\u00f6se Endapparate im Muskel intact gelassen habe. Wirklich weiss man weder sicher, wieweit die Degeneration nach Durchschneidung, noch wieweit die l\u00e4hmende Wirkung des Electrotonus sich \u00fcber die intramuscul\u00e4ren Nervenenden erstreckt, und was das Curare betrifft, so hat K\u00fchne gradezu gezeigt, dass die specifische Erregbarkeit des curarisirten Muskels vom Ner-venhilus nach den Enden hin abnimmt, etwa wie im unvergifteten Muskel (s. unten), w\u00e4hrend bei anelectrotonischer Nervenl\u00e4hmung die Erregbarkeit in der ganzen L\u00e4nge des Muskels den gleichen niedrigen Grad hat wie an den Enden des normalen oder curarisirten Muskels, der Muskelfaser selber also eine solche Erregbarkeitsabstufung nicht zukommt. Die gr\u00f6ssere Erregbarkeit der centraleren Partien des Curaremuskels kann also nur darauf beruhen, dass das Gift irgend einen Apparat von relativ grosser specifischer Erregbarkeit, also irgend ein nerv\u00f6ses Gebilde im Muskel unversehrt l\u00e4sst ; der Curareversuch w\u00fcrde demnach nicht absolut beweisend sein, gr\u00f6ssere Beweiskraft w\u00fcrde hieraus f\u00fcr den Anelectrotonusversuch folgen.1\n3.\tDie Verschiedenheit der Nerven- und der Muskelreize. Zuerst hat Joh. M\u00fcller2, sp\u00e4ter v. Wittich und besonders K\u00fchne den Umstand, dass manche chemische Muskelreize f\u00fcr den Nerven unwirksam sind, und umgekehrt (s. unten), als Beweismittel f\u00fcr die directe Muskelerregbarkeit zu verwenden gesucht. Indessen sind erstens eine Anzahl hierhergeh\u00f6riger Thatsachen streitig3, und zweitens der Einwand m\u00f6glich, dass der Zutritt der chemischen Agentien zur Nervenfaser in den extra- und intramuscul\u00e4ren Nerven ungleichen Bedingungen unterliege, die scheinbar specifischen Muskelreize also Nervenreize seien, welche aber in derber umh\u00fcllte Nervenfasern nicht schnell genug eindringen k\u00f6nnen. Einwurfsfreier als die Verschiedenheit der chemischen Reize ist die unten n\u00e4her zu besprechende der electrischen, wenn nicht hier der gr\u00f6ssere Umfang der Erregbarkeit auf Seite des Nerven l\u00e4ge, so dass es zwar electri-sche Nervenreize giebt, die auf den Muskel nicht wirken, aber nicht das Umgekehrte, was f\u00fcr einen wirksamen Beweis erforderlich w\u00e4re.\n4.\tDie Erregbarkeit von Natur nervenfreier Muskel-\n1\tK\u00fchne, Arch. f.Anat. u. Physiol. 1860. S. 477; indess behauptete sp\u00e4ter Sachs, ebendaselbst 1874, S. 68, dass bei vollkommener Curarisirung die localen Erregbar-keitsunt er schiede wegfallen.\n2\tJ. M\u00fcller, erw\u00e4hnt bei Sticker, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1834. S. 214; vgl. auch Wilson Philip, Philos. Transact. 1833. (M\u00fcller\u2019s Jahresb. 1834. S. 133.)\n- 3 Nachtr. Anm. Eine wichtige neuere Arbeit von Hering wird mir erst w\u00e4hrend der Correctur bekannt; s. unten S. 106.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Beweise f\u00fcr directe Erregbarkeit der Muskeln.\n85\nabschnitte. K\u00fchne1 fand die beiden Enden des Sartorius beim Frosche in einer Ausdehnung von etwa Vs der L\u00e4nge v\u00f6llig frei von Nervenfasern und sieht in der Erregbarkeit derselben durch local streng beschr\u00e4nkte (chemische, mechanische) Reize mit Recht einen schlagenden Beweis f\u00fcr die directe Muskelerregbarkeit. Holmgren 2 best\u00e4tigte die gleiche Beobachtung und Krause3 machte sie auch am vordem Ende des Retractor bulbi der Katze. Das Einzige, was diesem Beweise vorgeworfen werden kann, ist, dass er auf einem negativen anatomischen Befunde beruht; indess ist das Object leicht sicher zu \u00fcbersehen. Wer ferner der GERLACH\u2019schen Anschauung von der Ausbreitung der Nervenreizung \u00fcber die ganze Muskelfaser bei-tritt, kann \u00fcberhaupt die Frage einer direeten Muskelerregbarkeit nicht stellen, da nach dieser Ansicht die Muskelfaser eben gleichzeitig Nervenfaser w\u00e4re.\n5. Die idiomuscul\u00e4re Contraction und die Fortpflanzung der Contractionswelle. Den allersichersten, ja strenggenommen den einzigen absolut unanfechtbaren Beweis f\u00fcr die directe Muskelerregbarkeit liefert die oben besprochene idiomuscul\u00e4re Contraction. Denn eine Contraction, welche sich so genau auf die Reizstelle beschr\u00e4nkt, dass die mit dem Griffel auf den Muskel geschriebenen Figuren als W\u00fclste stehen bleiben, kann unm\u00f6glich auf etwas anderes als directe Reizung zur\u00fcckgef\u00fchrt werden. Schon Schiff hat dies vollkommen erkannt, aber freilich den Muskel an sich nur dieser einzigen local beschr\u00e4nkten Contraction f\u00fcr f\u00e4hig gehalten, w\u00e4hrend er die gew\u00f6hnliche, allgemeine Zuckung durchaus von einer Vermittlung des Nerven abh\u00e4ngig machte und deshalb als \u201eneuromus-cul\u00e4re Contraction\u201c der \u201eidiomuscul\u00e4ren\u201c gegen\u00fcberstellte.4 K\u00fchne\u2019s Verdienst ist es, diesen Irrthum berichtigt zu haben 5, indem er zeigte, dass die letztere nur einen abnormen Beharrungszustand der Verk\u00fcrzung darstellt. Auch fand er bei diesem Anlass, und zwar durch Versuche am nervenfreien Sartoriusende, dass weder Schiff\u2019s Meinung richtig war, dass die Muskelsubstanz selbst nur f\u00fcr mechanische und chemische, nicht aber f\u00fcr electrische Reize erregbar sei, noch die umgekehrte von Wundt6, welcher nur electrische Reize als f\u00fcr den Muskel wirksam betrachtete.\n1\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 564.\n2\tHolmgren, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1864. No. 12.\n3\tKrause, Ztschr. f. rat. Med. (3) XVIII. S. 136. 1863.\n4\tSchiee, Lehrb. d. Muskel- und Nervenphysiologie S. 21, 44. Lahr 1858\u201459: Molesch. Unters. V. S. 181. 1858.\n5\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 418, 604.\n6\tWundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 166. Braunschweig 1858.","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nHermann. Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nSchon vor der Verwerthung der idiomuscul\u00e4ren Contraction hatte Harless 1 einen ebenso strengen Beweis f\u00fcr die directe Muskelerregbarkeit in der Art erkannt, wie die Contractions wellen sich im Muskel fortpflanzen; wie er vollkommen scharf entwickelt, folgen dieselben nicht den Nerven-, sondern den Muskelfasern, was nur durch directe Irritabilit\u00e4t erkl\u00e4rt werden kann.\nII. Die erregenden und erregbarkeits\u00e4ndernden \u00e4usseren Einwirkungen auf den Muskel.\nDie Erregbarkeit des Muskels unterliegt nicht bloss best\u00e4ndigen, von physiologischen Umst\u00e4nden abh\u00e4ngigen Schwankungen, sondern ist auch namentlich von \u00e4usseren Einwirkungen aller Art in hohem Crade abh\u00e4ngig. Da nun auch die Muskelreize, wie schon bemerkt, gr\u00f6sstentheils in \u00e4usseren Einwirkungen bestehen, so scheint es unnat\u00fcrlich, die erregenden und die erregbarkeits\u00e4ndernden Einfl\u00fcsse der letzteren von einander zu trennen, ganz abgesehen davon, dass vielleicht ein tieferer Zusammenhang zwischen beiden Arten von Wirkungen besteht. Wir werden daher im Folgenden alle Arten \u00e4usserer Einwirkungen auf den Muskel nach beiden Richtungen zusammen untersuchen.\n1. Electrische Einwirkungen.\nEin grosser Theil der Lehre von den erregenden und erregbarkeits\u00e4ndernden Wirkungen der Electrieit\u00e4t wird besser in der allgemeinen Nervenphysiologie (Band II.) abgehandelt. An dieser Stelle sollen haupts\u00e4chlich solche Puncte er\u00f6rtert werden, in welchen der Muskel vom Nerven abweicht,\nA) Rein physiealisehe Wirkungen des Stroms.\nGalvanischer Leitungswiderstand des Muskels. Den Leitungswiderstand der Muskeln haben, nachdem vorher nur im Allgemeinen der Widerstand der thierischen Theile, insbesondere des menschlichen K\u00f6rpers gemessen war1 2, zuerst Matteucci3, Eckhard4 5 und unter du Bois-Reymond\u2019s Leitung J. Ranke 5 zu bestimmen ver-\n1\tHarless, Gelehrte Anzeigen, herausg. v. d. bayr. Acad. XXXYH. S. 254. 1853.\n2\tDie \u00e4ltere Literatur dieses Gegenstands s. bei du Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcber thierische Electrieit\u00e4t II. 1. S. 75, 2. S. 189.\n3\tMatteucci, Trait\u00e9 des ph\u00e9nom\u00e8nes \u00e9lectro-physiologiques p. 49. Paris 1844.\n4\tEckhard, Beitr. z. Anat. u. Physiol. I. S. 55. 1855.\n5\tJ. Banke, Der galvanische Leitungswiderstand des lebenden Muskels. Ansbach 1862; Tetanus S. 11. Leipzig 1865.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Directe Erregbarkeit. Wirkungen des Stromes. Leitungswiderstand.\nsucht. Matteucci giebt an, dass der specifische Widerstand der Muskeln V* von dem der Nerven sei, Eckhard findet das genannte Verh\u00e4ltnis wie 1 : 1,9\u20142,4 (und Sehne, Knorpel u. s. w. von \u00e4hnlichem Widerstand wie Nerv), Ranke endlich, der die Wheatstone-sche Methode anwandte1, fand den Widerstand der Kaninchenmuskeln 3 Millionen mal so gross wie den des Quecksilbers und 115 Millionen im Vergleich mit Kupfer ; mit dem Nerven hat nach ihm der lebende Muskel gleichen Widerstand (Eckhard\u2019s Versuche betrafen todte Muskeln), du Bois-Keymond hatte ferner gefunden, dass der Widerstand des lebenden Muskels sich durch Tetanus2 3, ferner durch Kochen0 vermindert, und Ranke fand eine Verminderung auf die H\u00e4lfte auch beim todtenstarren Muskel (so dass dieser nun die \u00fcbrigen feuchten Gewebe an Leitungsverm\u00f6gen \u00fcbertrifft). Ranke schreibt diese Verbesserung des Leitungsverm\u00f6gens dem Auftreten gut leitender Zer-setzungsprbducte, besonders der S\u00e4ure, zu.\nSp\u00e4ter verglich ich den Widerstand des Muskels in der L\u00e4ngs-und Querrichtung4 und fand denselben ungemein verschieden; der Querwiderstand zeigte sich 4,4\u20149,2 mal so gross als der L\u00e4ngswiderstand; da ersterer viel constanter war als letzterer, so ist anzunehmen, dass bei der L\u00e4ngsdurchstr\u00f6mung sich in Folge ungen\u00fcgender Ausspannung der Fasern stets etwas Querwiderstand beimischt, der wahre Werth des L\u00e4ngswiderstands also kleiner ist als selbst im g\u00fcnstigsten Versuch; das Verh\u00e4ltniss beider ist also mindestens 9,2. Im Vergleich mit Quecksilber ergab sich aus den Mittelwerthen der L\u00e4ngswiderstand etwa 2Vs Millionen, der Querwiderstand \u00fcber 15 Millionen, jedoch haben diese absoluten Zahlen wegen starker Multiplication der Fehler nur geringe Genauigkeit.\nIn todtenstarren Muskeln ist der Unterschied zwischen L\u00e4ngsund Querwiderstand nahezu verschwunden, d. h. letzterer auf den niedrigen Werth des ersteren gesunken. Da der L\u00e4ngswiderstand durch die Starre sich nicht merklich \u00e4ndert, so ist es unzweifelhaft, dass das RANKE\u2019sche Resultat nur daher r\u00fchrt, dass von ihm L\u00e4ngsund Querwiderstand promiscue untersucht wurden, da der Unterschied beider damals noch unbekannt war. Auch die du Bois\u2019sche Angabe bez\u00fcglich der Widerstandsabnahme im Tetanus bedarf weiterer Pr\u00fcfung, da eine analoge Erscheinung beim Nerven aus dem Auftreten\n1\tEckhard hatte die Intensit\u00e4ten verglichen bei Einschaltung des thierischen Theils und eines gleich geformten Leimk\u00f6rpers. Ueber Methoden vgl. Cap. 8.\n2\tdu Bois-Reymond, a. a. O. II. 1. S. 74. 1849.\n3\tdu Bois-Reymond, nach m\u00fcndlicher Mittheilung an Ranke, a. a. 0.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. Y. S. 223.1871.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\tHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nelectromotorischer Kr\u00e4fte bei der Erregung sich erkl\u00e4rt hat (ygl. Cap. 4 in Band II.).\nRanke stopfte das Muskelfleisch in ein Glasrohr, so dass es einen Cylinder von bekannten Dimensionen bildete. Ich f\u00fcllte den Zwischenraum zwischen zwei quadratischen, durch Glaskl\u00f6tzchen in bestimmter Distanz gehaltenen Glasplatten mit parallel gelegten Frosch-Sartorien ans und brachte das Muskelquadrat abwechselnd l\u00e4ngs und quer zwischen die B\u00e4usche. Ausserdem wurden vielfach Widerstandsmessungen an einzelnen ausgespannten Muskeln angestellt.\nDie Ursache des gr\u00f6sseren Widerstands in der Querrichtung fand ich in einer inneren Polarisation an der Grenze heterogener Gewebs-bestandtheile, welche in der Querrichtung, aber nicht in der L\u00e4ngsrichtung auf einander folgen. Die Existenz einer Polarisation an der Grenze ungleichartiger Electrolyte ist zuerst von du Bois-Reymond 1 festgestellt worden, ebenso best\u00e4tigte dieser das von Peltier entdeckte allgemeine Vorkommen innerer Polarisationen in thierischen Geweben.'2 Den Beweis, dass der gr\u00f6ssere Querwiderstand auf dem genannten Umstande beruht, fand ich in folgenden Thatsachen: 1) durchstr\u00f6mte Muskeln zeigen nach der Oeffnung einen dem Strome entgegengesetzten inneren Polarisationsbestand, der bei Querdurchstr\u00f6mung viel gr\u00f6sser ist als bei L\u00e4ngsdurchstr\u00f6mung 3 ; 2) der Querwiderstand erscheint von einer gewissen Stromst\u00e4rke an um so kleiner, je st\u00e4rker der Strom, ein Beweis, dass eine Gegenkraft zu Grunde liegt, welche einen gewissen Maximalwerth nicht \u00fcberschreiten kann ; 3) der Querwiderstand nimmt w\u00e4hrend der Durchstr\u00f6mung zu. Das Schwinden des Unterschiedes mit dem Absterben lehrt ferner, dass die Polarisation an den Lebenszustand gebunden ist, die eine der beiden in der Querrichtung mit einander abwechselnden Substanzen also, an deren Grenze die Polarisation stattfindet, der lebende Faserinhalt ist, so dass man als die andere die indifferente H\u00fcllensubstanz zu betrachten hat. Von anderen gefaserten Geweben zeigt nur der Nerv ein analoges Verhalten (s. Band IL); die Sehne verh\u00e4lt sich\n1\tdu Bois-Reymond, Monatsber. d. Acad. zu Berlin 1S56. S. 395. (Ges. Abh. I. S. 1.)\n2\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcber tkierische Electricit\u00e4tl. S. 376.1848 ; II. 2. S. 377.1859 ; du Bois-Reymond nennt die auf Polarisation beruhenden und \u00fcberhaupt alle in Folge von Durchstr\u00f6mung auftretenden electromotorischen Wirkungen ..secund\u00e4re electromotorische Wirkungen\". Ygl. auch Matteucci , Compt. rend. L. p. 412. 1860; LH. p. 231. 1861.\n3\tDiese Vergleichung geschah in der Weise, dass zwei hinter einander an geordnete Muskelpr\u00e4parate von gleichen Dimensionen, das eine longitudinal, das andere transversal, in schneller Abwechselung durchstr\u00f6mt und mit der Boussole verbunden wurden; der Commutator schaltete sie aber gleichzeitig so um. dass die Polarisationskr\u00e4fte an der Boussole gegen einander wirkten und so verglichen werden konnten; vgl. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. V. 240, 272 ; Taf. V. Fig. 1, 2.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Widerstand in L\u00e4ngs- und Querrichtung. Secund\u00e4rer Widerstand etc. 89\nwie der starre Muskel. Die Versuche lehrten ferner, dass diese Grenzpolarisation bei der Schliessung des Stromes augenblicklich vorhanden ist und nach der Oeffnung gr\u00f6sstentheils sehr schnell schwindet, so dass die Widerstandsmessung mit Wechselstr\u00f6men nur unbedeutend kleinere Werthe ergiebt als mit constanten. Die besprochene Grenzpolarisation hat unzweifelhaft grosse physiologische Bedeutung (vgl. Cap. 8 und 9).\nSecund\u00e4rer Widerstand, PoiuRET\u2019sches Ph\u00e4nomen am Muskel. Als \u201esecund\u00e4ren Widerstand\u201c bezeichnet du Bois-Reymond1 einen in Folge der Durchstr\u00f6mung, besonders bei grosser Stromdiehte an der Anode, sich entwickelnden besonderen Widerstand feuchter por\u00f6ser Stoffe und Gewebe, der von innerer Polarisation unabh\u00e4ngig ist, und wenigstens an thierischen Geweben sich auf die Eintrittsstelle des Stromes beschr\u00e4nkt (\u201e \u00e4usserer \u201c secund\u00e4rer Widerstand), welche auch eine eigenthtimliche Einschn\u00fcrung (W\u00fcrgung) erh\u00e4lt. Die Ursache des localen Widerstandes und der W\u00fcrgung ist die Wasserverarmung an der Anode in Folge der Fortf\u00fchrung zum negativen Pol ; die \u00e4ussere Zuleitungsfl\u00fcssigkeit r\u00fcckt daf\u00fcr nach und kann, wenn sie besser leitet, auch umgekehrt zu einer Abnahme des Widerstandes f\u00fchren.2 3 4 An manchen pflanzlichen Geweben findet sich auch ein \u201einnerer\u201c, d. h. auf die ganze durchstr\u00f6mte Masse vertheilter secund\u00e4rer Widerstand, dessen Natur noch dunkel ist.\nAls Folge der sog. \u201eElectrotransfusion\u201c (\u201ecataphorische Wirkung, PouuET\u2019sches Ph\u00e4nomen \u201c) betrachtete K\u00fchne 3 ein von ihm beobachtetes der Schliessungszuckung folgendes Fluthen des Muskelinhalts von der Anode zur Cathode, welches allm\u00e4hlich nachl\u00e4sst; bei der Oeffnung findet ein Fluthen zur Anode statt, du Bois-Reymond 4 trat dieser Auffassung entgegen, weil die Bewegung zu schnell ist, bald aufh\u00f6rt und nicht den ganzen Muskelinhalt gleiclim\u00e4ssig ergreift, endlich nach J\u00fcrgensen5 6 sus-pendirte Theilchen durch den Strom zur Anode und nicht zur Cathode bef\u00f6rdert werden.<> Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass die Erscheinung, welche \u00fcbrigens noch nicht vollkommen erkl\u00e4rt ist, mit der Erregung des Muskels zusammenh\u00e4ngt, welche, wie unten er\u00f6rtert wird, bei der Schliessung an der Cathode, bei der Oeffnung an der Anode erfolgt.\n1\tdu Bois-Reymond, Monatsber. d. Berliner Acad. 1860. S. 816. (Ges. Abh.I. S.80.)\n2\tVgl. auch H. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 241.\n3\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 542.\n4\tdu Bois-Reymond, a. a. O. S. 902. (Ges. Abh. I. S. 126.)\n5\tJ\u00fcrgensen, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 673. Ich f\u00fchre hier noch einige andere neuere Arbeiten an, die von den Bewegungen von Fl\u00fcssigkeiten und festen Theilchen durch Str\u00f6me handeln: H. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 505; Engelmann, Arch, n\u00e9erland. d. sc. exact, et nat. IX. p. 332.1874 ; Weyl, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 712.\n6\tDas J\u00fcRGENSEN\u2019sche Ph\u00e4nomen ist, wie A. Fick (Arch, f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 136) und du Bois-Reymond (ebendaselbst, Anmerkung) sogleich erkannten, mit dem PoRRET\u2019schen identisch, insofern das letztere in einer relativen Verlagerung zwischen Fl\u00fcssigkeit und Scheidewand besteht, und das J\u00fcRGENSEN\u2019sche Ph\u00e4nomen den Fall darstellt, wo die Scheidewand den beweglicheren Theil darstellt. Wie dies Ph\u00e4nomen am Muskel sich gestalten m\u00fcsste, wird \u00fcbrigens schwer zu sagen sein, da die Verthei-lung der Aggregatzust\u00e4nde hier g\u00e4nzlich streitig ist.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nHermann, AUg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nB) Physiologische Wirkungen des Stroms.\nDas allgemeine Gesetz der electrisclien Erregung (vgl. Bd. II.), welches zwar den \u00e4lteren Galvanikern schon ziemlich bekannt war, aber erst von du Bois-Reymond1, zun\u00e4chst f\u00fcr den Nerven, scharf formulirt wurde, gilt im Allgemeinen auch f\u00fcr den Muskel. Derselbe beantwortet Stromesschwankungen, aber nicht constante Durchstr\u00f6mung, mit Contraction.\n1) Wirkung geschlossener constanter Str\u00f6me.\na. Erregende Wirkungen. Eine dem eben erw\u00e4hnten Gesetze anscheinend nicht conforme Verk\u00fcrzung durch constante Durchstr\u00f6mung beobachtete Wundt2 an ganz frischen Muskeln, freilich h\u00e4ufig nur eine Verk\u00fcrzung von microscopischem Betrage; die Angaben der ersten Mittheilung liegen s\u00e4mmtlich weit unter 1 mm., h\u00e4ufig nur fso\u2014120 mm.; nach der sp\u00e4teren Mittheilung, welche hinzusetzt, dass die Erscheinung bei aufsteigender Durchstr\u00f6mung des Muskels viel st\u00e4rker ist als absteigender (dies kann doch wohl nur auf Betheiligung des Nerven beruhen), kommen bei st\u00e4rkeren Str\u00f6men viel bedeutendere Werthe vor. Die Verk\u00fcrzung stellt sich\nnach der Schliessungszuckung ein und bleibt w\u00e4hrend des Schlusses l\u00e4ngere Zeit bestehen, schwindet aber allm\u00e4hlich. Wird vor ihrer\nAusgleichung ge\u00f6ffnet, so tritt nach der Oeflnungszuckung eine Verl\u00e4ngerung ein, die man rein f\u00fcr sich beobachten kann, wenn die Oeff-nungszuckung ausbleibt. Diese Verl\u00e4ngerung lehrt zugleich, dass die Verk\u00fcrzung nicht etwa als Verk\u00fcrzungsr\u00fcckstand (s. oben S. 35) zu betrachten ist; auch bleibt sie bei Durchstr\u00f6mung des Nerven aus. In Fig. 26 (Copie nach Wundt) ist die Wirkung eines Stroms von 3 Daniells auf den Gastrocnemius dargestellt, A bei absteigendem, B bei aufsteigendem Strom. In der sp\u00e4teren Literatur ist diese WuNDT\u2019sche Angabe wenig weiter verfolgt worden, y. Bezold3 ber\u00fchrt sie kurz und betrachtet sie als eine tetanische Verl\u00e4ngerung\nFig. 26. Wirkung des constanten Stroms auf Muskeln, nacli Wundt: A bei absteigender, B bei aufsteigender Richtung.\n1\tdu Bois-Reymond, Unters, \u00fcber thier. Electr. I. S. 258. Berlin 1848.\n2\tWundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 122. Braunschweig 1858 ; ferner Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 549.\t^\t\u201e\t,\n3\tv. Bezold, Untersuchungen \u00fcber die electnsche Erregung der Nerven und Muskeln S. 207. Leipzig 1861.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkungen constanter Str\u00f6me. Wundt\u2019s Contraction. Electrotonus. 91\nder Schliessungszuckung (s. unten); jedoch ist dann unerkl\u00e4rt, warum die Oeffnungszuckung nicht gleiche dauernde Verk\u00fcrzung nach sich zieht.1 2 Ueberhaupt macht Wundt\u2019s Darstellung nicht den Eindruck, als handle es sich um eine nur in den Anfangs der Durchstr\u00f6mungszeit fallende Wirkung, sondern als sei die scheinbare Verg\u00e4nglichkeit derselben nur durch die best\u00e4ndige Nachdehnungs Verl\u00e4ngerung des Muskels bewirkt. Freilich ist dann wieder unverst\u00e4ndlich, warum Oeffnung nur, so lange die Ruhel\u00e4nge noch nicht wieder erreicht ist, Verl\u00e4ngerung macht. Ganz klar ist der Gegenstand weder bei Wundt noch bei v. Bezold zu \u00fcbersehen, er bedarf also weiterer Untersuchung; jedenfalls ist die Erscheinung, zumal bei ihrem geringen Betrage, nicht dazu angethan, eine wirkliche Ausnahme vom allgemeinen Erregungsgesetz zu statuiren. Eine der W\u00fcNDT\u2019schen analoge Beobachtung machte Fick 2 am Muschelmuskel.\nb. Erregbarkeits\u00e4ndernde Wirkungen. Den f\u00fcr den Nerven g\u00fcltigen bekannten Satz, dass ein constanter galvanischer Strom die Erregbarkeit in der Umgebung der Cathode erh\u00f6ht, in der der Anode herabsetzt, hat v. Bezold3 auch f\u00fcr den Muskel g\u00fcltig gefunden, jedoch nur f\u00fcr die durchflossene Strecke selbst. Vor Allem zeigte sich in Versuchen, in welchen die erregenden Electroden zugleich den constanten Strom zuf\u00fchrten, in denen also, nach dem Vorgang Eck-hard\u2019s und Pfl\u00fcger\u2019s am Nerven, die \u201etotaleu Erregbarkeit der durchflossenen Strecke gepr\u00fcft wurde, dass letztere durch schwache Str\u00f6me erh\u00f6ht, durch starke herabgesetzt wird, entsprechend der Verschiebung des Indifferenzpuncts mit der Stromst\u00e4rke (vergl. Band IL). Die Stromst\u00e4rke, bei welcher die Wirkung sich umkehrte, lag in dem Fall, wo polarisirender und erregender Strom entgegengesetzte Richtung hatten, also die Cathode des Reizstroms mit der Anode des polarisirenden zusammenfiel, etwas niedriger als im andern Falle. Ferner fand y. Bezold (a. a. O. S. 156), dass sowohl An- als Catelectrotonus (intrapolar) die Leitungsgeschwindigkeit der Muskelerregung herabsetzen und bei starken Str\u00f6men ganz auf heben, eine Ver\u00e4nderung, die nach der Oeffnung allm\u00e4hlich vergeht (a. a, 0. S. 184). Die Beschr\u00e4nkung der electrotonischen Ver\u00e4nderungen auf die intrapolare Strecke bringt\n1\tMeissner (Jahresber. pr. 1858. S. 482\u2014483) giebt an, dass dies nach l\u00e4ngerem Schl\u00fcsse der Fall sei ; dann w\u00e4re allerdings eine v\u00f6llige Analogie mit dem Schlies-sungs- und Oeffhungstetanus des Nerven hergestellt; jedoch kann ich eine solche Angabe bei Wundt nicht finden, sondern glaube seine Auffassung im Texte treu wiedergegeben zu haben.\n2\tFick , Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Physiologie der irritablen Substanzen. Braunschweig 1863.\n3\ty. Bezold , Untersuchungen \u00fcber die electrische Erregung der Nerven und Muskeln S. 211. Leipzig 1861.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\ner mit der Angabe du Bois-Reymond\u2019s in Zusammenhang, dass der Muskel auch keine electrotonischen Str\u00f6me in den extrapolaren Strecken besitzt (vgl. hier\u00fcber Cap. 8). Auf den zeitlichen Verlauf der Zuckung ist der Electrotonus ohne Einfluss. Alle Versuche sind auch an entnervten Muskeln und an den nervenfreien Sartoriusenden angestellt.\nSehr analoge Beobachtungen machte Engelmann 1 am Ureter ; auch hier beschr\u00e4nken sich die Ver\u00e4nderungen auf die durchflossene Strecke. Engelmann fand aber das Leitungsverm\u00f6gen im Catelec-trotonus, sowohl was Geschwindigkeit als was Energie betrifft (vgl. oben S. 52 f.), nicht vermindert, sondern erh\u00f6ht.\n2) Wirkung von Schwankungen constanter Str\u00f6me.\nSchliessungen und Oeffnungen constanter Str\u00f6me bewirken im Allgemeinen Zuckungen des durchflossenen Muskels, auch wenn derselbe curarisirt, Mitreizung der Nerven also ausgeschlossen ist. Vom Einfluss des Durchstr\u00f6mungswinkels wird weiter unten gehandelt werden; fast alle Versuche sind mit L\u00e4ngsdurehstr\u00f6mung angestellt worden. Ein Unterschied zwischen dem Verhalten aufsteigender und absteigender Str\u00f6me, etwa entsprechend dem Zuckungsgesetz des Nerven, ist, abgesehen davon, dass die Benennung auf- und absteigend bei vielen Muskeln ganz zweideutig w\u00e4re, aus naheliegenden Gr\u00fcnden beim Muskel nicht zu erwarten, und in der That von Heidenhain, der speciell hierauf seine Aufmerksamkeit richtete-, nicht gefunden worden.\n. Die Ursache des Zuckungsgesetzes der Nerven liegt (s. d. 2. Band) in dem von Pfl\u00fcger und Chauveau entdeckten Gesetze, dass der Nerv bei der Schliessung an der Anode, bei der Oeffnung an der Cathode erregt wird. Findet ein \u00e4hnliches Gesetz auch am Muskel statt, so wird trotzdem sowohl bei Schliessung als bei Oeffnung der ganze Muskel zucken, weil die Erregung sich schnell \u00fcber die ganze Faseri\u00e4nge fortpflanzt. Man wird also ein solches Gesetz nur entweder bei gest\u00f6rter Fortpflanzung oder durch Zuh\u00fclfenahme besonderer Kunstgriffe feststellen k\u00f6nnen.\nEine Beobachtung ersterer Art ist zuerst von Vulpian 3 und dann von Schiff 4 gemacht worden, ohne dass indess damals ihre Bedeu-\n1\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 247. 1870.\n2\tHeldenhain, Arch. f. physiol. Heilk. 1857. S. 464.\n3\tVulpian, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1857. p. 618; Compt. rend, et m\u00e9m. d. 1. soc. d. biologie (2) IV. 1857 ; vgl. auch Journ. d. 1. physiol. I. p. 569. 1858.\n4\tSchifp, Molesch. Unters. V. S. 187. 1858; Lehrb. d. Muskel- und Nervenphy-siologie S. 44. Lahr 1858\u201459.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Zuckimgsgesetz des Muskels.\n93\ntung h\u00e4tte erkannt werden k\u00f6nnen. Beide sahen n\u00e4mlich im absterbenden Muskel bei der Schliessung constanter Str\u00f6me an der Cathode eine anhaltende wulstf\u00f6rmige Contraction auftreten 1 2 3 4, welche Schiff als Wirkung des hier eleetrolytisch ausgeschiedenen Alkalis betrachtete. Auch K\u00fchne2, der die Erscheinung sah, erkannte ihre Bedeutung f\u00fcr das Zuckungsgesetz nicht. Chauveau 3 beobachtete auch an den Muskeln lebender Warmbl\u00fcter, dass schwache Inductions-str\u00f6me und Flaschenentladungsstr\u00f6me vorzugsweise in der Cathodengegend erregen, und in diesen Versuchen war im Grunde schon die eleetrolytisch e Deutung, wenigstens in der Form der Alkalireizung, ausgeschlossen, da der Strom hintereinander durch eine Keihe sich ber\u00fchrender Muskeln geleitet wurde, und jeder an seiner Cathode zuckte.\nErst v. Bezold4 aber bewies, dass in der That das Pfl\u00fcger-sche Erregungsgesetz auch f\u00fcr den Muskel g\u00fcltig ist, d. h. die Schliessungszuckung von der Cathode, die Oeffnungszuckung von der Anode ausgeht. Die einfachste Versuchsform ist im Wesentlichen die ScHiFF\u2019sche, n\u00e4mlich Durchstr\u00f6mung eines stark erm\u00fcdeten oder absterbenden Muskels. Ich pflege dem m\u00e4ssig ausgespannten Muskel zwei quere feuchte Fadenumschlingungen als Electroden anzulegen, man sieht dann deutlich bei der Schliessung nur an der Cathode, bei der Oeffnung an der Anode eine wulstf\u00f6rmige Contraction entstehen und den ganzen Muskel sich nach der betreffenden Electrode verziehen.5 Wird der Muskel in der Mitte ohne Quetschung fixirt und seine beiden Enden mit Fahnenz\u00fcgen versehen, so sieht man bei Schliessung und Oeffnung nur je eine H\u00e4lfte sich (schwach) verk\u00fcrzen. Am frischen Muskel bewies v. Bezold das Gesetz durch zeitmessende Versuche, indem er, wie schon oben S. 53 angedeutet, durch sanfte Fixirung des Muskels in einem Querschnitt nur eine Abtheilung desselben am Myographion schreiben Hess, w\u00e4hrend die andere (oder auch der ganze Muskel) vom Strome durchflossen war; das Latenzstadium erscheint dann um so l\u00e4nger, je entfernter von der schreibenden Abtheilung die Cathode (bei der Schliessung) resp. Anode (bei der Oeffnung) ist, wobei noch gewisse\n1\tYttt.pt a ist, der an vergifteten, sterbenden Fr\u00f6schen mit einer Pulvermacher -scben Kette experiment,irte. brachte nur den einen Pol am Muskel selbst an, und zwar zwischen zwei Marken, deren Abstand er beobachtete.\n2\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 632.\n3\tChauveau, Journ. d. 1. physiol. II. p. 490, 553. 1859 ; III. p. 52. 1860.\n4\tv. Bezold, Untersuchungen \u00fcber die electrische Erregung etc. S. 235. Leipzig 1861.\n5\tDiese Versuchsform beschreibt u. A. Romanes, Proceed. Roy. Soc. XXV. p.8 ; Journ. of anat. and physiol. X. p. 707. 1876.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\tHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nWirkungen des constanten Stromes auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung zu ber\u00fccksichtigen sind (s. oben S. 91).\nAeby1 konnte mit seinem oben S. 52 erw\u00e4hnten Apparate keinen Zeitunterschied zwischen der Verdickung zweier Querschnitte des Muskels constatiren, wenn der Muskel in ganzer L\u00e4nge durchstr\u00f6mt war ; die Ursache dieser Abweichung vom BEzoiufschen Gesetz ist noch nicht aufgekl\u00e4rt. Aeby bestreitet die G\u00fcltigkeit des letzteren und giebt nur zu, dass die Erregungen an den betreffenden Electroden st\u00e4rker, nicht dass sie fr\u00fcher auftreten; auch das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltniss aber kehre sich beim Absterben um.2 3 Engelmann 3 hat sp\u00e4ter noch weitere Versuchsformen f\u00fcr das BEzoL\u00fc\u2019sche Gesetz angegeben. Sehr einfach ist besonders folgende : Den Kanten eines vertical aufgeh\u00e4ngten Sartorius werden beide Electroden in der N\u00e4he des oberen Endes angelegt. Bei der Schliessung verzieht sich dann der Muskel nach der Seite der Cathode, bei der Oeffnung nach der der Anode ; ist der Muskel in der Mitte beinkleidartig gespalten, so zuckt \u00fcberhaupt nur je die eine H\u00e4lfte. Die Erkl\u00e4rung ist einfach: jede Faser muss (aus Gr\u00fcnden, die bei der Nervenerregung im 2. Bande er\u00f6rtert werden) f\u00fcr sich als Individuum betrachtet werden, welches eine Eintritts- und eine Austrittsstelle hat.4 5 Die Dichte des Stromes ist an den Electroden selbst am gr\u00f6ssten und an den denselben nahen Fasern jedenfalls auf der der Electrode zugewandten Seite gr\u00f6sser als an der andern ; an den der Cathode nahen Fasern tritt also der Strom mit gr\u00f6sserer Dichte aus als ein, auf der Anodenseite umgekehrt; so m\u00fcssen also die Fasern der Cathodenseite bei der Schliessung, die der Anodenseite bei der Oeffnung st\u00e4rker, oder bei schwachen Str\u00f6men ausschliesslich, zucken. Sp\u00e4ter fand Engelmann 5 im Ufeter des Kaninchens ein ausgezeichnetes Object, um 'ohne alle k\u00fcnstlichen H\u00fclfsmittel zu zeigen, dass bei der Schliessung von der Cathode, bei der Oeffnung von der Anode eine peristaltisch fortschreitende Contractionswelle ausgeht.\nStatt der Zuckungen bei Schliessung und Oeffnung bemerkt man bei directer Reizung so gut wie bei indirecter (vgl. Band II.) zuweilen teta-nische Contraction. Ja v. Bezold hat sogar die Ansicht ausgesprochen, dass wenigstens die Erregung an der Cathode w\u00e4hrend der ganzen Schlussdauer anhalte und nur durch die electrotonische Leitungssch\u00e4digung in ihrer best\u00e4ndigen Wirkung beeintr\u00e4chtigt wrerde. Diese letztere Theorie ist um so zweifelhafter, als wenigstens der Catelectrotonus h\u00f6chst wahrscheinlich nicht mit Leitungssch\u00e4digung verbunden ist (vgl. S. 92), also mindestens auf der Cathodenseite stets Tetanus vorhanden sein m\u00fcsste.\n1\tAeby, Untersuchungen \u00fcber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit etc. S. 58. Braunschweig 1862; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 688.\n2\tIn letzterer Beziehung vgl. auch die Angaben \u00fcber das Verhalten gel\u00e4hmter menschlicher Muskeln, unten im 5. Capitel.\n3\tEngelmann, Jenaische Ztschr. f. Med. u. Naturw. III. S. 445. 1867 ; IV. S.295. 1868; Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 316.1870.\n4\tGegen diese Betrachtungsweise hat neuerdings Br\u00fccke aus nicht recht ersichtlichen Gr\u00fcnden Einsprache erhoben, und den BEzoLn\u2019schen Satz verworfen, weil Muskeln auch zucken, wenn ihnen die metallischen Electroden nicht direct angelegt sind; Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXX. S. 144.1874.\n5\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 247. 1870.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Zuckungsgesetz. Alternativen. Inductionsstr\u00f6me.\n95\nDie Natur des Schliessungs- und Oeffnungstetanus wird besser im II. Bande er\u00f6rtert. Ebendaselbst wird auch eine andere v. BEzoLD\u2019sche Theorie besprochen werden, welche die von ihm beoabachtete auffallende L\u00e4nge des Latenzstadiums bei directer Beizung mit Kettenstr\u00f6men erkl\u00e4ren soll.\nAus einer Vereinigung des electro tonischen Erregbarkeits- und des electrotonischen Erregungsgesetzes folgen gewisse Erscheinungen, welche in der Nervenphysiologie als VoLTA\u2019sehe Abwechselungen besprochen werden; sie bestehen im Wesentlichen darin, dass ein constater Strom die Erregbarkeit f\u00fcr die Schliessung eines entgegengesetzt gerichteten und f\u00fcr die Oeffnung eines gleichgerichteten Stromes erh\u00f6ht. Erscheinungen dieser Art sind auch am Muskel, zuerst von Heidenhain beobachtet worden, der sie allerdings anfangs in einem anderen Sinne auffasste. Er beobachtete, dass an fast unerregbaren Muskeln anhaltende constante Durchstr\u00f6mung die Erregbarkeit vor\u00fcbergehend wiederherstellt ; indess finden sich schon bei Heidenhain Angaben, die es deutlich machen, dass es sich nur um eine Erh\u00f6hung der Erregbarkeit im Sinne der VoLTA\u2019schen Abwechselungen handelt; Rosenthal1 2 und Wundt3 haben sp\u00e4ter darauf hingewiesen.\n3) Wirkung von Inductionsstr\u00f6men.\nWegen der Steilheit ihres zeitlichen Verlaufs sind die inducirten Str\u00f6me sowohl f\u00fcr den Nerven als f\u00fcr den Muskel das wirksamste und deshalb das gebr\u00e4uchlichste Reizmittel; bez\u00fcglich genauerer Angaben \u00fcber ihre Eigent\u00fcmlichkeiten wird auf die Nervenphysiologie verwiesen. Aus daselbst zu er\u00f6rternden Gr\u00fcnden wirkt ein Inductions-schlag, der eigentlich aus einem ansteigenden und einem absteigenden Theil, also einer Art Schliessung und Oeffnung zusammengesetzt ist, nur wie eine Schliessungserregung; dieser am Nerven vielfach erprobte Satz macht sich auch am Muskel in so fern geltend, als schwache Inductionsschl\u00e4ge namentlich bei beeintr\u00e4chtigter Erregungsleitung im Muskel ausschliesslich an der Cathode erregend wirken (s. oben S. 93).\nAn pathologisch gel\u00e4hmten Muskeln, besonders bei rheumatischen und Bleiparalysen, ist h\u00e4ufig eine gewisse Unwirksamkeit der Inductionsstr\u00f6me bei voller Wirksamkeit der Schwankungen constanter Str\u00f6me beobachtet worden4, und diese Thatsache wurde der Aus-\n1\tHeidenhain, Physiologische Studien S. 55. Berlin 1856.\n2\tRosenthal, Ztschr. f. rat. Med. (3) IY. S. 132. 1858.\n3\tWundt, Arch. f. physiol. Heilk. 1858. S. 354.\n4\tNach einer Angabe von Onimits ist ein Unterschied im Verhalten gel\u00e4hmter Muskeln gegen Spannungs- und galvanische Electricit\u00e4t schon im vorigen Jahrhundert","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\ngangspunct einer grossen Reihe von Untersuchungen. Schon vor der Herbeiziehung dieser pathologischen Erfahrungen hatte v. Bezold * 1 auf die Bedeutung der Dauer des Stroms f\u00fcr seine erregende Wirkung im Allgemeinen hingewiesen und Fick2 3, zun\u00e4chst an dem tr\u00e4ge reagirenden Muschelmuskel, dann aber auch an Froschmuskeln gefunden, dass die erregende Wirkung eines Kettenstroms ausbleibt oder bedeutend geschw\u00e4cht wird resp. gr\u00f6ssere Intensit\u00e4t erfordert, wenn die Schliessungsdauer \u00e4usserst klein (beim Frosch unter 0,001 Sec.) ist; kurze Schliessungen stellte er mittels eines Apparates her, der ein Metallpl\u00e4ttchen sehr schnell \u00fcber eine metallische Platte hin\u00fcberf\u00fchrte (\u201e Spiral-Rheotom \u201c). E. Neumann 3 fand, im Anschluss an jene pathologischen Befunde, die Empfindlichkeit des Muskels gegen kurzdauernde Str\u00f6me, und, wie er ausserdem feststellte, gegen Induc-tionsstr\u00f6me, besonders im Erm\u00fcdungs- und im Absterbezustand vermindert, sowohl f\u00fcr directe als f\u00fcr indirecte Reizung. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass die Unempfindlichkeit gegen Inductions-str\u00f6me von der kurzen Dauer derselben herr\u00fchrt. Aus der Theorie der Erregung ist der Einfluss der Stromdauer, wie Fick zuerst ausgef\u00fchrt hat, gut erkl\u00e4rbar: da die Schliessungserregung in dem Ueber-gang in einen gewissen Zustand (Catelectrotonus) begr\u00fcndet ist, so kann sie nicht zu Stande kommen, wenn der Strom nur so kurze Zeit dauert, dass dieser Zustand sich \u00fcberhaupt gar nicht oder unzureichend entwickelt; ebenso wird die Oeffnungserregung voraussetzen, dass der Anelectrotonus, auf dessen Schwinden sie beruht, zur Entwicklung Zeit gefunden hat. Einige hier noch in Betracht kommende Umst\u00e4nde werden im 2. Bande er\u00f6rtert.\nVon den folgenden zahlreichen Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand hat nur noch eine ein wesentlich neues Moment hinzugebracht. Br\u00fccke4 fand n\u00e4mlich, dass ausser jenen pathologischen Zust\u00e4nden und ausser Erm\u00fcdung und Absterben auch die Curarever-\nvon Halle beobachtet worden. Von neueren Beobachtungen vgl. Baierlacher, Bayr. \u00e4rztl. Int.-Bl. 1859. No. 4; B. Schulz, Wiener med. Wochenschr. 1860. No. 27^ M. Meyer. Die Electricit\u00e4t in ihrer Anwendung etc. 2. Aufl. S. 323. Berlin 1861 ; E. Neumann, Deutsche Klinik 1864. No. 7. Von hier ab h\u00e4uften sich die Beobachtungen, von denen namentlich Erb, Deutsch. Arch. f. klin. Med. IY. S. 535, Y. S. 42.1868\u201469, eine gute Zusammenstellung giebt. (lieber sonstiges Verhalten gel\u00e4hmter Muskeln und Nerven s. unten, im 5. Capitel, und ferner im 3. Capitel der allg. Nervenphysiologie, Band II. dieses Handbuchs.)\n1\tv. Bezold, Untersuchungen etc. 1861, an vielen Stellen.\n2\tFick. Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Physiologie der irritablen Substanzen.Braunschweig 1863; Untersuchungen \u00fcber electrische Nervenreizung. Braunschweig 1864.\n3\tE. Neumann, Deutsche Klinik 1864. S. 65; K\u00f6nigsberger med. Jahrb. IY. S, 93.\n1864 ; Arch. f. Anat, u. Physiol. 1864. S. 554.\t_\t^\n4\tBr\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LYI. S. 594. 1867; LvIII. S. 125. 1868.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Geringere Wirkungen kurzdauernder Str\u00f6me. Einfluss der Streckenl\u00e4nge. 97\ngiftung die Empfindlichkeit des Muskels gegen kurzdauernde Str\u00f6me stark herabsetzt. Wird nur ein Schenkel vergiftet, so bedarf derselbe bei kurzdauernden Str\u00f6men eine 7\u201418 mal so grosse Stromintensit\u00e4t als der unvergiftete, w\u00e4hrend bei Schwankungen gew\u00f6hnlicher Str\u00f6me f\u00fcr beide die gleiche Intensit\u00e4t gen\u00fcgt. Hieraus folgt, dass die Muskelsubstanz an sich f\u00fcr kurzdauernde Str\u00f6me vergleichsweise viel schwerer erregbar ist als der Nerv, oder, mit Hinzunahme eines weiter unten zu er\u00f6rternden Satzes, dass der Unterschied in der specifischen Erregbarkeit beider Gebilde (zu Gunsten des Nerven) f\u00fcr kurzdauernde Str\u00f6me ungemein viel gr\u00f6sser ist als f\u00fcr gew\u00f6hnliche. Nimmt man noch die obige Erkl\u00e4rung zu H\u00fclfe, so l\u00e4sst sich dieser Satz auch so ausdr\u00fccken, dass sich die Ver\u00e4nderungen durch den Strom, auf deren Eintritt oder Schwinden die Erregung beruht, im Muskel viel tr\u00e4ger etabliren als im Nerven. Erm\u00fcdung, Absterben und pathologische Zust\u00e4nde m\u00fcssen entweder den Nerven in gleicher Richtung ver\u00e4ndern oder seine Mitwirkung nach Art des Curare auf-heben ; dass letztere Erkl\u00e4rung allein nicht f\u00fcr alle F\u00e4lle gen\u00fcgt, geht daraus hervor, dass die Unterschiede in der Wirkung momentaner und dauernder Str\u00f6me an den in genannter Weise ver\u00e4nderten Muskeln auch bei indirecter Reizung sich einstellen, letztere also f\u00fcr dauernde Str\u00f6me keineswegs erfolglos ist. Immerhin wird in pathologischen F\u00e4llen aus der Vergleichung der Wirkung beider Reizungsarten direct auf den Muskel ersehen werden k\u00f6nnen, ob die intra-muscul\u00e4reu Nerven noch in normaler Weise functioniren oder nicht.\nDer Einfluss der Stromdauer auf die erregende Wirkung zeigt sich an glatten Muskeln noch leichter als an quergestreiften. Legros & Onimus 1 beobachteten, dass erstere und ebenso die quergestreiften Muskeln im Embryonal-Zust\u00e4nde durch Inductionsstr\u00f6me viel schwerer erregt werden als durch constante. Das Gleiche fand Engelmann (a. a. 0.) am Ureter.\n4) Einfluss der intrapolaren L\u00e4nge und. des Dur chstr\u00f6mungs winkeis.\nEs ist kaum zweifelhaft, dass bei der gew\u00f6hnlichen longitudinalen Durchstr\u00f6mung des Muskels die Distanz der Electroden sowohl auf die erregenden als auf die erregbarkeits\u00e4ndernden Wirkungen Einfluss hat, und zwar nach Ausgleichung der durch die Verschiedenheiten des Widerstands bedingten Intensit\u00e4tsunterschiede. Indessen ist dieser Einfluss bisher nur beim Nerven untersucht (s. Band IL).\nIn Bezug auf den Winkel zwischen Strom- und Faserrichtung\n1 Legros & Onimtjs, Journ. d. l\u2019anat. et d. 1. physiol. 1869. p. 413,489, 617 ; Onimus, ebendaselbst 1874. p. 621.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\tHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nnahm man bis vor Kurzem stillschweigend an, dass wie beim Nerven die erregende Kraft beim Winkel Null ein Maximum, bei 90\u00b0 ein Minimum sei. Sachs1 2 3 gab indess an, dass die erregende Wirkung bei longitudinaler und querer Durchstr\u00f6mung gleich gross sei, sobald die intramuseul\u00e4ren Nerven durch Curare eliminirt sind. Er setzte 4 im Quadrat stehende Nadeln so auf den Muskel, dass die eine Diagonale l\u00e4ngs, die andere quer stand, und leitete die Inductions-str\u00f6me abwechselnd beiden diagonalen Nadelpaaren zu. Das Resul-tat war um so auffallender, als, wie oben gezeigt worden (S. 87), der Leitungswiderstand beider Richtungen \u00e4usserst verschieden ist, was Sachs anscheinend ganz unbeachtet liess. Tschiejew 2 fand zwar das Resultat von Sachs nach mehreren anderen Methoden nicht best\u00e4tigt (\u00fcber die Methodik dieser Frage s. Band IL), indem die Quererregbarkeit, direct gemessen, nur 0,549 von der L\u00e4ngserregbarkeit ist; mit Ber\u00fccksichtigung meiner Zahl \u00fcber das Verh\u00e4ltniss der Widerst\u00e4nde findet er aber die erregende Wirkung in der Querrichtung in Wirklichkeit sogar etwa 3,7mal gr\u00f6sser als in der L\u00e4ngsrichtung. Als Ursache giebt er an, dass die Angriffsfl\u00e4chen des Stromes f\u00fcr jede Faser (Cathoden- resp. Anodenfl\u00e4che) bei querer Durchstr\u00f6mung gr\u00f6sser seien als bei longitudinaler. Die Herren Albrecht & Meyer sind mit \u00e4hnlichen Versuchen in meinem Laboratorium besch\u00e4ftigt. Auch hier hat sich das h\u00f6chst auffallende Resultat herausgestellt, dass ein curarisirter Muskel, welcher in einen parallelepipe-dischen Trog mit verd\u00fcnnter Kochsalzl\u00f6sung versenkt ist, der von parallelen Stromf\u00e4den durchzogen wird, bei viel geringeren Stromst\u00e4rken zuckt, wenn die Stromf\u00e4den die Fasern quer, als wenn sie sie longitudinal treffen. Dies gilt sowohl f\u00fcr Ketten- wie f\u00fcr Induc-tionsstr\u00f6me. Zuweilen zeigt sich aber die gr\u00f6sste Erregbarkeit bei irgend einer schr\u00e4gen Lage des Muskels. Der Gegenst\u00e4nd bedarf also dringend weiterer Aufkl\u00e4rung, zumal da beim Nerven, im Gegensatz zu Tschirjew's Angabe, absolute Unerregbarkeit gegen quere Str\u00f6me auf das Sicherste constatirt wurde.\n2. Thermische Einwirkung en.\nDas W\u00e4rmeleitungsverm\u00f6gen des Muskels ist nach Versuchen von Adamkiewicz 3 = 0,0431, d. h. 1542 mal kleiner als das des Kupfers, 2 mal kleiner als das des Wassers, 13 mal gr\u00f6sser als das der Luft. Nach Ana-\n1\tSachs, Arck. f. Anat. u. Physiol. 1874. S. 57.\t,\n2\tTschiejew, ebendaselbst 1877. S. 489.\t.\n3\tAdamkiewicz, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 233. Die Bestimmung geschah","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss des Durchstr\u00f6mungs winkeis. Thermische Einwirkungen.\n99\nlogie anderer gefaserter Gewebe ist indess h\u00f6chst wahrscheinlich, dass das W\u00e4rmeleitungsverm\u00f6gen in der L\u00e4ngs- und Querrichtung verschieden ist, was Ad. nicht ber\u00fccksichtigt hat.* 1 2 3 Die specifischeW\u00e4rme der Muskelsubstanz ergab sich dem gleichen Autor nach der Mischungsmethode=0,7692 ; Rosenthal 2 fand sie neuerdings auf calorimetrischem Wege =0,825.\nDie Temperatur ist von grossem Einfluss auf den Muskel, und m\u00f6glicherweise beruht ein Theil der Verschiedenheit des Warm- und Kaltbl\u00fctermuskels einfach auf der Verschiedenheit der Temperatur. Hierf\u00fcr spricht besonders, dass der Abfall der Erregbarkeit beim Absterben des Warmbl\u00fctermuskels nach Bernard's 3 Entdeckung bedeutend verlangsamt wird, wenn man das Thier durch irgendwelche Mittel vor dem Tode allm\u00e4hlich abk\u00fchlt, und so gleichsam k\u00fcnstlich kaltbl\u00fctig macht. Nach Israel (a. a. 0.) eignet sich hierzu am besten die Durchschneidung des Halsmarks (Bernard) oder die Berieselung des Bauchfells mit verd\u00fcnnter Kochsalzl\u00f6sung4 ; an Kaninchen, welche so in 6\u201410 Stunden auf 20\u00b0 abgek\u00fchlt sind, erh\u00e4lt sich die directe Muskelerregbarkeit 6 \u2014 8, die indirecte 3\u201431//2 Stunden nach dem Tode.\nDie Erregbarkeit ausgeschnittener Kaltbl\u00fctermuskeln erh\u00e4lt sich um so l\u00e4nger, je niedriger die Temperatur, wenn nur Gefrieren vermieden wird (gefroren gewesene Muskeln sind nach dem Aufthauen meist unerregbar5 6 ; N\u00e4heres hier\u00fcber im 6. Capitel). In der N\u00e4he derjenigen Temperatur, welche W\u00e4rmestarre bewirkt, schwindet sie in k\u00fcrzester Zeit. In \u00e4hnlichem Sinne wirkt auch die Temperatur in welcher das Thier vor dem Tode dauernd gehalten worden ist, auf die Dauer der postmortalen Erregbarkeit. Dagegen ist der Grad der Erregbarkeit umgekehrt um so h\u00f6her, je h\u00f6her, bis zu etwa 30 bis 33\u00b0, f\u00fcr den Froschmuskel die Temperatur. Das genauere Gesetz dieser Abh\u00e4ngigkeiten ist noch nicht ermittelt; man weiss nur, dass W\u00e4rme die Erregbarkeit steigert, aber um so verg\u00e4nglicher macht. Oberhalb der angegebenen Grenze sinkt die Erregbarkeit und bei maximalem Beiz die Leistungsf\u00e4higkeit, wie Schmulewitsch 6 gefunden hat, und schliesslich wird der Muskel unf\u00e4hig, sich zu con-trahiren, erlangt aber beim Wiederabk\u00fchlen seine Contractilit\u00e4t wie-\naus den in bestimmten Intervallen gemessenen Central- und Oberfl\u00e4chentemperaturen eines abk\u00fchlenden Muskelw\u00fcrfels (Blechw\u00fcrfel mit Fleisch gef\u00fcllt).\n1\tYgl. hier\u00fcber Valentin, Ztschr. f. rat. Med. (3) XIV. S. 158. 1862.\n2\tBosenthal, Monatsber. d. Berliner Acad. 1878. S. 306.\n3\tBernard, Le\u00e7ons sur la physiologie et pathologie du syst\u00e8me nerveux Il/p. 12.\nParis 1858 ; vgl. auch Schier, Arch. d. physiol, norm, etpathol. II. p. 166.1869 ; Israel, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. S. 443.\t_\n4\tVgl. Wegner, Arch. f. klin. Chirurgie XX. S. ol. 1876.\n5\tVgl. du Bois-Beymond, Untersuchungen \u00fcber thier. Electr. II. 1. S. 181.1849 ; die \u00fcbrige Literatur im 6. Capitel.\n6\tSchmulewitsch. Jahrb. d. Ges. d. Aerztem Vvien XV. S. 3.1868.","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nder; die Temperatur, welche den Wendepunct f\u00fcr die Leistungsf\u00e4higkeit darstellt, wird durch Erm\u00fcdung immer niedriger, und die W\u00e4rme selbst bef\u00f6rdert die Erm\u00fcdung. Ueber den Einfluss der Temperatur auf den zeitlichen Verlauf der Contraction s. oben S. 39.\nIn der N\u00e4he der das Leben gef\u00e4hrdenden Grenzen der Temperatur kommen auch Er regungs Wirkung en vor. Beim Gefrieren des Muskels oder Anfrieren an eine kalte Fl\u00e4che erfolgen Zuckungen \\ welche aber m\u00f6glicherweise von mechanischen Reizen beim Gefrieren (Bildung von Eisnadeln) abgeleitet werden k\u00f6nnen.1 2 Ebenso erfolgen h\u00e4ufig Zuckungen, wenn der Muskel pl\u00f6tzlich in eine warme, sonst indifferente Fl\u00fcssigkeit geworfen wird, so dass also pl\u00f6tzliche Temperaturerh\u00f6hung als Reiz zu betrachten ist.3 4 5 Endlich erfolgt die W\u00e4rmestarre, wenn der Muskel pl\u00f6tzlich der entsprechenden Temperatur ausgesetzt wird, h\u00e4ufig mit solcher Energie, dass die eintretende Verk\u00fcrzung von einem Tetanus nicht zu unterscheiden ist.\nDie W\u00e4rme starre, von Pickford zuerst beobachtet, ist nach K\u00fchne\u2019s Untersuchungen nur eine durch hohe Temperatur sehr beschleunigte gew\u00f6hnliche Todtenstarre (s. Cap. 6). Die zu ihrem sofortigen Eintritt n\u00f6thige Temperatur (etwas niedrigere Temperaturen brauchen nach dem Gesagten etwas l\u00e4ngere Zeit, um die Erregbarkeit zu ersch\u00f6pfen und somit Todtenstarre herbeizuf\u00fchren) betr\u00e4gt nach K\u00fchne f\u00fcr den Froschmuskel 40, f\u00fcr den S\u00e4ugethiermuskel 45 bis 46 Grad Celsius. Nach Schmulewitsch 4 erfordert die starrmachende Wirkung der W\u00e4rme um so mehr Zeit oder um so h\u00f6here Temperatur, je l\u00e4nger der Muskel schon ausgeschnitten ist. Das Wesen der W\u00e4rmestarre wird im 6. Capitel er\u00f6rtert.\nHier schliessen sich am passendsten einige Thatsachen an, betr. den Einfluss der Temperatur auf die elastischen Eigenschaften und die L\u00e4nge des Muskels. Schmulewitsch 5 beobachtete, dass lebende Froschmuskeln im Bereich zwischen 2 und 28\u00b0 durch Erw\u00e4rmen k\u00fcrzer werden und durch Abk\u00fchlen sich wieder verl\u00e4ngern. Der todte Froschmuskel verl\u00e4ngert sich umgekehrt durch Erw\u00e4rmen, wie fast alle anderen K\u00f6rper (nur Kautschuk zeigt in dieser Beziehung ein abweichendes, ziemlich\n1\tVgl. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 189. 1871.\n2\tBischoff, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1842. S. XCin, giebt bei Gelegenheit eines Referats kurz an, dass K\u00e4lte, wie gew\u00f6hnlich in den glatten, so auch h\u00e4ufig in den quergestreiften Muskeln Contractionen hervorrufe; mir ist von solchen, abgesehen von den im Texte erw\u00e4hnten, nichts bekannt:\n3\t[Nachtr. Anm.] Diese Angabe bedarf wegen der S. 106 im Nachtrag erw\u00e4hnten Untersuchung der Revision. Sie beweist nur dann etwas wenn die Muskeln von k\u00fcnstlichen Querschnitten frei sind.\n4\tSchmulewitsch, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 81 ; Compt. rend. LXVIII. p. 936.1869.\n5\tSchmulewitsch, a. a. 0., und Centralbl. f. d. med. Wiss. 1870. S. 609.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Thermische Einwirkungen. Mechanische Einwirkungen.\nlOi\ncomplicirtes Verhalten, wie auch seine Dehnungsgesetze verwickelt sind1 2 3 4)* Samkowy 2 best\u00e4tigte dies auch f\u00fcr Warmbl\u00fctermuskeln. Da die genannte Eigentliiimliehkeit nur dem lebenden Muskel zukommt, scheint es richtiger dieselbe einfach als eine physiologische Verk\u00fcrzung durch W\u00e4rme (etwa vergleichbar der Verk\u00fcrzung durch den eonstanten Strom) zu bezeichnen, und ihre Erkl\u00e4rung der Zukunft zu \u00fcberlassen, als mit Schmulewitsch eine Zunahme der Elasticit\u00e4t durch W\u00e4rme anzunehmen (vgl. die Bemerkung oben S. 11). Von den glatten Muskeln verhalten sich nach Gr\u00fcnhagen & Samkowy 3 die der Warmbl\u00fcter wie die quergestreiften, die der Fr\u00f6sche umgekehrt. Schon lange vorher hatte Heine. M\u00fcller 4 beobachtet, dass die Aalpupille durch W\u00e4rme sich erweitert. Indess ist vielleicht hier die Wirkung der Temperatur auf eingelagerte nerv\u00f6se Centra ein complicirendes Moment; um so wahrscheinlicher, als nach Heinr. M\u00fcller die W\u00e4rme nur auf eine beschr\u00e4nkte Zone der Iris wirkt.\n3. Mechanische Einwirkungen.\nAus zahlreichen Erfahrungen beim Experimentiren mit Muskeln weiss man, dass gr\u00f6bere mechanische Einwirkungen, besonders starke Dehnungen, die Erregbarkeit des Muskels bis zur Vernichtung sch\u00e4digen. Wie weit der Muskel einen allseitig gleichm\u00e4ssigen hohen Druck vertragen w\u00fcrde, ist noch nicht untersucht. Jede mit einer gewissen Pl\u00f6tzlichkeit erfolgende mechanische L\u00e4sion, z. B. Schnitt, Quetschung (daher besonders Scheerenschnitt), Schlag bei resistenter Unterlage, pl\u00f6tzliche Dehnung, Zerrung, Keibung, wirkt zugleich erregend, und bewirkt Zuckung, wenn die L\u00e4sion nur einmal und rasch vor\u00fcbergehend erfolgt, Tetanus bei anhaltenderem Verlauf oder rascher Wiederholung. Die vom mechanischen Reiz unmittelbar getroffene Stelle wird gew\u00f6hnlich zugleich get\u00f6dtet (so dass zum methodischen Tetanisiren immer neue Stellen aufgesucht werden m\u00fcssten) ; ferner bildet sich wegen der Heftigkeit der Reizung sehr h\u00e4ufig an der Reizstelle ein idiomuscul\u00e4rer Wulst (S. 46). Als Experimentir-mittel hat die mechanische Reizung vor anderen directen Reizen den Vorzug strengerer Localisirbarkeit ; ihr Nachtheil besteht in ihrer zerst\u00f6renden Wirkung.\nRood5 beobachtete eine unwillk\u00fcrliche Muskelcontraction im Arm, wenn er die Hand in Schwingungen von der Frequenz 40\u201460 in der Secunde\n1\tVgl. hier\u00fcber Joule. Proceed. Roy. Soc. VIII. p. 355, 564; IX. p. 3, 254. 1857 \u201458 ; Schmulewitsch, Vjschr. d. naturf. Ges. in Z\u00fcrich XI. S. 201. 1866 ; Horwath, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1873. S. 753.\n2\tSamKowy, Arch. f. d. ges. Physiol. IX. S. 399. 1874.\n3\tGr\u00fcnhagen & Samkowy, a. a. 0. und im gleichen Arch. X. S. 165. 1875.\n4\tH. M\u00fcller, W\u00fcrzb. naturw. Ztschr. II. S. 133. 1861 ; vgl. auch Schur, Ztschr.\nf. rat. Med. (3) XXXI. S. 373. 1867.\t.\n5\tRood, Amer, journ. of scienc. X. S. XXIX. p. 449 ; Ann. d. Physik CXn. S. 159.\n1861.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nmit Elongation von 1/a Zoll versetzte; zu diesen Versuchen diente der Apparat Fig. 27, dessen Axe ax mittels der Schnurrolle h schnell gedreht wurde und an dessen excen-\n1\nUl\ntrisclien Theil rr, der mit einer\nleicht drehbaren Messingh\u00fclse l . versehen war und 1/s Zoll von der Axe abstand, die Hand gelegt wurde. Bei der angegebenen Frequenz f\u00fchlt man erst Bet\u00e4ubung, dann umfasst die Hand krampfhaft die Scheide t und kann sie nicht loslassen. Es verdient n\u00e4here Pr\u00fcfung, ob dieser Tetanus durch directe Ersch\u00fctterung der Muskeln oder reflectorisch erzeugt wird.1\nFig. 27. Apparat von Rood.\n4. Chemische Einwirkungen.\nDie Lebenseigensehaften des Muskels sind in ungemein hohem Grade an die Integrit\u00e4t seines chemischen Bestandes gebundeq; seine Erregbarkeit wird daher durch die bei weitem meisten chemischen Einwirkungen vermindert und aufgehoben. Aber auch seine eigene chemische Th\u00e4tigkeit zehrt best\u00e4ndig an seiner Zusammensetzung, und die Erhaltung der Integrit\u00e4t und somit der Erregbarkeit erfordert daher best\u00e4ndige chemische Processe, welche aber nicht hier, sondern bei der Chemie des Muskels besprochen werden. Die die Erregbarkeit sch\u00e4digenden chemischen Einfl\u00fcsse sehen wir wiederum, wenn sie gen\u00fcgend rasch eintreten, Erregung bewirken.\nFast alle Fl\u00fcssigkeiten und Gase, welche k\u00fcnstlich mit dem Muskel in Ber\u00fchrung gebracht werden, sind ihm im genannten Sinne sch\u00e4dlich. Unsch\u00e4dlich sind zun\u00e4chst diejenigen Fl\u00fcssigkeiten, welche, weil sie mit den Gewebss\u00e4ften nicht mischbar sind, keine chemische Einwirkung \u00e4ussern k\u00f6nnen, z. B. reines Quecksilber und reine, s\u00e4urefreie fette Oele.\nA) Destillirtes Wasser.\nSchon destillirtes Wasser wirkt durchaus verderblich, ohne Zweifel weil es durch diffusorische Vorg\u00e4nge die Zusammensetzung des Muskels \u00e4ndert, und namentlich gewisse Eiweissk\u00f6rper, die gegen endosmotische Ver\u00e4nderungen h\u00f6chst empfindlich sind, aus ihren Verbindungen, welche ihre L\u00f6slichkeit bedingen, ausf\u00e4llt. Muskeln werden in Wasser in kurzer Zeit unter starker Quellung2 unerregbar,\n1\tIn \u00e4hnlichen Versuchen von Lalanne, Journ. d. Fanat. et d. 1. physiol. 1876. p. 449, wo nur rasch intermittirende Ber\u00fchrung einer Hautstelle stattfand, finde ich von motorischen Wirkungen nichts erw\u00e4hnt.\n2\tUeb'er die Mengenverh\u00e4ltnisse des imbibirten Wassers etc. vgl. Arnold, Die physiol. Anstalt d. Univ. Heidelberg S. 104. Heidelberg 1858.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Chem. Einwirkungen. Wasserkr\u00e4mpfe u. Wasserstarre. Indifferente L\u00f6sungen. 103\nweiss und tr\u00fcbe und nehmen die Eigenschaften todtenstarrer Muskeln an. Die Ver\u00e4nderung ist mit best\u00e4ndigen unregelm\u00e4ssigen Zuckungen verbunden, die besonders heftig auftreten, wenn man einem Thiere rasch destillirtes Wasser in die Gef\u00e4sse einspritzt.1 Durch Versuche an curarisirten Muskeln und durch die relative Unwirksamkeit des Wassers auf Nerven ist nachgewiesen, dass die Zuckungen auf director Muskelreizung durch die Einwirkung des Wassers beruhen. Ob letztere als eine mehr physicalische (Quellung) oder mehr chemische zu bezeichnen sei, ist kaum viel mehr als ein Wortstreit. .\nAuch Vertrocknen des Muskels vernichtet dessen Erregbarkeit; Zuckungen werden hierbei gew\u00f6hnlich nicht beobachtet (w\u00e4hrend der vertrocknende Nerv heftige Zuckungen erregt), wohl weil in dem massigeren Gebilde die Wasserabgabe viel allm\u00e4hlicher erfolgt.\nB) Indifferente L\u00f6sungen.\nV\u00f6llig indifferent m\u00fcssen f\u00fcr den Muskel vor Allem diejenigen Fl\u00fcssigkeiten sein, welche ihn best\u00e4ndig durchtr\u00e4nken und besp\u00fclen, also Blut2 3, Lymphe, Serum. Der Eiweissgehalt dieser Fl\u00fcssigkeiten scheint aber in dieser Beziehung eine relativ geringe Bolle zu spielen, vermuthlich weil es wesentlich auf die endosmotischen Beziehungen zum Muskel ankommt, an denen die Eiweissk\u00f6rper kaum Antkeil haben. Daher sind Zuckerl\u00f6sungen von ann\u00e4hernd \u00e4hnlicher Concentration und, wie K\u00f6lliker 3 entdeckt hat, entsprechende L\u00f6sungen neutraler Alkalisalze, besonders Kochsalzl\u00f6sung von 0,5\u20141 pCt., obwohl sie leichte Zuckungen hervorbringen, in dem Sinne indifferent, als Froschmuskeln mehrere Stunden darin erregbar bleiben. Ueberall also, wo man Muskeln mit Fl\u00fcssigkeiten zu behandeln, zu durchspritzen u. dgl. hat, wendet man statt des destillirten Wassers eine Steinsalzl\u00f6sung von der angegebenen Concentration an; man k\u00f6nnte\n1\tVgl. hier\u00fcber Ed. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d Physiol. III. 2. S. 10.\n1846; G. Liebig, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1850. S 411 ; v. Wittich, Exp\u00e9rimenta quaedam ad Halleri doctrinam de musculorum irritabilitate probandam mstituta. K\u00f6nigsberg 1857 ; Arch.f. pathol. Anat. XIII. S 421.1858; Schieb, Lehrff d. Muskel- und Nervenphysiol. S. 45, 100. Lahr 1858-59; K\u00f6lliker, Wurzburger Verhl. IX. S. X\\ . 1859- K\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 220, 328; Boruttau, K\u00f6nigsberger med Jahrb. III. S. 345.1862. Die Beobachtung, dass sich Muskeln durch Wassermjec-tion in die Arterien contrahiren, findet sich \u00fcbrigens schon bei Ridley, Bohn, Vieus-sens u.A. (vgl. Haller, Elementa IV. p. 544).\t.\n2\tIndessen wirkt Blut nach K\u00fchne (Arch. f. Anat, u. Physiol. 1860. S. 346) von aussen aufgetragen erregend auf den Muskelquerschnitt, wie es auch nach Setschenow einReiz f\u00fc? die NervencSntra ist (Setschenow & P aschutin' , Neue Versacke am Hirn und R\u00fcckenmark des Frosches S. 33. Berlin 1865). [Vgl. jedoch den Nachtrag S. 106.]\n3\tK\u00f6lliker fand die Indifferenz einer 0,5-1 procentigen Kochsalzlosung zuerst f\u00fcr Nerven; W\u00fcrzburger Verhandl. VII. S. 145.1857 ; vgl. auch K\u00fchne, Arch. t. Anat. u. Physiol. 1859. S. 768.","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104 Hermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\ndiese viel gebrauchte Fl\u00fcssigkeit f\u00fcglich als \u201ephysiologisches Wasser\u201c bezeichnen.\n0. Nasse1 2 hat den g\u00fcnstigsten Concentrationsgrad der Chlornatriuml\u00f6sung zu 0?6 pCt. gefunden* die folgende Tabelle, welche ich nach der NASSE\u2019schen Arbeit entworfen habe, stellt einige Concentrationen so zusammen, dass die der gleichen Horizontalreihe gleich g\u00fcnstig, jeder folgenden weniger g\u00fcnstig sind. Die g\u00fcnstigste Concentration jedes Salzes ist mit einem * bezeichnet und je niedriger dieser Stern steht, um so ung\u00fcnstiger ist das Salz an sich.\n\t\tNatriumsalze\t\t\t\t\t\t\tKaliumsalze\t\t\t\tAmmoniumsalze\t\t\t\n\t\t\t\t\t\t\t<4\u00ab\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n.'S\t+3\trS\t\u25a0g\t\t\t\t\u00f6\tM\t\t\t\tH ;\t7B\t\trs\t\"rt\n\t\tg\t%\tJg\to\tc\u00f6\trp\to\to\t\u00a3\t\u00a9\t% !\t\u00a9\tci Fh\to\t%\n\tS\tM\tCQ\t\u00a3\t\tO\to\t\u00a3\t\u00bb\t\u00a3\t\u00ab\tm\t\u00b0\t\u00a3\t\u00a3\tm\n0,6* 0,55 und 0,7 0,5\t\u201e 0,75\t1,0*\t1,2*\t\t1,75*\t\t\t\t1,55*\t\t\t\t-\\\t\t\t0,4*\t\n0,4\t\u201e 0,9\t\u2014\t\u2014\t1,4*\t\u2014\t\u2014\t0,95*\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\t |\t\u2014\t\u2014\t\t\u2014\n0,8\t\u201e 1,25\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0,45*\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0,35*\t0,25*\t0,35*\t\u2014\t\u2014\t0,25*\n0,2 \u201e 1,5 0,1 \u201e 1,7\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0,15*\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0,7*1\t0,7*\t\u2014\t_ 1\t\u2014\t0,2*\t\u2014\t\u2014\n0,0\t\u201e 2,5\t\u2014 1\t3,3\t3,7\t5\t\u2014\t\u2014\t\t\u2014\t_ 1\t\u2014\t\u2014\t! ~ II\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\nDie g\u00fcnstigsten Concentrationen der Natriumsalze zeigten sich im Allgemeinen ihrem Moleculargewicht proportional, so dass in der g\u00fcnstigsten L\u00f6sung 100 grm. etwa 0,0116 Salzmolec\u00fcle enthalten (H-i = 2 grm.). Traubenzuckerl\u00f6sungen sind ung\u00fcnstiger als Steinsalzl\u00f6sungen, oder Gemische von beiden.\nC) Zerst\u00f6rende und erregende Substanzen.\nDie chemischen Muskelreize sind besonders von K\u00fchne 2 untersucht worden, namentlich mit R\u00fccksicht auf die Irritabilit\u00e4tsfrage (s. oben S. 84). Indem er Substanzen fand, welche nur de\u00fc Muskel, nicht den Nerven erregen, vermehrte er die Zahl der Beweise f\u00fcr die directe Muskelerregbarkeit. Einige streitige Puncte3 erkl\u00e4ren sich zum Theil aus Verschiedenheiten der Applicationsweise4, zum Theil aus dem Umstande, dass manche Schrumpfungen durch chemische\n1\tO. Nasse, Arch. f. d. ges. Physiol. H. S. 114. 1S69.\n2\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 213, 314; 1860. S. 315.\n3\tVgl. Schelske (mit Wendt), Verh. d. naturh.-med. Ver. z. Heidelberg I. S. 245. 1858; Funkt: , Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. 1859. S. 257 ; Arch. f. d. ges. Physiol. IX. S. 417.1874; Eulenburg, Allg. med. Centralztg. 1860. No. 66. \u2014 S. auch Band II.\n4\tK\u00fchne h\u00e4ngt den Sartorius vertical auf und l\u00e4sst seinen unteren Querschnitt in die Fl\u00fcssigkeit eintauchen, die von unten gen\u00e4hert wird ; wahre Reizung muss auch den nicht eingetauchten Theil zur Verk\u00fcrzung bringen. Rosenthai, st\u00f6sst, um dies sichtbar zu machen, einen Glasfadenhebel mit Fahne durch den Muskel (vgl. du Bois-Reymond, Abhandl. d. Berliner Acad. 1862. Physic. Cl. S. 145 ; Ges. Abh. I. S. 211).","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Indifferente L\u00f6sungen. Zerst\u00f6rende und reizende Substanzen.\n105\nAgentien schwer von wahrer Contraction zu unterscheiden sind. Dass alle chemischen Reize die Erregbarkeit local stark beeintr\u00e4chtigen und hei gen\u00fcgend langer Einwirkung vernichten, bedarf kaum der Erw\u00e4hnung. Es giebt aber auch Substanzen, welche t\u00f6dten ohne zu erregen.\nMinerals\u00e4uren reizen nach K\u00fchne den Muskel schon bei \u00e4usserst geringen Concentrationen (1\u20145 p. mille f\u00fcr Salzs\u00e4ure; um den Nerven zu reizen muss sie mindestens 11 pCt. stark sein). Ueberhaupt sind S\u00e4uren jeder Art f\u00fcr den Muskel t\u00f6dtlick. Nur die allerschw\u00e4chsten S\u00e4uren machen eine Ausnahme; Bors\u00e4ure fand Br\u00fccke1 in 1,5 pro-centiger L\u00f6sung unsch\u00e4dlicher als Wasser; \u00e4hnlich verh\u00e4lt sich ar-senige S\u00e4ure. Nach Nasse (a. a. 0.) giebt es auch von den starken Minerals\u00e4uren \u00e4usserst verd\u00fcnnte L\u00f6sungen, welche g\u00fcnstiger sind als destillirtes Wasser (0,02\u20140,03 pCt.). Kohlens\u00e4ure fanden G-. Liebig'2, J. Ranke 3\u2018 und ich 4 sowohl als Gas wie in w\u00e4ssriger L\u00f6sung f\u00fcr den Muskel t\u00f6dtlich; nach meinen Versuchen wird derselbe von der Oberfl\u00e4che her starr und sauer, aber nicht von Kohlens\u00e4ure, denn er macht auf Lacmuspapier bleibende rothe Flecke ; die Kohlens\u00e4ure bewirkt also eine wahre Erstarrung. Organische S\u00e4uren wirken reizend und t\u00f6dtend wie die unorganischen, bed\u00fcrfen aber gr\u00f6sserer Concentration.\nVon den Alkalien fand K\u00fchne das Kali und Natron, zuweilen noch bis 1 p. mille herab, erregend und t\u00f6dtend sowohl f\u00fcr Muskeln als f\u00fcr Nerven; Ammoniak bewirkt nach K\u00fchne schon in den geringsten Spuren (als Gas) Zuckungen, sobald es direct mit dem Muskel in Ber\u00fchrung kommt, w\u00e4hrend es nach Eckhard und K\u00fchne den Nerven selbst bei h\u00f6chster Concentration nicht erregt. Funke (a. a. O.) u. A. dagegen sehen auch indirecte Reizwirkungen. Ges\u00e4ttigtes Kalkwasser reizt nach K\u00fchne ebenfalls nur den Muskel.\nNeutrale Alkalisalze sind, wie schon oben bemerkt, bei gewissen niedrigen Concentrationen ziemlich unsch\u00e4dlich, aber doch nicht ganz ohne erregende Wirkungen; schon geringe Zunahme der Concentration macht die Reizwirkung sehr energisch, w\u00e4hrend beim Nerven h\u00f6here Concentrationen erforderlich sind. Die Kalisalze haben eine speeifisch sch\u00e4dliche (giftige) Wirkung auf Muskeln5, was jedoch\n1\tBr\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LV. S. 622.1867.\n2\tG. Liebig, Arcb. f. Anat. u. Physiol. 1850. S. 406.\n3\tJ. Banke, ebendaselbst 1864. S. 320. Sp\u00e4tere Angaben von Banke (Tetanus S. 374. Leipzig 1865) nennen dagegen die Wirkungen der Kohlens\u00e4ure auf Muskeln schwach.\n4\tHermann, Untersuchungen \u00fcber den Stoffwechsel der Muskeln etc. S. 54. Berlin 1867.\n5\tDie Literatur hierzu s. in meinem Lehrb. d. exper. Toxicologie S. 178. Berlin\n1874.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nnach Nasse nicht verhindert, dass sehr verd\u00fcnnte L\u00f6sungen derselben g\u00fcnstiger sind als destillirtes Wasser (s. oben). Heftige Muskelreize dagegen, von keiner oder nur schwacher Reizwirkung f\u00fcr den Nerven, sind eine Reihe von Schwermetallsalzen, z. B. Kupfersulphat, Eisenchlorid, beide Bleiacetate.1 Die gallensauren Salze2 reizen Muskel und Nerv, ersteren bis herab zu 2\u20141 pCt., letzteren erst von 6 pCt. an.\nVon den neutralen organischen Substanzen fand K\u00fchne Alkohol, Kreosot, coneentrirtes Glycerin umgekehrt f\u00fcr den Muskel nicht erregend, obgleich sie Nervenreize sind. Die eigenth\u00fcmlichen Ver\u00e4nderungen, welche gewisse Alkaloide, besonders Veratrin, im Muskel hervorbringen, sind schon oben S. 47 besprochen. Ueber die T\u00f6dtung durch Alkohol, Chloroform u. s. w. vergl. Cap. 6.\nNachtrag. Durch Privatmittheilung erfahre ich, dass Hering-neuerdings gefunden hat, dass die Zuckungen beim Eintauchen des Querschnittsendes von Muskeln in gewisse Fl\u00fcssigkeiten lediglich auf dem Leitungsverm\u00f6gen der letzteren beruhen, durch welches pl\u00f6tzlich eine \u00e4ussere Schliessung des Muskelstroms hergestellt wird, die den Muskel galvanisch zum Zucken bringt. N\u00e4heres im 8. Capitel.\n5. Einwirkung des Lichtes.\nHier mag eine merkw\u00fcrdige Beobachtung ihre Stelle finden, als deren Autor meist Brown-S\u00e9quard3 genannt wird, obgleich schon lange vorher das Gleiche von Fr. Arnold, Reinhardt, Budge, und unabh\u00e4ngig von Brown-S\u00e8quard auch von Heinr. M\u00fcller gesehen wurde.4 Die Iris von Amphibien und Fischen zieht sich im ausgeschnittenen Auge auf Licht (mit Ausschluss von W\u00e4rme) zusammen. Die Netzhaut kann entfernt, das Auge schon lange ausgeschnitten sein (beim Aal im Winter 16 Tage!). Brown-S\u00eaquard h\u00e4lt die Erscheinung f\u00fcr eine directe Muskelreizung durch Licht und verwerthet sie f\u00fcr die Irritabilit\u00e4tslehre. Indessen ist zu beachten, dass man der Iris Ganglienzellen zuzuschreiben Grund hat, dass sonst weder an glatten noch an quergestreiften Muskeln eine \u00e4hnliche Wirkung des Lichtes beobachtet ist5, und dass H. M\u00fcller (a. a. 0.) nur\n1\tDie Detailangaben, wie sie sich aus der Controverse herausstellten, sind aus den angegebenen Schriften zu entnehmen. Da die Irritabilit\u00e4tsfrage l\u00e4ngst auf andern Wegeifentschieden ist, so haben die Deta\u00fcs weniger unmittelbares Interesse ; vgl. auch\n2\tVgl.^K\u00fcHNE, a. a. 0. ; Albers, Arch. f. pathol. Anat. XXIII. S. 582.1862.\n3\tBrown-S\u00e9quard, Proceed. Roy. Soc. VHI. p. 233.1856; Journ. d. 1. physiol. II.\n\u25a0 p. 281, 451.1859. (Die betr. Arbeit ist jedoch schon im Jahre 1847 von derPariser Academie gekr\u00f6nt worden.)\t.\n4\tFr. Arnold, Physiologien. S. 887; Reinhardt, Danske Yidensk. Selsk. Af-\nhandl. 1841 (deutsch in Oken\u2019s Isis 1843. S. 733); Budge, Bewegung der Iris 1855. S.144 ; Heinr.M\u00fcller, W\u00fcrzb.Verhandl.X. 1859, Sitzungsberichte. Vorstehende Citate giebt Heinr. M\u00fcller in seiner zweiten, ausf\u00fchrlicheren Arb eit, M\u00fcrzburgernaturw. Ztschr. H.S. 133. 1861.\t'\t.\t...\t_\t.\t,\t....\n5\tJoh. M\u00fcller hatte Harless mitgetheilt, es habe ihm geschienen als ob plotz-","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Chemische Reize. Reizung durch Licht. Reizgr\u00f6sse und Wirkung. 107\neine schmale Zone nahe dem Pupillenrand lichtempfindlich fand (vgl. auch oben S. 101). \u2014 Zu erw\u00e4hnen ist, dass Harless* 1 auch an menschlichen Leichen bis 30 Stunden nach dem Tode deutliche Pupillenverengerung des dem Licht exponirten Auges im Vergleich mit dem verschlossenen beobachtet hat.\nIII. Beziehungen zwischen Beizgr\u00f6sse und Beizwirkung.\n1. Allgemeine Beziehungen.\nDie Gr\u00f6sse der Muskelaction ist evident von der St\u00e4rke des Reizes abh\u00e4ngig ; dies lehrt schon die Thatsache dass wir den gleichen Muskel nach Belieben st\u00e4rker oder schw\u00e4cher contrahiren k\u00f6nnen, und jeder Reizversuch best\u00e4tigt das Dasein dieser Abh\u00e4ngigkeit. Ferner bedarf es kaum der Erw\u00e4hnung, dass die Arbeit der Erregung nicht etwa der Arbeit der Contraction \u00e4quivalent ist.2 Yielmehr verh\u00e4lt sich erstere* zu letzterer nur wie eine ausl\u00f6sende Kraft zur ausgel\u00f6sten; die Arbeit des Muskels hat ihre Quelle in inneren Spannkr\u00e4ften, welche durch den Anstoss des Reizes frei gemacht werden, aber es wird nicht wie bei dem Funken der in ein Pulvermagazin f\u00e4llt, der ganze Vorrath an potentieller Energie auf einmal, sondern nur ein Theil desselben in kinetische verwandelt, dessen Gr\u00f6sse zum ausl\u00f6senden Vorgang in einer gewissen quantitativen Beziehung steht.\nDie letztere festzustellen hat bei der grossen Ver\u00e4nderlichkeit des Muskels bedeutende Schwierigkeiten. Hierzu kommt noch, dass die Contractionsleistung des Muskels sich aus einer Anzahl von Variablen zusammensetzt, deren Verh\u00e4ltnis nicht vollkommen klar ist. Am nat\u00fcrlichsten scheint es, die Abh\u00e4ngigkeit der Arbeit des Muskels von der Gr\u00f6sse des Reizes festzustellen. Aber erstens sollte neben der \u00e4usseren Arbeit auch die innere in Rechnung kommen, die z. B. im Tetanus die einzige ist; ferner ist die \u00e4ussere Arbeit, wie wir gesehen haben, ganz von der Belastung abh\u00e4ngig, man wird also\nliehe Beleuchtung blossgelegter Froschmuskeln Contraction hervorgerufen h\u00e4tte; Harless konnte dies jedoch nicht finden (vgl. a. unten a. O. S. 493).\n1\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. V. S. 490. 1848.\n2\tEs war eine Verkennung dieses Verh\u00e4ltnisses sowohl, als des allgemeinen Er- \u2022 regungsgesetzes. wenn Matteucci den der Muskelarbeit \u00e4quivalenten Zinkverbrauch der Reizkette als \u201eelectrochemisches Aequivalent der Muskelaction\u201c zu bestimmen suchte; vgl. Matteucci. Ann. d. chim. et phys. (3) XI. p. 403,Xn.p.255.1844 ; Compt. rend. XIX. p. 563. 1844; Philos. Mag. (3) XXVI. p. 176. 1845. Vgl. auch du Bois-Reymond\u2019s Kritik, Unters, \u00fcb. thier. Electr. I. S. 275. 1848. Sp\u00e4ter hat Matteucci sich darauf beschr\u00e4nkt zu beweisen, dass der kleinste Zinkverbrauch zur Hervorrufung einer Zuckung weit, unter dem Aequivalent der Zuckungsarbeit steht, letztere also nur ausgel\u00f6st wird; indess ist diese Beweisform unzureichend, da der erregende Vorgang noch die Arbeit der Schliessung oder Oeffnung umfasst; vgl. Matteucci, Compt. rend. XLII. p. 651.1856; Bibi. univ. 1856. May; Proceed. Roy. Soc. VIII. Ko. 22. 1856.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nganz verschiedene Resultate erhalten, je nachdem man hei constanter Last das Yerh\u00e4ltniss zwischen Heizgr\u00f6sse und Hubh\u00f6he (Arbeit) misst, oder bei constanter Hubh\u00f6he das Yerh\u00e4ltniss zwischen Reizgr\u00f6sse und gehobener Last (Arbeit). Es wird mit einem Wort bei einem gegebenen Muskel nicht einfach einer bestimmten Reizgr\u00f6sse eine bestimmte Arbeit entsprechen. Einfacher stellt sich die Frage, wenn man, unter Ausschluss jeder Hubh\u00f6he, nur das Yerh\u00e4ltniss zwischen Reizgr\u00f6sse und erreichter Kraftgr\u00f6sse (S. 65) zu ermitteln sucht.\nIn all diesen Untersuchungen kann ferner die Reizgr\u00f6sse in keinem absoluten Maasse angegeben werden (die Einheit m\u00fcsste ein Differentialquotient sein, vgl. oben S. 90 und Band II.), sondern man muss sich begn\u00fcgen eine Graduirung der Reizgr\u00f6ssen zur Aufsuchung des Gesetzes einzuf\u00fchren, sei es durch empirische Graduirung einer Inductions-Schlitten-bahn, sei es durch Abstufung der Intensit\u00e4ten des inducirenden oder direct (bei stets gleicher Schwankung) verwendeten Kettenstromes mittels des Rheochords ; \u00fcber diese Methoden vgl. Band II.\nEine der ersten derartigen Untersuchungen, und zwar nach dem letztgenannten Verfahren, habe ich selbst ausgef\u00fchrt.1 Durch Ueber-lastung wurde dem Muskel die Erreichung einer bestimmten Kraft oder Energie zur Aufgabe gestellt, und am Rheochord die Intensit\u00e4t des Stromzweiges aufgesucht, dessen Schliessung, bei stets gleicher durch ein Pendel bewirkter Schliessungsform, zur ausreichenden Reizung n\u00f6thig war. Es ergab sich, dass bei gleichm\u00e4ssigem Wachsthum der verlangten Energie die Reizgr\u00f6ssen anfangs langsam, dann schneller wachsen und bald nicht mehr erreicht werden. Mit andern Worten: bei gleichm\u00e4ssig zunehmenden Reizgr\u00f6ssen wachsen die Energien zuerst schnell, dann immer langsamer und erreichen bald ein Maximum (die sog. \u201eabsolute Kraft\u201c).\nUrspr\u00fcnglich hatte ich bei dieser Untersuchung die Reize.aufgesucht, welche zur minimalen Hebung verschiedener Belastungen, die den Muskel gedehnt hatten, n\u00f6thig sind. Es zeigte sich aber, dass auf diesem Wege die Beziehung zwischen Reiz- und Leistungsgr\u00f6sse nicht ermittelt werden kann; f\u00fcr alle Belastungen ergab sich n\u00e4mlich der erforderliche Reiz gleich gross. In der That misst aber der Versuch nur die Reizgr\u00f6sse welche n\u00f6thig ist, um dem Muskel ein Minimum von Energie zu ertheilen, und diese Reizgr\u00f6sse zeigt sich von der Spannung im Ruhezust\u00e4nde unabh\u00e4ngig (vgl. oben S. 7 2).\nFick2 mass dagegen die Wurfh\u00f6he, welche verschiedene Reize bei constanter Belastung hervorrufen, und fand dieselben innerhalb\n1\tHermann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 369.\n2\tFick, Sitzgsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. XLYI. S. 350 (mit Tachau), XLYI1. S. 79,XLVII\u00cf. S. 220.1862\u20141863 ; Untersuchungen \u00fcber electr. Nervenreizung. Braunschweig 1864. Ygl. auch Tiegel, Arch. f. d. ges. Physiol. XIII. S. 272. 1876.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Gesetz der Reizerfolge.\n109\ngewisser Grenzen der Reizgr\u00f6sse proportional; unterhalb einer gewissen Reizintensit\u00e4t, welche Fick als \u201eSchwellenwerth\u201c bezeichnet, ist die Wirkung Null1, oberhalb einer andern constant. Die Reize waren sehr kurzdauernde Kettenstr\u00f6me oder Inductionsstr\u00f6me. Die Versuche wurden zwar ebenso wie die von Tiegel (a. a. 0.) mit indirecter Reizung angestellt, so dass eine ganze Kette von Ausl\u00f6sungen stattfand; wenn jedoch die Beziehung zwischen Anfangsund Endglied eine einfach proportionale ist, so ist sie es auch mit h\u00f6chster Wahrscheinlichkeit in den Zwischengliedern.\nBei immer weiterer Steigerung der Reizgr\u00f6sse, sei es durch Erh\u00f6hung der Stromintensit\u00e4t, sei es durch Verl\u00e4ngerung der Schlussdauer (s. S. 96), tritt noch eine weitere gradlinige Steigerung der bis dahin constanten maximalen Wurf h\u00f6he auf, und diese \u201e\u00fcbermaximalen Zuckungen\u201c erreichen dann ein zweites Maximum. Diese'viel discutirte Erscheinung2, welche Lamansky (a. a. 0.) als Folge einer Summation von Reizen, zu welcher verschiedene Anl\u00e4sse da seien, zu erkl\u00e4ren versucht hat, findet bei directer Reizung nicht statt, ihre Ursache muss also im Nerven liegen, bei welchem sie n\u00e4her besprochen werden wird. Dasselbe gilt von den Modifikationen der untermaximalen Reizwirkung durch eingeschobene st\u00e4rkere Reize (Tiegel, Rossbach & Harteneck), sowie von der von Fick, Lamansky und Tiegel beobachteten Erscheinung, dass es bei best\u00e4ndiger Steigerung indirect reizender Inductionsstr\u00f6me ein wirkungsloses \u201e Intervall \u201c gibt, obgleich schw\u00e4chere und st\u00e4rkere Str\u00f6me wirken (vgl. Band IL).\nDer Versuch Preyer\u2019s, f\u00fcr die Beziehung zwischen Reiz und Muskel-th\u00e4tigkeit ein dem (nach neueren Untersuchungen unrichtigen) psychophysischen Gesetz von Fechner analoges \u201e myophysisehes \u201c Gesetz aufzustellen, beruht auf Irrth\u00fcmern, so dass es gen\u00fcgt, hier die bez\u00fcgliche Literatur anzuf\u00fchren.3\nDer Unterschied zwischen meinem und Fick\u2019s Resultat erkl\u00e4rt sich daraus, dass in beiden Untersuchungen ganz verschiedene Functionen des Muskels betrachtet wurden. Denn nichts spricht daf\u00fcr, dass die Kraft, welche der Muskel in Folge der Reizung bei Festhaltung auf seiner Ruhel\u00e4nge erreicht, proportional sei der Wurfh\u00f6he, welche er in Folge der Reizung ausf\u00fchrt. Da aber letztere Gr\u00f6sse, wie wir gesehen haben, von sehr vielen Bedingungen abh\u00e4ngt, so\n1\tJedoch fand Fick, dass diese unwirksamen Reize bei h\u00e4ufiger Aufeinanderfolge sich zu tetanisirender Wirkung superponiren.\n2\tVgl. Fick, a. a. 0.; ferner Vjschr. d. naturf. Ges. in Z\u00fcrich XI. S. 48. 1866; Lamansky, med. Centralbl. 1867. S. 577; Studien d. physiol. Instit. zu Breslau IV, S. 146. 1868; med. Centralbl. 1869. S. 17. 241, 804; A. B. Meyer, Beitr\u00e4ge zur Lehre von der electrischen Nervenreizung. Z\u00fcrich 1867 ; med. Centralbl. 1868. S. 721 ; 1869! S. 161 ; J. J. M\u00fcller, Unters, aus d. Z\u00fcricher physiol. Labor. S. 98. Wien 1868 ; Fick, med. Centralbl. 1869. S. 611; Studien \u00fcber electrische Nervenreizung. Grat.-Sehr. f. E. H. Weber. W\u00fcrzburg 1871 ; W\u00fcrzburger Verh. N. F. II. S. 145. 1871.\n3\tVgl. Preyer, Arch. f. d. ges. Physiol. V, S. 294,483, VI. S. 237,567, VII. S. 200. 1872\u20141873 ; Das myophysische Gesetz. Jena 1873 ; Ltjchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 295,642, VIII. S. 538 ; Bernstein, ebendaselbst VI. S. 403, VII, S. 90.","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\tHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nscheint sie mir kein nat\u00fcrliches Mass f\u00fcr dasjenige, was in erster Linie gesucht wird, n\u00e4mlich f\u00fcr die Gr\u00f6sse der Ver\u00e4nderung, die der Muskel in Folge der Reizung erleidet. Es w\u00e4re z. B. die Proportionalit\u00e4t zwischen Hubh\u00f6he und Reizgr\u00f6sse vereinbar mit der Annahme, dass jeder Reiz gleiche Kr\u00e4fte ausl\u00f6st, aber innerhalb um so k\u00fcrzerer Zeit, je gr\u00f6sser der Reiz; da die Wurfh\u00f6he cet. par. wesentlich von der Anfangsgeschwindigkeit abh\u00e4ngt. Ich glaube deshalb, dass die Resultate der von mir angewandten Methode einen unmittelbareren Einblick gew\u00e4hren. Doch w\u00e4re es w\u00fcnschenswerth, diese Versuche in gr\u00f6sserer Zahl, mit sorgf\u00e4ltigerer Controlle der Erm\u00fcdung zu wiederholen. Die scheinbare Einfachheit des FicK\u2019schen Gesetzes ist bei n\u00e4herer Betrachtung nicht so gross. Erstens bieten geknickte Curven immer theoretische Schwierigkeiten, m\u00f6gen auch ihre Theile gradlinig sein, zweitens liegt es im Wesen dieser Versuche, dass sich die Gradlinigkeit nur mit einer gewissen Ann\u00e4herung behaupten l\u00e4sst.1\nAus dem Vorstehenden ergiebt sich, dass sich die Erregbarkeit des Muskels nicht durch eine einfache Zahl darstellen l\u00e4sst, etwa als Quotient von Contractionsgr\u00f6sse durch Reizgr\u00f6sse; denn selbst wenn innerhalb einer gewissen Strecke eine Proportionalit\u00e4t beider Gr\u00f6ssen stattfindet, w\u00e4re jener Quotient nur innerhalb dieses Bereiches eine Constante und sein Werth w\u00fcrde mit der Belastung u. s. w. wechseln. Ferner lassen sich die verschiedenen Reizarten untereinander nicht numerisch vergleichen, da man keine Aequivalenz-gesetze zwischen ihnen kennt, ja nicht einmal ein einzelner Reiz sich in irgend einem Maasse vollkommen ausdriicken l\u00e4sst. So sind denn auch alle Gesetze, welche die Ver\u00e4nderung der Erregbarkeit unter bestimmten Einfl\u00fcssen ausdr\u00fccken, nur Beziehungen zwischen dem betr. Einfluss und irgend einer der zahlreichen f\u00fcr die Muskelth\u00e4tig-keit in Betracht kommenden Variablen, w\u00e4hrend alle andern'Variablen constant erhalten sind.\nF\u00fcr sehr viele Vergleichungen ist es am einfachsten, jedesmal den \u201e Schwellenwerth \u201c des Reizes (s. oben) aufzusuchen, d. h. bei allm\u00e4hlicher Steigerung der Reizgr\u00f6sse denjenigen Werth zu bestimmen, der die erste merkliche Muskelcontraction hervorruft. Zu solchen Versuchen ist nur der electrische Reiz brauchbar, weil er allein eine gewisse numerische Graduirung (s. oben) zul\u00e4sst. Zahlreiche Erfahrungen lehren, dass auch die Succession der Reize f\u00fcr solche Versuche nicht gleichg\u00fcltig ist. Bei einem gewissen Rhythmus der Pr\u00fcfung nimmt durch eine Nachwirkung des vergangenen Reizes der\n1 Fick selber erhielt mitunter Curven, welche mehr zu dem von mir gefundenen Gesetz passen; vgl. die citirte Grat.-Schrift Fig. 1, und andre Stellen.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Begriff der Erregbarkeitsgr\u00f6sse. Directe und indirecte Erregbarkeit. 111\nErfolg in gewissem Grade zu, so dass selbst unwirksame Reize durch Wiederholung wirksam werden k\u00f6nnen (vgl. Fick, oben S. 109, Anm. 1). Diese Summationserscheinungen sind bisher fast nur bei indirecter Reizung untersucht (s. Band IL), aber auch bei directer vorhanden.\n2. Einfluss der Applicationsstelle des Reizes; Vergleichwig der directen und indirecten Erregbarkeit.\nBei directer Reizung einer beschr\u00e4nkten Stelle eines entnervten Muskels muss der Erfolg in mehrfacher Hinsicht von der Lage der Applicationsstelle abh\u00e4ngen. Schon die Frage des Durchstr\u00f6mungswinkels (s. S. 98) k\u00f6nnte unter diesem Gesichtspunct betrachtet werden. Ferner muss in einem Muskel, in welchem die Erregungswelle beim Ablauf durch die Faser abnimmt (s. S. 55), die gleiche Reizung aus leicht ersichtlichem Grunde am g\u00fcnstigsten wirken, wenn sie die Mitte der Faser trifft. Der wirklich beobachtete Unterschied in der Erregbarkeit von Mitte und Ende (S. 84) beruht dagegen mindestens zu einem grossen Theile auf einem andern Umstand.\nRemak1, Bernard2 und in exacter Weise Rosenthal3 haben n\u00e4mlich gefunden, dass der gleiche electrische Reiz eine st\u00e4rkere Wirkung auf den Muskel hat, wenn er dessen Nerven, als wenn er die Muskelsubstanz selbst trifft, oder dass, wie man es mit geh\u00f6riger Einschr\u00e4nkung des Sinnes auch ausdr\u00fccken kann, die indirecte Erregbarkeit des Muskels gr\u00f6sser ist als die directe. Rosenthal unterband einem Frosche die Gef\u00e4sse des einen Schenkels, so dass die nachfolgende Curarisirung dieses Bein verschont liess, und legte den Nerven des unvergifteten Schenkels der L\u00e4nge nach auf den Gastrocnemius des vergifteten. Durch Nerv und Muskel zusammen werden dann Inductionsstr\u00f6me geleitet, welche, da der Leitungswiderstand beider ann\u00e4hernd gleich ist, sich den Querschnitten proportional vertheilen, also in beiden mit gleicher Dichte fliessen. Bei allm\u00e4hlicher Steigerung der Stromst\u00e4rke durch Ann\u00e4herung der secund\u00e4ren Spirale an die prim\u00e4re zuckt zuerst der indirect gereizte Muskel, bedarf also schw\u00e4cherer electrischer Erregung. Nach K\u00fchne (s. oben) w\u00fcrde die gr\u00f6ssere Erregbarkeit auch noch den allerletzten Nervenenden, welche das Curare verschont l\u00e4sst (vgl. jedoch Sachs, S. 84), zukommen.\nDie oben S. 96 angef\u00fchrten Untersuchungen von Br\u00fccke haben dann weiter ergeben, dass die gr\u00f6ssere Wirksamkeit der indirecten\n1\tRemak. Ueber methodische Electrisirung gel\u00e4hmter Muskeln. Berlin 1856.\n2\tBernaud, Compt. rend, et m\u00e9m. d. 1. soc. d. biol. (2) IV. (1857.) Paris 1858.\n3\tRosenthal, Molesch. Unters. III. S. 185.1857 ; vgl. auch Pelikan & K\u00f6lliker, W\u00fcrzburger Verhandl. IX. S. 66. 1858.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nErregung ganz besonders f\u00fcr kurzdauernde Str\u00f6me gilt; wichtig ist, dass Rosenthal seinen Versuch auch mit Kettenstr\u00f6men wiederholt und dabei constatirt hat, dass auch f\u00fcr diese der Nerv erregbarer ist als der Muskel.\n3. Vergleichung der Erregbarkeit verschiedener Muskeln.\nOb die Erregbarkeit der Muskeln verschiedener Thierclassen, insbesondere der Warm- und Kaltbl\u00fcter, characteristische Unterschiede zeigt, ob z. B. bei gleicher Stromdichte in einem Frosch- und S\u00e4ugethierpr\u00e4parat letzteres wesentlich empfindlicher ist (der Versuch w\u00e4re nach Art des RosENTHAu\u2019schen anzustellen, und k\u00f6nnte sich sowohl auf directe wie auf indirecte Reizung erstrecken), scheint noch nicht untersucht.\nBei neugeborenen Thieren fand Soltmann1 die directe und indirecte Erregbarkeit wesentlich kleiner als bei etwas \u00e4lteren.\nHier schliesst sich auch am passendsten die merkw\u00fcrdige, von Ritter2 zuerst beobachtete, neuerdings von Rollett3 wieder der Vergessenheit entrissene und von allen Einw\u00e4nden befreite Thatsache an, dass bei schwacher Reizung des Ischiadicus am Frosche die Fuss-beuger, bei st\u00e4rkerer die Strecker (Castro cnemius) das Uebergewicht haben ; dazwischen tritt ein Stadium des Kampfes zwischen Beugung und Streckung ein. Diese Thatsache ist wie zu Ritter\u2019s Zeiten so auch jetzt mit Unrecht auf Unglauben gestossen; man kann sie leicht best\u00e4tigen. Fick & Bour4 haben versucht das Ueberwiegen der Beugung bei schwacher Reizung dadurch zu erkl\u00e4ren, dass bei gestreckter Lage des Schenkels Beugung leichter merklich ist, allein Bour selbst und namentlich Roulett constatirten die st\u00e4rkere Contraction der Beuger auch wenn beide Muskelgruppen an besonderen Hebeln angriffen oder an einem k\u00fcnstlichen Apparat gegen einander wirkten. Die Erscheinung tritt nur bei indirecter Reizung ein5, muss also in Verh\u00e4ltnissen der Nervenfasern oder wahrscheinlicher ihiei Endigung in den Muskeln begr\u00fcndet sein; diese Verh\u00e4ltnisse sind aber noch\nnung dadurch zu erkl\u00e4ren, dass di zweige erhalten, widerlegt sich da der Nerv zu den Electroden liege,\n. und ebenso wenn die Electroden ringf\u00f6rmig sind.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Verschiedene indirecte Erregbarkeit der Muskeln. Selbstst\u00e4ndige Contractionen. 113\nnicht aufgekl\u00e4rt. Die Erscheinung berechtigt zu dem Schl\u00fcsse, dass das Gesetz der Abh\u00e4ngigkeit zwischen Reizgr\u00f6sse und Reizerfolg nicht bei allen Muskeln durch die gleiche Curve dargestellt wird, wenigstens nicht f\u00fcr indirecte Reizung; die Curven f\u00fcr Beuger und Strecker des Froschfusses schneiden sich gegenseitig.1 2 Dass auch sonst Unterschiede im Verhalten der Muskeln desselben Thieres vielfach Vorkommen, ist schon oben S. 38 erw\u00e4hnt.\nIY. Angaben \u00fcber selbstst\u00e4ndige Contractionen quergestreifter\nMuskeln.\nIm Folgenden soll eine Anzahl bisher wenig beachteter Angaben zusammengestellt werden, welche anscheinend dem Satze, dass die Muskeln nur auf directe oder indirecte Reizung sich contrahiren, widersprechen. Ein grosser Theil dieser Angaben l\u00e4sst sich wohl ohne Weiteres auf \u00fcbersehene directe Reize zur\u00fcckf\u00fchren, so die von Rem au 2 zuerst beschriebenen rhythmischen Contractionen von Muskelfasern des Zwerchfells und des Herzens, welche er bei schwacher Vergr\u00f6sseruug unter dem Microscop beobachtete; der Rhythmus vari-irte von 6 bis 60 p. Minute; die Bewegungen hielten bis 48 Stunden nach dem Tode an; auch Valentin3 beobachtete solche Bewegungen. Wohl \u00e4hnlicher Natur sind die von Mayer4 5 und Schultz-Schultzenstein 5 gesehenen rhythmischen Contractionen der Muskeln abgerissener oder durchrissener Fliegenbeine, Blutegel- und Froschmuskeln, ja sogar Blutegelnerven, \u00fcber welche Entdeckung sogar ein lebhafter Priorit\u00e4tsstreit stattfand. An diesen isolirten und mechanisch verletzten Fasern wirkte der Reiz der Luft und namentlich des zugesetzten Wassers, dessen erregende Wirkungen damals noch unbekannt waren. Wirft man einen d\u00fcnnen Muskel, z. B. einen Sartorius, in destillirtes Wasser, so ger\u00e4th er in rhythmische Zuckungen, welche in indifferenter Salzl\u00f6sung ausbleiben. Warum continuirliche Reizung rhythmische Contractionen macht, ist nicht hinreichend erkl\u00e4rt, aber so viele Erkl\u00e4rungen denkbar, dass jedenfalls diese Thatsache nicht zur Annahme automatischer Functionen zwingt, ebensowenig die von\n1\tFrl. V\u00f6lkin hat in meinem Laboratorium gefunden, dass der gleiche Unterschied in der Erregbarkeit der Beuge- und Strecknerven auch am Kaninchen vorhanden ist.\n2\tBemak, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1843. S. 182.\n3\tValentin, Lehrb. d. Physiol. 2. Aufl.II. 1. S. 109,110,u.s.w. Braunschweig 1847.\n4\tMayee, Elementarorganisation des Seelenorgans S. 7. Bonn 1838; Froriep\u2019s Not. 1847. No. 7 ; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1854. S. 214; 1856. S. 321.\n5\tSchttltz-Schultzenstein, Die Verj\u00fcngung im Thierreich etc. S. 39. Berlin 1854; Arch. f. Anat. u.Physiol. 4855. S. 265.\nHandbuch. der Physiologie. Bd. I.\t8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nHermann, Allg. Muskelphysik. 3. Cap. Erregung des Muskels.\nKitter1, Schiff'2 3 u. A. beobachteten mehrfach wiederholten Contrae-tionen auf einmalige Reizung\nVon gr\u00f6sserer Bedeutung sind vielleicht die Angaben von Brown-S\u00e9quard 3 und Vulpian4 \u00fcber rhythmische Contraetionen des Zwerchfells nach Durchschneidung beider Phrenici; dieselben sollen den respiratorischen in Form und Rhythmus v\u00f6llig analog sein, so dass Brown-S\u00e9quard geradezu dem Zwerchfell eine \u00e4hnliche functioneile Selbstst\u00e4ndigkeit wie dem Herzen zuschreibt ; auch an den Gesichtsmuskeln und Extremit\u00e4ten sollen nach der Nervendurchschneidung spontane Bewegungen Vorkommen, welche er den central innervirten \u00e4hnlich findet.5 6 Jene Zwerchfellbewegungen habe ich in Gemeinschaft mit den Herren Bleuler und Lehmann \u00f6fters betrachtet, aber bis jetzt nicht die Ueberzeugung gewinnen k\u00f6nnen, dass etwas Anderes vorliegt als b\u00fcndelweise Contraetionen durch den Reiz der Blosslegung, die wie die in destillirtem Wasser (s. oben) einen unregelm\u00e4ssigen Rhythmus einhalten ; man sieht sie auch an den Bauchmuskeln -, nach Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarks sahen die genannten Herren keine Athembewegungen am Zwerchfell. Trotzdem w\u00e4re es voreilig, die Ansicht eines so erfahrenen Beobachters wie Brown-S\u00e9quard, dass es sich um wahre, etwa durch Ganglienzellen bedingte Automatie handle, ohne eingehendere Untersuchung zu verwerfen, zumal da noch einige andere Thatsachen und Angaben darauf hinzudeuten scheinen, dass nicht alle Nervenenden einfach \u00fcbertragende Bedeutung haben, sondern in der N\u00e4he der Muskeln noch eompiieirte nerv\u00f6se Vorrichtungen Vorkommen: n\u00e4mlich die oben S. 112 angef\u00fchrten Beobachtungen von Ritter und Rollett \u00fcber verschiedene Wirkungen gleicher Nervenreize auf die Muskeln, ferner eine Angabe von Fleische % dass electrische Reizung abgeschnittener K\u00e4ferbeine nicht einheitliche Contraction, sondern coordinirte Bewegungen zur Folge habe 7, endlich die bekannten Thatsachen \u00fcber die Innervation glatter Muskeln.\n1\tRitter, erw\u00e4hnt von A. v. Humboldt, Versuche \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser II. S. 445. Posen u. Berlin 1797.\n2\tSchiff, Molesch. Unters. I. S. 87.1856.\n3\tBrown-S\u00e9quard, Compt. rend. d. 1. soc. d. biologie 1849. p. 158; Journ. d. 1. physiol. II. p. 115. 1859.\n4\tVulpian, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1858. S. 825.\n5\tDie gleichen Autoren urgiren auch, dass das Zwerchfell l\u00e4nger als andere Muskeln sowohl direct als indirect erregbar bleibt. Diese leicht zu best\u00e4tigende Thatsache h\u00e4ngt wohl damit zusammen, dass das Zwerchfell wie das ebenfalls lange erregbare Herz (s. unten S. 127) einer der meistgebrauchten Muskeln ist, und vielleicht deshalb mehr Vorrath an leistungsf\u00e4higem Material enth\u00e4lt.\n6\tFleische, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1875. S. 469.\n7\tEine ganz \u00e4hnliche Beobachtung an einem abgeschnittenen Kaninchenbeine s. bei Vulpian, a. a. 0.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Angebliche Antomatie des Zwerchfells. Paralytische Undulationen. Erm\u00fcdung. 115\nVon anscheinend selbstst\u00e4ndigen Muskelcontractionen sind endlich noch die paralytischen Undulationen zu erw\u00e4hnen, welche einige Tage nach der Nervendurchschneidung in manchen Muskeln zu beobachten sind, und lange Zeit anhalten; N\u00e4heres hier\u00fcber siehe im 5. Capitel, sub IV.1 2\nVIERTES CAPITEL.\nDie Erm\u00fcdung und Erholung des Muskels.\nI. Allgemeines.\nErm\u00fcdung nennt man den Zustand, in welchen der Muskel durch angestrengte oder anhaltende Th\u00e4tigkeit ger\u00e4th. Da ohne Zweifel dieser Zustand nur eine gewisse Steigerung derjenigen Ver\u00e4nde\u201c rungen darstellt, welche jede Contraction wenn auch nur in unmerklichem Grade hervorbringt, so ist es gerathen, und im Grunde auch gebr\u00e4uchlich, als Erm\u00fcdung \u00fcberhaupt die durch die Muskelth\u00e4tig-keit hervorgebrachten, relativ dauernden functioneilen Ver\u00e4nderungen des Muskels zu bezeichnen.\nDer vulg\u00e4re Begriff der Erm\u00fcdung umfasst eine ganze Reihe von Ver\u00e4nderungen, unter denen die muscul\u00e4re nur einen Theil ausmacht. Folgendes sind im Wesentlichen diejenigen Erscheinungen der Muskelerm\u00fcdung, welche jeder aus eigener Erfahrung kennt. Vor Allem geringere Leistungsf\u00e4higkeit des Muskels ; eine mit steifem Arm gehaltene Last kann nach einer gewissen Weile nicht mehr gehalten werden ; ehe sie unwiderstehlich herabsinkt, merkt man deutlich, dass es gr\u00f6sserer Willensanstrengung bedarf sie zu halten, dass eine grosse Anzahl von Nebenerscheinungen, Rothe des Gesichts, Schwitzen, Mitanstrengung fremder Muskeln, Runzeln der Stirn u. s. w. in immer h\u00f6herem Grade auftreten. Ferner tritt, ehe das Halten ganz unm\u00f6glich wird, Zittern ein, die Zusammenziehung der Muskeln wird unstetig \\ bald auch von gr\u00f6sseren unregelm\u00e4ssigen Erschlaffungspausen unterbrochen. Die Abnahme der Leistungsf\u00e4higkeit zeigt sich auch bei nicht continuirlichen Muskelcontractionen, z. B. bei einer Reihe\n1\tDas Zwerchfell zuckt links zuweilen rhythmisch, indem der Phrenicus durch die Actionsstr\u00f6me des Herzens erregt wird; vgl. Schiff, Arch. d. sc.phys. et nat. 1877. Sep.-Abdr.\n2\tUebrigens kann schon bei massigen Anstrengungen in geeigneter Beleuchtung Muskelflimmern am lebenden Menschen durch die Haut hindurch beobachtet werden ; vgl. Br\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXY. Sep.-Abdr. S. 23. 1877.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116 Hermann, Allg. Muskelphysik. 4. Cap. Erm\u00fcdung und Erholung des Muskels.\nvon Hammerschl\u00e4gen ; die Kraft derselben wird zusehends allm\u00e4hlich schw\u00e4cher (Messungen dieser Abnahme, etwa mit einem Schlag-Dynamometer, scheinen zu fehlen); ebenso wird bei anhaltendem Gang oder Lauf die Geschwindigkeit kleiner, oder es bedarf gr\u00f6sserer Willensanstrengung sie zu erhalten. Eine zweite Gruppe von Erscheinungen ist sensibler Natur; im angestrengten Muskel entsteht ein schwer definirbares Gef\u00fchl von Unbehaglichkeit, Druck, Ziehen und Schwere, das in wirklichen Schmerz \u00fcbergeht; letzterer kann sich bis zur Unertr\u00e4glichkeit steigern, und so die Fortsetzung der Anstrengung unm\u00f6glich machen. Geringere Grade dieser Empfindungen machen das allgemeine Gef\u00fchl der Abspannung nach harter Arbeit.\nAusserdem lehrt die t\u00e4gliche Erfahrung, dass alle genannten Erm\u00fcdungserscheinungen nach Unterbrechung der Anstrengung zur\u00fcckgehen, und dass diese \u201eErholung\u201c um so rascher erfolgt, je weniger stark oder anhaltend die Anstrengung gewesen ist.\nMit Ausnahme der Empfindungen sind nun die im Vorstehenden erw\u00e4hnten Erm\u00fcdungserscheinungen auch experimentell am isolirten Muskel aufgefunden, und zum Theil genauer verfolgt worden. Ferner ergab sich die wichtige Thatsache, dass auch der isolirte Muskel, wenn auch in geringerem Grade als der im normalen Organismus befindliche, der Erholung f\u00e4hig ist, wie besonders Valentin1 2 und Ed. Weber 2 gezeigt haben.\nII. Ver\u00e4nderung der Erregbarkeit und der erreichbaren Maximalleistung.\nIhren allgemeinkenntlichen Ausdruck findet die Abnahme der Erregbarkeit in dem erw\u00e4hnten Gef\u00fchl und Bewusstsein gr\u00f6sserer Willensanstrengung, die zu gleicher Leistung erforderlich ist. Experimentell giebt sie sich zu erkennen: durch die gr\u00f6ssere Reizst\u00e4rke, welche n\u00f6thig ist um gleiche Kraft oder gleiche Hubh\u00f6he zu erreichen (hier sei auch daran erinnert, dass diese Reizst\u00e4rke im erm\u00fcdeten Muskel besonders gross sein muss, wenn kurzdauernde Str\u00f6me zur Erregung benutzt werden, s. oben S. 96), oder umgekehrt durch die Abnahme der Kraft oder der Hubh\u00f6he bei gleichbleibender Reizgr\u00f6sse. Ist letztere maximal, so kann sich nat\u00fcrlich eine Ver\u00e4nderung der Erregbarkeit nicht zeigen, wohl aber zeigt sich jetzt die oben schon angedeutete Abnahme der Leistungsf\u00e4higkeit, durch Abnahme der (maximalen) Hubh\u00f6he oder Kraft. Beim Tetanus erkennt man das erstere ohne Weiteres an der best\u00e4ndigen Verl\u00e4ngerung des\n1\tValentin, Lehrb. d. Physiol. 2. Aufl. IL 1. S. 248. Braunschweig 1847.]\n2\tWeber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 72. 1846.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Erholung isolirter Muskeln. Abnahme des Tetanus und der Zuckungen. 117\nerregten Muskels, wie sie Ed. Weber1 zuerst gemessen hat. Er sah die Verl\u00e4ngerung zuerst mit zunehmender, dann mit abnehmender Geschwindigkeit erfolgen, sodass schliesslich nahezu die Ruhel\u00e4nge erreicht wird. Ganz das Gleiche fanden sp\u00e4ter Wundt2 und Volkmann3 auf graphischem Wege. Endlich sahen Donders & van Mansvelt (cit. S. 9) am Menschen, dass beim Halten eines Gewichtes auf bestimmter H\u00f6he der Arm nach pl\u00f6tzlicher Entlastung um so weiter zur\u00fcckschnellt je l\u00e4nger der Tetanus gedauert hat, woraus sie schlies-sen, dass der Contractionsgrad zur Unterhaltung constanter Leistung best\u00e4ndig zunehmen muss, oder mit andern Worten die Erm\u00fcdung den contrahirten Muskel dehnbarer macht.\nWird der Tetanus durch Erholungspausen unterbrochen, oder werden nur Einzelzuckungen angewandt, so wird der Ablauf der Erm\u00fcdung durch die zwischenliegenden Erholungen complicirt. Am einfachsten gestalten sich nat\u00fcrlich die Verh\u00e4ltnisse, wenn Belastung, Reizgr\u00f6sse, Dauer der Erregung und Dauer der Pause in einer l\u00e4ngeren Versuchsreihe constant erhalten werden. Solche Reihen hat zuerst Volkmann4 gelegentlich seines oben S. 72 erw\u00e4hnten Streites mit Weber \u00fcber die Elimination der Erm\u00fcdung angestellt. Diese Elimination beruhte darauf, dass in einer Versuchsreihe, in welcher eine Gr\u00f6sse (z. B. die Belastung) variirt wird, die durchlaufene Reihe noch einmal in umgekehrter Folge wiederholt, und die Mittel aus je zwei correspondirenden Versuchen als die eigentlich vergleichbaren, vom Erm\u00fcdungseinfluss befreiten Gr\u00f6ssen betrachtet wurden. Hierbei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Erm\u00fcdungssch\u00e4digung der Zeit proportional verl\u00e4uft. Dies fand jedoch Volkmann nicht einmal f\u00fcr constante Bedingungen, geschweige denn f\u00fcr variirte Belastungen, best\u00e4tigt; nach ihm ist der Verlauf ein \u00e4hnlicher wie der oben angegebene bei continuirlichem Tetanus.\nDagegen fand Kronecker 5, welcher den Muskel in gleichen Intervallen (2\u201412 Secunden) mittels eines selbstth\u00e4tigen Apparats mit maximalen Inductionsschl\u00e4gen unter constanten Bedingungen reizte und die Zuckungsstriche in gleichen Abst\u00e4nden aufschrieb, die obere Verbindungslinie derselben, die sog. Erm\u00fcdungscurve, gradlinig. Bedingung hierf\u00fcr ist, dass die Belastung nicht zu gross ist (f\u00fcr den Triceps femoris nicht \u00fcber das Gewicht des ganzen Thieres). Die\n1\tWeber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 70. 1846.\n2\tWundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 180. Braunschweig 1858.\n3\tVolkmann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 705.\n4\tVolkmann, a. a. 0. und Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 372. 1870.\n5\tKronecker, Monatsber. d. Berliner Ac ad. 1870. S. 629; Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1871. S. 690.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118 Hermann, AU g. Muskelphysik. 4. Cap. Erm\u00fcdung und Erholung des Muskels.\n\u2022Gradlinigkeit der Erm\u00fcdungscurve gilt sowohl f\u00fcr die Wurf h\u00f6hen mit constanter Ueberlastung als f\u00fcr die mit eonstanter Belastung, im letzteren Falle aber nur solange der Muskel sich noch \u00fcber seine Ruhe-lange verk\u00fcrzt ; von da ab nimmt die Erm\u00fcdungscurve einen hyperbolischen Character an, indem die Wurfh\u00f6hen, je mehr sie sich Null n\u00e4hern, um so langsamer abnehmen. ' Die Abnahme der Wurf h\u00f6hen in einer gegebenen Zeit ist um so gr\u00f6sser je kleiner das Reizintervall, d, h. je mehr Zuckungen auf die Zeit fallen, so dass die Wurfh\u00f6he in jedem Moment lediglich von der Anzahl der vorangegangenen maximalen Zuckungen abh\u00e4ngt, gleichg\u00fcltig auf welche Zeit sich diese vertheilt haben. Auch von der Ueberlastungsgr\u00f6sse ist der Gang der Erm\u00fcdung insofern unabh\u00e4ngig, als bei gleichem Intervall die Erm\u00fcdungslinien bei verschiedenen Ueberlastungen zwar in verschiedenen H\u00f6hen liegen, aber parallel sind; die Null wird nat\u00fcrlich um so fr\u00fcher erreicht, je gr\u00f6sser die Ueberlastung, mit andern Worten die absolute Kraft -des Muskels wird um so fr\u00fcher Null, je gr\u00f6ssere Ueberlastungen er in gleichen Intervallen zu heben hatte. Die angef\u00fchrten Gesetze gelten sowohl f\u00fcr den ausgeschnittenen als f\u00fcr den normal ern\u00e4hrten Muskel.\nIst, bei constantem Intervall und constanter Ueberlastung, yi die H\u00f6he der ersten, yn die der wten Zuckung und D die Differenz zweier auf einanderfolgender Wurfh\u00f6hen, so ist\ny d\ty i\ti ) ^ i\nund yn wird =0 f\u00fcr n = 1 -\\-yijD, wof\u00fcr man setzen kann n = y\\jD, zumal da der eigentliche Werth von n, das eine ganze Zahl sein muss, zwischen beiden liegt. Diese Zuckungsh\u00f6he 0 wird erreicht nach der Zeit {y\\ ID). t, worin t das Intervall zweier Reizungen. Aus den obigen S\u00e4tzen ergiebt sich, dass D von der Gr\u00f6sse des Intervalls und der Ueberlastung unabh\u00e4ngig und nur von der Natur des Muskels abh\u00e4ngig ist. Dagegen ist y\\ eine Function der Ueberlastung. \u2014 Die theoretische Deduction Keoneckee\u2019s, welche erkl\u00e4ren soll, dass die Erm\u00fcdungscurve des belasteten Muskels, sobald sie die Abscisse der unbelasteten Ruhel\u00e4nge (ich will sie im Folgenden nat\u00fcrliche Abscisse nennen) durchschnitten hat, hyperbolisch verl\u00e4uft, beruht auf sehr anfechtbaren Voraussetzungen.1 Ungleich nat\u00fcrlicher erscheint mir folgende Erkl\u00e4rung. Der \u00fcberlastete Muskel zeichnet nur den oberen Theil derjenigen Wurf h\u00f6he, welche gezeichnet werden w\u00fcrde, wenn die Ueberlastung Belastung gewesen w\u00e4re ; der unterhalb der nat\u00fcrlichen Abscisse gelegene Theil der Wurf h\u00f6he\n1 Die Deduction kommt im Wesentlichen darauf hinaus, dass unterhalb der nat\u00fcrlichen Abscisse der relative Anthe\u00fc der elastischen Kr\u00e4fte an der Zuckung, welcher nat\u00fcrlich durch die Erm\u00fcdung nicht ver\u00e4ndert wird, immer gr\u00f6sser, der eigentliche Erm\u00fcdungseinfluss also relativ immer kleiner wird. Aber es liegt auf der Hand, dass bez\u00fcglich des relativen Antheils der Elasticit\u00e4t an der Contraction die Durch-s.chneidung der nat\u00fcrlichen Abscisse keinen Sprung veranlassen kann, wie ihn die Kk\u00f6UECKER\u2019sche Deduction involvirt, abgesehen davon dass jener Antheil bestreitbar ist.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Abnahme cler Zuckungsh\u00d6hen. Erm\u00fcdung durch unzureichende Reize ?\t119\nf\u00e4llt weg; ausserdem wird die Wurfh\u00f6he bei den Ueberlastungsversuehen durch die anf\u00e4ngliche Festhaltung des Muskels modificirt, wie schon oben S. 74, 77 auseinandergesetzt. Sieht man von letzterem Umstande ab, so ist die Erm\u00fcdungslinie bei Ueberlastung identisch mit derjenigen bei Belastung, bis zur nat\u00fcrlichen Abscisse. Der Belastungsversuch gestattet die Erm\u00fcdungslinie noch weiter, unterhalb dieser Abscisse zu verfolgen bis zur g\u00e4nzlichen Ersch\u00f6pfung des Muskels. Das Ende der Ueberlastungs-Erm\u00fcdungscurve ist keineswegs identisch mit Ersch\u00f6pfung des Muskels; der Muskel entwickelt noch verk\u00fcrzende Kr\u00e4fte, nur sind dieselben kleiner als die Ueberlastung. Das Ende der Belastungs-Erm\u00fcdungscurve ist dagegen identisch mit wirklicher Ersch\u00f6pfung. Nun ist es gar nicht zu verwundern, dass eine Curve ihren eigentlichen Verlauf um so mehr enth\u00fcllt, je l\u00e4ngere St\u00fccke zur Verf\u00fcgung stehen, dass Eigenth\u00fcmlichkeiten einer Curve h\u00e4ufig grade in der N\u00e4he kritischer Puncte am st\u00e4rksten hervortreten und dass die Gradlinigkeit der Erm\u00fcdungscurven, soweit sie behauptet wird, doch ohne Zweifel, wie auch die mitgetheilten Versuche zeigen, nur mit einer gewissen Ann\u00e4herung behauptet werden kann (vgl. oben S. 8 und 75). In dieser Gradlinigkeit stecken eine Anzahl Zwischenfunctionen, die unm\u00f6glich alle wirklich streng gradlinig sein k\u00f6nnen.\nTiegel1 hat auch f\u00fcr untermaximale Reize die gleichen Gesetze gefunden; die absolute Gr\u00f6sse der Erm\u00fcdungsdifferenz zweier successiver Zuckungen ist merkw\u00fcrdigerweise hier bedeutender als bei maximalen Reizen. Rossbach & Harteneck2 fanden den gradlinigen Erm\u00fcdungsverlauf auch am Warmbl\u00fctermuskel best\u00e4tigt.\nDer Einfluss der Belastung auf den Verlauf der Erm\u00fcdung erstreckt sich, wie Harless3 und Leber4 fanden, nicht auf die Belastung w\u00e4hrend der Ruhe. Hierin liegt ein Beweis, dass wesentlich die Arbeitsleistung die Erm\u00fcdung bewirkt, nat\u00fcrlich im weitesten Sinne genommen, d. h. auch die innere Arbeit im Tetanus und bei verhinderter Contraction. Leber hat die Ansicht ausgesprochen, die Belastung erm\u00fcde wesentlich durch den Widerstand gegen die Verk\u00fcrzung, besonders im Anfang der Erregung, indessen lassen sich seine Versuche mit dem eben angef\u00fchrten Satze vereinigen, dass die Erm\u00fcdung von geleisteter \u00e4usserer oder innerer Arbeit herr\u00fchrt.\nDie interessante Frage, ob auch unwirksame Reize zur Erm\u00fcdung beitragen k\u00f6nnen, ist noch nicht erledigt. Kronecker (a. a. 0. S. 775) behauptet dies f\u00fcr Maximalreize am nahezu ersch\u00f6pften Muskel, w\u00e4hrend Funke (a. unten a. 0. S. 247) es bestreitet; er sah n\u00e4mlich bei abwechselnder Reizung mit Schliessungs- und Oeffnungs-zuckungen, sobald erstere unwirksam geworden sind, letztere weniger\n1\tTiegel, Ber. d. sacks. Acad. 1875. S. 81.\n2\tRossbach & Harteneck, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 1. 1877.\n3\tHarless, Sitzimgsber. d. bayr. Acad. 1861. S. 43,\n4\tLeber, Ztschr. f. rat. Med. (3) XVIII. S. 262. 1863.","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120 Hekmann, Allg. Muskelphysik. 4. Cap. Erm\u00fcdung und Erholung des Muskels.\nerm\u00fcdend wirken, weil das Intervall der wirksamen Reizungen sich verdoppelt hatte ; die unwirksamen Reize tragen also nichts mehr zur Erm\u00fcdung bei. Reize, welche am frischen Muskel zur Erregung zu schwach sind, erm\u00fcden nicht.\nAus dem Vorstehenden ist ersichtlich, dass die Steilheit des Erm\u00fcdungsverlaufs und die sie beherrschenden Umst\u00e4nde zugleich den Eintritt der Ersch\u00f6pfung bestimmen. Ueber die absolute Leistung, welche ein Muskel bis zur Ersch\u00f6pfung ausf\u00fchren kann, ist jedoch fast Nichts bekannt. Sicher ist, dass sie im ausgeschnittenen Muskel, in welchem die erholenden Einfl\u00fcsse viel geringer sind, kleiner ausf\u00e4llt als im normalen. Ein Bild von der Leistung des ersteren\ngiebt die Thatsache, dass (nach Kronecker, a, a. 0.) ein ausgeschnittener Frosch-Triceps von 3 cm. L\u00e4nge eine Ueberlastung von 20 grm. bei maximaler Reizung in Intervallen von 4\u20146 Sec. 250 (Januar) bis 2700 mal (October) zu heben vermag.\nOb der Eintritt der Ersch\u00f6pfung sich auch am ganz normalen und blutdurchstr\u00f6mten Muskel lediglich nach der Summe bereits geleisteter Arbeit bemisst, ist zweifelhaft; wahrscheinlicher ist es f\u00fcr den ausgeschnittenen, also stofflich isolirten Muskel, als f\u00fcr den im Kreislauf befindlichen; aber selbst f\u00fcr ersteren m\u00fcssen ausser dem Arbeitsbetrage noch andere Momente, wie Spannung, Vertheilung auf die Zeit, von Einfluss sein. Versuche in dieser Richtung existiren bisher nur wenige, am Menschen. Selbstverst\u00e4ndlich l\u00e4sst sich hier der Versuch nie bis zur eigentlichen Ersch\u00f6pfung, sondern nur bis zur Unm\u00f6glichkeit der vorgeschriebenen Leistung treiben. Aus Versuchen an Menschen, welche theils von ihm selbst, theils von Jevons, Nipher u. A. angestellt sind, hat Haughton1 ein Erm\u00fcdungs- oder richtiger Ersch\u00f6pfungsgesetz aufgestellt, nach welchem die bis zur Ersch\u00f6pfung eines Muskels im genannten Sinne geleistete Gesammtarbeit umgekehrt proportional ist der Geschwindigkeit, mit welcher jede einzelne Arbeit geleistet wird (\u201erate of work\u201c). Ist also p ein Gewicht, welches n mal bis zur H\u00f6he h gehoben wird, und ist zu jeder Hebung die Zeit t erforderlich, so soll sein\nn . p . hx =\np. h p2h2n\n= const.\nIst wie in den Versuchen von Jevons2 (Hebung von Gewichten mit Flaschenzug) die Zeit und H\u00f6he jeder Hebung constant, so ist, wenn\n1\tHaughton, Principles of animal mechanics. 2. edit. p. 29,450. London 1873:\nAmer. Journ. of sc. (3) X. p. 183.1875 ; Proceed. Roy. Soc. XXIY. p. 42, XXY. p. 131. 1876.\t*\n2\tJevons, Nature 1870. 30. Juny. p. 159.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Erm\u00fcdung und Ersch\u00f6pfung des Muskels und des Nerven.\n121\ndie Hebungen bis zur Ersch\u00f6pfung fortgesetzt werden, p2n = const., d. h. die Anzahl von Hebungen, welche ausgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, umgekehrt proportional dem Quadrat des Gewichts. Haughton dehnt dies Gesetz auch auf den Fall aus, wo ein Gewicht so lange als m\u00f6glich mit angespannten Muskeln (z. B. horizontalem Arm) gehalten wird, und findet, indem er die innere (\u201estatische\u201c) Arbeit dieses Falles gleich dem Product aus Gewicht und Zeit setzt, die Arbeit = p. t, \u201erate of work\u201c = ptjt = p, also p21= const., d. h. die Zeit w\u00e4hrend welcher das Tragen ausgehalten wird, umgekehrt proportional dem Quadrate der Last (in Wirklichkeit kommt noch das Moment des Arms selbst hinzu). \u2014 Das HAUGHTON\u2019sche Ersch\u00f6pfungsgesetz ist \u00fcbrigens von Nipher, dessen erste .Versuche Haughton zur St\u00fctze gedient hatten, in Folge neuer Versuche1 bestritten worden ; erfindet (im ersten Falle, s. oben) n nicht p2, sondern /?3 umgekehrt proportional. Wenn nun auch Haughton urgirt, dass in seinen Versuchen die Last jedesmal activ heruntergelassen, in Nipher\u2019s Versuchen aber ohne Zuthun der Versuchsperson gesenkt wurde, so zeigt doch der grosse Unterschied der Resultate, dass das scheinbar einfache Gesetz nur eine rohe Ann\u00e4herung darstellt.\nBei indirecter Reizung ersch\u00f6pft sich der ausgeschnittene Muskel nach Bernstein2 fr\u00fcher als sein Nerv. Werden die Nerven zweier Muskeln A und B gleichzeitig gereizt, die Zuckungen von A aber durch einen constanten Strom am unteren Nervenende gehindert, so erh\u00e4lt man nach Ersch\u00f6pfung des Muskels B noch Zuckungen von A, sobald der constante Strom ge\u00f6ffnet ist; die Ersch\u00f6pfung des Pr\u00e4parats B hat also nicht im Nerven, sondern im Muskel ihren Sitz.\nIII. Ver\u00e4nderung des Characters der Contraction.\nSchon Helmholtz fand in seiner bekannten Arbeit, dass die Zuckungscurve durch Erm\u00fcdung des Muskels einen gestreckteren Verlauf annimmt, gleichzeitig mit der Abnahme ihrer H\u00f6he.3 Diese That-sache ist von vielen Autoren best\u00e4tigt und n\u00e4her untersucht worden, so von Wundt4, Harless5 6, Mare y 6 (auch am Menschen), Volk-\n1\tNipher, Amer, journ. of sc. (3) IX. p. 130, 321. 187'5.\n2\tBernstein, Arch. f. d. ges. Physiol. XY. S. 289. 1877.\n3\tHelmholtz, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1850. S. 324; 1852. S. 212. Anfangs sinkt nur die H\u00f6he; ja Helmholtz fand sogar zuerst Verk\u00fcrzung der direct galvanisch gemessenen Zuckungsdauer durch die Erm\u00fcdung (a. a. 0. 1850. S. 356).\n4\tWtjndt , Die Lehre von der Muskelbewegung S. 178,187. Braunschweig 1858. Wtjndt liess den Muskel seine Reizkette selber wieder schliessen, so oft er seine urspr\u00fcngliche L\u00e4nge erreicht hat ; Erm\u00fcdung macht dann die Reizungen immer seltener.\n5\tHarless, Sitzungsber. d. bayr/Aca(k 1861. S. 43.\n6\tMarey, Journ. d. l\u2019anat. et d. 1. physiol. 1866. S.225, 403; Du mouvement dans les fonctions de la vie p. 339. Paris 1868.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122 Heemann, Allg. Muskelphysik. 4. Cap. Erm\u00fcdung und Erholung des Muskels.\nmann1, Funke.2 Volkmann sah die Curve bei extremer Erm\u00fcdung\u2019 schliesslich wieder k\u00fcrzer werden. Die Verl\u00e4ngerung betrifft wesentlich den absteigenden Theil, besonders in der N\u00e4he der Abscissen-axe, und es ist unverkennbar, dass die Erm\u00fcdung mehr und mehr denjenigen Zustand herbeif\u00fchrt, in welchem die Contraction unvollkommen schwindet, ein Zustand, den wir fr\u00fcher als Folge des Absterbens, der K\u00e4lte, abnormer Reizst\u00e4rken, und gewisser Gifte kennen gelernt haben, und der zum Verk\u00fcrzungsr\u00fcckstand und zur idio-muscul\u00e4ren Contraction Anlass giebt (s. oben Cap. 2). Nat\u00fcrlich ist bei dem langsamen Schwinden der Verk\u00fcrzung auch relativ geringere Reizfrequenz zum Tetanisiren erforderlich (vgl. S. 41). Bemerkenswerth ist, dass Funke im mittleren Erm\u00fcdungsstadium h\u00e4ufig im absteigenden Theil eine secund\u00e4re Elevation (\u201eNase\u201c) beobachtete, die noch nicht erkl\u00e4rt ist. Dieselben Einfl\u00fcsse, welche die Abnahme der Hubh\u00f6he beherrschen, also haupts\u00e4chlich Last und Pausenl\u00e4nge, sind im Wesentlichen auch f\u00fcr die Entwicklung der genannten Curven-\u00e4nderungen massgebend. Ueber den Einfluss der Erm\u00fcdung w\u00e4hrend des Tetanus s. oben S. 41,116.\nDass die Erm\u00fcdung auch die Leitungsf\u00e4higkeit der Muskelfaser f\u00fcr die Erregungswelle sch\u00e4digt, geht aus meinem, S. 56 kurz erw\u00e4hnten galvanischen Versuch am Menschen hervor. Die zahlreichen derartigen Erfahrungen an aus geschnittenen Muskeln (S. 55) lassen sich n\u00e4mliclf ebensogut von Absterben wie von Erm\u00fcdung herleiten.\nIV. Versuche \u00fcber das Wesen der Erm\u00fcdung und Erholung.\nNachdem durch die Untersuchungen der letzten Jahrzehnte nachgewiesen war, dass chemische Umsetzungen mit der Muskelth\u00e4tigkeit in innigem Zusammenhang stehen, war zum ersten Mal ein greifbares Moment zur Erkl\u00e4rung der Erm\u00fcdung und Erholung gegeben, w\u00e4hrend man bis dahin entweder anatomische Ver\u00e4nderungen annehmen oder auf exacte Deutung der Erm\u00fcdung verzichten musste. Indess gab erst die du Bois\u2019sche Entdeckung der S\u00e4urebildung im th\u00e4tigen Muskel den chemischen Erm\u00fcdungstheorien Impuls, und es wurden alsbald von Heynsius 3 4, Harless 4 u. A. derartige Theorien\n1\tVolkmann, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 372.1870.\n2\tFunke, ebendaselbst VIII. S. 213.1873.\n3\tHeynsius, Studien d. physiol. Instit. Amsterdam S. 99. Leipzig u.Heidelb. 1861.\n4\tVgl. Ettingeb, Relationen zwischen Blut und Erregbarkeit der Muskeln. M\u00fcnchener Dissert, 1860. Sp\u00e4ter hat Haeless (Sitzungsber. d. bayr. Acad. 1861. S. 43) noch andere Momente inseine Erm\u00fcdungstheorie hineingezogen, namentlich eine angebliche Auspressung von Saft aus dem Faserinhalt bei der Contraction.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Ver\u00e4nderung der Zuckungsform. Chemische Erm\u00fcdungstheorien. 123\naufgestellt. Aber erst J. Ranke1 gelang es, Thatsachen in dieser Richtung aufzufinden. Er sah, dass Muskeln, welche durch heftigen Tetanus, sei es in Folge von Strychninvergiftung2 3, sei es durch directe Reizung ersch\u00f6pft waren, ihre Erregbarkeit durch Verblutung des Frosches, noch mehr durch Ausspritzung der G-ef\u00e4sse mit verd\u00fcnnter Kochsalzl\u00f6sung, wiedergewinnen. In der Vermuthung, dass die Entfernung des Blutes durch Wegsehaffung gewisser die Erregbarkeit herabsetzender Stoffwechselproducte wirke, injicirte Ranke Fr\u00f6schen w\u00e4ssrige Extracte erm\u00fcdeter Froschmuskeln, sah aber hierauf (abgesehen von einer Schw\u00e4chung des Herzschlages) die Erregbarkeit steigen statt fallen ; an curarisirten Fr\u00f6schen aber sank die Erregbarkeit durch die Fleischbr\u00fche, so dass jenes Steigen auf Rechnung einer besonderen Wirkung auf die Nervenenden gebracht werden muss. Auf die Muskeln wirken also die extrahirbaren Bestandtheile erm\u00fcdeter Muskeln ebenfalls erregbarkeitsherabsetzend, Ranke nennt deshalb diese Stoffe \u201eerm\u00fcdend\u201c. Unter den Extractivstoffen fand er erm\u00fcdend die Milchs\u00e4ure, und anfangs auch das Kreatin ; sp\u00e4ter zeigte sich, dass letzteres nur in Folge einer Verunreinigung mit saurem phosphorsaurem Natron erm\u00fcdend gewirkt hatte, welches letztere Salz also als zweiter erm\u00fcdender Stoff neben die Milchs\u00e4ure tritt. Kohlens\u00e4ure (in verd\u00fcnnter Kochsalzl\u00f6sung absorbirt) fand er nur wenig erm\u00fcdend (vgl. auch oben S. 105), die \u00fcbrigen Extractivstoffe indifferent. Ausser der Erregbarkeit wird nach Ranke auch die Muskelkraft sowie die electromotorische Kraft des Muskelstroms durch Milchs\u00e4ure herabgesetzt; letzteres wurde von Roeber3 best\u00e4tigt.\nF\u00fcr die Wirkungsweise der \u201eerm\u00fcdenden Stoffe\u201c hat Ranke (Tetanus S. 455) eine ziemlich verwickelte Theorie aufgestellt, die im Wesentlichen darauf hinauslief, dass sie durch eigene Oxydation dem Muskel den Sauerstoff vorenthalten. Diese Theorie war nur m\u00f6glich, so lange der Irrthum hinsichtlich des Kreatins noch nicht erkannt war; auch ist sie mit unsern jetzigen Kenntnissen \u00fcber die chemischen Processe im Muskel unvereinbar. Die Thatsache, dass das unoxydirbare saure Natriumphosphat ganz wie die Milchs\u00e4ure wirkt, weist darauf hin, dass es sich nur um eine S\u00e4urewirkung handelt. Dies wird dadurch best\u00e4tigt, dass, wie Ranke fand (Tetanus\n1\tJ. Ranke, Arcli. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 422 ; 1864. S. 320 ; Centralbl. f. d. med. Wiss. 1865. S. 18, 577 ; Tetanus S. 327. Leipzig 1865.\n2\tBei dein Strychninversuche handelt es-sich aber, wie Roeber gezeigt hat (Arch,\nf. Anat. u. Physiol. 1870. S. 615), nicht um Erm\u00fcdung, sondern um eine L\u00e4hmung der intramuscul\u00e4ren Nervenenden durch Strychnin, welche durch Entblutung beseitigt wird.\t\u00f6\n3\tRoeber, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1870. S. 615.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124 Hermann, Allg. Muskelpliysik. 4. Cap. Erm\u00fcdung und Erholung des Muskels.\nS. 403) auch alle andern S\u00e4uren wie Milchs\u00e4ure wirken, und dass vorsichtige Neutralisation durch Einspritzung von kohlensaurem Natron die \u201e Erm\u00fcdung \u201c beseitigt. Im Grunde also folgt aus den Versuchen Ranke\u2019s, zumal wenn man eine Anzahl sehr weit gehender Theorien ausser Acht l\u00e4sst, nichts weiter als eine Best\u00e4tigung der schon vorher bekannten Verderblichkeit aller S\u00e4uren f\u00fcr die Muskeln. Ranke unterscheidet zwar \u201eerm\u00fcdende\u201c und \u201el\u00e4hmende\u201c Stoffe, und versteht unter ersteren nur solche, die durch ihre \u201eblosse Anwesenheit\u201c wirken, also nichts Bleibendes \u00e4ndern. Aber der Umstand, dass ein durch Milchs\u00e4ure gesch\u00e4digter Muskel eine Zeit lang durch Neutralisation noch reparirbar ist, beweist nur, dass die definitiv vernichtende Wirkung l\u00e4ngere Zeit erfordert. Von hohem Interesse ist nur das, dass die Anstrengung des Muskels eine S\u00e4ure, d. h. eine den Muskel sch\u00e4digende Substanz producirt.\nF\u00fcr die Erkl\u00e4rung der gew\u00f6hnlichen Erm\u00fcdung ist nun \u00fcbrigens diese Thatsache keineswegs mit irgendwelcher Sicherheit zu verwenden. Denn es fragt sich, ob der best\u00e4ndig und reichlich von stark alkalischem Blute durchstr\u00f6mte Muskel jemals freie S\u00e4ure oder saure Salze enthalten kann, ob demnach dieselben irgend etwas mit dem Erm\u00fcdungsvorgang zu thun haben. Schon deshalb also ist der Ausdruck \u201eerm\u00fcdende Stoffe\u201c zu verwerfen; will man aber alle erregbarkeitssch\u00e4digenden Einfl\u00fcsse erm\u00fcdend nennen, so muss auch der STENSON\u2019sche Versuch, alle chemischen Sch\u00e4dlichkeiten, starke Dehnung u. dgl. so bezeichnet werden.\nDie Ursache der Erm\u00fcdung lediglich in der Anh\u00e4ufung sch\u00e4dlicher Stoffwechselproducte zu suchen, w\u00e4re ferner selbst dann, wenn die Mitwirkung letzterer erwiesen w\u00e4re, durchaus einseitig. Beruht die Erm\u00fcdung wirklich nur auf chemischen Ver\u00e4nderungen, welche durch die Th\u00e4tigkeit bedingt sind, so kann an ihr ebensogut Mangel an Vorrath der zum Verbrauch kommenden, wie Anh\u00e4ufung der pro-dueirten Stoffe Antheil haben. Die im n\u00e4chsten Capitel anzuf\u00fchrenden Versuche \u00fcber Wiederherstellung der Erregbarkeit erm\u00fcdeter Muskeln durch Injection arteriellen Blutes beweisen, dass z. B. Sauerstoffzufuhr ebensowohl erholend wirkt wie Milchs\u00e4ureabfuhr. Spe-cieller stellen sich von dieser Seite den RANKE\u2019schen Versuchen die von Kronecker1 gegen\u00fcber, welcher erm\u00fcdete Muskeln, die best\u00e4ndig mit verd\u00fcnnter Kochsalzl\u00f6sung durchstr\u00f6mt wurden, an Erregbarkeit und Kraft betr\u00e4chtlich gewinnen sah, wenn der 1 proc. Kochsalzl\u00f6sung 0,05 pCt. \u00fcbermangansaures Kali beigemischt wurde, dessen Sauer-\n1 Kronecker, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1871. S. 694.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Sog. erm\u00fcdende Stoffe. Wesen der Erm\u00fcdung. Erm\u00fcdungsgef\u00fchle. 125\nstoffgehalt das Wirksame zu sein scheint. Indess gelang dieser Versuch nicht regelm\u00e4ssig, und der Gegenstand ist nicht weiter verfolgt worden.\nDie allgemeinste und unverf\u00e4nglichste Form nimmt die chemische Erm\u00fcdungstheorie an, wenn sie folgendermassen gefasst wird: Die Th\u00e4tigkeit \u00e4ndert die chemische Zusammensetzung des Muskels, gewisse Vorg\u00e4nge stellen sie wieder her. Erm\u00fcdung ist wahrscheinlich die Folge eines Zur\u00fcckbleibens der letzteren Vorg\u00e4nge hinter dem ersteren, und Erholung die Wiederherstellung des normalen chemischen Zustandes. N\u00e4heres \u00fcber die fraglichen Vorg\u00e4nge und ihre wahrscheinlichen Beziehungen zur Erm\u00fcdung enthalten die folgenden Capitel und die Lehre vom Stoffwechsel der Muskeln.\nDer Erm\u00fcdungsschmerz besteht h\u00f6chst wahrscheinlich auf der Erregung der sensibeln Nerven des Muskels selbst (vgl. den 3. Band) durch den ver\u00e4nderten Zustand des Muskels, vielleicht durch gewisse Produete der Anstrengung.1 Er verhindert, dass die Erm\u00fcdung gewisse, ohne Zweifel gef\u00e4hrliche, Grade \u00fcberschreitet.\nIn den Versuchen von van Mansvelt (s. oben) stellte sich heraus, dass das Erm\u00fcdungsgef\u00fchl ein sehr unzuverl\u00e4ssiges Mass f\u00fcr die wirkliche, physicalisch feststellbare Erm\u00fcdung des Muskels ist.\nF\u00dcNFTES CAPITEL.\nDie Lebensbedingungen des Muskels.\nDie Erregbarkeit der Muskeln schwindet in der Leiche kurze Zeit nach dem Tode oder nach der Entfernung des Muskels aus dem lebenden Organismus. Die Erhaltung der Erregbarkeit ist also an gewisse mit dem Leben des Gesammtorganismus innig verkn\u00fcpfte Bedingungen gebunden, deren Analyse der Gegenstand dieses Capitels ist. Es wird keiner Rechtfertigung bed\u00fcrfen, dass die Lehre von den Bedingungen der Erregbarkeit hier, dem gew\u00f6hnlichen Brauche entgegen, getrennt worden ist von den im dritten Capitel enthaltenen Thatsachen \u00fcber die Wirkungen fremder Agentien auf die Erregbarkeit.\n1 Harless (Deutsche Klinik 1860. S. 162) schreibt das Erm\u00fcdungsgef\u00fchl der gebildeten S\u00e4ure zu.\t\u00f6","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126 Hermann, Allg. Muskelphysik. 5. Cap. Lebensbedingungen des Muskels.\n/\nI. Gesetze der Erregbarkeits\u00e4nderimgen nach der Isolation\ndes Muskels.\nDie Erregbarkeit der Muskeln erh\u00e4lt sich nach dem Ausschneiden bei Amphibien1 bedeutend l\u00e4nger als bei warmbl\u00fctigen Thieren, oder mit andern Worten: der Muskel der Amphibie ist auf die zun\u00e4chst unbekannten, an die Integrit\u00e4t des Gesammtorganismus gekn\u00fcpften Bedingungen weniger streng und unmittelbar angewiesen, als der des Warmbl\u00fcters. Die Zeiten des Ueberlebens lassen sich nur in Verbindung mit den n\u00e4heren Bedingungen angeben, von welchen sie in hohem Grade abh\u00e4ngen.\nUnmittelbar nach der Isolirung steigt zuerst die Erregbarkeit ein wenig, um dann continuirlich bis auf Null abzunehmen; jenes Ansteigen wird auch an entnervten Muskeln beobachtet, ist also eine Eigenschaft der Muskelsubstanz selbst.2 3 Ueber die Curve des Abfalls der Erregbarkeit fehlt es an directen Untersuchungen, selbstverst\u00e4ndlich m\u00fcssten dieselben in m\u00f6glichst seltenen Zuckungen bestehen, um den Einfluss der Erm\u00fcdung auszuschliessen, oder es m\u00fcsste jedesmal nur die Beizschwelle aufgesucht werden. Soweit ich aus gelegentlichen Erfahrungen urtheilen kann, sinkt die Erregbarkeit, und wohl auch die Leistungsf\u00e4higkeit, anfangs schneller als sp\u00e4ter, also in einer gegen die Abscisse convexen Curve. Der ganze Ablauf ist beim Warmbl\u00fcter mehr zusammengedr\u00e4ngt als beim Kaltbl\u00fcter.\nVon grossem Einfluss auf die Gesammtdauer des Ueberlebens, oder auf die Steilheit des Erregbarkeitsabfalls ist, wie schon fr\u00fcher (S. 99) erw\u00e4hnt, die Temperatur, sowohl die des isolirten Muskels, als auch die des lebenden Thieres vor dem Tode. Beim Kaltbl\u00fcter ist der Temperatureinfluss absolut, aber vielleicht nicht relativ, ausgiebiger als beim Warmbl\u00fcter, du Bois-Keymond 3 sah Gastrocnemius-und Triceps-Exemplare vom Frosch, bei 0\u00b0 aufbewahrt, noch 10 Tage nach dem Ausschneiden erregbar, w\u00e4hrend an heissen Sommertagen bekanntlich die Erregbarkeit schon fr\u00fcher als nach 24 Stunden, und\n1\tOder gewissenhafter : bei Fr\u00f6schen. Gew\u00f6hnlich sagt man statt Amphibien Kaltbl\u00fcter ; indess ist \u00fcber das Verhalten der Fische sehr wenig bekannt ; und Brown-S\u00fcquard (Journ. d. 1. physiol. 1858. p. 358) bestreitet ausdr\u00fccklich die Angabe Nysten\u2019s (Becherches de physiologie etc. p. 356. Paris 1811), dass die Fischmuskeln l\u00e4nger \u00fcberleben als Warmbl\u00fctermuskeln. Der Ausdruck Kaltbl\u00fcter schliesst ferner die Wirbellosen in sich, von denen aber manche ungemein rasch absterbende Muskeln besitzen.\n2\tEinige Stellen, in denen dies erw\u00e4hnt wird, hat du Bois-Reymond zusammengestellt, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 303. (Ges. Abh. IL S. 225.)\n3\tdu Bois-Reymond, Monatsber. d. Berliner Acad. 1859. S. 298. (Ges. Abh. II. S. 12.)","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit nach dem Tode.\n127\nbei mittlerer Temperatur etwa am dritten Tage verschwunden ist. F\u00fcr den S\u00e4ugethiermuskel fehlt es in dieser Hinsicht an gen\u00fcgenden Erfahrungen. Umgekehrt l\u00e4sst sich der Einfluss der pr\u00e4mortalen Temperatur beim Frosch nur aus der allgemeinen Erfahrung ableiten ? dass nicht gen\u00fcgend k\u00fchl auf bewahrte Fr\u00f6sche verg\u00e4ngliche, schnell absterbende Muskeln liefern, w\u00e4hrend am S\u00e4ugethier sorgf\u00e4ltigere Bestimmungen in der S. 99 angef\u00fchrten Literatur \u00fcber das k\u00fcnstliche Kaltbl\u00fctigmachen existiren. So giebt Israel (a. a. 0.) an, dass er an so behandelten Thieren die directe Muskelerregbarkeit 6 \u2014 8 Stunden nach dem Tode andauern sah, w\u00e4hrend f\u00fcr gew\u00f6hnlich dieselbe nur etwa 2^2 Stunden erhalten bleibt.1 Uebrigens ist in manchen F\u00e4llen, besonders am Herzen, noch viel l\u00e4ngeres Ueber-leben beobachtet worden, und zwar ohne k\u00fcnstliche Mittel. Z. B. sah Panum2 rudiment\u00e4re Herzpulsationen beim Kaninchen bis 15V2 Stunden, Vulpian3 bei der Maus bis 46 1/2, ja beim Hunde bis 96 y2 Stunden nach dem Tode (bei kaltem feuchten Wetter).\nDie indirecte Muskelerregbarkeit schwindet stets betr\u00e4chtlich fr\u00fcher als die directe (bei k\u00fcnstlich kaltbl\u00fctig gemachten Kaninchen schon in 3\t3V2 Stunden, bei gew\u00f6hnlichen in 1 Stunde nach Israel;\nM. Bosenthal4 sah an menschlichen Leichen und amputirten Gliedern die directe Erregbarkeit in IV2 \u20143 Stunden, die indirecte viel fr\u00fcher verschwunden ; nach Erfahrungen an Hingerichteten erh\u00e4lt sich die indirecte Erregbarkeit (2\u2014IV2 Stunden.5 6 Weiter unten werden sich noch einige analoge Erfahrungen ergeben. Dem entsprechend schwindet auch die Erregbarkeit f\u00fcr kurzdauernde Str\u00f6me fr\u00fcher als die f\u00fcr Kettenstr\u00f6me (vgl. S. 97).\nBrown-S\u00e9q,uARD3 giebt folgende, wohl kaum sehr zuverl\u00e4ssige Tabelle f\u00fcr das Maximum der Ueberlebensdauer :\nMeerschweinchen\t8 Stunden\nKaninchen\t.\t.\t8 i/-2\t\u201e\nSchaf .\t.\t.\t.\t10^4\t\u201e\nHund .\t.\t.\t.IU/4\tn\nKatze .... 121 /2 \u201e\nNicht alle Muskeln des gleichen Thieres sterben gleich schnell\n. 1 Bach Bernard , Le\u00e7ons sur les effets des substances toxiques etc. p. 116 127. Paris 1857, macht auch langsamer Tod durch Sauerstoffmangel die Thiere wie kaltbl\u00fctig, so dass ihre Muskeln auffallend lange \u00fcberleben.\n*\t2 Panum, Bibi, for L\u00e4ger X. p. 46.1858. (Schmidt\u2019s Jahrb. C. S. 148.)\n3 Vulpian, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1858. p. 479, 515.\n. M- Bosenthal, Wiener med. Presse 1872, No, 18,19 ; Jahrb. d. Ges. d. Aerzte in Wien 1872. S. 389, wo auch viele Literatur angab en.\n5\tVgl. z. B. K\u00f6lliker, Ztschr. f. wissensch. Zool. III. S. 45.1851.\n6\tBrown-S\u00fcq\u00fcard, Journ. d. 1. physiol. 1858. p. 355.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128 Hermann, Allg. Muskelphysik. 5. Cap. Lebensbedingungen des Muskels.\nab. Nach du Bois-Reymond 1 halten sich z. B. von den Froschmuskeln Gastrocnemius und Triceps femoris 10 mal l\u00e4nger am Leben als Gracilis und Semimembranosus; da weder die Masse der letzteren wesentlich kleiner ist als die der ersteren, noch die bei der Pr\u00e4paration der letzteren unvermeidlichen Verletzungen beschuldigt werden k\u00f6nnen (denn absichtlich stark verletzte Gastrocnemien leben doch l\u00e4nger), so kann die Ursache nur an dem verschiedenen Bau und physiologischen Querschnitt (S. 61) der Muskeln liegen. Vgl. auch Cap. 6 \u00fcber die Reihefolge der Todtenstarre.\nII. Die Abh\u00e4ngigkeit der Erregbarkeit von Kreislauf und\nAtlmmng.\nDen eigentlichen Schl\u00fcssel f\u00fcr die Aufsuchung derjenigen Momente, welche die Erregbarkeit w\u00e4hrend des Lebens unterhalten, liefert der sog. Stenson\u2019scIic Versuch.1 2 3 Wird einem warmbl\u00fctigen Thiere die Aorta abdominalis unterbunden, so werden die Hinterbeine in kurzer Zeit gel\u00e4hmt; wird der Blutstrom vor v\u00f6lliger Erstarrung (s. unten) wieder zugelassen, so kehrt die Bewegungsf\u00e4higkeit in kurzer Zeit wieder. Auch an den Arterien einzelner Muskeln war schon vor Haller der Versuch mit gleichem Erfolge angestellt worden. An kaltbl\u00fctigen Thieren gelingt er nicht so gut. Die Muskeln derselben sind zwar von der Erhaltung des Kreislaufs durchaus nicht unabh\u00e4ngig, aber es bedarf zu langer Zeit, damit die Wirkungen der Unterbrechung deutlich hervortreten; K\u00fchne 3 sah trotzdem deutliche Resultate.\nWie beim ausgeschnittenen Muskel (s. oben), so schwindet auch beim circulationslosen die indirecte Erregbarkeit lange vor der direc-ten. Die Schnelligkeit der L\u00e4hmung erscheint durch unreines Versuchsverfahren (s. unten) h\u00e4ufig viel zu gross. W\u00e4hrend Longet4 schon nach 15 Min. die indirecte Erregbarkeit vermisste, verschwindet nach Stannius5 bei sorgf\u00e4ltiger Unterbindung die indirecte Erregbarkeit etwa nach 1, die directe erst nach 4\u20145 Stunden vollkommen. Schliesslich tritt die sp\u00e4ter zu besprechende Todtenstarre ein.\n1\tdu Bois-Reymond, a. a. 0. ; ferner ebendaselbst 1867. S. 610 und Arcb. f. Anat.\nu.Physiol. 1871. S. 604. (Ges. Abh, ILS. 329, 399.)\t_\n2\tHaller (Elementa pbysiologiae IV. p. 544) citirt als Quelle das Werk von Stenonius, Myolog. spec. p. 87; giebt aber an, dass Swammerdam, de respir. p. 62, schon vor Stenson den Versuch angestellt hat.\n3\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 761.\n4\tLonget, Compt. rend. XIII. p. 1066.1841.\n5\tStannius, Arch. f. physiol. Heilk. 1852. S. 1 ; vgl. auch K\u00fchne, Arch. t. Anat. d. Physiol. 1860. S. 477 ; Ranke, ebendaselbst 1863. S. 422.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit von Kreislauf und Athmung. STENSON\u2019scher Versuch. 129\nDem Sinken der Erregbarkeit geht wie beim ausgeschnittenen Muskel eine Steigerung voraus.1\nStatt die Bauchh\u00f6hle zu \u00f6ffnen, stellt man den STENSON\u2019schen Versuch h\u00e4ufig so an, dass man die Aorta durch die Bauchdecken hindurch mittels eines eisernen Compressoriums comprimirt.2 3 4 Dies Verfahren hat den Nachtheil, dass die Bauchdecken stark verzogen und gespannt und dadurch die Bewegungen der Hinterbeine behindert werden, so dass man \u00fcber den Eintritt der L\u00e4hmung nicht sicher genug urtheilen kann, du Bois-Reymond 3 hat ein Verfahren angegeben, um die Wirbels\u00e4ule zu umstechen und so ein starkes Band herumzuf\u00fchren, mit welchem man die Aorta gegen sie eomprimiren kann; die troicartartig in einer Scheide steckende halbkreisf\u00f6rmige Nadel wird w\u00e4hrend ihres Weges durch das Abdominallumen in die Scheide zur\u00fcckgezogen. Bei beiden Arten der Compression liegt aber die Gefahr nahe, dass die Wirbels\u00e4ule selbst, besonders bei jungen Thieren, deformirt und das Mark comprimirt wird. Schiffer 4 hat ferner darauf hingewiesen, dass die gew\u00f6hnliche Form des STENSON\u2019schen Versuches, bei\u2019der die L\u00e4hmung schon nach wenigen Minuten eintritt, ein unreines Experiment ist, da der schnelle Eintritt der L\u00e4hmung nicht vom Muskel sondern von der Circulationsunterbrechung im Lendenmark herr\u00fchrt. Will man nur die Muskeln l\u00e4hmen, so muss man die Aorta ganz unten an der Theilungsstelle, oder noch besser einzelne Muskelarterien verschliessen. Auch ist, wie Stannius (a. a. 0.) gezeigt hat, auf die Colla-teralen zu achten ; es ist daher gut, neben der Aorta auch beide Crurales zu unterbinden.\nEs kann nun die Frage entstehen, ob die An\u00e4mie oder die Cir-culationslosigkeit die eigentliche Ursache des Verlustes der Erregbarkeit ist. F\u00fcr die letztere Alternative entscheidet schon der Umstand, dass der STENSON\u2019sche Versuch auch gelingt, wenn man vor den Arterien die Venen unterbunden hat, so dass die Arterienligatur keine An\u00e4mie machen kann. Wahrscheinlich w\u00fcrde es auch gelingen durch blosse Venenunterbindung die Muskeln unerregbar zu machen, wenn wirklich alle Abfl\u00fcsse verschlossen werden ; die Schwierigkeit des letzteren Umstandes erkl\u00e4rt die negativen Resultate.5 Endlich unterliegt es keinem Zweifel, dass ein ausgeschnittener Muskel auch abstirbt, wenn seine Gef\u00e4sse prall mit Blut erf\u00fcllt sind.\n1\tVgl. Ludwig & A. Schmidt, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1868. S. 12; Schmulewitsch, Protok. d. russ. Naturforschervers. in Moskau 1876 (nach Hofmann & Schwalbe\u2019s Jahresber. pr. 1876. II. S. 21).\n2\tVgl. Sczelkow, Sitzungsber. d. Wiener Acad. XLV. S. 171 ; Ztschr. f. rat. Med. (3) XVII. S. 106. 1862.\n3\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat.\u2019 u. Physiol. 1860. S. 639.\n4\tSchiffer, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1869. S. 579, 593.\n5\tHaller (\u00c8lementa physiologiae IV. p. 546) f\u00fchrt an, dass Vieussens undPozzi (nachUnterbindung der Cava inf.) negative, dagegen Battie, Kaauw und Astruc positive Resultate erhalten haben. Longet (a. a. 0.) sah 26 Stunden nach Unterbindung der Cava noch keine Ver\u00e4nderung.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\n9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130 Hermann, Allg. Muskelphysik. 5. Cap. Lebensbedingungen des Muskels.\nImmerhin mag es f\u00fcr den Grad und die Dauer der Erregbarkeit eines Muskels nicht ganz gleichg\u00fcltig sein, ob er bei aufgehobener Circulation Blut enth\u00e4lt oder nicht. Von Erfahrungen, welche hierf\u00fcr sprechen, ist anzuf\u00fchren, dass manche Beobachter1 beim STENSON\u2019schen Versuch die Erregbarkeit sp\u00e4ter schwinden sahen, wenn ausser der Aorta auch die Vena cava verschlossen wurde, dass ferner Ettinger2 3 unter Leitung von Harless ausgeschnittene bluthaltige Froschmuskeln l\u00e4nger erregbar bleiben sah, als blutleere, obgleich letztere eine Zeit lang einen h\u00f6heren Grad von Erregbarkeit und gr\u00f6ssere Kraft besassen; Harless schreibt dies der Neutralisation der Milchs\u00e4ure durch das Blut zu, welche als best\u00e4ndiger Reiz die Erregbarkeit steigere. Auch J. Ranke 3 fand die Erregbarkeit bluthaltiger Muskeln dauerhafter als die blutleerer und Roeber4 sah die electromotorische Kraft des Muskelstroms in blutreichen (circu-lationslosen) Muskeln h\u00f6her als in blutarmen. Tiegel5 legt f\u00fcr reine Versuche an ausgeschnittenen Muskeln grossen Werth darauf, dass sie (durch Injection indifferenter Fl\u00fcssigkeit) von allen Blutresten befreit seien und scheint anzunehmen, dass seihst kleine Blutreste in chemischer Weise die Leistung des Muskels beeinflussen k\u00f6nnen, obgleich die wirklich greifbaren Unterschiede, die er gefunden hat, weit mehr auf den Einfluss der Circulation als auf den des Blutgehalts sich beziehen. Vom Einfluss des Blutreichthums im durchstr\u00f6mten Muskel wird sp\u00e4ter die Rede sein.\nWie der STENSON\u2019sche Versuch die Erregbarkeit des Muskels im lebenden Organismus durch Unterbrechung des Blutstroms vernichtet, so kann umgekehrt im ausgeschnittenen Muskel die Erregbarkeit ? durch arterielles Blut, besonders k\u00fcnstlichen Ersatz des Kreislaufs, wieder hergestellt oder von vornherein erhalten werden. Versuche der ersteren Art sind im Grunde zuerst von A. v. Humboldt6 und Kay7 8, neuerdings besonders von Brown-S\u00e9quard und Stannius angestellt worden, welche letzteren freilich meinten durch Injection von arteriellem Blute in die Gef\u00e4sse todte und starre Muskeln wieder belebt zu haben, in Wirklichkeit aber, wie im folgenden Capitel gezeigt wird, nur die fast* erloschene j Erregbarkeit wieder auffrischten und erhielten. Einen wirklichen k\u00fcnstlichen Kreislauf aber stellten zuerst Ludwig & A. Schmidt 8 her, indem sie durch den Biceps femoris und Semitendinosus des Hundes\n1\tVgl. du Bois-Reymond, a. a. 0.\n2\tEttinger, Relationen zwischen Blut und Erregbarkeit der Muskeln. N\u00fcrnberg 1860. (Nach Meissner\u2019s Jahresber. pr. 1859. S. 472.) Vgl. auch Harless, Sitzungs-ber. d. bayr. Acad. 1860. S. 93.\n3\tRanke, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 422.\n4\tRoeber, ebendaselbst 1869. S. 231.\n5\tTiegel, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1875. S. 95,116,127.\n6\tA. v. Humboldt, Versuche \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser II. S. 263. Posen u. Berlin 1797.\n7\tJ. P. Kay, Journ. d. progr\u00e8s d. sc. et instit. m\u00e9d. X. u. XI. 1828; Treatise on asphyxia. 1834.\n8\tLudwig & A. Schmidt, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1868. S. 12.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss des Blutgehalts. K\u00fcnstliche Durchstr\u00f6mung. Athmung des Muskels. 131\ndefibrinirtes arterielles Blut des gleichen Thieres unter Quecksilberdruck (40\u201460 mm.) hindurchtrieben und das ven\u00f6s gewordene stets wieder arterialisirten. Es gelang ihnen die Erregbarkeit bis 20 Stunden nach dem Tode zu erhalten; die Kraft der Muskeln war jedoch nur gering.\nNach Brown* S\u00e9quard 1 erh\u00e4lt sich die F\u00e4higkeit durch arterielles Blut wieder erregbar zu werden um so l\u00e4nger nach dem Verlust der (vermeintlich) letzten Spur von Erregbarkeit; je l\u00e4nger letztere nach dem Tode persistirte (vgl. die Tabelle oben S. 127). Es konnten wiederhergestellt werden die Muskeln von\nTaube \t\t1 Stunde nach\t\tAufh\u00f6ren\td.\tErr\nJunges Kaninchen .\t.\tl1 2 3/4 Stunden\tn\tT)\tn\tT)\nMeerschweinchen .\t2'\tn\tT)\tn\tn\nErwachsenes Kaninchen\t2V2\t\u00bb\tn\tT>\tn\tn\nFrosch\t\t3V4\t\u00bb\tn\tn\tn\tV)\nMensph\t\t3\u20144\t\u201e\tn\tT)\tn\tn\nKatze\t\t3V2\t\u201e\tr>\tn\tn\tV)\nHund\t\t6\tn\t\u00bb\tn\tn\nEs unterliegt also keinem Zweifel, dass das Absterben ausgeschnittener Muskeln lediglich der Aufhebung des Kreislaufs zuzuschreiben ist.\nDer erhaltende Einfluss des Kreislaufs k\u00f6nnte nun entweder in der Erw\u00e4rmung, oder in der Zu- und Abfuhr gewisser Stoffe begr\u00fcndet sein. Die erstere M\u00f6glichkeit erledigt sich sofort dadurch, dass es nicht gelingt ausgeschnittene oder Leichenmuskeln durch blosses Warmhalten erregbar zu erhalten (im Gegentheil wird dadurch das Absterben beschleunigt (s. oben S. 126), dass ferner Ludwig & Schmidt bei ihren Durchstr\u00f6mungsversuchen Blut von gew\u00f6hnlicher Temperatur ebenso wirksam fanden, als solches von 35\u00b0 \u2014 40\u00b0 C.\nWelche Stoffe sind es nun, deren Zu- oder Abfuhr der Muskel nicht entbehren kann, um erregbar zu bleiben?\nBei Weitem das Hauptmoment in der conservirenden Rolle des Kreislaufes bildet die durch ihn vermittelte Athmung des Muskels. Die vollst\u00e4ndige Darstellung derselben auf den Abschnitt \u00fcber den Stoffwechsel der Muskeln verweisend, wollen wir hier nur ihren Zusammenhang mit der Erregbarkeit er\u00f6rtern.\nA. v. Humboldt 2 und Creve (cit. von Humboldt, a, a. 0.) beobachteten zuerst, dass ausgeschnittene Froschmuskeln in Sauerstoffgas l\u00e4nger erregbar bleiben, als in Luft, Wasserstoff oder Kohlens\u00e4ure, und dass die Unterschiede namentlich in der W\u00e4rme stark\n1\tBrown-S\u00fcquard, Journ. d. 1. physiol. 1858. p. 360.\n2\tA. v. Humboldt , Versuche \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser II.\nS. 282. 1797.\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132 Hermann, Allg. Muskelphysik. 5. Cap. Lebensbedingungen des Muskels.\nhervortreten. G-. Liebig1 best\u00e4tigte sp\u00e4ter diese Angabe mit der Einschr\u00e4nkung, dass die l\u00e4ngere Erregbarkeit in Sauerstoff, im Vergleich mit Luft, nur bei bluthaltigen Muskeln hervortritt. Da Liebig gleichzeitig im ausgeschnittenen entbluteten Muskel eine respiratorische Wechselwirkung mit der Atmosph\u00e4re feststellte, lag der Schluss nahe, dass diese letztere f\u00fcr die Erhaltung der Erregbarkeit von Bedeutung sei.\nSp\u00e4ter fand ich2, dass der Einfluss des Sauerstoffs auf den ausgeschnittenen Froschmuskel bedeutend \u00fcbersch\u00e4tzt worden war. Nicht allein zeigte sich derselbe vermeintlich respiratorische Gaswechsel auch an todtenstarren und noch mehr an faulenden Muskeln, sondern es zeigte sich auch, dass in wirklich reinen indifferenten Gasen (Kohlens\u00e4ure z\u00e4hlt nicht zu diesen, vgl. S. 105,123) und besonders im Vacuum, der Muskel ebenso lange, unter Umst\u00e4nden sogar l\u00e4nger erregbar bleibt als an der Luft. Der ausgeschnittene Muskel ist n\u00e4mlich einer physiologischen Wechselwirkung mit der Atmosph\u00e4re, welche nur durch die Oberfl\u00e4che vermittelt werden kann, nur in sehr geringem, kaum nachweisbarem Grade f\u00e4hig, w\u00e4hrend die Ber\u00fchrung der Luft mit der Oberfl\u00e4che an derselben zerst\u00f6rende, mit Gaswechsel verbundene3 Wirkungen \u00e4ussert, deren erregbarkeitssch\u00e4digender Einfluss den geringen erhaltenden Einfluss des Sauerstoffs besonders bei ? d\u00fcnnen Muskeln \u00fcbercompensiren kann.\nGanz anders ist es bei der nat\u00fcrlichen Circulation. Hier findet zwischen dem das Innere des Muskels \u00fcberall ber\u00fchrenden Blute und der Muskelsubstanz ein lebhafter respiratorischer Gasaustausch statt, dessen Gesetze Ludwig mit Sczelkow und A. Schmidt (a. aa. Oo.) untersucht hat, und hier l\u00e4sst sich auch mit Sicherheit der erregbarkeitserhaltende Einfluss des Sauerstoffs constatiren. Die Durchleitung sauerstofffreien Blutes in den obigen Versuchen liess demMuskel j ebenso schnell absterben, als wenn gar keine k\u00fcnstliche Durchstr\u00f6mung stattfand. Dass ven\u00f6ses Blut die Erregbarkeit der Muskeln nicht wie arterielles unterh\u00e4lt, hat schon Bichat4 gefunden.\nHiermit ist bewiesen, dass das Wesentliche beim STENSON\u2019schen t Versuch und beim Absterben des ausgeschnittenen Muskels die Unterbrechung des respiratorischen Gaswechsels ist, und es kann sich nur noch fragen, welchen Antheil die Sauerstoffzufuhr\n1\tG. Liebig, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1850. S. 393.\n2\tHermann, Untersuchungen \u00fcber den Stoffwechsel der Muskeln, ausgehend vom Gaswechsel derselben S. 28, 43. Berlin 1867.\n3\tDieser Zehrungsgaswechsel wurde sp\u00e4ter auch von Ludwig & Schmidt bei k\u00fcnstlicher Durchstr\u00f6mung todter Muskeln best\u00e4tigt.\n4\tBichat, Anatomie g\u00e9n\u00e9rale. Uebers. von Pfafe. II. 1. S. 226. Leipzig 1803.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss der Athmung auf die Erregbarkeit.\n133\nund welchen die Kohlens\u00e4ureabfuhr habe. Versuche, in welchen diese beiden Acte getrennt wurden, existiren f\u00fcr die Blutdurchstr\u00f6mung noch nicht. Nach den Erfahrungen an Froschmuskeln in Kohlens\u00e4ure, in indifferenten Gasen und im Vacuum muss man sehliessen, dass die Kohlens\u00e4ure einen direct sch\u00e4digenden Einfluss hat, so dass eine ihrer best\u00e4ndigen Production entsprechende best\u00e4ndige Entfernung unentbehrlich ist. Ganz anders verh\u00e4lt es sich mit der Sauerstoffzufuhr, die zur Integrit\u00e4t des Muskels auf die Dauer nicht entbehrt werden kann. Es ist kaum zweifelhaft, dass auch andere vom Blute zugef\u00fchrte N\u00e4hrstoffe eine \u00e4hnliche Bolle spielen; wie auch umgekehrt die Abfuhr anderer Producte des Muskels, neben der der Kohlens\u00e4ure, f\u00fcr die Erhaltung der Erregbarkeit von N\u00f6then ist; aber experimentell ist hier\u00fcber noch nichts festgestellt; hierzu w\u00e4ren Durchstr\u00f6mungsversuche mit Blut, dem gewisse Stoffe entzogen sind, oder das mit gewissen Stoffen \u00fcberladen ist, erforderlich.1\nDas wesentliche Kesultat des Vorstehenden l\u00e4sst sich also in die Worte zusammenfassen: Der Muskel kann, um erregbar zu bleiben, die Zufuhr von Sauerstoff (und zwar zu allen Theilen seines Innern) nur eine gewisse Zeit lang entbehren; diese Zeit ist bei Kaltbl\u00fctern und k\u00fcnstlich kaltbl\u00fctig gemachten Thieren, ferner in niederer Temperatur, l\u00e4nger, f\u00fcr die Muskelsubstanz selbst l\u00e4nger als f\u00fcr die in-tramuscul\u00e4ren Nervenenden oder wenigstens f\u00fcr die Uebertragung der Erregung von ihnen auf die Muskelsubstanz. Die Erregbarkeit wird, wenn die genannte Bedingung aufgehoben ist, nicht unmittelbar vermindert, sondern zun\u00e4chst erh\u00f6ht; die letztere Thatsache ist viel unerkl\u00e4rlicher als die ersteren.\nIII. Pie Regiilirung der Zufuhr arteriellen Blutes.\nLudwig & Sczelkow (a. a. 0.) machten im Jahre 1861 die wichtige Entdeckung, dass die Gef\u00e4sse des Muskels bei der Contraction sich erweitern, so dass das Blut mit erh\u00f6hter Geschwindigkeit hin-durchfliesst.2 Eine \u00e4hnliche mit der Erregung verbundene Strombeschleunigung war kurz vorher von Bernard an mehreren Dr\u00fcsen entdeckt worden. Die regulatorische Bedeutung dieser Einrichtung liegt auf der Hand ; die Anstrengung ist f\u00fcr den Muskel mit der dop-\n1\tNur am Herzen sind neuerdings eine Reihe einschl\u00e4giger Untersuchungen angestellt worden, die aber nicht reine Muskel Wirkungen betreffen (vgl. BandIV.).\n2\tSchon 1795 hatte Brandis (Versuch \u00fcber die Lebenskraft S. 125. Hannover 1795) einen Blutandrang zu den bewegten Muskeln vermuthet; Becquerel & Bre-schet, Edwards, Ziemssen u. A. hatten im gleichen Sinne die Temperaturerh\u00f6hung contrahirter Muskeln gedeutet (vgl. d. 7. Capitel).","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134 Hermann, Allg. Muskelphysik. 5. Cap. Lebensbedingungen des Muskels.\npelten Gefahr verbunden, an Stoffen, die er bei der Contraction verbraucht (besonders an Sauerstoff), Mangel zu leiden, und mit anderen, welche die Contraction liefert (z. B. Kohlens\u00e4ure) \u00fcberladen zu werden. Die Str\u00f6mungsbeschleunigung vermindert oder beseitigt beide Gefahren. Dass ferner das zugef\u00fchrte Blut, trotz der Ver\u00e4nderungen, die es im Muskel erleidet, best\u00e4ndig normale Beschaffenheit wiedergewinnt, namentlich stets arteriell bleibt, ist durch die regulatorischen Einrichtungen andrer Organe, besonders des Athmungsapparates, gesichert.\nLudwig verfolgte mit seinen Sch\u00fclern Sadler 1, Genersich2, Hafiz3 und Gaskell4, letzterer sp\u00e4ter auch selbstst\u00e4ndig am Frosche, die genannte Arteriendilatation weiter. Sie beruht auf einer gleichzeitig mit der der motorischen Nerven erfolgenden Erregung besonderer gef\u00e4sserweiternder Fasern, welche neben gef\u00e4ssverengenden dem Nervenstamm des Muskels beigemischt sind; beide Fasergattungen, von denen die verengende die schw\u00e4cher entwickelte oder weniger wirksame scheint, stammen aus dem B\u00fcckenmark. Die Versuche, welche wesentlich auf Messung der aus der Vene ausfliessenden Blutmengen beruhen (am Frosche sah jedoch Gaskell die Dilatation auch unter dem Microscop und zwar auch ohne Kreislauf), werden dadurch complicirt, dass die Erregung der gef\u00e4sserweiternden Fasern eine betr\u00e4chtliche Nachwirkung hat, dass ferner im nicht curarisirten Muskel die Contraction eine mechanische Einwirkung auf gewisse Gef\u00e4ssabschnitte aus\u00fcbt, so dass ausser der erh\u00f6hten Str\u00f6mungsgeschwindigkeit w\u00e4hrend und nach der Reizung noch beobachtet wird : im Beginn des Tetanus eine kurze mechanische Auspressung von Blut, und am Schluss ein vor\u00fcbergehendes Minus von Ausfluss, in Folge der Freigebung comprimirter Lumina, die nun zu ihrer F\u00fcllung einen Theil des Blutes beanspruchen. Andre Schwierigkeiten ergeben sich, wie in allen Versuchen \u00fcber gef\u00e4sserweiternde Nerven, aus der stets gleichzeitigen Reizung der beiden antagonistischen Fasergattungen. Die auspressende, also verengende Wirkung der Contraction betrifft ohne Zweifel solche Gef\u00e4ssgebiete, deren Weite f\u00fcr den Widerstand der Str\u00f6mung ohne merklichen Einfluss sind; sonst w\u00e4re die vorherrschende Beschleunigung unerkl\u00e4rlich. Das Detail der Versuche geh\u00f6rt in die Physiologie des Gef\u00e4sssystems.\n1\tSadler, Ber. d. sacks. Acad. 1869. S. 189.\n2\tGenersich, ebendaselbst 1870. S. 142.\n3\tHafiz, ebendaselbst 1870. S. 215.\n4\tGaskell, ebendaselbst 1876. S. 45; Centralbl. f. d. med. Wiss. 1876. S. 557; Studies of the physiol, labor. Cambridge III. p. 132. 1877 (auch Journ. of anat. and physiol. XI.); Journ. of physiol. I. p. 108, 262. 1878.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Regulirung des Blutstroms im Muskel. Einfluss der Nerven.\t135\nW\u00e4hrend bei den Reizungen der Muskelnerven stets erweiternde und verengende Gef\u00e4ssnerven zusammen gereizt werden, ist der Vorgang bei der nat\u00fcrlichen Muskelerregung m\u00f6glicherweise ein ganz anderer. Ueberhaupt ist \u00fcber den centralen Nervenmechanismus, durch welchen sich die Gef\u00e4sserweiterung mit der Muskelerregung vergesellschaftet, noch nichts ermittelt.\nAuch directe Muskelreizung \u00fcbt, wie Tiegel1 an curarisirten Fr\u00f6schen gefunden hat, einen grossen Einfluss auf den Zustand der Muskelgef\u00e4sse aus, und modificirt dadurch wesentlich die oben S. 116 besprochenen Erm\u00fcdungserscheinungen. Solche Muskeln r\u00f6then sich in Folge der Reizungen immer mehr, bis zur Extravasatbildung, gleichzeitig wachsen die Hubh\u00f6hen sowohl bei maximalen wie bei untermaximalen Reizen weit \u00fcber ihren urspr\u00fcnglichen Betrag, um dann langsam abzunehmen. Bei minimalen Reizen tritt weder Gef\u00e4sserweiterung hoch Wachsthum der Zuckungen ein. In diesen Thatsachen liegt ein Beweis, dass nicht allein die Blutzufuhr an sich, sondern auch die Gef\u00e4sserweiterung ein wesentliches Moment f\u00fcr Steigerung der Leistungen und Hemmung der Erm\u00fcdung in sich tr\u00e4gt.\nGelegentlich der Durchstr\u00f6mungsversuche von Ludwig & Schmidt, sowie bei den citirten Untersuchungen von Sadler, Hafiz, Genersich u. A. zeigte sich noch die Wirksamkeit eines Momentes, welches durch sp\u00e4tere Untersuchungen von Mosso, S. Mayer, Luchsinger u. A. als allgemeiner g\u00fcltig erkannt worden ist (vgl. Band IV.), n\u00e4mlich der directe Einfluss dyspnoischer Zust\u00e4nde auf die Gef\u00e4sse. Der Widerstand, welchen die Muskelgef\u00e4sse dem einstr\u00f6menden Blute entgegensetzen, ist nicht allein vom Erregungszust\u00e4nde der Nerven, sondern auch von der Beschaffenheit des Blutes abh\u00e4ngig; ven\u00f6ses Blut findet viel gr\u00f6sseren Widerstand als arterielles und erst im todten Muskel schwinden diese und eine Anzahl anderer, gelegentlich auftretender Widerstandsschwankungen.\nIV. Einfluss des Nervensystems, sowie des Gebrauchs und\nNichtgebrauclis.\nEine genetische Abh\u00e4ngigkeit der Muskeln vom Nervensystem wird eindringlich durch die Thatsache bewiesen, dass bei Defect gewisser Theile des Centralnervensystems auch die von ihnen abh\u00e4ngigen Nerven und animalischen Muskeln vollst\u00e4ndig fehlen.2 Trotzdem bewahren die Muskeln nach experimenteller oder pathologischer Trennung von den Centralorganen noch lange Zeit ihre Erregbarkeit, und zwar auch dann noch, wenn das mit ihnen verbundene Nervenst\u00fcck vollst\u00e4ndig degenerirt ist (vgl. hier\u00fcber den II. Band). Diese durch\n1\tTiegel, Ber. d. sacks. Acad. 1875. S. 81.\n2\tYgl. E. H. Weber, Arck. f. Anat. u. Pkysiol. 1851. S. 547.","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136 Hermann, Allg. Muskelphysik. 5. Cap. Lebensbedingungen des Muskels.\nzahlreiche Untersuchungen1 festgestellte Erfahrung spielte, wie oben S. 81 erw\u00e4hnt, eine gewisse Rolle in der Frage der directen Muskelirritabilit\u00e4t. Obgleich nun die letztere l\u00e4ngst nicht mehr zweifelhaft ist, muss eine analoge weitere Frage aufgeworfen werden, n\u00e4mlich ob die Muskeln die Entneiwung auf die Dauer ohne Schaden ertragen k\u00f6nnen, oder ob ein continuirlicher erhaltender Einfluss des Nervensystems existirt, etwa vergleichbar demjenigen welchen die Centra auf die Nerven selbst aus\u00fcben.\nZun\u00e4chst ist, bei erhaltener Verbindung mit dem Centrum, ein Einfluss der selteneren oder h\u00e4ufigeren Inanspruchnahme der Muskeln auf die Beschaffenheit derselben durch allt\u00e4gliche Erfahrungen erwiesen. Wenig gebrauchte Muskeln nehmen an Volumen und Kraft ab, stark gebrauchte zu. Je nach der vorwiegenden Besch\u00e4ftigung sind gewisse Muskelgruppen stark, andere schwach entwickelt, die Armmuskeln \u00fcberwiegen beim Schmiede, die Beinmuskeln beim T\u00e4nzer. Die allgemeine Muskelschw\u00e4che des Stubengelehrten k\u00f6nnte vielleicht, statt aus mangelnder Uebung, aus einem nachtheiligen Einfluss der Lebensweise auf den allgemeinen Ern\u00e4hrungszustand abgeleitet werden, aber die vorhergehenden Beispiele lehren, dass wirklich die H\u00e4ufigkeit und Energie der Contractionen die Beschaffenheit des Muskels m\u00e4chtig beeinflusst, und dies wird durch die Wirkung systematischer Muskel\u00fcbungen (Turnen und \u201e Trainiren \u201c) best\u00e4tigt. Eine ausreichende Erkl\u00e4rung dieses Einflusses fehlt; am n\u00e4chsten liegt die Annahme, dass die mit den Contractionen verbundene periodische Hyper\u00e4mie, sowie die mechanische Einwirkung der Dehnungen die Mittelglieder bilden.\nDie Abtrennung vom Centrum durch Durchschneidung oder sonstige L\u00e4sion des Nerven muss hiernach schon wegen des Wegfalls der Contractionen den Muskel allm\u00e4hlich schw\u00e4cher und d\u00fcnner machen; indessen k\u00f6nnten die centralen Contractionen durch k\u00fcnstliche Reizungen (Electrotherapie) ersetzt werden. Allein in allen F\u00e4llen unterliegt auch dann der entnervte Muskel mit der Zeit tieferen Ver\u00e4nderungen, die mit vollst\u00e4ndigem Verluste der Erregbarkeit und der normalen Structur endigen2 ; ein degenerativer Process\n1\tDie Literatur s. oben S. 82.\n2\tDie Abmagerung gel\u00e4hmter Glieder ist schon seit Jahrhunderten bekannt. Die Unerregbarkeit von Muskeln, deren Nerven vor langer Zeit durchschnitten sind, scheint zuerst von Fowler 1796 erw\u00e4hnt zu sein; vgl. Monro & Fowler, Abhandlung \u00fcber thierische Electricit\u00e4t und ihren Einfluss auf das Nervensystem (anonyme Ueber-setzung) S. 137. Leipzig 1796; Valentin, De functionibus nervorum cerebralium, etc. p. 124. Bern u. St. Gallen 1839 ; Valentin wird inM\u00fcLLER\u2019s Physiologie als Entdecker der degenerativen Faserver\u00e4nderung angef\u00fchrt ; vgl. ferner Reid, Edinb. monthl. j ourn. of med. sc. 1841.1. p. 320 ; letzterer lehrte zuerst die Entartung durch k\u00fcnstliche Reizung zu verz\u00f6gern.","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Gebr\u00e4ucli und Nichtgebrauch. Degeneration durch Entnervung.\t137\ntritt ein, das Volumen des Muskels nimmt ab und der Muskel verwandelt sich schliesslich in einen d\u00fcnnen bindegewebigen Strang (Atrophie); ja es scheint sogar, dass die Degeneration, welche in der zweiten Woche microscopisch erkennbar wird, einen streng typischen Verlauf einh\u00e4lt, der durch k\u00fcnstliche Erregungen kaum beeinflusst wird. Die Degeneration durch Entnervung ist also ein v\u00f6llig anderer Process als die Abnahme durch mangelnde Uebung.1\nPhysiologische Ver\u00e4nderungen im gel\u00e4hmten Muskel sind schon etwa eine Woche vor den morphologischen nachweisbar; schon gegen den dritten oder vierten Tag n\u00e4mlich zeigt sich herabgesetzte Erregbarkeit f\u00fcr alle directen und indirecten2 Reize, sp\u00e4ter erh\u00f6ht sich die Erregbarkeit f\u00fcr direct applicirte Schwankungen constanter Str\u00f6me, selbst \u00fcber die Norm, neben der bereits oben S. 95 f. besprochenen relativen Unempf\u00e4nglichkeit f\u00fcr kurzdauernde und Inductionsstr\u00f6me3, ferner eine erh\u00f6hte Empfindlichkeit f\u00fcr directe mechanische Reizung, welche.an Thieren schon allgemein von Engelhardt4, Brown-S\u00e9quard5 u. A., am Menschen zuerst gleichzeitig von Erb6 und Hitzig7 bemerkt worden ist.8 Endlich sinkt die Erregbarkeit wieder und schwindet definitiv. Das Maximum der erh\u00f6hten Erregbarkeit f\u00e4llt etwa in die 7. Woche, der vollst\u00e4ndige Verlust tritt erst nach 6\u20147 Monaten ein.\nAusser den Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit sind auch Erregungserscheinungen an Muskeln deren Nerven durchschnitten\n1\tBez\u00fcglich der Anatomie der Muskeldegeneration muss auf die pathologische Literatur verwiesen werden; eine Uebersicht giebt Erb, v. Ziemssen\u2019s Handb. d. Pathologie XII. 1. S. 378. 1874.\n2\tDie indirecte Erregbarkeit soll nach Einigen anfangs zunehmen; Ziemssen & Weiss (Deutsch. Arch. f. klin. Med. IY. S. 579. 1868) fanden jedoch am Kaninchen, dass dies nur auf zunehmender Leitungsf\u00e4higkeit der Haut beruht.\n3\tEtwas abweichend von den deutschen Angaben \u00fcber diese Puncte sind die Angaben von Yulpian, Arch. d. physiol, norm, etpathol. II. p. 558. 1869; IY. p. 215,380, 639, 743. 1871\u201472.\n4\tEngelhardt, De vita musculorum p. 41. Bonn 1841.\n5\tBrown-S\u00fcquard, Journ. d. 1. physiol. 1859. p. 77.\n6\tErb, Yerh. d. naturh.-med. Yer. zu Heidelberg IY. S. 116.1867 ; Deutsch. Arch, f. klin., Med. IY. S. 242.1868.\n7\tHitzig, Arch. f. path. Anat. XLI. S. 301.1867.\n8\tErb fand in diesem Stadium auch verlangsamten Yerlauf der Zuckung, und ferner Abweichungen vom Zuckungsgesetz, indem die Anode bei der Schliessung und die Cathode bei der Oeffnung erregende Wirkungen gewinnen und die Anodenwirkung die der Cathode \u00fcbertrifft. Es ist daran zu denken, dass, wenn der Faserinhalt kein Continuum mehr bildet, sondern durch ver\u00e4nderte unerregbare Partien getrennt ist, in den disseminirten erregbaren Theilen Anode und Cathode stets unmittelbar zusammenliegen, also das Zuckungsgesetz sich nicht mehr ordentlich geltend machen kann, etwa wie in normalen Muskeln bei querer Durchstr\u00f6mung. Ziemssen & Weiss (a. a. O.) geben freilich an, dass die Wirkung der Pole sich geradezu um kehre, wof\u00fcr eine Erkl\u00e4rung vor der Hand nicht gegeben werden k\u00f6nnte. Yulpian (a. a. 0. IY. p. 258, 652) konnte diese Angaben nicht best\u00e4tigen. Die Yerlangsamung der Zuckung ist eine Ann\u00e4herung an den Erm\u00fcdungszustand und an niedere Muskelformen.","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138 Hermann, Allg. Muskelphysik. 5. Cap. Lebensbedingungen des Muskels.\nworden, beobachtet, haben aber bisher auffallend wenig Beachtung gefunden. Schiff1 beschrieb zuerst best\u00e4ndige undulirende Bewegungen oder fibrill\u00e4re Zuckungen, die man namentlich sch\u00f6n an der Zunge nach Hypoglossus- und an den Barthaaren nach Facialis-Durchschneidung beobachten kann. Sie beginnen schon am dritten, nach Bidder2 erst am achten bis zehnten Tage3 nach der Durchschneidung, und halten sehr lange, oft Monate hindurch an. Eine analoge pathologische Beobachtung an paralytischen Muskeln scheint zu fehlen. Ob diese merkw\u00fcrdige Erscheinung von den degeneriren-den Nerven ausgeht (wie Bidder vermuthet, w\u00e4hrend Schiff dagegen die lange Dauer der Erscheinung 'geltend macht) oder auf der abnorm erh\u00f6hten Erregbarkeit der degenerirenden Muskeln beruht (s. oben), welche dann vielleicht durch die Circulation gereizt werden, k\u00f6nnen erst weitere Untersuchungen entscheiden.4 Es ist schwer hierbei nicht an die von Bernard entdeckte paralytische permanente Secretion der Submaxillardr\u00fcse nach Durchschneidung der Chorda zu denken. Ueber das Verhalten der paralytischen Undulationen bei Nervenreizungen s. den II. Band dieses Handbuchs, Cap. 3.\nEin best\u00e4ndiger erhaltender Einfluss des Nervensystems auf die Muskeln ist durch diese Thatsachen erwiesen, so viel auch noch zu ihrem Verst\u00e4ndniss fehlt. Noch eine hierhergeh\u00f6rige neuere Beobachtung ist endlich zu erw\u00e4hnen. Wie im 8. Capitel n\u00e4her er\u00f6rtert wird, sah Engelmann5 an subcutan durchschnittenen Muskeln den Strom des k\u00fcnstlichen Querschnitts allm\u00e4hlich wieder verschwinden; zu diesem rep aratorisch en Vorgang ist aber nicht; allein Erhaltung der Circulation, sondern auch Integrit\u00e4t der nerv\u00f6sen Verbindung mit dem Centralorgan Bedingung.\nNach den Beobachtungen von Longet (s. die Citate oben S. 82) schien es, als ob die eigentlichen motorischen Fasern keine Bedeutung f\u00fcr die Erhaltung des Muskels haben; er gab n\u00e4mlich an, dass nur die Durchschneidung gemischter Nerven, wie des Ischiadicus, Unerregbarkeit und Entartung der Muskeln nach sich ziehe, w\u00e4hrend die Durchschneidung des rein motorischen Facialis die Muskeln mindestens 3 Mo-\n1\tSchief, Lehrbuch der Muskel- und Nervenphysiologie S. 177. Lahr 1858\u201459; Molesch. Unters. X. S. 82.1865 ; R. Accad. dei Lincei. ser. 3.1. Sep.-Abdr. 1877.\n2\tBidder, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1865. S. 249.\n3\tNach Versuchen, welche die Herren Bleuler & Lehmann unter meinen Augen angestellt haben, ist f\u00fcr die Zunge des Kaninchens und des Hundes kein Zweifel \u00fcber den Eintritt der Undulationen schon am 3. Tage.\n4\tFolgende Resultate der Arbeit von Bleuler & Lehmann m\u00f6gen hier noch Platz finden : Die Undulationen dauern auch nach Unterbindung der Arterie und an der ausgeschnittenen Zunge noch fort. Curarisirung ist ebenfalls ohne Einfluss. Der Einfluss galvanischer Durchstr\u00f6mung ist noch nicht sicher \u00fcbersehbar.\n5\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 328.1877.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Paralytische Undulationen. Einfluss der Ern\u00e4hrung.\t139\nnate, ja nach Brown-S\u00e9quard 1 \u00fcber 21 Monate, also f\u00fcr immer erregbar lasse. Es schien hiernach, dass die Erregbarkeit des Muskels nicht von der motorischen L\u00e4hmung, sondern von dem Wegfalle anderer, etwa tro-phischer Nerven, welche nicht im Facialis verlaufen, abh\u00e4nge. Indess diese Differenz muss nach den zahlreichen neueren Beobachtungen bei Facialisl\u00e4hmungen des Menschen1 2 als beseitigt betrachtet werden; denn diese L\u00e4hmungen sind meist rein peripherischer Natur (Compression des Nerven im Verlaufe durch das Felsenbein), treffen also nur motorische Fasern. Es bedarf noch immer der Aufkl\u00e4rung, ob jene LoNOET\u2019schen Angaben lediglich auf T\u00e4uschung beruhen.\nV. Einfluss des allgemeinen Ern\u00e4hrungszustandes.\nDie allgemeine Erfahrung, dass gut gen\u00e4hrte Menschen und Thiere kr\u00e4ftiger sind als schlecht gen\u00e4hrte, berechtigt noch keinesweges zu dem Schl\u00fcsse, dass die absolute Kraft oder die Erregbarkeit vom Ern\u00e4hrungszust\u00e4nde abh\u00e4nge, da die Dimensionen der Muskelquerschnitte schon zur Erkl\u00e4rung jener Erfahrung hinreichen. Erst wenn die Methoden zur Messung der (auf die Querschnittseinheit bezogenen) absoluten Kraft am Menschen besser ausgebildet sein werden, wird sich hier\u00fcber ein Urtheil gewinnen lassen. Wahrscheinlich ist es freilich, dass der Ern\u00e4hrungszustand auch die Eigenschaften der Muskelsubstanz an sich wesentlich beeinflusst. Ich finde z. B. die absolute Kraft der Winterfr\u00f6sche betr\u00e4chtlich kleiner als die frisch eingefangener Sommerfr\u00f6sche. Eine grosse Anzahl hierher geh\u00f6riger Fragen, die zum Theil auch practische Wi\u00e7htigkeit haben, ist noch gar nicht in Angriff genommen, z. B. der Einfluss der Kostarten, der Temperaturen, des Klima\u2019s, des Geschlechts, der Race etc. auf die Beschaffenheit der Muskeln.3 Erw\u00e4hnt mag werden, dass Marm\u00e9 & Moleschott4 bei im Dunkeln aufbewahrten Fr\u00f6schen Erregbarkeit und Muskelstrom geringer fanden als bei belichteten; indess beruht dieses Resultat auf geringf\u00fcgigen Unterschieden der Mittelzahlen.\n1\tBbown-S\u00e9quard, Compt. rend. d. 1. soc. d. biologie 1851. p. 102.\n2\tDuchenne war der Erste, welcher die fr\u00fchzeitigen Erregbarkeits\u00e4nderungen gel\u00e4hmter Gesichtsmuskeln feststellte; Trait\u00e9 de l\u2019\u00e9lectrisation localis\u00e9e. Paris 1855 (2. \u00e9d. 1861. p. 242, 669).\n3\tDa zahlreiche Eigenschaften der Muskeln, besonders Erregbarkeit, Kraft, Muskelstromkraft bei k\u00fcnstlichem Querschnitt, stets gleichen Schritt zu halten scheinen, so k\u00f6nnte irgend eine, besonders leicht der Messung zug\u00e4ngliche dieser Gr\u00f6ssen f\u00fcr die genannten Fragen als n\u00e4chstes Object dienen.\n4\tMarm\u00e9 & Moleschott, Molesch. Unters. I. S. 15* 1856.","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nHermann, Allg. Muskelphysik. 6. Cap. Todtenstarre.\nSECHSTES CAPITEL.\nDie Todtenstarre.\nI. Die Erscheinungen der Todtenstarre an der Leiche.1\nDie Leichen s\u00e4mmtlicher mit Gliedmassen versehenen Thiere gerathen einige Zeit nach dem Tode in einen steifen Zustand, in welchem passive Bewegungen der Gliedmassen erheblichen Widerstand finden. Dieser Zustand, welcher Leichenstarre, Todtenstarre, Rigor mortis genannt wird, beginnt beim Menschen nach Sommer2 fr\u00fchestens 10 Minuten und sp\u00e4testens 7 Stunden nach dem Tode; jedoch sah sie Nystex3 bei muskelstarken Personen nach gewaltsamer Todesart erst in 16\u2014IS Stunden eintreten und andererseits f\u00fchrt Sommer selbst einen Fall von rheumatischem Tetanus an, in dem der Tetanus unmittelbar in Todtenstarre \u00fcberging. Die Starre beginnt, wie Nystex zuerst bemerkte und Sommer durch zahlreiche Beobachtungen best\u00e4tigte, meist am Unterkiefer und Nacken, etwas sp\u00e4ter in den oberen Gliedmassen, in denen sie von oben nach unten vorr\u00fcckt, zuletzt ebenso an den unteren Gliedmassen. Die Todtenstarre dauert mehrere Tage, im Allgemeinen um so l\u00e4nger je sp\u00e4ter sie eingetreten ist. Ihr Eintritt ist um so fr\u00fcher, ihre Intensit\u00e4t und Dauer um so geringer, je schw\u00e4chlicher die Musculatur des Individuums war; so ist sie auch bei Neugebornen fr\u00fchzeitig, schwach und kurz, und fehlt bei Embryonen vor dem 7. Monat ganz.4 Auch der Ern\u00e4hrungs-5 6 und Gesundheitszustand, die Art der Krankheit, welche dem Tode voranging, haben Einfluss auf Eintrittszeit, Dau.er und Intensit\u00e4t der Starre. Ihre L\u00f6sung f\u00e4llt zusammen mit dem lebhafteren Eintritt der F\u00e4ulniss, und die Starre selbst enth\u00e4lt offenbar Momente, welche die F\u00e4ulniss hinausschieben (s. unten). Die L\u00f6sung h\u00e4lt die gleiche Reihenfolge ein wie der Eintritt.5\n1\tGute Zusammenstellungen der Thatsachen findet man besonders bei Burdach, Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft. 2. Aufl. IR. S. 6S1. Leipzig 1838, und bei Kussmaud, Prager Yjschr. L. S. 67. 1869.\n2\t\u00c0. Ga-r.t-stf.-r Sommer, Dissert, de signis mortem hominis absolutam ante putre-dinis accessum indicantibus. Havniae 1833.\n3\tNysten. Recherches de physiologie et de chimie pathologique p. 385. Paris\n1811.\n4\tNach Mende. Handb. d. gerichtl. Med. II. S. 278, III. S. 405. Leipzig 1819 u. f.\n5\tVerhungerte Kaninchen erstarren nach Bernaud unmittelbar nach dem Tode.\n6\tAls fr\u00fchesten Termin der L\u00f6sung bezeichnet Kussmahl (a. a. 0.) die 10. Stunde nach dem Tode.","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Auftreten und L\u00f6sung der Leichenstarre.\n141\nDie Leichen kaltbl\u00fctiger Thiere erstarren unter sonst gleichen Umst\u00e4nden sp\u00e4ter als die warmbl\u00fctiger, meist erst nach 1\u20142 Tagen. W\u00e4rme beschleunigt im Allgemeinen den Eintritt der Starre sowohl, als deren L\u00f6sung durch F\u00e4ulniss; jedoch ist dieser Einfluss soweit er den Eintritt betrifft gering, und bedarf weiterer Untersuchung, da z. B. in kaltes Wasser versenkte Leichen meist schnell erstarren. Nach Sommer ist innerhalb des Bereichs von 12\u201422\u00b0 R. (15\u201427 V20 C.) kein Einfluss der Temperatur vorhanden.\nDie Angabe dass zuweilen die Starre ganz ausbleibe (z. B. bei Tod durch Blitzschlag), hat sich nicht best\u00e4tigt; vermuthlich handelte es sich in solchen F\u00e4llen um ungew\u00f6hnlich schwache Starre oder sehr fr\u00fchzeitige F\u00e4ulniss ; Brown-S\u00e9quard 1 meint, dass die Ersch\u00f6pfung der Muskeln durch die enorme electrische Reizung beim Blitzschlag den Eintritt und das Schwinden der Starre so beschleunigen kann? dass sie unbemerkt bleibt. Er stellt den Satz auf, dass die Starre um so sp\u00e4ter eintritt, je erregbarer die Muskeln im Augenblick des Todes waren.\nDie Ursache der Todtenstarre liegt in den Muskeln. Dieselben verk\u00fcrzen sich, wie unten ausgef\u00fchrt wird, und machten dadurch die Gelenke steif, etwa als w\u00e4ren die Muskeln tetanisirt. Leichtere Gebilde werden dadurch in eine neue Lage gebracht, z. B. der Unterkiefer angezogen, die Finger eingeschlagen, der Daumen meist zuerst, daher unter den andern. Schwerere Gliedmassen erstarren im Allgemeinen in der Lage, die sie beim Eintritt des Todes hatten, oder die ihnen vor Eintritt der Starre k\u00fcnstlich ertheilt wurde; aber es werden auch wegen der ungleichen Kraft der Antagonisten leichte Lagever\u00e4nderungen durch die Starre selbst hervorgebracht, z. B. der Unterarm bei intensiver Starre etwas flectirt. So sind auch wegen der gr\u00f6sseren Kraft der Beuger die starren Extremit\u00e4ten leichter gewaltsam zu beugen als zu strecken. Durchschneidung der Muskeln hebt die Steifigkeit sofort auf, beziehungsweise macht Durchschneidung der Beuger die Streckung, u. s. w. widerstandsfrei.\nNach gewaltsamer Bewegung todtenstarrer Glieder k\u00f6nnen sich, wenn die Starre noch nicht ihre H\u00f6he erreicht hat, nach Sommer (a. a. 0. p. 196) die gestreckten Muskeln noch einmal contrahiren.1 2 3 Brown-S\u00e9quard 3 konnte diese Wiederherstellung der Starre mehrmals hintereinander erzeugen, doch erfordert sie immer l\u00e4ngere Zeit, und eine gewisse Zeit nach dem Tode (1\u201412 Stunden bei Kaninchen und Hunden) gelingt sie \u00fcberhaupt nicht mehr.\n1\tBrown-S\u00e9quard, Journ. d. 1. physiol. 1861. p. 266.\n2\tNysten (a. a. 0. p. 401) hatte dies ausdr\u00fccklich in Abrede gestellt.\n3\tBrown-S\u00e9quard, Journ. d. 1. physiol. 1858. p. 281.","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\tHermann, Allg. Muskelphysik. 6. Cap. Todtenstarre.\nAuf Schlachtfeldern kommt zuweilen eine Art von Todtenstarre vor, welche die Stellung der Gliedmassen, wie sie im Momente des Todes war, conservirt, so dass die Starre fast unzweifelhaft gleich im Moment des Todes eingetreten ist. F\u00e4lle dieser \u201ecataleptischen Todtenstarre\u201c (duBois-Reymond) sind namentlich von Beinton1, Neud\u00f6efee2, Rossbach3 4 und F. Falk 4 beobachtet worden. Die Bedingungen sind noch durchaus nicht gen\u00fcgend aufgekl\u00e4rt. Schon Rossbach deutet die M\u00f6glichkeit an, welche Falk weiter verfolgte, dass es sich um F\u00e4lle von R\u00fcckenmarksverletzung handelte, und Falk behauptet durch R\u00fcckenmarksreizung, besonders unter gleichzeitiger Verblutung, k\u00fcnstlich bei Kaninchen cata-leptische Starre erzeugt zu haben. Indessen ist hierdurch wohl eine Fixirung eines allgemeinen Muskelkrampfes, nicht aber die Erhaltung specieller Stellungen, z. B. der Hand, welche eine zum Munde gef\u00fchrte Tasse hielt (Rossbach), zu erkl\u00e4ren. Was in der That vorliegt, ist die urpl\u00f6tzliche Erstarrung s\u00e4mmtlicher Muskeln ohne allgemeinen Krampf, so dass alle bestehenden Gliedlagen fixirt werden, und wenn wirklich R\u00fcckenmarksverletzungen hier im Spiele sind, so fehlt doch noch vollkommen die eigentliche Erkl\u00e4rung.\nII. Die Erstarrung isolirter Muskeln.\nAuch ausgeschnittene Muskeln machen nach dem Absterben die gleiche Verk\u00fcrzung durch wie die Muskeln in der Leiche, und man hat den Ausdruck Todtenstarre von der Leiche auf die einzelnen Muskeln \u00fcbertragen. Die Erstarrung ausgeschnittener Muskeln ist der sicherste Beweis, dass die Todtenstarre nicht etwa aus einer centralen Erregung des Nervensystems hervorgeht. Die Angabe dass Muskeln, deren Nerven durchschnitten sind, nicht erstarren, ist demnach unrichtig, ebenso die andere, dass zum Eintritt der Starre der Muskel gespannt sein m\u00fcsse5; dagegen behauptet Wundt 6, dass Spannung die Erstarrung beschleunigt.\nDie Zeit der Erstarrung ist beim ausgeschnittenen Muskel von \u00e4hnlichen Bedingungen abh\u00e4ngig wie in der Leiche ; im Ganzen tritt bei Warmbl\u00fctern die Starre des isolirten Muskels etwas fr\u00fcher ein, als die der Leiche, und es ist nicht entschieden, ob die schnellere Abk\u00fchlung, oder der Contact mit Luft, oder die Abtrennung vom Nerven (s. unten) die Ursache ist.\nSehr betr\u00e4chtlich ist der Einfluss der Temperatur, und da\n1\tBbinton, Amer, journ. of med. sc. LXXIX. p. 78. 1870.\n2\tNeud\u00f6efee, Allg. milit.-\u00e4rztl. Zeit. 1870. No. 24, 25.\n3\tRossbach, Arch. f. pathol. Anat. LI. S. 558. 1870.\n4\tF. Falk, Deutsche milit.-\u00e4rztl. Zeitschr. 1873. Heft 11 u. 12. Sep.-Abdr. Hier finden sich auch noch weitere Literaturangaben.\n5\tVgl. E. Krause, Dissert, de rigore mortis etc. Dorpat 1853.\n6\tWundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 68, 72. Braunschweig 1858.","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"\u201eCatalep tische\u201c Todtenstarre. Erstarrung isolirter Muskeln.\t143\nder Eintritt der Starre mit dem v\u00f6lligen Erl\u00f6schen der Erregbarkeit zusammenf\u00e4llt (s. unten), so kann auf das oben S. 126 G-esagte verwiesen werden. So kann insbesondere durch Abk\u00fchlung auf 0\u00b0 der Eintritt der Starre sehr weit hinausgeschoben werden, jedoch tritt nach meinen Versuchen 1 auch hier schliesslich die Starre zwischen dem 4. und 7. Tage ein. Andererseits werden Froschmuskeln bei 40 0 augenblicklich \u201e w\u00e4rmestarr 2\nEin andrer unzweifelhafter Einfluss auf die Zeit der Erstarrung besteht darin, dass wie schon die S. 140 erw\u00e4hnte Beobachtung eines Tetanusfalls andeutet, voraufgegangene Anstrengung des Muskels die Starre beschleunigt. An gehetzten Thieren ist die schnelle Erstarrung l\u00e4ngst bekannt; an Versuchsthieren, die unter Kr\u00e4mpfen starben, beobachtete sie zuerst C. G-. Mitscherlich (nach m\u00fcndlicher Mittheilung an Br\u00fccke3, und Br\u00fccke selbst sah durch Strychnin get\u00f6dtete Warm- und Kaltbl\u00fcter achtmal fr\u00fcher starr werden als nach Verblutung oder Hirnzerst\u00f6rung. Aehnliche Beobachtungen- machten K\u00f6lliker4, Brown-S\u00e9quard 5 6, Heineke 6 u. A. Brown-S\u00e9quard und Hrineke stellten den Versuch so an, dass sie ein Bein durch Nervendurchschneidung von den Kr\u00e4mpfen ausschlossen, wonach dasselbe sp\u00e4ter erstarrte als der \u00fcbrige K\u00f6rper.\nMisshandlungen verschiedener Art beschleunigen die Erstarrung. Besonders interessant ist der Einfluss des Gefrierens, zu welchem beim Muskel niedrigere Temperaturen als 0 0 erforderlich sind. Nach meinen Versuchen 7 erstarren Muskeln, welche man schnell hat hart gefrieren lassen, nach dem Aufthauen fast augenblicklich unter ungew\u00f6hnlich starker Contraction. Dass gefroren gewesene Muskeln nach dem Aufthauen zuweilen noch eine Zeit lang erregbar bleiben8 9, h\u00e4ngt davon ab, dass das Gefrieren langsam erfolgt ist. Wir kommen noch einmal auf diese Vorg\u00e4nge zur\u00fcck.\nDie Formver\u00e4nderung des Muskels bei der Erstarrung ist genau die gleiche wie bei der Erregung: Verk\u00fcrzung mit entsprechender Verdickung. Das Volum nimmt ein wenig ab; Schmulewitsch9 sah\n1\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 192. 1871.\n2\tlieber eine andere Definition der \u201eW\u00e4rmestarre\u201c s. unten.\n3\tBr\u00fccke, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1842. S. 178.\n4\tK\u00f6lliker, Arch. f. pathol. Anat. X. S. 242. 1856.\n5\tBrown-S\u00e9quard, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1857. No. 42.\n6\tHeineke, De connexu irritabilitatis musculorum cum rigore mortis. Greifswald 1858.\n7\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 189.1871.\n8\tK\u00fchne, Untersuchungen \u00fcber das Protoplasma und die Contractilit\u00e4t S. 3. Leipzig 1864.\n9\tSchmulewitsch, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 81; Compt. rend. LXIX. p.936. 1869.","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nHermann, Allg. Muskelphysik. 6. Cap. Todtenstarre.\nan Kaninchenmuskeln, welche er vor und nach Eintritt der Starre wog, das absolute Gewicht abnehmen, das specifische Gewicht zunehmen, also Verdichtung eintreten. Directer wurde in meinem Laboratorium yon E. Walker 1 die Volumabnahme bestimmt, indem Froschmuskeln in einem Kolben mit aufgeschliffenem Capillarrohr, nach Auff\u00fcllung mit verd\u00fcnnter Kochsalzl\u00f6sung, entgast und dann w\u00e4rmestarr gemacht wurden, wonach das Niveau im Capillarrohr niedriger erschien sobald die alte Temperatur wieder erreicht war; zum Ausweichen der Fl\u00fcssigkeit w\u00e4hrend der Erw\u00e4rmung hatte das Capillarrohr eine kuglige Erweiterung.\nDer zeitliche Verlauf der Verk\u00fcrzung ist nach Versuchen die Schl\u00e4pfer und Walker (a. a. 0.) in meinem Laboratorium theils mit graphischem, theils mit optischem Verfahren angestellt haben, f\u00fcr Froschmuskeln bei Zimmertemperatur (18\u00b0 C.) der, dass sie 3\u20144V2 Stunden nach dem Tode beginnt und sich dann innerhalb weiterer 5\u20147 Stunden mit zuerst betr\u00e4chtlicher, dann abnehmender Geschwindigkeit vollzieht.\nDie Gr\u00f6sse der Verk\u00fcrzung ist von Walker (a. a. 0.) f\u00fcr verschiedene Belastungen gemessen und mit der durch Reizung erreichbaren Wurfh\u00f6he verglichen; der Muskel wurde nach der Reizzuckung w\u00e4rmestarr gemacht. Die Hubh\u00f6he der Erstarrungscontraction ergab sich f\u00fcr kleine Belastungen gr\u00f6sser als die der Zuckung, f\u00fcr grosse Belastungen kleiner als letztere.1 2 Leider wurde vers\u00e4umt, auch die tetanische Hubh\u00f6he zu bestimmen, so dass die Frage noch offen ist, ob der schwach oder nicht belastete Muskel sich durch Erstarrung oder durch Tetanus st\u00e4rker contrakiren kann. Auch die absolute Kraft (vergl. S. 61) der Erstarrungscontraction wurde von Walker bestimmt, und mit der der maximalen Zuckung verglichen, beides durch Entscheidung ob gewisse Ueberlastungen bew\u00e4ltigt wurden, oder nicht. Die Kraft der Erstarrungsverk\u00fcrzung zeigte sich (bei W\u00e4rmestarre) jedesmal gr\u00f6sser als die der Zuckung; auch hier aber wurde vers\u00e4umt die Kraft im Tetanus zu bestimmen, welche wahrscheinlich gr\u00f6sser ist als die der Erstarrungscontraction.\nIII. Eigenschaften des starren Muskels.\nDer starre Muskel ist, abgesehen von seiner verk\u00fcrzten Form, auf den ersten Blick vom lebenden verschieden durch seine teigige\n1\tHermann & Walker, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 182. 1871.\n2\tWenn man Wurfh\u00f6he und Hubh\u00f6he identificiren d\u00fcrfte, so w\u00fcrde hieraus folgen, dass die durch Erstarrung erreichte nat\u00fcrliche Form k\u00fcrzer, aber dehnbarer ist als die durch einmalige maximale Reizung erreichte.","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Volumabnahme. Gang und Kraft der Verk\u00fcrzung. Reaction. Elasticit\u00e2t. 145\nBeschaffenheit und sein tr\u00fcbes, opakes Aussehen; starre Froschmuskeln haben ausserdem ihre Pfirsichbl\u00fcthfarbe eingeb\u00fcsst und erscheinen weiss.\nDer todtenstarre Muskel ist ferner f\u00fcr alle Reize vollkommen unerregbar.\nDie Reaction des starren Muskels ist, wie du Bois-Reymond in einer epochemachenden Arbeit1 2 gezeigt hat, im Gegensatz zur neutralen oder alkalischen des lebenden Muskels, sauer. Erst mit der L\u00f6sung der Starre durch die F\u00e4ulniss geht die saure Reaction in alkalische \u00fcber. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die saure Reaction die Entwicklung der F\u00e4ulniss verz\u00f6gert.\nDie elastischen Eigenschaften starrer Muskeln bed\u00fcrfen in mancher Beziehung genauerer Untersuchung. Darin stimmen Alle \u00fcberein, dass die Festigkeit des todtenstarren Muskels gr\u00f6sser ist als die des- lebenden, obwohl bei den numerischen Daten die Ver-gr\u00f6sserung des Querschnitts nicht gen\u00fcgend ber\u00fccksichtigt ist; z. B. giebt Busch 2 an, von zwei gleichnamigen Muskeln habe der eine, frisch untersucht, zur Zerreissung 2 Unzen, der andere, todtenstarr, 2 Pfund erfordert; aber offenbar war der letztere auch dicker.3 Die Vollkommenheit der Elasticit\u00e4t ist in der Starre betr\u00e4chtlich vermindert4; werden todtenstarre Glieder gewaltsam bewegt, so sind die Muskeln bleibend verl\u00e4ngert, so dass das Glied beweglicher geworden ist5; Wundt6 behauptet jedoch, dass die bleibenden Dehnungen starrer Muskeln durch vor\u00fcbergehende Belastung nicht gr\u00f6sser seien als diejenigen lebender. Was endlich die Gr\u00f6sse der Elasticit\u00e4t betrifft, so ist sie nach Weber, Wundt und Harless (a, a. O.) betr\u00e4chtlicher, d. h. die Dehnbarkeit kleiner als im Lebenszustande, nach Wundt im Verh\u00e4ltniss von 1 : 2 beim Warmbl\u00fcter, 9:10 beim Frosch ; indess scheint auch hier auf die Aenderung des Querschnitts nicht gen\u00fcgend R\u00fccksicht genommen zu sein.\n1\tdu Bois-Reymond, De fibrae muscularis reactione ut chemicis visa est acida. Berlin 1859; ferner Monatsber. d. Berliner Acad. 1859. S. 288. (Ges. Abb. II. S. 3.)\n2\tBusch, Exp\u00e9rimenta quaedam de morte p. 16,18, 36. Halae 1819.\n3\tKussmaul (a. a. 0.) giebt an, nach Wertheim , Valentin u. A. sei die Coh\u00e4-sion todtenstarrer Muskeln vermindert; indess betreffen diese Angaben jedenfalls faulende Muskeln.\n4\tVgl. besonders Harless, Sitzungsber. d. bayr. Acad. 1860. S. 425; die mannigfachen Bem\u00fchungen dieser Untersuchung haben zu keinen klaren Resultaten gef\u00fchrt, weil das Versuchsziel zu weit gesteckt war; es sollte der Antheil der Coagulation und der S\u00e4uerung an den Eigenschaften des starren Muskels zergliedert werden; vgl. auch die Vorarbeit, ebendaselbst S. 93.\n5\tWeber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. III. 2. S. 108,116. 1846.\n6\tWundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 70. Braunschweig 1858.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nHermann, Allg. Muskelphysik. 6. Cap. Todtenstarre.\nIY. Ursache der Todtenstarre.\n1. Speziellere Bedingungen der Erstarrung.\nAuch im lebenden K\u00f6rper verfallen Muskeln in einen der Todtenstarre vollkommen gleichen Zustand, sobald ihnen die Zufuhr arteriellen Blutes eine Zeit lang entzogen ist. Todtenstarre ist das Ende des STENSON\u2019schen Versuchs, so dass man, mit Ber\u00fccksichtigung des vorigen Capitels, auch sagen kann : der Muskel kann die Sauerstoff- ; zufuhr durch das Blut nicht auf die Dauer entbehren, ohne todten-starr zu werden; der Kaltbluterm\u00fcskel ist weniger unmittelbar auf die Sauerstoffzufuhr angewiesen. Am Kaninchen begann die Starre der Hinterbeine nach vollst\u00e4ndiger Ligatur (Aorta und Crurales) in den Versuchen von Stannius 1 in 2\u20143 Stunden, und war vollst\u00e4ndig ausgebildet (vgl. jedoch unten) in 3\u20144 Stunden.\nBrown-S\u00e9quard 2 und Stannius (a. a. 0.) sahen Glieder, welche durch den STENSON\u2019schen Versuch anscheinend todtenstarr gemacht waren, ihre directe und indirecte Erregbarkeit wiedergewinnen, wenn sie die Ligatur l\u00f6sten, oder (Brown-S\u00e9quard) arterielles Blut aus den Gef\u00e4ssen eines anderen Thieres einstr\u00f6men Hessen, oder mit der Spritze injicirten; Brown-S\u00e9quard gelang der Versuch sogar an zwei Hingerichteten, einmal an der Hand (13 Stunden nach dem Tode, # defibrinirtes, arterialisirtes menschliches Aderlassblut), und einmal am ganzen Arm (15 Stunden nach dem Tode, arterielles Hundeblut).\nSo unzweifelhaft aber die Wiederauffrischung der gesunkenen Erregbarkeit durch arterielles Blut ist (vgl. dar\u00fcber S. 130), so wenig ist es bewiesen, dass auch der absolut unerregbare und todtenstarre Muskel noch einmal restituirt werden kann. Schon die Versuche von Brown-S\u00e9quard und Stannius machen keinen \u00fcberzeugenden Eindruck, weil die Starre erst kurz vor der Injection wirklich einge- 1 treten war, einzelne Muskeln stets in der Erstarrung hinter andern Zur\u00fcckbleiben, was h\u00f6chst wahrscheinlich auch bei den Fasern des gleichen Muskels der Fall ist, endlich einzelne Muskeln ihre Erregbarkeit trotz der Durchstr\u00f6mung nicht wiedergewannen, was freilich \\ auch durch Gef\u00e4ssverstopfungen erkl\u00e4rt werden kann. Entscheidend sind aber die sorgf\u00e4ltigen Versuche von K\u00fchne.1 2 3 Weder an Kaltbl\u00fctern noch an Warmbl\u00fctern gelang es ihm, zweifellos starre, saure und absolut unerregbare Muskeln durch Wiederherstellung des Kreis- *\nI.p\n1\tStannius, Arch. f. physiol. Heilkunde XI. S. 1. 1852.\n2\tBrown-S\u00e9quard, Compt. rend. XXXII. p. 855, 897. 1851 ; Journ. d. 1. physiol. 106. 1858.\n3\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 748.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Erstarrung im lebenden Organismus. Theorien der Starre.\n147\nlaufs zu restituiren, sondern stets wurde durch letzteren nur schnelle F\u00e4ulniss eingeleitet. Die Erstarrung bezeichnet also den definitiven Tod des Muskels.\nAnders dagegen ist es nach meinen Versuchen1 2, wenn der Kreislauf w\u00e4hrend der Erstarrung gar nicht unterbrochen war, z. B. wenn man die Hinterbeine eines kleinen unverletzten Kaninchens durch Eintauchen in Wasser von 50 0 starr und unerregbar macht. Nach dem Herausnehmen findet dann allm\u00e4hliche Restitution statt, obgleich die Muskeln w\u00e4hrend des Versuches deutlich sauer waren. Freilich ist diese saure Reaction noch kein absolutes Zeichen der Starre, da ich (a. a. O. S. 73) Froschmuskeln in einem Luftbade von 40 0 schon vor vollkommner Unerregbarkeit durch und durch sauer werden sah. Sollte aber der Zustand in den die Muskeln bei diesem Versuch gerathen, nicht als wahre Starre bezeichnet werden k\u00f6nnen, so bleibt er trotzdem lehrreich, indem er zeigt, dass die Circulation den Eintritt der Starre bei Anwesenheit eines zweifellos starrmachenden Einflusses verhindern kann.\nAn vollkommen starren Froschmuskeln kann nach Preyer 2 durch den Kreislauf Restitution erreicht werden, wenn man vorher die Muskeln durch 10 procentige Kochsalzl\u00f6sung wieder zu normaler physi-caliseher Beschaffenheit bringt.\n2. Natur des Processes im erstarrenden Muskel.\nZwei Arten von Theorien3 sind haupts\u00e4chlich zur Erkl\u00e4rung der Todtenstarre aufgestellt worden. Die Einen, besonders Nysten (a. a. 0.), verglichen die Starre mit der vitalen Contraction und bezeichneten sie als eine \u201eletzte Anstrengung\u201c des sterbenden Muskels, Andre suchten sie aus postmortalen Gerinnungsprocessen zu erkl\u00e4ren; eine dritte, von Sommer (a. a. 0.) ausgesprochene Ansicht, dass es sich um eine Contraction aus physicalischen Ursachen handle, kann nicht als Erkl\u00e4rungsversuch gelten, da sie nur eine Umschreibung der zu erkl\u00e4renden Thatsache darstellt. Die Ansicht von Nysten ist wegen ihrer vitalistischen F\u00e4rbung mit Recht verworfen worden, denn weshalb der Muskel noch eine letzte Anstrengung mache, bleibt unklar, wenn man nicht dunkle vitalistische Principien zu H\u00fclfe nimmt. So bleiben also nur noch die Coagulationstheorien \u00fcbrig.\n1\tHermann, Untersuchungen \u00fcber den Stoffwechsel der Muskeln etc. S. 72. Berlin 1867.\t_\n2\tPreyer, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1864. S. 769; Recueil des travaux de la soci\u00e9t\u00e9 m\u00e9d. allemande de Paris p. 37. Paris 1865.\n3\tEine dritte Theorie, welche die Starre als den eigentlichen Ruhezustand des Muskels darstellt, wird im 9. Capitel nur kurz historisch erw\u00e4hnt.\n* 10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nHermann, Allg. Muskelphysik. 6. Cap. Todtenstarre.\nDie Ansicht von Orfila \\ Treviranus 2 u. A., dass die Blut-nnd Lymphcoagulation in den Muskelgef\u00e4ssen die Starre bedinge, eine Ansicht, welcher auch J. M\u00fcller1 2 3 zuneigte, wird vollkommen unm\u00f6glich durch die Thatsache, dass auch g\u00e4nzlich entblutete Muskeln starr werden. Es bleibt also nur die M\u00f6glichkeit einer Gerinnung in der Muskelsubstanz selbst \u00fcbrig. Die Keime dieser Ansicht finden sich schon bei Sommer (a. a. 0.), bestimmt for-mulirt aber wurde sie erst durch Br\u00fccke (cit. S. 143), welcher von der freilich bestreitbaren Vorstellung ausging, dass alle vom Blute durchstr\u00f6mten Organe gerinnbaren Faserstoff enthalten m\u00fcssen, auf dessen Formung ihr morphologischer Aufbau beruhe. Ueber die unbestreitbare Analogie der Todtenstarre mit der Blutgerinnung, nach Zeit, Art des Auftretens und Bedingungen, hinaus konnte Br\u00fccke seiner Vermutkung keine St\u00fctze geben; vergebens versuchte er aus entbluteten Kaninchenmuskeln eine spontan gerinnende Fl\u00fcssigkeit auszupressen4; stets erstarrten die Muskeln unter der Presse, und der Presssaft war, wie schon bei W\u00f6hler5, frei von Fibrin. So wenig aber Br\u00fccke\u2019s Theorie bewiesen war, so wenig konnte sie durch die Angriffe von Gierlichs, Bruch, Jordan u. A., welche zum Theil auf dem Missverst\u00e4ndnisse beruhen, die gerinnbare Substanz der Muskeln m\u00fcsse mit Blutfibrin identisch sein 6, widerlegt werden.\nIm Jahre 1858 gelang es endlich K\u00fchne 7 8, sowohl bei Fr\u00f6schen und Schildkr\u00f6ten als bei Kaninchen (nicht bei Fischen), aus den entbluteten Muskeln eine spontan gerinnende Fl\u00fcssigkeit durch Auspressen zu gewinnen ; die ausgepressten Muskeln erstarrten nicht mehr. Bei mittlerer Temperatur beginnt die Coagulation des Presssaftes nach 6 Stunden beim Frosch, nach 3 Stunden beim Kaninchen, und zwar zuerst als eine gelatin\u00f6se Erstarrung der ganzen Fl\u00fcssigkeit, w\u00e4hrend sp\u00e4ter sich das Coagulum zu einer relativ kleinen flockigen Masse zusammenzieht. Sp\u00e4ter gelang es K\u00fchne 8 gerinnbares Muskelplasma auch aus gefrorenen Muskeln, die mit eiskalter Salzl\u00f6sung gemischt\n1\tOrfila, Dictionnaire de m\u00e9d. IV. p. 12. Paris 1821\u20141828.\n2\tTreviranus, Die Erscheinungen und Gesetze des organischen Lebens II. 2. S. 191. Bremen 1832.\n3\tJ. M\u00fcller, Handb. d. Physiologie II. S. 46. 1837.\n4\tDiese Bem\u00fchungen sind erw\u00e4hnt bei du'Bois-Reymond , Monatsber. d. Berliner Acad. 1859. S. 290, 294. (Ges. Abh. II. S. 5, 8.)\n5\tW\u00fchler, Grundriss d. organ. Chemie S. 151. Berlin 1840.\n6\tVgl. Gierlichs, De rigore mortis. Bonn 1843 ; Bruch, Nonnulla de rigore mortis. Heidelberg 1845; Jordan, Ztschr. f. rat. Med. IV. S. 209. 1846; Bijlsmit, Over de lijkverstijvingen hare oorzaken. Amsterdam 1858 ; und eine Kritik der ersten drei Arbeiten bei du Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcb. thier. Electr. II. 1. S. 158.1849.\n7\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 768.\n8\tK\u00fchne, Untersuchungen \u00fcber das Protoplasma und die Contractilit\u00e4t S. 2. Leipzig 1864; Lehrb. d. physiol. Chemie S. 271. Leipzig 1868.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Nachweis der Gerinnung des Muskelsafts.\n149\nwurden, beim Aufthauen durch Filtration zu gewinnen ; die Substanz des Gerinnsels nannte er Myosin. Die Eigenschaften derselben werden in der Lehre von der Muskelchemie er\u00f6rtert; hier sei nur erw\u00e4hnt, dass das Myosin sich auch aus starren Muskeln durch Salzl\u00f6sungen von mittlerer Concentration wieder l\u00f6sen l\u00e4sst, wobei die Muskeln das Aussehen lebender wieder annehmen.\nDurch diese Untersuchungen war es zweifellos festgestellt, dass in der That die Todtenstarre mit einer Gerinnung innerhalb des Muskels im innigsten Zusammenhang steht. Indessen war damit das R\u00e4thsel noch keineswegs gel\u00f6st. Erstens blieb die gleiche Frage, wie f\u00fcr die Blutgerinnung offen, warum n\u00e4mlich diese Gerinnung nicht w\u00e4hrend des Lebens, sondern erst nach dem Tode des Muskels sich einstellt. Zweitens war mit der Gerinnung die Formver\u00e4nderung des Muskels beim Erstarren noch nicht im mindesten erkl\u00e4rt; denn Niemand wird die Contraction des Gerinnsels im Presssaft oder die Contraction des ausgepressten Blutkuchens auch nur einen Augenblick identificiren mit derjenigen Contraction, um welche es sich hier handelt ; hier haben wir Zusammenziehung eines organisirten Gebildes in einer bestimmten Richtung, dort allseitig gleichm\u00e4ssige Zusammenziehung eines gequollenen K\u00f6rpers unter Austritt der Fl\u00fcssigkeit. Drittens endlich zeigte die der K\u00fcHNE\u2019schen unmittelbar vorangehende Entdeckung der S\u00e4urung zum ersten Male, dass die Erstarrung mit verwickelten chemischen Umsetzungen verbunden ist, welche bei der Muskelchemie noch weiter zergliedert werden. Da die Erstarrung auch im Vacuum und in sauerstofffreien Gasen stattfindet, so ist der Umsatzprocess nicht an Sauerstoffaufnahme gebunden.\nDie weitere Er\u00f6rterung \u00fcber die Natur des ErstarrungsVorgangs und \u00fcber seinen Zusammenhang mit den \u00fcbrigeu Erscheinungen am Muskel muss in das 9. Capitel verwiesen werden. Ebenso enth\u00e4lt das 7. und 8. Capitel Thatsachen \u00fcber thermische und electrische Erscheinungen beim Erstarren.\nY. Ver\u00e4nderungen, welche mit der Todtenstarre verwandt sind*\nAusser der beim spontanen Absterben des Muskels auftretenden Todtenstarre bezeichnet man als Starre noch eine Anzahl andrer Ver\u00e4nderungen des Muskels, welche mit Verk\u00fcrzung, Tr\u00fcbung und S\u00e4urung verbunden sind. Nicht immer jedoch ist es gerechtfertigt diese Starren f\u00fcr etwas Anderes zu halten, als die gew\u00f6hnliche Todtenstarre. Insofern n\u00e4mlich das Absterben des Muskels immer in der Todtenstarre seinen Abschluss findet, wird jeder auf den Muskel ein-","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nHermann, Allg. Muskelphysik. 6. Cap. Todtenstarre.\nwirkenden Sch\u00e4dlichkeit schliesslich Todtenstarre folgen k\u00f6nnen, um so schneller je rascher die Einwirkung den Muskel t\u00f6dtet.1\nIn diesem Sinne haben wir schon oben S. 100 die Pickford-sche W\u00e4rmestarre2 als eine einfache Todtenstarre, welche durch W\u00e4rme beschleunigt wurde, kennen gelernt. Der Ausdruck \u201eW\u00e4rmestarre\u201c ist somit eigentlich \u00fcberfl\u00fcssig. Mit Recht hat ihn deshalb K\u00fchne3 auf einen wesentlich anderen Vorgang \u00fcbertragen, n\u00e4mlich auf die durch W\u00e4rme herbeigef\u00fchrte Coagulation eines besonderen, nicht spontan gerinnenden Eiweissk\u00f6rpers im Muskel. Spontan langsam oder bei 40 0 schnell erstarrte Froschmuskeln werden n\u00e4mlich nach K\u00fchne bei 45 0 noch starrer, und ebenso scheidet der Presssaft todten-starrer Muskeln bei 45 o ein Gerinnsel ab ; der spontan coagulirte Presssaft lebender Muskeln zeigt die entsprechende Gerinnung, wegen seines Salzgehalts, schon bei 43 \u00b0.4 Die Extracte todtenstarrer Kaninchen- und Hundemuskeln coaguliren zwischen 49 und 50 0 (nicht zu verwechseln mit der S. 100 erw\u00e4hnten Temperatur), die von Taubenmuskeln bei 53\u00b0.\nAusser dem Myosin und dem bei 45, resp. 50\u201453\u00b0 sich ausscheidenden Eiweissk\u00f6rper enthalten die Muskeln noch grosse Mengen gew\u00f6hnlichen Eiweisses, dessen Coagulation noch eine dritte Erstarrung, wenn man so sagen darf, herbeif\u00fchrt; auch diese ist mit Verk\u00fcrzung verbunden, hier aber haben wir ein Ph\u00e4nomen, welches s\u00e4mmtlichen eiweisshaltigen Geweben gemeinsam ist. Ich habe mich \u00fcberzeugt5 dass die bekannte Schrumpfung in der Faserrichtung, welche Fleisch, Sehnen, Nerven etc. in heissem Wasser erleiden (sog. \u201eSehnenverk\u00fcrzung\u201c), genau mit der Coagulationstemperatur des Albumins (circa 65 \u00b0) zusammenf\u00e4llt. Auch Fibrinflocken verk\u00fcrzen und verdicken sich bei dieser Temperatur. Trotz des offenbaren Zusammenhangs mit Coagulation sind diese Verk\u00fcrzungen bisher ebensowenig verst\u00e4ndlich wie die bei der Todtenstarre.\nWird der Muskel direct in heisses Wasser geworfen (\u201egebr\u00fcht\u201c)\n1\tUnter den verderblichen und dadurch die Starre beschleunigenden Einwirkungen befinden sich nat\u00fcrlich auch solche, welche die gew\u00f6hnliche Eiweisscoagu-lation hindern, oder Coagula aufl\u00f6sen, z. B. Alkalien, Kalkwasser, verd\u00fcnnte S\u00e4uren ; dieser Umstand ist missverst\u00e4ndlicherweise in den oben (S. 148) citirten Arbeiten von Gierlichs, Bruch, Bijlsmit u. A. gegen die BR\u00fcCKE\u2019sehe Theorie verwerthet worden.\n2\tPickeord, Ztschr. f. rat. Med. (2) I. S. 110. 335. 1851 ; vgl. auch du Bois-Rey-mond, Untersuchungen \u00fcb. thier. Electr. II. 1. S. 178.1849.\n3\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 797.\n4\tBei dieser Gelegenheit sei erw\u00e4hnt, dass Harless (Ber. d. bayr Acad. 1860. S. 93) im w\u00e4ssrigen Extracte von Froschmuskeln schon bei 35\u00b0 einen Eiweissk\u00f6rper unter S\u00e4urung sich abscheiden sah; nach dem Yersuchsverfahren m\u00fcssen die Muskeln starr gewesen sein. Bei Warmbl\u00fctern lag die entsprechende Temperatur, je nach der Menge der S\u00e4ure, bei 42\u201448\u00b0.\n5\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VIL S. 417, VIII. S. 275.1873.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"W\u00e4rmestarre. S\u00e4urestarre. Br\u00fchung des Muskels.\n151\nso macht er den eigentlichen Erstammgsprocess gar nicht durch, sondern es findet nur Coagulation s\u00e4mmtlicher Eiweissk\u00f6rper statt; du Bois-Keymond 1 fand n\u00e4mlich, dass so behandelte Muskeln nicht sauer sind.1 2 Bei kurzem Eintauchen in heisses Wasser verweilen nur die inneren Schichten lange genug innerhalb der Temperaturen die den Erstammgsprocess zulassen, und werden daher sauer.\nBei diesem Anlass entsteht die Frage, ob es auch eine u n t e 1 e Temperaturgrenze f\u00fcr die M\u00f6glichkeit des Erstarrungsprocesses gebe. du Bois-Keymond hatte gefunden, dass Muskeln bei 0\u00b0 nicht sauer werden; nach meinen Versuchen (a. a. 0.) erfolgt indess bei 0\u00b0 nicht allein Erstarrung (s. oben S. 143), sondern auch S\u00e4urebildung, die jedoch zuweilen durch die parallel gehende Ammoniakentwicklung verh\u00fcllt wird;, deutlich sieht man die S\u00e4urung, wenn man die Erstarrung so beschleunigt, dass die alkalibildenden Processe nicht gleichen Schritt halten, so wenn man die Muskeln in 0\u00b0 kaltem Mandel\u00f6l erstarren, oder wenn man sie gefrieren und dann bei 0\u00b0 aufthauen l\u00e4sst.\nDass Gefrieren und Wiederaufthauen die Starre sehr beschleunigt, ist schon oben erw\u00e4hnt. Ich habe gezeigt (a. a. O.), dass das Starrwerden hierbei erst w\u00e4hrend des Aufthauens stattfindet (gefrorne Muskeln, dii.ect in siedendes Wasser geworfen bleiben alkalisch); die eigentliche Misshandlung aber, welche die Erstarrung beschleunigt, liegt im Acte des Gefrierens und ist vielleicht mechanischer Natur.\nBehandlung des Muskels mit S\u00e4uren bedingt ebenfalls einen starre\u00e4hnlichen Zustand (vgl. oben S. 105), sp\u00e4ter treten alleidings intensivere Ver\u00e4nderungen ein, welche je nach der Natur und Concentration der S\u00e4ure verschieden sind. Bei den Albumin coaguliren-den S\u00e4uren l\u00e4sst sich nicht ohne Weiteres entscheiden ob die sog. S\u00e4urestarre eine eigentliche Erstarrung oder eine der Br\u00fchung vergleichbare Ver\u00e4nderung darstellt, das Kriterium der sauren Reaction fehlt hier ; indess zeigt der Mangel der Kohlens\u00e4urebildung, wie ich (a. a. 0.) gefunden habe, dass in der That die st\u00e4rkeren S\u00e4uren, auch die nicht coagulirenden, den eigentlichen Erstammgsprocess, etwa wie sehr hohe Temperaturen, verhindern. Nur sehr schwache S\u00e4uren lassen ihn zu, oder f\u00fchren ihn vielmehr rasch herbei; bei der Kohlens\u00e4ure l\u00e4sst sich dies daraus entnehmen, dass der schnell sich tr\u00fcbende Muskel (S. 105) von einer fixen S\u00e4ure sauer reagirt.\nDie oben S. 102 geschilderte Einwirkung des destillirten Wassers\n1\tDU Bois-Reymond , Monatsber. d. Berliner Acad. 1859. S. 304. (Ges. Abh. II.\ng a r* \\\n2\tleb babe gefunden, dass bei pl\u00f6tzlicbem Erhitzen auch die Kohlens\u00e4ureent-wicklmw fehlt (vgl. Hermann, Untersuchungen etc. S. 12,102). Nach den neuen Ver-Sff\u00ee\u00fcL. & Stintzing (Arch. f. d. ges. Physiol. XVIII S^388.1878), welche die Muskeln bei 100\u00b0 auskochten, w\u00e4re dies unrichtig. Eine V lederholung dieser Versuche in meinem Laboratorium, bei welcher die Zerkleinerung der Muske n vor Einf\u00fchrung in die siedende Fl\u00fcssigkeit vermieden wird, ist noch nicht abgeschlossen.","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nHermann, Allg. Muskelphysik. 6. Cap. Todtenstarre.\nendet ebenfalls mit einer Starre, die man als \u201eWasserstarre\u201c bezeichnet hat. Da der Muskel, wie du Bois-Reymond (a. a. 0.) zuerst beobachtet hat, dabei sauer wird, so liegt gew\u00f6hnliche Erstarrung, durch die t\u00f6dtliche Wirkung des Wassers herbeigef\u00fchrt, vor.\nAlle eiweisscoagulirenden Einwirkungen spielen wie es scheint die gleiche Rolle wie die Minerals\u00e4uren und die Temperaturen \u00fcber 65\u00b0. Sie machen den Muskel, besonders wenn sie in die Gef\u00e4sse injicirt werden, sofort scheinbar starr, bewirken aber in Wirklichkeit nur die oben erw\u00e4hnte \u201eSehnencontraction\u201c. Hierher geh\u00f6rt Alkoholl, Gerbs\u00e4ure, viele Metallsalze. Die eiweisscoagulirenden Einwirkungen machen todtenstarre Muskeln noch starrer, und bewirken auch an faulenden Muskeln, an denen die Starre schon gel\u00f6st ist, eine starreartige Ver\u00e4nderung.\nEine Anzahl andrer, nicht eiweisscoagulirender Einwirkungen endlich muss in die Categorie der durch schnelle T\u00f6dtung des Muskels starr machenden Agentien gerechnet, also etwa der Einwirkung einer Temperatur von 40\u00b0 (Frosch) an die Seite gestellt werden; sie machen wahre, mit S\u00e4urung verbundene Todtenstarre, meist mit vorangehenden heftigen Zuckungen. So vor Allem das Chloroform, wie Coze2 3 und Kussmaul (a. a. 0.) fanden, ferner nach Kussmaul Aether, Senf\u00f6l, Fenchel\u00f6l, Anis\u00f6l etc. und endlich nach neueren Untersuchungen eine grosse Anzahl von Alkaloiden, wie Chinin, Caffein, Veratrin, Digitalin.s\nVI. Beziehungen der Todtenstarre zum Nervensystem.\nObgleich die Todtenstarre wesentlich ein in den Muskeln ablaufender, vom Nervensystem im Wesentlichen unabh\u00e4ngiger Act ist, giebt es doch gewisse Thatsachen, welche auf Einwirkungen des Nervensystems deuten. Vor Allem ist das oben S. 140 angef\u00fchrte NYSTEN\u2019sche Gesetz kaum anders zu erkl\u00e4ren, als dadurch dass die Zeit des Eintritts der Starre von der L\u00e4nge der zum MuskeL tretenden Nerven in gewissem Grade abh\u00e4ngt, und dies deutet wiederum darauf hin, dass nerv\u00f6se Vorg\u00e4nge den Absterbeprocess im Muskel beschleunigen, diese Vorg\u00e4nge aber, wohl unzweifelhaft gewisse postmortale Ver\u00e4nderungen im Nerven selbst, in den Nervenfasern langsam vom Centrum nach der Peripherie fortkriechen. Dies wird auch durch andre, in der Nervenphysiologie zu erw\u00e4hnende Thatsachen best\u00e4tigt. Da ein analoger Process bei durchschnittenem Nerven vom\n1\tVgl. A. v. Humboldt , Versuche \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser II. S. 72, 345, 368. 1797; Kussma\u00fcl , Prager Vjschr. L. S. 67. 1856; Arch. f. pathol. Anat. XIII. S. 289. 1858; Schiefer, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1868. S. 442.\n2\tCoze, Compt. rend. XXVIII. p. 534.1849.\n3\tDie bez\u00fcgliche Literatur s. in meinem Lehrb. d. exper. Toxicologie. Berlin 1874.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"\"Wasserstarre, Chloroformstarre etc. Einfluss der Nerven.\n153\nQuerschnitt desselben ausgeht, so k\u00f6nnte man sogar auf die Idee kommen, die ganze Erstarrung als einen vom Nerven eingeleiteten Vorgang zu betrachten, wenn nicht Muskeln mit degenerirten Nerven und nervenlose Sartoriusenden1 ebenfalls todtenstarr w\u00fcrden, und der ausgepresste Muskelsaft coagulirte. So ist denn also anzunehmen, dass der Nerv die spontane Muskelstarre nur beschleunigen kann, um so mehr, je n\u00e4her der Ausgangspunct des Nervenabsterbens, sei es Centrum sei es k\u00fcnstlicher Querschnitt, liegt. Auf diese Weise ist vielleicht auch das etwas schnellere Absterben ausgeschnittener Muskeln (s. oben S. 142) zu erkl\u00e4ren. Indessen liegt eine geradezu entgegengesetzte Angabe von H. Munk2 vor, nach welchem ein Muskel um so sp\u00e4ter abstirbt, je k\u00fcrzer das ihm gelassene Nervenst\u00fcck ist, Die von Munk angegebenen Unterschiede sind sehr betr\u00e4chtlich (z. B. starb im October der Gastrocnemius mit erhaltenem Nerven vor der 25. Stunde ab, w\u00e4hrend der mit kurz abgeschnittenem Nerven noch in der 73. Stunde erregbar war). Die Herren Bleuler & Lehmann haben im Herbst und Winter 1878 die MuNK\u2019sche Angabe in meinem Laboratorium gepr\u00fcft, konnten aber \u00fcberhaupt keinen regelm\u00e4ssigen Einfluss des Nerven, weder in der einen noch in der andern Lichtung constatiren.\nSIEBENTES CAPITEL.\nThermische Erscheinungen am Muskel.\nI. Vorbemerkungen und Methodik.\nDie Untersuchung ob der Muskel W\u00e4rme bildet, und in welchem Zusammenh\u00e4nge die W\u00e4rmebildung mit den \u00fcbrigen Processen im Muskel steht, erscheint in vielfacher Beziehung von hohem Interesse. In einem Organe in welchem lebhafte chemische Processe ablaufen, in welchem Ver\u00e4nderungen der Gestalt, vielleicht sogar des Aggregatzustandes stattfinden, in welchem best\u00e4ndig elastische Kr\u00e4fte positive und negative Arbeit leisten, und welches auf Verrichtung \u00e4usserer Arbeit angelegt ist, zeigen sich Beziehungen zur W\u00e4rmetheorie fast bei jedem Schritte der Forschung.\n1\tDass curarisirte Muskeln todtenstarr werden (vgl. K\u00f6lliker, Arch. f. pathol. Anat. X. S. 3, 235.1856), kann hier nicht als Beweis gelten, weil Curare nicht alle Eigenschaften des Nerven vernichtet.\n2\tH. Munk, Allg. med. Centralztg. 1860. No. 8.","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154 Hermann. Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\nDer Warmbl\u00fctermuskel eignet sieb zu Untersuchungen dieses Gebietes sehr wenig, weil seine Temperatur im Leben weit mehr von der Temperatur und der Geschwindigkeit und Menge des durchstr\u00f6menden Blutes als von seiner eigenen W\u00e4rmebildung abh\u00e4ngt; wenigstens w\u00fcrde pl\u00f6tzlicher Wegfall aller w\u00e4rmebildenden Processe in einem einzelnen Muskel dessen Temperatur nicht wesentlich \u00e4ndern, so lange sein Kreislauf ungest\u00f6rt ist. Der ausgeschnittene Warmbl\u00fctermuskel aber ist in der kurzen Zeit seines Ueberlebens in best\u00e4ndiger Abk\u00fchlung begriffen.\nDie thermische Untersuchung der Froschmuskeln hat mit viel weniger Schwierigkeiten zu k\u00e4mpfen. Einen Uebelstand bildet die Kleinheit dieser Organe, welche einerseits die Anwendung der Quecksilberthermometer fast durchweg verbietet, andrerseits durch Verdunstung und Leitung von der Oberfl\u00e4che relativ betr\u00e4chtliche Schwankungen der Temperatur auch im Innern bedingt. Man ist daher erstens auf den Gebrauch thermoelectrischer Apparate angewiesen, und zweitens muss man streng darauf halten, dass der Muskel in einem mit Wasserdampf ges\u00e4ttigten Raume von der seinigen gleicher und gleiehm\u00e4ssiger Temperatur sich befinde.\nDas Quecksilber- oder Luftthermometer ist, besonders f\u00fcr Untersuchungen an Warmbl\u00fctern, nicht selten zu Versuchen \u00fcber W\u00e4rmebildung im Muskel verwendet worden, abgesehen von den Untersuchungen \u00fcber den Einfluss von Muskelcontractionen auf die Eigenw\u00e4rme. Man f\u00fchrte Thermometer bei Thieren zwischen oder in die Muskeln ein, oder befestigte die Kugeln empfindlicher Thermometer mittels schlecht w\u00e4rmeleitender Bandagen auf der Haut \u00fcber den Muskeln. Solche Versuche sind zuerst von Gierse 1 am Hunde, von B\u00e9clard 2 und Ziemssen 3 am Menschen angestellt worden ; B\u00e9clard\u2019s Thermometer war in F\u00fcnfzigstel Grade getheilt.\nDie thermoelectrische S\u00e4ule wird in zwei Formen f\u00fcr diese Zwecke verwendet. Die erste, von Becquerel & Breschet 4 und Helmholtz 0 eingef\u00fchrte versetzt die L\u00f6thstellen in das Innere des Muskels, verletzt ihn also. Helmholtz benutzte Eisen-Neusilber-Elemente von nebenstehender Gestalt (Fig. 28); an ein eisernes Mittelst\u00fcck hh sind beiderseits neusilberne Endst\u00fccke angel\u00f6thet; die Bleche sind d\u00fcnn und scharfrandig, die Endst\u00fccke ausserdem unter Abrundung am Ende zugesch\u00e4rft. Diese Elemente werden so durch die Muskeln (s. unten) eingestossen, dass die eine L\u00f6tlistelle im einen, die andere im andern Muskel steckt. Helmholtz benutzte 6 solche Elemente in zwei Reihen (von je drei) \u00fcbereinander;\n1\tGierse, Quaenam sitratio caloris organici partium inflammatione laborantium etc. Halle 1842; vgl. Ber. v. Bischoef, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1843. S. XCI.\n2\tB\u00e9clard, Compt. rend. L. p. 471. 1860; Arch. g\u00e9n. d. m\u00e9d. 1861.p.24,157,257.\n3\tZiemssen, Die Electricit\u00e4t in der Medicin S. 16. Berlin 1.857.\n4\tBecquerel & Breschet, Ann. d. sciences nat. Zoologie (2) III. p. 257. 1835.\n5\tHelmholtz, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1848. S. 144.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Methodik. Apparate von Helmholtz. Heidenhain etc.\n155\nnach dem Einstossen werden die Enden metallisch unter einander und mit dem Galvanometer verbunden , und zwar durch Anpressen gegen die plattgeschlagenen Enden der kurzen Kupferdr\u00e4hte av ai, bi b\u00ef u. s. w.\nDie untere Figur zeigt den Mechanismus ; der Messingklotz g, der in das Grundbrett ln eingelassen ist, enth\u00e4lt in seiner Lichtung die feste Elfenbeinplatte ?/ und die beiden beweglichen \u00c7, letztere k\u00f6nnen durch die Schrauben ff und die Metallpl\u00e4ttchen e t gegen erstere gepresst werden ; die Enden* der Neusilberbleche sind in rj halb eingelassen, und die platten Kupferdrahtenden werden zwischen sie und L eingepresst.\n\u2014 Auch hat man vielfach die Thermoelemente nadelf\u00f6rmig und mit endst\u00e4ndigen L\u00f6thstellen construirt (Fig.\n29), was den Vortheil hat, dass die Spitzen in die Muskeln nur eingestossen zu werden brauchen und deshalb, sowie wegen ihres geringeren Querschnittes, weniger verletzen und dass eine etwas gr\u00f6ssere Zahl von L\u00f6thstellen im Muskel Platz hat. \u2014 Die zweite, f\u00fcr physiologische Zwecke zuerst von Heidenhain 1 benutzte Form ist die der MELLONi\u2019schen S\u00e4ule, deren L\u00f6thstellenfl\u00e4chen an die Muskeln nur angelegt werden (vgl. S. 156 Fig. 30). Die Vortheile dieser Form liegen darin, dass eine vi\u00e9l gr\u00f6ssere Zahl von Elementen angewandt werden kann, dass die Metallcombina-tion von gr\u00f6sster Thermokraft (Wismuth-Antimon) verwendet und dass endlich die Verletzung\nFi*. 29.\nThermos\u00e4ule aus Eisen- und Neusilberdr\u00e4hten mit endst\u00e4ndigen L\u00f6thstellen.\n1 Heidenhain, Mechanische Leistung, W\u00e4rmeentwicklung und Stoffumsatz bei der Muskelth\u00e4tigkeit. Leipzig 1864.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156 Herman, Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\ndes Muskels vermieden wird; dagegen hat das Verfahren den Nachtheil, dass die Befestigung der Muskeln an die L\u00f6thstellen nicht so innig und sicher ist wie bei der Einstossung und dass nur die Temperatur der Oberfl\u00e4che zur Beobachtung kommt. In neuester Zeit hat Fick auch nadelfor-mige Thermoelemente mit endst\u00e4ndigen L\u00f6thstellen ohne Verletzung von Muskeln dadurch gut angebracht, dass er mehrere Muskeln (die inneren Oberschenkelmuskeln beider Schenkel) zusammen anwandte und die L\u00f6thstellen zwischen dieselben einf\u00fcgte. \u2014 Die Thermos\u00e4ulen m\u00fcssen da, wo sie mit den Muskeln in Ber\u00fchrung sind, stark gefirnisst sein, einmal um zu verh\u00fcten, dass die Muskelsubstanz Nebenschliessungen zum Galvanometer bildet, ferner um Eigenstr\u00f6me der Muskeln fern zu halten, deren Gefahr freilich bei den windungsarmen Thermo-Galvanometern und der Nebenschliessung durch die Thermos\u00e4ule nicht sehr gross w\u00e4re.\nDie thermoelectrische Temperaturmessung ist ihrer Natur nach stets nur eine Vergleichung von Temperaturen. Sie kann indess dadurch zu einer absoluten Messung gemacht werden, dass die Temperatur der\neinen L\u00f6thstellenreihe bekannt ist, wozu gew\u00f6hnlich erforderlich ist, dass letztere bei eonstanter Temperatur, z. B. bei 0\u00b0 erhalten wird ; abgesehen von den Schwierigkeiten aber, welche letzteres Verfahren hat, w\u00fcrde dadurch eine so grosse Kluft zwischen Muskel- und Vergleichstemperatur geschaffen, dass bei der f\u00fcr die Beobachtung erforderlichen Empfindlichkeit des Galvanometers die Scala aus dem Gesichtsfelde verschw\u00e4nde und durch Compensation oder Reduction wieder zur\u00fcckgebracht werden m\u00fcsste, wodurch vor Allem neue Fehlerquellen eingef\u00fchrt w\u00fcrden, unter Umst\u00e4nden auch die Empfindlichkeit litte. Man verzichtet daher lieber hier auf absolute Temperaturmessung, und vergleicht nur, nach Helmholtz\u2019s Vorg\u00e4nge, die Temperatur zweier unter verschiedenen physiologischen Bedingungen befindlicher, urspr\u00fcnglich m\u00f6glichst gleich temperirter Muskeln ; bleibt z. B. der eine in Ruhe, w\u00e4hrend der andere tetanisirt wird, so zeigt das Auf-S\u00c4-\u201c\u201c treten einer Temperaturdiffereuz zu Gun-Enddr\u00e4hte der beweglichen S\u00e4ule tau- sten <jes letzteren eine W\u00e4rmebildung durch\nchen m die Queeksilberget\u00e4sse H\u00fc.\t,\t.\nden Tetanus an. Das Verfahren hat zugleich den Vortheil, dass man durch abwechselndes Tetanisiren beider Muskeln das Resultat sicherer machen kann. F\u00fcr manche Versuchszwecke hat es grosse Vortheile, wenn der Muskel trotz seiner Verbindung mit der Thermos\u00e4ule sich frei bewegen kann. Letztere wird dazu nach Heidenhain auf dem Figur 30 abgebildeten Stativ befestigt1, wel-\nFig. 30. Vielgliedrige Wismuth-Antimons\u00e4ule [ab) mit Hetdenhain\u2019s Stativ. Die L\u00f6thstellenfl\u00e4che hei b, welcher der Muskel M anliegt, ist von einem Korkrahmen umgehen, an welchen der Muskel festgesteckt werden kann (oben rechts ist der Korkrahmen von der El\u00e4che ge-\n1 Eine weniger vollkommene bewegliche Aufstellung ihrer zweigliedrigen Nadel-","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Methodik der thermoeleetrischen Untersuchung.\n157\nches freie Bewegung\u2019 der S\u00e4ule nach oben und unten (und nach vorn und hinten, letzteres nur um ersteres vollst\u00e4ndig zu erreichen) bei Aequilibrirung ihres Gewichtes gestattet. Es w\u00fcrde aber einen ungemein complicirten Apparat erfordern, sollte die S\u00e4ule den Contractionen beider Muskeln frei folgen k\u00f6nnen; man muss deshalb in diesem Falle sich mit Einem Versuchsmuskel begn\u00fcgen und den einen, rein passiv anliegenden, lediglich als Temperaturregulator der einen L\u00f6thstellenfl\u00e4che benutzen; er k\u00f6nnte also ebensogut durch irgend ein anderes feuchtes Gewebe des Thieres, oder dgl., ersetzt werden. Wollte man mit zwei Versuchsmuskeln bei ganz freier Beweglichkeit der S\u00e4ule arbeiten, so m\u00fcsste letztere in der Weise unterbrochen werden, dass zwischen je zwei L\u00f6thstellen eine bewegliche Drahtverbindung eingeschaltet wird, was aber unabsehbare Fehlerquellen bedingen w\u00fcrde.\nDas Galvanometer darf bekanntlich f\u00fcr thermoelectrische Versuche, wegen der \u00e4usserst geringen electromotorischen Kr\u00e4fte und des sehr geringen, (rein metallischen) Widerstands der Thermos\u00e4ulen nur sehr geringen Widerstand haben. Man benutzt deshalb entweder besondere Thermo-Multiplicatoren mit wenigen Windungen dicken Drahts, oder bei Boussolen die diesen beigegebenen windungsarmen und dickdr\u00e4htigen Thermorollen. Dieselben haben meist zwei Gewinde neben einander, die man einzeln oder zusammen, und zwar sowohl neben als hintereinander einschalten kann, so dass wenn n die Windungszahl und w der Widerstand jedes Gewindes ist, zwischen den Anordnungen n, w\\ \u2014 2 n, 2 w ; \u2014 n, V2 rv gew\u00e4hlt werden kann, je nach dem ungef\u00e4hren Widerstand der Kette selbst. Leichte und aperiodische Magnete sind, wie \u00fcberall, so auch hier von grossem Vortheil. Die Leitungen zum Galvanometer m\u00fcssen wenig Widerstand bieten, und alle Stellen wo heterogene Metalle sich ber\u00fchren, also alle Verbindungsklemmen, durch Umh\u00fcllung mit Baumwolle oder Kautschuk und durch Vermeidung der N\u00e4he des menschlichen K\u00f6rpers, der Oefen, Beleuchtungsflammen, Luftz\u00fcge etc. vor schnellen Temperaturschwankungen sorgf\u00e4ltig gesch\u00fctzt sein. Der sonst so n\u00fctzliche Vorreibeschl\u00fcssel als Nebenschliessung zur Boussole (der nur zur Beobachtung ge\u00f6ffnet wird) wird hier besser vermieden, weil das Vorreiben W\u00e4rme erzeugt, die Nebenschliessung bei dem geringen Widerstand der Boussole ohnehin nicht sicher absperrend wirkt, und ein einfacher Q.uecksilberschl\u00fcssel allen Anforderungen gen\u00fcgt.\nZur Reduction der Ablenkungen auf die entsprechenden Temperaturdifferenzen der L\u00f6thstellen gen\u00fcgt, falls die Intensit\u00e4tencurve des Galvanometers bekannt ist, oder, wie beim Spiegelgalvanometer, die Ablenkungen den Intensit\u00e4ten proportional sind, die Bestimmung der Ablenkung f\u00fcr eine einzige bekannte Temperaturdifferenz. Helmholtz tauchte dazu seine Elemente in zwei Quecksilberb\u00e4der, bestehend aus Pappk\u00e4stchen mit seitlichen Schlitzen, durch welche die Bleche gesteckt wurden. F\u00fcr Ablenkungen welche \u00fcber das Scalenbereich hinausgehen, muss man sich des im folgenden Capitel zu beschreibenden Compensationsverfah-rens bedienen. Die Temperaturmessung ist also dann in eine Kraft-\ns\u00e4ule haben Meyerstein & Thiry angegeben und abgebildet, Ztschr. f. rat. Med. (3) XX. S. 45. Taf. IV. 1863.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158 Hermann, Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\nmessung verwandelt, und es muss nur die Kraft der Thermos\u00e4ule f\u00fcr eine gegebene Temperaturdifferenz ermittelt sein. Am genauesten wird die Bestimmung, wenn man eine m\u00f6glichst grosse Zahl der verwendeten Thermoelemente combinirt, und die Kraft der S\u00e4ule f\u00fcr einen recht grossen Temperaturabstand, am besten f\u00fcr den leicht realisirbaren von 100\u00b0 feststellt; alle Fehler werden dann stark dividirt.\nII. Die W\u00e4rmeMldung bei der Contraction im Allgemeinen.\nDass der ganze Organismus durch Muskelanstrengung w\u00e4rmer wird, ist eine bekannte und fr\u00fchzeitig gew\u00fcrdigte Thatsache.1 Genauere Beobachtungen \u00fcber Steigerung der Eigenw\u00e4rme durch Arbeit stellten R\u00e9aumur2 und Newport3 in Bienenk\u00f6rben, letzterer und besonders Dutrochet4 an einzelnen Insecten, Krimer5, John Davy6, Gierse (a. a. 0.), v. B\u00e4rensprung7 u. A. auch an Warmbl\u00fctern und am Menschen an8, und neuerdings haben besonders Leyden9 und Billroth & Fick10 experimentell bei Thieren die temperatursteigernde Wirkung allgemeiner Tetanisirung nachgewiesen. Indessen all diese Erw\u00e4rmungen konnten ihren Grund ebenso wohl in allgemeiner Steigerung des Stoffwechsels oder blosser Ver\u00e4nderung des Kreislaufs als in einer W\u00e4rmeerzeugung des Muskels selbst haben, und wurden auch grossentheils nicht im. letzteren Sinne gedeutet.\nDie ersten Beobachtungen am Muskel selbst sind von Becquerel & Breschet (a. a. 0.) im Jahre 1835 gemacht worden, indem sie in den Biceps brachii eines Mannes eine thermoelectrische Nadel mit endst\u00e4ndiger L\u00f6thstelle einstachen, w\u00e4hrend die andere L\u00f6thstelle bei constanter Temperatur erhalten wurde ; die Temperatur des Muskels stieg nach einigen Contractionen um 0,5 \u00b0, nach 5 Minuten langem S\u00e4gen um 10 C. Mit dem Thermometer beobachtete Gierse (a. a. 0.) an Hunden, dass die Hauttemperatur eines eontrahirten Schenkels h\u00f6her ist als die eines ruhenden. Der Einwand, dass es sich lediglich um st\u00e4rkere Blutzufuhr zur Haut gehandelt haben k\u00f6nnte, wird dadurch beseitigt, dass B\u00e9clard und Ziemssen (a. a. 0.) \u00fcber\n1\tVgl. z. B. Haller, Elementa pkysiologiae n. p. 260. Lausanne 1760.\n2\tB-Iaumur, M\u00e9moires pour servir \u00e0 l\u2019histoire des insectes V. 2. p. 362. Amsterdam 1741.\n3\tNewport, Pk\u00fcos. Transactions 1837. p. 259.\n4\tDutrochet, Ann. d. sciences nat. Zoologie. (2) NUI. p. 1. 1840.\n5\tKrimer, Physiologische Untersuchungen S. 150. Bonn 1820.\n6\tJ. Davy, Philos. Transactions 1844. p. 62; 1845. p. 319.\n7\tv. B\u00e4rensprung, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1851. S. 152.\n8\tNoch eine Anzahl anderer Beobachtungen findet man zusammengestellt bei Heidenhain, a. a. 0. S. 5.\n9\tLeyden, Arch. f. pathol. Anat. XXVI. S. 548. 1863.\n10\tBillroth & Fick, Vjschr. d. naturf. Ges. in Z\u00fcrich 1863. S. 427.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Erw\u00e4rmung im Tetanus und bei der Zuckung.\n159\ncontrahirten Muskeln am Menschen die Haut zwar w\u00e4rmer, aber nicht r\u00f6ther werden sahen. Aber den andern Einwand, dass die Erw\u00e4rmung auf Congestion im contrahirten Muskel beruhe, lassen alle Versuche an blutdurchstr\u00f6mten Muskeln zu.\nAn ausgeschnittenen oder wenigstens nicht mehr vom Blut durchstr\u00f6mten Muskeln experimentirte in dieser Richtung zuerst Bun-zen \\ und zwar an Warmbl\u00fctermuskeln. Mittels eines in die Ober-schenkelmusculatur gesenkten Luftthermometers sah er bei einer eben geschlachteten Kuh, und ebenso bei einem Lamm, die Temperatur auf Reizung der Nerven steigen; diese Beobachtungsweise l\u00e4sst aber den Einwand zu, dass die warmen Muskeln bei der Contraction nur inniger an die (V2 Zoll im Durchmesser haltende) Kugel sich ange' legt haben. Die ersten v\u00f6llig entscheidenden Versuche waren daher die von Helmholtz (a. a, O.) angestellten an Froschmuskeln. Helmholtz tetanisirte die Fr\u00f6sche vom R\u00fcckenmark aus, indem er nur den einen Schenkel durch seinen Nerven mit der Wirbels\u00e4ule in Verbindung liess, den andern ganz abschnitt, und die oben beschriebenen thermoelectrisehen Streifen dergestalt durch beide (unent-h\u00e4utete) Oberschenkel hindurchstiess, dass die L\u00f6thstellen in den Muskeln steckten. Durch 2\u20143 Minuten langen Tetanus stieg die urspr\u00fcnglich in beiden Schenkeln gleiche Temperatur in dem contrahirten Schenkel um 0,14\u20140,18\u00b0 C. ; noch g\u00fcnstiger erwies sich directes Tetanisiren der Muskeln ; die zur Reizung ausreichenden Inductionsstr\u00f6me bringen n\u00e4mlich an sich, wie sich am abgestorbenen Schenkel zeigt, nur eine verschwindend geringe Erw\u00e4rmung der Muskeln hervor.\nSp\u00e4ter gelang es Heidenhain (a. a. 0.) mittels seines sehr empfindlichen Apparats auch bei jeder einzelnen Zuckung Erw\u00e4rmung des Muskels festzustellen. Dieselbe betrug f\u00fcr den G-astrocnemius 2\u201410 Scalentheile, was 0,001\u20140,005\u00b0 C. entspricht.\nSolger 2 und Meyerstein & Thiry (a. a. O.) beobachteten beim Tetanisiren von Muskeln vor der Erw\u00e4rmung eine rasch vor\u00fcbergehende Abk\u00fchlung des Muskels, welche sie als \u201enegative W\u00e4rmeschwankung\u201c bezeichnen. Helmholtz hatte davon Nichts gesehen. Valentin1 2 3 konnte die Erscheinung weder an Murmelthiermuskeln noch an Froschmuskeln best\u00e4tigen, und Heidenhain (a. a. O. S. 36, 125) der sie nur gelegentlich sah, \u00fcberzeugte sich dass sie lediglich auf einer Fehlerquelle, n\u00e4mlich auf Verschiebung der L\u00f6thstellen im oder am Muskel beruht.\n1\tBunzen, Beitragzu einer k\u00fcnftigen Physiologie S. 114. Kopenhagen 1805. (Nach Gilbert\u2019s Ann. d. Physik XXV. S. 157. 1807.)\n2\tSolger, Studien des physiol. Instit. zu Breslau II. S. 125. Leipzig 1863.\n3\tValentin, Molesch. Unters. IX. S. 242. 1865; Arch. f. d. ges. Physiol. I. S.457.\n1868.","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160 Hermann, Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\nIll, Beziehungen zwischen dem Betrage der W\u00e4rnieMIdling und den Variablen der Muskelcontraction.\nDie weiter anzuf\u00fchrenden Thatsachen, welche fast durchweg im Anschluss an theoretische Betrachtungen gewonnen sind, lassen sich nicht gut von solchen getrennt darstellen. Wir werden deshalb hier zun\u00e4chst auf die theoretische Bedeutung der muscul\u00e4ren W\u00e4rmebildung eingehen m\u00fcssen.\nDen anscheinend einfachsten Fall stellt der tetanisirte Muskel w\u00e4hrend gleichm\u00e4ssiger Erhaltung des verk\u00fcrzten Zustandes dar; wir haben hier einen durch best\u00e4ndige Reizung\" erzwungenen Zustand des Muskels, welcher nur unter best\u00e4ndiger chemischer Umsetzung unterhalten werden kann. Da \u00e4ussere Arbeit in diesem Zustande nicht geleistet wird, so muss nothwendig die ganze Summe der durch die chemische Umsetzung frei werdenden Kr\u00e4fte als W\u00e4rme anftreten, und die letztere ist in aller Strenge ein Mass der ersteren. Da dieser Satz aus allgemeinen physiealischen Principien ohne Weiteres feststeht, so ist das Studium der W\u00e4rmebildung im Tetanus nichts anderes als ein Mittel, den Umfang der chemischen Processe unabh\u00e4ngig von deren speciellerer Beschaffenheit zu ermitteln. Wir haben aber kein Mittel den complieirten Fall der W\u00e4rmebildung im Beginn des Tetanus experimentell vollst\u00e4ndig auszuschliessen, da der Tetanus unm\u00f6glich lange genug unterhalten werden kann, um die W\u00e4rmemessung erst geraume Zeit nach dem Beginn des Tetanus ihren Anfang nehmen zu lassen; indess l\u00e4sst sich dieser Uebelstand dadurch einigermassen umgehen, dass man Tetani von verschiedener Dauer, aber gleicher Intensit\u00e4t, mit einander vergleicht. Eine absolute Messung der gebildeten W\u00e4rme in Calorien scheiterte bisher an der ungen\u00fcgenden Kenntniss der W\u00e4rmecapacit\u00e4t des Muskels*(vgl. hier\u00fcber S. 99) ; man begn\u00fcgte sich deshalb damit die Erw\u00e4rmung allein zu bestimmen, und am gleichen Muskel f\u00fcr die Variablen des Tetanus zu vergleichen. Als solche kommen (ausser der Dauer im obigen Sinne) in Betracht : die Spannung des Muskels, sei es durch Gewichte, sei es durch Verhinderung der Verk\u00fcrzung, ferner die Intensit\u00e4t und Frequenz der Reize, endlich der Zustand des Muskels in Bezug auf Temperatur, Erm\u00fcdung, Absterben u. dgl.\nIn dieser Hinsicht hat Heidenhain (a. a. 0.) eine fundamentale Thatsache gefunden. Je gr\u00f6sser die Spannung des Muskels, um so gr\u00f6sser ist cet. par. seine Erw\u00e4rmung im Tetanus, um so gr\u00f6sser also der durch gleiche Reize hervorgerufene chemische Umsatz. Dies Resultat, dessen n\u00e4here Begr\u00fcndung zweckm\u00e4ssiger weiter unten er-","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche \u00fcber die Beziehungen zwischen W\u00e4rmebildung und Arbeit. 161\nfolgt, wurde auch durch directere Messung des Umsatzes mittels der S\u00e4ureproduction und sp\u00e4ter auch mittels der Production von Alkohol-Extraetivstoffen1 best\u00e4tigt (vgl. den Abschnitt \u00fcber Muskelchemie).\nViel verwickelter gestalten sich die Verh\u00e4ltnisse w\u00e4hrend des Verk\u00fcrzungsvorgangs selbst, also im Beginn des Tetanus oder bei einer einzelnen Zuckung. Hier werden die chemischen Processe theils zur Leistung \u00e4usserer Arbeit, theils zur W\u00e4rmebildung verwandt, und letztere erscheint als ein unwillkommnes, aber selbst bei einer idealen Maschine nicht v\u00f6llig vermeidbares Nebenproduct, als eine \u201e Unzweckm\u00e4ssigkeit \u201c, wie man sich ausgedr\u00fcckt hat. Die zun\u00e4chst sich aufdr\u00e4ngende Frage ist nun die nach dem Verh\u00e4ltnis zwischen W\u00e4rmebildung und mechanischer Arbeit. Die Beantwortung dieser Frage gestattet nicht bloss einen Blick in den Grad der Zweckm\u00e4ssigkeit der Muskelmaschine, sondern giebt den viel wichtigeren Aufschluss, ob \u00fcberhaupt die W\u00e4rmeproduction in ihrem Haupttheil in tieferem Zusammenhang mit der Arbeit steht (von einem gewissen Theil steht dies aus allgemeinen Principien fest), oder ob sie grossentheils von ganz anderen neben der Arbeit bestehenden, und von ihr unabh\u00e4ngigen Vorg\u00e4ngen herr\u00fchrt.\nVon vorn herein war man geneigt einen tieferen Zusammenhang anzunehmen, in dem Sinne etwa, dass der Umsatz im Muskel, d. h. die Summe Arbeit -j- W\u00e4rme, oder \u00e4ussere -f- innere Arbeit, wesentlich von der Reizgr\u00f6sse abh\u00e4nge, der W\u00e4rmeantheil aber um sogr\u00f6sser sei, je kleiner die mechanische Arbeit; letztere aber h\u00e4nge von den mechanischen Widerst\u00e4nden etc. ab; die beiden Extreme w\u00fcrden demnach gebildet einerseits durch die Zuckung mit derjenigen mittleren Belastung, welcher die gr\u00f6sste Arbeit entspricht, oder noch besser mit Entlastung w\u00e4hrend der Zuckung (vgl. S. 78), andrerseits durch Erregung des auf der Ruhel\u00e4nge festgehaltenen Muskels oder durch den tetanischen Beharrungszustand, wo die \u00e4ussere Arbeit Null ist.\nVon solchen Erw\u00e4gungen ausgehend hat zuerst B\u00e9clard (a. a. 0.) an Fr\u00f6schen und an sich selbst Versuche angestellt, in welchen die W\u00e4rmeentwicklung bei \u201estatischer\u201c und \u201edynamischer Contraction\u201c der gleichen Muskeln (d. h. bei Hinderung der Verk\u00fcrzung oder teta-nischem Halten, und bei periodischem Heben einer Last) verglichen wurde. In der That zeigte sich bei rhythmischer Reizung von Froschmuskeln eine gr\u00f6ssere Erw\u00e4rmung (thermoelectrisch gemessen) wenn die Verk\u00fcrzung gehindert wurde, als wenn Lasten wirklich gehoben\n1 Heidenhain, nach Versuchen von Rigetiet und Hepner. Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 574. 1870.\nHandbuch. der Physiologie. Bd. I.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162 Hermann, Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel-\u00bb\nwurden.L An sich seihst mass B\u00e9clard die Erw\u00e4rmung des rechten Biceps brachii durch die Haut hindurch mit dem Thermometer (vgl. S. 154); mit der rechten Hand wurde ein Gewicht gehoben, das an einem \u00fcber zwei Rollen gehenden Seile hing (Fig. 31), dergestalt, dass der linke, nicht zur Messung benutzte Arm das Gewicht zugleich\nregieren konnte. Die Versuche bestanden nun in folgendem: A das Gewicht wird vom rechten Arm in einer bestimmten H\u00f6he w\u00e4hrend einer gewissen Zeit festgehalten, n\u00e4mlich so, dass der Zeiger Vauf den Theil-strich m zeigt ; die Unterlage d wird vor dem Versuche entfernt ; Erholungspausen werden gemacht, w\u00e4hrend welcher die linke Hand das Seil h\u00e4lt. B das Gewicht wird vom rechten Arm periodisch von i bis s gehoben und mittels des Seils dem linken \u00fcbergeben, der es wieder senkt (um das Herabfallen zu ersetzen). C der rechte Arm hebt\nFig. 31. B\u00e9clakd\u2019s thermodynamischer Versuch am und Senkt daS Gewicht abwech-\nselnd zwischen i und s. War f\u00fcr alle drei Versuche die Zeit der Inanspruchnahme des Muskels gleich lang, so fiel die W\u00e4rmeentwicklung in A gr\u00f6sser aus als in B, und in C ebensogross als in A. Ersteres Resultat ist im Sinne der oben angef\u00fchrten Vermuthung, das letztere aber erkl\u00e4rte sich B\u00e9clard folgendermassen : Beim Heben des Gewichtes leistet der\nMuskel Arbeit; beim Senken desselben, so dass es unten ohne lebendige Kraft anlangt, leistet das Gewicht eine ebensogrosse Arbeit umgekehrt am Muskel; beide Arbeiten compensiren sich zu Null, die W\u00e4rmebildung muss also so sein als ob der Muskel ohne Arbeit zu leisten bei der Mittelstellung zwischen s und d. h. bei m1 das Gewicht tetanisch gehalten h\u00e4tte.1 2 In einer anderen, nur an-\n1\tB\u00e9clard selbst betrachtet diese Versuche an Froschmuskeln wegen gewisser Fehlerquellen als nicht absolut beweisend.\n2\tDiese v\u00f6llig richtige Theorie B\u00e9clard\u2019s ist sp\u00e4ter mit Unrecht angegriffen worden. Es ist ganz klar, dass wenn das Gewicht von s nach i frei fiele, es unten mit der lebendigen Kraft 1 2m v2 = p . si ankommen w\u00fcrde ; indem nun der Muskel fortw\u00e4hrend die Fallgeschwindigkeit vernichtet, leistet die Schwere an ihm die Arbeit","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche \u00fcber die Beziehungen zwischen W\u00e4rmebildung und Arbeit. 163\ngedeuteten Versuchsreihe (a. a. 0. p. 178) suchte B\u00e9clard die beiden Acte des Versuchs C zu trennen, d. h. die W\u00e4rme zu vergleichen wenn der Muskel das Gewicht nur regelm\u00e4ssig von i bis s hob, oder nur regelm\u00e4ssig senkte; er erwartete dass im ersten Falle die Temperatur niedriger, im zweiten h\u00f6her sein w\u00fcrde als bei gleich langem Tetanus in m; diese Versuche scheinen indess resultatlos geblieben zu sein. Analoge Versuche, welche Dufour* 1, jedoch mit Messung der K\u00f6rpertemperatur beim Auf- und Absteigen von Treppen, angestellt hat, lassen mancherlei Bedenken zu. Dupuy2, welcher B\u00e9clard\u2019s Versuche wiederholte, erhielt wie dieser in A und C gleiche W\u00e4rmemengen, dagegen in B nicht kleinere, sondern gr\u00f6ssere ; er verwirft daher B\u00e9clard\u2019s theoretische Anschauungen.\nB\u00e9clard zieht nat\u00fcrlich aus seinen Versuchen folgenden Schluss: durch tetanische Muskelcontraction wird im Muskel eine Energiemenge frei, die der Dauer und der mittleren Intensit\u00e4t der Contraction (bei gleicher Belastung) proportional ist, dagegen unabh\u00e4ngig davon wie sich die Anstrengung auf die Zeit vertheilt, und ob und wie viel positive oder negative Arbeit geleistet wird. Was von dieser Energie nicht als mechanische Arbeit auftritt, erscheint als W\u00e4rme.\nDie B\u00c9cLARD\u2019schen Versuche betreffen, abgesehen von der Mangelhaftigkeit der Messungsmethode, nur die beiden Extreme der gr\u00f6ssten und der fehlenden Arbeit. Umfassender hat Heidenhain an isolirten Froschmuskeln die Frage in Angriff genommen. Zun\u00e4chst machte der Muskel, bei stets maximaler Reizung Zuckungen mit verschiedenen Belastungen, wobei die Hubh\u00f6he graphisch, und die Temperaturerh\u00f6hung mit der Thermos\u00e4ule bestimmt wurde.3 Arbeit und W\u00e4rmebildung war somit direct bekannt, und es wurde gefragt, ob sie sich zu einer constanten Summe erg\u00e4nzen.4 Dies\np . si, welche noth wendig als W\u00e4rme in ihm anftreten muss ; analoge F\u00e4he sind: das langsame Fallen eines Papierschnitzels in Luft, oder der Fall eines Uhrgewichts : das Pendel vernichtet die Geschwindigkeit; die lebendige Kraft, die bei freiem Fall mit vollkommen elastischem Aufschlag das Gewicht bis zur urspr\u00fcnglichen H\u00f6he wieder zur\u00fcckgeschleudert h\u00e4tte, ist statt dessen in W\u00e4rme verwandelt,>welche in Summa der Arbeit \u00e4quivalent ist, die zum Wiederaufziehen der Uhr erforderlich w\u00e4re. B\u00e9clard ist also im Recht, wenn er behauptet, dass der Muskel beim Senken des Gewichts ebensoviel negative Arbeit leistet, wie beim Heben positive. Wenn ferner eingewendet worden ist, dass der mittlere Betrag des Tetanus in der Reihe C kleiner sei als in A, so ist eben \u00fcbersehen worden, dass der Tetanus in A der Mitte m der Hebe- und Senkstrecke si entsprach.\n1\tDufour, La constance de la force et les mouvements musculaires. (Z\u00fcrcher Dissert.) Lausanne 1865.\n2\tDupuy, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1865. p. 626, 646.\n3\tEs wurden immer drei Zuckungen unter gleichen Bedingungen unmittelbar hintereinander ausgef\u00fchrt, um gr\u00f6ssere Erw\u00e4rmungen zu erhalten.\n4\tEs ist nicht \u00fcberfl\u00fcssig, zu bemerken, dass diese Frage nicht identisch ist mit der von B\u00e9clard behandelten (s. unten).\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164 Hermann. Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\nist nun nicht der Fall, sondern die W\u00e4rmebildung w\u00e4chst bis zu einer gewissen Grenze der Belastung mit der Arbeit; sie f\u00e4ngt an zu sinken bei einer Belastung die etwas kleiner ist als diejenige, welcher das Arbeitsmaximum entspricht (ygl. S. 76). Beide Maxima liegen um so tiefer, je weiter die Erm\u00fcdung vorschreitet. Wurde ferner der Muskel, nachdem er belastet war, fixirt, und nun gereizt, so wuchs wiederum die W\u00e4rmebildung mit der dem Muskel ertheil-ten Anfangsspannung bis zu einer gewissen Grenze. Die Summe der freiwerdenden Kr\u00e4fte ist also bei maximaler Reizung nicht bloss im Tetanus, wo sie nur als W\u00e4rme auftreten, sondern auch bei der Verk\u00fcrzung, wo sie sich auf W\u00e4rme und Arbeit vertheilen, keine Constante, sondern eine Function der Spannung; je gr\u00f6sser diese, um so st\u00e4rkeren chemischen Umsatz ruft der maximale Reiz hervor (bis zu einer gewissen Grenze). Vergleicht man weiter die W\u00e4rmebildung bei gleicher Anfangsspannung, aber einmal bei gestatteter, einmal bei verhinderter Zusammenziehung, so ist die W\u00e4rmebildung das zweite Mal gr\u00f6sser als das erste. Aber es w\u00e4re ein Irrthum diesen letzteren Versuch nun als Beweis zu nehmen, dass je mehr Arbeit, um so wenigerW\u00e4rme gebildet wird; denn nur die Anfangsspannung ist in den beiden verglichenen F\u00e4llen gleich, nicht aber die Spannung w\u00e4hrend der Verk\u00fcrzung, die das erste Mal gleich bleibt, das zweite Mal w\u00e4chst. Heidenhain \u00fcberzeugte sich, dass sowohl Anfangsspannung als die Spannungen w\u00e4hrend der Contraction f\u00fcr die freiwerdenden Kr\u00e4fte massgebend sind; die W\u00e4rmemengen wachsen n\u00e4mlich sowohl bei constanter Anfangsspannung mit den \u201eUeberlastungen\u201c (S. 31), die man dem Muskel zu heben giebt, als auch bei variabler Anfangsspannung und constanter Ueberlastung mit der ersteren.1 Also in jedem Stadium hat die Spannung auf die Gr\u00f6sse des Umsatzes Einfluss2 3, ja sogar im Erschlaflungsstadium, wie sp\u00e4ter gefunden wurde (s. unten). Alle angef\u00fchrten Thatsachen wurden auch f\u00fcr tetanisirende Reizung best\u00e4tigt, was oben schon bemerkt ist. Ferner sei hier erw\u00e4hnt, das Lamansky 3 auch die negative Schwankung des Muskelstroms mit der Anfangsspannung des Muskels bis zu einer gewissen Grenze wachsen sah (vgl. d. 8. Capitel).\nDie Erm\u00fcdung wirkt, wie Heidenhain fand, sowohl im Tetanus als bei der Einzelzuckung auf die W\u00e4rmebildung fr\u00fcher vermindernd ein als\n1\tAehnliche Versuche hat mit gleichem Resultate sp\u00e4ter Rawalichin in der unten zu citirenden Arbeit angestellt.\n2\tDas gleiche Resultat erhielt sp\u00e4ter Fick (Arch. f. d. ges. Physiol. XVL S. 59. 1877), indem er die Zuckung durch die S. 77 schon erw\u00e4hnten \u201eSchwungmassen\u201c in die L\u00e4nge zog, wobei wegen gr\u00f6sserer Spannung im Laufe der Verk\u00fcrzung die W\u00e4rmebildung stieg.\n3\tLamansky, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 193. 1870.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche \u00fcber die Beziehungen zwischen W\u00e4rmebildung und Arbeit. 165\nauf die Hubh\u00f6he. Etwas Aehnliches fand sp\u00e4ter Nawalichin (s. unten) f\u00fcr den Einfluss der Ern\u00e4hrung ; bei schlecht gen\u00e4hrten Fr\u00f6schen ist die W\u00e4rmebildung der Muskeln mehr als die Arbeit erniedrigt.\nHeidenhain hatte, wie man sieht, eine ganz andere Frage als B\u00e9clard aufgestellt. Letzterer hatte gefunden, dass bei constanter Spannung die Summe Arbeit -f- W\u00e4rme der Intensit\u00e4t und Daue\u00a3 des Verk\u00fcrzungszustandes proportional ist, Heidenhain dagegen, dass die Reizst\u00e4rke allein die Gr\u00f6sse Arbeit + W\u00e4rme nicht bestimmt, sondern letztere von der Spannung wesentlich mit bedingt wird. Da B\u00e9clard w\u00e4hrend der Tetanuszeiten die Spannung constant erhalten hatte, wurden seine Versuchsresultate keineswegs durch die Heiden-HAiN\u2019schen umgestos-sen. Fick1 kehrte alsbald zu der B\u00e9clard-schen Frage zur\u00fcck, und variirte die Arbeit, \u00e4hnlich wie dieser, nicht durch Aen-derung der Last, sondern durch die Art der Erschlaffung: er experimentirte aber wie Heidenhain am Froschmuskel, und zwar auf folgende sehr sinnreiche Weise , durch einen in Fig. 32 abgebildeten Apparat, den \u201e Arbeitssammler \u201c. Die drehbare Messingscheibe MM wird durch das sie umgreifende R\u00e4hmchen\nRR\\, an dessen linker Seite der Muskel angreift, bei den Zuckungen des letzteren mitgenommen, und zwar mittels der Klemmsperrung H, die mit dem Kl\u00f6tzchen K am Rande der Scheibe lehnt, und dreht sich also bei jeder Zuckung des Muskels um ein bestimmtes St\u00fcck im Sinne des Uhrzeigers; sie windet dabei die Wagschale auf, deren\n1 Fick, Untersuchungen aus dem physiol. Labor, der Z\u00fcrcher Hochschule S. 5. Wien 1869.\nFig. 32. Fick\u2019s \u201eArbeitssammler\u201c.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166 Hermann, Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\nFaden um eine Welle an der Scheibe geschlungen ist. Lehnt die untere Klemmsperrung R\\ mit dem Kl\u00f6tzchen M gegen die Scheibe, so wird die Scheibe nach jeder Drehung festgehalten, das Gewicht also durch eine Reihe von Zuckungen immer weiter aufgewunden. Wird dagegen Hi von der Scheibe entfernt und zur\u00fcckgelehnt, so f\u00e4llt das Gewicht nach jedem Hube wieder zur\u00fcck, die Scheibe geht nur mit dem Hebel RRi hin und her. Bei angelehntem Hi leistet also der Muskel durch seine Zuckungen nutzbare Arbeit, deren Betrag an der Theilung der Scheibe abgelesen werden kann, bei zur\u00fcckgelehntem Hi nicht. Trotzdem ist seine Spannung in beiden F\u00e4llen genau die gleiche, so dass also die von Heidenhain postulate Bedingung verwirklicht ist. In der That fand sich nun in dem Falle wo keine nutzbare Arbeit geliefert wurde, die W\u00e4rmebildung (mit dem HEiDENHAiN\u2019scken Apparat gemessen) entsprechend ver-gr\u00f6ssert1 2, ohne dass freilich die Versuche genau genug w\u00e4ren, um eine Aequivalenz des Plus an W\u00e4rmebildung und der im andern Falle geleisteten Arbeit ergeben zu k\u00f6nnen. Beim arbeitenden Muskel ergab sich die Arbeit zu etwa 34\u201455 pCt. der gesammten freiwerdenden Energie.\nAllein diese Versuche sind, wie Heidenhain 2 weiter zeigte, nicht einwandsfrei; da n\u00e4mlich die Erschlaffung des Muskels nicht pl\u00f6tzlich erfolgt, wie schon der absteigende Theil der Zuckungscurve lehrt, der keine blosse Fallcurve ist, so ist es m\u00f6glich, dass auch in diesem Stadium noch chemische Processe stattfinden, deren Betrag von der Spannung abh\u00e4ngig ist; dann aber k\u00f6nnte der Mehrbetrag der W\u00e4rme im nicht arbeitenden Muskel zum Theil daher r\u00fchren, dass derselbe w\u00e4hrend der Erschlaffung belastet, der am Arbeitssammler arbeitende aber durch die Sperrung der Scheibe entlastet ist. Wirklich fanden Heidenhain\u2019s Sch\u00fcler Landau und P\u00e0cully, dass ein Muskel, der jedesmal auf der H\u00f6he der Zuckung entlastet wird 3, langsamer erm\u00fcdet, und weniger S\u00e4ure bildet, als wenn er. auch w\u00e4hrend der Erschlaffung gespannt ist.\nDie W\u00e4rmebildung bei der Erschlaffung des Muskels ist sp\u00e4ter unter Heidenhain\u2019s Leitung von Steiner4 auch directer festgestellt\n1\tDie unmittelbare Quelle des Plus an W\u00e4rmeb\u00fcdung ist die pl\u00f6tzliche Dehnung des Muskels durch das frei fallende Gewicht.\n2\tHeidenhain, mit Landau und Pacully, Arch. f. d. ges. Physiol. II. S. 423.1869.\n3\tZu dieser Entlastung diente ein am Myographionhebel h\u00e4ngendes schr\u00e4ges St\u00e4bchen, dessen unteres Ende bei der Hebung des Hebels auf einer Zahnleiste entlang geschleppt wurde, und so sich fangend den Hebel auf der H\u00f6he unterst\u00fctzte, also eine Zahnsperrung statt der FiCK\u2019schen Klemmsperrung.\n4\tSteiner, Arch. f. d. ges. Physiol. XI. S. 196. 1875.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche \u00fcber die Beziehungen zwischen W\u00e4rmebildung und Arbeit. 167\nworden. Auf der H\u00f6he der Contraction kommt der Myographion-hebel unter den hakenf\u00f6rmigen Griff eines Gewichtes und bildet dadurch eine Nebenschliessung zu einem Electromagneten ; letzterer hielt bisher das Gewicht schwebend und \u00fcberl\u00e4sst durch seine Demagne-tisirung die Last dem Myographionhebel ; so konnte der Muskel auf der H\u00f6he seiner Contraction beliebig belastet werden. Es zeigte sich nun die W\u00e4rmebildung um so gr\u00f6sser, je st\u00e4rker der Muskel bei der Erschlaffung belastet ist, und am geringsten wenn er durch die in der Anmerkung erw\u00e4hnte Zahnsperrung sich ganz unbelastet wieder ausdehnt. Auf diese Weise ist (da wie sogleich er\u00f6rtert werden wird die Dehnung selber ohne Einfluss ist) mittelbar erwiesen, dass ein Theil der w\u00e4rmebildenden Processe auf das Erschlaffungsstadium f\u00e4llt, was aus theoretischen Gr\u00fcnden auch Fick in einer unten zu erw\u00e4hnenden Arbeit kurz zuvor vermuthet hatte.\nW\u00e4hrend die meisten bisher erw\u00e4hnten Untersuchungen nur mit maximaler Reizung angestellt wurden, hat Nawalichin 1 unter Hei-denhain\u2019s Leitung den Einfluss der Zuckungsh\u00f6he auf die W\u00e4rmebildung untersucht. Mit gradlinigem Ansteigen der ersteren w\u00e4chst uuch letztere1 2, jedoch nicht gradlinig, sondern mit zunehmender Steilheit; drei kleine Zuckungen entwickeln also zusammen weniger W\u00e4rme als eine einzige, die der Summe der ersteren gleich ist (oder besser, um auch hier Wiederholung einzuf\u00fchren, als der dritte Theil der W\u00e4rmeproduction dreier Zuckungen von letzterer Gr\u00f6sse) ; darf man diese Thatsache so deuten, dass der Stoffumsatz bei grossen Zuk-kungen relativ gross ist, so w\u00fcrde dies zu der Erfahrung stimmen, dass die gleiche Arbeit sparsamer mit vielen kleinen Anstrengungen erreicht wird als mit wenigen grossen, eine Bergbesteigung z. B. auf dem l\u00e4ngeren, weniger steilen Wege, weniger erm\u00fcdet. L\u00e4ngere Dauer h\u00f6herer Zuckungen bestreitet Nawalichin (vgl. S. 34), sie kann also die Erscheinung nicht erkl\u00e4ren. Er meint, die Verk\u00fcrzung erfordere einen um so grossem Aufwand an Stoffumsatz zu ihrer Fortsetzung, je weiter sie bereits vorgeschritten ist, da die mithelfenden elastischen Kr\u00e4fte im Laufe des Hubes sich immer mehr ersch\u00f6pfen, also die contraction Kr\u00e4fte mehr in Anspruch genommen werden m\u00fcssen.\nUeber den Betrag der W\u00e4rmeentwicklung im Tetanus liegen noch einige weitere Untersuchungen vor. Zun\u00e4chst ist dieselbe nach\n1\tNawalichin, Arch. f. d. ges. Physiol. XIV. S. 293.1876.\n2\tAuch entspricht \u201e\u00fcbermaximalen\u201c Zuckungen eine \u00fcbermaximale W\u00e4rmebil-\n4uno\\__Das Steigen der W\u00e4rmebildung mit der Hubh\u00f6he haben f\u00fcr Tetanus schon\nMeyerstein & Thiry (a. a. 0.) nachgewiesen.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168 Hermann, All g. Muskelphysik. '7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\nHeidenhain 1 und Fick 2 unabh\u00e4ngig von der Reizfrequenz, ausser so lange Vermehrung der letzteren noch die Intensit\u00e4t des Tetanus vermehrt. Die unwirksam hinzukommenden Reizst\u00f6sse vermehren also den Umsatz nicht. Hiermit stimmt gut die Angabe Nawalichin\u2019s (a, a. 0.) dass wenn zwei Reize so rasch auf einander folgen, dass keine Superposition der Zuckungen stattfindet, d. h. der zweite Reiz wirkungslos ist (vgl. oben S. 40), auch die W\u00e4rmebildung nicht gr\u00f6sser ist als bei einem einzigen Reiz. (Die S. 119 diseutirte Frage, ob unwirksame Reize zur Erm\u00fcdung beitragen, w\u00fcrde hiermit Zusammenh\u00e4ngen.)\nDer Dauer des Tetanus ist, wie Fick (a. a. 0.) findet, die W\u00e4rmeentwicklung nicht proportional, sondern bei kurzem Tetanus relativ gr\u00f6sser. Er schliesst daraus, dass der Verk\u00fcrzung und Erschlaffungsact, wenigstens der erstere, mit betr\u00e4chtlicherer W\u00e4rmebildung verbunden sei als die Erhaltung des verk\u00fcrzten Zustandes. Allein das gleiche Resultat m\u00fcsste wie mir scheint selbst dann erscheinen, wenn die Verk\u00fcrzung \u00fcberhaupt ohne W\u00e4rmeentwicklung verliefe; denn da wegen der best\u00e4ndigen W\u00e4rmeabgabe die Temperatur des Muskels bei unterhaltenem Tetanus nicht in infinitum steigen kann, sondern sich einem Grenzwerth asymptotisch ann\u00e4hern muss, so muss die Gestalt der Curve darin ihren Ausdruck finden, dass die Temperatur in den ersten Tetanuszeiten relativ mehr steigt als in den sp\u00e4teren. Fick giebt freilich an, dass auch eine Reihe von Zuckungen den Muskel mehr erw\u00e4rmt als ein gleich langer Tetanus (dies w\u00e4re entgegen B\u00e9clard, und \u00fcbereinstimmend mit Dupuy, s. oben S. 163); indess fragt es sich, ob in diesen Versuchen der Einfluss der Reibung als Null betrachtet werden darf.\nUeberblickt man die mitgetheilten Untersuchungen, so wird man finden, dass von den oben S. 161 aufgeworfenen Fragen kaum eine beantwortet ist. Wie zu erwarten war, hat sich best\u00e4tigt, dass das Princip der Erhaltung der Kraft auch am Muskel gilt, d. h. dass wo unter gleichem Erregungszust\u00e4nde des Muskels weniger Arbeit geleistet wird, daf\u00fcr um so mehr W\u00e4rme auftritt; es fehlte nur, auf diesem Wege auch das mechanische W\u00e4rme\u00e4quivalent zu bestimmen, um f\u00fcr solche welche etwa die Allgemeing\u00fcltigkeit jenes Gesetzes bezweifelten, einen Beweis zu liefern, der \u00fcbrigens wohl am wenigsten der Zweck der einschl\u00e4gigen Bem\u00fchungen war. Ueber diese Beziehungen hinaus ist aber \u00fcber das Verh\u00e4ltniss von W\u00e4rme und Ar-\n1\tHeidenhain, Mechanische Leistung etc. S. 128.\n2\tFick, Beitr\u00e4ge zur Anat. u. Physiol, als Festgabe f. C. Ludwig I. S. 153. Leipzig 1874.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche \u00fcber die Beziehungen zwischen W\u00e4rmebildung und Arbeit. 169\nbeit im Muskel nichts Wesentliches ermittelt worden. Wer will, kann noch heute annehmen, dass der Muskel neben dem Contractionsap-parat einen Heizapparat enthalte, beide ohne alle gegenseitigen Beziehungen, und dass letzterer nebenbei durch Vernichtung oder Verhinderung von Arbeit auch zu W\u00e4rmebildung f\u00fchren k\u00f6nne. Die brennende Frage, wieviel der Muskel, um eine gewisse Arbeit zu verrichten, zugleich W\u00e4rme zu produciren gezwungen sei, ja ob ein solcher Zusammenhang existire, ist noch gar nicht in Angriff genommen. Eigentlich haben sich die myothermischen Untersuchungen nur in Einer Richtung wahrhaft fruchtbar erwiesen, n\u00e4mlich als ein Mittel den chemischen Umsatz im Muskel indirect zu messen. Und so ist auch das wichtigste Resultat eben das gewesen, dass der ausgel\u00f6ste chemische Umsatz nicht bloss von der ausl\u00f6senden Kraft des Reizes, sondern auch von der Spannung abh\u00e4ngt.\nAber s'elbst hier, und \u00fcberhaupt mit Bezug auf alle Untersuchungen dieses Gebietes, muss nachdr\u00fccklich darauf hingewiesen werden, dass der ausgeschnittene Muskel mit dem ganz normal ern\u00e4hrten nicht streng vergleichbar ist, und daher die Frage ernstlich zu erw\u00e4gen sein wird, wieweit die an ihm gewonnenen Resultate auf den letzteren \u00fcbertragen werden d\u00fcrfen. Grade die neueren Untersuchungen haben gezeigt, dass der Muskel nach dem Ausschneiden unzweckm\u00e4ssiger wird, besonders auch in der Richtung des schnellen und vollst\u00e4ndigen Ablaufs seiner Processe. Ferner sind die angewandten Reize von den nat\u00fcrlichen verschieden, die zum Tetanus benutzte Reizfrequenz meist gr\u00f6sser als die nat\u00fcrliche, alle Zuckungsversuche im Grunde unnat\u00fcrliche Anstrengungsarten des Muskels, und ebenso alle Versuche mit starken, dehnenden Belastungen.1 Vielleicht also arbeitet der lebendige Organismus viel sparsamer als es nach jenen Versuchen scheint, vielleicht ist in jenem der Tetanus mit bedeutend geringerer und die Contraction selbst mit verschwindend kleiner W\u00e4rmeentwicklung verbunden. Leider sind die Aussichten, solche Versuche am lebenden Organismus erfolgreich anzustellen, aus schon angegebenen Gr\u00fcnden sehr gering.\nDie wenigen vorhandenen numerischen Beziehungen zwischen W\u00e4rme und Arbeit haben deshalb nur f\u00fcr den ausgeschnittenen Muskel einigen Werth. Wie schon oben erw\u00e4hnt, fand Fick in einer fr\u00fcheren Untersuchung die Arbeit zu 34\u201455 pCt. der ganzen Muskelleistung. In einer neueren, nach verbesserter Methode angestellten Untersuchung, mit Harte-neck, fand Fick2 das Verh\u00e4ltnis viel ung\u00fcnstiger, n\u00e4mlich zu 1: 3,5\n1\tAuch die thermischen Wirkungen jeder Unvollkommenheit der Muskelelasti-cit\u00e4t sind zu ber\u00fccksichtigen; vgl. oben S. 77.\n2\tFick, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 59. 1877.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170 Hermann, Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\nbis 23,6 (d. h. 29\u20144 pCt.), und zwar traten die g\u00fcnstigeren Verh\u00e4ltnisse bei gr\u00f6sserer Spannung vor oder w\u00e4hrend der Zuckung (durch Anwendung von \u201eSchwungmassen\u201c) ein. Der h\u00f6chste Leistungsbetrag bei director Maximalreizung ergab sich pro grm. Froschmuskel zu 0,0031 Calorien, eine W\u00e4rmemenge, welche der Verbrennungsw\u00e4rme von 0,8 mgrm. Kohlenhydrat oder 0,3 mgrm. Fett entsprechen w\u00fcrde. Uebrigens sind die W\u00e4rmemengen von Fick etwas zu hoch berechnet worden, weil er die W\u00e4rmecapacit\u00e4t des Muskels = 1 (statt 0,825, vgl. S. 99) angenommen hatte; das Verh\u00e4ltniss der nutzbaren Arbeit ist also etwas g\u00fcnstiger als es sich darstellte. Allein man w\u00fcrde \u00fcberhaupt wie gesagt sehr fehl gehen, wenn man die Unzweckm\u00e4ssigkeit (dies Wort beruht auf der freilich anfechtbaren Vorstellung, dass der Muskel zur Arbeit und nicht zur Heizung da sei), h\u00f6chstens 29 pCt. des aufgewendeten Gonsums als Arbeit zu ergeben, auf den lebenden Muskel \u00fcbertragen wollte ; die Verh\u00e4ltnisse waren durch Absterben, directe maximale Reizung (die sogar Verk\u00fcrzungsbeharrungen macht), und die Leistungsform der Zuckung, sehr ung\u00fcnstig.\nIY. Ueber tliermisclie Processe bei passiven Formver\u00e4nderungen des Muskels.\nIm Allgemeinen \u00e4ndern K\u00f6rper durch Dehnung ihre Temperatur. Metalldr\u00e4hte k\u00fchlen sich durch Dehnung nach Joule1 und Edlund2 ab, und erw\u00e4rmen sich bei der Wiederzusammenziehung, Kautschuk und andere Colloidsubstanzen verhalten sich nach Joule umgekehrt; man kann sich leicht \u00fcberzeugen, dass ein pl\u00f6tzlich gedehnter Kautschukstreifen warm erscheint, wenn man ihn an Stirn oder Lippe h\u00e4lt; l\u00e4sst man ihn, nachdem er wieder die Temperatur der Umgebung angenommen, sich pl\u00f6tzlich wieder zusammenziehen, so erscheint er kalt. Diese Erscheinung h\u00e4ngt innig zusammen mit der schon oben S. 100 erw\u00e4hnten verk\u00fcrzenden Wirkung der W\u00e4rme auf Kautschuk. Da aber der lebende Muskel sich in letzterer Hinsicht wie Kautschuk verh\u00e4lt, so darf man erwarten, dass er sich auch beim Dehnen erw\u00e4rmt, beim Nachlass der Dehnung abk\u00fchlt.\nDies Verhalten ist nun in der That von einigen Autoren am Muskel beobachtet worden, zum Theil schon ehe Schmulewitsch auf den eben angef\u00fchrten Zusammenhang aufmerksam gemacht hat ; aber auch entgegengesetzte Angaben existiren. Meyerstein & Thiry3 beobachteten bei der Dehnung zuerst eine Abk\u00fchlung, und dann eine schwache Erw\u00e4rmung, Heidenhain sah anfangs4 Erw\u00e4rmung bei der\n1\tJoule. Ph\u00fc. Mag. (4) XIV. p. 226. 1857 ; XV. p. 538. 1858.\n2\tEdlund, Ann. d. Physik CXIV. S. 1. 1861 ; CXXVI. S. 539.1865.\n3\tMeyerstein & Thiry. Ztschr. f. rat. Med. (3) XX. S. 67. 1863.\n4\tHeidenhain, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1863. S. 545.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Thermisches Verhalten bei Dehnung. W\u00e4rmebildung beim Erstarren. 171\nDehnung, erkl\u00e4rte aber sp\u00e4ter1 2 3 dieselbe als Wirkung von Fehlerquellen, und auch Steiner 2 bestritt sie ; dagegen wurde sie wiederum behauptet, wenigstens f\u00fcr den lebenden Muskel, welcher allein nach ihm das Verhalten des Kautschuks zeigt (vgl. oben S. 100), von Schmulewitsch 3 und f\u00fcr todten und lebenden Muskel (f\u00fcr er-steren st\u00e4rker) von Westermann.4 Schmulewitsch behauptet auch, dass der Muskel beim Dehnen sich verdichtet, wie es zur Erkl\u00e4rung der Erw\u00e4rmung (im Gegensatz zur Abk\u00fchlung der Metalldr\u00e4hte, deren Volumen durch Dehnung zunimmt) erforderlich ist.\nV. Die W\u00e4rmebildimg bei der Todtenstarre.\nDass die Todtenstarre mit einer W\u00e4rmeentwicklung verbunden sei, wurde zuerst vermuthungsweise ausgesprochen, um f\u00fcr die am Menschen .vielfach beobachtete \u201epostmortale Temperatursteigerung\u201c5 6 7 ein Erkl\u00e4rungsprincip zu gewinnen. Monti 6 sah die letztere nach Cholera um so entschiedener auftreten, je schneller und st\u00e4rker sich die Todtenstarre entwickelte, und Walther 7 sah sie an Kaninchen, welche gefesselt der Sonnenhitze ausgesetzt waren, zugleich mit hochgradiger Erstarrung auftreten. Da bei der Todtenstarre im Muskel Gerinnungen stattfinden, und beim Uebergang von Stoffen aus dem fl\u00fcssigen in den festen Aggregatzustand noth wendig W\u00e4rme frei wird, hielt Walther den angedeuteten Zusammenhang f\u00fcr h\u00f6chst wahrscheinlich. Als die Verdichtung der Muskeln bei der Erstarrung gefunden war (s. S. 144), war ein weiteres physicalisckes Moment f\u00fcr eine W\u00e4rmebildung bei der Erstarrung gegeben. Es fragte sich nur, ob diese Momente hinreichen um die Erw\u00e4rmung zu erkl\u00e4ren; dies zu entscheiden fehlt jeder Anhaltspunkt, da weder die Menge des sich ausscheidenden Myosins, noch die Solidificationsw\u00e4rme der Eiweissk\u00f6rper, noch der Verdick tungsco\u00f6fficient der Erstarrung etc. bekannt sind. Huppert8 versuchte directer die WALTHER\u2019sche Ver-\n1\tHeidenhain, Mechanische Leistung, W\u00e4rmeentwicklung und Stoffumsatz bei der Muskelth\u00e4tigkeit S. 54. Leipzig 1864.\n2\tSteinee, Arch. f. d. ges. Physiol. XI. S. 196. 1875.\n3\tSchmulewitsch, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 83; Compt.rend. LXVIII. p. 936.1869.\n4\tWestebmann, Ein Beitrag zur Physik des Muskels. Dorpat 1868.\n5\tDie Literatur dieser Erscheinung und der Versuche sie zu erkl\u00e4ren s. im\n4.\tBande; auch muss bez\u00fcglich der Frage, ob die W\u00e4rmebildung beim Erstarren die einzige Ursache der postmortalen Temperatursteigerung darstellt, auf den genannten Band verwiesen werden.\n6\tMonti, Jahrb. d. Kinderhe\u00fckunde VIII. S. 109. 1866.\n7\tWalthee. Bull. d. Petersburger Acad. XL S. 17 (biologische Ausz\u00fcge VI.\n5.\t138). 1866.\n8\tHuppeet, Arch. d. Heilkunde VIII. S. 321.1867.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172 Hermann, Allg. Muskelphysik. 7. Cap. Thermische Erscheinungen am Muskel.\nmuthung zu st\u00fctzen; er verglich n\u00e4mlich unter m\u00f6glichst gleichen Verh\u00e4ltnissen die Abktihlungscurve nach dem Tode mit der nach k\u00fcnstlicher Wiedererw\u00e4rmung der Leiche auf die Todestemperatur. In einem Versuche wo die Erstarrung w\u00e4hrend der Beobachtungszeit eintrat, dauerte die Abk\u00fchlung bis auf 34 0 (im Rectum) 139 Minuten, nach Wiedererw\u00e4rmung der starren Leiche 71,5 Minuten, und beim gleichen Versuch nach L\u00f6sung der Starre 64,75 Minuten. In einem' Versuch mit sp\u00e4ter Starre dagegen dauerte die Abk\u00fchlung auf 34\u00b0 38,5 Minuten, w\u00e4hrend welcher keine Starre eintrat; in der wiedererw\u00e4rmten starren Leiche dauerte die gleiche Abk\u00fchlung etwa gleiche Zeit (36,25 Minuten). Die so nachgewiesene postmortale W\u00e4rmebildung ist also an den Erstarrungsvorgang gebunden. Indess sind gewisse Fehlerquellen, namentlich die Ungewissheit ob die Wiedererw\u00e4rmung alle Theile der Leiche gleichm\u00e4ssig durchdringt, schwer zu beseitigen.\nNeue Gr\u00fcnde eine W\u00e4rmebildung bei der Erstarrung zu ver-muthen, und zwar eine erheblichere als die oben erw\u00e4hnten physi-ealischen Vorg\u00e4nge vermuthen Hessen, stellten sich ein, als in der Erstarrung ein verwickelterer mit Kohlens\u00e4ure- und Milchs\u00e4urebildung verbundener chemischer Process erkannt wurde. Namentlich postulirte eine von mir aufgestellte Anschauung von den Beziehungen zwischen Contraction und Starre eine erhebliche W\u00e4rmeproduction f\u00fcr letztere.1 2 3 Von diesem Standpunkt ausgehend stellten unabh\u00e4ngig von einander Dybkowsky & Fick 2 und Schiffer 3 directe Versuche an Muskeln an. Erstere umwickelten das Gef\u00e4ss eines feinen Thermometers mit etwas vorgew\u00e4rmten lebenden Frosch- oder Kaninchenmuskeln und senkten es in Wasser von derjenigen Temperatur, welche W\u00e4rmestarre herbeif\u00fchrt; dies Wasser enthielt ein zweites genau verglichenes Thermometer. Beim Erstarren stieg das mit Fleisch umwickelte Thermometer h\u00e4ufig \u00fcber das andere, obwohl ersteres sammt dem Fleisch erst auf die Temperatur des Wassers erw\u00e4rmt werden musste (letzterer Umstand erkl\u00e4rt vollkommen die negativen Resultate); beim Abstreifen des Fleisches sank der Stand des Thermometers sofort auf den des andern; die W\u00e4rmestarre ist also mit selbstst\u00e4ndiger W\u00e4rmebildung im Muskel verbunden. Auch bei der spontanen Erstarrung rasch abgek\u00fchlter Kaninchenmuskeln in einem Keller\n1\tIck habe hierauf bei Gelegenheit eines Referates \u00fcber die H\u00fcPPERT\u2019sche Arbeit aufmerksam gemacht, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 457.\n2\tDybkowsky & Fick, Vierteljahrschr. d.naturf. Ges.in Z\u00fcrich 1867 ; abgedruckt in Unters, a. d. physiol. Labor, d. Z\u00fcricher Hochschule S. 17. Wien 1869.\n3\tSchipeer, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 849; Arch. f. Anat. u. Physiol. 186& S. 442.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"W\u00e4rmebildung beim Erstarren. Thierische Electricit\u00e4t.\n173\nHess sich eine Erw\u00e4rmung feststellen. Tkermoelectrische Versuche, in welchen ein lebender und ein starrer Muskel, beiden Fl\u00e4chen der S\u00e4ule anliegend, allm\u00e4hlich auf die Erstarrungstemperatur erw\u00e4rmt wurden, w\u00e4hrend zugleich die L\u00e4nge des ersteren mit Hebel und Scala beobachtet wurde, ergaben ferner dass die Temperatur des lebenden Muskels zu der Zeit die des todten zu \u00fcbersteigen anf\u00e4ngt, wo ersterer sich durch die Erstarrung zusammenzieht. Schiffer beobachtete die Erw\u00e4rmung haupts\u00e4chlich an Fischen in deren Mus-culatur die eine L\u00f6thstellenreihe einer Nadels\u00e4ule versenkt wurde, w\u00e4hrend die andere sich im umgebenden Wasser befand. Einige Minuten nach T\u00f6dtung des Thieres durch K\u00f6pfen steigt seine Temperatur \u00fcber die des Wassers, erreicht nach 3,4 Stunden ein Maximum, um sich dann wieder mit der des Wassers auszugleichen. Beim Starrmachen von Froschschenkeln durch Injection von S\u00e4uren oder Alkohol konnte keine W\u00e4rmebildung nachgewiesen werden, woraus man schliessen kann, dass die obige rein physicalische Erkl\u00e4rung nicht ausreicht, denn diese Substanzen bewirken ausgedehntere Coa-gulationen als die Starre, ohne aber den f\u00fcr letztere characteristi-schen chemischen Process einzuleiten (vgl. oben S. 152).\nACHTES CAPITEL.\nGalvanische Erscheinungen am Muskel.\nI. Einleitende Bemerkungen.\nDie galvanischen Erscheinungen am Muskel bilden zusammen mit denjenigen am Nerven und an dem electrischen Organ der Zitterlisch e den wichtigsten Inhalt desjenigen Gebietes, welches kurz als \u201e thierische Electricit\u00e4t \u201c bezeichnet wird. Die \u00e4ltere Geschichte dieses Gebietes ist mit un\u00fcbertrefflicher Sorgfalt von E. du Bois-Reymond in seinem ber\u00fchmten Werke 1 * dargestellt worden, welches selber in diesem Gebiete epochemachend war. Nur einige Hauptz\u00fcge dieser Geschichte m\u00f6gen hier eine Stelle linden.\nGalvani\u2019s zuerst 1786 angestellter Versuch, zwischen Nerv und Musculatur eine metallische Verbindung herzustellen, bei deren Schluss Zuckung auftrat, wurde die Quelle zweier Disciplinen : des Galvanis-\nI E. du Bois-Reymond , Untersuchungen \u00fcber thierische Elektricit\u00e4t I. S. 29.\n1848. Die \u00e4ltere Literatur ist im Folgenden nicht angegeben, sondern a. a. 0. aufzu-\nsuchen.","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174 Hermann, Allg. Muskelphysik. S. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nmus und der thierischen Electricit\u00e4t. Selbst Volta, welcher die wahre Ursache jener Zuckungen in der Ungleichartigkeit der beiden den feuchten Leiter ber\u00fchrenden Enden des Metalls, und in der dadurch bedingten Herstellung einer galvanischen Kette entdeckt hat, sah anfangs wie Galvani selbst in dem Versuche die durch den Metallbogen vermittelte Entladung einer in den thierischen Theilen vorhandenen Spannung. Der sp\u00e4teren VoLTA\u2019schen Erkl\u00e4rung gegen\u00fcber machte Galvani geltend, dass auch ohne Metalle h\u00e4ufig Zuk-kung auftritt, wenn die thierischen Theile zum Kreise geschlossen werden, und obgleich Volta auch diesen Versuch auf die Bildung einer Kette aus heterogenen Leitern zur\u00fcckzuf\u00fchren suchte, wurde doch, namentlich auch durch A. von Humboldt\u2019s Bem\u00fchungen, schliesslich festgestellt, dass es eine thierische Electricit\u00e4t giebt, d. h. dass lebende thierische Theile electromotorische Kr\u00e4fte besitzen, deren Strom, bei Schliessung zum Kreise, zur Erregung von Zuckungen gen\u00fcgt, und zwar ohne dass die Bildung einer Kette nach dem Schema der VoLTA\u2019schen dabei nachweisbar ist. Allein weiterem Experimen-tiren zug\u00e4nglich wurde die thierische Electricit\u00e4t erst, als Nobili im Jahre 1827 mit dem von ihm mit astatischem Nadelpaar versehenen ScHWEiGGER\u2019schen Multiplicator am GALVANi\u2019schen Pr\u00e4parate einen best\u00e4ndigen aufsteigenden Strom, den \u201eFroschstrom \u201c, nach wies. Die Entdeckung dass der einzelne Muskel unter bestimmten Umst\u00e4nden gesetzm\u00e4ssige Str\u00f6me giebt, wurde sodann in den Jahren 1840\u20141843 ziemlich gleichzeitig von Matteucci und von du Bois-Keymond gemacht ; und zwar so dass Matteucci bez\u00fcglich einiger fundamentalen Thatsachen, du Bois-Reymond aber bez\u00fcglich der klaren Formuli-rung der Gesetze und Schaffung der pr\u00e4cisesten Methoden die Priorit\u00e4t geb\u00fchrt. Letzterer aber hat dann weiter die Bewegungserscheinungen des Muskelstroms, und ferner den Nervenstrom mit seinen zahlreichen physiologischen Beziehungen entdeckt. Sein Werk und die ihm nachgefolgten Abhandlungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t 1 wurden in der Physiologie epochemachend, nicht bloss durch die F\u00fclle der darin enthaltenen Thatsachen, sondern mehr noch durch das Vorbild scharfer Fragestellung, sinnreicher Methodik und vollendeter Experimentalkritik, welches diese Arbeiten der physiologischen Forschung gaben. Auch darin liegt ein hohes Verdienst dieser Untersuchungen, dass zum ersten Male auf physiologischem Gebiete ein Gegenstand, dem Niemand im entferntesten practische Bedeutung f\u00fcr\n1 Dieselben sind neuerdings gesammelt erschienen : Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. 2 B\u00e4nde. Leipzig 1875, 1877. (Im Folgenden citirt als: Ges. Abh.)","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Geschichtlicher Abriss. Methodik. Multiplicator.\n175\ndie Medicin zuzuschreiben Anlass hatte, in ausf\u00fchrlichster Weise untersucht und so der Physiologie ihre heutige unabh\u00e4ngige und um so segensreichere Stellung erobert wurde.\nII* Methodik der Versuche \u00fcber den Muskelstrom.\nDas untr\u00fcglichste Mittel zur Untersuchung des Muskelstroms ist das Galvanometer oder das \u201eelectromagnetische Rkeoscop\u201c. Zwar kann der Strom auch durch Erregung von Nerven festgestellt werden (\u201ephysiologisches Rheoscop\u201c), ja dies Verfahren hat sogar f\u00fcr die Erkennung rascher Ver\u00e4nderungen Vorz\u00fcge, es ist aber unzureichend zur Feststellung der Richtung, sowie zur Messung von Intensit\u00e4t und electromoto-rischer Kraft; ebenso kann auch durch Zersetzung von Jodkaliumkleister u. dgl. (\u201e electrochemisches Rheoscop \u201c) der Strom und seine Richtung erkannt werden, aber dies Mittel ist wenig empfindlich und zu Messungen ebenfalls ungeeignet.\n1. Der Multiplicator.\nDie \u00e4ltere Form des Galvanometers, der Multiplicator mit astatischem Nadelpaar, hat heutzutage h\u00f6chstens noch den Vortheil die meisten Erscheinungen leicht Mehreren zugleich zeigen zu k\u00f6nnen. Der Mangel der D\u00e4mpfung, welcher die Beobachtungen sehr zeitraubend macht, die unmittelbare N\u00e4he des Beobachters, so dass eiserne Gegenst\u00e4nde, die er an sich tr\u00e4gt oder bei der Beobachtung etwa zu handhaben hat, Gefahr bringen, sind, ausser der geringeren Empfindlichkeit, seine gr\u00f6ssten Nachtheile.\nUeber Construction, Behandlung und Aufstellung des Multiplicators handelt am vollst\u00e4ndigsten du Bois-Reymond.1 Aus der Theorie seien hier die Hauptpunkte kurz hervorgehoben. Die Astasie des Nadelpaars, deren Grad man durch Streichen mit einer magnetisirten N\u00e4hnadel in der Hand hat und an der Zunahme der Schwingungsdauer eon-trolliren kann, w\u00fcrde, wenn sie absolut, d. h. der Magnetismus beider Nadeln genau gleich w\u00e4re, bei vollkommnem Parallelismus derselben bewirken, dass das Nadelpaar keine Gleichgewichtsstellung hat, also in jedem Azimuth schwingungslos verharrt. Die geringste Unvollkommenheit des Parallelismus dagegen bewirkt, wie ein Blick auf Fig. 33 lehrt, eine zum Meridian senkrechte Gleichgewichtslage (die sog. \u201efreiwillige Ablenkung\u201c, deren Ursache schon Nobili erkannte), da beide Nordpole der Nadeln sich nach dem Nordpol der Erde, beide S\u00fcdpole nach dem S\u00fcdpol stellen. Ist die Astasie unvollkommen, so weicht die freiwillige Ablenkung vom Aequator mehr oder weniger ab. In der Figur sind ns und\nFig. 33. Schema der freiwilligen Ablenkung eines astatischen Nadelpaares.\n1 du Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 160 ff. 1848; II. 1. S. 477. 1849; Abhandlungen der Berliner Acad. Phys. CI. 1862. S. 75. (Ges. Abh. I. S. 145ff.)","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nn\u2019 s' die Projectionen beider Nadeln, NS der Meridian, ab die Halbirungs-linie des Winkels cp beider Nadeln, und a deren Winkel mit dem Meridian, m und m' die vom Magnetismus abh\u00e4ngigen auf die Pole n und s' wirkenden Richtungskr\u00e4fte, und g und /u' deren wirksame Componenten, so ist die Bedingung des Gleichgewichts:\ncp\tcp\ng = fx1 oder m . sin (a \u2014 \u2014) = m'. sin (a -j-\nZ\tZ\nworaus durch geh\u00f6rige\nUmformung folgt:\nm 4- m' cp\ntff* =\nm\nm!\nDie Grenzf\u00e4lle dieser Formel ergeben sich leicht, n\u00e4mlich:\n1.\tVollkommene Astasie und Parallelismus (t = 1', cp \u2014 0):\ntgu = oc. 0; Gleichgewicht in jedem Azimuth.1\n2.\tVollkommene Astasie, kein Parallelismus (t=l'):\nt g a == cc ; \u00ab = 90\u00b0; Gleichgewicht in Aequatorialstellung.\n3.\tNur eine Nadel (tr = 0, cp \u2014 0):\ntga \u2014 O, a = 0 ; Gleichgewicht im Meridian.\nDreht man die Windungen so, dass sie der freiwilligen Ablenkung des Nadelpaares parallel sind, so tritt beim Einh\u00e4ngen des letzteren eine neue, durch den Eisengehalt der Drahtmassen oder ihrer (gr\u00fcnen) Bespinnung2 bedingte Ablenkung auf, indem die Nadeln sich in die Richtung gr\u00f6sster Metallmasse, d. h. in eine der beiden Diagonalen des Gewindes einstellen; ausser diesen beiden giebt es noch eine labile Gleichgewichtsstellung, n\u00e4mlich der Mitte, dem Spalt des Gewindes entsprechend ; diese letztere muss durch Anwendung eines sehr kleinen am Spalt angebrachten Hiilfsmag-neten zur stabilen gemacht werden.3\n2. Die Boussole.\nDie Tangen ten boussole mit Spiegelablesung wird gew\u00f6hnlich in der Form angewendet, dass der von den Rollen umgebene Magnet an seiner Drehaxe einen Glasspiegel tr\u00e4gt, der in beliebigen Winkel zum Magneten gebracht werden kann, so dass das Fernrohr nicht mehr wie fr\u00fcher senkrecht zum Meridian aufgestellt zu werden braucht. Die erste zu electropliysiologischen Zwecken construite Boussole war das Electrogalvanometer von Meissner &Meyerstein4, dessen Windungen direct auf eine D\u00e4mpfh\u00fclse von Messing gewickelt sind; das Instrument hat einen schweren Magnetring, dessen Aufh\u00e4ngung das Gewinde umgreift.5\n1\tIn Wirklichkeit gestaltet sich dieser Fall, wie Sauerwald fand, durch die tempor\u00e4re Wirkung der Erdkraft etwas anders, oder ist vielmehr nie verwirklicht; vgl. du Bois-Reymond, Ann. d. Physik CXII. S. 1. 1861 (Ges. Abh. I. S. 134), wo auch noch einige andre die astatischen Systeme betreffende Bemerkungen.\n2\tVgl. duBois-Reymond, Abhandl. d. Berliner Acad. 1862. Phys. Cl. S. 77. (Ges. Abh. I. S. 147.)\n3\tUeber fr\u00fchere Methoden zum gleichen Zweck vgl. die Literatur bei du Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 184.\n4\tMeissner & Meyerstein, Ztschr. f. rat. Med. (3) XI. S. 193. 1861.\n5\tDer haupts\u00e4chlichste Mangel dieses Instrumentes besteht in der zu schwachen D\u00e4mpfung und der Unm\u00f6glichkeit letztere zu entfernen und den Abstand des Gewindes vom Magneten zu ver\u00e4ndern.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Multiplicator. Freiwillige Ablenkung. Boussole. Einrichtung und Aufstellung. 177\nDie jetzigen Boussolen, meist nach Wiedemann\u2019s Modell gebaut, haben eine starke kupferne D\u00e4mpfh\u00fclse, auf welche die Drahtrollen, die sich auf einem Schlitten bewegen lassen, aufgeschoben werden; durch Entfernung der Rollen kann die Empfindlichkeit beliebig vermindert werden. Der an einem langen Coconfaden h\u00e4ngende Magnet stellt einen leichten Ring dar, der die Bohrung der D\u00e4mpfh\u00fclse m\u00f6glichst ausf\u00fcllt. Der Magnetring h\u00e4ngt an einem metallnen oder schildkrotenen St\u00e4bchen, das seine Drehaxe bildet, und \u00fcber der D\u00e4mpfh\u00fclse, deren Dach durchbohrend, den in einen Ring gefassten, sehr leichten gl\u00e4sernen Planspiegel tr\u00e4gt. Die Fassung ist auf dem St\u00e4bchen, auf welchem sie mittels einer d\u00fcnnen H\u00fclse aufsitzt, drehbar. Die Boussole wird auf einem Consol oder Pfeiler zun\u00e4chst so aufgestellt, dass der Schlitten senkrecht zum Meridian steht, der Magnetring also genau senkrecht zur Bohrung der D\u00e4mpfhtilse h\u00e4ngt, und in derselben v\u00f6llig frei schwebt. Jetzt wird das Fernrohr mit seiner Scala auf einem soliden Bock so aufgestellt wie es die Dimensionen des Zimmers gestatten; die Entfernung von der Boussole betr\u00e4gt, je nach der Vergr\u00f6sserung des Fernrohrs und der gew\u00fcnschten Empfindlichkeit, 1\u20143 Meter.\u2019 Das Tageslicht muss auf die Scala fallen; das Fernrohr wird am besten auf einen Pfeiler zwischen zwei Fenstern gerichtet, der die Boussole tr\u00e4gt. Der Boussolspiegel wird nach dem Fernrohr orientirt.\nSobald das Bild der Scala im Fernrohr scharf erscheint, muss letzteres oder der Boussolspiegel so lange verstellt werden, bis der mittelste Theilstrich der Scala sich mit dem verticalen Faden des Fadenkreuzes deckt. Nunmehr wird zur Astatisirung des Magneten mittels des HAUY\u2019sehen Verfahrens geschritten. An irgend einem Stativ (ein solches ist den k\u00e4uflichen Boussolen meist beigegeben) wird ein kr\u00e4ftiger Magnetstab so angebracht, dass er sich irgendwie in der Declinationsebene befindet, und sein Nordpol dem S\u00fcdpol der Erde zugewandt ist. Der HAuy\u2019sche Stab muss zwei Verstellungen gestatten: eine Verschiebung parallel mit sich selbst gegen den beweglichen Boussolmagnet, und eine Winkeldrehung gegen den magnetischen Meridian. Durch erstere wird der Grad der Astasie regulirt, durch letztere die best\u00e4ndige Einstellung des beweglichen Magneten auf den Mittelpunct der Scala corrigirt.1\n3. Theorie und Behandlung der Boussole.\nIn Folge der D\u00e4mpfung verh\u00e4lt sich der bewegliche Magnet als ob er sich in einem widerstrebenden Medium bewegte, denn nach dem Grundgesetz der Induction inducirt jede Bewegung eines Magneten in der N\u00e4he eines Leiters in diesem einen Strom, der so gerichtet ist, dass er den Magneten in der seiner Bewegung entgegengesetzten Richtung ablenkt. Die inducirte Kraft ist der Geschwindigkeit des Magneten proportional, welche letztere, wenn x die Ablenkung des Magneten aus seiner Ruhelage bezeichnet, durch den Differentialquotienten dxjdt ausgedr\u00fcckt wird.\n1 N\u00e4heres \u00fcber das HAUY\u2019sche Verfahren und eine durch dasselbe bewirkte Art von freiwilliger Ablenkung s. bei du Bois-Reymond , Monatsber. d. Berliner Acad. 1874. S. 767. (Ges. Abh. I. S. 368.) Am Electrogalvanometer war derHAUY\u2019sche Stab sehr sinnreich in zwei Magnete zerlegt, deren kleinerer und n\u00e4herer zur feinen Einstellung diente.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\n12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nDie Kraft (Beschleunigung) welche den Magneten in seine Ruhelage zu-ruckzuf\u00fchren strebt, ist [alle Betrachtungen sind nur f\u00fcr kleine Ablenkungen g\u00fcltig] proportional der jedesmaligen Ablenkung x, also\ndAx\tf .\n= - nx\u2019.........................(1)\nworin n2 die magnetische Richtkraft dividirt durch das Tr\u00e4gheitsmoment des Magneten (durch Astatisiren wird n2 beliebig verkleinert); das negative Vorzeichen ist erforderlich weil die Kraft immer die Ablenkung x zu vermindern strebt. Ist eine D\u00e4mpfh\u00fclse vorhanden, so kommt noch ein Glied hinzu, welches den Factor dx/dt enth\u00e4lt, und zwar aus leicht ersichtlichem Grunde ebenfalls mit negativem Vorzeichen ; bezeichnet 2e die verz\u00f6gernde Kraft der D\u00e4mpfung f\u00fcr die Geschwindigkeit 1 und das Tr\u00e4gheitsmoment 1, so ist\nd2x\t\u201e\t: dx\n= \u2014 n-x \u2014 2ferr *...................(2)\ndp\ndt\nA) Der unged\u00e4mpfte Magnet.\nDas allgemeine Integral der Gleichung (1), oder die Bewegungsgleichung des v\u00f6llig unged\u00e4mpften Magneten ist folgende:\nx = A . sin n {t \u2014 B),....................... (3)\nworin A und B Constanten, die den Umst\u00e4nden gem\u00e4ss zu bestimmen sind; die Bewegung ist also eine periodische.\n1. Ist zur Zeit 0 x = a und dx/dt = 0, d. h. wird der Magnet aus der Ablenkung a zur Zeit 0 freigelassen, so ergiebt sich\nx \u2014 a . cos n t,\nd. h. der Magnet schwingt zwischen den Ablenkungen + a und \u2014 a best\u00e4ndig hin und her, und braucht dazu jedesmal die Zeit T = njn (halbe Dauer einer Periode, oder Schwingungsdauer nach gew\u00f6hnlicher Z\u00e4hlung); die Gleichung l\u00e4sst sich also auch schreiben\n71 t\nx = a . cos\nT\noder wenn der Anfangspunct der Zeitz\u00e4hlung um T/2 verschoben wird,\n. 7T t\nx = a . sm \u2014 \u2022\nDie maximale Geschwindigkeit (beim Durchgang durch die Gleichgewichts-l\u00e4ge) betr\u00e4gt\tdx =\t_ + an = + R\ndt \u2022\t~~ T \u2014\n2. Der Fall, dass dem Magneten zur Zeit 0 in der Nullstellung durch einen Stoss die Geschwindigkeit c ertheilt wird (/ = 0, x = 0, dx/dt = c), kommt bei der PouiLLEpschen Zeitmessung zur Anwendung (s. oben S. 31), und m\u00f6ge hier gleich mit er\u00f6rtert werden; die Gleichung (3) ergiebt f\u00fcr\ndiesen Fall:\t* _ L . sin nt - \u2014 . sin %\nn\tn\t1\nDer Magnet erlangt also seine gr\u00f6sste Ablenkung (;rmas = h)\n.\tc\tcT \u201e .. .\tT\nh = \u2014 \u2014 \u2014 zur Zeit / =\nn Ti\tLn 2\nund schwingt nun mit der Elongation + h um seine Gleichgewichtslage.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Bonssole. Magnetbewegung ohne u. mit D\u00e4mpfung. PouiLLET\u2019scbe Zeitmessung. 179\nWird, wie es bei der PouiLLET\u2019schen Zeitmessung der Fall ist, die Anfangsgeschwindigkeit c durch einen sehr kurzen Stromstoss ertheilt, dessen Dauer = dessen Intensit\u00e4t = 7, so ist, wenn M das magnetische und k das Tr\u00e4gheitsmoment des Magneten,\n\n&IM k ;\nund wenn ferner E die Intensit\u00e4t des Erdmagnetismus, u die Ablenkung des Magneten durch den vollen Strom 7, so ist, da I=Ea und EM\n2,\t2 &an\nc = da \u2014} also h = \u2014\u2014\noder die sehr kleine Zeit <7, w\u00e4hrend welcher der Strom I (dessen volle Ablenkung = a) geschlossen war, ergiebt sich aus der durch ihn bewirkten Ablenkung h nach der Formel\nB) Der ged\u00e4mpfte Magnet.\nDie Gleichung (2) f\u00fcr den ged\u00e4mpften Magneten hat verschiedene\nallgemeine Integrale, je nachdem in ihr n = \u00a3. Es ist\nf\u00fcr ny>e (gew\u00f6hnlicher Fall): x \u2014 Ae~ \u00a3t . sin [|/ n2\u2014 e2(t\u2014B)\\ .... (4) ,, n = \u00a3i\tx==(A \u2014}\u2014 Bi) 6~ \u00a3t.....................(5)\n\u201e w<\u00a3:\tx = Ae \u2014 (\u00a3+yE*\u2014n\u20182)t-\\-Be\u2014(e\u2014\\/s\u2018i\u2014n2)t(Q)\nworin wiederum A und B die Integrationsconstanten sind. Nur der erste Fall f\u00fchrt also auf eine periodische Bewegung.\n1. Ist wiederum, f\u00fcr t = 0, x \u2014 a und dx/dt = 0, so ergiebt sich als Bewegungsgleichung\nx = a . e \u2014 \u00a3t Icos ([/n2 \u2014 \u00a32 . t) H-f\u2014\t. sin (]/n2 \u2014 \u00a321).\n\\\tyn2 \u2014 \u00a32\nDie Schwingungsdauer ist (und bleibt unver\u00e4nderlich) :\nT =\n|/ n2 \u2014 \u00a32\nso dass die Gleichung auch geschrieben werden kann:\n71\t\u00a3 T\nx \u2014 a . e \u2014 \u00a3 t (cos \u2014 t -]--------\ni\tTC\n71 \\ sm \u2014 t)\n(F\u00fcr \u00a3 = 0 gehen die B letzten Gleichungen in die obigen f\u00fcr den unged\u00e4mpften Magneten \u00fcber.) Wegen des Co\u00ebfficienten e \u2014 et nehmen die Elongationen in geometrischer Reihe ab, so dass wenn die bei der Oten, lten, 2ten, 3ten . . . (halben) Schwingung erfolgenden Elongationen mit xq (\u2014 a), xi, X2, X3 : . . bezeichnet werden,\nXQ\tXi\tX2\t^ rp\nXi\tX2\tX3\nund lg Xu \u2014 Igxi = Igxi \u2014 lgx2 =.... = s T = X, das sogenannte logarithmische Decrement des Magneten.\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\n2. Erh\u00e4lt der ged\u00e4mpfte Magnet zur Zeit t = 0 in der Ruhelage (x = 0) einen Stoss, mit der Geschwindigkeit dxjdt \u2014 c, so erleidet er dadurch die Ablenkung\nX 7t\np-------. arc tq -r-\nr\t\u2014\th \u2014 \u2014 e n\tz\n'A'max - 11- % ' \u00b0\t?\noder, wenn X die Schwingungsdauer des gleichen Magneten im unged\u00e4mpften Zustande (X \u2014 njn)y\nX\t7t\nT -------. arc tq\nh = c. \u2014 .e *\t>\u25a0.\n71\nWird hierin f\u00fcr den die Geschwindigkeit c ertlieilenden, w\u00e4hrend der kurzen Zeit & wirkenden Strom die von ihm bewirkte volle Ablenkung a wie oben eingef\u00fchrt, so ergiebt sich\nX\t7t\n& an\t~ arc l9 ~Y\nh = ^\u2014.e\t*\t1,\nX\tun\nDiese Formel, welche zur PouiLLET\u2019schen Zeitmessung mit einem ged\u00e4mpften Magneten dient, kann bei geringer D\u00e4mpfung (kleinem X) auch geschrieben werden\n\u2014 arc tg -y\n*\t\" 1, also # = \u2014 .h.e% K.\nan \\\t2\nZu beachten ist, dass X die Schwingungsdauer des angewandten Magneten ausserhalb der D\u00e4mpfh\u00fclse, jedoch nat\u00fcrlich bei dem gegebenen Grade der Astasie, ist.\nC) Der aperiodische Magnet.1\nDie Gleichung (5), welche auf eine aperiodische Bewegung f\u00fchrt, nimmt 1. f\u00fcr den Fall dass der Magnet aus der Ablenkung a zur Zeit t = 0 losgelassen wird, die Gestalt an:\nx = a ( 1 -{\u2014\tc \u00a3\nd. h. der Magnet begiebt sich mit anfangs wachsender, dann abnehmender Geschwindigkeit nach dem Nullpunct, ohne \u00fcber denselben hinauszuschwingen ; strenggenommen wird der Nullpunct erst zur Zeit t \u2014 oc vollkommen erreicht, mit der Geschwindigkeit 0. Das Maximum der Geschwindigkeit, deren Gleichung ist\ndx _ \u2014 a\u00a32t. e \u2014 st di\nf\u00e4llt in die Zeit t\u2014 1/e, wo x \u2014 2 a je.\n2. Erh\u00e4lt der aperiodische Magnet zur Zeit t = 0 in der Lage x = 0 die Anfangsgeschwindigkeit dxjdt = c, so ist\nx \u2014 ct. e \u2014 sty\nund es wird die Ablenkung\n, _ c\n\u2022Ernax- it ^ ^\n1 Die Lehre von der Aperiodicit\u00e4t der Magnete, wie die ganze Theorie von Gauss herr\u00fchrend, ist ausf\u00fchrlich entwickelt und zur practischen Anwendung gebracht von duBois-Reymond, Monatsber. d. Berliner Acad. 1869. S. 807; 1870. S. 537 ; 1873. S. 748; 1874. S. 767. (Ges. Abh. I. S. 284\u2014390.)","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegung ged\u00e4mpfter Magnete. Aperiodicit\u00e4t. Nutzen u. Herstellung derselben. 181\nzur Zeit t\u2014 1 je erreicht. Wird wie oben f\u00fcr c der Werth Sun1 2jX2: = S an2 = S ut2 eingef\u00fchrt; so ist\nh___ Sae San ^ ^ eh eh\ne\te\tea na\nDie Aperiodicit\u00e4t des Magneten hat den grossen Yortheil dass nicht durch Abwarten von Schwingungen Zeit verloren geht. Freilich sind; wie schon Gauss bemerkte; die Beobachtungen mit demselben weniger genau !; als mit dem ged\u00e4mpft schwingenden Magneten ; bei welchem sich aus drei successiven Umkehrstellungen hi, h2y fa stets die Ruhestellung h genau nach der Formel ergiebt:\nh\\ \u2014 h h\u2014h2\t7\tMM \u2014 M2\nt\u2014\u20147\u2014 = ~r-------r ? woraus h = \u2014-------\u2014\u2014\u2014\u2014 \u2022\nh \u2014 h2 h% \u2014 h\thi \u2014 2 h2 -b M\nObgleich aus diesem Grunde f\u00fcr rein physicalische Untersuchungen der unged\u00e4mpft oder ged\u00e4mpft schwingende Magnet dem aperiodischen meist vorzuziehen ist; hat f\u00fcr thierisch-electrische Versuche; bei denen wegen der Verg\u00e4nglichkeit der thierischen Gebilde; besonders bei l\u00e4nger fortgesetzter Reizung; schneller Abschluss des Versuchs wichtiger ist als absolute Genauigkeit der Einstellung; die Aperiodicit\u00e4t grosse Vortheile; besonders aber f\u00fcr die hier h\u00e4ufig vorkommende Compensationsmethode (s. unten). Ein anderer sehr wesentlicher Vortheil liegt darin; dass die Bewegung des schwingungslosen Magneten ein treuer Ausdruck des zeitlichen Verlaufs der galvanischen Ver\u00e4nderungen ist. Er verh\u00e4lt sich zum gew\u00f6hnlichen wie der Sphygmograph und das Federmanometer zum Quecksilbermanometer; und auch die Mittel zur Beseitigung der Eigenschwingungen sind im Grunde hier wie dort die gleichen; n\u00e4mlich geringes Tr\u00e4gheitsmoment und d\u00e4mpfende Widerst\u00e4nde.\nZur Erreichung der Aperiodicit\u00e4t ist (da e \u2014 n sein soll) ein um so h\u00f6herer Grad von Astasie n\u00f6thig; je geringer die D\u00e4mpfung und je gr\u00f6sser das Tr\u00e4gheitsmoment2 ist. Boussolen mit schw\u00e4cherer D\u00e4mpfh\u00fclse und schwerem Magnete, z. B. die Meissner-Meyerstein\u2019scIic (s. oben); erfordern daher so hohe Grade von Astasie; dass die Aperiodicit\u00e4t hier nicht durchf\u00fchrbar ist, da bei zu weit getriebener Astasie der Magnet best\u00e4ndig\n1\tDie Ungenauigkeit ist um so gr\u00f6sser, je mehr n<.s\\ der im Text allein ber\u00fccksichtigte Grenzfall n = e ist offenbar so gut wie nie genau hergestellt. F\u00fcr den Fall n<\u00a3 nimmt die entsprechende Gleichung (6, S. 179), wenn der Magnet aus der Ablenkung a ohne Anfangsgeschwindigkeit f\u00e4llt, die Gestalt an :\ne ~ et {[^ + r)ert \u2014 (e \u2014 r) e rtJ,\nworin r = \\ e2 \u2014 n2. Auch hier wird die Gleichgewichtslage erst nach unendlicher Zeit erreicht ; aber die Geschwindigkeit nimmt schon in gr\u00f6sserem Abstand von derselben, als im Grenzfall n = s, sehr kleine Werthe an, so dass der Magnet schon in einem gewissen Abstande von der Gleichgewichtslage ann\u00e4hernd zur Ruhe kommt. In dem entgegengesetzten Grenzfall n \u2014 0 w\u00fcrde der Magnet sogar in der Ablenkung a stehen bleiben ; diesem Verhalten n\u00e4hert er sich um so mehr, je mehr n von e \u00fcbertroffen wird.\n2\tDa die Bedingung der Aperiodicit\u00e4t lautet : s>n, und e dem Tr\u00e4gheitsmoment, n aber der Wurzel des Tr\u00e4gheitsmoments umgekehrt proportional ist (vgl. oben S. 178), so wird die Aperiodicit\u00e4t um so leichter erreicht, je kleiner das Tr\u00e4gheitsmoment.","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182 Hermann, AJlg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nwandert. Umgekehrt sind die SiEMENs\u2019schen Glockenmagnete \\ welche in einer kugligen D\u00e4mpfh\u00fclse aufgeh\u00e4ngt sind, so stark ged\u00e4mpft und dabei von so geringem Tr\u00e4gheitsmoment, dass sie selbst ohne Astasie aperiodisch sich bewegen. Die gew\u00f6hnlich angewandten (Wiedemann-schen) Schlittenbonssolen macht man dadurch aperiodisch, dass man, unter best\u00e4ndiger Corrigirung des Meridianstellung, den HAUv\u2019schen Stab so lange der Boussole n\u00e4hert, bis die Aperiodicit\u00e4t erreicht ist.\nD) Weitere Bemerkungen.\nGradezu sch\u00e4dlich ist die D\u00e4mpfung, wo es sich um Beobachtung \u00e4usserst schwacher und nur momentan wirkender Str\u00f6me handelt.* 2 Schon bei der PouiLLET\u2019schen Zeitmessung, obwohl man hier die Str\u00f6me beliebig stark nehmen kann, ist g\u00e4nzliche Entfernung der D\u00e4mpfhiilse rathsam; einmal weil die Berechnung der Zeiten in diesem Falle einfachei ist, viel mehr noch, weil bei ged\u00e4mpftem Magnet die in der Formel vorkommende Schwingungsdauer % die des Magneten ohne D\u00e4mpfung ist; man kann aber den Magneten nicht zur Beobachtung der Schwingungsdauer aus der D\u00e4mpfh\u00fclse heraus nehmen, sobald derselbe astatisirt ist; denn er muss in diesem Falle in der gegebenen Entfernung vom HAUv\u2019schen Stabe beobachtet werden. Wo es vollends sich um Beobachtung momentan geschlossener Muskelstr\u00f6me handelt, kommt noch die Frage der Empfindlichkeit hinzu ; ein gegebener Stromstoss lenkt den gleichen Magneten bei gleicher Astasie ab:\nc\nim unged\u00e4mpften Zustande um \u2014\n\u201e ged\u00e4mpften\t\u201e\t\u201e ~\t~ * arc^T\nc\n\u201e aperiodischen \u201e\t\u201e\t~n7e'\nDie Empfindlichkeit ist also im ersten Falle am gr\u00f6ssten, und zwar 2,72 mal so gross als im letzten. In solchen F\u00e4llen muss man also die D\u00e4mpfh\u00fclse entfernen, was die Boussolen neuerer Construction gestatten. Sehr zweckm\u00e4ssig kann man dann zur Erh\u00f6hung der Empfindlichkeit den so gewonnenen Raum mit H\u00fclfsrollen ausf\u00fcllen 3, die freilich nun wieder ein wenig d\u00e4mpfend wirken.4\nJe h\u00f6her der Grad der Astasie, um so mehr unterliegt die Gleichgewichtsstellung langsamen Schwankungen, die theils in den Variationen der Declination, theils in solchen der Intensit\u00e4t ihren Grund haben.5 Sel-\n1 Beschrieben von du Bois-Reymond, Monatsber. d. Berliner Acad. 1873. S. 748.\n(Ges. Abh. I. S. 353.)\n2\tHermann. Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 52. 1874; XV ._S. 202. 18m.\n3\tVgl. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 204. 1877.\n4\tZur Beruhigung des unged\u00e4mpften Magneten ist es am zweckm\u00e4ssigsten aut den Boussolschlitten eine H\u00fclfsrolle aufzuschieben, durch welche man vom Platze aus einen sehr schwachen Stromzweig durch kurze schnellende Schliessungen eines federnden Contacts senden kann; die dadurch bewirkten. Ablenkungen l\u00e4sst man jedesmal eintreten, wenn der Magnet in entgegengesetzter Richtung durch die Gleich-\ngewichtslage geht.\n5 du Bois-Reymond , Monatsber.\nd. Berliner Acad. 1874. S. 767. (Ges. Abh. I.\nS. 368.)","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Behandl. d. Boussole. F\u00e4lle wo die D\u00e4mpfung sch\u00e4dlich ist. Andere Rheoscope. 183\nten sind aber diese Wanderungen so schnell; dass sie f\u00fcr die Beobachtung selber st\u00f6rend sind. Jedoch erfordern sie best\u00e4ndige Correcturen im Azimuth des HAUY\u2019schen Stabes, damit die Mitte der Scala im Gesichtsfeld bleibt. Ganz unpractisch ist es daher, die Scala in der Mitte mit einem Nullpunct zu versehen; viel richtiger ist die gew\u00f6hnliche Anordnung der Physiker, den Nullpunct an das eine Ende der (1 Meter langen) Scala zu versetzen. Man notirt dann jede Ablenkung als zwei Zahlen, deren Differenz man erst nach dem Versuche hinzuschreibt, und es ist dann gleichg\u00fcltig ob die Ruhelage genau bei 500 liegt, oder bei irgendwelchem andern Theilstrich zwischen 400 und 600. Die n\u00f6thigen Correcturen macht man dann ab und zu direct am HAuy\u2019schen Stabe. Wer den Nullpunct in der Mitte hat, ist gen\u00f6thigt, zu den best\u00e4ndig erforderlichen Correcturen den Stab vom Platze aus mittels einer Fadenleitung zu regieren l, welche den Raum zwischen Fernrohr und Boussole unpassirbar macht.\nWichtig ist es, sowohl den beweglichen als den festen Magnet m\u00f6glichst stark zu magnetisiren (mittels eines kr\u00e4ftigen Electromagneten), und den Magnetismus ab und zu wieder zu s\u00e4ttigen, besonders wenn einmal ein etwas zu starker Strom den Boussolmagnet ver\u00e4ndert hat.\nDie Boussolleitung muss best\u00e4ndig durch einen am Fernrohrplatz befindlichen Schl\u00fcssel, der als Nebenschliessung wirkt und erst zur Beobachtung ge\u00f6ffnet wird, vom \u00fcbrigen Versuchskreise abgesperrt und in sich ges\u00e7hlossen sein. Alle Theile der Leitung, selbst die am Console befestigten Klemmschrauben, m\u00fcssen sorgf\u00e4ltig isolirt sein ; die Fussplatten der Boussole liegen auf Glasplatten, die Klemmschrauben haben gl\u00e4serne Halter, die Leitungsdr\u00e4hte sind mittels gl\u00e4serner oder porzellanener, an F\u00e4den h\u00e4ngender Ringe in der Luft schwebend gehalten. Die Unterlassung der geringsten Vorsichtsmassregel kann sich durch grobe T\u00e4uschungen r\u00e4chen.\n4. Einige andere Rheoscope.\nAusser dem electromagnetischen Rheoscop hat nur noch das physiologische eine grosse Bedeutung, aus dem schon oben S. 175 angegebenen Grunde. Man benutzt als solches meist einen Froschunterschenkel mit erhaltenem Ischiadicus (\u201estrompr\u00fcfender Froschschenkel\u201c); die Anwendung kommt weiter unten zur Sprache. Zu den electromagnetischen Rheoscopen geh\u00f6rt auch das BELL\u2019sche Telephon, welches um den ruhenden Muskelstrom anzuzeigen mit dem Muskel und einem Unterbrechungsgrad in einen Kreis gebracht werden muss ; beim Drehen des Rades (in einem entfernten Zimmer) h\u00f6rt man am Telephon ein Ger\u00e4usch.2 Man sollte meinen dass das Telephon zum Nachweis pl\u00f6tzlicher Ver\u00e4nderungen des Muskelstroms, \u00e4hnlich wie das physiologische Rheoscop sehr geeignet sei; vgl. indess unten sub IV. Dass der Muskelstrom wie jeder Strom inducirend wirken kann3, und allenfalls dadurch nachgewiesen werden k\u00f6nnte, hat wohl kaum practische Bedeutung.\n1\tEine derartige Vorrichtung ist abgebildet von du Bois-Reymond, Monatsber. d. Berliner Acad. 1874. S. 772. (Ges. Abh. I. S. 373.)\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 504. 1878.\n3\tBr\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXI. S. 13. 1875.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nDas LiPPMANN\u2019sche Capillar- Electrometer1 kann ebenfalls zum Nachweis und zur Messung schwacher electromotorischer Kr\u00e4fte dienen; es beruht auf der Aenderung der Capillarit\u00e4tsconstante des Quecksilbers durch Polarisation; leitet man einen Strom durch einen in einem Capil-larrohr befindlichen, an verd\u00fcnnte S\u00e4ure grenzenden Quecksilbermeniscus in der Richtung, dass sich die Quecksilberoberfl\u00e4che mit Wasserstoff pola-risirt, so nimmt die LAPLACE\u2019sche Capillarit\u00e4tsconstante zu, die Depression wird gr\u00f6sser ; man kann entweder die Depression messen (nachdem Gleichgewicht eingetreten, d. h. der Strom durch die Polarisation annullirt ist), oder den Druck, der zur Herstellung des alten Niveau\u2019s hergestellt werden muss. Die Beobachtung des Meniscus geschieht zweckm\u00e4ssig durch Fernrohr mit Fadenkreuz.\nAuch bei offenem Kreise, und zwar mit Vortheil, weil jede St\u00f6rung durch Polarisation wegf\u00e4llt, k\u00f6nnen die electromotorischen Kr\u00e4fte der thierischen Theile durch Spannungen nachgewiesen und sogar gemessen werden; hierzu dient am besten das h\u00f6chst empfindliche Quadrant-Electrometer von W. Thomson.2\n5. Die Verbindung des Galvanometers mit den thierischen Theilen.\nDie Ableitung von den thierischen Theilen muss vor Allem so geschehen, dass kein Strom angezeigt wird, wenn letztere stromlos sind, d. h. die ihnen angelegten metallischen Enden des Galvanometers d\u00fcrfen sich nicht ungleichartig verhalten, so dass sie mit den feuchten Theilen eine VoLTA\u2019sche Kette bilden, du Bois-Reymond3 liess die Galvanometerleitung in zwei sorgf\u00e4ltig gereinigten Platinplatten enden, die in ges\u00e4ttigte Kochsalzl\u00f6sung eintauchten ; aber diese bei grosser Sorgfalt gleichartige Combination hat, wie die meisten andern, den Nachtheil der Po-larisirbarkeit, so dass der abgeleitete Strom der thierischen Theile sich sofort durch Ladung der Platinplatten schw\u00e4cht.4 Beide Bed\u00fcrfnisse, Gleichartigkeit und Unpolarisirbarkeit, vereinigt die von J. Regnauld5 erfundene, von Matteucci6 7 vervollkommnete und von du Bois-Reymond 1 eingehend gepr\u00fcfte Combination von amalgamirten Zinkfl\u00e4chen in ges\u00e4ttigter neutraler Zinksulphatl\u00f6sung.8 Die\n1\tLippmann, Ann. d. Physik CXLIX. S. 551. 1873; vgl. auch Marey, Compt. rend. LXXXIV. p. 354. 1877.\n2\tVgl. Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 204. 1872.\n3\tnu Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 205. 1848.\n4\tDas recht sinnreiche Verfahren von Beins, den Einfluss der Polarisation durch best\u00e4ndige Vertauschung beider Electroden, unter Wahrung der Verbindungsrichtung zwischen Ableitungspuncten und Galvanometer, zu eliminiren, ist durch die REGNAULD\u2019sche Combination \u00fcberfl\u00fcssig geworden; vgl. Beins, Arch. f. d. holl. Beitr. IL S. 73.1858 (Meissner\u2019s Jahresber. 1858. S. 389 ; van Deen, Nederl. Tijdschr. v. Geneesk. II. p. 601. 1858).\n5\tJ. Regnauld, Compt. rend. XXXVIII. p. 890. 1854.\n6\tMatteucci, Compt. rend. XLIII.p. 231.1856; er wandte zuerst statt des destil-lirten amalgamirtes Zink an.\n7\tdu Bois-Reymond, Monatsber. d. Berliner Acad. 1859. S. 443. (Ges. Abh. I. S. 42.)\n8\tDass die L\u00f6sung s\u00e4urefrei sein muss, fand Patry , Arch. d. sc. phys. et nat. XXXin. p. 199. 1868; Ann. d. Physik CXXXVI. S. 495. 1869. Ich pflege die L\u00f6sung einmal mit Zinkoxyd aufzukochen und sie dann \u00fcber solchem stehen zu lassen.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Capillar- u. Quadrant-Electrometer. Gleichartige u. unpolarisirbare Electroden. 185\nGleichartigkeit dieser Electroden ist bei richtiger Behandlung absolut, die Unpolarisirbarkeit aber nur unvollkommen, besonders wenn die benetzte Zinkfl\u00e4che sehr klein, oder die Str\u00f6me sehr stark sind. Der Grund der Unvollkommenheit scheint weniger darin zu liegen, dass neben dem Zink-sulphat auch Wasser zersetzt wird 1 2 3 4, als darin dass die Zersetzung der L\u00f6sung dieselbe an der Anode, wo sich Zink aufl\u00f6st, concentrirter, an der Cathode aber, wo sich Zink niederschl\u00e4gt, verd\u00fcnnter macht, der Con-centrationsunterschied aber zu einer Gegenkraft, also zu einer Art von Polarisation Veranlassung giebt.'2\nSehr ungleichartig werden diese Electroden durch Temperaturdiffe-renzen; die w\u00e4rmere Electrode ist kr\u00e4ftig positiv gegen die k\u00e4ltere, was sehr zu beachten ist. Diese Hydrothermokraft, welche Lindig 3 zuerst beobachtet hat, betr\u00e4gt f\u00fcr 100\u00b0 nach meinen4 Messungen etwa 1/i4 Daniell.\nWegen ihrer \u00e4tzenden Wirkungen darf die Salzl\u00f6sung der Electroden nicht direct die thierischen Theile ber\u00fchren; die fr\u00fcher von du Bois-Reymond als Schutz angewandten mit Eiweiss befeuchteten Blasenst\u00fccke (\u201e Eiweissh\u00e4utchenu) gew\u00e4hrten keinen gen\u00fcgenden Schutz gegen die damals angewandte Kochsalzl\u00f6sung. Seitdem man in der 0,6\u20140,7-procen-tigen Steinsalzl\u00f6sung eine sehr indifferente Fl\u00fcssigkeit erkannt hat (s. oben S. 103), benutzt man diese als directen Ableiter, und zwar, nach du Bois-Reymond\u2019s Vorgang, indem man feinen Modellirthon mit derselben zu einer formbaren Masse anknetet, der man die f\u00fcr den Versuch w\u00fcn-schenswertheste Gestalt giebt.\nVon den speciellen Formen der unpolarisirbaren Electroden sind namentlich zwei von du Bois-Reymond angegebene von sehr allgemeiner Anwendbarkeit: erstens die Z uleitun gs g ef\u00e4sse, Fig. 34, ganz aus\nFig. 34. Zuleitungsgef\u00e4ss mit Bausch und Thonsehild, von du Bois-Betmond.\nFig. 35. Zuleitungsr\u00f6hren mit Thonspitzen von du Bois-Keymond.\nZink gegossen, mit einer isolirenden Unterlage u von Kammmasse, einer Drahtklemme k und einem Griff g. Die Aussenfl\u00e4che ist lackirt, die Innenfl\u00e4che amalgamirt, und das Lumen grossentheils von dem \u00fcber den Rand gebogenen Fliesspapierbausch b ausgef\u00fcllt, welcher durch den\n1\tVgl. Obebbeck, Ann. d. Physik CLIV. S. 445. 1875.\n2\tVgl. hierzu die Arbeit von F. Weber, Vierteljschr. d. naturf. Ges. in Z\u00fcrich 1878. S. 364.\n3\tLindig, Ann. d. Physik CXXIII. S. 1. 1864.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol, in. S. 41. 1870 ; XIV. S. 485. 1877.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nSchild s aus Kammmasse und den Kautschukring r festgehalten wird; der Zinktrog ist mit der Zinkl\u00f6sung gef\u00fcllt; und der Bausch damit getr\u00e4nkt; wo die tliierischen Theile anliegen sollen; ist letzterer mit einer Schutzplatte p aus dem oben besprochenen Kochsalzthon bedeckt. \u2014 Eine zweite du Bois\u2019sche Form ist die Zuleitungsr\u00f6hre; Figur 35. Die plattgedr\u00fcckte Glasr\u00f6hre r ist frei beweglich mittels eines Kugelgelenks an dem Stativ s befestigt; sie enth\u00e4lt das amalgamirte Zinkblech z, das an die Messingplatte m angepresst ist1 ; unten ist die R\u00f6hre durch eine Kappe aus Kochsalzthon t, von geeigneter Form; verschlossen; und im Uebrigen mit Zinkl\u00f6sung gef\u00fcllt.2 Das obere Drittel der Zinkplatte muss gefirnisst sein, damit bei Bewegungen des Gef\u00e4sses nicht neue noch unbenetzte Zinkfl\u00e4chen zur Benetzung kommen.\nAusser den genannten sind noch zahlreiche Formen erfunden worden, welche freilich mehr zur polarisationsfreien Zuleitung von Str\u00f6men f\u00fcr die Reizphysiologie, als f\u00fcr galvanometrische Untersuchungen berechnet sind; alle diese Apparate haben die drei Hauptheile gemeinsam: ein amalgamates Zinkst\u00fcck, mit Einrichtung zur metallischen Weiterleitung, die Zinkl\u00f6sung, und einen f\u00fcr thierische Theile unsch\u00e4dlichen feuchten Leiter.3 Die wesentlichen Zwecke dieser Apparate sind immer Compendiosit\u00e4t und leichte Verstellbarkeit, zuweilen auch freie Beweglichkeit; in ersteren Beziehungen leisten schon die R\u00f6hrenelectroden sehr viel. Mit zunehmender Verkleinerung der Zinkfl\u00e4chen nimmt vor Allem die Gefahr der Polarisation zu (vgl. oben S. 185), wodurch mittelbar auch die Gleichartigkeit leidet. Den h\u00f6chsten Grad von Compendiosit\u00e4t erreicht man, wenn man ein die Fl\u00fcssigkeit enthaltendes Rohr dadurch entbehrlich macht, dass man auf amalgamirte Zinkdr\u00e4hte Lager von Zinksulphatthon und auf diesen den Kochsalzthon bringt; ein Stativ mit solchen von mir 4 angegebenen Electroden, sehr geeignet zu Reizversuchen am Nerven, stellt Fig. 36 dar; die Halter sind auf einem Ebonitprisma verschiebbar; die Zinkdr\u00e4hte sind zum Theil bayonnetf\u00f6rmig, um ihren gegenseitigen Abstand auch kleiner machen zu k\u00f6nnen als die Breite eines Halters betr\u00e4gt. Compendi\u00f6se Modificationen der R\u00f6hrenelectroden sind zahlreich beschrieben.5\n1\tDie in der Figur angegebene urspr\u00fcngliche Einrichtung, dass das Zinkblech die Platte m umgreift, erschwert sehr die \u00e4usserst wichtige Reinhaltung der Ber\u00fchrungsfl\u00e4chen ; ich biege daher das Zinkblech nicht um, was freilich die kleine Unbequemlichkeit mit sich bringt, dass man das Blech nicht herausnehmen kann, ohne es erst etwas zu senken und das Rohr dann etwas zur\u00fcckzuschrauben. Es w\u00e4re sogar vortheilhaft jedes Zinkblech an einen Messingfortsatz anzul\u00f6then und diesen festzuschrauben.\n2\tDamit die Zinkl\u00f6sung nicht in ihrem unteren Theil durch den Kochsalzthon verunreinigt wird, ist es gut den Verschluss durch Zinksulphatthon herzustellen, und erst an diesen die Kochsalzthonspitze anzuf\u00fcgen; vgl. du Bois-Reymond, Ges. Abh. I. S. 166, IL S. 83.\n3\tStatt des Kochsalzthons benutzten Belharz & Nasse (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862. S. 66) passend zugeschnittene St\u00fccke von gekochtem Eierweiss. Leitet man von einer Sehne oder Aponeurose oder einem todten Nerven- oder Muskelst\u00fcck ab, so kann direct der Zinksulphatleiter angelegt werden.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 211. 1871 ; VIL S. 332. 1873.\n5\tVgl. z. B. Pel\u00fcger, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 98. Berlin 1859; Heidenhain, Mechanische Leistung, W\u00e4rmeentwicklung und","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Formen unpolarisirb. Electroden. Messung d. Intensit\u00e4t. Reductionsverfahren. 187\nSoll von Muskeln gleichartig abgeleitet werden, ohne dass die Ableitung durch Zuckungen beeintr\u00e4chtigt wird, so ist ein biegsames Zwischenst\u00fcck unentbehrlich, bestehend aus einem um den Muskel geschlungenen,\nmit verd\u00fcnnter Kochsalzl\u00f6sung befeuchteten Wollen- oder Hanf-faden, der am andern Ende an den Thon einer Rohrenelectrode angedr\u00fcckt wird* 1 ; dabei kann auch die Ableitung von der ganzen Circumferenz schon an sich von Vortheil sein. Vgl. auch unten sub V. die f\u00fcr Ableitung am Menschen bestimmten Seil-electroden (Fig. 46).\nZu manchen Zwecken ist es erforderlich dass die Electrode die thierischen Theile sehr fest packt; hierzu geeignete Zangenelectroden sind unten, Fig. 52, abgebildet und ebendaselbst beschrieben.\nFig. 36. (S. 136.) Electrodenstativ f\u00fcr Nervenreizversuehe.\n6. Messung der Intensit\u00e4t, der electromotorischen Kraft und des L eitungswider Standes.\nIntensit\u00e4tsmessungen haben in der thierischen Electricit\u00e4t, wegen der grossen und sehr variablen Widerst\u00e4nde, relativ geringen Werth; viel wichtiger sind die Messungen der electromotorischen Kraft, durch welche man sich eben von den Widerst\u00e4nden unabh\u00e4ngig macht.\nF\u00fcr diejenigen Str\u00f6me, welche die Scala nicht aus dem Gesichtsfelde treiben, sind bekanntlich die Ablenkungen einfach den Intensit\u00e4ten proportional, so dass letztere so verglichen und mittels eines schwachen Normalstroms gemessen werden k\u00f6nnen. Bei Str\u00f6men, f\u00fcr welche die Scala nicht ausreicht, und \u00fcberhaupt bei allen Str\u00f6men, kann man zur Messung ein Verfahren anwenden, das das Princip des Differentialgalvanometers zum Muster hat, und das ich \u201eReductionsverfahren\u201c nenne.2 Auf den Schlitten der Boussole wird noch eine dritte Rolle geschoben, die mit einem besonderen Stromkreise in Verbindung ist; letzterer enth\u00e4lt einen durch ein Rheochord abstufbaren Stromzweig eines constanten Elementes, dessen Richtung und St\u00e4rke so gew\u00e4hlt wird, dass er die vorhandene Ablenkung grade compensirt, d. h. den abgelenkten Magneten in seine Ruhelage \u201ereducirt\u201c. Die reducirenden Str\u00f6me k\u00f6nnen behufs absoluter Messungen graduirt werden ; hierzu ist erstens n\u00f6thig, dass die Intensit\u00e4ten des reducirenden Stromes den Rheochordl\u00e4ngen desselben proportional sind, was bekanntlich erreicht wird, indem man in den Haupt-\nStoffumsatz bei der Muskelth\u00e4tigkeit S. 71. Leipzig 1864; Bonders, Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 3. 1872; Engelmann, ebendaselbst VI. S. 105. 1872; Rollett, Sitzungs-ber. d. Wiener Acad. 3. Abth.LXX. S. 7.1874; Fleische, ebendaselbst LXXIV. S.4037 1876.\n1\tVgl. Harless, gel. Anz. d. bayr. Acad. XXXVII. S. 267.1853; Matteucci, Proceed. Roy. Soc. X. p. 344.1860; Meissner & Cohn, Ztschr. f. rat. Med. (3) XV. S. 29. 1862 ; Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 194. 1877 ; XVIII. S. 576. 1878.\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 227. 1875.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nund in den Boussolkreis der Reductionsvorrichtung grosse Widerst\u00e4nde einf\u00fchrt; zweitens muss f\u00fcr einen den Hauptrollen zugef\u00fchrten Strom von bekannter Intensit\u00e4t die zugeh\u00f6rige Rheochordstellung des Reductors einmal festgestellt sein. Einen Strom von bekannter Intensit\u00e4t erh\u00e4lt man z. B. wenn man eine Thermos\u00e4ule anwendet, deren Kraft in unten zu er\u00f6rternder Weise gemessen ist, und in den Kreis derselben einen so grossen Rheostatwiderstand einf\u00fchrt, dass der Widerstand der Thermos\u00e4ule dagegen verschwindet; den Widerstand der Reductionsrolle muss man ebenfalls kennen.1\nZur Messung der electromotorischen Kraft2 dient das von du Bois-Reymond3 modificirte PoGGENDORFF\u2019sche Compensationsverfahren, d. h. die Einf\u00fchrung eines von einem Rheochorddraht abgezweigten, zur Compensation der Ablenkung grade hinreichenden Stromzweiges. Ist (Fig. 37) E die electromotorische Kraft der Kette K im Hauptkreise\nFig. 38. Gradnirung des Compensators, nach. du Bois-Reymond.\nciKSRbc, W der Widerstand des letzteren, w der des die. Nebenschliessung bildenden St\u00fccks a c des Rheochorddrahtes a b, endlich e die zu compensirende Kraft des Muskels M, so ergiebt sich aus den Kirch-uoFF\u2019schen S\u00e4tzen \u00fcber verzweigte Str\u00f6me als Compensationsbedingung\nrv\ne = w+^-E-\nIst nun W -f- w = const., d. h. geh\u00f6rt der Rheochorddraht mit seinem\n1\tIst z. B. die Rheochordl\u00e4nge r des Reductors nothwendig gewesen, um eine\nAblenkung zu reduciren, die von einer Thermos\u00e4ule von der Kraft A (Dan.) hei den eingeschalteten Widerst\u00e4nden W (S.-Einh.) geliefert wurde, so bedeutet jeder Theil-strich des Reductors eine Intensit\u00e4t von\tj_ t\nW Dan. .\t.\t,\t. ,, W _K mm.2m^\n\u2014rr \u2022\t--- oder m absol. Maass \u2014j? \u2022 IR'5 .---------\u2022\nrK Siem.\t< rK\tsec.\n2\tDie erste Kraftmessung an thierischen Theilen geschah durch J. Regnauld (Compt. rend. XXXYIII. p. 890.1854), indem er eine Thermos\u00e4ule zum Compensiren verwandte, deren Temperatur so lange ver\u00e4ndert wurde bis letzteres erreicht war.\n3\tdu Bois-Reymond , Hauptarbeit Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 417. (Ges. Abh. II. S. 232.)","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Messung d. electron!. Kraft durch Compensation. Graduirung d. Compensators. 189\nnicht nebenschliessenden Theile dem Hauptkreis an, so ist\ne = \u2014 E, c\nalso die zu messende Kraft dem Widerstand der Nebenschliessung, d. h. der L\u00e4nge des eingeschalteten Drahtst\u00fccks direct proportional. Um die Kraftmessung vollst\u00e4ndig zu machen, d. h. das Yerh\u00e4ltniss e : E anzugeben, kann man, da sich das Yerh\u00e4ltniss w : W w nicht direct ermitteln l\u00e4sst, folgendermassen verfahren. Es sei Fig. 38 E die Maasskette, z. B. ein DANiEuhsches Element, e die zu bestimmende electromotorische Kraft, z. B. eiiies\"Muskels oder einer Thermos\u00e4ule, B die Boussole, ab der Rheoehorddrakt und c der Schieber, so suche man zun\u00e4chst die Schieberstellung c, bei welcher der Strom im Kreise aBec Null ist. Ist W der Widerstand der Leitung aB'Eb, N die L\u00e4nge des Drahtes ab in Millimetern, n die L\u00e4nge des St\u00fccks ac, und w der Widerstand eines Millimeters Draht, so ist, wrenn die Compensation erreicht ist, nach obiger\nGleichung\tnw \u201e\t, E W N\ne = -777-\u2014\u2014\u2014 . E, oder \u2014 =---------1---\u2022\nW-f- Nw\te nw n\nEs w\u00e4re also zur Yollendung der Aufgabe nur noch das Yerh\u00e4ltniss W:nw zu ermitteln. Da dies aber ebenfalls nicht direct angeht, so setze man, um zu einer ausf\u00fchrbaren' Bestimmung zu gelangen, / gleich der Intensit\u00e4t, welche die Kraft E mit dem Widerstand W ergiebt, und B gleich der Intensit\u00e4t, welche die gleiche Kraft mit dem Widerstand W-f- Nw liefert. Diese Intensit\u00e4ten lassen sich leicht an der Boussole vergleichen; zu diesem Zweck ist in die Hauptleitung eine Rolle B' von vorn herein eingeschaltet, welche beim ersten, compensirenden Theil des Yersuchs in wirkungsloser Entfernung von der Boussole aufgestellt wird; im zweiten Theil aber wird sie der Boussole so weit gen\u00e4hert (w\u00e4hrend der Kreis aBec ge\u00f6ffnet ist), dass sie eine Ablenkung hervorbringt. Diese entspricht der Intensit\u00e4t B; wird jetzt, w\u00e4hrend B' am gleichen Orte bleibt, der Draht a b aus der Leitung ausgeschaltet, so erh\u00e4lt man die 1 entsprechende Ablenkung; das Yerh\u00e4ltniss beider.Ablenkungen heisse m\\\ndann ist\tI WNw\tNw\tN nw\nm= \u2014 =-------------= 1 -j----\u2014 = 1 +\nr\nw\nw\nw\nund\nnw \u2014 {in \u2014 1) W .\nN\nDies in die obige Gleichung eingesetzt, ergiebt\nE_\ne\nN_\nn\nin\nm-\noder e = \u2014 N\nm\u2014 1 m\n. E,\nin \u2014 1\nwomit die Aufgabe gel\u00f6st ist. Der Werth---\u2014- E, welcher ausdr\u00fcckt,\nm N\nwelchen Bruchtheil der Kraft eines Daniells jeder Millimeter Rheochord-draht werth ist, heisst die Graduationsconstante der Compensations-vorrichtung.\nUm diesen Werth \u00f6fters revidiren zu k\u00f6nnen, ist es nicht nothig, die genannte Bestimmung jedesmal wieder auszuf\u00fchren; auch w\u00e4re es unbequem, die Rolle B\u2019 best\u00e4ndig im Kreise zu haben. Es gen\u00fcgt, auf die angegebene Weise einmal eine stets leicht reproducirbare Kraft e, z. B. die einer Thermos\u00e4ule von 100\u00b0 Temperaturdifferenz, zu messen,","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nund mittels dieser Kraft die Graduationsconstante einer Vorrichtung, aus der nun die Rolle B\u2019 wegbleiben kann, einfach dadurch aufzusuchen, dass man die f\u00fcr die Compensation nothige Drahtl\u00e4nge n aufsucht. Ist e z. B. Ts Dan., und sind zur Compensation n= blO mm. Draht n\u00f6thig, so ist der Werth jedes Theilstrichs, oder die Graduationsconstante, = ws\u2122 Dan.\nDie Graduationsconstante ist um so kleiner, je schw\u00e4cher die Maasskette, je gr\u00f6sser der in ihrem Kreise befindliche Widerstand, und je dicker der Rheochorddraht. Um von Widerstandsschwankungen der Maasskette m\u00f6glichst unabh\u00e4ngig zu sein, ist es gut einen recht grossen Widerstand neben derselben zu haben. Ferner ist es sehr practisch, je nach den Versuchsobjecten, mit gr\u00f6sseren oder kleineren Graduationsconstanten arbeiten zu k\u00f6nnen. Man nimmt dazu einen St\u00f6pselrheostaten (R in Fig. 37) in den Hauptkreis auf, und graduirt f\u00fcr eine Anzahl Widerst\u00e4nde desselben, die man dann nach Bedtirfniss einf\u00fchrt. Der Rheostat kann auch dazu dienen, um die Graduationsconstante auf eine runde Zahl, z. B. T\u00f4\u00ef\u00ef\u00fc\u00ef\u00ef Dan. zu bringen, was f\u00fcr die Berechnungen Vortheil bietet; sollte z. B. im zuletzt genannten Falle die Constante auf diesen Werth gebracht werden, so w\u00fcrde erforderlich sein, dass die Compensation, statt bei 57 0, bei 6662,3 eintritt; man w\u00fcrde also den Schieber auf diesen Theilstrich einstellen und den Rheostatwiderstand so lange \u00e4ndern (vermehren), bis Compensation erreicht ist. Man kann so f\u00fcr die Constanten nk\u00f6, 2OT\u00dc, Woo, ts\u00fc\u00f6d Dan. die n\u00f6thigen Widerst\u00e4nde aufsuchen, und nach \u2022Bedtirfniss benutzen.\nZwei Formen des Compensators sind in Gebrauch. Der \u201elange\u201c Compensator ist ein auf eine 1\u20142 Meter lange Holzschiene gespannter Platindraht, mit untergeklebter Millimetertheilung ; als Schieber dient eine an der Stirnfl\u00e4che eines durch Bleikern beschwerten Holzschlittens befestigte quergestellte Platinschneide. Der \u201erunde\u201c Compensator hat einen um eine runde Scheibe gespannten, 1 mm. dicken Platindraht, gegen den als Schieber ein Platinr\u00f6llchen federt; die Scheibe ist um eine verticale Axe drehbar, und mit einer Theilung (in 1000 Theile) am Rande versehen; eine Vorrichtung, um den ganzen Draht bequem aus dem Hauptkreis ausschalten zu k\u00f6nnen (f\u00fcr die Bestimmung von m, S. 189) ist an den neueren Instrumenten angebracht.1 In die Hauptleitung muss ein Schl\u00fcssel von constantem Widerstand (Quecksilberschluss) angebracht sein, um die Compensation nach Belieben ins Werk zu setzen. Der Stromwender C (Fig. 37), welcher dem compensirenden Stromzweig die der zu compensirenden Kraft entgegengesetzte Richtung giebt, kommt, um Ver\u00e4nderungen seines Widerstands unsch\u00e4dlich zu machen, in den Zweigkreis (Boussolkreis). Die Maasskette muss sehr constant sein; am besten ist ein DANiELifsches Element, dessen Zink nach Fr. Weber besser in ges\u00e4ttigter Zinkl\u00f6sung als in verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure steht.2\nMessungen des Widerstands thierischer Theile geschehen fast stets nach der WHEATSTONE\u2019schen Methode. Man kann als Messdraht den\n1\tVgl. du Bois-Reymond , Arch. f. Anat. u. Physiol. 1871. S. 608. (Ges. Abh. I. S. 257.)\n2\tDie Vorz\u00fcge dieser Combination in Bezug auf Constanz wird Hr. Prof. Fr. Weber demn\u00e4chst entwickeln.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Formen u. Gebrauch d. Compensators. Widerstandsmessung. Feuchte Kammer. 191\ngleichen Draht verwenden wie zur Kraftmessung. Als Vergleichswider-stand dient am besten ein SiEMENs\u2019scher Rheostat, mittels dessen man noch, f\u00fcr Messung sehr grosser Widerst\u00e4nde, eine Anzahl Capillarr\u00f6hren-widerst\u00e4nde bestimmen kann. Dieselben bestehen aus zwei auf eine Glasplatte gekitteten, Porzellaugef\u00e4sschen, in welche amalgamate Zinkbleche tauchen und zwischen denen ein heberf\u00f6rmiges Capillarrohr eine Br\u00fccke bildet ; das letztere und die Gef\u00e4sse sind mit ges\u00e4ttigter neutraler Zinkl\u00f6sung gef\u00fcllt; diese Widerst\u00e4nde m\u00fcssen aber f\u00fcr jeden Gebrauch frisch gef\u00fcllt und gemessen werden. Die F\u00e4lle in welchen der Leiter, dessen Widerstand zu messen ist, zugleich Sitz electromotorischer Kr\u00e4fte ist, sowie die Entscheidung ob dies der Fall sei, kommen sp\u00e4ter zur Er\u00f6rterung. \u2014\nSchliesslich ist zur Methodik tliierisch-electrischer Versuche zu bemerken, dass die Electroden und die thierischen Theile sich in einer feuchten Kammer 1 befinden m\u00fcssen, deren Boden aus einer Glasplatte besteht; die Leitungsdr\u00e4hte sind durch Glasr\u00f6hren, welche das Grundbrett durchbohren, nach aussen zu f\u00fchren. Nach l\u00e4ngerem Aufenthalt in der Kammer sind alle in derselben befindlichen Gegenst\u00e4nde feucht beschlagen, was die Isolation sch\u00e4digt; vor einem neuen Versuch ist dieser Beschlag mit Fliesspapier zu entfernen, und die Kammer einige Zeit offen zu halten.\nUeber die Form der feuchten Kammer vgl. man die Angaben du Bois-Reymond\u2019s.2 Folgende Form der Kammer habe ich seit 10 Jahren sehr practisch gefunden; ein starkes, gefirnisstes und lackirtes, harth\u00f6lzernes Brett, von 474 mm. Breite, 325 mm. Tiefe und 27 mm. Dicke ruht auf 4 F\u00fcssen von 23 mm. H\u00f6he. Auf der oberen Fl\u00e4che hat es 24 mm. vom Rande eine rings herum gehende Nuth, von 15 mm. Breite und 11 mm. Tiefe, in welche ein aus 5 Glasplatten mittels metallener Falze zusammengesetzter, 213 mm. hoher Glassturz hineinpasst. Die Nuth der hinteren Langseite gew\u00e4hrt auf der Innenseite des Sturzes noch 8 Glasr\u00f6hrchen Durchtritt, welche das Brett durchbohrend unten rechtwinklig nach hinten abbiegen und in Nuthen an der Unterfl\u00e4che des Brettes eingekittet sind; sie dienen zum isolirten Durchf\u00fchren von Leitungsdr\u00e4hten.3 Endlich ist der ganze innere Bereich des Grundbrettes von einer starken Spiegelglasplatte bedeckt, welche nicht befestigt ist, sondern zur Reinigung herausgenommen wird. An die Seitenw\u00e4nde und die Deckplatte des Sturzes sind innen Fliesspapierrechtecke angekittet; die vordere Langwand allein bleibt frei ; auch lassen die \u00fcbrigen Papiere an den R\u00e4ndern etwas Raum zum Hineinsehen frei.\n1\tWie es scheint war Valentin der Erste der eine feuchte Kammer f\u00fcr physiologische Versuche benutzt hat ; s. dessenLehrb. d. Physiologie. 1. Aufl.I. S.86. Braunschweig 1842.\n2\tdu Bois-Reymond. Abhandl. d. Berliner Acad. 1862. S.98. (Ges. Abh. I. S. 167.)\n3\tMan k\u00f6nnte daran denken, die Drahtleitungen durch Vermittlung solcher Doppelklemmen einzuf\u00fchren wie sie in Fig. 9, S. 29, bei de bezeichnet sind. Indessen findet in feuchten Kammern leicht Isolations St\u00f6rung durch den Beschlag statt, wenn Metalle nahe bei einander sind, vgl. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 261. 1873. Die Einf\u00fchrung von Dr\u00e4hten durch Glasr\u00f6hren ist in dieser Hinsicht gefahrloser.","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nIII. Der ruhende Muskelstrom.\n1. Gesetz des Muskelstroms an quer durchschnittenen Muskeln.\nDie Versuche mit Ableitung von ganzen enth\u00e4uteten Fr\u00f6schen, oder von enth\u00e4uteten Gliedern k\u00f6nnen als veraltet und unrein hier g\u00e4nzlich \u00fcbergangen werden.1 Die Grundversuche \u00fcber den Muskelstrom werden am besten an einem parallelfasrigen Oberschenkelmuskel angestellt (Gracilis oder Semimembranosus), dessen beide Enden man abschneidet.\nEin solcher Muskel zeigt bei Ableitung von der L\u00e4ngsoberfl\u00e4che und der Querschnittsfl\u00e4che einen kr\u00e4ftigen Strom, der die Scala weit aus dem Gesichtsfeld treibt; derselbe ist im Muskel vom Querschnitt zum L\u00e4ngsschnitt gerichtet, oder ersterer verh\u00e4lt sich negativ gegen den letzteren.\nSchw\u00e4chere Str\u00f6me erh\u00e4lt man von dem Muskelcylinder, wenn beide Ableitungen an der L\u00e4ngsoberfl\u00e4che liegen ; es verh\u00e4lt sich dann immer der dem Querschnitt n\u00e4here Punct negativ gegen den der Mitte (dem \u201eAequator\u201c) n\u00e4heren. Denkt man sich parallele Kreise um den Muskelcylinder gelegt, so verhalten sich zwei Puncte, welche demselben oder zwei symmetrisch gelegenen Kreisen angeh\u00f6ren, stromlos, w\u00e4hrend jeder dem Aequator n\u00e4here Parallelkreis positiv ist gegen jeden entfernteren. Ganz ebenso erh\u00e4lt man Str\u00f6me wenn man zwei demselben oder beiden Querschnitten angeh\u00f6rige Puncte verbindet, vorausgesetzt dass beide von der Axe des Cylinders ungleichen Abstand haben; stets ist der der Axe n\u00e4here Punct negativ gegen den anderen.\nDas Gesetz des Muskelstroms l\u00e4sst sich hiernach so formuliren: Die Oberfl\u00e4che eines von zwei Querschnitten begrenzten Muskelcylinders zeigt an den Querschnitten negative, am Mantel positive Spannung; die Spannungen sind aber ungleich vertheilt, indem sie am Mantel vom Aequator gegen die Querschnitte, an den Querschnitten von der Axe gegen den Mantel hin abnehmen.\nAus dieser Formulirung folgt zugleich, was die Erfahrung best\u00e4tigt, dass der Strom zwischen einem L\u00e4ngsschnitts- und einem Quer-schnittspunct um so kr\u00e4ftiger ist, je n\u00e4her die Puncte dem Aequator, resp. der Axe liegen.\nVerk\u00fcrzt man den Muskelcylinder durch Anlegung neuer Querschnitte, so erh\u00e4lt man stets Cylinder, welche f\u00fcr sich demselben Ge-\n1 Vgl. \u00fcber dieselben du Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 463.1848.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Der ruhende Mnskelstr. bei k\u00fcnstl.Querschn. Neigungsstr\u00f6me. Mittelb.Querschn. 193\nsetze des Muskelstroms folgen. Spaltet man ferner den Muskel in der Richtung seiner Faserung, legt man \u201ek\u00fcnstliche L\u00e4ngsschnitte\u201c an, so verhalten sich diese hinsichtlich ihrer Spannungen wie die nat\u00fcrliche L\u00e4ngsoberfl\u00e4che.\nHieraus ergiebt sich, dass jede einzelne Muskelfaser, von zwei k\u00fcnstlichen Querschnitten begrenzt, einen electromotorischen Cylinder von den genannten Eigenschaften darstellt; wie weit ein solcher Cylinder verk\u00fcrzt werden d\u00fcrfe, ohne dass diese Eigenschaft schwindet, l\u00e4sst sich nur vernmthungsweise angeben. Ferner ist durch Nichts erwiesen, ob die L\u00e4ngsspaltung, wenn sie noch weiter ginge als bis zur Isolirung einer einzelnen Muskelfaser, noch wirksame k\u00fcnstliche L\u00e4ngsschnitte liefern w\u00fcrde.\nScheinbare Abweichungen von den eben angef\u00fchrten Gesetzen zeigt ein Muskelcylinder, dessen Querschnitte zur Axe nicht vertical, sondern schr\u00e4g gelegt sind.1 Die Curve gr\u00f6sster positiver Spannung entspricht, wenn beide Schr\u00e4gschnitte parallel sind, nicht, wie man erwarten k\u00f6nnte, einem ihnen parallelen mittleren Schr\u00e4gschnitt, sondern einer nach den -stumpfen Kanten hin verzogenen Curve; entsprechend ist der Punct gr\u00f6sster negativer Spannung am Querschnitt von der Axe gegen die scharfe Kante verschoben. Ein ableitender Bogen, dessen Fusspuncte in einem Meridian gleichweit vom Aequator liegen, ist also nicht stromlos, sondern zeigt einen im Muskel von der scharfen zur stumpfen Kante gerichteten Strom an. Die \u201eMuskelrhomben\u201c sind also Sitz eigenth\u00fcm-licher Str\u00f6me, welche sich zu dem gew\u00f6hnlichen algebraisch summiren, und anscheinend von den scharfen zu den stumpfen Kanten gerichtet sind; man nennt sie \u201eNeigungsstr\u00f6me\u201c. Dieselben entstehen auch durch blosses Schiefziehen eines gew\u00f6hnlichen Muskelcylinders.2\nUnter \u201ek\u00fcnstlichem Querschnitt\u201c im weiteren Sinne ist jede nicht nat\u00fcrliche quere Begrenzung lebender Muskelfasern zu verstehen. Ist ein St\u00fcck einer Faser get\u00f6dtet, so verh\u00e4lt sich dasselbe wie ein indifferenter Leiter, welcher der Grenzfl\u00e4che des lebenden Restes, dem k\u00fcnstlichen Querschnitt angelegt ist. Auch an der mit dem Messer hergestellten Schnittfl\u00e4che liegt, ausser im ersten Augenblick, der eigentliche k\u00fcnstliche Querschnitt der Fasern nicht unmittelbar bloss, sondern ist von einer abgestorbenen Schicht bedeckt. T\u00f6dtet man einen Theil des Muskels durch Aetzen, hohe Temperaturen u. dgl., so gewinnt man stets eine indifferente Ableitung von tiefer liegenden k\u00fcnstlichen Querschnitten; man bezeichnet diese abgestorbenen St\u00fccke, welche f\u00fcr die Ableitung vom eigentlichen Querschnitt oft grosse Vor-\n1\tdu Bois-Reymond, Arcb. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 521. (Ges. \u00c0bh. II. S. 63.)\n2\tdu Bois-Reymond , Monatsber. d. Berliner Acad. 1866. S. 387. (Ges. Abh. IL S. 183.)\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\n13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\ntheile bieten, kurweg als \u201eeaustischen\u201c, bez\u00fcglich \u201ethermischen\u201c Querschnitt. 1\nDer Nachweis des ruhenden Muskelstroms ist, ausser durch Galvanometer, Induction (S. 183), Telephon (S. 183), Quadrant-Electrometer (S. 184), auch durch Zersetzung von Jodkaliumkleister2, ganz besonders aber durch das physiologische Rheoscop leicht zu f\u00fchren. Man hat dazu nur in den Kreis des Muskelstroms auf irgend eine Weise ein St\u00fcck des Nerven eines Froschunterschenkels (man nennt das Pr\u00e4parat den \u201estrompr\u00fcfenden Froschschenkel\u201c) einzuschalten, und den Kreis zu schliessen oder zu \u00f6ffnen; mindestens bei Einem dieser Acte wird der Froschschenkel zucken. F\u00fcr diesen Versuch sind Metallleitungen ganz entbehrlich ; es gen\u00fcgt z. B. den Nerven pl\u00f6tzlich so auf verletzte Muskeln fallen zu lassen, dass er sowohl L\u00e4ngs- als Querschnitt ber\u00fchrt; schon bei der blossen Pr\u00e4paration eines Nervmuskelpr\u00e4parats stellen sich durch solche zuf\u00e4llige Ber\u00fchrungen Zuckungen ein. Am einfachsten geschieht der Versuch wenn man den Nerven eines Muskels mittels eines beinernen H\u00e4kelhakens zur\u00fcckbiegt und pl\u00f6tzlich auf einen am Muskel angebrachten mechanischen, causti-schen oder thermischen Querschnitt fallen l\u00e4sst.3 In dieser Form namentlich ist die schon oben (S. 174) erw\u00e4hnte \u201eZuckung ohne Metalle\u201c beobachtet worden, die f\u00fcr die Feststellung der thierischen Electricit\u00e4t so grosse Bedeutung hatte.\nNeuerdings hat Hering4 gefunden dass auch der Muskel selbst durch \u00e4ussere Schliessung seines eigenen Stromes erregt werden kann ; so erkl\u00e4ren sich die Zuckungen beim Eintauchen eines mit k\u00fcnstlichem Querschnitt versehenen Muskelendes in irgend eine leitende Fl\u00fcssigkeit (vgl. oben S. 106); das Wiederherausziehen giebt keine Zuckung, wohl aber das Wiedereintauchen. Eine Muskelwunde klafft aus gleichem Grunde sobald sie mit leitender Fl\u00fcssigkeit benetzt wird. Die fr\u00fcher angegebenen Unterschiede im chemischen Reizverm\u00f6gen der Fl\u00fcssigkeiten, an angeschnittenen Muskeln beobachtet, beruhten meist auf dem Leitungsverm\u00f6gen der Fl\u00fcssigkeit.\n1\tDen Vortheil des thermischen Querschnitts habe ich zuerst er\u00f6rtert (Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 167. 1871). Sp\u00e4ter ist er auch von du Bois-Reymond hervorgehoben worden (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 526).\n2\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 439.\n3\tMisslingen dieses Versuches hat fast stets darin seinen Grund, dass der Muskel nicht mit k\u00fcnstlichem Querschnitt versehen ist. Ehe man dies erkannte, und einfach die Vorschrift gab, den Nerven auf den Sehnenspiegel des Muskels fallen zu lassen (derselbe ist allerdings meist caustischer Querschnitt, s. unten), kam Misslingen h\u00e4utig vor, und wurde zu geringer Erregbarkeit des Pr\u00e4parats zugeschrieben.\n4\tHering, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXIX. Sep.-Abdr. 1879.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Zuckung ohne Metalle. Kraft d. Muskelstr. Zeitl.Yer\u00e4nd. Einfl. d. Dimensionen. 195\n2. Electromotor!sehe Kraft des Muskelstroms ; Abh\u00e4ngigkeit derselben\nvon verschiedenen Umst\u00e4nden; Erl\u00f6schen des Muskelstroms.\nDie electromotorische Kraft des Stromes zwischen Quer- und L\u00e4ngsschnitt des Muskels ergiebt sich f\u00fcr den Frosch nach der Com-pensationsmethode zu 0,035\u20140,075 Dan.1 Die h\u00f6chsten Werthe erh\u00e4lt man, wenn die Querschnittsableitung so rein als irgend m\u00f6glich ist, was am sichersten erreicht wird, wenn man vom caustischen oder thermischen Querschnitt ableitet (s. oben). Ob die Warmbl\u00fcter kr\u00e4ftigeren Muskelstrom besitzen, hat sich bisher nicht sicher entscheiden lassen.2\nDer ausgeschnittene, mit Querschnitt versehene Muskel zeigt im Allgemeinen eine langsame Abnahme des L\u00e4ngsquerschnittsstromes. Allein im Anfang sieht man denselben gew\u00f6hnlich wachsen; indess dieses Wachsthum ist nur scheinbar, und r\u00fchrt davon her, dass die am Querschnitt sich entwickelnde S\u00e4ure in den angelegten Thon eindringt, und hier zur Entwicklung einer dem Muskelstrom gleichgerichteten Kraft Anlass giebt.3 Die Abnahme geht schliesslich bis zum Erl\u00f6schen, welches mit der Entwicklung der Todtenstarre zusammenf\u00e4llt.4\nW\u00e4hrend der Abnahme des Stromes an einem k\u00fcnstlichen Querschnitt zeigen tiefer hinein angelegte neue Querschnitte ungef\u00e4hr denselben Strom, den der erste augenblicklich hat; zuweilen erscheint der neue Querschnitt etwas kr\u00e4ftiger wirksam.5 Ebenso zeigen Muskeln, welche dem Thiere etwas sp\u00e4ter nach dem Tode als andere entnommen sind, gew\u00f6hnlich etwas st\u00e4rkeren Muskelstrom.6\nDie Dimensionen des Muskelcylinders haben insofern Einfluss auf den Strom, als bis zu einer gewissen, nicht sicher angebbaren Grenze, sowohl mit der L\u00e4nge als namentlich mit dem Querschnitt\n1\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 431. (Ges. Abh. IL S. 242.)\n2\tdu Bois-Reymond, ebendaselbst S. 435 (247).\n3\tAls \u201epostmortales Wachsthum der electromotorischen Kraft\" wird zuweilen auch die unten angegebene st\u00e4rkere Wirkung neuer, sp\u00e4ter angelegter Querschnitte bezeichnet.\n4\tDie von Schief, Arnold u. A. behaupteten Muskelstr\u00f6me w\u00e4hrend der Todtenstarre und nach L\u00f6sung derselben sind nur schwache regellose galvanische Wirkungen, die ebensooft entgegengesetzte Richtung haben; vgl. Schief, Lehrb. d. Muskel-und Nervenphysiologie S. 37. Lahr 1858\u201459; Arnold, Die physiologische Anstalt der Univers. Heidelberg S. 98. 1858.\n5\tYgl. du Bois-Reymond, UntersuchungenI. S. 714. 1848; n. 1. S. 19, 145, 150, 179, 283, 557. 1849 ; II. 2. S. 108,113,122.1859 ; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 662 ; 1867. S. 307 (ges. Abh. II. S. 147,228) ; Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. XY. S. 123. 1877.\n6\tDU Bois-Reymond, Arch. f. xinat. u. Physiol. 1867. S. 279. (Ges. Abh. II. S. 206.)\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel,\ndie Stromst\u00e4rke nach Ausgleichung der Widerst\u00e4nde, also die electro-motorische Kraft, zunimmt.1\nSchw\u00e4chend wirken auf den Muskelstrom so ziemlich alle diejenigen Einfl\u00fcsse, welche die Erregbarkeit herabsetzen, m\u00f6gen dieselben das lebende Thier, oder den ausgeschnittenen Muskel getroffen haben.2\nDie Temperatur hat auf die Kraft des Muskelstroms einen wesentlichen Einfluss. Vor Allem wird sie durch t\u00f6dtliche Temperaturgrade, d. h. durch Gefrieren und durchW\u00e4rmestarre vernichtet. Bei pl\u00f6tzlicher Einwirkung von Siedehitze beobachtete du Bois-Heymond3 eine Umkehrung des Stromes.\nInnerhalb des vitalen Temperaturbereichs wird, wovon schon du Bois-Reymond4 gewisse Andeutungen sah, nach meinen Untersuchungen5 die Kraft durch W\u00e4rme f\u00fcr die Dauer ihrer Einwirkung erh\u00f6ht, durch K\u00e4lte ebenso erniedrigt; die Schwankung kann innerhalb des angegebenen Bereichs bis 22 pCt. betragen, ist aber wahrscheinlich noch gr\u00f6sser, da die Temperaturen nur oberfl\u00e4chlich einwirken k\u00f6nnen. Ich fand ferner, dass w\u00e4rmere Th eile des lebenden Muskels sich gegen k\u00e4ltere positiv verhalten, also Temperaturdifferenzen im Muskel eine besondere electromotorische Kraft hervorbringen. Befindet sich endlich die erw\u00e4rmte oder abgek\u00fchlte Substanz unmittelbar am k\u00fcnstlichen Querschnitt, so hat dies auf die Kraft des Muskelstroms keinen Einfluss, d. h. letztere ist nur abh\u00e4ngig von der Temperatur am L\u00e4ngssehnittsableitungspunet. Die genannten drei S\u00e4tze zusammen beweisen, dass die electromotorischen Wirkungen zwischen den verschiedenen Zust\u00e4nden der Muskelsubstanz (Schicht am Querschnitt, w\u00e4rmere Substanz, k\u00e4ltere Substanz) dem Gesetze der Spannungsreihe folgen, so dass die Potentialdifferenz zweier Glieder von zwischenliegenden Gliedern unabh\u00e4ngig ist.\nIn der N\u00e4he der w\u00e4rmestarr machenden Temperatur muss nat\u00fcrlich\n1\tnu Bois-Reymond , Untersuchungen I. S. 694. 1848 ; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 431. (Ges. Abh. II.' S. 244.)\n2\tdu Bois-Reymond, UntersuchungenII. 1. S. 165. Bemerkens werth ist. dass Cur ar e nach Roeber, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1869. S. 440, den Muskelstrom nicht schw\u00e4cht, sondern sogar durch Hyper\u00e4mie verst\u00e4rkt.\n3\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 180. 1849.\n4\tdu Bois-Reymond, UntersuchungenII. 1. S. 178 ; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 275. Anm. 2 ; Monatsber. d. Berliner Acad. 1867. S. 615. (Ges. Abh. n. S. 202, 334.)\n5\tHermann, Arch. f. cl. ges. Physiol. IY. S. 163. 1871. Die Methode, bei welcher alle eigentlich thermoelectrischen Wirkungen auszuschliessen sindud. h. alle corre-spondirenden Ber\u00fchrungsfl\u00e4chen heterogener Substanzen gleiche Temperatur haben m\u00fcssen, bestand darin, dass der m\u00f6glichst d\u00fcnne Muskel (Sartorius) in Mandel\u00f6l von bestimmter Temperatur sei es ganz, sei es mit bestimmten Theilen eintauchte. Die Querschnittsableitung geschah vom thermischen Querschnitt; alle Ableitungen wurden durch starre Muskelstreifen vermittelt, die aus dem Oel herausragten.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss cler Temperatur. Verhalten unversehrter Muskeln. \u201eParelectronomie\u201c. 197\ndie Kraft des Muskelstroms trotz der W\u00e4rme abnehmen, so dass das Maximum der Kraft unterhalb 40\u00b0 liegt. Ich fand es bei 26\u201430\u00b0, Steiner1 sp\u00e4ter etwas hoher, n\u00e4mlich bei 35\u201440\u00b0.\n3. Flectromo torisches Verhalten des unversehrten Muskels.\nDas Gesetz des Muskelstroms war urspr\u00fcnglich von du Bois-Reymond2 dahin formulirt worden, dass sowohl nat\u00fcrlicher als k\u00fcnstlicher Querschnitt sich negativ verhalte gegen nat\u00fcrlichen oder k\u00fcnstlichen L\u00e4ngsschnitt. Als \u201enat\u00fcrlichen Querschnitt\u201c bezeichnet er dabei das nat\u00fcrliche Ende der Fasern, oder auch den von diesen Enden ableitenden indifferenten Leiter, wie Sehne, aponeurotische Insertionsfl\u00e4che, Knochen; als k\u00fcnstlichen L\u00e4ngsschnitt alle durch L\u00e4ngsspaltung des Muskels gewonnenen Fl\u00e4chen.\nIndessen zeigte sich sp\u00e4ter, dass ein Irrthum Vorgelegen hatte. In den ersten Versuchen war n\u00e4mlich nicht beachtet worden, dass die zur Ableitung von der Sehne benutzten Substanzen, die ges\u00e4ttigte Kochsalzl\u00f6sung der damaligen Ableitungsgef\u00e4sse, die durchl\u00e4ssigen Eiweissh\u00e4utchen, mit welchen die B\u00e4usche bekleidet waren, Gelegenheit hatten, den Muskel chemisch anzugreifen, und somit caustische Faserquerschnitte, also k\u00fcnstlichen Querschnitt herzustellen. Nachdem diese Fehlerquelle entdeckt war3, zeigte sich-das nat\u00fcrliche Muskelende von durchaus unregelm\u00e4ssiger Wirkung gegen die Faseroberfl\u00e4che; meist verhielt es sich schwach negativ, h\u00e4ufig stromlos, zuweilen sogar positiv. K\u00e4lte, welcher die Fr\u00f6sche w\u00e4hrend des Lebens ausgesetzt waren, sollte diese Abweichung vom Verhalten des k\u00fcnstlichen Querschnitts beg\u00fcnstigen. Aber auch ohne solche Einwirkung zeigte sich regelm\u00e4ssig der nat\u00fcrliche Querschnitt, und zwar auch beim Warmbl\u00fcter, viel schw\u00e4cher negativ als der k\u00fcnstliche; An\u00e4tzung (Verwandlung in k\u00fcnstlichen Querschnitt) machte ihn sofort kr\u00e4ftig negativ. Den Unterschied im Verhalten des unversehrten und des quer durchschnittenen oder ange\u00e4tzten Muskels schrieb du Bois-Reymond einer Gesetzwidrigkeit zu, die durch Eigenschaft des nat\u00fcrlichen Faserendes bedingt sei, und nannte das Verhalten \u201eParelectro-nomie\u201c. Die Parelectronomie ist also nach ihm allen Muskeln, wenn auch in sehr verschiedenem Grade, eigen.4\n1\tSteiner, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 382.\n2\tde Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 515. 1848.\n3\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 2. S. 26,118. 1859.\n4\tMatteucci hatte von Anfang an behauptet, dass die Sehne sich gegen das ..Innere\u201c des Muskels, d. h. den k\u00fcnstlichen Querschnitt positiv verh\u00e4lt (vgl. z. B. Compt. rend. XIII. p. 540. 1841; XIV. p. 315. 1842). Die Str\u00f6me anscheinend unversehrter Glieder, den Nobili\u2019sehen \u201eFro\u00f6chstrom\u201c, hielt er f\u00fcr verschieden vom Mus-","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198 Hermann. Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nDa m\u00f6glicherweise die Pr\u00e4paration des Muskels schon mit Sch\u00e4digungen der Oberfl\u00e4che verbunden ist, scheint die volle Entscheidung \u00fcber das Verhalten der nat\u00fcrlichen Faserenden nur am unenth\u00e4uteten Thiere m\u00f6glich zu sein. Solche Versuche stellte zuerst du Bois-Reymond1 am Frosche an, und entdeckte dabei vor Allem, dass sie durch eine m\u00e4chtige electromotorische Wirkung der Froschhaut gest\u00f6rt werden. Jedes St\u00fcck der Haut ist Sitz einer von aussen nach innen gerichteten electromotorischen Kraft, welche indess durch Bestreichen der Haut mit Aetzmitteln, z. B. ges\u00e4ttigter Kochsalzl\u00f6sung, rasch beseitigt werden kann. Thut man dies an zwei hinreichend grossen Hautstellen, und leitet nun von denselben ab, so beobachtet man nach du Bois-Reymond den gleichen Strom, den die enth\u00e4uteten Theile an den entsprechenden Stellen zeigen w\u00fcrden. Jedoch ist dieser Strom durch das Eindringen des Aetzmittels zu den Muskeloberfl\u00e4chen in best\u00e4ndiger Zunahme begriffen, du Bois-Reymond schloss hieraus, dass auch das unenth\u00e4utete Thier den Muskelstrom in dem Grade wie die isolirten unversehrten Muskeln besitze.\nIm Jahre 1868 erhob ich gegen die Beweiskraft der angef\u00fchrten Versuche am unenth\u00e4uteten Frosch den Einwand2, dass zurZeit der Zerst\u00f6rung des Hautstroms das Aetzmittel bereits die Muskeloberfl\u00e4che gesch\u00e4digt habe. Ich konnte dies direct nachweisen, indem ich statt mit Kochsalzl\u00f6sung mit Silbernitrat \u00e4tzte, worauf man die unterliegenden Muskeln getr\u00fcbt sieht. Jedenfalls konnte der oben angef\u00fchrte Versuch nicht entscheiden, dass das erste Auftreten eines Muskelstroms, der durch Aetzung best\u00e4ndig zunimmt, nicht schon selber von Aetzung herr\u00fchrt,\nW\u00e4hlt man die Aetzstellen so, dass keine aponeurotischen Muskelfl\u00e4chen unterliegen, (z. B. die \u00e4ussersten Zehenspitzen und die R\u00fcckenhaut) so findet man in der That keine dem Muskelstrom entsprechende Ablenkung, sondern der Kreis ist soweit stromlos, als \u00fcberhaupt ein Kreis, der feuchte Leiter und Metalle enth\u00e4lt, strom-\nkelstrom, und f\u00fcr dem Frosche eigenth\u00fcmlich ; in der That ist bei anderen Thieren nicht so leicht Gelegenheit zur An\u00e4tzung der Muskeloberfl\u00e4chen mit Hautsecret (vgl. unten). Der Froschstrom ist, wie du Bois-Reymond zuerst erkannte, die Resultirende der Str\u00f6me aller das Glied zusammen setzenden anscheinend unversehrten Muskeln. Den regellosen Strom des unverletzten Froschmuskels von dem absolut regelm\u00e4ssigen Muskelstrom bei k\u00fcnstlichem Querschnitt vorl\u00e4ufig zu sondern, war nicht ungerechtfertigt, und weniger weitgehend als die Hypothese der Parelectronomie. Neuerdings ist freilich erkannt, dass die Str\u00f6me undurchschnittener Muskeln, und somit der Froschstrom, durchaus gleichen Ursprungs mit dem Muskelstrom sind, n\u00e4mlich von verletzten Muskelfasern herr\u00fchren.\n1\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 2. S. T. 1859.\n2\tHermann. Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven III. S. 6. Berlin 1868.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Stromlosigkeit unversehrter Muskeln.\n199\nlos sein kann.1 Dasselbe ergiebt sich, wenn man einen (curarisirten) Frosch 10 Secunden lang in ges\u00e4ttigte Sublimatl\u00f6sung eintaucht, mit Wasser absptilt, und schnell von zwei beliebigen Puncten ableitet2; verliert man Zeit, so tritt Durch\u00e4tzung ein; bei diesem Verfahren sind die (allerdings sehr geringen) Einmischungen der Hautstr\u00f6me vom nicht ge\u00e4tzten Hautantheil vermieden. Bei Fischen, welche keinen Hautstrom besitzen3, gen\u00fcgt Curarisirung nach l\u00e4ngerem Aufenthalt in Wasser von Zimmertemperatur, um Stromlosigkeit bei jeder Ableitung zu erhalten.4\nLegt man am Frosche, nach Aetzung an Zehenspitze und R\u00fccken, einen Muskel, z. B. den Gastrocnemius bloss, ohne ihn aber auszuschneiden, so tritt ein seinem gew\u00f6hnlichen Verhalten entsprechender Strom auf, welcher auch nach dem Wiederauflegen der Haut bestehen bleibt. Ich glaubte anfangs, dass der blosse Luftzutritt zur Muskelobe\u00effl\u00e2che den Muskel schon sch\u00e4dige5; fand aber sp\u00e4ter, dass nur das unvermerkte Zutreten des \u00e4tzend wirkenden Hautsecrets den Muskelstrom entwickelt.6 In der That zeigen Muskeln, welche nirgends Verwachsungen ihres Fleisches besitzen, z. B. der Gastrocnemius des Frosches, mit gr\u00f6sster Vorsicht, d. h. mit Vermeidung jedes Drucks, jeder Erw\u00e4rmung, jeder Ber\u00fchrung des Fleisches mit Fremdk\u00f6rpern und namentlich mit Hautsecret, pr\u00e4parirt, keinen Muskelstrom.7\nDie zahlreichen Angaben \u00fcber Muskelstr\u00f6me angeblich unversehrter Oberschenkelmuskeln des Frosches8 sind f\u00fcr unsre Frage ohne Bedeutung, weil an keinem einzigen dieser Muskeln die eben erw\u00e4hnten Bedingungen erf\u00fcllt sein k\u00f6nnen. Sie sind alle so mit einander oder mit der Haut verwachsen, dass kein einziger pr\u00e4parirt werden kann, ohne dass er selber verletzt ist oder ihm fremde mus-eul\u00f6se Anh\u00e4nge mit k\u00fcnstlichen Querschnitten anhaften. Die Gegen-\n1\tHermann, a. a. O. S. 14 ; Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 16. 1870.\n2\tDerselbe, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 26. 1870.\n3\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 2. S. 16. 1859.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 152. 1871.\n5\tDerselbe, Untersuchungen III. S. 24, 35\u201442. 1868.\n6\tDerselbe, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 38. 1870.\n7\tDerselbe, ebendaselbst in. S. 35. 1870. Es sind hier noch einige Aufs\u00e4tze anzuf\u00fchren, welche den Strom unversehrter Muskeln vertheidigen und wesentlich nur noch in literar-geschichtlicher Hinsicht interessant sind : H. M\u00fcnk, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1868. S. 529; 1869. S. 649; 1876. S. 200 ; Worm M\u00fcller, Versuche \u00fcber die Einfl\u00fcsse der W\u00e4rme etc. auf die electromotorischen Kr\u00e4fte der Muskeln und Nerven. Tori. Mitth. W\u00fcrzburg 1868; Untersuchungen aus d. physiol. Labor, in W\u00fcrzburg II. S. 181. 1869; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1870. S. 208. (Vgl. auch Hermann, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1868. S. 112, und die in den vorstehenden Noten genannten Arbeiten.)\n8\tVgl. solche namentlich bei du Bois-Reymond , Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 663. (Ges. Abh. II. S. 149.)","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nwart k\u00fcnstlicher Querschnitte am Pr\u00e4parat ist aber ausreichend um selbst an entfernten Puncten desselben electromotorische Wirkungen hervorzurufen.1\nEin Muskel, welcher sich leicht ohne jede Verletzung blosslegen l\u00e4sst, ist das Herz. Hier fand Engelmann2 3 bei jeder Art der Ableitung v\u00f6llige Stromlosigkeit.\nWeitere Beweise f\u00fcr die Stimmlosigkeit unversehrter Muskelfasern hat Engelmann 3 an sog. pleiomeren Muskeln gewonnen, d. h. an solchen, welche der L\u00e4nge nach an einander gereihte Fasern besitzen. Schon jeder Muskel mit sehnigen Scheidew\u00e4nden (Incrip-tiones tendineae), wie der Rectus abdominis, der Gracilis und Semimembranosus des Frosches4, zeigt dies Verhalten, vollends die Muskeln des Herzens und s\u00e4mmtliche glatten Musculaturen, in welchen einzelne Muskelzellen an einander gereiht sind. Ein k\u00fcnstlicher Querschnitt verliert hier seine Wirksamkeit vollst\u00e4ndig nach einiger Zeit, w\u00e4hrend neue, tiefer hinein angelegte Querschnitte noch die volle Kraft zeigen; die Kraft schwindet n\u00e4mlich, sobald die verletzten Elemente durch und durch abgestorben sind, ein Beweis, dass die nicht verletzten, auf welche der Absterbeprocess nicht \u00fcbergeht, keinen Strom besitzen. Die gleiche Beobachtung hatte ich schon vorher an pflanzlichen Organen gemacht, und ebenso erkl\u00e4rt.5\nEndlich fand Engelmann6, dass auch gew\u00f6hnliche Muskeln, denen subcutan ein Querschnitt beigebracht ist, nach einiger Zeit unter dem Einfluss der Circulation und Innervation stromlos werden ; wenn aber Einfl\u00fcsse vorhanden sind, welche sogar den Strom k\u00fcnstlicher Querschnitte beseitigen, so k\u00f6nnen gewiss nicht die nat\u00fcrlichen Faserenden w\u00e4hrend des ganzen Lebens mit Strom begabt sein.\nWir schliessen aus all diesen Thatsachen, dass die quergestreiften Muskeln im vollkommen unversehrten Zustande v\u00f6llig stromlos sind. Der Muskelstrom ist also an die Existenz k\u00fcnstlicher Querschnitte gebunden, und sein Grundgesetz lautet fol-gendermassen :\n1\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat.n.Physiol. 1871. S. 592. (Ges. Abh. II. S. 390.)\n2\tEngelmann, Utrechter Onderzoekingen (3) III. S. 101. 1874. Lehrreich f\u00fcr die Pr\u00e4existenzfrage ist, dass sorgf\u00e4ltige Forscher fr\u00fcher die Herzspitze negativ gegen die Basis gefunden hatten (vgl. z. B. K\u00f6lliker & H. M\u00fcller, Verhandl. d. phys.-med. Ges. in W\u00fcrzburg YI. S. 528. 1856).\n3\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 116. 1877.\n4\tYgl. Ecker, Die Anatomie des Frosches S. 111 \u2014114. Braunschweig 1864; Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 49 ; du Bois-Reymond , Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 351. (Ges. Abh. IL S. 573.)\n5\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 159. 1871. Auch an Pflanzen n\u00e4mlich sind k\u00fcnstliche Querschnitte vor\u00fcbergehend negativ; die Literatur s. i. Anhang zu diesem Cap.\n6\tEngelmann, ebendaselbst XV. S. 328. 1877.","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Stromlosigkeit im Versehrter Muskeln. Sog. Froschstrom. Negative Schwankung. 20 i\nAn einer verletzten lebenden Muskelfaser verh\u00e4lt sich der k\u00fcnstliche Querschnitt negativ electrisch gegen die unversehrte L\u00e4ngsoberfl\u00e4che.\nAn\u00e4tzung der ganzen Oberfl\u00e4che eines Muskels oder eines ganzen Gliedes kann, wo sie Fasern in ganzer L\u00e4nge zerst\u00f6rt, zu keinem Strom Anlass geben, wohl aber, wo Fasern nur mit einem Theile der Aetzung preisgegeben sind. Dies ist aber stets der Fall wo d\u00fcnne Aponeurosen schr\u00e4ge Faserans\u00e4tze bekleiden. Solche Fl\u00e4chen verhalten sich deshalb, und zwar wegen der Ausbildung von Neigungsstr\u00f6men besonders kr\u00e4ftig, negativ gegen den Rest; daher der aufsteigende Strom ange\u00e4tzter Froschschenkel (Froschstrom). Kleinere Aetzstellen sind aus gleichem Grunde nur an aponeurotischen Stellen von erheblicher Wirksamkeit, w\u00e4hrend sie an der L\u00e4ngsoberfl\u00e4che nur zu localen Str\u00f6men Anlass geben, f\u00fcr welche \u00fcberdies die Muskelmasse eine gute Nebenschliessung bildet.\nDie Frage, ob der Muskel, wie der Nerv, electrotonische Eigenschaften besitze, wird zweckm\u00e4ssiger in der Nervenphysio-logie behandelt (vgl. Band II. Cap. 4).\nIV. Das galvanische Verhalt en des erregten Muskels.\nL Der Muskel mit k\u00fcnstlichem Querschnitt.\nWenn man von einigen unklaren und widerspruchsvollen Angaben Matteuccl\u2019s absieht, so war vor du Bois-Reymond \u00fcber das galvanische Verhalten des gereizten Muskels nichts bekannt, du Bois-Reymond1 fand, dass beim Tetanisiren eines Muskels von seinem Nerven aus der Ruhestrom (zu jener Zeit hatten alle angewandten Muskeln k\u00fcnstlichen Querschnitt) betr\u00e4chtlich ab nimmt, und dass diese negative Schwankung w\u00e4hrend des Tetanus bestehen bleibt. Er zeigte, dass die Erscheinung weder von einer Widerstandszunahme im Kreise oder im Muskel selbst2, noch von einer Lagever\u00e4nderung der Electroden, noch von Gestaltver\u00e4nderung des Muskels3, noch von Zweigen der erregenden Str\u00f6me, sondern von einer Aenderung der electromotorischen Kraft im Muskel herr\u00fchrt. Nach dem Aufh\u00f6ren des Tetanus bleibt eine dauernde Schw\u00e4chung des Ruhestroms zur\u00fcck (s. hier\u00fcber unten).\n1\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 25.1849.\n2\tIm Gegentheil fand du Bois-Reymond (a. a. O. S. 82), dass der Leitungswider-stand der Muskelsubstanz durch den Tetanus vermindert wird.\n3\tDer Muskel wird in einer besonderen Vorrichtung unbeweglich ausgespannt ; dies ist schon deshalb n\u00f6thig, um die Zur\u00fcckziehung desselben von den Electroden zu verhindern.","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202 Hermann, All g. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nDass die negative Schwankung nicht von einem dem ruhenden Muskelstrom entgegengesetzten, von ihm unabh\u00e4ngigen neuen Strome herr\u00fchrt, ergiebt sich daraus, dass bei ver\u00e4nderter Ableitung die Schwankung mit dem Ruhestrom gleichen Schritt h\u00e4lt, so dass den schwachen Str\u00f6men schwache negative Schwankung, den stromlosen Anordnungen keine Schwankung entspricht.1\nDie vollkommenste Art die negative Schwankung zu beobachten, besteht darin, den ruhenden Muskelstrom zu compensiren. Am besten leitet man von einem regelm\u00e4ssig gebauten Oberschenkelmuskel, z. B. vom Adductor magnus ab, den man mit einem thermischen Querschnitt versieht (s. oben S. 194). Der Muskel wird mittels irgend einer Vorrichtung straff ausgespannt, vom lebenden und vom w\u00e4rmestarren Ende zur Boussole abgeleitet, der Ruhestrom compensirt, und nun der Nerv tetanisirt. Sofort beginnt eine Ablenkung in dem dem Muskelstrom entgegengesetzten Sinne; der Magnet bewegt sich mit zuerst beschleunigter, dann abnehmender Geschwindigkeit einer neuen Gleichgewichtslage zu. Bei anhaltendem Tetanisiren kehrt er aber alsbald wieder um (d. h. die Schwankung nimmt ab), und kann w\u00e4hrend der Reizung selbst die Gleichgewichtslage nahezu wiedererreichen.2 Nach Aufh\u00f6ren der Reizung erfolgt beschleunigter R\u00fcckgang, wofern nicht der letzterw\u00e4hnte Fall eingetreten war. Nie wird aber die Gleichgewichtslage v\u00f6llig wieder erreicht; es bleibt eine anhaltende Schw\u00e4chung des Ruhestroms zur\u00fcck, deren Grad von der Heftigkeit und Dauer des Tetanus abh\u00e4ngt.3\nDas Auftreten der Schwankung bei compensirtem Ruhestrom ist der sicherste Beweis, dass eine Abnahme der electromotorischen Kraft zu Grunde liegt.4 Der Betrag der Kraftabnahme l\u00e4sst sich aus der Vergleichung der Ablenkungen des Ruhestroms und der Schwankung mit ziemlicher Sicherheit entnehmen (wenn n\u00e4mlich der Einfluss etwaiger Aenderung des Leitungswiderstands der Muskelsubstanz durch Aufnahme sehr grosser Widerst\u00e4nde in den Kreis eliminirt ist); er betr\u00e4gt bis zu 40 pCt. des Ruhestroms ; jedoch bedarf diese Angabe, wie unten gezeigt wird, noch eines wesentlichen Zusatzes.\n1\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen n. 1. S. 86.1849; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 534. (Ges. Abh. IL S. 415.)\n2\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 529. (Ges. Abh. II. S.411.)\n3\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 2. S. 151,291,356. 1859 ; Roeber, Arch, f. Anat, u. Physiol. 1870. S. 633; du Bois-Reymond. ebendaselbst 1873. S. 529. (Ges. Abh. ILS. 412.)\n4\tDa beim Compensationsverfahren der Widerstand des stromlos gemachten Kreises ohne Einfluss ist (vgl. auch die Formeln, oben S. 188 f.), so kann auch niemals blosse Widerstands\u00e4nderung im stromlosen Kreise den Compensationszustand aufheb en. Eine Erweiterung dieses Satzes auch f\u00fcr solche F\u00e4lle wo nur die abgeleiteten und nicht die inneren Str\u00f6me eines K\u00f6rpers compensirt sind, s. unten sub V.","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Negative Schwankung bei Tetanus u. Zuckung. Secund\u00e4re Zuckung u. Tetanus. 203\nBei einer einzelnen Zuckung sah du Bois-Reymond anfangs keine negative Stromesschwankung auftreten; doch bewies er ihr Dasein auf anderem Wege (s. unten) und nahm daher an, dass nur das tr\u00e4ge Nadelpaar dem sehr fl\u00fcchtigen Schwankungvorgang nicht folgen k\u00f6nne. In der That gelingt es an den neuerdings gebr\u00e4uchlichen empfindlichen Boussolen mit sehr leichten Magneten sehr gut, die negative Stromesschwankung bei Einzelzuckungen wahrzunehmen.1\nAllein schon damals liess sich das Dasein der negativen Stromesschwankung auch f\u00fcr einzelne Zuckungen beweisen, und zwar durch das physiologische Rheoseop. M\u00e4tteucci2 hatte n\u00e4mlich im Jahre 1842 entdeckt, dass wenn man einem Muskel den Nerven eines zweiten Muskels oder strompr\u00fcfenden Froschschenkels so anlegt, dass er L\u00e4ngs- und Querschnitt ber\u00fchrt3, bei jeder Zuckung des ersten Muskels auch der zweite Muskel zuckt ; allein erst du Bois-Reymond erkannte den wahren Grund dieser \u201einducirten\u201c oder richtiger \u201esecun-d\u00e4ren Zuckung\u201c; der Nerv des zweiten Muskels wird n\u00e4mlich nach dem allgemeinen electrischen Erregungsgesetze durch die pl\u00f6tzliche Schwankung des Muskelstroms im ersten Muskel erregt, du Bois-Reymond bewies, dass es nur darauf ankommt, dass der best\u00e4ndige Strom des ersten Muskels auf irgend eine Weise einer Strecke des zweiten Nerven zugeleitet und dann der erste Muskel irgendwie (am besten nat\u00fcrlich von seinem Nerven aus) zur Zuckung gebracht wird. Die secund\u00e4re Zuckung bleibt aus, wenn der zweite Nerv dem ersten Muskel in unwirksamer Anordnung, oder nur mit einem Puncte anliegt; ferner wenn ein zwischen Muskel und Nerv gelegtes Metallblatt dem Muskelstrom eine so gute Abgleichung gew\u00e4hrt, dass kein Zweig den Nerven durchfliesst.\nSehr wichtig gestaltet sich nun dieser Versuch, wenn man den ersten Muskel, statt in einfache Zuckung, in Tetanus versetzt. Man sieht dann, wie du Bois-Reymond entdeckt hat4, auch den zweiten Schenkel in Tetanus geratken. Dieser \u201esecund\u00e4re Tetanus\u201c ist ein Beweis, dass der Muskelstrom nicht einfach im Beginn des Tetanus auf einen Minimalwerth herabgeht und in diesem bis zum Ende desselben verharrt \u2014 denn in diesem Falle d\u00fcrfte nur am Anfang\n1\tYgl. Meissner &F. Cohn, Ztschr. f. rat. Med. (3) XV. S. 46. 1862; Holmgren. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1864. S. 291 ; Hermann, Arch. f. d. ues. Phvsiol XV S. 233. 1877.\n2\tM\u00e4tteucci, Compt. rend. XV. p. 797. 1842 ; und an vielen anderen Stellen.\n3\tWeiter unten wird sich zeigen, dass die Bedingungen des Versuchs noch etwas weiter gefasst werden k\u00f6nnen, wie sie auch von M\u00e4tteucci allgemeiner angegeben worden sind.\n4\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 87. 1849 (zuerst mitgethe\u00fct in\nAnn. d. Physik LVIH. S. 1. 1843).\t\u00eb","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204 Hermann, Allg. Muskelphysik. S. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nund am Schluss des Tetanus der strompr\u00fcfenden Schenkel zucken, \u2014 sondern dass der Muskelstrom w\u00e4hrend der negativen Schwankung in fortw\u00e4hrendem raschen Auf- und Niedergehen begriffen ist;\nwelche durch die Curve h c d ef.. I m k\u00f6nnen, wirkt als Heiz auf den strompr\u00fcfenden Nerven. Man wird schon hiernach nicht zweifeln, dass jedem Reiz-stoss im tetanisirten Muskel eine negative Schwankung entspricht, und dass nur der Magnet sich viel zu langsam bewegt um ebenfalls ein rasches Hin- und Hergehen zu zeigen, so dass er die scheinbare Schwankungscurve bpqm ergiebt.\nUeber die Behauptung von Mo rat & Toussaint, dass bei erm\u00fcdeten Muskeln oder sehr frequenter Reizung der secun-d\u00e4re Tetanus ausbleibe, ferner \u00fcber das Verhalten des secund\u00e4ren Tetanus bei den verschiedenen Arten des prim\u00e4ren Tetanus s. oben S. 51.\nDa das Telephon f\u00fcr die Wahrnehmung schwacher tetanisirender Inductionsstr\u00f6me ein noch viel empfindlicheres Mittel ist, als der strompr\u00fcfende Froschschenkcl, sollte man meinen, dass dasselbe, mit einem tetanisirten Muskel verbunden, die oscillirenden Actionsstr\u00f6me durch ein Ger\u00e4usch anzeigen m\u00fcsste; dies ist indess nicht der Fall.1 2 Der Grund kann wohl nur im zeitlichen Verlauf der Actionsstr\u00f6me gesucht werden.\nDurch Verbindung eines dritten Nerven mit dem zweiten Muskel u.s. w. kann man auch terti\u00e4re, quart\u00e4re etc. Zuckungen hervorrufen und es kann Vorkommen, dass eine terti\u00e4re Zuckung ohne secund\u00e4re auftritt.\nDie durch den secund\u00e4ren Tetanus gewonnene Erkenntniss zeigte zugleich eine wesentliche Schwierigkeit hinsichtlich des eigentlichen Betrags der negativen Schwankung. Der vom Galvanometer angezeigte Stand des Muskelstroms im Tetanus, welchem die Linie bpqm Fig. 39 entspricht, bezeichnet die Summe der Einwirkungen auf den Magneten w\u00e4hrend der Zeit (fi.dt), und sagt nichts dar\u00fcber aus, ob den Einzelschwankungen Schw\u00e4chung, Annullirung oder Umkehrung des Ruhestroms entspricht. (Dieser Unsicherheit ist in Fig. 39 durch Punctirung resp. Weglassung des unteren Endes der Einzelschwankungen Rechnung getragen.3) Vor der Anwendung der neueren Methoden (Compensation,\njede dieser Schwankungen, Fig. 39 dargestellt werden\no rrr--------------------------1\nG e\nFig. 39. Negative Schwankung im Tetanus.\n1\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 504. 1878. (Im Orig, ist durchweg mm. statt cm. zu lesen.)\n2\tVgl. Marm\u00e9 & Moleschott, Molesch. Unters. I. S. 32. 1856.\n3\tMan erkennt leicht, dass die Figur zugleich die Abnahme in der Intensit\u00e4t der Wirkung, sowie die negative Nachwirkung darstellt.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Discontinuit\u00e4t d. tetanischen Schwankung. Actionsstrom unversehrter Muskeln. 205\nunpolarisirbare Electroden, aperiodischer Magnet) war sogar die Lage der Linie p q selbst zweifelhaft ; am Multiplicator ging der R\u00fcckschwung der Nadel, unterst\u00fctzt durch die Polarisation, meist \u00fcber den Nullpunct hinweg.\nDie Frage nach dem Betrage der Einzelschwankung kann erst unten weiter verfolgt werden.\n2. Verhalten unversehrter Muskeln hei der Th\u00e4tigkeit.\nAls du Bois-Reymond auch unversehrte oder wenigstens anscheinend unversehrte (vgl. oben S. 197) Muskeln auf ihr Verhalten beim Tetanisiren untersuchte, fand er an dem damals fast ausschliesslich zu solchen Versuchen benutzten Gastrocnemius eine galvanische Wirkung, welche er ebenfalls negative Schwankung nannte. Der \u201epar-electronomische\u201c Gastrocnemius zeigte beim Tetanisiren einen absteigenden Strom, auch wenn kein aufsteigender Ruhestrom da war A Absolut genommen war also dieser Strom vergleichbar der Ablenkung durch negative Schwankung des normalen Ruhestroms. Aus Gr\u00fcnden, welche sp\u00e4ter einleuchten werden, wollen wir diesen Strom lieber den \u201eAct ions str\u00f6m\u201c nennen.1 2\nDer absteigende Actionsstrom des tetanisirten Gastrocnemius giebt secund\u00e4ren Tetanus, und einzelne Zuckungen des Muskels geben secun-d\u00e4re Zuckung, so dass also zur Anstellung des Versuches \u00fcber secun-d\u00e4re Contractionen k\u00fcnstliche Querschnitte \u00fcberhaupt nicht n\u00f6thig sind. Wir schliessen daraus, dass jeder einzelnen Zuckung des Gastrocnemius, und jedem Reizstoss beim Tetanus ein Momentanstrom entspricht, den wir zun\u00e4chst als absteigend annehmen. N\u00e4heres \u00fcber diese Str\u00f6me s. unten.\nIn neuerer Zeit sind auch an anderen \u201eparelectronomischen\u201c Muskeln derartige Versuche, zun\u00e4chst von du Bois-Reymond, angestellt worden.3 Als allgemeines Gesetz ergab sich, dass im Tetanus ein im Muskel vom L\u00e4ngsschnitt zum sehnigen Ende gerichteter Actionsstrom auftritt, gleichg\u00fcltig ob und welcher Ruhestrom vorhanden ist.\nFerner fand du Bois-Reymond mit den neueren verbesserten Methoden einen wesentlichen Unterschied in Betrag, zeitlichem Verlauf und Nachwirkung zwischen der negativen Schwankung bei k\u00fcnstlichem Querschnitt und dem Actionsstrom parelectronomischer Mus-\n1\tdu Bois-Reymond, Uiitersucliungen II. 2. S. 142. 1859.\n2\tHermann, Untersuchungen III. S. 61.1868 ; Arch. f. d.ges. Physiol. XVI. S. 193. 1877. .\n3\tDU Bois-Reymond, Arch. f. Anat, u. Physiol. 1873. S. 535. (Ges. Abh. IL S. 416.)","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206 Hermann. Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nkein. Der absolute Betrag des letzteren (in Kraftmaass ausgedr\u00fcckt) ist kleiner (der relative Betrag zum Ruhestrom nat\u00fcrlich trotzdem meist gr\u00f6sser), die Entwicklung stockender und ungleichm\u00e4ssiger, die Nachwirkung betr\u00e4chtlicher.1\n3. Die negative Schwankung und der Actionsstrom bei Einzelreizungen, und deren zeitliche Verh\u00e4ltnisse.\nDass sowohl durch die secund\u00e4re Zuckung als, bei empfindlichen Boussolen mit leichtem und unged\u00e4mpftem2 Magnet durch Ablenkung, die negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittsstroms und der Actionsstrom des unversehrten Muskels auch bei einzelnen Zuckungen nachweisbar ist, ist schon oben erw\u00e4hnt. Im Jahre 1854 fand Helmholtz3, dass die negative Schwankung, wenigstens der steilste, die secund\u00e4re Zuckung erregende Theil derselben, der Zusammenziehung vorangeht. Er verlegte sie in die Mitte, v. Bezold4 einige Jahre sp\u00e4ter in den Anfang des Latenzstadiums.\nDen HELMHOLTz\u2019schen Versuch verdeutlicht Fig. 40. Der Muskel Mschreibt seine Zuckung auf den Myographioncylinder, a) indem er secun-d\u00e4r vom Muskel Mr, an dessen L\u00e4ngs- und Querschnitt sein Nerv bei r anliegt, erregt wird, b) indem sein Nerv bei r durch einen Inductionssehlag gereizt wird. Die so gefundene Differenz der Latenzzeiten der di-recten und der secund\u00e4ren Zuckung des Muskels M ist offenbar gleich der Zeit von der Reizung bei r\u2019 bis zum erregenden Theil der negativen Schwankung in l\\V \\ diese Zeit ergab sich nun etwa um V200 Sec. gr\u00f6sser als die Leitungszeit des Nerven Nr von r' bis M\u2019\\ der steilste Theil der Schwankung fiele hiernach in die Mitte des Latenzstadiums. N^ch v. Bezold kommt dagegen jene Zeit von V200 Secunde auf Rechnung eines Latenz stadiums des Nerven A bei der Erregung durch den schwachen Reiz der negativen Stromesschwankung (vgl. \u00fcber diese Behauptung Band II. dieses Handbuchs), und aus Versuchen, in welchen zur Zuckung b ein m\u00f6glichst \u00e4hnlicher schwacher Reiz angewandt wurde, will er gefunden haben, dass die Schwankung in den Beginn des Latenzstadiums f\u00e4llt, und in weniger als Viooo Sec. vollst\u00e4ndig beendet ist (vgl. auch unten die BERNSTEm\u2019schen Versuche).\n1\tnu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 544. (Ges. Abh. II. S. 423.)\n2\tVgl. oben S. 182.\n3\tHelmholtz , Monatsber. d. Berliner Acad. 1854. S. 329 ; vgl. auch du Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 626. (Ges. Abh. II. S. 496.)\n4\tv. Bezold. Monatsber. d. Berliner Acad. 1861. S. 1023; 1862. S. 199.\nFig. 40. Versuch von Helmholtz \u00fcber die Zeit der negativen Schwankung.","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Negative Schwankung bei Einzelreizung. Zeit derselben. Differentialrheotom. 207\nSehr einfach kann man am Herzen best\u00e4tigen, dass die Stromesschwankung der Contraction vorangeht. K\u00f6lliker & H. M\u00fcller 1 fanden n\u00e4mlich, dass wenn man den Nerven eines strompr\u00fcfenden Schenkels dem L\u00e4ngs- und Querschnitt eines pulsirenden Herzens anlegt, die secun-d\u00e4re Zuckung jedesmal fr\u00fcher eintritt als die Systole selbst.1 2\nMan weiss ferner, dass die der Muskelfaser an einer Stelle er-theilte Erregung sich wellenf\u00f6rmig durch die Faser fortpflanzt, und es kann, wenn dies an einer Faser mit k\u00fcnstlichem Querschnitt erfolgt, die Frage entstehen, ob die Schwankung erst auftritt, wenn die Erregung am k\u00fcnstlichen Querschnitt anlangt, oder ob schon dann wenn die Erregungswelle unter der L\u00e4ngsschnittselectrode hindurchgeht. Obgleich man letzteres aus theoretischen Gr\u00fcnden schon vorher annehmen musste, wurde die Frage doch erst 1867 durch J. Bernstein3 in diesem Sinne experimentell entschieden. Mit einem Apparat, den er das \u201eDifferential-Rheotom\u201c nannte, untersuchte er den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung bei directer Reizung curarisirter Muskeln an einem Ende.\n37&T\nctoOz\n\n\nFig. 41. Schema der- Rheotomversuche.\nDas Differential-Rheotom (oder repetirende Rheotom). Das Princip des Apparates4 ist, einen thierischen Theil in regelm\u00e4ssigen Intervallen, n r-2 r% (Fig. 41), zu reizen\nund in den Zwischenzeiten kurze ^ p\tr3\tr,{\nBoussolschl\u00fcsse n\\ bi, \u00ab2 bi, a3 bs 11. s.w. herzustellen, deren zeitlicher Abstand von den Reizmomenten beliebig ver\u00e4ndert werden kann, indem gleichsam die Abscisse der Boussolschl\u00fcsse B gegen die der Reize R horizontal verschoben wird, ohne sonstige Aenderung. Das Instrument (Fig. 42) besteht aus einem leicht drehbaren horizontalen Rade rr, das mittels eines Schnurlaufs durch ein Uhrwerk oder einen electromagnetischen Motor etwa 5 \u201410 mal p. sec. um seine Axe gedreht wird. Der Radkranz tr\u00e4gt isolirt die Spitze c und das Spitzenpaar c 1 und C2, erstere f\u00fcr den Reizcontact, letzteres f\u00fcr den Boussolcontact bestimmt.5 Die Reizcontactspitze c ist durch den Draht t mit einem in die Quecksilberrinne q tauchenden amalgamirten L\u00e4ufer verbunden; sie streift bei jeder Umdrehung einmal den Draht d (f\u00fcr\n1\tK\u00f6lliker & H. M\u00fcller, Verbandl. cl. pbys.-med. Ges. in W\u00fcrzburg YI. S. 528.\n1856.\n2\tUeber secund\u00e4re Zuckungen vom Herzen aus vgl. auch Donders, Onderzoek. physiol, labor. Utrecht (3) II. p. 246, 256. 1872. Ueber das electromotorische Verhalten des Herzens s. ferner oben S. 200.\n3\tBernstein, Monatsber. d. Berliner Acad. 1867. S. 444; Untersuchungen \u00fcber den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsysteme. Heidelberg 1871.\n4\tDies Princip ist zum gleichen Zwecke zuerst von du Bois-Reymond, aber in\neiner weniger vollkommenen Weise, zur Anwendung gebracht worden (Untersuchungen H. 1. S. 125. 1849).\t6\n5\tDiese Spitzen hat du Bois-Reymond vortheilhaft durch sehr feine Kupferbl\u00e4tt-\nchen ersetzt; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 581. (Ges. Abh. IL S. 453.)","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208 Hermann; All g. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nden ich mit Vortheil sp\u00e4ter eine kleine Quecksilberkuppe angebracht habe, um die zuweilen sehr st\u00f6renden Ersch\u00fctterungen zu vermeiden1; q und d sind in den Reizkreis R\\ Ri eingeschaltet. Die Boussolcontact-\nspitzen streifen \u00fcber den Quecksilbermeniscus der beiden isolirten Stahln\u00e4pfe qi und q=i, die in den Bous-solkreis (B\\ BR) eingeschaltet sind; diese N\u00e4pfe, welche etwa 18 Winkelgrade oder 720 des Umgangs einnehmen , stehen auf den Radien pi p-i, deren Stellung ver\u00e4ndert werden kann, so dass die Strecke des gleichzeitigen Eintauchens beider Spitzen d. h. die L\u00e4nge der Zeit ab, von 720 der Umdrehungszeit an, beliebig verk\u00fcrzbar ist. Der Abstand der Zeiten ab von den Reizmomenten r (Fig. 41) wird durch die Verstellung des den Reizcon-tact tragenden Schiebers s auf der in 1000 Tlieile getheilten Peripherie der Grundscheibe ver\u00e4ndert; diese Verstellung kann grob aus freier Hand und fein durch die Micrometerschraube a bewerkstelligt werden. Der den Contact d tragende in der Federb\u00fcchse b gehende Arm wird durch die Schraube b auf und nieder bewegt und dadurch, sowie durch die Neigung der Spitze c der Contact regulirt. Betr\u00e4gt die Umlaufszeit des Rades 78 Secunde, so entspricht jeder Theilstrich \u2018/sooo Secunde, jedoch geht die Genauigkeit der Bestimmung des Zeitintervalls zwischen Reizmoment und Boussol-schluss nicht so weit, wegen der Deformation der Quecksilberoberfl\u00e4chen durch das Streifen. Ueber die Justirung des Instruments vgl. Bernstein, a. a. O. Die w\u00e4hrend der Boussolschlussdauer aibi vorhandenen Str\u00f6me wirken auf die Boussole nat\u00fcrlich nicht mit voller Kraft, sondern nur mit einem so grossen Theil derselben, wie das Verh\u00e4ltniss der Zeit a\\bi zur ganzen Umlaufsdauer a\\ \u00ab2 betr\u00e4gt. Da aber dies Verh\u00e4ltniss constant bleibt, so sind die Ablenkungen aller Einzelversuche unter einander vergleichbar. W\u00e4re die\" Sehlussdauer a\\ b\\ sehr klein, so w\u00fcrde man durch ihre Verschiebung die jedem Zeitdiflferential entsprechende Intensit\u00e4t des Stromes kennen lernen, und so den zeitlichen Verlauf genau feststellen k\u00f6nnen. Da die Zeit ab aber ziemlich betr\u00e4chtlich ist, so erf\u00e4hrt man den zeitlichen Verlauf nur ungef\u00e4hr.\nDie Versuche ergaben, dass die Schwankung viel steiler ent-\n1 Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 411. 1877; ebenso Engelmann, ebendaselbst XVII. S. 71. 1878.\nFig. 42. Bernstein\u2019s Differential-Rheotom, von. oben gesehen. Der Tr\u00e4ger des oberen Axenlagers und das Fusstatiy ist weg-gelassen.","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Zeitlicher Yerlauf der Schwankung. Actionsstr\u00f6me zweier L\u00e4ngsschnittspunkte. 209\nsteht als sie verschwindet, dass ferner das Intervall i zwischen ihrem Beginn und dem Moment der Reizung um so gr\u00f6sser ausf\u00e4llt, je gr\u00f6sser der Abstand d zwischen der Reizstelle und der L\u00e4ngsschnitts-electrode ist; der Abstand zwischen Reizstelle und k\u00fcnstlichem Querschnitt ist dagegen gleichg\u00fcltig. Die Gr\u00f6ssen i und d sind einander proportional, woraus sich ergiebt, dass die negative Schwankung genau in dem Momente beginnt, in welchem die Erregung den L\u00e4ngs-schnittspunct erreicht, dass sie also kein sog. Latenzstadium hat ; denn w\u00e4re ein solches (l) vorhanden, so k\u00f6nnte nicht i und d, sondern nur i\u2014l und d einander proportional sein. Der Quotient dji ergiebt die Fortleitungsgeschwindigkeit der Erregung in der Muskelfaser, und betr\u00e4gt im Mittel 2,93 Meter.1\nIn einer weiteren Versuchsreihe leitete Bernstein von zwei symmetrischen L\u00e4ngsschnittspuncten des Muskels ab, so dass kein Ruhestrom vorhanden war. Der Erfolg war eine doppelsinnige Schwankung oder richtiger ein doppelsinniger Actionsstrom. Der der Reizstelle n\u00e4here L\u00e4ngsschnittspunct verhielt sich n\u00e4mlich gegen den entfernteren zuerst negativ, dann positiv; der letztere Strom, den Bernstein als \u201epositive Schwankung\u201c bezeichnete, war schw\u00e4cher als der erstere. Das zeitliche Intervall i' zwischen beiden Phasen zeigt sich proportional der Distanz d\u2019 beider L\u00e4ngsschnittspuncte, und der Quotient d'lf ergiebt sich nahezu gleich dem eben erw\u00e4hnten Quotienten di\\ es ist also klar, dass der der Reizstelle n\u00e4here L\u00e4ngsschnittspunct sich gegen den entfernteren negativ verh\u00e4lt, so lange ersterer in Erregung ist; ist die Erregung zum entfernteren L\u00e4ngsschnittspunct gelangt, so verh\u00e4lt sich dieser negativ gegen den ersteren. Jeder erregte Muskelpunct verh\u00e4lt sich also negativ gegen jeden ruhenden, und es steht offenbar nichts im Wege auch die negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittsstroms in der ersten Versuchsreihe so zu deuten, dass der L\u00e4ngsschnittspunct unter dem Einfluss der durchgehenden Erregung negativ wird gegen den Rest des Muskels.\nDie Dauer dieser Negativit\u00e4t ergab sich aus der ersten Versuchsreihe im Mittel zu 0,004 Secunde; aus der zweiten liesse sie sich begreiflicherweise nur dann entnehmen, wenn man so lange Muskeln zur Verf\u00fcgung h\u00e4tte, dass die Erregung am zweiten L\u00e4ngsschnittspunct erst etwa 0,001 Secunde sp\u00e4ter als am ersten beginnt, wozu ein Abstand von etwa 12 mm. erforderlich w\u00e4re. Letztere L\u00e4nge kann man auch mit Bernstein als die L\u00e4nge der Reizwelle im Mus-\n1 Diese Zahl ist wahrscheinlich f\u00fcr den ganz unversehrten Muskel zu klein : vgl. unten.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\n14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nkel bezeichnen, insofern eine Strecke von dieser L\u00e4nge gleichzeitig in Erregung begriffen ist, und dieser Zustand wellenartig vorschreitet.\nEin fernerer Schluss aus diesen Versuchen ist, dass die Negativit\u00e4t , deren Fortpflanzungsgeschwindigkeit der der Contraction gleichkommt (vgl. oben S. 54), die aber keine Latenzzeit hat, w\u00e4hrend letztere eine Latenzzeit von 0,01 Sec. besitzt, dieser an allen Puncten voraufgeht, und schon beendet ist, ehe die Verk\u00fcrzung ein-tritt. Man kann also sagen, dass der Contractionswelle eine Negativit\u00e4tswelle vorausl\u00e4uft. Endlich nimmt sowohl die Negativit\u00e4t als (s. oben S. 55) die Contraction w\u00e4hrend ihres Ablaufs durch die Faser an Intensit\u00e4t ab.1\nDie oben S. 205 offen gelassene Frage nach dem Betrage der negativen Schwankung konnte durch die eben erw\u00e4hnte Untersuchung beantwortet werden. Selbst in ihrem Maximum ging die Schwankung nie bis zur Annullirung geschweige denn bis zur Umkehr des Muskelstroms.2 3\n4. Verhalten der nat\u00fcrlichen Faserenden bei der Erregung.\nDie erste genauer zergliedernde Versuchsreihe \u00fcber den Actionsstrom eines unversehrten Muskels bei Einzelreizung ist unter Bernstein\u2019s Leitung und mit dessen Rheotom von S. Mayer 3 angestellt worden, und zwar am Gastrocnemius des Frosches, bei Ableitung von beiden sehnigen Enden. Es zeigte sich ein zuerst absteigender, dann aufsteigender Actionsstrom, oder \u2014 wie man sich damals ausdr\u00fcckte, weil man den absteigenden Strom mit der negativen Schwankung des am Achillesspiegel ange\u00e4tzten Muskels identificirte \u2014 eine zuerst negative, dann positive Schwankung; war der Achillesspiegel ange\u00e4tzt, so fehlte der aufsteigende (\u201epositive\u201c) Theil des Actionsstroms. Schon vier Jahre vorher hatte in du Bois-Reymond\u2019s Laboratorium Holmgren4 mit einem leichten Magneten, ohne Rheotom h\u00e4ufig doppelsinnige Schwankungen am Gastrocnemius beobachtet, ausserdem aber F\u00e4lle rein negativer und rein positiver Schwankung.\n1\tUeber \u00e4hnliche Versuche am S\u00e4ugethiermuskel vgl. Bernstein & Steiner, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 536. Ueber die Frage der Abnahme s. auch unten S. 214.\n2\tDie fr\u00fcheren vergeblichen Versuche, die Umkehrfrage zu entscheiden, sind von du Bois-Reymond zusammengestellt: Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 610. (Ges. Abh. II. S. 484.)\n3\tS. Mayer, Arch. f. Anat.,u. Physiol. 1868. S. 655.\n4\tHolmgren, Med. Centralbl. 1864. S. 291 ; ausf\u00fchrlicher Upsala l\u00e4karef\u00f6ren. f\u00f6rh.II. S. 160.1867, und Arch. f. Anat. u. Physiol. 1871. S. 237 (aus dem Schwedischen \u00fcbersetzt).","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Yerli. unversehrter Faserenden. Doppelsinniger Actionsstr. d. Gastrocnemius. 211\nLetztere waren bereits 1862 von Meissner & Franz Cohn 1 an te-tanisirten und an zuckenden G-astrocnemien beobachtet und zum Aus-gangspuncte einer besonderen Theorie gemacht worden.1 2 Holmgren glaubte gefunden zu haben, dass der positive Theil der Schwankung nicht wie der negative in das Latenzstadium, sondern in das Stadium der Verk\u00fcrzung hineinf\u00e4llt. Indem er mittels des du Bois\u2019schen Froschunterbrechers dem Muskelstrom nur in einem der drei Hauptstadien der Zuckung (Latenzstadium, Verk\u00fcrzung, Erschlaffung) zur Boussole Zutritt gestattete, fand er, dass nur dem mittleren Stadium positive Schwankung entspreche; sie m\u00fcsse also mit der Formver\u00e4nderung Zusammenh\u00e4ngen, und entweder von innerer Beibung oder wahrscheinlicher von der Aenderung des Neigungswinkels der Fasern gegen den Sehnenspiegel herr\u00fchren.3\nDie Mayer\u2019sehe Beobachtung am Rheotom wurde von Lamansky4 und du Bois-Reymond 5 6, und von Bernstein & Steiner 6 auch finden Gastrocnemius des Kaninchens best\u00e4tigt. Sp\u00e4ter wiederholte ich sie mit einem nicht repetirenden Rheotom, welches gestattete den Boussolkreis mittels eines Fallk\u00f6rpers zu einer genau bestimmbaren Zeit nach der Reizung auf einen kurzen Moment zu schliessen.7 (Die n\u00e4here Beschreibung des Fall-Rheotoms s. unten.) Nach diesen Untersuchungen f\u00e4llt jedoch der Uebergang des absteigenden in den aufsteigenden Actionsstrom keineswegs mit dem Beginn der Zuckung zusammen, sondern noch in das Latenzstadium hinein. Eine weitere Best\u00e4tigung erhielt dieser Umstand durch eine unter du Bois-Rey-mond\u2019s Leitung angestellte Untersuchung von Gad.8 Mit einem von Siemens construirten Fall-Rheotom wurde kurze Zeit nach der Reizung der Boussolkreis durch Wegr\u00e4umung einer Nebenschliessung zug\u00e4nglich gemacht, aber beim Beginn der Zuckung vom Muskel selbst (mittels des Froschunterbrechers) wieder ge\u00f6ffnet; die Vorg\u00e4nge nach dem Beginn der Zuckung waren also von der Beobachtung ganz ausgeschlossen. Trotzdem erschien der Actionsstrom doppelsinnig; beide Phasen desselben geh\u00f6ren also dem Latenzstadium an.\n1\tMeissner & Cohn, Ztschr. f. rat. Med. (3) XV. S. 27. 1862. (Yorl. Mitth. von Meissner ebendaselbst XII. S. 344. 1861.)\n2\tVgl. \u00fcber dieselbe du Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 564. (Ges. Abh. IL S. 439.)\n3\tDie Versuche und ihre Methode sind ausf\u00fchrlich mitgethe\u00fct in : F. Holmgren, Om den elektriska str\u00f6mfluktuationen hos den arbetande muskeln. I. Upsala 1873.\n4\tLamansky, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 193. 1870.\n5\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 580. (Ges. Abh. IL S. 452.)\n6\tBernstein & Steiner, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 526.\n7\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 235.1877.\n8\tGad, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. S. 37.\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nDa somit beide Stadien des Actionsstroms mit dem Erregungsvorgang\u2019 selbst Zusammenh\u00e4ngen, vermuthete du Bois-Reymond, dass die Doppelsinnigkeit aus der Interferenz der Wirkungen beider Muskelenden hervorgehe. Bei Ableitung von Mitte und einem sehnigen Ende regelm\u00e4ssiger Muskeln fand er n\u00e4mlich stets nur einseitigen, und zwar zur Sehne gerichteten Actionsstrom (\u201erein negative Schwankung\u201c) 1 2 und zwar (wie f\u00fcr den Tetanus schon oben, S. 206, erw\u00e4hnt) st\u00e4rker, wenn das sehnige Ende durch An\u00e4tzung in k\u00fcnstlichen Querschnitt verwandelt ist. Wird nun von beiden sehnigen Enden eines Muskels abgeleitet, so superponiren sich ihre beiden, entgegengesetzt gerichteten Actionsstr\u00f6me ; sie w\u00fcrden sich annulliren, w7enn beide gleich stark und von gleichem zeitlichen Verlauf w\u00e4ren; ist dies nicht der Fall, so k\u00f6nne einsinnige oder doppelsinnige Schwankung resultiren. Am Gastrocnemius \u00fcberwiege, wenn die untere Sehne ge\u00e4tzt ist, deren (absteigende) Schwankung, der Muskel wirke also rein negativ wie schon Mayer bemerkt hat; ist der Muskel unversehrt, so gehe die untere (absolut \u201enegative\u201c) Schwankung der oberen (absolut \u201epositiven\u201c) wegen verschiedenen zeitlichen Verlaufs, dessen n\u00e4here Ursache unbekannt, vorauf.-\nDiese Auffassung der doppelsinnigen Schwankung erwies sich indessen in einer von mir angestellten Untersuchung3 als irrth\u00fcm-lich. Vor Allem zeigte sich, dass grade bei Ableitung von Mitte und einem Ende regelm\u00e4ssiger Muskeln ganz regelm\u00e4ssig ein dopp eisinniger Actions str\u00f6m au ft ritt, bestehend aus einer ersten, atterminalen (d. h. zum Ende hin gerichteten) und einer zweiten, abterminalen (d. h. vom Ende weg gerichteten) Phase. Die zweite Phase fehlt vollst\u00e4ndig, wenn das Muskelende k\u00fcnstlichen Querschnitt hat, sie ist ferner stets schw\u00e4cher als die erste, und wird durch Erm\u00fcdung und Absterben noch weiter geschw\u00e4cht, so dass sie bald ganz verschwindet, oder wenigstens von der ersten Phase \u00fcberdeckt wird; beide Phasen schieben sich ausserdem im Laufe des Absterbens immer weiter hinaus. Dass die abterminale Phase des einen Muskelendes nicht etwa ein Stromzweig der atterminalen Phase des anderen ist, ergiebt sich mit vollster Sicherheit daraus, dass beide Enden an regelm\u00e4ssigen Muskeln gleichzeitig zuerst ihre atterminale und dann ihre abterminale Phase durchmachen. Ia Fig. 43 sind beide Phasen durch die Zahlen 1 und 2 dargestellt, ihre Intensit\u00e4t durch\n1\tDiese Angabe ist, wie weiter unten erw\u00e4hnt wird, thats\u00e4cklich unrichtig.\n2\tdu Bois-Keymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 663. (Ges. Abh.II.S. 527.)\n3\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 235. 1877.","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Doppelsinnige phasische Actionsstr\u00f6me unversehrter Muskeln.\n213\nFig. 43. Doppelsinniger phasischer Actionsstrom bei indireeter Eeiznng.\ndie L\u00e4nge der Pfeile und die H\u00f6he der Wellen. (Die Ableitung geschah nach der oben S. 187 erw\u00e4hnten Methode mit quer umschlingenden feuchten F\u00e4den.) Wird von beiden Muskel enden abgeleitet, so ergiebt sich in jedem Momente die algebraische Summe der Wirkungen beider H\u00e4lften f\u00fcr sich; diese Summe ist bei genau symmetrisch gebauten Muskeln Null, bei andern wechselt sie mit der Zeit ihr Vorzeichen; diese Ableitung stellt den vergleichsweise wenigst interessanten Fall dar. Beim Gastrocnemius ist \u00fcbrigens die Ableitung von beiden sehnigen Enden, wegen des eigenth\u00fcmlichen Baues dieses Muskels, im Grunde als eine Ableitung von Mitte und unterem Ende des Muskels zu betrachten (s. unten).\nDie Erkl\u00e4rung dieses Verhaltens ist offenbar in dem wellenf\u00f6rmigen Ablauf der Erregung zu suchen. Dass ein solcher Ablauf auch bei indireeter Reizung stattfinde, war vorher nie ausdr\u00fccklich bewiesen worden, und wurde in Folge dessen von du Bois-Reymond bezweifelt1 ; alle fr\u00fcheren Untersuchungen \u00fcber Fortschreiten der Erregung im Muskel waren n\u00e4mlich, besonders um gr\u00f6ssere Muskell\u00e4ngen zur Verf\u00fcgung zu haben, mit directer Reizung angestellt worden (s. oben S. 53,207). Erst durch meine eben mitgetheilten Versuche wurde der wellenf\u00f6rmige Ablauf der Erregung auch f\u00fcr indirecte Reizung bewiesen.\nIndem nun die Erregung zuerst an der Nerveneintrittsstelle erscheint und von da nach beiden Muskelenden abl\u00e4uft, muss sie an diesen sp\u00e4ter auftreten als in der Mitte der Faser, in deren N\u00e4he im Allgemeinen die Nervenfaser einm\u00fcndet. So entsteht nach dem S. 212 angef\u00fchrten Satze zuerst ein atterminaler, dann ein abterminaler Actionsstrom. Dass letzterer schw\u00e4cher ist als ersterer, r\u00fchrt von der f\u00fcr directe Reizung schon von Bernstein (s. oben S. 209 f.) gefundenen Abnahme der Erregungswelle w\u00e4hrend ihres Ablaufs her ; indem dieses \u201eDecrement\u201c, wie ich es nenne, mit der abnehmenden Leistungsf\u00e4higkeit des Muskels, durch Erm\u00fcdung und Absterben, immer st\u00e4rker wird, nimmt die abterminale Phase bis zum Verschwinden ab. Langt eine Erregungswelle an k\u00fcnstlichem Querschnitt an, so kann sie daselbst zu keiner electromotorischen Kraft Anlass geben, die abterminale Phase muss also dann wegfallen.\nDie vorstehenden Versuche enthalten zugleich die Erkl\u00e4rung der Actionsstr\u00f6me unversehrter Muskeln beim Tetanisiren. In diesem\n1 du Bois-Reymond , Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 344, 356. (Ges. Abh. II. S. 568, 577.)","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214 Hermann, All g. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nPall muss der auftretende Actionsstrom der algebraischen Summe der Erregungen an beiden Ableitungsstellen entsprechen. Es wird also ein Actionsstrom auftreten m\u00fcssen, der im Muskel gerichtet ist von der Ableitungsstelle, an welcher die Erregungswellen st\u00e4rker sind, zu der an welcher sie schw\u00e4cher anlangen. Bei indirecter Reizung wird also jede Muskelh\u00e4lfte im Allgemeinen einen atterminalen Actionsstrom zeigen m\u00fcssen, der vom Decrement der Erregungswelle herr\u00fchrt. Ein solcher Strom ist aber in der That vorhanden (vgl. oben S. 205). Am Gastrocnemius ist aus dem oben bezeichneten Grunde auch bei Ableitung von beiden Enden der atterminale Strom der unteren Faserh\u00e4lfte vorwiegend, d. h. ein absteigender Actionsstrom vorhanden. Ist das Ende mit k\u00fcnstlichem Querschnitt versehen, so ist der atterminale Strom nat\u00fcrlich besonders stark, weil die algebraische Summe gleich den vollem Betrag der abterminalen Phase ist.\nOb wirklich ein Decrement der Erregungswelle vorhanden sei, ist neuerdings Gegenstand der Controverse gewesen. Das Decrement ist zuerst von mir zur Erkl\u00e4rung der atterminalen Actionsstr\u00f6me beim Tetanus unversehrter Muskeln vermuth et, dann von Bernstein durch den oben S. 209 angef\u00fchrten Versuch nachgewiesen worden, du Bois-Reymond bezweifelte dessen Beweiskraft, und stellte einen anderen, zuerst von mir angegebenen Versuch an1: Er tetanisirte einen curarisirten Muskel an einem Ende und leitete von zwei symmetrisch gerichteten L\u00e4ngsschnittspuncten ab ; ist ein Decrement vorhanden, so muss ein von der dem Reiz n\u00e4heren zur ferneren L\u00e4ngsschnittsstelle gerichteter Actionsstrom auftreten. Einen solchen giebt nun du Bois-Reymond nur f\u00fcr den erm\u00fcdeten und absterbenden Muskel zu, w\u00e4hrend ich ihn an jedem frisch pr\u00e4parirten Muskel finde.2 Sollte also das Decrement auf einem abnormen Zustand des Muskels beruhen (was sich sp\u00e4ter wirklich gezeigt hat, s. unten), so besitzt jeder frisch ausgeschnittene Muskel schon diese Abnormit\u00e4t, und es steht also nichts im Wege, alle atterminalen tetanischen Actionsstr\u00f6me als decrementielle zu erkl\u00e4ren.\nLetztere Erkl\u00e4rung best\u00e4tigt sich aber weiter noch in folgenden wichtigen Thatsachen. Vor Allem fragt es sich, ob sich nicht der Sitz der electromotorischen Kraft der Actionsstr\u00f6me unversehrter Muskeln feststellen l\u00e4sst, du Bois-Reymond verlegte denselben auf Grund einer weiter unten zu er\u00f6rternden Theorie, an das \u201eparelec-tronomische\u201c Faserende, w\u00e4hrend, wenn die Kraft im Decrement\n1\tHermann, Untersuchungen III. S. 61. Anm. Berlin 1868; du Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 364, 369. (Ges. Abh. II. S. 584, 588.)\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 194. 1877.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Decrement der Erregungswelle. Directe Totalreiz img unversehrter Muskeln. 215\nihre Ursache hat, dieselbe ann\u00e4hernd gleichm\u00e4ssig auf die ganze L\u00e4nge der Faser vertheilt sein m\u00fcsste. Letzteres ist nun, wie ich gezeigt habe, in der That der Fall.1 Legt man einem regelm\u00e4ssig gebauten Muskel eine Zahl Ableitungsringe an, und bestimmt, indem man an einem Ende tetanisirt, die electromotorische Kraft des Actionsstroms zwischen je zwei Ableitungen, so findet man dieselbe ann\u00e4hernd proportional dem gegenseitigen Abstande derselben, und sonst ganz unabh\u00e4ngig von deren Lage ; es ist namentlich gleichg\u00fcltig, ob das Faserende in die abgeleitete Strecke hineinf\u00e4llt oder nicht. Hieraus ergiebt sich unmittelbar, dass jeder von der Erregung durchlaufene Punct w\u00e4hrend des Tetanus Sitz einer electromotorischen Kraft ist, die der Verlaufsrichtung der Erregungswellen gleichgerichtet ist. Diese Kraft kann offenbar nur decrementieller Natur sein. Ganz das Gleiche fand ich bei indirecter Reizung. Allgemein ausgedr\u00fcckt, ist hier die Kraft des Actionsstroms proportional der Differenz des iVbstandes der Ableitungen vom \u201enerv\u00f6sen Aequa-tor\u201c. So nenne ich denjenigen Querschnitt des Muskels, der die mittlere Lage aller Nerveneintrittsstellen darstellt. Der nerv\u00f6se Aequa-tor scheint meist dem sog. Hilus des Muskels sehr nahe zu liegen. Das nat\u00fcrliche Muskel ende spielt f\u00fcr den Actionsstrom durchaus keine besondere Rolle, sondern verh\u00e4lt sich ganz wie ein L\u00e4ngsschnittspunct.\nEin weiterer Beweis daf\u00fcr, dass alle Actionsstr\u00f6me unversehrter Muskeln vom Ablauf der Erregungswelle, resp. deren Decrement herzuleiten sind, liegt in der Thatsache, dass bei directer Totalreizung des unversehrten Muskels jeder Actionsstrom fehlt. Ich habe dies sowohl f\u00fcr Einzelreize als f\u00fcr Tetanus nachgewiesen. Ersteres geschah folgendermassen2 : Durch einen von Mitte und einem Ende abgeleiteten, curarisirten Muskel wurde mittels eines Fall-Rheotoms (s. unten) ein Inductionsschlag geleitet, und unmittelbar darauf der Kreis der secund\u00e4ren Spirale ge\u00f6ffnet und der Boussol-kreis vor\u00fcbergehend geschlossen; unmittelbar darauf wurde derselbe Versuch, aber mit entgegengesetzter Richtung des erregenden Indue-tionsschlags wiederholt. Da der Inductionsschlag eine innere Polarisation des Muskels hinterl\u00e4sst, so ist die halbe Differenz der Ablenkungen beider Versuche auf Polarisation, die halbe Summe auf Actionsstrom zu beziehen. Der letztere Betrag zeigt sich nun sehr gering und von unregelm\u00e4ssiger Richtung. Wird jetzt das Muskelende in k\u00fcnstlichen Querschnitt verwandelt, so ergiebt der Versuch regelm\u00e4ssig einen kr\u00e4ftigen atterminalen Actionsstrom, d. h. eine nega-\n1\tHekmann. a. a. 0. S. 217, 227, 229.\n2\tDerselbe, a. a. 0. S. 204.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\ntive Schwankung' des jetzt vorhandenen (vorher eompensirten) Ruhestroms, obgleich der Muskel durch die Verletzung an Erregbarkeit sichtlich verloren hat. Die unregelm\u00e4ssigen Wirkungen am unversehrten Muskel r\u00fchren ohne Zweifel theils von geringen latenten Verletzungen, theils davon her, dass die directe Totalreizung wellenf\u00f6rmigen Erregungsablauf nicht vollkommen auszuschliessen vermag.\nDas Fall-RkeotomL besteht aus zwei 1,5 Meter hohen eisernen Schienen, zwischen deren gegl\u00e4tteten Innenfl\u00e4chen ein schwerer Messingk\u00f6rper herabgleitet und unten eingefangen wird (F in Fig. 44). W\u00e4hrend des Falles schliesst er den Boussolkreis1 2, indem er den Hebel X erfasst und auf das Mes-singstiick q vorreibt; bald darauf \u00f6ffnet er den Boussolkreis, indem er den Hebel 0 von seiner Con-tactspitze hinabwirft. Das Intervall zwischen beiden Acten kann genau regulirt werden, indem Xp q l\u00e4ngs der Rheotombahn verschiebbar ist. Vor Schluss des Boussolkreises erfasst der Fallk\u00f6rper den Hebel ach des Reizschiebers E, und schiebt ihn \u00fcber die Platinplatte d hin\u00fcber, wodurch der prim\u00e4re Reizstrom rasch hintereinander geschlossen und ge\u00f6ffnet wird (soll nur ein Oeffnungsinductionsschlag benutzt werden, so wird b in der Ruhe auf cl gestellt). Das Verh\u00e4ltniss des Reizmoments zum Boussol-schluss wird durch Verschiebung des Reizschiebers E l\u00e4ngs der Rheotombahn regulirt. Die Figur zeigt ferner, dass der Kreis der secund\u00e4ren Spirale S zwischen Reizmoment und Boussolschluss ge\u00f6ffnet wird, durch Vorreibung des Hebels X von p auf q. Die weniger wesentlichen Theile der Versuchsanordnung (Compensationsvorrichtung etc.) sind in der Figur besserer Uebersicht halber fortgelassen.\nViel sch\u00f6ner noch gelingt der Versuch mit Tetanisirung.3 Mittels eines rotirenden Commutators4 wurde der Muskel in rascher Abwechselung in den Kreis der secund\u00e4ren Spirale eines tetanisirend spielenden Magnetelectromotors und in den Boussolkreis eingeschaltet. Es zeigten sich am unversehrten Muskel nur spurweise unregelm\u00e4ssige\nF ig. 44. Schema des Versuchs am Fall-Rheotom \u00fcber Actionsstr\u00f6me bei direeter Totalreizung.\n1\tDie vollst\u00e4ndige Abbildung und Beschreibung s. im Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 194, 219, 234, und Tafel II. ; XYI. S. 204. 1877.\n2\tDie Boussole ist f\u00fcr die schwachen Momentanstr\u00f6me zur Erh\u00f6hung der Empfindlichkeit unged\u00e4mpft und mit H\u00fclfsrollen yersehen (vgl. oben S. 182).\n3\tHermann, a. a. O. S. 212.\n4\tDerselbe ist von J. J. M\u00fcller construirt und schliesst \u00e4hnlich wie das Diffe-rentialrheotom die Kreise durch Spitzen und Quecksilbern\u00e4pfchen.","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Herleitung der Actionsstr\u00f6me aus Differenz der Intensit\u00e4t oder Phase. 217\nWirklingen, dagegen nach Anlegung k\u00fcnstlichen Querschnitts kr\u00e4ftige und ausnahmslose negative Schwankung.\nSo ist denn \u00fcber allen Zweifel festgestellt, dass alle Actionsstr\u00f6me einfach darauf beruhen, dass die in Erregung begriffenen Faserabschnitte sich gegen ruhende oder schw\u00e4cher erregte negativ verhalten, und die Actionsstr\u00f6me lassen sich nunmehr in folgende Categories bringen :\n1.\tPhasische Actionsstr\u00f6me; sie beruhen darauf, dass (bei Einzelreizen) beide Ableitungsstellen sich in verschiedener Phase der Erregung befinden. Sie sind am unversehrten Muskel stets doppelsinnig, ausser wenn die Ableitungsstellen zur Reizstelle oder zum nerv\u00f6sen Aequator symmetrisch liegen (in welchem Falle kein Actionsstrom auftritt). Die erste Phase ist von der Reizstelle weg, die zweite zu ihr hin gerichtet, bei indirecter Reizung also die erste ab-nerval und atterminal, die zweite adnerval und abterminal. Im ausgeschnittenen Muskel ist die zweite Phase schw\u00e4cher als die erste. Liegt die eine Ableitungsstelle an einem k\u00fcnstlichen Querschnitt, so f\u00e4llt die ihr entsprechende Phase aus.\n2.\tTetanische, decrementielle Actionsstr\u00f6me. Sieberuhen auf dem Decrement der Erregungswelle bei ihrem Ablauf (im ausgeschnittenen Muskel), und sind von der der Reizstelle, resp. dem nerv\u00f6sen Aequator, n\u00e4heren zur entfernteren Ableitungsstelle gerichtet. Wenn eine Ableitung an k\u00fcnstlichem Querschnitt liegt, so ist der tetanische Actionsstrom durch den Wegfall der entsprechenden Phasen in eine blosse negative Schwankung des Ruhestroms verwandelt. Die Actionsstr\u00f6me bei k\u00fcnstlichem Querschnitt habe ich, aus theoretischen Gr\u00fcnden (s. unten), als \u201eausgleichende\u201c bezeichnet.\n3.\tAn ganz unversehrten und total gereizten Muskeln, wo alle Phasenunterschiede und D\u00e9cr\u00e9ment\u00e9 fortfallen, findet kein Actionsstrom statt.\n4.\tAn theilweise verletzten Muskeln ergiebt sich der Actionsstrom, wenn jede Faser, sowohl die verletzten als die unversehrten, f\u00fcr sich betrachtet, und die resultirende Wirkung aufgesucht wird.\nHier ist der geeignete Ort, um \u00fcber die Ruhe- und Actionsstr\u00f6me einiger Muskeln von complicirterem Bau das N\u00f6thige anzuf\u00fchren, vor Allem des Gastrocnemius. Den Bau dieses Muskels veranschaulichen die schematischen Zeichnungen in Fig. 45, nach du Bois-Reymond welche den Muskel, A von aussen, B von hinten, C von vorn, D im sa-gittalen L\u00e4ngsschnitt und E im Querschnitt (i innere, e \u00e4ussere Seite) darstellt. Die beiden oberen Sehnen (k obere Hauptsehne, n obere\n1 du Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 529. (Ges. Abh. n. S. 69.)","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218 Hermann, All g. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nNebensehne, gehen in eine den Muskel sagittal fast ganz durchsetzende scheidewandartige Aponeurose k \u00fcber1; w\u00e4hrend die Achillessehne A\nFig. 45. (S. 217.) Gastrocnemius des Frosches, in schematischer Darstellung nach du Bois-Beymond.\nin eine an der Wadenfl\u00e4che sichtbare; diese fast ganz bekleidende Aponeurose \u00fcbergeht. Die kurzen Fleischfasern verlaufen; wie die Figuren zeigen; fast s\u00e4mmtlich schr\u00e4g zwischen beiden Aponeurosen (Genaueres s. a. a. 0.). Der im unversehrten Zustande wie alle andern stromlose Muskel zeigt gew\u00f6hnlich zwischen Achillessehne und Fleisch oder oberen Sehnen einen aufsteigenden Strom wegen unmerklicher An\u00e4tzungen des unteren Sehnenspiegels; dieser Strom ist wegen des schr\u00e4gen Faseransatzes (vgl. die Figuren) ein Neigungsstrom.2 Die besser gesch\u00fctzten oberen Faserans\u00e4tze kann man durch Einschneiden und Einf\u00fchren von Aetzmitteln in die Fuge der oberen Sehne und l\u00e4ngs der Scheidewand mit k\u00fcnstlichen Querschnitten versehen und so den Muskel absteigend wirksam machen; oder die Kraft der unteren Aetzfl\u00e4che compen-siren; auch bei starkem Dehnen reissen die Fasern meist am oberen Ende; an der Scheidewand.3 Aetzt man am Achillesspiegel nur kleine St\u00fccke (mit anges\u00e4uerten Fliesspapierscheibchen oder mit gl\u00fchendem Draht); so ist die entwickelnde Wirkung cet. pat. unten gr\u00f6sser als h\u00f6her oben; weil die nebenschliessende Masse des Muskels unten d\u00fcnner ist.4 Wird die ganze Oberfl\u00e4che des Muskels ange\u00e4tzt; so macht dies starken aufsteigenden Strom, aus dem oben S. 201 angegebenen Grunde. Die obere Sehne des Gastrocnemius leitet, wegen ihrer eigenth\u00fcmlichen Lage, nicht bloss von den oberen Faserinsertionen, sondern durch diese hindurch auch von den L\u00e4ngsschnitten des gr\u00f6ssten Theils der Fasern ab.\nDer phasische Actionsstrom des unversehrten Gastrocnemius gestaltet sich nat\u00fcrlich je nach der Ableitung verschieden. Bei Ableitung von beiden Hauptsehnen (s. oben S. 210) ist die erste Phase absteigend, weil die obere Sehne zugleich von den L\u00e4ngsschnitten ableitet, an denen die Erregung fr\u00fcher und wegen des Decrements st\u00e4rker auftritt als an den\n1\tBeim Einschneiden der Achillessehne gl\u00fcckt es h\u00e4ufig den Muskel in zwei von den Bl\u00e4ttern dieser Aponeurose begrenzte H\u00e4lften zu zerreissen.\n2\tFaltung der Aponeurose schw\u00e4cht denselben, deshalb bewirkt Ausspannen des Muskels h\u00e4ufig Zunahme der aufsteigenden Kraft; vgl. du Bois-Reymond, Mo-natsber. d. Berliner Acad. 1867. S. 581. (Ges. Abh. IL S. 305.)\n3\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 612; 1871. S. 562. (Ges. Abh. IL S. 135, 365.)\n4\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1871. S. 564; 1876. S. 133. (Ges. Abh. II. S. 367, 540.)","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Actionsstr. unregelm. Muskeln. Bau d. Gastrocnemius. Yerl. u. Nachwirkung. 219\nunteren Enden, wo bei der geringsten Verletzung ausserdem die entsprechende (aufsteigende) Phase geschw\u00e4cht wird (bei An\u00e4tzung des ganzen Achillesspiegels f\u00e4llt letztere nat\u00fcrlich ganz fort). Aus gleichem Grunde ist (bei Ableitung von Mitte und oberem Ende des unversehrten Muskels) der doppelsinnige Actionsstrom der oberen H\u00e4lfte schw\u00e4cher als der der unteren, da zwischen reiner L\u00e4ngsschnittableitung und oberer Sehnenableitung kein grosser Unterschied ist. Im Tetanus ist, wiederum aus gleichem Grunde, der decrementielle Actionsstrom zwischen beiden Hauptsehnen fast ebenso stark absteigend als zwischen Mitte und unterer Sehne. Die decrementiell absteigend wirkenden unteren Faserenden summiren, wegen ihrer dachziegelf\u00f6rmigen Ueberragung ihre Wirkungen zu einem kr\u00e4ftigen absteigenden Neigungsstrom.1 Die Einmischung k\u00fcnstlicher Verletzungen l\u00e4sst sich ebenfalls leicht erkl\u00e4ren.\nEinigermassen \u00e4hnliche Verh\u00e4ltnisse wie der Gastrocnemius bietet der Triceps femoris dar. Jedoch kann auf ihn, sowie auf die Muskeln mit schr\u00e4ger Inscriptio, wie der Gracilis, hier nicht n\u00e4her eingegangen werden.2\t.\nAuch beim Tetanisiren zeigen unregelm\u00e4ssige Muskeln, wie der Gastrocnemius, unter Umst\u00e4nden doppelsinnige Actionsstr\u00f6me, welche sich dadurch erkl\u00e4ren lassen, dass das Decrement im Verlaufe der Reizung anfangs in der einen, sp\u00e4ter in der andern Muskelh\u00e4lfte \u00fcberwiegt, wof\u00fcr der speciellere Grund sich in den seltensten F\u00e4llen ermitteln lassen wird.3\nDer zeitliche Verlauf und die Nachwirkung der tetanischen, decre-mentiellen Actionsstr\u00f6me erkl\u00e4rt sich aus dem Umstande, dass die Fortleitung der Erregung und das prompte Schwinden derselben durch Erm\u00fcdung beeintr\u00e4chtigt wird, so dass bei den h\u00f6chsten Graden die Erregung gradezu wie die idiomuscul\u00e4re Contraction (S. 45 f,) stehen bleibt.4 So kommt es, dass der Tetanus um so st\u00e4rkere Nachwirkung hinterl\u00e4sst, je l\u00e4nger er fortgesetzt worden ist, und dass es Vorkommen kann, dass beim Aufh\u00f6ren der Reizung der Magnet \u00fcberhaupt nicht mehr zur\u00fcckkehrt. Die Abnahme des decrementiellen Actionsstroms w\u00e4hrend der Reizung selbst erkl\u00e4rt sich aus der abnehmenden Leistungsf\u00e4higkeit des Muskels, durch welche der Wellenberg an der prim\u00e4ren Erregungsstelle allm\u00e4hlich verstreicht. Die stockende Entwicklung des decrementiellen Actionsstroms kann ebenfalls darauf zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, dass das Decrement w\u00e4hrend des Tetanisirens zunimmt, und der Actionsstrom auf dem Kampfe der Wirkungen beider Ableitungsstellen beruht. So erkl\u00e4rt sich auch, dass die Entwicklung nicht stockend ist, wenn die eine Ableitungsstelle an k\u00fcnstlichem Querschnitt liegt. Endlich ist der Muskel mit k\u00fcnstlichem Querschnitt absolut weniger erregbar, so dass er, obgleich sein Actionsstrom (weil die Subtraction der einen Ableitung wegf\u00e4llt) gr\u00f6sser ist, doch geringere Nachwirkung zeigt. Alle Umst\u00e4nde hier vollst\u00e4ndig zu \u00fcbersehen, wird schwerlich ohne neue Untersuchung der Absterbeer-\n1\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 238 ff. 1877.\n2\tVgl. hier\u00fcber du Bois-Reymond und Hermann an den zuletzt angegebenen Stellen.\n3\tVgl. an den angef\u00fchrten Stellen.\n4\tUeber das electromotorische Verhalten des idiomuscul\u00e4ren Wulstes s. unten.","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nscheinungen m\u00f6glich sein. Vgl. auch unten, bei der Theorie des Muskelstroms.\nUeber das Verhalten der Actionsstr\u00f6me im normalen Organismus s. den folgenden Paragraphen. Die Actionsstr\u00f6me des Herzens, welche nach neueren Untersuchungen 1 2 ebenfalls vollst\u00e4ndig darauf zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, dass negative Erregungswellen \u00fcber das Herz ablaufen, werden bei der Herzphysiologie abgehandelt.\nDas Verh\u00e4ltnis der Gr\u00f6sse der negativen Schwankung und des Actionsstroms zur Intensit\u00e4t der Reizung und zu den \u00fcbrigen Variablen der Muskelcontraction ist noch wenig untersucht. Dass im Allgemeinen die galvanischen Erregungserscheinungen wie die \u00fcbrigen mit der Reizintensit\u00e4t zunehmen, und schliesslich ein Maximum erreichen, dass sie ferner beim Absterben und bei der Erm\u00fcdung abnehmen (bei ersterem nehmen sie nach Lamansky anfangs zu), ist eine allt\u00e4gliche Erfahrung. Harless 2 sah ferner die Schwankung mit der Hubh\u00f6he zunehmen, und Lamansky3 fand, dass der Actionsstrom des Gastrocnemius mit der Belastung des Muskels w\u00e4chst; letztere Erfahrung w\u00fcrde, wenn sie sich auch an einfacheren Muskeln best\u00e4tigt, sich am n\u00e4chsten dem oben S. 160 f. besprochenen Heiden-HAiN\u2019schen Resultate anschliessen.4\nAnhang zur Lehre von den Actionsstr\u00f6men. Czermak5 beobachtete zuerst, dass wenn man den Nerven eines strompr\u00fcfenden Froschschenkels auf einen Muskel mit idiomuscul\u00e4rem Wulst fallen l\u00e4sst, so dass er den Wulst und einen L\u00e4ngsschnittspunct ber\u00fchrt, eine Zuckung eintritt. Diese mehrfach best\u00e4tigte Beobachtung6 beruht darauf, dass der in idiomuscul\u00e4rer Contraction begriffene Fasertheil sich negativ verh\u00e4lt gegen den Rest, sich also wie ein tetanisirter oder wie ein abgestorbener Antheil verh\u00e4lt; nach dem Schwinden1 des Wulstes h\u00f6rt die Negativit\u00e4t auf; es w\u00fcrde lohnend sein zu untersuchen ob die Contraction oder der Strom fr\u00fcher schwindet. Dass beim Aufliegen kein* secund\u00e4rer Tetanus entsteht, beweist nach dem S. 48 Gesagten noch Nichts daf\u00fcr, dass der Strom ein constanter ist, obgleich letzteres nach der Natur der idiomuscul\u00e4ren Contraction das Wahrscheinlichste ist.\n1\tHie wichtigste Literatur ist: K\u00f6lliker & H. M\u00fcller, Verh. d. pbys.-med. Ges. zu W\u00fcrzburg VI. S. 528. 1856; Marchand, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 511. 1877; XVII. S. 137.1878; Engelmann, ebendaselbst XVII. S. 68. 1878.\n2\tHarless, gel. Anz. d. bayr. Acad. XXXVH. S. 267. 1853.\n3\tLamansky, Arch. f. d. ges. Physiol, in. S. 193. 1870.\n4\tDie Angabe Lamansky\u2019s, dass Ueberlastung den Actionsstrom nicht steigert, f\u00fchrt du Bois-Reymond , Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 379 (Ges. Abh. n. S. 596) auf den Verdacht, dass die Zunahme bei Belastung von der Verschlechterung der inneren Nebenschliessung durch die Dehnung herr\u00fchre, wobei vorausgesetzt wird, dass der Sitz der electromotorischen Kraft der Sehnenspiegel sei.\n5\tCzermak, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 1857 : abgedruckt in Molesch. Unters. V. S. 141. 1858.\n6\tVgl. z. B. K\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 614; Harless, Ztschr. f. rat. Med. (3) XIV. S. 117.1862.","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Kraft d. Actionsstr\u00f6me. Idiomuscul\u00e4re W\u00fclste. Versuche am lebend. Menschen. 221\nY. Galvanische Muskelwirkungen am lebenden Menschen.\nZu der Zeit als man dem v\u00f6llig unversehrten Muskel einen Ruhestrom zuschrieb, musste man denselben nat\u00fcrlich auch am lebenden Menschen voraussetzen, nachdem sich, wie zu erwarten war, die Gesetze quer durchschnittener Muskeln an amputirten menschlichen Gliedern best\u00e4tigt hatten.1 Allein der Nachweis am unversehrten Menschen hatte mit \u00e4hnlichen Schwierigkeiten zu k\u00e4mpfen wie am Frosche (s. oben S. 198). Zu den Schwierigkeiten, welche die electromotorischen Wirkungen der Haut selbst, welche etwa der der Froschhaut vergleichbar sind, darbieten, und die sich nicht wie dort durch experimentellen Eingriff eliminiren lassen, kommt hier noch der grosse Leitungswiderstand der Haut, die Einfl\u00fcsse von Temperaturungleichheiten und vieles Andere. So sehr sich du Bois-Reymond bem\u00fchte, in diesem Gewirr durch eine mit beispielloser Ausdauer durchgef\u00fchrte Reihe von Untersuchungen Licht zu schaffen2, gelang es ihm doch nicht, einen ruhenden Muskelstrom nachzuweisen, obgleich er sein Dasein nicht bezweifelte. Beim jetzigen Standpunct unsrer Kenntnisse haben wir umgekehrt keinen Anlass, das letztere zu vermuthen.\nGl\u00fccklicher schienen du Bois-Reymond\u2019s Bem\u00fchungen, von willk\u00fcrlich contrahirten Muskeln Actionsstr\u00f6me, oder wie er es ausdr\u00fcckte, negative Schwankungen der vermeintlichen Ruhestr\u00f6me, zu erhalten.3 Taucht man n\u00e4mlich, um gleich die wirksamste Form des Versuches anzuf\u00fchren, entweder beide F\u00fcsse,'oder je einen oder mehrere Finger beider H\u00e4nde in die Zuleitungsgef\u00e4sse des Galvanometers, so ist wegen der symmetrischen Ableitung kein oder nur ein schwacher Ruhestrom vorhanden, der n\u00f6thigenfalls compensirt wird. Werden nunmehr die Muskeln des einen Beins, resp. Arms kr\u00e4ftig willk\u00fcrlich angespannt, wobei durch passende Vorrichtungen Bewegung der abgeleiteten Fl\u00e4chen selbst zu vermeiden ist, so entsteht ein im angestrengten Gliede aufsteigender Strom, der den willk\u00fcrlichen Tetanus ziemlich lange \u00fcberdauert, und der keinen secund\u00e4ren Tetanus liefert.\nDiesen Strom schrieb du Bois-Reymond in der angef\u00fchrten Weise den tetanisirten Muskeln zu. Seine lange Nachwirkung konnte allenfalls der des ausgeschnittenen tetanisirten Gastrocnemius an die Seite gestellt werden (s. oben S. 206) ; sein Unverm\u00f6gen secund\u00e4ren Tetanus zu erzeugen konnte theiis von der Schw\u00e4che der Str\u00f6me, theils davon\n1\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 523. 1848.\n2\tdu Bois-Reymond, a. a. O. II. 2. S. 186 ff. 1859.\n3\tdu Bois-Reymond, a. a. O. II. 2. S. 276 ff.","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nherr\u00fchren, dass beim willk\u00fcrlichen Tetanisiren die Erregungen der einzelnen Muskeln und Muskelfasern zeitlich nicht so coincidiren wie beim k\u00fcnstlichen. Diejenigen, welchen der Versuch nicht gelang1, arbeiteten meist mit unzureichenden Vorrichtungen oder machten sonstige Fehler. Zuweilen erwies sich kettenartige Verbindung einer Reihe von Personen, welche sich die H\u00e4nde reichten, und auf Commando den gleichnamigen Arm contrahirten, f\u00fcr das Gelingen n\u00fctzlich. Allein Einigen misslang der Versuch, ohne dass man M\u00e4ngel im Verfahren behaupten kann. \u2014 Der du Bois\u2019schen Deutung des Versuchs wurden haupts\u00e4chlich folgende Einw\u00e4nde gemacht. Erstens, nach Analogie des Froschschenkels h\u00e4tte der Actionsstrom absteigend statt aufsteigend erwartet werden m\u00fcssen; hiergegen wies du Bois-Reymond nach, dass z. B. am Kaninchenunterschenkel der Ruhestrom absteigend, seine negative Schwankung aufsteigend sei2 3, wie denn \u00fcberhaupt nach dem oben Gesagten die Richtung des Actionsstroms eines vielmuskeligen Gliedes sich, ganz unabh\u00e4ngig von Existenz und Richtung eines Ruhestroms, gar nicht Voraussagen l\u00e4sst. Zweitens wurde eingewendet, der Strom k\u00f6nne thermoelectrischen Ursprungs sein; auch diesen Einwand vermochte du Bois-Reymoxd zu beseitigen. Endlich wurde, besonders von Becquerel Vatei -1, die M\u00f6glichkeit betont, dass der Strom von einer durch die Anstrengung bewirkten secretorischen Ver\u00e4nderung der Haut herr\u00fchren k\u00f6nnte. Diesen Einwand glaubte du Bois-Reymond dadurch widerlegt zu haben, dass er die eine Hand durch Einh\u00fcllen in Guttapercha in Schweiss versetzte, und nachher beide H\u00e4nde in die Zuleitungsgef\u00e4sse tauchte ; allein die schweissbedeckte Hand verhielt sich positiv statt negativ\u2019gegen die andere. Auch gelang der Willk\u00fcrversuch, als die Ableitungsstellen durch Blasenpflaster ihrer Epidermis beraubt waren.4 Gewisse Versuche beseitigten auch die M\u00f6glichkeit, dass der Strom von Blutcongestion im angestrengten Gliede herr\u00fchrten.\nNachdem ich selber bis zum Jahre 1877 an der du Bois\u2019schen Deutung des Versuchs nicht gezweifelt, sondern den aufsteigenden Strom als die Resultirende der deerementiellen Actionsstr\u00f6me betrachtet hatte, wurde ich durch meine Untersuchungen \u00fcber den Actionsstrom auf eine erneute Pr\u00fcfung dieser Deutung gef\u00fchrt5, indem sich die Frage einstellte, ob wirklich im ganz normalen Muskel\n1\tVgl. die ZusammensteUung bei du Bois-Reymond, a. a. O. H. 2. S. 308 ff.\n2\tdu Bois-Reymond, a. a. O. II. 2. S. 336 ff.\t.\tx , VVVT\n3\tIn dem Bericht der Commission der Panser Academie : Comptes rendus AAAI, p. 38. 1850; deutsch im Arch. f. physiol. Heilk. 1850. S. 663.\n4\tdu Bois-Reymond, a. a. O. II. 2. S. 358, 364.\n5\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 256.1877.","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Yermeintl. Actionsstrom durch Willen. Phasische Aciionsstr\u00f6me am Menschen. 223\nein Decrement der Erregungswelle stattfinde. Ich versuchte vor Allem, den Strom bei der g\u00fcnstigsten Ableitung bestimmter Muskelgruppen darzustellen, und legte dazu eigent\u00fcmliche Seilelectroden1 entweder um das Handgelenk und das dicke Fleisch des Vorderarms, oder um das Kniegelenk und die Mitte des Oberschenkels ; in beiden F\u00e4llen h\u00e4tte bei willk\u00fcrlicher Anstrengung offenbar ein absteigender Actionsstrom auftreten m\u00fcssen. Statt dessen zeigten sich Str\u00f6me von ganz wechselnder Richtung. Immer noch glaubte ich, dass nur die complicirten Wirkungen der Haut den Actionsstrom verunreinigten und \u00fcberdeckten. Ferner fand ich, dass das Unverm\u00f6gen secund\u00e4ren Tetanus zu geben, nicht auf der Gr\u00f6sse der Widerst\u00e4nde beruhen konnte; denn wenn, in den Kreis der nach dem du Bois\u2019schen Verfahren abgeleiteten Arme ausser dem Nerven des strompr\u00fcfenden Schenkels noch ein Frosch - Gastrocnemius eingeschaltet wurde, so gab dieser,* beim Tetanisiren vom Nerven aus, secund\u00e4ren Tetanus, die willk\u00fcrliche Anstrengung des Arms aber nicht. Auch gab die in der oben bezeichneten g\u00fcnstigen Weise abgeleitete Muskel gruppe des Vorderarms oder Oberschenkels nicht, wie ich erwartete, secund\u00e4ren Tetanus (vgl. auch unten).\nDiese Thatsachen h\u00e4tten noch immer die du Bois\u2019sche Deutung nicht ganz umgestossen. Allein sp\u00e4ter gelang es mir, die Actionsstr\u00f6me des menschlichen Vorderarms mit vollster Sicherheit darzustellen, und hierdurch nicht allein die erste zweifellose galvanische Wirkung menschlicher Muskeln zu gewinnen, sondern auch die Frage des du Bois\u2019schen Willk\u00fcrversuchs vollst\u00e4ndig zu erledigen.\nSo unm\u00f6glich es ist, constante Wirkungen der unenth\u00e4uteten Muskeln aus den concurrirenden Hautwirkungen herauszuerkennen, so leicht ist dies mit den phasische n Actionsstr\u00f6men.2 Mit dem repetirenden Rheotom wurde der menschliche Arm durch zwei an den Plexus brachialis unter der Achselh\u00f6hle angelegte Ballenelec-troden gereizt, und an der Mitte des Vorderarms und etwas \u00fcber dem Handgelenk mit ringf\u00f6rmigen Seilelectroden abgeleitet. Stets zeigte sich ein doppelsinniger Actionsstrom, zuerst atterminal (absteigend), dann abterminal (aufsteigend). Abweichend vom ausgeschnittenen Froschmuskel zeigte sich die zweite Phase ebenso stark\n1\tEine solche ist in Fig. 46 abgeb\u00fcdet. Das kurze Ende des mit Zinkl\u00f6sung gef\u00fcllten Glasrohrs g ist verst\u00f6pselt, und enth\u00e4lt den amalgamirten Zinkdraht z. In das lange Ende ist das Se\u00fc s eingelassen und befestigt, durch dessen Schlinge das lange Seils' hindurchgezogen ist; letzteres wird um Arm, resp. Schenkel geschlungen. Die Seile sind alt und aufgefasert, und mit Zinkl\u00f6sung getr\u00e4nkt, in welcher die Elec-troden stets auf bewahrt werden.\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XYI. S. 410. 1877.","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nwie die erste; auch nahm sie mit der Zeit weder an Intensit\u00e4t ab, noch schob sie sich zeitlich hinaus. Im ganz normalen Muskel ist also kein Decrement der Erregungswelle vorhanden; das Decrement ist eine Folge von Erm\u00fcdung oder Absterben. Wurde vom oberen Ende des Vorderarms abgeleitet, so zeigte sich wiederum zuerst atterminale (aufsteigende), dann abterminale (absteigende) Phase. Der nerv\u00f6se Aequator liegt etwa an der Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel des Vorderarms.\nDen angef\u00fchrten Versuch am menschlichen Arm stellt die ohne Weiteres verst\u00e4ndliche Figur 46 dar. 1 ist die atterminale, 2 die abterminale Phase beider Vorderarmenden.\nDiese Versuche boten zugleich zum ersten Male eine Gelegenheit, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im normalen menschlichen Muskel zu messen. Dieselbe liegt zwischen 10 und 13 Met. p. sec. (vgl. oben S. 56).\nEs fragte sich nun, ob vielleicht heftige, erm\u00fcdende Reizung ein Decrement verursache. Tetanisiren des Plexus brachialis bewirkte gew\u00f6hnlich zuerst einen aufsteigenden Strom in der unteren Vorderarmh\u00e4lfte, dessen Ursache sogleich sich ergeben wird. Bei sehr heftiger Reizung aber kommt wirklich endlich ein absteigender decrementieller Actionsstrom zum Durchbruch.\nHiermit war die Deutung des du Bois\u2019schen Willk\u00fcrversuchs aufs Aeusserste ersch\u00fcttert. Da willk\u00fcrlicher Tetanus sicher nicht einen decrementiellen Actionsstrom hervorbringen kann, kann jener aufsteigende Strom, abgesehen von allen anderen angef\u00fchrten Bedenken, kein muscul\u00e4rer Actionsstrom sein. Die wirkliche Bedeutung dieses Stromes aber fand ich auf einem ganz anderen Wege.\nDurch Untersuchungen, welche in der Secretionslehre n\u00e4her mit-getheilt werden, fand ich, dass die Froschhaut bei Reizung ihrer Nerven im Wesentlichen einen von aussen nach innen gerichteten Secretionsstrom giebt.1 Einen \u00e4hnlichen Strom vermuth ete ich auch in der Haut der Warmbl\u00fcter und des Menschen, und fand ihn in der That in Versuchen, die ich in Gemeinschaft mit Luchsinger anstellte.2 Curarisirte Katzen, deren beide Pfoten zur Boussole abgeleitet sind, zeigen bei Reizung eines Ischiadicus, gleichzeitig mit\nFig. 46. Doppelsinnige phasisehe Actions-str\u00f6me am menschlichen Vorderarm. Rechts eine Seil-Eleetrode (S. 223).\n1\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVII. S. 291.1878.\n2\tHermann & Ltjchsinger, a. a. O. XVII. S. 310 ; XVIII. S. 470. 1878.","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Mangel d. Decrements im norm. Muskel. \u2014 Secretor. Ursache d. Willk\u00fcrstroms. 225\nSchwitzen der betr. Pfote, einen im gereizten Bein aufsteigenden, kr\u00e4ftigen Strom; nach Vergiftung mit Atropin bleibt sowohl das Schwitzen als der Secretionsstrom aus (N\u00e4heres s. in der Secretions -lehre).\nSowohl bei den oben angef\u00fchrten Reizversuchen am Arm, als bei der willk\u00fcrlichen Anstrengung, findet deutliche Hautsecretion an der Hand statt. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass der du Bois\u2019sche Strom in der That, wie schon Becquerel, wenn auch ohne jeden weiteren Anhalt, vermuthete, nichts Anderes ist, als der Secretionsstrom der Hand, resp. des Fusses auf der gereizten Seite. Ein curarisirter Mensch w\u00fcrde den du Bois\u2019schen Strom trotz Ausbleibens der Muskelcontraction zeigen, bei einem atropinisirten w\u00fcrde er trotz Muskelcontraction fehlen. Eine vorher mit Schweiss bedeckte Hand braucht den Strom nicht zu zeigen (s. oben), da derselbe mit dem Secretionsprocess selbst verbunden ist; ebensowenig braucht ihn Mangel der Epidermis zu beseitigen. Nunmehr ist auch klar, weshalb der Strom keinen secund\u00e4ren Tetanus giebt, warum er eine auffallend lange Nachwirkung hat, warum er an manchen Personen fehlt, und warum er nur bei Ableitung von schwitzf\u00e4higen Theilen auftritt. Da die Hautsecretion gegen die Hand zunimmt, ist auch der beim Tetanisiren des Plexus brachialis vorhandene aufsteigende Armstrom, der den decrementiellen Actionsstrom verdeckt, verst\u00e4ndlich.\nDas Hauptresultat des phasischen Versuchs am lebenden Menschen ist jedenfalls der Mangel des Decrements im Normalzust\u00e4nde. Da auch der Ruhestrom fehlt, so sind im ganz unversehrten Organismus \u00fcberhaupt keine andern Muskelstr\u00f6me vorhanden, als die durch Ablauf der Erregungswellen bedingten phasischen, deren Wirkung nach aussen hin aber bei jeder permanenten Ableitung gleich Null ist. Bemerkenswerth ist ferner, dass die Actionsstr\u00f6me des durch nat\u00fcrlichen Reiz contrahirten Muskels auch beim Menschen keinen secund\u00e4ren Tetanus geben (vgl. oben S. 221, 223). Strenggenommen sind \u00fcbrigens die Actionsstr\u00f6me bei nat\u00fcrlicher Contraction noch gar nicht nachgewiesen. Auch mit dem Rheotom (bei 19,5 Umdr. p. sec.) wird dies schwerlich gelingen, da man die Phase der spinalen Erregungen nicht in der Hand hat. Sind solche Actionsstr\u00f6me vorhanden, woran zu zweifeln vor der Hand kein rechter Grund ist, so gen\u00fcgt der Umstand, dass sie abwechselnde Richtung haben noch nicht zur Erkl\u00e4rung ihrer Wirkungslosigkeit auf das physiologische Rheoscop (und das Telephon, vgl. d. S. 204 cit. Arbeit), sondern man m\u00fcsste wohl annehmen, dass die Reize in den einzelnen Muskelfasern nicht gleich-\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nzeitig anlangen, sondern ihr Eintreffen sich \u00fcber die ganze Periode vertheilt.\nVI. Theorie der galvanischen Erscheinungen am Muskel.\n1. Allgemeine Bemerkungen.\nDie galvanischen Erscheinungen am Muskel sind bis hierher ohne jede theoretische Er\u00f6rterung dargestellt worden, obwohl that-s\u00e4chlich die Ermittelung derselben vielfach an theoretische Betrachtungen angekn\u00fcpft hat, und mit deren Entwicklung, Discussion und Berichtigung verkn\u00fcpft war. Es folgt nun eine m\u00f6glichst kurze Darstellung der Theorien der Muskelstr\u00f6me.\nEin jeder station\u00e4r durchstr\u00f6mte Leiter1, seien ihm Str\u00f6me von aussen zugeleitet oder enthalte er selber electromotorische Kr\u00e4fte, zeigt eine Verkeilung electrischer Spannungen oder Potentiale ( V ), welche folgenden Bedingungen unterliegt: 1. Im Inneren eines homogenen Leiters gilt die Gleichung\tdW dW\tdW\ndx* + dy2 + dz* ~ \u00b0;\nwenn V als Function der Coordinaten x, y, z jedes Punctes betrachtet wird. Aus dieser Gleichung, sowie aus gewissen Grenzbedingungen (s. unten) ergiebt sich die Spannungsvertheilung. Verbindet man alle Puncte welche eine bestimmte Spannung, z. B. -f- Vv haben, so erh\u00e4lt man eine sog. Spannungsfl\u00e4che (Niveaufl\u00e4che, Potentialfl\u00e4che, isoelectrisehe Fl\u00e4che), und der ganze K\u00f6rper ist von einem System solcher Fl\u00e4chen erf\u00fcllt. Die positive Electricit\u00e4t bewegt sich stets von positiveren zu negativeren Potentialfl\u00e4chen, und zwar auf den Linien, in welchen das \u201e Gef\u00e4lle \u201c zwischen den Potentialwerthen je zweier benachbarter Fl\u00e4chen am steilsten ist. Diese Linien gr\u00f6ssten Gef\u00e4lles, oder Str\u00f6mungscurven, gehen noth-wendig senkrecht durch die Potentialfl\u00e4chen hindurch. 2. An der Grenzfl\u00e4che zweier Leiter vom Leitungsverm\u00f6gen k und ky gilt, wenn n die als Abscissenaxe betrachtete Normale zur Grenzfl\u00e4che darstellt, die Gleichung\nk\ndV\nA-ki\ndVy\n= 0,\ndn\tdn\nworaus sich zugleich ableiten l\u00e4sst, dass die Str\u00f6mungscurven an einer solchen Grenzfl\u00e4che gebrochen erscheinen (die Tangenten der Winkel mit der Normale verhalten sich umgekehrt wie die Leitungsverm\u00f6gen). 3. An der Oberfl\u00e4che des isolirten Leiters (ebenso an der Grenzoberfl\u00e4che gegen nicht leitende Einschl\u00fcsse) ist, da ky \u2014 0,\ndV\ndn\n= 0,\nd. h. die Spannungsfl\u00e4chen m\u00fcssen wo sie die Oberfl\u00e4che erreichen zu ihr\n1 Vgl. \u00fcber die Ausbreitung der Str\u00f6me in Leitern : Kirchhofe, Ann. d. Physik LXIV. S. 497. 1845 ; LXVII. S. 344. 1846 ; Smaasen, ebendaselbst LXIX. S. 161. 1846 ; LXX. S. 435. 1847; nu Bois-Reymond , Untersuchungen I. S. 569. 1848; Helmholtz, Ann. d. Physik LXXXIX. S. 211, 353.1853 ; Wiedemann, Die Lehre vom Galvanismus. 2. Aufl. I. S. 173. Braunschweig 1872.","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie. Gesetze d. Spannungsvertheilung u. d. electromotorischen Oberfl\u00e4che. 227\nenkrecht stehen, also die Oberfl\u00e4che ein System von Str\u00f6mungscurven enthalten.1 4. Electromotorische Fl\u00e4chen sind solche, an welchen der Potentialwerth einen Sprung macht; die Differenz der angrenzenden Werthe, V<i \u2014 V\\ gg- E, ist die electromotorische Kraft der Fl\u00e4che. Jede electromotorische Fl\u00e4che muss also nothwendig zugleich Spannungsfl\u00e4che sein, soweit sie gleiche el. Kraft besitzt. 5. Die Electrodenstellen eines von aussen zugef\u00fchrten Stromes k\u00f6nnen, wenn sie punctf\u00f6rmig sind oder Spannungsfl\u00e4chen bilden, wie electromotorische Fl\u00e4chen behandelt werden. 6. Die Schnittlinien der Spannungsfl\u00e4chen mit der Oberfl\u00e4che oder einem Durchschnitt des K\u00f6rpers nennt man Spannungseurven. Eine einzelne electromotorische Fl\u00e4che im Inneren verleiht der Oberfl\u00e4che eine bestimmte Spannungsvertheilung ; sind mehrere electromotorische Fl\u00e4chen im Innern vorhanden, so ist die Spannung jedes Oberfl\u00e4chenpunctes die algebraische Summe der Spannungen, welche ihm jede electromotorische Fl\u00e4che f\u00fcr sich genommen verleiht. F\u00fcr einen an zwei Oberfl\u00e4ehenpuncte angelegten ableitenden Bogen l\u00e4sst sich die Wirkung des K\u00f6rpers ersetzen durch einen Bogen- von der der Spannungsdifferenz der beiden Fusspuncte gleichen electromotorischen Kraft und einem bestimmten Widerstande (\u201e Prin-cip der electromotorischen Oberfl\u00e4che\u201c).\nDurch die S\u00e4tze 1\u20145 ist in jedem Falle die Lage der Spannungs-fi\u00e4chen und Str\u00f6mungscurven bestimmt, sobald die Gestalt der Oberfl\u00e4che, die Lage der electromotorischen Fl\u00e4chen, resp. Electroden, endlich die Grenzen zwischen den etwa verschieden leitenden Theilen des K\u00f6rpers gegeben sind. Jedoch ist die mathematische Berechnung nur in einfacheren F\u00e4llen ausf\u00fchrbar.\nUmgekehrt lassen sich aus der electromotorischen Oberfl\u00e4che niemals bestimmte R\u00fcckschl\u00fcsse auf die Spannungs- und electromotorischen Fl\u00e4chen im Inneren ziehen. Erstere stehen zwar in den Spannungseurven senkrecht zur Oberfl\u00e4che, ihr weiterer Verlauf im Innern ist aber unbekannt. Die electromotorischen Fl\u00e4chen endlich k\u00f6nnen nur theilweise dann erkannt werden, wenn sie die Oberfl\u00e4che erreichen, so dass letztere an diesen Stellen eine Discontinuit\u00e4t der Potentialwerthe zeigt. Im Uebrigen kann jede Spannungsfl\u00e4che im Inneren ganz oder theilweise (z. B. in mo-lecularen St\u00fccken) electromotorische Fl\u00e4che sein, oder es k\u00f6nnen auch die electromotorischen Kr\u00e4fte auf viele dieser Fl\u00e4chen oder auf viele in ihnen liegende (moleculare) Fl\u00e4chenst\u00fccke vertheilt sein.\nDie Untersuchung der electromotorischen Oberfl\u00e4che geschieht durch Anlegen leitender B\u00f6gen, welche ein Galvanometer enthalten. Da jedoch dieselben die Spannungsvertheilung modificiren, um so st\u00e4rker je besser sie im Vergleich zum K\u00f6rper leiten, so ist es am richtigsten, ihren Stromzweig durch Compensation zu annulliren; ist dies n\u00e4mlich geschehen, so ist die Spannungsvertheilung im K\u00f6rper so, als w\u00e4re keine Ableitung vorhanden. Die zur Compensation n\u00f6thige Kraft misst die Potentialdifferenz beider Fusspuncte des Bogens. Noch bequemer ist es mit dem Galvanometerbogen stromlose Punctpaare aufzusuchen ; ein solches liegt immer in einer, Spannungs curve. Das System der letzteren l\u00e4sst sich so vollst\u00e4ndig feststellen, freilich ohne die Spannungswerthe.\n1 Dies l\u00e4sst sich auch direct durch Anschauung zeigen. Da an der Oberfl\u00e4che keine Electricit\u00e4t entweicht oder eintritt, kann sie sich nur ihr entlang bewegen.\n15*","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nQ\n/\t\t/ a\t\n\tj +\t1+ ;+ j+\t! + :\n\t\t\tT\\\n+L\nFig. 47. Eleetromotorisclie Oberfl\u00e4che eines Muskeleylinders mit k\u00fcnstlichen Querschnitten.\nAm Muskel ist nachgewiesen, dass jede von zwei Querschnitten begrenzte Faser Sitz electromotorischer Kr\u00e4fte ist. Die Spannungs-curven verlaufen, wie am ganzen Muskel, in Form umg\u00fcrtender Parallelkreise, die sich an den Querschnittsfl\u00e4chen concentrisch fortsetzen, die Str\u00f6mungscurven also in Form meridianaler Linien (vgl. Fig. 47). Die Spannungscurven \u00e4ndern an den Kanten des Cylinders\nihre Werthe so steil, dass man fast eine L\tDiscontinuit\u00e4t annehmen k\u00f6nnte, d. h. an-\nnehmen, dass in der N\u00e4he der Querschnitte zwei electromotorische Fl\u00e4chen liegen, welche die Oberfl\u00e4che an den Kanten erreichen. Allein dieser Annahme widerspricht die Existenz der schwachen L\u00e4ngs- und Querschnittsstr\u00f6me; um diese zu erkl\u00e4ren, muss entweder angenommen werden, dass es ausser der bezeichneten noch eine Schaar anderer electromotorischer Fl\u00e4chen giebt (eine solche Annahme ist im Felde A der Fig. 48, die\neinen axialen Faserl\u00e4ngsschnitt darstellt, schematisirt), oder dass die vorhandenen electro-motorischen Fl\u00e4chen die Oberfl\u00e4che nicht erreichen, d. h. dass in der N\u00e4he der letzteren sich indifferent leitende Substanz befindet.1 Unter letzterer\nVoraussetzung nun sind immer noch eine grosse Reihe von Annahmen bez\u00fcglich der electromotorischen Fl\u00e4chen mit der Beschaffenheit der Oberfl\u00e4che vereinbar, in erster Linie folgende: 1. ein massiver electromotorischer Cylinder, am L\u00e4ngsschnitt positiv, an den Querschnitten negativ ; 2. eine dem Cylindermantel parallele electromotorische Fl\u00e4che, aussen positiv, innen negativ; 3. zwei electromotorische Fl\u00e4chen in unmittelbarer N\u00e4he der Querschnitte und diesen parallel, jede nach aussen negativ, nach innen positiv. Denkt\n1 Die Nothwendigkeit dieser Annahme erkannte zuerst Helmholtz, a. a. O.; vgl. auch du Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 584; 1867. S. 272. (Ges. Abh. IL S. 113, 200.)","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Denkbare Annahmen \u00fcber die electromotorischen Kr\u00e4fte im Muskel. 229\nman sich die electromotorischen Fl\u00e4chen ans Zink und Kupfer zusammengesetzt, so entstehen die drei Schemata B, C, i7, Fig. 48, und man sieht dass die Wirkungen dieser drei Annahmen auf die Oberfl\u00e4che nicht wesentlich verschieden, also alle drei gleich berechtigt sind. Der Unterschied besteht darin, dass in B die Str\u00f6mungscurven durch bcj in C durch \u00ab6, in D durch ab und bc senkrecht hindurchgehen m\u00fcssen; welches aber der wirkliche Verlauf ist, k\u00f6nnen Versuche am Muskel nicht entscheiden; ebensowenig l\u00e4sst sich die genaue Lage der neutralen Spannungsfl\u00e4che, die nach den drei Annahmen etwas verschieden ist, entscheiden. Die Unterschiede werden um so unmerklicher, je n\u00e4her ab und cd der Oberfl\u00e4che liegen; man ist aber sogar gen\u00f6thigt sie in unmittelbarer N\u00e4he der Oberfl\u00e4che anzunehmen.\nPasst man n\u00e4mlich diese drei Annahmen den anatomischen Verh\u00e4ltnissen an, so w\u00fcrde die dritte besagen, dass der k\u00fcnstliche Querschnitt, etwa durch seine ver\u00e4ndernde Einwirkung auf die Muskelsubstanz, eine electromotorisehe Kraft setzt, die zweite dass der Muskelinhalt sich gegen seine Umh\u00fcllung (Sarcolemm) negativ verh\u00e4lt. Die erste endlich muss, um rationell zu sein, noch einen Zusatz erfahren; statt des einen electromotorischen Cylinders n\u00e4mlich ist es erlaubt eine Anzahl kleinerer, regelm\u00e4ssig angeordneter anzunehmen, s\u00e4mmtlich mit positivem L\u00e4ngsschnitt und negativen Querschnitten1; jeder dieser kleinen Cylinder kann scheibenf\u00f6rmig durch die ganze Faser hindurchgehen, oder noch weiter longitudinal in moleculare Cylinder zerfallen die sich zu jenen Scheiben etwa verhalten wie die Sarcous elements zu den Discs. Eine solche Zerspaltung des grossen Cylinders, zum mindesten in Scheiben, tr\u00e4gt dem Umstande Rechnung, dass jeder Querschnitt negativ ist.\nDie folgenden Betrachtungen werden zeigen, dass diese Annahmen s\u00e4mmtlich Vertreter gefunden haben, und werden zwischen ihnen entscheiden.\nF\u00fcr alle Theorien des Muskelstroms ist es sehr wichtig zu beachten, dass selbst die gr\u00f6sste in einem ableitenden Bogen vorhandene Kraft nur einen Bruchtheil der im Innern wirkenden Kraft darstellt; nur dann w\u00e4re die abgeleitete Kraft gleich der wirkenden, wenn die electro-motorische Fl\u00e4che oder Fl\u00e4chen continuirlich durch den ganzen Muskel hindurchgingen und die Oberfl\u00e4che erreichten. Da dies aus ver-\n1 Ygl. \u00fcber die gleiche Wirkung dieser Modification des Schema\u2019s Helmholtz, a. a. O. ; die Wirkung je zweier einander zugekehrter benachbarter gleichnamig elec-trischer Fl\u00e4chen hebt sich f\u00fcr die Wirkung nach aussen auf; das Schema repr\u00e4sentirt also einen einzigen electromotorischen Cylinder mit negativen Querschnitten und positivem Mantel.","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nschiedenen Gr\u00fcnden nicht der Fall sein kann, so haben die Strome eine starke innere Abgleichung, besonders in unmittelbarer N\u00e4he der electro-motorischen Fl\u00e4chen. Es w\u00e4re daher auch v\u00f6llig unrichtig anzunehmen, dass die Compensation der abgeleiteten Stromzweige die inneren Str\u00f6me beseitigt; ein Muskel mit angelegtem Bogen, dessen Strom compensirt ist, verh\u00e4lt sich vielmehr als w\u00e4re der Bogen nicht vorhanden, und die Str\u00f6me gleichen sich im Innern ab. F\u00fcr gewisse Betrachtungen ist es auch bemerkenswert!], dass gleichm\u00e4ssige Aenderungen des Leitungswiderstands im ganzen Muskel den Compensationszustand des angelegten Bogens nicht st\u00f6ren k\u00f6nnen, also auch nicht etwa die negative Schwankung erkl\u00e4ren k\u00f6nnen.\n2. Die du Bois\u2019sche Moleculai'theoi'ie.\ndu Bois-Reymond hat die letzte der drei angef\u00fchrten Annahmen gemacht und in ausf\u00fchrlicher Weise begr\u00fcndet. Es geschah dies unter dem Eindruck jenes sp\u00e4ter als irrth\u00fcmlich erkannten Befundes, dass auch die nat\u00fcrlichen Enden der Muskelfasern die gleiche Negativit\u00e4t besitzen wie die k\u00fcnstlichen Querschnitte. Es schien demnach gerechtfertigt, im ganzen Muskel pr\u00e4existirende electromo-torische K\u00f6rper oder Fl\u00e4chen anzunehmen.\nDie speciellere Form, in der man sich die Anordnung electromo-torischer Molekeln im Muskel verwirklicht denken kann, hat verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig geringes Interesse. Da an der einzelnen Muskelfaser niemals ex-perimentirt werden konnte, und es fast sicher ist, dass k\u00fcnstliche L\u00e4ngsschnitte einer einzelnen Faser nicht die Positivit\u00e4t der sogenannten k\u00fcnstlichen L\u00e4ngsschnitte, d. h. der nat\u00fcrlichen Faseroberfl\u00e4chen, zeigen w\u00fcrden, so gen\u00fcgt es im Grunde f\u00fcr die Theorie, wenn man sich jede Muskelfaser aus den schon erw\u00e4hnten electrischen Scheiben zusammengesetzt d\u00e4chte, deren jede zwei negative Grundfl\u00e4chen und einen positiven Mantel besitzt. Nimmt man, wie es in Folge der Theorie der parelectro-nomischen Schicht, und des Electrotonus der Nerven, geschehen ist, jede peripolar-electrische Molekel als aus zwei dipolar-electrischen zusammengesetzt an, welche sich ihre positiven H\u00e4lften zukehren, so muss die Annahme hinzugef\u00fcgt werden, dass jeder k\u00fcnstliche Querschnitt zwischen zwei negative und nie zwischen zwei positive Fl\u00e4chen f\u00e4llt; man braucht hierzu nat\u00fcrlich nicht anzunehmen, dass erstere weiter von einander abstehen als letztere (das Gegentheil wird angenommen, s. unten), sondern da unmittelbar bei Anlegung des Querschnitts die vom Messer ber\u00fchrte Schicht augenblicklich im Tetanus abstirbt, so gen\u00fcgt schon die Annahme, dass jedes Paar dipolarer Molekeln im Absterben untrennbar verbunden ist, so dass die \u00e4usserste lebende Molekel immer eine gegen den Querschnitt negative ist.\nDie Schemata Fig. 49 \u2014 51, welche in ihren wesentlichen Theilen den Schriften du Bois-Reymond\u2019s entnommen sind, zeigen die specielleren Annahmen.1 Fig. 49 zeigt peripolare Molekeln, Fig. 50 dipolare in peri-\n1 du Bois-Beymond hat diese Theorien auch an Modellen aus Zink und Kupfer","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie der abgeleiteten Stromzweige. Die Moleculartheorie.\n231\npolarer Anordnung, Fig. 51 endlich eine weniger weitgehende Schemati-sirung, n\u00e4mlich nur die oben S. 229 erw\u00e4hnten electromotorischen Mole-\nFig. 49. Schema peripolarer Molekeln naeh du Bois-Reymond.\nFig. 50. Schema dipolarer Molekeln in peripolarer Anordnung nach du Bois-Reymond. P die pareleetronomischen Molekeln am nat\u00fcrlichen Querschnitt. N Schema des Neigungsstroms.\ncularfl\u00e4chen ; rechts habe ich die allereinfachste Form hinzugef\u00fcgt, n\u00e4mlich die S. 229 u. 230 erw\u00e4hnten durch die ganze Faser hindurchgehenden Querfl\u00e4chen (Scheiben). Die in Fig. 51 gemachte Annahme, dass die L\u00e4nge der peripolaren Systeme gr\u00f6sser sei als ihr Absfand, hat du Bois-Reymond* 1 nach Entdeckung der Neigungsstr\u00f6me an die Stelle der fr\u00fcheren entgegengesetzten gesetzt. Die Neigungsstr\u00f6me erkl\u00e4rt er aus der s\u00e4ulenartigen Anordnung der Molekelkanten l\u00e4ngs des schr\u00e4gen Querschnitts, wie sie Fig. 50 rechts bei N veranschaulicht (vgl. auch unten S. 239). Die mit P bezeichnete Molekellage der gleichen Figur stellt die parelectronomische Schicht des nat\u00fcrlichen Querschnitts dar. Einige Autoren 2 haben auch im morphologischen Bau des Muskels die electromotorischen Fl\u00e4chen oder Molekeln n\u00e4her zu bestimmen versucht, nat\u00fcrlich nur mit Wahrscheinlichkeitsgr\u00fcnden.\nDie oben S. 228 verlangte indifferente Umh\u00fcllung konnte repr\u00e4sen-tirt werden durch das Perimysium und das Sarcolemm am L\u00e4ngsschnitt, die abgestorbene Schicht am Querschnitt; auch gen\u00fcgte es schon, wenn die oberfl\u00e4chlichen Schichten am L\u00e4ngsschnitt nur relativ indifferent waren, indem ihre Molekeln etwa durch Eintrocknung, Luftwirkung etc. an Kraft verloren hatten.3\nSobald erkannt war, dass die nat\u00fcrlichen Faserenden stets viel schw\u00e4chere Negativit\u00e4t zeigen als der k\u00fcnstliche Querschnitt, ja h\u00e4ufig stromlos oder positiv sind, boten sich zwei M\u00f6glichkeiten dar. Entweder war die Pr\u00e4existenz electromotorischer Theilchen im Muskel\nTi\t___k\nrr m a C M\nf If If it i\t\t\u00bb y\tf ^\n\t\t\t\ni> AU <\u00fc|*\t44>\t4\tQQ-\t> \u00ab-\t1\n1\u00bb f \u2022-!\u00bb uf 1 Tt U\t\ti\tM\nS> \u2666 # # i\t\t\tI i\nFig. 51. Links: Moleeulare eleetromotorische Fl\u00e4chen nach du Bois-Reymokd. Rechts: die einfachste Sohematisirung der Pr\u00e4existenzlehre.\ngepr\u00fcft, welche in verd\u00fcnnte S\u00e4ure versenkt wurden; vgl. Untersuchungen I. S. 561. 1848; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 599. (Ges. Abh. II. S. 125.)\n1\tduBois-Reymond , Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 595 (Ges. Abh. II. S. 122): vgl. auch Ges. Abh. II. S. 292. Anm. 1877.\n2\tYgl. H. Munk, G\u00f6ttinger Nachrichten 1858. No. 1 ; Hensen, Arbeiten aus d. Kieler physiol. Instit. 1868. S. 17. Edel 1869.\n3\tYgl. Helmholtz, a. a. O. S. 376.","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\n\u00fcberhaupt aufzugeben, und zu untersuchen, ob nicht die Durchschneidung selbst, d. h. die Verletzung der Fasern, die eigentliche Stromursache abgebe, oder man musste, wenn die Pr\u00e4existenzlehre festgehalten werden sollte, die Annahme hinzuf\u00fcgen, dass am nat\u00fcrlichen Faserende besondere electromotorische Kr\u00e4fte th\u00e4tig seien, welche die Wirksamkeit des inneren Systems nach aussen hin mehr oder weniger compensiren oder selbst \u00fcbercompensiren. du Bois-Reymond that den folgenschweren Schritt, sich f\u00fcr das letztere zu entscheiden.1 Er nahm also am nat\u00fcrlichen Faserende eine Lage \u201eparelectronomi-scher Molekeln\u201c an, welche der Sehne nicht negative, sondern positive Fl\u00e4chen zuwenden. Enth\u00e4lt der Muskel dipolare Molekeln in peripolarer Anordnung (s. oben), so kann man sich die parelectro-nomischen Molekeln so vorstellen, dass dem letzten Molekelpaar die \u00e4ussere H\u00e4lfte fehlt. W\u00e4re diese Abweichung nicht bloss am letzten, sondern auch einer Anzahl folgender Paare vorhanden, so w\u00fcrde daraus am Ende der Faser eine s\u00e4ulenartige Anordnung dipolarer Molekeln, eine \u201eparelectronomisehe Strecke\u201c folgen. In diesem Sinne deutete in der That du Bois-Reymond die wenn auch nur in einigen wenigen F\u00e4llen von ihm gemachte Beobachtung, dass ein in der N\u00e4he des Muskelendes gemachter k\u00fcnstlicher Querschnitt sich positiv gegen den L\u00e4ngsschnitt verhielt. Eine sp\u00e4ter von ihm ausgesprochene Vermuthung \u00fcber die Quelle der Parelectronomie wird sogleich erw\u00e4hnt werden.\nDie negative Schwankung bei der Erregung wurde von du Bois-Reymond einer Abnahme der electromotorischen Kraft der Molekeln oder der Herstellung einer nach aussen schw\u00e4cher wirksamen Anordnung derselben zugeschrieben. Der Actionsstrom der parelec-tronomischen Muskeln konnte nur durch die Annahme erkl\u00e4rt werden dass die parelectronomiseken Molekeln, welche den Ruhestrom mehr oder weniger compensiren, an der negativen Schwankung in geringerem Maasse 2 als die normalen Theil nehmen, so dass ihre eigene Schwankung die des normalen Muskelrestes nicht zu compensiren vermag. Ein stromlos parelectronomischer Muskel zeigt also hiernach dieselbe Schwankung als h\u00e4tte er k\u00fcnstlichen Querschnitt, nur vermindert um die entgegengesetzte, aber schw\u00e4chere Schwankung der parelectronomischen Schicht. Die Negativit\u00e4t der Erregungswelle erkl\u00e4rt sich nach dieser Theorie dadurch dass die in Erregung\n1\tDie Discussion des Dilemma\u2019s findet sicli in den Untersuchungen II. 2. S. 82.\n2\tDie urspr\u00fcngliche Annahme war, dass sie an der Schwankung gar nicht The\u00fc nehmen ; erst sp\u00e4ter ergab sich dass die Schwankung des parelectronomischen Muskels schw\u00e4cher ist als bei k\u00fcnstlichem Querschnitt; vgl. du Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 124. (Ges. Abh. II. S. 533.)","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Moleculartheorie. Parelectronom. Molekeln. Schwankung u. deren Nachwirkung. 233\nbegriffene Strecke durch die negative Schwankung ihrer Molekelkr\u00e4fte einen relativ indifferenten Leiter darstellt, der von den negativen Querschnitten des ruhenden Antheils ableitet (auch hier muss aber angenommen werden, dass beide dipolare H\u00e4lften eines Molekelpaars stets in gleichem Grade der Schwankung begriffen sind, weil sonst unter Umst\u00e4nden die erregte Substanz sich positiv verhalten k\u00f6nnte).\nDen verschiedenen zeitlichen Verlauf der Schwankung bei nat\u00fcrlichem und bei k\u00fcnstlichem Querschnitt erkl\u00e4rt du Bois-Reymond aus Eigenschaften der parelectronomischen Molekeln. In der Nachwirkung der Schwankung unterscheidet er zwei Arten. Die eine, welche auch bei k\u00fcnstlichem Querschnitt auftritt, ist bedingt durch eine Art Erm\u00fcdung, d. h. eine bleibende Schw\u00e4chung der electromotorischen Kraft in Folge der Reizung; er nennt sie \u201einnere\u201c Nachwirkung.1 Die st\u00e4rkere Nachwirkung parelectronomischer Muskeln aber (s. S. 206, 219), welche sich als Verst\u00e4rkung der Parelectronomie darstellt, bezeichnet er als \u201eterminale\u201c Nachwirkung, indem er annimmt, dass die am nat\u00fcrlichen Faserende anlangenden Erregungswellen daselbst die Entwicklung parelectronomischer Molekeln veranlassen; er sieht sogar hierin die eigentliche Ursache der vitalen Parelectronomie, und vermuthet, dass auch die am k\u00fcnstlichen Querschnitt anlangenden Wellen denselben parelectrono-misch machen w\u00fcrden, wenn nicht das hier schnell vorschreitende Absterben die parelectronomisclie Schicht alsbald immer wieder zerst\u00f6rte.\nFolgender Versuch du Bois-Reymond\u2019s2 soll noch specieller beweisen, dass Erregung die Parelectronomie verst\u00e4rkt.3 Legt man einem Gastrocnemius an der Acliillesaponeurose, von unten nach oben fortschreitend, mit einem gl\u00fchenden Draht quere Brandstriemen an, so erfolgt eine successive Stromentwicklung nach einem schon oben (S. 218) erw\u00e4hnten Gesetz. Der Betrag der Entwicklung ist nach der Moleculartheorie cet. par. vom Grade der Parelectronomie abh\u00e4ngig. Schaltet man nun zwischen zwei Cauterisationen eine Tetanisirung ein, so erh\u00f6ht dies, wie du Bois-Reymond findet, den Entwicklungsbetrag der n\u00e4chsten Cauterisation, woraus er schliesst, dass der Tetanus die Parelectronomie verst\u00e4rkt. Indess ist nicht sicher festzustellen, wie viel von jener Erh\u00f6hung auf Rechnung schwindender Nachwirkung des Actionsstroms kommt.\nDer doppelsinnige Actionsstrom parelectronomischer, von beiden Sehnen abgeleiteter Muskeln r\u00fchrt nach du Bois-Reymond\u2019s Ansicht davon her, dass der Betrag der Schwankung'jedes Endes um so schw\u00e4cher ist, je hoher dessen Parelectronomie; die Schwankung des oberen Muskelendes mache einen aufsteigenden, die des unteren einen absteigenden Strom; durch Superposition beider Schwankungen entstehe verm\u00f6ge ihres\n1\tVgl. \u00fcber dieselbe auch Roeber, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1870. S. 615 ; Roe-ber erkl\u00e4rt die S\u00e4urebilclung im Tetanus f\u00fcr die Ursache der inneren Nachwirkung.\n2\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 133. (Ges. Abh.II. S. 540.)\n3\tSchon Gr\u00fcnhagen (Ztschr. f. rat. Med. (3) XXIX. S. 285. 1867) glaubte aus der Nachwirkung schliessen zu d\u00fcrfen, dass Tetanus den Muskel dauernd stromlos, d. h. vollkommen parelectronomisch macht.","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nyersehiedenen zeitlichen Verlaufs eine doppelsinnige Schwankung; werde die eine durch Wegschaffung der parelectronomischen Schicht verst\u00e4rkt, so verdecke sie die andere g\u00e4nzlich, und die Schwankung werde einsinnig. Doppelsinnige Schwankungen k\u00f6nnen nach dieser Theorie nur bei Ableitung von beiden nat\u00fcrlichen Enden eines Muskels und bei m\u00f6glichst verschiedener Beschaffenheit derselben auftreten, was du Bois-Reymond in der That zu finden glaubte (vgl. indess S. 212).\n3. Die Annahme eines electrischen Gegensatzes zwischen Muskelinhalt\nund Sarcolemm.\nDie oben S. 229 mit C bezeichnete Annahme w\u00fcrde ebenfalls den Strom des querdurchschnittenen Muskels erkl\u00e4ren, und h\u00e4tte sogar den Vortheil zu der Stromlosigkeit des unversehrten Muskels vortrefflich zu stimmen. * du Bois-Reymond 1 hat diese Annahme zuerst gepr\u00fcft, aber durch folgenden Versuch zu widerlegen geglaubt. Er leitete den Strom eines querdurchschnittenen Muskels A von L\u00e4ngs- und Querschnitt ab, legte aber zwischen Querschnitt und Bausch einen zweiten Muskel B in unwirksamer L\u00e4ngsschnittsanordnung; jetzt h\u00e4tte der Strom, wenn er den genannten Ursprung h\u00e4tte, anscheinend wegbleiben m\u00fcssen, wegen der Anordnung H\u00fclle At Inhalt Aj H\u00fclle B, Inhalt B, H\u00fclle B- trotzdem Ist der Strom mit ungeschw\u00e4chter Kraft vorhanden. Indessen ist zu beachten dass der Contact zwischen Inhalt A und H\u00fclle B kein unmittelbarer ist, sondern sich abgestorbene und absterbende Schichten einschieben; der Versuch st\u00f6sst also die Theorie nicht um, wenn letztere annimmt dass die Erregung nur zwischen unver\u00e4ndertem Inhalt und H\u00fclle stattfindet.\nDie Schattenseite dieser Theorie liegt darin, dass sie die Actionsstr\u00f6me nur erkl\u00e4ren kann durch die Annahme, dass der erregte Muskelinhalt, resp. erregte Stellen desselben, den electrischen Gegensatz gegen die H\u00fclle ganz oder theilweise einb\u00fcsst, oder sogar umkehrt, eine sehr unvermittelt dastehende Hypothese. Ferner w\u00fcrde die Theorie verlangen dass h\u00fcllenlose Protoplasmen stromlos sind, w\u00e4hrend Alles f\u00fcr das Gegentheil spricht. Immerhin w\u00e4re sie einfacher und wahrscheinlicher als die Moleculartheorie.\nEine Theorie dieser Art ist von Gr\u00fcnh\u00e4gen 2 aufgestellt worden ; er nimmt einen electromotorischen Gegensatz an zwischen Muskelfibrille (beim\n1\tdu Bois-Reymond, UntersuchungenI. S. 558. 1848.\n2\tGr\u00fcnhagen, K\u00f6nigsberger med. Jahrb. IV. S. 199. 1866; Ztscbr. f. rat. Med.(3) XXXI S 46. 1868, XXXVI. S. 132.1869; Die electromotorischen Wirkungen lebender Gewebe. Berlin 1873; Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 573. 1874; Bearbeitung von Funke\u2019s Handb. d. Physiologie I. S. 484, 637. Leipzig 1876.","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Annahme eines Gegensatzes zwischen Inhalt und H\u00fclle. Die Alterationstheorie. 235\nNerven Axencylinder) und besp\u00fclender Ern\u00e4hrungsfl\u00fcssigkeit ; sein Grund ist aber nicht etwa die Stromlosigkeit der unversehrten Faser, welche er \u00fcberhaupt nicht annimmt (hierin w\u00fcrde grade ein Haupteinwand gegen die Theorie liegen), sondern gewisse Versuche an por\u00f6sen Cylindern, deren Resultate, wenn richtig, auf den Muskel wohl kaum \u00fcbertragbar sind. Eine klare und widerspruchsfreie Darlegung der Theorie sucht man \u00fcbrigens in den angef\u00fchrten Schriften vergebens; ihre Ausdehnung auf die Actionsstr\u00f6me etc. ist physicalisch fehlerhaft.\n4. Die Alterationstheorie.\nDie letzte, mit D bezeicbnete der oben S. 229 er\u00f6rterten Annahmen \u00fcber den Sitz der electromotorischen Kraft liegt einer von mir 1867 aufgestellten Theorie zu Grunde. Die beiden bisher betrachteten Theorien nehmen eine Pr\u00e4existenz electrischer Gegens\u00e4tze im unversehrten Muskel an. Die folgende Theorie1, welche sich seit ihrer Aufstellung bei jeder neu .hinzugekommenen Thatsache immer mehr bew\u00e4hrt hat, nenne ich, weil sie alle electromotorische Wirkungen des Muskels auf zweierlei physiologische Ver\u00e4nderungen seiner Substanz zur\u00fcckf\u00fchrt, die Alterationstheorie.\nSelbst wenn der unversehrte Muskel wirklich schwache Str\u00f6me von unregelm\u00e4ssiger Richtung zeigte, wie die Pr\u00e4existenzlehre behauptet, w\u00e4re es ungerechtfertigt, diese Str\u00f6me, welche von ganz anderer Ordnung sind, als die des k\u00fcnstlichen Querschnitts, mit letzteren in theoretischen Zusammenhang zu bringen (vgl. auch S. 197, Anm. 4). Vollends ist, wenn der unversehrte Muskel stromlos ist, nicht der mindeste Grund vorhanden, die nun allein noch vorliegenden Str\u00f6me k\u00fcnstlicher Querschnitte von einer Blosslegung pr\u00e4existi-render Molekeln herzuleiten. Vielmehr tritt nunmehr die andere, S. 231 f. erw\u00e4hnte Alternative in den Vordergrund, dass n\u00e4mlich die electromotorische Kraft des verletzten Muskels lediglich aus der Verletzung selbst entspringe. Man weiss, dass jede Durchschneidung den Faserinhalt am Querschnitt augenblicklich t\u00f6dtet, und dass der Absterbeprocess, u. A. durch S\u00e4urung erkennbar, in jeder Faser nach innen fortkriecht. Nehmen wir an, dass die absterbende Substanz sich zur lebenden negativ verh\u00e4lt2, so sind ohne\n1\tHermann, Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven Heft II. 1867 (enthielt die Theorie in unvollkommener Gestalt); Heft III. 1868; vgl. auch die im Vorstehenden angef\u00fchrten Aufs\u00e4tze im Arch. f. d. ges. Physiol. 1869\u20141878, und die kurze Uebersicht in der Vierteljahrsschr. d. naturf. Ges. in Z\u00fcrich 1878. S. 1. (Abgedruckt in Molesch. Unters. XII. S. 113.)\n2\tDass diese Contactwirkung durch den oben S. 234 angef\u00fchrten Versuch nicht ausgeschlossen wird, ist klar. Man k\u00f6nnte daran denken, als das eine Glied der Kette nicht die absterbende, sondern die abgestorbene Substanz zu bezeichnen;","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nWeiteres alle Erscheinungen am ruhenden Muskel erkl\u00e4rt. Die elec-tromotorische Kraft h\u00e4tte hiernach ihren Sitz in der nach innen fortwandernden Demarcationsfl\u00e4che * 1 2 3 zwischen der absterbenden und der lebenden Substanz, und ich nenne daher den Ruhestrom \u201eDemar-catio ns str\u00f6m\u201c.\nDie Erscheinungen bei der Th\u00e4tigkeit erkl\u00e4ren sich weiter aus der ebenso einfachen Annahme, dass nicht allein die Erstarrung, sondern auch die Erregung die ergriffene Substanz negativ macht gegen den unver\u00e4nderten Faserinhalt. Diqse Analogie zwischen Erstarrung und Erregung stimmt vortrefflich zu den zahlreichen andern Cap. 6 u. 8 schon erw\u00e4hnten und bei der Chemie des Muskels noch zu erw\u00e4hnenden. Die auf diese Weise entstehenden \u201eActio ns str\u00f6me\u201c lassen sich in allen ihren Formen, ohne dass irgendwelche weitere Annahmen n\u00f6thig sind, in der oben S. 217 angegebenen Weise auf das Vollkommenste erkl\u00e4ren.\nDie Behauptung, dass bei der Erregung ein eigener, vom Ruhestrom unabh\u00e4ngiger Strom auftrete, ist schon 1856 von Matteucci 2 aufgestellt worden; er st\u00fctzt sich, wenn auch in nicht ganz klarer Weise, darauf, dass bei schwachem oder fehlendem Ruhestrom die Schwankung stark sein kann. Ohne dies zu erw\u00e4hnen, und obgleich unterdess letztere That-sache von du Bois-Reymond ausf\u00fchrlich discutirt und mit seiner Theorie der negativen Schwankung vereinbart war, st\u00fctzte Gr\u00fcnhagen 3 neuerdings die gleiche Behauptung auf denselben, nunmehr ganz unzureichenden Grund. Auch die Gr\u00fcnde von Meissner & Cohn (s. oben S. 211) f\u00fcr Annahme eines besonderen Actionsstroms waren unzureichend. Erst die Beseitigung der Pr\u00e4existenzlehre enth\u00e4lt den Beweis, dass die Actionsstr\u00f6me nicht als Schwankungen pr\u00e4existirender electromotoriseher Kr\u00e4fte betrachtet werden k\u00f6nnen.\nDie contractile Substanz ist also mit der merkw\u00fcrdigen Eigenschaft begabt, sowohl die vernichtenden als die erregenden Einfl\u00fcsse mit einer electromotorischen\nallein erstens kann letztere nie direct mit lebender in Contact sein, zweitens wird sich todte Substanz h\u00f6chst wahrscheinlich so indifferent verhalten wie Sarcolemm, Bindegewebe etc. ; drittens giebt es m\u00f6glicherweise noch verschiedene electromoto-rische Zwischenstufen des Absterbeprocesses die bei den schwachen L\u00e4ngs schnittsstr\u00f6men betheiligt sind (s. unten S. 239). Statt absterbende Substanz k\u00f6nnte man beim Muskel allenfalls sagen : \u201eerstarrende\u201c, aber dies w\u00fcrde f\u00fcr den Nerven und andere analoge Gebilde nicht passen, und ferner f\u00e4llt die electromotorische Reaction h\u00f6chstwahrscheinlich in ein Vorstadium der Erstarrung, grade wie in das Latenzstadium der Contraction.\n1\tDiesen Ausdruck, welcher der Chirurgie der Gangr\u00e4n entnommen ist, hat du Bois-Reymond sehr treffend auf diese Grenzfl\u00e4che \u00fcbertragen ; Monatsber. d. Berliner Acad. 1867. S. 642. (Ges. Abh. II. S. 356.)\n2\tMatteucci, Compt. rend. XLHI. p. 231.1856.\n3\tGr\u00fcnhagen, Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 119. 1872 ; vgl. \u00fcbrigens die gradezu widersprechende Angabe desselben Autors, oben S. 233. Anm.","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Die \u00c0lterationstheorie. Latenzzeit des Demarcationsstroms.\n237\nReaction zu beantworten, dergestalt dass der ergriffene Antheil sich negativ verh\u00e4lt gegen den unver\u00e4nderten.1 2\nDie Alterationstheorie ist nicht allein von unvergleichlicher Einfachheit gegen\u00fcber der Moleeulartheorie, welche fast f\u00fcr jede neue Thatsache eine neue Annahme machen musste, sondern hat noch weitere, sogleich zu erw\u00e4hnende Vorz\u00fcge. \\ orher aber m\u00f6gen einige Versuche Platz linden, welche zwischen beiden Theorien experimentell entscheiden.\nZun\u00e4chst ist jeder der S. 197 ff. angef\u00fchrten Beweise f\u00fcr die Stroinlosigkeit ganz unversehrter ruhender Muskelfasern zugleich ein Beweis gegen die Moleeulartheorie. Bis jetzt wenigstens konnte keine Form der Molecularanordnung erdacht werden, bei welcher die unversehrte Faser stromlos w\u00fcrde. Ausserdem ist diese Strom-losigkeit ein erkenntnisstheoretiseher Grund, von jeder derartigen Annahme abzusehen, denn wenn erst Demareationsfl\u00e4ehen zwischen lebender und todter oder zwischen ruhender und erregter Substanz geschaffen sein m\u00fcssen, damit eine electromotorische Kraft auftrete, so muss man nach allgemeinen Principien die Kraft so lange mit der Demarcationsfi\u00e4ehe selbst in Zusammenhang bringen, bis die l n-riehtigkeit dieser Annahme nachgewiesen ist.\nEin Experimentum crucis zwischen beiden Theorien wird durch die Frage geliefert, ob die Entstehung des Stromes, bei Anlegung des k\u00fcnstlichen Querschnitts eine messbare Zeit braucht oder nicht, welches letztere durch die Pr\u00e4existenzlehre verlangt wird. Der Versuch hat f\u00fcr ersteres entschieden. L\u00e4sst man einen Muskel sehr kurze Zeit auf die Boussole wirken, einmal A indem der k\u00fcnstliche Querschnitt im Beginn der Schlusszeit angelegt wird, das andere Mal B bei schon fr\u00fcher vorhandenem Querschnitt, so ist im zweiten Falle die Ablenkung gr\u00f6sser als im ersten ; der Einwand dass die Differenz von einer im ersten Fall durch den mechanischen Reiz eintretenden negativen Schwankung herr\u00fchre, wird durch Betrachtung und Con-trollversuch ausgeschlossen. -\nDer hierzu angewandte Apparat war das schon oben (S. 216) erw\u00e4hnte Fall-Rheotom. Jedoch war statt des Reizschiebers ein Muskeltr\u00e4ger angebracht, der in Fig. 52 mit aufgespanntem Gastrocnemius M dargestellt ist. Der Muskel ist durch die beiden Seidenf\u00e4den f und f' und die Wirbel ff und W \u00fcber das Ebonitlager L gespannt, das auf der Me^sings\u00e4ule 5 steckt. Als unpolarisirbare Electroden dienen die beiden von Kugelgelenken getragenen Zangen Z? Z\\ welche die Triceps-,\n1\tLeber die^muthmassliche Bedeutung dieser Eigenschaft s. das folgende Capitel.\n2\tHee\u00fcaxn-. Arch. f. d. ges. Physiol. XT. S. 191. 1ST7.","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238 Hermann, AJlg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nFig. 52. AhstreifVersuch am Gastrocnemius mit dem Fallrheotom.\nbez\u00fcglich Plantaraponeurose zwischen ihren Backen fest packen; die eine Backe e, e\u2019 ist mit Ebonit, die andere z, z' mit amalgamirtem Zink\nbekleidet, welches letztere mit einem mit |\tZinkl\u00f6sung getr\u00e4nkten Waschlederst\u00fcck /, V\nbedeckt ist. Am Fallk\u00f6rper F des Rheotoms ist eine Fischhautleiste befestigt, welche beim Fall dem Muskel die Achillesaponeurose abstreift. Die dazu n\u00f6thige Einstellung geschieht grob am Muskeltr\u00e4ger, fein am Fallk\u00f6rper. W\u00e4hrend der Abstreifung wird der Boussol-kreis1 am Rheotom geschlossen und bald nachher ge\u00f6ffnet. Alle Zeiten sind genau bekannt. Die Entwicklung des Muskelstroms ist kein pl\u00f6tzlicher Act, sondern erfolgt etwa entsprechend der Curve abc, Fig. 53. Auf die Boussole wird aber die Wirkung die gleiche sein, als wenn die Entwicklung momentan im Momente e, nach der Curve aefc gesch\u00e4he, wobei die Fl\u00e4chen heg und efeg gleich gross sind; nur die gedachte Latenzzeit ae = A, welche ich die \u201ereducirte Entwicklungszeit\u201c nenne, l\u00e4sst sich aus den Versuchen A und B entnehmen; ist n\u00e4mlich s die Streifzeit, v die Zeit vom Beginn des Streifens bis zum Moment der Schliessung, und t die Dauer des Boussolschlusses, ferner A und B die in den Versuchen A und B erhaltenen Ablenkungen, so ergiebt sich\n_ B \u2014 A\ts\nE =------\u2014 i + v \u2014 \u2014 \u25a0\nDer Werth von E ergab sich zu etwa L/4oo Secunde. K\u00e4lte verl\u00e4ngert diese Zeit. Dass nicht die mit der Verletzung verbundene mechanische Reizung durch eine negative Schwankung den Strom in A kleiner macht als in By ergiebt sich schon daraus, dass der Actionsstrom beim Anreissen der unteren Faserenden im ersten Moment, wie der Muskelstrom selbst, aufsteigend sein m\u00fcsste. Ferner kann man nach Anlegung des Querschnitts die mechanische Reizung noch einmal wiederholen, und erh\u00e4lt dann doch die volle Ablenkung.\nEin zweites Verfahren bestand darin, einem parallelfasrigen Muskel durch quere Durchquetschung mittels des Fallrheotoms im Moment des Boussolschlusses einen k\u00fcnstlichen Querschnitt anzulegen und die Ablenkung mit derjenigen bei schon vorhandenem Querschnitt zu vergleichen. Die Durchquetschung geschah auf einer unpolarisirbar abgeleiteten Stelle ; die andre Electrode war in ganz \u00e4hnlicher Weise einem indifferenten feuchten Leiter, der den L\u00e4ngsschnitt efes Muskels ber\u00fchrte, angelegt und erhielt den gleichen Schlag. Der Apparat ist a. a. 0. beschrieben und abgebildet. Das Resultat war das gleiche wie beim vorigen Verfahren ; jedoch konnte hier festgestellt werden, dass die Entwicklung in der That\n1\n~a IT\" e\nFig. 53. Schema der Entwicklungszeit des Muskelstroms.\n1 Die Boussole ist wie fr\u00fcher S. 216. Anm. 2 erw\u00e4hnt vorgerichtet.","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Alterationstheorie. \u2014 Demarcationsstr.; Actionsstr.; Neigungsstr.;Schw. Str\u00f6me. 239\n(s. oben) allm\u00e4hlich geschieht, und schon im Moment der Verletzung beginnt. Der Vorgang ist vermuthlich identisch mit dem bei der Erregung; die Verletzung macht eine Negativit\u00e4t, welche zu einem Theil an Ort und Stelle bestehen bleibt, zum andern als Erregungswelle \u00fcber die Faser abl\u00e4uft.\nEine kurze Betrachtung erfordern noch die Actionsstr\u00f6me an der mit k\u00fcnstlichem Querschnitt versehenen Muskelfaser. Wir sahen, dass wenn diese total erregt wird, der Demarcationsstrom eine negative Schwankung macht, die man auch als \u201eausgleichenden Actionsstrom\u201c bezeichnen kann. Da hier gar keine unver\u00e4nderte Substanz vorhanden ist, gegen welche der erregte und der absterbende Antheil electromotorisch wirken k\u00f6nnte, so kann der vorhandene Stromrest \u2014 falls ein solcher \u00fcberhaupt vorhanden ist (wahrscheinlich geht die Schwankung nur bei maximaler Erregung auf Null) \u2014 nur von einer Wirkung zwischen der erregten und der absterbenden Substanz selbst herr\u00fchren. Fast unzweifelhaft bilden alle Zust\u00e4nde, welche der Muskelinhalt durchmachen kann, unter einander eine VoLTA\u2019sche Spannungsreihe, wie eine solche schon f\u00fcr eine Reihe von Zust\u00e4nden nachgewiesen ist (s. oben jS. 196), so dass dieser Fall keinerlei Schwierigkeiten bildet. Eine \u00e4hnliche Betrachtung ist auch am Platze f\u00fcr den Fall, wo eine Erregungswelle am k\u00fcnstlichen Querschnitt anlangt (s. oben S. 213), wobei nur noch zu bedenken ist, dass, wie in der Nervenphysiologie gezeigt werden wird, die Welle schon bei der Ann\u00e4herung an den Querschnitt wahrscheinlich best\u00e4ndig an Intensit\u00e4t abnimmt.\n; Die Neigungsstr\u00f6me erkl\u00e4ren sich einfach aus der Thatsache dass auch bei schr\u00e4gem Querschnitte die Demarcationsfl\u00e4chen senkrecht zur Axe liegen, und fortschreitend so bleiben l, eine treppenf\u00f6rmige S\u00e4ule der wirksamen Kanten sich bildet. Dass eine einzeine schr\u00e4g durchschnittene Faser Neigungsstrom zeige, ist nie nachgewiesen worden, und mehr als unwahrscheinlich, eine Moleculartheorie des Neigungsstroms (s. oben S. 231) also \u00fcberfl\u00fcssig.\nNur so lange man dem unversehrten Achillesspiegel, an welchen die Fasern mit schr\u00e4gen Facetten sich ansetzen2, Neigungsstrom zuschrieb, schien jene Theorie unentbehrlich.\nF\u00fcr die Erkl\u00e4rung der schwachen L\u00e4ngsschnittsstr\u00f6me steht, wie Fig. 48 zeigt, die von Helmholtz und du Bois-Reymond hervorgehobene partielle Abgleichung der Str\u00f6me durch eine indifferente Umh\u00fcllung (vgl. S. 231) der Alterationstheorie ebenso zu Gebote wie der Moleculartheorie. Indess ist es zweifelhaft, ob jene Umh\u00fcllung m\u00e4chtig genug ist, um die Erscheinung zu erkl\u00e4ren. Es w\u00e4re denkbar, dass der sch\u00e4digende Einfluss des Querschnitts in die Faser weit hineinreicht, so dass eine Reihe\nso dass, wie Fig. 54 zeigt,\nFig. 54. Lage der Demarcations-fl\u00e4ehen bei sehr; gem Querschnitt (Neigungsstrom).\n1\tdu Bois-Reymond vermuthete sie dem schr\u00e4gen Schnitt parallel (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 587 ; Ges.Abh. IL S.116); doch l\u00e4sst sich die angegebene Lage micro-scopisch nachweisen.\n2\tdu Bois-Reymond , Untersuchungen II. 2. S. 58, 110. 1859; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 5S8; Monatsber. d. Berliner Acacl. 1872. S. 791. (Ges. Abh. II. S. 70, 116.)","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240 Hermann, Allg. Muskelphysik. 8. Cap. Galvanische Erscheinungen am Muskel.\nvon Quersckichten, die s\u00e4mmtlich in verschiedenen Stadien des Absterbens sind, und dadurch electromotorisch auf einander wirken, auf einander folgen; indess ist dies eine blosse M\u00f6glichkeit.1 Viel leistungsf\u00e4higer in Bezug auf Erkl\u00e4rung der schwachen L\u00e4ngsschnittsstr\u00f6me ist der Umstand, dass die electrotonische Polarisation an der Grenze von Inhalt und H\u00fclle einen starken Einfluss auf die Spannungsvertlieilung am L\u00e4ngsschnitt, im Sinne der zu erkl\u00e4renden, aus\u00fcbt; der ganze L\u00e4ngsschnitt ist in einem von der Kette am Querschnitt herr\u00fchrenden Catelectrotonus. N\u00e4heres kann aber erst bei der Theorie des Electrotonus, im 2. Bande, angegeben werden.\n5. Angaben \u00fcber die Natur der electromotorischen Kr\u00e4fte im Muskel.\nMan muss sich beim jetzigen Standpunct unserer Kenntnisse begn\u00fcgen, den Sitz der electromotorischen Kraft im Muskel festzustellen; selbst die Angabe, dass sie vom Contact zweier Substanzen oder Substanzzust\u00e4nde herr\u00fchrt, sagt noch gar Nichts \u00fcber die Natur der Kraft. Einige Autoren haben indess \u00fcber letztere Vermuthungen ge\u00e4ussert, zum Theil sogar ohne ihren Ort zu ermitteln oder zu ber\u00fccksichtigen. Am h\u00e4ufigsten ist vermutket worden, dass die Kr\u00e4fte chemischen Ursprungs seien, namentlich von S\u00e4ure-Alkaliketten herr\u00fchren. Liebig2 sah eine solche zwischen dem alkalischen Blut und dem vermeintlich sauren Muskelsaft; eine Commission der Pariser Academie3 spricht von einem \u00e4usseren chemischen Gegensatz; J. Ranke4 geht sogar soweit die du Bois\u2019schen Molekeln f\u00fcr kleine S\u00e4ure-Alkaliketten zu halten. Seit der Entdeckung der S\u00e4urung beim Absterben und bei der Th\u00e4tigkeit h\u00e4tte es mehr Wahrscheinlichkeit als alle genannten Ideen, die Alterationstheorie auf eine S\u00e4ure-Alkalikette zur\u00fcckzuf\u00fchren. Indess sprechen zahlreiche Gr\u00fcnde gegen eine solche Annahme, vor Allem die grosse Geschwindigkeit der Stromentwicklung bei Verletzung und Reizung, mehr noch die Kraft der Muskelstr\u00f6me, welche nach du Bois-Reymond5 gr\u00f6sser ist als die der st\u00e4rksten S\u00e4ure-Alkalikette; selbst das ist noch nicht einmal sicher, dass die Richtung des Stromes zu dieser Theorie stimmt, und ob es \u00fcberhaupt eigentliche Ketten dieser Art giebt.6 Unklar und unzureichend sind auch die Zur\u00fcckf\u00fchrungen des Muskelstroms auf sog. capillar - electrische Erschei-\n1\tGegen dieselbe scheint zu sprechen, dass beim Erw\u00e4rmen einer Muskelstrecke dieselbe erst dann negativ wird, wenn die Erstarrungstemperatur erreicht ist ; vorher wird sie im Gegentheil positiv (vgl. Heemann, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 39. 1870, IV. S. 163. 1871 ; s. auch oben S. 196).\n2\tLiebig, Chemische Untersuchung \u00fcber das Fleisch etc. S. 83. Heidelberg 1847.\n3\tBericht von Pouillet, Compt. rend. XXXI. p. 42.1850; Ueb er Setzung im Arch, f. physiol. Heilk. 1850. S. 671.\n4\tJ. Ranke, Die Lebensbedingungen der Nerven S. 141. Leipzig 1868. Derselbe Autor hat auch f\u00fcr die negative Schwankung die Theorie bereit, dass sie auf Schw\u00e4chung des Stromes durch Milchs\u00e4ure beruhe; vgl. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1865. S. 19, und a.a.O.\n5\tdu Bois-Reymond. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 467, 480. (Ges. Abh. II, S. 273,283.)\n6\tVgl. Woem M\u00fcllee, Untersuchungen \u00fcber Fl\u00fcssigkeitsketten I. Leipzig 1869.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Schwache L\u00e4ngsschnittsstr\u00f6me. Natur d. el. Kraft. Andre thierische Str\u00f6me. 241\nnungen durch Becquerel1 2, und auf sog. Quellungsstr\u00f6me durch Gr\u00fcnhagen 2 u. A.\nAnhang. Ich f\u00fchre im folgenden noch die f\u00fcr die Physiologie bemerkenswerthere Literatur einer Anzahl anderer galvanischer Erscheinungen in Organismen an; jedoch ist die Lehre vom Nervenstrom und von den electrischen Organen der Zitterfische nicht ber\u00fccksichtigt.\n1.\tStr\u00f6me an Pflanzen. Buff, Ann. d. Chemie LXXXIX. S. 76. 1854; J\u00fcr-gensen, Studien des physiol. Instit. zu Breslau I. S. 103. Leipzig 1861 ; Sachs, Handb. d. Experimentalphysiologie derPflanzenS. 82. Leipzig 1865 ; Hermann, Arch. f. d.ges. Physiol. IY. S. 155. 1871 ; J. Banke, Sitzungsber. d. bayr. Acad. 1872. S. 177 ; Burdon Sanderson, Proceed. Boy. Soc.XXI. p. 495.1874; XXY. p. 411.1876; H. Munk, Arch, f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 30, 167.\n2.\tStr\u00f6me an (bluthaltigen) dr\u00fcsigen Organen, an Sehnen, Knochen etc. Matteucci, Ann. d. chimie et phys. (3) XY. p. 65. 1845 ; du Bois-Beymond , Untersuchungenn. 1. S. 202.1849; Hermann, Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven III. S. 88. Berlin 1868.\n3.\tAngebliche Str\u00f6me zwischen verschiedenen Blutarten. Scou-tetten, He l\u2019\u00e9lectricit\u00e9 consid\u00e9r\u00e9e comme cause principale de l\u2019action des eaux min\u00e9raux sur l\u2019organisme p. 196.Paris 1864; du Bois-Beymond, Arch.f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 479 (Ges. Abh. H. S. 282); Hermann, a. a. O. S. 94.\n4.\tHautstr\u00f6me der nackten Amphibien, der S\u00e4ugethiere und des Menschen, in der Buhe und bei Beizung der Nerven (Secre-tionsstr\u00f6me). du Bois-Beymond, Untersuchungen II. 2. S. 9, 218. 1859; Bosenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1865. S. 301; Boeber, ebendaselbst 1869. S. 633 ; Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. YI. S. 97. 1872; Hermann, ebendaselbst XY3I.\nS.\t291. 1878 ; Hermann & Luchsinger, ebendaselbst XYH. S. 310, XYIII. S. 470. 1878.\n5.\tSchleimhautstr\u00f6me der Zunge, des Bachens, des Harmkanals, und Secretionsstr\u00f6me der Zunge. Bosenthal, a. a. O.; Engelmann, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1868. S. 465 ; Hermann & Luchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol. XYIII. S. 460.1878.\nNEUNTES CAPITEL.\nTheoretische Betrachtung der Muskelcontraction.\nI. Uebersieht der aufgestellten Theorien.\nDie Erkl\u00e4rung der Muskelcontraction ist eine der fesselndsten Aufgaben der Physiologie. Die Einfachheit und Handgreiflichkeit der Erscheinung, die zahlreichen Handhaben welche anscheinend die mechanischen, thermischen, galvanischen und chemischen Studien \u00fcber den Lieblingsgegenstand der exacten Physiologie, den Muskel,\n1\tBecquerel, in zahlreichen Mittheilungen in den Compt. rend. ; ein Besum\u00e9 von ihm selbst im Journ. d. l\u2019anat. et d. 1. physiol. 1874. p. 1 ; vgl. auch Onimus, ebendaselbst 1870. p. 250.\n2\tGr\u00fcnhagen, Arch. f. d. ges. Physiol. YHI. S. 573. 1874; vgl. auch \u00fcber solche Str\u00f6me Buff, Ann. d. Chemie LXXXIX. S. 76. 1854; Engelmann, Onderzoekingen physiol, labor. Utrecht (3) HI. p. 82. 1875, und die Literatur der QuiNCKE\u2019schen Hia-phragmastr\u00f6me.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\n16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242 Hebmann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht, d. Muskelcontraction.\nf\u00fcr die Ausbildung und Pr\u00fcfung theoretischer Ideen darbieten, erwecken wohl in jedem Forscher die Ueberzeugung, der n\u00e4chste Schritt m\u00fcsse die L\u00f6sung dieses herrlichen Probl\u00e8mes bringen, und doch hat dasselbe bisher aller Bem\u00fchungen gespottet. Der Gegenstand dieses Abschnittes kann daher nur sein, einerseits zu zeigen dass bisher keine zureichende Erkl\u00e4rung aufgestellt worden ist, oder jetzt aufgestellt werden kann, andererseits auf Grund der bis jetzt gewonnenen Thatsachen diejenigen Fragen m\u00f6glichst scharf zu formuliren, deren Beantwortung voraussichtlich dereinst die Aufkl\u00e4rung des Problems herbeif\u00fchren wird.\nDie \u00e4lteren, zum Theil sehr abenteuerlichen Theorien der Contraction findet man bei Haller 1 zusammengestellt. Als Beispiel dieser Speculationen sei erw\u00e4hnt, dass man die Muskelcontraction erkl\u00e4rte aus einer Einblasung von Luft durch die Nerven in endst\u00e4ndige Bl\u00e4schen, wodurch der Muskel zum Anschwellen und durch kuglige Entfaltung der rhombischen Bl\u00e4schen zur Verk\u00fcrzung und Verdickung gebracht werde ; oder aus einer \u00e4hnlichen Anschwellung durch Eintreibung von Blut; aus Verk\u00fcrzung nach Art eines befeuchteten Seiles, u. dgl. mehr. Plausiblere Theorien wurden aufgestellt, als man anfing die Lehre von der electrischen Anziehung auf das Problem anzuwenden, und ganz besonders nach der AMP\u00c8RE\u2019schen Entdeckung der Anziehung paralleler und gleich gerichteter Str\u00f6me. Die haupts\u00e4chlichsten Theorien dieser Art findet man bei Joh. M\u00fcller1 2 3 und bei du Bois-Reymond 3 er\u00f6rtert. Keine einzige derselben ist geeignet einer auch nur oberfl\u00e4chlichen Pr\u00fcfung Stand zu halten. Die neueren Theorien werden beil\u00e4ufig im Folgenden zur Sprache kommen.\n1. Versuche die contractilen Kr\u00e4fte mit elastischen zu identificiren.\nDie oben S. 68 er\u00f6rterte WEBER\u2019sche Theorie ist vielfach als ein Versuch aufgefasst worden, die Contraction aus einer Wirkung elastischer Kr\u00e4fte zu erkl\u00e4ren. Dies ist aber, wie schon a. a. 0. gesagt worden, ein Irrthum; Weber\u2019s Theorie besagt nur: die Verk\u00fcrzung ist gleich der L\u00e4ngendifferenz zwischen der nat\u00fcrlichen Form des ruhenden Muskels, belastet mit dem Gewichte /?, und der des th\u00e4tigen Muskels, belastet mit dem gleichen Gewichte. Aus den Formen und Elasticit\u00e4tsgr\u00f6ssen beider Zust\u00e4nde ergiebt sich der Betrag der Zugh\u00f6he; elastische Kr\u00e4fte aber bewirken die Verk\u00fcrzung\n1\tHalles, Elementa physiologiae IY. p. 514. Lausanne 1762.\n2\tJ. M\u00fcller, Handb. d. Physiologie IL S. 56.\n3\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t II. 1. S. 4.","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Aeltere Theorien. Contractilit\u00e4t und Elasticit\u00e4t. WEBER\u2019sche Theorie. 243\nnur .dann wenn nach Entwicklung des th\u00e4tigen Zustandes, d. h. der contractilen Kr\u00e4fte, der Muskel noch durch ein Hinderniss auf seiner Ruhel\u00e4nge festgehalten, und dies dann entfernt wird : grade in diesem Falle l\u00e4sst sich aber, wie oben ausgef\u00fchrt wurde, die Verk\u00fcrzung (Wurfh\u00f6he) nicht einmal aus der 'WEBER\u2019schen Theorie entnehmen. Die eigentliche Verk\u00fcrzung der nat\u00fcrlichen Form und die damit zusammenh\u00e4ngende Abnahme der Elasticit\u00e4t (vgl. \u00fcbrigens S. 72) wird durch die WEBER\u2019sche Theorie nicht im mindesten erkl\u00e4rt; diese Theorie ist also lediglich eine Schematisirung.1\nOb diese Schematisirung nun an sich berechtigt sei, ist, wie schon S. 73 angedeutet, ganz abgesehen von der theoretisch nicht so wichtigen Frage der Elasticit\u00e4tsabnahme * durch die Entdeckung Heidenhain\u2019s zweifelhaft geworden, dass die Belastung selbst auf die Intensit\u00e4t des Erregungszustands, soweit er sich durch thermische und chemische Ver\u00e4nderungen \u00e4ussert, Einfluss hat (vgl. S. 163 f.). Da aber das Weber\u2019sehe Schema nur f\u00fcr die mechanische Leistung Bedeutung hat, und in mechanischer Beziehung die HEiDENHAiN\u2019schen Versuche nichts aussagen, so scheint mir das Weber\u2019sehe Schema, in dem Umfange in welchem es \u00fcberhaupt berechtigt war, auch durch die HEiDENHAiN\u2019schen Versuche nicht umgestossen.2 Dazu m\u00fcsste erst nachgewiesen werden, dass die Belastung auch auf die mechanische Leistung Einfluss hat; ganz undenkbar ist ein solcher Versuch nicht; wirft man z. B. einem belastet tetanisirten Muskel pl\u00f6tzlich seine Last ab, so wird trotzdem sein Erregungsgrad wie er unter dem Einfluss der Spannung sich gestaltete noch kurze Zeit vermuthlich anhalten, und es w\u00e4re im Hinblick auf Heidenhain\u2019s Ergebnisse denkbar, dass er nun k\u00fcrzer ist, als wenn er von vorn herein unbelastet tetanisirt wurde; sollte sich dies ergeben, so w\u00e4re allerdings das WEBER\u2019sche Schema unrichtig. Seine Wichtigkeit ist \u00fcbrigens, bei der Einschr\u00e4nkung mit welcher es gehandhabt werden muss, nicht so gross, um ein allzu hartn\u00e4ckiges Festhalten zu recht-fertigen.\nEs fragt sich nun weiter, ob wirklich Gr\u00fcnde vorhanden sind, die contractilen Kr\u00e4fte mit elastischen zu identificiren, ganz abgesehen von der WEBER\u2019schen Theorie. Wir sehen dabei auch g\u00e4nzlich ab vonderschonS.il zur\u00fcckgewiesenen Verallgemeinerung des\n1\tDass sie Weber f\u00fcr mehr hielt, kann ich aus seiner Darstellung nicht herauslesen. Auch Fick (Untersuchungen \u00fcber Muskelarbeit S. 15. Basel 1867) fasst die Theorie so auf, wie sie meiner Ansicht nach im Sinne ihres Urhebers aufgefasst werden muss.\n2\tHeidenhain\u2019s Einw\u00e4nde beziehen sich in der That wesentlich auf jene Deutung der WEBER\u2019schen Theorie, welche ich soeben bek\u00e4mpft habe.\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244 Hermann. Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht, d. Muskelcontraction.\nBegriffs Elasticit\u00e4t, welche jede, aus welcher Ursache immer herr\u00fchrende Aenderung einer nat\u00fcrlichen Form als Aenderung des Ela-sticit\u00e4tszustands bezeichnet; denn ausser der Verwirrung welche diese Betrachtungsweise anrichtet, l\u00e4sst sie die Hauptfrage ganz unber\u00fchrt, indem sie ihr nur einen andern Namen giebt.1 2\nViele sind nun mit J. M\u00fcller der Meinung, dass der oben S. 66, 71 er\u00f6rterte ScHWANN\u2019sche Versuch eindringlich zu Gunsten einer Verwandtschaft der contraction Kr\u00e4fte mit elastischen spreche, dass er wenigstens allen Theorien, die auf Anziehungskr\u00e4fte, welche mit dem Quadrat der Entfernung abnehmen, gegr\u00fcndet sind, z. B. allen electro-dynamischen Theorien, ein f\u00fcr alle Mal ein Ende bereite. In der That hat folgende Betrachtung etwas sehr Bestechendes : der Schwann\u2019-sche Versuch zeigt, dass die Verk\u00fcrzungskraft um so kleiner wird, d. h. der Muskel contractionshindernden Kr\u00e4ften um so weniger Widerstand leistet, je mehr er bereits verk\u00fcrzt ist; beruhte die Verk\u00fcrzung auf irgend einer Anziehung die mit der Entfernung abnimmt, so m\u00fcsste umgekehrt die Verk\u00fcrzungskraft mit der Verk\u00fcrzung selber zunehmen. Es kann sich also nur um eine Kraft handeln die mit der gegenseitigen Entfernung zunimmt, wie die elastische. Allein ich habe vor Kurzem darauf aufmerksam gemacht-, dass jeder elastische K\u00f6rper das von Schwann gefundene Verhalten zeigen muss, welches auch die Natur der contraction Kr\u00e4fte sei. Letztere brauchen also durchaus nicht elastische zu sein.\nIn jedem Stadium der Contraction kann n\u00e4mlich dasjenige Gewicht nicht weiter gehoben werden, das den contrahirten Muskel um eine dem Rest des Hubes gleiche Strecke dehnt ; dies Gewicht wird also beim Hube immer kleiner, weil elastische K\u00f6per zu kleineren Dehnungen kleinere Gewichte brauchen; durch welche Kr\u00e4fte der contrahirte Muskel k\u00fcrzer wird, ist hierf\u00fcr ganz gleichg\u00fcltig. Ein electrodynamisches Ringsystem nach Pr\u00e9vost & Dumas (s. unten) w\u00fcrde sich ebenso verhalten, wenn es elastische Einschaltungen oder eine elastische Verl\u00e4ngerung hat. Auch durch die Annahme, dass die Ringe um sich zu n\u00e4hern eine elastische Zwischensubstanz zu comprimiren haben, w\u00fcrde man dem anscheinenden Widerspruch des ScHWANN\u2019sclien Versuchs mit electrodynamischen Theorien entgehen.\n2. Versuche die contractilen Kr\u00e4fte mit electrisehen zu identificiren.\nKaum ein Vorgang schien so geeignet, Licht auf das Wesen der Muskelcontraction zu werfen, als der der electrischen Anziehung und\n1\tVolkmann (Arch. f. d. ges. Physiol. VIL S. 1. 1873) hat versucht experimentell zu beweisen dass die contract\u00fcen Kr\u00e4fte als elastische zu betrachten sind, und nicht etwa elastischen entgegenwirken; indessen sind die Versuche sowie auch die speciel-lere Fragestellung verfehlt, wie namentlich Fuchs gezeigt hat (ebendaselbst S. 421).\n2\tHermanx, Arch. f. d. ges. Physiol. XVIII. S. 455. 1878.","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Bedeutung des ScHWANN\u2019schen Versuchs. Electrische Theorien. 245*\nAbstossung. Wenn man nat\u00fcrlich auch kaum einen Augenblick der Hypothese von Pr\u00e9vost & Dumas1 beistimmen konnte, dass die Muskelcontraction durch gleichsinnige Durchstr\u00f6mung paralleler Nervenschlingen bedingt sei, \u2014 denn f\u00fcr diese Hypothese fehlte eben Alles: die Nervenschlingen, deren longitudinale Durchstr\u00f6mung, iso-lirende H\u00fcllen, die zu erwartende Faltung der Muskelfasern bei der Contraction (welche allerdings Pr\u00e9vost & Dumas behaupteten, vgl. oben S. 16), und ausserdem war f\u00fcr sie das Muskelgewebe selber eigentlich etwas ganz Unn\u00fctzes ; wogegen der scheinbar vernichtende Einwand des S chw ann\u2019 s ch en Versuches, wie wir eben gesehen haben,, kein wirklicher Einwand war, \u2014 wenn ebensowenig die oberfl\u00e4chliche Analogie des geschichteten Muskelbaus mit einer VouTA'schen S\u00e4ule,, auf welche z. B. Mayer2 und Amici3 hingewiesen haben, irgend eine Handhabe zu Theorien bietet: ein unabsehbares Feld der Speculation er\u00f6ffnete sich, sobald man .kleinsten Theilchen im Muskel die Function der gegenseitigen Anziehung zuschrieb. Und wirklich schien die du Bois\u2019sche Moleculartheorie das nothwendige Substrat f\u00fcr diese Anschauungen geliefert zu haben. An den vermeintlichen electrischen Molec\u00fclen waren pl\u00f6tzliche Umlagerungen und Kraft\u00e4nderungen scheinbar wirklich erwiesen; wie leicht war es denkbar dass diese Ver\u00e4nderungen durch die Erregung eingeleitet werden, und so beschaffen sind, dass die Theilchen in ihrem neuen Zustande oder ihrer neuen Pollage sich gegenseitig in der L\u00e4ngsrichtung der Faser anziehen, vielleicht gleichzeitig in der Querrichtung abstossen. Ja solche Theorien schienen noch den Vortheil zu haben, dass sie auch die Fortleitung der Erregung durch die Faser durch Orientirungswirkungen einer Molekel auf die benachbarte erkl\u00e4rten.4\nDass Theorien dieser Richtung nur von Wenigen specieller durchgef\u00fchrt wurden hatte mehrere Gr\u00fcnde. Vor Allem mochte man in dieser Hinsicht dem Urheber der Moleculartheorie nicht vorgreifen, und dieser selbst war in seinen thats\u00e4chlichen Ermittelungen noch nicht weit genug f\u00fcr solchen Schritt vorgedrungen ; wer es versuchte mochte auch sofort auf un\u00fcberwindliche Schwierigkeiten stossen;\n1\tPr\u00e9vost & Dumas, Magendie\u2019s Journ. d. physiol, exp\u00e9r. etpathol. III. p. 301, 339 1823\n2\tMayer, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1854. S. 217.\n3\tAmici. Arch. f. pathol. Anat. XVI. S. 422.1858. (Uebersetzung aus II Tempo II. S. 328.)\n4\tAls die Hoffnungen dieser Epoche characterisirende Stellen vgl. Wundt, Die Lehre von der Muskelbewegung S. 174. Anm. Braunschweig 1858, und Fick, Untersuchungen \u00fcber Muskelarbeit S. 53. Basel 1867.","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246 Hermann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret.Betracht, cl. Muskelcontraction.\nendlich schreckte wohl auch der ScHWANN\u2019sche Versuch, wenn auch ganz mit Unrecht, ab.1\nMit dem vollst\u00e4ndigen Aufgeben der Moleculartheorie ist aber all diesen Speculationen mit Einem Schlage der Boden entzogen; denn sobald, wie jetzt feststeht, im Inhalt der Muskelfaser keinerlei electrische Discontinuit\u00e4t nachgewiesen ist, fehlt es auch an greifbaren Objecten die sich anzieh en k\u00f6nnten. Wer also fortan trotzdem solchen Theorien nachh\u00e4ngt, der nimmt eben electrische Theilchen (in einer nach aussen unwirksamen Anordnung) rein nach Gutd\u00fcnken, ohne irgend einen thats\u00e4chlichen Anhalt, an, etwa mit demselben Rechte mit welchem es jedem freisteht solche Molekeln in einem Wassercylinder sich vorzustellen. Die wirklich feststehenden elec-trischen Vorg\u00e4nge im erregten Muskel k\u00f6nnen vor Allem schon deshalb nicht unmittelbar mit der Contraction in Verbindung gebracht werden, weil die Contraction an jedem Puncte erst eintritt, nachdem der electrische Vorgang selbst schon beendet ist (vgl. oben S. 206 f.).\nMit der Pr\u00e4existenzlehre fielen auch solche Theorien dahin, welche die sogenannte negative Schwankung in dem Sinne deuteten, dass die verschwindende galvanische Arbeit sich in mechanische um wandelt.2 Solche Theorien hatten schon an sich den Uebelstand, dass sie bestenfalls nur ein Schema darstellten und keine Erkl\u00e4rung ; denn der Mechanismus, der jene Umwandlung bewirkte, blieb v\u00f6llig dunkel. Jetzt aber wissen wir, dass \u00fcberhaupt im normalen Muskel ein Strom nicht pr\u00e4existirt, und bei der Erregung nicht abnimmt, dass vielmehr alle unter den Begriff der negativen Schwankung fallenden Erscheinungen entweder von nur partialer Erregung oder von Erregung einer partiell absterbenden Faser herr\u00fchren.\nIndess w\u00e4re es m\u00f6glich, dass f\u00fcr Eine Erscheinung der Muskel-th\u00e4tigkeit, n\u00e4mlich f\u00fcr die Fortpflanzung der Erregung, die galvanischen Vorg\u00e4nge, freilich in ganz anderem Sinne als es nach der Moleculartheorie schien, eine Handhabe zur Erkl\u00e4rung bieten.\n3. Thermodynamische Anschauungen \u00fcber die Contraction.\nDie vermeintliche Thatsache (vgl. Cap. 7), dass W\u00e4rmebildung und mechanische Arbeit, letztere in W\u00e4rme umgerechnet, sich zu\n1\tVon specielleren Theorien dieser Art, welche ich nur deshalb nicht ausf\u00fchrlicher anf\u00fchre, weil ich vermuthe dass sie-von ihren Urhebern wieder verlassen sind, citire ich Wundt, Arch. f. physiol. Heilkunde 1858. S. 387 ; Hensen, Arbeiten aus dem Kieler physiol. Institut 1868. S. 13. Kiel 1869; Krause, Ztschr. f. Biologie V. S. 411. 1869.\n2\tVgl. z. B. Voit, Untersuchungen \u00fcber den Einfluss des Kochsalzes, des Kaffees und der Muskelbewegungen auf den Stoffwechsel S. 205 ff. M\u00fcnchen 1860.","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Electrische, thermodynamische, chemische Theorien.\n247\neiner nur von der Reizgr\u00f6sse abh\u00e4ngigen Summe erg\u00e4nzen, beg\u00fcnstigte die Anschauung, dass die Arbeit aus verwandelter W\u00e4rme hervorgehe. Aber weder w\u00e4re diese Anschauung eine nothwendige Folge jener Thatsache, noch bietet sie eine ersch\u00f6pfende Erkl\u00e4rung der Zusammenziehung, da f\u00fcr die Vorstellung einer Vorrichtung im Muskel, welche nach Art der Dampfmaschine W\u00e4rme in mechanische Arbeit verwandeln k\u00f6nnte, nicht der mindeste thats\u00e4chliche Anhalt vorhanden ist. Bestenfalls also w\u00e4re diese Theorie ein f\u00fcr Betrachtungen \u00fcber den Haushalt des Muskels verwendbares Schema.1\n(\n4. Chemische Theorien der Contraction.\nVon zwei Gesichtspuncten ausgehend wurden chemische Momente in das Problem der Contraction hineingezogen. Einmal versuchte man die electrische Erregung wegen ihrer gesetzm\u00e4ssigen Beziehung zu den beiden Polen auf electrolytische Ver\u00e4nderung, also auf chemische Reizung zur\u00fcckzuf\u00fchren2, und es wurde sogar der Versuch gemacht, auch die Fortpflanzung der Erregung im Nerven, vom Nerven auf den Muskel, und im Muskel selbst, insofern aus chemischer Reizung abzuleiten als die chemischen Producte der Erregung eines Querschnitts, besonders die freie S\u00e4ure, reizend auf den n\u00e4chsten Querschnitt wirken sollten.3 Andrerseits steht es fest, dass ein chemischer Vorgang das Substrat der Muskelkr\u00e4fte ist, und die Feststellung der Zwischenglieder ist die Aufgabe jeder ersch\u00f6pfenden Theorie des Contractionsvorgangs. Als chemische Theorien kann man nun solche bezeichnen, welche diese Zwischenglieder derartig reduciren, dass die Formver\u00e4nderung als unmittelbare Folge der Umsetzung, z. B. einer Eiweisscoagulation, auftritt. Einen derartigen Versuch habe ich selbst im Jahre 1867 gemacht4, und werde auf ihn weiter unten zur\u00fcckkommen.\n5. Theorien, welche aus microscopischer Beobachtung der Contraction\nhervorgegangen sind.\nUnzweifelhaft kann die Beobachtung des Contractionsvorgangs an den kleinsten Theilen des Muskels ebenso gute, und gewisser-\n1\tWesentlich diese Bedeutung haben wohl auch einstwe\u00fcen die mathematischen Betrachtungen von Fuchs, Arch. f. d. ges. Physiol. VIL S. 421. 1873; XV. S. 536, 552. 1877.\n2\tVgl. u. A. v. Bezold, Untersuchungen \u00fcber die electrische Erregung der Nerven und Muskeln S. 327. Leipzig 1861.\n3\tVgl. J. Ranke , Die Blutverthe\u00fcung und der Th\u00e4tigkeitswechsel der Organe S. 182. Leipzig 1871.\n4\tHermann, Weitere Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven S. 57. Berlin 1867.","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248 Hermann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht. d. Muskelcontraction.\nmassen unmittelbarere Aufschl\u00fcsse liber das Wesen der Contraction gew\u00e4hren, als das mechanische, galvanische, thermische Studium des Contractionsvorgangs am ganzen Muskel. Indessen sind die oben S. 15 ff. kurz angegebenen microscopischen Beobachtungen, abgesehen von den grossen Abweichungen der einzelnen Angaben, gr\u00f6sstentheils zur Aufstellung von Theorien nicht geeignet. Bestenfalls ist man bis zu Schematisirungen gelangt. So hat Br\u00fccke in seiner dort citirten Schrift aus der Erhaltung der positiv einaxigen Beschaffenheit der Sarcous elements w\u00e4hrend der Contraction, bei Aenderung der Gestalt derselben, den Schluss gezogen dass jedes Sarcous element aus einer Anzahl mit parallelen Axen angeordneter kleinster doppeltbrechender K\u00f6rper besteht, welche er \u201eDisdiaclasten\u201c nennt, und dass die Disdiaclasten bei der Contraction ihre Colonnenordnung \u00e4ndern, indem die Anzahl der Querreihen ab-, und die Zahl ihrer Glieder zunimmt. Offenbar ist dies nur ein Schema; von den Kr\u00e4ften, welche diese neue Ordnung und dann die R\u00fcckkehr der alten bewirken, hat man keine Vorstellung. Besondere Schwierigkeit f\u00fcr die Disdiaclasten-Theorie hat auch der Umstand dass beim Dehnen des Muskels die Form der Sarcous elements sich ebenfalls, mit Erhaltung ihrer doppeltbrechenden Eigenschaften, \u00e4ndert, hier also ebenfalls eine Umstellung der Disdiaclasten stattfinden m\u00fcsste, deren Zustandekommen durch die Dehnung vollends unverst\u00e4ndlich ist. Auch scheint die ganze Theorie unn\u00f6thig, da sie voraussetzt dass Doppelbrechung nur an krystallartige Unver\u00e4nderlichkeit der Form gebunden sein k\u00f6nne. Da auch colloide Substanzen, sobald ihre Dichte nach Richtungen orientirte Verschiedenheiten besitzt (z. B. gepresstes Glas) Doppelbrechung besitzen, so gen\u00fcgt die Annahme dass das Sarcous element ein Aggregat sei, dessen Dichte in der Richtung der Faseraxe kleiner ist als in den Richtungen senkrecht zur Axe, und welches diese Eigenschaft bei activen und passiven Formver\u00e4nde-j\u2019ungen beibeh\u00e4lt.\nEine weitergehende Theorie des Contractionsvorganges hat Engelmann (cit. S. 22) entwickelt; er beobachtet, wie erw\u00e4hnt worden ist, bei der Contraction eine Quellung der anisotropen Substanz auf Kosten der isotropen. Indem er nun erstere aus stabartigen Molec\u00fclen zusammengesetzt annimmt, welche \u00fcbrigens weder mit den Sarcous elements noch mit den Disdiaclasten identificirt werden d\u00fcrfen1, und\nl Ersteres nicht, weil die Sarcous elements noch durch die Mittelscheibe com-plicirt sind, auch h\u00e4ufig ebenso breit, ja breiter als lang sind, w\u00e4hrend die Theorie eine mindestens 25 mal so grosse L\u00e4nge als Dicke verlangt; letzteres nicht, we\u00fc die fraglichen Molec\u00fcle ihre Form \u00e4ndern.","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Verwerthung der microsc. Erscheinungen. Disdiaclasten. Hemmungstlieorien. 249\nferner als Thatsache ansieht, class quellungsf\u00e4hige K\u00f6rper bei der Quellung sieb der Kugelform zu n\u00e4hern streben, erkl\u00e4rt er die Contraction durch so bedingte Verdickung und Verk\u00fcrzung der St\u00e4bchen. Allein, abgesehen von m\u00f6glichen Einw\u00e4nden, l\u00e4sst diese Theorie die Frage g\u00e4nzlich offen, welcher Umstand diese pl\u00f6tzliche Quellung, und namentlich die rasche R\u00fcckkehr zum urspr\u00fcnglichen Zustande, bewirkt; denn dass nach Engelmann in der isotropen Substanz gleichzeitig eine Eiweissabscheidung stattfindet und dadurch Fl\u00fcssigkeit f\u00fcr jene Quellung disponibel wird ist nicht geeignet jene Frage zu beantworten. Die ENGELMANN\u2019sche Deutung der sichtbaren Ver\u00e4nderung ist also, wenn richtig, nur eine Vorarbeit f\u00fcr eine k\u00fcnftige ersch\u00f6pfende Theorie des Contractionsvorgangs. Man erinnert sich \u00fcbrigens, dass nach Engelmann die isotrope Substanz, gleichsam die Fortsetzung des Nerven, der Ausgangspunct der Erregung f\u00fcr die anisotrope ist.\nEngelmann 1 hat auf den wichtigen Umstand aufmerksam gemacht, dass alle contraction Apparate doppeltbrechend sind oder doppeltbrechende Theile enthalten, und zwar stets so dass letztere positiv einaxig sind und ihre Axe der Verk\u00fcrzungsrichtung parallel liegt. Er sieht nun zwar im Sinne der eben erw\u00e4hnten Theorie die Bedeutung des genannten Umstandes darin, dass die Quellung doppeltbrechender Theilchen in der Richtung senkrecht zur Axe am gr\u00f6ssten sei; indess wird sich weiter unten zeigen dass die Bedeutung der von Engelmann hervorgehobenen Thatsache allgemeiner, und nicht an die Quellungstheorie gebunden ist.\n6. Theorien, ivelche die Contraction als den passiven Zustand, die Erschlaffung als den activen oder beide als activ betrachteten.\nDer Vollst\u00e4ndigkeit halber seien hier auch diejenigen Ansichten erw\u00e4hnt, welche die nat\u00fcrliche Anschauung von den Zust\u00e4nden des Muskels gradezu umkehrten. Den einzigen einigermassen plausiblen Grund hierzu konnte die Todtenstarre darbieten, welche dann nicht mehr als letzte Contraction, sondern als definitive Ruhe erschien. Sonst enthalten diese Theorien nur so leicht widerlegbare Momente dass es nicht n\u00f6thig ist, auf sie einzugehen; der meist wiederkehrende Gedanke ist, dass der expandirte Zustand durch electrische Abstossungen sich erhalte, welche der Nerv nur zu beseitigen habe, um Verk\u00fcrzung zu bewirken. Es gen\u00fcgt, die haupts\u00e4chlichsten Stellen anzuf\u00fchren.1 2\n1\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. XI. S. 432. 1875.\n2\tYgl.WEST, London med. and surg. journ. 1.1832; Dug\u00e8s, Trait\u00e9 de physiologie","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250 Hermann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht. d.Muskelcontraction.\nVon wesentlich anderen Gesichtspmieten ansgehend hat eine Anzahl Autoren dem Muskel neben activer Verk\u00fcrzung eine active Verl\u00e4ngerung (\u201eElongation\u201c) zugeschrieben. Theils suchte man auf diese Weise die Diastole des Herzens bei dem Mangel antagonistischer Muskelfasern besser als durch einfachen Nachlass der systolischen Kr\u00e4fte zu erkl\u00e4ren, wohl auch die Hemmungswirkung des Vagus auf eine active Diastole zur\u00fcckzuf\u00fchren, theils war es in neuerer Zeit die Gef\u00e4sserweiterung auf Nervenreizung, welche, da hier antagonistische Muskeln fehlen, neben der Erkl\u00e4rung durch Hemmungsnerven auch Erkl\u00e4rungen im genannten Sinne hervorrief, und auch Erscheinungen an der Iris veranlassten solche, welche den antagonistischen Dilatator in Abrede stellen, zu \u00e4hnlichen Annahmen. Da aber all diese Theorien in der Physiologie des Muskels selbst nicht den geringsten thats\u00e4chlichen Anhalt gefunden haben, so gen\u00fcgt es auch hier, die haupts\u00e4chlichsten Stellen anzuf\u00fchren.* 1\nII. Anhaltspiincte flir eine Theorie der Muskelcontraction.\n1. Analogien zwischen Contraction und Erstarrung.\nF\u00fcr eine Erkl\u00e4rung des grossen R\u00e4thsels der Contraction scheint es am nat\u00fcrlichsten, zun\u00e4chst alle analogen Vorg\u00e4nge in Betracht zu ziehen. Ich habe von diesem Gesichtspuncte aus schon vor zehn Jahren die Todtenstarre als eins der wesentlichsten Momente f\u00fcr die Erkl\u00e4rung der Contraction bezeichnet.\nVor Allem haben wir in der Todtenstarre ebenfalls eine active Verk\u00fcrzung und Verdickung des Muskels; die Form, in welche der Muskel \u00fcbergeht, ist in beiden Vorg\u00e4ngen genau die.gleiche; gewisse Umst\u00e4nde m\u00fcssen also zweifellos beiden Ver\u00e4nderungen des Muskels gemeinsam sein. Da aber die Ursachen der Todtenstarre insofern\ncompar\u00e9e. Montpellier et Paris 1838; Matteucci, Compt. rend. XXIY. p. 417. 1847; Engel. Ztschr. d. Ges. d. Aerzte in Wien I. S. 205, 252. 1849; Stannius, Arch. f. physiol. Heilkunde 1852. S. 22 (nur als kurzes Aper\u00e7u); Radclieee, Lectures on ep\u00fcepsy, pain, paralysis etc. London 1864 ; d er s., Journ. of anat. and physiol. VIII. p. 300.1874; ders., Vital motion as a mode of physical action p. 23 etc. London 1876, und Proteus or unity in nature p. 131. London 1877 (den beiden letzteren Schriften habe ich die \u00e4lteren Literaturangaben entnommen); Norms, Journ. of anat. and physiol. I. p. 114, 217. 1867; Reineold, Schmidt\u2019s Jahrb. L. S. 82. 1845; Rouget, Compt. rend. LXIV. p. 1128, 1232. 1867; Baxter, Archives of medecine IV. p. 203,298. 1867 (hier auch fr\u00fchere Schriften desselben Autors citirt).\n1 Aeltere derartige Aeusserungen \u00fcbergehend, f\u00fchre ich an: Luciani, Dell\u2019 at-tivit\u00e4 della diastole cardiaca. Bologna 1871; Sulla dottrina delT attivit\u00e0 diastolica. Bologna 1874 (auch verschiedene Publicationen von Chirone in Lo Sperimentale und Rivista clin, di Bologna 1873\u20141876; vgl. auch die Kritik von Mosso & Pagliani : Cri-tica sperimentale della dottrina delT attivit\u00e0 diastolica. Torino 1876); Gr\u00fcnhagen & Samkowy, Arch. f. d. ges. Physiol. X.S. 165.1875 ; Gaskell, Stud, physiol, labor. Cambridge III. p. 132. 1877 (auch im Journ. of anat. and physiol. XL).","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Angebl. active Erschlaffung. Analogien zwischen Contraction und Erstarrung. 251\nleichter zu \u00fcbersehen sind, als hier das R\u00e4thsel der Reizung wegf\u00e4llt, so bietet die Todtenstarre die leichtere Aufgabe dar, und bildet demnach f\u00fcr den normalen inductiven Gang der Forschung die nat\u00fcrliche Eingangspforte f\u00fcr die Aufkl\u00e4rungsbem\u00fchungen hinsichtlich der Contraction.\nDie Analogien zwischen Erstarrung und Contraction sind aber bei weitem tiefer als die blosse Gleichheit der Gestalt, in welche der Muskel \u00fcbergeht. In beiden F\u00e4llen findet ausser Verk\u00fcrzung und Verdickung auch eine geringe Verdichtung des Muskels statt (S. 14 und 143), in beiden entwickelt der Muskel eine vergleichbare Kraft (S. 144), in beiden tritt neben der mechanischen Arbeit W\u00e4rmebildung auf (S. 171), und vor Allem stehen die erregte und die erstarrende Muskelsubstanz in demselben electrischen Gegensatz zur unver\u00e4nderten. (S. 235). Man kann weiter hinzuf\u00fcgen, dass sowohl Contraction wie Erstarrung, sobald sie einen Abschnitt einer Muskelfaser ergriffen haben, sich alsbald, wenn auch mit einer ungeheuer verschiedenen Geschwindigkeit, entsprechend etwa der Verschiedenheit ihrer Entwicklungsgeschwindigkeit, \u00fcber die ganze L\u00e4nge der ergriffenen Faser fortpflanzen, dagegen nie von einer Faser auf eine andere \u00fcbergehen. \u2014 Eine grosse Zahl von Analogien existirt auch in chemischer Beziehung (vgl. den betr. Abschnitt des Werkes). Es ist nicht allein nachgewiesen dass der Muskel in beiden Acten sauer wird, und Kohlens\u00e4ure bildet, sondern sogar dass die chemische Umsetzung bei der Erregung und die bei der Erstarrung aus einem gemeinsamen Substanzvorrath zehren.\nZu diesen zahlreichen Analogien kommt noch hinzu, dass es zweifellose Uebergangszust\u00e4nde zwischen Contraction und Erstarrung giebt. F\u00fcr den unbefangenen Blick unterscheidet sich die Todtenstarre von der Contraction durch ihre Permanenz; ihr folgt keine Erschlaffung ausser durch F\u00e4ulniss ; ferner durch ihr schon erw\u00e4hntes viel unvollkommeneres und langsameres Fortkriechen in der Faser ; sie tritt ferner ein, wenn die normalen Ern\u00e4hrungsbedingungen des Muskels l\u00e4ngere Zeit hindurch aufgehoben sind. Wir haben aber gesehen, dass unter analogen Bedingungen, durch Erm\u00fcdung, Misshandlung, abnorme Temperaturen, Fortschreiten des Absterbens, gewisse Gifte, die Contraction selber in der Richtung zur Erstarrung ver\u00e4ndert wird, dass sie abnorm lange beharrt (Verl\u00e4ngerung der Zuckungscurve, und bei Partialreizung Bildung des idiomuscul\u00e4ren Wulstes), und sich nicht in voller St\u00e4rke und nicht mit normaler Geschwindigkeit l\u00e4ngs der Faser fortpflanzt.\nErstarrung und Contraction sind also innig verwandte Acte.","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252 Hermann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht, d. Muskelcontraction.\n2. Unterschiede zwischen Contraction und Erstarrung. Natur der inneren Arbeit im Tetanus.\nWie schon bemerkt ist der wesentlichste Unterschied zwischen beiden Vorg\u00e4ngen die Verg\u00e4nglichkeit des einen und die Permanenz des andern. Die Contraction kann nur durch best\u00e4ndige Fortsetzung der Reizung und unter best\u00e4ndigem Aufwand chemischer Spannkr\u00e4fte unterhalten werden, die Verk\u00fcrzung der Todtenstarre bleibt ohne Weiteres bestehen.\nDie physiologische Leistung des Muskels beruht nicht bloss auf seinem Verk\u00fcrzungs-, sondern auch auf seinem Erschlaffungsverm\u00f6gen. Dieser Umstand bedingt es, dass anhaltende Verk\u00fcrzung nur durch einen dynamischen Gleichgewichtszustand mit fortgesetztem Aufwand von Kr\u00e4ften unterhalten werden kann. Der Muskel kann verglichen werden einem Cylinder mit Kolben, der durch Eintreiben von Dampf gehoben werden kann; es stehe keine andere fremde Einwirkung zu Gebote, als Zulassung und Absperrung des Dampfes. Damit aber der Kolben nach Absperrung des Dampfes augenblicklich falle, sei der Cylinder von Eis umgeben und habe eine sehr d\u00fcnne und gut w\u00e4rmeleitende Wand. Offenbar wird an diesem Apparat best\u00e4ndiges Hochstehen des Kolbens nur durch best\u00e4ndigen Dampfconsum erkauft werden k\u00f6nnen, daf\u00fcr aber hat er den Vorzug dass der Kolben durch Auf h\u00f6ren des Zustr\u00f6mens augenblicklich zum Fall gebracht wird. Offenbar ist der Dampfconsum 1. proportional der Dauer des Tetanus (so sei das permanente Hochstehen des Kolbens bezeichnet), 2. proportional dem Gewichte des Kolbens, denn zur Erhaltung h\u00f6heren Dampfdrucks ist gr\u00f6sserer Zufluss erforderlich, 3. proportional der H\u00f6he auf welcher der Kolben stehen soll, denn je l\u00e4nger der von condensirender Wand umgebene Raum unter dem Kolben, um so mehr wird in der Zeiteinheit condensirt, und um so mehr Dampf muss Zustr\u00f6men, endlich 4. proportional der Condensationsgeschwin-digkeit; letztere entspricht der Neigung des Muskels, in den erschlafften Zustand zur\u00fcckzukehren. Die zur Erhaltung der Contraction n\u00f6thige Stoffverzehrung und innere Arbeit ist also, so d\u00fcrfen wir erwarten (und eine experimentelle Pr\u00fcfung durch thermische Untersuchung w\u00e4re vielleicht m\u00f6glich) am ganz normalen Muskel am gr\u00f6ssten, wird durch Erm\u00fcdung, Absterben, Muskelgifte, heftige directe Reizung kleiner, und in der Todtenstarre Null.\n3. Die Ursache der Verk\u00fcrzung und Wiedererschlaffung.\nSchon oben S. 149 ist hervorgehoben worden, dass mit dem Nachweis, dass die Erstarrung mit einer Coagulation verbunden ist,","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Contraction u. Erstarrung. Natur d. Tetanus. Verk\u00fcrzungen durch Coagulation. 253\ndie Verk\u00fcrzung nichts weniger als erkl\u00e4rt war. Dennoch h\u00e4ngt h\u00f6chstwahrscheinlich die Verk\u00fcrzung mit keinem der andern bei der Erstarrung ablaufenden Vorg\u00e4nge so innig zusammen wie mit der Gerinnung. Daf\u00fcr spricht vor Allem die oben S. 150 erw\u00e4hnte \u201eSehnenverk\u00fcrzung\u201c, die Schrumpfung eiweisshaltiger gefaserter Gewebe in der Richtung ihrer Faserung, durch eiweisscoagulirende Einfl\u00fcsse, besonders durch eine Temperatur von 65 \u00b0.\nObschon das Problem der Verk\u00fcrzung hier schon wieder um ein Gewisses einfacher ist als bei der Erstarrung, wo eine Reihe verwickelter Processe vorhanden ist, k\u00f6nnen wir doch noch einen Schritt weiter gehen, indem wir das Gebiet morphologisch vorgebildeter gefaserter Gewebe ganz verlassen. Die Eigenschaft bei 65 0 sich unter Verdickung zu verk\u00fcrzen zeigen n\u00e4mlich auch die Fibrinfasern.1\nAber selbst in diesem Fall; dem denkbar einfachsten, fehlt uns das Verst\u00e4ndniss. Keine nicht nach Richtungen orientirte Kraft vermag diese Verk\u00fcrzung zu erkl\u00e4ren, man muss schlechterdings annehmen, dass bei der Aenderung des molecularen Gef\u00fcges, welches bei der Coagulation der Fibrinfasern stattfindet, auch die intermole-culare Anziehung in der L\u00e4ngsrichtung st\u00e4rker wird, oder st\u00e4rker w\u00e4chst als in der Querrichtung. Dies ist aber nur dadurch erkl\u00e4rbar, dass schon von vornherein die moleculare Anordnung in den Fasern nach Richtungen orientirt ist. Ja die Bildung der Fasern bei der Coagulation, oder richtiger gesagt bei der Verdichtung des urspr\u00fcnglich homogenen Blutcoagulums ist unter gar keiner anderen Annahme verst\u00e4ndlich; es ist ein Vorgang, welcher der Krystallisation gel\u00f6ster Substanzen am n\u00e4chsten steht. Sehr bemerkenswerth ist ferner, dass, wie ich neuerdings gefunden habe, die Fibrinfasern doppeltbrechend sind, und zwar positiv einaxig wie die Muskelfasern, und mit einer der Faserrichtung entsprechenden Axenlage. Das Licht pflanzt sich also l\u00e4ngs der Faser mit gr\u00f6sster Geschwindigkeit fort, woraus man vermutken darf, dass in dieser Richtung die Theilchen am wenigsten dicht gelagert sind. In welchem Zusammenhang diese Eigenschaft der Fasern mit ihrer Formung steht, l\u00e4sst sich nicht \u00fcbersehen, nur das l\u00e4sst sich mit gr\u00f6sster Wahrscheinlichkeit behaupten, dass ein solcher Zusammenhang besteht.\nDie sog. Coagulation der Fibrinfasern bei 650 ist eine chemische Ver\u00e4nderung, bei welcher bekanntlich eine Reihe von Eigenschaften, so die L\u00f6slichkeit in gewissen Salzl\u00f6sungen, die catalytische Wirkung\n1 Im Jahre 1869 habe ich ungemein viel Zeit und M\u00fche darauf verwendet um zu sehen, oh Fibrinflocken beim Uebergang in den coagulirten Zustand etwa eine kleine Volumverminderung zeigen ; ich kam zu keinem entscheidenden Resultat.","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254 Hermann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht, d. Muskel contraction.\nauf Wasserstoffsuperoxyd, verloren geht. Sehr bemerkenswerth ist nun, dass auch das Doppelbrechungsverm\u00f6gen bis auf undeutliche Reste schwindet1 ; es hat sich also mit der chemischen Umwandlung gleichsam auch die Krystallform ge\u00e4ndert, und zwar dem amorphen Zustande gen\u00e4hert, oder ist vielleicht ganz in den amorphen Zustand \u00fcbergegangen; von geringerer Dichte l\u00e4ngs der Axe ist kein deutliches Zeichen mehr vorhanden. Sollte nun nicht die Verk\u00fcrzung und Verdichtung der Faser mit der Ausgleichung der Dichten Zusammenh\u00e4ngen ? Da zu diesem Behufe die Theilchen l\u00e4ngs der Axe mehr zusammenr\u00fccken, senkrecht zur Axe weiter auseinanderr\u00fccken m\u00fcssen, scheint ein nothwendiger Zusammenhang gegeben.\nFassen wir die er\u00f6rterten Momente zusammen, so reducirt sich die Frage der Muskelverk\u00fcrzung auf die Erkl\u00e4rung einer Form Ver\u00e4nderung gewisser Elemente von krystallartiger Molecularanordnung unter dem Einfluss einer chemischen Ver\u00e4nderung ihrer Substanz. Diese. Elemente besitzen, so m\u00fcssen wir annehmen, in der Richtung der Faseraxe eine Axe lockersten Moleculargef\u00fcges, w\u00e4hrend senkrecht zur Axe das Gef\u00fcge am dichtesten ist. Im Augenblick der Contraction \u00e4ndert sich die Substanz in der Weise chemisch um, dass der neue K\u00f6rper einen geringeren Unterschied in der Dichte nach den beiden Hauptrichtungen besitzt, und daher die Theilchen in der Axen-richtung n\u00e4her zusammen, in der Querrichtung weiter aus einander r\u00fccken. Da die Coagulation durch Hitze die Anisotropie g\u00e4nzlich beseitigt, alle sonstigen coagulirenden Einfl\u00fcsse Starre, d. h. betr\u00e4chtliche Ver\u00e4nderungen der Form im genannten Sinne und wahrscheinlich entsprechende Verminderung der Anisotropie herbeif\u00fchren, so liegt der Gedanke nahe, dass die fragliche chemische Ver\u00e4nderung ein Coagulationsvorgang oder einem solchen nahe verwandt sei. Der Umstand, dass alle contractilen Substanzen anisotrop sind (s. oben) verleiht diesen Vorstellungen noch gr\u00f6ssere Wahrscheinlichkeit.\nWelches die bezeichneten activen Elemente seien, ist eine Frage von geringerer Bedeutung. Es giebt contractile Organe, wie die glatten Muskeln, welche gar keine innere Structur zeigen, und es steht nichts im Wege hier die ganze Faser als das fragliche Element zu betrachten. Trotz aller Structurdetails der quergestreiften Faser w\u00e4re es denkbar, dass f\u00fcr sie dasselbe gilt, da die Pr\u00e4existenz jener Details im ganz normalen Lebenszustande noch nicht als absolut sicher betrachtet werden kann. Aber am wahrscheinlichsten ist es allerdings dass hier von vornherein die anisotropen contractilen Elemente\n1 Von den Muskeln hat schon Br\u00fccke in seiner bekannten Arbeit (S. 16) gefunden, dass sie durch Kochen ihre Anisotropie verlieren.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Natur des Verk\u00fcrzungsvorgangs. Erregung des Muskels.\n255\ndiscontinuirlich in regelm\u00e4ssiger Anordnung vorhanden sind. M\u00f6gen sie nun mit den Sarcous elements identificirt werden, oder mag keine longitudinale Zerkl\u00fcftung vorhanden sein, also die anisotrope Substanz durchgehende Querschichten bilden, die Theorie passt auf beide F\u00e4lle, da sie von den Dimensionen unabh\u00e4ngig ist ; auch eine anisotrope Scheibe von noch so geringer H\u00f6he muss, wenn die Theilchen die bezeichnete Verr\u00fcckung ausf\u00fchren, noch niedriger und breiter werden; es w\u00e4re daher auch nicht richtig von einer Ann\u00e4herung an die Kugelgestalt zu sprechen; diese Anschauung w\u00fcrde nur f\u00fcr Elemente, die in der Axenrichtung l\u00e4nger sind, zul\u00e4ssig sein.\nDie eigentliche Schwierigkeit, und das noch vollkommen ungel\u00f6ste K\u00e4thsel des Vorganges besteht darin, dass der Zustand in welchen die anisotrope Substanz bei der Contraction \u00fcbergeht, bei Erregungen innerhalb normaler Grenzen, ein durchaus labiler ist. Man kann sagen', dass alles bisher Angef\u00fchrte allenfalls hinreicht um die Todtenstarre zu erkl\u00e4ren, nicht aber die lebendige Contraction.\nDie Thatsache, dass die galvanische Wirkung des erregten Faser-antheils der Contraction selbst vorangeht, deutet darauf hin, dass erstere mit chemischen Umsetzungen verbunden ist, welche die Contraction vorbereiten. Um nun zu erkl\u00e4ren, dass eine doch im Wesentlichen bleibende chemische Ver\u00e4nderung eine vor\u00fcbergehende Contraction nach sich zieht, wird kaum etwas Anderes \u00fcbrig bleiben, als sich vorzustellen, dass die chemische Substanz, welche die Ver\u00e4nderung der anisotropen Elemente herbeif\u00fchrt, nehmen wir an ein Quantum S\u00e4ure, durch ihre Anwesenheit den ver\u00e4nderten Zustand macht, alsbald aber durch die umgebende isotrope Substanz wieder neutralisirt wird, so dass ihr ver\u00e4ndernder Einfluss wieder wegf\u00e4llt. Diese Art sich die Dinge vorzustellen ist aber durchaus hypothetischer Natur, so dass die Betrachtung der Erm\u00fcdung und der Todtenstarre unter diesem Gesichtspunct, welche \u00fcbrigens sich leicht von selbst ergiebt, hier unterbleiben kann.\n4. Die directe Erregung des Muskels und die Fortleitung derselben.\nDie im dritten Capitel angef\u00fchrten Thatsachen lehren, dass die Muskelcontraetion durch eine Beihe von Einwirkungen eingeleitet wird, welche das Gemeinsame haben, dass sie eine Ver\u00e4nderung mit einer gewissen Geschwindigkeit hervorrufen. Die relativ wirksamste dieser Einwirkungen, d. h. die, welche bei geringster bleibender Sch\u00e4digung den gr\u00f6ssten erregenden Effect hat, ist die Etablirung des Catelectrotonus und das Schwinden des Anelectrotonus. Die erste","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256 Hermann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht, d. Muskelcontraction.\nWirkung aller Heize, welche der Contraction selbst stets voraufgeht, und auch bei der Fortleitung vor der Contractionswelle vorauseilt, besteht, wie im achten Capitel er\u00f6rtert ist, darin dass die erregte Faserstelle sich gegen\u00fcber allen nicht erregten negativ electrisch verh\u00e4lt.\nDies sind die Thatsachen, mit welchen eine Theorie des Erre-gungsprocesses zu rechnen hat. Man kann das Gesetz der electriseken Erregung noch etwas k\u00fcrzer und tiefer formuliren, wenn man den Umstand zu H\u00fclfe nimmt, dass Catelectrotonus mit negativer, Anelec-trotonus mit positiver Polarisation der Fasern verbunden ist; eine Faserstelle wird also erregt, wenn in ihr negative Polarisation pl\u00f6tzlich entsteht oder positive pl\u00f6tzlich schwindet, d. h. wenn ihre Polarisation sich pl\u00f6tzlich in negativem Sinne ver\u00e4ndert.\nBetrachten wir ferner die galvanische Wirkung einer erregten Stelle, E Fig. 55, so besteht dieselbe in der Entstehung von Str\u00f6m-\nchen in ihrer n\u00e4chsten Umgebung; die Figur 55 giebt von ihnen eine schematische Vorstellung. Diese Str\u00f6mchen haben die Wirkung die ruhende Nachbarschaft negativ, die erregte Stelle selbst positiv zu polarisiren. Die electromoto-\nFig. 55. Schema der Str\u00f6mchen an einer \"Sehe Kraft dieser Str\u00f6me ist nicht U\u00fc-\nerregten\tstelle betr\u00e4chtlich (vgl. Cap. 8), sehr gross aber\nist namentlich ihre Intensit\u00e4t, denn der Widerstand ist f\u00fcr die microscopisch kleinen Strecken ihrer k\u00fcrzesten Abgleichungslinien sehr klein.\nDiese Betrachtung, welche noch nichts Hypothetisches enth\u00e4lt, schliesst Momente in sich, welche h\u00f6chst wahrscheinlich eines Tages zu einer Theorie der Fortpflanzung der Erregung und zu einem Ver-st\u00e4ndniss der eigentlichen Bedeutung der thierischen Electricit\u00e4t f\u00fchren werden.1 Denn die pl\u00f6tzliche Entstehung negativer Polarisation in der n\u00e4chsten Nachbarschaft der prim\u00e4r erregten Stelle muss diese erregen, und die positive Polarisation der erregten Stelle selbst k\u00f6nnte sehr wohl diese selber wieder in Huhe versetzen.2 Wenn gewisse Bedingungen erf\u00fcllt sind, welche in der allgemeinen Nervenphysio-\n1\tDen folgenden Gedanken habe icb schon yor 7 Jahren angedeutet; vgl. Hee-\nmann, Grundriss der Physiologie des Menschen. 4. Auflage. S. 323. Berlin 1872; die Stelle steht auch in den folgenden Auflagen (6. Aufl. S. 317).\t.\n2\tEine hiermit zusammenh\u00e4ngende, dem Experimente zug\u00e4ngliche Frage ist die, oh hei absolut gleichm\u00e4ssiger und gleichzeitiger Heizung aller Theile einer Faser, wo also keine galvanische Differenz auftreten kann, diese Faser dem Tode durch Ersch\u00f6pfung anheimfallen w\u00fcrde, jedoch ist es mir bisher noch nicht gelungen eine geeignete Versuchsweise aufzufinden.","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie der Erregungsleitung. Nervenendigung im Muskel.\n257\nlogie er\u00f6rtert werden, \u00fcber welche aber erst zuk\u00fcnftige Untersuchungen Aufschluss geben k\u00f6nnen, so k\u00f6nnte aus diesen Elementen sich eine streng mathematische Theorie einer fortschreitenden Erregungswelle aufbauen.1\nDie erste Erregung durch den Reiz selbst aber kann man sich durch einen Anstoss auf die schon oben als gleichsam explosiv be-zeichnete wirksame Substanz des erregbaren Protoplasma bedingt denken. Bei dieser Beschaffenheit wird es auf die Natur des An-stosses weniger ankommen als auf seinen wirklichen Verlauf, \u00e4hnlich wie Dynamit durch die verschiedensten, aber stets pl\u00f6tzlichen Einwirkungen zur Explosion gebracht wird. Die Spaltung ist der Art, dass eine galvanische Reaction dadurch hervorgerufen wird, welche einerseits im obigen Sinne bewirkt, dass nur ein Theil des Vorraths an Ort und Stelle verzehrt wird, daf\u00fcr aber der Spaltungsproeess sogleich sich in der Nachbarschaft ausbreitet, andrerseits es begreiflich macht, dass gewisse Arten galvanischer Einwirkungen die wirksamsten Reize abgeben.\nMan k\u00f6nnte auf den Gedanken kommen, eine galvanische Gegenwirkung auch f\u00fcr die Beseitigung der Verk\u00fcrzung in Anspruch zu nehmen; allein die galvanischen Vorg\u00e4nge sind an der erregten Stelle abgelaufen ebe die Verk\u00fcrzung beginnt, k\u00f6nnen also mit deren Aufhebung nichts zu thun haben.\n5. Die Einwirkung des Nerven auf den Muskel.\nDie normale Erregung des Muskels geht, wie wir gesehen haben, stets vom Nerven aus, und f\u00fcr das Verst\u00e4ndniss dieses Vorganges ist von fundamentalem Interesse die anatomische Kenntniss der Verbindungsweise zwischen Nerv und Muskel. Als sicheres Resultat aller bisherigen anatomischen Untersuchungen l\u00e4sst sich hinstellen, dass die Nervenfasern, nachdem sie innerhalb des Muskels vielfache, meist dichotomische Theilungen eingegangen sind, markhaltig an die Muskelfasern herantreten, und mit diesen verwachsen. Das Neurilemm geht hierbei, wie K\u00fchne entdeckt hat, dessen Untersuchungen \u00fcberhaupt auf diesem Gebiete bahnbrechend wurden, in das Sarco-lemm \u00fcber, wobei letzteres h\u00e4ufig trichterf\u00f6rmig sich ersterem entgegen ausbuchtet, und der Inhalt des Nervenrohrs findet im Innern des Muskelschlauchs seine Fortsetzung. Diese letztere ist nun bei den verschiedenen Thierclassen sehr verschieden; bei den h\u00f6heren Classen ist die eben erw\u00e4hnte Ausbuchtung von einer k\u00f6rnigen, und\n1 Auch das langsame Fortkriechen des Absterbens am k\u00fcnstlichen Querschnitt k\u00f6nnte mit den Fig. 55 bei A angegebenen Str\u00f6mchen Zusammenh\u00e4ngen.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258 Hermann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht. d. Muskelcontraction.\nmit grossen Kernen versehenen Substanz ausgef\u00fcllt, dem 1840 von Doy\u00e8re am B\u00e4rthierchen entdeckten Nervenendh\u00fcgel oder der Nervenendplatte, welche der contraction Substanz aufliegt, und in welcher der Axencylinder verzweigt endet, anfangs noch mit Mark bekleidet, weiterhin nackt. In den niederen Thieren, von den nackten Amphibien ab, ist die Nervenendplatte nicht mehr deutlich nachweisbar, beim Frosch verzweigt sich der ohne H\u00fcgel eintretende Nerv weithin unter dem Sarcolemm; die Enden sind marklos und enden zugespitzt, meist nachdem sie vorher eine ein granulirtes K\u00f6rperchen enthaltende Anschwellung, die \u201eNervenendknospe\u201c, entwickelt haben. Bei den Arthropoden ist die Eintrittsstelle mehr oder weniger h\u00fcgelig und der H\u00fcgelinhalt, in welchem der Axencylinder verzweigt endet, vom quergestreiften Muskelinhalt durch ein Quantum der diesen Muskeln eigenen kernhaltigen, zuweilen die ganze Faser bekleidenden Masse getrennt. Auch die Endplatte der h\u00f6heren Thiere hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dieser Substanz. Eine Muskelfaser kann mehrere, ja viele Nerveneintrittsstellen besitzen.\nEntsprechend der Aufgabe dieses Werkes, und zumal da ich selbst keine eingehenden Erfahrungen \u00fcber die Anatomie der Nervenendigung besitze, wird auf weitere Details und auf die streitigen Puncte dieses Gegenstandes nicht n\u00e4her eingegangen ; die vorstehende kurze Uebersicht ist wesentlich den Angaben K\u00fchne\u2019s entnommen, dessen zusammenfassende Darstellung1 2 3 4 zugleich ein sehr vollst\u00e4ndiges Verzeiehniss der Literatur enth\u00e4lt. Der noch immer streitige Uebergang des Nerven in das Innere der Muskelfaser scheint nunmehr von der grossen Mehrzahl der Untersucher anerkannt; jedoch darf nicht zugegeben werden, dass er ein physiologisches Postulat sei (selbst wenn solche Postulate gegen\u00fcber directer anatomischer Untersuchung irgendwelche Bedeutung h\u00e4tten); denn es ist vollkommen denkbar, dass der vom Nerven ausgehende Erregungsvorgang ein electrischer ist, f\u00fcr welchen das leitende Sarcolemm kein absolutes Hinderniss bilden w\u00fcrde.\nDie anatomische Aehnlichkeit der Nervenendplatte mit der elec-trischen Platte der Zitterfische hat W. Krause 2 und K\u00fchne 3 veranlasst, auch eine physiologische Analogie beider Organe zu vermuthen und die Hypothese aufzustellen, dass die Nervenfaser vermittels der Endplatte der Muskelfaser einen eleetrischen Schlag ertheile. du Bois-Reymond 4 hat diese \u201eEntladungshypothese\u201c einer Experimentalkritik unterworfen. Vor allem findet nach ihm die zun\u00e4chstliegende\n1\tK\u00fchne, in Strieker\u2019s Handbuch der Lehre von den Geweben I. S. 147. Leipzig\n1871.\n2\tW. Krause, Ztschr. f. rat. Med. (3) XVIII. S. 152. 1863.\n3\tK\u00fchne, Arch. f. pathol. Anat. XXIX. S. 446. 1864.\n4\tdu Bois-Reymond, Monatsber. d. Berliner Acad. 1874. S. 519. (Ges. Abh. II. S. 698.)","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Nervenendigung im Muskel. Theorien \u00fcber dieselbe.\n259\nAnnahme, dass die Platte im Augenblick der Erregung Sitz einer zu ihrer Fl\u00e4che senkrechten electromotorischen Kraft w\u00fcrde, eine Schwierigkeit darin, dass sie dann die ihrem R\u00fccken benachbarte Muskelfaser anscheinend ebensogut erregen m\u00fcsste wie die, in welcher sie liegt1 ; Sachs 2 behauptet aber, dass eine erregte Nervenfaser ausschliesslich die von ihr versorgte Nervenfaser in Zuckung versetzt. Man m\u00fcsste also die electromotorische Anordnung sich so denken, dass Str\u00f6me nur zwischen Puncten der Sohlenfl\u00e4che auftreten, womit freilich die unmittelbare Analogie mit der electrischen Platte schon aufgegeben w\u00e4re.1 2 3 4 Nach Beseitigung einiger anderen Einw\u00e4nde gegen den vorliegenden Gedanken kommt du Bois-Reymond zu dem Resultat, dass die Entladungshypothese nicht widerlegt ist, findet es aber wahrscheinlicher, dass die negative Schwankung des Nervenstroms an der Erregung der Muskelfaser betheiligt ist, eine Vermuthung, welche er als \u201emodificirte Entladungshypothese\u201c bezeichnet.\nIn der That ist nun die letztere nichts Anderes als ein speeieller Fall des schon 1872 von mir angedeuteten Princips, dass die electromotorischen Erscheinungen, welche mit der Erregung verbunden sind, zur Weiterleitung der Erregung (und zur Beruhigung der erregten Theile selber) in innigster Beziehung stehen, und hierin die eigentliche Bedeutung der thierischen Electricit\u00e4t liegt. Wenn wirklich jeder Nervenfaser- und Muskelfaserquerschnitt den Nachbarquerschnitt durch die oben angedeuteten Str\u00f6mchen erregt, so wird h\u00f6chstwahrscheinlich etwas Aehnliehes auch an der Uebergangsstelle zwischen Nerven- und Muskelinhalt stattfinden, und man darf vermuthen, dass diese Uebergangsstelle so eingerichtet ist, dass sie jenen Vorgang zu besonders ergiebiger Wirksamkeit ausbildet. Jede speciellere Hypothese w\u00e4re aber verfr\u00fcht.\nEngelmann schreibt, wie schon oben (S. 23) erw\u00e4hnt, die Fortleitung der Erregung im Muskel ausschliesslich der isotropen Substanz zu, welche demnach gleichsam die Function des Nerven innerhalb der Muskelfaser fortsetzt ; Gerlach 4 hat sogar eine wirkliche morphologische Fortsetzung der Nervensubstanz innerhalb der ganzen Muskelfaser be-\n1\tIndessen scheint mir der Umstand, ob Sarcolemm zwischenliegt oder nicht, doch nicht so ganz irrelevant, zumal da Sachs f\u00fcr st\u00e4rkere Reize die M\u00f6glichkeit zu-giebt dass auch Nachbarfasern mitzucken.\n2\tSachs, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1874. S. 57.\n3\tKrause hat sp\u00e4ter (Arch. f. microsc. Anat. XIII. S. 170. 1876) darauf aufmerksam gemacht, dass die Endplatte ihre Muskelfaser theilweise umgreift und dadurch zu ihr eine andere galvanische Beziehung erlangt als zu den ihrem R\u00fccken anliegenden Fasern. Ygl. auch K\u00fchne, Untersuchungen d. physiol. Instit. zu Heidelberg IL S. 210. 1878 ; Tschirjew, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1878. S. 137.\n4\tGerlach, Das Verh\u00e4ltniss der Nerven zu den willk\u00fcrlichen Muskeln der Wir-belthiere. Leipzig 1874; Arch. f. microsc. Anat. XHI. S. 399. 1876.\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260 Hermann, Allg. Muskelphysik. 9. Cap. Theoret. Betracht. d.Muskelcontraetion.\nhauptet, indess bei andern Histologen entschiedenen Widerspruch gefunden.1 Der missgl\u00fcckte Versuch von J. Ranke, sowohl die Einwirkung des Nerven auf den Muskel als die Fortpflanzung der Erregung in Nerv und Muskel selbst, auf Bildung erregender Milchs\u00e4ure zur\u00fcckzuf\u00fchren, ist schon oben (S. 247) erw\u00e4hnt. Der Umstand, dass viele Muskelfasern mehr als eine Nerveneintrittsstelle haben, muss, bei der gr\u00f6sseren Leitungsgeschwindigkeit des Nerven, die m\u00f6glichst gleichzeitige Contraction der ganzen Faserl\u00e4nge bef\u00f6rdern. Die relativ grosse Empfindlichkeit der Nervenenden gegen\u00fcber Reizen und Sch\u00e4dlichkeiten ist schon im 2. und 5. Capitel mehrfach erw\u00e4hnt.\nSchlussbemerkung\u2019en.\nDie Lehre von der Sensibilit\u00e4t der Muskeln und Sehnen, sowie vom Muskelsinn, wird in der Empfindungslehre, im 3. Bande, die Frage des Muskeltonus bei der Physiologie der Centralorgane, im 2. Bande dieses Handbuches, behandelt.\nDie allgemeine Physiologie der glatten Muskeln kann beim jetzigen Standpunct unsrer Kenntniss noch nicht in der Weise behandelt werden wie die der quergestreiften. Gelegentlich sind bei der letzteren einzelne die glatten Muskeln betreffende Dinge erw\u00e4hnt worden. Der Hauptinhalt unsrer Kenntnisse \u00fcber die letzteren ist eigentlich mehr specielle Physiologie glattmuskeliger Organe, und es erschien daher am nat\u00fcrlichsten bei dieser, d. h. am Schl\u00fcsse des 5. Bandes, die glatten Muskeln im Zusammenh\u00e4nge zu betrachten.\nN ach tr\u00e4ge.\nZu Seite 20. Der Holzschnitt Fig. 4 hat sich leider w\u00e4hrend des Drucks etwas nach unten verschoben; erst wenn man ihn um etwa 1 mm. nach oben ger\u00fcckt denkt, passen die seitlichen Benennungen.\nZu Seite 138. Ueber die paralytischen Undulationen kommen mir nach dem Druck des Obigen neue Mittheilungen von Schife (Arch. d. scienc. phys. et nat. LXIV. p. 59. 1878) und von S. Mayer (Med. Centralbl. 1878. S. 581) zu Gesicht. Ersterer beobachtete sie auch an den Extremit\u00e4ten. Letzterer sah sie, wie meine Sch\u00fcler, durch Curare nicht gest\u00f6rt werden. Beide behaupten, dass sie von der arteriellen Blutzufuhr abh\u00e4ngig sind, was zu der im Text mitgetheilten Beobachtung im Gegensatz stehen w\u00fcrde. Schiff sah sie durch Beimischung von Gallensalzen zum Blute unterdr\u00fcckt, und erblickt hierin einen Beweis, dass das Blut den Reiz abgebe.\n1 Vgl. E. Fischer, ebendaselbst S. 365 : A. Eytald, Arch. f. d. ges. Physiol. XII. S. 529.1876 ; Biedermann, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth.LXXIV. Sep.-Abdr. 1876.","page":260}],"identifier":"lit36685","issued":"1879","language":"de","pages":"3-260","startpages":"3","title":"Erster Theil: Allgemeine Muskelphysik","type":"Book Section","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:16:03.807254+00:00"}