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{"created":"2022-01-31T15:24:10.139663+00:00","id":"lit36688","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 1: Handbuch der Physiologie der Bewegungsapparate","contributors":[{"name":"Fick, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 1: Handbuch der Physiologie der Bewegungsapparate, edited by Ludimar Hermann, 237-346. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"YON\nProf. A. FICK in W\u00fcrzburg.","page":237},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"EINLEITUNG.\nDie specielle Bewegungslehre m\u00fcsste \u2014 so sollte man meinen \u2014 zu den alleranziehendsten biologischen Disciplinen geh\u00f6ren. In der That, sie bietet lauter Probleme dar, die verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig leicht in mathematischer Form gel\u00f6st werden k\u00f6nnen, da das Ph\u00e4nomen der Muskelkontraktion in dieser Disciplin selbst nicht erkl\u00e4rt zu werden braucht, sondern als gegebener Erkl\u00e4rungsgrund benutzt wird. Keine andere wissenschaftliche Th\u00e4tigkeit ist aber wohl so anziehend und befriedigend als die Beantwortung einer bestimmt gestellten Frage in der eleganten Form der Mathematik. Dazu kommt noch, dass kaum eine andere biologische Disciplin reichlicher Gelegenheit bietet, die bewundernswerthe Zweckm\u00e4ssigkeit der organischen Formen so klar zu durchschauen, als gerade die specielle Bewegungslehre, was gewiss auch zu den h\u00f6chsten Gen\u00fcssen geh\u00f6rt, welche die Wissenschaften bieten k\u00f6nnen. Gleichwohl hat diese Disciplin, die nach dem Stande der gegenw\u00e4rtigen H\u00fclfsmittel heutzutage schon als eine vollendete dastehen k\u00f6nnte, sehr wenig Bearbeiter gefunden. Der Grund daf\u00fcr liegt wohl haupts\u00e4chlich darin dass die specielle Bewegungslehre eine eigenthtimliche Mittelstellung zwischen der Physiologie und der beschreibenden Anatomie einnimmt, so dass jede dieser beiden umfassenderen Wissenschaften sie der anderen zuzuschieben Gr\u00fcnde finden kann. So hat sich denn die Forscher-th\u00e4tigkeit der Physiologen in neuerer Zeit fast ganz von dem Gebiete der speciellen Bewegungslehre zur\u00fcckgezogen und sich mit Vorliebe und wohl auch mit Recht auf die Untersuchung der Grundeigenschaften der funktionirenden Elementartheile wesentlich koncentrirt. Die Vertreter der beschreibenden Anatomie andererseits pflegen schon seit l\u00e4ngerer Zeit ihre Forscherth\u00e4tigkeit \u00fcberhaupt anderen Gebieten, insbesondere der Entwicklungsgeschichte, der vergleichenden Anatomie und Histologie zuzuwenden. So ist denn die specielle Bewegungslehre von beiden Seiten her sehr kurz gehalten.\nBei dieser zweifelhaften Mittelstellung zwischen Anatomie und Physiologie hat derjenige, welcher die specielle Bewegungslehre als Abschnitt der Physiologie darstellen soll, in weitestem Umfange","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nFick, Spec. Bewegungslehre. Einleitung.\nfreie Hand bez\u00fcglich der Auswahl des Stoffes und der Art der Darstellung. Nur die Er\u00f6rterung gewisser Bewegungsvorg\u00e4nge pflegt in den Darstellungen der gesammten Physiologie nie zu fehlen. Mehrere derselben aber, wie die Bewegungen des Brustkorbes und des Augapfels, werden regelm\u00e4ssig bei der Funktion der Organe behandelt, welcher sie dienen. Der speciellen Bewegungslehre f\u00e4llt daher nur die Beschreibung der Locomotion durch die Extremit\u00e4ten und die Stimmbildung durch Kehlkopf und Mund zu. Diese beiden Abschnitte d\u00fcrfen daher auch in diesem Handbuche nicht vermisst werden. Ihnen schicke ich voraus eine Er\u00f6rterung der allgemeinen Grunds\u00e4tze, wonach die Arbeit' der Muskelkr\u00e4fte an den Gelenkmechanismen zu beurtheilen ist. Ich werde mich dabei jedoch nicht an die Darstellung anderer Autoren halten.\nAus der Literatur \u00fcber die specielle Bewegungslehre ragen zwei monumentale Werke hervor: Borelli\u2019s grundlegendes Werk \u201eDe motu animalium \u201c und \u201e Die Mechanik der Gehwerkzeuge \u201c von den Gebr\u00fcdern Weber. Ihnen schliesst sich aus neuerer Zeit noch an: Duchenne\u2019s \u201ePhysiologie des mouvements\u201c, ein Werk, das zwar mit den beiden genannten an bahnbrechendem Gedankeninhalt nicht zu vergleichen ist, dem aber die Gr\u00fcndlichkeit der Untersuchung und Vollst\u00e4ndigkeit der Darstellung einen Platz unter den klassischen Werken dieses Gebietes sichert. Gleichwohl d\u00fcrfte es heutzutage nicht geeignet sein, sich in der Darstellung der allgemeinen Grunds\u00e4tze diesen Werken unmittelbar anzuschliessen. Was Borelli betrifft, so kann von einem engeren Anschl\u00fcsse schon darum nicht die Bede sein, weil zu seiner Zeit die Principien der Mechanik noch so wenig entwickelt waren, dass er viele S\u00e4tze der Muskelmechanik nur sehr schwerf\u00e4llig darstellen und beweisen konnte, die man mit den gegenw\u00e4rtigen H\u00fclfs-mitteln spielend beweist. In den andern genannten und manchen unerw\u00e4hnt gebliebenen Schriften, wo es mehr auf Detailuntersuchung abgesehen ist, sind zwischen ihnen die allgemeinen Grunds\u00e4tze theils versteckt, theils nur stillschweigend vorausgesetzt. Ich habe es daher vorgezogen, diese allgemeinen Grunds\u00e4tze als unmittelbare Folgerungen der allgemeinsten mechanischen Principien hinzustellen. Von den Anwendungen auf einzelne Probleme, wie sie sich zahlreich in den sch\u00f6nen neueren Arbeiten von Aeby, Albert, Haughton, Henke, Langer, Meyer und Anderen finden, habe ich im Ganzen abgesehen. Nur einige wenige besondere Anwendungen habe ich als erl\u00e4uternde Beispiele aufgenommen, und zwar nur solche, die wegen ihrer pr\u00e4cisen numerischen Form kurz tabellarisch gegeben werden konnten.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"ALLGEMEINER THEIL.\nERSTES CAPITEL.\nLelms\u00e4tze ans der allgemeinen Muskelpliysiologie.\nIn dem Abschnitte \u00fcber allgemeine Muskelphysiologie ist die fundamentale Eigenschaft der Muskelfaser er\u00f6rtert, welche darin besteht, dass durch verschiedene \u2014 Beize genannte \u2014 \u00e4ussere Einfl\u00fcsse in derselben ein gewisser Process, der sogenannte Erregungs-process, entsteht. Er hat seinen n\u00e4chsten sichtbaren Ausdruck darin, dass die Spannung der Muskelfaser \u00fcber den Werth steigt, der ihr bis dahin zukam. Es wird also zwischen der Spannung des Muskels und der Gegenkraft, welche ihr bis dahin Gleichgewicht hielt, ein solches nicht mehr bestehen k\u00f6nnen, vielmehr wird nunmehr die Spannung des Muskels diese Gegenkraft \u00fcberwinden, der Muskel wird sich zusammenziehen. Man kann dies auch so ausdr\u00fccken: Durch den Erregungsprocess verwandelt sich der Muskel in einen elastischen Strang von kleinerer nat\u00fcrlicher L\u00e4nge, als welche ihm im ruhenden Zustande zukam. Indem nun die Zusammenziehung des gereizten Muskels wirklich zu Stande kommt, leisten die elastischen Kr\u00e4fte desselben Arbeit im Sinne der Mechanik, denn der eine frei gedachte Endpunkt des Muskels, welcher den Angriffspunkt der elastischen Kraft bildet, wird im Sinne dieser Kraft gegen den fest gedachten andern Endpunkt des Muskels verr\u00fcckt.\nWenn man die Dehnungskurve des erregten Muskels kennt, kann man die Gr\u00f6sse der Arbeit, welche die elastischen Kr\u00e4fte bei irgend einer gegebenen Zusammenziehung leisten, von vornherein berechnen. Sei z. B. aebe (Fig. 1) die Dehnungskurve des erregten Muskels, d. h. bei der L\u00e4nge, die durch eine der senkrechten Ordinaten zwischen A B und ae be gemessen wird, \u00fcbe der erregte Muskel eine Spannung von so viel Grammen aus, als die am Anfangspunkt dieser Ordinate\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242 Fick, Spec. Bewegungslehre. 1. Cap. Lelms\u00e4tze aus der allg. Muskelphysiologie.\nangeschriebene Zahl angiebt, also beispielsweise bei der L\u00e4nge J g 300 grm. Zieht sieh also jetzt der Muskel von der L\u00e4nge fg bis zur L\u00e4nge de zusammen, so kommen dabei alle Werthe der Spannung zwischen 300 grm. und 50 grm. zur Wirksamkeit und zwar jeder f\u00fcr\nFig. i.\neine unendlich kleine, vom freien Endpunkte des Muskels zur\u00fcckgelegte Wegstrecke; die Summe dieser unendlich kleinen Wegstrecken ist aber he = ip und man hat daher in dem trapezoidischen Fl\u00e4chenraume peg i ein Maass f\u00fcr die von den elastischen Kr\u00e4ften bei der gedachten Zusammenziehung geleistete Arbeit- Da die Linie ig 300, die Linie pe 50 grm. repr\u00e4sentirt und he = 21 mm. ist, so betr\u00e4gt der numerische Werth der Arbeit\n,\t. i 300 -(- 50\netwas weniger als -----^-----X 21r\nd. h. etwas weniger 3675 Grammillimeter. Diese Zahl selbst w\u00fcrde genau das Maass der Arbeit sein, wenn die Linie eg ganz gerade w\u00e4re. W\u00e4re dem erregten Muskel gestattet, sich von der L\u00e4nge fg bis zu v\u00f6lliger Entspannung, d. h. bis zur L\u00e4nge kae zusammenzuziehen, so w\u00fcrde die Arbeit der elastischen Kr\u00e4fte gemessen werden durch den dreieckigen Fl\u00e4chenraum aeigh (etwa 4200 Grammillimeter).\nDas definirte Maass f\u00fcr die von den elastischen Kr\u00e4ften geleistete Arbeit kommt aber bei einer Muskelzusammenziehung nur dann zur Wirksamkeit, wenn der Erregungszustand sich vollst\u00e4ndig entwickelt hat, noch ehe eine merkliche Verk\u00fcrzung vom Anfangszustande aus hat stattfinden k\u00f6nnen. In wirklichen F\u00e4llen ist dies sehr h\u00e4ufig ausgeschlossen und dann berechnet sich der Werth der zur Wirkung* kommenden Arbeit elastischer Kr\u00e4fte m\u00f6glicherweise bedeutend kleiner. Um dies klar einzusehen, wollen wir uns folgenden Vorgang an dem Muskel vorstellen, dessen Dehnungskurven in beiden Zust\u00e4nden durch Fig. 1 dargestellt sind. Die Dehnungskurve des ruhenden Muskels sei arlbr, die des erregten wie vorhin aeengbe. Der ruhende Muskel sei durch eine Kraft von 50 grm., also zur L\u00e4nge d l gedehnt. Doch sei die Kraft ausge\u00fcbt von einem Agens, das so gut wie masselos ist. Jetzt werde der Muskel gereizt. Entst\u00fcnde auf Reiz der erregte Zustand momentan, so w\u00fcrde momentan die Spannung von 200 grm. entstehen, welche dem vollst\u00e4ndig erregten","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Berechnung der Arbeit bei einer Zusammenziehung.\n243\nMuskel bei der L\u00e4nge mn = dl zukommt. Selbstverst\u00e4ndlich ist aber die Entstehung dieser Spannung ein stetiger Akt, der eine endliche, wenn auch noch so kurze Zeit erfordert. Es wird also im ersten Augenblicke nach der Reizung die Spannung nur ein ganz klein wenig \u00fcber 50 grm. steigen. Dadurch ist aber das Gleichgewicht mit der Gegenkraft schon aufgehoben. Wenn keine erhebliche Masse in Bewegung zu setzen ist und die Gegenkraft konstant \u2014 50 grm. bleibt, wird also die Zusammenziehung beginnen und bis zu der L\u00e4nge gehen, wo f\u00fcr dieses Stadium der Erregung die Spannung 50 grm. ist. Nun entwickelt sich ein zweites Stadium der Erregung, in welchem f\u00fcr die erreichte L\u00e4nge die Spannung wieder etwas \u00fcber 50 grm. betr\u00e4gt, damit aber tritt auch sofort wieder eine entsprechende Verk\u00fcrzung ein, bis mit vollst\u00e4ndiger Entwickelung des Erregungszustandes die L\u00e4nge d e bei der immer merklich gleich gebliebenen Spannung von 50 grm. erreicht ist. Die elastischen Kr\u00e4fte haben also hier im Ganzen nur eine Arbeit geleistet, welche dem rechteckig begrenzten Fl\u00e4chenraum pole \u2014 le X pe = 14 mm. V 50 grm. oder 700 Grammillimetern gleich ist und nicht gleich peno (= 1750). Dieses Minimum der Arbeitsleistung (der Weber's ch en Berechnung entsprechend) tritt nur dann ein, wenn der Endpunkt dem geringsten Spannungs\u00fcbersckusse folgen kann, ohne dass eine neue Gegenkraft oder die Tr\u00e4gheit einer Masse Widerstand leistet. Die Spannung bleibt eben dann konstant auf ihrem anf\u00e4nglichen Werthe und die ganze Zusammenziehung erfolgt in der Zeit, w\u00e4hrend sich der Erregungszustand entwickelt und ist mit der vollst\u00e4ndigen Entwickelung desselben gerade beendet.\nDie positive Arbeit der vom erregten Muskel bei seiner Zusammenziehung entwickelten elastischen Kr\u00e4fte kann nun wie jede andere Arbeit zweierlei mechanischen Effekt nach aussen hervorbringen, entweder negative Arbeit entgegen wirkender Kr\u00e4fte \u2014 Ueberwindung von Widerst\u00e4nden \u2014 oder Beschleunigung von Massen. Soll wenigstens die M\u00f6glichkeit theoretisch gegeben sein, dass die ganze bei einer vollst\u00e4ndigen Zusammenziehung von einer gewissen Anfangsl\u00e4nge (z. B. f g) verf\u00fcgbare Arbeit (aeig) zu einem \u00e4usseren mechanischen Effekt verwandt wird, dann muss, wie schon oben bemerkt, daf\u00fcr gesorgt sein, dass vor Beginn der Verk\u00fcrzung der Erregungszustand zur vollen Entwickelung kommt. Man muss also, nachdem der ruhende Muskel zu der erforderlichen L\u00e4nge gedehnt ist, das Ende festhalten, bis die Erregung vollst\u00e4ndig entwickelt ist und dann erst freilassen. Soll jetzt der Effekt ganz in Ueberwindung von Gegenkr\u00e4ften (negativer Arbeit) bestehen, so muss man daf\u00fcr sorgen, dass\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244 Fick, Spec. Bewegungslehre. 1. Cap. Lehns\u00e4tze aus der allg. Muskelphysiologie.\ndiese Gegenkraft nach Maassgabe der Zusammenziehung abnimmt. Im obigen Beispiel m\u00fcsste sie z. B. im ersten Augenblicke des Freilassens 300 grm. betragen, dann sofort kleiner werden und z. B. in dem Augenblicke, wo der Muskel die L\u00e4nge mn erreicht hat, = 200 grm. sein und so fort, bis sie Null werden m\u00fcsste, wenn der Muskel auf die L\u00e4nge dae gekommen ist. Durch gewisse Maschinerien w\u00e4re dies erreichbar, wenn man die Dehnungskurve des Muskels zum Voraus kennte und die Maschinerie danach einrichtete. Es giebt auch im menschlichen K\u00f6rper viele F\u00e4lle, wo die Zusammenziehung von Muskeln mit abnehmender Gegenkraft verl\u00e4uft. Ganz genau kann man aber in Wirklichkeit nie die Bedingungen zu dem gedachten Vorg\u00e4nge erf\u00fcllen und es ist daher auch noch nicht ausgemacht, ob die aus der Dehnungskurve zu berechnende Arbeitsgr\u00f6sse jemals ganz zur Hervorbringung mechanischer Effekte nach aussen wirksam werden kann.\nEs giebt noch eine andere Art, die Muskelzusammenziehung stattfinden zu lassen, bei der theoretisch betrachtet ebenfalls die ganze verf\u00fcgbare Arbeit mechanischen Effekt hervorbringen sollte. Man dehnt wieder den ruhenden Muskel zu der bestimmten Anfangsl\u00e4nge, verkn\u00fcpft sein freies Ende mit einer theilweise \u00e4quilibrirten Masse, so dass die ganze Gegenkraft nur unbedeutend ist. W\u00e4hrend der Reizung wird das Ende festgehalten und nach voller Entwickelung der Erregung losgelassen. Da jetzt die Spannung bedeutend gr\u00f6sser ist als die Gegenkraft, so wird die Arbeit der elastischen Kr\u00e4fte zum grossen Theil zur Beschleunigung der Masse verwendet und sie kommen unter geeigneten Bedingungen hier auch ganz zur Verwendung, da verm\u00f6ge der Bewegung der mit dem Muskel verkn\u00fcpften Masse demselben gestattet wird, sich bis zur vollst\u00e4ndigen Entspannung zu verk\u00fcrzen. Das System wird schliesslich verm\u00f6ge der erlangten Endgeschwindigkeit auch nach vollendeter Zusammenziehung noch weiter gehen, bis die negative Arbeit des Ueberschusses der Last die erlangte lebendige Kraft aufgehoben hat. Die Erhebung, welche durch diesen Wurf der Schwerpunkt des ganzen Syst\u00e8mes erleidet mit dem Ueberschusse der Last multiplicirt stellt hier den mechanischen Effekt dar, und sollte der ganzen aus der Dehnungskurve zu berechnenden Arbeit gleich sein. Bei derartigen Versuchen kann man sich von der Dehnungskurve eine hinl\u00e4nglich genaue Kenntniss verschaffen, um eine Vergleichung zwischen der theoretisch zu erwartenden und der wirklich erzielten mechanischen Leistung auszuf\u00fchren. In meinen Versuchen dieser Art betrug die letztere nie mehr als die H\u00e4lfte der ersteren. Es geht hieraus hervor, dass von den wirklich schon ent-","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Bau der Knochen.\n245\nwickelten elastischen Spannkr\u00e4ften des Muskels wenigstens bei schneller Zusammenziehung immer ein grosser Theil zur Ueberwindung innerer Reibungswiderst\u00e4nde verbraucht wird.\nEs ist nun die Aufgabe des hier vorliegenden Abschnittes der Physiologie, zu untersuchen, wie im lebendenMenschen die Arbeit der elastischen Kr\u00e4fte der Muskeln zu mechanischen Leistungen verwandt werde. Die zu \u00fcberwindenden Gegenkr\u00e4fte mit Einschluss der Tr\u00e4gheit zu beschleunigender Massen greifen, wie die elastischen Kr\u00e4fte der Muskeln selbst an den miteinander beweglich verbundenen Knochen des Skelettes an; denn die F\u00e4lle, wo der Muskelkraft hydrostatische Druckkr\u00e4fte von Fl\u00fcssigkeiten entgegenwirken, werden in anderen Abschnitten der Physiologie behandelt. Es ist also unsere n\u00e4chste Aufgabe, die Beschaffenheit der Knochenverbindungen, durch welche der Muskelarbeit ihre besondere Richtung an jeder Stelle vorgezeichnet wird, zu untersuchen.\nZWEITES CAPITEL.\nDie Knochenverbindtingen.\nI. Bau der Knochen.\nDie Knochen sind den im normalen Lebensverlaufe auf sie wirkenden Kr\u00e4ften gegen\u00fcber im Allgemeinen als absolut starre K\u00f6rper zu betrachten. Nur in einigen besonderen Ausnahmef\u00e4llen erleiden die Knochen unter dem Einfl\u00fcsse dieser Kr\u00e4fte unbedeutende Gestaltver\u00e4nderungen, z. B. die Rippen. Es ist sehr merkw\u00fcrdig, dass die Knochensubstanz zur Bildung der einzelnen Knochen mit \u00e4usserst zweckm\u00e4ssiger Sparsamkeit verwendet ist. Wenn n\u00e4mlich auf einen starren K\u00f6rper mehrere Kr\u00e4fte wirken, die sich mittelst seiner Starrheit Gleichgewicht halten, so entstehen in dem K\u00f6rper l\u00e4ngs gewisser Kurvensysteme Spannungen und Pressungen, und zwar ist die Intensit\u00e4t dieser inneren Molekularkr\u00e4fte, durch deren Vermittelung sich eben die \u00e4usseren Kr\u00e4fte Gleichgewicht halten, l\u00e4ngs mancher dieser Kurven gross, l\u00e4ngs anderer klein. An den Stellen nun, wo nur ganz unmerkliche Spannungen und Pressungen zu Stande kommen w\u00fcrden, ist offenbar die Anwesenheit von starrer Masse f\u00fcr die Festigkeit ganz \u00fcberfl\u00fcssig, und es kann also ein theilweise hohler K\u00f6rper unter Umst\u00e4nden in gewissen Richtungen auf ihn wirkenden \u00e4usseren","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"\"246 Fick, Spec. Bewegungslehre. 2. Cap. Die Knochenverbindungen.\nKr\u00e4ften gerade so viel Widerstand leisten, als ein ganz massiver von derselben Oberfl\u00e4che eingeschlossener und darum viel schwererer. Merkw\u00fcrdigerweise ist erst vor wenigen Jahren von H. Meyer entdeckt worden, dass die Anordnung der Knochenlamellen in den gr\u00f6sseren Knochen ganz diesen Anforderungen der theoretischen Mechanik an m\u00f6glichst grosse Festigkeit bei m\u00f6glichst geringer Masse entspricht. Bei einem langen, starren K\u00f6rper, dessen Festigkeit besonders in der L\u00e4ngenrichtung in Anspruch genommen wird, sei es durch Zug-, sei es durch Druckkr\u00e4fte, entwickeln sich die st\u00e4rksten Spannungen und Pressungen in der N\u00e4he der \u00e4usseren Oberfl\u00e4che. Dies zeigt sich in der schon l\u00e4ngst bekannten Thatsache, dass eine R\u00f6hre beinahe ebenso viel tragen kann wie ein solider Stab von gleichen Abmessungen aus demselben Material. Auch dem Zerknicken leistet eine R\u00f6hre fast denselben Widerstand wie ein solider Stab. Dem entspricht der Bau der langgestreckten Knochen im ganzen Skelette, welche bekanntlich in der Mitte r\u00f6hrenf\u00f6rmig gebildet sind. In den angeschwollenen Gelenkenden aber ist das ganze Innere von Knochenlamellen durchzogen, w\u00e4hrend die \u00e4ussere Schicht dichter Knochensubstanz hier sehr d\u00fcnn ist. Es zeigt aber die mechanische Zergliederung auch wirklich, dass an den Enden eines langen Stabes die Kurven starker Spannung und Pressung nicht bloss in der N\u00e4he der Oberfl\u00e4che verlaufen. Gerade in diesen Gelenkenden hat aber Meyer n\u00e4her nachgewiesen, dass die Anordnung der Knochenlamellen eine bis dahin gar nicht bemerkte Regelm\u00e4ssigkeit zeigt, welche sich mit \u00fcberraschender Genauigkeit den Kurvenz\u00fcgen an-schliesst, nach welchen sich die am h\u00e4ufigsten auf diese Knochen wirkenden \u00e4usseren spannenden und pressenden Kr\u00e4fte ins Innere fortpflanzen. Am ausgebildetsten ist diese Regelm\u00e4ssigkeit der Anordnung in den Knochen der unteren Extremit\u00e4t. Dies ist leicht zu begreifen, da gerade auf diese Knochen, welche haupts\u00e4chlich zur Unterst\u00fctzung der K\u00f6rperlast dienen, fast immer dieselben Kr\u00e4fte an denselben Angriffspunkten wirken, w\u00e4hrend auf die Knochen des Armes bald diese, bald jene Kraft wirkt.","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Synchondrose.\n247\nAls Beispiel der regelm\u00e4ssigen Anordnung der Knochenlamellen in einem Gelenkende mag eine schematische Darstellung vom oberen Ende des Oberschenkels hier Platz finden, wie sie Meyer giebt. (Siehe Fig. 2.) Man sieht hier gewissermaassen vor Augen, wie sich der Druck der K\u00f6rperlast vom Schenkelkopf aus in den Knochen hinein fortpflanzt und ebenso l\u00e4ngs welcher Bahnen der Zug der am Trochanter angesetzten Muskeln in den Knochen eindringt. Ein tieferes Eingehen in diesen an sich von verschiedenen Gesichtspunkten aus sehr interessanten Gegenstand kann hier unterbleiben, da wir in unseren weiteren Entwickelungen doch keine Gelegenheit haben werden, darauf zur\u00fcckzukommen. Bez\u00fcglich der Gestaltung der Lamellen in den verschiedenen Knochen muss daher auf die Originalabhandlung Meyer\u2019s1 verwiesen werden, wo eine genaue Er\u00f6rterung einer grossen Anzahl gegeben ist.\nII. Kn oclienverb in d\u00fcng durch Synchondrose.\nDie Verbindungen der Knochen k\u00f6nnen wir vom mechanischen Gesichtspunkte aus eintheilen in solche, welche den beiden verbundenen Knochen eine bestimmte gegenseitige Gleichgewichtslage vorschreiben, und solche, welche das nicht thun. Bei der ersten Art der Verbindung kehren also die beiden verbundenen Knochen stets in jene bestimmte gegenseitige Lage zur\u00fcck, sowie die fremden Kr\u00e4fte, welche sie etwa in andere Lage gebracht hatten, auf h\u00f6ren zu wirken. Bei der andern Verbindungsweise giebt es allemal eine mehr oder weniger ausgedehnte stetige Reihe von Lagen, in deren jeder die Knochen liegen bleiben, wenn die Kr\u00e4fte auf h\u00f6ren zu wirken, welche sie in dieselbe gebracht haben.\nDiese Eintheilung der Knochenverbindungen nach mechanischem Gesichtspunkte deckt sich beinahe, wenn auch nicht vollst\u00e4ndig, mit der Eintheilung nach dem anatomischen Bau in Synchondrosen und Gelenke. Alle Synchondrosen oder Symphysen n\u00e4mlich geh\u00f6ren zu der ersten Klasse von Verbindungen mit fester Gleichgewichtslage, es geh\u00f6ren aber nicht alle Gelenke zur zweiten. Unter einer Synchondrose versteht man bekanntlich die Verbindung zweier Knochen durch Verklebung mittels einer Faserknorpelschicht. Die einzigen Synchondrosen, welche f\u00fcr uns hier in Betracht kommen, sind die der Wirbelk\u00f6rper, da sie allein Bewegungen durch Muskelkr\u00e4fte zulassen.\n1 H. Meyek. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 615.","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248 Fick, Spec. Bewegungslehre. 2. Cap. Die Knochenverbindungen.\nDass zwei durch Synchondrose verbundene Knochen eine feste Gleichgewichtslage besitzen m\u00fcssen, ist ohne Weiteres klar, da der elastischen Zwischenscheibe eine bestimmte Gleichgewichtsfigur zukommt, welche ihren eigenen Endfl\u00e4chen, die zugleich die Endfl\u00e4chen der verklebten Knochen sind, bestimmte Lagen anweist. Aus der Gleichgewichtslage heraus k\u00f6nnen nun die Knochen in jeder geometrisch \u00fcberhaupt denkbaren Weise bewegt werden, da der elastische Zwischenknorpel jede beliebige Gestalt\u00e4nderung gestattet. Er kann gleichm\u00e4ssig gedehnt oder zusammengedr\u00fcckt werden, wobei die Knochen einander so gen\u00e4hert oder von einander entfernt werden w\u00fcrden, dass ihre Punkte parallele Bahnen beschrieben. Der Knorpel kann auf der einen Seite gedehnt, auf der andern zusammengedr\u00fcckt werden, dabei w\u00fcrde der eine Knochen, wenn der andere fest gedacht wird, eine Drehung um eine im Knorpel liegende Axe erleiden, welche jede beliebige, der Hauptfl\u00e4chenerstreckung des Knorpels parallele Richtung haben k\u00f6nnte. Endlich kann der Knorpel um eine zu seiner Fl\u00e4chenerstreckung senkrechte Axe auch tor-quirt werden, wobei der beweglich gedachte Knochen eine Drehung um eben diese Axe erf\u00e4hrt, endlich k\u00f6nnen die aufgez\u00e4hlten Bewegungsm\u00f6glichkeiten beliebig kombinirt werden, so dass keine geometrisch denkbare Art der Lage Ver\u00e4nderung des beweglich gedachten Knochens vollst\u00e4ndig durch die Verbindung ausgeschlossen ist. Alle Lagever\u00e4nderungen k\u00f6nnen aber nur in sehr kleinem Betrage ausgef\u00fchrt werden, da die Elasticit\u00e4tsgrenzen des Knorpels schon bei sehr geringf\u00fcgigen Gestaltver\u00e4nderungen \u00fcberschritten sein werden und also das gewaltsame Hervorbringen gr\u00f6sserer Lagever\u00e4nderungen eine bleibende Sch\u00e4digung des Apparates nach sich zieht, die nicht in den Bereich unserer Betrachtung f\u00e4llt. Bei Gestaltver\u00e4nderungen innerhalb der Elasticit\u00e4tsgrenze der Knorpelschicht werden nat\u00fcrlich elastische Gegenkr\u00e4fte wach gerufen, welche um so gr\u00f6sser sind, je weiter die Gestaltver\u00e4nderung geht. Der unter allen Umst\u00e4nden sehr kleine Bewegungsumfang eines durch Synchondrose an einen zweiten fest gedachten gebundenen Knochens wird demnach abh\u00e4ngig sein von der Gr\u00f6sse der Kraft, welche darauf wirkt. Gleiche Kr\u00e4fte vorausgesetzt, wird aber unter den vorhin aufgez\u00e4hlten Bewegungsarten die eine weiter gehen k\u00f6nnen als die andere, insbesondere sind jedesfalls die parallele Ann\u00e4herung oder Entfernung \u00e4usserst beschr\u00e4nkt, etwas weniger die Torsion; am umfangreichsten ist die Dehnung um eine zur Dickenrichtung der Zwischenschicht senkrechte Axe. Auf die Wirbels\u00e4ule, als das einzige hier interes-sirende Beispiel angewandt folgt hieraus, dass ihre Bewegung im","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Anatomisches Wesen der Gelenke.\n249\nGanzen haupts\u00e4chlich nur in Biegungen nach den verschiedenen Richtungen bestehen kann. Die Torsion ist nur in sehr geringem Maasse ausf\u00fchrbar und so gut wie ganz d\u00fcrfte die Zusammendr\u00fcckbarkeit und Dehnbarkeit der L\u00e4nge nach fehlen. Von selbst versteht sich endlich noch, dass gleiche Kr\u00e4fte vorausgesetzt der Bewegungsumfang einer Synchondrose nach jeder Richtung um so gr\u00f6sser ist, je dicker die Zwischenknorpelschicht ist und je kleiner ihre anderen Abmessungen sind.\nIII. A n at omis clies Wesen der Gelenkverbindung.\nNach einem ganz anderen Plane sind die \u201eGelenke\u201c gebildet. Die verbundenen Knochen kehren einander glatte freie Fl\u00e4chen zu. Eine solche Gelenkfl\u00e4che ist die Oberfl\u00e4che einer das Gelenkende des Knochens \u00fcberziehenden Knorpelschicht. Vom Rande der einen Gelenkfl\u00e4che springt an den Rand der andern ein aus Bindegewebe gebildeter Schlauch, die sogenannte Kapselmembran, \u00fcber, welche somit beide Knochen verkn\u00fcpft. Dieser Schlauch schliesst demnach mit den beiden Gelenkfl\u00e4chen zusammen eine H\u00f6hle, die \u201eGelenkh\u00f6hle \u201c, vollst\u00e4ndig ein, welche mit einer z\u00e4hen Fl\u00fcssigkeit, der Gelenkschmiere, gef\u00fcllt ist. Ausserhalb der Kapsel springen regelm\u00e4ssig noch Faserz\u00fcge sehniges Bindegewebes von dem einen Knochen zum andern \u00fcber, die sogenannten Ligamenta aceessoria, Ihre Befestigungspunkte an den verbundenen Knochen liegen oft weiter vom Rande der Gelenkfl\u00e4che entfernt als die Befestigung der Kapsel. Das Schema der Gelenkeinrichtung ist in Fig. 3 zu sehen, der Binnenraum der Gelenkkapsel ist punktirt, k, k stellt die Kapselmembran dar und a a die Ligamenta aceessoria.\nSind bei einem Gelenke die Ligamenta aceessoria ringsum sehr straff und stark, so wird nat\u00fcrlich dem Gelenke eine bestimmte Gleichgewichtslage zukommen, denn die geringste Verschiebung nach der einen Seite wird die B\u00e4nder auf der andern Seite schon etwas dehnen und elastische Gegenkr\u00e4fte in ihnen wachrufen, welche den verschobenen Knochen zur\u00fcckf\u00fchren, wenn die verschiebende Kraft aufh\u00f6rt zu wirken. Es wird auch nach irgend einer Seite nur soweit eine Verr\u00fcckung des einen Knochens m\u00f6glich sein, als es die Dehnbarkeit der B\u00e4nder auf der entgegengesetzten Seite zul\u00e4sst, und die ganze Bewegung\nFig. 3.","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250 Fick, Spec. Bewegungslehre. 2. Cap. Die Knochen Verbindungen.\nwird sich somit auf ein ganz unbedeutendes Wackeln nach allen Richtungen beschr\u00e4nken, \u00e4hnlich wie es bei einer Symphysenverbindung m\u00f6glich ist. Diese Art von Gelenken wird also mit den Symphysen zusammen jene erste Gattung von Knochenverbindungen ausmachen, von deren Mechanismus hier keine weitere Zergliederung zu geben ist. Gelenke dieser Art, die in der Anatomie unter dem Namen Amphiarthrosen beschrieben werden, kommen vielfach im K\u00f6rper vor, es geh\u00f6ren dahin beispielsweise die Gelenke zwischen den 3 mittleren Mittelhandknochen und der Handwurzel. In den Darstellungen der beschreibenden Anatomie werden \u00fcbrigens oft noch manche andere Gelenke als Amphiarthrosen bezeichnet, die zwar einen kleinen Bewegungsumfang, aber doch einen ganz bestimmten Mechanismus haben, und die wir vom mechanischen Gesichtspunkte aus zu der anderen Gattung z\u00e4hlen m\u00fcssen.\nVon den durch die vorstehende Betrachtung ausgeschiedenen F\u00e4llen abgesehen k\u00f6nnen von zwei in einem Gelenke verbundenen Knochen alle diejenigen Stellungen eingenommen werden, welche geometrisch m\u00f6glich sind, ohne dass der von der Kapsel eingeschlossene Raum ver\u00e4ndert wird. Dieser Raum ist n\u00e4mlich mit einer inkompressibeln Fl\u00fcssigkeit erf\u00fcllt, deren Volum unver\u00e4nderlich ist. Freilich k\u00f6nnte der Raum vergr\u00f6ssert werden, wobei dann neben der Fl\u00fcssigkeit noch leerer Raum vorhanden w\u00e4re, doch wollen wir von diesem vielleicht in Wirklichkeit vorkommenden Falle einstweilen absehen. Wenn bei einer der geometrisch m\u00f6glichen Lage\u00e4nderungen die Kapsel und etwa vorhandene Gelenkb\u00e4nder keine Dehnungen, sondern h\u00f6chstens Entfaltungen erfahren, so werden da durch auch keine nennenswertken elastischen Kr\u00e4fte wach gerufen, welche die Knochen in eine urspr\u00fcngliche Lage zur\u00fcckf\u00fchren, wenn die \u00e4usseren, die Lage \u00e4ndernden Kr\u00e4fte auf h\u00f6ren zu wirken.","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Bewegungsmodus und -umfang der Gelenke. Allgemeines Princip.\nDRITTES CAPITEL.\nBewegungsmodus und Bewegungsumfang der\nGelenke.\nI. Allgemeines Princip.\nBei den gr\u00f6sseren f\u00fcr die Mechanik besonderes Interesse bietenden Gelenken des menschlichen K\u00f6rpers ist das in Fig. 3 dargestellte Schema so verwirklicht, dass bei einer gewissen Stellung die eine Gelenkfl\u00e4che sich mit einem ziemlich grossen Theile der andern in vollst\u00e4ndiger Deckung befindet und die Gelenkkapsel legt sich ringsum \u2014 won\u00f6thig gefaltet \u2014 \u00fcberall aufs Engste den Knochen an, so dass der Binnenraum der Gelenkh\u00f6hle merklich gleich Null ist. Der oben ausgesprochene Grundsatz der Gelenkmechanik dr\u00fcckt sich dann so aus: Es sind nur solche und innerhalb gewisser Grenzen alle solche Stellungen der beiden Knochen m\u00f6glich, bei denen der Binnenraum der Geleukh\u00f6hle gleich Null ist. Dies kann aber offenbar nur dann stattfinden, wenn eben in allen Stellungen die eine Fl\u00e4che mit einem St\u00fccke der andern in Deckung ist. Sollen also die verschiedenen Stellungen durch stetige Fortbewegung des einen Knochens erzeugt werden, so kann diese Bewegung nur eine solche sein, bei welcher die eine Fl\u00e4che auf der andern gleitet, ohne dass die Deckung jemals aufh\u00f6rte. Hieraus folgt sofort, dass zu Gelenkfl\u00e4chen nur Fl\u00e4chen von ganz bestimmter geometrischer Natur verwendbar sind, n\u00e4mlich von solcher Beschaffenheit, dass ein St\u00fcck derselben auf ihrem Ebenbilde oder Abdrucke in stetiger Bewegung schleifen oder gleiten kann, ohne dass an irgend einer Stelle ein Klaffen eintritt.\nEs giebt nur eine einzige Gattung von Fl\u00e4chen, welche der soeben ausgesprochenen Forderung gen\u00fcgen, n\u00e4mlich die Schraubenfl\u00e4chen. Eine Schraubenfl\u00e4che wird in der Vorstellung folgender-maassen erzeugt: Man denke sich eine beliebige ebene Kurve und eine gerade Linie in der Ebene derselben. Man denke sich nun die Ebene um diese Linie als Axe gedreht und zugleich diese Linie, mit welcher die Ebene fest verbunden zu denken ist, in ihrer Lichtung verschoben, so dass zwischen dem Drehungswinkel und der Verschiebungsstrecke best\u00e4ndig dasselbe Verh\u00e4ltniss besteht, dann beschreibt die Kurve eine Schraubenfl\u00e4che.\nBei der gew\u00f6hnlichen Schraubenspindel mit scharfer Kante ist","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252 Fick, Spec. Bewegungslehre. 3. Cap. Bewegiingsmodus u. -umfang der Gelenke.\ndie erzeugende Kurve die Zusammenstellung der beiden Schenkel eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Grundlinie als Axe dient.\nNimmt man von einer Schraubenfl\u00e4che ein St\u00fcck und macht von einem Theile desselben einen Abdruck, so kann man diesen auf dem ersteren hin- und herschieben, ohne dass irgendwo ein Klaffen ein-tritt, wenn die Bewegung in derselben Weise geschieht, wie bei Erzeugung der Schraubenfl\u00e4che, d. h. wenn die Bewegung sich aus Drehung um die Axe und aus Verschiebung l\u00e4ngs der Axe in bestimmtem Verh\u00e4ltniss zusammensetzt. Die Strecke, um welche die Schraubenfl\u00e4che bei dieser Bewegung l\u00e4ngs der Axe fortschreitet, w\u00e4hrend eine volle Umdrehung vollendet wird, heisst die Gangh\u00f6he der Schraube.\nDa, wie gesagt, keine andere Gattung von Fl\u00e4chen existirt, welche der an Gelenkfl\u00e4chen zu stellenden Anforderung gen\u00fcgt, so m\u00fcssen alle Gelenkfl\u00e4chen, zwischen denen eine umfangreiche Schleifbewegung m\u00f6glich sein soll, Schraubenfl\u00e4chen sein, und die Bewegung im Gelenke kann nur eine schraubende sein, d. h. bestehen in Drehung um eine Axe und gleichzeitiges Fortschreiten l\u00e4ngs dieser Axe.\nMan sieht leicht, dass unter den Schraubenfl\u00e4chen eine Art besonders ausgezeichnet sein muss. Bei der Erzeugung einer Schraubenfl\u00e4che kann n\u00e4mlich das Verh\u00e4ltniss zwischen der Drehung und der Fortschreitung jedes beliebige sein, also kann auch die Fort-schreitung gegen die Drehung verschwindend klein oder vollst\u00e4ndig gleich Null sein, dann wird die Gangh\u00f6he der Schraube unmerklich klein oder absolut Null. Diese besondere Art der Schraubenfl\u00e4chen nennt man \u201eRotationsfl\u00e4chen\u201c. Die schleifende Bewegung eines St\u00fcckes einer solchen Fl\u00e4che auf ihrem ruhend gedachten Ebenbilde oder Abdruck redueirt sich nat\u00fcrlich auf die blosse Drehung um eine Axe ohne Fortschreitung l\u00e4ngs derselben.\nEin Gelenk, dessen beide maassgebende Fl\u00e4chen Abschnitte von solchen Rotationsfl\u00e4chen sind, wird ein Charniergelenk oder Gingly-mus genannt.\nSchraubengelenke und Charniergelenke haben das Eigenth\u00fcm-liche, dass bei der Bewegung in ihnen jeder Punkt des beweglich gedachten Knochens eine ganz bestimmte Kurve beschreibt und zwar beim Schraubengelenke eine Schraubenlinie, beim Charniergelenke einen Kreis. Ist also ein Punkt des beweglich gedachten Knochens durch eine Bewegung von einem Orte an einen anderen gebracht, so kann er zum Ausgangsorte nur zur\u00fcckkommen, indem er genau dieselbe Bahn im umgekehrten Sinne durchl\u00e4uft. Im Ginglymus w\u00e4re der Fall freilich geometrisch denkbar, dass der Punkt durch Vollen-","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Zwangl\u00e4nfige Gelenke.\n253\nden eines ganzen Umlaufes zum ersten Orte zur\u00fcckkehrte, dies ist aber aus anderen Gr\u00fcnden in keinem Gelenke wirklich ausf\u00fchrbar. Wegen dieser Eigenschaft der Schraubengelenke und Charniergelenke die jedem Punkte des beweglich gedachten Knochens eine bestimmte Bahn vorschreibt, kann man sie passend mit einem von Reuleaux in die Kinematik eingef\u00fchrten Ausdrucke als \u201ezwangl\u00e4ufige\u201c Vorrichtungen bezeichnen.\nUnter allen denkbaren Rotationsfl\u00e4chen nimmt eine, n\u00e4mlich die Kugelfl\u00e4che, eine ganz besondere bevorzugte Stellung ein. Dieselbe Kugelfl\u00e4che wird n\u00e4mlich erzeugt durch Drehung eines Kreises um jeden beliebigen seiner Durchmesser als Axe. Ein St\u00fcck einer Kugelfl\u00e4che bleibt daher mit. seinem ruhend gedachten Ebenbilde in Deckung oder schleift auf seinem Abdrucke nicht bloss bei Drehung um eine bestimmte Gerade, sondern bei Drehung um jeden beliebigen Durchmesser der Kugel als Axe. Man kann nat\u00fcrlich auch die verschiedenen Durchmesser der Kugel bei einer stetigen Bewegung abwechselnd die Rolle der Axe spielen lassen, namentlich auch in der Art, dass in stetigem Wechsel andere Durchmesser Axen werden und jeder nur f\u00fcr eine unendlich kleine Drehung die Rolle der Axe spielt. Ist ein Gelenk durch Zusammenstossen zweier Kugelst\u00fccke gebildet, so nennt man es eine Arthrodie. Die Beweglichkeit in einer solchen muss nach den soeben in Erinnerung gebrachten Eigenschaften der Kugelfl\u00e4che ganz besondere Eigenth\u00fcmlichkeiten darbieten. Vor allem ist ersichtlich, dass ein solches Gelenk nicht zwangl\u00e4uflg ist. Ein Punkt des beweglich gedachten Knochens kann n\u00e4mlich von einem Ort zu einem andern nicht bloss auf einem einzigen, sondern auf verschiedenen Wegen gelangen. Jeder Punkt des beweglich gedachten Knochens ist n\u00e4mlich nur gezwungen, auf einer zur Gelenkkugel koncentrischen Kugelfl\u00e4che zu verbleiben, kann aber auf ihr jede beliebige Bahn beschreiben und mithin auf einem ganz andern Wege zu seinem Ausgangsorte zur\u00fcckkommen, als auf welchem er ihn verlassen hat.\nII. Bewegungsmodus der Arthrodie.\nF\u00fcr das Verst\u00e4ndniss der m\u00f6glichen Bewegungen in einem ar-throdischen Gelenke, zu welchen auch die Bewegungen des Augapfels geh\u00f6ren, ist es von Wichtigkeit, einige geometrische S\u00e4tze \u00fcber diese Art der Bewegung im Sinne zu haben, welche hier eingeschaltet werden sollen. Vor Allem ist hervorzuheben, dass die in Rede stehende Bewegung auch dadurch charakterisirt werden kann, dass ein","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254 Fick. Spec. Bewegungslehre. 3. Cap. Bewegungsmodus u. -umfang der Gelenke.\nPunkt des beweglich gedachten K\u00f6rpers an seinem Orte im absoluten Raume verbleiben muss und dass nur dieser an seinem Orte zu verbleiben braucht. Man nennt ihn beim arthrodischen Gelenke gemeiniglich den Drehpunkt. Es ist gut zu bemerken, dass dieser Punkt nicht gerade nothwendig innerhalb der Grenzen des beweglich gedachten K\u00f6rpers liegen muss. Wenn wir z. B. die Bewegungen des Schultergelenkes betrachten und das Schulterblatt beweglich, den Oberarm im absoluten Raume fest denken, so liegt der Drehpunkt nicht innerhalb der Grenzen des beweglichen K\u00f6rpers, aber er kann und muss doch mit ihm in unver\u00e4nderlicher Verbindung gedacht werden.\nWenn das beweglich gedachte Punktsystem aus einer ersten Lage in eine zweite auf irgend einem Wege \u00fcbergef\u00fchrt ist, so dass ein Punkt seinen Ort im absoluten Raume behauptet hat, so giebt es allemal eine gerade Linie in dem System, welche in der zweiten Stellung desselben wieder dieselbe Lage im absoluten Raume hat wie bei der ersten. Es kann also das Punktsystem aus der ersten in die zweite Lage auch gebracht werden durch einfache Drehung um eine\nx\ngewisse durch den festbleibenden Punkt gehende Gerade. Um diesen Satz zu beweisen bemerken wir zuerst, dass jede Lage des Systems bestimmt ist durch die Lage von zwei Punkten desselben, von","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Euler\u2019s Lehrsatz.\n255\ndenen keiner mit dem festbleibenden Drehpunkt zusammenf\u00e4llt. Es seien nun A i und By die Orte zweier beliebiger Punkte des Systems in ihrer ersten Lage und A2B2 die Orte derselben Punkte in der zweiten Lage, endlich C der Drehpunkt. Es ist also der Abstand Ai C \u2014 A2 C, ebenso By C = B2 C, sowie auch Al By = A2B1. Wir halbiren nun den Winkel Ai CA2 durch die Gerade CFA und den Winkel B1CB2 durch die Gerade CH2. L\u00e4ngs CFA errichten wir auf der Ebene Ai CAi eine zu ihr senkrechte Ebene, ebenso l\u00e4ngs CHi eine zu By C Bi senkrechte Ebene, die Durchschnittlinie CX dieser beiden Ebenem ist die Axe, durch Drehung um welche das System aus der ersten in die zweite Lage gebracht werden kann. Erstens ist n\u00e4mlich leicht zu sehen, dass durch irgend eine Drehung um die Axe CX die Linie CAi in die Lage CA2, also A1 nach Ai kommen muss, da CA durch C geht und einer Ebene angeh\u00f6rt, zu der CAy und CA2 symmetrisch liegen. Aus demselben Grunde kann durch eine bestimmte Drehung um CX CBy nach CB2 kommen. Um aber einzusehen, dass dieselbe bestimmte Drehung um CX den Punkt By nach Bi bringt, welche Ay nach A2 versetzt, muss noch bewiesen werden, dass die Ebenen [CX, CBy] und [CX, CB2] denselben Winkel miteinander bilden wie die Ebenen [CX, CAy ] und [CX, CA-?]. Dies beweist sich aber leicht aus der Congruenz zweier sph\u00e4rischer Dreiecke. Die Seiten des einen sind die Winkel XCAy, XCBy und AyCBy (in Fig. 4 angedeutet durch die punk-tirten B\u00f6gelchen xay, xby und ayby), die Seiten des andern sind die Winkel ACA2, XCB2 und A2CB2 (angedeutet in der Figur durch x\u00fc2, xbi und 02-In). Die letzteren drei Winkel sind aber den drei ersteren der Reihe nach gleich und zwar ist XCAy \u2014 A CA2 und XCBi \u2014 XCB2 zufolge der Kontraktion der Linie CA. AyCBy aber ist gleich A? CB2, weil das Punktsystem als unver\u00e4nderlich vorausgesetzt ist, die drei Punkte Ai, C und By also nach der Drehung noch dieselbe Lage gegeneinander einnehmen wie vorher. Da hiernach die zwei k\u00f6rperlichen Dreiecke, deren Kanten CAy, CX, CBy und CA->, CX, CB\u00b1 sind, kongruent sein m\u00fcssen, so ist auch der Winkel zwischen den Ebenen Ay CX und A CBy gleich dem Winkel zwischen A2 CA und XCBi. Zieht man nun von jedem dieser Winkel ab den Winkel zwischen den Ebenen A2 CA und XCBi, so zeigt sich, dass die Reste, n\u00e4mlich der Winkel zwischen den Ebenen Ay CX und AiCX einerseits und der Winkel zwischen By CX und Bi CX einander gleich sein m\u00fcssen. Wird also eine Drehung vom Betrage dieses Winkels um die Linie CA als Axe vorgenommen, so kommt Ay nach A2 und gleichzeitig By nach Bi, also","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256 Fick, Spec. Bewegungslehre. 3. Cap. Bewegungsmodus u. -umfang der Gelenke.\ndas ganze System aus der ersten Lage in die zweite ganz willk\u00fcrlich angenommene, was zu beweisen war.\nUm eine durch den Drehpunkt gehende Gerade kann nat\u00fcrlich der K\u00f6rper zweierlei Drehungen ausf\u00fchren, bei denen allerdings jeder Punkt dieselben Orte durchl\u00e4uft, aber in entgegengesetzter Reihenfolge. Damit nun mit der Richtung der Axe zugleich der Sinn der Drehung um dieselbe gegeben werden k\u00f6nne, hat man folgende Verabredung getroffen. Man giebt als Drehungsaxe nicht die ganze unendliche Gerade, sondern bloss die eine H\u00e4lfte vom Drehpunkt ausgehend nach der einen Seite ins Unendliche, und setzt fest, dass um eine solche Halbaxe nur eine Drehung in dem Sinne stattfinden soll, dass ein in dieser Halbaxe mit den F\u00fcssen im Drehpunkte stehender Beobachter die Drehung so sehe, wie er die Drehung der Uhrzeiger sieht, wenn er das Zifferblatt vor sich hat. Die Axe f\u00fcr die entgegengesetzte Drehung um dieselbe Richtung ist dann in der That von der ersteren unterscheidbar, denn sie ist die Verl\u00e4ngerung der ersteren \u00fcber den Drehpunkt hinaus nach der andern Seite.\nEs seien jetzt OA und OB (Fig. 5) zwei Drehungshalbaxen im absoluten Raume mit R\u00fccksicht auf die soeben gemachte Festsetzung und der um 0 drehbare K\u00f6rper sei zuerst um OA um einen Winkel\n2 a und dann um OB um einen Winkel 2/i gedreht. Dann findet man die Linie d des K\u00f6rpers, welche zuletzt wieder ihre alte Lage im absoluten Raume einnimmt, welche nach dem soeben bewiesenen Satz immer existirt, sehr leicht als Durchschnitt zweier Ebenen. Die eine durch OA gelegt macht mit der Ebene OAl OB nach oben den Winkel a, die andere durch OB gelegt mit der Ebene OA, OB den Winkel \u00df ebenfalls nach oben. Die Durchschnittslinie OB1 dieser beiden Ebenen n\u00e4mlich wird bei der ersten Drehung um OA ebenso tief unter die Ebene des Papieres gebracht, als sie zuerst \u00fcber derselben lag, und dann bei der Drehung um die Axe OB wird sie wieder um ebensoviel \u00fcber die Ebene der Zeichnung erhoben.\nIn dem k\u00f6rperlichen Dreiecke, dessen Kanten OA, OB, Ol) sind, gilt nach einem bekannten Satze der sph\u00e4rischen Trigonometrie die Gleichung Sin AOD : Sin BOB = Sin \u00df : Sin a. Diese Beziehung, die von der Gr\u00f6sse der halben Drehungswinkel a und \u00df ganz unabh\u00e4ngig ist, gilt also offenbar auch noch f\u00fcr unendlich kleine Wertke\n1 OB ist von 0 aus \u00fcber die Ebene der Zeichnung hervorragend zu denken.","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Zusammensetzung unendlich kleiner Drehungen.\n257\nFiff- 6.\ndieser Winkel. F\u00fcr solche f\u00e4llt aber die Axe OD merklich in die Ebene A OB und ihre Richtung ist dann offenbar diejenige der Diagonale eines Parall\u00e9logrammes, dessen anliegende Seiten in die Richtungen OA und OB fallen und deren L\u00e4ngen den Gr\u00f6ssen Sin a und Sin \u00df proportional sind. In der That schliesst ja diese Diagonale OD (Fig. 6) mit OA und OB Winkel ein, deren Sinus sich nach dem bekannten Satze der ebenen Trigonometrie verhalten wie die gegen\u00fcberliegenden Seiten in dem Dreiecke, in welchem beide Winkel Vorkommen, d. h.\nSin A OD : Sin BOI) \u2014 Sin \u00df : Si?i a.\nDa die Winkel a und \u00df aber unendlich klein sind, k\u00f6nnen ihre Werthe selbst an die Stelle ihrer Sinus treten oder auch die eigentlich als Drehungsbetr\u00e4ge gedachten doppelten Winkel 2 a und 2/9.\nDer Sinn der einen Drehung, welche die beiden successiven unendlich kleinen Drehungen um OA und OB ersetzen kann, ist durch die Richtung der Diagonale von 0 aus schon gegeben, es ist aber leicht, auch den Betrag dieser Drehung zu bestimmen. Wir denken uns zu dem Ende in der Axe OA (Fig. 7) einen Punkt J. Er wird bei der Drehung um OA gar keine Lage\u00e4nderung erleiden, sondern nur bei der Drehung um B senkrecht aus ^ der Ebene AOB heraussteigen und etwa zu dem Punkte L gelangen. Ist J H senkrecht auf OB, so ist bei der Kleinheit des\nJL\nDrehungswinkels 2/9 =\nHJ'\nSoll die-\nselbe Verschiebung von J angesehen werden als eine Drehung um OD als Axe, so muss der Winkelausschlag dieser Drehung, der\ndurch 2 y bezeichnet sein mag, =\tsein? wenn j\u00a3 senkrecht\nauf OD gezogen ist. Ziehen wir jetzt irgendwo eine Linie MN parallel zu OB, so gilt f\u00fcr das Dreieck OMN die Gleichung ON : MN = Sin N MO : Sin NOM \u2014 Sin BOA : Sin DO A. Andererseits ist\nJK \u2014 0 J. Sin D OA und JH \u2014 OJ. Sin B OA,\nalso\t2y ___ Sin BOA ON\n2\u00df = Sin DO A = MN'\nDer Betrag der einen Drehung, welche zwei successive unendlich\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258 Fick, Spec. Bewegungslehre. 3. Cap. Bewegungsmodus u. -umfang der Gelenke.\nkleine Drehungen ersetzt, verh\u00e4lt sich also zu der einen wie die L\u00e4nge der Diagonale des Parall\u00e9logrammes, zur L\u00e4nge der einen Seite, wenn ein solches konstruirt ist, so, dass auf den Richtungen der beiden Axen L\u00e4ngen abgetragen werden, welche sich, wie die Drehungswinkel zu einander verhalten.\nDas Resultat dieser Betrachtung k\u00f6nnen wir in folgendem Lehrs\u00e4tze aussprechen: Wenn ein um einen Punkt drehbarer K\u00f6rper um zwei bestimmte, von dem festen Punkte ausgehende Gerade successive unendlich wenig gedreht wird, so kann man dieselbe Lage\u00e4nderung hervorbringen durch eine einzige Drehung, deren Axen-richtung und Winkelbetrag gegeben ist durch die Diagonale eines Parall\u00e9logrammes, dessen Seiten vom festen Punkte aus abgemessene Strecken der gegebenen Drehungsaxen sind, deren L\u00e4ngen den Betr\u00e4gen der gegebenen unendlich kleinen Drehungen proportional sind. Man kann diesen Lehrsatz auch so ausdr\u00fccken, dass man sagt: Die zwei unendlich kleine Drehungen ersetzende eine Drehung findet sich geradeso wie die Resultirende zweier am selben Punkte angreifender Kr\u00e4fte, wenn man eine Drehung als eine auf ihrer Axe abgemessene Strecke darstellt, deren L\u00e4nge dem Drehungswinkel proportional ist.\nMit H\u00fclfe der ausgesprochenen S\u00e4tze kann man von einer beliebigen endlich ausgedehnten Bewegung eines um einen Punkt drehbaren K\u00f6rpers eine sehr klare Anschauung gewinnen. Erstens n\u00e4mlich ist zu beachten, dass ein unendlich kleines Element einer beliebigen Bewegung des K\u00f6rpers jedesfalls als unendlich kleine Drehung um eine bestimmte, durch den festen Punkt gehende Linie als Axe angesehen werden kann. Dies geht schon aus dem S. 255 ausgesprochenen Lehrsatz unmittelbar hervor, wonach der K\u00f6rper aus jeder bestimmten Anfangsstellung in jede bestimmte Endstellung auch durch Drehung um eine bestimmte Axe gebracht werden kann. Ist die Endlage von der Anfangslage aber nur unendlich wenig verschieden, so kann man die ausgesprochene Behauptung auch auf das soeben erwiesene Prineip der Zusammensetzung unendlich kleiner Drehungen begr\u00fcnden. Sei n\u00e4mlich durch die ganz beliebige unendlich kleine Lage\u00e4nderung der Punkt Ai nach A2 und der Punkt Bi nach \u00d62 gekommen, w\u00e4hrend der Drehpunkt 0 an seinem Orte geblieben ist. Diese Lage\u00e4nderung konnte nun offenbar durch zwei unendlich kleine Drehungen hervorgebracht werden, indem man zuerst den K\u00f6rper um die Durchschnittslinie der beiden Ebenen OA1B1 und OA2B2 soweit drehte, bis die erste mit der zweiten zusammenf\u00e4llt, und dann um eine zu OA2B2 in 0 senkrechte Gerade soweit, bis der Punkt A\\ mit A2 und Bi mit B2 zusammenf\u00e4llt. Diese","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Augenblickliche Drehungsaxen.\n259\nbeiden unendlich kleinen Drehungen kann man aber nach dem vorhin erwiesenen Satze durch eine unendlich kleine Drehung um eine gewisse Axe ersetzen. Eine aus ganz beliebigen successiven unendlich kleinen Lage\u00e4nderungen bestehende endliche Lage\u00e4nderung des K\u00f6rpers kann demnach aufgefasst und dargestellt werden als eine Reihenfolge unendlich kleiner Drehungen, von denen im Allgemeinen immer die folgende um eine andere Linie des K\u00f6rpers als Axe geschieht, als die vorhergehende. Die Linie, welche bei einer unendlich kleinen Drehung die Rolle der Axe spielt, nennt man die augenblickliche Drehungsaxe.\nEs ist sehr wichtig, zu beachten, dass allemal, wenn beim folgenden elementaren Drehungsakt eine andere Linie des bewegten K\u00f6rpers die Rolle der augenblicklichen Drehungsaxe \u00fcbernimmt, diese auch im absoluten Raume eine andere Lage hat und vice versa. In der That r\u00fcckt ja w\u00e4hrend des elementaren Drehungsaktes keine andere Linie des bewegten K\u00f6rpers an die Stelle des absoluten Raumes, welche die augenblickliche Drehungsaxe einnahm, wenn also im folgenden Augenblicke eine andere Linie des K\u00f6rpers Drehungsaxe sein soll, so muss sie auch eine andere Lage im absoluten Raume haben. Ebenso ist andererseits klar: soll die neue augenblickliche Drehungsaxe eine andere Lage im absoluten Raume haben, so muss es auch eine andere Linie des K\u00f6rpers sein, denn die Linie des K\u00f6rpers, welche im vorhergehenden Augenblicke Drehungsaxe war, ist ja eben als solche an ihrer Stelle im absoluten Raume geblieben. Zwei aufeinanderfolgende Lagen der augenblicklichen Drehungsaxe im absoluten Raume schliessen denselben Winkel miteinander ein, welchen die beiden Linien des bewegten K\u00f6rpers miteinander machen, welche einander in der Rolle der augenblicklichen Drehungsaxe abl\u00f6sen. In der That sei O A bei der ersten Elementardrehung die augenblickliche Axe und sei OB die Linie des K\u00f6rpers, welche hernach zur augenblicklichen Drehungsaxe werden soll, in ihrer urspr\u00fcnglichen Lage vor dem ersten Drehungsakte, dann ist AOB der Winkel, welchen die Linien des K\u00f6rpers miteinander bilden, welche nacheinander augenblickliche Drehungsaxen werden. OB \u00fcbernimmt aber diese Rolle nicht in ihrer urspr\u00fcnglichen Lage sondern nachdem sie durch Drehung um DA an eine andere Stelle des absoluten Raumes, z. B. nach OBi gekommen ist. AOBi ist also der Winkel, den die beiden aufeinanderfolgenden Lagen der augenblicklichen Axe im absoluten Raume miteinander bilden, und dieser Winkel ist offenbar gleich AOB, da OBi nur eine neue Lage der Linie OB des bewegten K\u00f6rpers ist. Man kann den soeben be-\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260 Fick, Spec. Bewegungslehre. 3. Cap. Bewegungsmodus u. -umfang der Gelenke.\nwiesenen Satz auch kurz so ausdr\u00fccken: die augenblickliche Dre-hungsaxe schreitet im bewegten K\u00f6rper und im absoluten Raume stets mit derselben Winkelgeschwindigkeit fort.\nMan kann hiernach jeder endlichen Bewegung eines um einen Punkt drehbaren K\u00f6rpers zwei Systeme von Linien zuordnen, die alle durch den Drehpunkt gehen und von denen das eine mit dem K\u00f6rper fest verbunden zu denken, alle diejenigen Linien desselben enth\u00e4lt, welche nacheinander die Rolle der augenblicklichen Dre-hungsaxe spielen. Das andere System ist im absoluten Raume/fest zu denken und besteht aus den aufeinanderfolgenden Lagen der augenblicklichen Drehungsaxe im absoluten Raume. Jedes dieser Liniensysteme bildet eine Kegelfl\u00e4che. Schneiden wir beide durch eine um den Drehpunkt beschriebene Kugelfl\u00e4che, so m\u00fcssen die abgeschnittenen St\u00fccke der Kegelm\u00e4ntel denselben Fl\u00e4chenraum haben, da bei Ausf\u00fchrung der Bewegung nach der Reihe jede Seite des einen Kegels einmal mit einer Seite des anderen zur Deckung kommt. Man kann sich also die ganze Bewegung vorstellen, indem man die Mantelfl\u00e4che des mit dem K\u00f6rper fest verbunden zu denkenden Kegels an der Mantelfl\u00e4che des im absoluten Raume festen ohne Gleiten abrollt. Bei einer Bewegung, die aus endlichen Drehungen um einzelne Axen, die auch in endlichem Winkelabstand voneinander liegen k\u00f6nnen, so verwandeln sich die beiden Kegel in zwei Pyramiden mit endlichen Kanten- und Fl\u00e4ch en winkeln.\nDer wirkliche Vorgang einer Bewegung eines arthrodisch verbundenen Gliedes durch alle seine Phasen hindurch kann nicht wohl anders vorgestellt werden als auf Grund der vorstehend mitgetheilten, von Poinsot entwickelten Lehren. Gilt es aber bloss die durch eine solche Bewegung hervorgebrachte Lage des Gliedes mit der Anfangslage in Beziehung zu setzen, so kann man sich auch no'ch auf andere Arten eine deutliche Vorstellung machen. Am einfachsten scheint dies m\u00f6glich zu sein mit H\u00fclfe des weiter oben bewiesenen Satzes, wonach man jede irgendwie entstandene Lage\u00e4nderung auch hervorgebracht denken kann durch Drehung um eine bestimmte Axe. Man brauchte also nur die Lage einer Axe und die Gr\u00f6sse eines Drehungswinkeis zu geben, um die Beziehung der schliesslich en Lage auf eine bestimmte Anfangslage darzustellen. Nun ist aber die Vorstellung von der Richtung einer Linie im Raume schon einigermassen schwierig festzuhalten und es wird also diese Art der Darstellung keine sehr zweckm\u00e4ssige sein. In der That haben auch die Anatomen schon seit l\u00e4ngerer Zeit einer anderen Darstellungsweise den Vorzug gegeben, die freilich meines Wissens nirgend pr\u00e4cis ausgesprochen ist,","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Zerlegung der Drehungen nach drei Hauptaxen.\n261\ndie aber stillschweigend bei der auf arthrodische Gelenke bez\u00fcglichen Namengebung vorausgesetzt ist. Schon vor Jahren habe ich in meiner medicinischen Physik eine strenge Fassung dessen vorgeschlagen, was den Urhebern der anatomischen Namengebung vorgeschwebt zu haben scheint. Es besteht in Folgendem: Man denkt sich das arthrodisch bewegliche Glied in einer an sich willk\u00fcrlich zu w\u00e4hlenden, ein f\u00fcr allemal bestimmten Anfangslage. F\u00fcr Oberarm und Oberschenkel, auf die sich das hier zu sagende vorzugsweise bezieht, w\u00fcrde es sich empfehlen, diejenige Lage als Anfangslage zu w\u00e4hlen, welche die Schwere dem h\u00e4ngenden Gliede bei aufrecht gestelltem Rumpfe anweist. Jetzt denke man sich durch den Drehpunkt drei aufeinander senkrechte Linien, die \u201eHauptaxen\u201c. Ihre Wahl ist wie die der Anfangslage an sich willk\u00fcrlich, doch empfiehlt sich auch hier eine gewisse Lage besonders. Vor Allem wird man bei der l\u00e4nglichen Gestalt der vorzugsweise in Betracht kommenden beiden Knochen geneigt sein, zur einen Hauptaxe eine Linie zu w\u00e4hlen, in welcher die L\u00e4ngenerstreckung derselben zu messen w\u00e4re, etwa die Linie, welche den Drehpunkt mit dem Schwerpunkt des Knochens verbindet. Die beiden andern Hauptaxen liegen alsdann wagrecht und da wird man denn endlich noch die eine zur symmetrisch theilenden Mittelebene des K\u00f6rpers senkrecht, die andere ihr parallel ziehen. Drehung genau um die Yerticalaxe nennt man in der Anatomie \u201eRotation \u201c schlechthin, Drehung um die sagittale Axe \u201e Ab- oder \u201e Adduction \u201c und Drehung um die frontale Axe \u201e Flexion \u201c oder \u201e Extension \u201c, je nach dem Sinne, in welchem sie geschieht. Man kann nun jede Lage des beweglichen Gliedes genau charakterisiren durch drei Winkelgr\u00f6ssen, n\u00e4mlich folgendergestalt: aus der Anfangslage wird das Glied in die neue Lage gebracht durch successive Flexion (resp. Extension), um den Winkel a Abduktion (resp. Adduktion) um den Winkel \u00df und Rotation (nach Aussen oder Innen) um den Winkel y. Sollen aber die drei Winkel a, \u00df, y zur Bestimmung der Lage des Gliedes gen\u00fcgen, so sind noch zwei Festsetzungen zu machen, die sich aus dem Sprachgebrauche der Anatomie nicht gerade mit voller Bestimmtheit herausdeuten lassen. Erstens n\u00e4mlich muss festgesetzt werden, ob man die drei Hauptaxen im absoluten Raume oder in dem beweglich gedachten Gliede fest denken will. Wenn ich den Sprachgebrauch der Anatomen richtig verstehe, so scheint mir demselben besser die Annahme zu entsprechen, dass man die Hauptaxen mit dem Gliede unver\u00e4nderlich verbunden denkt, wenigstens was die sogenannten Rotationen betrifft, scheint es mir unzweifelhaft, dass die Anatomen unter einer Rotation des flektirten Schenkels lieber eine","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262 Fick, Spec. Bewegungslehre. 3. Cap. Bewegungsmodus u. -umfang der Gelenke.\nDrehung desselben um die neue Lage der L\u00e4ngsrichtung desselben verstehen werden als eine Drehung um die im Becken fest gebliebene Vertikale, bei welcher die L\u00e4ngsrichtung des Schenkels einen Kegel beschreiben w\u00fcrde. Ich m\u00f6chte daher vorschlagen, die Haupt-axen mit dem beweglich gedachten Gliede unver\u00e4nderlich verbunden zu denken.\nEs muss aber zweitens ein f\u00fcr allemal die Reihenfolge festgestellt sein, in welcher die drei Hauptbewegungen in bestimmtem Betrage auszuf\u00fchren sind, um die Endlage herbeizuf\u00fchren, denn wenn man zuerst um \u00df\u00b0 abducirt, dann um a\u00b0 flektirt, so kommt schon das Glied in eine andere Lage, als wenn man zuerst um a\u00b0 flektirt und dann um \u00df\u00b0 abducirt. Hier\u00fcber l\u00e4sst sich nun gar nichts aus dem Sprach-gebrauche der Anatomie entnehmen, da dieselbe die von ihr an die Hand gegebenen Vorstellungen noch nie zu exakten Bestimmungen verwendet hat. Ich mache also ganz willk\u00fcrlich und unmaassgeb-lich den Vorschlag, die Drehung um die sagittale Axe voranzustellen, dann die um die frontale und zuletzt die um die vertikale folgen zu lassen.\nEs ist vielleicht gut, hier besonders vor dem Missverst\u00e4ndnisse zu warnen, dass die Darstellung der Lage eines arthrodisch bewegten Knochens durch Drehungen um drei 3 aufeinander senkrechte Axen irgend etwas zu thun h\u00e4tte mit der sp\u00e4ter zu er\u00f6rternden Zerlegung des Momentes eines auf ein solches Gelenk wirkenden Muskels in drei komponirende Momente um die drei Hauptaxen.\nEine andere Art, die Lage eines arthrodisch beweglichen K\u00f6r-pertheiles auf eine willk\u00fcrlich gew\u00e4hlte Prim\u00e4rlage zu beziehen, ist folgende. Man zeichnet eine Linie des K\u00f6rpers als Axe besonders aus und denkt sich in der Prim\u00e4rlage die zu ihr durch den Drehpunkt senkrecht gelegte Ebene. Man kann nun offenbar jede m\u00f6gliche Lage des K\u00f6rpers hervorbringen, indem man ihn zuerst um eine in der soeben definirten Ebene gelegene Axe dreht und sodann um die vorhin ausgezeichnete Hauptaxe in ihrer durch die erste Drehung erlangten Lage. Bei dieser Lagebestimmung wie bei jeder der andern ist die Kenntniss von drei Winkelgr\u00f6ssen erforderlich und ausreichend, hier erstens der Winkel, welchen die in der zur Hauptaxe senkrechten Ebene gelegene Axe mit einer willk\u00fcrlich zu w\u00e4hlenden festen Linie bildet zweitens der Winkelausschlag der ersten Drehung um diese Axe und drittens der Winkelausschlag der zweiten Drehung um die Hauptaxe in ihrer neuen Lage.\nDie zuletzt beschriebene Art der Definition einer beliebigen Lage des beweglichen K\u00f6rpers wird bekanntlich h\u00e4ufig gebraucht zur De-","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Sattelgelenk.\n263\nfinition der Stellungen des Augapfels, der ja ganz wie in einem ar-tfirodisclien Gelenke beweglich ist. Bekanntlich sind die Augenstellungen, welche wir faktisch hervorbringen k\u00f6nnen, dadurch ausgezeichnet, dass bei ihnen der Winkelausschlag der Drehung um die Hauptaxe (die Sehaxe) die sogenannte Raddrehung immer nahezu gleich Null ist.\nIII. Sattelgelenk und Ovalgelenk.\nWie oben hervorgehoben, kann in aller geometrischen Strenge nur von einer Schraubenfl\u00e4che (einschliesslich Rotationsfl\u00e4che und Kugelfl\u00e4che) ein St\u00fcck auf seinem ruhend gedachten Ebenbilde gleiten, ohne dass die vollst\u00e4ndige Deckung aufh\u00f6rt. Sehr ann\u00e4hernd k\u00f6nnen dies aber auch kleine St\u00fccke von Fl\u00e4chen anderer Natur in beschr\u00e4nktem Umfange. Da nun bei den Gelenken des menschlichen K\u00f6rpers \u00fcberall eine ganz vollkommene Deckung der sich ber\u00fchrenden Fl\u00e4chen nicht erforderlich ist und in Wirklichkeit nicht stattfindet, so ist es denkbar, dass gr\u00f6ssere Gelenke mit ansehnlichem Bewegungsumfang gebildet sind durch Zusammenstossen andersartiger Fl\u00e4chen, deren Gestalt einen andern Bewegungsmodus bedingt als den der Schraubenbewegung resp. Drehung um eine Axe oder um einen Punkt. In der That kommen zwei solche Gelenkformen am menschlichen Skelette vor, das Sattelgelenk und das 0 v algelenk.\nDie M\u00f6glichkeit dieser beiden Arten von Gelenken erhellt aus folgender Betrachtung.\nMan denke sich einen Kreisbogen a b von m\u00e4ssigem Centri-winkel (h\u00f6chstens etwa 45 \u00b0).\nDreht man ihn um eine in seiner Ebene gelegene Axe AB, welche nicht durch seinen Mittelpunkt c geht, so entsteht eine Rotationsfl\u00e4che, welche wesentlich verschiedene Gestalt zeigt je nachdem die Axe kaven Seite des Bogens liegt. Betrachten wir zun\u00e4chst den ersten durch Fig. 8 anschaulich gemachten Fall. Die durch volle Umdrehung erzeugte Fl\u00e4che gleicht dem mittleren Streifen eines einscha-ligen Rotationshyperboloides. Sticht man aus dieser Fl\u00e4che ein St\u00fcck\nA\nauf der konvexen oder auf der kon-","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264 Fick, Spec. Bewegungslehre. 3. Cap. Bewegungsmodus u. -umfang der Gelenke.\nheraus durch einen Cylinder, dessen Axe die Gerade ce ist, so erh\u00e4lt man ein sattelf\u00f6rmiges Fl\u00e4chenst\u00fcck. Die vordere H\u00e4lfte seiner Umfangslinie w\u00fcrde etwa wie adb verlaufen und seine Modellirung ist durch leichte Schattirung in der Figur angedeutet. Die hintere H\u00e4lfte der Umfangslinie ist durch das undurchsichtig gedachte Fl\u00e4chenst\u00fcck verdeckt.\nEin Fl\u00e4chenst\u00fcck von der beschriebenen Form kann auf seinem ruhend gedachten Ebenbilde in aller geometrischen Strenge schleifen wenn man es dreht um die Axe AB, die ja die Axe der Rotationsfl\u00e4che ist. Es kann aber zweitens auch schleifen, ohne dass ein erhebliches Klaffen eintritt, wenn man es dreht um eine Linie als Axe, welche in dem Punkte c senkrecht zur Ebene der Zeichnung steht, und folglich die Axe AB senkrecht \u00fcberkreuzt. Bei den wirklichen Gelenken, welche nach diesem Schema gebildet sind, hat nat\u00fcrlich keine der beiden einander \u00fcberkreuzenden Axen einen Vorzug vor der anderen, da absolut geometrisch strenge Deckung der Gelenkfl\u00e4chen im wirklichen K\u00f6rper \u00fcberall nicht stattfindet.\nSolche sattelf\u00f6rmige Fl\u00e4chenst\u00fccke k\u00f6nnen aber nicht bloss aus einer bestimmten Anfangslage heraus um zwei Axen gedreht werden, ohne dass die Deckung aufh\u00f6rt. Vielmehr kann auch, nachdem um die eine Axe eine Drehung erfolgt ist, um die andere in der neuen Lage, welche sie durch die erste Drehung erlangt hat, wieder eine Drehung erfolgen, ohne dass ein st\u00f6rendes Klaffen eintritt. Es erh\u00e4lt dadurch die ganze Beweglichkeit eines durch ein Sattelgelenk mit einem anderen verbundenen Knochens Aehnlichkeit mit der arthro-dischen Beweglichkeit. Es kann n\u00e4mlich auch hier der beweglich gedachte Knochen, wenn er auf einem Wege aus der Anfangsstellung in eine neue gekommen ist, auf einem anderen Wege in jene zur\u00fcckgef\u00fchrt werden. Der Inbegriff aller m\u00f6glichen Stellungen des beweglich gedachten Knochens ist also eine mindestens zweifach unendliche Mannigfaltigkeit. Dieser Inbegriff ist aber hier auch eine nur zweifach unendliche Mannigfaltigkeit, w\u00e4hrend der Inbegriff aller m\u00f6glichen Lagen eines arthrodisch beweglichen Knochens eine dreifach unendliche Mannigfaltigkeit ist. Denkt man sich n\u00e4mlich in dem arthrodisch beweglichen Knochen eine bestimmte, durch den Drehpunkt gehende Gerade, so bildet der Inbegriff ihrer m\u00f6glichen Lagen offenbar schon eine zweifach unendliche Mannigfaltigkeit. F\u00fcr jede dieser Lagen giebt es aber noch unendlich viele Stellungen des arthrodisch beweglichen Knochens, die bei Drehung desselben um diese Gerade als Axe durchlaufen werden. Stellt man sich in dem durch ein Sattelgelenk verbundenen beweglich gedachten Knochen","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Ovalgelenk.\n265\neine bestimmte Gerade vor, etwa diejenige, welche die beiden Axen in der Anfangsstellnng senkrecht schneidet, so ist die Mannigfaltigkeit ihrer m\u00f6glichen Lage im Raume ebenfalls eine zweifach unendliche Mannigfaltigkeit, aber damit ist auch die ganze Mannigfaltigkeit der m\u00f6glichen Stellungen des Knochens ersch\u00f6pft, da die Lage dieser Linie die Stellung des im Sattelgelenke beweglichen Knochens vollst\u00e4ndig bestimmt, indem um sie in diesem Gelenke keine Drehung ohne Klaffen ausf\u00fchrbar ist.\nEinen ganz \u00e4hnlichen Bewegungsmechanismus erh\u00e4lt man, wenn man ein verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kleines St\u00fcck einer durchaus konvexen Ringfl\u00e4che nebst seinem konkaven Abdruck zur Bildung des Gelenkes verwendet. Die geeignete Ringfl\u00e4che erh\u00e4lt man, wenn man wieder einen Kreisbogen aeb dreht um eine in seiner Ebene gelegene Gerade als Axe, die nicht durch seinen Mittelpunkt c geht, die aber diesmal nicht auf der konvexen, sondern auf der konkaven Seite des Bogens liegt, etwa wie AB in Fig. 9. In dieser Figur ist eine perspektivische Zeichnung der ganzen Ringfl\u00e4che angedeutet und ein um den Punkt e herumliegendes, herausgeschnittenes St\u00fcck ist durch Schraffirung etwas kr\u00e4ftiger hervorgehoben, adb ist der vordere Theil seines Umfanges, der \u20ac hintere Theil desselben ist als verdeckt unsichtbar. Ein solches Fl\u00e4chenst\u00fcck gleicht einem Abschnitte eines Rota-tionsellipsoides, genommen in der Gegend des gr\u00f6ssten Kreises. Es kann wie die Sattelfl\u00e4che auf seinem ruhend gedachten Ebenbilde schleifen bei Drehungen von m\u00e4ssigem Winkelanschlag um zwei Axen, die einander rechtwinkelig \u00fcberkreuzen, nur dass hier diese beiden Axen auf derselben Seiten der Fl\u00e4che liegen. In unserer Figur w\u00fcrde AB die eine Axe sein die andere w\u00e4re ein in c auf der Ebene der Zeichnung errichtetes Perpendikel.\nEin Gelenk kann auch aus mehreren getrennten St\u00fccken derselben, ihren geometrischen Eigenschaften nach geeigneten Fl\u00e4che gebildet sein, deren jedes an seinem Abdrucke schleift, wenn die Bewegung nach dem f\u00fcr die Fl\u00e4che charakteristischen Modus erfolgt sowie ein Th\u00fcrfl\u00fcgel in den beiden getrennten Angeln sich dreht, welche getrennte Abschnitte derselben Cylinderfl\u00e4che darstellen.","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266 Fick, Spec. Bewegungslehre. 3. Cap. Bewegungsmodus u. -umfang der Gelenke.\nBei manchen Gelenken wird der Bewegungsmodus durch biegsame Schaltst\u00fccke beeinflusst, die zwischen den Endfl\u00e4chen der verbundenen Knochen gelagert sind. Hier\u00fcber lassen sich indessen keine allgemeinen S\u00e4tze aufstellen, sondern es muss durch Untersuchung des einzelnen Falles der Bewegungsmodus ermittelt werden.\nTV, Bewegungsumfang der Gelenke.\nDer Bewegungsumfang eines Gelenkes oder die Grenzen, innerhalb deren dem Bewegungsmodus gem\u00e4ss Stellungen stetig aufeinander folgen k\u00f6unen, wird bestimmt durch verschiedene Nebenumst\u00e4nde, welche mit der den Bewegungsmodus bedingenden geometrischen Natur der Gelenkfl\u00e4chen in keinem Zusammenh\u00e4nge stehen. Man kann die Umst\u00e4nde, welche der Bewegung Grenzen setzen, f\u00fcglich die Hemmungen der Gelenke nennen. Es lassen sich sofort zwei Arten von Hemmung unterscheiden, welche wir als absolute und relative Hemmungen passend bezeichnen k\u00f6nnen. Eine absolute Hemmung des Gelenkes ist gegeben, wenn ein nicht der gleitenden Fl\u00e4che angeh\u00f6riger Punkt des beweglich gedachten Knochens bei einer bestimmten Stelle seiner Bahn angelangt, an einen Punkt des fest gedachten Knochens anst\u00f6sst, wie z. B. der Punkt a (Fig. 10) bei Dre-, hung im Sinne des Pfeiles, bald an den Punkt b des andern Knochens anstossen w\u00fcrde. In diesem Augenblicke h\u00f6rt die Bewegung des Gelenkes pl\u00f6tzlich auf, da eine Weiterbewegung nach demselben Modus durch die Starrheit der beiden Knochen, die sich weder durchdringen noch zusammendr\u00fccken k\u00f6nnen, absolut verhindert ist.\nEine Kraft, welche in einiger Entfernung vom Gelenke auf den beweglichen Knochen wirkend ihn noch weiter zu f\u00fchren strebt, w\u00fcrde nunmehr ihn um den neuen Ber\u00fchrungspunkt als Hypomocklion zu drehen streben und daher entweder durch die das Gelenk befestigenden Kr\u00e4fte (Luftdruck und Bandspannungen) im Gleichgewichte gehalten oder sie w\u00fcrde die Gelenkfl\u00e4chen von einander abheben, d. h. das Gelenk verrenken.\nDiese absolute Hemmung w\u00fcrde sich nat\u00fcrlich bei jedem Gelenke in irgend einem Punkte jeder beliebigen Bahn einstellen. Bei den meisten ist aber dieser Punkt gar nicht erreichbar, weil schon vorher die zweite Art der Hemmung, die relative, durch Anspannung fibr\u00f6ser B\u00e4nder eintritt, welche vom einen Knochen zum andern \u00fcberspringen. Es sind n\u00e4mlich meist solche vorhanden, deren Ansatz sich\nFig. io.","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"Relative Gelenkhemmung.\n267\nvom Ursprung entfernt, wenn eine dem Modus gem\u00e4sse Bewegung im einen Sinne geschieht. In einem gewissen Stadium der Bewegung wird also das vorher etwa in Falten gelegene Band entfaltet sein und nun kann die Bewegung nicht weiter gehen, ohne dass eine Dehnung desselben stattfindet, der sich seine elastischen Kr\u00e4fte widersetzen. Die Bewegung in dem gedachten Sinne wird also jetzt so weit gehen, bis die elastischen Kr\u00e4fte des gedehnten Bandes der bewegenden Kraft Gleichgewicht halten. Die Grenze des Bewegungsumfanges wird also in diesem Falle abh\u00e4ngen von der Gr\u00f6sse der die Bewegung bewirkenden Kraft, und wir k\u00f6nnen darum diese Hemmungsart die relative nennen. Sehr gross wird indessen meistens der Spielraum nicht sein, welchen eine solche relative Hemmung an der Grenze des Bewegungsumfanges gew\u00e4hrt. Die Hemmungsb\u00e4nder der Gelenke sind n\u00e4mlich meist kurze Gebilde von sehr geringer Dehnbarkeit oder mit andern Worten von grosser Elasticit\u00e4t. Sind sie bei der betreffenden Bewegung also einmal entfaltet, so wird eine Weiterf\u00fchrung derselben um einen kleinen Betrag schon eine Dehnung des Bandes um einen solchen Bruchtheil der Gesammtl\u00e4nge erfordern, dass dadurch elastische Kr\u00e4fte wach gerufen werden, welche auch den gr\u00f6ssten an dem Gelenke \u00fcberhaupt zul\u00e4ssigen bewegenden Kr\u00e4ften Gleichgewicht halten.\nMan kann sich die soeben entwickelten S\u00e4tze recht gut an den eigenen Fingern anschaulich machen. Man spanne die Extensoren der Finger einer Hand, deren Vola auf einem Tische auf liegt, kr\u00e4ftig an. Die Finger werden sich alsdann ein wenig \u00fcber die wagrechte Ebene emporrichten. Die Spannung der volaren und lateralen B\u00e4nder der Metacarpophai angalgelenke ist jetzt im Gleichgewichte mit dem Zuge der Streckmuskeln. Dr\u00fcckt man nun aber mit H\u00fclfe der andern Hand gegen die Volarseite eines der Finger aufw\u00e4rts, so kann durch diese gr\u00f6ssere Kraft die Dorsalflexion noch ein wenig-weiter getrieben werden, aber bald hat auch bei der gr\u00f6sseren Kraft die Bewegung ein Ende, wenn nicht der normale Zusammenhalt des Gelenkes zerst\u00f6rt werden soll.\nDa es sich bei den Gelenkbewegungen im Grossen und Ganzen um Drehungen handelt, so ist der Bewegungsumfang als Winkelgr\u00f6sse anzugeben. Bei einem zwangl\u00e4ufigen Gelenke gen\u00fcgt eine einzige Winkelgr\u00f6sse, um den Bewegungsumfang vollst\u00e4ndig zu definiren. So z. B. hat das Ellenbogengelenk einen Bewegungsumfang von etwa 120\u00b0, welcher beiderseits durch absolute Hemmungen begrenzt wird. Die geringste Kraft ist im Stande, den beweglich gedachten Knochen an beide Grenzen zu f\u00fchren und die gr\u00f6sste \u00fcberhaupt zul\u00e4ssige Kraft","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268 Fick, Spec. Bewegungslehre. 4. Cap. Zusammenhalt der Gelenke.\nvermag nicht, ihn dar\u00fcber hinaus zu f\u00fchren. Ist der Bewegungsumfang des zwangl\u00e4ufigen Gelenkes durch relative Hemmungen begrenzt, so ist noch der Spielraum anzugeben, welcher durch die Verschiedenheit der bewegenden Kr\u00e4fte bedingt ist.\nBei einem freien Gelenke hat nat\u00fcrlich jede Bewegungsrichtung ihre besondere Begrenzung und die ersch\u00f6pfende Definition des ganzen Bewegungsumfanges w\u00fcrde hier eine sehr verwickelte Aufgabe sein. Bei Sattel- und Eigelenken w\u00fcrde eine kegel\u00e4hnliche Regelfl\u00e4che 1 anzugeben sein, welche den Inbegriff aller extremen Lagen einer willk\u00fcrlich im beweglich gedachten Knochen angenommenen geraden Linie bildet.\nBei der Arthrodie k\u00f6nnte es scheinen, als ob zur ersch\u00f6pfenden Angabe des Bewegungsumfanges ein bestimmter Kegelmantel gen\u00fcgte, welcher die extremen Stellungen enthielte, bis zu welchen eine durch den Drehpunkt im beweglich gedachten Knochen festgelegte Gerade in den verschiedenen Richtungen gef\u00fchrt werden kann. Eine solche Kegelfl\u00e4che kann aber, wie man leicht sieht, gar nicht bestimmt gegeben werden, da die mit dem beweglich gedachten Knochen fest verbundene Gerade in derselben Richtung mehr oder weniger weit gef\u00fchrt werden kann, je nachdem der Knochen um diese Gerade im einen oder andern Sinne mehr oder weniger gedreht ist. So kann z. B. offenbar das nach aussen rotirte Femur weit weniger nach hinten gestreckt werden als das nach innen rotirte.\nMan wird sich bei den freien Gelenken und besonders bei den Arthrodieen mit der Angabe einiger besonderer Grenzen des Bewegungsumfanges begn\u00fcgen m\u00fcssen und auf eine ersch\u00f6pfende Definition desselben verzichten.\nVIERTES CAPITEL.\nZusammenhalt der Gelenke.\nDa die normale Bewegung in einem Gelenke stets in einem Schleifen der Gelenkfl\u00e4chen aufeinander besteht, so muss die resul-tirende Kraft, welche sie beschleunigt oder verz\u00f6gert, stets tangential zur Gelenkfl\u00e4che gerichtet sein. Es muss also jede normal zur Ge-\n1 Unter Regelfl\u00e4che versteht man eine Fl\u00e4che, auf welcher durch jeden Punkt eine Gerade gezogen werden kann.","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung des Luftdruckes auf das H\u00fcftgelenk.\n269\nlenkfl\u00e4clie gerichtete Komponente irgend einer wirksamen Kraft durch eine gleich grosse entgegengesetzt gerichtete normale Komponente einer andern Kraft aufgewogen sein. Wenn wir von einer Beschleunigung oder Verz\u00f6gerung der Bewegung absehen, also das Gelenk in Ruhe oder in Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit betrachten, so ist die Resultirende aller Kr\u00e4fte = 0. Es ist von Interesse, dies Gleichgewicht aller auf ein Gelenk wirksamen Kr\u00e4fte zu untersuchen, weil darauf die Vorstellung vom Zusammenhalt derselben beruht oder von dem Drucke, mit welchem die Gelenkfl\u00e4chen gegeneinander gepresst werden. Um \u00fcbrigens von einem doch nicht genau berechenbaren Reibungswiderstand absehen zu d\u00fcrfen, wollen wir das Gelenk bloss im Ruhezust\u00e4nde betrachten. Wir wollen ferner bloss kugelf\u00f6rmige Gelenkfl\u00e4chen in Betracht ziehen, weil sich f\u00fcr anders gestaltete die Untersuchung zu sehr verwickeln w\u00fcrde, und weil f\u00fcr die Orientirung in den Hauptgesichtspunkten die Betrachtung des Kugelgelenkes gen\u00fcgt.\nUnter den auf das Gelenk wirkenden Kr\u00e4ften soll zun\u00e4chst der Luftdruck er\u00f6rtert werden. Bekanntlich ist die Resultirende des Luftdruckes gleich Null, wenn derselbe auf die ganze geschlossene Oberfl\u00e4che eines K\u00f6rpers wirkt. Wird nun von einem unendlich kleinen Elemente der Oberfl\u00e4che der Luftdruck abgehalten, so wird eine Kraft wirksam, welche normal zu diesem Elemente von innen nach aussen gerichtet ist und deren Gr\u00f6sse gleich ist dem Druck auf die Fl\u00e4cheneinheit multiplicirt mit der Ausdehnung des Fl\u00e4chenelementes. Es sei jetzt der Luftdruck von einem endlich ausgedehnten Oberfl\u00e4chenst\u00fccke abgehalten, das einen irgendwie begrenzten Theil einer Kugeloberfl\u00e4che bildet. Dann werden die s\u00e4mmtlichen auf die einzelnen Elemente dieses Fl\u00e4chenst\u00fcckes von innen nach aussen normalen Kr\u00e4fte, mithin auch ihre Resultante durch den Mittelpunkt der Kugel gehen.\nIn dem beschriebenen Falle befindet sich nun ein durch eine Arthrodie verbundener Knochen \u2014 denken wir z. B. an den Oberschenkel. In der That auf die ganze \u00fcbrige Oberfl\u00e4che desselben wird sich durch die leicht beweglichen Weichtheile hindurch der Luftdruck fortpflanzen k\u00f6nnen, aber auf den von der Pfanne (d. h. von der wirklich \u00fcberknorpelten Pfanne l) bedeckten Theil des Gelenkkopfes kann der Luftdruck nicht wirken. Wenn dies Kugelst\u00fcck\n1 Auf den der Incisura acetabuli entsprechenden Theil des Femurkopfes pflanzt sich durch die Weichtheile von aussen her der Luftdruck ebenso gut fort, wie auf die \u00fcbrigen Theile der Knochenoberfl\u00e4che. Dies ist in \u00fcberzeugendster Weise theoretisch und experimentell erwiesen von A. Eugen Fick, Zur Mechanik des H\u00fcftgelenkes. Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat. Abtheil. 1878. S. 519 ff.","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270 Fick, Spec. Bewegungslehre. 4. Cap. Zusammenhalt der Gelenke.\ngenau gegeben ist, so kann die durch den Gelenkmittelpunkt gehende Resultirende des Luftdruck\u00fcberschusses gefunden werden, welche den Gelenkkopf gegen die Pfannenfl\u00e4che dr\u00fcckt. Wir denken uns, um das Princip dieser Rechnung anschaulich zu machen, die H\u00fcftpfanne in der Lage, die sie bei einem aufrecht stehenden Menschen einnimmt, und w\u00e4hlen folgendes Koordinatensystem : Den Ursprung der\nKoordinaten legen wir in den Mittelpunkt des Gelenkes C (Fig. 11), zur XYebene machen wir eine Vertikalebene, welche den \u00fcberknorpelten Theil der Pfanne m\u00f6glichst symmetrisch hal-birt. Der Schnitt dieser Ebene mit der Gelenkkugel sei der Kreisbogen Ep G. Am tiefsten Punkte E desselben (der \u00fcbrigens im Bereich der Incisura liegen kann) ziehen wir eine Tangente EF und ihr parallel durch C die Y-axe, CY. Die X-axe CX steht in der gew\u00e4hlten Ebene senkrecht auf EF oder C Y und endlich wird die Xaxe in C auf CY und CX, also auf der Ebene der Zeichnung senkrecht errichtet. Wir denken uns nun um einen beliebigen Punkt p der \u00fcberknorpelten Pfanne (welcher nat\u00fcrlich nicht in der Ebene der Zeichnung zu liegen braucht) herum ein Fl\u00e4chenelement dw. Ist nun P der Luftdruck auf die Fl\u00e4cheneinheit, so ist Pdw die Gr\u00f6sse der Kraft, welche in der Richtung Cp wirkt. Ihre Komponenten in der Richtung der Ordinatenaxen sind\nPdw Cos (pCX), Pdw Cos (pCY), Pdw Cos (pCZ).\nDie drei Komponenten des resultirenden Druckes auf die ganze Fl\u00e4che","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"Aequilebrirung des Schenkels durch den Luftdruck.\n271\nerh\u00e4lt man also durch Integration \u00fcber die ganze \u00fcberknorpelte Oberfl\u00e4che: Pfdco Cos (p CX)] Pf dco Cos {p C Y); PJ dto Cos (p CZ).\nDie drei Integrale fdto Cos (pCX) etc. sind aber der Reihe nach die Projektionen der ganzen tiberknorpelten Oberfl\u00e4che auf die YZebene, die XZebene und die XYebene. Wenn aber diese letztere in der That, wie angenommen wurde, die Pfannenfl\u00e4che symmetrisch theilt, so ist das dritte Integral und mithin die Komponente in der .Znchtung Null. Bei der H\u00fcftgelenkpfanne, die (mit Einschluss der Fossa acetabuli) etwa eine Halbkugel bildet, f\u00e4llt die XZ ebene ungef\u00e4hr mit der Ebene des Pfannenrandes zusammen. Die Projektion der Knorpeloberfl\u00e4che auf diese Ebene spielt daher mit Recht, wie sich gleich zeigen wird, eine Rolle in der Betrachtung des Gegeneinanderwirkens von Luftdruck und Schwere. Wir wollen uns n\u00e4mlich jetzt einen Schenkel an dem in der gedachten Stellung fixirten Becken h\u00e4ngend vorstellen, dann wird sein Schwerpunkt senkrecht unter C liegen und die Schwere wird in der Richtung der Vertikalen CS senkrecht abw\u00e4rts wirken. Diese Kraft durch die L\u00e4nge CR dargestellt, zerlegen wir nach der Y- und X richtung in zwei Komponenten CM und CN. Es ist alsdann leicht zu sehen, wann Gleichgewicht zwischen der Schwere und dem Luftdruck stattfinden w\u00fcrde. In der That die Resultirende des Luftdruckes w\u00fcrde unter den gemachten Annahmen etwa die Richtung CL haben und wenn wir ihre Gr\u00f6sse durch die L\u00e4nge CD darstellen, so sind CA und CB ihre Komponenten in der X- und Trichtung. Bei den Gestalt- und Lageverh\u00e4ltnissen des H\u00fcftgelenkes, das uns als Beispiel dient, d\u00fcrfte die Komponente in der X&xe wohl, wie in der Figur angenommen ist, von C nach aufw\u00e4rts gerichtet und ziemlich klein sein, so dass die in dieselbe Axe fallende und abw\u00e4rts nach E gerichtete Komponente der Schwere auch bei kleiner Belastung des Femur gr\u00f6sser sein wird. Die Summe beider Komponenten hat demnach sicher die Richtung von C nach E zu und wird stets durch den elastischen Gegendruck des Pfannenrandes im Gleichgewicht gehalten. Es wird also zur Herstellung des Gleichgewichtes im Ganzen gen\u00fcgen, wenn die Komponente des Luftdruckes CB der entgegengesetzten Komponente der Schwere CM gleich ist.\nEs folgt also der Satz : der im H\u00fcftgelenke h\u00e4ngende Oberschenkel wird durch den Luftdruck festgehalten und wird erst dann von der Schwere herausgezogen (wobei der Mittelpunkt nur in der Richtung CM sich zu bewegen anfangen kann), wenn durch Belastung des Schenkels die mit der Tangentenrichtung EF parallele Komponente der Schwere der in dieselbe Richtung fallenden Komponente des","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nFick. Spec. Bewegungslehre. 4. Cap. Zusammenhalt der Gelenke.\nLuftdruckes \u00fcberlegen ist, d. h. unter den besonderen Verh\u00e4ltnissen des H\u00fcftgelenkes einer Quecksilbers\u00e4ule von der Barometerh\u00f6he, die zur Grundfl\u00e4che die Projektion des \u00fcberknorpelten Pfannentheiles auf die Pfannenrandebene hat. Dieser Satz ist in der oben citirten Abhandlung y on A. Eugen Fick auch experimentell bewiesen. Im Falle des soeben beschriebenen Gleichgewichtes, wo CB = CM muss offenbar der hydrostatische Druck der zwischen den Gelenkfl\u00e4chen enthaltenen Fl\u00fcssigkeitsschicht gleich Null sein. Es ist vielleicht nicht unn\u00fctz, ausdr\u00fccklich zu bemerken, dass dieses Nullwerden des Druckes im Innern doch immerhin ein minimes Auseinanderr\u00fccken der Gelenkfl\u00e4chen zur Voraussetzung hat. Da n\u00e4mlich die tropfbaren Fl\u00fcssigkeiten doch nicht absolut inkompressibel sind, so muss die Gelenkfl\u00fcssigkeit, wenn sie den hydrostatischen Druck Null aus\u00fcben soll, ein etwas gr\u00f6sseres Volum einnehmen, als wenn sie irgend einen anderen Druck auslibt.\nDer Schenkel kann aber im Gleichgewicht am H\u00fcftgelenke offenbar auch noch h\u00e4ngen, wenn die Schwere kleiner ist als CR. In einem solchen Falle wird der Ueberschuss des \u00e4usseren Luftdruckes \u00fcber die Schwere den Schenkelkopf noch etwas gegen die Pfanne andr\u00fccken, so dass ein positiver hydrostatischer Druck im Innern der Gelenkh\u00f6hle zu Stande kommt, welcher aber nicht die volle H\u00f6he des \u00e4usseren Atmosph\u00e4rendruckes erreicht, und der dann mit der Schwere zusammen dem letzteren Gleichgewicht h\u00e4lt. Noch sachgem\u00e4sser liesse sich dies ausdr\u00fccken, indem man sagt: die Schwere wird alsdann den Schenkelkopf nicht ganz so weit aus der H\u00f6hle herausziehen, dass der Druck der Gelenkfl\u00fcssigkeit nicht ganz auf Null herabsinkt.\nWenn alle n\u00f6thigen Data bekannt w\u00e4ren, w\u00fcrde sich leicht berechnen lassen, welchen Werth der positive Druck in der Gelenkh\u00f6hle haben w\u00fcrde. Sei z. B. die Schwere CR' statt Ci?, so dass ihre Komponente in der Vrichtung CM CB ist, dann wird sich ein hydrostatischer Gegendruck in der Gelenkfl\u00fcssigkeit entwickeln m\u00fcssen, der sich zum ganzen Atmosph\u00e4rendruck R verh\u00e4lt = MM: CM oder = MM : CB. In der Th\u00e4t die Kesultirende des hydrostatischen Gegendruckes wird wie die des Luftdruckes in die Richtung CL, jedoch in entgegengesetztem Sinne von C nach L hin fallen, und\nwenn also der hydrostatische Druck auf die Fl\u00e4cheneinheit = P.\nist, so wird die Komponente des gesammten Gegendruckes in der Vrichtung gerade = MM sein, wie es das Gleichgewicht fordert. Es ist n\u00e4mlich alsdann in der Vrichtung Gleichgewicht zwischen","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Pressung der Gelenkfl\u00e4chen gegeneinander.\n273\nder Komponente des Luftdruckes CB und der Summe der Komponente CM' der Schwere und M'M des hydrostatischen Gegendruckes. In der Xrichtung ist Gleichgewicht der Komponente der Schwere CN' der Komponente CA des Luftdruckes der (in Fig. 11 nicht be-zeichneten) Komponente des hydrostatischen Gegendruckes der Gelenkfl\u00fcssigkeit und endlich dem elastischen Gegendr\u00fccke des Pfannenrandes bei E.\nWir wollen uns jetzt ausser dem Luftdruck und der Schwere noch beliebige elastische Spannungen von B\u00e4ndern und Muskeln auf das Gelenk wirksam denken. Dann ist vor Allem klar, dass von Gleichgewicht \u00fcberhaupt nur die Rede sein kann, wenn die Resultirende dieser s\u00e4mmtlichen Kr\u00e4fte durch den Mittelpunkt geht. H\u00e4tten sie n\u00e4mlich entweder gar keine Resultirende oder ginge dieselbe nicht durch den Mittelpunkt, so w\u00fcrde ein drehend wirkendes Paar vorhanden sein.\nEs sei jetzt beispielsweise CR (Fig. 12) die Resultirende der gedachten Kr\u00e4fte, durch denselben Punkt C geht aber auch die Resultirende des hydrostatischen Gegendruckes der Fl\u00fcssigkeit im Gelenkinnern, sie sei dargestellt durch CIJ. Man sieht nun, dass zwischen den \u00e4usseren Kr\u00e4ften und dem inneren Gegendruck nur dann Gleichgewicht stattfinden kann, wenn auch die Resultirende der \u00e4usseren Kr\u00e4fte in dieselbe ein f\u00fcr allemal bestimmte Linie f\u00e4llt, in welcher die Resultirende des hydrostatischen Druckes der Gelenkfl\u00fcssigkeit liegt. Fiele jene Resultirende in diese Richtung nach entgegengesetzter Seite wie CR', so w\u00fcrde sich allerdings die Bedingung der Gleichheit beider Resultirenden an absolutem Werthe allemal von selbst herstellen, vorausgesetzt, dass die Gelenkh\u00f6hle absolut abgeschlossen und von konstantem Rauminhalt w\u00e4re, denn so lange CR' gr\u00f6sser w\u00e4re als CZ, w\u00fcrde der Gelenkkopf tiefer in die Pfanne eingepresst, die Gelenkfl\u00fcssigkeit w\u00fcrde kom-primirt, bis ihr hydrostatischer Druck hinl\u00e4nglich angewachsen w\u00e4re, um eine CR' gleiche Resultirende zu ergeben. Bei der bekannten Beschaffenheit der tropfbaren Fl\u00fcssigkeiten w\u00fcrde aber diese Zusammendr\u00fcckung nur einen ganz unmerklichen Betrag ausmachen. Man sieht also, dass \u00e4usseren Kr\u00e4ften, welche einen Gelenkkopf in die Pfanne zu dr\u00fccken streben, durch einen hydrostatischen Gegen-\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t18","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nFick, Spec. Bewegungslehre. 4. Cap. Zusammenhalt der Gelenke.\ndruck der Fl\u00fcssigkeit in einer absolut geschlossenen H\u00f6hle nicht im Allgemeinen Gleichgewicht gehalten werden kann.\nFaktisch liegen aber die Verh\u00e4ltnisse nicht ganz so, wie soeben vorausgesetzt wurde. Die Gelenkh\u00f6hle ist n\u00e4mlich nicht \u00fcberall von absolut undehnbaren W\u00e4nden umgeben. Am Rande ist sie von der jedesfalls nicht ringsum straffen Gelenkkapsel begrenzt, so dass hier stets nach irgend einer Seite ein wenig aus dem Zwischenr\u00e4ume zwischen den Gelenkfl\u00e4chen verdr\u00e4ngte Fl\u00fcssigkeit in Ausbuchtungen der Kapsel entweichen kann. Es kann daher der hydrostatische Druck im Inneren der Gelenkh\u00f6hle niemals merklich steigen \u00fcber den Druck, unter welchem die Tr\u00e4nkungsfl\u00fcssigkeit der das Gelenk umgebenden Gewebe, welchen wir etwa dem Luftdruck gleichsetzen d\u00fcrfen. Wenn also die Resultirende der s\u00e4mmtlichen \u00fcbrigen Kr\u00e4fte nach oben gerichtet ist, so hebt sich das Glied unter Verdr\u00e4ngung von Gelenkfl\u00fcssigkeit (nicht unter Kompression derselben), bis ein Punkt des Gelenkkopfes einen Punkt der Pfanne ber\u00fchrt, das Gleichgewicht stellt sich alsdann sofort her durch Entstehung des n\u00f6thigen elastischen Gegendruckes der festen Pfanne. Da hierbei der hydrostatische Druck der Gelenkfl\u00fcssigkeit dem \u00e4usseren Luftdrucke stets gleich bleibt, so hebt seine Resultirende stets gerade die unter den aufw\u00e4rts gerichteten Kr\u00e4ften mitgez\u00e4hlte Wirkung des \u00e4usseren Luftdruckes auf das h\u00e4ngende Glied auf. Man wird also in solchen F\u00e4llen den Luftdruck und den hydrostatischen Druck der Gelenkfl\u00fcssigkeit von vornherein ganz aus der Rechnung lassen und sagen k\u00f6nnen: wenn auf den beweglichen Knochen Schwere und Spannungen wirken, deren Resultirende im Ganzen gegen die Gelenkfl\u00e4che am festen Knochen hin gerichtet ist, so wird, wenn dieselbe durch den Gelenkmittelpunkt geht, der eine Knochen gegen den andern mit der ganzen Kraft dieser Resultirenden angedr\u00fcckt und wird dieselbe lediglich durch den elastischen Gegendruck des andern Knochens aufgewogen. 1\nDiese Entwickelung widerspricht keineswegs der vorhergehenden, wo dem Luftdrucke eine wesentliche Rolle f\u00fcr den Zusammenhalt des Gelenkes zugeschrieben wurde. Die Gelenkkapsel wirkt n\u00e4mlich ventilartig dergestalt, dass sie das Eindringen neuer Fl\u00fcssigkeit von aussen hindert, nicht aber das Entweichen nach aussen. Es kann also sehr wohl der hydrostatische Druck im Gelenkinnern unter\n1 Ich m\u00f6chte ausdr\u00fccklich vor dem Missverst\u00e4ndnis warnen, dass die im Text vorgetragene Lehre \u00fcbereinstimme mit den Er\u00f6rterungen Buchner\u2019s (Arch, f. Anat. u. Physiol. 1877. S. 22), welche dem Luftdruck die Bedeutung f\u00fcr den Zusammenhalt der Gelenke absprehen. Diese sind meines Erachtens vollst\u00e4ndig widerlegt von Eugen Fick (Arch. f. Anat. 1878. S. 222).","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Zusammenhalt der Gelenke gegen \u00e4ussere Gewalt.\n275\nden Druck der umgebenden Gewebefl\u00fcssigkeiten resp. den Luftdruck sinken, nickt aber \u00fcber diesen Werth hinaus steigen.\nWenn sehr gewaltige Kr\u00e4fte an einem Knochen wirken in dem Sinne, dass sie ihn aus der Gelenkpfanne herauszuziehen streben, dann kann der Luftdruck f\u00fcr den Zusammenhalt keine sehr bedeutende Rolle spielen, denn der Luftdruck entspricht beim gr\u00f6ssten Gelenke dem H\u00fcftgelenke im Ganzen nur einer Kraft von noch nicht 22 kg., wenn er also auch der luxirenden Gewalt genau entgegenwirkt, so brauchte diese doch nur den geringen Betrag von 22 kg. zu erreichen, um ihn zu \u00fcberwinden. Den Oberarm w\u00fcrde man also in wagrechter Richtung mit noch weit geringerer Kraft von der Schulterpfanne abreissen k\u00f6nnen, so dass in der Gelenkh\u00f6hle ein Vacuum entsteht. Beil\u00e4ufig mag noch erw\u00e4hnt sein, dass von einer Bedeutung der Adh\u00e4sion f\u00fcr den Zusammenhalt der Gelenke gegen\u00fcber \u00e4usseren Gewalten vollends nicht die Rede sein kann, wie Schmid1 experimentell erwiesen hat.\nWenn also eine bedeutende Gewalt auf ein Gelenk wirkt, welche die Fl\u00e4chen von einander zu entfernen strebt, so kann dieselbe, wofern nicht schon starke B\u00e4nder ausgespannt sind, nur durch Muskelspannungen im Gleichgewicht gehalten werden. Es tritt uns aber hier noch eine Schwierigkeit entgegen, wenn wir die grosse Dehnbarkeit der Muskeln bedenken. Um es mit bestimmten Vorstellungen zu thun zu haben, stellen wir uns einen Arm in wagrecht ausgestreckter Lage vor und es ziehe an demselben eine Kraft in seiner L\u00e4ngsrichtung, welche den Humeruskopf senkrecht von der Schulterpfanne zu entfernen strebt. Den Luftdruck auf die Pfannenfl\u00e4che wird man etwa zu 10 kg. sch\u00e4tzen d\u00fcrfen. Ist also die luxi-rende Kraft unter 10 kg., so kann sie ohne alle Beih\u00fclfe von Muskelspannungen vom Luftdrucke oder einem Theil desselben aufgewogen werden, da ja die Kapsel auch hier ventilartig von aussen nach innen abschliesst. In Wirklichkeit wird nun von Seiten der das Gelenk umgebenden Muskeln wohl immer eine gewisse Spannung ausge\u00fcbt werden, verm\u00f6ge deren nicht nur der hydrostatische Druck in der Gelenkh\u00f6hle auf die H\u00f6he des \u00e4usseren Luftdruckes gebracht wird, sondern die Gelenkfl\u00e4chen auch noch gegeneinander. gepresst werden. Dies wird vermuthlich selbst dann statthaben, wenn die Muskeln s\u00e4mmtlich im Ruhezust\u00e4nde sind. Sei beispielsweise die zur Gelenkfl\u00e4che normale Resultirende der Muskelspannungen = 5 kg., dann wird die luxirende Kraft bis zu diesem Betrage wachsen k\u00f6n-\n1 Schmid, Deutsche Ztschr. f. Chirurgie V.\n18*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276 Fick, Spec. Bewegungslehre. 4. Cap. Zusammenhalt der Gelenke.\nnen, ohne dass der hydrostatische Druck im Innern der Gelenkh\u00f6hle unter den Luftdruck herabsinkt, vielmehr wird dann erst die Pfanne entlastet sein und keinen elastischen Gegendruck mehr auszu\u00fcben brauchen. W\u00e4chst die luxirende Kraft \u00fcber 5 kg. hinaus, so sinkt wegen des ventilartigen Abschlusses der Kapsel der hydrostatische Druck im Innern der Gelenkh\u00f6hle und der Ueberschuss des Luftdruckes + 5 kg. Muskelspannung h\u00e4lt der ziehenden Kraft Gleichgewicht. Das kann der Fall sein bis die letztere auf J.5 kg. angewach-seni st. Bis zu diesem Punkte sind die Gelenkfl\u00e4chen nur um den unmerklichen Betrag verr\u00fcckt worden, welcher der elastischen Ausdehnung des gepresst gewesenen Gelenkknorpels und der Ausdehnung der Gelenkfl\u00fcssigkeit bei Druckminderung entspricht. W\u00e4chst aber jetzt die luxirende Kraft bedeutend \u00fcber 15 kg. hinaus \u2014 sagen wir auf 20 kg. \u2014, so muss offenbar ein erhebliches Auseinanderweichen der Gelenkfl\u00e4chen unter Bildung eines Vacuum in der Gelenkh\u00f6hle erfolgen, sofern nicht der Zustand der Muskeln eine Aenderung erf\u00e4hrt. Denn es m\u00fcsste jetzt die Resultirende der Muskelspannungen etwa 10 kg. betragen, n\u00e4mlich 20 kg. vermindert um den Betrag des Luftdruckes, den wir zu 10 kg. angeschlagen haben. Offenbar k\u00f6nnen aber die Muskeln bei unver\u00e4ndertem Zustande diese Spannung nur durch Dehnung um wenigstens einige Millimeter erlangen, wenn die Spannung 5 kg. betrug bei der L\u00e4nge der Fasern, welche ihnen zukam, so lange die Gelenkfl\u00e4chen in Kontakt lagen. Es d\u00fcrfte die M\u00fche lohnen, diese unabweisliche Folgerung aus der Betrachtung der auf ein Gelenk wirkenden Kr\u00e4fte experimentell zu pr\u00fcfen, denn die voraussichtlich zu erwartende Auseinanderweichung der Gelenkfl\u00e4chen ist so gross, dass sie sich schwerlich der Beobachtung entziehen k\u00f6nnte.\nBei kleineren Gelenken, z. B. bei den Metacarpopkalangalgelenken, kann man das einige Millimeter betragende Auseinanderweichen der Gelenkfl\u00e4chen unter dem Einfl\u00fcsse starkes Zuges ganz leicht sehen. Dabei muss auch offenbar ein Vacuum im Innern des Gelenkes entstehen.\nDie in den vorstehenden Capiteln entwickelten Grunds\u00e4tze gen\u00fcgen, um wenigstens in erster Ann\u00e4herung die Wirkung der Muskeln auf die grossen Gelenke zu beurtheilen. Es versteht sich aber wohl von selbst, dass die vorgetragenen S\u00e4tze nicht mit voller mathematischer Strenge gelten k\u00f6nnen, da die Gelenkfl\u00e4chen alle den als Typen hingestellten geometrischen Formen nicht ganz genau entsprechen. Man hat sich in j\u00fcngster Zeit vielfach bem\u00fcht, durch genaue Messungen solche Abweichungen der wirklichen Gelenkfl\u00e4chen","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung der Muskelarbeit an den Gelenken.\n277\nvon der schematischen Form, z. B. der H\u00fcftgelenkfl\u00e4chen von der Kugelgestalt zu ermitteln. Wenn nun auch jede exakte Messung in der Naturwissenschaft in sich einen gewissen Werth hat, so d\u00fcrfte es doch beim gegenw\u00e4rtigen Zustande der speeiellen Bewegungslehre noch f\u00fcr lange Zeit lohnender sein, unter Annahme der schematischen Formen der Gelenke an der Auffindung der allgemeinen Grundgesetze zu arbeiten, als schon an die kleinen Abweichungen zu denken, deren Bedeutung schwerlich sobald erkennbar sein wird. Es sei erlaubt, diese Behauptung durch einen Vergleich mit einer andern Wissenschaft zu st\u00fctzen. In der Physik hat man gewiss mit Recht sich fr\u00fcher mit den wichtigen Folgerungen aus dem Mariottes-Gay LYESSAc\u2019schen Gesetze besch\u00e4ftigt, ehe man die kleinen Abweichungen der wirklichen Gase von dem Verhalten eines idealen Gases untersuchte.\nF\u00dcNFTES KAPITEL.\nDie Arbeit der Muskelkr\u00e4fte an den Gelenken.\nI. Die entwickelte Muskelspannung kommt ganz zur Wirkung.\nAn die Spitze der Lehre von der Muskelwirkung sei es erlaubt, einen Satz zu stellen, welcher allerdings eigentlich selbstverst\u00e4ndlich ist, der aber doch besonders ausgesprochen und bewiesen zu werden verdient, da er vielleicht noch nicht hinl\u00e4nglich eingedrungen ist in das Bewusstsein aller derer, welche sich mit Problemen der spe-ciellen Muskelphysiologie zu besch\u00e4ftigen haben. Dieser Satz lautet so: Wenn eine an irgend einem Gelenke angekn\u00fcpfte Muskelfaser sich wirklich zusammenzieht, so hat die gesammte Arbeit, welche ihre elastischen Kr\u00e4fte nach Maassgabe der S. 241 u. folg, dargestellten Grunds\u00e4tze dabei leisten, auch wirklich bewegenden Erfolg, sei es zur Beschleunigung, sei es zur Ueberwindung irgend welcher entgegenwirkender Kr\u00e4fte, der Muskel mag angesetzt sein wie er wolle, nahe beim Drehpunkt resp. der Drehaxe oder weit davon, sie mag liegen in der Drehungsebene oder schr\u00e4g dazu. Von einer g\u00fcnstigeren oder weniger g\u00fcnstigen Lagerung oder Angriffsweise eines Muskels kann gar nicht die Rede sein, sofern es sich um den dynamischen Erfolg handelt. Die Worte g\u00fcnstigerer oder weniger g\u00fcnstiger Ansatz eines Muskels haben, wofern man ihnen \u00fcberall Sinn beilegen","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278 Fick, Spec. Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkr\u00e4fte an d. Gelenken.\nwill, einen solchen nur, wo es sich um bestimmte Gleichgewichtsprobleme handelt. Die Einschr\u00e4nkung der Beweglichkeit des Gelenkes auf gewisse Bahnen mindert den bewegenden Effekt der Muskelarbeit in keiner Weise. Dieser Effekt ist genau so gross, als wenn die am Ende des Muskels angekn\u00fcpfte Masse in der Richtung der Muskelfasern selbst folgen k\u00f6nnte. Nat\u00fcrlich gilt der Satz nur unter der Voraussetzung, dass der Reibungswiderstand unbertick--sichtigt bleibt, der \u00fcbrigens in der That sehr gering ist.\nEines besonderen Beweises bedarf wie gesagt dieser Satz eigentlich nicht, da er eine ganz unmittelbare Folgerung aus dem Principe der Erhaltung der Energie ist. Um indessen jedes entgegenstehende Vorurtheil auch durch die unmittelbare Anschauung zu zerstreuen, soll hier der Satz f\u00fcr den Fall direkt bewiesen werden, wo vielleicht um ersten ein Zweifel erhoben werden k\u00f6nnte. Es ziehe sich n\u00e4mlich eine Muskelfaser zusammen und dabei drehe sich das Gelenk in einer Ebene, zu welcher die Richtung der Faser schr\u00e4g l\u00e4uft, sei es, dass andere gleichzeitige Muskelz\u00fcge die Bahn bestimmen (wenn es ein freies Gelenk ist), sei es, dass wir es mit einem zwangl\u00e4ufigen\nGelenke zu thun haben, das nur in jener Ebene \u00fcberhaupt Drehung zul\u00e4sst. Wir k\u00f6nnten uns z. B. eine der Fasern des Supinator brevis denken, von denen viele sehr schr\u00e4g zur Drehungsebene laufen. Wir w\u00e4hlen zur X axe eines Koordinatensystems die Axe der faktischen Drehung zur Faxe das Perpendikel vom Ansatzpunkte L der Faser am beweglichen Knochen auf die Dreh axe und zur Faxe eine auf die beiden vorigen senkrechte Gerade. (S. Fig. 13.) Der Ursprung der Muskelfasern am festen Knochen sei M und die Ko-F,g'13,\tordinaten dieses Punktes OA \u2014\nx\\ OB \u2014 y; OC = z. Die Koordinaten des Ansatzpunktes sind xi \u2014 0; yi = r; zi = 0, wenn wir die L\u00e4nge LO durch r bezeichnen. Die L\u00e4nge der Muskelfaser ist demnach\nR = ]/V2 + (y \u2014 rA -f- z\\\nIhre elastische Spannung bei dieser L\u00e4nge sei P und es erfolge jetzt","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Die ganze Arbeit kommt zur Wirkling.\n279\neine unendlich kleine Zusammenziehung um die Gr\u00f6sse dR, w\u00e4hrend welcher die Spannung konstant = P gedacht werden darf, dann ist PdR die positive Arbeit der elastischen Kr\u00e4fte bei diesem Akte und es ist zu beweisen, dass die negative Arbeit der Kr\u00e4fte, welche am beweglichen Knochen der Zusammenziehung entgegenwirken, bei diesem Akte gerade so gross ist. Um der Spannung P mittels des Gelenkes Gleichgewicht zu halten, m\u00fcsste bei L eine parallel zu OZ abw\u00e4rts gerichtete Kraft angebracht sein, gleich der Projektion von\nP auf die ^axe.oder = P Ist also der Knochen schon auf-\nK\nw\u00e4rts in Bewegung, so wird er dem Muskelzuge weiter aufw\u00e4rts folgen ohne Beschleunigung und es wird im n\u00e4chsten Zeitdifferential\ndie Gegenkraft P ^ eine negative Arbeit leisten = P-^- multipli-\ncirt mit der Wegstrecke, welche der Punkt L in der Richtung dieser Kraft zur\u00fccklegt. Dieser Punkt kann sich aber nach der Voraussetzung nur um 0 drehen in der Ebene OYZ. Er sei durch die unendlich kleine Drehung um den Winkel LfiL \u2014 dco in die Lage\nLt gekommen, dann ist P \u2022 LLr oder P-^r * rd\u0153 die gesuchte negative Arbeit der widerstehenden Gegenkraft. Um nun die positive Arbeit der Muskelspannung PdR hiermit zu vergleichen, beachten\ndR\nwir, dass dR ML \u2014 MTa = -7\u2014 dz\\ sein muss, da durch die 7\tdz\\\nVerr\u00fcckung des Punktes L nach L\\ nur die Koordinate z\\ des Ansatzpunktes eine Aenderung erlitten hat, w\u00e4hrend \u00e6, y, \u00bb, an, y\\\nkonstant bleiben. Nun ist aber\t~1 oder da \u00bbi in un-\ndz i\tti\nserem Falle = 0 ist, = und dz\\ ist = LLi = rdco, also\nPdR \u2014 Z\u2014. rdco d. h. die negative Arbeit der \u00fcberwundenen Kr\u00e4fte\nist genau gleich der bei der Zusammenziehung um den Betrag dR geleisteten positiven Arbeit der Muskelspannung = PdR, was zu beweisen war. Ist die Gegenkraft die blosse Tr\u00e4gheit, so erfolgt durch die Zusammenziehung eine Winkelbeschleunigung, welche mit dem Tr\u00e4gheitsmoment multiplicirt der ganzen Arbeit entspricht, soweit nicht die Arbeit, wie oben (S. 244) erw\u00e4hnt wurde, bei schneller Zusammenziehung im Muskel selbst unter dem Einfl\u00fcsse innerer Widerst\u00e4nde W\u00e4rme erzeugt. Der Gelenkapparat thut auch in diesem Falle der \u00e4usseren Wirkung der Arbeit keinen Abbruch. Was hier f\u00fcr ein Arbeitsdifferential bewiesen ist, gilt ohne weiteres f\u00fcr jede end-","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280 Fick, Spec. Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkr\u00e4fte an d. Gelenken.\nliehe Zusammenziekung, w\u00e4hrend welcher die Spannung und die Gegenkraft (resp. Beschleunigung) beliebig variiren k\u00f6nnen.\nWenn man von der genauen mathematischen Vergleichung ab-sehen will, so kann man den vorstehend streng bewiesenen Satz der Anschauung n\u00e4her bringen durch die Bemerkung, dass, wenn die Muskelspannung schr\u00e4g gegen die Drehungsebene wirkt, sie zwar nur eine kleinere Gegenkraft \u00fcberwinden kann, diese aber durch eine um so gr\u00f6ssere Wegstrecke \u00fcberwindet, welche den Betrag der Muskelverk\u00fcrzung bedeutend \u00fcbertrifft.\nII. Einfluss der Gelenke auf die Entwickelung der Muskelspannung.\nDie Ankn\u00fcpfung der Muskeln an Knochen und die Zusammenf\u00fcgung der letzteren durch Gelenke hat also, wie gezeigt ist, keinerlei bestimmenden Einfluss auf den Betrag der Arbeit, welche die einmal als solche auftretenden elastischen Spannkr\u00e4fte der Muskeln bei der Zusammenziehung leisten, wohl aber kann diese Verkn\u00fcpfung Einfluss darauf haben, wie viel elastische Spannung bei einer bestimmten Zusammenziehung \u00fcberhaupt zur Entwickelung kommt. In der That wurde ja S. 242 nachgewiesen, dass nur ganz geringe Span-nungswerthe \u00fcberhaupt zur Entwickelung kommen, wenn die Zusammenziehung schon erfolgen kann w\u00e4hrend der Zeit, w\u00e4hrend welcher der Uebergang aus dem ruhenden in den erregten Zustand stattfindet ; dass dagegen die h\u00f6chsten m\u00f6glichen Spannungswerthe entwickelt werden, wenn in der Zeit w\u00e4hrend welcher der Muskel in den erregten Zustand \u00fcbergeht noch gar keine Verk\u00fcrzung stattfinden kann. Je nachdem das eine oder das andere geschieht, leistet dann eine Verk\u00fcrzung um den gleichen Betrag mehr oder weniger Arbeit. Wenn z. B. der in Fig. 1 S. 242 gedachte Muskel von der L\u00e4nge ko sich verk\u00fcrzt auf die L\u00e4nge kp, so kann die geleistete Arbeit im einen Falle dem Keckteck olep, im andern Falle dem Trapez onep gleich sein. Ob das Eine oder das Andere oder ein Mittleres geschieht, h\u00e4ngt, wie gezeigt wurde, von \u00e4usseren Umst\u00e4nden ab, so dass hierauf die nat\u00fcrliche Verkn\u00fcpfung des Muskels mit Knochen Einfluss haben kann.\nUnter den f\u00fcr den Muskel \u00e4usseren Umst\u00e4nden, welche bei seiner Zusammenziehung im lebenden K\u00f6rper auf die Arbeitsleistung Einfluss haben, ist zuv\u00f6rderst noch einer zu erw\u00e4hnen, welcher mit den Gelenkeinrichtungen nicht in Zusammenhang steht n\u00e4mlich die Art der Erregung durch das Nervensystem. Diese kann n\u00e4mlich","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"Entwickelung der Muskelspannung.\n281\nsehr allm\u00e4hlich geschehen, so dass die Zeit des Ueberganges ans dem ruhenden Zustand in den vollst\u00e4ndig erregten eine sehr lange wird. Wenn in einem solchen Falle ausser der Tr\u00e4gheit des Gliedes keine andere Gegenkraft sich der Zusammenziehung widersetzt, so ist die geleistete Arbeit nicht viel von Null verschieden. Dies w\u00e4re z. B. der Fall, wenn wir den Vorderarm in einer Horizontalebene ganz langsam beugen. Ganz gleich Null kann freilich die geleistete Arbeit im lebenden K\u00f6rper niemals sein, weil eine Gegenkraft ganz unvermeidlich ist, n\u00e4mlich die Spannung der bei der Bewegung des Gliedes zu dehnenden Muskeln. Sind aber diese im ruhenden Zustande, so ist diese Arbeit nur unbedeutend, da bei der grossen Dehnbarkeit der Muskelfaser die Spannung eines Muskels selbst bei der Lage des Gelenkes, wo sein Ansatz vom Urspr\u00fcnge am weitesten entfernt ist, im ruhenden Zustande nicht gross sein wird.\nDer Muskel kann aber im lebenden K\u00f6rper vom Nervensysteme aus auch eben so schnell in den erregten Zustand versetzt werden, wie durch einen k\u00fcnstlichen ^\u2014 etwa einen elektrischen \u2014 tetanisi-renden Beiz, so dass der ganze Uebergang nur Bruchtheile einer Sekunde dauert. In diesem Falle hat die Gelenkeinrichtung grossen Einfluss auf die Entwickelung der h\u00f6heren Spannungsgrade. Bei den gr\u00f6sseren Gliedmassengelenken ist in diesen F\u00e4llen schon die blosse Tr\u00e4gheit der Entwickelung der h\u00f6heren Spannungsgrade g\u00fcnstig. Die auf diese Gelenke wirkenden Muskeln sind n\u00e4mlich alle mindestens mit einem Ende sehr nahe der Drehaxe oder dem Drehpunkte des Gelenkes befestigt. Eine kleine Verk\u00fcrzung der Fasern erfordert also immer schon eine grosse Drehung im Gelenk. Andererseits ist aber bei der langgestreckten Gestalt der Gliedmassen ihr Tr\u00e4gheitsmoment in Bezug auf die Axen des Gelenkes verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig gross. Es wird daher die Winkelbeschleunigung durch kleine Spannungen der Muskeln sehr gering ausfallen, und ein Glied wird in den ersten Bruchtheilen einer Sekunde, in welchen sich der erregte Zustand entwickelt, dem schwachen Zuge, auch wenn keine Gegenkr\u00e4fte wirksam sind, noch nicht weit gefolgt sein k\u00f6nnen. So kommt also im Allgemeinen der erregte Zustand bei energischer pl\u00f6tzlicher Beizung durch das Nervensystem zu nahezu vollst\u00e4ndiger Entwickelung noch ehe die L\u00e4nge des Muskels erheblich abgenommen hat, d. h. es kommen nahezu die h\u00f6chsten m\u00f6glichen Spannungs-werthe zur Geltung, fast so als ob die Muskeln w\u00e4hrend der Entwickelung des vollen Erregungszustandes ganz an der Verk\u00fcrzung verhindert worden w\u00e4ren. So erkl\u00e4rt es sich, dass dann hernach bei der wirklichen weiteren Verk\u00fcrzung eine sehr bedeutende Arbeit","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282 Fick, Spec. Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkr\u00e4fte an d. Gelenken.\ngeleistet werden kann, deren Effekt in einer enormen Winkelbe-schleunigung des G-liedes besteht, wie man recht augenf\u00e4llig bei einem geschickten Steinwurf sehen kann. Nat\u00fcrlich geht aber bei dieser Art der Verwendung der Muskelkraft ein Theil der Arbeit durch Erzeugung von W\u00e4rme unter dem Einfluss der inneren Reibung in dem sich sehr schnell zusammenziehenden Muskel f\u00fcr den \u00e4usseren Effekt verloren (S. 244).\nBei manchen Bewegungen der grossen Gliedmassen haben die Gelenkeinrichtungen auch den Erfolg, dass die Muskeln sich nach dem weiter oben (S. 244) er\u00f6rterten Entlastungsprincipe zusammenziehen, so dass der h\u00f6chste theoretisch m\u00f6gliche mechanische Effekt\neiner Tetanisirung wenigstens sehr ann\u00e4hernd erreicht wird. Um ein Beispiel davon zu geben, betrachten wir die Erhebung des K\u00f6rpers aus niederkauernder Stellung auf die Zehen und zwar zun\u00e4chst die Wirkung der Extensores cruris. In Fig. 14 ist ein menschlicher K\u00f6rper in drei Phasen der fraglichen Bewegung skizzirt. Wenn, wie wir voraussetzen wollen, der Fuss von Anfang an hohl steht, so muss das Loth durch den Schwerpunkt 8 von Anfang bis zu Ende des Aktes durch die Metatarsusk\u00f6pfchen gehen, da mit weder nach vorn noch nach hinten der K\u00f6rper \u00c0.-J-'-Af\t\u00fcberf\u00e4llt. Auf das Kniegelenk\ni|\ti\twirkt nun die Schwere in der\n*\t\u25a0\t\u00fcber A gezeichneten Lage an\nFig-14.\tdem sehr grossen Hebelarm KQ}\nwenn in K die Axe des Kniegelenkes die Ebene der Zeichnung schneidet. Die Schwere \u00fcbt also im Anfang ein sehr grosses Moment aus und die Kontraktion der Extensoren kann nicht eher wirklich beginnen, als bis ihr Moment dem entgegengesetzt drehenden der Schwere gleich geworden ist. Da aber die Resultante der Extensoren an einem viel kleineren Hebelarm wirkt, so setzt dies eine sehr grosse Spannung voraus und es kann","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"283\nArbeit mit Entlastung.\nalso die wirkliche Zusammenziehung erst beginnen, nachdem der Tetanus vollst\u00e4ndig entwickelt ist. Sowie aber dies der Fall ist, beginnt auch die Entlastung der Strecker. In der That wird ja der Hebelarm der Schwere am Kniegelenk im Verlaufe der Streckung immer kleiner. Schon in der \u00fcber B dargestellten Lage des K\u00f6rpers ist er (KQ) fast Null geworden und das Moment der Schwere wird also ebenfalls immer kleiner. Da aber der Hebelarm, an welchem die Strecker wirken, wohl ann\u00e4hernd konstant bleibt, so kann die Spannung derselben abnehmen, wie es der einfach elastischen Zusammenziehung bei gleichbleibendem Erregungszust\u00e4nde entspricht, ohne dass das Uebergewicht der streckenden Muskelwirkung \u00fcber die beugende Wirkung der Schwere aufh\u00f6rt. Im letzten Stadium der Bewegung (s. C Fig. 14) geht sogar das Loth durch den Schwerpunkt vor der Axe des Kniegelenkes vor\u00fcber, so dass die Strecker desselben vollst\u00e4ndig erschlafft sein d\u00fcrfen, da ihnen gar kein Moment der Schwere mehr zur Last f\u00e4llt. In der That kann man auch an einem aufstehenden Menschen leicht f\u00fchlen, dass nach vollst\u00e4ndiger Erhebung die Kniescheibe ganz locker sitzt, d. h. die Strecker v\u00f6llig entspannt sind.\nAehnlich wie die Strecker des Kniegelenkes verh\u00e4lt sich bei dieser Bewegung der Musculus soleus, dessen Zugrichtung etwa in die Gerade vom Fersenh\u00f6cker nach der Drehaxe des Kniegelenkes (KE Fig. 14) fallen mag. Das Moment seiner Spannung muss am Sprunggelenke (dessen Axe mit F in Fig. 14 angedeutet ist) dem Moment der Schwere Gleichgewicht halten resp. es \u00fcberwinden. Nun bleibt der Hebelarm der Schwere am Sprunggelenk FP offenbar konstant, so lange der Fuss wagrecht steht, aber in diesem Stadium der Bewegung wird der Hebelarm der Muskelspannung (FE) gr\u00f6sser, da sich die Achillessehne vom Sprunggelenke etwas abhebt, und aus diesem Grunde muss anfangs die Spannung sehr gross sein, so dass sich der Tetanus vor der Verk\u00fcrzung vollst\u00e4ndig entwickelt und sie darf dann abnehmen, ohne dass das Moment verkleinert w\u00fcrde. Wenn dann im weiteren Verlaufe der Bewegung die Ferse erhoben wird, so wird der Hebelarm der Schwere (s. FP in der \u00fcber C gezeichneten Lage) kleiner und aus diesem Grunde nimmt das Moment der Schwere selbst ab, so dass die Spannung des Soleus noch kleiner werden kann, ohne von der Schwere \u00fcberwunden zu werden. Ganz Null darf allerdings die Spannung des Soleus auch am Schl\u00fcsse der Bewegung nicht werden, wie dies bei den Kniestreckern der Fall war.","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"284 Fick, Spec. Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkr\u00e4fte an d. Gelenken.\nIII. Zweigelenkige Muskeln.\nBekanntlich \u00fcberspringen viele Muskeln der Gliedmassen zwei oder sogar mehr als zwei Gelenke und k\u00f6nnen somit auf sie drehend wirken. Diese Einrichtung findet sich so durchg\u00e4ngig bei allen Wir-belthieren mit reichgegliederten Extremit\u00e4ten, dass ihr unzweifelhaft eine besondere teleologische Bedeutung zukommen muss. Es bieten sich in dieser Richtung verschiedene Erw\u00e4gungen dar. Erstens ist die einfache Thatsache, dass derselbe Motor abwechselnd f\u00fcr zwei verschiedene Bewegungen gebraucht werden kann, ein grosser Vor-theil, wie aus folgender Betrachtung erhellt. Wenn verlangt wird, dass bei Streckung des H\u00fcftgelenkes einerseits und bei Beugung des Kniees andererseits an einem bloss mit ein gelenkigen Muskeln versehenen Bein ebenso viel Arbeit verf\u00fcgbar sein sollte, so m\u00fcsste offenbar erstens am H\u00fcftgelenk ausser seinen wirklich vorhandenen eingelenkigen Muskeln noch eine dem Semitendinosus, Semimembranosus und langen Bicepskopfe gleiche Muskelmasse vorhanden sein, da ja die zu leistende Arbeit der ganzen Muskelmasse \u2014 nicht etwa bloss dem Querschnitte \u2014 proportional ist und andererseits m\u00fcsste auch am Kniegelenk neben den eingelenkigen Beugern eine jenen drei Muskeln gleiche Masse noch einmal eingelenkig angebracht sein. Die ganze Muskelmasse des Beines w\u00e4re also um den ganzen Betrag der zweigelenkigen Beuger zu vergr\u00f6ssern. Freilich k\u00f6nnten jetzt die Kniegelenkmuskeln vollst\u00e4ndig ruhen, w\u00e4hrend das H\u00fcftgelenk zu strecken ist und die H\u00fcftgelenkmuskeln k\u00f6nnten ruhen, w\u00e4hrend das Kniegelenk gebeugt wird. Da aber jeder Muskel wie eine zum Gebrauch bereit stehende Dampfmaschine auch w\u00e4hrend der Ruhezeit einen fortw\u00e4hrenden Aufwand von Brennmaterial erfordert, so w\u00fcrde die Einrichtung, ganz abgesehen von der Erschwerung und Yergr\u00f6sserung des Gliedes auch eine Verschwendung von Brennmaterial herbeif\u00fchren. Man k\u00f6nnte allerdings hiergegen einwenden, dass, wenn ein zweigelenkiger Muskel nur am einen Gelenke arbeiten soll, sein Moment am andern Gelenke durch Spannung von eingelenkigen Antagonisten im Gleichgewichte gehalten werden muss, was im Allgemeinen wohl nie ohne einige Erregung und folgeweise Steigerung des Materialverbrauches \u00fcber den in der Ruhe stattfindenden Werth hinaus geschehen kann. Wenn z. B. Semimembranosus, Semitendinosus und Biceps lediglich streckend am H\u00fcftgelenk wirken sollen, so muss ihr Moment am Kniegelenk durch Spannung der Vasti aufgewogen werden. Nun ist aber sicher der Materialverbrauch zur blossen Aufrechterhaltung einer gewissen Span-","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Zweigelenkige Muskeln.\n285\nnung sicher bedeutend kleiner als der Verbrauch bei wirklicher Arbeitsleistung. Es kann daher wohl sein und ist sogar sehr wahrscheinlich, dass dieser Aufwand zur Aequilibrirung der zweigelenkigen Muskeln am ruhig bleibenden Gelenke im Grossen und Ganzen doch weit zur\u00fccksteht hinter dem, welcher durch die Vermehrung der gesammten Muskelmasse eingef\u00fchrt w\u00fcrde, welche erforderlich sein w\u00fcrde, wenn lediglich eingelenkige Muskeln an jedem Gelenke dieselbe Arbeit sollten leisten k\u00f6nnen. Dieser Vermuthung kommt noch der Umstand zu H\u00fclfe, dass die eingelenkigen Antagonisten, die ja doch einmal f\u00fcr andere Zwecke vorhanden sein m\u00fcssen, im Allgemeinen k\u00fcrzere Fasern haben und also schon bei geringer Dehnung bei massiger Erregung eine grosse Spannung erreichen. Mit H\u00fclfe der neueren myothermometrischen Methoden d\u00fcrfte es wohl gelingen, diesen Betrachtungen auch eine numerische Grundlage zu varschaffen.\nWichtig f\u00fcr die teleologische Bedeutung der zweigelenkigen Muskeln ist jedesfalls auch der Umstand, dass die Spannung, welche ihnen durch Stellung des einen Gelenkes ertheilt wird, auf das andere Gelenk wirken kann. Dieser Umstand ist schon von Borelli beachtet. Er zeigt (prop. 28 u. 29), dass man bei senkrecht gehaltenem Femur und wagrechter Tibia an der Ferse ein gr\u00f6sseres Gewicht tragen kann, wenn das Becken im H\u00fcftgelenk vorn \u00fcbergebogen ist, als wenn der Rumpf aufrecht steht. Im ersten Falle sind n\u00e4mlich die zweigelenkigen Flexores genu mehr gedehnt und haben also bei gleichem Erregungszust\u00e4nde eine gr\u00f6ssere Spannung. Dieser Umstand kann m\u00f6glicherweise auch f\u00fcr die dynamische Ausnutzung der Arbeit von Bedeutung werden. Der dynamische Erfolg der Zusammenziehung eines Muskels ist n\u00e4mlich um so gr\u00f6sser, von je gr\u00f6sserer L\u00e4nge die Zusammenziehung ausgeht. Nun k\u00f6nnten gewisse periodisch wiederholte Bewegungen so verlaufen, dass bei einem Akte derselben zweigelenkige Muskeln im ruhenden Zustande durch sehr geringf\u00fcgige Arbeit anderer Muskeln am einen Gelenke gedehnt werden und dass sie sich dann von dieser gedehnten L\u00e4nge aus im zweiten Akte mit um so gr\u00f6sserer Energie kontrahirten. Auf diese Art k\u00f6nnten z. B. die Gastrocnemii beim Gehen sehr zweckm\u00e4ssig 1 als zweigelenkige Muskeln verwendet werden, wenn sich zeigen Hesse, dass dieselben im ersten Stadium der Ausstreckung des Schenkels, wo sich die Streckung auf das Kniegelenk beschr\u00e4nkt, noch im ruhenden Zustande w\u00e4ren. Dann w\u00fcrde in diesem Stadium\n1 A. Fick. Untersuchungen \u00fcber Muskelarbeit S. 39. Basel 1867.","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286 Fick, Spec. Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkr\u00e4fte an d. Gelenken.\nein ganz kleiner Brucktheil der Arbeit der Schenkelstrecker auf ihre Ausdehnung verwandt werden und sie k\u00f6nnten dann mit um so viel gr\u00f6sserer Kraft hernach im zweiten Stadium bei Streckung des Sprunggelenkes mitwirken. Ihr grosses Moment am Kniegelenk w\u00fcrde in diesem Stadium der Bewegung nicht einmal mehr den Schenkelstreckern zur Last fallen, sondern durch die Schwere aufgewogen werden, da zu dieser Zeit der Schwerpunkt des K\u00f6rpers schon vor die Kniegelenkaxe f\u00e4llt.\nSo beginnt man z. B. auch einen Steinwurf mit pronirtem Vorderarm. Dadurch wird n\u00e4mlich der Biceps mehr ausgedehnt und kann also energischer bei der Adduktion des Humerus mitwirken.\nDie zweigelenkigen Muskeln haben aber auch eine zweckm\u00e4ssige Verwendung \u2014 was auf den ersten Blick als eine Paradoxie erscheint \u2014 bei solchen Bewegungen, wo das eine Gelenk im Sinne einer Zusammenziehung, das andere im Sinne einer Ausdehnung derselben gedreht wird. Wenn dabei die L\u00e4ngen\u00e4nderungen in entgegengesetztem Sinne durch die beiden Gelenkdrehungen gleich viel betragen, so leistet der zweigelenkige Muskel keine Arbeit, sondern wirkt wie ein rein physikalisch elastischer Strang. Diese Wirkung besteht n\u00e4mlich darin, dass ein Theil der Arbeit, welche gewisse, bloss das eine Gelenk \u00fcberspringende Muskeln leisten, durch die Spannung des Stranges auf das andere Gelenk \u00fcbertragen wird. Es k\u00f6nnte nun vom teleologischen Standpunkt scheinen, als Hesse sich in dieser Funktion der zweigelenkige Muskel durch einen blossen biegsamen und m\u00f6glichst wenig dehnbaren Faden \u2014 etwa einen Sehnenstrang \u2014 mit Vorth eil ersetzen, da ein solcher jeden erforderlichen Spannungsgrad durch geringf\u00fcgige Dehnung gleichsam von selbst annimmt und behauptet, ohne dass ein Verbrauch von Brennmaterial zur Erhaltung der bestimmten Spannung wie beim Muskel erforderlich ist. In der That w\u00e4re auch unzweifelhaft die Verwendung eines bloss physikalisch elastischen Stranges zweckm\u00e4ssig, wenn es sich um einen Mechanismus handelte, bei dessen Gebrauch mit einer gewissen Stellung des einen Gelenkes immer dieselbe Stellung des andern verkn\u00fcpft sein d\u00fcrfte. Ein solcher elastischer Strang von grossem Elasticit\u00e4tsmodulus n\u00e4mlich l\u00e4sst bei einer gewissen Stellung des einen Gelenkes nur gewisse Stellungen des andern zu, die eben keine merkliche Dehnung des Stranges verlangen. Solche Einrichtungen sind (wenn ich nicht irre) in den Extremit\u00e4ten der V\u00f6gel, wo es es auf eine ganz einseitige Leistung abgesehen ist, vielfach verwirklicht. Soll aber der Mechanismus eines vielseitigeren Gebrauches f\u00e4hig sein, so kann der Erfolg einer Uebertragung der","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"Zweigelenkige Muskeln.\n287\nArbeit nur erzielt werden durch zweigelenkige Muskeln, d. h. durch elastische Str\u00e4nge, welche die F\u00e4higkeit haben, bei sehr verschiedener L\u00e4nge in weiten Grenzen jeden beliebigen Spannungsgrad an-nehmen und aufrecht halten zu k\u00f6nnen.\nDer vorstehende Gedankengang ist in einer besonderen Untersuchung von Eugen Fick1 mit Bezug auf den Rectus femoris genau numerisch durchgef\u00fchrt. Vor Allem ist durch Beobachtung am lebenden Menschen festgestellt, dass dieser Muskel bei gleichzeitiger Ausstreckung des H\u00fcft- und Kniegelenkes, wie sie zur Erhebung des Rumpfes aus kauernder Stellung geschieht, wirklich im erregten Zustande ist. Weiter ist durch Messungen festgestellt, dass dabei die L\u00e4nge des Muskels kaum merklich ge\u00e4ndert wird, er also selbst zu der Arbeit der Erhebung des Schwerpunktes unmittelbar fast nichts beitr\u00e4gt. Dahingegen wird gezeigt, dass eine sehr bedeutende Arbeit durch seine Vermittelung von Seiten der H\u00fcftextensoren (Glu-taeus etc.) am Kniegelenke geleistet wird. Sie wird auf etwa V12 der ganzen zur Erhebung des Schwerpunktes erforderlichen Arbeit gesch\u00e4tzt. In der citirten Abhandlung wird endlich noch der Vortheil er\u00f6rtert, den der Organismus davon hat, wenn die Hauptmotoren mehr um die centraler gelegenen Gelenke angeh\u00e4uft sind, wie es eben durch die Uebertragung ihrer Arbeit auf weiter peripherisch gelegene Gelenke erm\u00f6glicht wird. W\u00e4re z. B. kein zweigelenkiger Strecker vorhanden und statt dessen ein entsprechender Theil der H\u00fcftgelenkmuskeln eingelenkig am Kniegelenk angebracht, so w\u00fcrde die Kniegegend erschwert werden und es m\u00fcsste also bei jedem Schritt auf ansteigender Bahn eine gr\u00f6ssere Last vergeblich um den Betrag erhoben werden, um welchen eben die Kniegegend beim Aufsetzen des Fusses wieder sinkt. Dieser Erw\u00e4gung kann noch die hinzugef\u00fcgt werden, dass, je weiter peripheriew\u00e4rts eine Muskelmasse an der Extremit\u00e4t angebracht ist, desto gr\u00f6sser ihr Tr\u00e4gheitsmoment bez\u00fcglich der Drehaxen des centralsten Gelenkes ist, was also rasche Bewegungen hervorzubringen und zu hemmen erschweren w\u00fcrde.\nIV. Maass der m\u00f6glichen Arbeit des Muskels am Gelenke.\nUm sich von der ganzen Arbeit, welche ein Muskel an einem Gelenke zu leisten vermag, eine ann\u00e4hernde Vorstellung zu verschaffen, muss man vor allen Dingen wissen, um welchen Betrag sich derselbe verm\u00f6ge des Bewegungsumfanges des Gelenkes zusam-\n1 Eugen Fick, Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat. Abth. 1879. S. 201.","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288 Fick, Spec. Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkr\u00e4fte an d. Gelenken.\nmenziehen kann oder mit andern Worten, durch welche Wegstrecke der Angriffspunkt seiner Spannung dieser Spannung folgen kann. Man m\u00fcsste zu diesem Ende erstens dem Gelenke diejenige Stellung geben, bei welcher der Ansatz des Muskels von seinem Urspr\u00fcnge m\u00f6glichst fern ist und die Entfernung messen ; dann m\u00fcsste man die Stellung suchen, bei der Ansatz und Ursprung einander m\u00f6glichst nahe sind und diese kleinste Entfernung m\u00fcsste von der gr\u00f6ssten abgezogen werden. Die Differenz w\u00e4re die gesuchte Wegstrecke oder die m\u00f6gliche Kontraktionsgr\u00f6sse. Am bequemsten kann die Bestimmung dieser Gr\u00f6sse auf folgende Art ausgef\u00fchrt werden: Man steckt an einem Gelenkpr\u00e4parate in die Ansatzstelle des Muskels ein H\u00e4kchen und bindet daran einen Faden, der durch ein an der Ursprungsstelle befestigtes Bingelchen gezogen ist; dieser Faden geht nun \u00fcber eine an dem den Ursprungsknochen tragenden Stative befestigte Rolle und wird durch ein an seinem Ende angebrachtes massiges Gewicht in Spannung erhalten. Man sucht jetzt durch Probiren diejenige Stellung des Ansatzknochens, bei welcher das den Faden spannende Gewicht am h\u00f6chsten steht, und hierauf diejenige, bei welcher es am tiefsten steht. Die Differenz dieser beiden H\u00f6hen, welche an einem Maassstabe ohne Weiteres abgelesen werden kann, ist offenbar die gesuchte Differenz zwischen der gr\u00f6ssten und kleinsten m\u00f6glichen L\u00e4nge des Muskels.\nExakte Messungen dieser Art sind vor Kurzem von Eugen Fick1 an einigen Schulter und Ellenbogenmuskeln ausgef\u00fchrt worden und m\u00f6gen ihre Zahlenergebnisse in den nachstehenden Tabellen Platz finden, die ohne weitere Erkl\u00e4rung verst\u00e4ndlich sein d\u00fcrften.\nBewegungen im Schult er gelenk.\nName des Muskels.\t\tLage des Humerus, wenn der Muskel maximal verk\u00fcrzt ist.\tLage des Humerus, wenn der Muskel m\u00f6glichst gedehnt ist.\tUnterschied zwischen der gr\u00f6ssten tf! kleinsten ] L\u00e4nge des Muskels, j\n1. Coracobrachialis .\t\tflex., add., rot. n. innen\text. abd. rot. n. aussen (spur.)\t7 6 mm.\n2.\tI.\tflex, (wenig) abd. (max.) rot. aus\text. (wenig) abd. (wenig) rot. in.\t61\n3. Infraspinatus .\tII.\tflex, (wenig) abd. (viel) rot. aus.\text. abd. rot. in.\t65\n4.\tIII.\tflex. u. abd. (etwa 35\u00b0) rot. aus.\t\u2014 abd. rot. in.\t64\n1 Arbeiten aus dem physiologischen Laboratorium der W\u00fcrzburger Hochschule. Herausgegeben yon A. Fick. IY. W\u00fcrzburg 1878.","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"Maass der m\u00f6glichen Arbeit des Muskels am Gelenke.\t289\nBewegungen im Schultergelenk.\n\t\t\t\tUnterschied !\n\t\tLage des Humerus,\tLage des Humerus,\tzwischen\nName des Muskels.\t\twenn der Muskel\twenn der Muskel\tder gr\u00f6ssten j u. kleinsten 1\n\t\tmaximal verk\u00fcrzt ist.\tm\u00f6glichst gedehnt ist.\tL\u00e4nge des J Muskels.\n\u00df' Teres major .\t\\\t! J\text. (wenig) add. (spur) rot. in.\tflex.(max.) abd. (etwas) rot. aus.\t112 mm. 116\ng\u2018 Supraspinatus . <j\t! H.\tflex, (max.) abd. (wenig) rot. in.\text. (max.) add. rot. in. (aber weniger)\t54 55\n9.\tf I.\trot. in.\trot. aus.\t58\nJl* Subscapularis . J\t1 II. , III.\trot.in.\text. abd. (wenig) rot. aus.\t57 52\n12.\u2019\t!Y.\text. abd. (etwa 30\u00b0)\tflex. abd. (90\u00b0) rot.\t73\n\t\trot. in.\taus.\t\n13. Cap. long, bicip. .\t\tflex.\trot. in.\text. add. rot. aus.\t40\n14. Cap. brev. bicip. .\t\tflex. add.\trot. in.\text. abd. rot. aus.\t64\n15. Cap. long.-tricip. .\t\text.\tflex. abd. (s. wenig)\t68\n\t\t\trot. aus. (wenig.)\t\nBewegungen im Ellenbogengelenk.\n\tM\u00f6gliche Y erk\u00fcrzung durch Beugung und\t\tM\u00f6gliche Yerk\u00fcrzung durch\t\t\nName des Muskels.\tStreckung bei\t\tPro- und Supination bei\t\t\n\tpronirtem Radius\tsupinirtem Radius\tgestrecktem Unterarm.\trechtwinkl. gebeugtem Unterarm.\tganz\tj gebeugtem Unterarm.\n1. Cap. breve bicip.\t77 mm.\t81 mm.\t2 mm.\t13 mm.\t8 mm.\n2. Cap. long, bicip. .\t.\t77\t82\t3,5\t16,5\t11\n3. Cap. long, tricip.\t4\t3\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n1. Cap. breve bicip. .\t.\t85\t\t8\t25\t14\n2. Cap. long, tricip. .\t.\t5\t1\t\t1\t\nSchon im Jahre 1851 hat Ed. Weber1 \u00e4hnliche Messungen und zwar fast f\u00fcr s\u00e4mmtliche Skelettmuskeln des K\u00f6rpers ausgef\u00fchrt. Leider fehlen gerade die von Fick behandelten Muskeln bei Weber zum grossen Theil, so dass man nur f\u00fcr Biceps und Cap. long, tri-cipitis die Resultate vergleichen kann. Hier hat nun Weber die Verk\u00fcrzung erheblich kleiner gefunden, n\u00e4mlich f\u00fcr den Biceps (kurzer und langer Kopf sind nicht unterschieden) 86 und f\u00fcr den langen Kopf des Triceps 92. Nach E. Fick\u2019s Bestimmungen k\u00e4me dem Caput longum bicipitis wenn man die Verk\u00fcrzungen an den beiden\n1 Ed. Weber, Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. Mathem.-phys. Kl. 1851. Handbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t19","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290 Fick, Spec. Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkr\u00e4fte an d. Gelenken.\nGelenken (40 und 81) addirt, eine Verk\u00fcrzungsm\u00f6glichkeit von 121 mm. zu und dem Cap. long, tricipit. (68 + 43 =) 111 zu.\nAber auch die Verk\u00fcrzungen anderer Muskeln scheinen von Weber kleiner angegeben, wie sie sich nach der von Fick angewandten Methode linden w\u00fcrden. Man kann n\u00e4mlich eine Vergleichung auch f\u00fcr die von Weber nicht ber\u00fccksichtigten Muskeln durchf\u00fchren mit H\u00fclfe eines von Weber aus seinen Messungen gefolgerten Gesetzes, welches dahin lautet, dass die maximale L\u00e4nge der Fleischfasern eines Muskels ungef\u00e4hr das Doppelte ihrer minimalen L\u00e4nge betr\u00e4gt oder mit andern Worten: die Fleischfasern aller Muskeln sind so lang, dass sie sich verm\u00f6ge des Bewegungsumfanges der Gelenke, auf welche sie wirken, von der gr\u00f6ssten L\u00e4nge, zu welcher sie gedehnt werden k\u00f6nnen, gerade etwa um die H\u00e4lfte dieser L\u00e4nge verk\u00fcrzen k\u00f6nnen. In der angezogenen Arbeit giebt nun Weber eine Tabelle von der maximalen L\u00e4nge der Fleischfasern, welche auch die von Fick auf ihre Verk\u00fcrzung gepr\u00fcften Schultermuskeln umfasst. Hier ist die gr\u00f6sste L\u00e4nge einer Faser des Cora-cobrachialis mit 61,5 mm. verzeichnet, w\u00e4hrend Fick als m\u00f6gliche Verk\u00fcrzung dieses Muskels 76 mm. (!) gefunden hat. Die l\u00e4ngste Faser des Supraspinatus giebt Weber zu 65 mm. an, so dass nach seinem Gesetze eine Verk\u00fcrzung von 32 mm. zu erwarten w\u00e4re. Fick fand sie = 58 mm. u. s. f. Diese Widerspr\u00fcche k\u00f6nnen nicht durch blosse individuelle Verschiedenheiten der der Messung unterworfenen Leichen erkl\u00e4rt werden. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass die Methode, nach welcher Weber die gr\u00f6sste L\u00e4nge und die Verk\u00fcrzung bestimmt hat, kleinere Zahlen liefern musste. Diese Vermuthung wird auch noch dadurch best\u00e4tigt, dass Gubler1, der auf meine Veranlassung schon vor l\u00e4ngeren Jahren solche Messungen anstellte, meist weit gr\u00f6ssere Verk\u00fcrzungen erhalten hat, als nach dem Weber-schen Gesetze zu erwarten waren. Jedesfalls verdient dieser von Weber zuerst ins Auge gefasste fundamentale Punkt der speciellen Bewegungslehre die volle Aufmerksamkeit der deskriptiven Anatomie. Der Gedanke Weber\u2019s, dass zwischen der gr\u00f6ssten und kleinsten m\u00f6glichen L\u00e4nge der Fleischfasern eine gesetzliche Beziehung von allgemeiner Geltung besteht, hat sehr grosse Wahrscheinlichkeit, da anzunehmen ist, dass eine Fleischfaser, welche nicht oft in gewissem Maasse gedehnt und zusammengezogen wird, an ihren Enden allm\u00e4hlich ver\u00f6det und sich theilweise in eine Sehnenfaser verwandelt.\n1 Gubler, Ueber die L\u00e4ngenverh\u00e4ltnisse der Fleischfasern einiger Muskelfasern. Z\u00fcrcher Inauguralabhandlung 1860.","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Vertheilung der Arbeit zweigelenkiger Muskeln.\n291\nIst die Verk\u00fcrzung, welche der Gelenkmechanismus zul\u00e4sst, bekannt und ist erwiesen, dass die kleinste L\u00e4nge durch vollst\u00e4ndige Entspannung im erregten Zustande auch wirklich erreichbar ist, so kann man sich sofort von der Arbeit, welche der Muskel an diesem Mechanismus zu leisten vermag, eine deutliche Vorstellung bilden, wenn man \u00fcber die Anfangsspannung und \u00fcber die Dehnungskurve geeignete Annahmen macht. L\u00e4sst man z. B. diese in erster Ann\u00e4herung f\u00fcr eine gerade Linie gelten, und nimmt an, dass mit der vollen Zusammenziehung die Spannung auf Null herabsinkt, so ist die bei einer Zusammenziehung nach vollentwickeltem Tetanus m\u00f6gliche Arbeit zu messen durch den Fl\u00e4cheninhalt eines Dreiecks, dessen Grundlinie die Anfangsspannung und dessen H\u00f6he die Zusammenziehung ist, oder sie ist gleich dem halben Produkt aus An-fangsspannnng und Verk\u00fcrzung, also ceteris paribus der Verk\u00fcrzung proportional. Die Anfangsspannung selbst ist aber alles Uebrige gleichgesetzt proportional dem Querschnitt des Muskels resp. desjenigen Muskeltkeiles, welcher f\u00fcr diese Betrachtung als wirkende Einheit betrachtet werden muss.\nAn der Hand der S. 289 mitgetheilten Zahlen lassen sich \u00fcber die Arbeit mehrgelenkiger Muskeln noch einige Bemerkungen machen. Das Caput longum bicipitis z. B. kann eine Verk\u00fcrzung von 40 mm. durch Drehung des Schultergelenkes und von 81 mm. durch Bewegung in den Ellenbogengelenken (Beugung und Supination) erleiden, im Ganzen also 121 mm. Es ist nun kaum zu bezweifeln, dass die Fasern des Biceps dieser vollen Verk\u00fcrzung ohne Faltung f\u00e4hig sind, ja sie verm\u00f6gen wahrscheinlich auf der H\u00f6he des erregten Zustandes bei dieser Verk\u00fcrzung immer noch eine merkliche Spannung auszu\u00fcben. Um sich davon zu \u00fcberzeugen, bringe man den Arm in die Lage, bei welcher der Biceps das Minimum seiner L\u00e4nge hat, Schultergelenk in Flexion und Rotation nach innen, Ellenbogengelenk in Flexion Radioulnargelenk in Supination, man wird jetzt immer noch durch willk\u00fcrliche Anstrengung im Biceps eine f\u00fcr den zuf\u00fchlenden Finger der andern Hand wahrnehmbare Spannung hervorbringen k\u00f6nnen. Sehen wir indessen von dieser gewiss nicht mehr grossen Spannung ganz ab und nehmen der Einfachheit wegen an, der lange Kopf des Biceps erreiche das von den Gelenken zugelassene Minimum seiner L\u00e4nge mit der Spannung Null, und er habe f\u00fcr eine in runder Zahl um 120 mm. gr\u00f6ssere L\u00e4nge bei vollentwickeltem Tetanus eine Spannung \u2014 Pkg. Stellen wir diese durch die Linie OM (Fig. 15) dar und errichten wir in 0 eine senkrechte OL so lang als die Verk\u00fcrzung betr\u00e4gt (in der Figur ist, um Raum zu\n19*","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292 Fick, Spec, Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkr\u00e4fte an d. Gelenken.\nsparen, der Maassstab auf die H\u00e4lfte reducirt), so ist LM die Dehnungskurve des Biceps, wenn wir dieselbe f\u00fcr eine gerade Linie gelten lassen, und der Fl\u00e4chenraum des Dreiecks LOM= 72. P. 120 Kilogrammeter, ist die Arbeit, welche der Bicepskopf bei seiner ganzen\nVerk\u00fcrzung an beiden Gelenken zu leisten vermag. Es w\u00e4re aber ein grosser Irrthum, wenn man glauben wollte, von dieser Arbeit k\u00f6nnte auf das Schultergelenk unter allen Umst\u00e4nden nur 4\u00b0/i20 (d. h. 73) und auf das Ellenbogengelenk 80/i 20 (also 2/3) verwendet werden, weil von der ganzen Kontraktion (= 120 mm.) 40 mm. auf die Drehung im Schultergelenk, 80 mm. auf die Drehung im Ellenbogengelenk entfallen. Es kann vielmehr in Wahrheit auf das Schultergelenk weit mehr als 40/i2o verwendet werden. Es kommt ganz darauf an, in welcher Reihenfolge die beiden Gelenke durch den Biceps bewegt werden. Wird z. B. zuerst das Schultergelenk gedreht, w\u00e4hrend der Muskel sich von seiner gr\u00f6ssten L\u00e4nge bis zu einer um 40 mm. kleineren kontrahirt, so wird auf dies Gelenk eine Arbeit verwandt, welche sich bemisst durch den Fl\u00e4cheninhalt des Trapezes OrsM, wenn das St\u00fcck Or 40 mm. vorstellt. Dieser Fl\u00e4chenraum ist aber = V2 (120 \u2014 2/3 X 80) P = ll% . 67. P, also bedeutend gr\u00f6sser als der dritte Theil von 72.120 . P. Ber\u00fccksichtigt man noch, dass die Dehnungskurve des Muskels in Wahrheit nicht die gerade Linie LMy sondern eine krumme Linie, etwa vom Verlaufe der punktirten ist, so stellt sich die berechnete Arbeit als ein noch gr\u00f6sserer Bruchtheil von der gesammten bei voller Zusammenziehung geleisteten Arbeit heraus. Analoge Betrachtungen lassen sich nat\u00fcrlich in Bezug auf andere mehrgelenkige Muskeln anstellen.\nDie in diesem Capitel zusammengestellten allgemeinen Lehren \u00fcber den dynamischen Effekt der elastischen Kr\u00e4fte der Muskeln an den Gelenken sind freilich noch sehr l\u00fcckenhaft, aber sie zeigen, wie mir scheint, dass hier ein sehr dankbares Feld der Untersuchung noch fast ganz unbebaut liegt. Es bietet eine F\u00fclle von Einzelproblemen, welche einer ebenso leichten als zierlichen L\u00f6sung f\u00e4hig sind.","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Definition der Muskeleinlieit.\n293\nSECHSTES CAPITEL.\nStatische Momente der Muskelkr\u00e4fte an den\nGelenken.\nI. Definition der Muskeleinlieit.\nMehr als die dynamischen sind bis jetzt die statischen Probleme der Muskelmechanik bearbeitet worden. Es handelt sich dabei um die Frage, in welcher Bahn, in welchem Sinne und mit welcher Kraft strebt ein oder mehrere Muskeln den Knochen, an dem sie befestigt sind, in einer bestimmt angenommenen Lage zu bewegen, wenn auch noch die Spannung der Muskelfasern bekannt vorausgesetzt ist, d. h. eine wie gerichtete und wie grosse andere Kraft w\u00fcrde unter den durch das Gelenk gesetzten Bedingungen im gew\u00e4hlten Augenblicke den Muskelspannungen Gleichgewicht halten. Oder man kann auch die umgekehrte Frage stellen: in einer bestimmten Lage greife eine bestimmte Kraft den beweglich gedachten Knochen an, welcher Muskel oder welche Muskeln m\u00fcssen in Spannung versetzt werden und in welchem Grade, um der angenommenen Kraft Gleichgewicht zu halten.\nUm sich \u00fcber diese Fragen zu orientiren, muss vor Allem festgesetzt werden, welche anatomischen Gebilde als mechanische Einheiten gelten sollen. Streng genommen ist jede einzelne Muskelfaser eine solche, da im Allgemeinen die Spannungen verschiedener Muskelfasern an Intensit\u00e4t und Lichtung verschieden sein werden. Es w\u00fcrde aber zu einer un\u00fcbersehbaren Verwickelung der Aufgaben f\u00fchren und man wird Komplexe von Muskelfasern zweckm\u00e4ssig als wirkende Einheiten zusammenfassen. Dabei kann aber die anatomische Benennung solcher Komplexe mit einem Namen nicht wohl maassgebend sein. In der That fasst die Anatomie h\u00e4ufig unter einem Namen muskul\u00f6se Gebilde zusammen, deren verschiedene Theile sehr verschiedenartig auf das Gelenk wirken, oft sogar fast vollst\u00e4ndig antagonistisch, wie dies z. B. f\u00fcr den Musculus deltoideus der Fall ist. Auch l\u00e4sst sich zeigen, dass die verschiedenen Theile solcher Muskeln im Leben keineswegs als mechanische Einheiten verwendet werden, vielmehr ist bei der einen Bewegung dieser, bei einer andern jener Theil in Th\u00e4tigkeit. Endlich w\u00fcrde in vielen F\u00e4llen gar keine Resultante der Spannungen s\u00e4mmtlicher Fasern","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc.\nexistiren, so dass es also \u00fcberhaupt unm\u00f6glich w\u00e4re, die Gesammt-spannung des Muskels als eine Kraft in die Rechnung einzuf\u00fchren. Man muss demnach viele einheitlich benannte Muskeln f\u00fcr die mechanische Betrachtung in mehrere Theile zerlegen. Jeder Theil muss vor Allem so beschaffen sein, dass die Spannungen seiner s\u00e4mmt-lichen Fasern eine Resultante haben. Dies ist sicher dann der Fall, wenn die Richtungen der Fasern sich in einem Punkte schneiden, der \u00fcbrigens auch in unendlicher Ferne liegen darf. Eine Resultante der s\u00e4mmtlichen einzelnen Faserspannungen wird auch dann existiren, wenn der Faserkomplex \u201egefiedert\u201c ist, etwa nach dem Schema der Fig. 16, was wohl keines besonderen Beweises bedarf. Hier m\u00fcssen nur die Werthe der Spannungen der Bedingung gen\u00fcgen, dass immer die Resultirende der Spannungen zweier in der Mittelsehne sich treffender Fasern in die Richtung dieser Mittelsehne f\u00e4llt.\nEs wird in allen F\u00e4llen leicht m\u00f6glich sein, einen von der deskriptiven Anatomie einheitlich benannten Muskel, der mechanisch nicht als Einheit behandelt werden kann, in solche St\u00fccke passend zu*zerlegen, deren Fasern entweder ann\u00e4hernd auf einen Punkt konvergiren oder gefiedert angelegt sind, so dass eine Resultante aller Spannungen angegeben werden kann. Auch wird es, wenn man die Theilst\u00fccke nicht allzugross w\u00e4hlt, immer erlaubt Fig. i6. sein, als Richtung der Resultante die gerade Linie gelten zu lassen, welche zwei nach dem Augenmaasse in die Mitte der Ursprungsfl\u00e4che und der Ansatzfl\u00e4che des Faserb\u00fcndels gesetzte Punkte verbindet.\nIn sehr vielen F\u00e4llen trifft \u00fcbrigens die anatomische Benennung der Muskeln mit einem Namen solche Faserkomplexe, welche auch vom mechanischen Gesichtspunkte aus als Einheiten gelten m\u00fcssen. Dies ist namentlich immer dann der Fall, wenn die Fleischmasse des Muskels an beiden Enden in eine str\u00e4ng- oder bandf\u00f6rmige Sehne ausl\u00e4uft. Diese haben an den Knochen nahezu punktuelle Befestigung und die Verbindungslinie dieser Punkte ist selbstverst\u00e4ndlich dann die Richtung der resultirenden Kraft. Bei manchen Muskeln dieser Art setzen sich die Sehnen tief in die Fleischmasse fort und die eigentlichen Muskelfasern sind viel k\u00fcrzer als es auf den ersten Blick scheinen k\u00f6nnte. Solche Muskeln sind gew\u00f6hnlich von einer Seite her betrachtet gefiedert, von der andern rhomboidal. Ein auss gezeichnetes Beispiel derart hat man im Gastrocnemius, besonders in dem des Frosches. Der rhomboidalen Anordnung der Fasern","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Wahl der Muskeleinheit.\n295\nzwischen zwei Sehnen spricht merkw\u00fcrdigerweise Borelli 1 die M\u00f6glichkeit ab, einem Zug an der einen Sehne durch ihre Spannung Gleichgewicht halten zu k\u00f6nnen. Offenbar ist aber dies doch m\u00f6glich, selbstverst\u00e4ndlich nur unter Ber\u00fccksichtigung der Inkompressibilit\u00e4t der Muskelmasse, deren Fasern sich gegeneinander dr\u00fccken. Borelli l\u00e4sst nur in dem Falle die M\u00f6glichkeit gelten, dass durch den rhomboidalen Muskel eine Kraft am Knochen im Gleichgewicht gehalten werden k\u00f6nne, wenn seine Fasern zwischen zwei starren Balken \u00fcberspringen. Dieser Fall ist in ausgezeichnet schematischer Weise am menschlichen K\u00f6rper verwirklicht in den Mm. rhomboidei des Schulterblattes und etwas weniger einfach in den Mm. intercostales. Es soll indessen hier nicht n\u00e4her eingegangen werden in die ziemlich einfachen Ueberlegungen, welche sich \u00fcber Zugrichtung und Zugkraft solcher Muskeln anstellen lassen, weil die Mechanismen, auf welche sie wirken, ziemlich verwickelte geometrische Bedingungen der virtuellen Bewegungen setzen, die sich nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse nicht wohl allgemein und systematisch behandeln lassen. Bez\u00fcglich solcher Detailfragen mag hier hingewiesen werden auf ein Werk von Haughton1 2, in welchem zahlreiche einzelne Probleme derart mathematisch behandelt sind.\nSind nach den vorstehend entwickelten Grunds\u00e4tzen die mechanischen Muskeleinheiten gew\u00e4hlt und die Richtungen der Resultanten bestimmt, so kann man an die L\u00f6sung der im Eing\u00e4nge dieses Ca-pitels bezeichneten Probleme gehen. Die Intensit\u00e4t der in der Richtung der Resultante wirksam zu denkenden Kraft ist, wenn der Muskel aus lauter parallelen Fasern besteht, gleich zu setzen dem Produkte aus Querschnitt und der f\u00fcr die Fl\u00e4cheneinheit des Querschnittes entwickelten Spannung. Wenn die Fasern des Muskels konvergiren oder gefiedert oder rhomboidal angeordnet sind, so w\u00e4re das Produkt noch mit einem Coefficienten zu multipliciren, der von der besonderen Form abh\u00e4ngt, der aber in den wirklich zu betrachtenden F\u00e4llen kaum von der 1 merklich verschieden ist.\nII. Bestimmungen des Momentes am artlirodisclien Gelenke bei gegebenen Spannungen.\nDas allgemeinste und schwierigste der \u00fcberhaupt bis jetzt in Angriff genommenen statischen Probleme der Muskelmechanik ist die vollst\u00e4ndige Bestimmung der Richtung und Gr\u00f6sse einer Kraft,\n1\tBorelli, Propos. Y.\n2\tHaughton, Principles of animal mechanics. 2. Aufl. London 1873.","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc.\nwelche an einem arthrodischen Gelenke in der Einheit der Entfernung vom Drehpunkt angebracht und senkrecht auf die Verbindungslinie ihres Angriffspunktes und des Drehpunktes wirkend der gegebenen Spannung eines oder mehrerer auf dasselbe Gelenk wirkender Muskeln Gleichgewicht h\u00e4lt. Man kann dieses Problem kurz bezeichnen als die Aufgabe, das \u201eMoment\u201c zu finden, welches die Spannung eines oder mehrerer Muskeln an einem arthrodischen Gelenke hervorbringt. Ist dies Problem gel\u00f6st, so ergeben sich die L\u00f6sungen der entsprechenden Probleme f\u00fcr zwangl\u00e4ufige Gelenke von selbst. F\u00fcr die nicht zwangl\u00e4ufigen Gelenke (Sattelgelenke etc.), welche nicht Arthrodieen sind, hat man bis jetzt noch nicht versucht, die statischen Grundprobleme zu behandeln, dieselben haben \u00fcbrigens auch vorl\u00e4ufig geringeres Interesse, da diese Gelenke von geringerer Bedeutung f\u00fcr die grossen Bewegungen sind und andererseits ihr Muskelapparat keine solche Mannigfaltigkeit darbietet wie der der grossen Arthrodieen.\nDie soeben aufgeworfenen Fragen kann man auch mehr anschaulich so formuliren. Wenn ein an einem arthrodischen Gelenke angebrachter Muskel eine gewisse Spannung aus\u00fcbt, um welche Axe strebt er dann das Gelenk zu drehen? und mit welcher Kraft? d. h. welche Winkelbeschleunigung w\u00fcrde er, wenn das Glied seiner Spannung frei \u00fcberlassen w\u00fcrde, demselben im n\u00e4chstfolgenden Zeitdifferential ertheilen? endlich: was wird eintreten, wenn mehrere Muskeln gleichzeitig gespannt sind ? Soll die erste dieser Fragen nur ungef\u00e4hr beantwortet werden, so kann man an einem Pr\u00e4parate den betreffenden Muskel mit der Hand ziehen und Zusehen, in welcher Lichtung sich das Glied zu bewegen anf\u00e4ngt. Man kann auch versuchen, am lebenden Menschen zu beobachten, wie sich das Glied bei Zusammenziehung des Muskels bewegt. Nat\u00fcrlich muss daf\u00fcr gesorgt werden, dass sich die zu untersuchende Muskelparthie ausschliesslich zusammenzieht, was durch lokale elektrische Reize meist hinl\u00e4nglich genau geschehen kann. In dieser Weise hat Duchenne die Wirkung fast s\u00e4mmtlicker Muskeln des menschlichen K\u00f6rpers sorgf\u00e4ltig untersucht und die Resultate der Untersuchung in seinem bewunderns-werthen Werke1 niedergelegt. So interessant diese Resultate auch sind, so kann in ihnen doch keine befriedigende L\u00f6sung der statischen Probleme der Muskelmechanik gefunden werden. Erstens n\u00e4mlich wirkt bei solchen Versuchen wohl niemals die Spannung der gereizten Muskeln allein, denn es ist unm\u00f6glich, die bloss ela-\n1 Duchenne, Physiologie des mouvements. Paris 1867.","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Berechnung des Muskelmomentes.\n297\nstische Spannung der \u00fcbrigen ruhenden Muskeln auszuschliessen\u00bb und in weitaus der Mehrzahl der F\u00e4lle wirkt auch die Schwere des zu bewegenden Gliedes als fremde Kraft mit. Zweitens kann die Axe des Momentes oder die Axe, um welche der Muskel ein arthrodisches Gelenk zu drehen strebt, doch nur ungef\u00e4hr nach dem Augenmaasse bestimmt werden und die Gr\u00f6sse des Momentes \u00fcberhaupt gar nicht. Drittens endlich wird es nie m\u00f6glich sein, auf dem Wege der Versuche mit elektrischer Reizung das resultirende Moment verschiedener Muskeln bei gegebenem Verh\u00e4ltnisse ihrer Spannungen zu ermitteln, denn wenn man auch mehrere Muskeln gleichzeitig reizen kann, so kann man doch nicht einen ganz bestimmten Spannungsgrad in jedem einzelnen willk\u00fcrlich hervorbringen.\nUm die Momente der auf ein arthrodisches Gelenk wirkenden Muskeln genau zu bestimmen, ist daher der einzige Weg Messungen an Pr\u00e4paraten von normal gebildeten Leichen anzustellen. Am einfachsten kann dies in folgender Weise ausgef\u00fchrt werden. Bei einer wohl charakterisirten Stellung des Gelenkes bestimmt man in einem willk\u00fcrlich gew\u00e4hlten System die rechtwinkligen Koordinaten der auf Punkte reducirten Urspr\u00fcnge und Ans\u00e4tze der Muskeln (im mechanischen Sinne des Wortes) und die Koordinaten des Drehpunktes. Es k\u00f6nnen dann durch einfache trigonometrische Rechnungen die Winkel gefunden werden, welche die Axe des Momentes eines Muskels mit den Koordinatenaxen bildet. In der That wird ja jeder Muskel f\u00fcr sich allein wirkend das Gelenk zu drehen streben um eine Axe, welche im Drehpunkt senkrecht steht auf der Ebene, welche die Richtung der Resultante des Muskels und den Drehpunkt enth\u00e4lt. Da man aber die Koordinatenwerthe von drei Punkten dieser Ebene kennt, n\u00e4mlich des Ursprungs des Ansatzpunktes und des Drehpunktes, so kann man die Gleichung dieser Ebene sogleich hinschreiben und daraus die Winkel bestimmen, welche die auf ihr errichtete Normale mit den Koordinatenaxen bildet. Die Gr\u00f6sse des Momentes ist die Gesammtspannung des Muskels multiplicirt mit dem Arm des Momentes, d. h. dem vom Drehpunkt auf die Richtung der Resultante gef\u00e4llten Perpendikel. Dies Produkt ist mit andern Worten die Kraft, mit welcher in der die Resultante und den Drehpunkt enthaltenden Ebene an einem der L\u00e4ngeneinheit gleichen Hebelarm senkrecht gezogen werden m\u00fcsste, um der Muskelspannung Gleichgewicht zu halten.\nWenn die Axenrichtung und Gr\u00f6sse des Momentes f\u00fcr einen Muskel bestimmt ist, so bleibt noch der Sinn der Drehung anzugeben d. h. ob der Muskel den Knochen um die Axenrichtung nach der","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc.\neinen oder der andern Seite lierumzudrehen strebt. Dies kann aber durch die Angabe der Winkel zwischen der Axenrichtung und den Koordinatenrichtungen gleich mitbezeichnet werden, wenn man folgende Verabredung ein f\u00fcr allemal trifft, analog derjenigen, welche wir oben (S. 256) trafen bei der Darstellung der blossen Bewegung ohne R\u00fccksicht auf die Kr\u00e4fte : Als Axe des Momentes soll nicht die ganze nach beiden Seiten ins Unendliche gehende Gerade gelten, sondern nur eine vom Drehpunkt aus nach einer Seite ins Unendliche gehende H\u00e4lfte, und zwar diejenige, in welcher ein Beobachter mit den F\u00fcssen im Drehpunkte stehen m\u00fcsste, wenn ihm die durch das Moment hervorgebrachte Drehung so erscheinen sollte, wie die Drehung des Zeigers einer Uhr, dessen Zifferblatt er vor sich hat. Denken wir uns also z. B. die auf der Ebene des Papieres senkrechte Richtung als Axenrichtung, so w\u00fcrde die H\u00e4lfte nach aufw\u00e4rts \u201eHalbaxe\u201c eines Momentes sein, welches das Papierblatt so zu drehen strebt, w\u00e4hrend f\u00fcr ein Moment, welches so Z' zu drehen strebt, als Halbaxe zu definiren w\u00e4re, die nach unten gerichtete Normale auf das Papier. Wenn jetzt ebenso die Koordinatenrichtungen nur nach einer Seite vom Urspr\u00fcnge in Betracht gezogen werden, so bestimmen drei Winkel, deren Gr\u00f6sse von 0 bis 180\u00b0 variiren kann, nicht nur die Axenrichtung, sondern auch den Sinn der Drehung. Ist z. B. eine Halbaxe durch drei spitze Winkel mit den positiven Koordinatenrichtungen bestimmt, so ist die Halbaxe des genau entgegengesetzten Momentes, dessen Halbaxe die Verl\u00e4ngerung der ersteren ist, bestimmt durch die drei stumpfen Nebenwinkel.\nEs versteht sich von selbst, dass das Moment eines Muskels f\u00fcr jede Stellung des Gelenkes besonders bestimmt werden muss. Seine Gr\u00f6sse \u00e4ndert sich sogar dann, wenn der Knochen um die Axe des Momentes selbst gedreht wird. Wenn irgend eine andere Stellungs\u00e4nderung stattfindet, so wird auch die Halbaxe des neuen Momentes eine andere Lage haben. Sind die Koordinaten der Muskelurspr\u00fcnge und Ans\u00e4tze f\u00fcr eine Lage bekannt, so kann \u00fcbrigens f\u00fcr eine neue genau bestimmte Lage jedes Moment durch blosse Rechnung gefunden werden, ohne dass neue Originalmessungen n\u00f6thig w\u00e4ren. Denn man kann ja die neuen Koordinatenwerthe der Ansatzpunkte alsdann aus den alten berechnen und die Koordinaten der Urspr\u00fcnge bleiben unver\u00e4ndert.","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Zerlegung der Muskelmomente.\n299\nIII. Zerlegung des Muskelmomentes an der Artlirodie in drei\nKomponenten.\nMan kann die Momente der auf eine Arthrodie wirkenden Muskeln noch auf eine etwas andere Art darstellen, welche sich aufs engste an die in der deskriptiven Anatomie gebr\u00e4uchliche Bezeichnung der Muskelfunktionen anschliesst. Diese Darstellungsart beruht auf folgendem Lehrs\u00e4tze der Mechanik: Wirken auf einen um einen Punkt drehbaren starren K\u00f6rper mehrere Kr\u00e4fte und tr\u00e4gt man auf den Halbaxen ihrer Momente vom Drehpunkt aus Strecken auf, welche der Gr\u00f6sse dieser Momente proportional sind, so stellt die nach der Regel des Kr\u00e4fteparallelogrammes konstruirte Resultante \u2014 \u201egeometrische Summe\u201c \u2014 dieser Strecken durch ihre L\u00e4nge die Gr\u00f6sse und durch ihre Richtung die Halbaxe des Momentes dar, welches durch das Zusammenwirken der Kr\u00e4fte hervorgebracht wird. Was den Beweis dieses Lehrsatzes betrifft, so ist auf die Darstellungen der theoretischen Mechanik zu verweisen.\nMan kann demnach auch umgekehrt ein gegebenes Moment nach der Regel des Kr\u00e4fteparallelogrammes in komponirende Momente zerlegen. Offenbar hat dies umgekehrte Problem keine bestimmte L\u00f6sung, vielmehr kann die Zerlegung auf unendlich viele verschiedene Arten bewerkstelligt werden, so dass man noch einige Bedingungen willk\u00fcrlich einf\u00fchren kann. Insbesondere wird das Problem bestimmt, wenn man drei willk\u00fcrliche Axenrichtungen festsetzt, und verlangt, das gegebene Moment soll in drei Komponenten zerlegt werden, deren Halbaxen in diese drei Richtungen fallen, denn es giebt nur ein Parallelepiped, welches das gegebene Moment (der Gr\u00f6sse und Richtung nach) zur Diagonale hat und dessen zusammenstossende drei Seiten in den angenommenen Richtungen liegen.\nWenn man also durch den Drehpunkt eines artkrodischen Gelenkes in bestimmter Stellung ein f\u00fcr allemal drei Richtungen festlegt, so kann man die Momente aller darauf wirkenden Muskeln auch so angeben, dass man f\u00fcr jeden die drei komponirenden Momente um jene drei Axen angiebt. Nat\u00fcrlich wird es sich empfehlen, die drei willk\u00fcrlich zu w\u00e4hlenden Axen aufeinander senkrecht zu legen. Man kann nun drei aufeinander senkrechten Axenrichtungen eine solche besondere Lage geben, dass die Bestimmung eines Muskelmomentes durch die drei Komponenten um diese Axen mit der in der Anatomie gebr\u00e4uchlichen Bezeichnungsweise der Muskelwirkung in Uebereinstimmung kommt. Man denke sich n\u00e4mlich das arthrodisch verbundene Glied (Arm oder Bein) am aufrecht stehenden","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc.\nK\u00f6rper frei herabh\u00e4ngend und lege durch den Drehpunkt eine Richtung vertikal, die zweite horizontal, der Medianebene des K\u00f6rpers parallel, die dritte ebenfalls horizontal auf die Medianebene senkrecht. Diese drei Richtungen m\u00f6gen zugleich immer als Koordinatenrichtungen gebraucht werden. Es sind dieselben Richtungen, welche schon fr\u00fcher (S. 261) zur Beschreibung der Stellungs\u00e4nderung der Gelenke benutzt worden sind. Die Komponente des Momentes eines Muskels um die sagittale Richtung wird man alsdann im Sinne der anatomischen Benennungsweise als das adduktorisehe resp. ab-duktorische Moment des Muskels bezeichnen k\u00f6nnen, die Komponente um die frontale Richtung als das flexorische resp. extensorische und die um die vertikale Richtung als das rotatorische Moment nach aussen resp. nach innen. Wenn ein gewisser Muskel nach der Sch\u00e4tzung mit dem Augenmaasse von der Anatomie richtig bezeichnet ist als Flexor mit der Nebenwirkung, etwas zu abduciren und ein wenig nach aussen zn rotiren, so wird die auf genaue Messungen gegr\u00fcndete Berechnung der Momentkomponenten heraussteilen, dass die Komponente um die sagittale Richtung die gr\u00f6sste, das Moment um die frontale Richtung kleiner und das um die vertikale am kleinsten ist. Die Momentkomponenten haben auch eine wirklich physische Bedeutung. Die Komponente bez\u00fcglich einer bestimmten Axenrichtung w\u00fcrde n\u00e4mlich das Moment des Muskels schlechthin sein, wenn durch irgend eine Veranstaltung das Gelenk f\u00fcr einen Augenblick in ein zwangl\u00e4ufiges verwandelt w\u00e4re, welches nur um die betreffende Axenrichtung Drehung gestattete.\nBei der in Rede stehenden Angabe des statischen Momentes eines Muskels durch drei Komponenten muss nat\u00fcrlich noch in bequemer Weise bezeichnet werden, in welchem Sinne jede Komponente das Glied um die Axenrichtung dreht. Zu diesem Ende m\u00fcssen in jeder der drei Axenrichtungen die beiden Halbaxen durch ein Zeichen unterschieden werden, z. B. in der sagittalen Richtung die Halbaxe vom Drehpunkt nach vorn und die Halbaxe nach hinten u. s. w. Am bequemsten geschieht dies durch die algebraischen Vorzeichen -f- und \u2014, von welchen man eines jeder Momentskomponente vorzusetzen hat. Dann ist durch die drei Komponenten der Muskel statisch vollst\u00e4ndig charakterisirt.\nDie drei Komponenten des Momentes eines Muskels um drei willk\u00fcrlich gew\u00e4hlte Axen kann man auch durch direkte Versuche an einem Gelenkpr\u00e4parate bestimmen und diese Bestimmungsweise hat vor der durch Berechnung auf Grund von Koordinatenmessungen der Urspr\u00fcnge und Ans\u00e4tze der Muskeln manche Vorz\u00fcge. Besonders","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Direkte Bestimmung der Momentkomponenten.\n301\nist dies dann der Fall, wenn die Sehne des Muskels \u00fcber eine glatte Knochenstelle gleitet und die Richtung des Zuges am Ansatzpunkte nicht die Fortsetzung der Faserrichtung ist und auch nicht genau zusammenf\u00e4llt mit der Verbindungslinie zwischen Ursprungs- und Ansatzpunkt, was bei der Berechnung der Momente aus den Koordi-natenwerthen dieser Punkte vorausgesetzt wird.\nDa nach der zweiten Methode auch schon einige Bestimmungsreihen von Muskelmomenten wirklich ausgef\u00fchrt sind, so mag sie hier auch noch kurz beschrieben und begr\u00fcndet werden. Man ersetzt die auf eine Arthrodie wirkenden Muskeln resp. Muskelabtheilungen, welche als mechanische Einheiten gew\u00e4hlt sind, durch F\u00e4den. Jeder solche Faden ist an der Ansatzstelle des Muskels am beweglich gedachten Knochen befestigt und l\u00e4uft durch ein an der Ursprungsstelle befestigtes Kinglein von da in geeigneter Kichtung \u00fcber eine kleine Bolle, von der er durch ein kleines Gewicht beschwert herabh\u00e4ngt. Der Faden wird also zwischen Ursprung und Ansatz genau die Kichtung der gespannten Muskelfasern haben und am Ansatzknochen genau in der Richtung des Muskels ziehen auch in den F\u00e4llen, wo er unterwegs etwa um einen Knochenvorsprung umbiegen muss. Der Ursprungsknochen des so vorgerichteten Pr\u00e4parates ist vollst\u00e4ndig im Raume fixirt und der Ans\u00e4tzknochen zun\u00e4chst in die willk\u00fcrlich gew\u00e4hlte Prim\u00e4rlage gebracht, f\u00fcr welche die Momente bestimmt werden sollen. Die an den F\u00e4den h\u00e4ngenden Gewichte spielen vor ebenso vielen senkrecht aufgestellten Maassst\u00e4ben, so dass man ihr Steigen oder Sinken bei einer Bewegung des Ansatzknochens messen kann. Nun wird dieser letztere um einen bestimmten kleinen Winkel (z. B. 5\u00b0) aus der Prim\u00e4rlage herausgedreht um eine der gew\u00e4hlten positiven Haupthalbaxen. Dabei werden die Gewichte sinken, deren Muskeln eine Momentkomponente um diese Halbaxe haben, denn ihr Ansatz wird bei dieser Drehung dem Ursprung gen\u00e4hert; dagegen werden die Gewichte steigen, deren Muskeln eine Momentkomponente um die entgegengesetzte Haupthalbaxe haben. Macht man sodann eine gleiche Drehung um die entgegengesetzte Haupthalbaxe, so werden die im vorigen Falle gesunkenen Gewichte nunmehr steigen und umgekehrt. Ist der Drehungswinkel sehr klein, so wird jedes Gewicht in einem Falle ziemlich genau so viel steigen als es im anderen sinkt. Der Betrag dieses Steigens und Sinkens, d. h. der Betrag der Verk\u00fcrzung resp. Verl\u00e4ngerung, die der Muskel bei diesen Drehungen erleidet, wird an den Maassst\u00e4ben abgelesen. Der Quotient dieses Betrages dividirt durch den kleinen Drehungswinkel ist sofort das Maass f\u00fcr das Moment, welches","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc\nder Muskel f\u00fcr eine der Krafteinheit gleiche Spannung am Gelenke um die betreffende Hauptaxenrichtung aus\u00fcbt, nat\u00fcrlich ist dabei noch das Vorzeichen (Sinken +, Steigen \u2014) zu ber\u00fccksichtigen. Pr\u00fcft man in dieser Weise nacheinander die drei Hauptaxenrichtun-gen durch, so erh\u00e4lt man f\u00fcr jeden Muskel die drei Komponenten seines Momentes. Die zahlreichen Schwierigkeiten und die Vorsichtsmaassregeln1, welche zur Gewinnung genauer Resultate n\u00f6thig sind, k\u00f6nnen hier nicht beschrieben werden.\nStreng richtig w\u00fcrden die Ergebnisse dieser Methode nur dann sein, wenn der Drehungswinkel unendlich klein w\u00e4re. Sie sind aber jedesfalls, wenn der Drehungswinkel 10\u00b0 nicht \u00fcbersteigt und man noch gewisse Korrektionen anbringt, bez\u00fcglich deren auf die eitirte Abhandlung verwiesen werden muss, so genau, als man es auf diesem Gebiete nur irgend verlangen kann.\nEiner ausf\u00fchrlichen principiellen Begr\u00fcndung bedarf eigentlich die Methode nicht, da sie eine unmittelbare Anwendung des Principes der virtuellen Geschwindigkeiten ist. Da aber dies in seiner Allgemeinheit nicht anschaulich ist, mag hier noch ein direkter Beweis f\u00fcr die Richtigkeit der Methode Platz finden, welcher eigentlich in derselben Betrachtung besteht, die wir schon zu einem andern Zwecke angestellt haben (s. S. 278). 0 sei der Drehpunkt, zugleich Ursprung der Koordinaten, deren positive Halbaxen OX, O Y, OZ. M sei der Ansatzpunkt des Muskels am beweglich gedachten Gliede, M A7 seine Zugrichtung. Um diese Richtung perspektivisch zu vergegenw\u00e4rtigen, sind die beiden Punkte M und N dieser Richtung in der Fig. 17 auf die Koordinatenebenen projicirt. Es ist gut, zu bemerken, dass diese Richtung nicht\nY'\nFig. 17.\n1 Sie sind ausf\u00fchrlich er\u00f6rtert von Eugen Fick in der schon oben citirten Abhandlung. Arbeiten aus dem physiol. Laboratorium der W\u00fcrzburger Hochschule IV. W\u00fcrzburg 1878.","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Direkte Bestimmung der Momentkomponenten.\n303\nnothwendig die Richtung vom Ansatz nach dem anatomischen Ursprung zu sein braucht, man denke etwa an den M. obliquus superior des Auges. Wird das beweglich gedachte Glied um die i^axe gedreht, so beschreibt der Punkt M einen Kreis in einer der XYebene parallelen Ebene, dessen Mittelpunkt der Punkt R der Zslxg ist. Sein Umfang ist in perspektivischer Verk\u00fcrzung durch die punktirte Ellipse dargestellt. Wir wollen uns jetzt eine positive Drehung um den unendlich kleinen Winkel dco = MRM'1 ausgef\u00fchrt denken, welche den Punkt M nach M' versetzt. Das Bogenst\u00fcck MM, das bei der Kleinheit des Winkels auch f\u00fcr eine gerade Linie gelten kann, ist \u2014 rd co, wenn wir unter r den Halbmesser RM verstehen. Die Verk\u00fcrzung, welche bei dieser Verschiebung des Ansatzpunktes von M nach M' der Muskel erleidet, ist offenbar die Projektion der kleinen Geraden MM' auf die Richtung MN oder rdco. Cos (NMM'). Um den Cos {M'MN) zu finden, wenden wir den bekannten Satz der Trigonometrie an :\nCos (Mi, M2) = Cos ai Cos a-2 -f- Cos \u00dfi Cos \u00dfz -f- Cos yi Cos y-i, wo (Mi, MM der Winkel zwischen zwei Richtungen Mi und M2 bedeutet und cci, \u00dfi, y y die Winkel sind, welche die Richtung Mi sowie a-i, \u00dfi, y-2 die Winkel, welche die Richtung M2 mit den positiven Koordinatenrichtungen einschliesst. Die Winkel zwichen der Kraftrichtung MN und den positiven Koordinatenrichtungen m\u00f6gen mit a, \u00df, y bezeichnet werden. Die Cosinus der Winkel zwischen der Richtung MM' und den positiven Koordinatenrichtungen lassen sich in den Koordinaten x, y, z des Punktes M ausdriicken. Um es bequemer zu \u00fcbersehen ist in Fig. 18 ein Auszug aus Fig. 17 gegeben, in welchem die hier in Betracht kommenden Punkte der zur X Y ebene parallelen Ebene aus der Zurichtung angesehen dargestellt sind. Die Buchstaben entsprechen denen der Fig. 17. Es ist nun der Winkel zwischen MM' und der positiven AMichtung gleich dem stumpfen Nebenwinkel des Winkels MRS, also\nsein Cosinus =------\u2014, der Winkel\nr\nzwischen MM' und der positiven Y-\nrichtung ist gleich dem Winkel MR Q, also sein Cosinus = \u2014, endlich\nist der Winkel zwischen MM' und der Zurichtung ein rechter, also sein Cosinus = 0. Man hat also\nCos (M'MN) = - JL Cos\tCos \u00df = ~(x Cos \u00df \u2014 y Cos a)\nund die Verk\u00fcrzung des Muskels bei der positiven Drehung um die Zaxe im Betrage von dco\n\u2014 rdco Cos {M'MN) = \u00e0 co (x Cos \u00df \u2014 y Cos a) = V\n1 Um die Figur nicht zu verwirren, sind die Schenkel dieses Winkels RM und RM' nicht gezeichnet.\nFig. 18.","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc.\noder\tn\tn\tV\nx Cos a \u2014 y Cos ij = -,\u2014 \u2022\nJ 1 d co\nAndererseits ist bekanntlich, wenn P die Intensit\u00e4t einer Kraft ist, welche an einem durch die Koordinaten x, y, z gegebenen Punkte zieht in einer Richtung, welche mit den positiven Koordinatenrichtungen die Winkel cc, \u00dfj y einschliesst, das Moment dieser Kraft um die Zaxe = P (x Cos \u00df \u2014 y Cos a).\nWirkt also ein Muskel mit der Spannung P an dem Ansatzpunkte (x, y, z) in der Richtung, welche die Winkel a, \u00df, y mit den positiven Koordinatenrichtungen macht, so ist der Koefficient, mit welchem die Spannung zu multipliciren ist, um die Komponente des Momentes um die ^richtung zu erhalten\nx Cos a \u2014 y Cos \u00df = -,\u2014 d co\nd. h. gleich der bei einer sehr kleinen Drehung um die ZTaxe beobachteten Verk\u00fcrzung dividirt durch den Winkel der Drehung. Man kann\nauch sagen, diese Gr\u00f6sse \u2014\u2014 ist die Komponente des Momentes des\nMuskels um die Zrichtung, wenn man ihm die Spannung 1 beilegt.\nAnaloge Ausdr\u00fccke finden sich nat\u00fcrlich f\u00fcr die Drehung um die beiden andern Axen.\nSoll die Darstellung der Muskelmomente durch drei aufeinander senkrechte Komponenten f\u00fcr irgend eine andere Stellung des Gelenkes ausgef\u00fchrt werden, so muss vor allen Dingen eine Verabredung dar\u00fcber getroffen werden, welches die Axenrichtungen f\u00fcr die Momentkomponenten bei der neuen Lage des Gliedes sein sollen. Aus den schon weiter oben (s. S. 261) angef\u00fchrten Gr\u00fcnden d\u00fcrfte es sich empfehlen, die drei Hauptaxenrichtungen mit dem arthrodisch beweglichen Gliede, nicht aber mit dem Rumpfe in unver\u00e4nderlicher Verbindung zu denken. Wenn also diese Axenrichtungen zugleich Koordinatenaxen sind, so bleiben die Ko-ordinatenwerthe der Muskelans\u00e4tze unver\u00e4ndert, nicht die Koordinaten der Urspr\u00fcnge.\nIII. Numerische Beispiele you Muskelmomenten.\nZur Erl\u00e4uterung der entwickelten beiden Methoden m\u00f6gen zwei Beispiele von Bestimmungen der Muskelkomponenten der auf ein arthrodisches Gelenk wirkenden Muskeln hier Platz finden. Das erste1 bezieht sich auf die Muskeln, welche das H\u00fcftgelenk \u00fcberspringen. Die Zahlen sind berechnet nach der ersten Methode aus Koordinatenmessungen der Urspr\u00fcnge und Ans\u00e4tze. Sie gelten f\u00fcr die Stellung, welche ein vom aufrecht stehenden Menschen senkrecht herabh\u00e4ngender Schenkel einnimmt. Es sind nicht die Momentkomponenten f\u00fcr die Gesammtspannung 1 des Muskels, sondern f\u00fcr die\n1 A. Fick, Statische Betrachtung der Muskulatur etc. Ztschr. f. rat. Med. IX.\n1849.","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Numerische Beispiele von Muskelmomenten.\n305\nSpannung 1 auf die Fl\u00e4cheneinheit des Querschnittes berechnet. Es sind n\u00e4mlich die in den letzten Betrachtungen auftretenden Koeffi-cienten \u0153 Cos \u00df \u2014 y Cos a etc. noch mit dem Querschnitte der betreffenden Muskeln multiplicirt. Endlich ist noch zu bemerken, dass hier bis auf den Adduktor magnus, der in zwei Portionen vertheilt ist, als Einheiten immer die ganzen Muskeln im Sinne der anatomischen Bezeichnungsweise als mechanische Einheiten behandelt sind, mit andern Worten ist vorausgesetzt, dass stets alle Fasern eines Muskels in gleicher Spannung sind, was f\u00fcr ausgebreitete Muskeln, wie z. B. G-lutaeus maximus freilich nicht allgemein zul\u00e4ssig ist.\nDie nachstehende Tabelle wird hiernach verst\u00e4ndlich sein, wenn noch hinzugef\u00fcgt wird, dass ein negatives Flexionsmoment ein ex-tensorisches, ein negatives Abduktionsmoment ein adduktorisches und ein negatives Botationsmoment ein rotatorisches nach innen bedeutet.\nNamen der Muskeln.\tFlexions- moment.\tAbduktions- moment.\tPotations- moment.\nGlutaeus max\t\t\u2014157,6\t\u201466,6\t+78,2\nPyriformis\t\t\u20143,3\t+ 15,1\t+ 15,9\nObtur. et Gemelli .\t-2,8\t\u20147,6\t+ 18,8\nQuadrat, fern\t\t+0,3\t\u201426,2\t+25,2\nSemitendinosus\t\t\u201420,8\t\u20148,4\t\u20141,6\nBiceps langer K\t\t\u201432,7\t\u20149,9\t+ 0,9\nSemimembran\t\t\u201420,5\t\u20147,3\t\u20141,3\nAdduct, magnus, obere Partie\t+4,0\t\u201417,5\t+2,1\nuntere Partie\t\u201442,7\t\u201467,1\t\u20141,4\nPsoas u. Iliac. .\t*\t.\t.\t.\t+76,6\t0,0\t-12,2\nPectinaeus\t\t+ 11,6\t\u201410,6\t\u20141,9\nAdduct, brev\t\t+26,5\t-42,2\t+2,2\nAdduct, long\t\t+ 33,7\t\u201440,6\t\u20141,9\nGracilis\t\t+ 3,9\t\u201417,6\t+ 0,0\nSartorius \t\t+ 11,2\t+4,0\t+ 0,7\nTensor fasciae\t\t+ 12,5\t+ 7,6\t+0,0\nPectus femoris\t\t+46,2\t+14,8\t+3,0\nGlutaeus m\u00e9dius ....\t-9,9\t+ 114,2\t\u201417,6\nGlutaeus minim. ....\t!\t+7,9\t+53,9\t\u201415,8\nObturator extern. ....\t+ 16,8\t\u201425,1\t+ 0,1\nSumme aller flektirenden Momente 251,1\nSumme aller extendirenden Momente 290,4\nSumme aller adduciren-den Momente 346,8\nSumme aller abduciren-den Momente 209,6 137,2\nadducirend.\nSumme aller nach aussen rotirenden Momente 147,0\nSumme aller nach aussen rotirenden Momente 53/7 93,3\nnach aussen rotirend.\n20\nDifferenz 40,7\nextendirend.\nHandbueh. der Physiologie. Bd. I a.","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc.\nNach der zweiten oben beschriebenen Methode sind von Eugen Fick 1 die Komponenten der Momente der vom Schulterblatte entspringenden Muskeln bestimmt und zwar f\u00fcr zwei verschiedene Lagen des Gelenkes. Bei der ersten steht das Schulterblatt so wie bei einem aufrecht stehenden Menschen mit nat\u00fcrlicher Haltung der Schultern, der Arm h\u00e4ngt genau senkrecht davon herab und ist so gedreht, dass die Verbindungslinie der Ellenbogenkondylen der Flexionsaxe parallel l\u00e4uft. Der Infraspinatus ist in zwei, der Sub-scapularis in drei, der Deltoideus in sieben Portionen getheilt. Die Zahlenwerthe f\u00fcr die Momentkomponenten sind einfach den Gr\u00f6ssen x Cos \u00df \u2014 y Cos a etc. proportional. Es ist also die Gesammtspan-nung jedes Muskels resp. jeder besonders betrachteten Muskelpartie der Einheit gleich gesetzt. Hiernach wird die folgende Tabelle ohne Weiteres verst\u00e4ndlich sein, wenn noch beachtet wird, dass ein -+-Zeichen bedeutet Flexion, Adduktion, Rotation nach innen ein \u2014-Zeichen den entgegengesetzten Sinn der Drehungen. Der Deltoideus und der lange Kopf des Biceps sind an einem andern Pr\u00e4parate untersucht als die \u00fcbrigen Muskeln; der kurze Kopf des Biceps ist an beiden Pr\u00e4paraten untersucht, kommt daher zweimal vor.\n\t\t\tKomponente des Momentes um die\t\t\n\tName des Muskels\t\t\t\t\n\t\t\tFlexions- und\tAd- und\tEotations-Axe.\n\t\t\tExtensions-Axe.\tAMuEtions-Axe.\t\n1.\tCoracobrachialis\t\t+ 30,1\t+ 20,95\t0,0\n2.\tCap. breve bic. .\t\t+ 34,4\t+ 19,0\t+4,20\n3. 4.\tInfraspinatus\t{\u00a3\t+ 8,32 + 10,9\t\u201410,63 +4,59\t\u201423,3 -19,3\n5.\tTeres major .\t\t\u201433,3\t+43,1\t\u201410,3\n6.\tSupraspinatus\t\t+4,59\t\u201423,6\t+ 10,3\n7.\tCap. long, tricip.\t\t\u20148,04\t+23,6\t0,0\n8.\tTeres minor .\t\t+ 6,61\t+ 18,4\t\u201413,5\n9.\t|\tr I.\t+ 5,17\t\u2014 10,7\t+ 22,3\n10.\tSub&capularis\tII.\t\u20149,47\t\u2014 17,8\t+ 23,3\n11.\t\t[ III.\t-17,2\t\u2014 5,17\t+ 16,4\n12.\t\tI.\t+ 32,8\t+7,75\t+8,86\n13.\tm.\tII.\t+23,8\t\u20149,82\t+ 11,8\n14.\t& O\tIII.\t\u20148,42\t-28,5\t-5,39\n15.\t* O\t'\tIV.\t-24,8\t. \u20145,98\t-5,81\n16.\tO\tV.\t\u201435,3\t+ 20,56\t\u20147,04\n17.\tft\tVI.\t\u201428,3\t+42,9\t\u20148,17\n18.\t\tVII.\t\u2014 28,2\t+ 60,9\t\u2014 10,1\n19.\tCap. long, bicip.\t\t+9,19\t\u201420,4\t+ 11,6\n20.\tCap. breve bicip.\t\t+ 35,6\t0,0\t0,0\n1 Eugen Fick, Arbeiten aus dem physiol. Laboratorium der W\u00fcrzburger Hochschule IV. 1878.","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Numerische Beispiele von Muskelmomenten.\n307\nAus den Zahlen dieser Tabelle sind durch allgemein bekannte Rechnungen die Zahlen der folgenden gefunden, die nach dem schon Gesagten keiner Erkl\u00e4rung mehr bedarf.\nName des Muskels.\t\tGr\u00f6sse des resultirenden Momentes.\tDie Halbaxe mit der Flexions-Axe\tdes result. Momentes macht mit der j mit der Axe Adduktions- i der Rotation Axe\t[ nach innen Winkel von\t\n1. Coraeobrachialis .\t.\t\t36,67\t34,5\u00b0\t55\u00b0\t90\u00b0\n2. Cap. breve bicip. .\t.\t\t39,53\t29\u00b0\t61\u00b0\t84\u00b0\n3.\t,\t\u2022\t/ i-\t26,9\t72\u00b0\t113\u00b0\t150\u00b0\n^ Infraspinatus\t\u2022{ h.\t22,65\t61\u00b0\t78\u00b0\t148,5\u00b0\n5. Teres major .\t.\t55,42\t127\u00b0\t39\u00b0\t79\u00b0\n6. Supraspinatus\t\t26,15\t80\u00b0\t154,5\u00b0\t113\u00b0\n7. Cap. long, tricip. .\t.\t\t24,94\t109\u00b0\t19\u00b0\t90\u00b0\n8. Teres minor.\t\t23,79\t74\u00b0\t39,5\u00b0\t125\u00b0\n9.\t\u2022\t( L\t25,28\t78\u00b0\t115\u00b0\t28\u00b0\n10. Subseapularis\tH.\t26,17\t1110\t106\u00b0\t27\u00b0\n11.\t1 III.\t24,33\t135\u00b0\t102\u00b0\t47,5\u00b0\n12.\tr\tI-\t34,84\t20\u00b0\t77\u00b0\t75\u00b0\n13.\tII.\t28,32\t33\u00b0\t110,5\u00b0\t56\u00b0\n14.\t1\tIII.\t30,1\t106\u00b0\t161\u00b0\t96,5\u00b0\n15.\t*\u00a7\tIV.\t26,17\t161\u00b0\t103\u00b0\t103\u00b0\n10. \u00a7\tV.\t41,46\t148,5\u00b0\t60\u00b0\t100\u00b0\n17.\tQ\tVI.\t52,05\t123\u00b0\t34,5\u00b0\t99\u00b0\n18.\t^ VII.\t67,87\t114,5\u00b0\t26\u00b0\t98,5\u00b0\n19. Cap. long, bieip. .\t.\t\t25,36\t68,5\u00b0\t143,5\u00b0\t62,5\u00b0\n20. Cap. breve bicip. .\t.\t\t35,6\t0\u00b0\t90\u00b0\t90\u00b0\nDie zweite Lage des Gelenkes, f\u00fcr welche E. Fick die Momente der Schultermuskeln untersuchte, war aus der ersten hervorgegangen durch eine reine Abduktion und zwar betrug dieselbe 50\u00b0 bei dem Pr\u00e4parate, an welchem der Deltoideus und der Biceps untersucht wurden, 60\u00b0 bei dem, an welchem die \u00fcbrigen Muskeln untersucht wurden. Die Axen, auf welche sich die Momentkomponenten beziehen, haben dieselbe Lage im Arme wie im ersten Falle. Die Flexionsaxe geht also nun im Rumpfe nicht mehr wagrecht von rechts nach links, sondern, wenn wir uns einen rechten Arm denken, schr\u00e4g von rechts oben nach links unten. Die Rotationsaxe geht schr\u00e4g von links oben nach rechts unten.\nDie beiden nachstehenden Tabellen stellen f\u00fcr diese neue Lage des Gelenkes Alles auf die Muskelmomente bez\u00fcgliche ebenso dar, wie die beiden vorhergehenden Tabellen f\u00fcr die erste Lage.\n20*","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc.\n\t\tComponente des Momentes um die\t\t\nName des Muskels.\t\t\tAd- und\tRotations-\n\t\tFlexions-Axe.\tAbduktions-\t\n\t\t\tAxe.\tAxe.\n1. Coracobrachialis .\t\t+28,1\t+3,73\t\u20142,29\n2. Cap. breve bicip. .\t.\t\t+ 33,0\t\u20148,61\t\u2014 \u2014\n3 ^ Infraspinatus\t\u25a0in.\t+ 5,86 + 5,46\t-24,8 \u201422,2\t\u201413,0 \u201414,3\n5. Teres major .\t\t\u201414,8\t+48,2\t+ 10,3\n6. Supraspinatus\t\t+2,87\t\u201428,7\t\u20146,69\n7. Cap. long, tricip. .\t.\t\t-12,4\t+33,9\t\u2014 \u2014\n8. Teres minor.\t\t\u20146,61\t\u2014 \u2014\t\u201422,7\n9.\tf I-\t+25,6\t+ 10,17\t+ 7,45\n10. Subscapularis\tn.\t+ 18,6\t+4,02\t+ 21,8\n11.\t1 in.\t+4,76\t+9,14\t+ 20,7\n12.\tr\t!\u2022\t+ 37,5\t\u201414,35\t+2,67\n13.\tg\tII.\t+21,6\t\u201424,3\t\n14.\t|\tIII.\t\t\u201434,4\t\u20143,71\n15.\t-g\t{\tIV.\t\u201422,1\t-24,55\t\u20143,13\n16. ^\tV.\t\u201425,5\t\u20147,23\t-2,25\n17.\tP\tVI.\t-21,4\t\u2014 \u2014\t\n18.\t1 VII.\t\u201420,0\t+11,1\t\u20143,63\n19. Cap. long, bicip. .\t.\t\t+ 14,9\t\u201415,8\t\u2014 \u2014\n20. Cap. breve bicip .\t.\t\t+ 37,1\t\u20146,03\t\t \t\nName des Muskels.\nGr\u00f6sse\ndes\nresultirenden\nMomentes\nDie Axe des resultirenden Momentes macht mit der\nj Ad- und\t| Rotations-\nFlexions-Axe Abduktions- Axe\nAxe\tI nach innen\neinen Winkel von\n1. Coracobrachialis .\t\t28,44\t8\u00b0\t82,5\u00b0\t94,5\u00b0\n2. Cap. brev. bicip. .\t.\t\t34,16\t14\u00b0\t104,5\u00b0 .\t90\u00b0\n3 ^ Infraspinatus\t\u2022 {n.\t28,64 27,00\t78\u00b0 78\u00b0\t150\u00b0 145,5\u00b0\t117\u00b0 122\u00b0\n5. Teres major .\t\u2022\t\u2022\ta\t51,53\t107\u00b0\t20,5\u00b0\t78,5\u00b0\n6. Supraspinatus\t\t29,65\t84,5\u00b0\t166\u00b0\t103\u00b0\n7. Cap. long, tricip. .\t.\t\t36,15\t110\u00b0\t20\u00b0\t90\u00b0\n8. Teres minor.\t\t23,66\t106\u00b0\t90\u00b0\t164\u00b0\n9.\tf I-\t28,57\t26\u00b0\t69\u00b0\t75\u00b0\n10. Subscapularis\t\\ IL\t28,95\t50\u00b0\t82\u00b0\t41\u00b0\n11.\t(ill.\t23,17\t78\u00b0\t67\u00b0\t26\u00b0\n12.\tr\tL\t40,25\t21\u00b0\t111\u00b0\t86\u00b0\n13.\t^\tII.\t32,56\t48,5\u00b0\t138\u00b0\t90\u00b0\n14.\t|\tIII.\t34,66\t90\u00b0\t174\u00b0\t96\u00b0\n15.\t-g\tIV.\t33,24\t132\u00b0\t138\u00b0\t95,5\u00b0\n16. ~\tV.\t26,61\t164\u00b0\t106\u00b0\t95\u00b0\n17.\tP\tVI.\t21,40\t0\u00b0\t90\u00b0\t90\u00b0\n18.\tVII.\t23,17\t150\u00b0\t61\u00b0\t99\u00b0\n19. Cap. long, bicip\t\t21,77\t46,5\u00b0\t136,5\u00b0\t90\u00b0\n20. Cap. breve bicip. .\t\t37,63\t9,5\u00b0\t99\u00b0\t90\u00b0","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Muskelmomente an zwangl\u00e4ufigen Gelenken.\n309\nWenn wir es auch liier nur mit einem ersten Versuche der L\u00f6sung eines Hauptproblemes der speciellen Muskelphysiologie zu thun haben, so l\u00e4sst sich aus den vorgelegten Zahlen doch schon eine grosse Anzahl von bemerkenswerthen Folgerungen ableiten, die geeignet sind, manche in der beschreibenden Anatomie gel\u00e4ufige Vorstellungen \u00fcber die Muskelwirkung zu berichtigen. Es ist jedoch hier nicht der Ort, diese Folgerungen im Einzelnen auszuf\u00fchren, vielmehr muss bez\u00fcglich derselben auf die citirte Originalabhandlung von E. Fick verwiesen werden.\nViel einfacher gestaltet sich die Frage nach den Momenten der Muskeln, welche auf ein zwangl\u00e4ufiges Oelenk wirken. Die Halbaxe des Momentes ist hier ohne Weiteres gegeben, denn es sind nur zwei Halbaxen m\u00f6glich, welche in die Richtung der Linie fallen, um die das Gelenk in der betrachteten Stellung \u00fcberhaupt drehbar ist.\u2019 Auf die bei einem Schraubengelenke m\u00f6gliche Verschiebung l\u00e4ngs der Axe braucht keine R\u00fccksicht genommen zu werden, da sie zu unbedeutend ist. Als Methode der Bestimmung verdient bei zwangl\u00e4ufigen Gelenken unzweifelhaft die zweite der beschriebenen den Vorzug vor der Messung der Koordinaten der Ursprungs- und Ansatzpunkte. In der mehrfach citirten Abhandlung von E. Fick und E. Weber finden sich einige Momentbestimmungen f\u00fcr Muskeln des Ellenbogengelenkes und des Gelenkes zwischen Ulna und Radius, die als Beispiele noch angef\u00fchrt werden m\u00f6gen.\nCap. long, tricipitis. Bewegungen im Ellenbogengelenk.\nVerk\u00fcrzung resp. Verl\u00e4ngerung.\nFlexion von\t0\u00b0\u2014\to o\t3,43 mm.\nn\t10\u00b0\u2014\t- 20\u00b0\t4,26\nn\t20\u00b0\u2014\t- 30\u00b0\t4,21\nn\t30\u00b0\u2014\t\u2022 40\u00b0\t4,20\nT)\t40\u00b0\u2014\t- 50\u00b0\t3,95\nn\t50\u00b0\u2014\t\u25a0 60\u00b0\t4,07\nn\t60\u00b0\u2014\t- 70\u00b0\t3,80\nn\t70\u00b0\u2014\t\u2022 80\u00b0\t3,33\nn\t80\u00b0\u2014\t- 90\u00b0\t3,25\nr>\t90\u00b0\u2014\t100\u00b0\t3,07\nT)\t100\u00b0\u2014\t\u2022110\u00b0\t2,81\nn\t110\u00b0\u2014\t-120\u00b0\t2,86\nn\t120\u00b0\u2014\t\u2022130\u00b0\t2,75\nn\t130\u00b0-\t-140\u00b0\t3,04\nn\t140\u00b0-\t-150\u00b0\t3,25","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310 Fick, Spec. Bewegungslehre. 6. Cap. Statische Momente der Muskelkr\u00e4fte etc.\nBeugung und Streckung im Ellenbogengelenk bei supinirtem Radius.\nCap. breve bicip. Cap. long, bicip.\n\t\tVerk\u00fcrzung.\tVerk\u00fcrzung.\nGebeugt von\t00\u2014 io\u00b0\t4,39\t4,58\nr\t10\u00b0\u2014 20\u00b0\t5,41\t5,30\nn\t20\u00b0\u2014 30\u00b0\t6,03\t6,02\nV)\t300\u2014 4oo\t6,79\t7,03\nn\t40\u00b0 \u2014 50\u00b0\t7,52\t7,65\n7T\t50\u00b0\u2014 60\u00b0\t7,65\t7,52\nn\t600\u2014 700\t7,74\t7,93\nn\t70\u00b0\u2014 80\u00b0\t7,45\t7,34\nV)\t80 o\u2014 90\u00b0\t6,64\t6,53\n\u00bb\t900\u2014100\u00b0\t5,86\t5,14\nT)\t1000\u2014110\u00b0\t4,93\t4,56\nn\t1100\u2014120\u00b0\t4,02\t3,54\nn\t120\u00b0\u2014130\u00b0\t2,61\t1,98\nCap. breve bicipitis. Pro- und Supination bei fixirter Ulna.\t\t\t\n\t\t\tVerk\u00fcrzung.\nDrehungswinkel von 0\u00b0-\t\t\u2014 5\u00b0\t0,1 mm.\n\tF)\u00b0- n\tO\t- 10\u00b0\t0,1\n\t\u201e 10\u00b0-\t- 20\u00b0\t0,5\n\t\u201e 20\u00b0-\t- 30\u00b0\t0,6\n\t\u201e\t30 0-\t- 40\u00b0\t0,6\n\t\u00bb\t40 o-\t- 50\u00b0\t0,4\n\t\u00bb\t50\u00b0-\t- 60\u00b0\t0,4\n\t\u201e 60\u00b0-\t- 70\u00b0\t0,4\n\t\u00bb\t70\u00b0-\t- 800\t0,3\n\t\u00bb 80\u00b0-\t- 90\u00b0\t0,3\n\t\u00bb\t900-\t-100\u00b0\t0,2 '\n\t\u201e 100\u00b0-\t-110\u00b0\t0,1\n\t\u201e 110\u00b0-\t-120\u00b0\t0,1\n\t\u201e 120\u00b0-\t-130\u00b0\t0,1\n0\u00b0 entspricht dem Maximum der Pronation,\n130\u00b0 entspricht dem Maximum der Supination.\nEs sind hier f\u00fcr die Momente die Verk\u00fcrzungen, welche der Muskel bei Drehung um je 10\u00b0 erleidet, selbst gegeben. Da sie den Momenten proportional sind und die Wahl der Einheit an sich willk\u00fcrlich ist, so k\u00f6nnen die Verk\u00fcrzungswertke ohne Weiteres als Werthe der Momente gelten. Die nat\u00fcrlichste Maasseinheit der Momente ist das Moment, welches die Krafteinheit (das Kilogramm) an einem der L\u00e4ngeneinheit (Millimeter) gleichen Hebelarm senkrecht","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Resultirendes Moment mehrerer Muskeln.\n311\nziehend hervorbringt, um in dieser Maasseinheit die Momente aus-zudrticken, m\u00fcsste man die Zahlen der Tabellen durch den Drehungswinkel in Bogenmaass dividiren. F\u00fcr 10\u00b0 ist das Bogenmaass\n180'1U,== \u00b0\u2019174'\nEs bedeutet alsdann die Zahl, welche man f\u00fcr das Moment des Muskels erh\u00e4lt, anschaulich ausgedr\u00fcckt entweder eine Anzahl von Kilogrammen , die an einem 1 mm. langen Hebelarm senkrecht wirkend dem Muskel, wenn er mit 1kg. gespannt ist, G-leichgewicht halten oder die Anzahl von Millimetern, welche man einem Hebelarm geben muss, wenn an demselben 1 kg. senkrecht ziehend dem ebenfalls mit 1 kg. Spannung wirkenden Muskel G-leichgewicht halten soll. Selbstverst\u00e4ndlich muss den Momenten des Triceps das \u2014Zeichen vorgesetzt werden, wenn denen des Biceps das -j-Zeichen vorgesetzt wird.\nIY. Resultirendes Moment mehrerer Muskeln.\nSind f\u00fcr irgend ein Gelenk in einer bestimmten Lage auf die in den vorigen Abschnitten entwickelte und durch Beispiele erl\u00e4uterten Art die Momente aller darauf wirkenden Muskeln bei der Spannung 1 bestimmt, so kann man auch folgende Aufgabe l\u00f6sen: Die Spannungen der Muskeln haben die numerisch gegebenen Werthe 5i, aS2, S3 etc., welches ist das resultirende Moment? oder wie und mit welcher Winkelbeschleunigung w\u00fcrde das Glied aus der Anfangslage heraus im ersten unendlich kleinen Zeittkeilchen gedreht werden? oder welches Moment m\u00fcsste eine Kraft ausiiben, welche den s\u00e4mint-lichen Spannungen der Muskeln Gleichgewicht halten sollte? Selbstverst\u00e4ndlich d\u00fcrfen unter den Gr\u00f6ssen S beliebig viele den Werth Null haben. Handelt es sich um ein zwangl\u00e4ufiges Gelenk, so ist die L\u00f6sung \u00e4usserst einfach. Man multiplicirt die Momente f\u00fcr die Spannung 1 mit den beziehlichen Spannungswerthen und summirt die Produkte algebraisch. Die Summe ist das resultirende Moment und das Vorzeichen desselben giebt \u00fcberdies an, in welchem Sinne das Moment das Glied um die augenblickliche Axe zu drehen strebt.\nHandelt es sich um eine Arthrodie, so muss der S. 299 schon gebrauchte Lehrsatz der Mechanik angewandt werden. Es sind zun\u00e4chst nat\u00fcrlich auch die f\u00fcr die Spannung 1 bestimmten Momente mit den wirklichen Spannungswerthen zu multipliciren und nun sind die Momente der verschiedenen Muskeln nach der dem Kr\u00e4fteparallelogramm analogen Regel zusammenzusetzen. Dies geschieht aber am einfachsten auf folgende Weise. Jedes einzelne Moment wird in","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312 Fick, Spec. Bewegungslehre. 7. Cap. Bestimmung der Muskelspannungen etc.\nseine drei Komponenten nach den gew\u00e4hlten drei Hauptriehtungen zerlegt resp. die drei schon zuvor f\u00fcr die Spannung 1 bestimmten Komponenten werden mit den wirklichen Spannungswerthen multi-plicirt. Nun bildet man f\u00fcr jede Hauptaxenrichtung die algebraische Summe aller auf sie bez\u00fcglichen Momentkomponenten. Die drei so erhaltenen Summen sind dann die drei Komponenten des resultiren-den Momentes. Bezeichnen wir sie mit L, 3/, N, so ist die Gr\u00f6sse des resultirenden Momentes\nR = 1/X2 +J/2+2V2\nund die Cosinus\u2019 der Winkel, welche die Halbaxe dieses resultirenden Momentes mit den drei positiven Hauptaxenrichtungen einschliesst, sind\tL M N\n~RI. * * * * * 7 JR\u2019 ~R7\nin welcher Formel der Wurzelgr\u00f6sse R ihr positiver Werth beizulegen ist. Ob einer der Winkel spitz oder stumpf ist h\u00e4ngt also lediglich davon ab, ob die betreffende der Gr\u00f6ssen Z, 31, N positiv oder negativ ist.\nSIEBENTES CAPITEL.\nBestimmung der Muskelspannungen, welche ein gegebenes resultirendes Moment hervorbringen.\nI. Bedingungen der L\u00f6sbarkeit des Probl\u00e8mes.\nDie erste S. 296 formulirte Aufgabe der Muskelstatik ist, wie\nwir soeben gesehen haben, immer l\u00f6sbar und hat stets nur eine\nbestimmte L\u00f6sung, nicht so ist es mit der umgekehrten Aufgabe,\ndie darin besteht, anzugeben, welche Muskeln und in welchem\nGrade sie gespannt sein m\u00fcssen, um ein gegebenes Moment hervor-\nzubringen? oder um einer gegebenen Kraft Gleichgewicht zu halten, oder um dem Gliede eine gegebene Winkelbeschleunigung um eine gegebene Axe im ersten unendlich kleinen Zeittheilchen beizubringen. Dass diese Aufgabe \u00fcberhaupt nicht nothwendig immer einer L\u00f6sung f\u00e4hig ist, kann man schon sehen, wenn man sich vorstellt, ein zwangl\u00e4ufiges Gelenk h\u00e4tte nur auf der einen Seite Muskeln. Dann","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Hervorbringung eines geforderten Momentes.\n313\nw\u00fcrde, wenn ein nach dieser Seite drehendes Moment gefordert ist, die Aufgabe gar keine L\u00f6sung haben. Sind aber am zwangl\u00e4ufigen Gelenke, wie dies im menschlichen K\u00f6rper \u00fcberall der Fall ist, wirklich auf beiden Seiten Muskeln vorhanden, so kann die Aufgabe ein Moment von gegebener Gr\u00f6sse im einen oder andern Sinne hervorzubringen, auf unendlich viele Arten gel\u00f6st werden, denn es ist ja nur n\u00f6thig, dass die algebraische Summe der Muskelmomente, unter denen faktisch sowohl positive als negative vorhanden sind, die gegebene Gr\u00f6sse und das verlangte Vorzeichen hat.\nF\u00fcr das arthrodische Gelenk ist die Bedingung, dass eine L\u00f6sung des in Rede stehenden Probl\u00e8mes immer m\u00f6glich ist, welches auch die Richtung der Halbaxe des verlangten Momentes sei folgende : Es m\u00fcssen mindestens vier Muskeln an dem Gelenke so gelagert sein, dass, wenn man auf den Halbaxen ihrer Momente OA OB OC OB (Fig. 19) beliebige Strecken Oa Ob Oc Od abschneidet, das Tetraeder ab cd den Drehpunkt 0 einschliesst.\nIst n\u00e4mlich diese Bedingung erf\u00fcllt, so mag man von 0 aus eine Halbaxe ziehen in welcher Richtung man will, immer wird sie in eine hohle Ecke fallen, welche von dreien der Halbaxen der Muskelmomente gebildet wird, und es wird also immer m\u00f6glich sein, ein Parallelepiped zu konstruiren, das eine gegebene Strecke der willk\u00fcrlich gew\u00e4hlten Halbaxe des verlangten resultirenden Momentes zur Diagonale hat und dessen zusammen-stossende Kanten bestimmte Strecken von dreien der vier Halbaxen OA OB OC OD sind. Mit der Konstruktion dieses Parallelepipeds ist aber eine L\u00f6sung des Probl\u00e8mes gegeben, denn man braucht nur den Spannungen der betreffenden drei Muskeln solche Werthe beizulegen, dass die Gr\u00f6sse ihrer Momente den auf ihren Halbaxen abgeschnittenen Kanten des konstruirten Parallelepipeds gleich wird und die Spannung des \u00fcbrig bleibenden vierten Muskels der Null gleich zu setzen, dann ist das resultirende Moment das verlangte. Sind aber auch nur diese vier Muskeln vorhanden, so ist die soeben ausgef\u00fchrte L\u00f6sung des Probl\u00e8mes nicht die einzige. Man kann n\u00e4mlich dem vierten Muskel eine beliebige Spannung beilegen und kann dann die Spannungen der andern doch immer noch so bestimmen, dass das resultirende Moment aller vier Spannungen den verlangten Werth erh\u00e4lt.\nFig. 19.","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314 Fick, Spec. Bewegungslehre. 7. Cap. Bestimmung der Muskelspannungen etc.\nII. Allgemeine Formulirung des ProMemes.\nEs ist leicht, das in Rede stehende Problem ganz allgemein zu formuliren. Am arthrodischen Gelenke sollen v Muskeleinheiten wirken. Die Momentkomponenten des /Gen Muskels bez\u00fcglich der drei Hauptaxenrichtungen seien Ip mp Tip und seine noch unbestimmte Spannung sei pp. Es wird verlangt, das System der v Spannungen so zu w\u00e4hlen, dass die Komponenten des resultirenden Momentes L M N sind. Zu diesem Ende brauchen nur die drei Gleichungen\nfl = V\nj)y h -j- p=i h\tPp lp -p \u2022 \u2022 \u2022 \u2022 Vv == -L == 2 1 IpPp ),\nI.\np\u2014v\npv my -f- jn m%\tPpinp-}-\u2022\u2022\u2022\u2022 Vv mv ==: ^ == 2 (ynppp j,\nP=\\ p=v\np\\ 7l[ -f- p=l n-2 -{-... . Ppllp\tpv 71 v = X = K (?lpPp)\np \u2014 \\\nerf\u00fcllt zu sein und demgem\u00e4ss ist das System der Gr\u00f6ssen pi, pi, ___pp ... .pv zu bestimmen.\nW\u00e4re nun v = 3, d. h. w\u00e4ren nur drei Muskeln vorhanden, so h\u00e4tte das System der Gleichungen eine algebraisch bestimmte L\u00f6sung verm\u00f6ge deren den drei Spannungen py, p-i, jn bestimmte Werthe zuk\u00e4men. Dieselbe h\u00e4tte aber in allen den F\u00e4llen keine physische Bedeutung, wo eine oder mehrere der Gr\u00f6ssen p\\, pi, ps einen negativen Werth erhielten, da ein Muskel keine negative Spannung haben kann, d. h. keinen Druck statt eines Zuges aus\u00fcben kann. Die Gr\u00f6ssen k my\nny .....h im m m\u00fcssen also bei gegebenen Werthen von X, H, A\nnoch gewisse Bedingungen erf\u00fcllen, wenn die L\u00f6sung des Systems der drei Gleichungen mit drei unbekannten py pi p-i f\u00fcr dieselben positive Werthe ergeben soll, so dass die L\u00f6sung eine reelle Bedeutung hat. Ebenso m\u00fcssen die Gr\u00f6ssen l m n, auch wenn die Anzahl der Muskeln gr\u00f6sser ist als drei, wie wir sahen noch gewissen Bedingungen gen\u00fcgen, um die L\u00f6sbarkeit durch lauter positive Gr\u00f6ssen p zu sichern. Sowie es aber alsdann eine L\u00f6sung in lauter positiven Gr\u00f6ssen giebt, so giebt es deren auch unendlich viele. Es wurde vorhin schon in geometrischer Anschauung ausgedr\u00fcckt, welchen Bedingungen mindestens eine Gruppe von vieren der Gr\u00f6ssensysteme lp mp iip gen\u00fcgen m\u00fcsse, um die L\u00f6sbarkeit des Syst\u00e8mes der drei Gleichungen in positiven Werthen von 3 zu sichern, wie auch immer das System der Gr\u00f6ssen L M X aus positiven und negativen Werthen zusammengesetzt ist. Die Frage nach der L\u00f6sbarkeit unserer Gleichungen durch ein System von positiven Werthen der Gr\u00f6ssen ist n\u00e4mlich ganz die-","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Princip der kleinsten Anstrengung.\n315\nselbe, wie die Frage nach den Spannungen der Muskeln, wenn das resultirende Moment gegebene Komponenten bez\u00fcglich der drei Hauptaxenrichtungen haben soll. Bei den Arthrodieen des menschlichen K\u00f6rpers (den Augapfel eingeschlossen) erf\u00fcllen die darauf wirkenden Muskeln nachgewiesenermaassen die Bedingung der L\u00f6sbarkeit der drei Gleichungen (S. 314) durch ein System von positiven Werthen der Gr\u00f6ssen /?, oder man kann jedes beliebige geforderte Moment durch ein System von Muskelspannungen erzeugen. Bei den Arthrodieen des menschlichen K\u00f6rpers und nicht minder bei den zwangl\u00e4ufigen Gelenken giebt es daher auch immer unendlich viele Systeme von Muskelspannungen, welche ein und dasselbe Moment hervorbringen. Man wird daher noch andere der Aufgabe an sich fremde Bedingungen setzen d\u00fcrfen, die nebenher erf\u00fcllt werden k\u00f6nnen, ohne dass die Herstellung des geforderten Momentes unm\u00f6glich w\u00fcrde.\nIII. Minmiiiiiibediiigiiiig. welche das Problem zu einem bestimmten macht.\nBei der Unbestimmtheit des Probl\u00e8mes an sich liegt der Gedanke nahe, dass bei der wirklichen Ausf\u00fchrung der Gliederbewegungen im Leben regelm\u00e4ssig noch eine Nebenbedingung erf\u00fcllt wird, verm\u00f6ge deren zu jeder beabsichtigten bestimmten Drehung ein bestimmtes System von Muskelspannungen verwendet wird, und zwar liegt es am n\u00e4chsten, anzunehmen, dass wir im Verlaufe des individuellen Lebens oder des Lebens der Species die Bewegungen so ausf\u00fchren lernen, dass das Gef\u00fchl der gesammten Anstrengung ein Minimum ist. Dieser Gedanke ist wohl schon von Alters her mehr oder weniger bestimmt gedacht worden, ganz positiv haben ihn die Gebr\u00fcder Weber in der Vorrede zur Mechanik der Gehwerkzeuge zum Ausdruck gebracht. Soviel ich sehe, habe ich selbst1 zum ersten Mal versucht, diesen Gedanken so zu formuliren, dass er zur Bestimmung der Muskelspannungen im einzelnen Falle f\u00fchren k\u00f6nnte. Ich machte n\u00e4mlich die Annahme, das Gef\u00fchl der Anstrengung sei der Spannung selbst einfach proportional. Zu den drei Gleichungen welchen die Muskelspannungen gen\u00fcgen m\u00fcssen, um ein gegebenes Moment hervorzubringen, k\u00e4me dann noch die Bedingung hinzu, dass die Summe der absoluten Werthe dieser Spannungen ein Minimum sein soll. Hierdurch werden nun allerdings im Allgemeinen die\n1 A. Fick, Die Bewegungen des menschlichen Augapfels. Ztschr. f. rat. Med. N.F. IV. S. 101.","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316 Fick, Spec. Bewegungslehre. 7. Cap. Bestimmung der Muskelspannungen etc.\nSpannungen vollst\u00e4ndig bestimmt. Diese Annahme f\u00fchrt aber, wie neuerdings Fuchs in einer sehr scharfsinnigen Kritik gezeigt hat, zu entschieden unzul\u00e4ssigen Folgerungen, so dass sie durch eine andere ersetzt werden muss, wenn man das an sich kaum bezweifelbare Princip der kleinsten Anstrengung aufrecht erhalten will. Der Gedankengang der Abhandlung von Fuchs f\u00fchrt auf so grundlegende Gesichtspunkte, dass er hier in seinen wesentlichen Z\u00fcgen wiedergegeben werden soll.\nDie Annahme, das Gef\u00fchl der kleinsten Anstrengung entspreche einem Minimum der Spannungssumme, mit welcher das verlangte Moment hervorgebracht werden kann, eignet sich nicht zu einem konstitutiven Principe der Muskelstatik, weil erstens bei dem einfachsten Probleme die Frage nach der kleinsten Spannungssumme gar nicht gestellt werden kann. Man denke sich n\u00e4mlich am Gelenke nur einen Muskel aus lauter gleich langen und parallelen Fasern angebracht. Soll hier ein bestimmtes Moment M erzielt werden, so muss die Summe der Spannungen der einzelnen Fasern einen bestimmten Werth R haben, so dass eben die Frage nach einem Minimum dieser Summe keinen Sinn hat.\nDenken wir uns zweitens einen einzigen f\u00e4cherf\u00f6rmig (der Einfachheit wegen in einer Ebene) ausgebreiteten Muskel. Ein bestimmtes Moment (dessen Halbaxe nat\u00fcrlich auf der Verbindungslinie des Drehpunktes mit dem Muskelansatzpunkte senkrecht stehen muss) verlangt hier wieder eine bestimmte Resultirende der Spannungen der einzelnen Fasern. Die Richtung der Resultirenden m\u00fcsste die Durchschnittslinie der Ebene des Muskels mit derjenigen Ebene sein, welche durch den Ansatzpunkt des Muskels zur Momentaxe gelegt werden kann. Nun w\u00fcrde offenbar, wie die Anschauung ohne Weiteres lehrt, die erforderliche Resultirende dann mit der 'geringsten Spannungssumme erzielt werden, wenn sich nur diejenige Faser des Muskels und zwar mit dem ganzen Betrage der Resultirenden spannte, welche in die Richtung der Resultirenden f\u00e4llt, w\u00e4hrend die Spannungen der s\u00e4mmtlichen \u00fcbrigen Fasern gleich Null bliebe. Oder, wenn man nicht in jeder zwischen den beiden Grenzfasern eingeschlossenen Richtung des f\u00e4cherf\u00f6rmigen Muskels eine Faser annehmen wollte, w\u00fcrde die erforderliche Resultirende dadurch mit der geringsten Spannungssumme hervorgebracht werden, dass ausschliesslich diejenigen beiden Fasern gespannt w\u00fcrden, welche mit der Richtung der Resultirenden die kleinsten Winkel einschliessen und dass wiederum die s\u00e4mmtlichen \u00fcbrigen Fasern ganz ungespannt blieben. Dass diese Folgerung ungereimt ist, leuchtet ein. Es werden sich","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Gef\u00fchl der Anstrengung von der Spannung abh\u00e4ngig.\n317\nvielmehr h\u00f6chst wahrscheinlich immer alle Muskelfasern resp. ganzen Muskeln an der Hervorbringung eines Momentes betheiligen, zu dem sie verm\u00f6ge ihrer Lagerung \u00fcberhaupt etwas beitragen k\u00f6nnen. Dies annehmen heisst aber im Hinblick auf das unzweifelhaft g\u00fcltige Prin-cip der kleinsten Anstrengung annehmen : das Gef\u00fchl der Anstrengung wird um so kleiner, auf je mehr Fasern die erforderliche Spannung vertheilt ist. Hierin liegt implicite der Satz, dass das Gef\u00fchl der Anstrengung in einer einzelnen Muskelfaser nicht ihrer Spannung proportional, sondern rascher als diese w\u00e4chst. Von diesem h\u00f6chst bemerkenswerthen Satze giebt nun Fuchs in der citirten Abhandlung noch einen exakteren Beweis, in welchen kaum irgend eine Annahme eingeht, welche nicht die gr\u00f6sste Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich h\u00e4tte.\nEs m\u00f6gen, um das Problem m\u00f6glichst allgemein zu fassen, auf das arthrodisch gedachte Gelenk v Muskelfasern (resp. Muskeleinheiten) beliebig im Raume vertheilt wirken. Sei nun das Gef\u00fchl der Anstrengung, welches durch die Spannung p der Muskeleinheit hervorgebracht wird, eine Funktion der Spannung, die mit f(p) bezeichnet wird1, und man verlange, dass mit dem geringsten Gef\u00fchl von Anstrengung ein Moment erzeugt wird, dessen Komponenten L, M, N sind, dann ist erstens die Bedingung f\u00fcr das Minimum der Anstrengung\nd [f(pi) f ipz) + \u2022 \u2022 \u2022 f{Pv )] = 0 oder (a) f {p\\) dpi + f (p-i) dp2 + . . . f (pv) dpv == 0.\nW\u00e4ren die Differentiale dp alle von einander unabh\u00e4ngig, so k\u00f6nnte diese Gleichung nur dadurch erf\u00fcllt werden, dass die s\u00e4mmtlichen Deri-virten f (p) Null w\u00e4ren und die Gleichung zerfiele in v Gleichungen f \\P\\) = \u00b0; f (p-2) = 0 etc.,\nworaus die s\u00e4mmtlichen Werthe der p zu berechnen w\u00e4ren. In unserer Aufgabe aber sind durch das System der Differentiale clp noch drei Gleichungen zu erf\u00fcllen, die sich durch Differentiation der drei Gleichungen (I.) S. 314 ergeben, d. h. es muss sein\nfl = V\tfl =V\tfl \u2014V\n1 2 {lpdp fl) = 0; 2 (nrifidpfi) = 0; 2 (npdpfi).\nfi= L\tfi \u2014 \\\tfi=i\nMittels dieser drei Gleichungen lassen sich aus der Gleichung (a) drei der Differentiale dp eliminiren, die v \u2014 3 \u00fcbrigen sind dann aber von einander unabh\u00e4ngig und ihre v \u2014 3 Koefficienten m\u00fcssen einzeln = 0 sein, (a) zerf\u00e4llt dadurch in (v \u2014 3) Gleichungen, dazu kommen noch die drei Gleichungen (I.) von S. 314, so dass man im Ganzen v Gleichungen hat zwischen den Konstanten des Problems und den v unbekannten Gr\u00f6ssen p woraus diese letzteren bestimmt werden k\u00f6nnen.\nEs begreift sich leicht, dass eine Durchf\u00fchrung der numerischen Rechnung nur in einfacheren F\u00e4llen lohnen k\u00f6nnte, wo wenige Muskeln, wie z. B. am Augapfel mitwirken. Von solchen Anwendungen auf wirk-\n1 Fuchs hat noch die L\u00e4nge der Fasern mit in Betracht gezogen, was aber hier unterbleiben mag, da sie aus der Gleichung, durch welche die Entscheidung der Frage herbeigef\u00fchrt wird, doch wieder herausf\u00e4llt.","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318 Fick, Spec. Bewegungslehre. 7. Cap. Bestimmung der Muskelspannungen etc.\nliehe Mechanismen ganz absehend, wollen wir den einfachsten schematischen Fall noch etwas weiter zergliedern, nm die oben schon angedeutete principielle Folgerung daraus zu ziehen. Wir denken uns bloss eine beliebige Anzahl paralleler gleich langer Fasern, die mit einer strangf\u00f6rmigen Sehne an einem Punkte des beweglichen Knochens angreifen. Dann ziehen sich die \u00fcberhaupt bez\u00fcglich des Momentes zu stellenden Bedingungen zur\u00fcck auf die eine Gleichung\npi +P2 \u2022 \u2022 \u2022 pv = P, _\nwenn P die resultirende an den Knochen ziehende Gesammtspannung bedeutet und an die Stelle der drei Gleichungen zwischen den Differentialen (dpi etc.) tritt die Gleichung\nfl=V\n' 2 {dp?) = 0,\nfl = i\nmit deren Hilfe nur eines der Differentiale aus der Gleichung\n(L = V\nf (pi) dpi + f (M dpi +- \u2022 \u2022 \u2022 f CM dpv = 0 = 2/\" (Pp) dpfi,\n(i=i\nwelche die Bedingung des Minimums der Anstrengung ausdr\u00fcckt, elimi-nirt werden kann. Die Eliminationsgleichung ist offenbar, wenn dpi eliminirt wird\n\\f CM \u2014 f CM! dpi + \\f(v%) \u2014 f (Pl)] dpz H- ...\n[f (Pv) f CM] dpv = o\nund da sie nur erf\u00fcllt sein kann, wenn die Koefficienten der noch \u00fcbrigen (V\u2014 1) vollst\u00e4ndig von einander unabh\u00e4ngigen Differentiale dpi .. . dpv einzeln = 0 sind, so hat man\nf (pi) = f (Pi) = f (P3)\t(Pv),\nwas, Eindeutigkeit der Funktion f(p), vorausgesetzt, die (v\u20141) Gleichungen\nPi = p2 = . . . pv\nzur Folge hat. Dazu kommt noch die Gleichung\npi -f- pi + \u2022 \u2022 \u2022 Pv = P,\nso dass sich schliesslich ergiebt\nP\npi ==\u2014 \u00bb\np\np* = -,\np\nPv---.\t.\nDie Gleichung\t_\n\u201c2V Ovo \u2022 dp? = 0\nfl = l\nkann nun aber sowohl die Bedingung daf\u00fcr ausdr\u00fccken, dass die Summe\nfl=V\n^f(Pfi) ein Maximum als daf\u00fcr, dass sie ein Minimum ist. Ob ein Maxi-\nii=i\nmum oder ein Minimum stattfindet, das h\u00e4ngt bekanntlich von der Beschaffenheit der zweiten Derivirten f\" (p) ab, ist sie an der untersuchten","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Der chemische Process w\u00e4chst schneller als die Spannung.\n319\nStelle der Funktion positiv, so haben wir ein Minimum, im entgegengesetzten Falle ein Maximum. Es d\u00fcrfte keine gewagte Annahme sein, dass die Funktion f(p) in dem hier \u00fcberall in Betracht kommenden\nP\nWerthintervalle von Null bis \u00fcber \u2014 hinaus graphisch dargestellt keinen\nV\nWendepunkt zeigen w\u00fcrde, d. h. dass in diesem Werthintervalle f'(p) sein Vorzeichen nicht \u00e4ndert. Da es nun aber gar keinen Sinn h\u00e4tte, sich vorzustellen, dass ein Moment mit dem Maximum der Anstrengung hergestellt wird, so ist man gezwungen anzunehmen, dass f\u00fcr alle Werthe von p von Null bis zu den h\u00f6chsten in Betracht kommenden Werthen f\" (p) immer positiv bleibt, d. h. dass das Gef\u00fchl der Anstrengung rascher w\u00e4chst als die Spannung der Muskelfaser, was zu beweisen war.\nDas Ergebniss der vorstehenden Betrachtung gewinnt ein noch h\u00f6heres Interesse, wenn man an der Hand des Zweckm\u00e4ssigkeits-principes weiter folgert, von welchem Vorg\u00e4nge in der Muskelfaser das Gef\u00fchl von Anstrengung der subjektive Ausdruck sein muss. Es ist a priori ersichtlich und in den letzten Jahrzehnten sehr oft ausgesprochen, dass eine organische Species nur dann bestehen kann, wenn im Bewusstsein des Individuums im Allgemeinen solche Vorg\u00e4nge mit dem Gef\u00fchle der Lust verkn\u00fcpft sind oder als er-strebenswerth vorgestellt werden, welche der Existenz des Individuums resp. der Existenz der Gattung von Vortheil sind, und dass das Gef\u00fchl der Unlust (die m\u00f6glichst vermieden wird) sich an solche Vorg\u00e4nge kn\u00fcpft, welche dem Individuum seine Erhaltung und Fortpflanzung erschweren. Nun wird aber offenbar dem thierischen Subjekte im Bereiche seiner Muskelsubstanz nichts mehr f\u00f6rderlich sein, als wenn es die zu seinen Zwecken n\u00f6thigen Bewegungen mit m\u00f6glichst kleinem Aufwande von Brennmaterial ausf\u00fchren kann. Es w\u00fcrde also eine \u00fcberaus zweckm\u00e4ssige und darum sehr wahrscheinliche Einrichtung sein, wenn gerade der zu meidende Verbrauch von Brennmaterial, d. h. die Intensit\u00e4t des chemischen Processes ihren subjektiven Ausdruck f\u00e4nde in dem faktisch m\u00f6glichst gemiedenen Gef\u00fchle der Anstrengung. So gipfelt also der hier mitgetheilte Gedankengang der Abhandlung von Fuchs in den beiden S\u00e4tzen: Bei allen instinktiv ausgef\u00fchrten Bewegungen vertheilen sich die Spannungen auf die mitwirkenden Muskeln so, dass das beabsichtigte Moment mit dem geringsten Aufwand an Brennmaterial hervorgebracht wird, und dass der Verbrauch von Brennmaterial zur Hervorbringung einer bestimmten Muskelspannung \u2014 alles \u00fcbrige gleichgesetzt \u2014 nicht dem Werthe dieser Spannung proportional w\u00e4chst, sondern rascher als er.","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"SPECIELLER THEIL.\nERSTES CAPITEL.\nDas aufrechte Stehen.\nDer Lehre von der Fortbewegung des Menschen auf ebenem Boden ist es zweckm\u00e4ssig eine Er\u00f6rterung des aufrechten Stehens vorauszuschicken. Man versteht hierunter jede Gleichgewichtslage des ganzen K\u00f6rpers, hei welcher er bloss durch die Fusssohlen unterst\u00fctzt ist und hei der die L\u00e4ngserstreckungen der Hauptabschnitte des ganzen K\u00f6rpers ann\u00e4hernd in dieselbe Richtung fallen. Selbstverst\u00e4ndlich ist allen solchen Gleichgewichtslagen das gemeinsam, dass ein durch den Schwerpunkt des gesammten K\u00f6rpers gehendes Loth die Bodenfl\u00e4che in einem Punkte schneiden muss, welcher im Inneren eines Polygones liegt, das Ber\u00fchrungspunkte der Fusssohlen-fl\u00e4cken mit dem Boden zu Eckpunkten hat. Die gr\u00f6sste Figur derart an der Bodenfl\u00e4che, innerhalb deren der Fusspunkt des Lothes durch den Schwerpunkt sicher liegen muss, hat zu Umfangsst\u00fccken die beiden \u00e4usseren Fussr\u00e4nder und die beiden geraden Verbindungslinien der Fussspitzen und Fersen. Im Uebrigen kann die Lage der einzelnen K\u00f6rpertheile noch eine sehr verschiedene sein. Es ist nur die Bedingung zu erf\u00fcllen, dass die Kr\u00e4fte, welche auf die einzelnen gegeneinander beweglichen Abschnitte wirken, sich Gleichgewicht halten. Da unter diesen Kr\u00e4ften willk\u00fcrlich ver\u00e4nderliche Muskelspannungen \u00fcberall in grosser Zahl vorhanden sind, so kann diese Bedingung offenbar bei sehr verschiedenen Lagen der Theile gegeneinander erf\u00fcllt sein. Man wird aber fragen k\u00f6nnen, in welcher gegenseitigen Lage der Theile l\u00e4sst sich das Gleichgewicht mit dem geringsten Aufwande von Muskelspannungen erhalten?\nUm das Problem nicht allzusehr zu verwickeln, mag der Rumpf mit Hals und Becken als eine starre Einheit angesehen werden,","page":320},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"Bedingungen der Stabilit\u00e4t beim Stehen.\n321\nderen Tlieile unter einander unver\u00e4nderlich verbunden sind, was auch, wenn nicht bedeutende gestaltver\u00e4ndernde Kr\u00e4fte ins Spiel kommen, ann\u00e4hernd richtig ist. Auch die Arme m\u00f6gen senkrecht herabh\u00e4ngend mit dem Kumpf in fester Verbindung gedacht werden. Es kommen also noch folgende Theile als gegeneinander beweglich in Betracht: 1. Kopf, 2. Rumpf, 3. Oberschenkel, 4. Unterschenkel, 5. F\u00fcsse; die drei letzten Abschnitte sind zwar paarig vorhanden, aber wenn wir bloss symmetrische Stellungen untersuchen, kann man je ein Paar f\u00fcr eine Einheit gelten lassen. In dem f\u00fcr die Erhaltung des Gleichgewichtes ung\u00fcnstigsten Falle sind je zwei dieser f\u00fcnf Abschnitte immer nur gegeneinander beweglich, um eine wagrechte Axe, n\u00e4mlich der Kopf gegen den Hals, um die gemeinsame von rechts nach links gehende Axe der Atlasgelenke (wenn man von seitlichen Neigungen absieht). Das Becken gegen die Oberschenkel um die Verbindungslinie der beiden Drehpunkte der H\u00fcftgelenke, die Oberschenkel gegen die Unterschenkel um die Gerade, welche beide Knieaxen enth\u00e4lt, die in eine Richtung fallen m\u00f6gen, die Unterschenkel gegen die F\u00fcsse um die ebenfalls zun\u00e4chst in einer Richtung gedachten Axen der Astragalusrollen. Beil\u00e4ufig bemerkt w\u00e4re es f\u00fcr die Erhaltung des Gleichgewichtes weniger ung\u00fcnstig, wenn die Knieaxen und Astragalusaxen nicht in je eine Richtung fallen, wie sp\u00e4ter zu er\u00f6rtern ist.\nSelbst jenen ung\u00fcnstigten Fall gesetzt, scheint es nun eine Lage der Theile zu geben, bei welcher gar keine Muskelspannung zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes erforderlich ist. Es brauchten n\u00e4mlich nur die s\u00e4mmtlichen Drehungsaxen und die Schwerpunkte der verschiedenen K\u00f6rperabschnitte in ein und derselben vertikalen Ebene zu liegen. Dann w\u00e4ren die Momente der Schwere bez\u00fcglich aller Axen, um welche eine Drehung stattfinden kann, gleich Null, und es w\u00e4re also ohne H\u00fclfe irgend welcher Muskelkraft Gleichgewicht vorhanden. Dies Gleichgewicht w\u00e4re aber labil und seine Erhaltung w\u00fcrde eine grosse Aufmerksamkeit erfordern, indem bei jeder St\u00f6rung eine willk\u00fcrliche Muskelspannung zur Wiederherstellung erforderlich w\u00e4re. Wie schwierig es aber ist, ein labiles Gleichgewicht zu erhalten, davon kann man sich \u00fcberzeugen, wenn man sich auf eine scharfe Kante stellt. Es liegt daher der Gedanke nahe, dass die in Rede stehende Gleichgewichtslage mit senkrecht \u00fcbereinander liegenden Axen und Schwerpunkten keineswegs die bequemste Art des aufrechten Stehens ist. Zwar k\u00f6nnte es scheinen, als ob diesem Gleichgewichte die blosse Elasticit\u00e4t der ruhenden Muskeln schon Stabilit\u00e4t verliehe. In der That, wenn ein K\u00f6rper-\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t21","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322 Fick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 1. Cap. Das aufrechte Stehen.\nabschnitt aus dieser Lage etwas nach hinten weicht, so werden die vorn an ihm angebrachten Muskeln etwas gedehnt und folglich gespannt, w\u00e4hrend die Antagonisten noch mehr erschlafft werden, es wird also dem durch das Ausweichen entstehenden Momente der Schwere nach hinten, ein Moment elastischer Kr\u00e4fte nach vorn entgegenwirken. Bei vollkommen ruhender Muskulatur wird aber ganz sicher dies Moment bei weiterem Ausweichen nicht so rasch wachsen als das Moment der Schwere und folglich wird das Gleichgewicht doch immer noch labil sein. Stabil kann es erst dann werden, wenn die Muskeln auf beiden Seiten im Erregungszust\u00e4nde sind, so dass schon bei einer kleinen Dehnung auf der einen Seite ein grosser Zuwachs der Spannung und eine bedeutende Minderung derselben auf der anderen Seite statthat. Es w\u00e4re daher wohl m\u00f6glich, dass wir bequemer stehen, wenn wir die antagonistischen Muskeln in Spannung versetzen und dem Momente der einen durch ein Moment der andern Gleichgewicht halten, was eine anscheinende Verschwendung von Muskelanstrengung ist. Es w\u00fcrde uns aber die fortw\u00e4hrende Aufmerksamkeit und die abwechselnde Zusammenziehung der einen und der andern Muskelgruppe ersparen. Genau untersucht ist \u00fcbrigens dieser Gegenstand noch nicht und es d\u00fcrfte wohl die M\u00fche lohnen, auszumitteln, welcher Spannungsgrad antagonistischer Muskel-gruppen erforderlich ist, um das Gleichgewicht bei senkrecht \u00fcber den Axen liegenden Schwerpunkten stabil zu machen. Mag sich dies verhalten wie es wolle, jedesfalls w\u00e4re am allerzweckm\u00e4ssig-sten eine Lage des K\u00f6rpers beim aufrechten Stehen, in welcher die Stabilit\u00e4t des Gleichgewichtes gesichert w\u00e4re ganz oder theilweise durch Kr\u00e4fte, die nicht in aktiver Muskelanstrengung ihren Ursprung haben. In diesem Sinne hat H. Meyer 1 das Problem des aufrechten Stehens gefasst und gel\u00f6st, und zwar ist er zu folgendem Ergebnisse gekommen.\nWas zun\u00e4chst die Feststellung des Kopfes auf dem Rumpfe betrifft, so wird man allerdings von anderen als Muskelkr\u00e4ften absehen m\u00fcssen. Der Schwerpunkt des Kopfes liegt faktisch beim aufrechten Stehen meist vor der Gelenkaxe und dem Moment der Schwere des Kopfes kann ohne grosse Anstrengung durch Spannung der gewaltigen Nackenmuskulatur Gleichgewicht gehalten werden.\nDas Hauptinteresse bieten die an den H\u00fcftgelenken wirkenden Kr\u00e4fte. Bekanntlich zieht von der Spina oss. ilium anterior inferior ein m\u00e4chtiges Band zur Linea intertrochanterica des Oberschenkels\n1 H. Meyer, M\u00fcller\u2019s Arch. f. Anat. u. Physiol. 1853. S. 9.","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Fixirung der Knie- und Fussgelenke beim Stehen.\n323\nvorn \u00fcber das Gelenk herab das Lig. ileofemorale superius. Seiner Lage nach muss dieses Band die Extension des Schenkels beschr\u00e4nken und zwar bei ausw\u00e4rts gerolltem Schenkel schon fr\u00fcher als bei einw\u00e4rts gerolltem. Meyer behauptet nun, gest\u00fctzt auf Versuche an der Leiche und Beobachtung am Lebenden, dass bei der bequemsten aufrechten Stellung das Loth durch den Schwerpunkt des Rumpfes (das durch die Mitte der Brust geht) hinter der Verbindungslinie der H\u00fcftdrehpunkte herabfalle und dass dem so entstehenden Momente der Schwere nach hinten das nach vorn drehende Moment der Spannung der beiden Ligg. ileofemoralia Gleichgewicht halte, sowie die Schenkel ein wenig nach ausw\u00e4rts gerollt sind, was bei der nat\u00fcrlichen aufrechten Stellung eben der Fall sei. Dies Gleichgewicht ist stabil, denn wenn auch bei weiterer R\u00fcckw\u00e4rtsdrehung des Beckens das Moment der Schwere zunimmt, so nimmt doch dabei das Moment der Bandspannung in noch weit h\u00f6herem Maasse zu, da die einmal entfalteten Bandmassen einen sehr grossen Elasti-cit\u00e4tskoeffieienten haben, d. h. fast unausdehnbar sind.\nDer Behauptung Meyer\u2019s entgegen hat Parow1 allerdings durch zahlreiche Messungen am Lebenden dargethan, dass faktisch bei ganz bequemem aufrechten Stehen der Schwerpunkt des Rumpfes nahezu senkrecht \u00fcber der Verbindungslinie der H\u00fcftdrehpunkte liegt. Mag das immerhin, h\u00e4ufig der Fall sein, d. h. m\u00f6gen viele Personen die Aufrechterhaltung eines labilen Gleichgewichtes in den H\u00fcftgelenken vorziehen, so beh\u00e4lt doch die Meyer\u2019sehe Konstruktion einer aufrechten Stellung ihr Interesse, bei welcher durch blosse Gelenkeinrichtungen mit m\u00f6glichster Meidung von Muskelspannung ein stabiles Gleichgewicht stattfindet, auch d\u00fcrfte kaum zu bezweifeln sein, dass die von Meyer konstruirte und er\u00f6rterte Stellung in Wirklichkeit \u00f6fters beliebt wird. Wir folgen daher diesen Er\u00f6rterungen weiter. Die Kniegelenke befinden sich im Zustande extremer Streckung und das Loth durch den gemeinsamen Schwerpunkt von Rumpf und Oberschenkeln durch das Promontorium des Beckens gehend f\u00e4llt nur ganz wenig hinter die Kniegelenkaxen. Dass dem hierdurch bedingten beugenden Momente der Schwere nicht etwa die Spannung der Ex-tensores cruris Gleichgewicht h\u00e4lt, davon kann man sich leicht \u00fcberzeugen. Man findet n\u00e4mlich bei jedem unbefangen aufrecht stehenden Menschen die Patella leicht beweglich, d. h. also das Ligamentum patellae schlaff. Meyer macht nun sehr scharfsinnig darauf aufmerksam, dass das Moment der Schwere selbst am H\u00fcftgelenk dem Mo-\n1 Parow, Arch. f. pathol. Anat. XXXI.","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324 Fick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 1. Cap. Das aufrechte Stehen.\nmente der Schwere am Kniegelenk Gleichgewicht h\u00e4lt. Verm\u00f6ge der Gestaltung der Kniekondylen kann n\u00e4mlich der [Jehergang des Femur aus der \u00e4ussersten Streckung an der Tibia in eine gebogene Lage nicht bewerkstelligt werden ohne einige Rotation des Femur nach aussen. Diese aber hindert das Moment der Rumpfschwere am H\u00fcftgelenke, indem es, wie wir sahen, das Lig. ileofemorale superius anspannt, welches seinerseits eine weitere Rotation nach aussen und mithin eine Flexion des Knies nicht zul\u00e4sst. Man kann diese Behauptung nach dem Principe der virtuellen Geschwindigkeiten auch so formuliren : Wenn das Kniegelenk aus der gedachten Streckstellung heraus um einen verschwindend kleinen Winkel gebogen werden soll, so w\u00fcrde die damit untrennbare Rotation der Femora in den H\u00fcftgelenken nach aussen unter Vermittelung der nicht weiter ausdehnbaren Ligg. ileofemoralia den Rumpf so viel nach vorn drehen, dass durch diese Drehung der Schwerpunkt des K\u00f6rpers mehr stiege als er durch die Beugung im Knie sinkt, d. h. die erste verschwindend kleine Drehung um die Knieaxen nach hinten w\u00fcrde nicht m\u00f6glich sein, ohne dass im Ganzen der Schwerpunkt stiege. Ein strenger Beweis hierf\u00fcr ist von Meyer nicht geliefert, aber es kann sich sehr wohl so verhalten.\nBetrachten wir endlich die Drehung der beiden Unterschenkel an den Astragalusrollen. Das Loth durch den gemeinsamen Schwerpunkt von Rumpf und Bein f\u00e4llt vor die Astragalusaxen, welche \u00fcbrigens bei der vorausgesetzten Ausw\u00e4rtsstellung der Fitsse nicht in eine gerade Linie fallen. Es ist daher ersichtlich, dass ein Vorn\u00fcberfallen der Beine in den Astragalusrollen nicht m\u00f6glich ist, ohne gleichzeitige Beugung der Kniegelenke. Alle Momente also, welche dieser Beugung widerstreben, werden auch einen entsprechenden Theil des um die Astragalusrollen nach vorn drehenden'Momentes der Schwere aufwiegen. Da aber, wie wir sahen, unter den das Knie streifenden Momenten das der Spannung des Lig. ileofemorale superius eine wesentliche Rolle spielt, so tr\u00e4gt es auch zur Aequili-brirung des K\u00f6rpers auf den Astragalusrollen bei. Doch glaubt Meyer \u2014 und wohl mit Recht \u2014, dass es allein nicht ausreiche, und dass daher eine Spannung der Extensores pedis beim aufrechten Stehen unentbehrlich sei. Eine numerische Bestimmung der bei dieser sinnreichen Theorie Meyer\u2019s in Betracht kommenden Kr\u00e4fte d\u00fcrfte wohl die M\u00fche lohnen.","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"Beschreibung der Bewegungen der Beine beim Geben..\n325\nZWEITES CAPITEL.\nDas Gehen.\nDie in den nachstehenden Abschnitten gegebene Darstellung des Gehens und Laufens h\u00e4lt sich im Ganzen genau an die Mechanik der Gehwerkzeuge der Gebr. Weber, welche durch die Arbeiten sp\u00e4terer Forscher nur ganz unwesentliche Zus\u00e4tze erfahren hat.\nBeim nat\u00fcrlichen Gehen auf ebenem Boden wird der Schwerpunkt des Rumpfes mit nahezu konstanter Geschwindigkeit in nahezu horizontaler Bahn fortbewegt. Es m\u00fcssen daher im Ganzen die auf denselben wirkenden Kr\u00e4fte sich im Gleichgewicht halten, so dass weder Beschleunigung noch Verz\u00f6gerung eintritt. Solcher Kr\u00e4fte sind aber jederzeit drei im Spiele: 1. der Widerstand der Luft, welcher die vorhandene Geschwindigkeit zu verkleinern strebt, 2. die Schwere, welche dem Schwerpunkt des Rumpfes eine Beschleunigung senkrecht abw\u00e4rts zu ertheilen strebt, 3. die Spannung der Muskeln, welche die Gelenke des an den Boden angestemmten Beines gerade zu strecken und dadurch die Entfernung zwischen dem Schenkelkopfe und dem an den Boden angestemmten Punkte zu ver-gr\u00f6ssern strebt. Der Gesammteffekt dieser Spannungen, die \u201e Streckkraft des Beines\u201c wirkt also wie eine abstossende Kraft in der jeweiligen Richtung von dem angestemmten Punkte nach dem Schenkelkopfe, in welchem wir einstweilen die ganze Masse des Rumpfes vereinigt denken k\u00f6nnen.\nDas Gegeneinanderwirken dieser drei Kr\u00e4fte ist nun genauer in den einzelnen Phasen eines Schrittes zu untersuchen, wobei sich zeigen wird, dass das Gleichgewicht nicht immer genau statt hat und somit kleine periodische Schwankungen der Geschwindigkeit und der H\u00f6he des Schwerpunktes \u00fcber dem Horizonte beim Gehen unvermeidlich sind.\nDie Dauer jedes Schrittes zerf\u00e4llt in zwei ungleiche Abschnitte, w\u00e4hrend des einen meist kleineren ber\u00fchren beide F\u00fcsse den Boden, w\u00e4hrend des anderen ist nur der eine Fuss an den Boden angestemmt, das andere Bein h\u00e4ngt frei am Rumpfe und schwingt von hinten nach vorn. Man kann somit die periodisch wechselnden Lagen jedes Beines beim Gehen durch folgendes Schema veranschaulichen, wo ein gerader Strich das Stemmen am Boden, ein Bogen das freie","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326\nFick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 2. Cap. Das Gehen.\nSchwingen eines Beines bezeichnet, die obere Linie bezieht sich auf das linke, die untere auf das rechte Bein.\nUnter der Dauer zweier\n__._______,\u2014._]______,\u2014-________Schritte ist selbstverst\u00e4ndlich\nzu verstehen die Zeit von\n__________^________\u201e_____________einem beliebigen Augenblicke\na.\td e r 3\tbis zu dem n\u00e4chstfolgenden,\nr. 9\u201e\tin welchem s\u00e4mmtliche Theile\nFig. 20.\t.\ndes K\u00f6rpers wieder genau m derselben relativen Lage und in demselben Bewegungszustande sich befinden, wie im ersten. Diese Dauer einer ganzen Periode des periodischen Bewegungszustandes der Beine beim G-ehen zerf\u00e4llt in zwei gleiche Abschnitte, so dass in jedem Augenblicke des zweiten Abschnittes das rechte Bein sich in der relativen Lage zum K\u00f6rper und in dem Bewegungszustande befindet, in welchem sich im entsprechenden Augenblicke des ersten Abschnittes das linke befand. Die Dauer eines solchen Abschnittes heisst eine Schrittdauer. Im Schema (Fig. 20) ist beispielsweise die durch den Zwischenraum zwischen a und e dargestellte Zeit die Dauer zweier Schritte, welche von dem Augenblick (\u00ab), wo der linke Fuss vom Boden gehoben wird, reicht bis zu dem Augenblicke (e), wo er abermals erhoben wird, nachdem er inzwischen von a bis b frei geschwungen hatte und von b bis e an den Boden angestemmt war. Die ganze Periode a e zerf\u00e4llt nun in die zwei Schritte ac und ce, so dass von dem Augenblicke c an, wo der rechte Fuss den Boden verl\u00e4sst, sowie der linke im Augenblicke a, bis zu dem Augenblicke e eben der rechte Fuss genau die Bewegungen ausf\u00fchrt, welche der linke w\u00e4hrend der Zeit ac ausf\u00fchrte, n\u00e4mlich Schwingung (von c bis d) und Aufsetzen auf den Boden (d bis e). Umgekehrt thut von c bis e der linke Fuss genau das, was w\u00e4hrend der Zeit a c der rechte that, n\u00e4mlich er stemmt sich gegen den Boden.\nBetrachten wir jetzt die Vorg\u00e4nge genauer, deren Rhythmus in seinen allgemeinsten Z\u00fcgen durch das Schema Fig. 20 dargestellt ist. Wir wollen ausgehen von dem Augenblicke a (Fig. 20), wo der linke Fuss den Boden verl\u00e4sst. Das linke Bein war in diesem Augenblicke zum Maximum gestreckt und ber\u00fchrte nur noch mit der Fussspitze den Boden. Die Richtung von diesem Ber\u00fchrungspunkt zum Schenkelkopf ist schr\u00e4g von hinten und unten nach oben und vorn und bildet die Hypothenuse eines rechtwinkligen Dreiecks, dessen eine Kathete die H\u00f6he des Schenkelkopfes \u00fcber der Bodenfl\u00e4che ist. In dem Augenblicke, wo der linke Fuss vom Boden gel\u00f6st wird, muss","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"Streckung des angestemmten Beines.\n327\ndas Loth durch den Schwerpunkt des K\u00f6rpers in den Bereich der den Boden ber\u00fchrenden rechten Fusssohlenfl\u00e4che fallen. Fiele es n\u00e4mlich weit hinter dessen Ferse, so w\u00fcrde die Schwere nach L\u00f6sung des linken Fusses den K\u00f6rper um die Ferse des rechten als St\u00fctzpunkt nach hinten umwerfen, was auch durch die Streckkraft dieses Beines nicht verhindert werden k\u00f6nnte. Ein klein wenig hinter die Ferse des. rechten Fusses d\u00fcrfte allerdings das Loth durch den Schwerpunkt noch fallen, da die Masse des K\u00f6rpers im gedachten Augenblicke eine gewisse Geschwindigkeit nach vorn hat, die sich mit der Beschleunigung durch die Schwere nach abw\u00e4rts zu einer Bewegung nach vorn und unten zusammensetzen w\u00fcrde und also auch ohne H\u00fclfe des hinten nicht mehr angestemmten linken Beines den Schwerpunkt des K\u00f6rpers noch gerade \u00fcber die rechte Fusssohle bringen k\u00f6nnte. Faktisch steht aber beim normalen Gehen der Schenkelkopf und mithin auch etwa der Schwerpunkt des K\u00f6rpers in dem betrachteten Augenblicke ziemlich genau senkrecht \u00fcber der Ferse des rechten Fusses, wie unter Nr. 1 in Fig. 21 zu sehen ist. Es folgt nun also eine Zeit, w\u00e4hrend welcher der rechte Fuss allein den K\u00f6rper unterst\u00fctzt. Verm\u00f6ge des Zusammenwirkens der vorhandenen Geschwindigkeit und der Schwere w\u00fcrde der K\u00f6rper nach vorn herunter fallen. Dies wird aber dadurch verhindert, dass sich das bis dahin gebogen gewesene rechte Bein streckt und zwar zun\u00e4chst bloss im Kniegelenk, w\u00e4hrend im Sprunggelenke die Beugung noch eine Zeit lang fortgeht (s. Nr. 1, 2, 3, 4, Fig. 21), so r\u00fcckt also der Schwerpunkt statt nach vorn und unten bloss nach vorn weiter, ja indem die Streckkraft des Beines ein wenig \u00fcber die Schwere \u00fcberwiegt, wird er sogar ein wenig gehoben (Nr. 5, Fig. 21). Ist der Schwerpunkt des K\u00f6rpers gerade senkrecht \u00fcber den Grosszehenballen des rechten Fusses gekommen, dann hebt die Wirkung der schon etwas vorher in Spannung versetzten Strecker des Sprunggelenkes die Ferse des rechten Fusses vom Boden auf, der nunmehr bloss noch mit dem Ballen angestemmt bleibt. Noch immer f\u00e4hrt das rechte Bein fort, sich zu verl\u00e4ngern, jetzt aber eben nur noch durch Streckung im Sprunggelenke, da das Kniegelenk die volle Streckung schon erreicht hat. Durch diese Fortsetzung der Streckung wird der Schenkelkopf und mit ihm der Schwerpunkt des K\u00f6rpers in fast genau wagrechter Richtung nach vorn weiter getragen. Das rechte Bein durchl\u00e4uft so die in Fig. 21 mit den Ziffern 6 \u2014 18 bezeichneten Lagen. Inzwischen ist der im Anfang der betrachteten Zeit vom Boden gel\u00f6ste linke Fuss am rechten vor\u00fcber frei durch die Luft nach vorn gegangen und wird, noch ehe","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"328\nFick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 2. Cap. Das Gehen.\nSS\n\n\nIO\ndie Streckung des rechten ganz vollendet ist, also bevor das rechte Bein die Lage Nr. 18 erreicht hat, wieder aufgesetzt und zwar so, dass seine Ferse mehr oder weniger weit vor dem Loth durch den Schwerpunkt den Boden ber\u00fchrt. Das rechte ebenfalls noch ange-","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Pendelschwingung des h\u00e4ngenden Beines.\n329\nstemmte Bein f\u00e4hrt wie gesagt noch fort, sich zu strecken, jetzt aber h\u00e4lt die senkrechte Komponente seiner Streckkraft nicht mehr ganz der Schwere Gleichgewicht, so dass der Schenkelkopf mit dem Schwerpunkte in dem nun folgenden kurzen Stadium, w\u00e4hrend dessen beide F\u00fcsse den Boden ber\u00fchren, ein wenig sinkt (Nr. 14 \u201418, Fig. 21), wobei sich also das eben vorn aufgesetzte linke Bein noch etwas biegen muss. Dies dauert so lange, bis der auch beim Sinken nat\u00fcrlich noch immer stetig vorr\u00fcckende Schwerpunkt des K\u00f6rpers senkrecht \u00fcber der Ferse des linken Fusses gekommen ist. In diesem Augenblicke wird das nunmehr vollst\u00e4ndig ausgestreckte rechte Bein vom Boden gel\u00f6st. Die L\u00f6sung des Fussballens vom Boden erfolgt theils infolge einer kleinen Erhebung des ganzen K\u00f6rpers, welche in dem betrachteten Augenblick durch Streckung des jetzt genau senkrecht angestemmten linken Beines bewirkt wird, theils infolge einer Verk\u00fcrzung des rechten Beines, welche zun\u00e4chst durch Biegung im Knie bewerkstelligt wird. Sowie einmal diese L\u00f6sung geschehen ist kann schon die blosse Schwere das nunmehr frei h\u00e4ngende rechte Bein nach vorn beschleunigen und das vorn aufgesetzte linke einholen machen. Die Fortschreitungsgeschwindigkeit des ganzen K\u00f6rpers nach vorn hat n\u00e4mlich die Masse des rechten Beines zum Theil so schon besessen, zum Theil wird sie ihm im ersten Momente nach der L\u00f6sung des Fusses durch den Zusammenhang der Gewebe zum Theil wohl auch durch eine aktive Zusammenziehung der Flexores femoris so gut wie augenblicklich beigebracht, die Schwere aber wirkt, da sein Schwerpunkt weit hinter dem Loth durch seinen Aufh\u00e4ngepunkt \u2014 den Drehpunkt des H\u00fcftgelenkes \u2014 liegt mit einer Komponente beschleunigend nach vorn. Nat\u00fcrlich muss sich das frei schwingende Bein, je mehr es sich der senkrecht herabh\u00e4ngenden Lage n\u00e4hert, noch weiter verk\u00fcrzen, um den Boden nicht zu ber\u00fchren. Diese Verk\u00fcrzung geschieht grossestheils durch Hebung des Fusses. Die Lagen, welche das rechte Bein beim Schwingen bis etwa zur senkrechten Lage durchl\u00e4uft, sind in Fig. 21 unter Nr. 19\u201428 dargestellt. Erst ganz zuletzt, nachdem es die senkrechte Lage schon \u00fcberschritten hat, wird es wieder etwas gestreckt und zwar wohl ohne besonderes Zuthun aktiver Muskelanstrengung, indem ja bei der in Rede stehenden Lage die Schwere und die Tr\u00e4gheit den vom Loth nach hinten abweichenden Unterschenkel in die Lothlinie zu f\u00fchren und somit den Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel zu vergr\u00f6ssern strebt. Ist diese Streckung bis zu einem gewissen Maasse gekommen, so erreicht der rechte Fuss den Boden wieder, das rechte Bein knickt wieder merklich zusammen, so dass","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nFick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 2. Cap. Das Gehen.\nder Schwerpunkt des K\u00f6rpers resp. der Schenkelkopf sich dem Boden wieder etwas n\u00e4hert. Indem er aber zugleich nach vorn weiter vorschreitet, kommt er wieder senkrecht \u00fcber die Ferse des rechten Fusses und in diesem Augenblicke verl\u00e4sst der linke Fuss abermals den Boden wie in dem Augenblicke, von welchem wir ausgegangen sind. Es ist also eine Periode von zwei Schrittdauern abgelaufen und es beginnt eine zweite, in welcher sich genau derselbe Cyklus von Bewegungen abspielt, wie der beschriebene.\nZu den bedeutendsten Gedanken der \u201eMechanik der Gehwerkzeuge\u201c geh\u00f6rt der, dass die Bewegung des h\u00e4ngenden Beines von hinten nach vorn durch die senkrechte Lage hindurch eine wesentlich unter dem Einfl\u00fcsse der Schwere stattfindende Pendelschwingung ist. Soviel ich sehe, ist dieser Kardinalsatz der Lehre vom Gehen durch die Kritik einiger neuerer Autoren nicht wesentlich ersch\u00fcttert. Besonders hat Duchenne gegen den WEBER\u2019schen Satz pathologische Erfahrungen geltend gemacht, wonach die L\u00e4hmung des als Flexor femoris zu betrachtenden Tensor fasciae latae die normale Schwingung des Beines unm\u00f6glich machte. Mir scheint aus den Beobachtungen Duchenne\u2019s h\u00f6chstens zu folgen, dass ganz geringe Muskelaktionen vielleicht erforderlich sind, um dem schwingenden Beine die kleinen Bewegungen zu ertheilen, welche es in der Horizontalprojektion ausf\u00fchren muss, damit es richtig um das stemmende Bein herum komme und weder zu weit rechts, noch zu weit links aufgesetzt werde. Die eigentliche Hauptbewegung in der Profilprojektion wird gewiss, wie die Gebr. Weber behauptet haben, so gut wie ausschliesslich unter dem Einfl\u00fcsse der Schwere, also nach Art des Pendels, ausgef\u00fchrt. Nur ganz im Anf\u00e4nge m\u00f6chte ich, wie oben schon ausgesprochen wurde, vermuthen, geben die Flexores femoris des Oberschenkels diesem Gliede einen kleinen Ruck nach vorn, um seiner ganzen Masse die volle Fortschreitungsgeschwindigkeit des Rumpfes zu ertheilen. Hierdurch wird dann wohl auch sogleich die zur Verk\u00fcrzung des schwingenden Beines erforderliche Biegung des Kniegelenkes beg\u00fcnstigt, indem der Unterschenkel verm\u00f6ge seiner Tr\u00e4gheit noch ein wenig hinter diesem Ruck des Kniees nach vorn zur\u00fcckbleibt.\nDass ein am Rumpfe h\u00e4ngendes Bein so regelm\u00e4ssiger Pendelschwingungen f\u00e4hig ist, hat zum grossen Theil seinen Grund darin, dass zwischen Pfanne und Schenkelkopf fast gar keine gleitende Reibung stattfindet, weil (s. S. 271) der Druck, der diese beiden Fl\u00e4chen zusammenpresst, nahezu gleich Null ist. Die den Schenkelknochen umgebenden Muskeln wirken nur d\u00e4mpfend auf die Pendelschwin-","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Noth Wendigkeit der vertikalen Schwankungen.\n331\ngungen, \u00e4linlicli wie wenn ein Pendel in einer Fl\u00fcssigkeit schwingt, was zwar die Amplitude der Schwingungen rasch abnehmen macht, aber der G-leichheit ihrer Dauer keinen Abbruch thut.\nDie Weber\u2019sehe Lehre ist gewiss auch darin ganz im Rechte, dass die erstaunliche Regelm\u00e4ssigkeit des Ganges eben nur zu erkl\u00e4ren sei aus dem Umstande, dass die Schwingung des Beines eine nicht durch willk\u00fcrliche Muskelaktion gest\u00f6rte regelm\u00e4ssige Pendelschwingung ist. In der That ist ja unter dieser Annahme die Gleichheit des gr\u00f6ssten Theiles der Schrittdauer gesichert, sowie nur immer in derselben Lage des schwingenden Beines die Schwingung durch Aufsetzen unterbrochen wird, denn alsdann wird jedesmal derselbe Bruchtheil einer ganzen Schwingung vollendet, wozu immer die gleiche Zeit gebraucht wird.\nZu den wesentlichen Haupterscheinungen beim Gehen geh\u00f6rt noch eine gewisse Neigung des Rumpfes nach vorn, deren Noth-wendigkeit leicht einzusehen ist. Die Resultirende des Widerstandes der Luft n\u00e4mlich hat zum Angriffspunkte einen Punkt des Rumpfes, der jedesfalls hoch \u00fcber den Schenkelk\u00f6pfen liegt, w\u00e4hrend der Angriffspunkt der wagrechten Komponente der Streckkraft des Beines der Schenkelkopf oder die Pfanne selbst ist. Wenn nun auch diese beiden Kr\u00e4fte einander gleich sind, so halten sie sich doch noch nicht Gleichgewicht, sondern sie bilden ein Kr\u00e4ftepaar, das eine Drehung des Rumpfes im H\u00fcftgelenke nach hinten hervorzubringen strebt. Soll diese Drehung verhindert werden, so muss dem Momente dieses Paares ein entgegengesetztes Moment bez\u00fcglich der wagrechten H\u00fcftaxe Gleichgewicht halten. Ein solches Moment ergabt sich, wenn das Loth durch den Schwerpunkt des Rumpfes voider H\u00fcftaxe herabf\u00e4llt, so dass die Schwere f\u00fcr sich eine Drehung nach vorn im H\u00fcftgelenke hervorzubringen strebt. Dies Moment der Schwere wird offenbar um so gr\u00f6sser sein, je weiter der Rumpf vorgeneigt ist, und in der That findet man, dass die Vorneigung des Rumpfes um so gr\u00f6sser ist, je gr\u00f6sser der Luftwiderstand ist, also ceteris paribus je gr\u00f6sser die Geschwindigkeit des Ganges ist,\nDie in der vorstehenden Beschreibung erw\u00e4hnte abwechselnde Hebung und Senkung des Schwerpunktes erfordert eine zur Fortbewegung selbst nicht dienliche Muskelarbeit, welche also f\u00fcr den eigentlichen Zweck des Gehens \u00fcberfl\u00fcssig ist, und es k\u00f6nnte scheinen, als w\u00e4re diese Hebung und Senkung bloss eine durch gr\u00f6ssere Geschicklichkeit vermeidbare unzweckm\u00e4ssige Gewohnheit. Dies ist aber nicht der Fall, es l\u00e4sst sich vielmehr zeigen, dass ohne dieses abwechselnde Heben und Senken des Rumpfes ein einigermaassen","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nFick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. '2. Cap. Das Gehen.\ngleichm\u00e4ssiges Gehen gar nicht m\u00f6glich w\u00e4re. Wenn n\u00e4mlich die senkrechte Komponente der Streckkraft in jedem Augenblicke der Schwere des K\u00f6rpers Gleichgewicht halten sollte, um die Senkung zu verhindern, so w\u00fcrde die wagrechte Komponente jener Kraft den K\u00f6rper so stark beschleunigen, dass das schwingende Bein in der Zeit einer halben Schwingung nicht den Punkt erreichen k\u00f6nnte, wo es vorn wieder aufgesetzt werden muss, um die Rolle der St\u00fctze zu \u00fcbernehmen. Es m\u00fcsste also, um das schwingende Bein doch so weit zu bringen, durch Muskelkr\u00e4fte in seiner Schwingung beschleunigt werden, was voraussichtlich einen gr\u00f6sseren Aufwand von Anstrengung erforderte, als die geringe Hebung des K\u00f6rpers bei jedem Schritte. Man l\u00e4sst daher faktisch kurz ehe das schwingende Bein aufgesetzt wird die Streckkraft des hinten angestemmten Beines bedeutend abnehmen oder ganz aufh\u00f6ren zu wirken, so dass ihre senkrechte Komponente nicht mehr der Schwere Gleichgewicht h\u00e4lt und ihre wagrechte Komponente, die gerade in dieser Phase des Schrittes am gr\u00f6ssten sein w\u00fcrde, keine erhebliche Beschleunigung nach vorn hervorbringt. So sinkt also in diesem Zeitraum der Rumpf ein wenig, um in dem bald folgenden Zeitr\u00e4ume, wo das vorn aufgesetzte Bein senkrecht steht, wieder um ebenso viel gehoben zu werden. Dieser Augenblick ist zur Erhebung der g\u00fcnstigste, weil in ihm die senkrechte Komponente der Streckkraft des letzteren am gr\u00f6ssten ist. Diese vertikalen Schwankungen des Rumpfschwerpunktes betragen nach den Messungen der Gebr. Weber etwa 32 mm.\nAus den Betrachtungen, welche die Nothwendigkeit der vertikalen Schwankungen ergaben, l\u00e4sst sich ferner folgern, dass die Geschwindigkeit, mit welcher der K\u00f6rper beim Gehen wagrecht fortbewegt wird, nicht ganz konstant sein kann, dass vielmehr in dem Augenblicke, wo das vorn aufgesetzte Bein senkrecht steht und w\u00e4hrend eines unmittelbar vorhergehenden und nachfolgenden kleinen Zeitraumes die Geschwindigkeit des Rumpfes kleiner sein wird, als w\u00e4hrend des Zeitraumes, in welchem das eine Bein mehr schr\u00e4g an den Boden angestemmt ist, w\u00e4hrend das andere frei schwingt. In der That sahen wir ja, dass kurz ehe das vordere Bein den Boden ber\u00fchrt, die Streckkraft des hinten noch angestemmten Beines und mithin die Beschleunigung nachl\u00e4sst, und dass dann auch noch in den ersten Momenten nachdem das vorn aufgesetzte Bein in senkrechter Lage die Rolle des St\u00fctzens \u00fcbernommen hat, die wagrechte Komponente seiner Streckkraft fast Null ist, so dass auch jetzt noch keine nennenswerthe nach vorn beschleunigende Kraft wirkt. In dem gedachten Zeitabschnitte muss also durch die Widerst\u00e4nde der K\u00f6rper","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Horizontale Schwankungen von rechts nach links.\n333\nin seinem horizontalen Fortschreiten merklich verz\u00f6gert werden. Erst nachher, wenn das vorn aufgesetzte Bein eine mehr schr\u00e4ge Bichtung angenommen hat, wird er wieder beschleunigt.\nDies Ergebniss der WEBER\u2019schen Theorie des Gehens findet eine anschauliche Best\u00e4tigung in einer sinnreichen graphischen Darstellung Marey\u2019s. Er liess einen Mann im Kreise gehen und dabei eine leichte karousselartige Vorrichtung drehen. Die Axe derselben war zugleich die Axe eines feststehenden berussten Cylinders. Auf diese zeichnete der Stift eines MAREY\u2019schen Kardiographen, der am Arme des Ka-roussels befestigt war, seine Spurlinie. Die Luft in der Trommel des Kardiographen kommunicirte durch einen Kautschukschlauch mit einem Luftraum, der in der elastischen Sohle des Gehenden eingeschlossen war. Der Kardiographenhebel wurde also jedesmal gehoben, wenn diese Sohle auftrat, und sank wieder, wenn dieselbe vom Boden gehoben wurde. Das wag rechte Fortschreiten der Zeichenspitze des Kardiographen giebt in verkleinertem Maassstabe genau den Fortschritt des Gehenden wieder. Um nun zu sehen, welche Zeit auf jeden Theil des wagrechten Vorschreitens verwendet wurde, liess Marey durch einen Seitenzweig der Luftleitung auf den Kardiographenhebel noch eine Stimmgabel wirken, so dass derselbe neben den gr\u00f6sseren Schwankungen, die durch den Gang bewirkt wurden, noch kleine Schwingungen von immer gleicher Dauer ausf\u00fchrte. Auf diese Weise erhielt Marey vom rechten Fusse eines Gehenden die mit R bezeichnete Kurve der Fig. 22. Die mit\n\u00e0 \u00ef\nFig. 22.\nL bezeichnete punktirte Kurve giebt eine Vorstellung von den gleichzeitigen Zust\u00e4nden des linken Beines. Man sieht, dass w\u00e4hrend beide Fusse den Boden ber\u00fchren und also das rechte Bein stemmend die senkrechte Lage passirt, der Schwerpunkt um eine der Linie bc proportionale Strecke vorschreitet, auf diese Wegstrecke wird, wie die kleinen Wellen zeigen, die Zeit von zwei Schwingungen der Stimmgabel verwendet. Unmittelbar vorher hat der Schwerpunkt eine gleiche Wegstrecke ab in etwa einer Schwingungsdauer zur\u00fcckgelegt. Er hat also diese Wegstrecke mit etwa doppelter Geschwindigkeit durch laufen. Man kann aus der Kurve im Ganzen entnehmen, dass beim Aufsetzen eines Fusses der K\u00f6rper offenbar zum Theil durch den","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nFick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 2. Cap. Das Gehen.\ndabei unvermeidlich erfolgenden R\u00fcckstoss eine ziemlich pl\u00f6tzliche Verz\u00f6gerung erleidet, und dass dann nach Aufheben des Fusses eine allm\u00e4hliche Beschleunigung eintritt.\nEs ist wohl selbstverst\u00e4ndlich, dass auch die Horizontalprojektion der Bahn des Schwerpunktes beim Gehen nicht ganz genau eine gerade Linie sein kann, da die beiden abwechselnd st\u00fctzenden Beine nicht in der Medianebene liegen. Offenbar muss w\u00e4hrend das rechte Bein st\u00fctzt, der Schwerpunkt etwas mehr rechts, w\u00e4hrend das linke st\u00fctzt etwas mehr links liegen. Man kann sich hiervon sehr leicht \u00fcberzeugen, wenn man in einer Richtung geht, in welcher sich ziemlich weit von einander zwei sichtbare Vertikallinien (etwa zwei Stangen) befinden. Fixirt man die entferntere, so tritt das Bild der n\u00e4heren bald rechts, bald links neben das Bild jener. Diese horizontalen Schwankungen des K\u00f6rpers hat Marey graphisch dargestellt und zwar gleichzeitig mit den vertikalen. Der Punkt, dessen Schwankungen registrirt werden, ist \u00fcbrigens nicht der Schwerpunkt selbst, an den man keine Apparate befestigen kann, sondern das Os pubis. Der gehende Mensch treibt wieder die karousselartige Vorrichtung. Ihr Balken tr\u00e4gt zwei MAREY\u2019sche Luftkissen, deren Hebel mit dem Os pubis des Gehenden verbunden sind. Der eine dieser Hebel ist nur in vertikaler, der andere nur in horizontaler Ebene drehbar und dementsprechend liegt nat\u00fcrlich die Kautschukmembran des ersteren in wagrechter, die des letzteren in senkrechter, der Medianebene des Gehenden paralleler Ebene. Jedes dieser Luftkissen ist mit einem Kardiographen durch einen Kautschukschlauch verbunden. Beide Kardiographen zeichnen an einem in der Mitte des\n\u00a3\nPig. 23.\nKaroussels feststehenden Cylinder, der Zeiger des die wagrechten Schwankungen registrirenden Kardiographen hebt sich, wenn das Os pubis nach rechts ausweicht und umgekehrt. Die Fig. 23 giebt einen solchen Versuch. Oben ist in den Kurven L und R (letztere punktirt)","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Zweck der m\u00e4chtigen Abduktorenmasse.\n335\nzu sehen, wie die beiden Beine abwechselnd st\u00fctzen und schwingen, die Erhebung der Kurve \u00fcber die wagrechte deutet das Auftreten des Fusses an, L bezieht sich auf das linke, R auf das rechte Bein. Die Kurve v zeigt die vertikalen, die Kurve h die horizontalen Schwankungen. Man sieht vor Allem, dass die vertikalen Schwankungen doppelt so h\u00e4ufig erfolgen, als die horizontalen, was ja noth-wendig ist, da bei jedem Schritt der K\u00f6rper einmal sinkt und einmal steigt, w\u00e4hrend er bei dem einen Schritte nach rechts, beim andern nach links ausweicht, also ein Hinundhergang von rechts nach links und zur\u00fcck erst in der Zeit von zwei Schritten vollendet wird.\nDie Amplituden der horizontalen Schwankungen erscheinen auf der von Maeey gegebenen Zeichnung etwa doppelt so gross wie die der vertikalen. Daraus w\u00fcrde auf einen doppelten Betrag derselben zu schlieSsen sein, wenn man annehmen d\u00fcrfte, dass die beiden Re-gistrirapparate im selben Maassstabe gezeichnet haben. Hier\u00fcber macht indessen Maeey keine bestimmten Angaben. Dass die wagrechten Schwankungen bedeutend gr\u00f6sser sind als die senkrechten ist \u00fcbrigens von vornherein sehr wahrscheinlich.\nW\u00e4hrend der K\u00f6rper beim Gehen bloss von einem Beine gest\u00fctzt wird, liegt nat\u00fcrlich sein Schwerpunkt zwar \u00fcber dem Fusse, nicht aber \u00fcber dem Kopfe des betreffenden Schenkels, und es \u00fcbt also die Schwere am H\u00fcftgelenke ein adducirendes Moment aus, dies kann nur im Gleichgewicht gehalten werden durch Spannung der Abduktoren. In der That f\u00fchlt man, wenn man beim Gehen die Hand auf den Glutaeus m\u00e9dius legt, jedesmal sowie der betreffende Schenkel die St\u00fctzung des. K\u00f6rpers \u00fcbernimmt, in jenem Muskel eine bedeutende Spannung. Es ist zu vermuth en, dass die enorme Entwickelung der Abduktoren (Glutaeus m\u00e9dius und minimus) vorzugsweise den Zweck hat, den K\u00f6rper am seitlichen Umsinken beim Gehen zu verhindern, denn zu andern Zwecken ist wohl nicht h\u00e4ufig eine sehr kr\u00e4ftige Abduktion der Beine erforderlich.\nDa sowohl die Schwere des h\u00e4ngenden als die Streckkraft des stemmenden Beines nie genau in der Vertikalebene auf den K\u00f6rper wirken, welche den Schwerpunkt enth\u00e4lt, so wirken beim Gehen stets auch Momente, welche den K\u00f6rper um das Loth durch seinen Schwerpunkt bald im einen, bald im andern Sinne zu drehen streben. Gleichwohl kommen bei korrektem Gange keine merklichen Oscilla-tionen um die vertikale Axe vor. Eine wesentliche H\u00fclfe zur Vermeidung derselben leisten die Schwingungen der beiden Arme. W\u00e4hrend z. B. das linke Bein schr\u00e4g nach hinten h\u00e4ngt, h\u00e4ngt der rechte","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nFick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 2. Cap. Das Gehen.\nArm ebenso und der linke Arm schr\u00e4g nach vorn und vice versa beide Arme bringen in diesen Lagen immer ein entgegengesetztes Drehungsmoment hervor wie das h\u00e4ngende Bein. Ohne Zweifel m\u00fcssen aber auch die rotatorischen Momente von H\u00fcftgelenkmuskeln zur vollst\u00e4ndigen Vermeidung der Oseillationen mitwirken.\nNach den vorstehend entwickelten allgemeinen Gesetzen kann das Gehen mit sehr verschiedener Geschwindigkeit stattfinden, und es l\u00e4sst sich aus den Gesetzen selbst zum Voraus ersehen, wie die einzelnen in Betracht kommenden Gr\u00f6ssen ver\u00e4ndert werden m\u00fcssen,\nFig. 24.\num die Geschwindigkeit des Gehens zu vergr\u00f6ssern oder zu verkleinern. Zu diesem Zwecke ist vor Allem erforderlich, die Schrittl\u00e4nge mit der H\u00f6he, in welcher die Schenkelk\u00f6pfe \u00fcber dem Boden getragen werden, in Beziehung zu setzen. Betrachten wir zu diesem Ende die Stellung der beiden Beine in dem Augenblicke, in welchem das hinten angestemmte Bein das Maximum seiner L\u00e4nge durch Streckung aller Gelenke erreicht hat und im Begriffe ist, vom Boden","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Beziehung zwischen der Schrittl\u00e4nge und der H\u00f6he der Schenkelk\u00f6pfe. 337\ngehoben zu werden. In diesem Augenblicke muss nach den .entwickelten Gesetzen der Schenkelkopf senkrecht \u00fcber der Ferse des vorn aufgesetzten Fusses liegen. Unter Schrittl\u00e4nge versteht man nun bekanntlich die Entfernung entsprechender Punkte zweier aufeinander folgender Fussspuren, z. B. die Entfernung von der Spitze der einen Fussspur zur Spitze der n\u00e4chsten. In Fig. 24 ist also die Schrittl\u00e4nge ab. Andererseits ist die Entfernung der eben aufzuhebenden Fussspitze von dem Fusspunkte eines Perpendikels durch den Drehpunkt des H\u00fcftgelenkes c die eine Kathete eines rechtwinkligen Dreieckes, dessen Hypothenuse die L\u00e4nge des vollst\u00e4ndig ausgestreckten Beines ac und dessen andere Kathete die H\u00f6he cd ist, in welcher die Schenkelk\u00f6pfe \u00fcber dem Boden getragen werden. Da nun im Momente der Erhebung des hinteren Fusses der Schwerpunkt senkrecht \u00fcber der Ferse d steht, so ist diese Kathete ad gerade um die L\u00e4nge des Fusses kleiner als die Schrittl\u00e4nge ab. Dadurch ist die Schrittl\u00e4nge in Beziehung gesetzt mit der H\u00f6he cd, in welcher die Schenkelk\u00f6pfe \u00fcber dem Boden getragen werden. Nennen wir diese h und die ein f\u00fcr allemal fast konstante L\u00e4nge des vollst\u00e4ndig ausgestreckten Beines von der Fussspitze bis zum Schenkelkopf / sowie die ebenfalls konstante L\u00e4nge der Fusssohle /\nso ist die Schrittl\u00e4nge\t_________\ns = ~\\/1- \u2014 h1 -\\-f.\nDie obere Grenze der Gr\u00f6sse ad ist selbstverst\u00e4ndlich die halbe Spannweite der beiden Beine, d. h. die H\u00e4lfte der Entfernung, in welche man die Fussspitzen vorn und hinten aufsetzen kann, w\u00e4hrend der Rumpf aufrecht gehalten wird. Von der Gr\u00f6sse h ist merkw\u00fcrdigerweise auch die Schritt dau er abh\u00e4ngig. Je tiefer n\u00e4mlich die Schenkelk\u00f6pfe getragen werden, eine desto geneigtere Lage erh\u00e4lt das stemmende Bein, desto gr\u00f6sser ist die Beschleunigung des K\u00f6rpers, desto weniger d\u00fcrfen die Beine lange stehen bleiben, wenn sie durch ihre Schwere getrieben den Rumpf wieder einholen sollen, desto vertikaler ist die Stellung des Beines beim Auftreten und kleiner der Zeitraum des St\u00fctzens auf beide Beine, desto weniger \u00fcbertrifft endlich die Dauer eines Schrittes die H\u00e4lfte der Dauer einer Schwingung des Beines.\nDie halbe Schwingungsdauer des Beines ist die Kleinheitsgrenze der Schrittdauer, welche beim schnellsten Gehen erreicht wird. Es zieht sich dabei der Zeitraum, w\u00e4hrend welches beide Beine am Boden angestemmt werden, auf Null zur\u00fcck, indem das schwingende Bein nicht \u00fcber die senkrechte Gleichgewichtslage hinausschwingt und weiter vorn aufgesetzt wird, sondern es wird in dem Momente,\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ia.\t22","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nFick, Spec- Bewegungslehre. Spec. Theil. 2. Cap. Das Gehen.\nwo es die Gleichgewichtslage erreicht \u2014 also die H\u00e4lfte der Schwingung vollendet hat, gerade senkrecht auf dem Boden aufgesetzt und es kann also im selben Momente das hintere Bein den Boden verlassen. Diese bemerkenswerthe Folgerung aus der WEBER\u2019schen Theorie des Gehens ist durch Versuche vollkommen best\u00e4tigt; die Gebr. Weber fanden n\u00e4mlich bei einer Person die halbe Schwingungsdauer des schlaff h\u00e4ngenden Beines = 0,346 Sekunden und bei derselben Person die Schrittdauer beim schnellsten Gehen == 0,332 Sekunden. Dass die k\u00fcrzeste Schrittdauer noch eine Spur kleiner erscheint als die halbe Dauer einer Pendelschwingung ist wohl nicht auf Beobachtungsfehler oder St\u00f6rungen zu beziehen, sondern darauf, dass Schwingungen des gestreckten Beines zur Messung der Schwingungsdauer dienten, w\u00e4hrend beim Gehen das Bein in etwas gebogenem Zustande seine Schwingung vollf\u00fchrt. In der \u00fcberraschend genauen Uebereinstimmung der soeben angegebenen Zahlen liegt beil\u00e4ufig bemerkt der mathematische Beweis f\u00fcr den \u00f6fters angezweifelten Kardinalsatz der \u201e Mechanik der Gehwerkzeuge \u201c dass das h\u00e4ngende Bein lediglich unter dem Einfl\u00fcsse der Schwere also wie ein Pendel schwingt. Auch die in den obigen S\u00e4tzen implicite ausgedr\u00fcckte Thatsache, dass grosse Schritte von k\u00fcrzerer Dauer sind als kleine, ist nur aus der WEBER\u2019scken Pendeltheorie zu verstehen. Bei kleinen Schritten n\u00e4mlich ist der Schwingungsbogen des h\u00e4ngenden Beines zwar in Graden gemessen kleiner als bei grossen, aber er ist ein gr\u00f6sserer Bruchtheil der ganzen Schwingung, die eben bei kleinen Schritten von einer geringeren Maximalelongation anf\u00e4ngt. Deswegen braucht das Bein zur Zur\u00fccklegung des kleineren Bogens mehr Zeit als zum Durchlaufen des absolut gr\u00f6sseren Bogens bei grossen Schritten. Wenn andere Kr\u00e4fte als die Schwere eine wesentliche Rolle spielten, w\u00e4re dies nicht m\u00f6glich. Wenigstens m\u00fcssten diese Kr\u00e4fte auch wie die Schwere jederzeit eine der Elongation proportionale tangentiale Komponente besitzen. Bis zu einem gewissen Grade w\u00fcrde dies allerdings f\u00fcr die Spannung der Schenkelbeuger gelten, aber doch bei weitem nicht in dem Grade, wie es erforderlich w\u00e4re, um die Thatsachen im Einzelnen zu erkl\u00e4ren.\nEine Anschauung davon, wie in Wirklichkeit die Schrittdauer bei abnehmender Schrittl\u00e4nge zunimmt, kann nachstehende Tabell\u00eb geben, wo zusammengeh\u00f6rige Werthe der Schrittdauer, Schrittl\u00e4nge bei nat\u00fcrlichem Gehen derselben Person mit verschiedener Geschwindigkeit nach den Messungen der Gebr. Weber zusammengestellt sind.","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit zwischen Schrittdauer und Schrittl\u00e4nge.\n339\nNur\nSchrittdauer.\tSchrittl\u00e4nge.\tGeschwindigkeit.\n0,335\"\t0,851 m\t2,397 m./sec.\n0,394\t0,835\t2,119\n0,417\t0,804\t1,928\n0,460\t0,804\t1,748\njo QO O\t0,790\t1,646\n0,507\t0,762\t1,503\n0,562\t0,724\t1,288\n0,572\t0,712\t1,245\n0,604\t0,668\t1,106\n0,630\t0,658\t1,044\n0,663\t0,629\t0,949\n0,668\t0,629\t0,942\n0,726\t0,595\t0,819\n0,760\t0,572\t0,753\n0,846\t0,530\t0,627\n0,860\t0,543\t0,631\n0,905\t0,493\t0,545\n0,966\t0,448\t0,464\n1,030\t0,430\t0,417\n1,050\t0,398\t0,379\nsehr wenig kann\tdas Verk\u00e4ltniss\tvon Schrittda\nund\nSchrittl\u00e4nge willk\u00fcrlich abge\u00e4ndert werden.\nEine Gangart wird in der \u201eMechanik der Gehwerkzeuge\u201c noch besonders unter dem Namen des Gehens im \u201e gravit\u00e4tischen Schritte \u201c ausgezeichnet. Ihr Wesen besteht darin, dass das schwingende Bein in seiner Schwingung so weit \u00fcber die Vertikale hinaus geht, dass es vorn aufgesetzt mit der Vertikalen einen gr\u00f6sseren Winkel bildet als das hinten stemmende Bein. Dies letztere f\u00e4hrt daher noch eine\nZeit lang fort, die Last des K\u00f6rpers wesentlich zu tragen. Diese Gangart ist demnach besonders geeignet zum Gehen im Dunkeln auf unbekanntem Boden, weil man denselben dabei mit dem vorn aufgesetzten Fusse zuerst gleichsam betastet, ohne sich sofort darauf zu st\u00fctzen. Die Schritte k\u00f6nnen bei dieser Gangart nat\u00fcrlich nur sehr klein sein und m\u00fcssen sehr lange dauern, da die ganze Elongation der Schwingung des Beines nur sehr klein sein kann, aber fast ganz oder ganz vom schwingenden Bein zur\u00fcckgelegt wird und noch dazu der Zeitraum des Stehens auf beiden F\u00fcssen sehr lang ist. Nach den entwickelten Haupts\u00e4tzen werden beim gravit\u00e4tischen Schritte die Schenkelk\u00f6pfe sehr hoch getragen.\n22*","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nFick, Sec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 3. Cap. Das Laufen.\nDRITTES CAPITEL.\nDas Laufen.\nUnter \u201eLaufen\u201c verstehen wir eine Fortbewegungsart des K\u00f6rpers durch die Beine, welche sich vom Gehen dadurch unterscheidet, dass bei ihr nie beide F\u00fcsse zugleich den Boden ber\u00fchren, dass vielmehr abwechselnd Zeitr\u00e4ume aufeinander folgen, w\u00e4hrend welcher ein Bein auf dem Boden steht und w\u00e4hrend welcher kein Fuss den Boden ber\u00fchrt, also der K\u00f6rper frei fliegt. Da bei diesem freien Fliegen der K\u00f6rper eine ziemlich grosse Strecke in wagrechter Projektion durchmessen kann, so hat die Schrittl\u00e4nge nicht zur oberen Grenze die halbe Spannweite der gestreckten Beine. Andererseits ist hier die obere Grenze der Schritt d au er die halbe Schwingungsdauer des Beines. In der That muss bei dieser Bewegungsart das Bein stets gerade senkrecht, also nach Vollendung der halben Schwingung aufgesetzt werden, da es sogleich die Rolle der St\u00fctze ganz \u00fcbernehmen muss. Diese halbe Schwingung f\u00e4llt aber zum Theil noch in den Bereich der Dauer des vorhergehenden Schrittes, denn die Schwingung dieses Beines muss ja schon begonnen haben, ehe das andere Bein aufgesetzt wurde, da eben jedem Aufsetzen eines Beines ein Zeitraum des Schwebens beider Beine vorangeht. Beim Laufen ist daher die Schrittdauer kleiner und es kann die Schrittl\u00e4nge gr\u00f6sser sein als beim Gehen, mithin ist die Geschwindigkeit\nim Allgemeinen gr\u00f6sser.\nStellen wir die abwechselnden Zust\u00e4nde der Beine beim Laufen wieder durch ein \u00e4hnliches Schema, wie das S. 326 f\u00fcr das Gehen gegebene dar. Die Zeit des Schwebens eines Beines wird durch einen Bogen, die Zeit des Stehens durch einen geraden Strich bezeichnet. Die obere Zeichenreihe soll f\u00fcr das linke, die untere Zeichenreihe f\u00fcr das rechte Bein gelten.\nDie Fig. 25 stellt in dieser Weise die Dauer von 10 Schritten dar. Im ersten Augenblicke dieser Darstellung wird der linke Fuss vorn senkreckt auf den Boden gesetzt und zwar meist in noch mehr gebogener Lage als beim schnellsten Gehen, damit die Arbeit bei\nFig. 25.","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Abh\u00e4ngigkeit der Sehrittdauer von der Schrittl\u00e4nge.\n341\nder Streckung ausreicht, dem K\u00f6rper die Wurfbewegung zu ertheilen. Das rechte Bein hat in diesem Augenblicke schon einen Theil seiner Schwingung ausgef\u00fchrt. Nun f\u00e4ngt das linke Bein sofort an, sich zu strecken, w\u00e4hrend beim Gehen das vorn aufgesetzte Bein im ersten Augenblicke noch weiter gebogen wird. Durch die Streckung des linken Beines wird der K\u00f6rper am Sinken gehindert und schiesst wagrecht weiter. Bei der grossen Energie, mit welcher hier die Streckung vollf\u00fchrt wird, ist sie bald beendet, noch ehe das rechte Bein zur senkrechten Lage gekommen ist. Dadurch hat der Schwerpunkt eine sehr bedeutende, etwas schr\u00e4g aufw\u00e4rts gerichtete Geschwindigkeit erlangt, mit welcher er, nachdem der linke Fuss den Boden auch verlassen hat, in sehr flach parabolischer Bahn, d. h. fast wagrecht frei weiter fliegt. In diesem Zeitraum vollendet das rechte Bein seine Schwingung und wird in dem durch den dritten Vertikalstrich der Fig. 25 bezeichneten Augenblick auf den Boden aufgesetzt. W\u00e4hrend nun das linke Bein weiterschwingt, streckt sich das rechte wie vorher das linke und wirft in dem durch den vierten Vertikalstrich bezeichneten Augenblick den K\u00f6rper frei in die Luft und derselbe fliegt wieder bis der linke Fuss (f\u00fcnfter Vertikalstrich) aufgesetzt wird. Hiermit sind zwei Schritte vollendet und es beginnt mit diesem Augenblicke der soeben beschriebene Cyklus von Bewegungen von neuem.\nIn den meisten F\u00e4llen werden, wie aus den vorstehenden S\u00e4tzen hervorgeht, beim Laufen die Schenkelk\u00f6pfe noch tiefer \u00fcber dem Boden getragen, als selbst beim schnellsten Gehen. Merkw\u00fcrdigerweise sind die vertikalen Schwankungen des K\u00f6rper beim Laufen noch geringer als beim Gehen. Sie betragen nur etwa 21 mm.\nSchrittdauer.\tSchrittl\u00e4nge.\tGeschwindigkeit.\n0,247\"\t1,753 m\t6,66 m.,sec.\n0,268\t1,542\t5,745\n0,293\t1,284\t4,383\n0,301\t1,209\t4,021\n0,314\t1,138\t3,623\n0,319\t1,018\t3,194\n0,326\t0,934\t2,862\n0,317\t0,819\t2,584\n0,303\t0,718\t2,367\n0,304\t0,610\t2,003\n0,304\t0,519\t1,706\n0,305\t0,416\t1,364\n0,301\t0,315\t1,047","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"1342 Fick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 2. Cap. Das Laufen.\nIn vorstehender Tabelle sind einige numerische Data der Weber-schen Versuche \u00fcber Schrittdauer, Schrittl\u00e4nge und Geschwindigkeit beim Laufen verzeichnet. Man sieht aus dieser Tabelle, verglichen mit der S. 339 f\u00fcr das Gehen gegebenen, dass die Schrittdauer beim Laufen \u00fcberhaupt nur wenig variirt und dass die Verschiedenheit der Geschwindigkeit haupts\u00e4chlich durch Verschiedenheit der Schrittl\u00e4nge bedingt ist. Mit abnehmender Schrittl\u00e4nge nimmt anfangs die Schrittdauer zu bis 0,326\", welche der k\u00fcrzesten Schrittdauer beim Gehen, 0,335\", nahe kommt, sie aber nicht ganz erreicht, was mit dem obigen Satze zusammenstimmt, dass die Schrittdauer beim Laufen stets kleiner sein muss als die halbe Pendelschwingung des Beines, w\u00e4hrend sie beim Gehen gr\u00f6sser oder mindestens gleich dieser sein muss. Bei noch weiterer Abnahme der Schrittl\u00e4nge nimmt die Schrittdauer wieder ab, jedoch nur wenig, indem sie sich bei den kleinsten Schrittl\u00e4ngen ziemlich konstant auf etwas \u00fcber 0,30\" h\u00e4lt. Es kann also f\u00fcr einen bestimmten Werth der Schrittdauer innerhalb gewisser Grenzen die Schrittl\u00e4nge zwei verschiedene Werthe haben. So entspricht z. B. in obiger Tabelle der Schrittdauer 0,319 (resp. 0.317, die ihr gleich gelten mag, weil im zweiten Theil der Tabelle die Zahl 0,319 nicht genau vorkommt) einerseits die Schrittl\u00e4nge 1,018 m., andererseits die Schrittl\u00e4nge 0,819 der Schrittdauer 0,301\" entsprechen die Schrittl\u00e4ngen 1,209 und 0,315 m. Diese merkw\u00fcrdige Erscheinung l\u00e4sst sich am leichtesten durch folgende Ueberlegung verstehen. Zun\u00e4chst beachte man, dass nach den allgemeinen S\u00e4tzen \u00fcber das Wesen des Laufens die Schrittdauer stets gleich ist der halben Schwingungsdauer des Beines vermindert um die Zeit, w\u00e4hrend welcher der K\u00f6rper ohne St\u00fctze schwebt. Nun wollen wir ausgehen von der Art des Laufens, die sich vom schnellsten Gehen nur eben merklich unterscheidet, d. h. wo der Zeitraum des Schwebens nahezu gleich Null ist, und wollen zu andern Arten dadurch \u00fcbergehen, dass wir diesen Zeitraum wachsen lassen. Dabei kann entweder die H\u00f6he der Schenkelk\u00f6pfe \u00fcber dem Boden von dem urspr\u00fcnglichen Werthe aus vergr\u00f6ssert oder verkleinert werden. Somit kommen wir zu einer bestimmten Schrittdauer mit zwei verschiedenen Werthen dieser H\u00f6he und diese Werthe sind dann maassgebend f\u00fcr die Schrittl\u00e4nge. Ist n\u00e4mlich die H\u00f6he der Schenkelk\u00f6pfe noch kleiner als beim schnellsten Gehen, so wirkt die Streckkraft des sehr schr\u00e4g angestemmten Beines so stark wagrecht beschleunigend, dass in dem Zeitraum des Schwebens der K\u00f6rper weiter fliegen kann als die eine Kathete des rechtwinkligen Dreieckes, dessen Hypothenuse die L\u00e4nge des gestreckten Beines und dessen andere Kathete die H\u00f6he der","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"Sprunglauf.\n343\nSchenkelk\u00f6pfe ist. Dadurch entsteht f\u00fcr die betrachtete Schrittdauer eine Schrittl\u00e4nge, die gr\u00f6sser ist als die Schrittl\u00e4nge beim schnellsten Gehen.\nGelangt man zu derselben Schrittdauer, indem man mit dem Zeitraum des freien Fliegens zugleich die H\u00f6he der Schenkelk\u00f6pfe \u00fcber dem Boden wachsen l\u00e4sst, dann wirkt die Streckkraft des an-gestemmten Beines nicht so stark horizontal beschleunigend, um den K\u00f6rper w\u00e4hrend der Flugzeit eine gr\u00f6ssere Strecke durchfliegen zu lassen und es kommen kleinere Schritte heraus als beim schnellsten Gehen.\nEs giebt noch eine besondere Art des Laufens, welche sich von der beschriebenen und von den Gebr. Weber als \u201eEillauf\u201c bezeich-neten wesentlich unterscheidet. Bei dieser zweiten Art des Laufens \u2014 in der \u201eMechanik der Gehwerkzeuge \u201eSprunglauf\u201c genannt \u2014 sind die Schritte ebenfalls im Allgemeinen gr\u00f6sser als beim Gehen, aber es ist auch die Dauer des Schrittes bedeutend gr\u00f6sser als beim Eillauf. Unter den Begriff des Laufens f\u00e4llt diese Fortbewegungsart durch das Merkmal, dass auch bei ihr in jeder Schrittdauer ein Zeitraum enthalten ist, w\u00e4hrend dessen kein Bein den Boden ber\u00fchrt. Ihr Wesen besteht darin, dass das vorn aufgesetzte Bein nicht sogleich die Funktion des Stemmens \u00fcbernimmt, sondern noch eine Zeit ganz schlaff bleibt, w\u00e4hrend welcher der vom hinteren Bein aufgeworfene Schwerpunkt in seiner parabolischen Bahn nach vorn und unten weiter geht. Aus diesem Grunde braucht nun der Fuss beim Aufsetzen nicht senkrecht unter dem K\u00f6rper zu stehen, sondern er kann den Boden viel weiter vorn ber\u00fchren, denn der Schwerpunkt des K\u00f6rpers r\u00fcckt, wenn ihn das vorn aufgesetzte Bein eben nicht durch Stemmen zur\u00fcckh\u00e4lt, in seiner Flugbahn von selbst senkrecht \u00fcber den Fuss. Sowie nun dies eingetreten ist, f\u00e4ngt die Streckkraft des jetzt sehr gebogenen Beines an zu wirken und zwar sehr pl\u00f6tzlich und intensiv, so dass dem K\u00f6rper eine grosse schr\u00e4g aufw\u00e4rts gerichtete Geschwindigkeit ertheilt wird, verm\u00f6ge deren er hoch auffliegt. Dadurch wird die Zeit des Steigens und Fallens sehr gross und es kann das schon in der Schwingung begriffene Bein nun \u00fcber die Gleichgewichtslage hinausschwingen, d. h. mehr als eine halbe Schwingung vollenden und gerade desshalb wird es dann auch weit vor dem Loth durch den Schwerpunkt mit dem Boden in Ber\u00fchrung gebracht und im Schwingen aufgehalten. Die obere Grenze der Schrittdauer ist hier also nicht wie beim Eillaufe die halbe, sondern die ganze Schwingungsdauer des Beines, hinter welcher aber die Schrittdauer beim Sprungl\u00e4ufe in Wirklichkeit immer sehr zur\u00fcck-","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344 Fick, Spec. Bewegungslehre. Spec. Theil. 3. Cap. Das Laufen. Literatur.\nbleiben muss, denn ' es ist die Scbrittdauer vermehrt um die Zeit des freien Fliegens, h\u00f6chstens der ganzen Schwingungsdauer des Beines gleich. Diese Zeit des freien Fliegens ist ja aber gerade beim Sprungl\u00e4ufe besonders gross.\nNachstehende, der \u201eMechanik der Gehwerkzeuge\u201c entnommene Tabelle giebt einige Beobachtungsdata \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit zwischen Schrittdauer, Schrittl\u00e4nge und Geschwindigkeit der Fortbewegung bei verschiedenen Arten des Sprunglaufes.\nSchrittdauer.\tSchrittl\u00e4nge.\tGeschwindigkeit.\n0,460\"\t1,243 m\t2,702 m., sec.\n0,468\t1,578\t3,372\n0,455\t1,688\t3,710\n0,411\t1,809\t4,402\n0,404\t1,977\t4,894\nEinige im Texte nicht citirte neuere Literatur der speciellen Bewegungslehre.\n1856.\tH. Meyer, Lehrbuch der physiologischen Anatomie. \u2014 Langer, Mittellage der Gelenke. Ztschr. d. Ges. d. Aerzte zu Wien. Januar. \u2014 Derselbe, Heber das Sprunggelenk der S\u00e4ugethiere und des Menschen. Denkschr. der Wiener Academie.\n\u2014\tHenke, Die Bewegung des Fusses am Sprungbein. Ztschr. f. rat. Med. VIL S. 225.\n\u2014\tDerselbe, Die Bewegung des Beines am Sprungbein. Ztschr. f. rat. Med. VIII. S. 149. \u2014 Beveridge, On the lateral movement of the foot. Edinbourgh med. journ. April. \u2014 Duchenne, Physiologie des mouvements du pied. Gaz. d. h\u00f4pit. Hr. 66.\n1857.\tHarless, Die statischen Momente der menschlichen Gliedmaassen. Ver-handl. der M\u00fcnchener Acad. \u2014 Giraud-Teulon, Principes de m\u00e9canique animale. \u2014 Helmholtz, Ueber Muskeln der oberen Extremit\u00e4t. Allg. med. Centralztg. Ho. 11.\n\u2014\tHenke, Die Bewegungen zwischen Atlas und Epistropheus. Ztschr. f. rat. Med. II. S. 114. \u2014 Derselbe, Die Kontroversen \u00fcber die Fussgelenke. Ebenda S. 163. \u2014 L. Fick, Hand und Fuss. Arch. f. Anat. u. Physiol. S. 435.\n1858.\tLanger, Ueber inkongruente Charniergelenke. Sitzungsber. d. Wiener Acad. XXVII. S. 182. \u2014 Derselbe, Das Kniegelenk des Menschen. Ebenda XXXII. S. 99.\n1859.\tL. Fick, Ueber die Gestaltung der Gelenkfl\u00e4chen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 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S. 243.","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Literatur.\n345\n1868.\tHenke, Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke. \u2014 Busch, lieber die Funktion des Serratus major. Arch. f. klin. Chirurgie IV. S. 39.\n1864.\tParow, Studien \u00fcber die physikalischen Bedingungen der aufrechten Stellung. Arch. f. pathol. Anat. XXXI. S. 74. \u2014 Haughton, Notes on animal mechanics. Med. times II. p. 638.\n1865.\tBose, Die Mechanik des H\u00fcftgelenkes. Arch. f. Anat. u. Physiol. S. 521.\n1866.\tCleland, On the action of muscles passing over more than one joint. Journ. of anat. and physiol. November.\n1867.\tDuchenne, Physiologie des mouvements. \u2014 Koster, De Drukking der lucht op het heupgewicht, Nederl. Arch. v. Genees- en Naturkunde III. p. 21. \u2014 H. Meyer, Die Mechanik des Sitzens. Arch. f. pathol. Anat. XXXVIII. S. !5. \u2014 Bert, Notes diverses sur la locomotion. Paris 1867. \u2014 Koster, De draiing van het hoofd in de articulatio atlanto-occipitalis. Nederl. Arch. III. p. 27.\n1868.\tHenke, Flexions- und Kotationsmuskeln. Ztschr. f. rat. Med. XXXIII. S. 108. \u2014 Derselbe, Kontroversen \u00fcber Hemmung und Schluss der Gelenke. Ebenda S. 126. \u2014 Derselbe, Die Leistungen der Wirkungen von Muskeln auf das H\u00fcftgelenk beim Stehen und Gehen. Ebenda S. 116. \u2014 Derselbe, Ueber Insufficienz der L\u00e4nge der Muskeln. Ebenda S. 141.\n1869.\tH. Meyer, Ueber die Kniebeugung in dem abstossenden Beine und \u00fcber die Pendelung des schwingenden Beines im gew\u00f6hnlichen Gange. Arch. f. Anat. u. Physiol. S, 1. \u2014 H\u00fcter, Ueber L\u00e4ngeninsufficienz der bi- und polyarthrodialen Muskeln. Arch. f. pathol. Anat. XLVI. S. 37. \u2014 Prompt, Kecherches sur la th\u00e9orie de la marche. Gaz. m\u00e9d. No. 19\u201431.\n1870.\tHaughton, On some elementary principles of animal mechanics. Proceed, roy. soc. 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Centralbl. f. d. med. Wiss. Nr. 5.\n1876.\tBauber, Ueber den mechanischen Werth einiger Querschnittsformen der Knochen. Sitzungsber. d. naturf. Ges. zu Leipzig. 1875. S. 100. \u2014 Derselbe, Ela-sticit\u00e4t und Festigkeit der Knochen. Leipzig, Engelmann. \u2014 Aeby, Beitr. zur Kennt-niss der Gelenke. Deutsche Ztschr. f. Chirurgie VI. S. 354. \u2014 Albert, Zur Mechanik des H\u00fcftgelenkes. Wiener med. Jahrb\u00fccher S. 105. \u2014 P\u00fctz, Zur Anatomie und Physiologie des Sprunggelenkes. Berner Dissertation.\n1877.\tAeby, Die Gestalt des Femurkopfes. Wiener med. Jahrb\u00fccher. Heft 1. S. 75. \u2014 Albert, Zur Mechanik des H\u00fcftgelenkes. Ebenda S. 29]. \u2014 Derselbe, Zur Mechanik des Schulterg\u00fcrtels. Ebenda S. 190. \u2014 Albrecht, Zur Anatomie des Kniegelenkes. Deutsche Ztschr. f. Chirurgie VII. S. 433. \u2014 Clark, The ancle-joint of man. Berner Dissertation. \u2014 B\u00fcchner, Kritische und experimentelle Studien \u00fcber den Zu-","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\nFick, Spec. Bewegungslehre. Literatur.\nsammenhalt des H\u00fcftgelenkes. Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat. Ahth. 1877. S. 22. van Braam-Houkgeest, Ueber den Einfluss des Luftdruckes auf den Zusammenhalt der Gelenke. Ebenda S. 381. \u2014 Guerin, Sur les mouvements de flexion et d\u2019inclinoi-son lat\u00e9rales de la colonne vertebrale. Bull. d. l\u2019acad. d.m\u00e9d. 1877. No. 7. \u2014 Lecomte, Le coude et la rotation de la main. Arch. g\u00e9n. Mai 1877. \u2014 Lewinski, Der Mechanismus der Schulterg\u00fcrtelbewegungen. Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abth. S. 196. \u2014 Garrod, On the mechanism of the intervertebral substance and on some effects of the erect position of man. Proceed. Zool. Soc. \u2014 Eugen Fick, Zur Mechanik des Kniegelenkes. Arch. f. Anat. u. Physiol.\t.\n1878. Eugen Fick, Zur Mechanik des H\u00fcftgelenkes. Arch. f. Anat. u. Physiol.\nYon den \u00fcbrigen Theilen der speciellen Bewegungslehre sind die Bewegungen des Herzens und der Gef\u00e4sse, sowie die Athembewegungen im vierten, die Stimme und Sprache im vorliegenden, die Kaubewegung und die Bewegungen der Eingeweide im f\u00fcnften, die Augenbewegungen im dritten Bande dieses Werkes abgehandelt.","page":346}],"identifier":"lit36688","issued":"1879","language":"de","pages":"237-346","startpages":"237","title":"Zweiter Theil: Specielle Bewegungslehre","type":"Book Section","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:24:10.139668+00:00"}