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{"created":"2022-01-31T16:37:13.897339+00:00","id":"lit36687","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 1: Handbuch der Physiologie der Bewegungsapparate","contributors":[{"name":"Engelmann, Th. W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 1: Handbuch der Physiologie der Bewegungsapparate, edited by Ludimar Hermann, 341-408. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"PHYSIOLOGIE\nDER\nPROTOPLASMA- uro FLIMMEEBEWEGlfflG\nVON\nProf. Dr. TH. W. EMELMAM in Utrecht.","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"\n\n\n\n","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"ERSTES CAPITEL.\nDie Protoplasmabewegung.\nI. Einleitung.\nLebendiges Protoplasma besitzt in sehr vielen F\u00e4llen die F\u00e4higkeit sich selbstst\u00e4ndig, mit einer, wenigstens dem bewaffneten Auge merklichen Geschwindigkeit zu bewegen. Die Bewegungen \u00e4ussern sich in Aenderung der Form und inneren Anordnung bei anscheinend gleichbleibendem Volum der protoplasmatischen Massen, k\u00f6nnen auch k\u00fcnstlich, durch sogenannte Reize, hervorgerufen bez\u00fcglich beeinflusst werden und sind in ihrem Zustandekommen an die allgemeinen Lebensbedingungen gebunden. Hierin also stimmen sie mit den Bewegungen der Muskelfasern und Flimmerorgane \u00fcberein, mit denen sie zudem durch zahlreiche Uebergangsformen direkt verbunden sind. Sie werden desshalb mit jenen beiden Arten organischer Bewegung unter dem Namen der Contraktilit\u00e4tserscheinungen zusammengefasst.\nDas Eigenth\u00fcmliche der Protoplasmabewegungen liegt nun zun\u00e4chst darin, dass die Theilchen der contraktilen Masse im Allgemeinen nicht um eine feste Gleichgewichtslage sich bewegen, sondern ihre Anordnung anscheinend ganz beliebig, \u00e4hnlich den Theilchen einer Fl\u00fcssigkeit, \u00e4ndern k\u00f6nnen. Ferner wird der Anstoss zu den Bewegungen normalerweise nicht von aussen zugef\u00fchrt, sondern in den sich bewegenden Theilchen selbst erzeugt. Das Protoplasma besitzt also nicht nur Contraktilit\u00e4t und Reizbarkeit sondern auch Automatie. Es vereinigt in sich drei Eigenschaften, die bei den Flimmerorganen \u00fcber zwei (Protoplasma und Cilien), bei den Muskeln \u00fcber drei (Ganglien, Nerven, Muskeln) histiologisch differente Apparate vertheilt zu sein pflegen, entspricht also einer niedrigeren Organisationsstufe. Hierzu stimmt seine ausserordentlich weite Verbreitung in pflanzlichen wie thierischen Organismen, sein Vorherrschen gerade bei den niedersten Lebensformen der beiden Reiche, sowie bei embryonalen, \u00fcberhaupt jugendlichen Zellen, nicht minder der Mangel eines zusammengesetzteren anatomischen Baues (s. unten).","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\nV\u00f6llig scharfe Grenzen zwischen Protoplasmabewegung und anderen Formen organischer Bewegung lassen sich nicht ziehen. Ueberg\u00e4nge zwischen Protoplasma- und Muskelbewegung weisen auf: Die Leibessubstanz vieler Infusorien 1 2 3 4, die Tentakeln der Acineten, die oberfl\u00e4chliche Sarkode der Schw\u00e4mme 2, embryonale Muskelzellen h\u00f6herer Thiere, Endothelzellen mancher namentlich junger Blutcapillaren3 u. s. f. Auch sei an die unter Nerveneinfluss stehenden contraktilen Pigmentzellen in der Haut von Crustaceen, Fischen, Amphibien und Reptilien erinnert.4 \u2014 Ueberg\u00e4nge von Protoplasma- in Flimmerbewegung bez\u00fcglich das Umgekehrte beobachteten u. a. de Bary bei Sporen von Myxomyceten5, Haeckel bei Protomyxa6, bei Flimmerepithelien von Kalkschw\u00e4mmen7, an Furchungskugeln von Siphonophoren8, Clark bei Flagellaten.9 \u2014\nVon den w\u00e4hrend des Wachsthums und der Neubildung, Theilung, Befruchtung u. s. w. von Zellen eintretenden Aenderungen in der \u00e4usseren Gestalt und inneren Anordnung des Protoplasma ist die eigentlich sogenannte Protoplasmabewegung haupts\u00e4chlich durch gr\u00f6ssere Geschwindigkeit und durch das Fehlen aller Beziehungen zu Wachsthum und Fortpflanzung, meist auch schon durch den best\u00e4ndigen Richtungswechsel unterschieden. Aber auch hier besteht keine scharfe Grenze wie u. a. die Erscheinungen bei der Theilung von Protamoeben, Amoeben und farblosen Blutzellen, und die Str\u00f6mungen im Innern wachsender und zur Sporenbildung sich anschickender Zellen mancher Algen und Pilze10 beweisen.\nZur Geschichte. Die \u00e4lteste Beschreibung einer Protoplasmabewegung, welche ich habe ausfindig machen k\u00f6nnen, r\u00fchrt von R\u00f6sel von Rosenhof11 her. Der \u201ekleine Proteus\u201c, welchen dieser vortreffliche Beobachter im Jahre 1755 beschreibt und abbildet, war eine grosse S\u00fcsswasseram\u00f6be. R\u00f6sel unterschied bereits das k\u00f6rnerreiche Innere und die hyaline Rindenschicht (\u201e ein zartes \u00e4usseres H\u00e4utlein \u201c), schildert den unabl\u00e4ssigen Formenwechsel, das Kugligwerden infolge mechanischer Reizung und die Theilung, letzteres beil\u00e4ufig die erste direkte Beobachtung einer Zelltheilung. Erst nahezu 20 Jahre sp\u00e4ter (17 72) f\u00e4llt Bonaventura\n1\tTh. W. Engelmann, Contraktilit\u00e4t u. Doppelbrechung. Arch. f. d. ges. Physiol. XL S. 448. 1875.\n2\tLieberk\u00fchn, Ueb. Bewegungserschein, d. Zellen S. 346. Marburg 1870.\n3\tVgl. u. a. S. Stricker, Untersuchungen \u00fcber die Contraktilit\u00e4t der Capillaren. Wiener Sitzgsber. d. math.-naturw. Cl. LXXIV. S. 313. 1877.\n4\tEine Zusammenstellung der ziemlich umfangreichen Literatur dieses Gegenstandes bei G. Seidlitz, Beitr\u00e4ge zur Descendenztheorie S. 31-\u201436. Leipzig 1876. Nachzutragen w\u00e4re Hering, Ueb. d. Beweg, d. sternf\u00f6rm. Pigmentzellen u. s.w. Mitgeth. von Hoyer, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1869. Nr. 4. S. 49.\n5\tZtschr. f. wissensch. Zool. X. S. 153. 1860.\n6\tJenaische Ztschr. IV. S. 87. 1868.\n7\tIbid. V. S. 543. 1870.\n8\tEntwickelungsgesch. d. Siphonoph. Taf. VI, Fig. 36 ; Taf. XIV. Fig. 93. Utrecht\n1869.\n9\tMem. Boston. Soc. nat. hist. 1867. PI. IX. u. X.\n10\tUeber letztere Erscheinungen vgl. die Zusammenstellung bei W. Hofmeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle S. 45 f. Leipzig 1867.\n11\tR\u00f6sel von Rosenhof , Der monatlich herausgegebenen Insektenbelustigungen dritter Theil. S. 621\u2014623. Taf. CI. Fig. A\u2014W. N\u00fcrnberg 1755. \u2014 Der kurz zuvor von Baker beschriebene \u201eProteus\u201c ist Trachelocerca olor, ein holotriches In-fusor.","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Geschichte.\n345\nCorti\u2019s1 bekannte Entdeckung der Rotation des \u201eZellsaftes\u201c bei Characeen. Die weite Verbreitung des Ph\u00e4nomens in Pflanzenzellen wurde dann namentlich im ersten Drittel des Jahrhunderts durch die Beobachtungen von Meyen (Vallisneria, Hydrocharis, 1827), Rob. Brown (Staubfadenhaare von Tradescantia 1831), Amici und anderen nachgewiesen. Von h\u00f6chster Bedeutung war Dujardin\u2019s2 3 Entdeckung des Vorkommens einer ungeformten contraktilen Leibessubstanz bei vielen niederen Thieren (Rhizopoden, Infusorien, Polypen u. a.). Seine Beschreibungen dieser von ihm Sarkode genannten Substanz und ihrer Bewegungen sind noch heute im Wesentlichen zutreffend. Er sah zuerst die K\u00f6rnchenstr\u00f6mung an den Pseudopodien der Rhizopoden. Bald fand man auch an Zellen h\u00f6herer Thiere Bewegungserscheinungen, welche denen der Sarkode auff\u00e4llig glichen (Li-max-Eier, Dujardin 1837, Planarien-Eier v. Siebold 1841, farblose Blutk\u00f6rperchen, Wharton Jones 1846 u. a.). Ecker 3 wies (1849) auf die Zusammengeh\u00f6rigkeit der verschiedenen \u201e geformten\u201c (Muskeln, Flimmerhaare) und \u201eungeformten\u201c contraktilen Substanzen der Thiere, und ein Jahr sp\u00e4ter (1850) sprach Ferd. Cohn4 aus und belegte mit guten Gr\u00fcnden, dass die aktiv bewegliche Substanz in den Pflanzenzellen, die man seit H. von Mohl5 6 (1846) als Protoplasma vom \u201eZellsaft\u201c unterschied \u201e und die contraktile Substanz und Sarkode der Zoologen wo nicht identisch so doch in hohem Grade analoge Bildungen sein m\u00fcssen. \u201c Dass es nicht, wie man bis dahin unter dem Einfluss der \u00e4lteren Zellentheorie meinte, die Zellmembran sei, die die Contraktionen thierischer Zellen vermittele, sondern der sogenannte Zellinhalt, wurde von Donders 6 hervorgehoben. Die wesentliche Identit\u00e4t thierischer und pflanzlicher Protoplasmabewegung ist seitdem durch die morphologischen und physiologischen Untersuchungen von Max Schultze7, Unger8, de Bary9, Haeckel10,\n1\tB. Corti, Osservazioni microsc. sulla Tremella e sulla circolazione del fluido in una pianta acquajola. Lucca 1774.\n2\tDujardin, Observ.nouv. sur les C\u00e9phalopodes microscop. Bull, de la Soc. des Sc. natur. de France. No. 3. 1835; Ann. des Sc. natur. III. 2. S\u00e9r. p. 312. 1835; Ibid. IV.p. 343. 1835(Sarcode).\n3\tAlex. Ecker, Zur Lehre vom Bau und Leben der contraktilen Substanz der niedersten Thiere. Ztschr. f. wissensch. Zool. I. S. 218\u2014249.1849.\n4\tF. Cohn, Nachtr\u00e4ge zur Naturgeschichte des Protococcus pluvialis. Nova Acta Acad. Leop. Caes. etc. XXII. 2. S. 605. 1850.\n5\tH. von Mohl, Ueber die Saftbewegung im Innern der Zelle. Bot. Zeitung S. 73\n1846.\n6\tF. C. Donders, Form, Mischung und Funktion der elementaren Gewebstheile im Zusammenhang mit ihrer Genese betrachtet. Ztschr. f. wissensch. Zool. IV. S. 249. 1852. (Uebersetzt a. d. Nederl. Lancet. Derde Ser. I. S. 84 f. 1851\u201452.)\n7\tMax Schultze, Ueber den Organismus derPolythalamien. Leipzig 1854. Ueber innere Bewegungserscheinungen bei Diatomeen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1858. S. 330. Ueber Muskelk\u00f6rperchen und das was man eine Zelle zu nennen habe. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 1. (Von diesem Artikel her schreibt sich die Uebertragung des Terms Protoplasma auf den \u201eInhalt\u201c der thieri sehen Zellen.) \u2014 Das Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzenzellen. Leipzig 1863.\n8\tF. Unger, Anatomie und Physiologie der Pflanzen S. 273\u2014284. Pesth, Wienu. Leipzig 1855.\n9\tA. de Bary, Die Mycetozoen. Ztschr. f. wissensch. Zool. X. S. 88\u2014175 (besonders S. 121 f.) 1859. Taf. VI\u2014X. \u2014 Die 2. vielfach vermehrte Auflage separat unter dem Titel: Die Mycetozoen (Schleimpilze). Leipzig 1864.\n10\tE. H. Haeckel, Die Radiolarien. Berlin 1862 (besonders S. 89f.). Ueber den","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. Die Protoplasmabew.\nK\u00fchne* 1 naher erwiesen und durch dieselben Forscher, sowie durch Nae-geli, Br\u00fccke, Heidenhain, Cienkowsky, Hofmeister u. a. \u00fcberhaupt die n\u00e4here Kenntniss der Bewegung und ihrer Bedingungen aufs Manniclifachste gef\u00f6rdert worden. Auf die Wanderungen am\u00f6boider Zellen in thierischen Geweben ward durch von Recklinghausen2 (1863) die allgemeine Aufmerksamkeit gelenkt, und durch denselben Forscher, wie durch Stricker, Cohnheim u. a. die Bedeutung dieser Wanderungen f\u00fcr viele physiologische und pathologische Vorg\u00e4nge im thierischen Organismus dargethan.\nII. Physikalische und chemische Eigenschaften des contraktilen Protoplasma.\nDasselbe erscheint optisch als eine homogene, durchsichtige, fast immer farblose Masse, welche das Licht st\u00e4rker als Wasser, schw\u00e4cher als Oel bricht. In einigen F\u00e4llen, in denen es in Form von dickeren Fasern oder hautartigen Schichten mit einer vorherrschenden Bewegungsrichtung auftritt (Pseudopodien von Actinosphaerium Eichhorni, cortikales Protoplasma von Stentob) wurde es deutlich doppelbrechend gefunden und zwar in Uebereinstimmung mit Muskeln und Flimmerhaaren positiv einaxig, die optische Axe mit der Bewegungsrichtung zusammenfallend.3\nVerschiedene Partien der n\u00e4mlichen Protoplasmamassen k\u00f6nnen verschiedenes Brechungsverm\u00f6gen haben. Bei nackten am\u00f6boiden Pro-toplasmen sind meist die oberfl\u00e4chlichen Lagen st\u00e4rker brechend als die inneren; in den Pseudopodien von Actinosphaerium und vieler Rhizopoden unterscheidet man eine stark lichtbrechende Axen-schicht. W\u00e4hrend der Bewegungen \u00e4ndert sich h\u00e4ufig das Lichtbrechungsverm\u00f6gen der n\u00e4mlichen Partie innerhalb ziemlich weiter Grenzen.\nDie mechanischen Eigenschaften erscheinen gew\u00f6hnlich als die einer mehr oder minder z\u00e4hfl\u00fcssigen, mit Wasser nicht mischbaren, quellungsf\u00e4higen Substanz: m\u00e4ssige Coh\u00e4sion, grosse Dehnbarkeit, bei sehr geringer und ziemlich unvollkommener Elasticit\u00e2t, Streben Tropfenform anzunehmen. Sie variiren \u00fcbrigens sowohl f\u00fcr verschiedene Arten wie f\u00fcr verschiedene Stellen des n\u00e4mlichen Protoplasma und \u00e4ndern sich h\u00e4ufig in kurzer Zeit an der n\u00e4mlichen Stelle. Bei\nSarkodek\u00f6rper der Rhizopoden. Ztschr. f. wissensch. Zool. XV. S. 342. 1865 und viele andere Arbeiten besonders in der Jenaischen Zeitschrift.\n1\tW. K\u00fchne , Untersuchungen \u00fcber das Protoplasma und die Contraktilit\u00e4t. Leipzig 1864; s. auch Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 564 u. 748.\n2\tF. von Recklinghausen, Ueber Eiter- und Bindegewebsk\u00f6rperchen. Arch. f. pathol. Anat. XXVIII. S. 157 f. Taf. II. 1863.\n3\tArch. f. d. ges. Physiol. XL S. 449 u. 454 f. 1875.","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"Physikalische und chemische Eigenschaften.\n347\nnackten am\u00f6boiden Protoplasmen ist meist die oberfl\u00e4chliche Schicht fester als das Innere, kann sogar, dauernd oder vor\u00fcbergehend, zu einer ziemlich festen Membran werden. F\u00fcr gew\u00f6hnlich fehlt eine solche jedoch, da an jeder beliebigen Stelle der K\u00f6rperoberfl\u00e4che feste K\u00f6rper aufgenommen werden k\u00f6nnen, wie F\u00fctterung mit Farbstoffk\u00f6rnchen (Indigo, Karmin u. s. w.) in jedem Falle leicht zu beobachten g'estattet.1 \u2014 In vielen F\u00e4llen ist das Innere fester, die oberfl\u00e4chliche Schicht sehr weich, oft klebrig (Pseudopodien vieler Rhizopoden, Actinospkaerium u. a.).\nFast ausnahmslos birgt das Protoplasma Einschl\u00fcsse, welche bei den Bewegungen eine passive Rolle spielen. Abgesehen von zuf\u00e4lligen Vorkommnissen, wie von aussen aufgenommenen festen K\u00f6rpern, sowie von Kerngebilden, sind es namentlich K\u00f6rnchen und Vakuolen, meist von \u00e4usserst geringer Gr\u00f6sse. Die K\u00f6rnchen k\u00f6nnen in sehr grosser Zahl, aber auch sehr sparsam Vorkommen. Die meisten scheinen albuminoider, andere fettiger, wieder andere anorganischer Natur (kohlensaurer Kalk z. B. bei einigen Myxoplasmodien) zu sein. Selten sind Farbstoffk\u00f6rnchen (manche Myxomyceten, Protamoeba aurantiaca etc.).\nSehr h\u00e4ufig finden sich die K\u00f6rnchen ausschliesslich im Innern des Protoplasma. Man unterscheidet dann eine, oft ziemlich dicke glashelle k\u00f6rnerfreie Rindenschicht oder Hautschicht und eine k\u00f6rnige und deswegen tr\u00fcbe Innenmasse (besonders deutlich bei Am\u00f6ben und Myxoplasmodien). Beide k\u00f6nnen zeitweise sehr scharf von einander abgegrenzt erscheinen, sie pflegen sich jedoch w\u00e4hrend der Bewegungen best\u00e4ndig zu vermischen und wieder zu trennen.\nWo k\u00f6rnchenhaltiges Protoplasma sich zu sehr d\u00fcnnen F\u00e4den gestaltet (Pseudopodien der Rhizopoden, Radiolarien u. s. w., Fadennetz von Noctiluca, viele Pflanzenzellen), ragen die K\u00f6rnchen oft \u00fcber die Oberfl\u00e4che hervor. Ja sie kommen dann nicht selten Vorzugs-weise in der oberfl\u00e4chlichen Schicht vor. Auch Fremdk\u00f6rper bleiben leicht an der Oberfl\u00e4che nackter Protoplasmen kleben und k\u00f6nnen dann in derselben Weise wie die eigenen K\u00f6rnchen fortbewegt werden (Rhizopoden, Oscillarien, Diatomeen u. s. f.).\nDie sehr k\u00f6rnerreichen Partien des Protoplasma scheinen im Allgemeinen eine geringere Coh\u00e4sion als die k\u00f6rnerfreien zu besitzen. So str\u00f6mt das k\u00f6rnerreiche Innere der Myxoplasmodien und Am\u00f6ben oft innerhalb der festeren Rindenschicht wie eine d\u00fcnnfl\u00fcssige Emul-\n1 E. Haeckel. Die Radiolarien S. 104\u2014106; v. Recklinghausen, Arch. f. pa-thol. Anat. XXVIII. S. 184: W. Preyer, ibid. XXX. S. 420; M. Schultze. Arch. f. microscop. Anat. I. S. 23.","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\nsion in einem Schlauche. Nicht selten auch zeigen die K\u00f6rnchen unregelm\u00e4ssig zitternde und tanzende Bewegungen anscheinend ganz derselben Art, wie sie kleinsten in d\u00fcnnen Fl\u00fcssigkeiten schwebenden Theilchen eigen ist (BroWischer Molekularbewegung). So z. B. im Endoplasma von Vorticellinen, im Innern vieler Myxomyceten, im Protoplasma vieler Pflanzenzellen. Besondere mit Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllte Vakuolen innerhalb des Plasma, in welchen die Bewegungen etwa stattf\u00e4nden, sind dabei keineswegs immer oder auch nur h\u00e4ufig zu entdecken. Es scheint vielmehr das ganze Plasma an jenen Stellen nahezu die Coh\u00e4sion einer d\u00fcnnen Fl\u00fcssigkeit zu haben. \u2014 An der Oberfl\u00e4che sehr d\u00fcnner Protoplasmaf\u00e4den (viele Pflanzenzellen, Pseudopodien der Rhizopoden z. B.) ist auch die Beweglichkeit der K\u00f6rnchen meist viel gr\u00f6sser wie in der mehr hyalinen Axe. Auch fliessen solche F\u00e4den wie gew\u00f6hnliche Schleimf\u00e4den sehr leicht unter \u201eSchwimmhautbildung\u201c zusammen, was von hyaliner Rindenschicht umgebene Protoplasmamassen nicht leicht thun.\nDass \u00fcbrigens das Zusammenfliessen nicht oder doch nicht immer bloss vom vorherigen Coh\u00e4sionsgrad der Substanz abh\u00e4ngt, folgt aus der h\u00f6chst beachtenswerten Thatsache, dass Pseudopodien verschiedener Rhizopodenindividuen 1 sowie Ausl\u00e4ufer speeifisch verschiedener Plasmodien 2 niemals mit einander verschmelzen.\nOhne Zweifel werden die angef\u00fchrten Coh\u00e4sionsunterschiede wesentlich von Unterschieden im Gehalt an Imbibitionswasser bedingt, wie schon der der Coh\u00e4sion gleichsinnig variirende Brechungsindex lehrt. Auch k\u00f6nnen sie k\u00fcnstlich unter entsprechenden Aenderungen des Volums und Lichtbrechungsverm\u00f6gens durch Quellung und Schrumpfung machende Mittel hervorgerufen werden (s. unten). Es kommt ferner gerade im leichtbeweglichen, k\u00f6rnerreichen Protoplasma oft zur Ausscheidung von Fl\u00fcssigkeit in Form kleiner Tropfen: Vakuolenbildung. Das Plasma kann infolge davon ein schaumiges Ansehen erhalten. In ruhenden Protoplasmapartien ist die Form dieser Vakuolen meist rein kuglig; bei den Bewegungen kann sie mannich-fach verzogen werden, strebt aber immer zur Kugelgestalt zur\u00fcck.\nDasselbe gilt von der Form der Gasblasen3, die in einigen F\u00e4llen (Arcella, Amoeba) im Protoplasma beobachtet worden sind.\n1\tMax Schvltze, Das Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzenzellen S. 25.\n2\tCienkowsky , Zur EntwickelungsgescliicMe der Myxomyceten. Jahrb. f. wis-sensch. Bot. IR. S. 335. 1863 ; de Bary, Die Mycetozoen. 2. Aufl. S. 40.1864.\n3\tTh. W. Engelmann, Beitr\u00e4ge z. Physiol, d. Protoplasma. Arch. f. d. ges. Physiol. II. S. 307. 1869; Zool. Anzeiger I. S. 152. 1878.","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"Chemische Zusammensetzung.\n349\nIn Bezug auf die chemische Zusammensetzung des reinen Protoplasma ist man wesentlich auf mikrochemische Keaktionen angewiesen. Dem entsprechend sind die vorhandenen Kenntnisse nur \u00e4usserst d\u00fcrftige. Im Besonderen l\u00e4sst sich kein chemisches Merkmal angeben, durch welches sich contraktiles von nicht contraktilem Protoplasma unterschiede.\nIm Leben ist die Reaktion wohl meist schwach alkalisch oder neutral1; bei Aethalium septicum immer deutlich alkalisch.2 Doch sah ich mitunter blaue Lakmusk\u00f6rnchen innerhalb weniger Minuten nach der Aufnahme ins contraktile Endoplasma von Stylonychia my-tilus und pustulata, Paramaecium aurelia und Amoeba diffluens roth werden und weiterhin bleiben. \u2014 Unter den festen Substanzen, die zusammen oft wohl kaum 10\u201420% des Gesammt - Gewichtes ausmachen, bilden ohne Zweifel Eiweissk\u00f6rper weitaus die Hauptmasse, wie allgemein im Protoplasma. Und zwar scheinen stets verschiedene Eiweissk\u00f6rper nachweisbar zu sein, unter denen wenigstens einer schon bei niedriger Temperatur (meist unter 50\u00b0) gerinnt. Ausserdem fehlen wohl nie Kohlenhydrate (in den Plasmodien von Aethalium kommt eine glycogenartige Substanz in grosser Menge vor3), Fett, anorganische Stoffe, namentlich Kaliverbindungen. Lecithin scheint gleichfalls h\u00e4ufig vorzukommen. In den Plasmodien von Aethal. septicum findet sich ein peptisches Enzym.4\nIII. Die spontanen Bewegungen des Protoplasma.\nInfolge der im Eingang angedeuteten Eigent\u00fcmlichkeiten zeigen die Protoplasmabewegungen im Allgemeinen eine grosse Verschiedenheit und Ver\u00e4nderlichkeit der Erscheinungsweise, derart dass es nicht m\u00f6glich ist eine kurze auf alle F\u00e4lle passende Beschreibung zu geben. Man kann jedoch gewisse Typen unterscheiden, auf deren Schilderung die Darstellung sich beschr\u00e4nken darf unter Hinweis auf die Thatsache, dass dieselben durch zahlreiche Zwischenformen miteinander verbunden sind.\n1\tTh. W. Engelmann, Ueber die Flimmerbewegung. Jenaische Ztschr. f. Med. u. Naturw. IV. S. 469, Anm. 1868.\n2\tBrief! Mittbe\u00fc. von de Bary; C. F. W. Krukenberg, Unters, d. physiol. Instit. d. Univ. Heidelberg II. S. 273. 187,8.\n3\tBrief!. Mittheil, von W. K\u00fchne.\n4\tKrukenberg, a. a. 0.","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. Die Protoplasmabew.\n1. Bewegungen 7iackter Protoplasme?!.\nHier kann man drei Haupttypen unterscheiden, die als am\u00f6boide Bewegung, F\u00e4dchenstr\u00f6mung und Glitschbewegung bezeichnet werden m\u00f6gen.\nDie am\u00f6boide Bewegung \u00e4ussert sich im Aussenden und Einziehen glatter, rundlicher, konischer oder hautartiger, anfangs meist hyaliner Forts\u00e4tze, in welche k\u00f6rnige Masse aus dem Innern ein- und auszustr\u00f6men pflegt.1 Die Forts\u00e4tze k\u00f6nnen unver\u00e4stelt bleiben, oder sich verzweigen, auch Netze bilden.\nIm einfachsten hierhergeh\u00f6rigen Falle sieht man nur langsame, unbedeutende Schwankungen der \u00e4usseren Form der Masse, die dabei ihren Ort nicht \u00e4ndert. So bei den Eizellen vieler Wirbelthiere vor der Befruchtung. Verwickelter schon sind die Erscheinungen, wie sie die Am\u00f6ben, Myxam\u00f6ben, Arcellen, Difflugien, viele Moneren, manche thierische Eizellen (Hydra, Spongien), die weissen Blutk\u00f6rper der meisten Thiere, Eiterzellen, wandernde Zellen im Bindegewebe und manchen Epithelien (Froschhornhaut) u. a. zeigen. Hier kommt es zu umfangreichen, oft sehr lebhaften Str\u00f6mungen in dem meist k\u00f6rnerreichen Inneren und zu best\u00e4ndigem Formwechsel durch Entstehen und Vergehen mannichfach gestalteter, aber fast stets unver-schmolzen bleibender Ausl\u00e4ufer. Indem die Ausl\u00e4ufer sich an feste K\u00f6rper heften, k\u00f6nnen sie durch ihre Verk\u00fcrzung das \u00fcbrige Protoplasma nach sich ziehen und so Ortsbewegungen veranlassen. Die Geschwindigkeit der letzteren variirt mit Art und Umst\u00e4nden, bleibt aber immer nur mikroskopisch. Werthe von V2 mm. in der Minute, wie sie von Am\u00f6ben mitunter erreicht werden, geh\u00f6ren schon zu den Seltenheiten. \u2014 Die Kraft der am\u00f6boiden Bewegungen muss ganz erhebliche Werthe erreichen k\u00f6nnen. Die Wanderzellen der Froschhornhaut bewegen sich beispielsweise zwischen den Fibrillen und Lamellen, andere zwischen den Epithelzellen hindurch, die sie dabei auseinanderschieben m\u00fcssen.\nFig. 1 (s. die folgende Seite) zeigt in a bis p verschiedene Formen, welche ein und dasselbe farblose Blutk\u00f6rperchen vom Frosch im Laufe einer Reihe von Minuten nach einander annahm. N\u00e4heres s. unten S. 357.\nAm mannichfachsten und \u2014 wegen der grossen Dimensionen der Protoplasmamassen und der meist sehr grossen (mitunter schon makroskopischen) Geschwindigkeit der Bewegung \u2014 f\u00fcr die Untersuchung am zug\u00e4nglichsten erscheint die am\u00f6boide Bewegung bei\n1 Zuerst n\u00e4her und bereits sehr treffend beschrieben von 0. Fr. M\u00fcller, Ani-malcula infusoria etc. p. 10. 1786.","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"Am\u00f6boide Bewegung.\n351\nden Plasmodien der Myxomyeeten. Hier kommt es durch Verschmelzung der Ausl\u00e4ufer gew\u00f6hnlich zur Bildung von Protoplasmanetzen, welche mitunter Fl\u00e4chen von mehreren Quadratcentimetern bedecken.\n\n...\n\nFig. 1. Ein farbloses Blutk\u00f6rpereben vom Frosch unter dem Einfluss steigender (bis m) und Tvieder abnehmender Temperatur.\nA. de Baby1 schildert die Bewegungen folgendermassen: \u201eSie sind von zweierlei Art. Erstlich sieht man an jedem einigermassen durchsichtigen Plasmodium einen grossen Theil der K\u00f6rner in lebhafter Str\u00f6mung begriffen. In jedem der fadenf\u00f6rmigen Aeste geht immer nur ein Strom der L\u00e4nge des Astes nach; an den Verzweigungsstellen theilt sich derselbe h\u00e4ufig den Zweigen entsprechend, oder die der letzteren fliessen alle in den Hauptstrom ein; nicht selten setzt sich aber auch die Str\u00f6mung nur in einen Seitenzweig fort, w\u00e4hrend in anderen entgegengesetzte oder keine Bewegung herrscht. In den glatten hautartigen Ausbreitungen laufen meistens zahlreiche verzweigte Str\u00f6me, entweder nach der gleichen oder nach verschiedenen Richtungen und nicht selten gehen entgegengesetzte Str\u00f6mungen dicht neben einander her. \u201c\n\u201eDie peripherische Substanz, inmitten welcher die K\u00f6rnerstr\u00f6me laufen, zeigt eine von diesen grossentheils anscheinend unabh\u00e4ngige Bewegung, welche in einer langsam fliessenden oder undulirenden Umriss\u00e4nderung und wechselndem Austreiben und Wiedereinziehen kleiner Zweiglein und Forts\u00e4tze besteht.\u201c \u201eDie K\u00f6rner sind bei allen diesen Bewegungen oft ganz unbetheiligt ; oft treten sie aber auch in gr\u00f6sserer oder geringerer Zahl in die kleinen Tentakelzweige ein.\u201c \u201eDie Lebhaftigkeit der peripherischen Bewegungen ist sehr verschieden, oft bemerkt man auch\n1 A. de Bary, Die Mycetozoen. 2. Aufl. S. 43 f. Leipzig 1864.","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"352 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\nbei anhaltender Beobachtung nur sehr unbedeutende Umriss\u00e4nderungen, und insonderheit sehen die flachen Ausbreitungen oft aus wie eine vollkommen ruhende, von bewegungslosen K\u00f6rnchen durchs\u00e4ete Platte, welche von den Str\u00f6men durchzogen wird. \u201c\n\u201eGanz besonders in dem letzteren Falle hat es oft den Anschein, als sei das Plasmodium aus zweierlei ganz verschiedenen Substanzen zusammengesetzt, einer str\u00f6menden k\u00f6rnerreichen Fl\u00fcssigkeit und einer z\u00e4hen langsam fliessenden; und als bewegte sich jene innerhalb der letzteren in besonderen festwandigen Can\u00e4len. Allein man sieht nicht selten an durchsichtigen Plasmodiumtheilen neue Str\u00f6mchen entstehen, indem die K\u00f6rner eines ruhenden St\u00fcckes sich pl\u00f6tzlich gegen einen Hauptstrom hin in Bewegung setzen, und andere aufh\u00f6ren und vollst\u00e4ndig alle Eigenschaften der str\u00f6mungsfreien Partieen annehmen. Die ruhenden K\u00f6rner am Rande eines st\u00e4rkeren Stromes k\u00f6nnen pl\u00f6tzlich in eine dem Strome folgende Bewegung gerathen und jede scharfe Grenze zwischen str\u00f6men-mendem und ruhendem Theile verschwinden.\u201c (S. 45.)\n\u201eBeobachtet man Str\u00f6me, welche aus Zweigenden zur\u00fccklaufen, so fallen zweierlei Erscheinungen auf. Entweder werden die Enden stark eingezogen, befinden sich unverkennbar in einem Zustande energischer Contraktion und die Str\u00f6mung ist den Enden zun\u00e4chst am lebhaftesten und nimmt in centrifugaler Richtung \u201c (nach dem Ziel zu) \u201e an Schnelligkeit ab. Oder die Enden aus denen der Strom zur\u00fcckl\u00e4uft, sinken langsam zusammen und die Geschwindigkeit des Stromes nimmt in centrifugaler Richtung stetig zu.\u201c\n\u201eWo ein lebhafter Strom in die Zweigenden geht und diese rapid anschwellen und neue Zweige treiben l\u00e4sst, sieht es aus als werde die K\u00f6rnermasse mit Gewalt in die Enden eingepresst. Sucht man nach dem Sitze der treibenden Kraft, indem man den Strom gegen seine Ursprungsstelle verfolgt, so findet man gerade in den exquisiten F\u00e4llen nirgends eine Umriss\u00e4nderung, welche eine der Stromst\u00e4rke irgend entsprechende Contraktion der Theile von denen der Strom herkommt anzeigt ; dagegen ist es meist sehr deutlich, dass die in den Zweigenden laufenden Str\u00f6me in centrifugaler Richtung an Geschwindigkeit zunehmen.\u201c (S. 47 und 48.) Nach Hofmeister 1 pflegt die K\u00f6rnerstr\u00f6mung der Myxomycete-n an ihrem Ziele zu beginnen und r\u00fcckw\u00e4rts um sich zu greifen, was auch f\u00fcr viele andere F\u00e4lle am\u00f6boider Bewegung sich best\u00e4tigen l\u00e4sst und theoretisch wichtig ist.\nDie F\u00e4dchenstr\u00f6mung findet sich bei fast allen Rhizopoden, bei den Heliozoen und Radiolarien, und bei einigen Moneren. Es entspringen hier aus dem Protoplasmaleib d\u00fcnne und lange Protoplasmaf\u00e4den, sog. Pseudopodien, Wurzelf\u00fcsse, meist in grosser Zahl, an deren Oberfl\u00e4che feine K\u00f6rnchen in meist lebhaft str\u00f6mender Bewegung sind. Die F\u00e4den selbst zeigen oft zeitweis gar keine, zu anderen Zeiten langsame Formver\u00e4nderungen, die in gleickm\u00e4ssiger Verl\u00e4ngerung oder Verk\u00fcrzung, in Varikosit\u00e4tenbildung, auch wohl\n1 W. Hofmeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle S. 1\u201c. Leipzig 1867.","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"F\u00e4dchenstr\u00f6mung.\n353\nin Kr\u00fcmmungen und Knickungen, und Ver\u00e4stelung bestehen. Sie k\u00f6nnen ganz in die contraktile Leibesmasse eingezogen werden. Wo sie sich ber\u00fchren, verschmelzen sie sehr leicht unter \u201eSchwimmhautbildung\nDas charakteristische Ph\u00e4nomen der K\u00f6rnchenbewegung wird von Max Schultze1 folgendermassen geschildert:\t\u201eEs ist ein\nGleiten, ein Fliessen der in die Fadensubstanz eingebetteten K\u00f6rnchen. Mit gr\u00f6sserer oder geringerer Schnelligkeit ziehen sie in dem Faden entweder dem peripherischen Ende desselben zu oder in der umgekehrten Richtung, oft sogar selbst an den d\u00fcnnsten F\u00e4den in beiden Richtungen zugleich.\nK\u00f6rnchen, die sich begegnen, ziehen entweder einfach aneinander vorbei oder bewegen sich umeinander, bis nach einer kleinen Pause beide ihre urspr\u00fcngliche Richtung fortsetzen oder eins das andere mit sich nimmt.\nWie auf einer breiten Strasse die Spazierg\u00e4nger, so wimmeln an einem breiteren Faden die K\u00f6rnchen durcheinander, wenn auch manchmal stockend und zitternd, doch immer eine bestimmte der L\u00e4ngsrichtung des Fadens entsprechende Richtung verfolgend. Oft stehen sie mitten in ihrem Laufe still, und kehren dann um, die meisten (? E.) jedoch gelangen bis zum \u00e4ussersten Ende der F\u00e4den und wechseln hier erst ihre Richtung. Nicht alle K\u00f6rnchen eines Fadens bewegen sich_mit gleicher Schnelligkeit, so dass oft eins das andere \u00fcberholt, ein schnelleres das langsamere zu gr\u00f6sserer Eile treibt oder an dem langsameren in seiner Bewegung stockt. Wo mehrere F\u00e4den zusammenstossen, sieht man die K\u00f6rnchen von einem auf den anderen \u00fcbergehen. An solchen Stellen befinden sich oft breitere Platten, welche aus einer st\u00e4rkeren Anh\u00e4ufung der Fadensubstanz hervorgegangen sind, und aus welchen dann wie selb-\nFisr. 2.\n1 M. Schultze, Das Protoplasma u. s. w. S. 11.\nHandtuch der Physiologie. Bd. I.\n23","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. Die Protoplasmabew.\nst\u00e4ndige Forts\u00e4tze weitere F\u00e4den sich entwickeln, oder in welche bereits bestehende wie eingeschmolzen werden. Viele K\u00f6rnchen laufen offenbar ganz an der \u00e4ussersten Oberfl\u00e4che der F\u00e4den, \u00fcber welche man sie deutlich hervorragen sieht. Vielleicht haben alle diese oberfl\u00e4chliche Lage. Ausser den kleinen K\u00f6rnchen sieht man oft gr\u00f6ssere Substanzkl\u00fcmpchen wie spindelf\u00f6rmige Anschwellungen oder seitliche Auftreibungen eines Fadens in \u00e4hnlicher Bewegung wie die K\u00f6rnchen. Selbst fremde K\u00f6rper, welche der Fadensubstanz anhaften und in sie aufgenommen worden, sehlies-sen sich dieser Bewegung an.u\nDie gr\u00f6sste bisher beobachtete Geschwindigkeit einzelner K\u00f6rnchen (Schultze bei Miliola) mass 0,02 mm. in der Sekunde. Meist ist sie erheblich geringer. Aeusserst tr\u00e4ge z. B. beim Sonnenthierchen.\nGlitschbewegung.1 Das Eigenth\u00fcmliche dieses Falles ist, dass an der Aussenfl\u00e4che fester Zellh\u00fcllen \u00e4usserst d\u00fcnne k\u00f6rnchenfreie Protoplasmaschichten hinziehen, mittelst derer der Gesammt-k\u00f6rper sich auf fester Unterlage gleitend oder kriechend fortbewegen, bez\u00fcglich feste K\u00f6rper die an ihm kleben bleiben, l\u00e4ngs seiner Oberfl\u00e4che verschieben kann. Die Richtung der Bewegung ist meist gerade aus (Diatomeen) oder spiralig (Oscillarien), bald vor- bald r\u00fcckw\u00e4rts. Die Geschwindigkeit \u00fcberschreitet wohl kaum jemals 0,04 mm. in der Sekunde. Sie \u00e4ndert sich selbst beim n\u00e4mlichen Individuum fast best\u00e4ndig. Die Kraft muss offenbar hohe Werthe erreichen k\u00f6nnen. Diesen Bewegungstypus zeigen die meisten Bacillarien (Schiffchenbewegung der Diatomeen) und Oscillarien, sowie Jugendzust\u00e4nde der Nostoeaceen und Rivularien.\nDas Protoplasma an der Oberfl\u00e4che der genannten Organismen ist w\u00e4hrend des Lebens, wie es scheint, niemals sichtbar, wegen zu geringer Dicke und zu schwachem Lichtbrechungsverm\u00f6gen. Seine Anwesenheit wurde fr\u00fcher nur aus den Bewegungserscheinungen erschlossen.2 Es l\u00e4sst sich jedoch durch coagulirend wirkende Mittel in manchen F\u00e4llen sichtbar machen.3\n2. Von fester H\u00fclle begrenztes Protoplas\u00eeJia.\nDieser Fall ist haupts\u00e4chlich bei den Pflanzenzellen realisirt. Man kann mit den Botanikern zwei Haupttypen unterscheiden: Cir-kulation und Rotation.\nCirkulation. Hier ziehen von dem die H\u00fclle innen ausklei-\n1\tManche Botaniker wenden diesen Ausdruck nach dem Vorg\u00e4nge Naegeli\u2019s zur Bezeichnung der K\u00f6rnchenstr\u00f6mung an der Oberfl\u00e4che von Protoplasmaf\u00e4den an.\n2\tMax Schultze, Ueber die Bewegungen d. Diatomeen. Arch. f. microscop. Anat. I. S. 376\u2014402. Taf. XXIII. 1865.\n3\tTh. W. Engelmann, Ueber die Bewegungen der Oscillarien und Diatomeen. Arch. f. d. ges. Physiol. XIX. S. 8. 1878.","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"Cirkulation. Rotation.\n355\ndenden contraktilen Protoplasmabelag F\u00e4den von ver\u00e4nderlicher Zahl und best\u00e4ndig wechselnder Lage, Form und Dimension durch den mit Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllten Zellraum. Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung sind im Allgemeinen unbest\u00e4ndig, oft an unmittelbar benachbarten Stellen durchaus verschieden. Die F\u00e4den k\u00f6nnen sich theilen, unter Schwimmhautbildung verschmelzen und zeigen gew\u00f6hnlich K\u00f6rnchenstr\u00f6mung, verhalten sich \u00fcberhaupt wesentlich wie die Pseudopodien der Rhizopoden, weshalb auf die dort gegebene Beschreibung verwiesen werden darf.\nDieser Typus kommt bei zahllosen Pflanzenzellen vor, namentlich sch\u00f6n ausgebildet in Pflanzenhaaren (Cucurbita,\nStaubf\u00e4denhaare von Trades-cantia u. a.). Ferner bei Nocti-luca, Dicyema (Entoderm -zelle), an den knorpelartigen Zellen von Medusententakeln und von den Kiemenf\u00e4den von Branchiomma, inEnchondrom-zellen u. s. f.\nRotation. Das einen Wandbelag bildende Protoplasma rotirt (mit Ausnahme\nder \u00e4ussersten Schicht) wie eine zusammenh\u00e4ngende Masse im Allgemeinen in constanten Bahnen und mit gleichf\u00f6rmiger Geschwindigkeit um das Zellinnere. Die Bewegung erfolgt stets nahezu parallel dem gr\u00f6ssten Umfang der Zelle. Einschl\u00fcsse wie der Zellkern, Chlorophyllk\u00f6rner, Krystalle, rotiren mit, h\u00e4ufig ohne erhebliche Aende-\nFig. 3. Tradeseantiazelle (nach K\u00fchne). A frisch in Wasser. B dieselbe Zelle nach massiger lokaler elektrischer Beizung. Das Gebiet des gereizten Protoplasma erstreckt sich von a \u2014 b.. c zu Klumpen und Keulen contrahirtes Protoplasma.\nrung ihrer relativen Lage.\nDie bekanntesten Beispiele dieser Bewegungsform liefern die Zellen der Characeen, die Blattzellen von Vallisneria spiralis und Ceratophyllum submersum, und die Wurzelhaare von Hydrocharis rnorsus ranae. Es geh\u00f6rt hierher auch die Rotation des Endoplasma\n23*","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"356 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\nvon Parama\u00eacium bursaria und aurelia, und einiger anderer Infusorien (Vorticellinen z. B.).\nIV. Allgemeine Bedingungen der spontanen Protoplasma-\nbewegungen.1 2\n1. Temperatur.\nF\u00fcr jedes contraktile Protoplasma giebt es eine untere und eine obere Temperatur, bei welcher seine spontanen Bewegungen unter allen Umst\u00e4nden sofort auf h\u00f6ren. Das Minimum liegt meist nahe bei 0\u00b0, das Maximum gew\u00f6hnlich um 40\u00b0 herum. Innerhalb des von beiden Temperaturen eingeschlossenen G-ebietes der manifesten Contraktilit\u00e4t w\u00e4chst im Allgemeinen die Geschwindigkeit der Bewegung mit der Temperatur und zwar pflegt in jedem besonderen Falle einem bestimmten constanten W\u00e4rmegrad auch eine bestimmte, constante Geschwindigkeit zu entsprechen. Doch gilt dies nicht mehr, wenn kurz zuvor eine schnelle und umfangreiche Temperaturschwankung stattfand. Eine solche wirkt wie ein mechanischer oder electrischer Reiz und wird weiter unten Besprechung finden. F\u00fcr gleiche Temperaturzuw\u00fcchse scheinen die Geschwindigkeitszuw\u00fcchse in manchen F\u00e4llen um so gr\u00f6sser auszufallen, je h\u00f6her die absoluten Temperaturen.\nNaegeli 2 sah in einer Endzeile von Nitella syncarpa, die unterm Mikroskop ganz allm\u00e4hlich erw\u00e4rmt ward, einen Weg von 0,1 mm. von der oberfl\u00e4chlichen Str\u00f6mung zur\u00fcckgelegt bei 1\u00b0C. in 60 Sec., bei 5\u00b0 in 24\", 10\u00b0 in 8\", 20\u00b0 in 3,6\", 31\u00b0 in 1,5\", 37\u00b0 in 0,6\". Schtjltze 3 konnte dagegen die, bei gew\u00f6hnlicher Temperatur freilich bereits sehr grosse \u2014 bis 0,02 mm. in der Sekunde betragende \u2014 Geschwindigkeit der K\u00f6rnchenbewegung von Miliola durch weitere Erw\u00e4rmung nicht wesentlich mehr beschleunigen.\nEs giebt in jedem Falle eine gewisse obere Temperatur, bei welcher die Bewegung bei scheinbar unbeschr\u00e4nkter Dauer ein Maximum der Geschwindigkeit erreicht. Dieses Temperatur optimum liegt gew\u00f6hnlich mehrere Grade unterhalb des Maximum. Steigt die Temperatur \u00fcber das Optimum hinaus, so pflegt zwar die Bewegung zun\u00e4chst noch lebhafter zu werden, sie erlischt jedoch nach einiger Zeit, meist nach vorausgehender Verz\u00f6gerung, und zwar\n1\tWichtigste Literatur: Dutrochet, Comp trend. II.p. 775\u2014784.1837. (Chara); Max Schtjltze, Das Protoplasma der Rhizopoden u. s. w. 1863; W. K\u00fchne, Unters, \u00fcber das Protoplasma u. s. w. 1864.\n2\tC. Naegeli. Beitr\u00e4ge zur wissensch. Botanik. 2. Heft. S. 77. Leipzig 1860.\n3\tMax Schtjltze, Das Protoplasma u. s. w. S. 47.","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"AYarme starre.\n357\num so fr\u00fcher je n\u00e4her die herrschende Temperatur dem Maximum liegt. Bei Erreichung dieses letzteren erlischt sie momentan. Das Protoplasma befindet sich dann in einem Zustand von Scheintod oder Starre \u2014 vor\u00fcbergehende W\u00e4rmestarre, W\u00e4rmetetanus in dem es dauernd, wie bei anhaltender starker k\u00fcnstlicher Reizung, auf die kleinste Oberfl\u00e4che zusammengezogen ist und aus dem es nur durch Abk\u00fchlung befreit, d. h. zur Wiederaufnahme seiner Bewegungen veranlasst werden kann. Die optischen Eigenschaften des Protoplasma pflegen in diesem Zustand nicht merklich ver\u00e4ndert zu sein.\nNackte Protoplasmamassen von mikroskopischer Kleinheit, wie Am\u00f6ben, farblose Blutk\u00f6rper, werden bei allm\u00e4hlicher Erw\u00e4rmung aufs Maximum kuglig. Protoplasmaf\u00e4den von Rhizopoden, Pflanzenzellen u. s. w. werden anfangs meist varik\u00f6s und ziehen sich schliesslich in die Hauptmasse des Protoplasma zur\u00fcck. Fig. 4 stellt die verschiedenen Formen\nim\n; 'i\n'7\nA\nr\n\n\nl\tm\tn\to\tp\nFig. 4.\ndar, welche ein farbloses Froschblutk\u00f6rperchen unter dem Einfluss steigender Erw\u00e4rmung und Wiederabk\u00fchlung von 5 zu 5 Minuten angenommen hatte. Yon a bis c war die Temperatur 12\u00b0 C. Dementsprechend \u00e4nderte sich die Form nur wenig. Bei c ward das Mikroskop mit dem in der feuchten Kammer befindlichen Pr\u00e4parat in den mit Wasser von 50\u00b0 C. gef\u00fcllten SACHs\u2019schen W\u00e4rmekasten gesetzt. Schon nach wenigen Minuten sind die Bewegungen merklich lebhafter geworden, die Zelle kriecht vorw\u00e4rts, mit bis l immer wachsender Geschwindigkeit ; m Beginn, n v\u00f6l-","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358 Engelmann. Protoplasma- u. Flimmerbewegung 1 /Cap. Die Protoplasmabew.\nlige Ausbildung der vor\u00fcbergehenden W\u00e4rmestarre. Von n an befindet sich das Pr\u00e4parat wieder ausserhalb des W\u00e4rmekastens in gew\u00f6hnlicher Temperatur (12\u00b0) : o Wiederbeginn der Formver\u00e4nderungen die bei p bereits recht lebhaft sind.\nUeberschreitet die Temperatur das Maximum, so stirbt bei einem gewissen W\u00e4rmegrad, der als Ultra max im um bezeichnet werden mag, das Protoplasma momentan unter Tr\u00fcbung und Schrumpfung durch Gerinnung von Eiweiss, h\u00e4ufig auch unter Auftreten von Vakuolen. Dieser W\u00e4rmetod, oder die bleibende W\u00e4rmestarre stellt sich auch bei l\u00e4ngerer Erw\u00e4rmung auf etwas niedrigere Temperaturen allm\u00e4hlich ein. Abk\u00fchlung \u00e4ndert dann nat\u00fcrlich nichts mehr.\nS\u00fcsswasseram\u00f6ben die nach 1 Minute langer Erw\u00e4rmung auf 35 0 nur vor\u00fcbergehende Starre zeigten, fand K\u00fchne 1 nach 15 Minuten langer Einwirkung derselben Temperatur vollst\u00e4ndig geronnen und dauernd unbeweglich. \u2014 Nach kurzer Erw\u00e4rmung der Am\u00f6ben auf 40 0 stellten dieselben \u201eeine kugelf\u00f6rmige, scharf und doppelt contourirte Blase dar, welche einen grossen tr\u00fcben, im durchfallenden Lichte br\u00e4unlich aussehenden Klumpen einschloss, der in der Regel mit einer Seite der Peripherie fest anhaftete und den kugligen Raum zu etwa drei Viertheilen anf\u00fcllte. Der \u00fcbrige Raum war mit einer durchsichtigen klaren Fl\u00fcssigkeit angef\u00fcllt, in welcher kleine K\u00f6rnchen in lebhafter Molekularbewegung umher wimmelten.\u201c Versenkte K\u00fchne solche Individuen sp\u00e4ter in Wasser von 45\u00b0, so h\u00f6rte die Molekularbewegung in dem vorher klaren Theil der Blase auf und es bildete sich auch hier ein festes Coagu-lum.1 2\nBei sehr pl\u00f6tzlichem Eintritt der W\u00e4rmestarre hat das Protoplasma mitunter keine Zeit seine Form zu ver\u00e4ndern. So sah M. Schttltze3 z. B. die Protoplasmaf\u00e4den von Miliola bei schneller Erw\u00e4rmung auf wenigstens 45\u00b0 in der Lage erstarren, in welcher sie sich gerade befanden. Aehnlich bei Tradescantia.\nUeber die Werthe des Maximum und \u00dcltramaximum bei* verschiedenen Arten contraktilen Protoplasmas giebt folgende Tabelle einigen Aufschluss. Es betrug\nbei Didymium serpula Aethalium septicum\ndas Maximum ca. 30\u00b0 C., das Ultramax. ca. 35\u00b0 C.4\n,, 39\u00b0 C.. ..\t..\t.. 40\u00b0 C.5\nActinosphaer. Eichhorni Miliola Urtica urens Tradescantia virginica\n38\u00b0 C., 38\u00b0 C., 44\u00b0 C., 46\u00b0 0.,\n43\u00b0 C.6 43\u201448\u00b0 C.7 47\u201448\u00b0 C.8 47\u201448\u00b0 C.9\n1\tW. K\u00fchne, Untersuchungen \u00fcber das Protoplasma u. s.w. S. 43.\n2\tIbid. S. 44\u201445.\n3\tM. Schtjltze, Ras Protoplasma u. s. w. S. 22.\n4\tK\u00fchne, Unters. S. 87.\t5 Ibid.\n6 Schultze, Protopi. S. 34.\t7 Ibid. S. 38.\n8 Ibid. S. 48.\n9 Ibid. S. 48.","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"K\u00e4ltestarre.\n359\nbei Vallisneria spiralis das Maximum ca. 40\u00b0 C., das Ultramaximum ca. 4T 48 C.^\n,, Kitelia syncarpa ..\t\u201e\t?, 37\u00b0 C.,\t,,\t-\t-\n\u201e Cbara flexilis \u201e\t\u201e\t\u2022\u2022 \u2014\t\u00ab\t\u201d\t40 Ll'\nSinkt die Temperatur allm\u00e4hlich bis zum Minimum, so erl\u00f6schen die spontanen Bewegungen, nachdem sie zuvor immer langsamer geworden sind. Dabei tritt gew\u00f6hnlich eine Vereinfachung der Form ein, indem etwa vorhandene Ausl\u00e4ufer oder Verzweigungen sich langsam zur\u00fcckbilden und neue nicht mehr entwickelt werden. Doch bleibt auch unter Umst\u00e4nden, wie K\u00fchne bei Amoeba diffluens (a. a. 0. S. 46) und Actinosphaerium (S. 68) sah, die zusammengesetzte Form bestehen. Optische Aenderungen pflegen den Eintritt dieser K\u00e4lte-starre. nicht zu begleiten. Doch sah Hofmeister1 2 3 4 bei Cucurbita das Protoplasma nach l\u00e4ngerem Verweilen auf 0\u00b0 zu einem durch zahlreiche Vakuolen schaumigen Wandbelag geworden. K\u00fcnstliche Reizbarkeit kann noch bestehen (s. unten) und Steigerung der Temperatur \u00fcber das Minimum ruft die Bewegungen wieder hervor.\nEs scheint, dass das contraktile Protoplasma die Temperatur des Minimum, ja noch viel tiefere, eine fast unbegrenzte Zeit ohne bleibenden Nachtheil ertragen kann. Eine untere Temperaturgrenze (Ultraminimum), bei welcher unvermeidlich Tod erfolgte, ist nicht nachgewiesen. Selbst nach dem Gefrieren zu Eis kann das wiedei aufgetkaute \u2014 Protoplasma unter Umst\u00e4nden seine spontanen Con-traktionen wieder aufnehmen. Und hierbei scheint es nicht einmal immer n\u00f6thig, dass das Aufthauen sehr langsam erfolge, ein Umstand, der sonst bekanntlich f\u00fcr die Wiederbelebung wasserreicher organi-sirter Substanzen sehr wesentlich zu sein pflegt.\nK\u00fchne5 liess Staubfadenhaare von Tradescantia ohne Wasserzusatz rasch gegen die W\u00e4nde eines auf \u201414\u00ab abgek\u00fchlten d\u00fcnnen Platina-tiegels anfrieren. L\u00e4nger als 5 Minuten konnten sie in dieser Temperatur verweilen ohne get\u00f6dtet zu werden. Herausgenommen und rasch in Wasser untersucht, zeigte sich von dem Protoplasmanetz keine Spur mehr \u201e sondern der violette Binnenraum der Zelle enthielt neben dem nackten Kerne eine grosse Zahl gesonderter runder Tropfen und Kl\u00fcmpchen\u201c. Wenige Sekunden sp\u00e4ter fingen diese an sich \u00e4usserst lebhaft am\u00f6boid zu bewegen. Nach wenigen Minuten begannen sie zu einzelnen gr\u00f6sseren Tropfen zusammenzufliessen und indem diese sich wieder mit anderen Gruppen vereinigten, stellte sich in etwa 10 Minuten das urspr\u00fcngliche Protoplasmanetz wieder her, das auch nach 24 Stunden noch lebhaft str\u00f6-\n1\tJ\u00fcrgensen, Stud. d. physiol. Instit. I. S. 104. Breslau 1861; Schultze, a. a. O.\n2\tNaegeli. Beitr. z. wissensch. Bot. II. S._77.\n3\tD\u00fctrochet. Compt. rend. 1837. II. S. 775.\n4\tW. Hofmeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle S. 55.\n5\tW. K\u00fchne, Unters, \u00fcber das Protoplasma u. s. w. S. 100 f.","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360 Engelmann, Protoplasma- u.Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\nmend gefunden wurde. Hofmeister* 1 hat diese Beobachtungen im Wesentlichen best\u00e4tigt.\n2. Wassergehalt.\nIn Bezug hierauf gilt Aehnliches wie rticksiehtlich der Temperatur. Es giebt f\u00fcr jedes Protoplasma ein Minimum und ein Maximum des Gehaltes an Imbibitionswasser, bei welchem die spontanen Bewegungen auf h\u00f6ren. N\u00e4here Bestimmungen fehlen, doch mag durchschnittlich das Minimum bis unter 60%, das Maximum bis \u00fcber 90\u00b0 o liegen k\u00f6nnen. Innerhalb des von beiden eingeschlossenen Gebietes w\u00e4chst im Allgemeinen unter entsprechender Zunahme des Volums und Abnahme des Lichtbrechungsco\u00ebfficienten die Lebhaftigkeit der Bewegungen mit dem Wassergehalt. Schnelle Concentrations\u00e4nde-rungen des Mediums, die rasche Quellung bez\u00fcglich Schrumpfung veranlassen, k\u00f6nnen wie Beize wirken, wor\u00fcber unten N\u00e4heres. \u2014 Ein Optimum des Wassergehaltes ist in jedem Falle nachweisbar.\nMit allm\u00e4hlicher Ann\u00e4herung an das Maximum vereinfacht sich die Form des Protoplasma m\u00f6glichst (Kugligwerden, Varikosit\u00e4tenbildung u. s. w.). Wasserentziehung durch indifferente Substanzen (verd\u00fcnnte L\u00f6sungen von Zucker, Kochsalz u. dgl.) ruft die Bewegungen oft nach minutenlanger Dauer der \u201eWasserstarre\u201c zur\u00fcck. Bei l\u00e4nger anhaltender Behandlung mit destillirtem Wasser stirbt das Protoplasma. \u2014 Die Erscheinungen sind dabei nicht immer dieselben. Das Protoplasma kann Vakuolen bilden und zerfliessen, oder es treten zun\u00e4chst Gerinnungen ein, wo dann selbst die dem nicht contrahirten Zustande entsprechende Form noch l\u00e4ngere Zeit erhalten bleiben kann.2\nWasserentziehung durch indifferente L\u00f6sungen oder Verdunsten f\u00fchrt ebenfalls zu einer vor\u00fcbergehenden oder dauernden Starre (Trockenstarre). In Pflanzenzellen zieht sich dabei, wie Al. Braun3 bei Chara entdeckte, das Protoplasma h\u00e4ufig zun\u00e4chst als ein zusammenh\u00e4ngender Sack von der Zellwand zur\u00fcck, wonach die Bewegungen noch lange fortdauern k\u00f6nnen. Bei nackten Protoplas-men (Am\u00f6ben, Myxomyceten) besetzt sich der unter Einwirkung ein-bis zweiprocentiger Kochsalzl\u00f6sung geschrumpfte Leib h\u00e4ufig mit einer grossen Zahl ganz feiner, spitzer, hyaliner, wimperartiger Forts\u00e4tze. Nach Verd\u00fcnnung mit Wasser kehrt der anf\u00e4ngliche Zustand\n^ \u2014 ------------------------------------------------------------------\n1\tW. Hofmeister, Die Lehre von der Pfianzenzelle S. 54.\n2\tN\u00e4here Angaben s. beiM. Sch\u00fcltze, Das Protoplasma u. s..w.S. 21 (Miliola),\nS. 42 (Tradescantia) und bei Hofmeister,'Pfianzenzelle S. 53 (Hydrocharis).\tj\n3\tAl. Braun, Monatsber. d. Berliner Acad. 1852. S. 225. Weiteres bei Hofmeister, a. a. 0. S. 5.2 f.\t\u2022-","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit vom Wassergehalt und Sauerstoff.\n361\nzur\u00fcck.1 \u2014 An der Luft bei gew\u00f6hnlicher Temperatur v\u00f6llig getrocknetes und infolge davon starres Protoplasma kann unter Umst\u00e4nden nach Wasserzusatz wieder aufleben und zwar noch nach Jahren. Sicher gilt das z. B. von enkystirten Am\u00f6ben und Infusorien. Aber auch bei nackten Plasmodien wird es beobachtet, wie dasselbe ja auch f\u00fcr viele andere und darunter sehr hoch organisirte Wesen bewiesen ist.\nWichtig ist, dass bei \u00e4usserst langsamer Steigerung der Concentration manches (ob alles?) Protoplasma sich an L\u00f6sungen accom-modiren kann, die bei schneller Einwirkung hemmend, ja sofort zerst\u00f6rend wirken w\u00fcrden. Dabei scheint denn auch keine entsprechend starke Schrumpfung stattzufinden.\nIn Seewasser, -welches ich seit mehr als einem Jahre bewahre und dessen Salzgehalt durch allm\u00e4hliche Verdunstung bereits auf \u00fcber 10 \u00b0 'o gestiegen ist, leben noch immer, anscheinend behaglich, zahlreiche Protozoen, neben W\u00fcrmern, Arthropoden, Diatomeen, gr\u00fcnen Algen u. s. w.2 3 4 Siisswasseram\u00f6ben konnte Czerny 3 im Laufe mehrerer Wochen bis an 4 \u00b0,o Kochsalz gew\u00f6hnen, was auch mir gelang. Bei pl\u00f6tzlicher Einwirkung verwandeln Kochsalzl\u00f6sungen von 10 % nach K\u00fchne 4 S\u00fcsswasseram\u00f6ben \u201esogleich in Kugeln, welche schnell zerplatzen und ein Xetz von feinen schleimigen F\u00e4den ausstossen, w\u00e4hrend der Rest zu gr\u00f6beren und feineren Br\u00f6ckeln zergeht, die unter lebhafter Molekularbewegung auseinanderfahren\u201c. Aehnlich verhalten sich Seewasseram\u00f6ben.\n3. Sauerstoff.\nIn v\u00f6llig sauerstofffreiem Medium k\u00f6nnen die spontanen Protoplasmabewegungen unzweifelhaft fortdauern, jedoch nur kurze Zeit \u2014 h\u00f6chstens einige Stunden. Der allm\u00e4hlich eintretende Stillstand kann anfangs immer durch 0-Zufuhr \u2014 und zwar nur durch diese \u2014 wieder aufgehoben werden. In Bezug auf die Abh\u00e4ngigkeit der Energie der Bewegungen von der Gr\u00f6sse der O-Spannung im umringenden Medium kann soviel mit Sicherheit gesagt werden, dass die Bewegung in manchen (ob allen?) F\u00e4llen schon bei sehr geringem\n1\tK\u00fchne, Untersuchungen u. s. w. S. 4S n. S2 f. ; vgl. auch de Bart, DieMyceto-zoen. 2. Aufl. S. 46. Taf. II. Fig. 16. III. Fig. 11 u. 12; Hofmeister, Die Lehre von der PflanzenzeUe S. 24. Fig. 8 : V. Czerny. EinigeBeob. \u00fcber Am\u00f6ben. Arch. f. microscop. Anat. Y. S. 159. 1869; Strasberger. Studien \u00fcber das Protoplasma. Jenaische Ztsehr, f. Katurwissensch. X. S. 467. Jena 1876. Die wimperartigen Forts\u00e4tze entstehen nach mehreren dieser Beobachter auch ohne nachweisbare Concentrations\u00e4nderungen des umgebenden Mediums h\u00e4ufig beim Einschrumpfen eines Ausl\u00e4ufers, was ich best\u00e4tigen kann.\n2\tVgl. auch Dutrochet, Compt. rend. 1837. H. S. 781 u. 782.\n3\tV. Czerny. Arch. f. microscop. Anat. V. S. 158 f. 1869.\n4\tK\u00fchne, Unters, \u00fcber das Protoplasma u. s. w. S. 48; vgl. auch Czerny, a. a. 0.","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"362 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\nund weit unter dem normalen bleibenden Druck eine dauernd maximale ist. Bei sehr hohem 0-Druck (3\u20146 Atmosph\u00e4ren) nimmt sie ab, um sich bei verminderter Spannung wieder zu beschleunigen.\nOffenbar bindet das lebendige Protoplasma den Sauerstoff der Umgebung chemisch und wird die so entstandene feste Sauerstoffverbindung, von der unter normalen Verh\u00e4ltnissen in jedem Protoplasmak\u00f6rper ein gewisser Vorrath angenommen werden muss, w\u00e4hrend der Bewegungen best\u00e4ndig zerst\u00f6rt, vermuthlich unter Abspaltung von Kohlens\u00e4ure.\nSchon Corti sali die Str\u00f6mung in den Zellen von Chara bei Abschluss der Luft durch Oliven\u00f6l, sowie nach l\u00e4ngerem Verweilen unter dem m\u00f6glichst entleerten Recipienten der Luftpumpe Stillstehen. Hofmeister1 beobachtete bei Nitelia in Oliven\u00f6l nach 5 Minuten, im sehr luft-verdtinnten Raum nach 13 Minuten Stockung. Im ersteren Falle war 30 Minuten, im zweiten 22 Minuten nach Wiedereintritt von Luft die Bewegung wieder im Gange. K\u00fchne2 verdr\u00e4ngte die atmosph\u00e4rische Luft durch gereinigten Wasserstoff. S\u00fcsswasseram\u00f6ben lagen nach mehr als 24 Minuten langem Durchleiten des Gases v\u00f6llig regungslos am Boden des Tropfens. (Sie reagirten in diesem Zustand auf Induktionsschl\u00e4ge wie frische Individuen, doch mussten die Reize bedeutend st\u00e4rker sein.) Innerhalb 7 5 Minuten nach Luftzutritt waren die spontanen Bewegungen wieder im Gange. \u2014 Plasmodien von Myxomyceten, ebenso das Protoplasma von Tradescantiahaaren zeigten erst nach mehrst\u00fcndigem Leberleiten von H keine Bewegungen mehr, die aber schon wenige Minuten nach Luftzutritt wieder in vollem Gang waren. Noch nach 24-stiindigem Wasserstoffstillstand war Wiederbelebung von Plasmodien durch Luft m\u00f6glich. \u2014 Contraktile Zellen aus den Lymphs\u00e4cken des Frosches fand ich erst nach zweist\u00fcndigem Durchleiten von reinstem H durch die hermetisch schliessende feuchte Kammer bewegungslos, dabei meist kuglig. Ebenso S\u00fcsswasseram\u00f6ben. Ein Tropfen H\u00e4moglobinl\u00f6sung zeigte unter gleichen Bedingungen schon nach 10 Minuten im Mikrospektralapparat nichts mehr von den beiden, vorher sehr deutlichen Absorpfionsb\u00e4ndern des O-Hgb. \u2014 Bei sehr langem Aufenthalt in reinem II stirbt das Protoplasma schliesslich ab, meist unter Tr\u00fcbung, Vakuolenbildung, endlich Zerfall.\nDen Einfluss eomprimirten Sauerstoffs untersuchte Tarchanoff 3, im Anschluss an Paul Bert\u2019s Entdeckung der lebenhemmenden Wirkung dieses Agens. Er sah die weissen Blutk\u00f6rperchen des Frosches bei 3\u20146 Atmosph\u00e4ren O-Druck rund und bewegungslos werden und bei gew\u00f6hnlichem Luftdruck dann ihre Bewegungen wieder aufnehmen.\n1 W. Hofmeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle S. 49.\n\u20222 W. K\u00fchne, Unters, \u00fcber das Protoplasma u.s.w.S. 52f. (Amoeba), S. 68 (Actinosphaerium), S. 90 (Myxomyceten), S. 107 (Tradescantia).\n3 Tarchanoff, Arbeiten der St. Petersburger Gesellsch. d. Naturf. v II. S. 122. 1876 (russisch). Ich kenne nur Hoyer und Mayzel\u2019s Referat in Hofmann und Schwalbe\u2019s Jahresber. u. s. w. V. Literatur 1876. S. 22.","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"Verschiedene chemische Bedingungen. Gifte.\n363\n4. Andere chemische Bedingungen. \u2014 Gifte.\nWie alle Lebenserscheinungen von Elementarorganismen scheinen auch die spontanen Bewegungen des Protoplasma nur hei einer neutralen oder wenig von der neutralen abweichenden Reaktion der Imbibitionsfliissigkeit sich auf l\u00e4ngere Zeit erhalten zu k\u00f6nnen. Schon ein geringer Ueberschuss an Alkali und namentlich an S\u00e4ure pflegt Stillstand herbeizuf\u00fchren, der anfangs durch Entfernung beziehungsweise Neutralisation des Ueberschusses gehoben werden kann.\nDutrochet 1 sah die Bewegung von Chara in Kalil\u00f6sung von 0,05 0(o nach 35 Minuten, in Kali oder Natron von 0,1 % nach 2 oder 3 Minuten, in Weinsteins\u00e4ure von 2% nach 10 Minuten, in solcher von 0,1% nach 1 Stunde definitiv erl\u00f6schen. \u2014 Max Schultze constatirte die sch\u00e4dliche Wirkung von verd\u00fcnnten S\u00e4uren (Salz-, Essig-, Osmiums\u00e4ure) und diluirten Alkalien bei Miliola1 2, Actinosphaerium3, Tradescantia4, K\u00fchne dieselbe bei Amoeba5, Actinosphaerium6, Myxomyceten7, Tradescantia.8\nIn verd\u00fcnnten caustischen Alkalien quillt das Protoplasma stark und zerfliesst oder platzt endlich. Vor dem Stillstand ist \u00f6fter Beschleunigung der normalen Bewegungen beobachtet worden.9 In verd\u00fcnnten S\u00e4uren tritt der Tod gew\u00f6hnlich unter Tr\u00fcbung und Schrumpfung (Coagulation von Eiweiss) ein.10 Schon Kohlens\u00e4ure kann diesen Erfolg haben, wenn sie in concentrirtem Strome einige Zeit \u00fcber die Pr\u00e4parate gef\u00fchrt wird.11 Die infolge schwacher CO2-Einwirkung sistirte Bewegung kann durch Auswaschen mit Luft, h\u00e4ufig auch schon mit Wasserstoff wiedererweckt werden, wobei etwa entstandene Tr\u00fcbungen wieder verschwinden.\nGanz \u00e4hnlich wie CO 2 \u2014 vor\u00fcbergehend oder dauernd, unter Coagulation, l\u00e4hmend \u2014 wirken auch D\u00e4mpfe von Aether und Chloroform. Sie brauchen nur in geringer Menge der Luft beigemischt zu sein um ihre hemmende Wirkung zu entfalten, die anfangs leicht durch Aussptilen mit reiner Luft aufgehoben wird.12\nBemerkenswerth, weil sich darin eine specielle Uebereinstimmung mit der contraktilen Substanz der Muskeln zeigt, ist die giftige Wirkung\n1\tDutrochft, Compt. rend. 1S3T. II. S. 781.\n2\tMax Schultze. Das Protoplasma u. s. w. S. 22 u. 37.\n3\tIbid. S. 32.\t4 Ibid. S. 42.\n5\tK\u00fchne, Unters, \u00fcber das Protoplasma und die Contraktilit\u00e4t S. 49 (HCl von\n0,1 \u00b0/o, Kali von 0,1 % und 1 %).\n6\tIbid. S. 64 (HCl von 0,1%, Kali von 0,10 0. Ammoniakd\u00e4mpfe). S. 67 (CCD).\n7\tIbid. S. 85 (Ammoniakd\u00e4mpfe). S. 89 (COp.\n8\tIbid. S. 100 (HCl, KOH).\n9\tVon Dutrochet (a. a. O. S. 781) bei Chara, von K\u00fchne (a. a. O. S. 49) bei Am\u00f6ben.\n10\tK\u00fchne a. a. 0. S. 49, 64.\n11\tIbid. S. 51 f. (Amoeba). S. 67 (Actinosphaerium), S. 90(Myxomyceten), S. 106 (Tradescantia).\n12\tIbid. S. 66 (Actinosphaerium), S. 100 (Tradescantia).","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\nwelche das Veratrin auf viele Arten von Protoplasma austibt. K\u00fchne sah S\u00fcsswasseram\u00f6ben1, Actinosphaerium2 und Myxomyceten3 4 5 in \u00e4us-serst verd\u00fcnnten, kaum merkbar alkalisch reagirenden, ja selbst in neu-tralisirten L\u00f6sungen dieses Giftes ziemlich rasch unter Coagulation, Tr\u00fcbung, Zerfall, absterben. Tradeseantiazellen zeigten jedoch noch nach 17 -stilndigem Aufenthalt in w\u00e4ssrigen Veratrinl\u00d6sungen normale Bewegung.\nVom Chinin wird durch Binz 4 und andere behauptet, dass es eine specifisch starke hemmende Wirkung auf die spontanen Bewegungen vieler Protoplasmen, u. a. auch der farblosen Blutk\u00f6rper aus\u00fcbe. Doch zeigten mir wenigstens die Lymphzellen von Fr\u00f6schen, die durch subcu-tane Einspritzung grosser Dosen von Chinin, sulph. get\u00f6dtet wurden, noch nach Stunden lebhafte Bewegungen.\nY. Yerhaiten des Protoplasma gegen k\u00fcnstliche Reize.\nProtoplasmacontraktionen k\u00f6nnen, wie die Bewegungen der Muskeln und anderer erregbarer Gebilde, ausser durch die normalen physiologischen Beize, auch durch mancherlei \u00e4ussere Eingriffe, sogenannte k\u00fcnstliche Reize, hervorgerufen, bez\u00fcglich beeinflusst werden. Diese Reize sind im Wesentlichen dieselben wie f\u00fcr andere erregbare Gebilde: im Allgemeinen wirkt als Reiz jede Ersch\u00fctterung des molekularen Gleichgewichtes, wenn sie mit einer gewissen Schnelligkeit stattfindet und eine gewisse Gr\u00f6sse \u00fcbersteigt, also vor Allem elektrische St\u00f6sse, Temperaturschwankungen, mechanische und chemische Eingriffe.\nDie Gr\u00f6sse der Reizbarkeit, gemessen durch den schw\u00e4chsten noch wirksamen Reiz, ist je nach der Art des Protoplasma und des Reizes und nach den sonstigen Bedingungen verschieden.\nDas Protoplasma von S\u00fcsswasseram\u00f6ben, Diatomeen, Vallisneria-Zel-len u. a. reagirt bereits auf sehr viel schw\u00e4chere Induktionsstr\u00f6me als das der weissen Blutk\u00f6rperchen.? \u2014 Das \u00fcbrigens nicht besonders empfindliche Protoplasma von Pelomyxa wird durch pl\u00f6tzliche Beleuchtung heftig erregt, die bei anderen Arten von Protoplasma ohne jeden reizenden Einfluss zu sein pflegt.6\nDie allgemeinen Bedingungen, an welche die k\u00fcnstliche Reizbarkeit gekn\u00fcpft ist, mit denen sie w\u00e4chst und f\u00e4llt, sind dieselben\n1 K\u00fchne a. a. O. S. 47 f. 2 Ibid. S. 65.\t3 Ibid. S.S6f.\n4\tC. Binz, Ueber die Einwirkung des Chinin auf Protoplasmabewegung. Arch, f. microscop. Anat. III. S. 383.1867.\n5\tEigene Beobachtungen.\n6\tTh. W. Engelmann , Ueber Pveizung contraktilen Protoplasmas durch pl\u00f6tzliche Beleuchtung. Arch. f. d. ges. Physiol. XIX. S. 1. 1878.","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"K\u00fcnstliche Reize.\n365\nwie f\u00fcr die spontane Erregbarkeit. Dock scheinen ihre Grenzen etwas weiter gesteckt zu sein, wie u. a. daraus kervorgeht, dass k\u00fcnstliche Reize sich noch wirksam erweisen k\u00f6nnen, nachdem die spontanen Bewegungen (z. B. durch Abk\u00fchlung- oder Erw\u00e4rmung, durch 0-Entziehung, CO2-Zufuhr) zur Ruhe gekommen sind.1\nIn seiner \u00e4usseren Erscheinung kann der Erfolg k\u00fcnstlicher Reizung auf das Mannickfackste yariiren. Besonders kommt hier in Anbetracht, ob das Protoplasma aus sich selbst bereits in Bewegung war oder nicht, und im ersteren Falle Art und Energie der spontanen Bewegung zur Zeit der Reizung; ferner ob das Protoplasma an allen Stellen gleichzeitig und gleichstark oder nur lokal, bez\u00fcglich an verschiedenen Stellen ungleich stark gereizt ward; weiter ob es frei beweglich oder in fester H\u00fclle eingeschlossen ist u. s. f. \u2014 Die weiterhin. mitzutheilenden Einzelbeobachtungen geben ein Bild von der Mannichfaltigkeit der Erscheinungen.\nAllgemein \u00e4ussert sich der Erfolg der k\u00fcnstlichen Reizung darin, dass die vom Reiz direkt getroffene Protoplasmapartie vor\u00fcbergehend, ohne merkliche Volum\u00e4nderung, sich auf die kleinste Oberfl\u00e4che zusammenzuziehen, also Kugelform anzunehmen strebt, wie ein gereizter Muskel. Geschwindigkeit und Kraft, mit der dies geschieht, halten sich meist innerhalb derselben Grenzen, welche f\u00fcr die spontanen Bewegungen des n\u00e4mlichen Objektes gelten.\n1. Elektrische Reize.\nElektrische Str\u00f6me erregen das Protoplasma nur, wenn sie dasselbe direkt durckfliessen, nie aus der Ferne.2 Zun\u00e4chst sind es besonders pl\u00f6tzliche Schwankungen der Stromdichte, nach denen Erregung folgt. Doch - ist ebensowenig, wie bei den Muskeln die Schwankung, sondern vielmehr der Str\u00f6mungsvorgang selbst der eigentliche Reizerzeuger, denn nach Schliessung constanter Str\u00f6me tritt Erregung im Allgemeinen nur in dem Falle ein, dass der Strom auch nach Erreichung seiner vollen Dichte noch w\u00e4hrend einiger Zeit fliesst.3 Diese Zeit kann beispielsweise bei Am\u00f6ben bis \u00fcber\n1\tYgl. u. a. K\u00fchne, Unters, \u00fcber das Protoplasma u. s. w. S. 45 u. 53 (Am\u00f6ben), S. 106 (Tradescantia).\n2\tBecquekel (Compt. rend. 1837. II. p. 786) fand starke galvanische Str\u00f6me (10\u201430 Elemente) ganz wirkungslos, wenn er sie durch einen schraubenf\u00f6rmig um Chara gewundenen Draht leitete, gleichviel welchen Winkel die Windungen mit der Richtung der Str\u00f6mung machten.\n3\tTh. W. Engelmann, Beitr\u00e4ge zur allgem. Muskel- und Nervenphysiologie. Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 311 u. 312. 1870.","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\neine Sekunde betragen. Auch sab K\u00fchne1 bei Actinosphaerium die Wirkung andauern, und zwar an der dem positiven Pole zugekehrten Seite des Thieres, so lange die Kette geschlossen blieb. In der Regel stellt sich aber, w\u00e4hrend der Strom mit best\u00e4ndiger Dichte fliesst, der fr\u00fchere Zustand bald wieder her, wie schon Becquerel2 f\u00fcr Chara fand.\nSchliessung eines best\u00e4ndigen Stromes ist ein specifisch st\u00e4rkerer Reiz als Oeffnung. Denn letztere erfordert l\u00e4ngere Schliessungsdauer bez\u00fcglich gr\u00f6ssere Stromdichte. Oft ist, selbst bei sehr grosser Empfindlichkeit des Objekts f\u00fcr den Schliessungsreiz, Oeffnung starker Str\u00f6me ganz unwirksam.3\nMit Steilheit und Umfang der Schwankung w\u00e4chst innerhalb gewisser Grenzen der Erfolg sehr merkbar. Induktionsschl\u00e4ge sind deshalb durchschnittlich viel wirksamer als Schliessungen constanter Str\u00f6me.\nDie Wirkungen aufeinanderfolgender momentaner Reize k\u00f6nnen sich summiren. Auch einzeln unwirksame Reize k\u00f6nnen sich so bis zu sichtbarer kr\u00e4ftiger Wirkung verst\u00e4rken. Die Pausen zwischen den Reizen d\u00fcrfen, wenn Summation der Wirkungen eintreten soll, im Allgemeinen ziemlich lang sein (beispielsweise bei vielen Am\u00f6ben und Pflanzenzellen bis Viertelsekunden und dar\u00fcber), wie es scheint, um so l\u00e4nger, je tr\u00e4ger die spontanen Bewegungen des Objektes sind.4\nNach kr\u00e4ftigen Reizen tritt Erm\u00fcdung ein: es bedarf dann st\u00e4rkerer Erregung, bez\u00fcglich (bei gleichem Reize) einiger Zeit der Erholung, um den n\u00e4mlichen Erfolg zu erzielen. \u2014 Sehr starke Reize k\u00f6nnen das Protoplasma t\u00f6dten, wobei dasselbe pl\u00f6tzlich tr\u00fcbe wird, erstarrt, zusammenschrumpft oder zerplatzt ; oder sie rufen doch Nebenwirkungen hervor, welche das Bild der physiologischen.Vorg\u00e4nge verunstalten.\nVerhalten verschiedener Typen von Protoplasma gegen elektrische Reize. Auf lebhaft am\u00f6boid bewegliche Froschblutk\u00f6rper \u00e4ussert sich die Wirkung einzelner Induktionsschl\u00e4ge nach Go-LUBEW5 darin, dass nach einiger Zeit (meist 1/4 bis 1 Minute) die bis dahin spitzen Forts\u00e4tze stumpfer werden und sich allm\u00e4hlich in den Zellenk\u00f6rper hineinziehen. \u201eWirkt der Reiz st\u00e4rker, so kann man ein sehr rasches und fast vollkommenes Zusammenziehen der Zelle zu einem rund-\n1\tK\u00fchne, Unters, \u00fcber das Protoplasma u. s. w. S. 59 f.\n2\tBecquerel, Compt. rend. 1837. II. p. 787.\n3\tArch. f. d. ges. Physiol. III. S. 311.1870.\n4\tEigene Beobachtungen.\n5\tA. Golubew, Ueber d. Erschein., welche elektrische Schl\u00e4ge an den sog. farblosen Bestandtheilen des Blutes hervorbringen. Sitzgsber. d. Wiener Acad. LVII. S. 557 f. 1868.","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"Elektrische Reizung.\n367\nliehen Kl\u00fcmpchen beobachten.. In diesem Zustande bleibt die Zelle einige Zeit lang und beginnt dann wiederum ihre gew\u00f6hnlichen Bewegungen/* Bei noch st\u00e4rkerer Reizung wird sie ebenfalls rasch kuglig. Nach einigen Minuten tritt dann an irgend einer Stelle auf einmal eine Masse in Form eines kleinen Tropfens heraus ; dieser w\u00e4chst eine Zeit lang durch Einstr\u00f6men der Leibessubstanz, nimmt wieder ab w\u00e4hrend an einer oder mehreren Stellen neue Tropfen hervorkommen. Hierdurch k\u00f6nnen anfangs sehr rasche und auff\u00e4llige Formver\u00e4nderungen entstehen. Sp\u00e4ter werden sie langsamer, die Tropfen werden eingezogen und es bilden sich wieder wie gew\u00f6hnlich unregelm\u00e4ssige spitzere Forts\u00e4tze.\nGanz \u00e4hnlich, nur viel schneller, reagiren Siisswasseram\u00f6ben.1 Bemerkenswerth ist, dass nach einem Latenzstadium, welches bei schwacher Reizung einige Sekunden zu betragen pflegt, bei starker unmerklich kurz werden kann, zun\u00e4chst Verz\u00f6gerung, bez\u00fcglich Stillstand der K\u00f6rnchenstr\u00f6mung und Ortsbewegung folgt. Erst hiernach \u2014 nur bei starker Reizung anscheinend gleichzeitig \u2014 folgt Einziehen der Forts\u00e4tze, Verk\u00fcrzung und Verdickung, die binnen einigen Sekunden zur Kugelgestalt f\u00fchren kann. Bald darauf entstehen, meist ruckweise, ein oder mehrere kugelabschnittf\u00f6rmige hyaline Ausst\u00fclpungen, in welche alsbald K\u00f6rnchen einstr\u00f6men. Letztere schiessen dabei oft bis an die Oberfl\u00e4che der Rindenschicht. Einer der Ausl\u00e4ufer vergr\u00f6ssert sich mehr und mehr, streckt sich in die L\u00e4nge und nimmt schliesslich die ganze Masse des Protoplasma in sich auf. Schon 10 Sekunden nach der Reizung kann Aussehen und Bewegung der Am\u00f6be wieder wie vorher sein. \u2014 Wesentlich \u00fcbereinstimmend scheinen sich die Myxomyceten zu verhalten. Doch sind die Erscheinungen hier verwickelter, da die Gr\u00f6sse der Objekte im Allgemeinen nur partielle Reizung gestattet.2\nRhizopoden (Miliola, Actinosphaerium) ziehen auf elektrische Reizung ihre Pseudopodien ein, die dabei h\u00e4ufig zun\u00e4chst varik\u00f6s werden.3 Die rechtwinklig zur Stromesrichtung gelagerten Scheinf\u00fcsse erfordern st\u00e4rkere Reize als die parallel verlaufenden. Ganz \u00e4hnlich verhalten sich die Protoplasmaf\u00e4den der Pflanzenzellen mit Cirkulation (Tradescantia-Typus).4 Bei schwacher Reizung beobachtet man h\u00e4ufig, wie beim am\u00f6boid beweglichen Protoplasma, erst nur Verlangsamung und Stillstand der spontanen Bewegungen; dann tritt Bildung von Varikosit\u00e4ten, Klumpen u. s. f. ein. \u2014 Besonders lehrreich sind die Erscheinungen bei partieller Reizung. K\u00fchne5 sah (vgl. Figur 5 auf Seite 368) bei Tradescantia\n1\tTh. W. Engelmann, Beitr. zur Physiol, d. Protoplasma. Arch. f. d. ges. Physiol. II. S. 312 f. 1869.\n2\tN\u00e4heres bei K\u00fchne, Unters, \u00fcb. d. Protoplasma u. s. w. S. 75f.\n3\tM. Schultze, Das Protoplasma u. s. w. S. 38; K\u00fchne, Unters, u. s. w. S. 56f.\n4\tM. Schultze. Das Protoplasma u. s. w. S. 43 f. ; Heidenhain, Notizen \u00fcber die Bewegungserscheinungen, welche das Protoplasma in den Pflanzenzellen zeigt. Stud, d. physiol. Instit. zu Breslau. 2. Heft. S. 66. 1863.\n5\tK\u00fchne, Unters, \u00fcber das Protoplasma u.s. w. S. 99 (Tradescantia); W. Velten, Einwirkung str\u00f6mender Elektricit\u00e4t auf die Bewegung des Protoplasma u. s. w. Sitzgsber. d. Wiener mathem.-naturw. Cl. LXXIII. S. 351 f. 1876. Die von Velten beschriebenen Quellungserscheinungen sind von anderen Beobachtern, auch von mir nicht gesehen. Ich muss bestreiten, dass sie, bei Anwendung nicht \u00fcber maximaler Reize wenigstens, in merkbarer Weise Vorkommen.","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1.Cap. DieProtoplasmabew.\ndann in einem Tlieile der Zelle die st\u00e4rkeren F\u00e4den sich zu Klumpen\nund Kugeln zusammenziehen, in denen der K\u00f6rnchen begann, \u201edie man f\u00fcr\nnach einiger Ruhe eine Bewegung Molekularbewegung h\u00e4tte halten k\u00f6nnen, wenn es nicht ausgesehen h\u00e4tte, wie wenn die K\u00f6rnchen durch ein Reissen und Ziehen der Grundsubstanz einem andern Triebe folgten. Gleichzeitig flachten sich die Kugeln und Klumpen wieder ab, trieben theilweise noch als solche erkennbar mit den benachbarten Str\u00f6men fort und glichen sich schliesslich vollkommen mit dem Uebrigen aus\u201c. \u201eDie feineren F\u00e4den zerrissen, wo sich in ihnen bildeten in der und die entstandenen\nFig. 5. Tradescantiazelle (naeli K\u00fchne). A frisch in Wasser. B dieselbe Zelle nach massiger lokaler elektrischer Heizung. Das Gebiet des gereizten Protoplasma erstreckt sieh yon a \u2014 b.. c zu Klumpen und Keulen contrahirtes Protoplasma.\noffenbar\nKugeln Regel,\nVerdickungen wurden dann rasch, entweder nach einer oder nach zwei Seiten zur\u00fcck in einen dickeren Faden hineingezogen\u201c.\nDas rotirende Protoplasma der Zellen von Ohara, Vallisneria u. s. w. zeigt, gleichzeitig an allen Punkten erregt, Verz\u00f6gerung bez\u00fcglich Stillstand der Str\u00f6mung.1 Danach h\u00e4uft es sich \u2014 wie es scheint \u00fcberhaupt sehr allgemein bei Pflanzenzellen mit beweglichem Protoplasma \u2014 bei hinreichend starker Reizung an den kurzen Querw\u00e4nden an; es zieht sich also die Gesammtmasse \u2014 ohne merkliche Volum\u00e4nderung \u2014 auf eine der dem Kugligwerden nackter\nkleinere Oberfl\u00e4che zusammen,\nProtoplasmen nach Reizung entsprechende Vorgang. Bei den Brennhaaren von Urtica sah Br\u00fccke 2 infolge kurzer kr\u00e4ftiger Reizung d\u00fcnne an der Spitze mit einer Anschwellung versehene Protoplasmaf\u00e4den, auch kolben-und keulenf\u00f6rmige Erhebungen der Wandschicht hervorkommen, die sp\u00e4ter wieder eingezogen wurden.\n1\tBecquerel, Compt. rend. II. p. 787. 1837 ; J\u00fcrgensen, Stud. d. physiol. Instit. zu Breslau. 1. Heft. S. 99. 1861 ; Velten, Sitzgsber. d. Wiener mathem.-physiol. CI. LXXIII. S. 350 f. 1876.\n2\tE. Br\u00fccke, Das Verhalten der sog. Protoplasmastr\u00f6me in den Brennhaaren von Urtica urens. Sitzgsber. d. Wiener Acad. XLVI. S. 2.1863 ; M. Sch\u00fcltze, Das Protoplasma u. s. w. S. 45.","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"Wirklingen k\u00fcnstlicher Reizung.\n369\n2. Thermische Reize.\nSowohl positive wie negative Temperaturschwankungen k\u00f6nnen Wirklingen hervorbringen, die denen elektrischer Reizung \u00e4hnlich oder gleich sind, auch wenn sie ganz innerhalb des Temperaturgebietes der manifesten Contraktilit\u00e4t statthaben. Auch hier ist die Wirkung um so heftiger und anhaltender, je schneller und umfangreicher die Schwankung. Negative Schwankungen scheinen (ob immer?) specifisch st\u00e4rker als positive zu wirken. Bleibt die Temperatur nachher constant, so stellt sich dann allm\u00e4hlich derselbe Bewegungszustand her, der bei ganz langsamer Erw\u00e4rmung beziehungsweise Abk\u00fchlung auf den betreffenden Grad eingetreten sein w\u00fcrde.\nBei einer Chara, die in Wasser von 7 0 eine Rotation von mittlerer Geschwindigkeit zeigte, sah Dutrochet 1 nach Eintauchen in Wasser von 32\u00b0 binnen 4\u2014 5 Minuten v\u00f6lligen Stillstand. Nach einst\u00fcndigem Aufenthalt im Wasser von 82\u00b0 begann die Rotation wieder und war nach 2 Stunden wieder in schnellem Gange. R\u00fcckversetzen in Wasser von 7\u00b0 vernichtete wiederum innerhalb 4 Minuten die Bewegung, die dann erst nach anderthalbst\u00fcndigem Verweilen im Wasser von 7\u00b0 langsam wieder anhob. Auch nach etwas langsamerer Erw\u00e4rmung von 18 auf 27, von 27 auf 34, von 34 auf 40\u00b0 stockte die Rotation zun\u00e4chst auf einige Minuten bis eine Stunde. \u2014 Vor\u00fcbergehenden Stillstand der Rotation beobachtete auch Hofmeister1 2 als er ein Pr\u00e4parat von Nitella aus der Zimmertemperatur von 18,5\u00b0 C. in einen auf -f- 5\u00b0 C. abgek\u00fchlten Raum gebracht und darin 2 Minuten lang gelassen hatte. Derselbe 3 fand das Protoplasma in Haaren von Ecbalium agreste, welches bei 16 \u201417\u00b0 C. lebhaft str\u00f6mte, nach 6 bis 8 Minuten langem Verweilen in einem Raum von 40\u00b0 C. bewegungslos, das Protoplasmanetz sehr vereinfacht. Erst nach halb- bis zweist\u00fcndigem Aufenthalt in der n\u00e4mlichen Temperatur trat die Str\u00f6mung wieder ein und erreichte binnen wenigen Minuten die dieser hohen Temperatur zukommende Lebhaftigkeit. Durch rasche Abk\u00fchlung von 40\u00b0 auf 16\u00b0 C. wurde das Protoplasma desselben Objektes wieder bewegungslos. \u201eAn vielen seiner Str\u00e4nge hatten sich knotige Varikosit\u00e4ten gebildet\u201c. Erst nach 7 Minuten fing die Bewegung wieder an und erst nach 18 Minuten war sie (bei constant 16\u00b0 C.) wieder normal.4 5 \u2014 Bei schneller Erw\u00e4rmung der Brennhaare von Urtica auf 40\u00b0 und dar\u00fcber sah Schultze 5 oft dieselben merkw\u00fcrdigen Ver\u00e4nderungen des Protoplasma eintreten, wie sie Br\u00fccke durch starke Schl\u00e4ge des Magnetelektromotors erzeugte (s. oben.) \u2014 Der Beobachtungen K\u00fchne\u2019s und Hofmeister\u2019s \u00fcber Einwirkung raschen Erfrierens auf Tradescantiazellen wurde oben schon gedacht.\n1\tDutrochet, Compt. rend. II. p. 777. 1837.\n2\tW. Hofmeister, Die Lehre von der Pflanzenze\u00fce S. 53. \u2014 Vgl. auch Hugo de Vries in Flora 1873. S. 25 (Hydrocharis morsus ranae betr.)\n3\tIbid. S. 55.\n4\tIbid. S. 54.\n5\tM. Schultze, Das Protoplasma u. s. w. S. 48.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\n24","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370 Engelmann, Protoplasma- u.Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\n3. Lichtreize.\nDie meisten Arten von contraktilem Protoplasma scheinen gegen Licht, wie auch gegen Lichtwechsel unempfindlich zu sein. So beispielsweise das Protoplasma der farblosen Blutk\u00f6rper und anderer am\u00f6boider Zellen von Wirbelthieren und Wirbellosen1, das der gew\u00f6hnlichen Am\u00f6ben, vieler Phizopoden, Infusorien1 und Pflanzenzellen.2 In gr\u00fcnen, dem Licht entzogenen Pflanzentheilen erlischt zwar die Bewegung, doch erst mit der Vegetation der Pflanze \u00fcberhaupt, bei Chara nach Dutrochet3 beispielsweise nach 24\u201426 Tagen.\nIn einzelnen F\u00e4llen \u00e4ndert sich bei einige Zeit lang anhaltender Einwirkung von Licht oder Dunkelheit die Anordnung des Protoplasma merklich. Im Finstern an die Oberfl\u00e4che der Lohe gekrochene Plasmodien von Aethalium ziehen sich bei hellem Licht wieder in die Tiefe zur\u00fcck. Dieselben entwickeln im Lichte nur kurze, gedrungene Ausl\u00e4ufer, im Finstern lange, schmale, d\u00fcnne Auszweigungen.4 Hier scheint also Beleuchtung \u00e4hnlich k\u00fcnstlichen Reizen zu wirken. \u2014 Bekannt sind die auf Wechsel der Beleuchtung erfolgenden Gestaltver\u00e4nderungen der contraktilen Pigmentzellen in der Haut mancher Fische, Amphibien und Reptilien, Aenderungen, auf welchen der Farbenwechsel dieser Thiere beruht. Die im Dunkeln weitverzweigten schwarzen Pigmentzellen der Froschcutis z. B. contrahiren sich bei heller Beleuchtung allm\u00e4hlich zu kleinen Kugeln, infolge wrovon die Haut heller wird. Doch scheint man es hier meist mit einem indirekten, durch die Nerven vermittelten Einfluss des Lichtes auf die contraktilen Elemente zu thun zu haben, nach Lister5 6 und G. Pouchet0 speciell mit einem Reflex vom Auge.\nAbweichend von den genannten F\u00e4llen verh\u00e4lt sich das Proto-\n1\tNach fremden und eigenen Beobachtungen.\n2\tVgl. Jul. Sachs, Ueber den Einfluss des Tageslichtes u. s. w. Botan. Ztg. 1863. Beilage; W. Hofmeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle S. 49. 1867; G-. Kraus, Ueber Versuche mit Pflanzen imfarbigem Lichte. Sitzungsber. d. naturf. Gesellsch. zu Halle v. 20. Mai 1876 ; Botan. Ztg. 1876. S. 504. (Gelbes Licht ist ohne Einfluss auf die Bewegung von Hydrocharis. Trianea, Chara, Vallisneria, Elodea, Pilobolus, Urtica dioica, Navicula.\n3\tDutrochet, Compt. rend. II. p. 779. 1837.\n4\tHofmeister, DieLehre von der Pflanzenzelle S. 21. \u2014 Baranetzky, Influence de la lumi\u00e8re sur les plasmodia des Myxomyc\u00e8tes. M\u00e9m. Soc. des scienc. nat. Cherbourg XIX. p. 321. 1875 fand die blauen Strahlen besonders wirksam, die gelbennicht.\n5\tJos. Lister, On the cutaneous pigment, syst, of the frog. Philos. Transact. Roy. Soc. CXLVIII. p. 627. 1859.\n6\tG. Pouchet, Sur les rapides changements de coloration provoqu\u00e9s exp\u00e9rimentalement chez les poissons. Compt. rend. LXXXII. p. 866. 1871. \u2014 Vgl. ferner G. Seidlitz, Beitr\u00e4ge zur Descendenztheorie. Leipzig 1876 , wo eine Zusammenstellung der den Farbenwechsel der Thiere betreffenden Arbeiten gegeben ist.","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"Lichtreize. Mechanische Reize.\n371\nplasma von Pelomyxa palustris.1 Dieses grosse S\u00fcsswasseram\u00f6boid kriecht im Dunkeln sehr lebhaft umher, zieht sieh aber bei pl\u00f6tzlicher Beleuchtung (diffuses Tageslicht gen\u00fcgt) binnen wenigen Sekunden, nach vorhergehender Sistirung der K\u00f6rnchenstr\u00f6mung, kug-lig zusammen. Bei andauernder Beleuchtung kehren dann nur schwache und tr\u00e4ge Bewegungen zur\u00fcck. Wenn das Dunkel ganz allm\u00e4hlich (etwa innerhalb ln Stunde) durch Tageslicht wachsender Helligkeit vertrieben wird, bleibt die Reizwirkung aus. Ebenso wenn nach l\u00e4ngerer Beleuchtung pl\u00f6tzlich verdunkelt wird.\nAnhangsweise sei der Thatsache gedacht, dass stark und anhaltend beschattete Stellen gr\u00fcner Bl\u00e4tter von Phanerogamen, Moosen, Farnpro-, thallien, eine dunklere F\u00e4rbung annehmen infolge langsamer Lage\u00e4nderungen der im Protoplasma eingeschlossenen Chlorophyllk\u00f6rner. Diese h\u00e4ufen sich n\u00e4mlich unter dem Einfluss des Lichtes, speciell der kurzwelligen Strahlen, haupts\u00e4chlich an den der Blattoberfl\u00e4che zugekehrten Zellfl\u00e4chen, im Dunkeln haupts\u00e4chlich an den zu diesen senkrecht stehenden Seitenw\u00e4nden der Zellen an. Obschon nun diese Aenderungen sicherlich auf Bewegungen des Protoplasma beruhen, bleibt es doch ungewiss inwieweit es sich hier um einen direkten Einfluss auf das Protoplasma oder um einen indirekten, etwa durch prim\u00e4re Aenderungen in den Chlo-rophyllk\u00f6rpern vermittelten Einfluss des Lichtes handelt.2\n4. Mechanische Reize.\nAls solche wirken alle pl\u00f6tzlichen mechanischen Eingriffe von einiger Erheblichkeit: Druck, Zerrung, Quetschung, Zerreissung. Die Erscheinungen sind wesentlich wie nach elektrischer Erregung.\nSchon R\u00f6sel3 sah vor mehr als 120 Jahren Am\u00f6ben sich infolge von Ber\u00fchrung zusammenziehen. Farblose Blutk\u00f6rper, Rhizopoden u. s. w. ziehen nach einem heftigeren Druck ihre Ausl\u00e4ufer ein, die dabei oft zun\u00e4chst varik\u00f6s werden. Die Str\u00f6mungen in den Plasmodien der Myxo-myceten werden durch Ersch\u00fctterungen irgend welcher Art leicht f\u00fcr einige Zeit verlangsamt oder gar zum Stillstand gebracht.4 \u2014 Die Protoplasmastr\u00e4nge der Staubfadenhaare von Tradescantia werden nach massiger momentaner Quetschung knotig, \u201ereissen, ziehen sich zu kurzen Keulen oder Kugeln zusammen, verschmelzen z. Th. mit der Ansamm-\n1\tTh. W. Engelmann, Ueber Reizung contr. Protopl. durch pl\u00f6tzliche Beleuchtung. Arch. f. d. ges. Physiol. XIX. S. 1.\n2\tYgl. J. B\u00f6hm, Sitzgsber. d. Wiener Acad. XXII. S. 476. 1856 ; XXXYII. S. 475. 1859 ; XLYII. S. 352.1863 ; A.Famintzin, Jahrb. f.wissensch. Bot.YI. S. 1.1867 ; Borodin, M\u00e9l. biol. Petersb. YI. 1867; YII. 1869; Frank, Jahrb. f. wissensch. Bot. YIII. S. 216. 1871 ; Botan. Ztg. 1871. Nr. 14 u. 15; Jul. Sachs, Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. Mathem.-phys. Cl. XXII. 1859; Lehrb. d. Bot. 4. Aufl. S. 722. 1874.\n3\tR\u00f6sel von Rosenhof , Der monatl. herausgeg. Insektenbelustigungen dritter Theil. S. 621. N\u00fcrnberg 1755.\n4\tA. de Bary, Die Mycetozoen. 2. Aufl. S. 49. Best\u00e4tigt von W. Hofmeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle S. 26.\n24*","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372 Engelmann. Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. DieProtoplasmabew.\nlung von Protoplasma in der Umgebung des Zellkernes, z. Th. mit dem protoplasmatisehen Wandbeleg\u201c. Nach 10\u201415 Minuten stellt sich die normale Anordnung und Beweglichkeit wieder her.1 \u2014 Auf h\u00f6ren der Rotation in den Zellen von Chara sah schon Gfozzi 2, wie sp\u00e4ter D\u00fcteochet u. a., nach Anlegen einer Ligatur oder Knickung. Bald hernach stellte sich in jeder der beiden H\u00e4lften ein neuer Kreislauf her. D\u00fcteochet 3 sah minutenlang w\u00e4hrenden Stillstand bei Chara nach Durchschneiden und Stechen der Zellen. \u2014 Auf mechanischer Reizung beruht es ohne Zweifel, dass frisch angefertigte Pr\u00e4parate von Characeen, Vallisneria etc. nur stillstehendes Protoplasma zu zeigen pflegen. Die Bewegungen treten erst nach einer Zeit der Ruhe des Pr\u00e4parates ein.4 5 Dasselbe gilt nach eigenen Beobachtungen auch von Diatomeen und Oscillarien.\n5. Chemische Reize.\nAuch bei pl\u00f6tzlichen chemischen Eingriffen werden oft die n\u00e4mlichen Wirkungen beobachtet wie nach elektrischer Reizung. Leicht treten aber hierbei complicirende und st\u00f6rende Nebenerscheinungen (Schrumpfung, Quellung, Coagulation u. dgl.) auf, so dass nur in ver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig wenigen F\u00e4llen die eigentliche Reizwirkung, an ihrer Form und vor\u00fcbergehenden Dauer kenntlich, rein zur Beobachtung kommt.\nAls Reize k\u00f6nnen zun\u00e4chst schon pl\u00f6tzliche Aenderungen im Wassergehalt des Protoplasma wirken.\nD\u00fcteochet 5 setzte Chara in Kochsalzl\u00f6sung von etwas \u00fcber 1 %. Nach 4 Minuten h\u00f6rte die Bewegung auf um 8 Minuten sp\u00e4ter wieder zu beginnen. Allm\u00e4hlich ward sie sehr schnell und hielt sich noch 10 Tage. Bei einem \u00e4hnlichen Pr\u00e4parat, dessen Bewegung nach zehnst\u00fcndigem Aufenthalt in derselben Salzl\u00f6sung wieder sehr lebhaft geworden war, erfolgte nach Eintauchen in reines Wasser von gleicher Temperatur binnen 4 Minuten Stillstand der 5 Minuten andauerte. \u2014 Hofmeistee6 sagt, nach Beobachtungen an Chara, Vallisneria, Hydrocharis, Trades-cantia: \u201eBei Behandlung einer Zelle, die str\u00f6mendes Protoplasma enth\u00e4lt, mit der w\u00e4sserigen L\u00f6sung eines der Lebensth\u00e4tigkeit der Pflanze nicht unmittelbar nachtheiligen Stoffes von einer Concentration, welche die rasche Zusammenziehung des protoplasmatischen Inhaltes der Zelle bewirkt, stockt die fliessende Bewegung auf kurze Zeit, w\u00e4hrend der Contraktion des protoplasmatischen Inhaltes, um bald innerhalb der an der raschen Str\u00f6mung nicht betheiligten Hautschicht desselben wieder zu beginnen\u201c. Bei pl\u00f6tzlicher Verd\u00fcnnung der L\u00f6sung, in welcher eine Zelle mit leicht perme-\n1\tHofmeistee, a. a. O. S. 50.\n2\tGozzi in Brugnatelli Giornale de fisica. 2. Dec. p. 199.1818.\n3\tD\u00fcteochet, Compt. rend. n. p. 780. 1837.\n4\tHofmeistee, a. a. 0. S. 50.\n5\tD\u00fcteochet, Compt. rend. II. p. 781, 782. 1837.\n6\tHofmeistee, a. a. 0. S. 52; vgl. auch ibid. S. 27, wo eine entsprechende Beob achtung an Didimene serpula mitgethe\u00fct ist.","page":372},{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"Chemische Reize. Theoretisches.\n373\nabler Haut, z. B. eine Blattzelle von Vallisneria, ein Wurzelhaar von Hy-drocharis die normale Str\u00f6mung zeigt, tritt ebenso vor\u00fcbergehende Stockung ein.1 \u2014 S\u00fcsswasseram\u00f6ben, die ich an Salzwasser von 2,5% akkomodirt hatte, zogen sich bei Zusatz halbprocentiger Kochsalzl\u00f6sungen heftig zusammen, begannen aber nach wenigen Minuten wieder sich in der \u00fcblichen Weise zu bewegen. Aehnliche Beobachtungen theilt Czerny2 mit.\nUeber den Einfluss von S\u00e4uren und Alkalien liegen \u00e4hnliche Beobachtungen vor.\nIn Kali oder Natron von 0,05 %, ebenso in Weinsteins\u00e4ure von 0,1 % trat in Dutrochet\u2019s3 Versuchen an Chara zun\u00e4chst eine 5 Minuten w\u00e4hrende Verlangsamung, darauf Beschleunigung der Rotation ein. K\u00fchne4 fand nach sehr fl\u00fcchtiger Applikation von Ammoniakd\u00e4mpfen auf Actino-sphaerium nur noch sehr wenige, kurze, stark varik\u00f6s gewordene Ausl\u00e4ufer, die nach l\u00e4ngerer Ruhe wieder ihre gew\u00f6hnliche Gestalt annahmen.\nVI. Theoretisches.\nEine bis zu den elementaren physikalischen und chemischen Vorg\u00e4ngen zur\u00fcckf\u00fchrende Theorie der Protoplasmabewegungen l\u00e4sst sich aus den bisher gesammelten Erfahrungen nicht ableiten. Wie der direkten Wahrnehmung wesentlich nur die mechanische Seite des Vorgangs zug\u00e4nglich ist, wird auch die theoretische Betrachtung sich auf den Versuch einer Mechanik der Bewegungen beschr\u00e4nken m\u00fcssen, und mag es der Zukunft \u00fcberlassen bleiben einen Einblick in die Art und Verkettung der den sichtbaren Erscheinungen zu Grunde liegenden unsichtbaren Molekularwirkungen zu erhalten.\nJeder Versuch nun einer Erkl\u00e4rung des Mechanismus der Protoplasmabewegungen muss nicht nur alle bekannten Modifikationen der Protoplasmabewegung umfassen, wie bereits Hofmeister5 mit Recht forderte, sondern muss auch im Princip auf die \u00fcbrigen Contraktili-t\u00e4tserscheinungen anwendbar sein. Denn die wesentliche Ueberein-stimmung, welche zwischen allen in der Erscheinungsweise und den Bedingungen des Zustandekommens besteht, und besonders handgreiflich die allm\u00e4hlichen Ueberg\u00e4nge zwischen denselben beweisen, dass man es hier in allen F\u00e4llen mit Aeusserungen des n\u00e4mlichen mechanischen Principes, mit dem n\u00e4mlichen elementaren Bewegungsmechanismus zu thun hat.\n1\tHofmeister, a. a. O. S. 53.\n2\tVinc. Czerny, Einige Beobachtungen \u00fcber Am\u00f6ben. Arcb. f. microscop. Anat. V. S. 158. 1869.\n3\tDutrochet, Compt. rend. II. p. 781. 1837.\n4\tK\u00fchne, Untersuclnmgen \u00fcber das Protoplasma u. s.w. S. 64 u. 65; vgl. auch ebenda S. 48 u. 49 (Am\u00f6ben), S. 82 f. (Myxomyceten). Ferner M. Schultze, Das Protoplasma u. s.w. S. 32 (Actinosphaerium), S. 37 (Miliola).\n5\tHofmeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle S. 59.","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374 Engelmann, Protoplasma- u. Himmerbewegnng. 1. Cap. Die Protoplasmabew.\nAls Ausgangspunkt f\u00fcr eine n\u00e4here Zergliederung der Protoplasmabewegung diene die anerkannte Wahrheit, dass jedes kleinste, mikroskopisch noch unterscheidbare Theilchen einer jeden contrak-tilen Protoplasmamasse die F\u00e4higkeit zu selbst\u00e4ndigen Bewegungen besitzt. Den Beweis hierf\u00fcr liefern die Form- und Lage\u00e4nderungen welche an jedem Punkte einer beliebigen, \u00fcbrigens ruhenden protoplasmatischen Masse wie auch an k\u00fcnstlich isolirten kleinsten Protoplasmapartikelchen spontan oder infolge k\u00fcnstlicher Reizung auftre-ten k\u00f6nnen.\nHieraus ergiebt sich als n\u00e4chste und wie ich glaube nat\u00fcrlichste Folgerung die Vorstellung dass das Protoplasma ein Aggregat kleinster contraktiler, reizbarer Formelemente und seine Gesammtbewegung das Resultat der Formver\u00e4nderungen dieser kleinsten Elemente sei. Wesen und Ursache der Form\u00e4nderungen der letzteren bleiben hierbei vorl\u00e4ufig dahingestellt.\nDa kein Grund vorhanden ist, die kleinsten noch mikroskopisch unterscheidbaren Protoplasmapartikelchen bereits f\u00fcr die con-traktilen Elemente zu halten, wird man sich letztere im Allgemeinen noch kleiner, von molekularen Dimensionen denken m\u00fcssen. \u2014 In Betreff ihrer Form ist consequenterweise anzunehmen, dass sie im maximal erregten Zustand eine kuglige oder doch der Kugel m\u00f6glichst gen\u00e4herte, im ruhenden eine gestreckte, meist wohl faser\u00e4hnliche sei. Der Grund f\u00fcr erstere Annahme liegt darin, dass auch die kleinsten der Wahrnehmung noch zug\u00e4nglichen Protoplasmatheil-chen infolge k\u00fcnstlicher Reizung kugelf\u00f6rmig zu werden suchen, falls sie nicht schon zuvor kuglig waren. F\u00fcr Letzteres spricht einmal die Thatsache, dass kleinste kuglig contrahirte Protoplasmatkeilcken nach Auf h\u00f6ren der Reizung h\u00e4ufig eine gestreckte, selbst \u00e4usserst schlanke (Faser-) Form (Pseudopodien u. a.) annehmen. Zweitens zeigt ruhendes hyalines Protoplasma, wie fr\u00fcher beschrieben, nicht selten eine Zerkl\u00fcftung in \u00e4usserst feine Fibrillen. Drittens haben die kleinsten unterscheidbaren Formelemente anderer contraktiler Gebilde (der Flimmerorgane, Myophane, Muskelfasern) im Ruhezustand s\u00e4mmtlich eine langgestreckte Form.\nDie mechanischen Leistungen, namentlich nackter Protoplasmen, lehren, dass die Formver\u00e4nderungen, speciell die Verk\u00fcrzung der contraktilen Elemente, mit einer Kraft geschehen m\u00fcssen, welche im Allgemeinen jedenfalls die Kraft erheblich \u00fcberragt, mit welcher die Elemente, falls sie fl\u00fcssig w\u00e4ren, der Kugelform zustreben w\u00fcrden.\nDer K\u00fcrze halber m\u00f6gen im Folgenden die hypothetischen eontrak-tilen Elemente \u201eInotagmen\u201c genannt werden, womit angedeutet wer-","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"Theoretisches.\n375\nden soll, dass in ihnen die Kraft erzeugt wird, welche zur Contraktion Veranlassung giebt und dass man sie sich als Molek\u00fclverbindungen (Tagmen, Pfeffer1) vorzustellen hat. \u2014 Sehr wahrscheinlich sind alle Inotag-men positiv einaxig doppelbrechend, da Contraktilit\u00e4t allgemein an das Vorkommen positiv einaxiger Theilchen gebunden zu sein scheint.'2\nDie aktiven wie die passiven Bewegungserscheinungen des Protoplasma zwingen nun weiter zu der Annahme, dass die Inotagmen des Protoplasma nicht wie die der Muskeln und Flimmerhaare s\u00e4mmt-lich in einer relativ festen Anordnung nach bestimmten Axenrich-tungen orientirt, sondern im Allgemeinen sehr leicht und in allen Richtungen gegeneinander verschiebbar zusammengef\u00fcgt sind, wobei nat\u00fcrlich die M\u00f6glichkeit nicht ausgeschlossen bleibt einer vor\u00fcbergehenden oder dauernden Gruppirung einer kleineren oder gr\u00f6sseren Anzahl von Inotagmen zu bestimmt geformten gr\u00f6sseren Massen (Fasern, Membranen u. dgl.).\nAls Grund der grossen Verschiebbarkeit der Protoplasmatheil-chen darf in Uebereinstimmung mit den herrschenden Ansichten \u00fcber die Molekularstruktur organisirter Massen, wesentlich die verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig bedeutende Menge des zwischen den Inotagmen und Inotag-mengruppen befindlichen Imbibitionswassers betrachtet werden. Mit der Menge dieses Wassers w\u00e4chst und f\u00e4llt, wie fr\u00fcher gezeigt, die V erschiebbarkeit.\nDie im Vorstehenden entwickelten Vorstellungen gestatten nun einen ersten Schritt zur Erkl\u00e4rung der Protoplasmabewegung, insofern sie erlauben die vielen verschiedenen Formen unter denen dieselbe auftritt und die Ver\u00e4nderungen welche sie infolge von allerhand Einwirkungen erleidet auf einen einzigen, wenn auch zun\u00e4chst selbst noch der Erkl\u00e4rung bed\u00fcrftigen Vorgang \u2014 die Formver\u00e4n-derung der Inotagmen \u2014 zur\u00fcckzuf\u00fchren.\nEs sei gestattet, wenigstens einige der wichtigsten F\u00e4lle in dieser Richtung zu zergliedern.\n1. Kugligwerden nackter Protoplasmen bei Reizung. Es erkl\u00e4rt sich aus dem gleichzeitigen Kugligwerden aller Inotagmen, insofern damit die Fl\u00e4chenanziehung, welche dieselben aufeinander aus-tiben, also die Coh\u00e4sion der Gesammtmasse \u00fcberall und nach allen Richtungen merklich gleich werden muss. F\u00fcr die Richtigkeit des letzteren Schlusses liefert das pl\u00f6tzliche Kugligwerden der Luftblasen im Protoplasma von Arcella bei elektrischer Reizung einen h\u00fcbschen Beweis. Da hierbei das Volum der Luftblasen zun\u00e4chst keine Verkleinerung erf\u00e4hrt, kann offenbar das Kugligwerden hier nicht die Folge einer Contraktion bloss der Rindenschicht des Protoplasma sein, wie h\u00e4ufig gemeint wird.\n1\tW. Pfeffer, Osmotische Untersuchungen S. 32. Leipzig 1877.\n2\tContraktilit\u00e4t und Doppelbrechung. Arch. f. d. ges. Physiol. XI. 1875.","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 1. Cap. Die Protoplasmabew.\nDie Kraft mit der die Ann\u00e4herung an die Kugelform erfolgt, wird wesentlich abh\u00e4ngen von der Kraft mit der die Inotagmen ihre Gestalt ver\u00e4ndern und von der durchschnittlichen Gr\u00f6sse der Coh\u00e4sion des Protoplasma. Da letztere mit steigendem Gehalt an Imbibitionswasser abnimmt, wird auch jene Kraft mit wachsender Menge des letzteren im Allgemeinen abnehmen m\u00fcssen. Wirklich kann bei sehr d\u00fcnnfl\u00fcssigem Protoplasma (mancher Plasmodien z. B.) schon die Schwerkraft die Zusammenziehung zur Kugel verhindern.\nDas Varik\u00f6swerden, das Einziehen oder Einschmelzen von faser- oder hautartigen Ausl\u00e4ufern (Pseudopodien u. dgl.) erkl\u00e4rt sich nach dem Gesagten unschwer.1\n2. Entstehung von Ausl\u00e4ufern. Wenn in einer durch Reizung kuglig gewordenen, oder allgemeiner gesagt auf die kleinstm\u00f6gliche' Oberfl\u00e4che reducirten Protoplasmamasse alle Inotagmen nach Aufh\u00f6ren des Reizes sich gleichzeitig wieder strecken, so wird eine merkliche Gestaltver\u00e4nderung der Gesammtmasse nicht nothwendig eintreten. Dies wird im Allgemeinen nur bei partieller, bez\u00fcglich ungleichzeitiger oder ungleichstarker Streckung gr\u00f6sserer, nach parallelen Richtungen orientir-ter Haufen von Inotagmen der Fall sein. Der kuglige Zustand eines nackten Protoplasmak\u00f6rpers kann also sowohl der v\u00f6lligen Ruhe (Erschlaffung) als der maximalen Erregung (Con-traktion der Inotagmen) entsprechen. \u2014 Ausser durch Wiederverl\u00e4ngerung (Erschlaffung) bestimmt orientirter Inotagmengruppen, die besonders leicht zur Bildung d\u00fcnner Pseudopodien wird f\u00fchren k\u00f6nnen, ist das Entstehen von Ausl\u00e4ufern noch auf verschiedene andere Weisen m\u00f6glich. Einer der allerh\u00e4ufigsten F\u00e4lle ist die seit O. F. M\u00fcller bekannte, bei Am\u00f6ben und am\u00f6boiden Massen \u00e4usserst gew\u00f6hnliche Bildung hyaliner, anfangs streng kugelabschnittf\u00f6rmiger Hervorw\u00f6lbungen, in welche nachtr\u00e4glich die K\u00f6rnermasse des Inneren einstr\u00f6mt. Hier ist als Ursache eine allgemeine Contraktion aller Inotagmen der sich hervorw\u00f6lbenden Partie der hyalinen Rindenschicht anzunehmen. Wie die anscheinend widerstandslose Bewegung der nachstr\u00f6menden K\u00f6rnchen zeigt, kann die Coh\u00e4sion\n1 Mit einem Wort muss hier K\u00fchne\u2019s Versuch am sogenannten k\u00fcnstlichen Muskel (Unters, \u00fcber das Protoplasma u.s.w. S. 81) gedacht werden, da demselben von zoophysiologischer Seite eine Wichtigkeit beigelegt ist, die er h\u00f6chstens verdienen w\u00fcrde, wenn die ihm von seinem Urheber gegebene Deutung richtig w\u00e4re. Ehe dieser jedoch zugestimmt werden d\u00fcrfte, h\u00e4tte, was nicht geschehen ist, der Nachweis geliefert werden m\u00fcssen: 1) dass das in den K\u00e4ferdarm eingef\u00fcllte mit Wasser anger\u00fchrte Protoplasmapulver sich darin wieder zu lebendigem, reizbarem Protoplasma entwickelt h\u00e4tte, eine Wiederbelebung, deren Misslingen nach dem Zeugniss der erfahrensten Autoren mehr Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich hatte, als das Gelingen. 2) h\u00e4tten, die erste Bedingung als erf\u00fcllt zugegeben, alle Protoplasmakl\u00fcmpchen zu einer einzigen organisch zusammenh\u00e4ngenden Masse verschmolzen sein m\u00fcssen. Denn ohnedies w\u00e4re der \u201ek\u00fcnstliche Muskel\u201c nur ein Aggregat regellos durcheinanderliegender Am\u00f6ben gewesen, das nat\u00fcrlich bei gleichzeitiger Contraktion dieser aller seine Form nicht merklich ver\u00e4ndert haben w\u00fcrde. Erfahrungsgem\u00e4ss war aber auch die Erf\u00fcllung dieser Bedingung der weitaus unwahrscheinlichere Fall. Da zudem der Inhalt des \u201eMuskels\u201c, als er nach wenigen Reizversuchen entleert ward, theils aus einzelnen knolligen Massen, theils aus blassen Blasen und freien K\u00f6rnchen bestand, aus denen sich weiterhin keine beweglichen Zust\u00e4nde wieder bildeten, so scheint auch direkt bewiesen zu sein, dass weder die erste noch die zweite der obigen Bedingungen erf\u00fcllt war.","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"Theoretisches.\n377\ninnerhalb des hyalinen Ausl\u00e4ufers von der einer Fl\u00fcssigkeit nicht merklich abweichen. Nach der namentlich unter Zoophysiologen verbreitetsten, zuerst von Ecker 1 f\u00fcr Am\u00f6ben ausgesprochenen Vorstellung, sollen hier die Ausl\u00e4ufer durch Contraktionen des r\u00fcckw\u00e4rts gelegenen Protoplasma, speciell der Rindenschicht hervorgepresst werden. Indessen schon Dujardin meinte und de Bary1 2 3 wies nach, dass die Ursache f\u00fcr die Fortbewegung der Masse in diesem Falle nothwendig am Ziele des Stromes erzeugt werden m\u00fcsse, de Bary erblickte dieselbe in einer daselbst stattfindenden \u201eErschlaffung oder Expansion, verm\u00f6ge deren der K\u00f6rnerstrom in jene hineingetrieben wird, \u2014 sei es aufgesogen wie Wasser von einem por\u00f6sen K\u00f6rper, sei es einfach nach dem Ort des geringsten Widerstandes str\u00f6mend\u201c. Auch Hofmeister bek\u00e4mpfte die herrschende Ansicht nachdrticklichst besonders auf Grund der Thatsache, dass die K\u00f6rnchenstr\u00f6mung nach r\u00fcckw\u00e4rts vom Ziel der Bewegung um sich greift. Mit Recht wird bemerkt, dass von einer Contraktion der Rindenschicht der im R\u00fccken der Str\u00f6mung gelegenen Partien, die in einer glatten, gespannten, sich verkleinernden Oberfl\u00e4che sich aussprechen m\u00fcsste, nichts wahrzunehmen ist. Im Gegentheil pflegt, wie man an jeder schnell vorw\u00e4rts kriechenden am\u00f6boiden Masse sehen kann, die Oberfl\u00e4che des hinteren K\u00f6rperabschnittes bei abnehmendem Volum desselben runzelig, faltig, wo nicht gar faserig zerkl\u00fcftet zu sein.\nEs kommt jedoch, wenigstens nach de Bary 3 bei Myxomyceten, zuweilen wirklich eine der \u00e4lteren Auffassung entsprechende Bildung von Ausl\u00e4ufern vor. Hier contrahirt sich dann aber nach de Bary das Protoplasma hinter dem Strome ganz unverkennbar und nimmt die Geschwindigkeit der Str\u00f6mung nach dem Ziele hin ab. \u2014 In \u00e4hnlicher Weise werden wohl auch im Innern des Protoplasma lokale und namentlich fortschreitende Contraktionen von Inotagmengruppen \u00f6rtliche Druckunterschiede und damit Str\u00f6mungen, Verschiebungen leichtbeweglicher Massen her-vorrufen k\u00f6nnen. Die, von Br\u00fccke4 zun\u00e4chst f\u00fcr Urtica entwickelte, Vorstellung aber, als ob die Fortbewegung im Protoplasma enthaltener Einschl\u00fcsse (K\u00f6rnchen, Kerne, Vakuolen u. s. w.) \u00fcberhaupt oder doch in der Regel in dieser Weise, analog einer durch Contraktionen der sie einschliessenden R\u00f6hrenw\u00e4nde fortbewegten Fl\u00fcssigkeit, zu Stande k\u00e4me, ist nach dem Gesagten unhaltbar.5\nAnmerkung. Es liegt \u00fcbrigens auf der Hand, dass Ausl\u00e4uferbildung und Str\u00f6mungen auch ohne physiologische Contraktion durch blosse Schrumpfung der Rindenschicht m\u00fcssen herbeigef\u00fchrt werden k\u00f6nnen (so bei partiellem Vertrocknen, was z. B. bei gr\u00f6sseren Plasmodien \u00f6fter vorkommt, oder durch Eiweissgerinnung z. B. nach \u00fcbermaximaler elektrischer Reizung). Und selbstverst\u00e4ndlich werden auch, besonders bei Versuchen mit k\u00fcnstlicher Reizung, allerhand Combinationen der verschiedenen\n1\tEcker, Ztschr. f. wissensch. Zool. I. S. 235. 1849.\n2\tde Bary, Die Mycetozoen. 2. Aufl. S. 47 f. 1864.\n3\tIbid. S. 47.\n4\tBr\u00fccke, Sitzgsber. d. Wiener Acad. Mathem.-naturw. Cl. XLVI. 1863.\n5\tVgl. auch die Widerlegung der Allgemeing\u00fcltigkeit dieser Ansicht durch M. Schultze, Das Protoplasma n. s. w. S. 51 f. Ferner A. de Bary, Ueber den Bau u. das Wesen der Zelle. Flora 1862. S. 249.","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378 Engelmann, Protoplasma- u.Flimmerbewegung. 1. Cap. Die Protoplasmabew.\nbeschriebenen Entstehungsarten von Ausl\u00e4ufern und Str\u00f6mungen Vorkommen k\u00f6nnen.\n3.\tRotation des Protoplasma innerhalb fester Zellw\u00e4nde. Eine solche muss zu Stande kommen wenn die Inotagmen der sich bewegenden Schichten im Allgemeinen mit ihren L\u00e4ngsaxen der Bewegungsrichtung parallel orientirt sind und ein Fortschreiten des spontanen Reizes in dieser Richtung stattfindet. Das bewegliche Protoplasma kriecht dann auf der unbeweglichen Wandschicht \u00e4hnlich wie ein Schnecken-fuss auf seiner Unterlage.\n4.\tHemmung der spontanen Bewegungen durch k\u00fcnstliche Reizung. Wie fr\u00fcher beschrieben ist der erste Erfolg k\u00fcnstlicher Reizung meist Stillstand oder doch Verlangsamung der gerade vorhandenen spontanen Bewegungen an den direkt gereizten Stellen. Oberfl\u00e4chlich betrachtet k\u00f6nnte es demnach scheinen als ob in allen diesen F\u00e4llen nicht sowohl eine Erregung als vielmehr eine L\u00e4hmung des Protoplasma stattgefunden habe, eine Meinung, die namentlich von Pflanzenphysiologen vertreten worden ist. Inzwischen muss nach unserer Vorstellungsweise das Gegentheil statthaben und es l\u00e4sst sich nun auch leicht zeigen, dass nach dieser der Erfolg kein anderer als der beobachtete sein kann. Indem n\u00e4mlich alle, nicht schon zuvor contrahirte Inotagmen infolge der Reizung in Contraktion gerathen, werden die Bewegungsantriebe an allen Punkten des Protoplasma wesentlich gleich gemacht. Die Ge-sammtmasse muss also zun\u00e4chst in einen Gleichgewichtszustand kommen. Es ist ganz dasselbe wie wenn s\u00e4mmtliche Muskeln eines Thieres gleichzeitig maximal erregt w\u00fcrden, wo dann auch das \u00e4ussere Bild das einer Hemmung der normalen Bewegungen, eines Stillstandes sein muss.\nIndem wir bisher die Bewegungen protoplasmatischer Massen auf aktive Formver\u00e4nderungen kleinster Theilchen zur\u00fcckf\u00fchrten, verschoben wir nur die L\u00f6sung der wesentlichen Schwierigkeit, welche nunmehr in der Erkl\u00e4rung des Mechanismus gerade dieser Formver\u00e4nderungen bestehen w\u00fcrde. Hier m\u00fcssen wir uns zur Zeit auf einige Andeutungen beschr\u00e4nken, die mehr ein Wink f\u00fcr weitere Forschung als eine L\u00f6sung der Aufgabe zu sein beanspruchen.1\nAus fr\u00fcher angegebenen Gr\u00fcnden kann jener Mechanismus kein anderer sein, als der welcher auch den aktiven Formver\u00e4nderungen der Muskeln und Flimmerorgane zu Grunde liegt. F\u00fcr die Muskeln nun darf nicht mehr bezweifelt werden, dass die Formver\u00e4nderungen ihrer eontraktilen Theilchen mit Aenderungen ihres Wassergehaltes, ihres Quellungszustandes Hand in Hand gehen. Nachweislich quellen die eontraktilen, doppelbrechenden, Schichten der quergestreiften Muskelfasern bei der lebendigen Verk\u00fcrzung durch Fl\u00fcssigkeitsaufnahme aus den zwischen ihnen gelegenen isotropen, nicht eontraktilen Schichten auf, und geben bei der Wiederstreckung diese Fl\u00fcssigkeit\n1 Vgl. f\u00fcr dasFolgende mehrere Aufs\u00e4tze im Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 33 f.? 155f. (besonders S. 176f.) 1873; VIII. S. 95f. 1874; XVIII. S. 1 f. 1878.","page":378},{"file":"p0379.txt","language":"de","ocr_de":"Theoretisches.\n379\nan die letzteren wieder ab. Umgekehrt kann durch k\u00fcnstlich herbeigef\u00fchrte Quellung der doppelbrechenden Scheiben (auch nicht mehr reizbarer) Muskeln die charakteristische Verk\u00fcrzung hervorgerufen werden. Ebenso bei Flimmerhaaren. Da es nun eine allgemeine Regel ist, dass anisodiametrische, doppelbrechende organisirte thie-rische und pflanzliche Gebilde, gleichviel ob# lebend oder todt, bei Wasseraufnahme (Quellung) sich (mit oft sehr grosser Kraft und immer in der Richtung der optischen Axe) zu verk\u00fcrzen streben, ist es erlaubt als n\u00e4chste Ursache f\u00fcr die Formver\u00e4nderungen der Ino-tagmen des Protoplasma (wie der der anderen contraktilen Substanzen) Aenderungen ihres Wassergehaltes anzunehmen, das Wesen der Con-traktion also in einem eigenth\u00fcmlichen Quellungsvorgang zu erblicken.\nSchon. W. Hofmeister 1 hat, ausgehend von der Ver\u00e4nderlichkeit des Imbibitionszustandes des Protoplasma, das Wesen der Bewegung desselben in periodischen Aenderungen des Wassergehaltes der kleinsten Protoplasma-theilchen gesucht und diesen Gedanken in origineller Weise eingehend ausgef\u00fchrt. Er nahm jedoch nur Volum- nicht Form Ver\u00e4nderungen der kleinsten Theilchen an, was zur Erkl\u00e4rung der in vielen F\u00e4llen zu beobachtenden relativen Gr\u00f6sse der Verk\u00fcrzung bez. Verl\u00e4ngerung nicht gen\u00fcgt. Die bei der Contraktion der Muskeln stattfindenden Quellungsvorg\u00e4nge kannte er noch nicht.\nInsofern mit dem Bisherigen der Contraktionsvorgang auf einen auch an unzweifelhaft leblosen K\u00f6rpern (z. B. getrockneten oder in absolutem Alkohol erh\u00e4rteten Bindegewebsfibrillen) zu beobachtenden Process zur\u00fcckgef\u00fchrt ist, darf die weitere Analyse des Mechanismus dem Physiker \u00fcberlassen bleiben. Physiologischerseits w\u00fcrde sich dagegen die weitere Frage erheben, wodurch nun ihrerseits die die physiologischen Contraktionserscheinungen bedingenden Aenderungen im Wassergehalt der Inotagmen veranlasst werden. Hier ist ver-muthlich der Punkt wo der Chemiker einzusetzen hat. Doch ist es beim jetzigen Stande unserer Kenntnisse mttssig, hier\u00fcber weiter-.gehende Vermuthungen zu \u00e4ussern. \u2014\n1 W. Hofmeister. Die Lekre von der Pflanzenzelle S. 63 f. 1367.","page":379},{"file":"p0380.txt","language":"de","ocr_de":"380 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nZWEITES CAPITEL.\nDie Flimmerbewegung.\nI. Einleitung'.\nAls Flimmerbewegung im weitesten Sinne bezeichnet man jede selbst\u00e4ndige Bewegung haar- oder bl\u00e4ttchenf\u00f6rmiger Anh\u00e4ngsel thie-rischer und pflanzlicher Zellen. Im engeren Sinne versteht man darunter die regelm\u00e4ssig periodische, schwingende Bewegung kleiner H\u00e4rchen, welche auf der Oberfl\u00e4che vieler Zellen, namentlich thie-rischer Epithelien, eingepflanzt sind. Eine besondere Modifikation der letzteren ist die Bewegung der thierischen Samenf\u00e4den.\nMit der Protoplasma- und Muskelbewegung stimmt die Flimmerbewegung darin \u00fcberein, dass sie wesentlich auf Formver\u00e4nderungen beruht, durch gewisse Eingriffe (Reize) angeregt werden kann und in ihrem Zustandekommen an die allgemeinen Lebensbedingungen gekn\u00fcpft ist. Sie unterscheidet sich von der Bewegung des Protoplasma haupts\u00e4chlich dadurch, dass die contraktilen Theilchen sich um feste Gleichgewichtslagen bewegen und den normalen Anstoss zur Bewegung \u2014 vielleicht mit alleiniger Ausnahme der thierischen Samenf\u00e4den \u2014 nicht in sich selbst erzeugen, sondern von aussen, von den Zellk\u00f6rpern auf denen sie eingepflanzt sind, zugef\u00fchrt erhalten. Sie sind also contraktil aber \u2014 von der erw\u00e4hnten Ausnahme abgesehen \u2014 nicht automatisch reizbar. Letztere Eigenschaft kommt in der Regel den K\u00f6rpern der Flimmerzellen zu, welche dagegen im Allgemeinen nicht selbst contraktil sind. In einigen F\u00e4llen wird auch den Zellk\u00f6rpern der Reiz normalerweise erst von aussen, von anderen Gewebselementen zugef\u00fchrt, welche wiederum von gewissen Centren aus, willk\u00fcrlich bez\u00fcglich reflektorisch, erregt werden k\u00f6nnen, somit in Bezug auf die Flimmerzellen die Rolle von motorischen Nerven spielen (Ruderorgane der Ctenophoren z. B.). \u2014 Der allgemeinste Unterschied von der Bewegung der Muskelfasern besteht darin, dass die Formver\u00e4nderung nicht auf allen Punkten desselben Querschnittes gleichzeitig und gleichstark, also nicht symmetrisch in Bezug auf jede durch die L\u00e4ngsaxe des Organes gelegte Ebene, sondern asymmetrisch stattfindet: es erfolgt nicht eine geradlinige Verk\u00fcrzung bez\u00fcglich Streckung, sondern eine Seitw\u00e4rtskr\u00fcmmung des Organs.","page":380},{"file":"p0381.txt","language":"de","ocr_de":"Geschichtliches. Vorkommen.\n381\nWie von den h\u00f6ckstdifferenzirten Formen der Flimmerbewegung zu den niedrigsten, so finden sich auch von diesen zur1 Protoplasmabewegung alle denkbaren Ueberg\u00e4nge, wor\u00fcber N\u00e4heres im Capitel Protoplasmabewegung mitgetkeilt ist.\nGeschichtliches. Die \u00e4ltesten Beobachtungen \u00fcber Flimmerbewegung wurden im siebenzehnten Jahrhundert in Holland gemacht. 1677 entdeckte der Leidener Stud. med. Johannes Ham aus Arnhem in menschlichem Samen lebende, mit Schw\u00e4nzen versehene \u201eThierchen\u201c. Leeuwenhoek dem er seinen Fund mittheilte1, best\u00e4tigte denselben, wies die gleichen Elemente im Samen vieler Thiere nach und gab durch seine darauf basirten Theorien Anlass zu dem ber\u00fchmten Streit der Animalculisten und Ovulisten. Wenige Jahre sp\u00e4ter (1683) fand Ant. de Heide2 das Flimmerph\u00e4nomen auf der Kiemenschleimhaut der Miessmuschel. Nach ihm wurde die Erscheinung, namentlich in der zweiten H\u00e4lfte des vorigen und im Anfang dieses Jahrhunderts, bei den verschiedensten, namentlich wirbellosen Thieren nachgewiesen. Die ersten zusammenh\u00e4ngenden Untersuchungen und Darstellungen des Gegenstandes gaben Purkyne & Valentin3 und W. Sharpen 4, die zugleich eine F\u00fclle neuer anatomischer wie physiologischer Thatsachen beibrachten. Die wichtigsten Arbeiten, welche seitdem erschienen sind, werden unten in den einzelnen Capiteln Erw\u00e4hnung finden.\nII. Vorkommen der Flimmerbewegung.\nObschon bei thierischen wie vegetabilischen Organismen verbreitet, kommt Flimmerbewegung doch besonders allgemein im Thierreich vor. Bei den Pflanzen beschr\u00e4nkt sie sich auf niedere Formen (Schw\u00e4rmsporen von Algen und Pilzen, Spermatozoen von Characeen, Moosen, Gef\u00e4sskryptogamen). Unter den Protozoen zeichnen sich die Flagellaten und vor allem die ciliaten Infusorien durch eine ausserordentliche Mannichfaltigkeit von Flimmerorganen aus. Bei den Metazoen von den Spongien bis zum Menschen herauf, tritt Flimme-rung immer an Epithelzellen gebunden auf, welche meist in grosser Zahl zu einem fl\u00e4chenhaft ausgebreiteten Flimmerepithel aneinander gef\u00fcgt sind. Dieses fehlt nur den Arthropoden und (nahezu) den Cephalopoden, findet sich bei jeder Art an ganz bestimmten, meist vielen, K\u00f6rperstellen, ist aber keineswegs \u00fcberhaupt an bestimmte morphologisch oder physiologisch charakterisirte K\u00f6rperge-\n1\tAntony van Leeuwenhoek , Sevende vervolg der Brieven enz. Delft. H. van Krooneveld. 4. 113. Brief, p. 65. 1702.\n2\tAntonius de Heide, Anatome mytili p. 11, 45\u201448. 1683.\n3\tPurkinje et Valentin, De phaenomeno generali et fundamentali motus vibra-torii continui etc. Comment, physiol. Vratislaviae. 4. 1835. \u2014 Enth\u00e4lt auf S. 5\u201434 ein referirendes, sehr vollst\u00e4ndiges Verzeichniss der Literatur bis 1835.\n4\tW. Sharpey, Cilia, in Todd, Cyclop, of Anat. andPhysiol. I. p. 606\u2014638. 1835 \u201436. \u2014 S. a. London and Edinburgh new philosoph. Journ. p. 1\u201416. April 1835.","page":381},{"file":"p0382.txt","language":"de","ocr_de":"382 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\ngenden gebunden. \u2014 Auch die Samenk\u00f6rper sind nur modificirte Epithelzellen.\nEs flimmern, ganz oder theilweise, u. a. die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che der Eier, Embryonen und anderer fr\u00fchen Entwickelungszust\u00e4nde sehr vieler, auch h\u00f6herer Thiere; die Epidermis (bei vielen C\u00f6lenteraten, W\u00fcrmern, Echinodermen, Mollusken); der Darmkanal, (sehr allgemein bei C\u00f6lenteraten, W\u00fcrmern, Echinodermen, Mollusken, Fischen, Amphibien); die Oberfl\u00e4chen der Respirationsorgane, des Urogenitalapparates u. s. w.\nBeim erwachsenen Menschen findet sich Flimmerepithel an folgenden Stellen: Schleimhaut der Nasenh\u00f6hle (mit Ausnahme des untersten Abschnittes und der regio olfactoria), Nebenh\u00f6hlen der Nase (antrum Highmori etc.), Thr\u00e4nengang, Thr\u00e4nensack, obere H\u00e4lfte des Pharynx, Eustachische Trompete, Paukenh\u00f6hle (z. Th.), Kehlkopf (vom untern Ende des Kehldeckels abw\u00e4rts, mit Ausnahme der Stimmb\u00e4nder), Luftr\u00f6hre und Bronchien (bis zu den Lungenbl\u00e4schen exclusive) ; Uterus (von der Mitte des Halses an aufw\u00e4rts), Eileiter (bis auf die Aussenfl\u00e4che der Fimbrien), Kan\u00e4le des Nebeneierstockes, Nebenhoden (von den vasa efferentia testis bis gegen das vas deferens), Vesicula prostatica (?), Centralkanal des R\u00fcckenmarkes, Hirnh\u00f6hlen.\nBei menschlichen Embryonen zwischen dem 4. und 7. Monat hat man auch im Oesophagus und stellenweise in der Mundh\u00f6hle und im Magen Flimmerepithel gefunden.1 2\nIII. Structur der Flimmerorgane. Bau der Fiimmerzeilen.\nDie Form der Flimmerorgane ist in der Regel die \u00e4usserst schlank kegelf\u00f6rmiger H\u00e4rchen. So bei allen Wimperepithelzellen h\u00f6herer Thiere, bei den meisten Samenk\u00f6rperchen, bei vielen niederen Thieren und Pflanzen. Daneben begegnet man auch (bei Wirbellosen) gedrungen kegelf\u00f6rmigen und bl\u00e4ttchenf\u00f6rmigen Wimpern, die sich aber immer (durch Druck oder chemische Eingriffe) in B\u00fcschel feinster H\u00e4rchen aufl\u00f6sen lassen. Selten sind anscheinend homogene Membranen (Samenf\u00e4den von Salamandern, Tritonen, Bom-binator, undulirende Membranen vieler Infusorien).\nDie meisten einfachen Flimmerhaare sind kaum messbar dick, mit Ausnahme der Samenf\u00e4den selten l\u00e4nger als 0,05 mm. (beispielsweise beim Menschen in der Luftr\u00f6hre 0,003\u20140,005 mm., im Nebenhoden 0,022\u20140,033 mm. lang, nach K\u00f6lliker3; dagegen bei Cteno-phoren in den Ruderpl\u00e4ttchen bis \u00fcber 1 mm.).\n1\tN\u00e4here Angaben s. besonders bei G. Valentin, Artikel Flimmerbewegung in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. I. S. 486\u2014496. 1842.\n2\tE. Neumann, Flimmerepithel im Oesophagus menschlicher Embryonen. Arch, f. microscop. Anat. Xn. S. 570. 1876; K\u00f6lliker, Entwickelungsgeschichte des Menschen u. s. w. 2. Aufl. S. 853. 1878.\n3\tA. K\u00f6lliker, Handb. der Gewebelehre. 5. Aufl. S. 467 u. 525. 1867.","page":382},{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"Bau der Flimmerorgane.\n383\nSie erscheinen durchaus homogen l, glatt, farblos, ziemlich stark und dabei sehr deutlich, positiv einaxig, doppelt lichtbrechend. Die optische Axe fallt immer mit der L\u00e4ngsrichtung zusammen.2\nAlle Flimmerorgane besitzen eine ziemliche Festigkeit, Biegsamkeit und Elasticit\u00e4t. Sie quellen und schrumpfen leicht, unter entsprechenden Aenderungen ihrer optischen und mechanischen Eigenschaften. Dabei \u00e4ndert sich auch die Form: Bei der Aufquellung w\u00e4chst der Dickendurchmesser, w\u00e4hrend der L\u00e4ngsdurchmesser zun\u00e4chst, und oft sehr betr\u00e4chtlich, abnimmt.3 \u2014 Erw\u00e4rmung auf 50 0 C. und h\u00f6her pflegt sie resistenter und st\u00e4rker lichtbrechend zu machen. Ebenso wirken alle L\u00f6sungen, welche Eiweissk\u00f6rper coaguliren. Kaustische Alkalien, selbst in sehr verd\u00fcnnter L\u00f6sung, und meist auch concentrirte Essig-, Salz-, Schwefel- und Salpeters\u00e4ure l\u00f6sen die Flimmerhaare auf.\nUebrigens bestehen hinsichtlich des Verhaltens gegen chemische Rea-gentien mancherlei Unterschiede zwischen Flimmerhaaren verschiedener Arten und Lokalit\u00e4ten, wie schon Sharpey4 bemerkte, und K\u00f6lliker 5 f\u00fcr Samenf\u00e4den speciell nachwies. \u2014\nIm Allgemeinen n\u00e4hert sich das physikalische und chemische Verhalten, wie aus Obigem erhellt, am Meisten dem hyalinen Protoplasmas von gr\u00f6sserer Dichtigkeit. In der That bestehen auch, wie im Capitel Protoplasma gezeigt ist, direkte Ueberg\u00e4nge. Doch ist es nicht rathsam, wie neuerdiDgs Mode, die Flimmersubstanz \u00fcberhaupt einfach Protoplasma zu nennen, denn in der Mehrzahl der F\u00e4lle ist scharfe Unterscheidung sehr wohl m\u00f6glich.\nAlle Flimmerhaare sind auf einer protoplasmatischen Unterlage befestigt. Niemals stellen sie Ausw\u00fcchse fester Zellmembranen dar. Vielmehr durchbohren sie, wo solche vorhanden, dieselben und wurzeln auf dem unterhalb gelegenen Protoplasma.6 Sehr h\u00e4ufig (fast alle Flimmerepithelien) sind sie jedoch nicht unmittelbare Fortsetzungen des Protoplasma, sondern ruhen zun\u00e4chst auf einer d\u00fcnnen\n1\tA. Stuart beschreibt jedoch von denWimpern des Cirrhenvelums vonOpistho-branchiern eine Querstreifung, die er mit der der Muskeln vergleicht. Ztschr. f. wis-sensch. Zool. XV. S. 99. 1865.\n2\tTh. W. Engelmann, Contraktilit\u00e4t und Doppelbrechung. Arch. f. d. ges. Physiol. XI. S. 452f. 1875. \u2014 Die ersten Beobachtungen r\u00fchrten von Valentin her: Die Untersuchungen der Pflanzen- und der Thiergewebe im polarisirten Lichte S. 250 u. 305. Leipzig 1861.\n3\tNach eigenen Beobachtungen und Messungen an Cilien vom Frosch, der Auster und verschiedener Infusorien.\n4\tW. Sharpey, Artikel Cilia, in Tott\u2019s Cyclopaed. of Anat. and Physiol. Lp. 606. 1835\u20143\u00df. Ygi. auch Th. W. Engelmann, Ueber die Flimmerbewegung. Jenaische Ztschr. f. Med. u. Naturw. IV. S.321. 1868. \u2014 Auch separat erschienen. Leipzig 1868.\n5\tA. K\u00f6lliker, Physiologische Studien \u00fcber die Samenfl\u00fcssigkeit. Ztschr. f. wissensch. Zool. VII. S. 201 f. 1855.\n6\tAm deutlichsten bei niederen Algen und Infusorien zu erkennen.","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":"384 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nSchicht einer glashellen, sehr quellungsf\u00e4higen, wenig resistenten Substanz, welche in ihrem ganzen Verhalten der Substanz der Cilien sehr nahe steht, aber nicht contraktil zu sein scheint. Diese Schicht liegt, wie der ihr homologe St\u00e4bchensaum der Darmepithelzellen, der nackten Oberfl\u00e4che des Zellprotoplasma wie ein Deckel glatt auf. Die Deckel benachbarter Wimperzellen ber\u00fchren sich so innig, dass sie sich in manchen F\u00e4llen wie eine Cuticula \u00fcber weite Strecken abheben.\nNach manchen Beobachtern 1 durchbohren die Cilien diesen Deckel um im darunter liegenden Protoplasma zu endigen. Einzelne lassen sie selbst noch in Form feiner Fasern sich ziemlich weit ins Protoplasma hinein fortsetzen. Ich habe mich niemals hiervon \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, glaube vielmehr dass jenen Angaben eine, \u00fcbrigens sehr verzeihliche, optische T\u00e4uschung zu Grunde liegt, wie ich anderweitig n\u00e4her ausgef\u00fchrt habe.2 \u2014 Wie man in solchen Fortsetzungen ein physiologisches Postulat hat erkennen wollen, ist unverst\u00e4ndlich. Blosser Contakt mit dem Zellk\u00f6rper gen\u00fcgt theoretisch vollkommen.\nDie Zahl der auf einer Zelle sitzenden Wimpern ist bei den Flimmerepithelien meist ziemlich betr\u00e4chtlich, beim Menschen (und Wirbelthieren \u00fcberhaupt) durchschnittlich etwa 10 bis 20. Sie sind gleichm\u00e4ssig \u00fcber die Oberfl\u00e4che vertheilt, durch kaum messbar breite Zwischenr\u00e4ume von einander getrennt.\nBei Wirbellosen kommen auch Epithelzellen vor die, wie viele einzellige Algen, Flagellaten und Samenk\u00f6rper nur ein einziges, gew\u00f6hnlich sehr langes Haar tragen. Man hat diese Formen als Geisselzellen den eigentlichen Flimmerzellen gegen\u00fcbergestellt, Doch giebt es viele Ueberg\u00e4nge.\nForm, Dimensionen und feinerer Bau der K\u00f6rper der Flimmerepithelzellen bieten nichts Charakteristisches. Bald sind sie cylin-drisch, bald mehr platt. Immer umschliessen sie einen runden oder ellipsoidischen bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Kern, der ein oder mehrere Kernk\u00f6rperchen birgt. Ihr Protoplasma erscheint homogen oder sehr feink\u00f6rnig, einfach brechend, frei kon gr\u00f6beren Einschl\u00fcssen, nirgends auch von einer deutlichen festen Membran begrenzt. Im lebenden Epithel ber\u00fchren sie sich so innig dass Grenzen zwischen ihnen nicht wahrnehmbar sind, mechanische Isolation auch nur sehr unvollkommen\n1\tValentin, Buhlmann, Friedreich, Eberth, Marchi, Stuart, Kanvier u. a. Vgl. Engelmann, Jenaische Ztschr. f. Med. u. Naturw. IY. S. 470 f. 1868.\n2\tEngelmann, Ueber die Flimmerbewegung. Jenaiscbe Ztscbr. f. Med. u. Naturw. IV. S. 471, Anm. 1868. Die dort gegebene Erkl\u00e4rung der Trugbilder findet auch auf die neueren Darstellungen, speciell die von Ranvier (Trait\u00e9 tecbn. d\u2019histologie p. 242. Paris 1875) volle Anwendung.","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"Erscheinungsweise der Flimmerbewegung bei mikroskopischer Beobachtung. 385\ngelingt. Beides gl\u00fcckt um so besser je weiter sie im Absterben vorgeschritten sind.\nAuf weitere anatomische Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Man vergleiche dar\u00fcber besonders Valentin\u2019s Artikel Flimmerbewegung in R. Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch (der \u00fcbrigens manches Ungenaue und Irrth\u00fcmliche enth\u00e4lt) und die Werke \u00fcber Histiologie. Wegen der Flimmerzellen der Wirbellosen, die vielerlei Verschiedenheiten zeigen, sei noch auf die sehr zahlreiche zootomische Einzelliteratur, wegen der Samenkorper auf den Artikel Zeugung und ausserdem auf la Valette St. George\u2019s Abhandlung \u201eder Hoden\u201c in Stricker\u2019s \u201eHandbuch der Lehre von den Geweben\u201c verwiesen.\nIV. Erscheinungsweise der Fliinmerbewegung hei mikroskopischer Beobachtung.\nBringt man einen Streifen frischen Flimmerepithels, z. B. von der Gaumenschleimhaut des Frosches, in m\u00f6glichst indifferenter Fl\u00fcssigkeit (etwa Kochsalzl\u00f6sung von 0,5%, oder Jodserum) unter das Mikroskop, so findet man bei sofortiger Untersuchung alle Haare in lebhaftester Bewegung. Im g\u00fcnstigsten Falle erscheint die Cilien-bekleidung, bei Betrachtung im Profil, als ein zarter, \u00fcberall gleich hoher Schattenstreif an der Oberfl\u00e4che des Epithels. Derselbe scheint v\u00f6llig ruhig zu stehen und verr\u00e4th seine Bewegung nur durch die reissende Str\u00f6mung der ihn besp\u00fclenden Fl\u00fcssigkeit, welche in dieser suspendirte feste Theilchen, wie Blutk\u00f6rperchen und dergl., in rascher Flucht l\u00e4ngs der Oberfl\u00e4che vorbeitreibt. Von einzelnen H\u00e4rchen ist zun\u00e4chst Nichts zu unterscheiden. Bald aber bemerkt man, dass von Zeit zu Zeit kleine streifige Lichter und Schatten blitzschnell in dem Saum auftauchen und wieder verschwinden. Anfangs kommen sie nur selten und an wenigen Stellen, allm\u00e4hlich folgen sie sich schneller und an mehr Orten. Bald zeigt der gr\u00f6sste Theil des Saumes ein flimmerndes Wogen und Rieseln und erkennt man hie und da deutlich einzelne H\u00e4rchen. H\u00e4ufiger wird dieser Zustand schon unmittelbar nach der Pr\u00e4paration wahrgenommen. \u2014 Verlangsamt sich die Bewegung noch weiter, so ist eine genauere Verfolgung und Zergliederung der Erscheinung m\u00f6glich. Diese lehrt nun Folgendes.\nAlle Haare f\u00fchren regelm\u00e4ssig periodische und rhythmische hin-und herschwingende Bewegungen aus, in Ebenen, welche im Allgemeinen senkrecht auf der Oberfl\u00e4che der Zellen stehen. Die Bewegungsrichtungen benachbarter Flimmerhaare sind parallel und constant, im Allgemeinen den L\u00e4ngsaxe des betreffenden Organes (Luftr\u00f6hre, Eileiter z. B.) gleichlaufend, seltener dazu senkrecht.\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t25","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nJede ganze Schwingung setzt sich aus einer langsameren R\u00fcck-w\u00e4rtskrtimmung und einer, durchschnittlich nahezu doppelt so schnellen Vorw\u00e4rtsbeugung zusammen. Alle Wimpern derselben Lokalit\u00e4t schlagen nach der n\u00e4mlichen Richtung hin schneller, verst\u00e4rken sich also in ihren mechanischen Wirkungen nach aussen.\nEine interessante Ausnahme von letzterer Regel beobachteten Purkinje und Valentin. 1 Sie sahen an den Nebenkiemen der Muscheln mitunter eine Reihe von Haaren pl\u00f6tzlich, wie mit einem Ruck sich wenden und nun dauernd nach der entgegengesetzten Richtung schneller schlagen. Nicht selten kehrten die Haare nach einiger Zeit durch einen neuen Ruck zur alten Richtung zur\u00fcck. Auch ich1 2 habe diese Erscheinung beim n\u00e4mlichen Objekt mehrmals gesehen, niemals aber bei Flimmerepithel von Wirbelthieren.\nDie Amplitude der Schwingungen variirt sehr mit der Art der Zellen und den \u00e4usseren Bedingungen, ist aber bei Flimmerepi-thelien f\u00fcr alle auf derselben Zelle sitzenden Cilien zur n\u00e4mlichen Zeit die gleiche. Im g\u00fcnstigsten Falle \u00fcbertrifft sie hier 90 \u00b0, gew\u00f6hnlich betr\u00e4gt sie weniger, etwa 20\u201450\u00b0. Man bemerkt, dass die Schwingungen im Allgemeinen nicht um eine auf der Zelloberfl\u00e4che senkrechte, sondern um eine schiefe Mittellage stattfinden. Diese ist stets nach vorn geneigt, d. h. nach der Seite, nach welcher die Cilien mit gr\u00f6sserer Geschwindigkeit schlagen und dementsprechend der Fl\u00fcssigkeitsstrom geht. Ihre Neigung kann 20\u00b0 und mehr betragen.\nFormen und Lagen welche jedes einzelne Haar w\u00e4hrend eines Hin- und Hergangs nacheinander annimmt, sind am Besten bei Betrachtung senkrecht zur Schwingungsebene zu ermitteln. Diese lehrt denn zun\u00e4chst, dass bei der n\u00e4mlichen Art von Flimmerepithel in diesem Punkte unter gegebenen Bedingungen eine ziemliche Best\u00e4ndigkeit herrscht. Meist, namentlich bei kurzen Haaren (vieler Wirbeltkierepithelien z. B.), deren Bewegung bereits merklich verlangsamt ist, bleibt die Form der Cilien w\u00e4hrend der Bewegung anscheinend unver\u00e4ndert, steif, gew\u00f6hnlich eine nach vorn schwach concav gekr\u00fcmmte oder auch gerade gestreckte, bei Wirbellosen mitunter, selbst bei l\u00e4ngeren Haaren, st\u00e4rker gebogen, S-f\u00f6rmig z. B. (Muschelkiemen). Das Haar bewegt sich also als ein festes Ganzes hin und her: der Sitz der bewegenden Kraft kann nur an seiner Basis gelegen sein. Von dieser Art kommen alle Ueberg\u00e4nge vor zum \u201ehakenf\u00f6rmigen\u201c Modus (Valentin\u2019s motus uncinatus), in\n1\tValentin, Flimmerbewegung. Handw\u00f6rterb. d. Physiol. I. S. 513.1842.\n2\tJenaiscbe Ztscbr. IV. S. 476. 1868.","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Verschiedene Typen der Bewegung. Frequenz.\n387\ndem das Haar w\u00e4hrend der Vorw\u00e4rtsbewegung sich nach vorn stark concay kr\u00fcmmt, etwa wie ein Finger bei starker Beugung. H\u00e4ufig auch zeigen dieselben Wimperhaare, namentlich wenn sie etwas gequollen sind (z. B. in reinem Wasser, verd\u00fcnnten Alkalien), noch regelm\u00e4ssiger aber l\u00e4ngere Wimpern (vieler Wirbellosen, der Samenf\u00e4den) den sogenannten wellen- oder peitsch en f\u00f6rmigen Bewegungstypus (motus undulatus Valentin). Obschon nun eine derartige Form auch, wenigstens bei sehr biegsamen, l\u00e4ngeren Cilien, in derselben Weise wie die erstbeschriebene, durch aktive Bewegungen ausschliesslich an der Basis hervorgerufen sein k\u00f6nnte, so lehrt doch das Vorkommen \u201ehakenf\u00f6rmiger\u201c Kr\u00fcmmungen und das mitunter zu beobachtende Schwingen ausschliesslich der Haarspitzen, bei ruhendem Basalst\u00fcck, dass die Haare auf allen Punkten ihrer L\u00e4nge aktiv contraktil sein k\u00f6nnen. Bei der letzterw\u00e4hnten Form (die besonders h\u00e4ufig bei Spermatozoen und niederen Organismen, aber auch bei Flimmerepithelien h\u00f6herer Thiere, Mollusken z. B. beobachtet wird) sind die Bewegungen mehr pendelnd, Hin- und Hergang gleichschnell, auch die Schwingungsebene meist sehr wechselnd. Sie f\u00e4llt unter den Begriff der \u201eschwankenden\u201c Bewegung (Valentin\u2019s motus vacillans). \u2014 Nur ganz ausnahmsweise bei echten Flimmerepithelien, bei Geisselzellen aller Art dagegen als Kegel kommt die \u201etrichterf\u00f6rmige\u201c Bewegung vor (motus infundibuli-formis Valentin), bei welcher die Spitze des Haares einen Kegelschnitt, das Haar selbst eine Kegeloberfl\u00e4che beschreibt.1\nDie Perio di cit\u00e2t der Bewegungen zeigt viele specifische Verschiedenheiten. Bei fast allen echten Wimperepithelien, auch bei vielen Geisselzellen, bei den adoralen Wimperspiralen der Infusorien u. a., ist sie eine h\u00f6chst regelm\u00e4ssige: die einzelnen Perioden haben, solange sich die \u00e4usseren Bedingungen nicht \u00e4ndern, s\u00e4mmtlich gleiche Dauer, und zwar pflegt diese unter normalen Bedingungen sehr gering zu sein: Die Schwingungen folgen sich so schnell, dass ein continuirlicher Gesichtseindruck entstehen kann. Wenn sie soweit verlangsamt sind, dass ein Z\u00e4hlen eben m\u00f6glich, betr\u00e4gt ihre Frequenz doch in der Regel immer noch 6\u20148 in der Sekunde, wird also im g\u00fcnstigsten Falle erheblich gr\u00f6sser sein.2 Alle auf derselben\n1\tIn Betreff der verschiedenen Bewegungstypen vgl. besonders Valentin im Handw\u00f6rterb. d. Physiol. I. S. 502f. 1S42; Engelmann, Jenaisehe Ztschr. IV. S.334f. 1868 ; Contraktilit\u00e4t und Doppelbrechung. Arch. f. d. ges. Physiol. XI. S. 436, Anm. 1875. Wegen der ..trichterf\u00f6rmigen\u201c Bewegung namentlich W. Hofmeistee, Die Lehre von der Pflanzenze\u00fce S. 28 f. 1867.\n2\tC. Krause und namentlich Valentin geben f\u00fcr die normale Frequenz viel geringere Werthe an (2\u20143 in der Sek. Valentin). Dass diese zu niedrig sind habe ich gezeigt in der Jenaischen Ztschr. IV. S. 341 f. 1868.\n25*","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nZelle eingepflanzten Cilien schwingen mit gleicher Frequenz und dabei isochron. \u2014 Uebrigens ist die Frequenz im h\u00f6chsten Grade von \u00e4usseren Bedingungen (Temperatur, Wassergehalt u. s. w.) abh\u00e4ngig, wor\u00fcber unten N\u00e4heres.\nDurch sehr ungleichm\u00e4ssige, durchschnittlich l\u00e4ngere Dauer der Perioden (namentlich der Pausen) zeichnen sich die thierisehen Samenf\u00e4den aus. Hier wechseln auch nicht selten l\u00e4ngere Pausen mit Gruppen regelm\u00e4ssiger Perioden ab. Normalerweise findet Letzteres bei den unter dem Einfluss des Willens stehenden Wimpern vieler niederen Thiere statt (B\u00e4derorgane der Rotatorien, Schwimmpl\u00e4ttchen der Ctenophoren, viele Wimpern ciliater Infusorien u. a. m.). Ganz vereinzelt habe ich dasselbe aber auch beim Flimmerepithel von Austerkiemen beobachtet.\nCoordination der Zellen im Flimmerepithel. Reizleitung.1\nDie Bewegungen aller zum n\u00e4mlichen Epithel geh\u00f6rigen Flimmerzellen pflegen normalerweise mit gleicher Frequenz zu erfolgen, aber nicht isochron, auch nicht ganz regellos, sondern in ganz bestimmter Aufeinanderfolge. Es treten n\u00e4mlich die Cilien von in einer Reihe neben, bez\u00fcglich hintereinander gelegenen Zellen nacheinander in dieselbe Phase, und dies wiederholt sich fortw\u00e4hrend. Hierdurch entsteht das bekannte Bild von \u00fcber das Epithel durch den Wimpersaum fortlaufenden Wellen, \u201ewelches an das Wallen der Aehren eines vom Winde bewegten Kornfeldes erinnert.\u201c\nZur ersten Beobachtung, wie zu n\u00e4herer Pr\u00fcfung des Ph\u00e4nomens eignen sich besonders die Kiemenleistchen von Bivalven, an deren einander zugekehrten R\u00e4ndern man immer zwei Wellen in entgegengesetzter Richtung hinlaufen sieht. Auch auf den Schleimh\u00e4uten der Wirbelthiere kommt die Erscheinung allgemein, wenn auch in weniger auff\u00e4lliger Weise vor, da hier die Wellensysteme weniger regelm\u00e4ssig angeordnet zu sein und nur \u00fcber k\u00fcrzere Strecken sich auszubreiten pflegen. \u2014 Bei den Wirbellosen ist das Ph\u00e4nomen sehr allgemein verbreitet, am bekanntesten wohl von den R\u00e4derthieren die ihm ihren Namen verdanken, am sinnf\u00e4lligsten, schon ohne Mikroskop sichtbar, bei den Ctenophoren.\nDie Fortpflanzungsrichtung der Welle pflegt in jedem Falle constant zu sein; doch kommt es auch vor (u. a. bei Ctenophoren, selten bei Muschelkiemen) dass sie in die entgegengesetzte umschl\u00e4gt. Meist l\u00e4uft sie der Schwingungsebene der Haare parallel\n1 Valentin, a. a. O. S. 504; Engelmann, Jenaische Ztschr. IV. S. 475.1868. \u2014 Vgl. auch Arcb. f. d. ges. Physiol. IL S. 278. 1869 ; XI. S. 477. 1875.","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"Coordination der Zellen im Epithel.\n389\n(so auf den Schleimh\u00e4uten der Wirbelthiere, dem R\u00fccken der Kie-menleistchen von Muscheln, u. a.) und dann normalerweise wie es scheint immer r\u00fcckw\u00e4rts, dem an der Oberfl\u00e4che hinziehenden Fl\u00fcssigkeitsstrom entgegen; in anderen F\u00e4llen (Zellenreihen an den seitlichen Abh\u00e4ngen der Kiemenleistchen der Muscheln u. a.) senkrecht zu dieser. Letztere F\u00e4lle sind besonders lehrreich, weil die Haare benachbarter Zellen sich hier nicht ber\u00fchren k\u00f6nnen, der sich fortpflanzende Reiz somit nicht in dem mechanischen Stoss einer Cilie auf die n\u00e4chstfolgende bestehen kann, sondern in einem unsichtbaren Molekularprocess gesucht werden muss, der durch die Zellk\u00f6rper, bez\u00fcglich die verschmolzenen, die Wimpern tragenden S\u00e4ume, fortgeleitet wird.\nDie Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizwelle im Epithel ist specifisch verschieden: auf den Schleimh\u00e4uten von Wir-belthieren (Frosch) gew\u00f6hnlich kaum ein oder wenige Zehntel eines Millimeters in der Sekunde, bald nach der Pr\u00e4paration. Auf den Kiemen der Auster und anderer Bivalven sch\u00e4tzte ich sie oft auf mehr als 0,5 mm. Viel h\u00f6here Werthe kommen bei Ctenophoren vor, wo auch sonst die Leitung mehr Uebereinstimmung mit echter Nervenleitung zeigt (s. unten). Die Geschwindigkeit \u00e4ndert sich mit den \u00e4usseren Bedingungen sehr auff\u00e4llig und immer in gleichem Sinne wie die Frequenz der Schwingungen. Beim Absterben wird der Lauf der Wellen demnach tr\u00e4ger; zugleich wird er mehr und mehr unterbrochen, indem einzelne Zellen still stehen oder doch mit geringerer Frequenz als die benachbarten zu schwingen anfangen. Die Wellensysteme werden dadurch immer k\u00fcrzer und zahlreicher. Schliesslich hat fast jede Zelle ihr eigenes Tempo und zwar ist dies f\u00fcr unmittelbar benachbarte Zellen oft sehr verschieden. Neben ganz ruhenden Zellen begegnet man nicht selten solchen die noch 2\u20144 Schwingungen in der Sekunde ausf\u00fchren.\nY. Mechanische Leistungen der Flimmerhaare.\nAus vorstehender Schilderung der Bewegung ergiebt sich bereits, welches im Allgemeinen die mechanischen Leistungen der Wimperorgane sein m\u00fcssen: entweder n\u00e4mlich, bei festsitzenden Zellen, Fortbewegung der die Cilien besp\u00fclenden Fl\u00fcssigkeit, oder, bei frei beweglichen Zellen, Fortbewegung der Zellen selbst innerhalb der Fl\u00fcssigkeit. Ersterer Fall ist bei allen Flimmerepithelien realisirt, ausserdem bei den festsitzenden Formen der Flagellaten, Ciliaten und verwandten niedersten Organismen; letzterer bei den Samenf\u00e4den","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nder Pflanzen und Thiere, bei Scbw\u00e4rmsporen (Zoosporen) und vielen andern beweglichen Jugendzust\u00e4nden niederer und h\u00f6herer Organismen (rotirende Eier, flimmernde Embryonen, Larven u. s. w.), sowie bei allen frei beweglichen wimpertragenden Thieren \u00fcberhaupt (Cilia-ten, Ctenophoren, niedere W\u00fcrmer u. s.w.). \u2014 Obschon die Wirkungen der Cilien meist nur mikroskopischer Beobachtung zug\u00e4nglich sind, erreichen sie doch in manchen F\u00e4llen, z. B. auf den flimmernden Schleimh\u00e4uten gr\u00f6sserer Thiere, wegen des gleichsinnigen Zusammenwirkens zahlloser Cilien eine auch der unbewaffneten'Wahrnehmung direkt zug\u00e4ngliche Gr\u00f6sse.\nSchon mit blossem Auge erkennt man, dass die an der Oberfl\u00e4che einer flimmernden Schleimhaut befindliche Fl\u00fcssigkeitsschicht in best\u00e4ndiger Str\u00f6mung begriffen ist. Letztere wird noch deutlicher, wenn man kleine feste K\u00f6rper aufstreut, z. B. Kohlenpulver, feinvertheilten Zinnober, Blutcoagula. Diese bewegen sich dann mit einer meist ziemlich gleichf\u00f6rmigen Geschwindigkeit vorw\u00e4rts, deren Gr\u00f6sse (u. a. bei der Bachenschleimhaut des Frosches) \u00fcber 1 mm. in der Sekunde betragen kann, aber nat\u00fcrlich von sehr vielerlei Umst\u00e4nden abh\u00e4ngt (s. unten).\nWie das Mikroskop direkt zeigt, findet die Str\u00f6mung immer parallel der Schwingungsrichtung der Haare und zwar nach der Seite hin statt, nach welcher die Wimpern sich schneller beugen. Dementsprechend bewegt sich auf allen flimmernden Schleimh\u00e4uten, welche r\u00f6hrenf\u00f6rmige Organe auskleiden, die an ihrer Oberfl\u00e4che befindliche Fl\u00fcssigkeitsschicht in der L\u00e4ngsrichtung des Organs vorw\u00e4rts und zwar wie es scheint jedesmal nach der Seite hin, nach welcher die specielle Funktion des Organs dies am Zweckm\u00e4ssigsten erscheinen l\u00e4sst, in den Luftwegen, in Dr\u00fcsenkan\u00e4len z. B. nach aussen, in Mund und Speiser\u00f6hre nach innen.\nDa die Bedeutung der Flimmerorgane f\u00fcr den Gesammtorganis-mus in ihren mechanischen Leistungen beruht, ist es w\u00fcnschenswerth, diese Leistungen \u2014 die im Allgemeinen kurz als \u201eNutzeffekt\u201c bezeichnet werden k\u00f6nnen \u2014 unter verschiedenen Bedingungen zu messen, um so w\u00fcnschenswerther, als sich aus solchen Messungen auch wichtige Schl\u00fcsse auf die Abh\u00e4ngigkeit ergeben k\u00f6nnen, in welcher die Energie der der Cilienbewegung zu Grunde liegenden Molekularprocesse von verschiedenen Bedingungen steht, In letzterer Beziehung hat man jedoch nicht aus dem Auge zu verlieren, dass derartige Schl\u00fcsse keineswegs ohne Weiteres erlaubt sind. Beispielsweise k\u00f6nnten schon Aenderungen des Rhythmus und der Form der Bewegung, ohne Aenderung der Gesammtsumme der von den Zellen","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanische Leistungen der Flimmerhaare.\n391\ngeleisteten Arbeit, die auff\u00e4lligsten Verschiedenheiten im Nutzeffekt bedingen. Die fortschreitende Str\u00f6mung an der Oberfl\u00e4che k\u00f6nnte Null sein, w\u00e4hrend doch alle Haare in lebhaftester Bewegung begriffen w\u00e4ren. Diess w\u00fcrde beispielsweis eintreten, wenn die Bewegung pendelnd, Hin- und Hergang in Bezug auf Geschwindigkeit und Form gleich w\u00e4ren. Nur ein mikroskopisches Oscilliren dei die Wimpern besp\u00fclenden Fl\u00fcssigkeit k\u00f6nnte hier zu Stande kommen, die gesammte von den Zellen geleistete Arbeit w\u00fcrde schon auf dei Flimmermembran in W\u00e4rme \u00fcbergehen.\nAus diesem Grunde w\u00e4re da, wo es auf Messungen der von den Flimmerzellen in bestimmter Zeit \u00fcberhaupt producirten Arbeit ank\u00e4me, gleichzeitige Bestimmung der entwickelten W\u00e4rme n\u00f6thig, oder es m\u00fcsste in jedem Falle die ganze Arbeit in W\u00e4rme verwandelt und diese gemessen werden. Es gelang mir jedoch bisher noch nicht, eine eigene W\u00e4rmeproduktion flimmernder Epithelmembranen nachzuweisen. Freilich standen mir nur m\u00e4ssig empfindliche (einfache) Thermoelemente zur Verf\u00fcgung. \u2014 In der Kegel scheint \u00fcbrigens, gleiche mechanische Eigenschaften der besp\u00fclenden Fl\u00fcssigkeit vorausgesetzt,. innerhalb ziemlich weiter Grenzen Proportionalit\u00e4t zwischen der Energie der Fl\u00fcssigkeitsstr\u00f6mung und der \u00fcberhaupt von den Cilien geleisteten mechanischen Arbeit zu bestehen. Denn wie schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt, pflegen Rhythmus und auch Form der Bewegung in jedem einzelnen Falle ziemlich constant zu sein, w\u00e4hrend dagegen die Frequenz und in gleichem Sinne meist auch die Amplitude sehr variiren.\nZur Messung der mechanischen Leistungen bedient man sich fast ausschliesslich der Schleimhaut des Gaumens und Oesophagus vom Frosch, die hinreichend gross und kr\u00e4ftig, immer in ann\u00e4hernd gleicher Beschaffenheit zu haben und auf die bequemste Weise zu Versuchen aller Art herzurichten ist. Die Str\u00f6mung auf derselben ist nach dem Magen zu gerichtet. \u2014\nIn der Mehrzahl der Versuche wurde nur die Geschwindigkeit der Str\u00f6mung, mittelst sehr leicht beweglicher, der Membran aufgelagerter K\u00f6rper, gemessen.\nHierzu dienen die folgenden Methoden. Man spannt die Membran mittelst Stecknadeln auf einer glatten Unterlage _ zu ungef\u00e4hr ihrer nat\u00fcrlichen L\u00e4nge und Breite aus und misst nun mit dem Metronom die Zeit welche ein leichtes, vorsichtig auf die Membran aufgesetztes Signal, etwa ein an einem langen d\u00fcnnen Coconfaden h\u00e4ngender Lacktropfen, n\u00f6thig hat um einen gewissen Weg zur\u00fcckzulegen.1 Oder man lagert quer \u00fcber die Membran eine leichte d\u00fcnne Walze, an der ein \u00fcber einer Kreis-theilung spielender Zeiger befestigt ist, und misst nun die zu einer Um-\n1 Yo-l Kistiakowsky, Ueber die Wirkung des constanten und Induktionsstromes u. s. w Sitzgsber. d. Wiener Acad. LI. S. 263. 1865 ; Th. W. Engelmann Jenaische Ztschr IY. S. 386 f. 1868, wo die Methode nebst einigen Verbesserungen, die Fehlerquellen und die zu beobachtenden Vorsichtsmassregeln, n\u00e4her beschrieben sind.","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\ndrehung um eine bestimmte Anzahl Grade n\u00f6thige Zeit.1 Unter Benutzung des letztem Princips ist es m\u00f6glich die Geschwindigkeit der Str\u00f6mung selbstth\u00e4tig zu registriren. Diess geschieht mittelst der \u201e Flimmeruhr * und der \u201eFlimmerm\u00fchle\u201c.2 In diesen Apparaten giebt eine von den Cilien in Umdrehung versetzte Axe mittelst eines an ihr befestigten Zeigers (Flimmeruhr) oder Zahnrades (Flimmerm\u00fchle) in regelm\u00e4ssigen Winkelabst\u00e4nden Gelegenheit zum Ueberspringen elektrischer Funken von einer Metallspitze auf einen mit berusstem Papier bekleideten rotiren-den Cylinder. Aus den Abst\u00e4nden der von den Funken gesetzten Marken und der bekannten Rotationsgeschwindigkeit des Cylinders ergiebt sich die Winkelgeschwindigkeit der Axe, die als Maass f\u00fcr die Energie der Str\u00f6mung betrachtet werden darf. Durchschnittlich variirt diese Geschwindigkeit bei frischen Membranen und gew\u00f6hnlicher Temperatur zwischen 1 und 4\u00b0. (Der Durchmesser der Walzen betrug 3 mm., das Gewicht des ganzen zu bewegenden Systems bei der Flimmeruhr 2,2 grm., bei der Flimmerm\u00fchle 6,3 grm.)\nUeber die Kraft der Flimmerbewegung liegen nur wenige Bestimmungen vor. Bezeichnet man als absolute Kraft das Gewicht das durch eine flimmernde Oberfl\u00e4che von 1 \u25a1 ctm. Ausdehnung eben noch merklich fortgeschoben werden kann, so ergiebt sich f\u00fcr diesen Werth aus Messungen von J. Wyman3 f\u00fcr die Rachenschleimhaut des Frosches als untere Grenze etwa 336 grm. Die Kraft mit der die H\u00e4rchen sich nach vorn zu beugen suchen, scheint demnach in diesem Falle sehr gross, von einer Ordnung mit der Muskelkraft zu sein. Doch kommen hier sicher specifische Unterschiede vor.\nWymann belastete die Rachenschleimhaut in verschiedener Ausdehnung mit wechselnden Gewichten. Bei Ber\u00fchrung einer Oberfl\u00e4che von 14 \u25a1 mm. wurden 48 grm. noch eben merkbar horizontal fortbewegt.\nDie Gr\u00f6sse der mechanischen Arbeit welche die Flimmerzellen unter verschiedenen Bedingungen leisten k\u00f6nnen hat Bowditch 4 gemessen. Die h\u00f6chsten Werthe (bis 6,805 Grammmillimeter per \u25a1 ctm. und Minute) wurden erreicht als ein schweres Gewicht (20,534 grm.) eine m\u00e4ssig (1 : 10) geneigte Ebene hinauf bef\u00f6rdert werden musste. Doch ergaben sich hohe Werthe (bis 5,868 Gramm-\n1\tJ. Callibuec\u00e8s. Recherch. exp\u00e9r. sur l\u2019infl. exerc\u00e9e par la chaleur sur les manifest, de la contractilit\u00e9 des organes. Compt. rend. XLXII. p. 638.1858; Cl. Ber-nard, Le\u00e7ons sur les tissus vivants p. 140. Paris 1866, wo eine Abbildung des von Calliburc\u00e8s benutzten Apparates. Dieselbe findet sich reproducirt in E.Cyon, Atlas zur Methodik der physiol. Experim. u. s. w. Taf. XXXYI. Fig. 1.\n2\tTh. W. Engelmann , Flimmeruhr und Flimmerm\u00fchle. Zwei Apparate zum Registriren der Flimmerbew. Arch. f. d. ges. Physiol. XY. S. 493.1877. Taf. Y. u. YI. Taf. Y zeigt beil\u00e4ufig die beiden Apparate in etwa \u2018/3 der nat\u00fcrlichen Gr\u00f6sse, nicht in Vs wie irrth\u00fcmlich im Text (S. 496) gedruckt ist.\n3\tJeffreys Wyman, American Naturalist. (Cit\u00e2t nach Bowditch , Boston medic. and surg. Journ. 1876. Aug. 10. Das Original war mir nicht zug\u00e4nglich.)\n4\tH. P. Bowditch, Force of ciliary motion. Boston medic, and surgic. Journal. Aug. 10.1876. Sep.-Abdr.","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"Grosse der Arbeitsleistung. \u2014 Elektrische Kr\u00e4fte.\n393\nmillimeter) auch bei verticaler Aufw\u00e4rtsbewegung eines leichten Gewichtes (0,534 grm.).\nBowditch benutzte gleichfalls die Rachenschleimhaut des Frosches. Die belastete Fl\u00e4che betrug in seinen Versuchen 1,437 \u25a1 ctm. Er berechnet dass jede Zelle im Maximum in der Minute eine Arbeit leistete welche gen\u00fcgt h\u00e4tte ihr eigenes Gewicht 4,253 Meter hoch zu heben. Diess scheint sehr wenig im Verh\u00e4ltniss zu dem was Muskeln leisten k\u00f6nnen (etwa V35 von dem was das Herz nach Schiff vermag). Wenn man jedoch ber\u00fccksichtigt, dass keineswegs die ganze Zelle, sondern wesentlich nur die Basalst\u00fccke der Wimpern die mechanische Arbeit leisteten, so kommt man zu soviel h\u00f6heren Werthen, dass man zweifeln k\u00f6nnte auf welcher Seite das Uebergewicht gelegen sei. Ich erinnere in dieser Beziehung noch an die mit grosser Geschwindigkeit und Ausdauer erfolgenden, oft nur durch wenige zarte Wimpern vermittelten Ortsbewegungen vieler, auch grosser Infusorien, R\u00e4derthiere und anderer niederer Organismen.\nVI. Elektromotorische Th\u00e4tigkeit des Flimmerepithels.1\nAusser den mechanischen sind mit Sicherheit bisher nur noch elektrische Leistungen von Flimmerepithelien wahrgenommen. \u2014 Wird die Rachenschleimhaut des Frosches auf einem Korkrahmen ausgespannt und mit unpolarisirbaren Elektroden nach einem Galvanometer abgeleitet, so zeigt letzterer einen Strom an, der in der Haut von der Ober- nach der Unterfl\u00e4che gerichtet ist. Bei Ableitung von verschiedenen Punkten verhalten sich Richtung und Kraft der Str\u00f6me im Wesentlichen wie die der \u00e4usseren Haut des Frosches bei entsprechender Ableitung. Die Kraft erreicht wie da ein Maximum bei gleichzeitiger Ableitung von der Mitte der Ober- und Unterfl\u00e4che: an m\u00f6glichst unversehrten H\u00e4uten gew\u00f6hnlich etwas \u00fcber 0,01 Daniell, unter Umst\u00e4nden bedeutend mehr. Die Intensit\u00e4t der Str\u00f6me ist von einer Ordnung mit der schw\u00e4cherer Muskelstr\u00f6me (von \u00fcber 0,01 D. Kraft).\nWird das Epithel durch Abkratzen entfernt, oder durch Quetschung oder Aetzung zerst\u00f6rt, so ist die elektromotorische Th\u00e4tigkeit f\u00fcr immer aufgehoben. Ebenso wird sie dauernd zerst\u00f6rt durch einen 12\u20141 Minute w\u00e4hrenden Aufenthalt der Membran in halbprocentiger Kochsalzl\u00f6sung von 45\u00b0 C. oder 5 Sekunden langes Eintauchen in solche L\u00f6sung von 70\u00b0. Sie ist also an die Anwesenheit des lebendigen Epithels gebunden.\nIn ihrer Abh\u00e4ngigkeit von verschiedenen Bedingungen zeigt die\n1 Th. W. Engelmann . Ueber die elektromotorische Wirkung der Rachenschleimhaut des Frosches. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1868. Kr. 30.","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nelektromotorische Kraft viele Uebereinstimmung mit der mechanischen Th\u00e4tigkeit der Zellen (s. unten), aber auch manche Abweichungen, wodurch eine n\u00e4here Deutung der Erscheinungen noch auf grosse Schwierigkeiten st\u00f6sst.\nWasser, Alkalien, Erw\u00e4rmung steigern, Wasserentziehung, An\u00e4sthe-tica, Abk\u00fchlung schw\u00e4chen die elektromotorische Kraft, wie die Energie der Bewegungen. Nach dem Auswaschen vorher mit 5\u00b0/o Kochsalzl\u00f6sung behandelter Schleimh\u00e4ute mit Wasser kehrt die Bewegung fr\u00fcher als die elektromotorische Kraft zur\u00fcck, \u00e4hnlich nach Chloroformeinwirkung beim Aussp\u00fclen mit reiner Luft. Hiernach bleibt die M\u00f6glichkeit offen, dass nicht, oder doch nicht ausschliesslich die Flimmerzellen der Sitz der elektrischen Th\u00e4tigkeit sein m\u00f6chten. Von anderen Gewebselementen k\u00f6nnten nur die zwischen den Flimmerzellen zerstreut sitzenden schleim-absondernden Becherzellen in Betracht kommen. F\u00fcr die Wirksamkeit dieser spricht einmal ihre sekretorische Th\u00e4tigkeit, dann der Umstand dass die Mastdarmschleimhaut des Frosches, welche sehr viel Becherzellen aber keine Flimmerzellen aufweist, sich in elektromotorischer Beziehung ganz \u00e4hnlich wie die Rachenschleimhaut verh\u00e4lt.1 Da jedoch die Becherzellen in. der Mundschleimhaut in der Minderzahl vorhanden und zwischen den aller Wahrscheinlichkeit nach als gute Nebenschliessung wirkenden Flimmercylindern zerstreut sind, w\u00fcrde man ihnen ganz ausserordentliche Wirkungen zuschreiben m\u00fcssen, wenn man auf sie allein die grossen Kraftwerthe zur\u00fcckf\u00fchren wollte, die mitunter beobachtet werden (bis 0,07 D). Leider gl\u00fcckte es mir bisher nicht Flimmermembranen von hinreichender Gr\u00f6sse zu finden, welche von Becherzellen ganz oder doch hinreichend frei w\u00e4ren. So bleibt die Frage n\u00e4herer Untersuchung offen.\nTU. Allgemeine Bedingungen der Flimmerbewegung.\n1. Zusammenhang mit den Zellenk\u00f6rpern. \u2014 Nerv\u00f6se Einfl\u00fcsse. \u2014 Abh\u00e4ngigkeit vom Zustande des G es ammt Organismus. \u2014 \u201e lieber leben \u201c\nder Flimmerzellen.\nAlle Cilien, mit alleiniger Ausnahme wie es scheint der thieri-schen Samenf\u00e4den, bewegen sich nur, solange sie mit ihren Zellk\u00f6rpern noch in Zusammenhang sind. Und zwar scheint meist der zun\u00e4chst an der Basis der H\u00e4rchen befindliche Theil der Zelle zur Erhaltung der Bewegung zu gen\u00fcgen.\nIch sah wenigstens lebhafte Bewegungen bei Zellen von Austerkiemen, deren untere die Kerne enthaltenden H\u00e4lften zuf\u00e4llig von den oberen, die Wimpern tragenden Theilen abgel\u00f6st waren. Bei zerst\u00fcckelten oder zerfliessenden Infusorien sieht man oft einzelne Wimpern an denen ein kleiner Rest der Leibessubstanz haften geblieben, noch lange\n1 N\u00e4heres \u00fcber diesen Gegenstand soll an anderer Stelle mitgetheilt werden.","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"Allgemeine Bedingungen der Flimmerbewegung.\n395\nZeit in heftiger Bewegung. Dagegen bewegen sich die Schw\u00e4nze vieler Spermatozoen (vom Frosch z. B.) noch h\u00e4ufig, auch wenn sie v\u00f6llig vom eigentlichen K\u00f6rper abgetrennt sind1, n\u00e4hern sich also hierin wie in manchen anderen Punkten mehr gew\u00f6hnlichen Protoplasmaf\u00e4den.\nAn isolirten Wimperepithelien, wie man sie z. B. durch Ah-schaben flimmernder Schleimh\u00e4ute leicht in Menge erh\u00e4lt, findet die Bewegung in fast derselben Weise statt, wie bei den noch im normalen Zusammenhang auf der Schleimhaut sitzenden Zellen. Letzterer Umstand hat nur insofern direkte Bedeutung als er die Coordination der einzelnen Zellindividuen bedingt, welche sich in dem fr\u00fcher beschriebenen wellenf\u00f6rmigen Fortschreiten des Reizes \u00e4ussert. Hierin ist offenbar eine mit Nervenleitung principiell verwandte Erscheinung zu erblicken, wie besonders schlagend die Ctenophoren zeigen.2 Hier wird der, vermuthlich willk\u00fcrlich oder reflektorisch erzeugte, Reiz zur Bewegung der Schwimmpl\u00e4ttchen, von dem \u201e Sinnesk\u00f6rper \u201c aus durch ganz besondere, auch \u00e4usserlieh schon an Nervenstr\u00e4nge erinnernde Reihen von Flimmerzellen des Ektoderms fortgeleitet. Physiologisch funktioniren diese Epithelzellenreihen also als echte motorische Nerven. Auch bei anderen Wirbellosen, namentlich da wo die Flimmerbewegung zur willk\u00fcrlichen Ortsbewegung dient, muss von einer Innervation der Cilien gesprochen werden, ohne dass man desshalb in jedem Falle an Nervenfasern in morphologischem Sinne zu denken h\u00e4tte. Die Flimmerbewegung auf den Schleimh\u00e4uten der Wirbelthiere scheint von Nerven durchaus unabh\u00e4ngig zu sein.3 Weder Durchschneidung noch Reizung der zu den betreffenden Theilen ziehenden Nervenst\u00e4mme hat irgend welche nachweisbare Aenderungen der Bewegung zur Folg\u00e9.\nNach dem bisher Mitgetheilten kann es nicht befremden, dass die Flimmerbewegung wenigstens der h\u00f6heren Organismen vom Zustande des G-esammtorganismus in hohem Grade unabh\u00e4ngig ist. Sie \u00fcberdauert das Leben desselben denn auch und zwar mit besonderer Z\u00e4higkeit. Nerven- und Muskelreizbarkeit pflegen l\u00e4ngst geschwunden zu sein, wenn die Flimmerhaare noch in lebhafter Th\u00e4tigkeit angetroffen werden.\n1\tDiese leicht zu best\u00e4tigende Thatsache haben schon Ankermann und K\u00f6l-liker hervorgehoben. Ztschr. f. wissensch. Zool. VIII. S. 132 ; ibid. VII. S. 243.\n2\tVgl. Carl Chun, Das Nervensystem und die Muskulatur der Rippenquallen. Mit 2 Taf. \u00c2bhandl. d. Senckenberg. Gesellsch. XI. 1878.\n3\tG. Valentin, Handw\u00f6rterb. d. Physiol.I. S. 508; S. M. Schier, Lehrh. der Muskel- u. Nervenphysiologie S. 11.1858\u201459. \u2014 Vgl. noch G. Schwalbe, Arch. f. microscop. Anat. V. S. 256.1869, der die Cilien an den Spalten des Kiemensackes einer Ascidienlarve (Perophora) bei leiser mechanischer Ersch\u00fctterung des Mediums in krampfartigen Stillstand \u00fcbergehen sah, was m\u00f6glicherweise auf Nerveneinfluss zur\u00fcckzuf\u00fchren.","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nAuf der Luftr\u00d6krensekleimhaut des Menscken wurde das Pk\u00e4nomen nock drei Tage nack dem Tod, bei Kaltbl\u00fctern (Schildkr\u00f6te, Frosch) noch mehrere Wochen danach gefunden. Koch auf faulenden, dem Zer-fliessen entgegengehenden Schleimh\u00e4uten von Fr\u00f6schen kommt es gelegentlich vor.1\n2. Temperatur.\nDie Temperaturgrenzen innerhalb welcher die Bewegung stattfindet liegen im Allgemeinen zwischen etwa 0\u00b0 und 45\u00b0 C. Bei Warmbl\u00fctern h\u00f6rt dieselbe nach Purkyn\u00e9 und Valentin zwischen 6 und 12 0 auf, bei Kaltbl\u00fctern erst um Null herum. Auch das Maximum, bei dessen Ueberschreitung die Bewegung auch unter den sonst g\u00fcnstigsten Bedingungen sofort erlischt, scheint f\u00fcr Warmbl\u00fcter allgemein einige Grade h\u00f6her (etwa bei 45\u00b0) zu liegen, als f\u00fcr Kaltbl\u00fcter (Frosch, Mollusken z. B. bei etwa 40 \u00b0).2 Innerhalb der angegebenen Grenzen wirkt Temperatursteigerung beschleunigend, Abk\u00fchlung verz\u00f6gernd. Die Aenderungen betreffen haupts\u00e4chlich die Frequenz (spe-ciell die Schwingungsdauer, nicht so sehr die Pausen zwischen den einzelnen Schwingungen). Excursionsweite, Modus und Rhythmus erleiden weniger Schwankungen. Der Nutzeffekt \u00e4ndert sich dementsprechend im Sinne der Frequenz.\nIn jedem Falle giebt es eine gewisse Temperatur, das Optimum, bei welcher die Bewegung bei anscheinender M\u00f6glichkeit unbeschr\u00e4nkter Fortdauer ein Maximum der Geschwindigkeit und Energie erreicht. Diess Optimum liegt immer einige Grade unter dem Maximum. Wird es \u00fcberschritten, so pflegt zwar die Bewegung zun\u00e4chst noch lebhafter zu werden, erlischt jedoch nach einiger Zeit und zwar um so fr\u00fcher, je n\u00e4her die herrschende Temperatur dem Maximum liegt. Dieser Stillstand, die vor\u00fcbergehende W\u00e4rmestarre (W\u00e4rmetetanus, W\u00e4rmescheintod), tritt haupts\u00e4chlich durch Verkleinerung der Schwingungsweite ein; die Frequenz w\u00e4chst meist bis kurz vorher. Die Lage in welcher die Cilien zur Ruhe kommen, entspricht bei Flimmerepithelien stets dem Zustand st\u00e4rkster Vorw\u00e4rtsbeugung. Der Scheintod kann anfangs durch Abk\u00fchlung wieder beseitigt werden, geht aber bei l\u00e4ngerer Dauer in wirklichen Tod\n1\tN\u00e4heres hier\u00fcber hei Valentin imHandw\u00f6rterb. d. Physiol. I. S. 510; Engelmann, Jenaische Ztschr. IV. S. 343,464. 1868.\n2\tDie, auf Versuchen mit Callibuec\u00e8s Apparat beruhende Angabe Cl. Ber-naed\u2019s (Le\u00e7ons sur les tissus vivants 1866. p. 146), dass die Energie der Bewegung bis 50 oder 60\u00b0 zunimmt, danach allm\u00e4hlich sinkt um bei 80\u00b0 ganz zu schwinden, ist durchaus irrth\u00fcmlich, erkl\u00e4rt sich aber unter der Annahme dass der Thermometer des Apparates der Membran vorausging, was namentlich bei etwas raschem Erw\u00e4rmen leicht geschehen musste.","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit von Temperatur und Wassergehalt.\n397\n\u00fcber (dauernde W\u00e4rmestarre). Dieser tritt unausbleiblich und sofort ein bei Erw\u00e4rmung der Zellen auf eine nur wenige Grade \u00fcber dem Maximum gelegene Temperatur, das Ultra maximum (48\u00b0 beim Frosch).\nW\u00e4hrend in der vor\u00fcbergehenden Starre die Zellk\u00f6rper ihr gew\u00f6hnliches Aussehen behalten, tr\u00fcben sie sich mit Eintritt des W\u00e4rmetodes durch Ausscheidung von Eiweiss. S\u00e4urebildung findet dabei nicht nachweisbar statt. Die Cilien selbst werden etwas st\u00e4rker lichtbrechend, aber nicht k\u00f6rnig oder varik\u00f6s.\nDie durch Abk\u00fchlung unter das Maximum hervorgerufene K\u00e4lte-starre kann bei Erw\u00e4rmung wieder weichen, falls nicht die Cilien festgefroren und dann beim Aufthauen zerst\u00f6rt waren. Doch k\u00f6nnen auch zu Eis gewordene Flimmerhaare unter Umst\u00e4nden ihre Bewegungen sp\u00e4ter wieder aufnehmen1 2, wenn die Temperatur nicht unter eine gewisse Grenze (Ultraminimum) sank. Letztere betrug in Beobachtungen von Roth 2 an Anodonta \u2014 6\u00b0, von Mantegazza3 4 5 6 7 an menschlichem Sperma \u2014 17\u00b0 C.\nUeber den Einfluss der Erw\u00e4rmung und Abk\u00fchlung hat schon Spallanzani 4 im vorigen Jahrhundert an Spermatozoen Versuche angestellt. Beim Flimmerepithel haben zuerst Purkyn\u00e9 und Valentin 5 Beobachtungen, namentlich \u00fcber die obere und untere Grenze gesammelt. Ihre Angaben sind sp\u00e4ter durch Calliburc\u00e9s, Roth,. Stuart und mich vervollst\u00e4ndigt worden. \u2014 Calliburc\u00e9s 6 mass zuerst die Geschwindigkeit der Str\u00f6mung bei verschiedenen Temperaturen. Der Zeiger seines Apparates drehte sich (im Mittel aus Versuchen an 52 Schleimh\u00e4uten) bei 28\u00b0 C. etwa 6mal schneller als bei 12 bis 19\u00b0 C. Graphische Darstellungen der Abh\u00e4ngigkeit von der Temperatur erhielt ich mittelst der Registrirme-thode.\u201d\n3. Was sei* geheilt.\nJede merkliche Aenderung des Wassergehaltes der Flimmerorgane pflegt von auff\u00e4lligen Aenderungen der Bewegung, speciell der Frequenz und Amplitude und damit des Nutzeffektes, begleitet zu sein. Erh\u00f6hung des Wassergehaltes \u00fcber das normale Maass durch Verd\u00fcnnung des normalen Mediums mit reinem Wasser, l\u00e4sst alle\n1\tValentin, imHandw\u00f6rterb. d. Physiol. I. S. 511; Schief, Lehrb. d. Muskel-u. Xervenphysiologie S. 12 ; Mantegazza, Sullo spermo umano. Rendic. del reale istit. lomb. II. p. 183. 1867.\n2\tRoth, Ueber einige Beziehungen des Flimmerepithels zum contrakt. Protoplasma. Arch. f. pathol. Anat. XXXVII. S. 184.1867.\n3\tMantegazza a. a. 0.\n4\tSpallanzani , Description des petits vers spermatiques de l\u2019homme et de divers animaux in Opusc. de physique anim. et v\u00e9g\u00e9t. II. p. 1.1777.\n5\tPurkyn\u00e9 et Valentin, De phaenomene etc. p. 70 f.\n6\tCalliburc\u00e9s, Compt. rend. 1858. p. 639.\n7\tArch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 501 f. Taf. VI. Fig. 1 u. 2. 1877.","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"398 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\ndrei wachsen. Der Zuwachs kann so erheblich sein, dass bereits bei gew\u00f6hnlicher Temperatur das \u00fcberhaupt m\u00f6gliche Maximum der Energie erreicht wird, Erw\u00e4rmung also keine weitere Steigerung hervorruft. Uebersehreitet der Wassergehalt eine gewisse H\u00f6he, so erlischt die Bewegung allm\u00e4hlich, wo dann die Cilien (des Flimmerepithels) in vor\u00fcbergebeugter Stellung, wie in W\u00e4rmestarre, stehen bleiben, Zellen und Haare aber gequollen, durchsichtiger, weicher ^ die Kerne als prall gef\u00fcllte helle Bl\u00e4schen erscheinen. Diese Wasser star re kann durch Wasserentziehung (Verdunstung, Zusatz von L\u00f6sungen indifferenter krystalloider oder \u00fcberhaupt stark wasseranziehender Stoffe wie Kochsalz, Zucker, Glycerin \u2014 nicht Colloide \u2014) aufgehoben werden, falls er nicht zu lange bestanden oder die Quellung gleich anfangs \u00fcber ein gewisses Maass gestiegen war. \u2014 Um-gekekrt sinken Schnelligkeit, Amplitude und Effekt der Bewegung unter entsprechenden Aenderungen des Volums, der optischen und mechanischen Eigenschaften der Flimmerorgane, wenn der Wassergehalt der Cilien und Zellen durch \u00fcbrigens indifferente Mittel (wie die oben genannten) unter das normale Maass herabgedr\u00fcckt wird. Unter den Erscheinungen der Schrumpfung tritt, wiederum in vor\u00fcbergebeugter Haltung der Wimpern Stillstand ein, Trockenstarre, deren niedere Grade durch Quellung herbeif\u00fchrende Mittel (Wasser, Alkalien), W\u00e4rme, elektrische Beize, oft auch, wenn schon meist weniger wirksam durch \u00e4usserst verd\u00fcnnte S\u00e4uren, Aether und Alkohol aufgehoben werden k\u00f6nnen.\nIm Einzelnen zeigen selbstverst\u00e4ndlich verschiedene Wimperarten vielerlei Unterschiede. Von gr\u00f6sster Bedeutung sind in dieser Hinsicht die osmotischen Eigenschaften des Mediums, an welches die Cilien gew\u00f6hnt sind. Schon Shaepey 1 hat derartige Unterschiede hervorgehoben. Beispielsweise gerathen in reinem Wasser Flimmerzellen von den Schleimh\u00e4uten der Wirbelthiere sehr bald (meist nach einigen Minuten) nach heftigster Beschleunigung in Starre, solche die normaler Weise von Seewasser besp\u00fclt sind, (die Austerkiemen z. B.) werden augenblicklich unter rapidester Quellung zerst\u00f6rt, w\u00e4hrend die entsprechenden Wimpern von S\u00fcsswasserbewohnern darin viele Stunden lang fortleben. Es ist \u00fcbrigens eine Akkommodation an sehr weit auseinanderliegende Concentraionen (beispielsweise von 0,1% an 4%, von 3% an 12% Kochsalz) m\u00f6glich, falls die Aen-derung \u00e4usserst langsam, im Lauf von Wochen, herbeigef\u00fchrt wird.1 2\n1\tW. Sharpey, in Todd\u2019s Cyclop. I. p. 634f. 1835\u201436.\n2\tDie Belege hierf\u00fcr habe ich im Capitel Protoplasmabewegung mitgetheilt.","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit vom Sauerstoff.\n399\nDen Einfluss des Quellungszustandes und seiner Aenderungen auf die Cilienbewegung haben zuerst Ankermann1 (1854) und danach in gr\u00fcndlichster Weise K\u00f6llikee2 hei den Samenf\u00e4den gew\u00fcrdigt und durch zahlreiche Versuche dargethan. K\u00f6llikee betonte u. A. das g\u00e4nzlich verschiedene Verhalten derselben gegen reine w\u00e4sserige L\u00f6sungen col-loider und krystalloider Stoffe (erstere wirken wesentlich wie reines Wasser), zeigte, dass schnell diffundirende \u00fcbrigens indifferente Salze z. B. (NaCl, KaCl, NFLCl, KNO3, NaML) schon in viel geringerer Concentration als langsam diffundirende z. B. (Na-iSOi, BaCb, MgSOi) anfangen sch\u00e4dlich zu wirken, wies nach dass Wasserstarre ebenso durch Wasserentziehung, wie nach Ankermann\u2019s Entdeckung Trockenstarre durch Quellung zu beseitigen sei. Ueber Flimmerepithelien wurden sp\u00e4ter in gleicher Richtung Versuche von Roth3 4, Stuaet 4 und mir,5 angestellt. Den Einfluss des Quellungszustandes auf die Energie der Str\u00f6mung registrirte ich mittelst Flimmeruhr und Flimmerm\u00fchle.6\n4. Sauerstoff.\nWie alle Lebensvorg\u00e4nge ist die Flimmerbewegung mit Sauerstoffverbrauch verkn\u00fcpft. Im v\u00f6llig O-freien Medium tritt allm\u00e4hlich Stillstand ein, der falls nicht noch besondere Sch\u00e4dlichkeiten einwirkten anfangs immer durch Sauerstoffzutritt und nur durch diesen wieder beseitigt werden kann. Keineswegs jedoch ist in jedem einzelnen Augenblick die Anwesenheit freien (bez\u00fcglich dissociirenden) Sauerstoffes zum Zustandekommen der Bewegung n\u00f6thig. Vielmehr erh\u00e4lt sich dieselbe auch in v\u00f6llig sauerstrofffreier Umgebung, wennschon mit allm\u00e4hlich abnehmender Frequenz und Amplitude, noch l\u00e4ngere Zeit, unter sonst g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden bisweilen eine Reihe von Stunden. Noch bei tief unter dem normalen liegenden Partiar-druck des Sauerstoffes scheint die Bewegung aller Cilien unbegrenzt und nur wenig geschw\u00e4cht fortdauern zu k\u00f6nnen. Offenbar binden also die Flimmerzellen den Sauerstoff chemisch und wird diese Verbindung, von der die Zellen unter normalen Bedingungen einen gewissen Vorrath besitzen m\u00fcssen, best\u00e4ndig zu Bewegungszwecken verbraucht.\nSteigerung der Sauerstoffspannung, auch oberhalb des normalen\n1\tAnkermann, De motu et evolutione fibr. sperm, ranae. Diss. inaug. Regiomont. 1854. S. a. Ztschr. f. wissensch. Zool. VIII. 1. S. 129 f. 1856.\n2\t\u2019K\u00f6llikee, ibid. VII. S. 205f., 229 f., 234f., 240f., wo auch die \u00e4lteren Arbeiten von Donn\u00e9, Kr\u00e4mer, Valentin, R. Wagner, Quatrefages, Newport, Ankermann, Moleschott u. a. besprochen sind.\n3\tRoth, Arch. f. pathol. Anat. XXXVII. S. 184. 1867.\n4\tAl. Stuart, Ueber die Flimmerbewegung. Dissert. Dorpat 1867 ; Ztschr. f. rat. Med. S. 288.1867.\n5\tEngelmann, Jenaische Ztschr. IV. S. 343f.. 434f., 446f., 460f.' 1868.\n6\tArch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 506f. Taf. VI. Fig. 5. 1877.","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nWerthes der Spannung, ruft zun\u00e4chst eine (meist nur geringe und vor\u00fcbergehende) Beschleunigung hervor. In reinem Sauerstoff sah ich die Bewegung beim Frosch mehrmals fr\u00fcher als in gew\u00f6hnlicher Luft erl\u00f6schen.1 Unter sehr hohem Druck (\u00fcber 8 Atmosph\u00e4ren 0) verlangsamt sie sich, unter Umst\u00e4nden bis zu v\u00f6lligem Stillstand, der bei Nachlass der O-Spannung wieder weichen kann. \u2014 Aktiver Sauerstoff (Ozon) wirkt unter allen Umst\u00e4nden, wie ja allgemein auf lebendige Zellen, als ein starkes Gift, etwa wie Chlor oder salpetrige S\u00e4ure. Ein Gegengift giebt es nicht.2 3 4 5\nSharpey 3 beobachtete bereits dass das Flimmerph\u00e4nomen auf den Kiemen der Froschlarven ungehindert in ausgekochtem Wasser fortbesteht und Cl. Bernard 4 gab an, dass die Bewegung auf der Speiser\u00f6hrenschleimhaut des Frosches im Vakuum, in N, CO2 und 0 genau so wie in atmosph\u00e4rischer Luft fortdauere (was \u00fcbrigens nicht richtig ist). Den ersten experimentellen Beweis, dass 0 f\u00fcr die Erhaltung der Flimmerbewegung unerl\u00e4sslich sei, lieferte W. K\u00fchne 5 f\u00fcr Flimmerzellen von Anodonta. Verdr\u00e4ngte er die atmosph\u00e4rische Luft in der feuchten Kammer durch reinen Wasserstoff, so h\u00f6rte die Bewegung nach einiger Zeit auf, um bei Zumischung \u00e4usserst geringer Mengen Sauerstoffs sofort wieder zu beginnen. K\u00fchne \u00fcberzeugte sich mittelst des Spektroskopes bei Zellen die in Oxyh\u00e4moglobinl\u00f6sung lagen, dass der Stillstand erst dann eintrat, wenn alles H\u00e4moglobin reducirt war. Doch meinte er dass ohne gleichzeitige Anwesenheit freien oder locker gebundenen Sauerstoffes die Bewegung \u00fcberhaupt nicht stattfinden k\u00f6nnte. Ich zeigte dann, dass diess sehr wohl m\u00f6glich sei und theilte N\u00e4heres mit in Betreff der Abh\u00e4ngigkeit in welcher die Bewegung vom Grade der Sauerstoffspannung, unter sehr verschiedenen Verh\u00e4ltnissen, steht.6 7 Die Thatsache des Sauerstoffbed\u00fcrfnisses wurde f\u00fcr verschiedene Arten von Flimmerzellen (von Wir-belthieren, Wirbellosen, Spermatozoen des Frosches) best\u00e4tigt.\nUeber den Einfluss comprimirten Sauerstoffes liegen Versuche von Tarchanoff 7 vor. Nach ihm wird die Lebensf\u00e4higkeit der Cilien des Flimmerepithels vom Frosch bei 10 Atmosph\u00e4ren Luftdruck oder B bis 6 Atmosph\u00e4ren Sauerstoffspannung nicht aufgehoben. Im hiesigen Laboratorium durch van Overbeek de Meyer am selben Objekt, wie an Wim-\n1\tJenaische Ztschr. IV. S. 374. 1868.\n2\tD. Huizinga, Ueber die Einwirkung einiger Gase auf Flimmer-, Blut- und Eiterzellen. Centralbl. f. d. med. Wiss. Nr. 4. S. 50. 1868; Th. Abrahamsz, Eenige proeven omtr. de werking van ozon etc. Onderz. ged. in het physiol, laborat. der Utrechtsche hoogeschool. TweedeR. HL S. 389.1870. Betrifft Flimmerzellen und Samenf\u00e4den und geht namentlich auf die merkw\u00fcrdigen morphologischen Ver\u00e4nderungen der letzteren durch Ozon ein.\n3\tSharpey, Todd\u2019s Cyclopaed. I. p. 606. 1835\u201436.\n4\tCl. Bernard, Le\u00e7ons sur les tissus vivants p. 147.1866.\n5\tW. K\u00fchne, Ueber den Einfluss der Gase auf die Flimmerbewegung. Arch. f. microscop. Anat. S. 372. 1866.\n6\tJenaische Ztschr. IV. S. 369\u2014375, 441 f., 451 f., 465f. 1868.\n7\tTarchanoff, Arbeit, d. St. Petersburger Ges. d. Naturf. VIL p. CXXH. 1876. Citirt nach Hofmann u. Schwalbe\u2019s Jahresbericht V. S. 22.1877.","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit von verschiedenen chemischen Bedingungen.\n401\npern von Ansterkiemen und Samenf\u00e4den angestellte Versuche gaben das im Text geschilderte Resultat.\n5. Andere chemische Bedingungen. \u2014 Wirkung von Alkalien und S\u00e4uren. Anaesthetica. Gifte.\nAusser den bisher genannten ist wie es scheint die einzige f\u00fcr das Zustandekommen der Bewegung noch unerl\u00e4ssliche \u00e4ussere Bedingung eine von der neutralen nicht weit abweichende Reaktion des Mediums. Bei Gegenwart freier Alkalien tritt unter Quellung, bei Gegenwart freier S\u00e4uren, auch von CO 2, unter Tr\u00fcbung der Zellen Verz\u00f6gerung endlich Stillstand der Bewegung ein, der in seinen schw\u00e4cheren Graden dann durch Neutralisation (die Kohlens\u00e4urel\u00e4hmung schon durch Auswaschen mit Luft oder anderen indifferenten Gasen) beseitigt werden kann. Die Cilien stehen (beim Wimperepithel des Frosches) in vorn\u00fcbergeneigter Lage still, wie bei anderen Arten der Starre. Im Allgemeinen wirken freie Alkalien und basische Salze der Alkalien erst in h\u00f6heren Concentrationsgraden als S\u00e4uren oder saure Salze sch\u00e4dlich, wie ja auch die normale Reaktion der die Flimmerepitkelien tr\u00e4nkenden Ern\u00e4hrungsfl\u00fcssigkeit ebenso wie die des Samens meist eine deutlich alkalische ist.\nDer hemmenden Wirkung geht unter manchen Bedingungen eine bef\u00f6rdernde voraus, die namentlich den kaustischen Alkalien ziemlich allgemein und in sehr hohem Maasse eigen zu sein pflegt, aber auch vielen S\u00e4uren (CO2, Ameisen-, Milch-, Essig-, Oxals\u00e4ure auch HCl, SO4H, NO3H), und zwar zum Theil unter ganz gleichen Bedingungen zukommt, also, wenigstens im letzteren Falle, nicht auf Neutralisation beruhen kann. Gegen letztere oft ge\u00e4usserte Vermuthung spricht in anderen F\u00e4llen auch der Umstand, dass die anregende Wirkung von der zuvor herrschenden Reaktion ganz unabh\u00e4ngig ist. Ferner versagen beispielsweise kohlensaure Alkalien, kaustischer Kalk und Baryt in vielen F\u00e4llen vollst\u00e4ndig, wo kaustische Alkalien sehr intensiv beschleunigen. \u2014 Bei letzteren kommt sicherlich ein wesentlicher Theil der Wirkung auf ihre quellungbef\u00f6rdernden Eigenschaften. Denn sie regen die Bewegung niemals an wo sie (z. B. durch reines Wasser) unter Erscheinungen von Quellung schon abgenommen hat, immer aber da wo die Hemmung in Wasserentziehung ihren Grund hatte, also da wo auch reines Wasser anregend wirkt. S\u00e4uren dagegen k\u00f6nnen in beiden F\u00e4llen anregend wirken ; da sie aber schon in sehr geringer Concentration Eiweisscoagula in den Zellen erzeugen,\nHandbuch der Physiologie. Bd. I.\t26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nwelche rein mechanisch schon die Bewegung der Cilientheilchen st\u00f6ren m\u00fcssen, so begreift es sich, dass hei ihnen die hemmende Wirkung leichter und h\u00e4ufiger zur Beobachtung kommt.\nNachdem die fr\u00fcheren Untersucher immer nur von sch\u00e4dlichen Wirkungen saurer und alkalischer Fl\u00fcssigkeiten berichtet hatten, entdeckte R. Virchow 1 am Flimmerepithel einer menschlichen Luftr\u00f6hre die anregende Wirkung von Kali und Natron. Dem Ammoniak schrieb er nur l\u00e4hmenden Einfluss zu, was sp\u00e4ter jedoch nicht best\u00e4tigt ward. Bei den Samenf\u00e4den von Hermella hatte schon einige Jahre fr\u00fcher A. de Quatre-fages 2 auf Zusatz einer L\u00f6sung von Vio kaustischem Kali eine Beschleunigung der Bewegungen zu bemerken geglaubt. K\u00f6lliker 3 best\u00e4tigte bald darauf durch h\u00f6chst umfassende Untersuchungen die ViRCHOw\u2019sche Entdeckung f\u00fcr die Samenf\u00e4den vieler Thiere, erkannte die den fixen Alkalien wesentlich gleiche Wirkung des Ammoniak und stellte die Bedingungen fest unter welchen diese Stoffe anregend oder l\u00e4hmend wirken. Die auf Flimmerepithel bez\u00fcglichen Angaben wurden sp\u00e4ter durch K\u00fchne 4 (Einfluss saurer und alkalischer D\u00e4mpfe), Roth 1 2 3 4 5, Stuart 6 7, Huizinga 7 und mich8 selbst best\u00e4tigt und erweitert. Ich fand die specifisch anregende Wirkung der S\u00e4uren 9, und wies den Einfluss des Ammoniak und der Kohlens\u00e4ure mittelst der graphischen Methode nach.10\nIn Bezug auf den Einfluss anderer chemischer Agentien als der bisher genannten beschr\u00e4nke ich mich darauf Folgendes zu erw\u00e4hnen.\nAether, Alkohol, Schwefelkohlenstoff11, Amylnitrit12 steigern Frequenz und Energie der Bewegungen (beim Flimmerepithel von Wirbelthieren, den Samenf\u00e4den des Frosches u. a.), namentlich wenn dieselben in reinem Wasser oder in etwas zu concentrir-ten, \u00fcbrigens indifferenten Medien abgenommen hatten. Bei etwas st\u00e4rkerer Einwirkung f\u00fchren sie zum Stillstand in vorn\u00fcbergebeugter Haltung der Cilien, unter Tr\u00fcbung der Zellen. Anfangs belebt Aus-\n1\tR. Virchow, Ueber die Erregbarkeit der Flimmerzellen. Arcb. f. pathol. Anat. VI. S. 133. 1854.\n2\tA. de Quatrefages , Recb. exp\u00e9r. sur les spermat. des Hermelles et des Ta-rets. Ann. des scienc. natur. 1850. p. 116.\n3\tK\u00f6lliker, Ztschr. f. wissensch. Zool. VII. S. 181 u. 201. 1856.\n4\tK\u00fchne, Arch. f. microscop. Anat. S. 372. 1866.\n5\tRoth, Arch. f. pathol. Anat. XXXVII. S. 184. 1867.\n6\tStuart, Ztschr. f. rat. Med. 1867. S. 288.\n7\tHuizinga, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1868. S. 49.\n8\tEngelmann, Jenaische Ztschr. IV. S. 343f. 1868.\n9\tEbenda, vgl. namentlich S. 344, 351,353\u2014364, 447\u2014450.\n10\tArch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 508 u. 510. Taf. VI. Fig. 6 u. 10. 1877.\n11\tJenaische Ztschr. IV. S. 375\u2014379. 1868 (Flimmerepithel vom Frosch), S. 442 \u2014443 (von Muscheln), S. 452\u2014453 (Samenf\u00e4den des Frosches). Hier sind auch die \u00e4lteren, nur die sch\u00e4dlichen Wirkungen obiger Stoffe meldenden Arbeiten vonPuRKYNE u. Valentin, Ankermann, K\u00f6lliker, Claude Bernard, Huizinga citirt.\n12\tArch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 508\u2014510. Taf. VI. Fig. 7\u20149. Hier ist der Einfluss von Aether, Chloroform und Amylnitrit nach Versuchen mit der Flimmeruhr und -m\u00fchle graphisch dargestellt.","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Anaesthetica. Elektrische Reizung.\t403\nwaschen mittelst Luft oder anderen unsch\u00e4dlichen Gasen, unter Verschwinden der Tr\u00fcbung. Die Bewegung kann dann die anf\u00e4ngliche H\u00f6he nahezu wieder erreichen; doch bleibt sie meist etwas geschw\u00e4cht. Die Erscheinungen sind also in soweit wesentlich wie bei der Kohlens\u00e4urevergiftung. Inzwischen helfen bei h\u00f6heren Graden der L\u00e4hmung Alkalien nichts, welche doch einen Kohlens\u00e4urestillstand, der sonst nicht weichen will, h\u00e4ufig noch beseitigen. \u2014 Chloroform wirkt wie Aether, nur vermisste ich immer die Beschleunigung; auch hinterblieben weniger leicht sch\u00e4dliche Wirkungen.\nSpecifische Gifte f\u00fcr die Flimmerbewegung scheint es nicht zu geben. Veratrin, Strychnin, Atropin, Eserin, Curare, Chinin, Morphium, Blaus\u00e4ure und ihre Verbindungen wirken soweit untersucht, nicht nachtheiliger als L\u00f6sungen anderer Stoffe von gleichen osmotischen Eigenschaften und gleicher Reaktion.1\nAusnahmen hiervon findet man begreiflicherweise da wo die Flimmerbewegung unter entschieden nerv\u00f6sen Einfl\u00fcssen steht, z. B. wo sie der willk\u00fcrlichen Ortsbewegung dient. In keinem dieser F\u00e4lle ist aber ein direkter giftiger Einfluss eines der genannten Stoffe auf die Substanz der Flimmerzellen bez\u00fcglich der Cilien nachgewiesen. Neue Untersuchungen sind \u00fcbrigens w\u00fcnschenswertli.\nVIII. Einfluss elektrischer Str\u00f6me.\nDie Wirkungen elektrischer Str\u00f6me sind bisher nur an der Rachenschleimhaut des Frosches hinreichend ausf\u00fchrlich untersucht worden, auf die sich denn auch die folgenden Angaben, sofern nicht etwas anderes gemeldet ist, beziehen. Darf man nun auch erwarten dass andere Objekte, speciell andere flimmernde Epithelien h\u00f6herer Thiere, im Wesentlichen dieselben oder \u00e4hnliche Resultate geben werden, so ist doch vor weitgehenden Verallgemeinerungen ausdr\u00fccklich zu warnen. Schon beim Flimmerepithel von Muschelkiemen verh\u00e4lt sich \u2014 nach gelegentlichen Beobachtungen \u2014 manches ganz anders und vollends wird diess der Fall sein, wo die Cilien sich unter entschieden nerv\u00f6sen Einfl\u00fcssen bewegen.\nDer Effekt der elektrischen Reizung zeigt nun \u2014 und diess scheint ganz allgemein zu gelten \u2014 sehr viel Uebereinstimmung mit der Wirkung schneller Temperaturerh\u00f6hungen. Doch l\u00e4sst er sich nicht, oder doch h\u00f6chstens zum kleinen Theil auf solche zur\u00fcck-\n1 Ygl. Purkyne et Valentin a. a. O. S. 74 f., Valentin im Handw\u00f6rterb. d. Physiol. I. S. 512 ; Sharpey in Todd\u2019s Cyclopaed.I. S. 634 ; Iy\u00f6lliker, Ztschr. f. wissensch. Zool. VII. S. 218 ; Engelmann, Jenaische Ztschr. IV. S. 379 f., 443 u. 453.\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nf\u00fchren. In vielen F\u00e4llen, namentlich dann, wenn die Bewegung unter sehr g\u00fcnstigen Bedingungen bereits sehr hohe Energie besitzt, fehlt jeder nachweisbare Einfluss, vorausgesetzt dass die Intensit\u00e4t der angewandten Str\u00f6me nicht so gross ist, dass di\u00a7 Zellen zerst\u00f6rt werden. In anderen F\u00e4llen ist ein Erfolg sehr merkbar und zwar kann derselbe, wie der der Erw\u00e4rmung je nach den Bedingungen entweder in einer Anregung oder in einer Hemmung von vor\u00fcbergehender Dauer bestehen. Beide, einander entgegengesetzte Wirkungen zeigen in Bezug auf Verlauf, Abh\u00e4ngigkeit von Art, St\u00e4rke, Dauer u. s. w. der elektrischen Reizung wesentliche Uebereinstim-mung, unterscheiden sich gleichsam nur durch das Vorzeichen.\nEine anregende Wirkung tritt haupts\u00e4chlich dann ein, wenn die Bewegung in den nat\u00fcrlichen Fl\u00fcssigkeiten \u201evon selbst\u201c oder, was meist dasselbe bedeutet, unter dem Einfluss schwach wasserentziehender L\u00f6sungen \u00fcbrigens indifferenter Stoffe etwas tr\u00e4ge geworden, bez\u00fcglich zur Ruhe gekommen ist. Dies ist der gew\u00f6hnliche, darum auch am eingehendsten untersuchte Fall. \u2014\nDie hemmende Wirkung wird in den F\u00e4llen beobachtet, wo die Bewegung unter Erscheinungen von Aufquellung der Zellen und Cilien (z. B. durch reines Wasser, verd\u00fcnnte Alkalien) abgenommen hatte. Meist ist dann auch eine Steigerung der Quellung infolge der Reizung mikroskopisch wahrzunehmen.\nDer physiologische Effekt der Reizung besteht immer in einer Steigerung bez\u00fcglich Schw\u00e4chung der periodischen Th\u00e4tigkeit, nicht im Ausl\u00f6sen bez\u00fcglich Unterdr\u00fccken einzelner Bewegungen, wie bei den Muskeln. Rhythmus und auch wohl der Modus bleiben im Allgemeinen dieselben; nur die Dauer der Perioden (Frequenz) und die Amplitude und damit der Nutzeffekt \u00e4ndern sich. Speciell variirt die Geschwindigkeit des Hin- und Herganges, eine Ver\u00e4nderung der (\u00fcbrigens normalerweise nicht messbar langen) Pause zwischen beiden hat nicht nachweislich statt.\nManche Flimmerhaare von Wirbellosen verhalten sich dagegen mehr wie Muskeln. So beugen sich die grossen Wimperhaare der seitlich l\u00e4ngs der Kiemenleistchen der Bivalven hinziehenden Zellenreihen, welche das wellenf\u00f6rmige Fortschreiten der Bewegung so sch\u00f6n zeigen, infolge eines Induktionsschlages s\u00e4mmtlich gleichzeitig, mit einem Ruck, nach vorn und verharren in dieser Stellung wie in einem Krampf, um so l\u00e4nger, je st\u00e4rker der Reiz war.\nFolgende Regeln nun, die wie man bemerken wird, mit einigen Ausnahmen dieselben sind, die auch f\u00fcr andere elektrisch reizbare Elemente gelten, lassen sich nach den bisher gesammelten Erfahrungen aussprechen.j","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss elektrischer Str\u00f6me.\n405\nDie Wirkung elektrischer Str\u00f6me erstreckt sich nur auf die direkt durchstr\u00f6mten Zellen. Gleiche Stromdichte vorausgesetzt, findet sie auf allen Querschnitten der intrapolaren Strecke gleichm\u00e4ssig statt. \u2014 Nur nach pl\u00f6tzlichen, positiven oder negativen Dichtigkeitsschwankungen tritt Erregung ein, bei Anwendung constanter Str\u00f6me (allgemein von Str\u00f6men geringerer Intensit\u00e4t), jedoch im Allgemeinen nur dann, wenn der Strom l\u00e4nger geschlossen blieb als zum Ablauf der Schwankung n\u00f6thig. Die zur Erregung n\u00f6thige Schliessungsdauer (welche gr\u00f6ssere Bruchtheile einer Sekunde tibersteigen kann) ist um so k\u00fcrzer je st\u00e4rker der Strom. Mit der Schnelligkeit und dem Umfang der Dichtigkeitsschwankung w\u00e4chst innerhalb gewisser Grenzen der Effekt. Beim Einschleichen in einen Strom beliebiger St\u00e4rke bleibt derselbe aus (Beweis gegen die thermische Natur der Stromwirkungen). Positive Dichtigkeitsschwankungen wirken st\u00e4rker als negative.\nDer Erfolg tritt erst nach einem Stadium \u201e latenter Reizung \u201c ein, das, um so k\u00fcrzer je st\u00e4rker der Reiz, im \u00e4ussersten Falle mehrere Sekunden andauern kann; er w\u00e4chst dann, um so steiler und h\u00f6her je kr\u00e4ftiger der Reiz, durchschnittlich binnen wenigen Sekunden zu einem Maximum, auf dem er bei anhaltender oder nach sehr starker momentaner Reizung einige Zeit verharren kann, um danach allm\u00e4hlich auf Null herabzugehen. Nach starker Reizung hinterbleibt mitunter eine l\u00e4ngere Schw\u00e4chung.\nEinzeln unwirksame Reize k\u00f6nnen sich zu merkbarer Wirkung verst\u00e4rken, wenn sie in nicht zu kurzen Pausen (durchschnittlich wenigstens einige Reize in der Sekunde) aufeinanderfolgen. \u2014 Nach Oeffnung herrscht kurze Zeit erh\u00f6hte Empfindlichkeit f\u00fcr Schliessung eines entgegengesetzt gerichteten Stromes.\nSehr starke Induktionsschl\u00e4ge oder Entladungen der Flasche u. s. w. t\u00f6dten die Zellen, die dabei tr\u00fcbe werden, w\u00e4hrend die Cilien schr\u00e4g vorn \u00fcbergebeugt zur Ruhe kommen.\nW\u00e4hrend \u00e4ltere Beobachter 1 2 nur zu negativen Resultaten gekommen oder doch nur nachtheilige Wirkungen gesehen hatten, die sie den elektrolytischen oder thermischen Effekten der Str\u00f6me zuschrieben, wies zuerst Kistiakowsky 2 nach, dass sowohl der constante Strom als abwechselnd gerichtete Induktionsschl\u00e4ge die Fl\u00fcssigkeitsstr\u00f6mung an der Oberfl\u00e4che der Rachenschleimhaut des Frosches zu beschleunigen verm\u00f6gen. Stuart 3\n1\tYgl. Valentin in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. S. 511 f.\n2\tKistiakowsky , lieber die Wirkung des constanten und Induktionsstromes auf die Flimmerbewegung. Sitzgsber. d. Wiener Acad. Mathem.-phys. Cl. LI. S. 263 \u2014279.1865.\n-ff Al. Stuart, a. a. 0. Dissert. S. 19.","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nund ich selbst1 best\u00e4tigten diese Entdeckung. Die im Text gegebene Darstellung beruht auf eigenen ausf\u00fchrlichen Untersuchungen 2, auf welche in Bezug auf Methodik wie auch sonstige Einzelheiten (Zahlenangaben u. dgl.) verwiesen werden mag.\nIX. Verhalten gegen einige andere Einwirkungen.\nDie Vermuthung liegt nahe, dass die Flimmerzellen auch andere pl\u00f6tzliche Eingriffe als elektrische, in \u00e4hnlicher Weise wie diese beantworten m\u00f6chten. Doch ist hier\u00fcber nur wenig festgestellt. \u2014 Der Einfluss pl\u00f6tzlicher positiver und negativer Temp er at ursch wank ungen ist nicht untersucht. Aenderungen des Beleuchtungsgrades haben in den meisten F\u00e4llen sicher nicht den geringsten Erfolg. Bei den durch das Licht, namentlich in Bezug auf Richtung, sehr stark beeinflussten Bewegungen gr\u00fcner Schw\u00e4rmspo-ren niederer Pflanzen und Flagellaten bleibt noch zu untersuchen, ob es sich um einen direkten Einfluss der Lichtstrahlen auf die beweglichen Th eile handelt.\nNach meehanischenEingriffen (Ersch\u00fctterung, Druck) sahen manche Beobachter3 die Bewegung vor\u00fcbergehend schneller werden. Ich habe mich (beim Frosch, weniger gut an Austerkiemen) zwar von der Richtigkeit der Thatsache aber nicht davon mit Sicherheit \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dass sie wirklich einer Erregung der Zellen zuzuschreiben sei. Gew\u00f6hnlich scheint, wie schon Sharpey vermuthete, Entfernung mechanischer Hindernisse (besonders von Schleim) wesentlich mitzuspielen.\nDass durch pl\u00f6tzliche chemische Eingriffe bestimmter Art eine den Folgen elektrischer Reizung gleiche oder \u00e4hnliche Wirkung hervorgebracht werden k\u00f6nne, lehren die oben bei Er\u00f6rterung der chemischen Bedingungen der Bewegung mitgetheilten Thatsachen. Wasser, Alkalien, S\u00e4uren, Aether, Alkohol, Schwefelkohlenstoff, Amylnitrit d\u00fcrfen in diesem Sinne als chemische Reize f\u00fcr die Flimmerzellen bezeichnet werden.\n1\tTh. W. Engelmann , Ueber den Einfluss der Elektricit\u00e4t auf die Flimmerbewegung. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1868. Nr. 23. S. 353.\n2\tIdem, Ueber die Flimmerbewegung. Jenaische Ztschr. IV. S. 385\u2014434. 1868; Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 502\u2014506. Taf. YI. Fig. 3 u. 4. 1877. An letzter Stelle ist eine Best\u00e4tigung mehrerer der wichtigsten S\u00e4tze mittelst der Selbstregistrirmethode gegeben.\n3\tSteinbuch, Analekten neuer Beobachtungen und Untersuchungen zur Naturkunde S. 66. F\u00fcrth 1802. (Mir nicht zug\u00e4nglich); Purkyne et Valentin, De phaeno-meno generali etc. p. 70. 1835; Valentin, Handw\u00f6rterb. d. Physiol. I. S. 510. 1842 ; Roth, Arch. f. pathol. Anat. XXXVII. S. 191 f. 1867.","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Theoretische Bemerkungen.\n407\nX. Theoretische Bemerkungen.\nBeim l\u00fcckenhaften Zustand unserer Kenntnisse, insbesondere beim Mangel jedes n\u00e4heren Einblickes in die chemischen Vorg\u00e4nge, welche sich in den Zellen und Cilien abspielen, lassen sich zu einer Theorie der Flimmerbewegung einstweilen nur einzelne Bausteine liefern. Wie beim Protoplasma ist die Betrachtung wesentlich auf eine n\u00e4here Zergliederung der sichtbaren mechanischen Vorg\u00e4nge angewiesen. In dieser Beziehung m\u00f6gen folgende kurze Bemerkungen gen\u00fcgen.1\nIm Wesentlichen lassen sich, wie dies von vornherein auch gefordert werden muss, die bez\u00fcglich der Protoplasmabewegung entwickelten Vorstellungen auch hier anwenden. Man h\u00e4tte demnach anzunehmen, dass die Flimmerbewegung in allen F\u00e4llen durch Formver\u00e4nderungen kleinster in den Cilien selbst enthaltener Elemente hervorgebracht werde. Diese kleinsten Elemente (Inotagmen), denen im Ruhezustand eine gestreckte, w\u00e4hrend der Contraktion eine mehr der Kugelform gen\u00e4herte Gestalt zuzuschreiben w\u00e4re, m\u00fcssten in fester Anordnung zusammengef\u00fcgt und zwar alle in gleichem Sinne orientirt, mit ihren langen Axen der Axe der Cilien parallel gelagert sein.\nEine solche Anordnung k\u00f6nnte xschon durch einfache Fl\u00e4chenanziehung der Elemente bei hinreichend geringer Menge des intertegma-tischen Wassers erhalten werden. In der That sieht man ja oft infolge von Wasserentziehung hyalines Protoplasma sich in feinste Wimpern ausbilden oder fibrill\u00e4r zerkl\u00fcften (vgl. Capitel Protoplasmabewegung IV. 6).\nDie Formver\u00e4nderungen der ein Wimperhaar constituirenden Inotagmen m\u00fcssten in gesetzm\u00e4ssiger Reihenfolge stattfinden, im Allgemeinen von der Basis nach der Spitze zu fortschreitend \u2014 entweder geradlinig, auf einer oder abwechselnd auf Vorder- und R\u00fcckfl\u00e4che des Haares: hakenf\u00f6rmige und wellenf\u00f6rmige Bewegung, oder in einer Spiraltour: trichterf\u00f6rmige Bewegung.\nDie n\u00e4chste Ursache der Formver\u00e4nderungen der Inotagmen w\u00fcrde wiederum in Aenderungen des Quellungszustandes derselben zu suchen sein, die Veranlassung dieser, d. i. der physiologische Reiz, in letzter Instanz in molekul\u00e4ren Vorg\u00e4ngen unbekannter Art, welche periodisch im Zellprotoplasma oder (bei den automatisch beweglichen Cilien, vieler Samenf\u00e4den z. B.) in der Substanz der Cilien selbst\n1 Vgl. auch Jenaiscbe Ztscbr. IV. S. 456\u2014478.1868, sowie die oben in den einzelnen Capiteln eingestreuten theoretischen Bemerkungen.","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408 Engelmann, Protoplasma- u. Flimmerbewegung. 2. Cap. Die Flimmerbewegung.\nablaufen. Wie der Mechanismus der Cilienbewegung im Princip mit der Muskelbewegung, so wird vermutklich der Reizvorgang als im Princip mit der Nervenerregung identisch betrachtet werden d\u00fcrfen. Hierf\u00fcr sprechen die oben (IV) in Betreff der Coordination der Zellen und der Reizleitung im Epithel mitgetheilten Thatsachen.\nDruck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.","page":408}],"identifier":"lit36687","issued":"1879","language":"de","pages":"341-408","startpages":"341","title":"Erster Theil: Flimmer- und Protoplasmabewegung","type":"Book Section","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:37:13.897344+00:00"}