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Erster Theil: Allgemeine Nervenphysiologie

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{"created":"2022-01-31T16:39:45.596278+00:00","id":"lit36689","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 2: Handbuch der Physiologie des Nervensystems","contributors":[{"name":"Hermann, Ludimar","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 2: Handbuch der Physiologie des Nervensystems, edited by Ludimar Hermann, 1-196. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"ALLGEMEINE NERVENPHYSIOLOGIE\nProf. Dr. L. HERMANN in Z\u00fcrich.\nHandbuch der Physiologie. Bd. II.\n1","page":1},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"EINLEITUNG.\nVon den Elementarorganen des Tliieres ist keines in dem Maasse specifisch thierischer Natur, wie der Nerv und die Nervenzelle. Denn alle anderen Gewebe, das st\u00fctzende, das contractile, das absondernde, haben ihre Repr\u00e4sentanten auch in der Pflanze. Das Wesentliche des Nervensystems besteht darin, functionelle Verkettungen herzustellen, welche von directer Contiguit\u00e4t und ebenso von der Str\u00f6mung fl\u00fcssiger S\u00e4fte unabh\u00e4ngig sind, w\u00e4hrend die Pflanze keine hier\u00fcber hinausgehenden Organverkettungen besitzt.\nDie sogenannten animalischen Functionen oder Beziehungsverrichtungen, d. h. die Reaction des Thieres auf \u00e4ussere Eindr\u00fccke, sind haupts\u00e4chlich durch nerv\u00f6se Vermittelung bedingt; nur die einfachsten, einzelligen Organismen machen eine Ausnahme, indem bei ihnen das Protoplasma verm\u00f6ge seiner Contractilit\u00e4t und Reizbarkeit die Eingriffe der Aussenwelt direct beantwortet. Wo dagegen in besonderen Theilen des Organismus haupts\u00e4chlich die Irritabilit\u00e4t gegen Vorg\u00e4nge der Aussenwelt und in anderen haupts\u00e4chlich die Contractilit\u00e4t entwickelt ist, muss ein Nervensystem die Einwirkung jener ersteren, der Sinnesorgane, auf die letzteren, den Muskel- oder Bewegungsapparat, vermitteln. Das Nervensystem besteht demnach aus einer Verbindung zwischen Sinnesoberfl\u00e4che und Muskeln, welche von den urspr\u00fcnglichen Eigenschaften des Protoplasma nur noch die F\u00e4higkeit den Erregungsvorgang fortzuleiten bewahrt zu haben braucht, in Wirklichkeit aber stets auch noch, wenigstens grossentheils, die F\u00e4higkeit durch Reize direct erregt zu werden bewahrt hat.1 Aber ausser der leitenden Vermittlung zwischen Sinnesoberfl\u00e4che und Muskeln hat das Nervensystem noch die Eigenschaft des Bewusstseins, welche, wie wir annehmen m\u00fcssen, im einfachsten Thiere dem Protoplasma innewohnt, in sich concentrirt, und zwar wahrscheinlich nur in einem zelligen Mittelglied, dem Centralorgan. Das Nervensystem\n1 Dass manchen Theilen des Nervensystems die directe Erregbarkeit abgesprochen wird, findet der Leser in der Lehre von den Centralorganen er\u00f6rtert; vgl. auch unten das 5. Capitel.\n1*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. Einleitung.\nzerf\u00e4llt also in das centripetal vom Sinnesorgan zum Centrum leitende Element, zweitens das Centralorgan, drittens das centrifugal vom Centrum zu den Muskeln leitende Element. Die einfach leitenden Theile bestehen aus d\u00fcnnen Fasern, deren L\u00e4nge sich der Entfernung zwischen den zu verbindenden Organen anpasst und f\u00fcr die Function ohne Belang ist, da die Erregung lange Faserstrecken ohne Verlust durchl\u00e4uft. In den Centralorganen finden netzf\u00f6rmige Verbindungen der Leitungswege statt. Mit der zunehmenden Compli-cirtheit des Organismus, besonders mit zunehmender Zahl der Sinnes- und Muskelelemente wird nicht allein die Anzahl der leitenden Fasern gr\u00f6sser, sondern es w\u00e4chst namentlich die Complicirtheit des Centralorgans, welches in ungeheurem Verh\u00e4ltnis an Zahl zunehmende Verkettungen enthalten muss.\nSo lange das Wesen der Erregung und der Fortpflanzung derselben nicht erkl\u00e4rt ist, kann es nicht als Postulat bezeichnet werden, dass alle nerv\u00f6s verbundenen Organe in wirklicher protoplas-matischer Continuit\u00e4t stehen; der Erregungsvorgang k\u00f6nnte von der Art sein, dass er \u00fcber Zellgrenzen hinweg sich fortpflanzen kann. Die Anatomie allein also kann vor der Hand \u00fcber diese Frage entscheiden. Die continuirlichen Ueberg\u00e4nge sind im Bereich der h\u00f6heren Thiere durchaus nicht \u00fcberall unbestritten nachgewiesen, und \u00fcber die principielle Frage ist vielleicht eher durch die Untersuchung der elementarsten Nervensysteme Aufschluss zu erlangen.\nDie embryonale und die phylogenetische Entwicklung des Nervensystems, Gegenst\u00e4nde von ungemeinem physiologischen Interesse, sind leider noch in den wesentlichsten Puncten streitig. Die Mehrzahl der Autoren neigt sich der Ansicht zu, dass nicht die Nerven in die Organe hineinwaeh-sen, sondern mit ihren Endgliedern zugleich und in continuirlichem Zusammenhang angelegt sind. Der ganze Complex (\u201e Neuromuskelzelle \u201c Kleinenberg, \u201eEpithelmuskelzelle\u201c Gebr. Hertwigi geh\u00f6rt dem oberen*Keimblatt oder Ectoderm an, wof\u00fcr sowohl embryologische als vergleichend anatomische Untersuchungen sprechen. Die betreffenden Zellen des Ectoderms m\u00fcssen schon fr\u00fchzeitig unter einander Zusammenh\u00e4ngen ; auf h\u00f6herer Stufe zieht sich das gangli\u00f6se Mittelglied und das muscul\u00e4re Endglied in die Tiefe zur\u00fcck. Diese Anschauungen beruhen besonders auf Untersuchungen der Hydren und Medusen.1\nIm vorliegenden Abschnitt dieses Handbuchs wird der einfach leitende Theil des Nervensystems, die Nervenfasern, und ihre Complexe, die Nerven, physiologisch betrachtet.\n1 Die ausf\u00fchrliche Entwicklung s. in dem Werke der Gehr. Hertwig, Das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen S. 157. Leipzig 1878, welches auch die Literatur vollst\u00e4ndig angiebt.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Allgem. Einrichtung und Entwicklung des Nervensystems. Begriff der Leitung. 5\nERSTES CAPITEL.\nDie Nervenleitung.\nI. Die Grundgesetze.1\nDie ausschliessliche Function der Nerven besteht darin, zwischen zwei erregbaren Organen in der Art eine Vermittlung herzustellen, dass die Erregung des einen jedesmal eine Erregung des anderen nach sich zieht. Unter Erregung ist hierbei eine im Wesentlichen rasche, schnell vor\u00fcbergehende und im Bereich des Normalen bleibende Ver\u00e4nderung verstanden; im Muskel z. B. die Contraction, in den Sinnesorganen die functioneile Ver\u00e4nderung durch Licht, Schall u. s. w., in den Seelenorganen der Vorgang des Willens, der Empfindung u. s. w. Organe, welche durch Nerven verbunden sind, stehen dadurch in einem unab\u00e4nderlichen functionellen Zusammenhang, in welchem meist ohne M\u00fche ein Sinn erkannt werden kann. Das eine Organ ist dabei regelm\u00e4ssig das prim\u00e4r erregte, das andre das in Folge der nerv\u00f6sen Verbindung mit in Erregung gerathende; wir wollen das erstere das Erregungsorgan, das zweite das Erfolgsorgan des Nerven nennen. Bisher ist, wenn wir unter Organen die elementaren, durch eine Nervenfaser verbundenen Gebilde verstehen, kein Fall mit Sicherheit bekannt, in welchem beide Endorgane eines. Nerven sich wechselseitig erregten. Die Erregung des Erfolgsorgans folgt der des Erregungsorgans scheinbar ohne Zeitverlust; genauere Untersuchung lehrt aber, dass stets eine von der L\u00e4nge der nerv\u00f6sen Verbindung abh\u00e4ngige Zeit verfliesst. Hieraus folgt, dass die nerv\u00f6se Vermittlung darauf beruht, dass ein Stoff oder eine Ver\u00e4nderung vom Erregungs- zum Erfolgsorgan auf der Bahn des Nerven entlang l\u00e4uft, so dass es gerechtfertigt ist, von einem Leitungs-vorgang im Nerven zu sprechen.\n1. Das Gesetz der erforderlichen Continuit\u00e4t und Integrit\u00e4t.\nDie functionelle Verbindung zweier Organe kann schon mit Sicherheit aus der anatomisch nachgewiesenen nerv\u00f6sen Verbindung ge-\n1 Die meisten im Folgenden zu erw\u00e4hnenden Thatsachen sind schon seit Jahrhunderten bekannt; ihre specielle Entdeckungsgeschichte w\u00fcrde einen der interessantesten Theile einer Geschichte der Physiologie b\u00fcden; Haller hat in der Sectio VII. (Phaenomena vivi cerebri) seines 10. Buches die \u00e4lteren Angaben zusammengestellt; Elementa physiologiae IV. p. 269.","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nschlossen werden, falls diese in wirklichem continuirlichem Zusammenhang zwischen Nervenfasern und functionirenden Elementartheilen der Organe besteht. Physiologisch wird der Zusammenhang erwiesen durch die regelm\u00e4ssige Succession der Erregungen beider Organe und durch den Wegfall derselben, sobald der Nerv entfernt wird. Hierbei zeigt sich sogleich ein wichtiges Gesetz. Es braucht n\u00e4mlich, um den physiologischen Zusammenhang aufzuheben, nicht der ganze Nerv oder auch nur ein gr\u00f6sseres St\u00fcck desselben exeidirt zu werden, sondern es gen\u00fcgt eine einzige quere Durchschneidung und die beiden Schnittfl\u00e4chen brauchen nicht zu klaffen. Oder mit andern Worten die innigste Wiederzusammenf\u00fcgung der Querschnitte eines durchschnittenen Nerv vermag den functioneilen Zusammenhang nicht wiederherzustellen, d. h. f\u00fcr die Nervenleitung ist anatomische Continuit\u00e4t erforderlich.\nSchon den Alten war bekannt, dass man die Nervenleitung nicht bloss durch quere Durchschneidung, sondern auch durch Unterbindung \\ oder irgend eine andere Art der Zerquetschung, ferner durch Verbrennung oder Ver\u00e4tzung irgend einer Nervenstelle unterbrechen kann. Der Nerv muss also, um zu leiten, nicht bloss anatomisch ununterbrochen, sondern auch in seiner ganzen L\u00e4nge von unversehrter Beschaffenheit sein.\nWird ein Nervenstamm an irgend einer Stelle durchschnitten oder unterbunden, so ist der functionelle Zusammenhang mit dem Centralorgan ungest\u00f6rt bei allen denjenigen Organen, welche ihre Nerven aus dem Stamme oberhalb der verletzten Stelle beziehen, selbst wenn die Aeste dieser sehr nahe entspringen; dagegen sind nat\u00fcrlich alle Organe, deren Aeste unterhalb der verletzten Stelle entspringen, vom Centralorgan functionell abgetrennt, oder wie man es ausdr\u00fcckt, \u201egel\u00e4hmt\u201c. Hieraus folgt, dass die Durchschneidung den Nerven, wenigstens unmittelbar, nicht sch\u00e4digt, da die Leitung bis zur verletzten Stelle ungest\u00f6rt vor sich geht. Der unten folgende Satz von der Selbstst\u00e4ndigkeit der einzelnen Fasern schr\u00e4nkt freilich diesen Schluss bedeutend ein.\n2. Das Gesetz der isolirten Leitung. 1 2\nDie Thatsache, dass es Nerven giebt, deren einzelne Fasern durchaus verschiedene Function haben, und dass an diesen Nerven leicht nachweisbar ist, dass bei Erregung der einen Fasergattung die\n1\tDie Unterbindung scheint zuerst als Analogon der Gef\u00e4ssunterbindung, zur Absperrung des Zuflusses eines Nervenfluidums, vorgenommen worden zu sein.\n2\tYgl. J. M\u00fcller, Handb. d. Physiol. I. 4. Aufl. S. 585. Coblenz 1844.","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"Gesetz der erforderlichen Continuit\u00e4t und der isolirten Leitung.\t7\nandere v\u00f6llig in Ruhe bleiben kann, lehrt bereits, dass die Leitung in jeder Faser isolirt vor sich geht. Noch eindringlicher wird dies bewiesen durch die Feinheit der Localisation in Bewegungs- und noch mehr in Empfindungsorganen. W\u00e4re nicht jede Faser des Sehnerven ein v\u00f6llig isolirter Leiter, so w\u00e4re die Erkennung feiner Details im Gesichtsfelde unm\u00f6glich. Best\u00e4tigt wird diese Isolation und Selbstst\u00e4ndigkeit der einzelnen Fasern durch die Folgen partieller Durchschneidungen eines Nerven; dieselben l\u00e4hmen stets nur einen bestimmten Theil des von dem Nerven versorgten Gebietes, nat\u00fcrlich denjenigen, dessen Fasern vom Schnitte getroffen worden sind.\nMit dieser physiologischen Eigenschaft der Nerven h\u00e4ngt innig zusammen die oben erw\u00e4hnte anatomische, dass keine Faserverzweigungen im Verlaufe der Nerven Vorkommen.1 Verzweigungen k\u00f6nnen \u00fcberhaupt nur da stattfinden, wo kein isolirtes Functioniren mehr von N\u00f6then ist ; wir contrahiren z. B. niemals einzelne Muskelfasern, sondern stets eine gr\u00f6ssere Zahl zusammen, oder den ganzen Muskel; deshalb gen\u00fcgt eine einzige Nervenfaser f\u00fcr eine gr\u00f6ssere Zahl von Muskelfasern, wenn sie nur sich so verzweigt, dass jede Muskelfaser einen Zweig erh\u00e4lt. Diese Verzweigung geschieht aber stets erst innerhalb des Muskels selbst; in der That w\u00e4re es eine \u00fcberfl\u00fcssige Verdickung des Nerven und ein unn\u00fctzer Aufwand von Ner-venmasse, wenn die Verzweigung in den Nervenverlauf selbst verlegt w\u00e4re.\nVom Gesetz der isolirten Nervenleitung sind keine Ausnahmen bekannt, obwohl zu wiederholten Malen die Annahme gemacht worden ist, dass wenigstens starke Erregungen von einer Faser auf benachbarte \u00fcbergehen k\u00f6nnen. Die Thatsachen, welche zur Annahme dieser sog. \u201eQuerleitung\u201c gef\u00fchrt haben2, sind l\u00e4ngst auf anderen Wegen erkl\u00e4rt.\n3. Die selbstst\u00e4ndige Erregbarkeit des Nerven und das Gesetz des unab\u00e4nderlichen Erfolges.\nDer Nerv ist nicht allein Vermittler zwischen erregbaren Organen, sondern kann an jeder Stelle seines Verlaufes selbst erregt werden. Die Mittel hierzu, deren Er\u00f6rterung den Gegenstand des folgenden Capitels bildet, nennt man Reize. Die Wirkung einer Reizung\n1\tDiese Thatsache war schon Fontana bekannt ; vgl. J. M\u00fcllek, a. a. O. S. 521. Ausf\u00fchrliche Untersuchungen s. bei Kronenberg, Plexuum nervorum structura et virtutes. Berlin 1S36. Jedoch fandK\u00f6LLiKER dichotomische Theilungen an den Milznerven des Kalbes (Ztschr. f. wissensch. Zool. I. S. 162. 1S49), und Stannius ebensolche sehr allgemein an den motorischen Nerven der Fische (Arch. f. wissensch. Heilk. 1850. S. 75).\n2\tVgl. Volkmann, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. II. S. 528. 1844.","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nbesteht in nichts Anderem als in der Einleitung desselben Leitungs-Vorganges, welcher sonst von dem Erregungsorgan des Nerven ausgeht. Im normalen Leben kommen Erregungen der Nerven in ihrem Verlaufe wie es scheint niemals vor; sie sind stets nur Wirkungen einer Verletzung, einer Erkrankung oder eines k\u00fcnstlichen Eingriffs.\nDurch die Thatsache der selbstst\u00e4ndigen Erregbarkeit wird bereits die eine der oben angef\u00fchrten M\u00f6glichkeiten bez\u00fcglich der Natur des Leitungsvorgangs h\u00f6chst unwahrscheinlich, n\u00e4mlich die, dass ein Stoff sich dem Nerven entlang bewegt; man kann allenfalls dem Erregungsorgan, welches stets complicirter Natur ist, die Entsendung eines solchen Stoffes zuschreiben, aber f\u00fcr die k\u00fcnstliche Erregung einer Nervenstelle ist es kaum denkbar, dass an dieser Stelle ein Stoff seinen Ursprung nehme. Es ist also ungemein viel wahrscheinlicher, dass die Nervenleitung in der Fortpflanzung einer Ver\u00e4nderung besteht.\nDa der Nerv stets nur das mit ihm verbundene Erfolgsorgan in Erregung versetzen kann, so ist der physiologische Erfolg der Erregung eines Nerven so unab\u00e4nderlich wie das mit ihm verbundene Organ seine Function bewahrt; und zwar muss diese Betrachtung f\u00fcr jede einzelne Nervenfaser ihre Bedeutung beibehalten. Der Erfolg ist also vor Allem unabh\u00e4ngig vom Ursprung der Reizung; es ist gleichg\u00fcltig, ob dieselbe vom nat\u00fcrlichen Erregungsorgan oder, in Folge k\u00fcnstlicher Reizung, von einer Stelle der Faser selbst ausgegangen ist. Bei den motorischen Nervenfasern, d. h. denjenigen, deren Erfolgsorgan ein Complex von Muskelfasern ist, sehen wir unab\u00e4nderlich diese Fasern sich verk\u00fcrzen wenn die Nervenfaser gereizt wird, sei es nun naturgem\u00e4ss durch Vorg\u00e4nge im R\u00fcckenmark oder Gehirn, z. B. durch Reflex oder Willen, sei es durch k\u00fcnstliche Erregung in der Continuit\u00e4t. Befremdender auf den ersten Blick sind die Wirkungen des genannten Gesetzes an den sensiblen Nervenfasern, d. h. denjenigen, deren Erfolgsorgan ein empfindender Apparat in den Centralorganen ist, befremdender, weil hier die Localisation ein integrirender Bestandtheil des Erfolges, d. h. der Empfindung ist. Das Empfindungsbild hat n\u00e4mlich stets seinen scheinbaren Sitz am nat\u00fcrlichen Ende der erregten Faser, bei den beiden h\u00f6chsten Sinnesorganen sogar in der Aussenwelt. Wird nun eine solche Faser in ihrem Verlaufe irgendwo erregt, so tritt trotzdem die Empfindung mit der normalen Localisation ein; die bekanntesten Beispiele sind: das Prickeln in den Ulnarfingern bei einem Stoss auf den Verlauf des N. ulnaris am Ellbogen, das feurige Gesichtsfeld bei Reizung des N. opticus, namentlich bei der Durchschneidung behufs Exstirpation","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Gesetz des unab\u00e4nderlichen Erfolgs (spec. Energie). Excentrische Verlegung. 9\ndes Augapfels. Am seltsamsten gestalten sicli die Erscheinungen bei Reizung eines Hautnerven, dessen normales Ende durch Amputation verloren gegangen ist; jener Stoss auf den Ellbogen w\u00fcrde das gleiche Prickeln in den Ulnarfingern hervorbringen, wenn Hand und Vorderarm abgeschnitten w\u00e4ren, und in der Kniegegend Amputirte leiden h\u00e4ufig an Empfindungen in den Zehen des verlorenen Fusses, durch pathologische Erregungen der Nervenstiimpfe in der Narbe.1 Ebenso gleichg\u00fcltig f\u00fcr den Erfolg ist aus den angegebenen Gr\u00fcnden die Art des Reizes. Reizung des Sehnerven muss nothwendig, da der Erfolg stets Erregung der mit ihm verbundenen Hirntheile ist, Lichtempfindung sein, gleichg\u00fcltig ob die normalen Erregungsorgane des Opticus in der Netzhaut durch Licht, oder der Opticusstamm mechanisch, electrisch, chemisch, oder endlich jene Hirntheile durch Erkrankung gereizt werden. Bei den Sinnesnerven pflegt man den unab\u00e4nderlichen Erfolg als ihre \u201e specifische Energie \u201c zu bezeichnen. Das Princip der specifischen Energie oder des unab\u00e4nderlichen Erfolges verlangt sogar, wie sp\u00e4ter bewiesen werden wird, Constanz des Erfolges bis in die speciellsten qualitativen Eigenschaften, also z. B. kann der Erfolg der Erregung einer Opticusfaser nur in einer Lichtempfindung von unab\u00e4nderlicher Farbe und unab\u00e4nderlicher Localisation bestehen. Modificirt kann der Erfolg f\u00fcr eine gegebene Faser nur sein nach Intensit\u00e4t, je nach der Intensit\u00e4t der Erregung, und nach zeitlichem Verlauf, je nach den zeitlichen Verh\u00e4ltnissen des Erregungvorgangs. Die Aufsuchung des unab\u00e4nderlichen Erfolges jeder einzelnen Nervenfaser ist die Aufgabe der speciellen Nervenphysiologie, eine Aufgabe, welche bis zu einem gewissen Grade und bei gen\u00fcgender Entwicklung der Anatomie auf rein anatomischem Wege m\u00fcsste gel\u00f6st werden k\u00f6nnen, indem man die Erfolgsorgane aufsucht, deren Natur dann noch zu ergr\u00fcnden bliebe ; die Aufgabe wird aber meist directer und bequemer experimentell in Angriff genommen.\n4. Das doppelsinnige Leitungsverm\u00f6gen der Nerven.\nDer Umstand, dass jede Nervenfaser naturgem\u00e4ss mit einem Er-regungs- und einem Erfolgsorgan verbunden ist, bedingt es, dass eine andere Richtung der Leitung als von ersterem zum letzteren, falls sie m\u00f6glich ist, weder im ganz normalen Zustand vorkommt noch eine erkennbare Wirkung entfalten kann. Denn die Erregungsapparate,\n1 Wie dit Bois-Reymond nachweist (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1872. S. 760), deutete schon Descaktes die Erscheinungen der sog. \u201eexcentrischen Verlegung der Empfindungen\u201c vollkommen scharf und richtig. F\u00e4lle von Amputirten s. hei J. M\u00fcller, a. a. O. S. 600.","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nzu welchen diese Art Leitung hinf\u00fchren w\u00fcrde, sind durchweg so beschaffen, dass sie auf der Nervenbahn etwa anlangende Erregungen mit keiner Function zu beantworten verm\u00f6gen. Es schien deshalb das Einfachste, jeder Nervenfaser \u00fcberhaupt nur ein Leitungsverm\u00f6gen in Einer Richtung zuzuschreiben.\nIndessen ist diese Annahme nur f\u00fcr eine oberfl\u00e4chliche Betrachtung die einfachere, in Wirklichkeit die bei weitem complicirtere. Mit Recht bemerkt du Bois-Reymond1 2, welcher die \u00e4ltere Literatur dieser Frage zusammengestellt hat, wie ungemein schwierig es w\u00e4re, sich eine Mechanik vorzustellen, welche dem Nerven die Leitung nur in Einer Richtung gestattete. Auf der andern Seite widerspricht der Annahme des doppelsinnigen Leitungsverm\u00f6gens zun\u00e4chst kein einziger Umstand, es sei denn der, dass das Leitungsverm\u00f6gen der einen Richtung f\u00fcr jeden Nerven etwas Werthloses w\u00e4re.\nDie experimentelle Entscheidung der vorliegenden Frage ist in reinster und unwiderleglichster Weise von du Bois-Reymond (a. a. 0. S. 587) geliefert worden, nachdem es ihm gelungen war, am Nerven selbst, unabh\u00e4ngig von seinen Endorganen, ein Kennzeichen des Erregungszustandes nachzuweisen, n\u00e4mlich die negative Schwankung des Nervenstroms (s. das 4. Capitel). Wird nun ein Nerv an irgend einer Stelle auf irgend eine Weise gereizt, so tritt die negative Schwankung an den Str\u00f6men beider Endquerschnitte auf. Weniger erheblich ist es, dass auch der electrotonisehe Zustand auf beiden Seiten der Reizstelle sich entwickelt, weil dieser mit dem eigentlichen Erregungszust\u00e4nde nichts zu thun hat.\nSo entscheidend die genannte Thatsache ist, so liefert sie doch nur einen indirecten Beweis, dessen Zwischenglieder complicirt, wenn auch vollkommen gesichert sind. Directere Beweise sind deshalb in hohem Grade willkommen. Solche sind meist auf dem Wege versucht worden, dass man sich bem\u00fchte, den centralen Theil durchschnittener sensibler und den peripherischen motorischer Nervenfasern k\u00fcnstlich zusammenzuheilen (\u00fcber diesen Vereinigungsprocess s. das 3. Capitel).\nSchwann 2 scheint der erste gewesen zu sein, der einen solchen Versuch unternahm, freilich schon von der Ansicht des doppelsinnigen Leitungsverm\u00f6gens ausgehend, und in der Absicht zu entscheiden ob jene Verwachsung m\u00f6glich sei. Er durchschnitt einem Frosche den Ischiadicus, liess ihn wieder zusammenheilen, und reizte nun die\n1\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t IL 1. S. 574. 1849; vgl. auch J. M\u00fcller, a. a. 0. S. 623; Volkmann, a. a. 0. S. 527, 561.\n2\tSchwann, in M\u00fcller\u2019s Physiologie 4. Aufl. I. S. 334.","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Beweise f\u00fcr das doppelsinnige Leitungsverm\u00f6gen.\n11\nhinteren (sensiblen) Nervenwurzeln, wobei keine Bewegung im Beine eintrat. Entweder also hatten die sensiblen Fasern sich ausschliesslich mit sensiblen vereinigt, oder sie vermochten nicht centrifugal zu leiten; aber eben wegen dieser Ungewissheit blieb der Versuch, den Steinr\u00fcck1 mit gleichem Resultat wiederholte, nach beiden Seiten ohne Entscheidung. Bidder2 schlug einen anscheinend sichreren Weg ein, indem er den centralen Stumpf des sensiblen R. lingualis trigemini mit dem peripherischen des Hypoglossus zu vereinigen suchte.3 Aber statt der gew\u00fcnschten Verbindung hatten sich in der Narbe nur motorische Fasern mit motorischen und sensible mit sensiblen verbunden, also ganz wie es allem Anscheine nach auch im Stamme des Ischiadicus an Schwann\u2019s Frosch der Fall gewesen war. Gluge & Thiernesse4, welche 17 Jahre sp\u00e4ter den Versuch wiederholten, beobachteten zwar die gew\u00fcnschte Vereinigung, sahen aber bei Reizung im Lingualistheil des widernat\u00fcrlichen Nerven nur in Einem Falle, der nach ihnen nicht tadelfrei war, Zungenbewegung auftreten, so dass sie sich gegen das doppelsinnige Leitungsverm\u00f6gen entscheiden.\nPhilipe aux & Vulpian5 6 7 dagegen sahen in ihren vielfachen Versuchen, in welchen die Vereinigung des peripherischen Hypoglossus sowohl mit dem centralen Vagus- als mit dem centralen Lingualis-ende gelang, Bewegungen auf Reizung des sensiblen und Schmerz\u00e4usserungen auf Reizung des motorischen Nerventheils, womit die Lehre vom doppelsinnigen Leitungsverm\u00f6gen direct erwiesen schien, zumal da die anfangs angewandte electrische Reizmethode, welche den Verdacht der Stromschleifen durch den andern Nerventheil zu-liess, sp\u00e4ter mit mechanischer Reizung vertauscht wurde. Obgleich Gluge & Thiernesse 6 ihr fr\u00fcheres Resultat durch weitere Versuche best\u00e4tigten, schlossen sich alle andern Wiederholer des BiDDER\u2019schen Versuchs, besonders J. Rosenthal 7 und Bidder8 selbst, den Angaben von Philipeaux und Vulpian an. Das einzige Bedenken, wel-\n1\tSteinr\u00fcck, De nervorum regeneratione p. 59. (No. 30.) Berlin 1S38.\n2\tBidder, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1842. S. 102. Nach Bidder\u2019s Angabe hat zuerst Flourens einen Nervenkreuzungsversuch angestellt, um zu entscheiden, ob sich \u00fcberhaupt zwei verschiedene Nerven vereinigen k\u00f6nnen.\n3\tUeber Vereinigung durchschnittener Nerven s. unten im 3. Capitel.\n4\tGluge & Thiernesse, Bull. d. l\u2019acad. d. Belg. (2) VII. p. 415. 1859 (auch Journ. d. 1. physiol. II. p. 686. 1859).\n5\tPhilipeaux & Vulpian, Compt. rend. LI. p. 363. 1860 ; LVI. p. 54. 1863; Gaz. m\u00e9d. d. Paris I860. No..27 u. ff. ; Journ. d. 1. physiol. VI. p. 421, 474. 1863; Vulpian, Le\u00e7ons sur la physiologie g\u00e9n\u00e9rale et compar\u00e9e du syst\u00e8me nerveux p. 276. Paris 1866.\n6\tGluge & Thiernesse, Bull. d. l\u2019acad. de Belg. (2) XVI. p. 65. 1863 ; Gaz. heb-dom. 1864. p. 423.\n7\tJ. Rosenthal, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1864. S. 449.\n8\tBidder, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1865. S. 246 ; vgl. auch Pintschovius, ebendaselbst 1872. S. 455, dem der BiDDER\u2019sche Versuch am Frosche gelang.","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nches allenfalls noch geltend gemacht werden konnte, war, dass m\u00f6glicherweise die Fasern jedes der beiden Nerven soweit in den andern hineinwachsen, dass der motorische Erfolg der Lingualisreizung auf directer Heizung von Hypoglossusfasern beruht, und umgekehrt. Dies Bedenken gegen die Beweiskraft des Versuchs, an sich nicht grade wahrscheinlich, gewann dadurch etwas an Bedeutung, dass allen Erfahrungen nach gleichartige Fasern viel leichter mit einander verwachsen als ungleichartige, eine Thatsache, welche doch immer noch auf eine specifische Verschiedenheit der eentripetalen und eentrifu-galen Fasern hinzudeuten scheint.1\nMerkw\u00fcrdigerweise war es nun Vulpian2 selbst, welcher in neuester Zeit die Beweiskraft des BiDDER\u2019schen Versuchs in Abrede stellte. Die h\u00f6chst merkw\u00fcrdigen Beobachtungen n\u00e4mlich, welche unten im 3. Capitel zu besprechen sind, dass der Lingualis auch ohne Vereinigung mit dem Hypoglossus nach Resection des letzteren motorische Wirkungen gewinnt, welche aber nicht den eigentlichen Lin-gualisfasern, sondern den beigemischten Chordafasern zukommen, erweckte die Vermuthung, dass auch bei der Vereinigung mit dem Hypoglossus es die bereits motorisch gewordenen Chordafasern sind, welche sich mit Hypoglossusfasern verbinden, und in der That zeigte sich, dass die motorische Wirkung des Lingualis beim BiDDER\u2019schen Versuch wieder verloren geht, wenn die Chorda nachtr\u00e4glich durchschnitten und die Degeneration ihres peripherischen Stumpfes abgewartet wird. Da also nur Vereinigung centrifugaler und centrifugaler Fasern erwiesen ist, verliert der Versuch seine ganze Beweiskraft. Allerdings bleibt noch die Schmerzhaftigkeit des Hypoglossus \u00fcbrig; diese aber kann sehr wohl Folge der sog. Sensibilit\u00e9 r\u00e9currente sein, d. h. von peripherisch umgebogenen sensiblen Fasern herr\u00fchren, welche von Anfang an vorhanden und regenerirt sind. Neuere Versuche3 haben das sehr allgemeine Vorkommen dieses Verhaltens zweifellos dargethan.\nEine andere Form des Beweises f\u00fcr das doppelsinnige Leitungsverm\u00f6gen hat Bert4 zuerst 1863, und neuerdings wieder, geltend gemacht. Er bog den Schwanz einer Ratte gegen den R\u00fccken um und implantirte hier das Ende durch Ann\u00e4hen, nachdem beide Theile\n1\tDer Umstand, dass Curare nur die motorisclien und nicht die sensiblen Nerven l\u00e4hmt, kann nicht in diesem Sinne gedeutet werden, da die L\u00e4hmung von speci-fischen Endapparaten der ersteren ausgeht.\n2\tVulpian, Compt.rend. LXXVI. p. 146.1873; Arch.d. physiol, norm, et pathol. 1873. p. 597.\n3\tVgl. besonders Arloing & Tripier, Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1876. p. 11, 115.\n4\tBert, Journ. d. l\u2019anat. et d. 1. physiol. 1864. p. 82; Compt. rend. LXXXIV. p. 173. 1877.","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Beweise f\u00fcr das doppelsinnige Leitungsverm\u00f6gen.\n13\nwund gemacht waren; nach der Verheilung schnitt er den Schwanz an seinem Urspr\u00fcnge ah. Der transplantirte Schwanz ist jetzt sensibel, und zwar kann bei der kurzen Zeit von einer Neubildung von Fasern noch nicht die Rede sein, so dass nur der Schluss \u00fcbrig bleibt, dass die alten Nerven in der der urspr\u00fcnglichen entgegengesetzten Richtung die Erregung leiten. Dieser Schluss wird dadurch gesichert, dass nach einiger Zeit diese alten Fasern degeneriren, und die Sensibilit\u00e4t schwindet, und jetzt erst neue Fasern und neue Empfindlichkeit sich ausbildet. (Ist das Alles so, so m\u00fcsste blosse Hautreizung des Schwanzes im Anfang nicht empfunden werden, sondern nur so starke Compression des ganzen Schwanzes, dass die wenigen bis zur Transplantationsstelle (Schwanzende) reichenden alten Fasern mitgereizt werden; denn nur diese k\u00f6nnen doch mit den R\u00fcckennerven verwachsen sein.)\nJoh. M\u00fcller 1 suchte die Frage einfach dadurch zu entscheiden, dass er an einem mit Opium vergifteten Frosch, der die geringste Ber\u00fchrung mit Reflexkr\u00e4mpfen beantwortet, ein Bein reizte, dessen sensible Wurzeln vorher durchschnitten waren. Die Reflexe blieben aus. Dies beweist aber offenbar nicht, dass die motorischen Nerven nicht die Erregung zum R\u00fcckenmark leiten ; denn dass auf motorischen Bahnen einstrahlende Erregungen keine Reflexe liefern, kann in Eigenschaften des Centralorgans seinen Grund haben.\nNoch auf anderm Wege, n\u00e4mlich durch Versuche an verzweigten Fasern, hat man die Frage zu entscheiden versucht. Die ersten hierhergeh\u00f6rigen Bem\u00fchungen stammen aus der Zeit, wo man schlin-genf\u00f6rmige peripherische Endigung der Muskelnerven annahm. Volkmann'1 2, welcher \u00fcbrigens dieser Lehre entschieden entgegentrat, stellte mit R\u00fccksicht auf dieselbe folgenden Versuch an: Er durchschnitt einen sensiblen Nerven (Infraorbitalis des Hundes und Pferdes) zur H\u00e4lfte und sah nach, ob die peripherische Schnittfl\u00e4che, welche, falls es Schlingen giebt, noch mit dem Gehirn durch Vermittlung der peripherischen Enden Zusammenh\u00e4ngen konnte, noch empfindlich war. Dies war nicht der Fall; nur die centrale Schnittfl\u00e4che empfand. Entweder also giebt es keine Schlingen, oder der sensible Nerv kann nur direct centripetal leiten, oder (wie du Bois-Reymond, a. a. O., mit Recht hinzuf\u00fcgt) je zwei eine Schlinge bildende Fasern liegen im Stamm so nahe bei einander, dass sie stets zusammen durchschnitten werden. Bei so vielen M\u00f6glichkeiten kann nat\u00fcrlich der Versuch nichts beweisen. Gl\u00fccklicher waren Versuche von K\u00fchne 3 an den intramuscul\u00e4ren Nervenverzweigungen des Frosch-Sartorius.\n1\tJ. M\u00fclleb, a. a. O. S. 625.\n2\tYolkmann, a. a. 0. S. 564.\n3\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 595.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nEr tauchte das breite Ende des Muskels (Fig. 1, rechts) auf kurze Zeit in 40 o warmes Oel, so dass die Muskelfasern bis d starr, die Nervenfasern aber noch nicht get\u00f6dtet wurden ; Scheerenschnitte durch den starren Theil ergaben nun, von einem gewissen Niveau b ab, Zuckungen einzelner Fasern im lebenden Muskelantheil, welche K\u00fchne so erkl\u00e4rt, dass einzelne Nervenfaserzweige in den erstarrten Theil hineinreichen, und bei ihrer Reizung die Erregung k\u00fcrzeren Zweigen der gleichen Faser, welche weiter hinauf in Muskelfasern sich einsenken, mittheilen, wozu centripetale Leitung n\u00f6thig w\u00e4re. Beweisender ist eine andere Form des Versuchs; das breite Sartoriusende wird durch einen L\u00e4ngseinschnitt in zwei Zipfel gespalten (Fig. 1, links): Reizung\neines Zipfels bewirkt nun, wenn sie \u00fcber dem Niveau der Nervenverbreitung stattfindet (vgl. Band I. S. 85), stets Mitzucken einzelner Fasern der andern Muskelh\u00e4lfte B C, n\u00e4mlich solcher, deren Nervenfasern eine Zinke einer Nervengabel darstellen, deren andre Zinke in den gereizten Zipfel hineinragt; letztere muss also centripetal geleitet haben. Einen sehr sch\u00f6nen auf demselben Princip beruhenden Versuch hat neuerdings Babuchin 1 an der eolossalen electrischen Faser des Zitterwelses angestellt. Wird das hintere freie Ende dieser Faser gereizt, so erfolgt eine Entladung des ganzen Organs, d. h. die Erregung ist in dem centrifugalen Nerven zuerst centripetal fortgeschritten, um in s\u00e4mmt-liche Zweige der Faser \u00fcberzugehen.\nDurch diese Versuche, im Verein mit der du Bois\u2019schen Entdeckung bez\u00fcglich der negativen Schwankung, ist das doppelsinnige Leitungsverm\u00f6gen der Nerven \u00fcber allen Zweifel festgestellt. Als eine wichtige und st\u00fctzende Analogie kann man noch anf\u00fchren, dass im Muskel, wo die Fortleitung viel directer zu beobachten ist, auf das unzweifelhafteste feststeht, dass jede Erregung von der Reizstelle nach beiden Seiten abl\u00e4uft (vgl. Band I. S. 59).\nII. Die Geschwindigkeit der Nervenleitung.\ni. Fr\u00fchere Vorstellungen.\nNoch im Jahre 1844 schrieb Joh. M\u00fcller: \u201eWir werden wohl nie die Mittel gewinnen, die Geschwindigkeit der Nervenwirkung zu\nFig. 1. K\u00fchne\u2019s Versuche am Sartorius \u00fcber doppelsinnige Nervenleitung.\n1 Babuchin, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. S. 66.","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Doppelsinniges Leitungsverm\u00f6gen. Geschwindigkeit. Fr\u00fchere Vorstellungen. 15\nermitteln, da uns die Vergleichung ungeheurer Entfernungen fehlt, aus der die Schnelligkeit einer dem Nerven in dieser Hinsicht analogen Wirkung des Lichtes berechnet werden kann\u201c, und ferner: \u201eDie Zeit, in welcher eine Empfindung von den \u00e4usseren Theilen auf Gehirn und R\u00fcckenmark, und die R\u00fcckwirkung auf die \u00e4usseren Theile durch Zuckungen erfolgt, ist unendlich klein und unmessbar \u201c.1 Schon 6 Jahre sp\u00e4ter war die Geschwindigkeit des Nervenprincips, und zwar bei einem so kleinen Thiere wie der Frosch, mit grosser Genauigkeit gemessen2, und 10 Jahre sp\u00e4ter wusste man, dass f\u00fcr den Reflexvorgang, den M\u00fcller als momentan betrachtet hatte, ausser den beiden Leitungszeiten noch eine relativ sehr betr\u00e4chtliche Ueber-tragungszeit im R\u00fcckenmark verfliesst.3 4\nDie \u00e4lteren Vorstellungen von der Geschwindigkeit der Nervenleitung waren durchweg \u00fcbertrieben ; Haller giebt eine Zusammenstellung, aus der man zugleich sehen kann, auf wie mangelhaften Grundlagen alle damaligen Sch\u00e4tzungen ruhten. Die Einen meinten, da das Nervenprincip etwas sehr Fl\u00fcchtiges sei, m\u00fcsse es auch eine ungeheure Geschwindigkeit haben, wie die Geschwindigkeiten (von was?) bei der Luft gr\u00f6sser als beim Wasser, beim Lichte gr\u00f6sser als bei der Luft seien. Ein Andrer fand die feinsten Nervenr\u00f6hren des Herzens 2880 Millionen mal enger als die Aorta, und schloss daraus, dass das Nervenprincip sich in gleichem Verh\u00e4ltnis schneller als das Blut, d. h. 57,600 Millionen Fuss in der Secunde bewegen m\u00fcsse. Haller selbst sch\u00e4tzt die Geschwindigkeit nach seinen experimentell ermittelten Werthen f\u00fcr die Geschwindigkeit des Rhythmus schneller Bewegungen, und in der irrigen Meinung, dass zwischen je zwei Contractionen jedesmal der Weg zwischen Hirn und Muskel hin und her zur\u00fcckzulegen sei, zu mindestens 9000 Fuss p. Minute, womit er der Wahrheit, wenn auch nur zuf\u00e4llig, ziemlich nahe gekommen ist.\nDie ersten Andeutungen, dass die Geschwindigkeit der Nervenleitung sehr m\u00e4ssig sei, kamen von astronomischer Seite. Die von Maske-lyne zuerst 1795 bemerkte Thatsache, dass verschiedene Beobachter die Zeit der gleichen astronomischen Erscheinung ungleich angeben, wurde namentlich durch Bessel verallgemeinert, welcher zugleich fand, dass die Zeitangaben zweier Beobachter um eine constante Differenz abweichen, die sog. \u201epers\u00f6nliche Gleichung\u201c.5 Nicolai\n1\tJ. M\u00fcller, Handb. d. Physiologie I. 4. Aufl. S. 581, 583. Coblenz 1844.\n2\tHelmholtz, Monatsber. d. Berliner Acad. 1850. S. 14; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1850. S. 71, 276; 1852. S. 199.\n3\tHelmholtz, Monatsber. d. Berliner Acad. 1854. S. 328.\n4\tHaller, Elementa physiologiae IV. p. 372. Lausanne 1762.\n5\tDie genauere Geschichte der Entdeckung s. bei Peters, Ueber die Bestir\u00fc-","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nscheint der Erste gewesen zu sein, der den Grund hiervon in der verschiedenen Geschwindigkeit nerv\u00f6ser Processe suchte.* 1 M\u00fcller (a. a. 0.) war dieser Deutung abhold; er nahm vielmehr rein psychische Gr\u00fcnde an, n\u00e4mlich die Schwierigkeit, die Aufmerksamkeit zwei Sinneseindr\u00fccken gleichzeitig zuzuwenden.\n2. Die Leitungsgeschwindigkeit motorischer Froschnerven.\nHelmholtz (a. a. 0.) war es, dem die grosse Leistung gelang, die Geschwindigkeit der Nervenleitung zu messen. Schon vorher waren verschiedene Methoden zur Messung k\u00fcrzester Zeiten angegeben worden2 3, von welchen Helmholtz zuerst die PouiLLET\u2019sche nach einem Vorschl\u00e4ge du Bois-Reymond\u2019s 3 benutzte. Das Wesen dieser Methode ist in Band L Cap. 2 u. 8 bereits er\u00f6rtert.\nAn motorischen Froschnerven brachte Helmholtz zwei Reiz-electrodenpaare an, und bestimmte mittels des im I. Bande S. 31 beschriebenen und abgebildeten Apparates (Fig. 11) die Zeit vom Momente der Reizung bis zum Beginn der Zuckung, eine Zeit, welche man als die Latenzzeit bezeichnen kann (mit einer kleinen Erweiterung des in Band I. er\u00f6rterten Begriffs). Diese Zeit ergab sich bei Reizung der entfernteren Nervenstrecke gr\u00f6sser; die Zeitdifferenz in beiden Reizversuchen zeigte sich proportional dem gegenseitigen Abstand beider Reizstellen; wird die L\u00e4nge dieses Abstandes (in Metern) durch die Zeitdifferenz (in Secunden) dividirt, so ergiebt sich die Geschwindigkeit der Nervenleitung, und zwar zu 26,4 Meter p. Sec. Durch Abk\u00fchlung des Nerven wird diese Geschwindigkeit betr\u00e4chtlich vermindert, bis zu Vio ihres Werthes (s. unten).\nBei der Wichtigkeit dieser HELMHoi/rz\u2019schen Untersuchung auch die Grenzwerthe der Bestimmungen kennen zu lernen. PouiLLET\u2019schen Methode ergab sich (f\u00fcr Zimmertemperatur): aus Reihe 9: 24,6 \u00b1 2,0 m.\n30,8 \u00b1 6,4 \u201e\n32,0 \u00b19,7 \u201e\n31.4\t\u00b1 7,1 \u201e\n38.4\t\u00b1 10,6 \u201e\nist es gut, Nach der\n10:\n11\nhieraus wahrscheinlichster Mit-} telwerth nach der Methode der kleinsten Quadrate 26,4 m.\nmung des L\u00e4ngenunterscliieds zwischen Altona und Schwerin. Altona 1861 ; die Literatur \u00fcber die pers\u00f6nliche Gleichung s. bei Radau, Carl\u2019s Repertorium f. physical. Technik I. S. 202, IL S. 115, 234. 1866\u201467; s. auch Exner, Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 601. 1873.\n1\tNicolai, Oken\u2019s Isis 1830. S. 678 (Bericht \u00fcber d.Naturf.-Vers. in Heidelberg).\n2\tDie Literatur dieser Methodik s. bei v. Bezold, Untersuchungen \u00fcber die electrische Erregung der Nerven und Muskeln S. 31. Leipzig 1861.\n3\tdu Bois-Reymond, Jahresbericht der physic. Ges. zu Berlin II. (Sitzung vom 7. M\u00e4rz 1845.)","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Geschwindigkeit in motorischen Froschnerven.\n17\naus Reihe\t12:\tMittelwerth 29,1 m.\tI\n,\t\u201e\t13:\t\u201e 25,1 \u201e\ti\tMittel 27,0 m.\n\u00bb\t\u00bb\t14:\t\u201e 26,9 \u201e\t|\nZur Messung der Streckenl\u00e4ngen dehnte Helmholtz die Nerven so weit, dass die Querfalten (die sog. FoNTANA\u2019sche B\u00e4nderung, Cap. 2) verschwanden.\nIn einer zweiten Untersuchung mass Helmholtz dieselbe Geschwindigkeit mittels seines Myographions (s. Band I. S. 24). Auf derselben Abscissenaxe wurden zwei Zuckungscurven gezeichnet, bei Reizung verschiedener Stellen des Nerven. Der Moment der Reizung fiel beide Male mit derselben Stelle der Abscissenaxe zusammen. Die beiden Curven sind in gut gelungenen Versuchen congruent, aber um eine gewisse L\u00e4nge gegeneinander verschoben; diese L\u00e4nge ist, bei bekannter Umdrehungsgeschwindigkeit des Cylinders, ein Maass f\u00fcr die Differenz beider Latenzzeiten, oder f\u00fcr die Zeit, welche die Nervenerregung brauchte, um die Nervenstrecke zwischen beiden Reizstellen zu durchlaufen. Die Geschwindigkeit ergab sich so fast genau wie bei der ersten Methode, n\u00e4mlich zu 27,25 Meter p. Sec.\nDas Sinnreiche dieser Methode liegt besonders darin, dass in den beiden Vergleichsversuchen alle Elemente mit Ausnahme der Nervenstrecken-l\u00e4nge gleich gemacht und dadurch eliminirt sind. Hierin liegt aber auch ihre wesentliche Schwierigkeit; die beiden Zuckungscurven m\u00fcssen strenggenommen congruent sein. Man k\u00f6nnte meinen, es gen\u00fcge den Anfangs-punct der Curven zu bestimmen, der ja auch bei dem Verfahren nach Pouillet allein zur Beobachtung gelangt; allein erstens ist es wahrscheinlich, dass eine st\u00e4rkere Zuckung auch etwas fr\u00fcher beginnt, zweitens hat grade die genaue Feststellung des Abl\u00f6sungspunctes zwischen Curve und Abscisse betr\u00e4chtliche Schwierigkeiten. Man bestimmt daher lieber den Horizontalabstand zweier Puncte beider Curven, wozu sie aber congruent sein m\u00fcssen. Die Bestimmung des Abl\u00f6sungspunctes wird ein wenig erleichtert, wenn man vor der Zuckung keine Abscissenaxe zeichnen l\u00e4sst, sondern erst nach derselben zwei parallele Abscissenaxen, die eine ein wenig h\u00f6her, die andere ein wenig tiefer als die des eigentlichen Versuches verzeichnet. Die Aufsuchung des Abl\u00f6sungspunctes verwandelt sich dann in die desjenigen Punctes, wo die Curve ihr Abstandsverh\u00e4lt-niss zwischen beiden Horizontallinien zu \u00e4ndern anf\u00e4ngt. Sehr empfehlenswert!). ist es auch, die Ordinaten m\u00f6glichst zu vergr\u00f6ssern, indem man den Schreibhebel sehr lang nimmt im Vergleich zum Abstand des Muskels von der Drehaxe. Hierdurch wird zwar das Schleudern beg\u00fcnstigt, welches aber f\u00fcr die vorliegende Aufgabe ganz unsch\u00e4dlich ist.1\n1 Die blosse Thatsache, dass die Leitung im Nerven Zeit braucht, l\u00e4sst sich mit Czermak\u2019s \u201eMyochronoscop\u201c demonstriren (Sitzungsber. d. Wiener Acad. 1861; abgedruckt in Moles ch. Unters. VIII. S. 478. 1862), welches darauf beruht, dass zwei Pr\u00e4parate gleichzeitig gereizt werden, das eine nahe, das andere fern vom Muskel, und das erstere durch seine Zuckung eine Nebenschliessung zu einem Reizkreis f\u00fcr einen dritten Muskel \u00f6ffnet, w\u00e4hrend die Zuckung des zweiten den Kreis selbst un-Handbueh der Physiologie. Bd. H.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nIn den Zahlen betr. die Leitungsgeschwindigkeit im motorischen Froschnerven haben alle sp\u00e4teren Untersuchungen lediglich die Helm-HOLTz\u2019sche Angabe best\u00e4tigt.* 1 2 Auch die Methoden blieben dieselben, ausser dass andere Arten von Myographien angewendet wurden (vgl. Band I.). Nur Bernstein 2 hat in so fern ein neues Messungs-princip eingef\u00fchrt, als er an Stelle des Muskels den Strom am Endquerschnitt des Nerven setzte, und mittels seines Bandl. Cap. 8 beschriebenen Rheotoms die Zeit mass zwischen Reizung an einer bestimmten Nervenstelle und Beginn der negativen Schwankung des abgeleiteten L\u00e4ngsquerschnittstroms; wird diese Zeit f\u00fcr zwei Reizstellen gemessen, so ergiebt sich aus der Zeitclifferenz, bezogen auf den gegenseitigen Abstand beider Reizstellen die gesuchte Fortpflanzungsgeschwindigkeit, und zwar fand sie sich zu 25\u201433 Meter. Ueber eine andre Versuchsweise Bernstein\u2019s um die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der mit der Erregung verbundenen galvanischen Processe direct zu bestimmen, vgl. das 4. Capitel.\n3. Die Leitungsgeschwindigkeit in den sensiblen Neiwen des Menschen.\nMessungen an den Nerven des Menschen hatten ganz besonderes Interesse, schon wegen der Beziehung zu der Frage der pers\u00f6nlichen Gleichung, noch mehr als erster Angrififspunct f\u00fcr die Frage der Nervenleitung am Warmbl\u00fcter. Auch hier war es Helmholtz 3, der im Jahre 1850 die ersten Versuche anstellte. Der Versuchsperson wurde ein schwacher electrischer Hautreiz ertheilt, und sie hatte in dem Augenblick, wo sie ihn empfand, einen Strom zu \u00f6ffnen; dieser Strom, der zeitmessende der PouiLLET\u2019schen Methode, war im Moment der Reizung geschlossen worden. Die so gemessene Zeit zwischen Reizung und Reaction, welche man sp\u00e4ter die \u201ephysiologische Zeit\u201c oder \u201e Reactionszeit \u201c genannt hat, setzt sich zusammen aus einer Leitungszeit im sensiblen Nerven, einem Vorg\u00e4nge im Gehirn, einer Leitungszeit im motorischen Nerven, und endlich der Latenzzeit der\nterbricht ; wenn also der dritte Muskel zuckt, so ist bewiesen, dass der erste Muskel fr\u00fcher gezuckt hat als der zweite. Das Verfahren ist f\u00fcr grosse Auditorien bestimmt, wird aber schwerlich die Zuh\u00f6rer sehr belehren.\n1\tVgl. z. B. Marey, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1866. p. 124; Du Mouvement dans les fonctions de la vie p. 429. Paris 1868; Lamansky, Studien des physiol. Instit. zu Breslau IV. S. 220.1868. Letzterer berechnete (unter Ber\u00fccksichtigung des Pfl\u00fcger-schen Erregungsgesetzes) die Geschwindigkeit aus der Differenz der Latenzstadien bei aufsteigendem und absteigendem Reizstrom in der gleichen Strecke. Er fand einmal 29,58, einmal 33,76 m., Marey nur 12\u201420 m. Solche Unterschiede k\u00f6nnen leicht durch die Temperatur bedingt sein.\n2\tBernstein, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1866. S. 593; Arch. f. d. ges. Physiol. I. S. 173. 1868; Untersuchungen \u00fcber den Erregungsvorgang u. s. w. Heidelberg 1871.\n3\tHelmholtz theilte die Resultate der phys.-\u00f6con. Ges. zu K\u00f6nigsberg mit, am 13. Dec. 1850 ; der Vortrag ist mir im Orig, nicht zug\u00e4nglich.","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Geschwindigkeit in sensiblen Nerven des Menschen. Reactionszeit.\n19\nMuskelverk\u00fcrzung; sie betrug im Ganzen etwa 0,125\u20140,2 Secunde. Wurde nun in zwei successiven, m\u00f6glichst gleichartigen Versuchen einmal eine dem Hirn nahe, einmal eine entfernte Hautstelle gereizt, so konnte aus der Differenz der Reactionszeiten, bezogen auf die Differenz der zu durchlaufenden sensiblen Nervenstrecken, die Geschwindigkeit in den sensiblen Nerven berechnet werden; sie ergab sich zu etwa 60 Meter.\nIm Wesentlichen nach demselben Plane, nur mit Anwendung andrer, namentlich graphischer Zeitmessungsmethoden wurden diese Versuche von vielen Beobachtern, jedoch mit sehr verschiedenen Resultaten, wiederholt. Hirsch1 benutzte zur Messung der Reactionszeit das Hipp\u2019sche Chronoscop, ein Uhrwerk, dessen Zeiger tausendstel Secunden zeigen, aber erst nach Oeffnung des Stromes in einem sperrend wirkenden Electromagneten vom (best\u00e4ndig gehenden) Uhrwerk mitgenommen werden, und bei Wiederherstellung des Stromes sfehen bleiben; das Versuchsverfahren ist hieraus ohne Weiteres ersichtlich. Die Mehrzahl der Versuche Hirsch\u2019s betraf die Abh\u00e4ngigkeit der Reactionszeit von Person, Reizart und Signalart, und ist bei der Hirnphysiologie zu erw\u00e4hnen; die hierher geh\u00f6rigen, bei denen nur mit Hautreizen in verschiedenem Abstand vom Gehirn experimentirt wurde, ergaben f\u00fcr die Leitungsgeschwindigkeit den Werth von nur 34 Meter. Diese Zahl ist aus Reizversuchen an Hand und Fuss berechnet, so dass man einwenden kann, dass die Wegdifferenz nicht einfachen Nervenweg, sondern zum Theil R\u00fcckenmarksweg darstellt ; indessen hat man Grund zu der Annahme, dass die L\u00e4ngsleitung in der weis-sen R\u00fcckenmarkssubstanz mit gleicher Geschwindigkeit wie in peripherischen Nerven erfolgt, so dass, da der durchlaufene Antheil grauer Substanz in beiden F\u00e4llen gleich sein wird, die Versuche an Hand und Fuss wohl vergleichbar scheinen. Frei von letzterem Einwand, und zugleich beweisend f\u00fcr die Richtigkeit der eben erw\u00e4hnten Ueberlegung, sind die Versuche von Schelske2, welcher\ndie Reizung an Leiste und Fuss FiS* 2- Schelske\u2019s Registrirversucli \u00fcber Eeactionszeit. applicirte. Er benutzte den KRiLLE\u2019schen astronomischen Registrir-apparat, einen rotirenden Cylinder, auf welchen zwei Hebel, beide mit den Ankern je eines Electromagneten verbunden, \u00fcber einander verlaufende Linien (S und i?, Fig. 2) schreiben. Der eine Electro-\n1\tHirsch, Vortrag in der naturf. Ges. zu Neuenburg, 8. Nov. 1861 ; abgedruckt in Molesck. Unters. IX. S 183.\n2\tSchelske, Arcb. f. Anat. u. Pbysiol. 1864. S. 151.","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nmagnet ist durch ein Pendel abwechselnd je eine Secunde magnetisch und unmagnetisch , und verzeichnet daher eine gebrochene Linie *S, deren Abscissenstticke Seeunden bedeuten. Der andre wird kurz vor dem Versuche (bei m) magnetisch gemacht, dann im Augenblick der Reizung (/\u2022) demagnetisirt und durch die Versuchsperson im Moment der Emplindung (e) wieder magnetisirt (bei d wird dann schliesslich wieder demagnetisirt). Der zwischen beiden letzteren Acten liegende Theil re der gebrochenen Linie R ist ein Maass der Reactions zeit, und kann durch micrometrische Messung und Vergleichung mit den Secundenl\u00e4ngen der oberen Linie in Zeitwerth umgerechnet werden. Die Geschwindigkeit ergab sich zu 31, 32,608 (bei einer andern Person 25,294) Meter, und in einer Versuchsreihe, in welcher verschiedene R\u00fcckenmarksl\u00e4ngen zu durchlaufen waren (Reizung an R\u00fccken und Nacken) zu 31,052 Meter.\nDie n\u00e4chsten beiden Beobachter, Kohlrausch1 und de Jaager2, erhielten wiederum sehr abweichende Zahlen. Kohlrausch, der wohl die zahlreichsten Messungen angestellt hat (etwa 1000 bei vier Personen) benutzte das Hipp\u2019sche Chronoscop, de Jaager unter Dox-ders\u2019 Leitung den KuiLLE\u2019schen Registrirapparat. Ersterer fand (Reiz-\nteilen Wange und\tHand' folgende Mittelwerthe:\t\t\nVersuchsperson\tZeitdifferenz\tVT egdifferenz\tGeschwindigkeit\nA\t0,011 sec.\t90 cm.\tS2 m.\nB\t0,004 \u201e\t\t225 \u201e\nC\t0,007 \u201e\tn\t129 n\nD\t0,016 \u201e\tn\t56 \u201e\nGesammtmittel\t0,0096 \u201e\tn\t94 \u201e\nde Jaager\u2019s Resultat (Reizung wie bei Schelske) war dagegen nur 26 Meter.\nDen Resultaten HirsciTs und Schelske\u2019s stehen wieder ziemlich nahe die von v. WrmcH3, welcher ein graphisches Verfahren anwandte, und an einer gr\u00f6sseren Anzahl von Hautstellen mit m\u00f6glichst gleicher Intensit\u00e4t (s. unten) reizte. Seine Mittelwerthe bewegen sich im Bereich von 34 bis 44 Meter.\nDie grossen Abweichungen der vorstehenden Angaben haben zu den verschiedensten Vermuthungen gef\u00fchrt. Schelske nahm an, dass Helmholtz bei der Ausrechnung seiner Versuchsresultate einen Fac-\n1\tKohlrausch, Jahresber. d. physical. Ver. zu Frankfurt a. M. 1864\u201465. S. 60; Ztschr. f. rat. Med. (3) XXVIII. S. 190*. 1S66: XXXI. S. 410. 1S68.\n2\tde Jaager. De physiologische tijd bij psychische processen. Utrecht 1S65; vgl. auch Donders Nederl. Arch. v. Geneesk. I. p. 51S. 1865: IV. p. 117. 1868: Arch, f. Anat. u. Physiol. 1868. S. 657.\n3\tv. Wittich, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXXI. S. 87. 1868.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Geschwindigkeit in sensiblen Nerven des Menschen.\n2\u00ce\ntor 2 \u00fcbersehen habe ; Helmholtz gab diese M\u00f6glichkeit zu, erkl\u00e4rte sie aber beim Anblick der Zahlen Kohlrausch\u2019s f\u00fcr unwahrscheinlich (s. bei Kohlrausch, S. 204). Die Arbeit von de Jaager und Donders wies dagegen zum ersten Mal eindringlich auf die schon von andern Beobachtern gelegentlich hervorgehobene Schwierigkeit der ganzen Methode hin, dass der Hirnantheil der Reactionszeit sehr wesentlich durch die Art der Reizung, die Art der Reaction, den Grad der geistigen Anspannung u. s. w. modificirt wird, so dass die beiden Vergleichsversuche kaum jemals absolut commensurabel sein d\u00fcrften. Die \u00fcbrigen Arbeiten \u00fcber die Reactionszeit, von Hirsch, Donders, Hankel u. A., welche bei der Hirnphysiologie zur Er\u00f6rterung kommen, erwiesen die L\u00f6sung des Problems auf dem Wege der motorischen Reaction als fast hoffnungslos. Ueberblickt man die angef\u00fchrten Zahlen, so weist trotzdem die Mehrzahl auf einen zwischen 30 und 40 Meter liegenden Werth der Leitungsgeschwindigkeit menschlicher sensibler Nerven hin, f\u00fcr den auch die unten anzuf\u00fchrenden Messungen an motorischen Nerven sprechen.\nEin wesentlich abweichendes Verfahren,\" welches die Messung von der motorischen Reaction unabh\u00e4ngig machen soll, hat neuerdings Bloch1 angegeben. Er l\u00e4sst zwei Hautstellen rasch hintereinander von einem elastischen Zeiger streifen, der an der Peripherie einer schnell rotiren-den Scheibe befestigt ist. Sind beide Hautstellen vom Hirn gleich weit entfernt (z. B. beide Zeigefinger), so erscheinen, wenn das Intervall beider Streifungen immer mehr verk\u00fcrzt wird, indem beide Finger, an ein getheiltes Lineal gehalten, einander immer mehr gen\u00e4hert werden, schliesslich beide Ber\u00fchrungen dem Bewusstsein gleichzeitig, weil die Nachwirkung der einen Erregung mit der zweiten Erregung verschmilzt. Sind aber beide Hautstellen vom Hirn ungleich weit entfernt, so verschmelzen beide Eindr\u00fccke nicht bei dem eben erw\u00e4hnten, sondern bei einem andern (wieder aus dem Abstand am Lineal bestimmten) Zeitintervall, indem sich die Differenz der Leitungszeiten einmischt. Letztere kann auf diese Weise ermittelt, und die Leitungsgeschwindigkeit daraus berechnet werden. So findet Bloch das zur Verschmelzung erforderliche Ber\u00fchrungsintervall f\u00fcr beide Zeigefinger zu 0,0210\u20140,0236 sec.; f\u00fcr Finger und Nase muss es um 0,0056 \u2014 0,0061 sec. vergr\u00f6ssert, f\u00fcr Finger und Zehe um 0,0034\u20140,0039 sec. vermindert werden, woraus sich als Leitungsgeschwindigkeiten 136 resp. 175 Meter ergeben w\u00fcrden; ber\u00fccksichtigt man den R\u00fcckenmarksantheil der durchlaufenen nerv\u00f6sen Strecken, so ergiebt sich die Geschwindigkeit im Nerven zu 132, im R\u00fcckenmark zu 194 Meter. Indess liegt dieser sinnreichen Methode die unberechtigte\n1 Bloch, Arch. d. physiol, norm, et path. 1S75. p. 588. Bloch machte anfangs Versuche \u00fcber Reactionszeit, wobei er auf die alten Schwierigkeiten stiess. (Die rasch rotirende Scheibe mit dem Streifzeiger war berusst, und der Finger ber\u00fchrte denRuss im Augenblick der Empfindung. so dass der Abstand zwischen Zeiger und Wisch-steife ein Maass der Reactionszeit war.)","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\tHermann. Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\nAnnahme zu Grunde, dass die Verschmelzung zweier sensiblen Erregungen nur von der Zeit ihrer Ankunft im Gehirn und gar nicht davon abh\u00e4ngt, ob sie von gleichen oder verschiedenen, ob sie von gleichnamigen oder ungleichnamigen Hautstellen herkommt. Ein Versuch von Bloch selber zeigt schon, wie unzuverl\u00e4ssig diese Annahme ist; f\u00fcr Finger und Nase n\u00e4mlich m\u00fcsste die Fingerzeit um ebensoviel zu vermindern sein, wenn zuerst die Nase ber\u00fchrt wird, wie sie zu vergr\u00f6ssern ist, wenn zuerst der Finger gestreift wird; dies war aber nicht der Fall, so dass die Nasenempfindung offenbar leichter mit einer Fingerempfindung verschmilzt als zwei Fingerempfindungen. Es scheint daher nicht, dass die Bloch-schen Zahlen grosses Vertrauen verdienen.\n4. Die Leitungsgeschwindigkeit. in den 7710torischen Nerven des Menschen.\nWiederum war es Helmholtz \\ der zuerst die einzig sichere Bahn betrat, die Frage mit g\u00e4nzlichem Ausschluss cerebraler Processe zu entscheiden. In Gemeinschaft mit N. Baxt wandte er dieselbe Methode an, die schon f\u00fcr motorische Froschnerven gedient hatte, n\u00e4mlich Vergleichung der Latenzzeiten einer Zuckung bei Reizung verschieden entfernter Nervenstellen. Die Zuckung der Daumenballenmuskeln wurde mittels der Verdickung graphisch aufgeschrieben und der Nerv, medianus einmal dicht am Handgelenk, einmal am Oberarm gereizt. Der Arm war durch Umgiessen mit Gyps, der nur f\u00fcr die Electrodenpaare Fenster hatte, absolut festgestellt. Wurden die Reizst\u00e4rken so gew\u00e4hlt, dass beide Zuckungscurven m\u00f6glichst congruent ausfielen (s. oben S. 17), so ergaben sich folgende Werthe der Leitungsgeschwindigkeit :\nVersuchsperson\tZabi der Versuche\tGeschwindigkeit (Mittel)\nA\t12\t31,5389\tm.\nB\t10\t37,4927 \u201e\nn\t15\t(etwas verbessert)\t33,395\nMittelwerth\t33,9005 m.\nIn der zweiten Arbeit (bei welcher das Pendelmyographion benutzt wurde) fanden Helmholtz & Baxt so grosse Einfl\u00fcsse der Temperatur, dass die Zahlen in \u00e4hnlichen Grenzen schwanken, wie in den Versuchen an sensiblen Nerven; N\u00e4heres s. unten.\nv. WiTTicH hat in seiner oben citirten Arbeit (S. 106) die Geschwindigkeit in den motorischen Nerven so gemessen, dass er die Reactionszeit bei identischer sensibler Reizung (Haut- oder Geh\u00f6rsempfindung) mit vom Gehirn verschieden entfernten reagirenden Muskeln bestimmte. 'Diese Versuche ergaben einen Werth von 30,3 Meter.\n1 Helmholtz & Baxt, Monatsber. d. Berliner Acad. 1867. S. 228; 1870. S. 184.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Geschwindigkeit in motorischen Nerven des Menschen. Einfluss der Temperatur. 23\nDie BAXT\u2019schen Versuche wiederholte Place mit yan West.1 2 3 Die Resultate stimmten nur hei langer Nervenstrecke mit den Baxt-schen \u00fcberein; N\u00e4heres wird unten angegeben. Einige sp\u00e4tere, im pathologischen Interesse angestellte Untersuchungen von Leyden & y. Wittich 2 und von G. Burkhardt 3 gen\u00fcgt es zu erw\u00e4hnen, da sie f\u00fcr die Feststellung einer Normalzahl aus verschiedenen Gr\u00fcnden nicht in Betracht kommen.\nBei der physiologischen Identit\u00e4t der motorischen und sensiblen Nerven (s. oben) kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Leitungsgeschwindigkeit beider die gleiche ist, es sei denn, dass die Intensit\u00e4t ihrer nat\u00fcrlichen Erregungen wesentlich verschieden w\u00e4re, und ein Einfluss der Intensit\u00e4t existirte (s. unten).\n6. Die Abh\u00e4ngigkeit der Leilungsgeschwindigkeii von verschiedenen physiologischen Umst\u00e4nden.\na. Einfluss der Temperatur. Schon oben ist erw\u00e4hnt worden, dass Helmholtz an Froschnerven eine sehr betr\u00e4chtliche Verlangsamung der Nervenleitung durch K\u00e4lte beobachtet hat. Schon die Temperatur des Zimmers hat erheblichen Einfluss ; noch viel gr\u00f6sser wird die Verlangsamung, wenn man den Nerven auf Eis legt.4\nAuch an den menschlichen (motorischen) Nerven haben Helmholtz & Baxt (a. zweiten a. 0.) einen \u00fcberraschend grossen Einfluss der Temperatur gefunden. Als die oben angef\u00fchrten, im Winter an-gestellten Versuche im Sommer wiederholt wurden, ergaben sich durchweg viel gr\u00f6ssere Zahlen, welche der ersten HELMHOLTz\u2019schen Zahl f\u00fcr die sensiblen Nerven nahe lagen. Man konnte ferner dieselben in ausgiebigem Maasse willk\u00fcrlich vergr\u00f6ssern oder verkleinern, je nachdem man das Handgelenk oder den ganzen Arm k\u00fcnstlich erw\u00e4rmte oder abk\u00fchlte ; die Geschwindigkeit l\u00e4sst sich so zwischen 30 und fast 90 Meter variiren.\nTroitzky5 giebt an, dass im Froschnerven die Geschwindigkeit zwischen 10 und 20\u00b0 am gr\u00f6ssten sei und sowohl durch Abk\u00fchlen wie\n1\tPlace, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 424. 1870.\n2\tLeyden & v. Wittich, Arch. f. pathol. Anat. XLVI. S. 476, 483. 1869; LV. S. 1.1872. Es handelt sich hier um pathologische F\u00e4lle, in denen die Geschwindigkeit in den motorischen Nerven (nach v. Wittich\u2019s Methode gemessen) um fast die H\u00e4lfte vermindert erschien.\n3\tBurkhardt, Die physiologische Diagnostik der Nervenkrankheiten. Leipzig\n1875.\n4\tDie Angabe von Helmholtz, dass Erk\u00e4ltung einer Nervenstelle auch unterhalb derselben einen verz\u00f6gernden Einfluss auf die Vorg\u00e4nge in Nerv und Muskel aus\u00fcbe, konnte, wie Band I. S. 39 erw\u00e4hnt, in meinem Laboratorium nicht best\u00e4tigt werden.\n5\tTroitzky, Arch. f. d. ges. Physiol. VHI. S. 599. 1874.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\tHekmann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\ndurch Erw\u00e4rmen sinke; der Einfluss der Temperatur werde um so unmerklicher, je st\u00e4rker der Reiz.\nb.\tEinfluss der Reizintensit\u00e4t. In seinen Versuchen an Froschnerven hatte sich Helmholtz maximaler Reize bedient, oder nur soweit die Reizgr\u00f6sse an der einen Reizstelle vermindert, dass die Zuckungen gleich gross ausfielen. Mit Baxt fand er sp\u00e4ter am Menschen, dass das Latenzstadium bei Reizung der entfernten Nervenstrecke kleiner ist bei st\u00e4rkerer Reizung, w\u00e4hrend an der nahen Nervenstelle kein erheblicher Einfluss der Reizst\u00e4rke vorhanden ist. Hieraus w\u00fcrde folgen, dass st\u00e4rkere Erregungen sich schneller im Nerven fortpflanzen. Hirsch, Hankel und ebenso sp\u00e4ter y. Wittich fanden die Reactionszeit bei st\u00e4rkeren Reizen k\u00fcrzer ; indess ist hier m\u00f6glicherweise nur der cerebrale Process durch die Intensit\u00e4t beschleunigt, also ein Schluss auf die Leitungsgeschwindigkeit in den Nerven aus dieser Thatsache nicht zul\u00e4ssig. Valentin 1 fand ebenfalls schnellere Leitung st\u00e4rkerer Erregungen am Frosch- und Murmelthiernerven1 2, ebenso Troitzky (a. a. 0.) und Wundt3 am Froschnerven, jedoch letzterer nur f\u00fcr kurzdauernde Reizstr\u00f6me, weil sonst electrotonische Einfl\u00fcsse sich einmischen.\nDagegen behaupten neuerdings J. Rosenthal4 (in einer vorl\u00e4ufigen Mittheilung) und Lautenbach5, welcher unter Schiff\u2019s Leitung arbeitete, dass die Leitungsgeschwindigkeit motorischer Froschnerven von der Reizintensit\u00e4t unabh\u00e4ngig ist. Die theoretisch wichtige Frage, ob die Geschwindigkeit eine Function der Intensit\u00e4t ist, muss also vor der Hand als unentschieden bezeichnet werden. Zu bemerken ist, dass der einfache Versuch, ob die Latenzzeit mit der Reizst\u00e4rke variirt, die Frage nicht entscheiden kann, da der Vorgang im Muskel selbst nach einigen Angaben durch die Intensit\u00e4t beschleunigt wird ; entscheidende Versuche m\u00fcssen also stets mit zwei Reizstellen am Nerven angestellt werden.\nc.\tEinfluss der durchlaufenen Nervenstrecke. Inden meisten Versuchen wurde die Geschwindigkeit der Erregung im Nerven ohne Weiteres als eine gleichf\u00f6rmige angesehen. Diese Vorstellung wurde zuerst ersch\u00fcttert durch eine Untersuchung von H. Munk6, welcher den motorischen Froschnerven an drei Stellen reizte, und\n1\tValentin, Molesch. Unters. X. S. 526. 1868.\n2\tDie Fortpflanzungsgeschwindigkeit kann nach Valentin im Winterschlaf bis unter 1 Meter sinken.\n3\tWundt, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 440.1870 ; Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren IL S. 16. Stuttgart 1876.\n4\tJ. Rosenthal, Monatsber. d. Berliner Acad. 1875. S. 419.\n5\tLautenbach, Arch. d. scienc. phys. et natur. 1877. Juli. (Sep.-Abdr.)\n6\tH. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 798.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Einfl\u00fcsse auf die Geschwindigkeit : Reizintensit\u00e4t, Streckenl\u00e4nge, Electrotonus. 25\naus der Vergleichung der Latenzzeiten fand, dass die Strecke zwischen der mittleren und unteren Reizstelle bei gleicher L\u00e4nge \u00fcber zweimal so schnell durchlaufen wird als die zwischen der oberen und mittleren. Entweder also leitet die obere Nervenstrecke ihrer Natur nach langsamer, oder die Geschwindigkeit der Leitung ist eine beschleunigte, so dass sie um so gr\u00f6sser wird, je l\u00e4ngere Nervenstrecken bereits durchlaufen sind. Ein \u00e4hnliches Resultat erhielten Helmholtz & Baxt bei ihren ersten Versuchen am Menschen; am Vorderarm erschien die Leitungszeit f\u00fcr die gleiche Strecke k\u00fcrzer als am Oberarm. Ebenso fand Place (a. a. 0.) die Geschwindigkeit sehr verschieden, je nachdem die obere Reizstelle in der N\u00e4he des Ellbogens oder am Oberarm lag: im ersten Falle im Mittel zu 53, im letzteren zu 35,25 m. ; als dann mit vier Reizstellen, von denen zwei am Oberarm, zwei am Vorderarm lagen, die Leitungsgeschwindigkeit f\u00fcr beide Nervenstrecken besonders bestimmt wurde, ergab sie sich oben zu 12\u201423,9 m., unten zu 52\u201462 m. Dies letztere Resultat w\u00fcrde also beweisen, dass die Geschwindigkeit keine beschleunigte, sondern an den Oberarmnerven an sich viel geringer ist als an den Vorderarmnerven. In der zweiten Arbeit fanden aber Helmholtz & Baxt grade umgekehrt am Vorderarm eine geringere Geschwindigkeit als am Oberarm, und vermuthen, dass die niedrigere Temperatur des Vorderarms die Ursache sei. Rosenthal deutet bei der Besprechung dieser Versuche auf Erfahrungen hin, welche im Gegensatz zu der Munk-schen Annahme f\u00fcr eine Abnahme der Geschwindigkeit bei der Leitung sprechen sollen, ohne aber diese Erfahrungen mitzutheilen.1 Die Frage also, ob die Leitungsgeschwindigkeit constant, beschleunigt oder verz\u00f6gert ist, und ob verschiedene Nervenstrecken verschiedene spe-cifische Geschwindigkeiten haben, ist durchaus ungel\u00f6st.\nd. Einfluss galvanischer Durchstr\u00f6mung. Wird eine Nervenstrecke von einem constanten galvanischen Strome durchflossen, so hat dies mannigfache Zustands\u00e4nderungen im ganzen Verlauf des Nerven zur Folge, welche unter dem Namen Electrotonus in den folgenden Capiteln besprochen werden, v. Bezold2 hat gefunden, dass unter diesen Ver\u00e4nderungen sich auch eine solche der Leitungsgeschwindigkeit befindet. Die Versuche, nach der graphischen Methode angestellt, erstreckten sich sowohl auf die extrapolare wie auf die intrapolare Strecke, und ergaben, dass der Electrotonus \u00fcberall\n1\tRosenthal, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1870. S. 691.\n2\ty. Bezold, Allgem.med. Centralztg. 1859. No.25; Monatsber. d. Berliner Acad. 1860. S. 736, 1861. S. 268, 371 ; Untersuchungen \u00fcber die electrische Erregung der Nerven und Muskeln S. 109. Leipzig 1861.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Nervenleitung.\ndie Fortpflanzung der Erregung in einem seiner H\u00f6he, aber nicht seinem Vorzeichen entsprechenden Grade verz\u00f6gert. Die Verz\u00f6gerung ist also sowohl im Anelectrotonus wie im Catelectrotonus vorhanden, an den Polen selbst am st\u00e4rksten, und von ihnen aus nach beiden Seiten abnehmend, im Indifferenzpunct h\u00f6chstwahrscheinlich Null, obwohl letzteres nat\u00fcrlich nur sehr indirect daraus geschlossen werden kann, dass die Verz\u00f6gerung nicht in gleicher H\u00f6he die ganze intrapolare Strecke betrifft, sondern nach deren Mitte hin kleiner wird. Bei starken Str\u00f6men geht die Verz\u00f6gerung in die schon fr\u00fcher bekannte v\u00f6llige Aufhebung des Leitungsverm\u00f6gens \u00fcber. (Vgl. auch die analoge Erscheinung am Muskel, Band I. S. 91.)\nDa in allen \u00fcbrigen Beziehungen die anelectrotonischen und cat-electrotonischen Ver\u00e4nderungen im Nerven entgegengesetzten Sinnes sind, erscheint die BEZOLD\u2019sche Angabe, dass sie in Bezug auf die Leitungsgeschwindigkeit gleiche Richtung haben, sehr bemerkens-werth. Rutherford1 wurde durch diese Betrachtung veranlasst, die Versuche mit schw\u00e4cheren polarisirenden Str\u00f6men und mit k\u00fcrzerer Einwirkungsdauer derselben zu wiederholen. Hier fand sich, dass nur der Anelectrotonus die Leitung verz\u00f6gert, der Catelectrotonus dagegen sie beschleunigt ; nur bei starken Str\u00f6men oder nach langer Einwirkung geht diese Beschleunigung in ihr Gegentheil \u00fcber. Zu dem gleichen Resultat kam auch Wundt2 3, dessen Untersuchungen an anderer Stelle ausf\u00fchrlicher zu besprechen sind.\nAnhang. S. Exner 3 hat neuerdings die Geschwindigkeit, mit der ein Spinalganglion durchlaufen wird, an den hinteren Ischiadicuswurzeln des Frosches nach der BERNSTEm\u2019schen Methode (s. oben S. 18) gemessen, und gefunden, dass dieselbe von der gew\u00f6hnlichen Nervenleitungsgeschwindigkeit nicht verschieden ist. Uebrigens ist es m\u00f6glich, dass die Messung nur f\u00fcr die einfach durchtretenden Fasern gilt.\nDie Frage, ob der Leitungsvorgang mit Erhaltung oder Ver\u00e4nderung der Erregungsgr\u00f6sse verbunden sei, kann erst im 2. und 3. Capitel bei der Betrachtung der localen Erregbarkeiten behandelt werden.\n1\tRutherford, Journ. of anat. and physiol. (2) I. p. 87. 1867.\n2\tWundt, Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren I. S. 245. Erlangen 1871.\n3\tExner, Monatsber. d. Berliner Acad. 1877. S. 729.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Geschwindigkeit im Electrotonus. Leitungswiderstand des Nerven.\n27\nZWEITES CAPITEL.\nDie Erregung des Nerven.\nDie Hervorrufung des Leitungsvorgangs im Nerven heisst Erregung, und die sie bedingenden Einfl\u00fcsse Reize. Schon oben S. 5, 8 ist erw\u00e4hnt, dass die normale Erregung des Nerven stets von einem mit ihm verbundenen Erregungsorgan ausgeht. Die Physiologie dieser Organe aber, n\u00e4mlich der Sinnesorgane und der Centralorgane, ist nicht Gegenstand dieses Abschnitts. Im Grunde also hat es das vorliegende Capitel mit einem abnormen Vorg\u00e4nge zu thun, n\u00e4mlich mit der k\u00fcnstlichen Erregung des Nerven an irgend einer Stelle seines Verlaufs. Aber diese k\u00fcnstlichen Erregungen sind f\u00fcr uns das einzig sich\u00e9re Experimentirmittel und deshalb die beste Handhabe f\u00fcr die Kenntniss der Eigenschaften des Nerven.\nWie beim Muskel werden wir die wichtigsten Einwirkungen, welche erregend wirken, gleichzeitig in ihren Einfl\u00fcssen auf die Erregbarkeit des Nerven betrachten.\nI. Electrisclie Einwirkungen.\n1. Der galvanische Leitungswiderstand des Nerven.\nDie \u00e4ltere Vorstellung, dass die Nerven bessere Leiter seien als andere Organe1 2 3, wurde, nachdem schon im vorigen Jahrhundert entgegengesetzte Angaben von Priestley 2 und Mauduit 3 gemacht waren, definitiv beseitigt durch die Untersuchungen von Heidmann4, Person 5, Ed. Weber 6, Matteucci 7 8, Eckhard 8 u. A. Nach diesen Versuchen entspricht der Widerstand des Nerven ungef\u00e4hr seiner Durchfeuchtung mit einer verd\u00fcnnten Salzl\u00f6sung, und ist nach den Meisten etwas gr\u00f6sser als der des Muskels (vgl. Band I. S. 87);\n1\tDie \u00e4ltere Literatur s. bei du Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcber thier. Electr. II. 2. S. 188.\n2\tPriestley, The history and present state of electricity etc._ p. 656. London 1767 ; Uebersetzung von Kr\u00fcnitz S. 430, 431. Berlin u. Stralsund 1772 (citirt nach du Bois-Reymond).\n3\tMauduit, Histoire de la soc. roy. d. m\u00e9d. Ann\u00e9e 1776 (Paris 1779). M\u00e9moires p. 522, 525 (citirt nach du Bois-Reymond).\n4\tHeidmann, Gilbert\u2019s Ann. d. Physik XXL S. 103 ff. 1805.\n5\tPerson, Journ. d. physiol, exp\u00e9r. X. p. 216. 1830.\n6\tEd. Weber, Quaestiones physiologicae de phaenom. galvano-magnet. in corp. hum. observ. p. 12. Lipsiae 1836; s. auch Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 64.\n7\tMatteucci, Trait\u00e9 des ph\u00e9nom\u00e8nes \u00e9lectrophysiologiques p. 49. Paris 1844.\n8\tEckhard, Beitr. z. Anat. u. Physiol. I. S. 55. 1855.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nJ. Ranke 1 fand den Widerstand von lebenden Muskeln und Nerven gleich. Nach Harless '1 2 ist das Leitungsverm\u00f6gen des Nerven 12,6 bis 17,8 (im Mittel 14,86) mal so gut wie das des destillirten Wassers und kann durch Quellung in Wasser allm\u00e4hlich auf 4 9 seines Werthes sinken.3\nSehr gross fand ich4 den Unterschied des Nerven Widerstands in L\u00e4ngs- und Querrichtung, als ich ein Lager paralleler Froschnerven, welches den Raum zwischen zwei quadratischen Glasplatten ausf\u00fcllte, abwechselnd in beiden Richtungen zwischen unpolarisirbare Bauschelectroden einschaltete und den Widerstand nach der Wheat-STONE'schen Methode bestimmte. Der Querwiderstand ergab sich 5 mal so gross als der L\u00e4ngswiderstand ; ersterer ist etwa 12 V2 Millionen, letzterer nur 2 f 2 Millionen mal so gross wie der des Quecksilbers, jedoch sind diese absoluten Zahlen wegen starker Multiplication der Versuchsfelder nur ganz ungef\u00e4hre. Durch Abt\u00f6dten der Nerven in indifferenter Fl\u00fcssigkeit von 50\u00b0 nimmt der L\u00e4ngswiderstand zu und der Querwiderstand ab, so dass das Verh\u00e4ltnis beider von 1 : 5 auf 1 : 2,4 herabsinkt. Beim Sieden erreicht der L\u00e4ngswiderstand wieder seine urspr\u00fcngliche Gr\u00f6sse und auch der Querwiderstand nimmt noch weiter ab, so dass das Verh\u00e4ltnis ungef\u00e4hr das gleiche bleibt (1 : 2,0\u20142,8). Die Ursache der Widerstandsdifferenz in beiden Hauptrichtungen wird weiter unten (Cap. 4) zur Sprache kommen.\nBeim spontanen Absterben des Nerven hat H. Munk5 eine Zunahme des Widerstands beobachtet; er verglich direct mittels der WHEATSTONE\u2019sche Br\u00fccke gleich lange Nervenst\u00fccke von soeben und l\u00e4ngere Zeit vorher get\u00f6dteten Fr\u00f6schen; in andern Versuchen wurde der gleiche Nerv an den Thonspitzen belassen, und zu verschiedenen Zeiten sein absoluter Widerstand bestimmt. Das Resultat-bedarf, so wahrscheinlich es auch durch die Analogie der Widerstands\u00e4nderung in der W\u00e4rme sein mag, der Revision, einmal weil bei demselben L\u00e4ngsund Querwiderstand zusammen in Betracht kommen, zweitens weil gegen beide Methoden sich Einw\u00e4nde erheben lassen.6\n1\tJ. Ranke, Der galvanische Leitungswiderstand, des lebenden Muskels. Ansbach 1862.\n2\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 333. 1858.\n3\tHarless untersuchte auch (a. a. O. S. 345) den Einfluss der chemischen Com-ponenten des Nerven auf seinen Widerstand; die Resultate sind ohne Interesse, da der Nerv kein homogener K\u00f6rper ist.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 229. 1871.\n5\tH. Munk, Untersuchungen \u00fcber das Wesen der Nervenerregung I. S. 198. Leipzig 1868.\n6\tDie Vergleichung zweier einzelner Nerven ist noth wendig ungenau, da der geringste Unterschied beiderseits, in L\u00e4nge, Querschnitt, Anliegen des Thons, sehr","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Leitungs widerst. in L\u00e4ngs- u. Querrichtung, b. Absterben. Application v. Str\u00f6men. 29\nSe cun dar er Widerstand u. s. w. Wie schon Band I. S. 89 erw\u00e4hnt ist, zeigen die Nerven nur den sog. \u201e\u00e4usseren\u201c, keinen \u201einneren\u201c secund\u00e4ren Widerstand, d. h. nur die Widerstands Ver\u00e4nderungen an den Electroden in Folge der cataphorischen Fl\u00fcssigkeitsbewegung. H. Munk* 1 hat die Widerstands\u00e4nderungen des Nerven in Folge der D\u00fcrchstr\u00f6mung einer \u00e4usserst langwierigen und noch nicht abgeschlossenen Untersuchung unterzogen, deren Resultate zun\u00e4chst ohne physiologisches Interesse sind.\n2. Methodik der electrischen Einwirkungen auf Nerven.\nDie \u00e4lteren Eleetrophysiologen bedienten sich zur Application von Str\u00f6men auf den Nerven, falls ein einfaches Element gen\u00fcgte, zweier Metallst\u00fccke, welche durch den Nerven selbst als feuchten Leiter zur Kette erg\u00e4nzt wurden. Unter dem Namen der \u201eelectrischen Pincette\u201c ist ein solcher etwas federnder Metallbogen, dessen Enden aus Kupfer und Zink bestehen (etwaige Zwischenmetalle sind nat\u00fcrlich gleichg\u00fcltig), noch jetzt hier und da in Gebrauch; man kann sich eine solche Vorrichtung, die z. *B. zur schnellen Pr\u00fcfung der Erregbarkeit recht brauchbar ist, nach du Bois-Reymond\u2019s Vorgang improvisiren, indem man durch eine Schraubklemme einen passend gebogenen Zinkdraht mit einem Platin- oder Kupferdraht verbindet.2 Als st\u00e4rkere Electromotoren verwandte man fr\u00fcher die vielgliedrigen inconstanten Platten- oder Bechers\u00e4ulen, auch vielfach die PuLVERMACHER\u2019schen Ketten. Jetzt wird selten Anlass sein, eine andere als eine constante Kette anzuwenden.3\nDa der Nerv stets einen sehr grossen Widerstand in den Versuchskreis einf\u00fchrt, so bedarf man, wenn eine starke Durchstr\u00f6mung erfordert wird, einer gr\u00f6sseren Anzahl von Elementen, w\u00e4hrend der Widerstand derselben gross sein darf, die Elemente also zweckm\u00e4ssig (in Bezug auf Wohlfeilheit, geringere M\u00fche u. s. w.) klein genommen werden. Kleine DANiELL\u2019sche, GnovE\u2019sche oder PiNCUs\u2019sche Ketten sind wegen ihrer Con-stanz besonders zweckm\u00e4ssig; von den GnovE\u2019schen, die sich durch besonders hohe electromotorische Kraft auszeichnen, hat du Bois-Reymond eine kleine Form angegeben, die sehr zu empfehlen ist. F\u00fcr solche Zwecke, bei denen es auf Constanz nicht ankommt, dagegen f\u00fcr kurze Zeit sehr bedeutende electromotorische Kr\u00e4fte gebraucht werden, ist kaum eine Kette wohlfeiler, compendi\u00f6ser und bequemer als die vielgliedrigen Tauchbatterien mit kleinen Zink- und Kohleplatten (Plattengr\u00f6sse, eintauchender Theil, ca. 15 Gern.), welche in eine L\u00f6sung von Kaliumbi-chromat in verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure gesenkt werden. Im Uebrigen kann bez\u00fcglich vielgliedriger S\u00e4ulen auf die Werke \u00fcber Electrotherapie verwiesen werden.\ngrossen Einfluss gewinnt ; das l\u00e4ngere Anliegen eines Nerven an Thon vermehrt aber wie ich gefunden habe (vgl. Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 334. 1872), den Widerstand betr\u00e4chtlich, anscheinend durch Absaugung von Wasser. Widerstands vergleichuno-en an einzelnen Froschnerven sind wahrscheinlich immer ungenau.\n1\tH. Munk in dem oben angef\u00fchrten Werke. (Die \u00fcbrige Literatur \u00fcber secund\u00e4ren Widerstand und verwandte Gegenst\u00e4nde s. Bd. I. a. a. 0.)\n2\tVgl. du Bois-Reymond, Untersuchungen etc. I. S. 445; Taf. I. Fig. IS.\n3\tUeber Verwendung der capillar-electrischen Str\u00f6me zum Reizen vgl. Tiegel. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 189.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nZur Abstufung der Intensit\u00e4ten constanter Str\u00f6me, welche den Nerven durchfliessen sollen, sind Rheostatwiderst\u00e4nde im Allgemeinen unzureichend, weil der Kreis schon den ungemein grossen Widerstand des Nerven enth\u00e4lt.1 Will man also durch eingeschaltete Widerst\u00e4nde im Allgemeinen den Strom schw\u00e4chen, so m\u00fcssen dieselben von gleicher Ordnung mit dem des Nerven sein, also z. B. aus langen engen mit Fl\u00fcssigkeiten gef\u00fcllten R\u00f6hren 2, auch wohl aus feuchten F\u00e4den bestehen. In manchen F\u00e4llen erlaubt es der Yersuchszweck, den Nerven selbst als Rheostaten zu benutzen, indem man die durchflossene Strecke um so k\u00fcrzer macht, je st\u00e4rker der Strom sein soll. \u2014 Auch die Abstufung der Str\u00f6me durch Variirung der Elementezahl ist unbequem und jedenfalls f\u00fcr schwache Str\u00f6me nur mit Thermos\u00e4ulen durchf\u00fchrbar.3\nWeit ausgiebiger, bequemer und namentlich in Bezug auf quantitative Bestimmungen einfacher ist die Anwendung des Princips der Neben-Schliessung, in Gestalt des von Poggendorff erfundenen Rheochords, welches du Bois-Reymond in die Physiologie eingef\u00fchrt hat. Das Verfahren beruht darauf, dass ein Strom, welcher sich durch zwei Leitungen zu ergiessen hat, sich in beiden so vertheilt, dass die Intensit\u00e4ten den Widerst\u00e4nden umgekehrt proportional sind, w\u00e4hrend die Summe beider Intensit\u00e4ten gleich der Intensit\u00e4t im ungetheilten Abschnitt der Leitung ist. Man braucht also nur eine Nebenleitung zum Nerven anzubringen, deren Widerstand willk\u00fcrlich ver\u00e4ndert werden kann; Vergr\u00f6sserung desselben verst\u00e4rkt dann den Stromantheil im Nerven. Um den Einfluss des Rlieochordwiderstands auf die Intensit\u00e4t im Nerven zu \u00fcbersehen, nennen wir e die Kraft der Kette, w den Widerstand der Leitung bis zu den Verzweigungspuncten, wr und rvn die Widerst\u00e4nde der beiden Zweige, d. h. des Rheochorddrahtes und der den Nerven enthaltenden Leitung; dann ergiebt sich aus den KiRCHHOFF\u2019schen S\u00e4tzen f\u00fcr die Intensit\u00e4ten (i ir und in mit entsprechender Bedeutung der Indices):\nervr\t._______________ewn___________\nln rv wr -f- tv wn -j- wrrvn 1 wrvr -f- rv rvn -j- wrwn . __________________ ______e(tvr H- wn)______\nTV TV r -j\u2014 TV TVn -j\u2014 TV y TVn\nIst Tvr sehr klein gegen w und tvnf so wandelt sich die erste Gleichung um in\t:\tewr\nl n  \t7\nTVTVn\nd. h. die Intensit\u00e4t des Stromzweigs im Nerven ist proportional dem Widerstande des Rheochordzweiges. Man kann aber diesen einfachen Fall selbst bei d\u00fcnnen und langen Rheochorddr\u00e4hten leicht verwirklichen, wenn man in die ungetheilte Leitung einen grossen Widerstand einschaltet; gegen wn n\u00e4mlich wird wr fast stets verschwindend klein sein. In anderen F\u00e4llen kommt es viel weniger auf diese Proportionalit\u00e4t an, als darauf, dass man den Strom im Nerven von kleinen Werthen continuir-\n1\tDen Widerstand von 1 cm. Frosch-Ischiadicus kann man zu etwa 40\u201470,000\nS.-E. veranschlagen.\t,\t_.\t.\t. . TJ\t,\n2\tEinen Fl\u00fcssigkeits-Rheostaten von colossalen Dimensionen hat Harless benutzt, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 320. 1858._\n3\tVgl. J. Regnauld, Journ. d. 1. physiol. 1858. p. 404.","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Abstufung der Stromst\u00e4rken. Theorie des Rheochords.\n31\nlieh bis auf die Intensit\u00e4t steigern k\u00f6nne, die er haben w\u00fcrde, wenn gar keine Nebenschliessung vorhanden w\u00e4re ; hierzu muss der Widerstand der ungetheilten, die Kette enthaltenden Leitung gegen den des ganzen Rheo-chorddrahtes und des Nerven verschwinden; ist n\u00e4mlich rv sehr klein, so wird\t.\te\nln -- \u201c7\t\\ \">\n1 +\nrv\nwr\nrvn\nso dass wenn rvr von 0 bis zu einem sehr grossen Vielfachen von rv w\u00e4chst, die Intensit\u00e4t in von 0 bis zu dem Grenzwerthe\n. ___ e\nn~ rvn'\nd. h. .bis zu demjenigen Werthe sich \u00e4ndert, den es haben w\u00fcrde, wenn der volle Strom der Kette durch den Nerven ginge.\nDas Rheochord kann in zwei Grundformen angewendet werden: 1) als ein System von zwei parallelen Dr\u00e4hten, die durch eine verschiebbare Br\u00fccke (Schieber) mit einander verbunden sind, und deren gleichseitige Enden (Nullpunct) die Verzweigungsstellen bilden; die Verstellung des Schiebers \u00e4ndert dann nur wr, und zwar bei cylind rischen Dr\u00e4hten proportional dem Abstande des Schiebers vom Nullpunct; 2) als ein einziger Draht, dessen eines Ende die eine und dessen Schieber die andere Verzweigungsstelle bildet; in diesem Falle \u00e4ndert die Verschiebung nicht bloss rvr, sondern auch rv, die Summe rv -j- rvr bleibt aber constant. In diesem Falle wird also von zwei Puncten eines geschlossenen und unver\u00e4nderlichen Kreises abgeleitet, und die electromotorische Gegenkraft, welche erforderlich ist, um den abgeleiteten Strom zu annulliren, ist gleich der Spannungsdifferenz an beiden Fusspuncten des ableitenden Bogens; diese ist aber nach den bekannten S\u00e4tzen vom Gef\u00e4lle dem Abstand dieser Fusspuncte proportional. Ein solches Rheochord bietet also ein Mittel electromotorische Kr\u00e4fte durch Compensation zu messen ; ihre Gr\u00f6sse ist den zur Compensation gebrauchten Rheochordl\u00e4ngen proportional und hat den Werth\newr ______ wr\nrv -f- rvr\tc\nworin c einen constanten Werth hat. Dies Princip findet bei der Messung electromotorischer Kr\u00e4fte von Muskeln und Nerven eine wichtige Anwendung (vgl. Band I. Cap. 8). Wo es nur auf Abstufung von Str\u00f6men ankommt, ist nat\u00fcrlich der einfache Rheochorddraht ebenso gut brauchbar wie das doppeldr\u00e4htige Rheochord, und auch bei ihm l\u00e4sst sich der oben erw\u00e4hnte Fall der Proportionalit\u00e4t zwischen Nervenzweigstrom und Rheo-chordl\u00e4nge in gleicher Weise erreichen.\nIndem man nach Pfl\u00fcger\u2019s 1 Vorgang mehrere zweidr\u00e4htige Rheo-chorde neben einander auf einem Brett anordnet und mit einander verbindet, kann man den Widerstand der Nebenschliessung ohne zu unbequeme L\u00e4nge oder Feinheit der Dr\u00e4hte bis zu dem Werthe steigern, der f\u00fcr die volle Intensit\u00e4t des Kettenstroms im Nerven nach dem oben\n1 Pfl\u00fcger, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 122. Berlin 1859.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nGesagten erforderlich ist. Die zweckm\u00e4ssigste Form hat du Bois-Reymond dem vieldr\u00e4htigen Rheochord gegeben, indem er (Fig. 3) nur eins der Drahtpaare, ab, cd f\u00fcr continuirliche Verschiebung einrichtete, die \u00fcbrigen\naber so anbrachte, dass sie, wie die Widerstandsrollen der St\u00f6pselrheo-state, nur in ganzer L\u00e4nge in die Nebenschliessung aufgenommen werden k\u00f6nnen. Indem diese Dr\u00e4hte den Widerstand des offenen Paares in 1, 2, 5, 10 f\u00e2cher Gr\u00f6sse wiederholen, k\u00f6nnen nach bekanntem Princip wr alle Werthe zwischen 0 und dem 20 fachen des offenen Paares continuir-lich ertheilt werden. Durch den Wegfall der Schieber wird es m\u00f6glich, jene weiteren Widerst\u00e4nde aus sehr feinem (Neusilber-) Draht herzustellen und sie durch Anbringen im Innern eines Kastens zu sch\u00fctzen. Der Schieber s des offenen Paares besteht aus zwei mit Quecksilber gef\u00fcllten\nStahlrohren. Fig. 4 stellt einen Quer-und einen L\u00e4ngsschnitt durch den Apparat beim offenen Paar dar und l\u00e4sst die Einrichtung des Schieberschlittens und die die offenen Dr\u00e4hte sch\u00fctzende Holzlatte ) l erkennen. Durch einen H\u00fclfsst\u00f6psel mit \\ Drahtklemme kann man einen Theil der Fig. 4. Detail zum du Bois-Reymond\u2019sehen Widerst\u00e4nde, durch \\ erlegung des einen Rheochord.\tVerzweigungspunctes, in die Hauptleitung\nversetzen, was zur Herstellung schw\u00e4chster Str\u00f6me sehr #n\u00fctzlich ist. Kommt es nicht auf continuirliche Aenderung von wr an, sondern gen\u00fcgen Abstufungen bis auf 1 SiEMENs\u2019sche Einheit, so kann jeder St\u00f6pselrheostat (deren einige bis rio S.-E. abgestuft sind) statt des Rheochords dienen.\nUeber Abstufung von Inductionsstr\u00f6men s. unten.\nZum Wechseln der Stromrichtung dienen die bekannten Commutatoren und Gyrotrope, zum Schliessen und Oeffnen von Str\u00f6men Vorreibeschl\u00fcssel oder Quecksilbern\u00e4pfe. Bei Rheockordversuchen wird die Unterbrechungsstelle in die ungetheilte Leitung verlegt, einmal damit nicht, solange der Nerv undurchstr\u00f6mt bleiben soll, ein unn\u00fctzer Zinkverbrauch durch die Rheocliordschliessung stattfinde, zweitens um T\u00e4uschungen durch Ungleichartigkeit der Electroden zu verh\u00fcten. Die Vorreibeschl\u00fcssel werden nach l\u00e4ngerem Gebrauch geneigt, von selbst zuzufallen ; man kann dies durch Verlegung des Schwerpuncts, einfacher durch einen Kautschukring verhindern, der den Griff und einen an der Befestigungszwinge angebrachten Haken verbindet.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"RheoChord. Vorrichtungen zu unif. Schwankungen. Schwankungsrheochorde. 33\nF\u00fcr Reiz versuche ist der zeitliche Verlauf des Schliessungs - und OefFnungsvorgangs von grosser Wichtigkeit. Bei Parallelversuchen, auf deren Vergleichung Schl\u00fcsse gebaut werden sollen, m\u00fcssen daher diese Vorg\u00e4nge streng uniform sein. Das Schliessen und Oeffnen mit der Hand gen\u00fcgt hierzu nicht, am wenigsten bei Vorreibeschl\u00fcsseln, bei Quecksilbern\u00e4pfen h\u00f6chstens f\u00fcr die Schliessung, wofern die Oberfl\u00e4che des Quecksilbers und des amalgamirten Hakens sehr rein sind. Brauchbarer sind f\u00fcr solche Versuche einfache Contacte zwischen einer Platte und einer Kuppe, welche beide von Platin oder vergoldet, und an federnden Hebeln passend angebracht sein m\u00fcssen.1 2 3 Zur Herstellung v\u00f6llig uniformer Schliessungen und OefFnungen hat zuerst Pfl\u00fcger 2 die Fallbewegung angewendet ; sein Apparat besteht aus einem Klotz von weichem Eisen, der an einem um eine Axe drehbaren Stiel befestigt ist, und* stets aus gleicher H\u00f6he, in welcher er durch einen Electromagneten festgehalten wird, durch Oeffnen des magnetisirenden Stromes fallen gelassen wird. Eine an ihm befestigte Spitze schliesst durch Einfallen in ein Quecksilbern\u00e4pfchen den Reizstrom. Sollen Oeffnungsversuche gemacht werden, so f\u00e4llt der Harinmer auf ein Hebelchen mit federndem Ruhecontact. Der Apparat ist sp\u00e4ter von Siemens 3 noch weiter ausgebildet worden. Die electromagnetische Festhaltung d\u00fcrfte f\u00fcr manche Versuche durch eine einfachere mechanische ohne Schaden ersetzt werden k\u00f6nnen; der Electromagnet ist bei Boussolversuchen mitunter st\u00f6rend. Auch die Pendelbewegung ist vielfach zu uniformen Schliessungen und OefFnungen verwendet worden, namentlich wenn solche regelm\u00e4ssig auf einander folgen sollen; man bringt z. B. an einem Metronompendel Quecksilbercontacte an.4 Ich habe auch zu genauen OefFnungen das Pendel des Pendel-myographions verwendet, das den Reizcontact stets mit gleicher Geschwindigkeit umwirft.5 6 Ueber uniforme Schliessungen an Inductions-apparaten s. unten.\nZuweilen kommt die Aufgabe vor, statt einfacher Schliessungen und OefFnungen blosse Schwankungen des Stromes im Nerven hervorzubringen. Sollen dieselben momentan sein, so gen\u00fcgt hierzu die pl\u00f6tzliche Wegr\u00e4umung oder Herstellung einer Nebenschliessung mittels einer gut leitenden Br\u00fccke (Vorreibeschl\u00fcssel), oder Ausziehen eines St\u00f6psels im Rheo-chord. Soll aber der Schwankungsvorgang auf eine gewisse kleine Zeit vertheilt sein, oder dabei gar einen bestimmten zeitlichen Verlauf haben, so erheben sich grosse Schwierigkeiten, du Bois - Reymond 6 hat ein \u201e Schwankungs-Rheochord\u201c construirt, dessen Schieber durch einen elastischen Zug schiessend l\u00e4ngs des Drahtes fortgeschleudert wird. Bei einer Untersuchung, welche noch nicht ver\u00f6ffentlicht ist, habe ich zu gleichem\n1\tDer Ruhecontact der HELMHOLTz\u2019schen Wippe, welche Band I. S. 32 abgebildet ist, ist hierzu sehr brauchbar.\n2\tPfl\u00fcger, a. a. O. S. 110.\n3\tVgl. Gad, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1S7T. S. 41.\n4\tVgl. z. B. Hermann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 375; eine vollkommenere Vorrichtung dieser Art s. bei Kronecker, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1871. S. 700, Taf. I. Fig. 1.\n5\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XIII. S. 369. 1876.\n6\tdu Bois-Reymond, Abhandl. d. Berliner Acad. 1862. S. 131, Taf. II. Fig. 8, Sa. (Ges. Abhandl. I. S. 198.)\nHandbuch der Physiologie. Bd. II.\n3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nZweck ein Zinksulphatrheochord angewendet, um eine rasche und m\u00f6glichst ausgiebige Ver\u00e4nderung von rvr hervorzubringen; zwei durch ein gl\u00e4sernes Gewicht ausgespannte F\u00e4den wurden in einen langen Cylinder mit Zinksulpliatl\u00f6sung mittels eines Apparates mit gen\u00fcgender Geschwindigkeit abwechselnd ein- und ausgetaucht, so dass die feuchten F\u00e4den die Dr\u00e4hte, und die L\u00f6sung den Rheochordschieber vertraten.1 Zur Herstellung eines gradlinigt anwachsenden Stromes hat Bernstein2 einen Apparat construirt, der darauf beruhte, dass ein kreisf\u00f6rmig gebogener Draht durch Pendelbewegung dergestalt in Quecksilber getaucht wurde, dass die Eintauchstelle nach bekanntem Princip l\u00e4ngs des Drahtes mit gleichf\u00f6rmiger Geschwindigkeit vorr\u00fcckte; indess gelang es nicht, diesen Apparat zu Versuchen geeignet zu machen. Ein anderes Princip hat neuerdings E. Fleische3 zu demselben Zweck angewandt. Wird n\u00e4mlich einem homogenen kreisf\u00f6rmig gekr\u00fcmmten geschlossenen Leiter an zwei diametral gegen\u00fcberliegenden Puncten ein Strom zugeleitet, und bewegt sich ein leitender Durchmesser dieses Kreises zeigerf\u00f6rmig mit gleichm\u00e4ssiger Geschwindigkeit, so empf\u00e4ngt derselbe einen Stromzweig, welcher, sobald der Widerstand des Kreises gegen die \u00fcbrigen verschwindet, mit gleichm\u00e4ssiger Geschwindigkeit zwischen einem positiven und einem negativen Maximum schwankt; die Maxima treten ein, wenn die rotirende Br\u00fccke in der Verbindungslinie der Einstr\u00f6mungspuncte steht, der Werth Null, so oft er zu dieser Linie senkrecht steht. Das auf dieses Princip gegr\u00fcndete \u201e Ortho-Rheonom \u201c gestattet aus der gradlinigten Zickzackcurve, welche den Verlauf des Stromes darstellt, ein zwischen zwei Null-Durchg\u00e4ngen liegendes St\u00fcck herauszuschneiden und auf den (in die rotirende Br\u00fccke eingeschalteten) Nerven wirken zu lassen.\nZur Zuleitung von Kettenstr\u00f6men zum Nerven m\u00fcssen f\u00fcr exacte Versuche unpolarisirbare Electroden angewendet werden, \u00fcber welche das N\u00f6thige schon Band I. Cap. 8 gesagt ist.\nInductionsstr\u00f6me.\nInductionsstr\u00f6me werden zu Reizversuchen an Nerven entweder von magneto-electrisclien Bewegungsapparaten oder von Inductorien mit in-ducirenden Kettenstr\u00f6men geliefert. Das letztere Verfahren ist f\u00fcr die meisten Zwecke bei Weitem vorzuziehen. Die Anwendung der \u00c8ntladungs-str\u00f6me von Electrisirmaschinen, Leydener Flaschen u. s. w., welche in ihrer Wirkung den Inductionsstr\u00f6men am n\u00e4chsten stehen, kommt so selten vor, dass sie hier \u00fcbergangen werden kann.\nDie zu physiologischen Zwecken gebr\u00e4uchlichen Inductionsapparate bestehen aus einer prim\u00e4ren Spirale mit wenigen Windungen dicken\n1\tEin andres von mir versuchtes Verfahren rasch grosse Rheochordwiderst\u00e4nde ein- und auszuschalten bestand darin, dass ich \u00e4usserst feinen Platindraht in engen Spiraltouren um lange Glasst\u00e4be wickelte und diese zu zweien in Quecksilber eintauchte; doch ist der Contact zwischen Platin und Quecksilber nicht sicher genug. Gesetzm\u00e4ssige Stromesschwankungen erh\u00e4lt man auch durch rasche Bewegung einer Drahtspirale in der N\u00e4he eines Electromagneten, z. B. wenn man erstere amPendel-myographion befestigt.\n2\tBernstein, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862. S. 531.\n3\tFleischl, Sitzungsber. d. Wiener Acad. LXXVI. 3. Abth. Sep.-Abdr. 1877.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Apparate f\u00fcr gradlinige Schwankungen. Inductionsapparate. Graduirung. 35\nDrahtes, deren Hohlraum mit Eisendr\u00e4hten gef\u00fcllt werden kann, und welche mit einem selbstth\u00e4tigen Unterbrecher (WAGNEit\u2019scher Hammer) versehen ist; und einer secund\u00e4ren Spirale mit vielen Windungen gut isolirten d\u00fcnnen Drahtes, welche nach du Bois-Reymond\u2019s h\u00f6chst zweckm\u00e4ssiger Einrichtung1 2 auf einem h\u00f6lzernen Schlittengeleise so verschoben werden kann, dass sie einerseits ganz \u00fcber die prim\u00e4re Rolle geschoben, andererseits bis auf r2 oder 1 Meter von ihr entfernt werden kann; die langen Schlitten sind so eingerichtet, dass sie zusammengeklappt werden k\u00f6nnen, und in diesem Zustand f\u00fcr die meisten Versuche eine hinreichend lange Bahn bieten. Statt der L\u00e4ngsverschiebung hat Bowditch 2 neuerdings Azimutlidrehung der secund\u00e4ren Spirale angewandt ; die Inductions-str\u00f6me verhalten sich dann nach ihm ann\u00e4hernd wie die Cosinus des Winkels zwischen den Axen beider Spiralen. Die L\u00e4ngsverschiebung wird hier nur f\u00fcr den Bereich der Aufschiebung auf die prim\u00e4re Spirale benutzt.\nDas Gesetz, nach welchem sich die Intensit\u00e4t der inducirten Str\u00f6me mit der Entfernung der Spiralen \u00e4ndert, ist so verwickelt, dass es bei weitem besser empirisch als theoretisch f\u00fcr jeden Apparat bestimmt wird. Die Entfernungen werden an einer l\u00e4ngs des Geleises angebrachten Milli-metertheilung abgelesen, deren Nullpunct von dem an der secund\u00e4ren Spirale angebrachten Zeiger gewiesen wird, wenn letztere ganz auf die prim\u00e4re geschoben ist. Die empirische Graduirung dieser Theilung geschieht nach Fick\u2019s Verfahren3 durch die Ablenkungen, welche die durch die Schliessungen eines constanten prim\u00e4ren Stroms bei jeder Stellung der secund\u00e4ren Spirale inducirten Str\u00f6me an einer Spiegelboussole hervorbringen; man kann die so gefundene Intensit\u00e4tenscala, welche f\u00fcr jeden prim\u00e4ren Strom g\u00fcltig ist, in einer Tabelle neben der L\u00e4ngenscala eintragen, oder auch letzterer gegen\u00fcber auf dem andern Schlittengeleise direct anbringen.4 Die gefundenen Ablenkungen sind vom zeitlichen Verlauf des inducirten Stromes unabh\u00e4ngig und nur dem Integralwerth desselben {fi. dt) oder dem Fl\u00e4chenraum seiner zeitlichen Curve entsprechend ; da aber die Erregungswirkungen des Stromes, wie unten gezeigt wird, vom zeitlichen Verlauf abh\u00e4ngig sind, h\u00e4lt es Fleischl5 f\u00fcr richtiger, mittels der Reizwirkungen zu graduiren, d. h. die Intensit\u00e4t desjenigen prim\u00e4ren Stroms f\u00fcr jede Spiralendistanz aufzusuchen, dessen Schliessung einen zu minimaler Reizung eines Nerven hinreichenden Strom inducirt; die Resultate sind bei uniformer Schliessung die gleichen wie beim Fick-schen Verfahren.\nDie Einlegung der Eisenkerne verst\u00e4rkt die Inductionsstr\u00f6me sehr bedeutend, verz\u00f6gert aber gleichzeitig etwas ihren Verlauf, so dass sie\n1\tZuerst beschrieben 1S49 (Unters, \u00fcber thier. Electr. n. 1. S. 393).\n2\tBowditch, Proceed, amer. acad. of arts and scienc. 1875. p. 281.\n3\tFick, bei A. B. Meyer, Beitr\u00e4ge zur Lehre von der electrischen Nerven-reizung S. S. Z\u00fcrich 1867 ; Untersuchungen aus dem physiol. Labor, d. Z\u00fcrcher Hochschule S. 38. Wien 1869.\n4\tDa bei geringen Distanzen die Str\u00f6me so stark sind, dass man, um im Bereich der Boussolscala zu bleiben, die Astasie vermindern mus\u00a7, hat Kronecker (Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1871. S. 699) das Verfahren so modificirt, dass er einen zweiten Induc-tionsapparat zu H\u00fclfe nahm, dessen Str\u00f6me denen des ersten entgegenwirkten.\n5\tFleischl, Sitzungsber. d. Wiener Acad. LXXII. 3. Abth. Sep.-Abdr. 1875.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nnamentlich dann zu vermeiden ist, wenn man m\u00f6glichst momentane Reize braucht.\nDie Schliessungs- und Oeffnungsinductionsstr\u00f6me haben nicht allein entgegengesetzte Richtung, sondern auch, wegen der Einmischung der Extrastr\u00f6me, einen ungleichen zeitlichen Verlauf. Beide Umst\u00e4nde machen f\u00fcr gewisse Versuchszwecke besondere Massregeln n\u00f6tliig.\nWill man nur Schliessungs- oder nur Oeffnungsinductionsschl\u00e4ge auf den Nerven wirken lassen, so kann man, wenn man nur mit einzelnen Schl\u00e4gen arbeitet, den einen Strom durch eine gutleitende Nebenschliessung vom Nerven abhalten. Pfl\u00fcger 1 hat die Herstellung dieser Nebenschliessung zur Abblendung des Oeffnungsschlages dem Inductionsapparat selbst \u00fcberlassen, indem er den kleinen Electromagneten des Wagner-schen Hammers dazu benutzte; an der Feder, die ihn tr\u00e4gt, und die unmittelbar nach der Schliessung herabgezogen wird, befestigte er einen Drahtb\u00fcgel, der durch Eintauchen in Quecksilber die gew\u00fcnschte Nebenschliessung herstellte. Arbeitet man mit einer raschen Folge von Reizen, so kann zur Abhaltung der einen Stromgattung der in den Lehrb\u00fcchern der Physik beschriebene DovE\u2019sche \u201eDisjunctor\u201c oder \u00e4hnliche rotirende Apparate dienen. Bei der Anwendung des selbstth\u00e4tigen WAGNER\u2019schen Unterbrechers liesse sich vielleicht f\u00fcr langsames Spiel eine nach dem PFL\u00dcGER\u2019schen Princip arbeitende Vorrichtung herstellen.1 2\nDer ungleiche Verlauf des Schliessungs- und Oeffnungsinductions-stroms ist f\u00fcr tetanisirende Reizungen deshalb h\u00e4ufig st\u00f6rend, weil er bewirkt, dass die beiden abwechselnden Stromrichtungen den Nerven mit ungleicher St\u00e4rke erregen, w\u00e4hrend man h\u00e4ufig die Absicht hat, jeden Einfluss der Stromrichtung grade durch die Wechselstr\u00f6me zu eliminiren. Bei der Schliessung des inducirenden Stromes wird die Entwicklung desselben durch den ihm entgegengesetzten Extrastrom verz\u00f6gert und dadurch der in der secund\u00e4ren Spirale inducirte Strom geschw\u00e4cht und daf\u00fcr in die L\u00e4nge gezogen; bei der OefFnung kann kein Extrastrom zu Stande kommen, so dass jene Schw\u00e4chung wegf\u00e4llt. Der Oeffnungsin-ductionsstrom hat also eine st\u00e4rkere erregende Wirkung als der Schliessungsstrom, und der Unterschied ist um so gr\u00f6sser, je st\u00e4rker durch Windungsreichthum der prim\u00e4ren Spirale der Extrastrom sich entwickelt. Um diesem Uebelstand abzuhelfen hat Helmholtz3 den WAGNER\u2019schen Hammer so modificirt, dass die prim\u00e4re Spirale nie ge\u00f6ffnet wird, sondern ihre Schwankungen nur durch Herstellung und Wegr\u00e4umung einer Nebenschliessung hervorgebracht werden (Fig. 5 stellt diese Einrichtung dar). Jetzt kommt bei beiden Schwankungen ein Extrastrom zu Stande, und beide secund\u00e4re Inductionsstr\u00f6me erlangen ann\u00e4hernd gleiche physiologische Wirkung. In Fig. 6 bezeichnet F\\ 1,3 den zeitlichen Verlauf des prim\u00e4ren Stromes bei einfacher Schliessung und OefFnung ; S 2,4 ist dann der zeitliche Verlauf des inducirten Stromes; dagegen ist S 6,8 der Verlauf des letzteren, wenn der prim\u00e4re Strom durch Nebenschliessung\n1\tPfl\u00fcger, a. a. O. S. 129.\n2\tVgl. Valentin, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXXIII. S. 90. 1868.\n3\tDie HELMHOLTz\u2019sche Einrichtung ist zuerst erw\u00e4hnt von Wundt, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 538, 550, und ausf\u00fchrlich er\u00f6rtert von du Bois-Reymond, Monatsber. d. Berliner Acad. 1862. S. 372. (Ges. Abh. I. S. 228.)","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Abblend, einer Stromgattung. Gleichm. d. zeitl. Verlaufs. HELMHOLTz\u2019sche Einr. 37\nhergestellt und beseitigt wird (der prim\u00e4re Verlauf ist dann P2 5,7). V\u00f6llig gleich werden \u00fcbrigens auch so die physiologischen Wirkungen nicht, weil der Extrastrom bei der (an Stelle der Oeffnung tretenden) Herstellung\nFig. 5. (S. 36.) 'Wagner\u2019seller Hammer mit HELMHOLTz\u2019scher Einrichtung. Solange c die Spitze der Sehrauhe d nicht ber\u00fchrt, ist gh magnetisch; hierdurch -wird c herabgezogen und es entsteht die Nebensehliessung abode, so dass weder durch die prim\u00e4re Spirale noch durch den Electromagneten ein merklicher Stromantheil geht : c entfernt sich also wieder von d, u. s. w.\nFig. 6.\t(S. 36.) Schema der Induetionsstr\u00f6me: P\\\nAbscissenaxe dps prim\u00e4ren Stromes, \u00a3 Ahseissenaxe des seeund\u00e4ren Stromes. A Anfangs-, E Endstr\u00f6me. L Curve der Entstehung des prim\u00e4ren Stromes (verz\u00f6gert durch Extracurrent), 3 Oeffnung desselben, 2 und 4 entsprechende secund\u00e4re Str\u00f6me. P2 H\u00f6he des best\u00e4ndigen Stromes hei Anwendung einer Nebenschliessung : 5 und 7 prim\u00e4rer Strom hei Wegr\u00e4umung und Herstellung der Nehensehliessung, 6 und S entsprechende secund\u00e4re Str\u00f6me.\nder Nebenschliessung einen geringeren Widerstand findet als bei der Wegr\u00e4umung, wo er die Kette zu durchlaufen hat; der Endinductionsstrom ist also nunmehr schw\u00e4cher wirksam als der Anfangsinductionsstrom. Sollten beide gleich verlaufen, so m\u00fcsste der Extrastrom in beiden F\u00e4llen gleichen Widerstand finden, d. h. es m\u00fcsste, wenn rvkj ws, rvn bez\u00fcglich die Widerst\u00e4nde der Kettenleitung, der prim\u00e4ren Spirale und der Nebenschliessung darstellen,\nn\u2019s + wk = rvs 4-\nri'kWn\nrvk -b wn\nsein1 ; diese Bedingung ist erf\u00fcllt, wenn wk gegen rvn verschwindet, aber dann ist die Nebenschliessung \u00fcberhaupt wirkungslos, ihre Herstellung oder Wegr\u00e4umung also ohne inducirende Wirkung; aber auch dann ist jene Bedingung erf\u00fcllt, wenn sowohl wk als wn gegen rvs verschwinden, d. h. wenn die prim\u00e4re Spirale einen erheblichen Widerstand enth\u00e4lt.2 Statt der HELMHOLTz\u2019schen Einrichtung kann man auch, wie Bernstein3 zuerst gethan hat, eine permanente Nebenschliessung zur prim\u00e4ren Spirale anbringen, und die Unterbrechungsstelle, resp. den gew\u00f6hnlichen\n1 Der Widerstand zweier nebeneinander leitender Dr\u00e4hte, die die Widerst\u00e4nde a und b haben, ist n\u00e4mlich\n1\tab\n1\t1\ta -J- b\na\tb\n2\tVgl. du Bois-Keymond, a. a. O. S. 395 (247).\n3\tBernstein, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1866. S. 602 ; vgl. auch du Bois-Keymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 518. (Ges. Abh. IL S. 403.)","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nWAGXER\u2019sclien Hammer, in die Kettenleitung verlegen; die Bedingung der Congruenz der Inductionsstr\u00d6me ist dann\nund ist erf\u00fcllt, wenn rvn gegen ?vk verschwindet, was sich leicht ausf\u00fchren l\u00e4sst; jedoch muss dann, um wirksame Inductionen zu erhalten und dem WAGNEn\u2019schen Hammer trotz des grossen Widerstands in seinem Kreise sein Spiel zu erm\u00f6glichen, eine bedeutende eleetromotorische Kraft angewandt werden.1\nUm den Funken zu vermeiden, der die Metalle der Unterbrechungsstelle abnutzt, ihre Form unregelm\u00e4ssig macht und f\u00fcr manche Versuche auch durch sein Ger\u00e4usch st\u00f6rt, dient jede bleibende Nebenschliessung zur prim\u00e4ren Spirale'2; also auch die eben besprochenen Einrichtungen.\nDie deformirende Wirkung des Funkens kann auch dadurch vermieden werden, dass man statt der Platte eine von Alkohol besp\u00fclte Quecksilberoberfl\u00e4che anwendet. Besonders gut bew\u00e4hren sich solche Conta ctvorrichtungen, wenn das Quecksilber in einer Ca-pillarr\u00f6hre eingeschlossen ist\nFig. 7. CapiUarcontact von Kronecker.\nund der Alkohol durch eine Sp\u00fclvorrichtung best\u00e4ndig erneuert wird. Fig. 7 stellt eine solche Vorrichtung (\u201eCapillarcontact\u201c) von Kronecker3 dar ; das eine Ende des R\u00f6hrchens c ist mit einer Mariotte\u2019scIic Flasche mit verd\u00fcnntem Alkohol verbunden, deren Niveau mit dem der Oeflnung a gleich ist ; die Strudel an der Oeflnung a halten die Quecksilberkuppe e rein. Sind solche Apparate so angebracht, dass die Contactspitze einen regelm\u00e4ssigen Fall ausf\u00fchrt, so sind sie zu uniformen Reizungen statt des PFL\u00dcGER\u2019schen Apparats brauchbar.\nZum Tetanisiren mit Inductionsstr\u00f6men k\u00f6nnen behufs rasch folgender Unterbrechungen des prim\u00e4ren Stroms mit der Hand oder mit Maschinen gedrehte Unterbrechungsr\u00e4der, oder der selbstth\u00e4tige WAGNER\u2019sche Hammer benutzt werden, der f\u00fcr langsameres Spiel mit der HALSKE\u2019schen Feder4 versehen sein muss. Gew\u00f6hnliche WAGNER\u2019sche H\u00e4mmer mit einfachem federnden Ankertr\u00e4ger und mit der oben erw\u00e4hnten Helmholtz-schen Modification sind an den Schlittenapparaten selbst meistens angebracht. Die Unterbrechungsr\u00e4der haben den Nachtheil, dass sie f\u00fcr regelm\u00e4ssigen Gang einen Motor beanspruchen, der sogar wegen der\n1\tAm vollkommensten w\u00fcrde, wie du Bois-Reymond bemerkt, die Aufgabe durch rotirende Commutatoren gel\u00f6st, welche nur Schliessungs- oder nur Oeflhungsstr\u00f6me liefern, die Richtung aber jedesmal wechseln.\n2\tVgl. Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen S. 5S3. Braunschweig\n3\tKronecker. Beitr\u00e4ge der Sch\u00fcler Ludwigs etc. S.176. Leipzig 1374 : Verhandl. d. physiol. Ges. zu Berlin 1877\u201478. Nr. 3; vgl. auch Tiegel, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1875. S. 83.\n4\tHalske, Ann. d. Physik etc. XCVH. S. 641. 1856.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Capillarcontact. Rotirende und oscillirende Unterbrecher. Toninductorium. 39\nschleifenden Contactfedern meist sehr kr\u00e4ftig sein muss, aber den vor-\ntheil, dass sie sich mit Umschaltern gattung, Wechsel der Richtung n. schnelle Unterbrechungen scheinen diese Apparate s\u00e4mmtlich unzuverl\u00e4ssig zu sein.\nAuf dem Princip des Wagner-sehen Hammers beruhen noch eine Anzahl Unterbrecher, welche die Frequenz der Unterbrechungen genauer zu bestimmen und zu regu-liren gestatten, indem der schwingende K\u00f6rper von gr\u00f6sserer Masse hergestellt wird und die Mittel gegeben werden, seine durch den lauten Ton bestimmbare Schwingungszahl festzustellen oder selbst willk\u00fcrlich z\u00fc \u00e4ndern. Hierher geh\u00f6ren u. A. der Unterbrecher \u00e0 lame vibrante von Froment2, die electromagnetische Stimmgabel von Helmholtz 3, der acustische Stromunterbrecher von Bernstein.4 5\nDas Princip der Induction durch Bewegung von Magnetpolen, welches fr\u00fcher in den magneto-elec-trischen Rotationsapparaten sehr allgemeine Anwendung fand, wird neuerdings mit grossem Vortheil f\u00fcr sehr schnelle und regelm\u00e4ssige Inductionsstr\u00f6me von genau bestimmbarer Frequenz angewandt, indem man magnetisirte Stahlst\u00e4be oder Stimmgabeln in der N\u00e4he von Spiralen schwingen l\u00e4sst. Zuerst scheint Grossmann 5 auf diese Weise tetanisirt zu haben, dessen Vorrichtung zur Demonstration der Magnetoinduction vielfach benutzt wurde. Vor Kurzem hat Kronecker f\u00fcr die h\u00f6chsten Frequenzen ein \u201e Toninductoriumu (Fig. 8) construct: nach Warburg\u2019s Vorg\u00e4nge\nbehufs Ausschaltung der einen Strom-s. w. combiniren lassen.1 F\u00fcr sehr\n1\tEinen zu solchen Zwecken geeigneten Universalcommntator habe ich im Arch, f. d. ges. Physiol. V. S. 272, Taf. Ya. Fig. 1. 1871 beschrieben.\n2\tFroment, Compt. rend. XXIV. p. 428. 1847.\n3\tHelmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen S. 186. Braunschweig 1863.\n4\tBernstein, Untersuchungen \u00fcber den Erregungsvorgang etc. S.98. Heidelberg\n1871.\n5\tGrossmann, Ber. d. Naturforschervers. in Wien 1856. S. 221.\nToninductorium von Kronecker & Stirling.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nwerden Longitudinalschwingungen eines Eisenstabes d benutzt, dessen eine H\u00e4lfte in einer electromagnetisirenden Spirale s, steckt, w\u00e4hrend die andere durch eine Inductionsrolle sn hindurchgeht und am Ende zwischen den rotirenden, mit Colophoniumpulver bestreuten Lederwalzen f und g longitudinal gestrichen wird.1 Auch das Telephon liefert, angesprochen oder angesungen, eine dem erregenden Tone isarithmetische Reihe von Induc-tionsstr\u00f6men und kann daher zum Tetanisiren benutzt werden.'2 3\nDas Telephon liefert zugleich ein ausgezeichnetes Mittel, um die Leistungen der Inductionsapparate bei grosser Frequenz zu controlliren, indem es in den Inductionskreis eingeschalten einen Ton von entsprechender Schwingungszahl liefert.\nUeber den Schutz vor unipolaren Inductionswirkungen s. unten.\ndu Bois-Reymond 3 hat vergebens versucht, den Nerven dadurch zu erregen, dass er in ihm selbst einen Strom inducirte, indem er ihn um einen sehr starken Electromagnetkern schlang und den magnetisirenden Strom schloss und \u00f6tfnete. Ich selbst hatte \u00e4hnlichen Misserfolg, als ich den Nerven durch die H\u00f6hlung eines nach Art der JouLE\u2019schen Ringe 4 gewickelten Electromagneten zog. Da, wie ich gefunden habe 5, die Induction auf fl\u00fcssige Leiter genau die gleiche electromotorische Kraft in-ducirt wie in festen, so liegt der Grund des Misserfolgs offenbar nur darin, dass der Nerv nur eine einzige Windung zu machen gestattet, die electromotorische Kraft der Induction aber dadurch so schwach ausf\u00e4llt, dass sie mit dem grossen Widerstande des Nerven keine zur Erregung gen\u00fcgende Intensit\u00e4t hersteilen kann. Legt man statt des Nerven einen metallischen Theil des secund\u00e4ren Kreises mit einer Windung um den Inductor, so bleibt die Zuckung ebenfalls aus.\n3. Die Einwirkung des galvanischen Stromes auf den Nerven.\nA) Wirkung des constanten Stromes auf den Erfolg der auf den Nerven\nwirkenden Reize.\nWir betreten hier zuerst das grosse Gebiet der physiologischen Wirkungen der Electricit\u00e4t auf den Nerven, ein Gebiet welches seit der Entdeckung des Galvanismus Gegenstand unaufh\u00f6rlicher experimenteller Bem\u00fchungen zahlreicher Forscher gewesen ist. Die Geschichte dieser Arbeiten bis zum Jahre 1848 hat du Bois-Reymond im ersten Bande seiner Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t mit un\u00fcbertrefflicher Genauigkeit geschrieben, und aus dieser Quelle haben alle Sp\u00e4teren gesch\u00f6pft. Diese Geschichte hier zu wiederholen\n1\tYgl. Warburg, Ann. d. Physik etc. CXXXIX. S. 499. 1870; Kronecker & Stirling, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878. S. 5.\n2\tYgl. du Bois-Reymond, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. S. 573 ; Goltz, Arch, f. d. ges. Physiol. XYI. S. 189 ; Hermann, ebendaselbst S. 264. 1877.\n3\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 496. (Ges.Abh.II. S. 297.)\n4\tYgl. Wiedemann, Die Lehre vom Galvanismus. 2. Aufl. IL 1. S. 306. Braunschweig 1873; Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. YI. S. 335. 1872.\n5\tHermann, Ann. d. Physik CXLII. S. 586. 1871.","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Telephon. Induction auf den Nerven selbst. Electrotonus. Geschichtliches. 41\nw\u00e4re bei der grossen Verbreitung des genannten classischen Werkes \u00fcberfl\u00fcssig.1\nDie Untersuchungen \u00fcber die Wirkung constanter Str\u00f6me auf den Nerven sind von Pfl\u00fcger in seinen Untersuchungen \u00fcber den Electrotonus, welche denselben einen gewissen Abschluss gaben, kritisch zusammengestellt worden.2\nWird der Nerv oder eine Strecke desselben von einem constanten Strom der L\u00e4nge nach durchflossen, so zeigt sich die Wirkung von Reizen, welche auf irgend einen Theil des Nerven applicirt werden, bemessen durch die erregte Muskelzuckung oder Empfindung, im Allgemeinen in ihrer Gr\u00f6sse'ver\u00e4ndert. Der ganze Nerv ist also in einen ver\u00e4nderten Zustand versetzt, welchen man Electrotonus nennt; dieser Ausdruck ist durch du Bois-Reymond in die Physiologie eingef\u00fchrt worden, urspr\u00fcnglich zur Bezeichnung der galvanischen Ver\u00e4nderungen, welche der Strom im Nerven hervorruft (s. Cap. 4). Betrachtet man zun\u00e4chst, unter dem Vorbehalt der Pr\u00fcfung dieses Punctes, die Gr\u00f6sse des Erfolgs im Endorgan bei gegebener Reizgr\u00f6sse als ein Maass der Erregbarkeit des Nerven an der gereizten Stelle, so kann man sagen, dass der constante Strom die Erregbarkeit des Nerven in dessen ganzer L\u00e4nge ver\u00e4ndert.\nRitter3 war der Erste, welcher Beobachtungen dieser Art, wenn auch in noch sehr unreiner Form, machte. Ein starker Strom, welcher, beiden Armen zugeleitet, den K\u00f6rper durchfloss, bewirkte in dem aufsteigend durchflossenen Arm ein Gef\u00fchl erh\u00f6hter, im absteigend durchflossenen ein solches herabgesetzter Beweglichkeit; Aehnliches beobachtete er, wenn der Strom zwei Fingern derselben Hand zugeleitet wurde. Sp\u00e4ter fand er4, dass ein Zustand herabgesetzter Erregbarkeit sich von einem aufsteigend durchflossenen Nerven zum Muskel fortpflanze, dagegen ein Zustand erh\u00f6hter Erregbarkeit von einem absteigenden Strom. Im Jahre 1830 beobachtete Nobili5, dass zuf\u00e4llig in Tetanus verfallene Froschpr\u00e4parate durch Str\u00f6me von bestimmter Richtung beruhigt werden, und er, sowie sp\u00e4ter Matteucci6, suchte hierauf eine Methode zur Heilung des\nt Vgl. du Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcber thier. Electr. I. S. 31, 258, 303. Berlin ISIS.\n2\tVgl. Pfl\u00fcger, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 1. Berlin 1859.\n3\tRitter, Beitr\u00e4ge zur n\u00e4heren Kenntniss des Galvanismus etc. II. 2. S. 57, 60. Jena 1802.\n4\tRitter, Gehlen\u2019s Journ. f. d. Chemie, Physik etc. VI. S. 421. 1808.\n5\tNobili, Ann. d. chim. et phys. XLIV. p. 30. 1830.\n6\tMatteucci, Compt. rend.VL p.680.1838 ; Essai sur les ph\u00e9nom\u00e8nes \u00e9lectriques des animaux p. 28. Paris 1840; Trait\u00e9 des ph\u00e9nom\u00e8nes \u00e9lectro-physiologiques des animaux p. 270. Paris 1844.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nStarrkrampfs zu begr\u00fcnden. Matteucci best\u00e4tigte Nobili\u2019s Beobach-tung, anscheinend haupts\u00e4chlich f\u00fcr aufsteigende Stromrichtung (auch du Bois-Reymond1 sah gelegentlich einen Tetanus durch schwache aufsteigende Durchstr\u00f6mung des Nerven aufh\u00f6ren). Die erste wirklich klare Beobachtung dieses Gebietes machte aber Valentin2 3; er fand, dass erstens eine von einem constanten Strom durchflossene Nervenstrecke die Erregung nicht oder nur schwach hindurchl\u00e4sst, wenn sie sich zwischen Reiz und Muskel befindet, und zweitens, dass ein aufsteigender Strom die Wirksamkeit eines zwischen ihm und dem Muskel angebrachten Reizes herabsetzt.\nIn viel umfassenderer Weise und mit tadelloser Methodik wurde dann der Gegenstand von Eckhard3 weiter verfolgt; er bediente sich unpolarisirbarer Electroden f\u00fcr den constanten Strom, mass die Zuckungsh\u00f6hen auf graphischem Wege, reizte nicht bloss mit Schliessungen und Oeffnungen von Kettenstr\u00f6men, sondern auch mit Induc-tionsschl\u00e4gen, sowie chemisch und mechanisch, und dehnte seine Versuche auf die Strecke oberhalb und unterhalb des constanten Stroms, sowie auf die von letzterem durchflossene Strecke selbst aus. Er fand die dritte wichtige Thatsache des Gebietes, n\u00e4mlich dass die Erregbarkeit unterhalb eines absteigenden constanten Stroms erh\u00f6ht ist. Ja er ahnte sogar, dass auch oberhalb des aufsteigenden Stromes die Erregbarkeit erh\u00f6ht sein m\u00fcsse, und stellte daher bereits den Satz auf (a. a. O. S. 45), dass ganz allgemein die Erregbarkeit jenseits der Cathode erh\u00f6ht, jenseits der Anode vermindert sei. Eckhard verwandte auch zuerst die electrotonische Erregbarkeitsver\u00e4nderung prac-tisch, indem er, im Interesse der Frage der directen Muskelirritabilit\u00e4t, die intramuscul\u00e4ren Nerven durch aufsteigende Durchstr\u00f6mung des Nervenstammes zu l\u00e4hmen suchte (vgl. Band I. S. 83).\nPfl\u00fcger4 endlich, welcher die Methodik weiter vervollkomm-nete, und alle Variablen in vollst\u00e4ndigster Vreise durckexperimentirte, brachte die Kenntniss der Thatsachen zum Abschluss, und ordnete sie, indem er namentlich einen wesentlichen Irrthum aller seiner Vorg\u00e4nger in Bezug auf die suprapolare Strecke berichtigte, in befriedigender Weise unter ein allgemeines Gesetz.\nF\u00fcr die Feststellung der Erscheinungen dieses Gebietes m\u00fcssen\n1\tdu Bois-Reymond, a. a. 0. S. 3S4.\n2\tValentin, Lehrb. d. Physiol, d. Menschen. 2. Aufl. II. 2. S. 655. Braunschweig\n1848.\n3\tEckhard, Ztschr. f. rat. Med. (2) III. S. 198. 1853 (vgl. auch ebendaselbst (2) Vffl. S. 343. 1857): Beitr\u00e4ge zur Anat. u. Physiol. I. S. 23. 1855.\n4\tPfl\u00fcger, Allgern. med. Centralztg. 1856. Nr. 22 u. 57 : Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus. Berlin 1859.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Electrotonus. Geschichtliches. Grundgesetze und Benennungen.\n43\ndie Reize untermaximal sein, um sowohl Erh\u00f6hungen als Verminderungen der Reizerfolge erkennen zu k\u00f6nnen. Ferner ist es nothwendig zur Vergleichung stets genau gleich grosse Reize anzuwenden, also bei electrischer Erregung genau uniformer Stromesschwankungen sich zu bedienen; die Mittel hierzu sind oben S. 33 und 38 angegeben. Am sichersten wird die Vergleichung der Reizerfolge am Muskel, wenn man die Zuckungsh\u00f6hen mittels des PFL\u00fcGERSchen Myogra-phions (s. Band I. S. 29) aufschreibt.\nDas Gesetz der electrotonischen Erregbarkeits\u00e4nderung lautet nach Pfl\u00fcger\u2019s Untersuchungen: Die Erregbarkeit ist erh\u00f6ht in der catelectrotonisirten Strecke, d. h. zu beiden Seiten der negatiyen Electrode, herabgesetzt dagegen in der anelec-trotonisirten Strecke, d. h. zu beiden Seiten der positiven Electrode.1 Die Erregbarkeits\u00e4nderung ist am gr\u00f6ssten an den Elec-troden selbst und f\u00e4llt nach beiden Seiten in einer Curve ab, deren Gestalt nicht genau angebbar ist. Innerhalb der durchflossenen Strecke selbst schneidet die Curve der Erregbarkeits\u00e4nderung die Abscissen-axe ; der Schnittpunct, in welchem die Erregbarkeit unver\u00e4ndert ist, heisst der Indifferenzpunct. Derselbe liegt bei einer gewissen Intensit\u00e4t des polarisirenden Stromes in der Mitte der durchflossenen Strecke, n\u00e4hert sich aber bei schw\u00e4cheren Str\u00f6men der Anode, bei st\u00e4rkeren der Cathode.\nDieses Gesetz ist f\u00fcr jede Art der Reizung, f\u00fcr solche durch Ketten- oder durch Inductionsstr\u00f6me, f\u00fcr mechanische und f\u00fcr chemische, auch wie unten er\u00f6rtert werden wird, f\u00fcr nat\u00fcrliche Reizung g\u00fcltig. Die einzige scheinbare Ausnahme findet statt, wenn bei aufsteigendem polarisirenden Strom oberhalb der durchflossenen Strecke (im suprapolaren Catelectrotonus) gereizt wird. W\u00e4hrend hier bei schwachen polarisirenden Str\u00f6men die gesetzm\u00e4ssige Verst\u00e4rkung der Zuckung (resp. z. B. bei chemischer Reizung des Tetanus) eintritt, geht dieselbe mit wachsender Stromst\u00e4rke durch Null in eine Verminderung \u00fcber. Allein diese Verminderung r\u00fchrt her von Beeintr\u00e4chtigung der Fortpflanzung der Erregung durch den polarisirenden Strom.\nIm Uebrigen nimmt die Erregbarkeits\u00e4nderung, welche schon bei sehr schwachen polarisirenden Str\u00f6men (z. B. solchen von der Ordnung\n1 Folgende Benennungen sind noch zu erw\u00e4hnen, welche theils von Pfl\u00fcger selbst the\u00fcs von sp\u00e4teren herr\u00fchren : Yon den beiden extrapolaren Strecken heisst die dem Centrum zugewandte die centripolare oder suprapolare, die dem Muskel zugewandte die myopolare oder infrapolare. Der Electrotonus der suprapolaren Strecke heisst aufsteigender, der der infrapolaren absteigender Electrotonus. Endlich heisst die extrapolare anelectrotonische Strecke auch ,,hinter dem Strom\u201c, die catelectroto-nische \u201evor dem Strom\u201c, so dass das Gesetz f\u00fcr die extrapolaren Strecken auch lauten kann : der Strom erh\u00f6ht die Erregbarkeit vor sich und vermindert sie hinter sich.","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\ndes Nervenstroms) merklich ist, mit der Stromst\u00e4rke an Intensit\u00e4t zu, und erreicht bald ein Maximum, so dass die Zunahme des Electrotonus nur noch an seiner gr\u00f6sseren Ausbreitung \u00fcber die extrapolaren Strecken erkennbar ist.\nMit der L\u00e4nge der durchflossenen Strecke nehmen die electro-tonischen Wirkungen an Intensit\u00e4t zu, wenn man den gr\u00f6sseren Widerstand durch Vergr\u00f6sserung der electromotorischen Kraft, resp. der Rheochordl\u00e4nge, ausgleicht1; jedoch wird auch in dieser Beziehung schliesslich ein Maximum erreicht.\nDie electrotonischen Ver\u00e4nderungen treten im Catelectrotonus augenblicklich nach der Schliessung ein, um dann rasch noch ein wenig zu wachsen und darauf langsam wieder abzunehmen, in Bezug auf Intensit\u00e4t sowohl als auf Ausbreitung. Der Anelectrotonus entwickelt sich dagegen vergleichsweise langsam und breitet sich ebenso aus, erreicht dann ein Maximum und nimmt allm\u00e4hlich wieder ab. Ueber das Verhalten der Erregbarkeit nach der Oeffnung s. unten sub B).\nDie Pr\u00fcfung der Erregbarkeit zwischen den Electroden hat bedeutend gr\u00f6ssere Schwierigkeiten als die der extrapolaren Strecken. Bringt man n\u00e4mlich ein Electrodenpaar, etwa mit der secund\u00e4ren Spirale eines Inductionsapparats verbunden, zwischen die polarisiren-den Electroden, so verzweigt sich sowohl der polarisirende Strom in den Beizkreis, als der Reizstrom in den Kettenkreis; die Reizelec-troden werden daher gleichzeitig zu polarisirenden und die polarisi-renden gleichzeitig zu erregenden. Allerdings kann man diesem Uebelstande entgehen, indem man sowohl in den polarisirenden als in den Reizkreis so grosse Widerst\u00e4nde einschaltet, dass der Widerstand des zwischen den Reizelectroden liegenden sehr kurzen Nerven-stiicks dagegen verschwindet. Pfl\u00fcger erw\u00e4hnt dies Verfahren nicht; er versuchte vergebens, unipolare Inductionswirkungen oder quere Durchstr\u00f6mung zur Reizung einzelner Puncte der intrapolaren Strecke zu benutzen, und war daher gen\u00f6thigt, sich der chemischen Reizung zu bedienen. Dieselbe reichte aber vollkommen aus, um das oben angef\u00fchrte Gesetz festzustellen. Nach dem eben erw\u00e4hnten Verfahren kann man es auch f\u00fcr electrische Reizung best\u00e4tigen.\nDagegen untersuchte Pfl\u00fcger mit electrischer Reizung die sog. \u201etotale\u201c Erregbarkeit der durchflossenen Strecke, d. h. er machte die polarisirenden Electroden zugleich zu den erregenden eines Inductions-stroms, ein Verfahren, das schon Eckhard angewandt hatte. Hierzu\n1 Andere Mittel zu dieser Ausgleichung kommen im 4. Cap., IV. E, zur Sprache.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Electrotonus. Einfl. d. Stromst\u00e4rke, Streckenl., Zeit. Intrap. Pr\u00fcf. Fehlerquellen. 45\nbraucht nur die secund\u00e4re Spirale in den polarisirenden Kreis aufgenommen zu werden. Es zeigte sich, dass, unabh\u00e4ngig von Richtung des polarisirenden Stroms und L\u00e4nge der durchflossenen Strecke, schwache polarisirende Str\u00f6me die Wirkung des die ganze polarisirte Strecke umfassenden Inductionsstroms erh\u00f6hen, starke sie herabsetzen; dazwischen geht die Ver\u00e4nderung durch Kuli hindurch. Pfl\u00fcger erkl\u00e4rt dies aus der oben angef\u00fchrten Verschiebung des Indifferenz-punctes, welche bewirkt, dass der catelectrotonisirte Theil der intrapolaren Strecke mit zunehmender Stromst\u00e4rke an Umfang abnimmt, der anelectrotonisirte dagegen zunimmt; bei mittleren Str\u00f6men sind beide Theile gleich lang. Nimmt man an, dass die Erregung durch den Inductionsstrom an jedem Puncte der durchflossenen Strecke stattfindet, so muss die algebraische Summe aller Erregbarkeits\u00e4nderungen massgebend sein; diese ist bei schwachen Str\u00f6men positiv, bei starken -negativ. Wir kommen sp\u00e4ter auf diese Erkl\u00e4rung zur\u00fcck.\nDie mannigfachen Abweichungen in den Angaben einzelner sp\u00e4terer Beobachter 1 von denjenigen Pfl\u00fcger\u2019s sind noch nicht hinreichend aufgekl\u00e4rt, stimmen \u00fcbrigens auch untereinander keineswegs \u00fcberein. Icli selbst muss nach sehr zahlreichen eigenen Erfahrungen erkl\u00e4ren, dass, sobald mir oder meinen Sch\u00fclern eine Abweichung vorkam, ihr Grund alsbald jedesmal in Versuchsfeldern erkannt wurde, zu denen diese Versuche besonders viele Gelegenheiten bieten.2 Eine besonders bemerkens-werthe Fehlerquelle liegt darin, dass die ideale Curve der Erregbarkeits\u00e4nderung einen durchaus homogenen Nerven voraussetzt. Sind Umst\u00e4nde vorhanden, welche bewirken, dass in der intrapolaren Strecke die Dichte an einer Stelle pl\u00f6tzlich sich \u00e4ndert (wozu schon ein St\u00fcck eines anliegenden Leiters gen\u00fcgt), so verhalten sich diese Orte wie secund\u00e4re Electrodenstellen. Auch extrapolar k\u00f6nnen, wie die Theorie ergiebt (s. Cap. 4), solche Umst\u00e4nde sich geltend machen und secund\u00e4re Electrodenstellen herstellen. Ganz besonders aber ist dies der Fall, wenn durch Isolationsm\u00e4ngel der polarisirende Strom sich auch in die extrapolaren Strecken verzweigt, so dass letztere ebenfalls und zwar in entgegengesetzter Richtung wie die intrapolare durchflossen sind. Viele sind auch im Irrthum \u00fcber den Ort der wirksamen Electrodenstellen; leitet man z. B. einen absteigenden Strom durch den Nerven und Muskel zusammen, so dass an letzterem die Cathode liegt, so ist die eigentliche Cathodenstelle f\u00fcr den Nerven die Stelle, wo sich der Nerv in die Muskelmasse einsenkt, weil hier die Dichte eine pl\u00f6tzliche Aenderung zeigt. Endlich ist zu urgiren, dass jede Nervenfaser ein Individuum ist, welches\n1\tYgl. z. B. Budge. Arch. f. pathol. Anat. XXVIII. S. 2S2.1863 ; Schiff & Herzen. Molesch. Unters. X. S. 431. 1867 ; Valentin, Ztschr. f. Biologie VIII. S. 210. 1872, X. S. 153. 1874; Molesch. Unters. XI. S. 169. 1875: Bernstein, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 40. 1874 ; Lautenbach, Arch. d. scienc. phys. et natur. 1877. Sep.-Abdr.\n2\tVgl. hier\u00fcber Hermann. Arch. f. d. ges. Physiol. VIL S. 497.1873. VIII. S. 258.\n1874.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nseine Anode und Cathode besitzt; f\u00fcr jeden Durchstr\u00f6mungsfall ist dieser Punct zu erw\u00e4gen.1\nTrotz aller hier gebotenen Vorsicht w\u00e4re es aber doch voreilig alle angedeuteten Angaben von vornherein als unrichtig zu bezeichnen. Die Abweichungen lassen sich in folgende S\u00e4tze ordnen : Manche beobachteten bei schwachen polarisirenden Str\u00f6men sowohl im An- als im Catelectro-tonus erh\u00f6hte, andere bei starken Str\u00f6men in beiden F\u00e4llen herabgesetzte Erregbarkeit, einige sahen auch Einfl\u00fcsse der Reizst\u00e4rke oder der relativen St\u00e4rke des erregenden und des polarisirenden Stromes, und es wird selbst behauptet, dass bei starken Reizen die Wirkungen sich insofern umkehren, als Anelectrotonus den Erfolg verst\u00e4rkt, Catelectrotonus ihn vermindert. Auch an solchen Angaben fehlt es nicht, dass die Wirkung des Electrotonus w\u00e4hrend der Dauer des Stromes ihr Vorzeichen unter gewissen Umst\u00e4nden allm\u00e4hlich umkehrt. Dies letztere beobachteten Bilharz & Nassc2, sobald sie den Nerven in der N\u00e4he der Reizstelle auf irgendwelche Weise misshandelt hatten, z. B. durch mechanische Reizung, Application sch\u00e4dlicher Chemiealien (am besten Ammoniak, welches nicht reizt, vgl. unten sub IV. 3), N\u00e4herung heisser Gegenst\u00e4nde, kurze Einwirkung starker galvanischer Str\u00f6me u. s. w. Das gleiche anomale Verhalten der successiven Umkehr der Wirkungen zeigen Nervenstellen in der N\u00e4he eines k\u00fcnstlichen Querschnitts, und seltsamerweise auch eines solchen der nur anliegenden Faserst\u00fcmpfen angeh\u00f6rt (dass nicht der Stromzweig derselben Schuld ist, wird direct nachgewiesen).3 Diese merkw\u00fcrdigen, vor der Hand ganz unerkl\u00e4rlichen Angaben sind bisher nicht weiter gepr\u00fcft und verfolgt worden.\nH. Munk4 5 hat Pfl\u00fcger\u2019s Angaben bem\u00e4ngelt, weil der Einfluss der eataphorischen Wirkungen des Stromes auf den Widerstand (vgl. Cap. IV.) \u00fcbersehen sei, und findet bei Eliminirung des Widerstandseinflusses ganz andere Resultate. Diese Angaben stehen zu vereinzelt, um sie ausf\u00fchrlich mitzutheilen, zumal da Wundt 5 die Widerstands\u00e4nderungen ohne Einfluss auf die Resultate fand, auch so schwache Str\u00f6me electrotonisirend wirken, denen keine cataphorische Wirkung zuzuschreiben ist, endlich Pfl\u00fcger\u2019s Versuche mit chemischer Reizung von solchen Einw\u00e4nden frei sind.\nDie Gesetze des Electrotonus sind wesentlich durch Reizversuche an motorischen Froschnerven gewonnen. An sensiblen Nerven finden diese Versuche sehr erhebliche Schwierigkeiten. Die einzige vor-\n1\tEs ist also ein Irrthum, dass man \u201eunipolaren\u201c Electrotonus hersteilen k\u00f6nne, indem man nur Eine Electrode am Nerven, die andere an irgend einem entfernten K\u00f6rpertheil anbringt (vgl. Morat & Toussaint, Compt. rend. LNXXIV. p. 503. 1877).\n2\tA. Bilharz & 0. Nasse, Arcb. f. Anat. u. Physiol. 1862. S. 66 ; Bilharz, ebendaselbst S. 84.\n3\tSchon Pfl\u00fcger (Electrotonus S. 223) sab den Electrotonus in der Gegend des Abgangs der Oberschenkel\u00e4ste versagen; doch lag bei ihm in diesem Falle die betr. Stelle zwischen den Electroden.\n4\tH. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1866. S. 369.\n5\tWundt, Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren I. S 257. Erlangen 1871.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Electrotonus. Abweichende Angaben. Pr\u00fcf, an sensibl. Nerven u. am Menschen. 47\nliegende Untersuchung \u00fcber diesen Gegenstand, von Zurhelle1 unter Pfl\u00fcger\u2019s Leitung angestellt, beschr\u00e4nkt sich auf die Pr\u00fcfung zwischen durchflossener Strecke und R\u00fcckenmark ; der Frosch wurde mit sehr kleinen Strychnindosen vergiftet und die Reflexwirkungen verglichen, welche ein am isolirten Ischiadicus centripolar angebrachter Reiz vor und w\u00e4hrend des Schlusses des polarisirenden Stromes hervorbrachte. Auffallenderweise unterdr\u00fcckten nun beide Richtungen des letzteren die Reflexe, woraus folgen w\u00fcrde, dass an sensiblen Nerven sowohl An- als Catelectrotonus die Erregbarkeit herabsetzt. Der Gegenstand bedarf dringend weiterer Aufkl\u00e4rung.\nVon besonderem Interesse erschien die Untersuchung des Electrotonus am lebenden Menschen, einmal weil man hier ganz normaler Nervenzust\u00e4nde am sichersten ist, zweitens wegen der Aussicht, die Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit electrotherapeutisch zu verwenden. Einiger \u00e4lteren Erfahrungen ist schon oben S. 41 Erw\u00e4hnung gethan. Nach den Untersuchungen Pfl\u00fcger\u2019s beobachteten die Electrothera-peuten vielfach Thatsachen, die theils zu denselben gut stimmten, theils ihnen zu widersprechen schienen. Den frappantesten Ausdruck fand diese Sachlage, als gleichzeitig bei directen Versuchen \u00fcber den intrapolaren Electrotonus an den Armnerven Eulenburg2 3 4 das Eck-HARD\u2019sche Gesetz best\u00e4tigt fand, Erb 3 dagegen umgekehrt im An-electrotonus erh\u00f6hte, im Catelectrotonus verminderte Erregbarkeit constatirte. Helmholtz sprach in Bezug auf das letztere Resultat die Vermuthung aus, dass durch die Leitungsverh\u00e4ltnisse im Arm der Strom schon in geringer Entfernung von den Electroden f\u00fcr den Nerven zu geringe Dichte habe, um zu wirken; Stellen aber, wo die Dichte kleiner wird, sind wie entgegengesetzte Electroden zu betrachten (vgl. oben). Der polarisirte Nerv hat also zu beiden Seiten der Anode gleichsam zwei Cathoden und zu beiden Seiten der Cathode zwei Anoden. In der That stellte sich, als Erb mit der Reizung unmittelbar an die Electrode heranr\u00fcckte, das richtige Verhalten ein. Auch sp\u00e4tere Untersucher kamen zu analogen Resultaten; durchaus zu missbilligen ist es aber, wenn man aus den durch die complicirten Str\u00f6mungsverh\u00e4ltnisse getr\u00fcbten Versuchen am Menschen allgemeine Schl\u00fcsse ziehen will, welche den aus den so sehr viel reineren Versuchen an Froschpr\u00e4paraten resultirenden widersprechen, wie dies z. B. Runge 4 gethan hat.\n1\tZurhelle, De nervorum sensitivorum irritabilitate in statu eleetrotoni. Berlin 1S64 ; auch Untersuchungen aus d. physiol. Labor, zu Bonn S. 80. Berlin 1865.\n2\tEulenburg, Deutsch. Arch. f. klin. Med. III. S. 117. 1867.\n3\tErb, ebendaselbst III. S. 238, 513. 1867.\n4\tRunge, ebendaselbst VII. S. 356. 1870.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nIn Bezug auf die zeitliche Entwicklung des Electrotonus hatte schon im Jahre 1854 Helmholtz einen Versuch mitgetheilt, welcher, allerdings nur f\u00fcr den galvanischen Ausdruck der electrotonischen Ver\u00e4nderung, eine sehr schnelle Entwicklung beim Schluss der Kette bewies (dieser Versuch sowie eine Anzahl andrer Versuche \u00fcber die Entwicklung des galvanischen Electrotonus kann erst unten im 4. Cap. bei der Lehre vom letzteren er\u00f6rtert werden). Pfl\u00fcder hatte dann den oben S. 44 erw\u00e4hnten Unterschied im zeitlichen Verlauf der Erregbarkeits\u00e4nderungen an beiden Electroden gefunden. Umfassendere Versuche \u00fcber die Zust\u00e4nde in den ersten Momenten nach der Schliessung unternahm Wundt1, indem er mittels des Pendelmyographions den erregenden Strom eine kurze, messbare Zeit nach dem polarisi-renden schloss und die Zuckungscurve aufschrieb.2 Die Verh\u00e4ltnisse erscheinen in dieser Untersuchung ungemein complicirt, dadurch dass die erregende Wirkung der Schliessung, welche wieder von der St\u00e4rke und Kichtung des Stromes sowie von der Erregbarkeitsstufe des Nerven abh\u00e4ngt, ferner die Art und Eichtling des Eeizstroms in h\u00f6chst verwickelter Weise sich einmischen, so dass es schwierig ist, aus der grossen Zahl von Einzelversuchen Gesetze herauszulesen.\nAn dieser Stelle ist nur folgendes aus Wundt\u2019s Schl\u00fcssen anzuf\u00fchren: Die Erregbarkeits\u00e4nderungen sind nicht momentan bei der Schliessung im ganzen Nerven ausgebildet, sondern breiten sich mit einer gewissen Geschwindigkeit wellenartig aus, indem von der Anode eine \u201eHemmungswelle\u201c, von der Cathode eine \u201eErregungswelle\u201c \u00fcber den Nerven abl\u00e4uft; die anodische Hemmungswelle verl\u00e4uft langsamer und von den Zust\u00e4nden des Nerven mehr beeinflusst als die cathodische Welle ; die Geschwindigkeit der ersteren ist nicht gleichf\u00f6rmig, sondern anscheinend verz\u00f6gert, w\u00e4chst mit der St\u00e4rke des polarisirenden Stromes und der Erregbarkeit des Nerven und betr\u00e4gt f\u00fcr schwache, nicht selbst erregende Str\u00f6me nur 80\u2014500, f\u00fcr starke 1500\u20141700 mm. p. sec., w\u00e4hrend die cathodische Erregungswelle die gew\u00f6hnliche Nervenleitungsgeschwindigkeft zu haben scheint; die Hemmungswelle verliert ausserdem bei der Fortpflanzung an Intensit\u00e4t. Die Erscheinungen sind bei den nicht selbst erregenden schwachen polarisirenden Str\u00f6men am reinsten, bei st\u00e4rkeren mischt sich auch beim aufsteigenden Strom eine von der Anode ausgehende Erregungswelle ein, welche der Hemmungswelle voraneilt, bei der Fortleitung nicht abnimmt und durch ihre Interferenz mit der Hemmungswelle die Erscheinungen complicirt. Die anodische Ver\u00e4nderung nimmt an jeder Stelle langsam an Intensit\u00e4t ab und schwindet dann, die cathodische nimmt anfangs zu und dann ebenfalls ab. Die Erscheinungen in der intrapolaren\n1\tWundt, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 437. 1S70 ; Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren I. Erlangen 1871.\n2\tDer Yersuchsplan ist schon von Pfl\u00fcger \u00e2ngedeutet, Electrotonus S. 265; etwas modificirt sp\u00e4ter von Czermak, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 65.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Zeitliche Entwicklung des Electrotonus. Nachwirkungen desselben.\n49\nStrecke kommen weiter unten zur Sprache, ebenso die Wirkungen der Oeffnung.\nAuch Gr\u00fcnhagen1 hat Versuche \u00fcber die Entstehung der electro-tonisehen Erregbarkeits\u00e4nderungen mitgetheilt. Er tetanisirt einen Muskel vom Nerven aus, schreibt den Tetanus mit einem Myographion auf und schliesst in einem bestimmten Moment einen constanten Strom oberhalb der Reizstelle ; die Tetanuscurve wird dann durch Catelectrotonus pl\u00f6tzlich erh\u00f6ht, durch Anelectrotonus gesenkt, und der Abstand dieser Knickungen vom Reizmoment kann wie ein Latenzstadium gemessen werden. Es zeigte sich, dass die erregbarkeits\u00e4ndernde Wirkung des Catelectrotonus so viel Zeit nach der Schliessung erfordert, wie eine durch ihn bewirkte Zuckung, dagegen die des Anelectrotonus betr\u00e4chtlich sp\u00e4ter eintritt, um so sp\u00e4ter, je schw\u00e4cher der polarisirende Strom. Die Wirkung des Schwindens zeigt sich ebenfalls beim Catelectrotonus sogleich, beim Anelectrotonus erst einige Zeit nach der Oeffnung und tritt hier sp\u00e4ter ein als die Oeff-nungszuckung, falls eine solche vorhanden ist.\nVom Einfluss des Electrotonus auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung ist schon S. 25 die Rede gewesen.\nB) Die Nachwirkungen constanter Str\u00f6me auf den Erfolg der Reizungen.\nSchon die alten Galvaniker wussten, dass jede Durchstr\u00f6mung eines Nerven nach Oeffnung des Stromes eine Ver\u00e4nderung hinterl\u00e4sst, welche langsam schwindet, und welche als \u201eModification\u201c bezeichnet wurde. Die Geschichte der \u00e4lteren Beobachtungen dieses Gebietes s. bei du Bois-Reymond (a. a. O. I. S. 365) und Pfl\u00fcger (a. a. O. S. 72). Da sie meist die Nachwirkung auf das Verhalten der durchflossenen Strecke selbst betreffen, so werden sie erst weiter unten besprochen werden.\nAn dieser Stelle handelt es sich lediglich um den Erregbarkeitszustand der einzelnen Puncte des Nerven nach Oeffnung des polari-sirenden Stromes, gepr\u00fcft durch den Erfolg von Reizungen nach denselben Principien wie w\u00e4hrend des Schlusses. Die merkw\u00fcrdigen Gesetze dieser Modificationen sind von Pfl\u00fcger festgestellt. Nennt man mit Pfl\u00fcger die Modification positiv oder negativ, je nachdem erh\u00f6hte oder verminderte Erregbarkeit zur\u00fcckbleibt, so hinterl\u00e4sst der Anelectrotonus eine positive Modification, welche allm\u00e4hlich schwindet, der Catelectrotonus dagegen eine sehr rasch vor\u00fcbergehende, nur wenige Secunden dauernde negative und dann eine anhaltendere positive Modification (ty-2\u201415 Min.). Die unmittelbare Folge der Oeffnung ist also in beiden F\u00e4llen eine Erregbarkeits\u00e4nderung, welche der w\u00e4hrend der Schliessung vorhandenen entgegengesetzt ist,\n1 Gr\u00fcnhagen, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 547. 1871. Den Plan zu dem Versuche von Gr\u00fcnhagen hatte \u00fcbrigens schon Czermak publicirt, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 70.\nHandbuch der Physiologie. Bd. II.\n4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\ndie dauerndere Folge in beiden F\u00e4llen eine Erregbarkeitserh\u00f6hung. Die Modificationen sind um so anhaltender, je st\u00e4rker der polarisi-rende Strom war, nur die kurze negative Modification nach dem Cat-electrotonus ist um so fl\u00fcchtiger, je st\u00e4rker der Strom.1 Bei lange geschlossenen starken Str\u00f6men k\u00f6nnen in der suprapolaren Strecke Unregelm\u00e4ssigkeiten wegen des Einflusses der unteren Nervenstrecken auftreten. Vom Verhalten der Modification in der intrapolaren Strecke wird weiter unten die Rede sein.\nC) Die erregende Wirkung constanter Str\u00f6me und ihrer Schwankungen.\na. Das allgemeine Gesetz der electrischen Erregung.\nDas allgemeine Gesetz der Nervenerregung durch den electrischen Strom wurde erst im Jahre 1845 von du Bois-Reymond2 exact for-mulirt, obgleich es schon viel fr\u00fcher in das Bewusstsein vieler Elec-trophysiologen \u00fcbergegangen war. Das Gesetz lautet in du Bois-Reymond\u2019s Worten:\n\u201eNicht der absolute Werth der Stromdichtigkeit3 in jedem Augenblicke ist es, auf den der Bewegungsnerv mit Zuckung des zugeh\u00f6rigen Muskels antwortet, sondern die Ver\u00e4nderung dieses Werthes von einem Augenblicke zum andern, und zwar ist die Anregung zur Bewegung, die diesen Ver\u00e4nderungen folgt, um so bedeutender, je schneller sie bei gleicher Gr\u00f6sse vor sich gingen, oder je gr\u00f6sser sie in der Zeiteinheit waren.\u201c\nMathematisch ausgedr\u00fcckt lautet dies Gesetz: die momentane Erregung \u00a3 ist eine (unbekannte) Function des ersten Differentialquotienten\n1\tF\u00fcr starke absteigende Str\u00f6me ist die negative Modification der unteren Nervenstrecke noch besonders unter Pfl\u00fcger\u2019s Leitung von Obernier (Arcb. f. Anat. u. Pbysiol. 1861. S. 269) nachgewiesen worden, indem durch einen Fallapparat etwa (ioo Sec. nach Oeffnung des polarisirenden Stromes der erregende Inductionsschlag ausgel\u00f6st wurde; seine Wirkung war dann stets vermindert: die negative Modification war bei langer durchflossener Strecke gr\u00f6sser als bei kurzer.-\n2\tdu Bois-Reymond, Mittheilung in der physiol. Ges. zu Berlin am S. August 1845 (Fortschr. d. Physik I. S. 504); s. Untersuchungen \u00fcber thier. Electr. I. S. 258. 1848; vgl. daselbst auch die Geschichte der fr\u00fcheren Ansichten.\n3\tDass es die Dichte und nicht die Intensit\u00e4t des Stromes ist, welche bei allen Wirkungen auf den Nerven in Frage kommt, ist leicht begreiflich. W\u00e4hrend die Intensit\u00e4t des Stromes an sich allein massgebend ist f\u00fcr alle Wirkungen desselben in die Ferne, kommt es bei Wirkungen auf die Substanz der durchstr\u00f6mten Leiter selbst darauf an, wie gross die Intensit\u00e4t in der Querschnittseinheit, d. h. die Dichte, ist. Bemerkenswerth ist, dass die Dichte in einem durchstr\u00f6mten Nerven, sobald die \u00fcbrigen Widerst\u00e4nde im Kreise gegen den des Nerven vernachl\u00e4ssigt werden k\u00f6nnen, vom Querschnitt des letzteren unabh\u00e4ngig ist. Es ist n\u00e4mlich, wenn m den Widerstand des Nerven, r seinen specifischen Widerstand/ und q seine L\u00e4nge und seinen Querschnitt, i die Intensit\u00e4t im Kreise und J die Dichte im Nerven bedeutet:\nr. I\nw \u2014 \u2014\nq\n.____e_ j _ i_\nw\u2019\tq \u2019\nalso A \u2014\ne\nr. I\nq\tw\tq\t.\nMan braucht also im Allgemeinen, um (bei gleicher L\u00e4nge) einen dickeren Nerven ebenso stark zu reizen wie einen d\u00fcnneren, am \u00fcbrigen Kreise nichts zu \u00e4ndern.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Allgemeines Gesetz der Erregung durch den Strom. Einschleichen in die Kette. 51\nder Stromdichte /I nach der Zeit, also die Erregung rj w\u00e4hrend einer Zeit Jbis V gleich dem Integral dieser Function \u00fcber diese Zeit genommen, d. h.\n'dj\\ rr\n\u00a3 = F\ns t\nr-T\u2019\n7, = I e. dt = F\ndt )\n.dt.\nDie Function F kann noch etwas genauer dahin bestimmt werden, dass sie 0 wird, wenn ihr Argument verschwindet. Auch k\u00f6nnen noch Einfl\u00fcsse der L\u00e4nge, des Durchstr\u00f6mungswinkels u. s. w. in die Function aufgenommen werden (s. unten).\nDie wesentlichste diesem Gesetz zu Grunde liegende Thatsache, welche weiter unten noch exaeter zu pr\u00fcfen ist, ist die, dass im Allgemeinen constante Str\u00f6me w\u00e4hrend ihrer Dauer nicht erregen, wohl aber ihre Schwankungen, sei es von oder zu Null (Schliessung oder Oeffnung), oder zwischen positiven Werthen, dass ferner diese Schwankungen eine gewisse Pl\u00f6tzlichkeit besitzen m\u00fcssen, um zu erregen, und dass Str\u00f6me, in deren Natur ein sehr steiler zeitlicher Verlauf liegt, also Entladungen von Spannungselectricit\u00e4t und Induc-tionsstr\u00f6me, bei geringer Intensit\u00e4t besonders kr\u00e4ftige Erregungswirkungen besitzen. Bei der Schliessung eines Stromes, der durch den Nerven geht, wird im Allgemeinen eine um so st\u00e4rkere Wirkung erzielt, je pl\u00f6tzlicher sie geschieht; die schw\u00e4chsten Str\u00f6me bewirken nur dann noch Zuckung, wenn der Schluss des Kreises mit schleudernder Bewegung hergestellt wird, wobei, um mechanische Reizung des Nerven auszuschliessen, der Nerv selbst besser nicht bewegt wird ; \u00fcbrigens kann, wenn der Schluss durch Fallenlassen des Nerven selbst hergestellt wird (wie z. B. bei der sog. \u201eZuckung ohne Metalle\u201c, vgl. Band I. Cap. 8), durch sehr naheliegende Controllversuche der Verdacht mechanischer Reizung beseitigt werden. Sehr allm\u00e4hliches Zustandekommen des Stromes hindert umgekehrt selbst bei den st\u00e4rksten Str\u00f6men die Erregung. Ritter hat dies zuerst gezeigt, indem er seine eine Hand mit dem Silber-Pol der vielgliedrigen Kette verband, in die andere einen gabelf\u00f6rmigen Draht nahm, und #sein eines Ende a zun\u00e4chst an den Zinkpol des ersten Elementes anlegte, so dass nur letzteres in den Kreis des K\u00f6rpers aufgenommen war; jetzt wurde das zweite Ende b des Gabeldrahts an den Zinkpol des zweiten Elementes angelegt und a von der Kette abgenommen, so dass auch das zweite Element aufgenommen ist; durch Drehen der Gabel um 180\u00b0 kommt jetzt a an das Zink des dritten Elementes, b wird abgenommen, u. s. f. So kann man in den Kreis der st\u00e4rksten Kette ohne Schliessungserregung \u201ehineinschleichen\u201c, da jedesmal nur die unmerkliche Schliessungswirkung eines einzigen Elementes erfolgt. Entsprechend kann man auch durch \u201e Herausschleichen \u201c aus der Kette die Oeffnungserregung vermeiden. Ritter lehrte auch noch ein an-","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nderes Einschleichverfahren, n\u00e4mlich die Einschaltung eines grossen Fl\u00fcssigkeitswiderstands, der durch Vorschieben der Metalldr\u00e4hte im Rohre allm\u00e4hlich vermindert wird. Marianini wandte ein analoges Verfahren an, indem er in den Kreis eines Froschpr\u00e4parats mit der Kette einen trockenen Halbleiter einschaltete, dessen Widerstand durch allm\u00e4hliche Durchfeuchtung abnahm, so dass bei der Oeffnung Zuckung auftrat, die bei der Schliessung gefehlt hatte. \u2014 Dass an Stelle der Schliessungen und Oeffnungen auch blosse Schwankungen der Dichte im Nerven erregen k\u00f6nnen, kann auf mannigfache Weise gezeigt werden: so durch Herstellung einer gut leitenden Nebenschliessung zum Nerven, welche die Stromintensit\u00e4t im letzteren pl\u00f6tzlich vermindert, ferner durch pl\u00f6tzliche Aufnahme eines gr\u00f6sseren Widerstands in den Kreis (z. B. wird mit Wasser \u00fcbergossenes Quecksilber eingeschaltet und der Schliessungsdraht aus dem Quecksilber herausgehoben, so dass er nur noch durch das Wasser schliesst), Mittel, welche Marianini zuerst angegeben hat. Auch die Zuckungen durch Ersch\u00fctterung eines Kreises, der einen Nerven und ein Plattenpaar enth\u00e4lt, geh\u00f6ren gr\u00f6sstentheils hierher, indem durch die Ersch\u00fctterung die Polarisation vermindert und so der Strom pl\u00f6tzlich verst\u00e4rkt wird ; die Bef\u00f6rderung der Reizwirkungen durch Reiben der Metalle an einander beruht theils auf dem gleichen Umstande, theils auf wirklich discontinuirlichem Schluss und dadurch\u2019 bedingter tetanischer Superposition der Reizwirkungen (vgl. Band I. S. 40).1\nDass die Schliessung (oder Oeffnung) eines Stromes im Allgemeinen um so st\u00e4rker erregend wirkt, je st\u00e4rker der Strom, beweist\nv\n7\"\nnat\u00fcrlich durchaus nichts f\u00fcr einen etwaigen Einfluss der absoluten Intensit\u00e4t, sondern erkl\u00e4rt sich einfach aus dem du Bois\u2019schen Gesetze ; wird durch die gleiche Bewegung, also in einer gleichen Zeit, einmal ein schwacher und einmal ein starker Strom hergestellt, so muss die Schwankungs-\nFis. 9. Schema des Einschleichens in die Kette\t.\t,\t-n n ,\nund des Einflusses der Stromst\u00e4rke auf die CUl\u2019Ve im letzteren 4 alle Steiler Seill Steilheit der Schliessung.\t,\t,\t0\t. -, T. /tv n\\\nals im ersten. So wird z. B. (Fig. 9) wenn man die Schwankung geradlinig annimmt, die Schliessung des Stromes i (von 1 Element) die Steilheit oi und die Schliessung des 6 fachen Stromes durch die gleiche Bewegung die 6 mal so grosse Steilheit oir ergeben. Beim Hineinschleichen nach Ritter\u2019s Art in\n1 Die Literatur zum Vorstehenden s. bei du Bois-Reymond, a. a. 0.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Einschleiclien. Dichtigkeitsschwankungen. Genaueres Ges. d. Erregungsfunction. 53\nden Kreis der 6 Elemente haben wir die treppenf\u00f6rmige Curve oi\" mit 6 Schwankungen von zur Erregung ungen\u00fcgender Steilheit. Es leuchtet ferner ein, dass vergleichbare Stromschwankungen stets uniform sein m\u00fcssen (vgl. die Methoden solche herzustellen oben S. 33).\nEine genauere Feststellung der oben besprochenen Abh\u00e4ngigkeit der Erregung von der Stromschwankung st\u00f6sst auf vor der Hand un\u00fcberwindliche Schwierigkeiten, einerseits weil wir f\u00fcr die Erregung des Nerven noch kein proportionales Maass kennen, \u2014 die Muskel-contraction wenigstens ist mit der Erregung eines Nervenelementes durch soviel Zwischenglieder verkettet, dass sie zun\u00e4chst nicht als einfaches Maass jener betrachtet werden darf, \u2014 andrerseits weil die Gestalt der gew\u00f6hnlichen Stromesschwankungen unbekannt und jedenfalls verwickelt ist. Nur bei einer gradlinigen Stromesschwankung aber ist die Steilheit (der Differentialquotient Sz/jdt) w\u00e4hrend ihrer Dauer constant, und dies w\u00e4re die Vorbedingung f\u00fcr die Ermittelung des Functionsverh\u00e4ltnisses zwischen e und dd\\dt. Gradlinige Stromesschwankungen herzustellen ist zwar leicht, weil es gen\u00fcgt, den Schieber eines Rheochords, dessen Nebenschliessungsl\u00e4ngen den Dichten im Nerven proportional gemacht sind (die Bedingungen s. oben S. 30), mit constanter Geschwindigkeit zu bewegen ; sowie aber die Schwankung steil genug sein soll, um \u00fcberhaupt zu erregen, treten ausserordentliche mechanische Schwierigkeiten auf. Es hat schon M\u00fche gekostet, eine nicht gleichf\u00f6rmige Rheochordschiebergeschwindigkeit von gen\u00fcgender Gr\u00f6sse herzustellen (s, oben S. 33 \u00fcber Schwankungs-rheochorde). Die Versuche, das Problem zu l\u00f6sen, sind oben S. 34 besprochen ; die L\u00f6sung von Fleischl hat den Uebelstand, dass sie nur die Curve\tund nicht die Curve _J~ herzustellen gestattet,\nwelche wahrscheinlich f\u00fcr die Feststellung des Functionsverh\u00e4ltnisses unentbehrlich sein wird.\nAuf einem anderen Wege ist es wahrscheinlich geworden, dass, innerhalb gewisser Grenzen wenigstens, die gesuchte Function in einfacher Proportionalit\u00e4t besteht ; Fick hat n\u00e4mlich gefunden, dass bei stets gleicher Schwankungsform die Zuckungsh\u00f6he der Stromintensit\u00e4t proportional ist (vgl. Band I. S. 108); dies kann aber nur sein, wenn erstens alle Zwischenglieder proportional sind und zweitens der steilste, also wesentlich erregende Theil der gew\u00f6hnlichen Schwankungscurven als gradlinig zu betrachten ist, so dass auch seine Steilheit lediglich von den Ordinatenwerthen abh\u00e4ngt, zwischen denen in gleicher Zeit die Schwankung stattfindet. Bei dieser Sachlage ist es begreiflich, dass es auch nichts zu sagen hat, ob die Kettenstr\u00f6me direct auf den Nerven wirken oder eine Induction sich einschiebt, deren Gesetz dem","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nder Nervenerregung in der hier in Betracht kommenden Hinsicht gleich sein muss.1 Es w\u00fcrde also innerhalb gewisser Grenzen die Erregung im Zeitdifferential der Steilheit der Schwankungscurve proportional sein.\nBd ,\tdd\nHiernach w\u00e4re e =*= \u00ab und rj \u2014 a . -gy . I,\nwenn die Steilheit BdjBt w\u00e4hrend der Zeit t gleichm\u00e4ssig unterhalten wird. Die Muskelcontraction ist aber zur Pr\u00fcfung dieser Folgerung wenig geeignet ; sie bildet viel mehr ein Maass der Differentialerregung e als des Werth es rl=fe.dt. H\u00e4lt man sich principiell unterhalb des Maximums der Verk\u00fcrzung, so k\u00f6nnte die Erhaltung eines gleichm\u00e4ssigen t \u00fcber eine Zeit t den Verk\u00fcrzungsvorgang prolongiren und dadurch die Hubh\u00f6he vergr\u00f6ssern, aber es ist schon wegen der Existenz eines Maximums unwahrscheinlich, dass die Hubh\u00f6he der Zeit t proportional wachsen wird. Ist aber das Maximum erreicht, so ist es weiter unwahrscheinlich, dass die fernere Verl\u00e4ngerung von t den verk\u00fcrzten Zustand, etwa wie im Tetanus, unterh\u00e4lt, denn die Erhaltung des verk\u00fcrzten Zustandes ist eine Leistung von ganz anderer Art als die Herstellung desselben. Es scheint also, dass wir f\u00fcr rt \u00fcberhaupt kein Maass besitzen, sondern nur allenfalls f\u00fcr e, und es k\u00f6nnte sich fragen, ob die Aufstellung des Begriffs der Integralerregung nicht besser ganz unterbliebe.\nDie bisherigen Aufstellungen sahen ganz ab von der Frage, ob der constante Strom, entgegen dem obigen Gesetze, etwa erregende Wirkungen besitzt, eine Frage zu der wir nunmehr \u00fcbergehen.\nb, Die Angaben bez\u00fcglich erregender Wirkungen constanter Durchstr\u00f6mung.\n1) Auf centripetale Nerven.\nDie meisten derartigen Angaben beziehen sich auf die centri-petalen Nerven. Von diesen wussten schon die \u00e4lteren Galvaniker, dass sie unter der Einwirkung constanter Str\u00f6me ausser einer heftigeren Schliessungs- und Oeffnungsempfindung best\u00e4ndige Empfindungen verursachen, welche bei gen\u00fcgender Stromst\u00e4rke sich bis zur Unertr\u00e4glichkeit steigern k\u00f6nnen.'2 Hierher geh\u00f6rt der Schmerz bei Zuleitung zur Haut, besonders wenn diese durch Blasenpflaster excoriirt ist, das Brausen beim Durchleiten durch die Ohren, die Licht- und Farbenempfindungen bei Durchstr\u00f6mung des Auges und des Sehnerven, der electrische Geschmack, und von sp\u00e4teren Beobachtungen die Schwindelerscheinungen bei querer Durchstr\u00f6mung des Kopfes unter Zuleitung zu den Processus mastoidei. Die genaueren thats\u00e4chlichen Angaben geh\u00f6ren in andere Abschnitte dieses Werkes.\n1\tDass die inducirten Kr\u00e4fte eine gradlinige Function der Steilheit der in-ducirenden Intensit\u00e4ts- oder Potential\u00e4nderung sind, ist l\u00e4ngst bekannt.\n2\tDie bez\u00fcglichen Angaben sind zusammengestellt bei du Bois-Reymond, a. a. O. I. S. 283, 338.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Differential- u. Integral-Erregung. Erregung sens. Nerven d. constante Str\u00f6me. 55\nAllein eine genauere Zergliederung dieser Erscheinungen zeigt, dass bei ihnen die Endorgane und beim galvanischen Schwindel die Centralorgane nicht gen\u00fcgend ausgeschlossen sind, um eine Aenderung des du Bois\u2019schen allgemeinen Gesetzes zu rechtfertigen. Die Endorgane aber sind ihrer Natur nach dazu eingerichtet, nicht bloss durch Aenderungen, sondern auch durch best\u00e4ndige Zust\u00e4nde erregt zu werden.\nAm deutlichsten l\u00e4sst sich die Sachlage an der Frage vom electri-schen Geschmack darlegen. Bekanntlich macht ein die Zunge aufsteigend durchfliessender Strom einen sauren, ein absteigender alkalischen Geschmack; diese Empfindungen sind bei der Schliessung und Oeffnung nicht verst\u00e4rkt, sondern nehmen im Gegentheil von Anfang an zu, um langsam wieder abzunehmen. Der Strom eines einzigen Elementes gen\u00fcgt; man braucht z. B. nur ein St\u00fcck Zink an die Zunge zu bringen, welches mit einem in der feuchten Hand gehaltenen Kupfer- oder Silberst\u00fcck ber\u00fchrt wird, um sauren Geschmack zu empfinden. Von jeher ist diese Erscheinung als eipe wesentliche St\u00fctze des oben S. 9 angedeuteten Gesetzes der specifischen Energie betrachtet worden, weil die electrische Erregung der Geschmaeksnerven mit Geschmacksempfindung beantwortet wird.\nAllein der electrische Geschmack w\u00e4re, wenn diese Erkl\u00e4rung richtig w\u00e4re, vielmehr ein Widerspruch als eine St\u00fctze des Gesetzes der specifischen Energie, und so auch alle \u00fcbrigen Empfindungen durch constante Str\u00f6me. Denn dies Gesetz, welches anderweitig vollkommen sicher gest\u00fctzt ist, verlangt, dass die Erregung einer Nervenfaser stets nur quantitativ und nicht qualitativ variiren kann, und dass die gleich beschaffene, und \u00fcberhaupt bei allen Nerven qualitativ gleiche Erregung immer beantwortet wird durch die bei der einzelnen Faser unver\u00e4nderliche, bei verschiedenen Fasern aber verschiedene specifische Energie des Erfolgsorgans. Die angef\u00fchrte Deutung des electrischen Geschmacks w\u00fcrde aber im Gegensatz hierzu verlangen, dass die Reizungsart der gleichen sensiblen Faser Einfluss auf den Erfolg hat. Entweder n\u00e4mlich m\u00fcsste jede Geschmacksfaser bei aufsteigender Durchstr\u00f6mung saure, bei absteigender alkalische Empfindung ausl\u00f6sen, oder ein Theil der Geschmacksfasern m\u00fcsste ausschliesslich oder vorzugsweise durch die eine, ein andrer durch die andere Stromrichtung erregt werden, beides in direetem Widerspruch mit dem Gesetz der specifischen Energie. (Auch w\u00e4re es schwierig, sauren oder alkalischen Geschmack als die resultirenden Empfindungen aller Geschmackserregungen hinzustellen.)\nDer electrische Geschmack kann also, wenn das Gesetz der specifischen Energie, woran kein Zweifel sein kann, richtig ist, nicht durch Erregung der Geschmacksnerven, sondern nur durch solche der Endorgane in der Zunge erkl\u00e4rt werden, und zwar so, dass der aufsteigende Strom zum Auftreten von S\u00e4ure, der absteigende zum Auftreten von Alkali an oder in der Zunge Anlass giebt, welche beide auf gew\u00f6hnliche Weise geschmeckt werden. Diese Erkl\u00e4rung ist auch schon von Valentin, Heydenreich, E. H. Weber1 u. A. gegeben worden, indem sie sich darauf\n1 E. H. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 509. 1846; s. daselbst auch die andern Angaben.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nberiefen, dass der aufsteigende Strom an der an die Zunge gelegten metallischen Anode durch Zersetzung der Salze in der Mundfl\u00fcssigkeit Sauerstoff und S\u00e4ure, der absteigende an der Cathode Wasserstoff und Alkali abscheiden muss, was Heydenreich auch direct nachwies. Mit Recht wandte J. Rosenthal1 hiergegen ein, dass der Geschmack, wie Monro und Volta entdeckten, auch dann auftritt, wenn man den Strom der Zunge nicht durch Metall, sondern durch feuchte Leiter zuf\u00fchrt, und von der Reaction dieser Leiter unabh\u00e4ngig ist. Allein die von du Bois-Reymond entdeckte Polarisation an der Grenze ungleichartiger Electrolyte zeigt2, dass trotzdem eine Abscheidung von Jonen stattfinden kann ; und die von mir nachgewiesene Polarisation an der Grenze zwischen H\u00fclle und Kern der Nervenr\u00f6hren (s. Cap. 4) macht es ungemein wahrscheinlich, dass hier die Quelle des electrischen Geschmacks zu suchen ist.3 Zur directen Entscheidung w\u00e4re es nothwendig, entweder blossgelegten Geschmacksnerven des Menschen die Electroden anzulegen, oder den Geschmacksversuch mit einer Zungenstelle anzustellen, welche durch pathologischen Process oder Operation ihre specifischen Geschmacksnervenendigungen eingebiisst hat. Zu letzterem Versuch habe ich bisher vergebens eine Gelegenheit gesucht.\nSo lange also eine so naheliegende Erkl\u00e4rung der Erscheinung m\u00f6glich ist, die nicht wie die andere dem Gesetze der specifischen Energie widerspricht, kann der electrische Geschmack nicht als Beweis gelten, dass sensible Nerven durch constante Durchstr\u00f6mung erregt werden. Ganz ebenso aber liegt die Sache auch bei den \u00fcbrigen Sinnesnerven; in keinem der beigebrachten Versuche sind die Endorgane ausgeschlossen, und in allen hat die Richtung des Stromes Einfluss auf die Qualit\u00e4t der Empfindung. Es ist also zu vermuthen, dass bei all diesen Versuchen der Strom nur die Endorgane ver\u00e4ndert. Diese Ver\u00e4nderung kann sowohl in Abscheidung von Jonen als in cataphorischen Wirkungen, Ver\u00e4nderungen der Gef\u00e4sse u. s. w. bestehen ; auch beim Geschmack ist die Erkl\u00e4rung durch S\u00e4ure- und Alkaliabscheidung, welche durch die Art des Geschmacks so sehr wahrscheinlich ist, nur unter der weiteren Voraussetzung richtig, dass der Nerveninhalt sich zum umgebenden Gewebe wie eine Salzl\u00f6sung zu Wasser verh\u00e4lt, nach dem Schema\n0Na2\tsoi h2\n1\tJ. Rosenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 217.\n2\tSchon 8 Jahre vor dieser Entdeckung hat du Bois-Reymond auf Grund von Versuchen \u00fcber die auf dem gleichen Umstande beruhenden PELTiER\u2019schen Ladungen auf die entsprechende Deutung des Versuchs von Volta und Monro hingewiesen (Untersuchungen I. S. 379. 1848).\n3\tRosenthal hat zwar den Einwand der Grenzpolarisation ber\u00fccksichtigt, aber ihn nur soweit widerlegt, als es sich um Abscheidung zwischen Zunge und angelegtem feuchten Leiter handelt ; da aber die Zunge im Innern aus heterogenen Geweben zusammengesetzt ist, so bliebe die M\u00f6glichkeit, den electrischen Geschmack ohne Annahme der Erregung durch Nervendurchstr\u00f6mung zu erkl\u00e4ren, auch dann bestehen, wenn nicht seitdem die Polarisation innerhalb des Nerven direct nachgewiesen w\u00e4re. Die Vermuthung ist berechtigt, dass auch bei directer Anlegung der Metalle es nicht die an diesen, sondern die innerhalb der Zunge abgeschiedenen Jonen sind die geschmeckt werden.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Electrischer Geschmack. Tetanus durch constanten Strom.\n57\nVon gr\u00f6sserer Bedeutung sind einige neuerdings von Gr\u00fctzner4 beigebrachte Beobachtungen, n\u00e4mlich der schon von Volta beobachtete Schmerz in der Hand bei starker Durchstr\u00f6mung des Ulnaris am Vorderarm, ferner anhaltende Erregungen reflectorischer Nerven durch constante Str\u00f6me bei Thieren.\n2) Auf centrifugate Nerven.\nAn motorischen Nerven beobachtete du Bois-Reymond2 nur bei \u00fcberm\u00e4ssig starken Str\u00f6men tetanisirende Wirkungen w\u00e4hrend der Durchstr\u00f6mung, und sah dieselben dann meistens den Strom selbst \u00fcberdauern; er hielt deshalb diesen Tetanus f\u00fcr eine durch Electrolyse bedingte Nebenwirkung. Eckhard 3 erkl\u00e4rte jeden durch anscheinend constanten Strom bewirkten Tetanus aus wirklicher In-constanz des letzteren in Folge von Polarisation. Dagegen entdeckte Pfl\u00fcger4 eine gesetzm\u00e4ssige tetanisirende Wirkung constanter Str\u00f6me bei v\u00f6llig constanter Kette und Vermeidung jeder Polarisation in den Electroden. Diese Wirkung tritt bei sehr schwachen Str\u00f6men, von der Ordnung des Muskelstroms, auf, w\u00e4chst mit Verst\u00e4rkung des Stroms bis zu einer gewissen Grenze und nimmt dann wieder ab. Bei einigermassen starken Str\u00f6men fehlt der Tetanus. Er tritt leichter ein bei langer durchflossener Strecke und bei absteigendem Strome. Pfl\u00fcger nimmt also, wie schon du Bois-Reymond f\u00fcr sensible Nerven, allgemein an, dass der Nerv ausser durch Stromesschwankungen auch durch den constanten Strom erregt wird 5, und findet dies auch im Einklang mit dem Princip des Erregungsgesetzes, weil der Strom keinen v\u00f6llig statischen Zustand herstellt, sondern am Nerven fortw\u00e4hrend Arbeit leistet. Durch unten zu er\u00f6rternde Versuche von Pfl\u00fcger und v. Bezold ist es sehr wahrscheinlich, dass die teta-nische Erregung von der Cathode des geschlossenen Stromes best\u00e4ndig ausgeht.6\nFindet wirklich allgemein eine erregende Wirkung des constanten Stromes statt, so muss dieselbe erstens im Vergleich zu derjenigen von Schwankungen als schwach angenommen werden, zweitens muss sie\n1\tGr\u00fctzner, Arch. f. d. ges. Physiol. XVIII. S. 238. 1878 (mit Alexander).\n2\tdu Bois-Keymond, Untersuchungen etc. I. S. 258. 1848.\n3\tEckhard, Beitr\u00e4ge z. Anat. u. Physiol. I. S. 41. 1855.\n4\tPfl\u00fcger, Arch. f. pathol. Anat. XIII. S. 437. 1858; Electrotonus S.446. 1859.\n5\tDas Erregungsgesetz wird von du Bois-Reymond, um diesen Erscheinungen Rechnung zu tragen, auf die Form gebracht:\n6\tUeber erregende Wirkungen des constanten Stromes vgl. man ferner Remak, Compt. rend. XLI. p. 1089. 1855; XLIII. p. 603. 1856 ; Chauveau. Journ. d. 1. physiol. 1860. p. 64,440.","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nyon der Art sein, dass nicht jedes Erfolgsorgan sie zu beantworten vermag. Denn einen Unterschied der Nervengattungen selbst anzunehmen, widerspr\u00e4che den im 1. Capitel entwickelten Grunds\u00e4tzen. Besondere Schwierigkeiten macht grade der anscheinend handgreiflichste Beweis, n\u00e4mlich der Tetanus durch constanten Strom; denn ein constantes z/ w\u00fcrde nach der vorstehenden Formulirung ein constantes \u20ac bedingen, es ist aber unm\u00f6glich, dass letzteres Tetanus macht.1 Nimmt man noch hinzu, dass der Tetanus nur bei gewissen Stromst\u00e4rken auftritt und bei manchen Nerven ganz versagt, so muss man zugeben, dass hier noch manches anfzukl\u00e4ren bleibt und dass das zweite Glied der vorstehenden Gleichung weniger sicher ist als das erste.\nDie M\u00f6glichkeit ist zu erw\u00e4gen, dass constante Einwirkungen auf den Nerven in ihm discontinuirliche Vorg\u00e4nge auslosen, zu welchen, wie die Centralorgane zeigen, die Nervensubstanz gewisse Bedingungen in sich tr\u00e4gt. Bemerkenswerth ist, dass nach Gr\u00fctzner (a. a. 0.) secretorisehe und vasomotorische Nerven auf constante Str\u00f6me nicht reagiren.\nc. Der Einfluss der Stromrichtung.\n1) An motorischen Nerven. (Das Zuckungsgesetz.)\nDie Erfahrungen \u00fcber den Einfluss der Richtung des den Nerven longitudinal durchfliessenden Stromes auf die erregende Wirkung seiner Schwankungen werden, da sie wesentlich an motorischen Nerven gewonnen sind, gew\u00f6hnlich als das \u201e Gesetz der Zuckungen \u201c nach du Bois - Reymond\u2019s Vorg\u00e4nge 2 bezeichnet. Die Geschichte dieses Gesetzes hat du Bois-Reymond (a. a. 0. S. 307) in ersch\u00f6pfender Weise dargestellt, und wir entnehmen daraus, hinsichtlich aller Specialit\u00e4ten und der Literaturangaben auf das Original verweisend, Folgendes :\nSieht man von vereinzelten fr\u00fcheren Beobachtungen ab, so ist Pfaff der Erste, welcher (1793) die Entdeckung machte, 'dass es f\u00fcr das Auftreten einer Schliessungs- oder Oeffnungszuckung nicht gleichg\u00fcltig ist, ob der Strom im Nerven auf- oder absteigt (letztere Bezeichnung der Stromrichtung ist erst von du Bois-Reymond allgemein eingef\u00fchrt worden, a. a. 0. S. 305). Da bei den damals angewandten ineonstanten Ketten die Oeffnungszuckungen betr\u00e4chtlich hinter den Schliessungszuckungen Zur\u00fcckbleiben mussten (erstere waren anfangs ganz \u00fcbersehen worden), so beschr\u00e4nkte sich auch Pfaff\u2019s Entdeckung darauf, dass die Schliessungszuckung bei absteigendem Strome leichter eintritt; doch bemerkte er schon, dass die Oeffnungszuckung durch\n1\tUeber das Verhalten des Scbliessungstetanus hinsichtlich des Verm\u00f6gens secund\u00e4ren Tetanus hervorzubringen s. unten sub c. 4).\n2\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen etc. I. S. 303.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Erregung durch constante Str\u00f6me. Zuckungsgesetz. Geschichtliches. 59\nden aufsteigenden Strom beg\u00fcnstigt wird. Pfaff benutzte diese Erfahrungen, um die Richtung des Stromes in den angewandten Ketten, d. h. die Spannungsreihe der Metalle in der Hydrokette festzustellen. Bald darauf machten Galvani und Michaelis \u00e4hnliche Beobachtungen. Viel umfassender waren die in den Jahren 1798\u20141805 gewonnenen Erfahrungen Ritter\u2019s. Er ordnete den Versuch (wie schon vor ihm Michaelis) meist so an, dass zwei Nerven gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung durchflossen wurden. In seine Versuche mischten sich gewisse Erfahrungen \u00fcber ein verschiedenes Verhalten der Beuge-und Streckmuskeln, welchem man mit Unrecht lange Zeit jede Berechtigung abgesprochen hat (vgl. hier\u00fcber Band I. S. 112), insofern st\u00f6rend ein, als Ritter eine Art von polarem Gegensatz der Beuger und Strecker annahm und dadurch auf Abwege gerieth. Das Hauptverdienst Ritter\u2019s ist, zuerst den Einfluss der Erregbarkeitsstufe des Nerven auf -das Zuckungsgesetz beobachtet zu haben. Er nahm sechs solche Stufen an, welche der Nerv nach dem Ausschneiden durchl\u00e4uft, und beobachtete, wenn man von dem urgirten Gegensatz der Beuger und Strecker absieht, zum ersten Male, dass der mittlere Zustand des Nerven in allen vier Erregungsf\u00e4llen Zuckungen giebt, und dass das Verhalten, nur zwei dieser F\u00e4lle mit Zuckung zu beantworten, in zwei entgegengesetzten Richtungen ausgebildet sein kann, zwischen denen jenes mittlere Verhalten den zeitlichen Uebergang bildet. Wiederum eine ganze Reihe von Angaben Anderer \u00fcbergehend, sehen wir den n\u00e4chsten bedeutenden Fortschritt durch Nobili herbeigef\u00fchrt, welcher im Jahre 1829 das erste klare und von dem RiTTER\u2019schen Gegensatz der Beuger und Strecker freie Zuckungsgesetz aufstellte, n\u00e4mlich:\nStufe der Erregbarkeit.\tAbsteigender Strom. Schliessung.\tOeffnung.\t\tAufsteigender Strom. Schliessung.\tOeffnung.\t\nI.\t1 Zuckung.\tZuckung.\tZuckung.\tZuckung.\nII.\tStarke Zuckung.\tSchwache Zuckung.\tRuhe.\tStarke Zuckung.\nm.\tStarke Zuckung.\tRuhe.\tRuhe.\tStarke Zuckung.\nIV.\tZuckung.\tRuhe.\tRuhe.\tRuhe.\nV.\tRuhe.\tRuhe.\tRuhe.\tRuhe.\nWie man sieht, enth\u00e4lt diese Uebersicht im Wesentlichen nur zwei auf einander folgende Hauptzust\u00e4nde des Nerven, n\u00e4mlich I. und III., die \u00fcbrigen enthalten Ueberg\u00e4nge. Das erste Stadium bildet bei Ritter das mittlere, das zweite entspricht dem von Pfaff beobachteten, und dem sp\u00e4teren Stadium Ritter\u2019s. Es blieb also noch zweifelhaft, ob dem ersten, wie Ritter behauptete, ein Stadium h\u00f6chster","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nErregbarkeit voraufgehe, welches die Umkehrung des letzten Hauptstadiums bildet. Man findet in du Bois-Reymond\u2019s Geschichte viele Angaben verzeichnet, welche diesen Punct betreffen ; Einige beobachteten jene fragliche Stufe sogar als die Regel, z. B. Longet & Mat-teucci an den motorischen Spinalwurzeln, du Bois-Reymond 1 selbst schliesst sich auf Grund seiner zahlreichen gelegentlich gemachten Beobachtungen den Angaben Nobili\u2019s an, und l\u00e4sst die erw\u00e4hnte Frage offen.\nVon den nach dem Erscheinen der du Bois\u2019schen Geschichte angestellten Untersuchungen enth\u00e4lt die von Heidenhain 2 den bedeutendsten Fortschritt. Er war der Erste, welcher den Einfluss der Stromst\u00e4rke (die er mit feuchtem Faden abstufte, vgl. oben S. 30) auf den Erfolg der vier F\u00e4lle untersuchte, und erst so konnte ein wahres Zuckungsgesetz sich heraussteilen. Die Erregbarkeitsstufe kann freilich an sich Einfluss haben, sie kann aber auch lediglich dadurch wirken, dass der Absterbezustand einen eben noch starken Reiz zu einem schwach wirkenden macht, oder umgekehrt dadurch, dass der Experimentator, um die abnehmenden Wirkungen zu erzwingen, immer st\u00e4rkere Str\u00f6me nimmt. Jedenfalls also musste, um Klarheit zu erlangen, vor Allem der Einfluss der Stromst\u00e4rke auf die Erfolge festgestellt werden. Heidenhain hat nun von den allerschw\u00e4chsten Str\u00f6men an folgende Reihefolge der Wirkungen beobachtet.\nStromst\u00e4rke.\tAbsteigender Strom. Schliessung'. I\tOeffnung.\t\tAufsteigender Strom. Schliessung. |\tOeffnung.\t\ni.\tRuhe.\tRuhe.\tZuckung.\tRuhe.\nII.\tRuhe.\tZuckung.\tZuckung.\tRuhe.\n\t(seltenerZuekung).\t'(seltener Ruhe).\t\t\nIII.\tZuckung.\tZuckung.\tZuckung.\tR\u00fche.\nIV.\tZuckung.\tZuckung. 1\tZuckung.\tZuckung.\nOffenbar hat Heidenhain die st\u00e4rksten Str\u00f6me nicht angewendet; seine st\u00e4rksten Str\u00f6me wirkten entsprechend dem mittleren Stadium der fr\u00fcheren, seine\u2019 schw\u00e4cheren entsprechend den Anfangsstadien Ritter\u2019s, das letzte Hauptstadium Ritter\u2019s und Nobili\u2019s, zugleich dasjenige Pfaff\u2019s, n\u00e4mlich Schliessungszuckung des absteigenden, Oeffnungszuckung des aufsteigenden Stromes, sah er erst bei Erm\u00fcdung des Nerven eintreten.\nAlle sp\u00e4teren Beobachter, deren eine grosse Zahl auftrat, be-\n1\tdu Bois-Reymond, a. a. O. I. S. 403.\n2\tHeidenhain. Arch. f. physiol. Heilkunde 1857. S. 442.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Entwicklung des Zuckungsgesetzes.\n61\nst\u00e4tigten, dass es eine mittlere Stromst\u00e4rke giebt, bei der alle vier Zuckungen auftreten, und dass bei st\u00e4rkeren Str\u00f6men das PFAFF scbe Gesetz stattfindet. Nur hinsichtlich der schw\u00e4chsten Str\u00f6me differiren die Angaben. Heidenhain beobachtete, wie die Tabelle zeigt, als erste auftretende Zuckung Schliessungszuckung des aufsteigenden und als zweite Oeffnungszuckung des absteigenden Stromes, also die Umkehrung des PFAFF\u2019schen Gesetzes. Doch sah er in manchen F\u00e4llen statt der Oeffnungszuckung die Schliessungszuckung des absteigenden Stromes zuerst auftreten, also bei beiden Richtungen zuerst Schliessungszuckung. Dies letztere geben nun die meisten sp\u00e4teren Beobachter als Regel an, besonders Bernard \\ Schiff 1 2, J. Regnauld 3, y. Bezold & Rosenthal4, Pfl\u00fcger5, w\u00e4hrend Wundt6 und Baier-lacher7 eine \u00e4hnliche Unbest\u00e4ndigkeit wie Heidenhain fanden (auch y. Bezold & Rosenthal sahen in einem gewissen Absterbestadium die schw\u00e4chsten noch erregenden absteigenden Str\u00f6me Oeffnungszuckung bewirken; die Erkl\u00e4rung s. im 3. Capitel). W\u00e4hrend ferner fast Alle als erste Zuckung die Schliessungszuckung des aufsteigenden Stromes beobachteten, sahen J. Regnauld (a. a. 0.) und Wundt in einer sp\u00e4teren Arbeit8 zuerst die des absteigenden.9\nDen Beobachtungen der meisten Untersucher entsprechend ist also die von Pfl\u00fcger gegebene Uebersicht des Zuckungsgesetzes, welche lautet:\nStromst\u00e4rke.\tAufsteigender Strom. Schliessung. 1\tOeffnung.\t\tAbstei^ Schliessung.\tgender Strom. Oeffnung.\nSchwach.\tZuckung.\tRuhe.\tZuckung.\tRuhe.\nMittelstark.\ti Zuckung.\tZuckung.\tZuckung.\tZuckung.\nStark.\tRuhe.\tZuckung.\tZuckung.\tRuhe oder schwache Zuckung.\nUeber den Grund der Abweichungen bez\u00fcglich der schwachen Str\u00f6me gab die PFL\u00fcGER\u2019sche Theorie des Zuckungsgesetzes (s. unten) befriedigenden Aufschluss.\n1\tBernaud, Le\u00e7ons sur la physiologie du syst\u00e8me nerveux I. p. 168. Paris 1858.\n2\tSchiff, Lehrb. d. Muskel- und Nervenphysiologie S. 80. Lahr 1858\u201459.\n3\tJ. Regnauld, Journ. d. 1. physiol. 1858. p. 404.\n4\ty. Bezold & Rosenthal. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 131.\n5\tPfl\u00fcger, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 453. Berlin 1859.\n6\tWundt, Arch. f. physiol. He\u00fckunde 1S5S. S. 354.\n7\tBaierlacher, Ztschr. f. rat. Med. (3) Y. S. 233. 1858.\n8\tWdndt, Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren I. S. 250. Erlangen 1871.\n9\tEine Umkehrung des Zuckungsgesetzes durch K\u00e4lte behauptet Valentin, Arch. f. physiol. Heilkunde 1853. S. 66.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nAn den motorischen Nerven lebender Thiere und des Menschen sind die Versuche \u00fcber das Zuckungsgesetz wegen der schon oben S. 47 erw\u00e4hnten Schwierigkeiten ziemlich unrein. Sie werden auch nicht wesentlich reiner durch die von Chauveau1 empfohlene sog. \u201eunipolare Reizung\u201c, von welcher dasselbe gilt wie von dem oben S. 46 besprochenen unipolaren Electrotonus; jede Nervenfaser, welche eine Anode hat, muss auch eine entsprechende Cathode haben, nur kann die Dichte beider verschieden sein. Wenn nur Ein Pol dem Nerven m\u00f6glichst nahe applicirt wird, so wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit erreicht, dass dieser die gr\u00f6ssere Dichte hat, und in der That sind entsprechende Wirkungen h\u00e4ufig beobachtet, n\u00e4mlich Ueberwiegen der Schliessungszuckung bei Application des negativen, der Oeffnungszuckung bei der des positiven Pols.2 Eine Richtung des Stromes im Nerven l\u00e4sst sich nie mit Sicherheit angeben, wenn derselbe noch central und peripherisch mit dem K\u00f6rper in Continuit\u00e4t oder auch nur in galvanisch leitender Verbindung steht, da der Strom sich dann nothwendig so verzweigt, dass er beide scheinbar extrapolare Strecken ebenfalls und zwar in einer der intrapolaren entgegengesetzten Richtung durchfliesst. Manche Irrth\u00fcmer in Betreff des Zuckungsgesetzes beruhen auf Reizversuchen an undurchschnittenen Nerven.3 4 Daher sind alle Versuche am Menschen, soweit Stromrichtung im Nerven in Frage kommt, mit gr\u00f6sster Vorsicht aufzunehmen; nur dessen ist man sicher, dass Umlegen des Stromes die (unbekannte) Richtung des wirksamen Stromzweigs im Nerven ebenfalls umkehrt-, und kann hierdurch entscheiden, ob eine Wirkung \u00fcberhaupt etwas mit der Richtung zu thun hat.\nDie folgenden Beobachtungen sind, da sie einen Einfluss der Richtung auf den Erfolg ausschliessen, von Werth, obgleich sie an unpr\u00e4parirten Nerven gewonnen sind. Fick 4 beobachtete zuerst, dass am Menschen die Schliessungszuckung, unabh\u00e4ngig von der Stromrichtung, betr\u00e4chtlich \u00fcberwiegt oder allein auftritt. Bernard und Schiff (a. a. 0.) fanden das Gleiche am lebenden Thiere, und schon fr\u00fcher hatte Valentin5 dieselbe Angabe gemacht. Beim Menschen kann *man diese Thatsache dadurch erkl\u00e4ren, dass nur sehr schwache Stromzweige den Nerven treffen, welche allgemein nur Schliessungs-\n1\tChauveau, Compt. rend. LXXXI. p. 779, S24. 1875; LXXXII. p. 73. 1876.\n2\tVgl. Baierlacher, Ztschr. f. rat. Med. (3) V. S. 253. 1S5S.\n3\tAusf\u00fchrlicher verbreiten sich hier\u00fcber u. A. Rousseau, Lesure & Martin-Magron, G-az. m\u00e9d. 1858. No. 15\u201421 ; vgl. auch Bernard, Le\u00e7ons sur la physiol, du syst, nerveux I. p. 170. Paris 1858.\n4\tFick (mit Orelli), Wiener med. Wochenschr. 1856. No. 49.\n5\tValentin, Lehrb. d. Physiologie d. Menschen. 2. Aufl. II. 2. S. 634. Braunschweig 1848.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Zuckungsges. am lebenden Thier u. Menschen. Theor. Ableitung d. Zuckungsges. 63\nZuckungen bewirken (s. oben). (Bei st\u00e4rkeren Str\u00f6men fanden andere Beobachter, z. B. Brenner1 2, das allgemeine Zuckungsgesetz best\u00e4tigt.) F\u00fcr die Versuche an den pr\u00e4parirten Nerven lebender Thiere bleibt kaum etwas Anderes \u00fcbrig, als eine erste Stufe der Erregbarkeit anzunehmen, welche f\u00fcr die Oeffnungserregung ung\u00fcnstig ist. In der That ist es nicht undenkbar, dass die Oeffnungserregung, welche auf dem Schwinden einer Ver\u00e4nderung des Nerven beruht, durch eine gewisse Resistenz des Nerven gegen tiefere Einwirkungen des Stromes beeintr\u00e4chtigt wird. Ueberhaupt ist die Frage, ob ausser der Stromintensit\u00e4t in ihrer Beziehung zum Erregbarkeitsgrade des Nerven noch ein directer Einfluss der Nervenzust\u00e4nde auf die electrische Erregung stattfindet, noch keineswegs erledigt. Nicht einmal alle vorliegenden Erfahrungen am ausgeschnittenen Nerven lassen sich aus der blossen relativen Stromst\u00e4rke (in dem Sinne, dass ein mittlerer Strom durch Zunahme der Erregbarkeit zu einem starken, durch Abnahme zu einem schwachen wird) befriedigend erkl\u00e4ren. \u2014 Ueber das Zuckungsgesetz bei Inductionsstr\u00f6men und unipolaren Inductionswirkungen s. unten sub g.\n2) Zur\u00fcckfiihrung des Zuekungsgesetzes auf die electrotonischen Erscheinungen.\nVor der Er\u00f6rterung weiterer mit dem Zuckungsgesetz zusammenh\u00e4ngender Thatsachen ist es zweckm\u00e4ssig, hier die Deutung anzugeben, welche Pfl\u00fcger 2 dem Zuckungsgesetze gegeben hat. Die fr\u00fcheren Autoren hatten meist den Einfluss der Stromrichtung so verstanden, dass dieselbe der Erregung selbst irgend welche Richtung gebe, z. B. bei absteigendem Strom sie dem Muskel zuf\u00fchre; das Gegens\u00e4tzliche der Oeffnungswirkung suchte man dadurch zu erkl\u00e4ren, dass der Wegfall irgend einer Ver\u00e4nderung in ihren Wirkungen dem Eintritt einer entgegengesetzten Ver\u00e4nderung gleichkomme, eine Ansicht, die in den unten zu besprechenden \u201eAlternativen\u201c eine gewisse St\u00fctze fand. Erst Pfl\u00fcger, \u2014 und unabh\u00e4ngig von ihm auch Chauveau3, der jedoch den Zusammenhang mit dem Electrotonus nicht erkannte, \u2014 gelang es, alle Erscheinungen des Zuckungsgesetzes in elegantester und befriedigendster Weise durch den Satz zu erkl\u00e4ren, dass der Strom den Nerven \u00fcberhaupt stets nur an der Einen Electrode erregt, und zwar bei der Schliessung an der Cathode, bei der Oeffnung an der Anode.\n1\tBrenner, Untersuchungen und Beobachtungen auf dem Gebiete der Electro-therapie II. Abth. 2\u20144. Leipzig 1869. (Nach Meissner\u2019s Jahresber. 1869. S. 255.)\n2\tPfl\u00fcger, Electrotonus S. 453. 1859 ; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 133; Untersuchungen aus dem physiol. Labor, zu Bonn S. 144. Berlin 1865.\n3\tChauveau, Journ. d. 1. physiol. 1859. p. 490, 553 ; 1860. p. 52, 274, 458, 534.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nHeemann. Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nZun\u00e4chst leitet sich hieraus das Zuckungsgesetz in folgender Weise ab: Bei Str\u00f6men mittlerer Intensit\u00e4t, welche das Leitungsverm\u00f6gen des Nerven nirgends beeintr\u00e4chtigen, muss jede Erregung an irgend einer Stelle des Nerven den Muskel zur Zuckung bringen; alle vier F\u00e4lle geben also Zuckung. Bei.starken Str\u00f6men ist w\u00e4hrend des Geschlossenseins die anelectrotonische Strecke, besonders die Stelle der Anode selbst, leitungsunf\u00e4hig; unmittelbar nach der Oeff-nung dagegen leitet die Cathodengegend nicht (s. oben S. 49). Die Erregung kann also bei der Schliessung die Anode, bei der Oeffnung die Cathode nicht \u00fcberschreiten. Hieraus folgt, dass starke aufsteigende Str\u00f6me keine Schliessungszuckung, starke absteigende keine Oeffnungszuckung geben k\u00f6nnen; erstere geben also nur Oeffhungs-, letztere nur Schliessungszuckung. Bei den schw\u00e4chsten Str\u00f6men ist zwar wie bei mittleren die Bahn im ganzen Nerven frei, aber nur die wirksamsten Erregungsvorg\u00e4nge machen noch Zuckung. Nun ist aber erstens, wie weiter unten er\u00f6rtert werden wird, die Reizung der oberen Nervenstrecke wirksamer als die der unteren, zweitens macht Pfl\u00fcger die Annahme, dass die Schliessungserregung an sich st\u00e4rker ist als die Oeffnungserregung. Der erstere Umstand w\u00fcrde zur Folge haben, dass schwache aufsteigende Str\u00f6me am leichtesten Schliessungszuckung, schwache absteigende am leichtesten Oeffnungszuckung machen, der zweite dagegen bewirkt, dass beide Stromrichtungen am leichtesten Schliessungszuckung geben. Wie man sieht, kommen f\u00fcr den schwachen aufsteigenden Strom beide Einfl\u00fcsse zusammen, so dass die Schliessungszuckung des aufsteigenden Stroms stets die erste Wirkung des Stromes ist. F\u00fcr den absteigenden Strom aber beg\u00fcnstigt der Ort der Reizung die Oeffhungs-, die Natur der Reizung die Schliessungszuckung; letzterer Umstand tr\u00e4gt in der Regel den Sieg davon, zuweilen aber der erstere, wie wir oben gesehen* haben.\nDer Grund nun, warum die Schliessungserregung an der Cathode, die Oeffnungserregung an der Anode stattfindet, leuchtet ein durch die PFL\u00fcGER\u2019sche Formulirung, dass eine Nervenstrecke erregt wird durch das Entstehen des Catelectrotonus und durch das Verschwinden des Anelectrotonus, nicht aber durch die entgegengesetzten Ver\u00e4nderungen. Erregung entsteht also durch die Entwicklung des Zustandes erh\u00f6hter Erregbarkeit und durch das Verschwinden des Zustandes verminderter Erregbarkeit, also beide Male durch pl\u00f6tzliche Steigerung der Erregbarkeit. Wenn auch diese Aufstellung von einer fundamentalen Erkl\u00e4rung noch weit entfernt ist (vgl. hier\u00fcber das 5. Cap.), so ist sie doch insofern befriedigend, als zum mindesten die beiden F\u00e4lle der Erregbarkeitssteigerung un-","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Electroton. Erregimgsges. Zusammenh. mit d. Zuckungsges. Directer Nachweis. 65\ngemein viel mehr zur wirklichen Erregung geeignet sein m\u00fcssen als die beiden anderen (Verschwinden des Catelectrotonus und Entstehen des Anelectrotonus), welche auch erfahrungsgem\u00e4ss nicht erregen. Dass zur Erkl\u00e4rung des Zuckungsgesetzes f\u00fcr schwache Str\u00f6me angenommen werden muss, dass das Entstehen des Catelectrotonus der st\u00e4rkere Reiz sei, ist bereits oben erw\u00e4hnt.\nDas PFL\u00dcGE\u00df\u2019sche Erregimgsgesetz ist zun\u00e4chst nur eine Induction aus dem Zuckungsgesetz, welche zugleich durch die Erscheinungen des Electrotonus sehr plausibel wird. Aber jenes Gesetz wird noch durch zahlreiche andere Thatsachen best\u00e4tigt, welche weiter unten besprochen werden. Hier mag der Versuch v. Bezold\u2019s1 seine Stelle finden, das Gesetz durch Zeitmessungen zu best\u00e4tigen.2 Er leitete durch eine lange Nervenstrecke einen auf- oder absteigenden Strom und verglich die Zeit zwischen Schliessung dieses Stromes und Beginn der Zuckung mit dem Latenzstadium bei Reizung mit einem Inductionsschlag, der an der Stelle der unteren Electrode ein kurzes St\u00fcck des Nerven durchsetzte. Hier zeigte sich, dass die Schliessungszuckung stets sp\u00e4ter eintritt als die In-ductionszuckung, dass aber der Zeitunterschied bei aufsteigendem Kettenstrome betr\u00e4chtlich gr\u00f6sser ausf\u00e4llt als bei absteigendem. War auch bei dem Kettenstrome die durchflossene Strecke kurz, so zeigte sich wiederum die Verz\u00f6gerung gegen die Reizung derselben Strecke durch den Inductionsschlag, und zwar war sie bei schw\u00e4cheren Str\u00f6men betr\u00e4chtlicher als bei st\u00e4rkeren, v. Bezold schliesst hieraus, dass die Schliessungserregung von der Cathode ausgeht, aber nicht im Augenblick des Entstehens des Catelectrotonus, sondern um so sp\u00e4ter nach demselben eintritt, je schw\u00e4cher der Strom ist. Bei der Schliessung aufsteigender Str\u00f6me, wo die Erregung die ganze durchflossene Strecke zu durchlaufen hat, macht sich ein weiterer Einfluss der Stromst\u00e4rke auf das Latenzstadium noch dadurch geltend, dass der Strom in einem von seiner Intensit\u00e4t abh\u00e4ngigen Grade die Leitungsgeschwindigkeit vermindert (s. oben S. 25) und bei starken Str\u00f6men g\u00e4nzlich auf hebt. Ganz analoge Versuche wurden auch mit Oeffnungszuckungen angestellt, und wiederum ergab sich, dass dieselben erstens jedesmal sp\u00e4ter eintreten als der Erfolg von Inductions-reizen, welche gleich weit vom Muskel den Nerven treffen, und dass zweitens diesmal die Verz\u00f6gerung bei aufsteigendem Strome geringer ist als bei absteigendem. Die Oeffnungserregung findet also an der Anode statt, aber nicht im Augenblick der Oeffnung selbst, sondern eine gewisse Zeit nach derselben ; diese Zeit erwies sich ferner von St\u00e4rke und Schlussdauer des Stromes abh\u00e4ngig; mit der St\u00e4rke nimmt sie zuerst zu bis oc, dann wieder ab, bis auf Null; mit der Schlussdauer nimmt sie bei den schw\u00e4chsten Str\u00f6men erst zu, dann wieder ab, dann wieder zu bis oc, bei st\u00e4rkeren zuerst ab, dann wieder zu bis oc.\n1\tv. Bezold, Allgem. med. Centralztg. 1859. Nr. 25 ; Monatsber. d. Berliner Acad. 1860. S. 736 ; Untersuchungen \u00fcber die electrische Erregung der Nerven und Muskeln S. 266. Leipzig 1861.\n2\tPfl\u00fcger hat nach sp\u00e4terer Mitthe\u00fcung diesen Versuch schon vor v. Bezold ausgef\u00fchrt (vgl. Unters, a. d. physiol. Labor, etc. S. 153).\nHandbuch der Physiologie. Bd. H.\t5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\ny. Bezold modificirt also f\u00fcr den Nerven (und auch f\u00fcr den Muskel, vgl. Band I. S. 94 f.) das Erregungsgesetz dahin, dass das Organ durch das Entstehen des Catelectrotonus und das Schwinden des Anelectrotonus nicht direct erregt wird, sondern in einen erregbareren Zustand ger\u00e4th, so dass es nach Ablauf einer gewissen Zeit bef\u00e4higt wird, auf den Strom, der an der Cathode best\u00e4ndig reize, resp. auf die Gleichgewichtsst\u00f6rungen, die nach der Oeffnung noch eine Zeit lang an der Anode Zur\u00fcckbleiben, mit Erregung zu antworten; jene Vorbereitungszeit ist nur bei schwachen Str\u00f6men merklich. Man sieht, dass diese Theorie im Grunde sowohl das du Bois\u2019sche als das PFL\u00dcGER\u2019sche Erregungsgesetz umstossen w\u00fcrde, ohne etwas Befriedigendes an ihre Stelle zu setzen. Um so wichtiger ist es, ihre Grundlagen zu pr\u00fcfen, und hier ist, worauf schon K\u00f6nig1 aufmerksam gemacht hat, bemerkenswerth, dass v. Bezold\u2019s Resultate sich ohne seine Folgerungen erkl\u00e4ren lassen, wenn man annimmt, dass schwache Reize den Nerven langsamer durchlaufen als starke (s. oben S. 24).\nDa die BEzoL\u00fc\u2019schen Versuche nur f\u00fcr starke Str\u00f6me den gesuchten directen Beweis f\u00fcr das PFL\u00dcGER\u2019sche Gesetz liefern, so k\u00f6nnte Jemand die Behauptung aufstellen, das Entstehen des Stromes wirke in der ganzen durchflossenen Strecke erregend, die Erregung k\u00f6nne aber nur an den Stellen gr\u00f6sster Erregbarkeit wirklich zu Stande kommen, n\u00e4mlich bei der Schliessung an der Cathode, bei der Oeflnung an der Anode; die Unerregbarkeit an der Anode bei der Schliessung, an der Cathode bei der Oeffnung hindere hier die Wirkung; das oben S. 48 f. \u00fcber die zeitlichen Verh\u00e4ltnisse des Electrotonus Gesagte w\u00fcrde dieser Anschauung nicht entgegenstehen. Indessen wird das PFL\u00dcGER\u2019sche Gesetz ganz direct bewiesen durch gewisse unten sub d zu er\u00f6rternde Versuche von 0. Nasse, welche freilich von ganz anderem Gesichtspuncte angestellt sind. Einen anderen directen Beweis habe ich in einer noch nicht publicirten Untersuchung auf galvanischem Wege gewonnen (s. unten im 5. Cap.).\nZum Verst\u00e4ndnis einiger F\u00e4lle des Zuckungsgesetzes ist es wichtig, zu beachten, dass im absterbenden Nerven die Erregbarkeit zuerst steigt und dann sinkt, und dass die N\u00e4he eines k\u00fcnstlichen Querschnitts diese Ver\u00e4nderungen beschleunigt (s. Cap. 3); hierdurch wird am abgeschnittenen Nerven zuerst der obere, sp\u00e4ter der untere Theil der erregbarere. So erkl\u00e4rt sich (mit Ber\u00fccksichtigung der Lage der Anode und Cathode) nach v. Bezold & Rosenthal2, dass im Laufe des Absterbens der schwache aufsteigende Strom, welcher zuerst nur Schliessungszuckung giebt, sp\u00e4ter beide Zuckungen und zuletzt nur Oeffnungszuckung liefert, und der schwache absteigende Strom anfangs ebenfalls Schliessungszuckung, dann beide, und endlich wieder nur Schliessungszuckung ; im zweiten Stadium muss ferner ein anfangs wirkungsloser Strom aufsteigend Schliessungs- und absteigend Oeff-\n1\tK\u00f6nig, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LXII. Sep.-Abdr. 1870.\n2\tv. Bezold & Rosenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 131; vgl. auch Filehne, Deutsch. Arch. f. klin. Med. X. S. 401. 1872.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Zuckungsgesetz an absterbenden, an secretorischen, an Hemmungsnerven. 67\nnungszuekung geben k\u00f6nnen. Hierdurch wird klar, worauf die Ueber-einstimmung der RiTTER-NoBiLfschen Erregbarkeitsstufen mit den Hei-DENHAiN-PFL\u00fcGEit\u2019schen Intensit\u00e4tsstufen hinsichtlich des Zuckungsgesetzes beruht.\n3) Dem Zuckungsgesetz analoge Erscheinungen an anderen centrifugalen Nerven.\nAn secretorischen Nerven existiren bisher noch keine Versuche mit Einzelreizungen, welche geeignet w\u00e4ren \u00fcber das Statthaben eines \u201e Zuckungsgesetzes \u201c (sit venia verbo !) zu belehren. Wenn auch manches daf\u00fcr spricht, dass schon ein einzelner Reizstoss secretorische Wirkungen aus\u00fcbt, so sind doch solche am ausfliessenden Secret nicht scharf genug merklich. Wohl aber w\u00e4ren Versuche \u00fcber das Zuckungsgesetz gut ausf\u00fchrbar mit Benutzung der Secretionsstr\u00f6me1 2, die schon auf einzelne Reizst\u00f6sse sehr^ deutlich sind.\nAn den- Hemmungsfasern des Vagus hat Donders 2 das Stattfinden des Zuckungsgesetzes constatirt, indem er die Herzschl\u00e4ge aufschrieb*, ein einzelner, Inductionsstoss bewirkt nach einer kurzen Latenzzeit eine deutliche Verl\u00e4ngerung der folgenden, besonders der zwei n\u00e4chsten Pulsationen. Dasselbe sieht man nun auch bei Schliessungen und Oeffnungen constanter Str\u00f6me, und zwar treten mit zunehmender Stromst\u00e4rke die Wirkungen in folgender Reihenfolge auf: SJ, aSJ, 0\\, die Wirkungen von SJ und 0\\ erreichen bald ein Maximum, nehmen dann ab und fehlen bei starken Str\u00f6men ganz ; also genau dem Zuckungsgesetz entsprechend. Der frische Nerv giebt schw\u00e4chere Wirkungen als einige Zeit nach der Durchschneidung.\n4) Der Einfluss der Stromrichtung auf die Erregung sensibler Nerven durch Stromesschwankungen.\nAuch in Betreff der sensiblen Nerven ist die \u00e4ltere, den Einfluss der Stromrichtung auf den Erfolg betreffende Literatur aus du Bois-Reymond\u2019s Werk (I. S. 338) zu entnehmen. Dieselbe betrifft meist Versuche \u00fcber die Empfindungen bei constanter Durchstr\u00f6mung, welche also nicht hierher geh\u00f6ren (s. oben S. 54). St\u00e4rkere und besondere Empfindungen bei der Schliessung und Oeffnung des Stromes werden aber in diesen Arbeiten vielfach erw\u00e4hnt.\nWir lassen nun zun\u00e4chst alle Angaben \u00fcber verschiedene Qualit\u00e4ten der Empfindung ganz uner\u00f6rtert, weil diese Resultate noth wendig von Erregung der Endorgane und nicht der St\u00e4mme herr\u00fchren, wie oben auseinandergesetzt worden ist; diese Angaben geh\u00f6ren daher\n1\tDie Literatur s. in Band I. Cap. 8 am Schluss.\n2\tDondeks, Arch. f. d. ges. Physiol. Y. S. 1.1871.","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nin die specielle Physiologie der Sinnesorgane. Hier handelt es sich nur um die Intensit\u00e4t der Empfindung ; und selbst in dieser Hinsicht k\u00f6nnen die Endorgane eine erhebliche Rolle spielen.\nAm klarsten sind die Angaben \u00fcber die Gef\u00fchlsnerven. Zwar die Behauptungen von Michaelis und Volta, dass bei Zuleitung des Stromes zu zwei Hautstellen Prickeln und Schmerz an der Cathode stets st\u00e4rker sind (w\u00e4hrend Ritter mehr qualitative Unterschiede behauptet), beziehen sich anscheinend mehr auf den station\u00e4ren Zustand, geh\u00f6ren also nicht hierher. Aber Marianini stellte Versuche an, in welchen gemischte Froschnerven auf- oder absteigend durchflossen wurden, und sah in den reineren Versuchen den absteigenden Strom bei der Schliessung Zuckung, bei der Oeffnung Schmerz, den aufsteigenden umgekehrt bei der Schliessung Schmerz, bei der Oeffnung Zuckung bewirken. Ein ganz \u00e4hnliches Resultat erhielt Mat-teucci, wenigstens f\u00fcr st\u00e4rkere Str\u00f6me, oder in sp\u00e4terer Erregbarkeitsperiode. Diese Angaben, welche, wie sich sogleich zeigen wird, mit der Theorie in gutem Einkl\u00e4nge stehen, sind mit Unrecht als den Angaben von Michaelis und Volta widersprechend betrachtet worden, die sich offenbar auf etwas ganz Anderes beziehen.\nErst das Pfl\u00fcger\u2019sehe Erregungsgesetz gestattete einen vollst\u00e4ndigeren Ueberblick \u00fcber diese Thatsachen, und Pfl\u00fcger 1 hat dieselben, von seinem Gesetz ausgehend, kritisch gesichtet und weiter verfolgt. Er untersuchte die Erregung der sensiblen Nerven am Frosche mittels der ausgel\u00f6sten Reflexe und vergiftete zu diesem Behufe das Thier mit sehr kleinen Dosen Strychnin; die Str\u00f6me wurden dem isolirten Ischiadicus zugeleitet und zur Vermeidung eines k\u00fcnstlichen Querschnitts der unenth\u00e4utete Unterschenkel (isolirt) am Nerven belassen. Ferner m\u00fcssen zur Vermeidung eleetrotonischer Wirkungen und dadurch bedingter secund\u00e4rer (sog. paradoxer) Erregungen im R\u00fcckenmark (s. das 4. Cap., IV. E) die Electroden m\u00f6glichst weit vom R\u00fcckenmark entfernt sein. Es zeigte sich nun die Angabe von Marianini und Matteucci f\u00fcr die starken Str\u00f6me vollkommen best\u00e4tigt; nur die Schliessung des aufsteigenden und die Oeffnung des absteigenden Stromes erregten Reflexe, weil im ersten Falle die catelectrotonische, im zweiten die anelectrotonische Strecke direct mit dem R\u00fcckenmark eommunicirte ; der am Nerven belassene Unterschenkel zuckte dagegen nur bei den beiden entgegengesetzten Acten, dem Zuckungsgesetz entsprechend (dass nicht die Reflex-\n1 Pfl\u00fcger. Allg. med. Centralztg. 1859. Nr. 69; Disquisitiones de sensu elec-trico. Bonn 1860; Untersuchungen aus dem physiol. Lahor, etc. S. 144. 1865.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Galv. Erregung sensibler Nerven. Nachwirkungen d. Stroms. Oeffnungstetanus. 69\nZuckungen sich auf ihn selbst mit erstreckten, erkl\u00e4rt sich aus der Undurchg\u00e4ngigkeit des Nerven in Folge der Polarisation resp. ihrer Nachwirkung). Bei mittleren Str\u00f6men werden alle vier Acte mit Keflex beantwortet, wie auch Matteucci schon sah, bei schwachen ist die Reaction nicht ganz regelm\u00e4ssig, wahrscheinlich wegen zahlreicher complicirender Nebenumst\u00e4nde ; h\u00e4ufig aber verursachen, entsprechend der st\u00e4rkeren Wirkung des entstehenden Catelectrotonus, bei beiden Richtungen nur die Schliessungen Reflex.\nPfl\u00fcger bem\u00fcht sich, die scheinbar abweichenden Angaben der \u00e4lteren Antoren, namentlich an den h\u00f6heren Sinnesnerven, aus den schon oben S. 62 er\u00f6rterten Fehlerquellen herzuleiten, welche bei allen Versuchen an pr\u00e4parirten, aber nicht isolirten, vollends aber an nicht pr\u00e4-parirten Nerven lebender Tliiere oder Menschen, das Urtheil \u00fcber die wahre Richtung des wirksamen Stromzweiges tr\u00fcben. Aber, wie schon bemerkt, handelt es sich bei jenen Angaben \u00fcberhaupt h\u00f6chstwahrscheinlich gar nicht um prim\u00e4re Erregung von Nervenfasern, sondern von Endorganen, und ferner grossentheils nicht um Wirkungen von Stromesschwankungen, sondern um solche constanter Durchstr\u00f6mung. Ein Widerspruch gegen das PFL\u00dcGER\u2019sche Erregungsgesetz ist also auch an den centripetalen Nerven nirgends nachgewiesen.\n5) Erregende Nachwirkungen der Durchstr\u00f6mung, in ihrer Abh\u00e4ngigkeit von der\nStromrichtung.\nAus dem Gebiete der sog. Modifieationen des Nerven durch den Strom sind oben (S. 49) nur diejenigen Erscheinungen ber\u00fccksichtigt worden, welche die Wirkungen fremder Reize betreffen. Die Durchstr\u00f6mung besitzt aber auch selbst erregende Nachwirkungen, ja die Oeffnungszuckung selbst kann als eine solche aufgefasst werden.\nRitter1 entdeckte im Jahre 1798, dass Muskeln, deren Nerv (mit oder ohne Einschluss des Muskels) von einem aufsteigenden Strome lange Zeit hindurch (eine halbe bis mehrere Stunden) durchflossen war, nach dem Oeffnen des Stromes in heftigen Tetanus verfallen, welcher l\u00e4ngere Zeit anh\u00e4lt, aber durch Wiederschliessen des Stromes sofort beseitigt wird. Auch nach spontanem Erl\u00f6schen dieses Tetanus (\u201e Ritter\u2019scher Tetanus\u201c oder \u201eOeffnungstetanus\u201c) bleibt noch eine erh\u00f6hte Erregbarkeit des Pr\u00e4parats in seinem unteren Theil zur\u00fcck. Ein absteigend durchflossener Schenkel zeigt dagegen statt dieser erh\u00f6hten Erregbarkeit, auf welcher nach Ritter der Tetanus beruht, eine herabgesetzte. Kurze Zeit darauf (1801) ver\u00f6ffentlichte Volta Beobachtungen, die von den RiTTER\u2019schen in einem wesent-\n1 Auch hier verweise ich betreffs der \u00e4lteren Arbeiten auf du Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 365; vgl. auch Pfl\u00fcger, Electrotonus S. 72.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. Cap. 2. Die Erregung des Nerven.\nlichen Puncte abwichen, und unter dem Namen der \u201eVolt a\u2019sehen Alternativen\u201c oder \u201eAbwechselungen\u201c bekannt sind. Wird n\u00e4mlich ein Strom, gleichg\u00fcltig von welcher Richtung, anhaltend durch ein Pr\u00e4parat geleitet, so wird die Empfindlichkeit des letzteren f\u00fcr Schliessung und Oeffnung dieses Stromes herabgesetzt oder aufgehoben, dagegen f\u00fcr die des entgegengesetzten Stromes erh\u00f6ht; bleibt dann dieser lange genug geschlossen, so kehrt die Erregbarkeit f\u00fcr den ersten zur\u00fcck und ist f\u00fcr den zweiten geschwunden, u. s. w. Sp\u00e4ter kam auch Ritter, auf Grund von Versuchen mit st\u00e4rkeren Str\u00f6men, von der Anschauung zur\u00fcck, dass der aufsteigende Strom die Erregbarkeit erh\u00f6he, der absteigende sie herabsetze, aber indem er sich insofern Volta n\u00e4herte, als er beiden Stromrichtungen im Wesentlichen gleiche Wirkungen zuschrieb, erg\u00e4nzte er diesen in einem wesentlichen Puncte, indem er auf ein sehr verschiedenes Verhalten der Schliessungs - und Oeffnungszuckung unter dem Einfluss der anhaltenden Durchstr\u00f6mung aufmerksam wurde. Unter Zuh\u00fclfenahme von Erfahrungen \u00fcber electrische Empfindungen am Menschen formulirte er schliesslich folgenden Satz: \u201eDie nat\u00fcrliche Empf\u00e4nglichkeit eines Organs f\u00fcr den Schliessungsschlag wird auf der einen Seite der Batterie durch anhaltende Schliessungen geschw\u00e4cht f\u00fcr diese Seite und erh\u00f6ht f\u00fcr die entgegengesetzte, und: die nat\u00fcrliche Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr den Trennungsschlag wird auf der einen Seite der Batterie durch anhaltende Schliessungen erh\u00f6ht f\u00fcr diese Seite und geschw\u00e4cht f\u00fcr die entgegengesetzte. \u201c\nW\u00e4hrend Marianini (1834) im Wesentlichen Volta best\u00e4tigte, lieferten dagegen die Untersuchungen Rosenthal\u2019s 1 und Wundt\u2019s 1 2 eine vollkommene Best\u00e4tigung des eben erw\u00e4hnten RiTTER\u2019schen Gesetzes. Beide formuliren dasselbe so: Anhaltende Durchstr\u00f6mung erh\u00f6ht die Erregbarkeit f\u00fcr die Oeffnung des gleichen und f\u00fcr die Schliessung des entgegengesetzten Stroms, und vermindert sie f\u00fcr die Schliessung des ersteren und f\u00fcr die Oeffnung des letzteren. Beim aufsteigenden Strome tritt der Oeffnungstetanus, seine Beruhigung durch Schliessung des gleichen, und seine Verst\u00e4rkung durch Schliessung des absteigenden Stromes am sichersten auf. Aber auch der absteigende Strom ergiebt h\u00e4ufig Oeffnungstetanus. Bei sehr gesunkener Erregbarkeit tritt statt desselben nur eine etwas verl\u00e4ngerte Contraction oder blosse Zuckung ein, und es bewirkt dann der entgegengesetzte Strom nur Schliessungs-, der gleiche nur Oeffnungs-\n1\tRosenthal, Monatsber. d. Berliner Acad. 1857. S. 639 ; Ztschr. f. rat. Med. (3) IV. S. 117. 1858.\n2\tWuisrDT, Arch. f. physiol. Heilk. 1858. S. 36 <.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"RiTTER\u2019scher Tetanus und VoLTA\u2019sche Abwechselungen.\n71\nzuckung. Zur Beruhigung des Tetanus gen\u00fcgt es, wenn der Strom von der erforderlichen Richtung schw\u00e4cher ist als der erregende war ; ebenso verst\u00e4rkt den Tetanus die Schliessung auch eines schw\u00e4cheren Gegenstroms. Pfl\u00fcger1 fand von diesem, namentlich von Rosenthal angegebenen Verhalten bei sehr starken Str\u00f6men insofern eine Ausnahme, als der Oeffnungstetanus (der bei starken Str\u00f6men nach Pfl\u00fcger schon nach kurzen Schliessungen in Form clonischer Zuckungen, die der Oeffnungszuckung folgen, auftritt) hier durch Schliessung eines beliebig gerichteten Stromes vermindert und durch Oeffnung eines beliebig gerichteten verst\u00e4rkt wird. Dass am Muskel \u00e4hnliche Erscheinungen Vorkommen, ist Band I. S. 95 bemerkt. Auch am Gesammtorganismus von Thieren oder Menschen fanden Ritter, RosenThal u. A., dass alle Wirkungen des Stromes mit seiner Dauer sich abstumpfen, bei der Oeffnung aber, und bei der Schliessung des entgegengesetzten Stromes, stark hervortreten.\nEin v\u00f6lliges Verst\u00e4ndniss der Ursachen all dieser Erscheinungen, in welchen man bis dahin wesentlich das Spiel von Stimmungen des Nerven durch den Strom hatte sehen m\u00fcssen, wurde erst durch die PFL\u00fcGER\u2019schen Untersuchungen m\u00f6glich. Nach diesen ist die Oeffnungszuckung die Folge einer Erregung des Nerven durch Schwinden des Anelectrotonus ; es lag nahe, den Oeffnungstetanus von der gleichen Ursache herzuleiten, indem der Anelectrotonus durch die anhaltende Einwirkung des Stromes tiefer eingewurzelt ist, so dass sein Schwinden heftigere und anhaltendere Reiz Wirkungen entfaltet, die durch die in der anelectrotonisirten Strecke nach der Oeffnung herrschende erh\u00f6hte Erregbarkeit noch verst\u00e4rkt werden. Durch einen sch\u00f6nen Versuch bewies Pfl\u00fcger2 auf das Sicherste, dass der Oeffnungstetanus in der vorher anelectrotonisirten Strecke seine Ursache hat. Ruft man ihn n\u00e4mlich durch absteigenden Strom hervor und trennt dann durch einen Schnitt im Indifferenzpunct oder unterhalb desselben die vorher anelectrotonisirte Strecke vom Reste des Nerven und vom Muskel pl\u00f6tzlich ab, so h\u00f6rt der Tetanus sofort auf. Beim aufsteigenden Strom l\u00e4sst sich die anelectrotonische Strecke nur durch einen Schnitt in der myopolaren Strecke vom Muskel trennen, aber auch dieser wirkt nicht ganz vollst\u00e4ndig, da sich schwacher Anelectrotonus weit hinab und in den Muskel hinein erstreckt. Die sog. Alternativen erkl\u00e4ren sich ferner sehr leicht, wenn man erw\u00e4gt, dass erstens die Wiederschliessung des Stromes in gleicher Richtung den Anelectro-\n1\tPfl\u00fcger, Electrotonus S. 83, 497; Arcb. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 133.\n2\tPfl\u00fcger. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 133.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\ntonus wieder herstellt , also die Erregungsursache hinwegr\u00e4umt1 ; zweitens die Schliessung des entgegengesetzten Stromes die erregte anelectrotonische Strecke nunmehr in Catelectrotonus versetzt, also ihre Erregbarkeit erh\u00f6hen und den Tetanus verst\u00e4rken muss ; drittens die Oeffnung dieses letzteren Stromes diese Verst\u00e4rkung wieder aufhebt, so dass leicht der Tetanus, dessen Ursache ihrer Natur nach best\u00e4ndig abnimmt und unterdess abgenommen hat, ganz auf h\u00f6rt. Bei starken Str\u00f6men, bei denen in Folge der Verschiebung des In-differenzpuncts (S. 43) der Anelectrotonus fast die ganze intrapolare Strecke umfasst, wird auch die Schliessung eines beliebig gerichteten Stromes fast die ganze intrapolare Strecke wieder in Anelectrotonus versetzen, also den Oeffnungstetanus schw\u00e4chen oder beseitigen, und Oeffnung dieses Stromes wird den Tetanus verst\u00e4rken, da der gr\u00f6sste Theil der intrapolaren Strecke in schwindendem Anelectrotonus und in erh\u00f6hter Erregbarkeit ist. So erkl\u00e4rt sich die von Pfl\u00fcger beobachtete Ausnahme vom Ritter-Rosenthal\u2019scIien Gesetz. Dass bei absteigenden Str\u00f6men der Oeffnungstetanus weniger regelm\u00e4ssig auftritt (Ritter sah ihn hier gar nicht, s. oben), erkl\u00e4rt sich zur Gen\u00fcge aus den Modificationen der Nervenstrecken, die hier zwischen anelectrotonisirter Strecke und Muskel liegen.\nVielfach sieht man den Oeffnungstetanus mit dem oben S. 57 besprochenen Schliessungstetanus parallelisirt, und in der That k\u00f6nnte ja dieser ebenso als eine anhaltende Wirkung des entstehenden Catelectrotonus betrachtet werden, wenn man nicht einwenden k\u00f6nnte, dass er h\u00e4ufig w\u00e4hrend der ganzen Schliessung des Stromes fortdauert. Ein analoger Versuch, wie der eben erw\u00e4hnte PFL\u00fcGER\u2019sche Schnitt, um (bei aufsteigendem Strome) zu entscheiden, ob die Ursache des Schliessungstetanus in der Cathodengegend liegt, l\u00e4sst sich nicht anstellen, weil der Schnitt zugleich den Strom \u00f6ffnen, blosse Unterbindung im Indifferenzpunct aber zwei durchflossene Strecken schaffen, also einen Theil der bisher anelectrotonisirten, mit dem Muskel noch verbundenen Strecke catelectrotonisiren w\u00fcrde.\nImmerhin bieten der Schliessungs- und Oeffnungstetanus manches Analoge in ihrer Erscheinungsweise. Bedeutend gr\u00f6sser noch wird diese Analogie, wenn sich die Behauptung Engelmann\u2019s2 best\u00e4tigt, dass der Oeffnungstetanus bei ganz frischen und normalen Nerven nicht auftritt, also wie der Schliessungstetanus eine besondere Stimmung des\n1\tDass hierbei meist keine Schliessungszuckung eintritt, erkl\u00e4rt sich daraus, dass die Stelle, wo der Catelectrotonus wieder entsteht, durch das vorherige Schwinden desselben herabgesetzte Erregbarkeit hat.\n2\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 403. 1870.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Natur des Oeffnungs- und des Schliessungstetanus.\n73\nNerven voranssetzt (vgl. auch S. 63). Engelmann nimmt an, dass beide Tetani von latenten Erregungen im ganzen Verlauf des Nerven, durch Vertrocknen, Temperatureinfl\u00fcsse u. s. w. herr\u00fchren, welche zu schwach sind, f\u00fcr sich zu tetanisiren, es aber thun, wenn in gewissen Nervenstrecken die Erregbarkeit gesteigert ist, n\u00e4mlich in der Cathodengegend nach der Schliessung, in der Anodengegend nach der Oeff-nung. Sp\u00e4ter hat Gr\u00fcnhagen 1 die gleiche Ansicht ausgesprochen, und zu ihrer St\u00fctze (oder vielmehr nur Verdeutlichung) angef\u00fchrt, dass, wenn er den Nerven ganz schwach tetanisirte, sowohl Schliessung als Oeffhung eines constanten, oberhalb der Reizstrecke zugeleiteten Stromes (vgl. oben S. 49) lebhaften Tetanus des Muskels einleitet, der im ersten Fall von der Cathode, im zweiten von der Anode ausgeht, wie sich aus den Latenzstadien ergiebt.\nDieser Anschauung von der Natur des Schliessungs - und Oeff-nungstetanus, welche vor Allem das f\u00fcr sich hat, dass sie keine Ausnahme von dem allgemeinen du Bois\u2019schen Erregungsgesetze erforderlich macht (s. oben S. 57), steht die namentlich durch v. Be-zold und Wundt vertretene, aber nur von Wenigen angenommene gegen\u00fcber, welche als wesentliche Wirkung des constanten Stromes eine best\u00e4ndige Erregung annimmt (vgl. oben S. 66).\nMorat & Toussaint1 2, sowie Hering & Friedrich3, haben die Natur des Schliessungs- und Oeffnungstetanus in Hinsicht seiner Dis-continuit\u00e4t untersucht. Sie sahen von denselben keinen secund\u00e4ren Tetanus und schliessen daraus, dass die Actionsstr\u00f6me nicht, wie beim Tetanus durch intermittirende Reizung, auf- und abwogen, sondern eine gewisse Constanz zeigen; Hering bemerkt aber sehr richtig, dass dennoch die einzelne Faser discontinuirlich erregt sein kann, aber die Phasen der Fasern nicht so einheitlich Zusammenwirken, wie bei k\u00fcnstlicher discontinuirlicher Reizung.4 In der That ist der Habitus des Schliessungs- und Oeffnungstetanus, seine sehr h\u00e4ufige Aufl\u00f6sung in einzelne St\u00f6sse, dem k\u00fcnstlichen Tetanus durchaus \u00e4hnlich, und grade dieser Umstand macht eine Herleitung aus einem constanten Erregungszust\u00e4nde des Nerven, wie schon S. 58 angedeutet, sehr unwahrscheinlich.\nW\u00e4hrend nach l\u00e4ngerer Durchstr\u00f6mung des Nerven die oben angef\u00fchrten Modificationen der Erregbarkeit auftreten, soll nach sehr kurz-\n1\tGr\u00fcnhagen, Arch. f. d. ges. Physiol. IY. S. 547. 1871.\n2\tMorat & Toussaint, Compt. rend. LXXIII. p. 834. 1876; Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1877. p. 156.\n3\tHering (mit Friedrich), Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXII. S. 413.\n1875.\n4\tYgl. auch Band I. Cap. 8.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nHermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\ndauernden Str\u00f6men nach W\u00fcndt1 ein entgegengesetztes Verhalten stattfinden, welches er, im Gegensatz zu jener \u201eprim\u00e4ren\u201c, als \u201esecund\u00e4re Modification\u201c bezeichnet, weil sie in Wirklichkeit der ersteren nackfolge. Die secund\u00e4re Modification besteht nach Wundt in einer Erh\u00f6hung der Erregbarkeit f\u00fcr die Richtung des modificirenden und Herabsetzung f\u00fcr den entgegengesetzten Strom, w\u00e4hrend die prim\u00e4re entgegengesetzt ist (aber nur soweit Schliessung in Betracht kommt, s. oben). Man beobachtet diese Erscheinung besonders nach Inductionsstr\u00f6men ; jeder folgende gleiche Reiz macht st\u00e4rkere Zuckung und schliesslich wird letztere tetanisch. Wundt bringt diese Erscheinung mit der oben S. 49 erw\u00e4hnten Beobachtung in Zusammenhang, dass nach der OefFnung die electro-tonischen Ver\u00e4nderungen zuerst in ihr Gegentheil Umschlagen, dann aber beide in erh\u00f6hte Erregbarkeit \u00fcbergehen. Nach langer Durchstr\u00f6mung trete das erste, nach kurzer das zweite Stadium deutlicher hervor, elfteres bewirke den RiTTER\u2019schen Tetanus und die Alternativen, letzteres die secund\u00e4re Modification.\nIndess liegt in dieser Deutung der leicht zu best\u00e4tigenden Thatsache, dass die Wirkung eines Inductionsschlags bei rascher Wiederholung zunimmt2, viel Unbefriedigendes und Willk\u00fcrliches. Nur sehr gezwungen und mit den Thatsachen wenig \u00fcbereinstimmend wird hier der polare Gegensatz hineingebracht, der bei der prim\u00e4ren Modification so deutlich ist. Der allgemein erh\u00f6hten Erregbarkeit, die Pfl\u00fcger als zweites Stadium der Modification gefunden hat, entspricht nicht das von Wundt behauptete verschiedene Verhalten gegen beide Stromrichtungen, und dies Verhalten selbst geht aus den Versuchen nicht deutlich genug hervor. Es ist deshalb viel wahrscheinlicher, dass die Erscheinung einfach in die Categorie derjenigen geh\u00f6rt, welche zeigen, dass Erregungen jeder Art im Nerven, und namentlich im Muskel, nicht sogleich vollst\u00e4ndig verschwinden und sich daher mit folgenden, selbst zum Tetanus, summiren k\u00f6nnen.\nd. Der Einfluss der absoluten Stromdichte.\nDas oben S. 50 formulirte Gesetz der galvanischen Erregung w\u00fcrde eine gleiche Wirksamkeit einer gegebenen Stromesschwankung voraussetzen, mag sie sich nun auf einen stromlosen Zustand oder auf einen bereits bestehenden Strom von gleicher oder entgegengesetzter Richtung superponiren. du Bois-Reymond3 selbst hat aber bereits bei Aufstellung jenes Gesetzes die Frage aufgeworfen, ob nicht die absolute H\u00f6he der Dichte, auf welcher die Schwankung stattfindet,\n1\tWundt. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 537.\n2\tGanz mit Unrecht verd\u00e4chtigt H. Munk diese Thatsache, die man sehr h\u00e4ufig zu best\u00e4tigen Gelegenheit hat. als sei sie durch spontane Erregbarkeitserh\u00f6hung beim Absterben des Nerven bedingt; die Zunahme ist hierzu viel zu schnell und auff\u00e4llig und wird nach Wundt auch im Stadium sinkender Erregbarkeit beobachtet; vgl. H. M\u00fcnk, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 431, 1862. S. 145, 654; Wundt, ebendaselbst 1861. S. 781, 1862. S. 498.\n3\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 293. 1848.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Secund\u00e4re Modification. Einfluss der absoluten Dichte auf die Erregung. 75\nvon Einfluss auf deren Erfolg sei.1 Er vermuthete, dass, da die galvanische Erregung auf Eintritt oder Schwinden, resp. Zu- oder Abnahme des Electrotonus beruhe, der Nerv aber aus diesem Zustande jedesmal mit einer gewissen Elasticit\u00e4t in den urspr\u00fcnglichen zur\u00fcckkehre, es auch einer um so st\u00e4rkeren Einwirkung behufs weiterer Ver\u00e4nderung in gleichem Sinne bed\u00fcrfen w\u00fcrde, je gr\u00f6sser die bestehende Ver\u00e4nderung schon ist. Man k\u00f6nnte aus dieser Anschauung, welcher \u00fcbrigens du Bois-Reymond alsbald noch andere, ebenfalls berechtigte an die Seite stellt, folgern, dass ein schon bestehender Strom die Schliessung eines entgegengesetzten oder die Oeffnung eines gleichgerichteten wirksamer, die entgegengesetzten Vorg\u00e4nge aber weniger wirksam macht, also ein an die VoLTA\u2019schen Alternativen nach der Oeffnung eines Stromes erinnerndes Verhalten.\nSieht man von einem nicht einwandfreien Versuche Matteucci\u2019s ab, so ist Eckhard der Erste, welcher in der oben S. 42 erw\u00e4hnten Arbeit \u00fcber diese Frage Untersuchungen anstellte. Er leitete einer Nervenstrecke einen Inductionsstrom zu, einmal w\u00e4hrend sie stromlos, einmal w\u00e4hrend sie schon von einem constanten Strom durchflossen war. Die secund\u00e4re Spirale des Inductionsapparats war in den Stromkreis des Nerven aufgenommen; um aber diesem, ohne am Widerstande etwas zu \u00e4ndern, Stromlosigkeit oder Strom zu er-theilen, schaltete Eckhard sehr sinnreich eine paarige Anzahl von Elementen so ein, dass beide H\u00e4lften der Glieder nach Belieben gegen .oder mit einander wirkten. Diese Versuche ergaben, dass die Wirkung des Inductionsstroms durch schon bestehenden Strom vermindert wird. Der Inductionsstrom hatte die gleiche Richtung wie der constante. Der Versuch l\u00e4sst jedoch, wie Pfl\u00fcger bemerkt, den \u00fcbrigens unerheblichen Einwand zu, dass die Stromlosigkeit in dem Falle der Gegensetzung der Kettenglieder nicht gen\u00fcgend garantirt war.\nPfl\u00fcger selbst gelangte zu \u00e4hnlichen Versuchen im Verlauf seiner Untersuchungen \u00fcber den Electrotonus (s. oben S. 44). Wir haben gesehen, dass die durchflossene Strecke in eine Region erh\u00f6hter und eine solcher verminderter Erregbarkeit zerf\u00e4llt. W\u00fcrde nun jeder Punct der Strecke in gleichem Grade erregt, so w\u00fcrde das Gesammtresultat der Erregung durch den Electrotonus unver\u00e4ndert bleiben, wenn die Summe aller Erregbarkeitssteigerungen gleich der Summe aller Erregbarkeitsverminderungen ist; dies wird am leichtesten eintreten, wenn, wie bei mittelstarken Str\u00f6men, der\n1 Der mathematische Ausdruck des Gesetzes m\u00fcsste dann lauten","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76 Hermann, Allg. Nervenphysiologie, 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nIndifferenzpunct in der Mitte der Strecke liegt; dagegen wird bei \u00fcberwiegendem Catelectrotonus, d. h. bei scbwacben Str\u00f6men, das G-esammtresultat erh\u00f6ht, bei \u00fcberwiegendem Anelectrotonus, d. h. bei starken Str\u00f6men, dasselbe vermindert sein. Diese Versuche, welche man mit Pfl\u00fcger als Pr\u00fcfung der \u201etotalen Erregbarkeit\u201c der durchflossenen Strecke bezeichnen kann, stellte Pfl\u00fcger so an, dass er wie Eckhard die secund\u00e4re Spirale des Inductionsapparats in den Kreis der intrapolaren Strecke aufnahm. Um aber den constanten Strom, und zwar in variabler Intensit\u00e4t, einzuf\u00fchren, diente das Rheo-chord, dessen Nebenschliessstrecke den Kreis best\u00e4ndig geschlossen hielt, w\u00e4hrend die Kette jenseits des Rheochords geschlossen und ge\u00f6ffnet werden konnte. Der Umstand, dass der Inductionsstrom bei geschlossener Kette einen etwas geringeren Gesammtwiderstand findet als bei offener, ist bei dem grossen Widerstand des Nerven und der Spirale von keinem Einfluss, wurde \u00fcbrigens zur Sicherheit noch durch besondere Massregeln eliminirt.1 Es zeigte sich nun das angegebene Resultat: Schwache polarisirende Str\u00f6me, gleichg\u00fcltig von welcher Richtung, verst\u00e4rkten die Wirkung des Inductionsstroms, starke verminderten sie, mittlere Hessen sie unver\u00e4ndert.\nWie man sieht, best\u00e4tigten diese Versuche (mit denen Eckhardts Resultat insofern \u00fcbereinstimmt, als Eckhard nur starke Str\u00f6me verwandt hat) die \u00fcbrigen Ergebnisse hinsichtlich der ErregbarkeitsVer\u00e4nderungen in der durchflossenen Strecke, zun\u00e4chst unter der von Pfl\u00fcger gemachten Voraussetzung, dass der Inductionsschlag jeden Querschnitt der durchflossenen Strecke direct und in gleichem Grade erregt (\u00fcber diesen Punct s. unten sub g). Aber die eigentliche Frage, um welche es sich in diesem Paragraphen handelt, war damit umgangen. Wenn der Einfluss der absoluten Dichte untersucht werden soll, so muss, nach Aufstellung des Pfl\u00fcger\u2019sehen Erregungsgesetzes, das von du Bois-Reymond aufgeworfene Problem eine neue Formu-lirung erhalten, n\u00e4mlich folgende: Welchen Einfluss hat auf die erregende Wirkung des zunehmenden Catelectrotonus oder des abnehmenden Anelectrotonus die absolute H\u00f6he eines bereits bestehenden Electrotonus ? Diese Fragestellung ist im Wesentlichen schon von du Bois-Reymond'2 selbst und von 0. Nasse3 ausgesprochen worden. Beide suchten die Frage durch Versuche zu l\u00f6sen, in welchen eine Schwankung eines Kettenstroms auf einen bereits bestehenden Strom\n1\tYgl. Pfl\u00fcger, Electrotonus S. 394.\n2\tdu Bois-Reymond, Abhandl. d. Berliner Acad. 1863. S. 137. (Ges. Abh. II. S. 204.)\n3\t0. Nasse, Arcb. f. d. ges. Physiol. III. S. 476. 1870.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Superposition von Reizstr\u00f6men. Einfluss der Streckenl\u00e4nge.\n77\nsuperponirt wurde, du Bois-Reymond benutzte dazu das oben S. 33 erw\u00e4hnte Schwankungsrheochord, das aber wegen mechanischer M\u00e4ngel sich unbrauchbar erwies, Nasse schloss oder \u00f6ffnete durch einen Fallapparat einen von einem gew\u00f6hnlichen Rheoehord gelieferten Zuwachsstrom zu einem mittels eines andern Rheochords hergestellten bestehenden.\nEine einfache Ueberlegung ergiebt, dass der Erfolg di\u00e9ser Versuche im Grunde vorausgesagt werden kann, wenn das electrotonische und das Erregungsgesetz richtig sind. Wird ein bestehender Strom pl\u00f6tzlich verst\u00e4rkt, so ist dies gleichbedeutend mit Schliessung eines gleichgerichteten oder Oeffnung eines entgegengesetzten ; wird ein Strom pl\u00f6tzlich geschw\u00e4cht, so ist dies gleichbedeutend mit Schliessung eines entgegengesetzten oder Oeffnung eines gleichgerichteten. Im ersteren Falle aber f\u00e4llt die Erregungsstelle auf bestehenden Cat-electrotonus,- im letzteren auf bestehenden Anelectrotonus. In Anbetracht der hier herrschenden Erregbarkeiten w\u00e4re also a priori folgendes zu erwarten, sobald die Complicationen, die aus dem Leitungsverm\u00f6gen der Strecke zwischen Erregungsstelle und Muskel hervorgehen, ausgeschlossen sind: Eine positive Stromesschwankung wirkt innerhalb gewisser Grenzen um so st\u00e4rker, je st\u00e4rker der bereits bestehende (gleichsinnige) Strom, eine negative um so schw\u00e4cher, je st\u00e4rker der Strom.\nNasse (dessen theoretische Betrachtung ganz anderer Art ist) fand nun, dass die positive Stromesschwankung mit wachsendem Bestandstrom anfangs an erregender Wirkung zu-, dann wieder abnimmt, die negative dagegen anfangs ab- und dann wieder zunimmt. Bei m\u00e4ssigen Str\u00f6men best\u00e4tigt sich also im Wesentlichen das soeben Abgeleitete, bei st\u00e4rkeren treten andere Einfl\u00fcsse ein, welche sich noch nicht gen\u00fcgend \u00fcbersehen lassen.\ne. Der Einfluss der L\u00e4nge der durchflossenen Strecke.\nDie \u00e4lteren Electrophysiologen, wie Pfaff, v. Humboldt, Ritter, Matteucci1, geben \u00fcbereinstimmend an, dass die erregende Wirkung des Stromes mit der L\u00e4nge der durchflossenen Strecke zunimmt; ja Becquerel hat die Idee ausgesprochen, dass die starke erregende Wirkung des Stromes im Vergleich mit anderen Reizmitteln darauf beruhe, dass er eine lange Nervenstrecke erregen k\u00f6nne, ohne (wie z. B. chemische Reize) ihre oberen Theile vom Muskel physiologisch zu isoliren; diese Ansicht ist freilich nicht mehr haltbar, seit man weiss, dass die Erregung nur von der Cathode, resp.\n1 Die Stellen s. bei du Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 295.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nAnode ausgeht, du Bois-Reymond macht darauf aufmerksam, dass, da die Verl\u00e4ngerung der durchflossenen Strecke den Strom betr\u00e4chtlich schw\u00e4cht, die g\u00fcnstige Wirkung der Verl\u00e4ngerung so gross sein muss, dass sie diesen Einfluss \u00fcbercompensirt. du Bois-Reymond 1 war der Erste, der den Einfluss der L\u00e4nge auf die Intensit\u00e4t durch Einschaltung eines sehr grossen Widerstands neben dem des Nerven beseitigt^, also den Einfluss der Streckenl\u00e4nge bei constanter Stromst\u00e4rke beobachtete; freilich betraf seine Untersuchung nicht den Einfluss auf die Zuckung, sondern auf die negative Schwankung des Nervenstroms, was aber auf dasselbe hinauskommt. Er fand den g\u00fcnstigen Einfluss der Verl\u00e4ngerung im Allgemeinen best\u00e4tigt, obgleich manchmal, wenn die Verl\u00e4ngerung durch Verschieben der oberen Electrode gegen das centrale Nervenende bewirkt wurde, das Absterben des letzteren das Resultat scheinbar umkehrte.\nErst in neuerer Zeit wurde diese Frage wieder aufgenommen. Willy2 combinirte in meinem Laboratorium zwei Nerven dergestalt, dass der eine in langer, der andere in kurzer Strecke hinter einander durchstr\u00f6mt wurden und durch Umlegen einer Wippe beide ihre Rolle tauschten, ohne dass die Intensit\u00e4t sich \u00e4nderte. Die untere Electrode war stets unver\u00e4ndert, die Variirung der Streckenl\u00e4nge geschah nach oben. Willy fand, was die Schliessungszuckungen betrifft, nur f\u00fcr absteigenden Strom die l\u00e4ngere Strecke wirksamer als die kurze, f\u00fcr aufsteigenden Strom aber umgekehrt die kurze Strecke g\u00fcnstiger als die lange. Ein gleiches Verhalten fand er f\u00fcr die Oeffnungszuckungen, aber nicht ganz so regelm\u00e4ssig. Willy dr\u00fcckte sein Resultat so aus, dass der Strom um so st\u00e4rker erregend wirkt, je n\u00e4her dem Muskel die Cathode und je entfernter von ihm die Anode liegt.\nNeuere Versuche von Marcuse3, in Fick\u2019s Laboratorium angestellt, ergaben dagegen wieder das Resultat, dass Verl\u00e4ngerung der Reizstrecke die Erregung beg\u00fcnstigt. Bei der Verl\u00e4ngerung von 2 auf 4 mm. \u00fcberwog dieser Einfluss den stromschw\u00e4chenden der Wi-derstandsvergr\u00f6sserung, \u00fcber 4 mm. hinaus dagegen \u00fcberwog letzterer, so dass der g\u00fcnstige Einfluss der Verl\u00e4ngerung erst nach Elimination der Intensit\u00e4ts\u00e4nderung hervortreten konnte. Letzteres wurde erreicht, indem der Nerv mit verschieden langen Strecken in eine durchstr\u00f6mte Salzl\u00f6sung, in der Richtung der Stromaxe, eingetaucht wurde. Auch Tschirjew4 fand nach gleicher Methode die Verl\u00e4ngerung g\u00fcnstig, wenigstens bis zur L\u00e4nge von 6\u201410 mm.\n1\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 459.1849.\n2\tWilly, Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 275. 1871.\n3\tMarcuse, Yerhandl. d. phys.-med. Ges. in W\u00fcrzburg. N. F. X. S. 158. 1877.\n4\tTschirjew, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. S. 369.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss der Streckenl\u00e4nge und des Durchstr\u00f6mungs winkeis.\n79\nNach diesen Versuchen w\u00e4re also allgemein bei gleicher Intensit\u00e4t die l\u00e4ngere Strecke g\u00fcnstiger. In Willy\u2019s Versuchen war ver-muthlich der Umstand, dass die Strecke nur durch Verschiebung der oberen Electrode verl\u00e4ngert wurde und einzelne Nervenstrecken verschiedene Wirksamkeit beider Stromrichtungen zeigen, von Einfluss auf das Resultat (vgl. unten sub VI. 4).\nNach dem PFL\u00fcGE\u00df\u2019schen Erregungsgesetze ist es in der Ordnung, dass (bei constanter Intensit\u00e4t) Verl\u00e4ngerung der durchflossenen Strecke die erregende Wirkung steigert, da die Verl\u00e4ngerung den Electrotonus vergr\u00f6ssert (s. oben S. 44 und Cap. 4); da jedoch der letztere bald ein Maximum erreicht, so ist zu erwarten, dass weitere Verl\u00e4ngerung die Erregung nicht mehr verst\u00e4rkt; dass von da ab eine Abnahme eintritt, geht nicht aus der Theorie hervor. Die localen Erregbarkeitsunterschiede spielen f\u00fcr alle Versuche dieses Gebietes eine st\u00f6rende Rolle.\nIn einer hierher geh\u00f6rigen Untersuchung von Harless 1 wurde die Frage, abgesehen von der Einmischung localer Erregbarkeitsunterschiede, dadurch unn\u00f6thig complicirt, dass an Stelle der einfachen Verl\u00e4ngerung Combination mehrerer Nervenstrecken zu gleichzeitiger Reizung gesetzt, also ganz andere Verh\u00e4ltnisse eingef\u00fchrt wurden; denn nur unter der nicht zutreffenden Voraussetzung, dass der Strom den Nerven an jeder Stelle erregt, w\u00e4re Durchfliessung zweier Strecken gleichbedeutend mit Durchfliessung einer einzigen ihrer Summe gleichen.\nf Der Einfluss des Winkels zwischen Axe des Nerven und des Stromes.\nSchon Galvani fand, dass der Strom den Nerven nicht erregt, wenn er senkrecht zur Faserrichtung hindurchgeleitet wird, und fast alle sp\u00e4teren Autoren haben dies best\u00e4tigt.'1 2 So leicht aber auch der Nachweis ist, dass mit der Ann\u00e4herung an den Winkel cp = 90\u00b0 zwischen Faser- und Stromaxe die erregende Wirkung stark abnimmt, so schwer ist es erstens, das vollst\u00e4ndige Verschwinden der letzteren bei cp = 90\u00b0 festzustellen, und zweitens das Gesetz zu ergr\u00fcnden, welches allgemein die erregende Wirkung mit dem Winkel cp verbindet.\nDie Herstellung einer genau queren Durchstr\u00f6mung ist schwierig. Galvani\u2019s Verfahren bestand darin, einen feuchten Faden oder ein Nervenst\u00fcck mit dem Versuchsnerven senkrecht zu kreuzen und durch den Faden den Strom zu leiten. Allein man kann zweifeln, ob bei diesem Verfahren (Fig. 10. A) nennenswerthe Stromzweige durch den Nerven gehen, und der Versuch wird dadurch namentlich verd\u00e4chtig, dass bei sehr kr\u00e4ftigen Str\u00f6men, wo die erregenden Stromzweige jedenfalls noch\n1\tHarless, Gelehrte Anzeigen d. bayr. Acad. XLIX. S. 201. 1858.\n2\tDie \u00e4ltere Literatur s. bei du Bois-Reymond, Untersuchungen I. S. 296.","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nrelativ schwach sind, nach Ritter\u2019s, Joh. M\u00fcller\u2019s und du Bois-Reymond\u2019s 1 Zeugniss wirklich Zuckungen auftreten, die man freilich einer fast unvermeidlichen longitudinalen Componente in Folge geringer Schr\u00e4gstellung zuschreiben kann. Ja selbst hei genauester Querdurchstr\u00f6mung m\u00fcssen longitudinale Stromf\u00e4den auftreten (Fig. 10. B). Der Versuch, dem Nerven in gr\u00f6sserer Ausdehnung genau gegen\u00fcber metallische oder feuchte Elec-troden anzulegen, misslingt (vgl. du Bois-Reymond, a. a. O. S. 355).\nEin zweckm\u00e4ssigeres Verfahren, welches ich im Jahre 1869 durch Luchsinger ausf\u00fchren liess 2, dessen Princip aber, wie ich sehe, schon von Matteucci3 4 angewandt worden ist, besteht darin (Fig. 10. C), den Nerven in eine Fl\u00fcssigkeit, in welche die Electroden eintauchen, so einzulegen, dass er zur Verbindungslinie der Electroden senkrecht liegt.* Der Nerv wird dann in grosser Ausdehnung nur von senkrechten Stromf\u00e4den durchzogen. Es ist dabei ziemlich gleichg\u00fcltig, ob die Electroden punct-f\u00f6rmig (Fig. 10. C) oder linear resp. fl\u00e4chenhaft sind (Fig. 10. D)\\ das letztere Verfahren, bei welchem die Stromf\u00e4den durchweg und nicht bloss in der Mitte parallel sind, ist von dem j\u00fcngern A. Fick 4 in Fick\u2019s, und von Tschirjew5 in du Bois-Reymond\u2019s Laboratorium benutzt worden; es hat den Vortheil, auch auf schiefwinklige Durchstr\u00f6mung mit einer gewissen Sicherheit einstellen zu k\u00f6nnen; das Verfahren C dagegen hat den Vortheil, dass die seitlichsten Stromf\u00e4den, welche im Nerven longitudinale Curven abgeben, zugleich die schw\u00e4chsten sind. Um wirklich querer Durchstr\u00f6mung sicher zu sein, sollte man aber stets sich Von der Abwesenheit electrotonischer Str\u00f6me \u00fcberzeugen, die nach du Bois-Reymond\u2019s Erfahrungen ein sehr feines Reagens auf L\u00e4ngscomponenten des Stromes sind (vgl. Cap. 4).\nSoll eine genauere Abh\u00e4ngigkeit zwischen Erregung und Durchstr\u00f6mungswinkel festgestellt werden, so ist die erste Aufgabe, dass in den verglichenen Versuchen wirklich Nichts weiter als der Winkel ver\u00e4ndert werde, namentlich aber die Dichte unver\u00e4ndert bleibe.\n1\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen IL I. S. 359. 1849. (Vgl. auch daselbst S. 462.)\n2\tVgl. Hermann. Arch. f. d. ges. Physiol. XII. S. 152.\n3\tMatteucci, Bibi, univers. Nouv. S\u00e9r. XVIII. p. 357. 1838; Compt. rend. XLVIII. p. 1145. 1859.\n4\tA. Fick jun., W\u00fcrzburger Verhandl. N. F. IX. S. 228. 1876.\n5\tTschirjew, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. S. 369.","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Methoden zu querer Durchstr\u00f6mung. Einfluss des Durchstr\u00f6mungswinkels. 81\nSchon diese Aufgabe ist strenggenommen unerf\u00fcllbar, weil der Nerv kein homogener Leiter ist, so dass die Vertheilung des Stromes auf seine Bestandtheile sich der Berechnung entzieht; von dieser Vertheilung ist aber die Dichte in dem erregbaren Bestandtheile abh\u00e4ngig. Ferner ist der Gesammtwiderstand in der Querrichtung bedeutend gr\u00f6sser als in der L\u00e4ngsrichtung (s. oben S. 28), so dass beim longitudinalen Einsenken in eine durchstr\u00f6mte Fl\u00fcssigkeit ein gr\u00f6sserer Stromantheil durch den Nerven geht als beim queren. Endlich m\u00fcsste strenggenommen die Wirkung des Stromes bei jedesmal gleicher L\u00e4nge der durchflossenen Strecke verglichen werden; nun ist aber bei querer Durchstr\u00f6mung f\u00fcr die einzelne Faser keine gr\u00f6ssere L\u00e4nge denkbar als der Querdurchmesser der Faser.\nDiesen Bedenken entsprechen auch die grossen Verschiedenheiten der Resultate. Die Vermuthung du Bois-Reymond\u2019s, dass bei m\u00f6glichst gleichen Bedingungen der Einfluss des Winkels cp sich etwa seinem Cosinus entsprechend gestalten w\u00fcrde, fand Fick ziemlich genau best\u00e4tigt1, Tschirjew dagegen leitet aus seinen Versuchen eine andere, ungemein complicirte Beziehung ab.2 Aus dem Umstande aber, dass der Querwiderstand gr\u00f6sser ist, folgert letzterer, dass die Quererregbarkeit cet. par. der L\u00e4ngserregbarkeit sogar gleichkommt, also gar kein Einfluss des Winkels existiren w\u00fcrde (die Quererregbarkeit ergab sich roh zu etwas \u00fcber Vs der L\u00e4ngserregbarkeit; da aber der Querwiderstand etwa 5 mal gr\u00f6sser ist und der durchgehende Stromantheil dem Widerstande ann\u00e4hernd umgekehrt proportional ist, folgt jenes Resultat). Verl\u00e4ngerung des eingetauchten querdurchflossenen Nervenst\u00fccks wirkte auf die Erregung verst\u00e4rkend. Wurde nach Art des oben S. 28 erw\u00e4hnten Versuches ein Quadrat aus parallelen Nervenst\u00fccken zusammengesetzt und einem Nerven der Muskel belassen, so zeigte sich der Erfolg gleich gross, mochte der Strom l\u00e4ngs oder quer durchgeleitet werden, vorausgesetzt, dass dem verschiedenen Widerstande durch Anpassung der Stromkraft Rechnung getragen wurde. Das Resultat von Tschirjew beruht aber, wie die Herren Albrecht & A. Meyer in meinem Laboratorium gefunden haben, lediglich darauf, dass ersterer die Lage des Nerven, bei welchem die Str\u00f6mungscurven wirklich senkrecht\n1\tEine weniger genaue Ann\u00e4herung berechnet sich auch aus den Versuchen von Bernheim, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 60. 1873. (Vgl. auch ebendaselbst S. 273.)\n2\tDas in mehrfacher Beziehung ungeheuerliche Gesetz, das Tschirjew f\u00fcr den Einfluss der L\u00e4nge / und des Durchstr\u00f6mungswinkels <p aufstellt, lautet (/ ist die Intensit\u00e4t, \u00ab, \u00df, a, b, in Constanten) :\n\\ dt / \\ alm + b ) \\\n10 (101-co* y _ \u00df sin cp cos cp) -f\n7>\nHandbuch der Physiologie.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nhindurchgehen, nicht getroffen hat. In dieser Lage sind selbst die st\u00e4rksten Str\u00f6me (Ketten- und Inductionsstr\u00f6me) wirkungslos ; die geringste Verlagerung macht Zuckung. Der Nerv istalso f\u00fcr streng quere Durchstr\u00f6mung wirklich unerregbar.\nWendet man auch auf diese Frage das PFL\u00fcGER\u2019sche Erregungsgesetz an, so ergiebt sich aus dem im 4. Cap. zu er\u00f6rternden Umstande, dass quere Durchstr\u00f6mung keinen Electrotonus macht, die Unwirksamkeit derselben. Die Faser ist in ihren gegen\u00fcberliegenden L\u00e4ngsh\u00e4lften entgegengesetzt polarisirt, so dass beide Ver\u00e4nderungen sich aufheben. Es kann Vorkommen, dass beide Zonen ungleiche Dichte haben, dann k\u00f6nnte Schliessungs - oder Oeffnungszuckung eintreten, je nachdem die Dichte auf der Cathoden- oder auf der Anodenseite gr\u00f6sser ist, es k\u00f6nnte aber auch die gr\u00f6ssere Ausbreitung auf der Seite der geringeren Dichte, oder endlich auch die in solchen F\u00e4llen stets vorhandene L\u00e4ngscomponente den Sieg davon tragen.1 Wird ein Nerv in eine Fl\u00fcssigkeit mit parallelen Stromf\u00e4den schr\u00e4g eingetaucht, wie in einem Versuche von Fick2, so stehen sich in der durchflossenen Strecke ebenfalls \u00fcberall An- und Catelectrotonus gegen\u00fcber, mit Ausnahme der beiden Enden, wo eine freie Anode resp. Cathode zur Wirkung kommt,\ng. Einfluss der Dauer des Stromes. Wirkung der Inductionsstr\u00f6me.\nSchon in der allgemeinen Muskelphysik (Band I. S. 95) sind Thatsacken mitgetheilt, welche beweisen, dass die erregende Wirkung des Stromes ausbleibt, wenn derselbe nur sehr kurze Zeit hindurch das Organ durchfliesst. Schon dort wurde angegeben, dass der Nerv in dieser Beziehung leistungsf\u00e4higer ist als der Muskel; ja es kann sogar die Frage entstehen, ob nicht in den F\u00e4llen, wo bei sehr kurze Zeit auf den Nerven einwirkenden Str\u00f6men die Zuckung ausbleibt, die Schuld allein am Muskel liege, d. h. eine Erregung im Nerven ablaufe, aber von solcher Beschaffenheit, dass sie zur Erregung des Muskels nicht ausreicht. Indessen w\u00fcrde doch in solchen F\u00e4llen h\u00f6chstwahrscheinlich eben nur die Intensit\u00e4t der Erregung zu gering sein (da von verschiedenen Arten des Erregtseins des Nerven bisher nichts bekannt ist), also die Thatsache so auszudr\u00fccken sein, dass auf sehr kurzdauernde Str\u00f6me auch der Nerv schwach oder gar nicht reagirt.\nVor allem l\u00e4sst das PFL\u00fcGER\u2019sche Erregungsgesetz erwarten, dass sehr kurze Str\u00f6me keine Oeffnungszuckung bewirken, weil der An-eleetrotonus, auf dessen Schwinden sie beruht, keine gen\u00fcgende Aus-\n1\tYgl. \u00fcber solche F\u00e4lle Hitzig, Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 263. 1873; Fi-lehne, ebendaselbst VIII. S. 71. 1873.\n2\tFick, W\u00fcrzburger Verhandl. N. F. X. S. 220. 1877.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Unwirksamkeit querer Str\u00f6me. Zuckungsgesetz f\u00fcr Inductionsstr\u00f6me. 83\nbildung erlangt hat. In der That zeigen dies viele Thatsaehem Namentlich die Inductionsstr\u00f6me, welche der Theorie nach eine doppelte Erregung bewirken sollten, da sie gleichsam aus Schliessung und Oeffnung bestehen, sollen nach der Mehrzahl der Untersucher nur mit ihrem ansteigenden Theil, d. h. wie einfache Schliessungen wirken, also nur an der Cathode erregen. In der That hat Chauveau'- gefunden, dass Inductionsstr\u00f6me, durch den menschlichen K\u00f6rper geleitet, nur an der Cathode empfunden werden, und Fick1 2 einen anderen directen Beweis daf\u00fcr erbracht, indem er zeigte, dass die Wirkung eines Induetionsschlages nur dann verst\u00e4rkt wird, wenn seine Cathode, nicht wenn seine Anode in den cateleetrotonischen Bereich eines polarisirenden constanten Stromes f\u00e4llt. Zu dem gleichen Resultat kam Lamansky3, indem er einen zuerst von Fick vorgeschlagenen Versuch ausf\u00fchrte: bei einem aufsteigenden Inductions-strom tritt die Zuckung um so viel sp\u00e4ter ein als beim absteigenden, wie die Leitung durch die durchflossene Strecke Zeit beansprucht.\nDer oben S. 76 angef\u00fchrte PFL\u00fcGER\u2019sche Versuch \u00fcber die \u201etotale\u201c Erregbarkeit polarisirter Nervenstrecken, welcher auf der Annahme beruht, dass der Inductionsstrom die ganze Strecke gleichzeitig erregt, w\u00e4re demnach anders zu deuten. Pfl\u00fcger nahm den Induc-tiohsstrom stets von gleicher Richtung mit dem polarisirenden, untersuchte also in Wirklichkeit jedesmal die Erregbarkeit an der Cathode (auf welche die Cathode des Inductionsstroms fiel) ; sein Resultat w\u00fcrde demnach lauten, dass der Catelectrotonus schon bei mittleren Str\u00f6men unmerklich wird, bei starken aber der Anelectrotonus selbst die Cathodengegend mit ergreift, Jedenfalls bedarf dieser Gegenstand weiterer Untersuchung.\nUebrigens darf nicht vergessen werden, dass der erw\u00e4hnte Satz, nach welchem Inductionsstr\u00f6me nur an der Cathode erregen, nur f\u00fcr schwache Inductionsstr\u00f6me erwiesen ist. F\u00fcr starke k\u00f6nnte einmal doch die wenn auch noch so kurze Stromdauer zur Entwicklung eines gen\u00fcgenden Anelectrotonus hinreichen, um auch dem absteigenden Theil eine Erregungswirkung zu verleihen, und hierauf deuten auch gewisse, unten sub VI. 2 zu erw\u00e4hnende Beobachtungen von Fick, Lamansky u. A., welche die Lehre von der Wirkung der Inductionsstr\u00f6me vervollst\u00e4ndigen; es k\u00f6nnte aber auch der Inductionsstrom verm\u00f6ge\n1\tChauveau, Journ. d. 1. physiol. II. p. 490, 553. 1859 ; vgl. auch die Bemerkung von Rosenthal hierzu, Fortschr. d. Physik i. J. 1859. S. 532. Berlin 1861.\n2\tFick, Vierteljahrschr. d. naturf. Ges. in Z\u00fcrich XL S. 48. 1866; vgl. auch Bindschedler, Experimentelle Beitr\u00e4ge zur Lehre von der Nervenreizbarkeit. Z\u00fcrich 1865.\n3\tLamansky, Studien d. physiol. Instit. zu Breslau IV. S. 218. Leipzig 1868.\n6 *","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84 Hermann, Allg. Nervenpkysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\neiner Art von Ersch\u00fctterung' der Tkeilchen im Nerven eine Wirkung auf alle durchflossenen Elemente aus\u00fcben, \u00e4hnlich einem mechanischen Reiz.. Vor der Hand ist aber keine Thatsache bekannt, welche hierf\u00fcr spr\u00e4che.1\nEs fragt sich nun weiter, ob vielleicht bei sehr kurzer Stromdauer auch der Catelectrotonus keine zur Erregung gen\u00fcgende Ausbildung findet. Fick2 war der Erste, welcher beobachtete, dass sehr kurze, mit seinem Spiral-Rheotom (Band I. S. 96) hergestellte Schliessungen von Kettenstr\u00f6men gar nicht erregen, und dass die Erregungsgr\u00f6sse mit der Stromdauer und bei gegebener Dauer mit der Stromst\u00e4rke zunimmt. Die Curve dieser Zunahme zeigte gewisse, unten zu besprechende Eigenth\u00fcmlichkeiten (s. unten sub VI. 2). Br\u00fccke 3 gab dem Versuche eine sehr einfache Form, indem er mit einer durch die Hand geschleuderten Feder schnellende Schliessungen herstellte; wurde dieser Contactapparat in eine Nebenschliessung zum Nerven gebracht und ein constanter Strom durchgeleitet, so zeigte sich, dass auch rasch vor\u00fcbergehende Unterbrechungen des letzteren ohne Wirkung sind. Sehr genaue Versuche sind, unter Leitung von Helmholtz, von J. K\u00f6nig4 angestellt worden. Mit einem Fallapparat schloss er auf sehr kurze Zeiten einen im Nerven absteigenden Kettenstrom, dessen St\u00e4rke so gew\u00e4hlt'war, dass er bei gew\u00f6hnlicher Dauer maximale Schliessungs-, aber keine Oeffnungszuckung hervorbrachte. Es zeigte sich, dass keine Zuckungen auftraten, wenn der Strom nur 0,001 sec. geschlossen blieb; mit zunehmender Schlussdauer traten die Zuckungen mit zunehmender Intensit\u00e4t auf und erreichten erst bei einer Dauer von 0,017\u20140,018 sec. die gleiche H\u00f6he wie bei dauernder Schliessung. In einer zweiten Versuchsreihe wurde die Entwicklung des Stromes durch einen Extrastrom, mittels einer eingeschalteten Spirale, verz\u00f6gert und die Wirkung auf den Nerven vom Moment der Schliessung bis zur Erreichung einer gewissen Intensit\u00e4t zugelassen; zum Vergleich wurde jedesmal der volle Strom f\u00fcr eine gleiche Zeit dem Nerven zugeleitet. Im letzteren Falle war nun die Wirkung f\u00fcr gleiche Schlusszeiten stets st\u00e4rker als im ersten, wo sie unterhalb einer gewissen, von den Constanten der Spirale ab-\n1\tIch habe durch die Herren Albrecht & Meyer untersuchen lassen, ob das Yerh\u00e4ltniss der L\u00e4ngs- und Quererregbarkeit vielleicht f\u00fcr Ketten- und f\u00fcr Induc-tionsstr\u00f6me verschieden ausf\u00e4llt, da es zu erwarten w\u00e4re, dass letztere, wenn sie auch durch Ersch\u00fctterung und nicht bloss durch Electrotonus wirkten, relativ leicht auch quer erregen k\u00f6nnen. Doch zeigte sich davon Nichts.\n2\tFick, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. XLVIII. S. 220. 1863; Untersuchungen \u00fcber electrische Nervenreizung. Braunschweig 1864.\n3\tBr\u00fccke, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LVIII. Sep.-Abdr. 1868.\n4\tK\u00f6nig, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LXII. Sep.-Abdr. 1870.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Erregung durch kurzdauernde Str\u00f6me.\n85\nh\u00e4ngigen Schlusszeit ganz ausblieb und \u00fcberhaupt nie die Gr\u00f6sse der ersten erreichte, auch wenn die Schlusszeit die Zeit der Stromentwicklung noch so sehr \u00fcberschritt. Die Versuche lehren also, dass ein Strom, um Zuckung zu bewirken, mindestens 0,0015 sec. den Nerven durchstr\u00f6men muss und sich mit zunehmender Schlusszeit (anfangs rascher, dann langsamer) der vollen Wirkung n\u00e4hert, die er bei 0,017 bis 0,018 sec. erreicht, dass es ferner sehr darauf ankommt, ob w\u00e4hrend der Schlusszeit der Strom von Anfang an seine volle St\u00e4rke hatte oder sie erst in einer Curve erreichte. Hierdurch ist zugleich die oben S. 66 erw\u00e4hnte Lehre v. Bezold\u2019s widerlegt: denn in zwei Vergleichsver-suchen besteht der Electrotonus seit gleich langer Zeit und doch wirkt derjenige Fall st\u00e4rker, in welchem er rascher sich entwickelte.\nIch f\u00fchre aus den K\u00f6NiG\u2019schen Versuchen ein Beispiel an. Die Tabelle zeigt die Zuckungsh\u00f6hen bei Zuleitung des vollen Stroms (der Fallapparat befindet sich, in dem den Nerven enthaltenden Stromzweige des Rheochords), daneben die Zuckungsh\u00f6hen mit Stromentwicklung (Fallapparat in der Hauptleitung). Die letzte Columne enth\u00e4lt den Bruchtheil seines vollen Werthes, den der Strom innerhalb der Schlusszeit t erreicht; derselbe berechnet sich nach der Formel\nworin J die Intensit\u00e4t, E die electromotorische Kraft, W der Widerstand des Stromkreises, P das Potential der Spirale auf sich selbst und e die Basis des nat\u00fcrlichen Logarithmensystems. Die Rubrik enth\u00e4lt nur den Werth des in der Klammer stehenden Ausdrucks, da E und W sich in einem Versuche nicht \u00e4ndern.\nbei Tollem Strom (Zehntel mm.)\nZuckungsh\u00f6he hei verz\u00f6gerter Strombildung (Zehntel mm.)\nErreichter Werth des Stromes (voller Strom = 1)\n0,001\n0,002\n0,003\n0,004\n0,005\n0,006\n0,007\n0,008\n0,009\n0,010\n0,011\n12,5\n12,5\n12,5\n13\n15\n18\n19\n20 20 20\n8,5\n8,5\n9\n9\n10,5\n12\n12\nD\n8\n4\n0,141\n0,262\n0,306\n0,456\n0,532\n0,598\n0,655\n0,704\n0,745\n0,801\no\n0,013\n0,014\n6,5\nDauernde\nSchliessung\n0,016\n0,017\n0,018\n0.019\n8\n11\n12\n13\n13\n13","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nDie Versuche bilden zugleich eine werthvolle Best\u00e4tigung des du Bois-schen Erregungsgesetzes. F\u00fcr kleine Zeiten muss in dasselbe (vgl. S. 51) noch die Stromdauer eingesetzt werden, so dass es nunmehr lautet:\nDie Unwirksamkeit kurzdauernder Str\u00f6me ist schon beim Muskel besprochen (Band I. S. 95) ; hier aber sahen wir sie viel auffallender als beim Nerven. K\u00e4lte verleiht auch dem Nerven eine viel gr\u00f6ssere Tr\u00e4gheit, welche der des Muskels sich ann\u00e4hert. Nach K\u00f6nig bedarf es bei 0\u00b0 einer Schlussdauer von fast 0,02 sec. Auch das Absterben macht den Nerven nach E. Neumann1 2 relativ unempfindlich gegen kurzdauernde Str\u00f6me und dasselbe gilt, nach zahlreichen Erfahrungen, von gewissen pathologischen Zust\u00e4nden.\nIn der Muskelphysiologie (Band I. S. 44) ist eine Reihe von Beobachtungen angef\u00fchrt, welche zeigten, dass bei in sehr raschem Tempo erfolgenden Stromesschwankungen der Muskel statt mit Tetanus nur mit Anfangs- oder mit Anfangs- und Endzuckung reagirt, die intermittirenden Str\u00f6me also wie ein constanter Strom wirken. Obwohl die gleiche Beobachtung auch am curarisirten Muskel gemacht ist, so ist doch auch f\u00fcr den Nerven behauptet worden, dass er auf sehr rasche Stromfolgen wie auf einen constanten Strom reagirt ; Engelmann 2 namentlich hat dies daraus geschlossen, dass erstens bei indirecter Reizung diejenige Frequenz welche die Grenze f\u00fcr tetanisirende Wirkung bildet, gr\u00f6sser ist als bei directer, und zweitens jenseits dieser Grenze auch keine negative Stromesschwankung am Nerven beobachtet wird. Zu kurze Dauer der einzelnen Str\u00f6me kann nicht wohl die Ursache der Erscheinung sein, denn dann w\u00fcrde \u00fcberhaupt keine Wirkung, auch nicht Anfangs- und Endzuckung stattfinden. Engelmann schliesst daher, dass nur die Pausen zwischen den Schlusszeiten zu kurz sind, und der Nerv nach jeder Erregung eine gewisse Zeit lang zu weiterer Erregung unf\u00e4hig ist.\nAllein alle Beobachtungen dieser Art leiden an der Unzuverl\u00e4ssigkeit der schleifenden Contacte und auch anderer Unterbrechungsvorriclitungen und bed\u00fcrfen daher der Revision, seitdem Kronecker & Stirling (vgl. Band I. a. a. 0.) mit oscillirenden Magneto-Inductionsstr\u00f6men von h\u00f6chster Frequenz Tetanus erhalten haben. Namentlich sind alle Schl\u00fcsse, welche auf Versuchen mit sehr raschen Unterbrechungen von Kettenstr\u00f6men durch schleifende Federn beruhen, mit gr\u00f6sster Vorsicht aufzunehmen; in Zukunft wird man die Unterbrechungen durch das Telephon zu controlliren haben (s. oben S. 40).\nh. Unipolare Inductionswirkungen.\nNach allem bisher Gesagten ist zur electrischen Erregung thie-rischer Theile eine Durchstr\u00f6mung derselben erforderlich, sei\n1\tE. Neumann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1864. S. 554.\n2\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 3. 1871.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Unwirksamkeit zu kurzer Str\u00f6me. Unipolare Inductionswirkungen.\n87\ndieselbe auch noch so kurz, du Bois-Reymond1 beobachtete aber, dass ein thierisches Pr\u00e4parat unter Umst\u00e4nden auch im offenen Kreise zur Zuckung gebracht werden kann, wenn in diesem eine electromo-torische Kraft durch Induction entsteht. Die g\u00fcnstigsten Bedingungen hierzu sind vorhanden, wenn entweder das Pr\u00e4parat das eine Ende des Inductionskreises bildet und das andere zur Erde abgeleitet ist, oder wenn die Ableitung zur Erde von einem Puncte des Pr\u00e4parates selbst stattfindet; der letztere Fall ist der g\u00fcnstigste, du Bois-Reymond hat diese Wirkungen als unipolare Inductionswirkungen bezeichnet, eine vielleicht nicht mehr ganz passende Benennung.\nAus zahlreichen weiteren Arbeiten \u00fcber diesen G-egenstand2 ergeben sich ausser den angegebenen Bedingungen noch andere beg\u00fcnstigende Umst\u00e4nde. Noch g\u00fcnstiger als die Gegenwart eines grossen Conductors, wie die Erde, an einem Ende des offenen Kreises, wirkt es, wenn beide Enden des Kreises einander so nahe sind, dass sie Influenzwirkungen auf einander aus\u00fcben k\u00f6nnen3, namentlich wenn diese Enden oder eines derselben grosse Oberfl\u00e4che besitzen, wenn sie z. B. die Belegungen einer Leydener Flasche oder eines Plattencondensators bilden. Ferner gen\u00fcgt es, anstatt dass das eine Ende des Kreises selber einen grossen Conductor darstellt, demselben nur einen solchen zu n\u00e4hern; so giebt ein Pr\u00e4parat, das am Ende einer offenen secund\u00e4ren Spirale angebracht ist, f\u00fcr gew\u00f6hnlich keine Zuckungen bei spielendem Hammer, wohl aber, wenn man ihm den Finger n\u00e4hert. Verzweigt sich dagegen das Ende der Spirale zu dem thierischen Pr\u00e4parat und zu einem metallischen Conductor, so hindert letzterer die unipolare Zuckung. Schiff und Fuchs erhielten auch ohne Induction durch Ladung von Conductoren unipolare Wirkungen, indem sie die Ladung der Enden einer offenen Kette auf einen grossen Conductor oder die Belegungen eines Condensators \u00fcbertrugen und sie dabei durch einen empfindlichen Nerven ihren Weg nehmen Hessen.4\n1\tdu Bois-Keymond, Untersuchungen I. S. 423 (die Untersuchung stammt aus dem Jahre 1845 ; s. Fortschr. d. Physik I. S. 538).\n2\tPfl\u00fcger, Electrotonus S. 51,121,410. 1859; du Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 857; Gr\u00fcnhagen, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXIV. S. 153. 1865; Lamansky, Studien d. physiol. Instit. zu Breslau IV. S. 214. 1868; Zahn, Arch. f. d. ges. Physiol. I. S. 255. 1868; Schiff, Ztschr. f. Biologie VIII. S. 71. 1872; Fuchs. ebendaselbst S. 100; Tiegel, Arch. f. d. ges. Physiol. XII. S. 141, XIV. S. 330. 1876.\n3\tDer Fall des Ueberspringens von Funken ist nat\u00fcrlich ausgeschlossen, da er eine wirkliche Strombildung darstellt.\n4\tTheoretisch ergiebt sich nach Fuchs als g\u00fcnstigste Bedingung f\u00fcr die Bewegung m\u00f6glichst grosser Electricit\u00e4tsmengen im offenen Kreise, dass der eine Pol zuerst zur Erde abgeleitet, dann mit einem grossen Recipienten (Leydener Flasche) verbunden und gleichzeitig der andre Pol zur Erde abgeleitet wTird.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nDass, wie Pfl\u00fcger zuerst angab, die Schliessungsinduction keine unipolaren Wirkungen giebt, ist nach du Bois-Reymond dadurch bedingt, dass der Extrastrom die Ladung der secund\u00e4ren Spiralenden verz\u00f6gert; ist jener durch Windungsarmuth der prim\u00e4ren Spirale wenig entwickelt, so giebt auch die Schliessungsinduction unipolare Wirkungen, und die oben S. 36 f. angegebenen Mittel, beide Inductionsstr\u00f6me uniform zu machen, werden vermuthlich auch die unipolaren Wirkungen beider Inductionen gleich machen; Versuche hier\u00fcber scheinen nicht zu existiren.\nDie Ursache der unipolaren Inductionswirkungen liegt offenbar in den Bewegungen der Electricit\u00e2t nach und von den Enden des offenen Kreises im Augenblick der Induction.1 Da w\u00e4hrend der Ladung der Enden durch jeden Querschnitt des Leiters sich positive und negative Electricit\u00e4t nach entgegengesetzten Seiten bewegen, so ist der Vorgang von dem beim geschlossenen Strome nicht wesentlich verschieden ; im unmittelbar folgenden Entladungsvorgange aber haben sich die Richtungen umgekehrt, so dass die meisten Wirkungen sich auf heben. Es geh\u00f6rt die ungemeine Reactionsf\u00e4higkeit des Nerven dazu, um trotzdem durch diese beiden \u00e4usserst schnell sich, folgenden stromartigen Vorg\u00e4nge, resp. den ersten derselben (s. unten) erregt zu werden. Leicht begreiflich ist es nun, dass Alles, was die Ladung und Entladung in die L\u00e4nge zieht, die Erregung beg\u00fcnstigen muss, so namentlich grosse Capacit\u00e4t der Enden, Influenzwirkungen derselben auf einander oder auf andere Leiter. Ausserdem kommt es darauf an, dass die sich bewegenden Electricit\u00e4ten ihren Weg in m\u00f6glichster Dichte durch den Nerven nehmen. Der Ort, den der Nerv im offenen Kreise einnimmt, ist, wie erw\u00e4hnt, nicht gleichg\u00fcltig, jedoch wird vor der Hand eine ersch\u00f6pfende theoretische Discussion hier\u00fcber kaum m\u00f6glich sein.2\nSehr gut stimmen zu dieser Auffassung die Thatsachen, welche du Bois-Reymond (in seiner ersten Arbeit) \u00fcber das Zuckungsgesetz bei unipolarer Induction beobachtet hat. Stand das Pr\u00e4parat auf der 3. Stufe des Nomui\u2019schen Zuckungsgesetzes (d. h. reagirte es auf Kettenstr\u00f6me nur bei Schliessung des absteigenden und bei Oeffnung des aufsteigenden), so trat nur dann unipolare Zuckung ein, wenn\n1\tDas Folgende ist nur eine etwas erweiterte Wiedergabe der von du Bois-Reymond aufgestellten Theorie. Der Versuch Gr\u00fcnhagen\u2019s (a. a. 0.), die unipolaren Wirkungen von freien Spannungen an der Oberfl\u00e4che der thierischen The\u00fce herzuleiten, welche unabh\u00e4ngig von ihrem Vorzeichen durch Ersch\u00fctterung wirken sollen, ist sehr leicht zu widerlegen.\n2\tVersuche, welche Frl. V\u00f6lkin in meinem Laboratorium angestellt hat, haben gezeigt, dass die Wirksamkeit des offenen Inductionskreises ungemein gross ist, wenn der Nerv in die Mitte desselben eingeschaltet ist. Hierzu diente eine Spirale mit zwei Gewinden, die hintereinander durchflossen werden. Jedoch ist zu beachten, dass starke Influenzwirkungen der beiden H\u00e4lften der Spirale auftreten m\u00fcssen.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Zuckungsgesetz f\u00fcr unipolare Wirkungen. Gefahren derselben bei Reizversuchen. 89\nder indueirte Strom, bei geschlossener Spirale gedacht, im Nerven absteigend war; mit andern Worten der Vorgang wirkt, wie die Inductionsstr\u00f6me \u00fcberhaupt, nur mit seinem ersten, einer Schliessung entsprechenden Theil; er erregt da, wo bei der Ladung positive Electricit\u00e4t aus dem Nerven aus- oder negative in ihn eintritt. Der R\u00fcckstrom, wenn ein solcher stattfindet, ist wirkungslos. Ohne Zweifel w\u00fcrde man bei geeigneter Untersuchung mit hinl\u00e4nglich feinen Mitteln auch eine entsprechende Polarisation des Nerven finden. Wie Fuchs gezeigt hat, kann auch der dem aufsteigenden Strom entsprechende Vorgang erregen, wenn der Nerv auf der passenden Stufe des Zuckungsgesetzes steht. Dass auch bei starken aufsteigenden Wirkungen Zuckung auftritt, kann sehr wohl von der oscillatorischen Beschaffenheit derselben herr\u00fchren, durch welche eine Zeit lang die Ladungen ihr Vorzeichen wechseln.\nUnipolare Wirkungen treten, wie du Bois-Reymond zuerst erkannte, auch dann auf, wenn der Kreis nicht ganz offen, aber unvollkommen geschlossen ist, z. B. durch einen schlecht leitenden Nerven. So zuckt bei starken Inductionsstr\u00f6men, die durch den Nerven gehen, der zur Erde abgeleitete Muskel auch wenn der Nerv zwischen ihm und den Electroden unterbunden ist. Jetzt ist die Zuckung an die aufsteigende Stromrichtung gebunden, weil bei ihr der durch die Ligaturstelle zum Muskel gehende unipolare Vorgang absteigend ist.\nDer letztgenannte Fall bildet bei allen Reizversuchen an Nerven mit Inductionsstr\u00f6men eine gef\u00e4hrliche Fehlerquelle. Ist der Muskel nicht vollkommen isolirt, oder h\u00e4ngt der Nerv, wie bei den viviseetorischen Versuchen, an einem Ende mit dem ganzen Thiere zusammen, welches auch isolirt einen grossen Conductor darstellt, so erstrecken sich unipolare Wirkungen auch auf das zwischen Electroden und Erfolgsorgan liegende St\u00fcck des Nerven, w\u00e4hrend beabsichtigt wird, dies Nervenst\u00fcck nur durch nerv\u00f6se Fortpflanzung zu erregen, ja sogar auf entfernte erregbare Organe des Thieres.\nErkennbar sind solche Wirkungen daran, dass sie durch Unterbindung des Nerven zwichen Electroden und Erfolgsorgan nicht beseitigt werden, dass sie ferner verst\u00e4rkt werden, wenn von letzterem oder von der entfernteren Electrode zur Erde abgeleitet wird, w\u00e4hrend umgekehrt Ableitung von der n\u00e4heren Electrode zur Erde oder zu einem gr\u00f6sseren metallischen Leiter sie aufhebt (s. oben). Dies letztere Mittel kann auch zweckm\u00e4ssig pr\u00e4ventiv angewandt werden1 (zur Erde leitet man am besten ab durch Verbindung der n\u00e4heren Electrode mit der Gas- oder Wasserleitung). Sehr starke Inductionsstr\u00f6me muss man \u00fcberhaupt vermeiden.\n1 Vgl. Engelmann & Place, Onderzoek. physiol, labor. Utrecht (2) I. p. 277. 1868; Zahn, a. a. 0.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nFerner darf der Inductionskreis nie bei spielendem Hammer vollkommen offen sein (was auch der Isolation der Spirale gef\u00e4hrlich w\u00e4re); sollen\nalso seine Str\u00f6me vom Nerven noch fern gehalten werden, so isL dies nicht durch Oeffnung der Leitung, sondern durch eine sehr gute Nebenschliessung zum Nerven zu bewerkstelligen, am besten durch den bekannten Vorreibeschl\u00fcssel von du Bois-Rey-mond. 1 Fig. 11 stellt das richtige Arrangement eines Nervenreizversuchs am lebenden Thier dar; die Unterbindung bei u dient zur Controlle am Schluss des Versuchs. Bei Reizversuchen an einzelnen Muskeln gen\u00fcgt im Allgemeinen gute Isolation der ganzen Vorrichtung.\nFig. 11. Reizversuch. am Thiere mit Sicherung vor unipolaren Wirkungen. T du Bois-Reymond's Schl\u00fcssel zum Tetanisiren. W der WAGNER\u2019sehe Hammer.\nII. Thermische Ein Wirkungen\nUeber das W\u00e4rmeleitungsverm\u00f6gen des Nerven, welches wahrscheinlich in beiden Hauptrichtungen zur Faserung verschieden ist, sowie \u00fcber die specifisclie W\u00e4rme des Nerven ist bisher nichts ermittelt.\nDer bedeutende Einfluss der Temperatur auf Nerven ist zuerst durch die Entdeckung von Helmholtz bekannt geworden, dass K\u00e4lte die Leitungsgeschwindigkeit des Froschnerven ungemein erniedrigt (s. oben S. 23); sie zeigte zugleich, dass der Froschnerv bei nahezu 0\u00b0 seine Haupteigenschaften noch im Wesentlichen beibeh\u00e4lt, und dass Wiedererw\u00e4rmung auch die Geschwindigkeit der Nervenleitung wieder erh\u00f6ht.\nDie erste Beobachtung \u00fcber den erregenden Einfluss der Temperaturen 1 2 3 auf Froschnerven hat Valentin 3 gemacht. Er fand, dass beim Eintauchen motorischer Nerven in Wasser von 38\u00b0 C. Zuckung auftritt, ohne dass die betreffende Nervenstelle get\u00f6dtet wird. Eck-haed 4 bestreitet dies ; er sah Zuckungen nur bei Temperaturen \u00fcber 53\u201455\u00b0 R. (c. 66\u201468\u00b0 C.) und unter \u2014 3\u20145\u00b0 R. (c. 4\u20146\u00b0 C.)\n1\tdu Bois-Reymond, Abhandl. d. Berliner Acad. Phys. CI. 1862. S. 102. (Ges. Abh. I. S. 171.)\n2\tDie Erregung durch Gefrieren sowie durch Ber\u00fchrung mit gl\u00fchenden Dr\u00e4hten kann nicht zu den thermischen Einwirkungen gerechnet wrerden, weil hier the\u00fcs mechanische, theils chemische Einwirkungen stattfinden.\n3\tValentin. Lehrb. d. Physiol, d. Menschen. 2.Aufl. II. 1. S.69. Braunschweig\n1847.\n4 Eckhard, Ztschr. f. rat. Med. (1) X. S. 165. 1851.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Massregeln gegen unipolare Wirkungen. Wirkungen der Temperatur. 91\neintreten, und behauptet, dass nur t\u00f6dtliche oder wenigstens bleibend sch\u00e4digende Temperaturen zur Erregung bef\u00e4higt seien; keinenfalls reagire der Nerv auf Schwankungen der Temperatur, etwa wie auf Stromesschwankungen; kleinere Temperaturver\u00e4nderungen wirken nach ihm erregend, wenn sie t\u00f6dtliche Temperatur herstellen, w\u00e4hrend viel gr\u00f6ssere, die aber nicht die gleiche absolute H\u00f6he erreichen, erfolglos sind.1 L\u00e4ngere Nervenstrecken machen bei gleicher Temperatur st\u00e4rkere Zuckungen, vielleicht weil die einzelnen Puncte zu ungleichen Zeiten erregt werden, also Superpositionen stattfinden. Ohne Erregung gefrorene Nerven fand Eckhard nach dem Aufthauen wieder erregbar. Dagegen behauptete Pickford 2 3, dass, w\u00e4hrend im Allgemeinen die Erregbarkeit des Nerven innerhalb gewisser Grenzen mit der Temperatur steigt und f\u00e4llt, Erregung nur durch pl\u00f6tzliche Temperaturschwankungen, und zwar sowohl durch positive als durch negative, zu Stande kommt.\"\nDie umfangreichen und verwickelten Untersuchungen von Harless4 brachten wenig Aufkl\u00e4rung, weil sie, nach der Art dieses Forschers, zu tief in die Mechanik des Nerven eindringen wollten, ehe die gr\u00f6beren Thatsachen sichergestellt waren. Das angewandte Verfahren (der Nerv befand sich in feuchter Luft, welcher die gew\u00fcnschte Temperatur ertheilt wurde) war zu ausgiebigen und raschen Einwirkungen wenig geeignet. Ausser complicirten Einfl\u00fcssen auf die Erregbarkeit, beobachtete Harless auch Erregungen, und zwar nur bei sehr hohen, t\u00f6dtlichen Temperaturen, welche indess bei sehr pl\u00f6tzlicher Einwirkung nicht erregen. Harless bem\u00fchte sich, die Wirkungen der Temperatur auf Ver\u00e4nderungen des Aggregatzustandes zur\u00fcckzuf\u00fchren, zu deren Feststellung er m\u00fchsame, aber doch unzureichende Versuche anstellte.\nEinen wesentlichen Fortschritt brachten die Versuche von Rosenthal5 und von Rosenthal & Afanasieff.6 Diese Versuche, welche durch Besp\u00fclen des Nerven mit reinem temperirten Oel angestellt wurden, ergaben, dass Erw\u00e4rmung des Nerven von mittlerer Temperatur aus im Allgemeinen die Erregbarkeit nach anf\u00e4nglicher Steigerung herabsetzt, also das Absterben beschleunigt. Geht die Erw\u00e4rmung \u00fcber 35\u00b0 C., so tritt h\u00e4ufig Erregung statt gesteigerter Erregbarkeit auf; das Stadium gesteigerter Erregbarkeit ist um so\n1\tEckhard behandelt auch die Erregung der Hautnerven durch W\u00e4rme, welche aber, da es sich um Einfl\u00fcsse auf specifische Endapparate handelt, nicht hierher geh\u00f6rt.\n2\tPickford, Ztschr. f. rat. Med. (2) I. S. 335. 1851.\n3\tDie Versuche von Heinzmann (Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 222. 1872). nach welchen sehr allm\u00e4hliche Erw\u00e4rmung der Fr\u00f6sche keine Reaction macht, geh\u00f6ren nicht hierher, da sie peripherische Endapparate betreffen.\n4\tHarless, Ztschr. f. rat. Med. (3) VIII. S. 122. 1859.\n5\tRosenthal. Allg. med. Centralztg. 1859. Nr. 96.\n6\tAfanasieff, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1865. S. 691.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92 Hermann. Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nfl\u00fcchtiger je h\u00f6her die Temperatur ist; \u00fcber 50\u00b0 ist es nicht mehr nachweisbar, und bei 65\u00b0 stirbt der Nerv fast augenblicklich ab. Hat die Temperatur 50\u00b0 noch nicht \u00fcberschritten und nicht zu lange eingewirkt, so kann die Unerregbarkeit durch Abk\u00fchlung wieder aufgehoben werden (Aehnliches hatte schon Pickford, a. a. O. S. 113, beobachtet); \u00fcber 50\u00b0 gelingt dies nicht mehr sicher, jedenfalls nur nach sehr kurzer Einwirkung. Abk\u00fchlung unter 15\u00b0 vermindert zwar die Erregbarkeit, conservirt sie aber desto l\u00e4nger; pl\u00f6tzliche Abk\u00fchlung von 20 auf weniger als 10\u00b0 bringt anfangs Steigerung der Erregbarkeit hervor. Temperaturen unter \u2014 40 wirken erregend und sch\u00e4digen die Erregbarkeit bedeutend. Das wichtigste Resultat dieser Untersuchung, welches ich selbst vielfach best\u00e4tigt habe, ist, dass gewisse hohe Temperaturen die Erregbarkeit (und wie ich hinzuf\u00fcgen kann die Leitungsf\u00e4higkeit) vollkommen aufheben k\u00f6nnen, ohne den Nerven definitiv zu t\u00f6dten. Im Wesentlichen stimmen auch die Resultate von Schelske 1 mit den Angaben Afanasieff\u2019s \u00fcberein. Auch Wundt\u2019s 2 verwickelte Beobachtungen laufen darauf hinaus, dass die W\u00e4rme die Kr\u00e4fte des Nerven zu rascherer, die K\u00e4lte zu langsamerer Ausgabe bringt.\nGr\u00fctzner 3 hat neuerdings die Versuche Afanasieff\u2019s, zum Theil nach anderer Methode, wiederholt; die Nerven lagen einem kleinen d\u00fcnnwandigen Messinggef\u00e4ss an, durch dessen Lichtung temperirtes Wasser str\u00f6mte. Er behauptet, dass motorische Nerven weder beim Frosch noch beim Warmbl\u00fcter durch Temperaturen \u00fcber 40\u00b0, bis zur t\u00f6dtlichen, erregt werden. Sensible Nerven dagegen l\u00f6sen heftige Reflexe aus. Auch die secretorischen und gef\u00e4sserweiternden Nerven, mit Ausnahme derjenigen der Hautgef\u00e4sse, reagiren nicht. Da eine verschiedene Natur der Fasergattungen nicht wohl angenommen werden kann, ist Gr\u00fctzner geneigt, auch den'motorischen Fasern Erregung durch gewisse Temperaturen zuzuschreiben, aber eine solche, auf welche nur ganz bestimmte Endorgane zu antworten verm\u00f6gen (vgl. auch S. 57 f.). Ueber die Einwirkung der K\u00e4lte auf Warmbl\u00fcternerven existiren Versuche von Richardson1 2 3 4, der am lebenden Kaninchen Nerven durch pulverisirten Aether oder Rhi-golen zum Gefrieren brachte ; dass dabei heftige Erregung und dann Leitungsunf\u00e4higkeit eintritt (an motorischen Nerven beobachtet), war\n1\tSchelske. Ueber die Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit durch die W\u00e4rme. Habil.-Sehr. Heidelberg 1860.\n2\tWundt, Untersuchungen zur Mechanik der Nerven etc. I. S. 208. Erlangen\n1871.\n3\tGr\u00fctzner (mit Kamm und Plotke), Arch. f. d. ges. Physiol. XVII. S. 215.1878.\n4\tRichardson. Med. Times and Gaz. 1867. I. p. 489, 517, 545; II. p. 57.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Erregbarkeits\u00e4ndernde und erregende Wirkungen der Temperatur.\n93\nzu erwarten und geh\u00f6rt kaum in das Capitel der thermischen Einfl\u00fcsse; bemerkenswerther ist, dass der Nerv nach dem Wiederauf-thauen seine Leitungsf\u00e4higkeit sogleich wiedergewinnt.\nAm Menschen sind Versuche Uber die Einwirkung der Temperatur auf Nerven begreiflicherweise mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Die in der Sinnesphysiologie zu erw\u00e4hnenden Empfindungen und Empfindlichkeits\u00e4nderungen der Haut unter der Einwirkung von K\u00e4lte und W\u00e4rme geh\u00f6ren nicht hierher. Dagegen hat E. H. Weber 1 2 bei Gelegenheit seiner ber\u00fchmten Versuche, welche nachwiesen, dass W\u00e4rme und K\u00e4lte, auf Nervenst\u00e4mme applicirt, keine Temperaturempfindungen veranlassen, einige hierher geh\u00f6rige Beobachtungen gemacht. Er fand, dass Eintauchen des Ellbogens in eiskaltes Wasser Schmerz und dann Unempfindlichkeit (\u201eEinschlafen\u201c) im peripherischen Verbreitungsbezirk des Nervus ulnaris hervorruft, sobald die K\u00e4lte bi\u00bb zu diesem oberfl\u00e4chlich gelegenen Nerven eingedrungen ist (16 Sec. nach dem Eintauchen). Sensible Nerven des Menschen werden also durch eine nahe an 0 0 liegende Temperatur zuerst erregt und dann leitungsunf\u00e4hig. Welches diese Temperatur ist, lehrt der Versuch nicht; sicher liegt sie \u00fcber 0\u00b0, da unm\u00f6glich der Nerv in 16 Secunden die Temperatur des die Haut besp\u00fclenden Wassers angenommen haben kann. Injection von 7,5\u00b0 warmem Wasser in den Mastdarm hatte, obgleich es auf die Lenden- und Kreuznerven ziemlich direct einwirken muss, keine Schmerzempfindungen und keine An\u00e4sthesie in deren Verbreitungsbezirk zur Folge. M. Rosenthal 2 hat den WEBE\u00df\u2019schen Ellbogenversuch etwas modifient wiederholt, und behauptet auch in den motorischen Nerven zuerst erh\u00f6hte und dann herabgesetzte Erregbarkeit beobachtet zu haben; es wird aus dem mir zug\u00e4nglichen Referate nicht klar, was hier unter erh\u00f6hter Erregbarkeit verstanden ist.\nEin Ueberblick lehrt, dass der Einfluss der Temperatur auf die Erregbarkeit gut bekannt ist, dagegen die Erregungen durch Temperaturen (welche nicht zugleich t\u00f6dten) noch nicht \u00fcber allen Zweifel feststehen ; m\u00f6glicherweise beruhen dieselben zum Tlieil nur auf Erh\u00f6hung der Erregbarkeit, welche sonst latente Reize wirksam macht, zum Theil auf der Entwicklung besonderer Reize, wie Wasserverlust u. dgl. Wenn es erregende Temperaturen giebt, so wirken dieselben durch ihr Bestehen, resp. dadurch bedingte Processe im Ner-\n1\tE. H. Weber. Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 496, 578. 1846; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1S47. S. 342 ; 1849. S. 273.\n2\tM Rosenthal. Wiener Med.-Halle 1864. Nr. 1\u20144. (Referat im Centralbl. f. d. med.Wiss. 1864. S. 20U.)","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94 Hermann, \u00c0llg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nyen, nicht durch ihr Entstehen oder Schwinden, d. h. durch eine Schwankung. Der Einfluss der Temperatur auf den Verlauf des Er-regungspracesses an einer Nervenstelle wird im 4. Capitel er\u00f6rtert. Ueber den Einfluss der Temperatur auf das Leitungsverm\u00f6gen ist ausser der Eingangs erw\u00e4hnten Beobachtung von Helmholtz noch nichts bekannt. Eine wichtige Frage, die noch der Bearbeitung harrt, ist die, ob die Erregung beim Durchgang durch eine erw\u00e4rmte Nervenstelle, deren Erregbarkeit somit erh\u00f6ht ist, ihre Gr\u00f6sse in positivem Sinne \u00e4ndern kann; letzteres w\u00e4re von grosser theoretischer Wichtigkeit. Die oben erw\u00e4hnte Angabe von M. Bosenthal, nach welcher in der K\u00e4lte die Zuckungserfolge zuzunehmen scheinen, k\u00f6nnte in diesem Sinne gedeutet werden, ist aber zu so wichtigen Folgerungen anscheinend unzureichend.\nIII. Mechanische Einwirkungen.\nDie mechanischen Eigenschaften des ruhenden Nerven sind von verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig geringem physiologischen Interesse.1 Wertheim2 fand f\u00fcr die Nerven menschlicher Leichen \u00e4hnliche Elastici-t\u00e4tsgesetze wie f\u00fcr die Muskeln (vgl. Bd. I. S. 7), jedoch ist ihre absolute Dehnbarkeit geringer und die Coh\u00e4sion gr\u00f6sser, d. h. gr\u00f6ssere Gewichte f\u00fcr die Querschnittseinheit zur Zerreissung erforderlich; ein \u00e4hnliches Resultat erhielt Valentin.3 Harless4 hat an Froschnerven auch elastische Nachwirkung beobachtet.\nEinige Zahlen dieser Untersuchungen sind folgende:\nIndivid.\tAlter\tObject\t> O \u00a9 m\tDehnungsgleiclmng\t\tO o\tBeobachter\nFrau\t21 J.\tI Ischiadicus\t1,030\ti/2=9S90x2+ 36,56*\t10,053\t0.900\tWertheim\nMann\t40 \u201e\tTibial, post.\t1,041\t<y2==i426,2.r2+149,28^\t26,427\t1,300\t\u00bb\nFrau\t60 \u201e\tIschiadicus\t1,028\t2/2=5417,5x2-{- 7 55,4^\t13,517\t0,800\t\u00bb\nMann\t74 \u201e\t\t1,014\tj/2=5032a:2-{-936,8x\t14,004\t0,590\tValentin\nFrau\t41 \u201e\tHautnerv\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0,807\t\nHund\t41 \u201e\t55\t\u2014\t\u2014\t\t1,271\tW ERTHEIM\neben get\u00f6dtet ders., 5 Tage\t\u2014\t| Vagus\t1,016\t\u2014\t17,768\t0,732\t\nsp\u00e4ter Frosch\t\t\t\t1,024\t\u2014\t26,453\t1,461\tHarless\n\t\u2014\tIIschiadicus\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t0.165\t\nt Aeltere Angaben \u00fcber die Elasticit\u00e4t der Nerven s. bei Haller, Elementa physiologiae IV. p. 193.\n2\tWertheim. Ann. d. cbim. et pbys. (3) XXI. p. 385. 1847.\n3\tValentin, Lehrb. d. Physiol. d. Menschen. 2. Aufl. I. S. 791. Braunschweig\n1\t4 Harless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 542. 1858; Ztschr. f. rat. Med. (3)\nVIII. S. 158. 1859.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Mech. Eigensch. des Nerven. Elasticit\u00e4t. Fontana\u2019s B\u00e4nderung. Mech. Reizung. 95\nMuskelnerven lassen sich ziemlich leicht aus ihren Muskeln herausziehen. Harless1, welcher diese Operation genauer studirt hat, giebt an, dass die Nervenscheiden nahe an der Stelle, an welcher gezogen wird; reissen und die nackten Fasern sich aus dem peripherischen Rest der Scheiden herausziehen; indem der Inhalt erst an intramuscul\u00e4ren Stellen zerreisst; das Herausziehen ist mit heftigen Muskelcontractionen verbunden.\nFontana2 hat zuerst auf die zierliche Querb\u00e4nderung aufmerksam gemacht, 'welche die Nerven vieler Tbiere in ungespanntem Zustande zeigen und welche eine spiralige Structur der H\u00fclle vort\u00e4usclien kann; er fand den Grund in einer welligen Anordnung der Nervenfasern; durch welche die Oberfl\u00e4che leichte Inflexionen annimmt und dadurch Ungleichheiten des Lichtreflexes hervorbringt (a. a. O. S. 367).\nZahllose Erfahrungen an Thieren und Menschen haben gelehrt; dass jeder gr\u00f6bere mechanische Eingriff den Nerven erregt, bei motorischen Nerven Zuckung, bei sensiblen Schmerz verursacht. Es scheint dass auch hier eine gewisse Pl\u00f6tzlichkeit der Einwirkung Bedingung der Erregung ist. W\u00e4hrend jede Durchschneidung3 4 5 6, Quetschung, Zerrung, Ersch\u00fctterung durch Schlag, erregend wirkt, macht eine sehr allm\u00e4hlich gesteigerte Compression die betroffene Nervenstelle zwar f\u00fcr die Erregung undurchg\u00e4ngig, erregt aber nicht, wie Fontana 4 zuerst experimentell feststellte ; das Gleiche beweisen auch die durch Geschw\u00fclste u. dgl. bedingten L\u00e4hmungen motorischer Nerven, denen keine Zuckungen in den zugeh\u00f6rigen Muskeln vorausgehen. Andrerseits ist ein relativ unbedeutender Schlag, welcher die Leitungsf\u00e4higkeit des Nerven kaum sch\u00e4digt, zur Erregung ausreichend. Die mechanische Reizung wird experimentell nicht selten statt der electrischen angewandt, weil sie den Vorzug hat, alle Fehlerquellen der letzteren, wie Stromesschleifen und unipolare Wirkungen, auszuschliessen. du Bois-Reymond 5 bediente sich zum Te-tanisiren auf mechanischem Wege eines kleinen gezahnten R\u00e4dchens, welches \u00fcber den auf Kork liegenden Nerven von oben nach unten mit dem n\u00f6thigen Druck abgew\u00e4lzt wird. Heidenhain 13 hat einen Apparat zum H\u00e4mmern des Nerven construirt, den er \u201emechanischen Tetanomotor\u201c nennt, und der den Vortheil hat, dass eine einzelne\n1\tHarless, Abhandl. cl. bayr. Acad. VIII. S. 538. 1858. Der Versuch gelingt nach Harless im Sommer leichter als im Winter.\n2\tFontana, Abhandl. \u00fcber das Viperngift. Uebersetzung. S. 362. Berlin 1787.\n3\tDoch gelang es Fontana (a. a. 0.) zuweilen, den Nerven mit sehr scharfem Messer rasch zu durchschneiden, ohne dass Zuckung erfolgte.\n4\tFontana, Beobachtungen und Versuche'\u00fcber die Natur der thierischen K\u00f6rper. Uebersetzung von Hebenstreit. S. 141. Leipzig 1785.\n5\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen IL 1. S. 517. 1849.\n6\tHeidenhain , Physiologische Studien S. 129. Berlin 1856; eine handlichere Modification des Apparats f\u00fcr Vivisectionen s. bei Heidenhain, Molesch. Unters. IV. S. 124. 1858; das Instrument wird mit der Hand gedreht, ein Zahnrad setzt das H\u00e4mmerchen in Bewegung.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nNervenstelle l\u00e4ngere Zeit tetanisirt, und nach der Ersch\u00f6pfung derselben eine peripherischer gelegene unter das H\u00e4mmerchen gebracht werden kann, w\u00e4hrend das \u00e4ltere Verfahren den Nerven sofort in ganzer L\u00e4nge zerst\u00f6rte. Das Instrument besteht aus einem Wagner -sehen Hammer, dessen Hebel mittels der HALSKE\u2019schen Feder in langsamere Schwingungen versetzt wird; der Hebel ist \u00fcber den Anker hinaus verl\u00e4ngert und tr\u00e4gt am Ende ein H\u00e4mmerchen von Elfenbein, welches in einen passend ausgeschnittenen Elfenbeinamboss hineinpasst. Der Amboss, in welchem der Nerv mit der zu reizenden Stelle liegt, wird mittels einer Schraube in die erforderliche H\u00f6he gestellt, und zur Verschiebung des Nerven dient eine kleine Zugvorrichtung, Das Spiel des Apparates lehrt auf das Ueberzeu-gendste, dass zur mechanischen Erregung keineswegs ein bis zur Vernichtung gehender mechanischer Eingriff erforderlich ist.\nDie Erregbarkeit und Leitungsf\u00e4higkeit des Nerven wird durch grobe mechanische Eingriffe aufgehoben, soweit die direct betroffene Nervenstelle in Betracht kommt; hierauf beruht die bekannte Wirkung der Unterbindung, sowie der Compression durch Geschw\u00fclste. Massigere mechanische L\u00e4sionen vermindern die Erregbarkeit, und beeintr\u00e4chtigen die Leitung in Bezug auf Erhaltung der Erregungsgr\u00f6sse und wahrscheinlich auch auf Geschwindigkeit.. Nach Harless1, Haber2, Cornet & Banke3 und Schleich4 5 wird durch massigen Druck und m\u00e4ssige Dehnung die Erregbarkeit wenigstens vor\u00fcbergehend gesteigert, was Gr\u00fcnhagen 0 f\u00fcr Druck nicht best\u00e4tigt fand. Wundt6 sah schwache mechanische Reize, welche zur Hervorrufung einer Zuckung nicht ausreichen, die Erregbarkeit f\u00fcr unmittelbar folgende ausreichende Reize steigern.\nIV. Chemische Einwirkungen.\nUeber die chemische Zusammensetzung der Nerven s. den V. Band dieses Handbuchs.\nTrotz der ausserordentlichen Empfindlichkeit der functionirenden Bestandtheile des Nerven gegen \u00e4ussere Eingriffe sind die Einwirkungen chemischer Agentien, im Vergleich zu den entsprechenden Reactionen des Muskels (vgl. Band I. S. 102 ff.) verk\u00e4ltnissm\u00e4ssig ge-\n1\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 5S1. 1858; Ztscbr. f. rat. Med. (3) IV. S. 181. 1858.'\n2\tHaber, Arcb. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 109.\t<\t.\n3\tY gl. J. Ranke, Die Lebensbedingungen der Nerven S. 122. Leipzig 1868.\n4\tSchleich, Ztsehr. f. Biologie VII. S. 379. 1871.\n5\tGr\u00fcnhagen. Ztschr. f. rat. Med. (3) XXVI. S. 190. 1865.\n6\tWundt,Untersuchungen zur Mechanik der Nerven etc. I. S.198. Erlangenl871.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Mech, Tetanomotor. Mech. Erregbarkeitserh\u00f6hung. Chem. Reize. Vertrocknung. 97\nringf\u00fcgig, ohne Zweifel weil die Nervenh\u00fcllen fremden Fl\u00fcssigkeiten den Eintritt betr\u00e4chtlich erschweren. Obgleich die meisten Agen-tien den Nerven bei anhaltender Einwirkung unerregbar und leitungsunf\u00e4hig machen, wirken nur wenige und nur in concentrirterem Zustande erregend. Schon dieser Umstand deutet darauf hin, dass die chemische Reizung nur durch eine mit gen\u00fcgender Geschwindigkeit vor sich gehende chemische Ver\u00e4nderung des Nerven zu Stande kommt, und diese Geschwindigkeit scheint wegen des Widerstands, den die Nervenh\u00fcllen diffusorischem Eindringen entgegensetzen, nur in wenigen F\u00e4llen zu Stande zu kommen. Die ersten umfassenderen Beobachtungen \u00fcber chemische Reizung und T\u00f6dtung der Nerven scheint A. v. Humboldt 1 angestellt zu haben. Ersch\u00f6pfendere Untersuchungen verdankt man namentlich Eckhard1 2, K\u00f6lliker3 und K\u00fchne 4.\n\u2022\t1. Ver\u00e4nderungen des Wassergehalts.\nVertrocknung der Nerven, welche dieselben zugleich steif und unbiegsam macht, vernichtet unter heftigen Zuckungen des Muskels die Erregbarkeit und Leitungsf\u00e4higkeit; alle Nervenpr\u00e4parate m\u00fcssen deshalb entweder in thierische Theile eingebettet, oder in mit Wasserdampf ges\u00e4ttigter Luft gehalten werden.5 Die Zuckungen treten anfangs vereinzelt in unregelm\u00e4ssigen Zwischenr\u00e4umen auf, h\u00e4ufen sich dann und gehen in Tetanus \u00fcber. Es unterliegt kaum einem Zweifel dass dieser Verlauf nicht den Wirkungen einer einzelnen Nervenstelle, sondern dem Zusammenwirken der verschiedenen Theile der vertrocknenden Nervenstrecke zuzuschreiben ist, welche nicht gleichzeitig im gleichen Stadium des Wasserverlustes sich befinden. Unter diesen Umst\u00e4nden m\u00fcsste es f\u00fcr die Dauer der Erregungserscheinungen g\u00fcnstiger sein, wenn die Vertrocknung von oben nach unten vorr\u00fcckt, als wenn sie den entgegengesetzten Verlauf nimmt. Je l\u00e4nger die vertrocknende Strecke, um so heftiger sind nach Harless6 die Kr\u00e4mpfe. Bei sehr rascher Vertrocknung tritt nach Harless keine Erregung auf; jedoch k\u00f6nnte hier leicht der Umstand im Spiel gewesen sein, dass l\u00e4nger anhaltende Muskelcontractionen einen pro-trahirten Verlauf der Vertrocknung in der Nervenstrecke voraus-\n1\tA. y. Humboldt, Versuche \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser II. S. 171 ff. Posen und Berlin 1797.\n2\tEckhard, Ztschr. f. rat. Med. (2) I. S. 303. 1851.\n3\tK\u00f6lliker, W\u00fcrzburger Verhandl. VII. S. 145. 1856; Ztschr. f. wiss. Zoologie IX. S. 417. 1858.\n4\tK\u00fchne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 213; 1860. S. 315.\n5\tUeber die erste Anwendung dieses Schutzmittels vgl. Bd. I. S. 19 L.\n6\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 367. 1858, S. 721. 1860; Ztschr. f. rat. Med. (3) VII. S. 219. 1859.\nHandbuch der Physiologie. Bd. H.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nsetzen, damit immer neue Elemente, die vom Muskel noch nicht functionell getrennt sind, zur Wirkung gelangen k\u00f6nnen. Ein gewisser Grad der Eintrocknung, der zur Erregung noch nicht hinreicht, erh\u00f6ht die Erregbarkeit, wie namentlich Harless und Birk-ner 1 beobachteten und Jeder bei zahlreichen Reizversuchen gelegentlich best\u00e4tigen kann, sehr betr\u00e4chtlich, ja Harless (a. a. 0.) wollte sogar der Vertrocknung gar keine erregende Wirkung, sondern nur eine so betr\u00e4chtliche Erregbarkeitserh\u00f6hung zuschreiben, dass geringf\u00fcgige, sonst unmerkliche Umst\u00e4nde reizend wirken.'1 2 3 Nach Birkner betr\u00e4gt der zum Auftreten der Erregung erforderliche Wasserverlust des Nerven etwa 4\u20148 \u00b0,o des Nervengewichts (\u00fcber den normalen Wassergehalt s. Band V.) ; dagegen schwindet die Erregbarkeit erst bei einem Verlust von nahezu 40% (nach J. Ranke schon bei einem solchen von 8\u201419%). Birkner glaubt auch die Convulsionen bei Cholera und bei durch grosse Schweissverluste und Diarrh\u00f6en wasserarm gemachten Thieren auf den Wasserverlust der Nerven beziehen zu k\u00f6nnen, hat aber nicht einmal den naheliegenden Versuch angestellt, ob auch Muskeln an den Kr\u00e4mpfen theilnehmen, deren Nerven vom Centralorgan getrennt sind ; die Kr\u00e4mpfe waren ohne Zweifel in dem mitgetheilten Ueberhitzungsversuche centraler Natur.\nNach Beendigung der Erregung kann der durch Eintrocknung unerregbar gewordene Nerv durch Befeuchtung nach K\u00f6lliker 3 seine Erregbarkeit wiedergewinnen. Die Erregung bei der Vertrocknung beruht also nicht auf definitiver T\u00f6dtung. Schon die bekannte That-sache, dass manche Organismen nach vollst\u00e4ndiger Vertrocknung durch Befeuchtung wieder aufleben, spricht im gleichen Sinne. Wie lange ein vertrockneter Nerv seine Wiederbelebungsf\u00e4higkeit beh\u00e4lt, ist unbekannt und wohl auch durch Zuckungsversuche kaum zu entscheiden. Galvanische Versuche w\u00fcrden dar\u00fcber Aufschluss geben k\u00f6nnen.\n, Die Einwirkung der L\u00f6sungen wasseranziehender Substanzen, wie Harnstoff, Salze, wird gew\u00f6hnlich ebenfalls auf Wasserentziehung bezogen und der Vertrocknung an die Seite gestellt. Wir werden sie weiter unten besprechen.\n1\tBirkner, Das Wasser der Nerven in physiologischer und pathologischer Beziehung. Augsburg 1858. Auch unter dem Titel : Ueber den Werth des Wassers in der Nervensubstanz. Dissert. Augsburg 1859.\n2\tHarless kommt schliesslich auf den seltsamen Gedanken, die Erregung aus \u201eErsch\u00fctterung der wirksamen Nervenelemente durch die bei dem Vertrocknen entweichenden Wassertheile\u201c zu erkl\u00e4ren.\n3\tK\u00f6lliker, a. a. 0.; vgl. auch Ordenstein, Ztschr. f. rat. Med. (3) II. S. 109. 1857; Gubowitsch, Ztschr. f. Biologie XIII. S. 118. 1877; letzterer studirte die Vertrocknung und nachfolgende Degeneration des Nerven am lebenden Frosch.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss der Vertrocknung und Quellung. Indifferente Fl\u00fcssigkeiten. 99\nSchiff 1 hatte die Ansicht ausgesprochen, dass der Nerv nicht durch den Zustand verminderten Wassergehalts, sondern durch die Verminderung.selbst erregt wird, und zwar um so st\u00e4rker, je schneller letztere erfolgt; gegen diese Ansicht, welche dem electrischen Erregungsgesetz sich anzuschliessen sucht, w\u00fcrde indess die eben erw\u00e4hnte Wirkungslosigkeit sehr schneller Vertrocknung sprechen, falls sie einwandfrei dargestellt werden kann.\nDie Quellung des Nerven, in Wasser1 2 oder h\u00f6chst verd\u00fcnnten Salzl\u00f6sungen, setzt die Erregbarkeit langsam bis zur Vernichtung herab, wie K\u00f6lliker und Birkner beobachteten (letzterer fand, dass der Wassergehalt der Froschnerven durch Quellung von 76,3 auf 93,2, derjenige menschlicher Nerven von 67,9 auf 79,2 % zunehmen kann; J. Ranke giebt f\u00fcr Froschnerven die Zahlen 75 und 91%; die Erregbarkeit schwindet nach ihm bei einem Gehalt von 85\u201489%). Erregend wi;*kt das destillirte Wasser nicht, was gegen\u00fcber dem Verhalten des Muskels bemerkenswert!! ist. Nach Ranke3 geht auch bei der Quellung dem Absterben eine Erh\u00f6hung der Erregbarkeit voran.\nIndifferente Fl\u00fcssigkeiten, d. h. solche, in welchen der Nerv lange Zeit ohne Sch\u00e4digung verweilen kann, m\u00fcssen also, \u00e4hnlich wie f\u00fcr den Muskel, vor Allem von der Art sein, dass der Nerv in ihnen weder merklich Wasser verliert, noch merklich Wasser anzieht. K\u00f6lliker fand als solche die seitdem allgemein benutzte 12 procentige Kochsalzl\u00f6sung (Harless giebt als indifferente Fl\u00fcssigkeit eine Kochsalzl\u00f6sung von 1002,54 spec. Gew. an), oder eine 1-bis 3 procentige Glaubersalz- oder Natriumphosphatl\u00f6sung. Harless stellte auch aus Gummi und Zucker indifferente L\u00f6sungen her, und dass die den Nerven im Organismus umgebenden und durchtr\u00e4nkenden Fl\u00fcssigkeiten die vollkommensten in dieser Hinsicht sind, bedarf kaum der Erw\u00e4hnung.\nNat\u00fcrlich sind auch solche Fl\u00fcssigkeiten indifferent, welche mit dem Nerven weder in difiusorische noch in chemische Wechselwirkung treten k\u00f6nnen, wie reines Oel, Quecksilber. Aetherische Oele und Schwefelkohlenstoff vernichten nach Eckhard den Nerven in 8\u201410 Minuten (s. unten). Eckhard hatte \u00fcbrigens, wie schon vor ihm Valentin, das destillirte Wasser zu den f\u00fcr den Nerven indifferenten Substanzen gez\u00e4hlt.\n1\tSchipp, Lehrbuch der Muskel- und Nervenphysiologie S. 101. Lahr 1858\n\u2014 59.\n2\tUeber die Zunahme des Querschnitts und des spec. Leitungswiderstands bei der Quellung hat Harless umst\u00e4ndliche Versuche angestellt; Gelehrte Anzeigen d. bayr. Acad. XLVII. S. 577. 1858; Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 362. 1858; IX. S. 1. 1861.\n3\tJ. Ranke, Die Lebensbedingungen der Nerven S. 48. Leipzig 1868.","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Kerven.\n2. Xeutrale Alkalisalze.\nDie neutralen Salzl\u00f6sungen, von voller S\u00e4ttigung bis zu bedeutenden Verd\u00fcnnungen herab, bewirken Erregung und Absterben des Nerven. Die Erregung beginnt stets erst l\u00e4ngere Zeit nach dem Einlegen und besteht, ganz wie beim Vertrocknen, anfangs in schwachen, vereinzelten, dann in geh\u00e4uften Zuckungen und schliesslich in heftigem Tetanus, der X\u20141 Stunde anhalten kann, wahrscheinlich durch successive Ergreifung peripherischer gelegener Stellen. Am h\u00e4ufigsten untersucht ist die Einwirkung des Kochsalzes; Eckhard fand dasselbe erregend bis zu einer Concentration herab, welche dem Kochsalzgehalte des Blutes nahesteht, w\u00e4hrend K\u00f6lliker 4\u20145\u00b0o als untere Grenze und 20\u201430 % als wirksamste Concentration an-giebt. Das flimmernde Zucken, welches besonders bei der Einwirkung des Salzes von der L\u00e4ngsoberfl\u00e4che des Nerven eintritt b deutet darauf hin, dass das Salz successive zu tieferen Fasern vordringt.-Nach Eckhard kann der Salztetanus durch mehrere Minuten langes Eintauchen in destillirtes Wasser beseitigt und durch Salzl\u00f6sung wieder hervorgerufen, ja dieser Wechsel mehrmals wiederholt werden. Nach Aufh\u00f6ren des Tetanus ist der Nerv nach Eckhard und Ordek-steix unerregbar und todt, w\u00e4hrend er nach K\u00f6lliker und Schiff durch Wasser oder verd\u00fcnnte Salzl\u00f6sungen wieder erregbar gemacht werden kann.:H K\u00f6lliker hat auch umgekehrt Restitution durch Wasser unerregbar gewordener Nerven in Salzl\u00f6sungen beobachtet.\nSsubotix 4 sah den in Salz- (oder Harnstoff-, Zucker-) L\u00f6sungen gelegten Nerven vor Eintritt der Muskelzuckungen erregbarer werden, und in diesem Stadium auf einzelne Schl\u00e4ge mit Tetanus reagiren: diese Eigenschaft, welche an die Wirkung des Veratrins erinnert,\n1\tBeim Eintauchen frischer Querschnitte in chemische Reizmittel ist die Wirkung schneller, heftiger und einheitlicher als vom L\u00e4ngsschnitt aus, vielleicht wegen Reizung durch den Xervenstrom (vgl. Bd. I. S. 106). Aeltere Querschnitte wirken, ohne Zweifel wegen der an ihnen befindlichen abgestorbenen Strecke, nicht st\u00e4rker als der L\u00e4ngsschnitt, die zu erwartende gr\u00f6ssere Gleichm\u00e4ssigkeit in Bezug auf Ergreifung der einzelnen Fasern tritt nicht besonders hervor, vermuthlieh weil die Substanz beim Eintauchen des Nervenendes doch vorzugsweise vom L\u00e4ngsschnitt her wirkt.\n2\tSchon Humboldt (a. a. O. S. 362) hatte beobachtet, dass bei chemischer Reizung des Ischiadicus am Frosche die Contractionen an den Fussmuskeln beginnen und am Beine aufsteigen: Eckhard schliesst hieraus, dass die Nervenfasern f\u00fcr die Fussmuskeln im Nervenstamm oberfl\u00e4chlicher liegen als die f\u00fcr den Oberschenkel (vgl. indess auch Bd. I. S. 112).\n3\tIch erw\u00e4hne hier eine Beobachtung von Vulpian, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1850. p. 391, welcher Froschherzen in 1 procentiger Kochsalzl\u00f6sung Stillstehen und auch auf directe Reize nicht mehr reagiren, in reinem W asser aber alsbald wieder aufleben sah.\n4\tSsubotin, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1866. S. 737 : vgl. auch B\u00fcchner, unten sub 6.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss der neutralen Alkalisalze, der freien Alkalien.\n101\nzeigte sich merkw\u00fcrdigerweise auch an den Nervenstrecken unterhalb der eingetauchten Stelle, und am Muskel selbst. Wir h\u00e4tten hier, wenn diese Beobachtung richtig ist, ein zweites Beispiel von Ver\u00e4nderung des ganzen Nerven durch Einwirkung auf eine einzelne Stelle (vgl. oben S. 23. Anm. 4).\nDie Einwirkung der Salze hat schon Eckhard mit der der Vertrocknung verglichen, der sie in jeder Hinsicht analog ist, und sie durch Wasserentziehung erkl\u00e4rt; besonders best\u00e4rkte ihn in dieser Ansicht die Thatsache, dass das Aufstreuen von gepulverten Salzen auf den Nerven ebenso wirkt wie die Einlegung in die L\u00f6sung. In-dess ist die erregende Wirkung verd\u00fcnnter L\u00f6sungen doch wohl kaum so einfach erkl\u00e4rbar.\n3. Freie Alkalien.\nDass Einlegen des Nerven in Kali- oder Natronlauge oder Carbonatl\u00f6sungen starke Muskelcontractionen hervorbringt, wusste schon Humboldt (a. a. O. S. 360). Nach Eckhard bleibt die erregende Wirkung der caustischen Alkalien bis zu 1,8% herab sicher, und tritt weniger regelm\u00e4ssig noch bis 0,8% auf; K\u00fchne giebt dagegen als untere Grenze 0,1 % an.\nLange Zeit streitig war die Wirkung des Ammoniaks, und noch immer stehen sich zwei Angaben gegen\u00fcber. Humboldt fand dasselbe erregend, Eckhard und ebenso K\u00fchne vermissten jede erregende Wirkung beim Eintauchen des Nerven in starke Ammoniakl\u00f6sung. Dagegen behaupten Funke \\ sowie Wundt & Schelske 2 eine wenn auch schwache erregende Wirkung; letztere sahen dieselbe freilich nur, wenn Ammoniakgas den vertrocknenden Nerven traf. Abeking3 best\u00e4tigte unter v. Bezold\u2019s Leitung die Angabe von Eckhard und K\u00fchne. Harless4 giebt an, dass Ammoniakgas den Nerven augenblicklich t\u00f6dtet, und Erregungszust\u00e4nde die durch Vertrocknen oder S\u00e4ured\u00e4mpfe entstanden sind, sofort beseitigt; K\u00fchne best\u00e4tigt dies; Abeking bestreitet dagegen das rasche Absterben (welches das Ausbleiben der Erregung erkl\u00e4ren k\u00f6nnte). Harless giebt in der sp\u00e4teren der genannten Arbeiten an, dass der T\u00f6dtung Erregungen in den sensiblen, und zuweilen auch in den motorischen\n1\tFunke, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1859. S. 257 ; Arch. f. d. ges. Physiol. IX. S. 417.\n1874.\n2\tWundt & Schelske, Heidelberger Verhandl. S. 245. 1859; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 263.\n3\tAbeking, Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturwiss. II. S. 256. 1865; Num ammonio caustico soluto nervi ranarum motorii irritentur? Bero\u00fcni 1867.\n4\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 580. 1858; Ztschr. f. rat. Med. (3) VIL S. 238. 1859; XII. S. 68. 1861 ; Sitzungsber. d. bayr. Acad. I. 1861. S. 277.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 1. Cap. Die Erregung des Nerven.\nNerven vorausgehen; in den entfernten Nervenstrecken soll in diesem Stadium die Erregbarkeit herabgesetzt, im T\u00f6dtungsstadium dagegen erh\u00f6ht sein (das letztere Hesse sich durch den Einfluss des angelegten caustischen Querschnitts erkl\u00e4ren, s. unten Cap. 3 und 4). J. Ranke (a. a. O. S. 106) behauptet, ohne diese Angaben zu erw\u00e4hnen, dass Ammoniak die Erregbarkeit vor dem vollst\u00e4ndigen Erl\u00f6schen erh\u00f6ht, auch wenn dieselbe durch S\u00e4ured\u00e4mpfe schon vermindert war.\n4. Freie S\u00e4ure?i.\nHumboldt (a. a. 0. S. 351) hatte den S\u00e4uren nur zerst\u00f6rende Wirkung ohne Erregung zugeschrieben. Eckhard fand von den Minerals\u00e4uren die Salpeters\u00e4ure und Salzs\u00e4ure oberhalb 20%, und weniger sicher bis zu 11% herab, stark erregend, die Schwefels\u00e4ure erregt sicher erst \u00fcber 60%, unsicher bis zu 46%, Phosphors\u00e4ure (gew\u00f6hnliche) erregt nicht. Die geringe Wirkung der Schwefels\u00e4ure erkl\u00e4rt Eckhard durch die stattfindende Erw\u00e4rmung. K\u00fchne best\u00e4tigte Eckhard\u2019s Resultate. Chroms\u00e4ure fanden Wundt & Schelske, und nach sp\u00e4terer Mittheilung auch K\u00fchne , bis zu 5 % herab erregend. Von den organischen S\u00e4uren wirken nach den meisten Beobachtern Essigs\u00e4ure, Weins\u00e4ure und Milchs\u00e4ure nur bei gr\u00f6sster Concentration, Oxals\u00e4ure nach K\u00fchne gar nicht erregend, ebensowenig nach allen Untersuchern die Gerbs\u00e4ure, die \u00fcbrigens kaum zu den S\u00e4uren zu z\u00e4hlen ist (vgl. unten sub 6). Die D\u00e4mpfe fl\u00fcchtiger S\u00e4uren wirken meist ohne Erregung t\u00f6dtend, Salpeters\u00e4ured\u00e4mpfe erregen nach Harless. Ranke behauptet, dass Essigs\u00e4ure-d\u00e4mpfe die Erregbarkeit zuerst steigern und dann vernichten. Von der Kohlens\u00e4ure wird im 4. Capitel die Rede sein.\n5. Salze der Schwermetalle.\nEckhard giebt an, dass die Salze der Schwermetalle mit Ausnahme des Silbernitrats den Nerven ohne erregende Wirkung t\u00f6dten, was K\u00fchne in seinen ersten Untersuchungen best\u00e4tigt fand. Auf die zum Theil widersprechenden Angaben von Wundt & Schelske und von Eulenburg & Ehrenhaus 1 folgte dann eine umfassendere Untersuchung von K\u00fchne, welche ergab, dass Kupfer- und Eisen-oxydulsulphat, ferner Quecksilberchlorid, den Nerven nicht erregen, die beiden Bleiacetate nur in eoncentrirtesten L\u00f6sungen, Eisenchlorid\n1 Eulenburg, Allg. med. Centralztg. 1860. Nr. 66.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss der S\u00e4uren, Metallsalze, organische Substanzen.\n103\nbis zu 20\u201430\u00b0/o herab, Zinksulphat bis 20 %* Zinkchlorid bis 3\u20145\u00b0/o, Quecksilberoxydulnitrat bis zu einer wegen der zersetzenden Wirkung des Wassers nicht genau bestimmbaren Verd\u00fcnnung.\n6. Organische Substanzen.\nAus dem grossen Gebiete der organischen Substanzen sind nur wenige in Bezug auf ihr Verhalten zum Nerven untersucht. Von den st\u00e4rkeren organischen S\u00e4uren war schon oben die Rede.\nHarnstoff erregt in st\u00e4rkeren L\u00f6sungen, wie K\u00f6lliker zuerst beobachtete, den Nerven nach Art des Kochsalzes, h\u00f6chstwahrscheinlich durch Wasserentziehung; \u00e4hnliche Wirkungen sahen Eckhard und K\u00f6lliker vom Zucker, und auch die von K\u00fchne zuerst beobachtete Erregung durch concentrirtes Glycerin scheint hierher zu geh\u00f6ren. Die Wirkung des Harnstoffs ist von H. Buchner1 n\u00e4her untersucht worden; sie ist schw\u00e4cher und weniger regelm\u00e4ssig als die des Kochsalzes2, entsprechend der schw\u00e4cher wasserentziehenden Eigenschaft des Harnstoffs, der Harnstofftetanus hinterl\u00e4sst ferner den Nerven nicht abgestorben, sondern sogar mit gesteigerter Erregbarkeit, wie sie auch vor dem Tetanus und w\u00e4hrend desselben besteht.\nAlkohol hatte Fontana ohne erregende Wirkungen auf Nerven gesehen, Humboldt (a. a. O. S. 342) sah zuweilen schwache Zuckungen. Eckhard beobachtete dieselben regelm\u00e4ssig oberhalb 90%, und h\u00e4ufig bis zu 80% herab, und K\u00fchne best\u00e4tigte dies. Aether bewirkt nach Humboldt (a. a. O. S. 350) vor der T\u00f6dtung nur Erh\u00f6hung der Erregbarkeit ; Eckhard und K\u00fchne sahen in seltenen F\u00e4llen Zuckungen, ebenso K\u00fchne vom Chloroform. Nach Bernstein3 wird in Nerven, welche Chloroformd\u00e4mpfen exponirt werden (wobei sie sich mit Chloroformtr\u00f6pfchen bedecken), die Erregbarkeit auf kurze Zeit gesteigert und dann aufgehoben.\nVon den Eiweiss coagulirenden organischen Stoffen wirkt Creo-sot und Car bol s\u00e4ure nach Eckhard und K\u00fchne erregend, Gerbs\u00e4ure dagegen nach allen Beobachtern nur t\u00f6dtend.\nGalle und gallensaure Salze fanden K\u00fchne und Albers4 bei gen\u00fcgender Concentration erregend. Schwefelkohlenstoff, \u00e4therische Oele t\u00f6dten, wie schon oben erw\u00e4hnt, ohne zu er-\n1\tB\u00fcchner, Ztschr. f. Biologie X. S. 373. 1874; XII. S. 129. 1876.\n2\tSie ist deshalb von Richter so gut wie ganz bestritten worden; vgl. Fr. Richter, Ueber die Einwirkung des Harnstoffs auf die motorischen Nerven des Frosches. Dissert. Erlangen 1860 ; Auszug im Arch. f. pathol. Anat. XXL S. 128.\n3\tBernstein, Molesch. Unters. X. S. 280. 1866.\n4\tAlbers, Arch. f. pathol. Anat. XXIII. S. 582. 1862.","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nregen ; bei letzterem soll nach Harless 1 der Ozongebalt eine \u00fcbrigens nicht recht klar angegebene Rolle spielen.\n7. Allgemeines.\nDie vorstehenden Angaben beziehen sich s\u00e4mmtlich auf die motorischen Nerven des Frosches. Eckhard hatte nebenbei gesehen, dass chemische Reize von gemischten St\u00e4mmen oder hinteren Wurzeln aus auch Reflexe ausl\u00f6sen, jedoch mindestens die Erfolge im R\u00fcckenmark nicht gr\u00f6sser sind als die im Muskel. Setschenow1 2 3 hat fast alle chemischen Nervenreize in dieser Hinsicht durchgepr\u00fcft und gefunden, dass Kali, Natron, concentrirte S\u00e4uren und ges\u00e4ttigte Salzl\u00f6sungen zuerst Reflexe ausl\u00f6sen und dann umgekehrt fremde Reflexe deprimiren, w\u00e4hrend Ammoniak, Alkalien unter 10%, S\u00e4uren unter 50 %, organische S\u00e4uren etc. nur die letztere Wirkung haben, endlich die Salze der Schwermetalle, ebenso Zucker, ganz ohne Wirkung auf das R\u00fcckenmark sind. Setschenow deutet die deprimi-rende Wirkung als Erregung besonderer, im Nerven enthaltener re-flexdeprimirender Fasern, so dass also die centripetalen Nerven, welcher Gattung sie auch seien, durch die gleichen chemischen Einwirkungen wie die centrifugalen erregt werden. Gr\u00fctzner 3 sah mit Alexander an den centripetalen Nerven der Fr\u00f6sche und S\u00e4uge-thiere verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig unbedeutende Wirkung chemischer Reizung, also grade das Umgekehrte von dem, was er bei electrischer und thermischer beobachtet hatte (s. oben S. 57 und 92). Anstatt aber dies, wie Setschenow, durch \u00fcberwiegende Wirkung mitgereizter Hemmungsfasern zu erkl\u00e4ren, nimmt er an, dass die Ursache in der wegfallenden Summation -der Erregungen liege, welche eine Faser nach der andern, aber nicht die gleiche l\u00e4ngere Zeit hintereinander ergreifen. Indess ist dies wohl nicht richtig, wie der kr\u00e4ftige Tetanus des Muskels bei chemischer Reizung erweist. Genug dass keine That-sache bisher ein verschiedenes Verhalten der Nervenfasern selbst gegen\u00fcber irgendeinem Reize anzunehmen zwingt; die \u00fcbrigen hier auftretenden Fragen geh\u00f6ren in die Physiologie der Centralorgane, und auch der peripherischen Endorgane, von denen manche f\u00fcr Reizung durch schw\u00e4chste chemische Einwirkungen specifisch eingerichtet sind.\n1\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 557. 1858; hier auch Versuche mit Chloroform etc.\n2\tSetschenow, Ueber die electrische und chemische Reizung der sensiblen R\u00fcckenmarksnerven des Frosches. Graz 1868.\n3\tGr\u00fctzner, Arch. f. d. ges. Physiol. XVH. S. 250. 1878.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Chem. Reizung centripetaler Nerven. Wesen d. ehern. Reizung. Nat\u00fcrl. Reizung. 105\nUeberblicken wir noch einmal alle Erfahrungen \u00fcber chemische Reizung, so ist zwar in den meisten F\u00e4llen der Satz Eckhard\u2019s gerechtfertigt, dass die chemische Reizung mit Vernichtung verbunden ist; aber einige F\u00e4lle, z. B. der der Harnstoffreizung, lehren doch unwiderleglich, dass die T\u00f6dtung nicht Bedingung der Erregung ist. Vielmehr scheint diese Bedingung nur in chemischer Ver\u00e4nderung von einer gewissen Energie zu liegen, welche freilich meistens zugleich t\u00f6dtet, weil sie entweder schon an sich so gross ist, dass sie ferneres Functioniren ausschliesst, oder in ihrem Fortschreiten \u00fcber den bloss erregenden Grad hinaus nicht aufgehalten werden kann.1\nBernstein2 hat am Kaninchen bei chemischer Nervenreizung einen dem gew\u00f6hnlichen entsprechenden Ton der tetanisch contrahirten Muskeln geh\u00f6rt und daraus den wenig einleuchtenden Schluss gezogen, dass der Nerv sich gleichsam die Periode der Erregung angew\u00f6hnt habe, in welcher er normal von den Centren aus tetanisirt wird, und nun auch auf chemische Reizung mit dieser Periodik antworte. Viel wahrscheinlicher ist es, dass hier, wie Helmholtz schon fand, eine T\u00e4uschung durch den Eigenton des Ohres vorliegt (vgl. Bd. I. S. 50).\nV. Die nat\u00fcrliche Nervenerregung.\nSchon im ersten Capitel ist bemerkt, dass die normale Nervenerregung immer nur von besonderen, an einem Ende der Nervenfaser befindlichen Erregungsapparaten ausgeht. Eine der gr\u00f6ssten Zweckm\u00e4ssigkeiten der thierisehen Organisation liegt darin, dass die selbstst\u00e4ndige Erregbarkeit, welche jeder Faserabschnitt besitzt, normal nie in Anspruch genommen wird, indem die Lebensprocesse selbst nicht erregend wirken, und die Nerven \u00fcberall vor \u00e4usseren Einfl\u00fcssen m\u00f6glichst gesch\u00fctzt liegen. Man kann, indem man die Nervenleitung als eine Kette von Erregungen auffasst (vgl. Cap. 5), auch sagen, dass die normale Erregung f\u00fcr jedes Nervenelement nur vom Nachbarelement, und f\u00fcr das erste Element von einem specifi-schen erregenden Endorgan ausgeht.\nDie Physiologie dieser Organe geh\u00f6rt in die Abschnitte von den Centralorganen und den Sinnesorganen.\n1\tDer Yollst\u00e4ndigkeit halber seien noch einige Angaben \u00fcber die Wirkung des Ozons auf Nerven angef\u00fchrt: Harless, Abhandl. d. bayr. Acad. VTTT S. 565. 1858; Severini, Azione dell\u2019 ossigenio atomico sulla vita dei nervi. Perugia 1873; ein Auszug auch im Arch. f. d. ges. Physiol. IX. S. 620. 1874.\n2\tBernstein, Arch. f. d. ges. Physiol. XI. S. 191. 1875.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nVI. Beziehungen zwischen Reizintensit\u00e4t und Erregungsgr\u00f6sse.\n\u2022\t1. Allgemeine Bemerkungen.\nDie Gr\u00f6sse der Erregung im Nerven sollte eigentlich an ihm selbst und nicht an seinem Erfolgsorgan, sei es Muskel oder empfindendes, resp. reflectirendes Centralorgan, gemessen werden, weil sich in letzterem Falle unbekannte Functionen einschieben (vgl. auch Bd. I. S. 107). Jedoch haben wir am Nerven selbst nur in den Actionsstr\u00f6men (Cap. 4) ein Mittel die Erregungsgr\u00f6sse zu bestimmen, und auch dies ist mangelhaft, weil die Messung nur den Integralwerth einer Curve anstatt ihrer maximalen Ordinate feststellen kann; auch betrifft sie nicht die directe, sondern die fortgeleitete Erregung, so dass wieder Functionen von unbekannter, wenn auch h\u00f6chst wahrscheinlich sehr einfacher Beschaffenheit sich einschalten. Man hat sich daher bis jetzt, mit wenigen Ausnahmen, fast ausschliesslich auf die Messung der Erfolge im Muskel beschr\u00e4nkt,\nNicht geringere Schwierigkeiten bietet die Feststellung der Reizgr\u00f6sse. Von allen Reizen ist einzig der electrische einer Massbe-stimmung zug\u00e4nglich, und hier wieder die Schwierigkeit vorhanden, dass der Reiz nicht durch eine Stromdichte, sondern durch einen Differentialquotienten derselben auszudr\u00fccken ist, dessen Werth, selbst wenn die Curve der Stromesschwankung genau bekannt w\u00e4re, best\u00e4ndig wechselt, ausser wenn diese Curve gradlinig ist (vgl. oben S. 53). Man macht hier gew\u00f6hnlich die stillschweigende Annahme, dass der vorzugsweise erregend wirkende, steilste Theil der Curve in seiner Neigung nur abh\u00e4ngt von den Ordinatenwerthen zwischen denen, in constant bleibender Zeit, die Schwankung stattfindet, so dass also z. B. bei uniformen Schliessungen oder uniform hervorgebrachten Inductionsstr\u00f6men die Steilheit der Stromst\u00e4rke, resp. der St\u00e4rke des inducirenden Stroms, einfach proportional ist.\nBeim Muskel sahen wir aus dem quantitativen Missverh\u00e4ltnis zwischen der lebendigen Kraft des Reizvorgangs und der Zuckung, dass lediglich ein Ausl\u00f6sungsverh\u00e4ltniss stattfindet; beim Nerven ist dies nicht so ohne Weiteres klar, denn die Vorg\u00e4nge im Nerven sind selbst bei st\u00e4rkster Erregung so geringf\u00fcgig, dass sie allenfalls als dem Reizvorgang \u00e4quivalent erscheinen k\u00f6nnten. Allein schon die Unabh\u00e4ngigkeit des Erregungsvorgangs von der Natur der so \u00e4usserst verschiedenartigen Nervenreize, ferner die Beschaffenheit des electrischen Erregungsgesetzes, in welchem der Arbeitswerth des Stromes so gut wie keine Rolle spielt, beweisen entscheidend, dass","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Maasse der Erregbarkeit. Gesetz der Reizerfolge.\n107\nauch die Erregung des Nerven lediglich in einer Ausl\u00f6sung eigener Spannkr\u00e4fte desselben besteht.\nFerner lehren die einfachsten Erfahrungen, dass diese Ausl\u00f6sung nicht den ganzen Vorrath betrifft, sondern jedesmal nur einen kleinen Theil, dessen Betrag zu der Grosse der ausl\u00f6senden Kraft in einem gewissen functionellen Verh\u00e4ltnisse steht,\n2. Gesetze der Beziehung zwischen Reizgr\u00f6sse und Erregungsgr\u00f6sse.\nIch selbst1 fand in einer Untersuchung, deren Methode Bd. I. S. 108 angegeben ist, dass bei indirecter Reizung so gut wie bei directer, die Energien des Muskels mit zunehmender Reizst\u00e4rke anfangs am schnellsten und dann immer langsamer wachsen. Fick2 dagegen sah die Hubh\u00f6hen, wenigstens innerhalb gewisser Grenzen, den Reizen -proportional zunehmen ; diese Grenzen werden gebildet einerseits von einem Schwellenwerth des Reizes, von dem es aber zun\u00e4chst nicht sicher ist, ob unter ihm wirklich keine Nervenerregung, und nicht etwa nur keine Muskelerregung stattfindet, andrerseits einer Reizst\u00e4rke, welche die maximale Muskelcontraction ausl\u00f6st. Fig. 12, deren Abscissen Reizst\u00e4rken bedeuten, stellt in ihrer linken Abtheilung dies Verhalten schematisch dar.3 Ausserdem fand aber Fick noch zwei merkw\u00fcrdige Erscheinungen. Erstens tritt bei weiterer Steigerung des Reizes Fig. 12. Wachsthum der Zuckungsh\u00f6hen mit den Beizen ,\t.\t, V n \\\tnach Fick.\nnoch einmal eine Zunahme\nder Hubh\u00f6hen \u00fcber das erste Maximum hinaus auf, und es wird, wiederum in gradlinigem Ansteigen, ein zweites Maximum erreicht (vgl. die Fortsetzung der Fig. 12). Diese \u201e\u00fcbermaximalen Zuckungen\" werden indess von Anderen als Wirkung einer Superposition zweier Reize angesehen, indem bei kurzdauernden Str\u00f6men eine Oeffnungs-erregung zur Schliessungsreizung hinzukommen kann, ferner bei rasch wirkenden Contactvorrichtungen, sei es mit schleifenden Federn, sei es mit Quecksilberschluss, leicht ein Schleudern und somit ein mehrfacher Contactwechsel stattfindet, endlich bei starken Inductions-\n1\tHermann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 392.\n2\tFick (zum Theil mit Tachait), Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. XLYI. S. 350, XLVII. S. 79, XLYHI. S.220, 1862\u20141863; Untersuchungen \u00fcber electrische Nervenreizung. Braunschweig 1864.\n3\tIndess zeigen manche Yersuche Fick\u2019s auch Ann\u00e4herung an das von mir gefundene Yerhalten der Energien; vgl. z. B. am zuletzt a. O. S. 13, Fig. 7 ; ferner in der unten cit. Gratul.-Schrift, Fig. 1, A. B. C.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nstr\u00f6men auch unipolare Wirkungen schwer auszuschliessen sind. Fick hat jedoch die Thatsache mit Vermeidung aller Versuchsfehler con-statirt und eine sogleich anzuf\u00fchrende Erkl\u00e4rung derselben gegeben, welche sie, allerdings in andrer Weise als die Gegner meinten, auf Superposition zweier Reize zur\u00fcckf\u00fchrt.1 Eine zweite merkw\u00fcrdige Beobachtung von Fick ist, dass bei der Steigerung der Intensit\u00e4t von aufsteigenden kurzdauernden und Inductionsstr\u00f6men unter gewissen Umst\u00e4nden nach Erreichung des ersten Maximums die Zuckungen wieder abnehmen und ganz ausfallen k\u00f6nnen, um bei weiterer Reizverst\u00e4rkung wieder aufzutreten und das zweite Maximum zu erreichen. Diese in Fig. 13 bei L sichtbare \u201eL\u00fccke\u201c in der Reihe der Zuckungen\n(welche auch auftritt, wenn bei constan-ter Intensit\u00e4t die Dauer des Stromes ver-gr\u00f6ssert wird, vgl. indess K\u00f6nig-, a. a. 0. und oben S. 84 f.) erkl\u00e4rt Fick2 aus den Leitungswiderst\u00e4nden in der anelectro-tonisirten Nervenstrecke, welche die Er-\nFig. 13. Bereich wirkungsloser Induc-\t. i ;\t\u2022 -i i \u2022\ti\ntionsst\u00e4rken (\u201eL\u00fccke\u201c L) nach Fick : die regung zu passiren hat; indem diese nach\nZahlen bedeuten Rollenabst\u00e4nde in cm. -,\t\u2122\t,\t-i t -n\nanderem Gesetze wachsen als die Erregung an der Cathode, k\u00f6nnen sie bei gewissen Intensit\u00e4ten des Stromes die Welle vom Muskel abhalten, w\u00e4hrend sie sie bei geringeren und bei st\u00e4rkeren hindurchlassen. Bei den st\u00e4rksten Str\u00f6men komme dann das Verschwinden dieses Anelectrotonus als zweiter Reiz hinzu, der mit der in ihrer Fortleitung verz\u00f6gerten Anfangserregung sich zu einer \u00fcbermaximalen Zuckung summirt; letzteres komme auch bei absteigenden Inductionsstr\u00f6men zu Stande, wo die Anfangserregung stets unverz\u00f6gert zum Muskel gelangt, die Enderregung aber, welche die in negativer Modification begriffene catelectrotonisirte Nervenstrecke zu passiren hat, hinl\u00e4nglich verz\u00f6gert werden kann, um sich auf jene zu superponiren. Die Thatsache der \u201eL\u00fccke\u201c ist von La-mansky (a. a. 0.) und von Tiegel3 best\u00e4tigt worden; letzterer, wel-\n1\tYgl. \u00fcber die \u00fcbermaximalen Zuckungen Fick, a. a. 0., und Vierteljahrsschr. d. naturf. Ges. zu Z\u00fcrich 1866. S. 48; Lamansky, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 577, 1869. S. 17, 241, 804; Studien d. physiol. Instit. zu Breslau IY. S. 146. Leipzig 1868; A. B. Meyer, Beitr\u00e4ge zur Lehre von der electrischen Nervenreizung. Z\u00fcrich 1867 ; Centralbl. f. d. med. Wiss. 1868. S. 721, 1869. S. 161 ; Untersuchungen aus dem physiol. Labor, d. Z\u00fcrcher Hochschule S. 36. Wien 1869; J. J. M\u00fcller, ebendaselbst S. 98 (vgl. unten4. Cap. IY. 1.); Fick, Centralbl. f. d. med.Wiss. 1869. S. 611 ; Studien \u00fcber electrische Nervenreizung. Gratul.-Schrift f\u00fcr E. H. Weber. W\u00fcrzburg 1871; W\u00fcrzburger Yerhandl. N. F. II. S. 145. 1871; K\u00f6nig, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LXII. Sep.-Abdr. 1870.\n2\tDie Literatur dieser Erscheinung ist identisch mit der eben angef\u00fchrten der \u00fcbermaximalen Zuckungen ; vgl. auch Tiegel, unten.\n3\tTiegel, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1875. S. 81 ; Arch. f. d. ges. Physiol. NHL S. 272.\n1876.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Uebermaximal\u00eb Zuckungen. \u201eL\u00fccke\u201c. Mehrfache Erregungen.\n109\neher sie als \u201eIntervall\u201c bezeichnet, beobachtete sie aber auch bei absteigenden Inductionsstr\u00f6men, wof\u00fcr die FiCK\u2019sche Erkl\u00e4rung nicht ausreichen w\u00fcrde ; in der That w\u00e4re es denkbar, dass auch Erm\u00fcdung des Nerven bei diesen Erscheinungen eine Eolle spielt, welche stets im Laufe l\u00e4ngerer Zuckungsreihen beobachtet worden sind.\n3. Wirkung mehrfacher, gleichzeitiger oder succedirender Erregungen.\nVersuche \u00fcber die Wirkung zweier gleichzeitiger Erregungen des Nerven an verschiedenen Stellen sind nicht gut anders als mit electrischer Reizung anzustellen, weil die anderen Reize im Allgemeinen den Nerven zugleich zerst\u00f6ren, also die obere Reizstelle vom Muskel absperren. Da aber auch der electrische Reiz zugleich die Leitungsf\u00e4higkeit modificirt, so sind alle derartigen Versuche insofern unrein 'als sie nicht einfach die Combination zweier von einander unabh\u00e4ngig verlaufender Erregungsvorg\u00e4nge darstellen. Von solchen w\u00e4re nach der ganzen Natur der Processe im Nerven, welche denen in vollkommen elastischen Gebilden wenn auch nicht essentiell, so doch in ihrem zeitlichen Ablauf so sehr \u00e4hnlich sind, zu erwarten, dass sie, wenigstens so lange sie eine gewisse Gr\u00f6sse nicht \u00fcberschreiten, ungest\u00f6rt mit demjenigen Intervall, welches der Distanz beider Reizstellen entspricht, \u00fcber den Nerven ablaufen und mit dem entsprechenden Zeitintervall im Endorgan anlangen; was dort geschieht, hinge dann lediglich von der Natur des Endorgans ab; im Muskel z. B. w\u00fcrde, je nach dem Betrage des Intervalls, die zweite Reizung wirkungslos sein, oder eine superponirte Zuckung ergeben, oder endlich eine zweite selbstst\u00e4ndige Zuckung veranlassen. Selbst wo zwei Reizungen einander in der gleichen Faser begegnen, w\u00e4re bei gen\u00fcgender Schw\u00e4che derselben ein ungest\u00f6rtes Uebereinander-weggehen zu erwarten, etwa wie bei zwei Wellen auf einer Wasserfl\u00e4che. Eine solche Begegnung muss schon bei jeder gleichzeitigen Reizung zweier Nervenstellen stattfinden, da die obere Erregung nicht zum Muskel gelangen kann, ohne sich mit der nach oben so gut wie nach unten fortschreitenden unteren zu kreuzen.\nIndessen existiren bisher keine Versuche, welche in dieser Richtung etwas aussagen; es ergiebt sich n\u00e4mlich aus dem Band I. S. 40 besprochenen Superpositionsgesetz, dass zur Herstellung einer super-ponirten Zuckung die Erregungen in gr\u00f6sserem Intervall als Vioo Se-cunde im Muskel anlangen m\u00fcssen; die gleichzeitig gereizten Nervenstrecken m\u00fcssten also beim Frosche um mehr als 26 cm. von einander abstehen, damit die obere Erregung \u00fcberhaupt neben der","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nunteren zur Geltung komme. Mit Unrecht zieht daher Dew-Smith1 aus der Wirkungslosigkeit der oberen den Schluss, dass sie durch eine Art Interferenz bei der Begegnung vernichtet werde. Der Versuch w\u00fcrde erst dann ein brauchbares Resultat geben k\u00f6nnen, wenn man starke K\u00e4lte zu H\u00fclfe n\u00e4hme.\nEine andere Frage ist es, ob zwei gleichzeitige Erregungen der-s eiben Nervenstelle sich zu einer gr\u00f6sseren Erregung summiren. Dies unterliegt aber von vornherein nicht dem geringsten Zweifel, solange man \u00fcberhaupt noch nicht das Maximum der Erregung erreicht hat. Zwei Str\u00f6me gleichzeitig durch dieselbe Nervenstelle senden (mit geh\u00f6riger Ber\u00fccksichtigung der VerzweigungsVerh\u00e4ltnisse), heisst nichts anderes als einen Strom appliciren, der die Summe oder Differenz derselben darstellt, je nachdem beide die gleiche oder entgegengesetzte Richtung haben; denn die nach dem PFL\u00fcGER\u2019schen Erregungsgesetz massgebenden Electrotoni entsprechen der Summe oder der Differenz.\nGewisse Thatsachen, welche in der oben S. 79 erw\u00e4hnten verwickelten Untersuchung von Harless sich ergaben, erkl\u00e4ren sich, wie Gr\u00fcnhagen2 gezeigt hat, einfach daraus, dass auch bei gleichzeitiger Schliessung zweier Str\u00f6me in verschiedenen Nervenstrecken, wenn dieselben sich ihre Cathoden zuwenden, ein verst\u00e4rkter Catelectrotonus zu Stande kommen kann; es hat also hier die gleiche Nervenstrecke ein verst\u00e4rkter Reiz getroffen. Man sollte erwarten, dass, wenn beide Str\u00f6me sich ihre Anoden zukehren, eine verst\u00e4rkte Oeffnungszuckung zu Stande kommt ; dass dies von Gr\u00fcnhagen nicht beobachtet wurde, hat vermuthlich darin seinen Grund, dass das Maximum des Anelectrotonus schon durch schwache Str\u00f6me bei l\u00e4ngerer Schlussdauer schnell erreicht wird.3\nDie gleichzeitige Reizung einer Nervenstrecke kann, auch durch zwei verschiedenartige Reize stattfinden, z. B. durch Austrocknen und Electricit\u00e4t. Hierbei best\u00e4tigt sich was zu erwarten war; ist der Muskel durch Austrocknen des Nerven in schwachen Zuckungen begriffen, so macht der schw\u00e4chste electrische Reiz heftigen Tetanus. Die von Harless entdeckte verst\u00e4rkte Wirkung electrischer Reize tritt, wie wir oben S. 98 gesehen haben, schon ein, ehe die Vertrocknung oder sonstige chemische Reizung zu sichtbarer Wirkung\n1\tDew-Smith, Studies physiol, labor. Univ. Cambridge I. p. 25. 1873 (auch in Journ. of anat. and physiol. VIII. p. 74. 1874).\n2\tGr\u00fcnhagen, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXVI. S. 190. 1866.\n3\tDie hier der Vollst\u00e4ndigkeit halber anzuf\u00fchrenden \u201eInterferenzversuche\u201d von Valentin (Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 458. 1873, XIII. S. 320. 1876), welche an grossen methodischen Fehlern leiden, haben schon wegen der vollkommenen Unbest\u00e4ndigkeit der Erfolge zu keinem irgend brauchbaren Resultat gef\u00fchrt.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung mehrfacher gleichzeitiger und succedirender Reize.\n111\ngef\u00fchrt hat, und es bleibt zun\u00e4chst der Willk\u00fcr \u00fcberlassen, ob man mit der Mehrzahl der Beobachter sagen will, der Nerv sei durch den chemischen Reiz vor dem Ausbruch der Erregung in erh\u00f6hte Erregbarkeit versetzt, oder mit Gr\u00fcnhagen (a. a. 0.), er sei schwach erregt, und die Erregung f\u00fchre erst durch Hinzuf\u00fcgung weiterer Reize zur Contraction des Muskels. Jedenfalls ist eine Entscheidung dieser Frage nicht, wie Gr\u00fcnhagen meint, auf dem Wege der Analogie m\u00f6glich; eine wirkliche Entscheidung w\u00fcrde denkbar sein durch Beobachtung der negativen Schwankung des Stromes am k\u00fcnstlichen Querschnitt des Nerven. Erst wenn es (bei gen\u00fcgender Empfindlichkeit der Vorrichtungen) gel\u00e4nge eine solche am centralen Ende nachzuweisen, ehe der Muskel zu zucken anf\u00e4ngt, so w\u00e4re volle Berechtigung vorhanden an Stelle der Annahme erh\u00f6hter Erregbarkeit eine schwache Erregung zu setzen.\nIn dieselbe Categorie von Erscheinungen geh\u00f6rt die ebenfalls verschiedener Deutung f\u00e4hige Beg\u00fcnstigung der Wirkungen nachfolgender Reizungen durch voraufgegangene. Schon oben S. 74 haben wir die sog. \u201esecund\u00e4re Modification\u201c von Wundt in dieser Weise gedeutet ; v. Bezold & Engelmann 1 beobachteten,- dass tetanisirende Inductionsstr\u00f6me, welche zur Erregung zu schwach sind, eine erh\u00f6hte Erregbarkeit hervorbringen und hinterlassen, oder zuerst diese und erst nach l\u00e4ngerer Zeit Tetanus machen; polarisirende Wirkungen waren durch die abwechselnde Richtung der Str\u00f6me ausgeschlossen. Nimmt man hinzu, dass manche chemische Reize, z. B. Harnstoff, nach dem Aufh\u00f6ren der Erregungserscheinungen erh\u00f6hte Erregbarkeit zur\u00fccklassen, so folgt als Regel, dass Reize von m\u00e4ssiger St\u00e4rke die Wirksamkeit folgender Reize beg\u00fcnstigen, was man wiederum bis zu experimenteller Entscheidung, ebensowohl durch eine latente Fortdauer des Erregungszustandes, zu welchem sich die neue Erregung summirt2, wie als zur\u00fcckbleibende Erregbarkeitserh\u00f6hung betrachten kann.8 Engelmann folgert freilich in einer sp\u00e4teren Arbeit4 aus dem iUisbleiben des Tetanus bei sehr kurzen Reizintervallen,\n1\tv. Bezold & Engelmann, Yerhandl. d. phys.-med. Ges. v. 5. Mai 1866, N. W\u00fcrzb. Zeitung 1866. Nr. 129 ; vgl. auch v. Bezold & Uspensky, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 611 ; Unters, a. d. physiol. Labor, in W\u00fcrzburg II. S. 140. Leipzig 1869.\n2\tHierher geh\u00f6ren im Grunde auch die Bd. I. S. 40 besprochenen Superpositionserscheinungen am Muskel. Richet (Trav. du labor, d. Ma re y 1877. p. 97) nennt die Summirung an sich unwirksamer Reize \u201eAddition latente\u201c, im Gegensatz zur \u201eAddition apparente\u201c,. d. h. der Vereinigung von Zuckungen zum Tetanus.\n3\tVon wahrscheinlich ganz anderer Natur ist die Zunahme der Zuckungsh\u00f6he bei Reizung blutdurchstr\u00f6mter Muskeln in regelm\u00e4ssigen, kurzen Intervallen (vgl. Tiegel, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1875. S. 81 ; Rossbach & Harteneck, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 1. 1877), welche, wie es scheint, auf Gef\u00e4sserweiterung beruht (vgl. Bd.I. S. 135).\n4\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 3. 1871.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112 Hermann, Allg. Ner venphy siologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\ndass nach jedem Reize der Nerv eine kurze Zeit zu neuer Erregung unf\u00e4hig ist; indess ist schon oben (S. 86) ausgef\u00fchrt, dass alle Versuche mit sehr rasch intermittirenden Kettenstr\u00f6men an Unsicherheiten leiden und der Revision bed\u00fcrfen.\n4. Specifisehe Erregbarkeit des Nerven und locale Unterschiede derselben.\nDa Reizgr\u00f6sse und Wirkung bei einem gegebenen Nerven nicht in einem constanten Verh\u00e4ltnisse stehen, so kann man nicht etwa den Quotienten derselben als specifisehe Erregbarkeit bezeichnen. Man nimmt deshalb meistens lieber den Schwellenwerth des Reizes als (reciproken) Maassstab f\u00fcr die Erregbarkeit, der freilich nur f\u00fcr rohe Vergleichungen ausreicht. Auf diese Weise kann man nun die specifisehe Erregbarkeit des Nerven mit der andrer erregbarer Organe, ferner einzelner Nerven und Nervenstellen unter einander, vergleichen. Jedoch ist solche Vergleichung h\u00f6chstens f\u00fcr electrischen Reiz durchf\u00fchrbar; denn f\u00fcr die \u00fcbrigen existirt kein Maassstab. Wenn z. B. gefunden wird, dass der Nerv erst auf viel concentrir-tere S\u00e4urel\u00f6sungen, reagirt als der Muskel, so heisst das keineswegs dass der Nerv eine geringere specifisehe chemische Erregbarkeit besitzt, denn die concentrirte S\u00e4ure bewirkt m\u00f6glicherweise qualitativ andere chemische Ver\u00e4nderungen als die verd\u00fcnnte; und in der That sehen wir bei Milchs\u00e4ure, Glycerin etc. den Nerven allein reagiren, den Muskel nicht.1 Bestenfalls also w\u00e4re eine Bemessung der Erregbarkeit nach der noch wirksamen Verd\u00fcnnung immer nur eine Bestimmung f\u00fcr einen ganz speciellen chemischen Reiz.\nIn Bezug auf den electrischen Reiz ist nun schon Bd. I. S. 111 ein Versuch von Rosenthal angef\u00fchrt, welcher beweist, dass der Nerv insofern specifisch erregbarer ist als der Muskel, als zur in-directen Erregung eines Muskels eine geringere und (vgl. oben S. 82) rascher vor\u00fcbergehende Dichtenschwankung ausreichend ist als zur directen. Der Nerv bildet also f\u00fcr electrischen Reiz den g\u00fcnstigsten Angriffspunct im Complex Nerv-Muskel. Man kann aber auch die Frage stellen, ob zur Hervorrufung eines schw\u00e4chsten Erregungsvorgangs im Nerven eine geringere Dichtenschwankung gen\u00fcge als zur (directen) Hervorrufung eines schw\u00e4chsten Erregungsvorgangs im Muskel; erst dies w\u00e4re eine wirkliche Vergleichung der specifischen Erregbarkeiten. Man sieht, dass der RosEXTHAL\u2019sche Versuch diese Frage nicht beantwortet, denn m\u00f6glicherweise besitzt der Muskel Er-\nl Nachtr. Anm. Diese SteUeist geschrieben, ehe.die Bd. I. S. 194 erw\u00e4hnte Arbeit von Hering bekannt war, nach welcher die genannten Stoffe den Muskel nicht erregen, weil sie zu schlecht leiten.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Bpec. Erregbarkeit. Locale Unterschiede. Lavinenartiges Anschwellen. 113\nregungsgrade, die sich in chemischen oder galvanischen, aber noch nicht in Contractionsvorg\u00e4ngen \u00e4ussern, und beim Nerven ist es sogar wahrscheinlich, dass er Erregungsgrade besitzt, die zur Hervor-rufung einer Muskelcontraction nicht ausreichen.\nDie specifische Erregbarkeit der Warm- und Kaltbliiternerven scheint noch nicht verglichen zu sein; dass m\u00f6glicherweise einzelne Fasern desselben Nerven ungleiche Erregbarkeit besitzen, muss im Auge behalten werden, so lange das RiTTER\u2019sche Ph\u00e4nomen (Band I. S. 112) noch nicht erkl\u00e4rt ist. Bekannt ist ferner die verschiedene Erregbarkeit der Nerven bei Winter- und Sommerfr\u00f6schen; Harless1 2 fand erstere 22 mal erregbarer; vgl. jedoch das folgende Cap.\nEndlich ist der Erfolg gleich starker Reizung der einzelnen Stellen desselben Nerven h\u00e4ufig verschieden, und die hieran ankn\u00fcpfenden Untersuchungen haben sich als von sehr grosser Tragweite hinsichtlich der theoretischen Anschauungen erwiesen.\nBudge 2 fand zuerst, dass zum Tetanisiren des Froschunterschenkels vom Ischiadicus aus um so st\u00e4rkere Str\u00f6me n\u00f6thig sind, je weiter unten, also je n\u00e4her dem Muskel der Nerv gereizt wird. Diese Entdeckung wurde, mit Anwendung verschiedener Vergleichungsmethoden, von Pfl\u00fcger3 best\u00e4tigt. Er sah den Erfolg einer gegebenen Reizgr\u00f6sse um so st\u00e4rker, je h\u00f6her oben die Reizstelle lag. Nur die alleroberste, dem Querschnitt n\u00e4chste Strecke war relativ wenig erregbar, offenbar in Folge des vom Querschnitt ausgehenden Ab-sterbeprocesses (s. das folgende Capitel). Bei Vergleichung der localen Erregbarkeiten l\u00e4ngs des Ischiadicus zeigte sich die Zunahme nach oben nicht gradlinig fortschreitend, sondern die Curve war an der Stelle des Abgangs der Oberschenkel\u00e4ste gegen die Abscisse geknickt. Pfl\u00fcger folgerte aus der von Budge und ihm beobachteten Thatsache, dass die Erregung beim Ablauf durch den Nerven lavinenartig anschwelle, w\u00e4hrend man a priori eher zu der Vermuthung geneigt w\u00e4re, dass sie bestenfalls ihre Gr\u00f6sse beh\u00e4lt, vielleicht aber, in Folge gewisser Widerst\u00e4nde der Fortleitung, w\u00e4hrend des Ablaufs etwas abnehme. Das lavinenartige Anschwellen w\u00fcrde den wichtigen Schluss begr\u00fcnden, dass die Leitung nicht einfach auf einer wellenartig von Theilchen zu Theilchen sich \u00fcbertragenden Bewegung, sondern auf der Ausl\u00f6sung selbstst\u00e4ndiger Spannkr\u00e4fte des Nerven beruhe, bei der die ausgel\u00f6sten Kr\u00e4fte in jedem\n1\tHarless, Abhandl. cl. bayr. Acad. Yin. S. 378. 1858.\n2\tBudge, Froriep\u2019s Tagesberichte Nr. 445. S. 329, Nr. 509. S. 348. 1852; Arch, f. pathol. Anat. XVIII. S. 457. 1860.\n3\tPfl\u00fcger, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 140. Berlin 1859.\nHandbueh der Physiologie. Bd. II.\n8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nfolgenden Nervenelement stets um etwas gr\u00f6sser ausfallen als im vorangehenden.\nBei der Tragweite dieser Folgerung war es von gr\u00f6sster Wichtigkeit, die zu Grunde liegende Thatsache weiter zu untersuchen. In der That entdeckte Heidenhain1, dass die wahre Ursache der st\u00e4rkeren Wirkung h\u00f6her gelegener Nervenstrecken in der N\u00e4he des k\u00fcnstlichen Querschnitts begr\u00fcndet ist (Pfl\u00fcger und Budge hatten an ausgeschnittenen Nerven gearbeitet). Man kann sofort dem unteren Nervenende denselben hohen Grad von Wirksamkeit ertheilen, den eben das obere Ende hatte, wenn man weiter unten einen Querschnitt anlegt; der Querschnitt erh\u00f6ht in seiner N\u00e4he die Erregbarkeit. Also nicht der Abstand der Reizstelle vom Muskel, sondern der Abstand vom abgeschnittenen Ende ist f\u00fcr die Gr\u00f6sse der Wirkung massgebend.\nRosenthal2 hatte gleichzeitig gefunden, dass das Absterben im ganzen ausgeschnittenen Nerven die Erregbarkeit zuerst erh\u00f6ht und dann erst herabsetzt (vgl. das folgende Capitel) und bezog nun die Wirkung des Querschnitts auf eine Beschleunigung des Absterbe-processes in allen seinen Stadien. Wenn diese Deutung richtig w\u00e4re, so m\u00fcsste in einem absterbenden Nerven, der schon in abnehmender Erregbarkeit begriffen ist, ein angelegter Querschnitt nicht mehr die Erregbarkeit local erh\u00f6hen, und in der That machte Pfl\u00fcger3, der auch an l\u00e4ngst ausgeschnittenen Nerven die Wirkung bei hoher Reizlage gr\u00f6sser gefunden hatte, diesen Einwand. Allein Heidenhain zeigte, dass der Querschnitt in jedem Stadium des Ueberlebens die Erregbarkeit local, und zwar sofort, erh\u00f6ht; die RosENTHAL\u2019sche Deutung der Wirkung des Querschnitts ist also irrth\u00fcmlich ; die Erh\u00f6hung der Erregbarkeit beruht nicht auf localer Beschleunigung des allgemeinen Absterbeprocesses, sondern ist eine selbstst\u00e4ndige Wirkung, die jnit letzterem nichts zu thun hat ; von ihrer wahren Ursache wird weiter unten die Rede sein.\nZur v\u00f6lligen Entscheidung der Frage, ob die st\u00e4rkere Wirkung der h\u00f6heren Nervenstrecke lediglich von der N\u00e4he des Querschnitts herr\u00fchre, war es n\u00f6thig, an zwei gleichbeschaffenen und gleich langen, wom\u00f6glich gar nicht vom Centralorgan abgetrennten Nerven dieselbe Dichtenschwankung auf ein hohes und ein tiefes Nervenst\u00fcck wirken zu lassen und die Erfolge zu vergleichen; am richtigsten ist es, beide\n1\tHeidenhain, Allg. med. Centralztg. 1859. Nr. 10, 16; Studien des physiol. Instit. zu Breslau I. S. 1. Leipzig 1861.\n2\tRosenthal, Allg. med. Centralztg. 1859. Nr. 16.\n3\tPfl\u00fcger, Allg. med. Centralztg. 1859. Nr. 14,19.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss des Querschnitts. Erregbarkeiten l\u00e4ngs des durchschnittenen Nerven. 115\nNerven mit den zu vergleichenden Strecken nebeneinander \u00fcber dieselben Electroden zu legen, ein Versuch der sowohl von Pfl\u00fcger als von Heidenhain angestellt worden ist. Nach ersterem wirkt dabei stets die tiefere Nervenstrecke schw\u00e4cher, nach letzterem ist dies nur in einer beschr\u00e4nkten Ausdehnung der Fall, und zwar weil die Erregbarkeit auch im undurchschnittenen Nerven nicht \u00fcberall die gleiche Gr\u00f6sse hat (s. unten). Jedenfalls also ist zur Annahme einer lavinenartigen Anschwellung der Erregung kein zwingender Grund mehr vorhanden, und diese Lehre wird vollends widerlegt durch die unten mitzutheilenden Erfahrungen an sensiblen Nerven. Wenn neuer-\ndings Wundt 1 und Tiegel '* 2 sich wieder derselben anschliessen, so haben sie doch bestenfalls nur neue Beweise f\u00fcr die gleich zu er\u00f6rternde Behauptung beigebracht, dass die Erregbarkeit vom Centrum nach der Peripherie abnimmt.\nEs fragt sich nun weiter, ob der un durchschnittene Nerv regelm\u00e4ssige locale Erregbarkeitsunterschiede zeige. Schon oben ist erw\u00e4hnt worden, dass Pfl\u00fcger, freilich am ausgeschnittenen und dadurch im Ganzen in seiner Erregbarkeitscurve modificirten Nerven an der Abgangsstelle der (abgeschnittenen) Oberschenkel\u00e4ste eine Knickung in jener Curve fand. Heidenhain sah am undurchschnittenen Nerven die Erregbarkeit vom Knie aus nach oben (bis b, Fig. 14) zuerst abnehmen, dann wieder zunehmen, etwas unterhalb der Astst\u00fcmpfe bei c durch den Kniewerth hindurchgehen und im Bereich des Plexus (bei d) ein Maximum erreichen, von dem aus sie nach dem Mark zu wieder etwas abnimmt. Budge3 4 fand im Verlaufe des Ischiadicus einzelne durch hohe Erregbarkeit ausgezeichnete Puncte, welche besonders den Astst\u00fcmpfen zu entsprechen schienen. Eine gr\u00f6ssere Erregbarkeit h\u00f6herer Stellen des undurchschnittenen Nerven, jedoch mit einer gewissen Unstetigkeit der Curve durch ausgezeichnete Puncte, war schon vorher von Harless 4 behauptet worden und\n\t\t\u00db\t\n\t\t\t\n\tc/\t\t\n\t\t\t\n\t'\\y..\tzy\t\nFig. 14. Curve der Erregbarkeiten l\u00e4ngs des Isebiadicus nach Heidenhain.\nwurde auch von Meissner5 6, Rutherford (i, Wundt (a. a. 0.) und Tiegel (a. a. 0.) best\u00e4tigt.\nL Wundt, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 437. 1870; Untersuchungen zur Mechanik der Nerven etc. I. S. 179. Erlangen 1871.\n2\tTiegel, Arch. f. d. ges. Physiol. XIII. S. 598.1876.\n3\tBudge, Arch. f. pathol. Anat. XVIII. S. 454. 1860.\n4\tHarless, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1846. S. 80; Gelehrte Anzeigen d. bayr. Acad.XLIX. S. 201. 1859.\n5\tMeissner, Jahresber. \u00fcber d. Fortschr. d. Physiol. 1860. S. 439.\n6\tRutherford, Journ. of anat. and physiol. V. p. 329. 1871.","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\tHermann, All g. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nSo viele Autoren aber auch die Abnahme der Erregbarkeit nach der Peripherie hin beobachtet haben, so wenig ist dieselbe f\u00fcr den absolut normalen Nerven bewiesen. Stets waren die Pr\u00e4parate in einem gewissen Stadium des Absterbens, der Nerv aus seiner nat\u00fcrlichen Lage und Umgebung herausgehoben, und namentlich das mit ihm verbundene R\u00fcckenmarksst\u00fcck verletzt, blutlos und im Absterben begriffen; es bedarf daher zur Annahme jenes Lehrsatzes f\u00fcr den ganz normalen Nerven durchaus anderer Grundlagen.1\nUeberblickt man alle vorliegenden Thatsachen, so stellt sich als h\u00f6chst wahrscheinlich heraus, dass alle wirklichen Ungleichartigkeiten der Erregbarkeit l\u00e4ngs des Nerven theils vom allgemeinen Absterken, theils von dem Umstande herr\u00fchren, dass der Nerv in Folge der unentbehrlichen Pr\u00e4paration mit den St\u00fcmpfen abgeschnittener Aeste behaftet ist. Gel\u00e4nge es, eine Methode zu finden, den Nerven zu pr\u00fcfen, ohne seine Aeste abzuschneiden, so w\u00fcrde sich h\u00f6chstwahrscheinlich \u00fcberall dieselbe specifisehe Erregbarkeit herausstellen. In der That ist es auch aus allgemeineren Gr\u00fcnden sehr unwahrscheinlich, dass der essentielle Theil einer Faser, der \u00fcberall derselbe ist, locale Erregbarkeitsdifferenzen zeigen sollte ; man w\u00fcrde eher geneigt sein, wirklich nachgewiesene Differenzen auf locale Unterschiede in der relativen M\u00e4chtigkeit der indifferenten H\u00fcllen zur\u00fcckzuf\u00fchren (welche f\u00fcr den electrischen Reiz als Nebenschliessung, f\u00fcr den chemischen als Diffusionsscheidewand hinderlich sind).\nDer Grund, warum ein k\u00fcnstlicher Querschnitt die Erregbarkeit erh\u00f6ht, wurde in sehr verschiedenen Umst\u00e4nden gesucht. Rosenthal identificirte, wie schon bemerkt, die Wirkung des Querschnitts mit einer Beschleunigung des Absterbens, welches anfangs die Erregbarkeit erh\u00f6ht; Heidenhain, der diese Anschauung widerlegte, nahm an, dass die Molec\u00fcle des Nerven sich gegenseitig in einer gewissen Ruhelage festhalten, die Entfernung eines Nervenst\u00fccks also die Theil-chen des Restes labiler mache; Meissner (a. a. O. S. 446) scheint zu vermuthen, dass die N\u00e4he eines Querschnitts die Vertrocknung bef\u00f6rdere, auf welche Harless durchaus die Erregbarkeitsver\u00e4nderungen absterbender Nerven zur\u00fcckf\u00fchren will. Betreffs der That-sache, dass die Astst\u00fcmpfe locale Erregbarkeitsspr\u00fcnge verursachen, giebt Niemand eine Erkl\u00e4rung. [Die von Einigen behauptete Erregbarkeitszunahme nach dem Centrum hin erkl\u00e4rt man meist daraus, dass das Absterben nach dem VALLi\u2019schen Gesetz vom Centrum nach\n1 Remak, Galvanotherapie der Nerven-und Muskelkrankheiten S. 87. Berlin 1858, behauptet auch f\u00fcr den Menschen eine Zunahme der Erregbarkeit nach den Centren.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Natur der Wirkung des Querschnitts.\n117\nder Peripherie vorschreite (Cap. 3), also im Wesentlichen aus dem RosENTHAL\u2019schen Erkl\u00e4rungsprincip.]\nIndessen findet sich schon bei Pfl\u00fcger (a. a. O. S. 151) eine Andeutung, welche eine Erkl\u00e4rung jener merkw\u00fcrdigen Erscheinungen einschliesst, n\u00e4mlich die electrotonisirenden Wirkungen des Nerven-stroms. Pfl\u00fcger giebt zwar nur an, der Nervenstrom des oberen, mit Querschnitt versehenen Endes der noch mit dem Muskel verbundenen Fasern gleiche sich theilweise ab durch die dem oberen Abschnitt dieser Fasern anliegenden Stumpffasern (welche ihrerseits von zwei k\u00fcnstlichen Querschnitten begrenzt, also im ganzen unwirksam sind) ; deshalb sei das obere Faserende wie von einem schwachen absteigenden Strome durchflossen, also in seinem gr\u00f6ssten Theile cat-electrotonisirt. \u201eEs ist nun recht sonderbar\u201c, f\u00e4hrt Pfl\u00fcger fort, \u201edass diese Vorstellung die ganze Erscheinung... erkl\u00e4rt.\u201c Er verwirft diese Erkl\u00e4rung nur deshalb, weil die Umbiegung des Querschnittsendes gegen den Stamm oder die Anlegung anderer querdurchschnittener Nerven an denselben wenn auch merkliche, so doch vergleichsweise schwache Erregbarkeits\u00e4nderungen hervorruft. Trotzdem ist dies Erkl\u00e4rungsprincip richtig und vollkommen ausreichend, wenn man nur noch hinzunimmt, dass der Nervenstrom im Nerven selbst bereits Abgleichung findet, und diese Str\u00f6me wegen geringen Widerstandes sehr stark sind. So ist, wie im 5. Cap. gezeigt werden wird, jeder Nerv in der N\u00e4he seines eigenen k\u00fcnstlichen Querschnitts in kr\u00e4ftigem Catelectrotonus. Anliegende Querschnitte fremder Nerven oder Astst\u00fcmpfe polarisiren den Nerven viel schw\u00e4cher, aber doch merklich, und zwar so, dass jeder solche Querschnitt einen Folge-punct verursacht, zu dessen beiden Seiten der Nerv in schwachem An- und Catelectrotonus ist. In dieser Betrachtung liegt h\u00f6chstwahrscheinlich der Schl\u00fcssel zur Erkl\u00e4rung der hohen Erregbarkeit am Querschnitt und der ausgezeichneten Puncte und Discontinuit\u00e4ten der Erregbarkeit l\u00e4ngs des Nerven.1\nAn sensiblen Nerven sind die localen Erregbarkeitsunterschiede zuerst von Matteucci2, und zwar mit Beziehung auf die Reihefolge des Absterbens untersucht worden ; er fand, dass der Frosch anfangs gleiche Schmerzen \u00e4ussert, an welcher Stelle des Nerven auch der (absteigende) Strom applicirt werde; sp\u00e4ter reagirt er auf tiefere\n1\tPfl\u00fcger hat auf Grund \u00e4hnlicher Betrachtungen auch die oben erw\u00e4hnte Beobachtung Heidenhain\u2019s, dass der Ischiadicus am Knie erregbarer ist als weiter oben, durch polarisirende Wirkungen des Muskelstroms des Gastrocnemius (wohl richtiger der k\u00fcnstlichen Muskelquerschnitte am Knie) zu erkl\u00e4ren versucht; vgl. Untersuchungen a. d. physiol. Labor, zu Bonn S. 148. Anm. Berlin 1865.\n2\tMatteucci, Bib\u00fcoth. univ. Nouv. s\u00e9r. XVffl. p. 361. 1838.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.\nReizung nicht mehr, woraus Matteucci schliesst, dass die sensiblen Nerven von der Peripherie nach dem Centrum hin absterben (der Unterschenkel war erhalten, der Nerv also nicht durchschnitten). In neuerer Zeit haben Rutherford1 und H\u00e4llsten2 3 \u00e4hnliche Versuche an undurchschnittenen Nerven angestellt und gefunden, dass die re-fleetorischen Erfolge um so st\u00e4rker sind, je n\u00e4her dem Centrum gereizt wird. Diese Thatsache, welche von Neuem beweist, dass kein lavinenartiges Anschwellen der Erregung stattfindet, steht mit den oben angef\u00fchrten Erfahrungen an motorischen Nerven insofern im Einklang, als in beiden Nervengattungen die Erregbarkeit vom Centrum nach der Peripherie abnimmt; indess ist, ausser den schon oben S. 116 erw\u00e4hnten Bedenken, hier noch zu erw\u00e4gen, dass die Zahl der getroffenen sensiblen Fasern nach oben hin immer gr\u00f6sser wird. Schliesslich ist noch eine merkw\u00fcrdige Thatsache zu erw\u00e4hnen, welche freilich ebensogut bei der Lehre vom Zuckungsgesetze h\u00e4tte angef\u00fchrt werden k\u00f6nnen; sie betrifft n\u00e4mlich Verschiedenheiten der localen Erregbarkeit f\u00fcr die beiden Stromesrichtungen. Schon Helmholtz 3 erw\u00e4hnt gelegentlich in seiner bekannten Arbeit \u00fcber die zeitlichen Vorg\u00e4nge im Nerven und Muskel einen Fall, wo der Nerv unten f\u00fcr den aufsteigenden, oben f\u00fcr den absteigenden Inductions-strom erregbarer war. Ich selbst4 fand zuf\u00e4llig bei Gelegenheit anderer Untersuchungen, dass regelm\u00e4ssig der Schliessungstetanus und die Schliessungszuckung, sobald die Stromlage \u00fcberhaupt einen Einfluss aus\u00fcbt, beim aufsteigenden Strom in der unteren, beim absteigenden in der oberen Lage leichter auftritt oder st\u00e4rker entwickelt ist. Das Gleiche findet Fleischl5 f\u00fcr die Zuckungen durch Induc-tionsstr\u00f6me. Er f\u00fcgt aber hinzu, dass auch f\u00fcr gewisse Einzelstrecken des Nerven das gleiche Verhalten stattfindet, n\u00e4mlich dass sie in ihrer Mitte f\u00fcr beide Stromrichtungen gleich empfindlich sind und nach unten und oben f\u00fcr die eine Richtung relativ gr\u00f6ssere Empfindlichkeit annehmen. Der Gegenstand bedarf noch weiterer Untersuchungen.\n1\tRurherford, Journ. of anat. and physiol. V. p. 329.1871.\n2\tHallst\u00e9n, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 242.\n3\tHelmholtz, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1850. S. 337. Ich habe diese Stelle erst neuerdings bemerkt.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 361. 1873 ; X\\ I. S. 262. 1877.\n5\tFleischl. Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXII. S. 393.1875; LXXPY . S. 403. 1876.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Locale Erregbarkeiten. Bez. zur Stromrichtung. Ueberleben des Nerven. 119\nDRITTES CAPITEL.\nDie Lebensbedingungen des Nerven.\nI. Die Ver\u00e4nderungen des ausgeschnittenen Nerven.\nDer ausgeschnittene Nerv verliert nach einer gewissen Zeit, auch wenn er vor Vertrocknung, mechanischen und chemischen Sch\u00e4dlichkeiten und abnormen Temperaturen bewahrt wird, seine Erregbarkeit und seine Leitungsf\u00e4higkeit. Der Verlauf dieses Vorgangs kann begreiflicherweise nur entweder an den galvanischen Erregungsvorg\u00e4ngen im Nerven selbst, oder an den Erfolgen im Muskel untersucht werden, da die Centralorgane durch das Ausschneiden ausgeschlossen sind. Da bei weitem die meisten Reizversuche an ausgeschnittenen Nerven angestellt sind, so spielen die Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit, welche dem Ausschneiden folgen, f\u00fcr die Versuche eine wichtige und oft sehr st\u00f6rende und verwirrende Rolle.\n1. Die Dauei' des Ueberlebens.\nWie lange ein ausgeschnittener Nerv noch Reste von Erregbarkeit besitzt, ist schwer zu entscheiden. Vor Allem ist der definitive Tod nicht, wie beim Muskel, durch eine der Starre vergleichbare, sichtbare Ver\u00e4nderung gekennzeichnet (vgl. hier\u00fcber unten sub 3). Man ist also zun\u00e4chst auf die Erfolge am Muskel angewiesen; nun beweist aber nichts, dass das Ausbleiben dieses Erfolges nicht vom Muskel selbst, oder wenigstens, da derselbe direct l\u00e4nger erregbar bleibt als indirect, von den Nervenendigungen herr\u00fchrt, welche sehr empfindlich gegen allerlei Sch\u00e4dlichkeiten sind, also h\u00f6chstwahrscheinlich auch sehr fr\u00fchzeitig absterben (vgl. Bd. I. an vielen Stellen). Ein zweites Verfahren w\u00e4re die Pr\u00fcfung der negativen Stromesschwankung am Querschnitt des Nerven selbst ; allein erstens ist dies ein verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig unempfindliches Reagens, so dass m\u00f6glicherweise noch Erregungen im Nerven ablaufen, wenn der Magnet schon nichts mehr anzeigt; zweitens k\u00f6nnte die Erregbarkeit l\u00e4nger bestehen bleiben als das Leitungsverm\u00f6gen, von welchem es mit abh\u00e4ngt, ob am unteren Nervenende noch Erfolge auftreten.\nNach diesen Bemerkungen mag nun daran erinnert werden (vgl. Bd. I. S. 127), dass die indirecte Muskelerregbarkeit beim Warm-","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 3. Cap. Hie Lebensbedingungen des Nerven.\nbltiter und in hoher Temperatur schneller schwindet als beim Kaltbl\u00fcter und in niedriger Temperatur; beim Warmbl\u00fcter bleibt sie nur etwa 1 Stunde nach dem Ausschneiden bestehen, beim Frosche in niederer Temperatur mehrere Tage. So lange also zum Mindesten beh\u00e4lt der ausgeschnittene Nerv seine Erregbarkeit und sein Leitungsverm\u00f6gen. Am Nerven selber aber sind, wie ich wenigstens an Kaninchennerven h\u00e4ufig beobachtet habe, galvanische Erregungserscheinungen noch mehrere Stunden zu beobachten, nachdem die Wirkung auf den Muskel, ja selbst die directe Erregbarkeit des Muskels verloren gegangen ist. F\u00fcr den Frosch besitze ich keine analoge Erfahrung. Der ausgeschnittene Nerv beh\u00e4lt also beim Kaninchen Reste seiner Erregbarkeit l\u00e4nger als der Muskel. Eige-s hierauf gerichtete Untersuchungen w\u00e4ren sehr w\u00fcnschenswerth.\nDie Beschaffenheit der Thiere hat nat\u00fcrlich grossen Einfluss auf die Dauer des Ueberlebens ihrer Nerven. Jeder Experimentator weiss z. B., um wie viel verg\u00e4nglicher die Nerven der Sommerfr\u00f6sche im Vergleich zu der der Winterfr\u00f6sche sind; die Angabe von Harless1, dass die Erregbarkeit der ersteren bis zu 22 mal geringer als die der letzteren erscheint, ist wohl auf schnelleres Absterben zu beziehen, wenn auch von frischen Nerven die Rede ist.\n2. Der Ablauf der Erregbarkeitsver\u00e4nderungen.\nZwei wichtige Thatsachen sind bez\u00fcglich des Ablaufs der Er-regbarkeitsver\u00e4nderungen gefunden worden: Erstens nimmt die Erregbarkeit nach dem Ausschneiden nicht sogleich ab, sondern anfangs erheblich zu und dann erst ab; zweitens sind die einzelnen Phasen der Erregbarkeitsver\u00e4nderung nicht an allen Stellen des Nerven gleichzeitig vorhanden.\nValli, Pfaff und Ritter2 hatten bereits die Beobachtung gemacht, dass zu einer Zeit, wo die Reizung einer Nervenstelle keine Zuckung mehr giebt, durch Herabr\u00fccken der Reizelectroden am Nerven wieder Zuckung erreicht werden kann. Valli und Ritter schlossen daraus, dass die Nerven in ihren tieferen Theilen das Leben st\u00e4rker conserviren als in den h\u00f6heren, oder mit andern Worten, dass die Nerven vom Centrum nach der Peripherie absterben, du Bois-Reymond (a. a. 0.) macht zwar auf die M\u00f6glichkeit aufmerksam, dass der absterbende Nerv die Erregung nicht auf so lange Strecken fortpflanzen k\u00f6nnte als der lebende, schliesst sich aber,\nt Harless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 378. 1858.\n2 Vgl. die Literatur bei dl Bois-Reymond, Untersucbungen etc. I. S. 321.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Erregbarkeit beim Absterben. VALLi\u2019scbes Gesetz. Anf\u00e4ngliche Zunahme. 121\nbesonders mit R\u00fccksicht auf das NYSTEN\u2019sche Gesetz vom Absterben der Muskeln (Band I. S. 140), dem VALLi\u2019schen Lehrs\u00e4tze an.\nRosenthal1 f\u00fcgte im Jahre 1859 die Beobachtung hinzu, dass das Absterben des Nerven zuerst zu einer Erh\u00f6hung der Erregbarkeit f\u00fchrt, welcher dann erst die Abnahme derselben folgt. Diese Erh\u00f6hung ist an jedem Theile des Nerven nachweisbar, aber entsprechend dem VALLi\u2019schen Gesetz oben fr\u00fcher als unten. Heidenhain und Rosenthal fanden ferner die oben S. 114 er\u00f6rterten Wirkungen des Querschnitts ; obwohl, wie daselbst gezeigt worden ist, die Erregbarkeitserh\u00f6hung, die derselbe macht, auch in solchen Nerven auftritt, die bereits in Abnahme der Erregbarkeit begriffen sind, also nicht als Beschleunigung des Absterbeprocesses aufzufassen ist, findet eine solche doch ohne Zweifel durch den Einfluss des Querschnitts statt ; denn nach einiger Zeit ist die Erregbarkeit in seiner N\u00e4he erloschen. Die Erregbarkeit einer Nervenstelle ist also abh\u00e4ngig: erstens von ihrem Abstande vom k\u00fcnstlichen Querschnitt, zweitens von der Zeit, welche seit dem Ausschneiden, bez\u00fcglich seit Anlegung des Querschnitts, verflossen ist (ausserdem nat\u00fcrlich von der Temperatur etc.).\nNach H. Munk2 steigt und f\u00e4llt mit dem Absterben nicht bloss die Erregbarkeit der einzelnen Pnncte des Nerven (gemessen durch die Reizschwelle oder den Erfolg eines constanten Reizes), sondern auch die H\u00f6he der Zuckung, welche durch maximale Reizung erreicht wird (\u201eErregungsmaximum\u201c); auch hier zeigt sich ein \u00e4hnlicher Einfluss des Querschnitts und der sog. ausgezeichneten Puncte, wie er oben S. 114 f. er\u00f6rtert wurde. Bemerkenswerth ist, dass am frischen Nerven alle Puncte sich in der genannten Beziehung gleich verhalten.\nDie Ursache der Erregbarkeitssteigerung im Beginn des Absterbens ist vollkommen dunkel. Hakless glaubte sie in Vertrocknung zu sehen (vgl. oben S. 98), was entschieden irrth\u00fcmlich ist, da die Erscheinung auch in durchaus feuchtem Raume auftritt. Budge f\u00fchrt sie auf eine Art reizbarer Schw\u00e4che zur\u00fcck, womit indess nur dem R\u00e4thsel ein anderer Name gegeben ist. Die Frage h\u00e4ngt mit der allgemeineren zusammen, warum in den irritabelen Substanzen ein einzelner Reiz nicht den ganzen Vorrath von Spannkr\u00e4ften, sondern immer nur einen bestimmten Theil zum Freiwerden bringt ; dies muss in noch unbekannten Verkettungen seinen Grund haben, welche durch das Absterben fr\u00fcher gest\u00f6rt werden als die Ausl\u00f6sung an sich. (Vgl. auch das 5. Capitel.)\n1\tRcsenthal, Allg. med. Centralztg. 1859. Nr. 16. F\u00fcr den vom Centrum getrennten Nerven war freilich die Erregbarkeitserh\u00f6hung vor dem Zugrundegehen schon l\u00e4ngst bekannt; s. unten sub II. 1.\n2\tH. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 798; 1861. S. 425 ; 1862. S. 1.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 3. Cap. Die Lebensbedingungen des Nerven.\n3. Sichtbare Absterbeerscheinungen.\nVielfach ist die Frage aufgeworfen worden, ob der Tod des Nerven etwa, analog der Todtenstarre des Muskels, durch einen Ge-rinnungsproeess oder eine andere sichtbare Erscheinung gekennzeichnet sei. Der Umstand, dass der Axencylinder an ganz frischen, erregbaren Nervenfasern meistens nicht sichtbar ist1, hat manche Autoren dazu gef\u00fchrt, ihn als ein postmortales Gerinnungsproduct zu betrachten, welches etwa durch Contraction sich auf die Axengegend des Nervenrohres zur\u00fcckzieht.'2 Auch fehlt es nicht an Autoren, welche den Axencylinder pr\u00e4existirend annehmen, aber ihm bei Lebzeiten fl\u00fcssigen Aggregatzustand zuschreiben. Andere haben in den Ver\u00e4nderungen, welche das Aussehen der Markscheide in todten Nerven darbietet, Gerinnungswirkungen erkennen wollen. Die Degenerationserscheinungen, welche vom Centrum getrennte Nerven im Organismus zeigen (s. unten sub IL 1), sind jedenfalls nicht als einfache Todesver\u00e4nderungen aufzufassen, sondern eine unter dem Einfluss der Ern\u00e4hrungsverh\u00e4ltnisse des Organismus ablaufende, morphologische Entwicklung besonderer Art. Eine physiologische Er\u00f6rterung der morphologischen Todeserscheinungen am Nerven ist um so weniger am Platze, als die Histologie der Nervenfaser fast in allen Puncten, namentlich in der Frage der Pr\u00e4existenz der longitudinalen Inhaltsabgrenzungen, streitig ist. Keine einzige mortale Ver\u00e4nderung ist mit Sicherheit nachgewiesen.\nEine wichtige Beobachtung, welche das Absterben betrifft, hat neuerdings Engelmann 3 gemacht ; ein Querschnitt durch den Nerven bringt zu beiden Seiten desselben den Inhalt der Fasern bis zum n\u00e4chsten RANViER\u2019schen Schn\u00fcrring zum Absterben, d. h. nur die angeschnittene (oder sonst direct verletzte) Nervenfaserzelle selbst. Dies Absterben \u00e4ussert sich durch eine \u201etraumatische Degeneration\u201c4, welche in kurzer Zeit (1\u20142 Tage beim Frosche) abl\u00e4uft; unmittelbar am Schnitt tritt der Inhalt aus, etwas weiterhin ist derselbe im Aussehen ver\u00e4ndert, und l\u00e4sst namentlich Axencylinder und Mark nicht mehr unterscheiden.\n1\tBetreffs der Frage nach der Pr\u00e4existenz des Axencylinders muss auf anatomische Werke verwiesen werden.\t, . 4 A\t. ,\n2\tVgl. z. B. Funke, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1859. S. 161 (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 836); Lehrb. d. Physiol. 4. Aufl. I. S. 663, 720. Leipzig 1863.\n3\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. XIII. S. 474. 1876; best\u00e4tigt von Cola-santi, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878. S. 206.\n4\tDer Entdecker der traumatischen Degeneration ist Schief (Lehrb. d. Muskel-und Nervenphysiol. S. 117. Lahr 1858\u201459). Er beschreibt sie, sowie ihre locale Beschr\u00e4nkung; nur konnte die Begrenzung durch die Schn\u00fcrringe nat\u00fcrlich erst jetzt gefunden werden.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Sichtb. Ab Sterbeerscheinungen. Traumat. Degeneration. Trennung v. Centrum. 123\nII. Die Abh\u00e4ngigkeit des Nerven von seiner Verbindung mit\nden Centralorganen.\nEine sehr grosse Reihe von Thatsachen zeigt, dass der Nerv auch innerhalb des lebenden Organismus in seinen Functionen und seinem Bestehen gest\u00f6rt wird, sobald seine Verbindung mit den Centralorganen aufgehoben ist. Diese letztere bildet also eine der wichtigsten Lebensbedingungen des Nerven.\n1. Die Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit und des Baues nach der Abtrennung vom Centrum.\nDurchschnittene Nerven verlieren im lebenden Organismus nach einiger Zeit ihre Erregbarkeit. M\u00fcller & Sticker *, Steinr\u00fcck1 2 3 u. A. sahen die angeschnittenen Nerven bei Warmbl\u00fctern nach mehreren Wochen vollkommen unerregbar; G\u00fcnther & Sch\u00f6nH und Longet4 5 6, welche den Nerven t\u00e4glich pr\u00fcften, fanden die Erregbarkeit (bei Kaninchen resp. Hunden) schon am vierten Tage verschwunden. Bei Fr\u00f6schen erh\u00e4lt sie sich dagegen wochenlang.\nDie erste Wirkung der Durchschneidung ist nach zahlreichen Untersuchern eine Erh\u00f6hung der Erregbarkeit. Zuerst scheinen Valli und Pfaff bemerkt zu haben, dass die Reizerfolge nach Abtrennung des R\u00fcckenmarks gr\u00f6sser sind, sp\u00e4ter haben es Cima, Matteucci, du Bois - Reymond 5 (f\u00fcr die negative Stromesschwankung) best\u00e4tigt. Harless 6 fand die erh\u00f6hende Wirkung der Durchschneidung im Allgemeinen um so st\u00e4rker, je n\u00e4her der Reizstelle der Schnitt lag, so dass ein Einfluss des Querschnitts selbst (vgl. oben S. 114, 116) sehr wahrscheinlich wird; indessen h\u00e4tte es nichts Auffallendes, wenn auch ohne dies an jeder Stelle der absterbende Nerv zuerst erregbarer w\u00fcrde, nach Art des ausgeschnittenen. Harless durchschnitt ferner statt des ganzen Nerven die vorderen oder hinteren Wurzeln, und fand, dass nur die Durchschneidung der ersteren die Erregbarkeit erh\u00f6ht, die der letzteren dagegen sie herabsetzt. Harless schliesst aus der letzteren Beobachtung, dass das Mark\n1\tSticker, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1834. S. 202 ; M\u00fcller, Handb. d. Physiol. I. 4. Aufl. S. 552. Coblenz 1844.\n2\tSteinr\u00fcck, De nervorum regeneratione. Berolini 1838.\n3\tG\u00fcnther & Sch\u00f6n, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1840. S. 270.\n4\tLonget, Anatomie und Physiologie des Nervensystems. Uebers. v. Hein. I. S.49. Leipzig 1847.\n5\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 248, 563. 1849, wo auch die Citate f\u00fcr die vorher genannten Autoren.\n6\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 595, 612. 1858.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 3. Cap. Die Lebensbedingungen des Nerven.\neinen best\u00e4ndigen erregbarkeitserb\u00f6henden Einfluss auf den Bewegungsapparat in centrifugaler Richtung austibt; die andre denkbare Deutung, dass diese Wirkung der hinteren Wurzeln eine centripetale sei, indem bei Reizung des gemischten Nerven zur directen Reizung der motorischen Fasern noch eine reflectorische hinzukommt, und dieser Antheil nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln wegf\u00e4llt, ist scheinbar dadurch ausgeschlossen, dass der Erfolg der Durchschneidung der hinteren Wurzeln nach Harless auch bei durchschnittenen vorderen Wurzeln auftritt, und dass Reizung der peripherischen Enden der hinteren Wurzeln die Erregbarkeit erh\u00f6ht. Freilich hat man sp\u00e4ter eine best\u00e4ndige reflectorische Erregbarkeitserh\u00f6hung der motorischen Fasern durch die sensiblen behauptet (s. unten). Diese letztere musste aber bei dem HARLESs\u2019schen Verfahren, wo die sensiblen Fasern immer mitgereizt wurden, wohl verwischt werden; derselbe Umstand war aber auch, wie schon Cyon1 und Gr\u00fcnhagen2 bemerkt haben, f\u00fcr den Nachweis der von Harless behaupteten centrifugalen Wirkung der sensiblen Fasern so ung\u00fcnstig wie m\u00f6glich; denn derartige best\u00e4ndige leise Wirkungen gehen doch durch k\u00fcnstlich gereizte Nervenstellen schwerlich hindurch. Allein man wird sich schon deshalb zu der HARLESS\u2019schen Lehre schwer verstehen, weil seine Methodik viel zu w\u00fcnschen \u00fcbrig l\u00e4sst, und G. Heidenhain (in der unten citirten Arbeit) das Versuchsresultat nicht best\u00e4tigen konnte.\nDie eben erw\u00e4hnten Arbeiten \u00fcber reflectorische Erregbarkeitserh\u00f6hungen geh\u00f6ren zwar eigentlich zur Physiologie des R\u00fcckenmarks, k\u00f6nnen aber an dieser Stelle nicht ganz umgangen werden. Veranlasst durch die pathologischen Erfahrungen \u00fcber Bewegungsst\u00f6rungen durch sensible L\u00e4hmungen pr\u00fcfte E. Cyon3 die Erregbarkeit der vorderen Spinalwurzeln vor und nach Durchschneidung der hinteren und fand sie in letzterem Falle kleiner. Die Thatsache wurde von v. Bezold & Uspensky4 und von G. Heidenhain5 bestritten, dagegen von Cyon6, Guttmann7 und Steinmann8 aufrecht erhalten9; erstere gaben jedoch zu, dass w\u00e4hrend k\u00fcnstlicher Reizung der sensiblen Nerven oder ihrer Endigungen in der\n1\tE. Cyon, Die Lehre von der Tabes dorsualis S. 21. Berlin 1867.\n2\tGr\u00fcnhagen, Ztscbr. f. rat. Med. (3) NXXI. S. 38. 1868.\n3\tE. Cyon, Ber. d. s\u00e4cbs. Acad. 1865. S. 85.\n4\tv. Bezold & Uspensky, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 611, 819; Unters, a. d. pbysiol. Labor, in W\u00fcrzburg II. S. 107. Leipzig 1869.\n5\tG. Heidenhain, Arch. f. d. ges. Physiol. IY. S. 435. 1871.\n6\tE. Cyon, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 643; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 387 ; Arch. f. d. ges. Physiol. YPII. S. 347. 1873.\n7\tGuttmann, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 689.\n8\tSteinmann, Bull. d. l\u2019acad. d. St. P\u00e9tersb. XYI. p. 118.1870.\n9\tEine anscheinend analoge Erscheinung, n\u00e4mlich Abnahme der Erregbarkeit des Hypoglossus nach Durchschneidung des Lingualis, beobachtete Pintschoyius, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1872. S. 455.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss der Centra auf Erregbarkeit. Paralytische Degeneration.\n125\nHaut, die Erregbarkeit der vorderen Wurzeln erh\u00f6ht ist, also eine Summation reflectorischer Erregungen zur directen m\u00f6glich ist (was Gr\u00fcnhagen, a. a. 0., aus theoretischen Gr\u00fcnden bestritten hatte). Es handelt sich also im Wesentlichen darum, ob eine solche Wirkung der sensiblen Nerven auf die motorischen best\u00e4ndig vorhanden ist, etwa wie es zur Erkl\u00e4rung des BRONDGEEST\u2019schen Reflextonus der Beuger angenommen wird, oder nur zu Zeiten auftritt. Ein Theil der genannten Arbeiten betrifft auch die Frage, wie sich die Erregbarkeit der Nerven nach Durcli-sclmeidungen im Bereich des Markes selbst gestalte ; indess muss hier auf die Physiologie des R\u00fcckenmarks verwiesen werden.\nWie am Frosche, so sind auch beim Menschen anf\u00e4ngliche Erregbarkeitserh\u00f6hungen in den motorischen Nerven nach Abtrennung derselben von den Centren beobachtet worden; namentlich ist die Literatur \u00fcber die Faeialis-L\u00e4hmungen reich an solchen Erfahrungen, und auch die nach L\u00e4hmungen auftretende erh\u00f6hte Erregbarkeit der Muskeln, sowie die in gel\u00e4hmten Muskeln beobachteten spontanen Erregungserscheinungen sind m\u00f6glicherweise nerv\u00f6sen Ursprungs. Bez\u00fcglich der specielleren Angaben und der Literatur dieses Gegenstandes muss auf Band I. S. 138, 260 verwiesen werden.\nDer anf\u00e4nglichen Erh\u00f6hung der Erregbarkeit folgt eine Herabsetzung derselben bis zu v\u00f6lligem Verlust. Derselbe r\u00fcckt nach den Angaben von Longet f\u00fcr den Warmbl\u00fcter, von Stannius f\u00fcr den Frosch, vom Centrum (Schnittende) nach der Peripherie vor, nimmt also einen \u00e4hnlichen Verlauf wie der freilich viel schnellere Process in der Leiche und im ausgeschnittenen Nerven. Indess w\u00e4re es w\u00fcnschenswerth, diesen Punct einer erneuten Pr\u00fcfung zu unterwerfen, da wenigstens die sogleich zu besprechenden Degenerationserscheinungen einen anderen Verlauf nehmen (s. unten). Vor dem v\u00f6lligen Schwinden erleidet, wie schon oben S. 86 erw\u00e4hnt, die Erregbarkeit eine specifische Herabsetzung f\u00fcr kurzdauernde Str\u00f6me.\nEine wichtige Thatsache ist es nun weiter, dass die vom Centrum abgetrennten Nerven alsbald anatomischen Ver\u00e4nderungen unterliegen, welche als fettige oder k\u00f6rnige Degeneration bezeichnet werden. Zuerst scheint diese paralytische Degeneration von J. M\u00fcller gesehen zu sein, ausf\u00fchrliche Untersuchungen lieferten zuerst Steinr\u00fcck1, Nasse2, G\u00fcnther & Sch\u00f6n3, Stannius4 und Waller.5 Letzterer machte die wichtige Beobachtung, dass die De-\n1\tSteinr\u00fcck. De nervorum regeneratione. Berolini 1838.\n2\tNasse, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1839. S. 405.\n3\tG\u00fcnther & Sch\u00f6n, ebendaselbst 1840. S. 270.\n4\tStannius, ebendaselbst 1847. S. 453.\n5\tWaller. Ph\u00fcos. Transactions 1850. II. p. 423; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1852. S. 392; Nouvelle m\u00e9thode anatomique pour rinvestigation du syst\u00e8me nerveux I. Bonn 1852.","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 3. Cap. Die Lebensbedingungen des Nerven.\ngeneration jeder einzelnen vom Centrum abgetrennten Faser von der Schnittstelle bis zur \u00e4ussersten Peripherie sich erstreckt (\u00fcber das Verhalten der Endorgane selbst s. unten), und dass die sensiblen Nerven nicht im peripherischen, sondern im centralen Abschnitt de-generiren, wenn die hinteren Wurzeln oberhalb des Ganglions durchschnitten sind; das Spinalganglion spielt also f\u00fcr die Erhaltung der sensiblen Fasern die gleiche Rolle wie das R\u00fcckenmark f\u00fcr die der motorischen Fasern. Die letztere Thatsache wurde sp\u00e4ter von Bidder1 auch f\u00fcr den Frosch best\u00e4tigt, an welchem Versuche dieser Art wegen der Langsamkeit des Verlaufes besondere Schwierigkeiten haben.2 3 Waller, Budge 3 und Schiff4 waren die Ersten, welche die Degeneration im eben angegebenen Sinne zur Aufsuchung des trophischen Centrums der Fasern, ausserdem aber zur Verfolgung des anatomischen Verlaufes einzelner Fasern in anastomotischen Netzen verwendet haben, ein Verfahren, welches sich seitdem in zahlreichen Untersuchungen bew\u00e4hrt hat. In der speciellen Nervenphysiologie, namentlich der Kopfnerven, der Spinalwurzeln und des Sympathicus, werden solche zur Sprache kommen. Hier sei nur im Allgemeinen bemerkt, dass manche zwischen zwei Ganglien verlaufende Fasern auf beiden Seiten erhaltende Centra haben, so dass nach einfacher Durchschneidung kein Theil entartet.\nHinsichtlich des Ablaufs der Degeneration im abgetrennten Nerven besteht insofern eine Abweichung der Angaben als die einen ein Vorr\u00fccken von der Schnittstelle nach der Peripherie, Andere ein gleichzeitige^ Auftreten im ganzen Nerven5, Schiff sogar ein fr\u00fcheres Auftreten an den reichlicher mit Blut versorgten, peripherischen Endigungen annehmen. Die erste Angabe, welche jetzt nur noch wenige Vertreter z\u00e4hlt, r\u00fchrt m\u00f6glicherweise von Verwechselung mit der sehr schnellen traumatischen Degeneration am Querschnitt her, welche oben S. 122 besprochen ist.\nDie bei der Degeneration stattfindende anatomische Ver\u00e4nderung ist bis in die neueste Zeit hinein Gegenstand \u00e4usserst zahlreicher Untersuchungen gewesen, auf welche aber hier nicht eingegangen werden kann.6 Das Endresultat ist v\u00f6lliger Schwund des Nerven-\n1\tBidder, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1865. S. 67.\n2\tErw\u00e4hnenswerth ist, dass die Degeneration auch bei winterschlafenden Mur-melthieren beobachtet wird; vgl. Schiff, Lehrb. etc. S. 116. 1858; Valentin, Molesch. Unters. IX. S. 247. 1865.\n3\tBudge, Ztsehr. f. wiss. Zool. III. S. 347. 1851.\n4\tSchiff, Arch. f. physiol. Heilk. 1852. S. 145; Lehrb. etc. S. 111. 1858.\n5\tDie neueste Best\u00e4tigung dieser Angabe hat Colasanti geliefert, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878. S. 206.\n6\tEinige Arbeiten, welche die Literatur zusammenstellen, sind unten hei der Regeneration angef\u00fchrt.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Paralytische Degeneration. Verlauf und Erstreckung. \"Waller\u2019s Gesetz. 127\ninhaltes, so dass allein die Neurilemme der Fasern \u00fcbrig bleiben; nach Einigen sollen auch diese schliesslich schwinden. Die Degeneration verl\u00e4uft bei Warmbl\u00fctern bedeutend schneller als bei Fr\u00f6schen, und bei diesen um so schneller je h\u00f6her die Temperatur; sehr langsam ist sie nach Schiff & Valentin (vgl. Schiff, Lehrb. a. a. 0.) im Winterschlaf von Warmbl\u00fctern. Die ersten, nur am Nervenmark sichtbaren degenerativen Ver\u00e4nderungen sind schon lange vor v\u00f6lligem Verlust der Erregbarkeit, also bei Warmbl\u00fctern vor dem 4. Tage vorhanden, die Integrit\u00e4t des Markes also f\u00fcr die Leistungsf\u00e4higkeit des Nerven nicht absolut unentbehrlich 1 ; bei Fr\u00f6schen bleibt im Winter die Degeneration oft viele Wochen aus. Nach Gubowitsch 2 wird sie ausserordentlich beschleunigt, wenn der Nerv vorher durch Hervorziehen der Vertrocknung ausgesetzt war; sie \u00abkann so beim Frosche schon am dritten Tage stark entwickelt sein; indess geh\u00f6rt diese Degeneration streng genommen nicht hierher, da sie nicht sowohl auf Abtrennung vom Centrum als auf directer Zerst\u00f6rung des Nerven beruht.\nNach dem Vorstehenden degeneriren die centralen Enden durchschnittener Nerven nicht, mit Ausnahme der hinteren Spinalwurzeln wenn der Schnitt zwischen Ganglion und Mark liegt. Alle Beobachter stimmen darin \u00fcberein, dass, mit der erw\u00e4hnten Ausnahme, die centralen Enden ihre normale Beschaffenheit bis dicht an den Stumpf behalten, so lange das Thier lebt. Auch ihre Erregbarkeit, welche nat\u00fcrlich nur an sensiblen Fasern gepr\u00fcft werden kann, erh\u00e4lt sich sehr lange, schwindet aber schliesslich, ohne Degeneration, in Folge des Mangels an Erregungen. Die Angabe Matteucci\u2019s 3 4, dass im centralen Ende eines sensiblen Nerven die Erregbarkeit rasch vom Stumpf nach dem Centrum hin abnimmt, beim Frosche schon nach 5 Minuten, geh\u00f6rt nat\u00fcrlich nicht hierher, da sie offenbar auf grobe Sch\u00e4dlichkeiten, die den (freipr\u00e4parirten) Nerven getroffen haben, zur\u00fcckzuf\u00fchren ist. An den degenerirenden centralen Enden der hinteren Spinalwurzeln beim WALLER\u2019schen Versuch sah Gian-nuzzi 4 die Erregbarkeit noch am zehnten Tage, wenn auch geschw\u00e4cht, bestehen, obgleich die Degeneration schon weit vorgeschritten war;\n1\tVulpian, Le\u00e7ons sur la physiologie du syst\u00e8me nerveux p. 235. Paris 1866, behauptet, die Degeneration werde erst nach v\u00f6lligem Verlust der Erregbarkeit erkennbar, wodurch der eben gezogene Schluss hinf\u00e4llig w\u00fcrde ; vgl. aber unten den Versuch von Gianotjzzi.\n2\tGubowitsch, Ztschr. f. Biologie XIII. S. 118. 1877.\n3\tMattetjcci, Bibi. univ. Nouv. s\u00e9r. XVIII. p. 361. 1838.\n4\tGiannuzzi, Ricerche eseguite nel gabin. di fisiol. di Siena I. p. 5. 1867\u20141868. Siena 1868.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 3. Cap. Die Lebensbedingungen des Nerven.\nein neuer und ganz zweifelloser Beweis, dass die Erregbarkeit noch bei hohen Graden der Degeneration erhalten sein kann.\nDie angef\u00fchrten Thatsachen f\u00fchren zu der wichtigen Erkenntnis, dass jede Nervenfaser nur dann auf die Dauer erhalten bleibt, wenn sie mit einem bestimmten Ern\u00e4hrungscentrum in continuirlicher Verbindung steht.\nUeber die Betheiligung der peripherischen Endorgane an der Degeneration sind die Angaben verschieden.1 Die Tastk\u00f6rperchen entarten nach Meissner und Krause, nach Langerhans nicht. Die Netzhautst\u00e4behen werden durch Opticusdurchschneidung nach Krause nicht ver\u00e4ndert, ebensowenig nach Colasanti die Geruchsnervenendigungen durch Olfac-toriusdurchschneidung. Sokolow behauptet, dass die motorischen Endplatten nach Durchschneidung ihrer Nerven entarten.\nVulpian2 , beobachtete in manchen F\u00e4llen, aber nicht constant, dass auch die Gef\u00e4sse des degenerirten Nerven, und zwar nur die Arterien, in eigenth\u00fcmlicher Weise entarten.\n2. Wiederherstellung der Verbindung mit dem Centrum.\nCruikshank3 4 5 war der Erste, welcher bei Versuchen \u00fcber Innervation der Eingeweide im Jahre 1776 durchschnittene Nerven nach l\u00e4ngerer Zeit wieder zusammengewachsen und functionirend vorfand. Fontana 4 und Michaelis 5 sahen ein im HuNTER\u2019schen Museum aufbewahrtes Pr\u00e4parat dieser Versuche, und wurden dadurch zur Wiederholung-derselben angeregt; sie fanden die Thatsache vollkommen best\u00e4tigt, die Narbe Nervenfasern enthaltend und leitungsf\u00e4hig. Den Widerspruch Arnemann\u2019s6 beseitigte Haighton7, und nun folgte eine grosse Reihe best\u00e4tigender Arbeiten, welche man in der schon genannten Dissertation von Steinr\u00fcck8 aufgef\u00fchrt findet. Neben diesen experimentellen Erfahrungen lieferte die Chirurgie der Nervenwunden zahlreiche Belege, dass auch am Menschen durchschnittene Nerven in der zweiten Woche ihre Continuit\u00e4t und Leitungsf\u00e4higkeit wiedergewinnen k\u00f6nnen. Es ist also festgestellt, dass der Nerv fast am\n1\tEine Zusammenstellung s. bei Colasanti, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 475, wo auch die Citate f\u00fcr die im Text folgenden Angaben.\n2\tVttt.ptan, Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1870. p. 178.\n3\tCruikshank, Med. facts and observ. Vn. No. 14; Phil. Transact. 1795. p. 177 ; Reil\u2019s Arch. f. d. Physiol. II. S. 57. 1797.\n4\tFontana, Abhandlung \u00fcber das Viperngift etc. (Original Florenz 1781). Ueber-setzung. S. 350. Berlin 1787. Die Versuche sind 1778\u201479 in London angestellt.\n5\tMichaelis, Ueber die Regeneration der Nerven. Brief an Camper. Cassel 1785; Richter\u2019s Chirurg. Biblioth. V. S. 122, VIII. S. 122.\n-6 Arnemann, Versuche \u00fcber die Regeneration an lebenden Thieren. I. Ueber die Regeneration der Nerven. G\u00f6ttingen 1782.\n7\tHaighton, Phil. Transact. 1795. S. 190; Reil\u2019s Arch. f. d. Physiol. IL S. 71.\n1797.\n8\tSteinr\u00fcck, De nervorum regeneratione/ Berolini 1838.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Paralytische Degeneration. Regeneration.\n129\nleichtesten von allen Geweben Continuit\u00e4tstrennungen durch nat\u00fcrliche Heilung reparirt, so dass man, um dauernde Trennung zu erlangen, z. B. zum Studium des vollst\u00e4ndigen Ablaufs der Degenerationserscheinungen, stets durch zwei Schnitte ein l\u00e4ngeres St\u00fcck des Nerven entfernen muss. Selbst wenn durch solche Resectionen oder durch absichtliche Verlagerung der St\u00fcmpfe in der Wunde ein erhebliches Klaffen der Nervenl\u00fccke bewirkt ist, kommen Regenerationen vor, besonders bei jungen Thieren, in welchen \u00fcberhaupt die Regeneration schneller verl\u00e4uft. Schiff 1 sah solche., freilich erst nach Monaten, bei L\u00fccken bis zu 5 cm. L\u00e4nge (beim Hunde). Hat man, statt ihn zu durchschneiden, den Nerven nur durchquetscht, so nimmt die Regeneration nach Schiff viel l\u00e4ngere Zeit in Anspruch. Die sensiblen Fasern erlangen in einem durchschnittenen gemischten Stamm fr\u00fcher ihre Function wieder als die motorischen (vgl. Schiff, a. a. O. S. 124), was aber sehr wohl auf der verschieden leichten Ansprechbarkeit der Erfolgsorgane beruhen k\u00f6nnte, wenn nicht Schiff auch anatomisch an rein sensiblen Nerven fr\u00fchere Regeneration beobachtet h\u00e4tte als an rein motorischen (vgl. auch unten).\nDie Regeneration geschieht durch Verwachsung der centralen Faserst\u00fcmpfe mit den persistirenden peripherischen, nicht, wie Waller* 2 fr\u00fcher annahm, durch Neubildung der letzteren.3 Die Degeneration der peripherischen St\u00fcmpfe nimmt anfangs ihren gew\u00f6hnlichen Verlauf, wird aber durch die eintretende Verwachsung mit den centralen aufgehalten, anscheinend verw\u00e4chst der noch persistirende Axen-cylinder mit dem des centralen St\u00fcckes, und nur das Mark bildet sich im peripherischen Theile neu. Wahrscheinlich bildet auch die Erhaltung des Axencylinders im peripherischen degenerirenden St\u00fcck dasjenige Moment, welches entscheidet, ob Regeneration noch m\u00f6glich ist. Auf die anatomischen Details des Vorganges kann hier nicht eingegangen werden.4\nVon grosser Wichtigkeit ist die Frage, ob die Regeneration unter einem Einfluss des Centrums erfolgt; d. h. ob ein an zwei Stellen durchschnittener Nerv auch an der peripherischer gelegenen Schnittstelle regeneriren kann. Nachdem fr\u00fchere Beobachter zu keinem bestimmten Resultate hatten gelangen k\u00f6nnen, behaupteten Philipeaux\nt Schipp, Lehrb. etc. S. 123.\n2\tWaller, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1852. S. 392.\n3\tYgl. Schipp, Compt. rend. XXXYIII. p. 451. 1854; Lent, Ztschr. f. wiss. Zool. YII. S. 145. 1855, und die \u00fcbrige Literatur des Regenerations Vorgangs.\n4\tDie anatomische Literatur s. bei Steinr\u00fcck, a. a. 0. ; Beneke, Arch. f. pathol. Anat. LY. S. 508. 1872; Eichhorst, ebendaselbst LIX. S. 1. 1874; Colasanti, Arch, f. (Anat. u.) Physiol. 1878. S. 206.\nHandbuch der Physiologie. Bd. II.\n9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130 Hermann, \u00c0llg. Nervenphysiologie. 3. Cap. Die Lebensbedingungen des Nerven.\n& Vulpian 1 dass, wenn auch das Centrum eine bef\u00f6rdernde Wirkung aus\u00fcbe, doch auch zwei vom Centrum getrennte Nervenabschnitte wieder verheilen, ja ein abgetrenntes oder ganz transplantirtes St\u00fcck ohne Verwachsung sich regeneriren k\u00f6nne; allein neuerdings hat Vulpian 2 sich \u00fcberzeugt, dass diesen Angaben Irrth\u00fcmer zu Grunde liegen. Die Degeneration geschieht also ausschliesslich unter dem Einfluss des Centralorgans. Diese fundamentale Thatsache deutet darauf hin, dass vom Centralorgan best\u00e4ndige, oder vielleicht periodische, Wirkungen ausgehen, welche sich nach Art der Erregungsleitung \u00fcber die ganze Continuit\u00e4t des Nerven erstrecken und ihn gleichsam best\u00e4ndig regeneriren, und dass der Mangel dieser regene-rirenden Wirkungen die Degeneration abgetrennter Nervenst\u00fccke hervorbringt, Unter Centralorgan ist hier das \u201eern\u00e4hrende\u201c im Sinne Waller\u2019s zu verstehen.\nDie Beobachtungen \u00fcber Regeneration sensibler Nerven m\u00fcssen mit grosser Vorsicht benutzt und namentlich niemals aus dem Wiederauftreten der Sensibilit\u00e4t ein Schluss auf eingetretene Verwachsung des durchschnittenen Nerven gezogen werden. Die unter dem Namen der \u201esensibilit\u00e9 r\u00e9currente \u201c bekannten Erscheinungen, welche auf peripherischen Anasto-mosen sensibler Nerven und Uebergang derselben selbst in motorische Bahnen beruhen1 2 3, k\u00f6nnen zu groben Trugschl\u00fcssen f\u00fchren. Aus ihr erkl\u00e4ren sich die zahlreichen F\u00e4lle, in denen nach Durchschneidung sensibler Nerven die von ihnen scheinbar ausschliesslich versorgten Theile schon am ersten Tage Spuren von Empfindlichkeit zeigten; vgl. jedoch auch unten sub 3.\nDie Erregbarkeit kehrt mit der Regeneration wieder. Nach Versuchen von Erb und von Ziemssen & Weiss (cit. Bd. I. S. 137) hat es den Anschein als ob das Leitungsverm\u00f6gen fr\u00fcher wiedergewonnen w\u00fcrde als die locale Erregbarkeit (vgl. hier\u00fcber das 5. Capitel). Ferner scheint das Leitungsverm\u00f6gen f\u00fcr die nat\u00fcrliche .centrale Erregung am fr\u00fchesten wiederzukehren; nach Duchenne4 ist der Willenseinfluss auf die gel\u00e4hmten Glieder die erste wieder auftretende motorische Erscheinung.\n1\tPhilipeaux & Vulpian, Compt. rend. XLIX. p. 507. 1859; LI. p. 363. 1860; LII. p. 849. 1861 ; Journ. d. 1. physiol. 1860. p. 214; 1864. p. 421,474.\n2\tVulpian, Arch. d. physiol, norm, etpathol. 1874. p. 704. Schon Schiff hatte das Factum bestritten, Journ. d. 1. physiol. 1860. p. 217 ; ebenso Landry, ebendaselbst p. 218, Laveran, Journ. d. l\u2019anat. et d. 1. physiol. 1868. p. 305; letzterer h\u00e4lt es f\u00fcr wahrscheinlich, dass der Begenerationsvorgang vom Stumpf nach der Peripherie fortschreitet. Ueber merkw\u00fcrdige Versuche von Philipeaux & Vulpian, ein Lingualis-st\u00fcck in eine L\u00fccke des Hypoglossus einzuheilen, s. Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1870. p. 6IS. Vgl. auch oben S. 11.\n3\tIch verweise hier auf die Zusammenstellung von Arloing & Tripier, Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1876. p. 11,105, und auf die specielle Nervenphysiologie.\n4\tDuchenne, Trait\u00e9 de l\u2019\u00e9lectrisation localis\u00e9e. 2. \u00e9d. Paris 1861.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Regeneration. Natur der centralen Wirkung. Bildung neuer Verkettungen. 131\n3. Herstellung neuer nerv\u00f6ser Verkettungen nach Abtrennung\nvom Centrum.\nEs muss noch eine Reihe h\u00f6chst merkw\u00fcrdiger Beobachtungen erw\u00e4hnt werden, welche an dem peripherischen Verbreitungsbezirk resecirter Nerven gemacht sind. Philipeaux & Vulpian beobachteten zuerst im Jahre 1863, dass nach Durchschneidung des Hypo-glossus der Lingualis motorische Wirkungen auf die Zunge gewinnen kann, eine Thatsache, welche von Cyon und Schiff best\u00e4tigt, und namentlich von Vulpian weiter verfolgt wurde.1 Die Wirksamkeit des Lingualis beginnt zu der Zeit wo der Hypoglossus in Degeneration begriffen ist, und h\u00f6rt wieder auf wenn derselbe durch Verwachsen mit dem centralen Ende sich regenerirt; die motorische Wirkung des Lingualis bietet nach Vulpian und Schiff keinen vollen Ersatz f\u00fcr die des Hypoglossus, sie beschr\u00e4nkt sich auf Auf- und Abbewegungen der Zunge bei der Reizung; unwillk\u00fcrliche oder re-flectorische Zungenbewegungen werden durch den Lingualis nicht vermittelt. Vulpian fand ferner, dass diese Wirkungen des Lingualis nur den in ihm enthaltenen Chordafasern zukommen, denn sie bleiben aus, wenn mit dem Hypoglossus auch die Chorda tympani durchschnitten wurde und degenerirte.2\nNoch auffallender ist, dass nach Schiff der Lingualis, ehe eiserne motorischen Eigenschaften erlangt, bei seiner Reizung die Bd. I. S. 138, 260 besprochenen paralytischen Undulationsbewegungen der Zungenmuskeln hemmt, eine Woche sp\u00e4ter dagegen, gleichzeitig mit den eben erw\u00e4hnten motorischen Wirkungen diese Bewegungen verst\u00e4rkt.3\nDiese r\u00e4thselkaften Thatsachen deuten darauf hin, dass eine Tendenz vorhanden ist, durch Herstellung neuer anatomischer Verbindungen die Folgen nerv\u00f6ser L\u00e4hmungen auszugleichen. Auf sensiblem Gebiet sind \u00e4hnliche Processe schon lange an transplantirten\n1\tVgl. Philipeaux & Vulpian, Compt. rend. LVI. p. 1009. 1863; Cyon, Bull. d. l\u2019acad. d. St. P\u00e9tersb. VIII. p. 49. 1871 ; Vulpian, Compt. rend. LXXVI. p. 146. 1873 ; Arch. d. physiol, norm, et pathol. V. p. 597. 1873 ; Schief, R. accad. dei Lincei. Ser. 3. I. Sep.-Abdr. 1877 ; Arch. d. sc. physiol, et nat. LXIV. p. 59. 1878.\n2\tEckhard (Beitr\u00e4ge z. Anat. u. Physiol. VII. S. 6. 1873) konnte die Vulpian-sche Beobachtung nicht best\u00e4tigen und vermuthet T\u00e4uschungen durch Stromesschleifen; indessen reizte er den Lingualis erst 4 Monate und in einem Falle 4 Wochen nach der Hypoglossusdurchschneidung, wo wahrscheinlich die Wirksamkeit schon wieder verschwunden war. Die Thatsache ist auch in meinem Laboratorium von Bleuler & Lehmann best\u00e4tigt worden.\n3\tDie Herren Bleuler & Lehmann sahen dagegen die Lingualisreizung schon am 3. Tage, d. h. beim ersten Auftreten der Undulationen, dieselben verst\u00e4rken und gegen den 5.- 6. Tag selbstst\u00e4ndig Bewegungen ausl\u00f6sen. Reizung des Sympathicus erwies sich wirkungslos.\n9","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 3. Cap. Die Lebensbedingungen des Nerven.\nHautlappen bekannt; dieselben zeigen zwar anfangs nur solche Sensibilit\u00e4tserscheinungen, welche von den in ihnen erhaltenen, noch mit dem Centrum verbundenen sensiblen Nerven herr\u00fchren; das Individuum localisirt daher die Empfindungen bei Reizung des trans-plantirten St\u00fcckes an die K\u00f6rperstelle, von der es entnommen ist. Sp\u00e4ter aber senden die Nerven der Nachbarschaft Fortsetzungen in das implantirte St\u00fcck hinein, und die Localisation wird jetzt eine directe.1 Die vorhin angef\u00fchrten neuen Verbindungen des Lingualis, oder vielmehr der Chorda, sind aber viel unerkl\u00e4rlicher, weil sie nicht von den Nervenst\u00fcmpfen einer Schnittwunde ausgehen. Der Gedanke liegt daher nahe, dass es sich hier nicht sowohl um Herstellung neuer, als um Wirksamerwerden bereits bestehender Verbindungen handelt. Ueber die Natur derselben k\u00f6nnen aber erst weitere Untersuchungen Aufschluss geben, welche vermuthlich auch die hemmenden und verst\u00e4rkenden Wirkungen des Lingualis auf die paralytischen Undulationen und das Wesen dieser letzteren aufkl\u00e4ren werden.2 3 Sehr fraglich ist es, ob nicht manche der neuerdings von Arloing & Tripier (a. a. 0.) auf Sensibilit\u00e9 r\u00e9currente bezogenen Erscheinungen nach Nervendurchschneidung ebenfalls hierher geh\u00f6ren, also auf Herstellung neuer oder Wirksamerwerden bestehender Verbindungen zu beziehen sind.\"\nIII. Die Abh\u00e4ngigkeit des Nerven von Kreislauf und Athmung.\nWie weit die Zufuhr arteriellen Blutes zu den Lebensbedingungen des Nerven geh\u00f6rt, ist f\u00fcr den eigentlichen Nerven schwer zu entscheiden, weil seine Th\u00e4tigkeit fast nur an den Erfolgen in anderen, von jener Zufuhr in hohem Grade abh\u00e4ngigen Organen gepr\u00fcft werden kann. Beim STENSON\u2019schen Versuche (vgl. Bd. I. S. 128) geht allerdings die indirecte Erregbarkeit betr\u00e4chtlich fr\u00fcher verloren als die directe; indessen w\u00e4re es irrig hieraus auf einen schnellen Erregbarkeitsverlust der Nervenfaser selbst zu schliessen, da ein schnelles Absterben der intramuscul\u00e4ren Nervenendigungen zur Er-\n1\tDie Bel\u00e4ge hierf\u00fcr findet man haupts\u00e4chlich in der chirurgischen Literatur ; vgl. auch den oben S. 13 erw\u00e4hnten Versuch mit dem transplantirten Rattenschwanz.\n2\tErw\u00e4hnt mag werden, dass Waldeter (Unters, a. d. physiol. Instit. zu Breslau III. S. 86. Leipzig 1865) die Mitwirkung eingeschobener Ganglienzellen vermuthet. Die Gef\u00e4sserweiterung, welche die Chorda bewirkt, ist bei der von Schiff beschriebenen Hemmungswirkung schwerlich betheiligt, da sie sp\u00e4ter eintritt als die Hemmung.\n3\tEine an hierhergeh\u00f6rigen Beobachtungen reiche Arbeit , welche auch Erscheinungen (am Menschen) enth\u00e4lt, die an das VuLPiAN\u2019sche Ph\u00e4nomen erinnern, ist die von v. Bruns, Die Durchschneidung der Gesichtsnerven beim Gesichts schmerz. T\u00fcbingen 1859.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Bildung neuer Verbindungen. Einfluss von Athmung, Kreislauf, Ern\u00e4hrung. 133\nkl\u00e4rung ausreicht. Der Versuch m\u00fcsste erst so modificirt werden, dass der Muskel seine Blutzufuhr beh\u00e4lt, w\u00e4hrend sie dem Nerven entzogen ist; dies hat aber grosse Schwierigkeiten, weil der Nerv stets von centraleren Arterienabschnitten versorgt wird, als der zugeh\u00f6rige Muskel.\nNachdem ich gefunden hatte, dass der Froschmuskel von Sauerstoffzufuhr in hohem Grade unabh\u00e4ngig ist (vgl. Bd. I. S. 132), wurde die gleiche Thatsache von J. Banke 1 und (unter Pfl\u00fcger\u2019s Leitung) von A. Ewald 2 auch f\u00fcr den Nerven festgestellt; ersterer fand in indifferenten Gasen, letzterer im feuchten Vacuum, die Erregbarkeit ebenso dauerhaft wie in Luft. Pfl\u00fcger 3 hat auch in der grossen Gef\u00e4ssarmuth der Nervenst\u00e4mme einen Hinweis gesehen, dass dieselben von Kreislauf und Athmung wenig abh\u00e4ngig sind; aber bei der D\u00fcnne dieser Organe k\u00f6nnten sie allenfalls ihren Bedarf an Sauerstoff und sonstigem Ern\u00e4hrungsmaterial aus ihrer reichlicher mit Gef\u00e4ssen versorgten Umgebung beziehen.\nAuch aus der Erkenntniss der Natur der chemischen Processe im Nerven (s. Cap. 4) lassen sich Gr\u00fcnde entnehmen, welche f\u00fcr eine grosse Unabh\u00e4ngigkeit des Nerven von Kreislauf und Athmung sprechen. Am besten w\u00fcrde sich dieselbe vermuthlich zu erkennen geben, wenn der EwALD\u2019sche Vacuumversuch, statt mit Beobachtung der Muskelzuckung, mit Untersuchung der galvanischen Erregungserscheinungen am Nerven selbst wiederholt w\u00fcrde.\nSeverini glaubt in den oben S. 105 citirten Arbeiten bewiesen zu haben, dass, wenn auch nicht der gew\u00f6hnliche Sauerstoff, so doch das Ozon einen restituirenden Einfluss auf den Nerven aus\u00fcbt, sp\u00e4tere Stadien des Zuckungsgesetzes in fr\u00fchere verwandelt und die Zersetzung des Nerven hemmt; die bez\u00fcglichen Theorien erstrecken sich auch auf den Electrotonus und werden bei diesem erw\u00e4hnt werden.\nDass die Erregbarkeit der Nerven in gut ern\u00e4hrten Thieren gr\u00f6sser ist als in schlecht ern\u00e4hrten, lehren zahllose Erfahrungen. Das Gegen-theil, die sog. reizbare Schw\u00e4che, ist oft behauptet worden, doch fehlt es an physiologischen Thatsachen in dieser Kichtung, wenn man nicht die Absterbeerscheinungen hierher rechnen will; die Mehrzahl der hierher geh\u00f6rigen pathologischen Erfahrungen bezieht sich auf Zust\u00e4nde der nerv\u00f6sen Centralorgane. Erw\u00e4hnt mag werden, dass Marm\u00e9 & Moleschott1 2 3 4 bei im Dunkeln aufbewahrten Fr\u00f6schen eine geringere Erregbarkeit der Nerven beobachtet haben als bei im Lichte gehaltenen; jedoch waren die Unterschiede gering und sind nur aus Mittelzahlen entnommen.\n1\tJ. Ranke, Die Lebensbedingungen der Nerven S. 97. Leipzig 1868.\n2\tA. Ewald, Arch. f. d. ges. Physiol. II. S. 142. 1869.\n3\tPfl\u00fcger, ebendaselbst I. S. 67. 1868.\n4\tMarm\u00fc & Moleschott, Molesch. Unters. I. S. 15. 1856.","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 3. Cap. Die Lebensbedingnngen des Nerven.\nIn ganz anderer Beziehung zum Kreislauf als der Nerv selbst, stehen die nerv\u00f6sen Centralorgane und die peripherischen Endorgane. Erstickung, d. h. dauernde Absperrung arterieller Blutzufuhr, bewirkt hier noch viel rascher Functionsst\u00f6rungen als im Muskel, wie zahlreiche in diesem und im folgenden Bande enthaltene Thatsachen beweisen.\nIY. Die Erm\u00fcdung und Erholung des Nerven.\nHier begegnet die Forschung \u00e4hnlichen Schwierigkeiten wie sie im vorigen Paragraphen erw\u00e4hnt sind. So lange die Nervenerregbarkeit nur an einem so erm\u00fcdbaren Organ wie der Muskel constatirt wird, kann \u00fcber die Nervenerm\u00fcdung kein directer Aufschluss erwartet werden. Die Existenz einer Nervenerm\u00fcdung konnte in der That lange Zeit nur aus unzureichenden Analogiegr\u00fcnden vermuthet werden; denn alle Erfahrungen \u00fcber Erm\u00fcdung des Gehirns, der Netzhaut etc. sagten \u00fcber das Verhalten der Nervenfaser selbst nichts aus. Die Erfahrung du Bois-Reymond\u2019s, dass die negative Schwankung des Nervenstroms bei \u00f6fterer Wiederholung des Versuches immer schw\u00e4cher wird, enthielt die erste Constatirung einer Nervenerm\u00fcdung; die Untersuchung von Helmholtz \u00fcber die Geschwindigkeit der Nervenleitung enthielt n\u00e4mlich keinen entschiedenen Beweis f\u00fcr eine solche. Neuerdings hat Bernstein 1 in sinnreicher Weise auch durch Muskel versuche die Nervenerm\u00fcdung untersucht, indem er den Muskel durch eine zeitweise Abtrennung vom Nerven, mittels eines das untere Nervenende durchfliessenden constanten Stroms, von der Miterm\u00fcdung ausschloss und die Erregbarkeit des Nerven dann, nach Oeffnung des Absperrungsstroms, am unerm\u00fcde-ten Muskel pr\u00fcfte. Vor Allem zeigte sich, dass der Muskel schneller erm\u00fcdet als der Nerv; denn wenn zwei Nerven, deren einer von seinem Muskel abgesperrt ist, bis zur Ersch\u00f6pfung des anderen Pr\u00e4parats gereizt werden, so sind die Nerven noch nicht erm\u00fcdet, wie die kr\u00e4ftige Wirkung auf den abgesperrt gewesenen unerm\u00fcdeten Muskel zeigt, d. h. die Erm\u00fcdung eines Nervmuskelpr\u00e4parats beruht zuerst auf Muskelerm\u00fcdung. Dieser Versuch zeigt, wie wenig der Ausfall der Zuckung f\u00fcr Nervenerm\u00fcdung beweist.\nWie der Nerv langsamer erm\u00fcdet, erholt er sich nach Bernstein auch langsamer als der Muskel. Wird eine Nervenstrecke bis zur Erm\u00fcdung gereizt, so erholt sich die bloss durch Leitung erregte\n1 Bernstein, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 289.1877.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Erm\u00fcdung und Erholung. Einfluss der Uebung.\n135\nuntere Nervenstrecke und der Muskel schnell, wie man bei unten angebrachten Reizungen sieht, die durch directe Reizung erm\u00fcdete Strecke bleibt aber lange f\u00fcr h\u00f6here Reizung undurchg\u00e4ngig ; sie erholt sich in einer anfangs langsam, dann steiler, endlich wieder langsamer ansteigenden Curve (d. h. letztere ist zuerst convex, dann concav gegen die Nulllinie und schliesst sich endlich asymptotisch einem Maximum an). War die Reizung zu heftig oder zu anhaltend, so bleibt die Erholung aus; man ist dessen sicher, wenn sie (am Froschnerven) in der ersten halben Stunde nicht eintritt. Ganz \u00e4hnliche Versuche wurden auch an sensiblen Nerven, unter Beobachtung der Reflexe angestellt. Man darf aber nicht \u00fcbersehen, dass diese Ergebnisse nur die direct erregte Nervenstelle betreffen; da der Nerv eigenlich nur indirect erregt arbeitet, so ist die Erm\u00fcdung durch blosse Leitung von gr\u00f6sserem Interesse, diese aber noch nicht untersucht. Es -w\u00e4re denkbar, dass alle Erm\u00fcdungserscheinungen im Normalzust\u00e4nde nur auf Erm\u00fcdung der mit dem Nerven verbundenen Organe, und nicht auf Erm\u00fcdung der vermittelnden Faser selbst beruhen.\nJ. Ranke1 hat versucht, seine einseitige Theorie der Muskelerm\u00fcdung (s. Bd. I. S. 123 f.) auf den Nerven zu \u00fcbertragen. Er nennt erregbarkeits-deprimirende Stoffe \u201e erm\u00fcdende \u201c, sobald Grund ist, dieselben zugleich als Stoffwechselproducte des Nerven zu betrachten, z. B. Kohlens\u00e4ure, freie S\u00e4uren. Indess wird sich im 4. Capitel zeigen, dass die Production dieser Substanzen im Nerven noch keineswegs nachgewiesen ist, so dass eine chemische Erm\u00fcdungstheorie des Nerven verfr\u00fcht erscheint. Wir haben deshalb jene sogenannten erm\u00fcdenden Einfl\u00fcsse einfach als erregbarkeits-deprimirende im 2. Capitel ber\u00fccksichtigt. Auch Bernstein identificirt Sch\u00e4digung der Erregbarkeit mit Erm\u00fcdung, jedoch aus dem Grunde, weil nach solchen Sch\u00e4digungen, z. B. durch galvanische Durchstr\u00f6mung, mechanische und chemische Mittel, Temperaturen zwischen 40 und 50\u00b0, die Erholung in \u00e4hnlicher Curve erfolgt wie nach wirklicher Erm\u00fcdung. Vielleicht ist dann auch die Curve, in welcher ein Nerv in Folge con-stanter Durchstr\u00f6mung seine Erregbarkeit einb\u00fcsst, mit der Erm\u00fcdungs-eurve identisch, welche nicht direct dargestellt werden kann (wegen der Erm\u00fcdung des Muskels); Bernstein fand jene Curve anfangs convex und dann concav gegen die Abscisse abfallend, also von grade entgegengesetztem zeitlichen Verlauf als die Erholungscurve.\nDie Frage, ob Th\u00e4tigkeit zur Erhaltung des Nerven (wie zu der des Muskels) unentbehrlich ist, wird wie mir scheint in den Lehrb\u00fcchern mit viel zu grosser Bestimmtheit bejahend beantwortet. Diese Frage l\u00e4sst sich begreiflicherweise nur an den centralen Abschnitten durchschnittener sensibler Fasern entscheiden. Diese de-\n1 J. Ranke, a. a. O. S. 72, 97,120 etc.","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\ngeneriren aber durchaus nicht, mit alleiniger Ausnahme des Opticus woraus man aber eher schliessen sollte, dass derselbe in der Netzhaut ein Ern\u00e4hrungscentrum besitzt.1 2 An gew\u00f6hnlichen Nerven fand Schiff 3 selbst nach 13/4 Jahren die centralen St\u00fcmpfe undegenerirt ; jene sehr verbreitete Angabe ist also unrichtig.\nVIERTES CAPITEL.\nDie am Nerven selbst auftretenden functionellen\nErscheinungen.\nIn den bisherigen Capiteln galt als Kennzeichen der Nervent\u00e4tigkeit durchweg die durch die Nervenleitung hervorgebrachte Erregung seines einen Endorgans, die Muskelzuckung, die Empfindung u. dgl. Die n\u00e4chste Aufgabe der Forschung ist es, zu untersuchen ob am Nerven selber irgendwelche, sei es chemische, mechanische, thermische, galvanische Erregungserscheinung nachweisbar sei.\nI. Chemische Vorg\u00e4nge im Nerven.\nDie Lehre von der chemischen Zusammensetzung des Nerven, welche haupts\u00e4chlich auf Analysen der Gehirnsubstanz beruht, ist noch sehr mangelhaft. Da sie vor der Hand mit der eigentlichen Physiologie des Nerven keine Beziehungen hat, weil keine functio-nelle chemische Ver\u00e4nderung des Nerven bisher festgestellt ist, so ist es vorgezogen worden, diese Lehre im f\u00fcnften Band dieses Werkes, zusammen mit der Chemie indifferenterer Gewebe, abzuhandeln. Hier kann nur darauf hingewiesen werden, dass die vorhandenen Analysen lediglich todtes Nervengewebe betreffen, und Grund zu der Annahme vorhanden ist, dass grade die functioneil wichtigsten Nerven-bestandtheile sich beim Absterben chemisch ver\u00e4ndern. Diese h\u00f6chst wahrscheinlich sehr labilen Atomcomplexe in dem Zustande kennen\n1\tVgl. Magendie, Le\u00e7ons sur les fonctions et les maladies du syst\u00e8me nerveux IL p. 306. Paris 1839.\n2\tDa \u00fcbrigens der Opticus keine RANViEit\u2019schen Scbn\u00fcrringe besitzt, so m\u00fcsste nach dem oben S. 122 Gesagten schon die traumatische Degeneration vom Querschnitt aus in ihm ungehindert fortkriechen.\n3\tSchief, Lehrb. etc. S. 122.1858.","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Chemische Vorg\u00e4nge. Verhalten der Reaction.\n137\nzu lernen, welche sie im erregbaren Nerven haben, ist vielleicht noch weniger Aussicht als f\u00fcr die entsprechende Aufgabe am Muskel.\nDie einzige functioneile chemische Ver\u00e4nderung des Nerven, welche, wenn auch nicht unbestritten, auf Grund von Untersuchungen behauptet wird, ist die der Reaction. Unmittelbar nachdem du Bois-Reymond die functionelle Reactionsver\u00e4nderung des Muskels entdeckt hatte, machte Funke 1 genau entsprechende Angaben Bilden Nerven; er fand die Querschnitte sowohl der Nervenst\u00e4mme als namentlich die leichter mit Lacmuspapier pr\u00fcfbaren des R\u00fcckenmarks, von curarisirten Fr\u00f6schen und Kaninchen, neutral, eine gewisse Zeit nach dem Tode dagegen sauer; bei der F\u00e4ulniss geht die saure Reaction in alkalische \u00fcber. W\u00e4rme von 45\u201450\u00b0, aber auch Siedehitze (letzteres abweichend vom Muskel) macht das Nervengewebe augenblicklich sauer. Endlich bewirkt Anstrengung, namentlich durch Strychninkr\u00e4mpfe, schon im Leben saure Reaction. Heynsius 2 schloss sich den Angaben Funke\u2019s an; er hatte schon vorher die Nerven-substanz bald neutral bald sauer gefunden. Auch Ranke1 2 3 kam zu gleichen Resultaten; nur bleibt nach ihm die Reaction der Gehirnsubstanz bei schnellem Erhitzen auf 100\u00b0 alkalisch.4 5 6 7 Dagegen wird das Sauerwerden durch Anstrengung von Liebreich0 und Heidenhain 6 bestritten ; ersterer bediente sich statt des Lacmuspapiers th\u00f6-nerner oder gypserner Tafeln, die mit Lacmustinctur gef\u00e4rbt waren, letzterer zerquetschte die Nerven in der Tinctur, oder setzte dieselbe zu einem w\u00e4ssrigen Nervenextract. Funke 1 hielt seine Angabe aufrecht, die er bei Versuchen mit Zerquetschung der Nerven in Cyaninl\u00f6sung best\u00e4tigt fand. Die S\u00e4urung beim Absterben wird von Heidenhain ebenfalls bestritten.\nDie Identificirung der Nerven und der Centralorgane in dieser Frage ist, wie Heidenhain sehr richtig bemerkt, durchaus nicht ohne Weiteres berechtigt. Dies gilt um so mehr, als Gscheidlen8 in letzteren die weisse Substanz im frischen Zustande neutral, die graue sauer findet, und behauptet, dass diese Reactionen auch beim\n1\tFunke, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1859. S. 161; abgedruckt im Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 835.\n2\tHeynsius, nach Meissner\u2019s Jahresber. 1859. S. 403.\n3\tRanke, Die Lebensbedingungen der Nerven S. 1. Leipzig 1868; vgl. auch Centralbl. f. d. med. Wiss. 1868. S. 769, 1869. S. 97.\n4\tGscheidlen (a. unten a. 0.) hat dagegen Funke\u2019s Angabe auch in dieser Beziehung richtig gefunden.\n5\tLiebreich, Tagebl. d. Naturf.-Vers. zu Frankfurt 1867. S. 73.\n6\tHeidenhain, Studien d. physiol. Instit. zu Breslau IV. S. 248. Leipzig 1868; vgl. auch Centralbl. f. d. med. Wiss. 1868. S. 833.\n7\tFunke, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1869. S. 721.\n8\tGscheidlen, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 171. 1874.","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nAbsterben spontan sich nicht \u00e4ndern. Dagegen wird durch Erw\u00e4rmen auf 45\u201450\u00b0 oder Sieden die weisse Substanz sauer, und die S\u00e4urung der grauen nimmt zu. Letztere ist merkw\u00fcrdiger Weise nach Aussp\u00fclung der Gef\u00e4sse mit verd\u00fcnnter Kochsalzl\u00f6sung neutral, wird aber durch Erw\u00e4rmen sauer.\nBemerkenswerth ist, dass das electrische Organ (f\u00fcr welches Max Schultze1 2 irrth\u00fcmlich schon im Leben saure Reaction behauptet hatte) nach den \u00fcbereinstimmenden Angaben von du Bois-Reymond2 an Malopte-rurus und von Boll3 an Torpedo beim Absterben sauer wird ; im Leben ist es nach den genannten Beobachtern und nach Moreau4 neutral oder alkalisch.\nBei dieser grossen Verschiedenheit der Angaben ist ein entscheidendes Urtheil unm\u00f6glich. Immerhin sehe ich keinen Grund, warum die bestimmten, auf zwei Methoden beruhenden Angaben von Funke als unrichtig betrachtet werden sollen. Heidenhain\u2019s Versuche beweisen nur, dass die S\u00e4urung der Nerven unvergleichlich schw\u00e4cher ist als die der Muskeln, und Heidenhain hat auch vorsichtigerweise sein Resultat so ausgedr\u00fcckt; f\u00fcr den Nachweis der geringsten Spuren von S\u00e4ure ist das Lacmuspapier empfindlicher als die Tinctur, auf welche eine relativ geringe Substanzmenge zu wirken hat; die Thont\u00e4felchen k\u00f6nnten leicht eine Spur von \u00fcbersch\u00fcssigem Alkali enthalten, und bringen auch verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig viel Lacmusfarbstoff in Action, wie die Tinctur. Bis auf weiteres scheint mir daher Funke\u2019s Angabe sowohl betreffs der postmortalen als der irritativen S\u00e4urung der Nerven nicht widerlegt, immerhin aber die Erscheinung so zart, dass sie nur mit den empfindlichsten Mitteln hervortritt. Das einzige Bedenken liegt in der Angabe Gscheidlen\u2019s , dass die weisse Hirnsubstanz, die doch wohl chemisch den Nerven am n\u00e4chsten steht, spontan nie sauer werde; sehr auffallend ist, dass sie trotzdem sich durch W\u00e4rme s\u00e4uert. Vielleicht liegt hierin ein Fingerzeig, dass, \u00e4hnlich wie bei den glatten Muskeln, ein gleichzeitiger Process, der durch W\u00e4rme nicht so wie der s\u00e4urebildende beschleunigt wird, Alkali entwickelt. Die saure Reaction der grauen Substanz im Leben (welche die Herren Bleuler & Lehmann durchaus nicht regelm\u00e4ssig finden) scheint noch keineswegs bewiesen; denn es w\u00e4re sehr denkbar, dass an der gepr\u00fcften Schnittfl\u00e4che eines so zersetzlichen Organs schon s\u00e4urebildende Todeserscheinungen im\n1\tM. Schultze, Zur Kenntniss der electrischen Organe der Fische. 2. Abth. Torpedo. S. 27. HaHe 1859.\n2\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. S. 846; Gesammelte Abhandlungen etc. II. S. 646. Leipzig 1877.\n3\tBoll, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873. S. 99.\n4\tMoreau, Ann. d. scienc. nat. Zoologie. (4) XVIII. p. 6. 1862.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"S\u00e4urung der Nervensubstanz. Angaben \u00fcber Coagulationen.\n139\nAugenblick des Schnittes abgelaufen sind. Die freie S\u00e4ure, welche Gscheidlen der grauen Substanz zuschreibt, ist nach ihm wahrscheinlich Milchs\u00e4ure. Letztere S\u00e4ure ist von v. Bibra und W. M\u00fcller aus Hirnsubstanz dargestellt worden, und zwar ist sie nach letzterem gew\u00f6hnliche (G\u00e4hrungs-) Milchs\u00e4ure ; Gscheidlen erhielt diese S\u00e4ure aus der weissen Substanz nur in Spuren, aus der grauen reichlich.\nNoch viel unsicherer steht es mit anderen chemischen Ver\u00e4nderungen der Nervensubstanz, welche hie und da behauptet worden sind.\nZun\u00e4chst haben, wie schon oben S. 1*22 erw\u00e4hnt wurde, manche Autoren behauptet, dass das Absterben des Nerven mit Coagulations-erscheinungen verbunden ist, welche dann wohl schwerlich anders als durch chemische Umsetzung irgendwelcher Nervenbestandtheile zu deuten w\u00e4ren. Am weitesten ist in dieser Hinsicht Ranke 1 gegangen, welcher geradezu von einer \u201e Todtenstarre \u201c des Nerven spricht, wie die des Muskels mit Gerinnung und S\u00e4urung verbunden, und durch W\u00e4rme gef\u00f6rdert (\u201eW\u00e4rmestarreu% So lange indess nicht wie beim Muskel eine spontan gerinnende Fl\u00fcssigkeit aus Nerven gewonnen ist, fehlt f\u00fcr diese Behauptung die thats\u00e4chliche Grundlage. Die Consistenzzunahme, welche die Hirnsubstanz nach dem Tode zeigt 1 2, beweist noch Nichts f\u00fcr eine analoge Ver\u00e4nderung der Nerven3; ja dieselbe k\u00f6nnte sogar auf Starrerwerden der Fettk\u00f6rper durch Abk\u00fchlung beruhen.4 Die Ganglienzellen ferner, deren protoplasmatische Natur aus histologischen Thatsachen hervorzugehen scheint, k\u00f6nnten beim Absterben Sitz spontaner Coagulationen sein, ohne dass man dadurch berechtigt w\u00e4re den Nervenfasern das Gleiche zuzuschreiben. Wie wenig \u00fcbereinstimmend die Ansichten der Histo-logen \u00fcber Pr\u00e4existenz, Aggregatzustand, etwaige postmortale Abscheidung des Axencylinders sind, ist schon oben (S. 122) er\u00f6rtert. Auch die von H. Munk behauptete Widerstandsvermehrung des Nerven beim spontanen Absterben (s. oben S. 28) d\u00fcrfte schwerlich berechtigen, daraus allein auf einen Coagulationsvorgang zu schliessen.\n1\tRanke, Die Lebensbedingungen etc. S. 6.\n2\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 284; v. Gobup-Besanez, Lehrb. d. physiol. Chemie S. 626. Braunschweig 1862; an beiden Stehen ist die Thatsache ohne weitere Begr\u00fcndung einfach erw\u00e4hnt.\n3\tH. Munk giebt freilich eine solche an ; vgl. Untersuchungen \u00fcber das Wesen der Nervenerregung I. S. 200, 207, 222. Leipzig 1868; doch kann ich die angegebenen Kennzeichen von Consistenzzunahme eines einzelnen Froschnerven nicht von denen der Vertrocknung unterscheiden.\n4\tDie Consistenzzunahme durch Kochen beweist nat\u00fcrlich bei einem albuminhaltigen Gewebe gar Nichts f\u00fcr spontane Coagulationsvorg\u00e4nge.","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nMan muss also sagen, dass im Nerven bisher keine der Myosingerinnung analoge Coagulation beim Absterben erwiesen ist.\nRanke hat auch eine Respiration des Nerven vermeintlich nachgewiesen.1 Mehr noch als in den bisher ber\u00fchrten Fragen ist hier die Physiologie der Centralorgane von der der Nerven selbst zu trennen. An jenen ist ein respiratorischer Process, der mit der Erhaltung der Functionen in innigster Beziehung steht, l\u00e4ngst durch zahllose physiologische Thatsachen erwiesen, welche in einem andern Abschnitt dieses Bandes er\u00f6rtert werden. Ranke\u2019s2 Versuche \u00fcber Sauerstoffaufnahme und Kohlens\u00e4ureausgabe ausgeschnittener Taubengehirne, welche anscheinend die Respiration des Gehirnes direct nach-weisen sollen, lehren gar Nichts, wenn man sich erinnert, dass schon am ausgeschnittenen Froschmuskel, einem doch unvergleichlich haltbareren Organ als das Taubengehirn, die Fehlerquellen der Oberfl\u00e4chenzersetzung den Nachweis wahrer Athmung vereiteln.3 In der That folgt aus den RANKE\u2019schen Versuchen nichts weiter, als dass vermeintlich \u00fcberlebende, ebenso abget\u00f6dtete und faule Gehirne Kohlens\u00e4ure abgeben und Sauerstoff aufnehmen. Auf die Mangelhaftigkeit der Versuche und die Oberfl\u00e4chlichkeit der aus kleinen Differenzen gezogenen Schl\u00fcsse n\u00e4her einzugehen, w\u00fcrde hier zu weit f\u00fchren. Die Existenz einer Gehirnathmung w\u00fcrde, wenn sie nicht l\u00e4ngst durch andere Erfahrungen festgestellt w\u00e4re, durch diese Versuche nichts weniger als erwiesen sein. Noch viel weniger kann nat\u00fcrlich vom gasometrischen Nachweis einer Athmung der Nerven\n1\tSchon vorher hatte Valentin (Arch. f. physiol. He\u00fck. 1859. S. 474) an Nerven von S\u00e4ugethieren und Menschen Sauerstoffaufnahme und Kohlens\u00e4ureausscheidung gefunden, sowohl sofort als Tage lang nach dem Ausschneiden, also zweifellos eine blosse Zehrungserscheinung, wie auch Valentin selbst anzuerkennen scheint.\n2\tRanke, Die Lebensbedingungen etc. S. 15.\n3\tRanke stellt bei diesem Anlass meine Versuche \u00fcber Muskelrespiration tabellarisch zusammen und findet, dass in den Vergleichungen der Athmungsgr\u00f6ssen wT\u00e4rmestarrer und lebender Muskeln, die ich angestellt hatte, um zu zeigen, dass auch erstere \u201eathmen\u201c, doch immer die Sauerstoffaufnahme der lebenden gr\u00f6sser gewesen sei; mein Schluss sei also unberechtigt, wie er durch seine Tabelle enth\u00fcllt habe. Nur in den Vergleichungen mit Wasserstarre sei das Verh\u00e4ltnis umgekehrt gewesen. Herr Ranke verschweigt, dass ich ausdr\u00fccklich sage (S. 38), die W\u00e4rmestarre setze das Zersetzungsverm\u00f6gen des Muskels herab und deshalb sei es n\u00f6thig, den Parallelmuskel durch Wasser starr zu machen, wenn er gleich energisch zehren soll wie der \u00fcberlebende. Herr Ranke\u2019s Enth\u00fcllung ist also eine Entstellung. Dass er auch den einen Versuch mit Wasserstarre, wo der lebende Muskel 14,82\u00b0/'o, der starre 14,56\u00b0/o Sauerstoff aufnahm, zu denjenigen rechnet, welche eine vitale Respiration beweisen, passt ganz zu der bekannten Methodik, auch noch Differenzen, die innerhalb der Fehlergrenzen liegen, zu Gunsten einer vorgefassten Meinung zu deuten, wenn sie zuf\u00e4llig im Sinne derselben liegen. Ich habe 10 Jahre zu Herrn Ranke\u2019s Angriff geschwiegen, sehe aber, dass neuerdings du Bois-Reymond beim Wiederabdruck eines \u00e4lteren Aufsatzes denselben gegen mich geltend macht (Ges. Abh. IL S. 201).","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Angaben \u00fcber Nervenathmung und andere Stoffwechselvorg\u00e4nge. 141\nselbst die Rede sein. Auf die Unabh\u00e4ngigkeit des Nerven von der ihn umgebenden Atmosph\u00e4re ist schon oben S. 133 hingewiesen worden, ebenso auf seine G-ef\u00e4ssarmuth.\nRanke (a. a. O. S. 36) behauptet auch eine durch Th\u00e4tigkeit bedingte Aenderung in der Zusammensetzung des Nerven, zun\u00e4chst am R\u00fcckenmark, bewiesen zu haben, n\u00e4mlich eine Abnahme des Wassergehalts durch Strychnintetanus. Dieser Schluss beruht auf demselben kritiklosen Schlussverfahren, wie zahlreiche andere Angaben dieses Autors im Gebiete der Muskel- und Nervenchemie. In 12 \u201egeruhten\u201c R\u00fcckenmarken betrug der Wassergehalt 85,6\u201493,0, im Mittel 89,6%, in 14 tetanisirten 84,6\u201491,0, im Mittel 87,8%. Bei einer Schwankung der Einzelwertke im Betrag von 6,4\u20147,4% zieht nun Ranke aus einer Differenz der Mittelzahlen von 1,8% einen Schluss, auf den dann noch zahlreiche weitere Folgerungen sich aufbauen.1\nBei dem g\u00e4nzlichen Mangel an hinreichend begr\u00fcndeten That-sachen betreffs des Stoffwechsels der Nerven ist man bis auf Weiteres gen\u00f6thigt, auf gewisse Wahrscheinlichkeiten hinzuweisen. Der functionelle Umsatz des Nerven ist (von der centralen grauen Substanz g\u00e4nzlich abgesehen) ohne Zweifel h\u00f6chst geringf\u00fcgig, wie der Mangel nachweisbarer W\u00e4rmebildung (s. unten sub IL), und die geringe Versorgung mit Blut beweisen. Die mit der Erregung verbundenen Umsetzungen, falls es \u00fcberhaupt solche giebt, m\u00fcssen mit explosionsartiger Geschwindigkeit vor sich gehen, und gewisse, wenn auch noch nicht hinl\u00e4nglich gesicherte Analogien mit dem Muskel deuten darauf hin, dass auch hier die Umsetzung in Spaltung sehr verwickelter Substanzen besteht, deren Spaltungsproducte bei der Restitution unter Beih\u00fclfe des sauerstoffhaltigen Blutes theilweise wieder synthetisch verwendet werden.\nEine Wiederverwendung der functionellen Umsatzproducte des Nerven hat zuerst Henke2 vermuthet, der jedoch die sehr verwickelte Substanz des Nerven zu Fett und Eiweiss verbrennen liess. In der oben angef\u00fchrten Form habe ich im Anschluss an die Vorg\u00e4nge im Muskel die des Nerven vermuthet.3 Sp\u00e4ter hat Severini (vgl. S. 133) die oxydative Sythese durch Ozon k\u00fcnstlich nachahmen zu k\u00f6nnen geglaubt.\n1\tDie Angabe von Herold, N. Jahrb. f. Pharmacie XXXHI. S. 147. 1870, dass ein in Kaliumpyrogallat eintauchender Nerv sich br\u00e4unt, wenn dem herausragenden Theil Inductionsstr\u00f6me zugeleitet werden, l\u00e4sst ungleich n\u00e4her hegende Deutungen zu, als die des Verfassers, dass sie eine Sauerstoffausgabe (!) des erregten Nerven beweise.\n2\tHenke, Ztschr. f. rat. Med. (3) XIV. S. 363. 1862.\n3\tHermann, Untersuchungen etc. n. S. 37, 72. 1867.","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142 Herman. Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nII. Thermische Vorg\u00e4nge im Nerven.\nHelmholtz 1 suchte in seiner bekannten Arbeit \u00fcber die Erw\u00e4rmung des Muskels im Tetanus (s. Bd. I. S. 154 ff.) auch eine functio-nelle Erw\u00e4rmung des Nerven festzustellen, indem er die beiden Plexus ischiadici des Frosches der einen L\u00f6thstellenreihe des a, a. 0. abgebildeten Apparates m\u00f6glichst innig anlegte und das R\u00fcckenmark tetanisirte. Waren Stromschleifen und unipolare Wirkungen v\u00f6llig vermieden, so trat keine Erw\u00e4rmung der Nerven ein, obgleich dieselbe sich h\u00e4tte zeigen m\u00fcssen, wenn sie auch nur 1 21000 Grad betragen h\u00e4tte. Zwar hat sp\u00e4ter Valentin 2 f\u00fcr die Nerven des Frosches, und sp\u00e4ter auch f\u00fcr diejenigen winterschlafender Murmelthiere, eine Erw\u00e4rmung durch die Reizung angegeben, und Oehl3 an Warmbl\u00fcternerven das gleiche Resultat erhalten. Allein sehr argw\u00f6hnisch muss bei den ungemein zahlreichen Fehlerquellen derartiger Versuche der Umstand machen, dass Heidenhain4, der mit den empfindlichsten Vorrichtungen ausgestattet war, ebensowenig wie Helmholtz eine Erw\u00e4rmung der Nerven nachweisen konnte. Eine Reihe positiver Angaben existirt noch von Schiff5, welcher haupts\u00e4chlich an den Nerven k\u00fcnstlich abgek\u00fchlter Warmbl\u00fcter experimentirt hat; die L\u00f6thstellen wurden dem Nerven zu beiden Seiten einer zerquetschten oder unterbundenen Stelle angelegt, und auf der einen Seite der Nerv mit Inductionsstr\u00f6men tetanisirt; es zeigte sich stets eine Ablenkung im Sinne einer Erw\u00e4rmung auf der Seite der Reizung. Schiff hat zwar anscheinend alle denkbaren Einw\u00e4nde zur\u00fcckgewiesen; bedenklich jedoch macht die Angabe Schiff\u2019s, dass wenn der Nerv nicht unterbunden ist, sich die der Reizstelle n\u00e4here L\u00f6th-stelle ebenfalls, wenn auch in viel geringerem Grade, w\u00e4rmer zeige als die entferntere; Schiff bezieht dies auf eine Abnahme der Erregung bei der Leitung. Eine solche findet aber im Nerven, wie zahlreiche andere Erfahrungen lehren, nicht statt, und so wenig man einen galvanischen Versuch f\u00fcr gelungen halten w\u00fcrde, in welchem zwei L\u00e4ngsschnittspuncte im Tetanus einen von der Reizstelle weggerichteten Strom zeigten (vgl. unten sub IV), kann man in diesen Versuchen Alles in Ordnung finden; man wird an Erw\u00e4rmung durch\n1\tHelmholtz, Arch., f. Anat. u. Physiol. 1848. S. 158.\n2\tValentin, Arch. f. pathol. Anat. XXYIII. S. 1. 1863; Molesch. Unters. IX. S. 225. 1865.\n3\tOehl, Gaz. m\u00e9d. cl. Paris 1866. p. 225.\n4\tHeidenhain, Studien d. physiol. Instit. zu Breslau IV. S. 25U. Leipzig 1868.\n5\tSchief, Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1869. p. 157. 330; Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 230.1871.","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Angaben \u00fcber W\u00e4rmebildung im Nerven.\n143\nelectrotonische Str\u00f6me denken m\u00fcssen. So ist auch eine von Schiff in der zweiten Arbeit beobachtete Erscheinung vor der Hand unerkl\u00e4rt ; von zwei Frosch-Ischiadicis, deren einer noch mit dem Muskel verbunden ist, findet Schiff beim Tetanisiren des R\u00fcckenmarks den letzteren meistens w\u00e4rmer.\nDa Nichts daf\u00fcr spricht, dass das von Helmholtz und von Heidenhain angewandte Verfahren hinter dem von Valentin, Oehl und Schiff gebrauchten zur\u00fcckstand, und da bei Versuchen dieser Art jedes positive Resultat, wegen der zahlreichen Irrthumsquellen und der ung\u00fcnstigen Situation der kleinen Nervenmasse in Bezug auf erw\u00e4rmende Effecte, mit besonderer Vorsicht aufzunehmen ist, so scheint es angemessen, die Frage ob der Nerv bei der Erregung W\u00e4rme bildet, als einstweilen noch nicht entschieden zu erkl\u00e4ren; findet W\u00e4rmebildung statt, so ist sie jedenfalls \u00e4usserst geringf\u00fcgig.1 2\nEine Reihe von Untersuchungen ist auch \u00fcber W\u00e4rmebildung in den Centralorganen angestellt worden. Schiff 2 f\u00fchrte Thermonadeln symmetrisch in beide Grosshirnhemisph\u00e4ren von curarisirten S\u00e4ugethie-ren und V\u00f6geln ein, liess sie auch wohl Tage lang im Gehirn stecken, und beobachtete bei sensiblen und sensorischen Erregungen ein W\u00e4rmerwerden derjenigen Hemisph\u00e4re, welche (gekreuzt) der erregten Seite entsprach ; die Erw\u00e4rmung fehlte im Kleinhirn, und war daher auch ihrem Sinne nach constatirbar, indem die eine Thermonadel statt in die gegen\u00fcberliegende Grosshirnhemisph\u00e4re in das Kleinhirn eingef\u00fchrt wurde; die Erw\u00e4rmung war im mittleren Theile der medianen Zone am gr\u00f6ssten (auf die weiteren Schl\u00fcsse Schiff\u2019s f\u00fcr die Hirnphysiologie kann hier nicht eingegangen werden). Dass die Ursache der Erw\u00e4rmung in nerv\u00f6sen Vorg\u00e4ngen und nicht etwa in Cir-culations\u00e4nderungen zu suchen sei, schliesst Schiff haupts\u00e4chlich aus ihrem Auftreten auch kurze Zeit nach Stillstand des Herzens und an eben abgeschnittenen K\u00f6pfen junger Thiere. \u2014 Heidenhain 3 verglich die Temperatur des Grosshirns thermoelectrisch mit der des Aortenblutes, und fand einen best\u00e4ndigen Unterschied zu Gunsten des Gehirns, welcher durch Reizung sensibler Nerven zunahm, also f\u00fcr W\u00e4rmebildung durch Hirnerregung zu sprechen schien. Allein\n1\tValentin h\u00e4lt die Erw\u00e4rmung des Nerven wegen der Analogie mit dem Muskel und wegen der von ihm vermeintlich nachgewiesenen Athmung des Nerven (s. oben S. 140). f\u00fcr fast selbstverst\u00e4ndlich. Indess ist durchaus noch nicht festgestellt, dass eine Erregungswelle, welche eine Nervenstelle durchlaufen hat, dieselbe chemisch ver\u00e4ndert zur\u00fcckl\u00e4sst ; es w\u00e4re denkbar, dass der chemische Umsatz bei der Uebertragung der Erregung auf das Nachbartheilchen vollkommen wieder redressirt, also \u00fcberhaupt nicht definitiv an Ort und Stelle Kraft frei w\u00fcrde.\n2\tSchiff, Arch. d. physiol, norm, et pathol. 1870. p. 5,198, 323,451.\n3\tHeidenhain, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 504. 1870.","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nweitere Untersuchung zeigte, dass auch eine andere Deutung m\u00f6glich ist; das arterielle Blut wird n\u00e4mlich in Folge schmerzhafter Reizungen k\u00e4lter (vgl. die Lehre von der thierischenW\u00e4rme im 4. Bande); so dass Heidenhain die Frage der W\u00e4rmebildung im Gehirn unentschieden l\u00e4sst.\nIII. Mechanische Vorg\u00e4nge im Nerven.\nDass die oben S. 94 angef\u00fchrten mechanischen Eigenschaften des Nerven, inbesondere die Elasticit\u00e4t und Festigkeit, durch Erregung, wie zu erwarten war, nicht ver\u00e4ndert werden, hat Harless 1 ausdr\u00fccklich constatirt.2 Bewegungserscheinungen durch Erregung k\u00f6nnen, wie Engelmann3 fand, dadurch vorget\u00e4uscht werden, dass die Einwirkung von Inductionsstr\u00f6men die R\u00e4nder der Faser, besonders den Markcontour, vor\u00fcbergehend uneben und wellig macht; indess fand Engelmann, dass auch todte Nerven diese Ver\u00e4nderung zeigen, und dass dieselbe von einer Erw\u00e4rmung der Faser durch den Strom herr\u00fchrt. \u2014 Beil\u00e4ufig sei hier erw\u00e4hnt, dass E. Fleischl4 an den Ganglienzellen des Ganglion Gasseri vom Frosch auf Einwirkung von Bors\u00e4ure protoplasmatische Bewegungen (Kernaustritt) beobachtet hat.\nIV. Galvanische Erscheinungen am Nerven.\nDie Methodik der thierisch-eleetrischen Untersuchungen s. im ersten Bande, S. 175 ff.\n1. Der Strom des ruhenden, quer durchschnittenen Nerven.\nDie Vermuthung, dass das Nervenprincip mit Electricit\u00e4t identisch sei (vgl. Cap. 5), f\u00fchrte zu mannigfachen Versuchen vom Nerven electrische Wirkungen zu erhalten. Allein trotz dieser Bem\u00fchungen5 war bis zum Jahre 1843 keine einzige galvanische Erscheinung bekannt, welche auf eigene electromotorische Wirkungen des Nerven zu schliessen berechtigt h\u00e4tte. Diejenigen Untersucher, welche den\n1\tHarless. Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 549. 1858.\n2\tSehr sinnreich bewies Fontana (Abhandlung \u00fcber das Viperngift etc. S. 394. Berlin 1787), dass die Nerven bei der Erregung sich nicht selbst bewegen, dadurch, dass die optische Erscheinung der B\u00e4nderung, welche von der welligen Lage der Fasern herr\u00fchrt (s. oben S. 95), sich bei der Erregung einer entfernten Nervenstelle durchaus nicht \u00e4ndert.\n3\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 31. 1871.\n4\tE. Fleischl, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LXI. S. 813. 1870.\n5\tDie Geschichte derselben s. bei dl Bois-Reymond , Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t IL 1. S. 209.","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanische und galvanische Erscheinungen. Ruhender Nervenstrom. 145\nmannigfachen Schwierigkeiten in der Anstellung tadelfreier und der Deutung bestm\u00f6glicher Versuche gewachsen waren, scheiterten an der zu geringen Empfindlichkeit ihrer Galvanometer und an der Einmischung der Ungleichartigkeiten metallischer Ableiter.\nIm Jahre 1843 machte du Bois - Reymond 1 die erste Mittheilung \u00fcber den von ihm entdeckten Nerv en str\u00f6m. Er fand wie beim Muskel den k\u00fcnstlichen Querschnitt negativ gegen die L\u00e4ngsoberfl\u00e4che (den nat\u00fcrlichen L\u00e4ngsschnitt). Die k\u00fcnstlichen L\u00e4ngsschnitte entziehen sich der Pr\u00fcfung, weil ihre Herstellung nur mit t\u00f6dtlicher Misshandlung des Nerven m\u00f6glich ist. Die Ablenkungen sind, wegen des grossen Widerstandes den der Nerv einf\u00fchrt, bedeutend kleiner als beim Muskelstrom; trotzdem gelang der Nachweis schon mit einem Multiplicator von wenigen tausend Windungen; bei den jetzigen nach du Bois-Reymond\u2019s Vorg\u00e4nge gebauten Multiplicatoren von mehr als 20000 Windungen fliegt die Nadel meist an die Hemmung. Vollends erh\u00e4lt man mit empfindlichen Boussolen Ablenkungen von mehreren hundert Scalentheilen. Auch gelingt an empfindlichen Pr\u00e4paraten der Nachweis durch das physiologische Rheoscop. du Bois-Reymond legt das centrale Ende des Ischiadicus mit L\u00e4ngsund Querschnitt den B\u00e4uschen an und schliesst den Kreis mittels eines Quecksilberhakens ; bei der Schliessung, zuweilen auch bei der Oeffnung zuckt der am Nerven belassene Unterschenkel. Bei allen Versuchen \u00fcber den ruhenden Nervenstrom ist es wichtig, dass die Querschnittsableitung m\u00f6glichst rein sei; dies wird am vollkommensten erreicht, wenn man wie beim Muskel (Bd. I. S. 193) das Querschnittsende in einer gewissen Strecke durch heisses Wasser oder Zerquetschung t\u00f6dtet, *und vom get\u00f6dteten Ende ableitet.\nWie der Muskel zeigt auch der Nerv, wenn er von zwei k\u00fcnstlichen Querschnitten begrenzt ist, \u201eschwache L\u00e4ngsschnittsstr\u00f6me\u201c, d. h. von zwei unsymmetrisch zum Aequator liegenden L\u00e4ngsschnitts-puncten verh\u00e4lt sich der vom Aequator entferntere negativ gegen den andern. Symmetrisch gelegene L\u00e4ngsschnittspuncte verhalten sich stromlos gegen einander, ebenso die beiden k\u00fcnstlichen Querschnitte. Um \u201eschwache Querschnittsstr\u00f6me\u201c nachzuweisen, m\u00fcsste man die Nerven sehr grosser Thiere verwenden, ein bisher nicht angestellter Versuch. Das \u201eGesetz der Spannweite\u201c zeigt sich ganz wie am Muskel.\nKein Unterschied findet sich im Verhalten der verschiedensten\n1 du Bois-Reymond, Ann. d. Physik LVffl. S. 1. 1843; Untersuchungen II. 1. S. 251.1849.\nHandbuch der Physiologie. Bd. II.\n10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146 Hebmann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nNerven desselben Tkieres ; die vorderen und hinteren Spinalwurzeln verhalten sich wie die gemischten Nerven. Auch in den verschiedenen Thiereiassen, welche du Bois-Reymond vom Menschen bis zu den Wirbellosen herab ins Bereich der Untersuchung zog, ist der Nerven-strom in gleicher Weise vorhanden.\nDer Strom zwischen Querschnitt und Aequator hat eine um so gr\u00f6ssere electromotorische Kraft, je l\u00e4nger und je dicker der Nerv ist.\nDie absolute electromotorische Kraft des Nervenstroms wurde von du Bois-Reymond 1 am Frosch bis zu 0,022, am Kaninchen bis zu 0,026 Dan. gefunden; sie ist vermuthlich gr\u00f6sser als die des Muskelstroms, wenn man die vergleichsweise D\u00fcnne der verwendeten Nerven ber\u00fccksichtigt.\n2. Das Verhalten nat\u00fcrlicher, unversehrter iVerveilenden.\nF\u00fcr die Theorie des Nervenstroms ist es wichtig, zu entscheiden, ob auch der \u201enat\u00fcrliche Querschnitt\u201c des Nerven sich negativ gegen den L\u00e4ngsschnitt verh\u00e4lt. Indessen w\u00fcrde, selbst wenn die Nervenfasern wie die Muskelfasern frei in einem indifferenten Gewebe endeten, die Untersuchung un\u00fcbersteigbare Schwierigkeiten darin finden, dass diese Endigungen tief in Geweben vergraben liegen, so dass ein etwa vorhandener Strom sich fast ganz in denselben abgleicht. H\u00f6chstens also w\u00e4re eine sehr schwache Negativit\u00e4t dieser Gewebe gegen den frei herausragenden Nervenstamm zu erwarten. Allein erstens endet mit verschwindenden Ausnahmen keine Nervenfaser frei, sondern alle gehen continuirlich in andere nerv\u00f6se Gebilde \u00fcber, so dass ein wirklich nachgewiesener Strom ebensogut von diesen Gebilden selbst, oder von einem electrischen Gegensatz derselben gegen die Nervenfaser herr\u00fchren k\u00f6nnte; zweitens sind alle Organe in denen Nerven enden, Muskeln, Centralorgane, Haut, Schleimh\u00e4ute, selber Sitz electromotoriscker Kr\u00e4fte, welche sich beim Versuche schlechterdings nicht eliminiren lassen.\nEin relativ g\u00fcnstiges Object, das freilich von keinem dieser Hindernisse ganz frei ist, hat du Bois-Reymond selbst untersucht (a. a. O. S. 256), n\u00e4mlich den Augapfel (der Schleie). Er fand ihn positiv gegen den Querschnitt des Opticus oder diesem nahe L\u00e4ngsschnittsstellen. Ich f\u00fcgte hinzu1 2, dass der unversehrte Augapfel gegen den Opticusstamm, wenn man sich vom Querschnitt fern h\u00e4lt, voll-\n1\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 439. (Ges. Abh. IL S. 250.)\n2\tHekmann, Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven III. S. 26. Berlin 1868.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Nervenstrom bei k\u00fcnstl. Querschnitt. Angebl. Wirkungen nat\u00fcrlicher Enden. 147\nkommen stromlos ist. Die Versuche durch welche Holmgren 1 eine Negativit\u00e4t der freien Nervenendigungen in der Netzhaut gegen die Fasern des Opticus erwiesen zu haben glaubt, erlauben Nichts weniger als einen solchen Schluss. Er findet einen \u201eelectromotorischen Aequator\u201c an der \u00e4usseren Bulbusfl\u00e4che, n\u00e4mlich einen Kreis in der Mitte zwischen Ora serrata retinae und Opticuseintritt. Gegen diesen Aequator oder ihm n\u00e4here Puncte des Bulbus verhalte sich jeder entferntere Punct positiv, am st\u00e4rksten die Hornhautmitte und die Eintrittsstelle des Sehnerven ; die Hornhautmitte sei positiv gegen den hinteren Bulbusabschnitt. Hieraus soll nun folgen, dass die Netzhaut* Sitz einer Kraft ist, die von der St\u00e4bchenschicht gegen die Faserschicht, also senkrecht zur \u00e4usseren Bulbusfl\u00e4che, und zwar von aussen nach innen gerichtet ist. Holmgren sieht n\u00e4mlich den Bulbusinhalt mit der Hornhaut, sowie den Sehnerven, als Ableiter von der inneren, positiven Netzhautfl\u00e4che an, diese Ableiter seien gegen die von der \u00e4usseren Fl\u00e4che ableitende Sclera positiv (man sollte dann doch meinen, dass der Opticus als wirksamere Ableitung sich positiv gegen die Hornhautmitte verhalten m\u00fcsste, und nicht umgekehrt). Selbst wenn man aber alle Gebilde im Auge, namentlich die Muskeln, als stromlos ansieht, was vom Standpunct der Pr\u00e4existenzlehre nicht erlaubt ist, so ist doch zu erw\u00e4gen, dass (was man damals noch nicht wusste) die verwendeten Augen bereits durch Licht ihren Sehpurpur verloren hatten, also die vermeintlich negativen Nervenendigungen nicht einmal als v\u00f6llig unver\u00e4ndert oder w\u00e4hrend der Ableitung ruhend angesehen werden k\u00f6nnen, dass ferner das Pigment der Chorioidea Sitz secretorischer Processe ist, deren electro-motorische Wirkungslosigkeit erst nach gewiesen sein m\u00fcsste und nicht wahrscheinlich ist.'1 2 W\u00e4re aber auch eine zur Netzhautfl\u00e4che senkrecht gerichtete Kraft unzweifelhaft nachgewiesen, so w\u00fcrde dieselbe noch gar nichts f\u00fcr eine Negativit\u00e4t nat\u00fcrlicher Nerven-querschnitte beweisen, da sie auf Gegens\u00e4tzen in den zahlreichen Componenten dieses complicirten Organs beruhen k\u00f6nnte. Gewiss wird sich Niemand entschliessen3 auf diese Grundlage die Pr\u00e4existenz electromotorischer Gegens\u00e4tze in den unversehrten Nerven zu\n1\tHolmgren, Upsala l\u00e4kare-f\u00f6renings f\u00f6rh. 1871. Sep.-Abdr.\n2\tAuch eine neuere Mittheilung von Holmgren (Upsala l\u00e4kare-f\u00f6renings f\u00f6rh., \u00fcbersetzt in Unters, d. physiol. Instit. d. Univ. Heidelberg II. S. 81. 1878) belehrt nicht dar\u00fcber, ob der ruhende Netzhautstrom bei Gegenwart des Sehpurpurs vorhanden ist. Dass durch Licht hervorgebrachte Str\u00f6me nichts f\u00fcr Ruhestrom beweisen, m\u00f6gen sie auch als Schwankungen desselben bezeichnet werden, bedarf kaum der Erw\u00e4hnung.\n3\t[Nachtr. Anm.] Als ich dies schrieb, wusste ich noch nicht, dass doch Jemand diesen Muth besitzt, n\u00e4mlich Herr S. Tschirjew, Journ. d. l\u2019anat. et d. 1. physiol. 1879. p. 189.\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nst\u00fctzen, welche du Bois - Reymond 1 lediglich aus Analogiegr\u00fcnden annahm, zu einer Zeit wo die Pr\u00e4existenz des Muskelstroms v\u00f6llig gesichert schien.1 2 3 4\nEin ruhender Nervenstrom ist also nur am k\u00fcnstlichen Querschnitt nachgewiesen.\n3. Einfluss des Todes und verschiedener Einwirkungen auf den\nNervenstrom.\nDie Nerven der Leiche verlieren allm\u00e4hlich die Eigenschaft negative Querschnitte aufzuweisen; man findet die Querschnitte (jedesmal frisch angelegt, \u00fcber das Verhalten schon vorhandener s. unten) immer schw\u00e4cher wirksam; jedoch bleibt der Nervenstrom l\u00e4nger bestehen als die Erregbarkeit. Entsprechend dem VALLi\u2019schen Gesetz schwindet er zuerst an den centraleren St\u00fccken. Der Muskel beh\u00e4lt die Eigenschaft negative Querschnitte zu geben l\u00e4nger als der Nerv. Die Nerven des Kaltbl\u00fcters sind auch in Bezug auf den Nervenstrom dauerhafter als die des Warmbl\u00fcters. W\u00e4rme, Anstrengung, Misshandlungen aller Art beschleunigen den Verlust der electromotorischen Eigenschaften. Ein bestimmter Moment f\u00fcr das v\u00f6llige Aufh\u00f6ren, entsprechend der Todtenstarre beim Muskel, l\u00e4sst sich nicht angeben (vgl. oben S. 139).\nKurzer Aufenthalt in siedendem Wasser kehrt nach du Bois-Keymond (a. a. O. S. 287) den Nervenstrom um; dasselbe thut nach. Harless 3 ein gewisser Grad von Vertrocknung. Freiwillige Umkehr des Nervenstroms beim Absterben ist nach du Bois-Reymond (S. 284) an den Nerven des Frosches selten, h\u00e4ufiger an denen des Warmbl\u00fcters ; dagegen kann man durch Ann\u00e4herung eines gl\u00fchenden Bolzens und andere Misshandlungen den Strom umkehren (a. a. 0. S. 550).\nInnerhalb der mit dem Leben vertr\u00e4glichen Temperaturen nimmt nach Steiner 4 die Kraft des Nervenstroms beim Erw\u00e4rmen anfangs zu, erreicht zwischen 14 und 25\u00b0 ein Maximum, und nimmt dann\n1\tdu Bois-Keymond, Untersuchungen II. 1. S. 179. 1859.\n2\tJ. Ranke (Ztschr. f. Biologie II. S. 414. 1867 ; Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 257) glaubte den Nervenstrom an unversehrten Nerven dadurch nachgewiesen zu haben, dass die Eintrittsstelle des Ischiadicus in den Gastrocnemius negativ sei gegen h\u00f6here Stellen; diese Angabe beruht auf Irrth\u00fcmern durch Muskel- oder Nervenastquerschnitte; ausserdem ist nicht der mindeste Grund, mit Ranke die Eintrittsstelle in Muskelfleisch als nat\u00fcrlichen Querschnitt zu betrachten; vgl. auch Hermann, a. a. 0. S. 27.\n3\tHarless, Abhandl. d. bayr. Acad. VIII. S. 374. 1858.\n4\tSteiner, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1876. S. 382.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Verhalten des Nervenstroms beim Absterben.\n149\nwieder ab. Ob Temperaturdifferenzen im Bereich einer Faser zu Str\u00f6men Veranlassung geben k\u00f6nnen, wie ich am Muskel gefunden habe (Bd. I. S. 196), ist noch nicht untersucht.\nNerven, welche in Folge der Abtrennung vom Centrum in Degeneration begriffen sind, zeigen nach Schiff & Valentin1 noch lange den Nervenstrom, selbst wenn sie schon vor 8\u201414 Tagen ihre Erregbarkeit verloren haben. Selbst geh\u00e4mmerte Nerven, deren Faserinhalt mit Ausnahme der H\u00fcllen anscheinend zerst\u00f6rt war, zeigten nach Schiff noch auf kurze Zeit negative Querschnitte. Dass Curare, wie Funke2, v. Bezold3, Valentin4 u. A. fanden, den Nervenstrom nicht auf hebt, oder sogar verst\u00e4rkt, will nichts sagen, da Curare f\u00fcr Nervenfasern im Allgemeinen kein Gift ist und auch die Bewegungserscheinungen des Nervenstroms nicht st\u00f6rt; aber nach Gr\u00fcnhagen5 6 7 sollen auch wirkliche Nervengifte den Nervenstrom viel l\u00e4nger bestehen lassen, als die Erregbarkeit.\nVon grosser theoretischer Bedeutung sind die zeitlichen Ver\u00e4nderungen des Nervenstroms an einem einmal angelegten Querschnitt. du Bois-Reymond hatte in seinen Untersuchungen nur angegeben (S. 283), dass wenn der Querschnitt durch Sch\u00e4dlichkeiten an Wirksamkeit gelitten hat, Herstellung eines neuen Querschnitts den Strom wieder hebt. Eine spontane Kraftabnahme des Querschnitts m\u00fcsste sich dadurch heraussteilen, dass auch ohne besondere Sch\u00e4dlichkeiten der abnehmende Strom durch Anfrischen wieder verst\u00e4rkt wird ; dies ist nach du Bois-Reymond 6 nicht der Fall. Engelmann 7 fand dagegen, dass die Kraft des k\u00fcnstlichen Querschnitts schon in 1\u20142 Stunden auf 60\u201425 % des Anfangswerthes, und in 20\u201424 Stunden auf mindestens 35V2\u00b0/o, in der Mehrzahl der F\u00e4lle aber auf Null sinkt, oder in eine schwache verkehrte Kraft \u00fcbergeht (Mittelwerth des Stromes zu dieser Zeit 6,7 \u00b0/o des urspr\u00fcnglichen). Neu angelegte Querschnitte stellen sogleich den vollen Strom wieder her; die Ursache der raschen Abnahme liegt also nicht in allgemeinem Absterben des Nerven, sondern in Vorg\u00e4ngen am Querschnitt. Ueber die Deutung dieser wichtigen Beobachtung s. unten sub 6.\n1\tSchiff & Valentin, bei Schiff, Lehrb. d. Muskel- u. Nervenpbysiologie S. 69. Lahr 1858\u201459; vgl. auch Valentin, Ztschr. f. rat. Med. (3) XL S. 1.1861.\n2\tFunke, Ber. d. s\u00e4chs. Acad. 1859. S. 1.\n3\tv. Bezold, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 398.\n4\tValentin, Arch. f. d. ges. Physiol. I. S. 494. 1868.\n5\tGr\u00fcnhagen, K\u00f6nigsberger med. Jahrb. IV. S. 199. 1864.\n6\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 308. (Ges. Abh. II. S. 229.)\n7\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 138.1877.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\n4. Das galvanische Verhalten des Nerven bei der Erregung.\nA) Verhalten des tetanisirten Nerven.\nUnmittelbar nach Entdeckung des Nervenstroms fand du Bois-Reymond im Jahre 1843, dass derselbe durch Tetanisiren des Nerven ab nimmt.1 Diese negative Schwankung entspricht in ihrer Gr\u00f6sse dem Ruhebetrag des Stromes, d. h. sie ist bei unwirksamer Ableitung Null. Sie ist unabh\u00e4ngig von der Richtung, in welcher die Erregung, in Beziehung auf die nat\u00fcrlichen Insertionen des Nerven, in diesem zu nehmen hat; d. h. sie tritt sowohl am centralen Querschnittsstrom auf bei Reizung des peripherischen Nervenendes, als umgekehrt am peripherischen Querschnitt bei Reizung des centralen Endes; bei Reizung in der Mitte des Nerven ist sie gleichzeitig an beiden Nervenenden zu beobachten. Da die negative Stromesschwankung, wie wir sehen werden, ein wirkliches Zeichen der Erregung ist, so lehren diese Thatsachen, dass die Erregung im Nerven in beiden Richtungen sich gleich gut fortpflanzt (s. oben S. 10).\nWie bei der entsprechenden Schwankung des Muskelstroms, hat du Bois-Reymond \u00fcberzeugend nachgewiesen, dass die negative Schwankung des Nervenstroms weder von den zur Reizung angewandten Str\u00f6men, sei es mittels gew\u00f6hnlicher Stromschleifen oder mittels electrotonischer Wirkungen, noch von einer Zunahme des Widerstands der Nerven bei der Th\u00e4tigkeit herr\u00fchrt. In ersterer Beziehung ist es namentlich von Wichtigkeit, dass die Schwankung auch durch mechanische, chemische und centrale (reflectorische) Reizung des Nerven hervorgebracht wird (vgl. a. a. O. S. 507), dass sie bei abwechselnd gerichteten Inductionsstr\u00f6men beobachtet wird, auch dann wenn ihr Verlauf ausgeglichen ist (vgl. oben S. 36), dass sie mit so schwachen Reizstr\u00f6men auftritt, dass bei dem gegebenen Abstand zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke kein Electrotonus merklich w\u00e4re, dass sie nach Durchschneidung oder Unterbindung zwischen Reiz- und Ableitungsstrecke ausbleibt u. s. w. ; es w\u00e4re unn\u00f6thig noch mehr Beweise anzuf\u00fchren. Die Ableitung von Widerstandszunahme scheitert daran, dass die Schwankung auch bei compensirtem Ruhestrom auftritt; ausserdem konnte du Bois-Rey-mond bei eigens hierauf gerichteten Versuchen keine Aenderung des Nervenwiderstands durch die Erregung wahrnehmen. (Thatsachen welche umgekehrt auf Abnahme des Widerstands gedeutet werden k\u00f6nnten, aber in Wirklichkeit aus ganz anderer Quelle stammen,\n1 Vgl. du Bois-Reymond, Untersuchungen IL 1. S. 425.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Negative Schwankung des Nervenstroms im Tetanus.\n151\nwerden unten sub 5 erw\u00e4hnt werden.) Die negative Schwankung beruht also auf Abnahme der electromotorischen Kraft des Nervenstroms.\nDer Betrag der negativen Schwankung im Tetanus geht nicht bis zur Annullirung des Ruhestroms. Zwar schwingt die Nadel des Multiplicators beim Beginn der Schwankung oft durch den Nullpunct hindurch in den negativen Quadranten \u00fcber ; dass aber nur die Tr\u00e4gheit des Magneten hieran Schuld ist, bewies du Bois-Reymond, indem er erst w\u00e4hrend des Tetanus den Nervenstrom auf das Galvanometer wirken liess; derselbe zeigte sich dann geschw\u00e4cht, aber von gew\u00f6hnlicher Richtung. Mit aperiodischem Magneten (vgl. Bd. I. S. 181) zeigt sich ohne Weiteres, dass die negative Schwankung nie bis Null, geschweige bis zur Umkehr geht.\nBei der negativen Schwankung des tetanisirten Muskels gab der secund\u00e4re Tetanus einen Beweis dass die Verminderung der Stromkraft keine best\u00e4ndige, sondern eine periodische ist. Schon diese Frage macht es w\u00fcnschenswerth auch die Schwankung des Nervenstroms durch das physiologische Rheoscop nachzuweisen; zugleich w\u00fcrde sich so entscheiden lassen, ob auch eine einmalige Erregung von negativer Schwankung begleitet ist. Nun giebt zwar der elec-trisch gereizte Nerv, wenn man seinem L\u00e4ngs- und Querschnitt den Nerven eines strompr\u00fcfenden Froschschenkels anlegt, sowohl secund\u00e4re Zuckung als secund\u00e4ren Tetanus, allein diese Wirkungen r\u00fchren, wie unten (sub 5) gezeigt werden wird, nicht von der negativen Schwankung, sondern vom Electrotonus her.1 Pfl\u00fcger2 versuchte vergebens, der negativen Schwankung erregende Wirkung zu verleihen, indem er die pr\u00fcfende Stelle des zweiten Nerven durch Catelectrotonus erregbarer machte. Das physiologische Rheoscop l\u00e4sst also unentschieden, ob einzelne Erregungen des Nerven von negativer Schwankung begleitet sind, und demgem\u00e4ss die negative Schwankung im Tetanus oscillirender Natur ist.\nDass die negative Schwankung am Querschnittsende des Nerven die Folge der dort anlangenden Erregung ist, ergiebt sich nicht bloss aus der schon oben angef\u00fchrten Ausschliessung jeder anderen Erkl\u00e4rung, sondern namentlich auch aus dem von du Bois-Reymond gefundenen Umstande dass die Gr\u00f6sse der Schwankung unabh\u00e4ngig ist vom Abstande der Reizstelle, entsprechend der schon besprochenen Eigenschaft der Erregung, den Nerven ohne Verlust an Energie zu\n1\tAlles Vorstehende nach du Bois-Reymond, a. a. 0.\n2\tPfl\u00fcgek, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 329. Berlin 1859.","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\ndurchlaufen. Hiernach war auch zu erwarten, dass die negative Schwankung unter dem Einfluss von Einwirkungen welche den Nerven treffen, in \u00e4hnlichem Sinne ihre Gr\u00f6sse \u00e4ndert, als wenn statt der Boussole ein Muskel sich am Nervenende bef\u00e4nde ; so hat schon du Bois-Reymond gefunden, dass die Schwankung ganz wie die Muskelzuckung bei querer Anordnung der Reizstr\u00f6me ausbleibt und bei longitudinaler mit der L\u00e4nge der durchflossenen Strecke w\u00e4chst, wenn nicht Absterbeerscheinungen st\u00f6rend sich einmischen. Bernstein 1 hat ferner folgende Versuche angestellt: ist der tetanisirende Vorgang hinreichend schwach, damit Erregbarkeits\u00e4nderungen merklich werden k\u00f6nnen, so ist die negative Schwankung verst\u00e4rkt, wenn die Reizstelle catelectrotonisirt, geschw\u00e4cht wenn sie anelectrotonisirt ist; alle EcETiARD-PFL\u00fcGER\u2019schen Versuche (s. oben S. 42) lassen sich so mit der Boussole statt mit dem Muskel wiederholen. Diese That-sache, welche den innigen Zusammenhang der negativen Schwankung mit der Erregung zweifellos feststellt, verleiht dem du Bois\u2019schen Beweise f\u00fcr das doppelsinnige Leitungsverm\u00f6gen der Nerven (s. oben S. 10 und 150) erh\u00f6hte Bedeutung. Auch ist es jetzt ganz gebr\u00e4uchlich den Erregungszustand des Nervenendes statt mit der Muskelzuckung, mit der negativen Schwankung des Nervenstroms zu beobachten; so beruht z. B. die oben S. 111 erw\u00e4hnte Arbeit von Engelmann theilweise, und die S. 108 erw\u00e4hnte von J. J. M\u00fcller ganz auf Beobachtung der negativen Schwankung ; letzterer fand, dass die negative Schwankung mit Zunahme der Reizst\u00e4rke bis zu einem gewissen Maximum (jedoch nicht gradlinigt) w\u00e4chst, dann constant bleibt uud bei noch weiterer Reizsteigerung ein zweites, h\u00f6heres Maximum erreicht.\nAn degenerirten Nerven fehlt nach Schiff & Valentin (a. S. 149 a. 0.) die negative Schwankung, sobald die Erregbarkeit aufgehoben ist.\nB) Verhalten des Nerven bei Einzelreizungen.\n1) Mit k\u00fcnstlichem Querschnitt.\nSoeben ist angef\u00fchrt worden, dass die Frage, ob eine einzelne Erregung mit negativer Schwankung verbunden ist, am Nerven nicht wie beim Muskel durch secund\u00e4re Zuckung entschieden werden kann. Es bedarf kaum der Erw\u00e4hnung, dass das Galvanometer, welches schon beim Muskel f\u00fcr eine Einzelschwankung erst in neuerer Zeit gen\u00fcgende Empfindlichkeit erlangt hat, beim Nerven noch heute versagt.\nMittels der Bd. I. S. 207 beschriebenen Repetitionsmethode ge-\n1 Bernstein, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1866. S. 596.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Negative Schwankung bei Tetanus und Einzelreizung. Verlauf und Betrag. 153\nlang es dagegen Bernstein 1 die negative Schwankung des Nerven-stroms bei jeder Erregung darzustellen und ihren zeitlichen Verlauf zu verfolgen. Es zeigte sich, dass der Nervenstrom betr\u00e4chtlich steiler abnimmt als er wieder ansteigt. Die Dauer der ganzen negativen Schwankung nach einem einzelnen Reizstoss wird gefunden, wenn man die Schieberstellungen aufsucht, bei denen Anfang und Ende der Schwankung eintritt, und von der der Differenz dieser Stellungen entsprechenden Zeit diejenige Zeit in Abzug bringt, welche der Bous-solschluss selbst bei jedem Umgang in Anspruch nimmt. Bernstein fand so die Dauer der negativen Schwankung zu nur etwa 0,0007 (Vi43o) Secunde. Indess ist erstens das Ende der allm\u00e4hlich abklingenden Schwankung nie mit Sicherheit festzustellen, zweitens wird die Dauer des Boussolschlusses \u00fcbersch\u00e4tzt, wenn man sie bei langsamer Drehung bestimmt und dies auf schnelle \u00fcbertr\u00e4gt. Aus eig\u00e9-nen Versuchen (s. unten) schliesse ich, dass die Dauer der Schwankung l\u00e4nger ist als Bernstein angiebt.\nDiese Versuche machen es zugleich sicher, dass die tetanische Schwankung wie beim Muskelstrom oscillirender Natur ist ; denn das Rheotom macht ja so ziemlich tetanisirende Reizung, und zeigt direct den auf- und abgehenden Verlauf des Nervenstroms. Hieraus folgt, dass der oben angegebene Betrag der tetanisehen Schwankung nichts aussagt \u00fcber den Maximalbetrag jeder Einzelschwankung; die Boussole zeigt nur den auf die Zeit gleichm\u00e4ssig vertheilt gedachten Betrag, die mittlere Ordinate der Schwankung; die gr\u00f6sste Ordinate muss nothwendig gr\u00f6sser sein, und k\u00f6nnte sehr wohl den ruhenden Nervenstrom \u00fcbertreffen. Die Frage nun, ob der Nervenstrom sich auf der H\u00f6he der Schwankung umkehrt, l\u00e4sst sich mit dem Rheotom entscheiden, wenn man den Boussolschluss so kurz wie irgend m\u00f6glich macht, und das Maximum der Schwankung bestimmt. Nach Bernstein \u00fcbertrifft dasselbe in der That den Nervenstrom, sogar um ein Vielfaches desselben, der Strom kehre sich also um. Ich selbst habe dagegen bei der Wiederholung des Versuches1 2 die Schwankung stets betr\u00e4chtlich kleiner gefunden als den Ruhestrom. Schon Bernstein3 hatte sp\u00e4ter die Richtigkeit seines Resultats bezweifelt, und T\u00e4uschungen durch Electrotonus vermuthet.4\n1\tBernstein, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1866. S. 593 ; Arch. f. d. ges. Physiol. I. S. 173. 1868; Untersuchungen \u00fcber den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsysteme S. 1. Heidelberg 1871.\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVIII. S. 585. 1878.\n3\tBernstein, ebendaselbst VIII. S. 53. 1873.\n4\tEngelmann, ebendaselbst XV. S. 142. 1877, macht darauf aufmerksam, dass das Resultat Bernstein\u2019s m\u00f6glicherweise von dem oben S. 149 erw\u00e4hnten Sinken","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154 Hermann. Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nDer Beginn der negativen Schwankung erfolgt, wie Bernstein fand, um so sp\u00e4ter je weiter die Reizstelle von der abgeleiteten Strecke entfernt ist; misst man die Latenzzeiten der Schwankung bei verschiedenen Entfernungen der Reizstelle, so l\u00e4sst sich aus ihren Differenzen die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenerregung grade so gut messen, als wenn statt der BoussolWirkung Muskelzuckung eintr\u00e4te; Bernstein fand so denselben Werth wie Helmholtz.\nEine Durchmusterung der Latenzzeiten der Schwankung ergab ferner, dass dieselben dem Abstande zwischen Reizstelle und L\u00e4ngsschnittsableitung, und nicht dem zwischen Reizstelle und Querschnitt proportional sind ; wenigstens f\u00fcgten sich in Bernstein\u2019s Betrachtung die Zahlen besser der ersteren als der letzteren Proportionalit\u00e4t. Nimmt man erstere als erwiesen an, so folgt, dass der Vorgang der negativen Schwankung seinen Anfang nimmt, wenn die Erregung an der abgeleiteten L\u00e4ngsschnittsstelle anlangt, und die Zeit zwischen Reizung und Beginn der Schwankung stimmt unter dieser Voraussetzung gut zu der auf anderen Wegen gemessenen Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung. Hieraus w\u00fcrde folgen, dass beim Ablauf der Erregung im Nerven diejenige Stelle, an welcher sich die Erregung grade befindet, an Positivit\u00e4t gegen den Querschnitt verliert, und dass dieser Verlust in dem Moment beginnt, wo die Erregung an der betr. L\u00e4ngsschnittsstelle anlangt, und zwar ohne dass eine Vorbereitungszeit, sei es an der direct gereizten Stelle, sei es an den Stellen, denen die Erregung zugeleitet wird, der galvanischen Ver\u00e4nderung vorangeht.\n2) Verhalten unversehrter Nervenstrecken.\nF\u00fcr die weiter anzuf\u00fchrenden Thatsachen ist es zw.eckm\u00e4ssig, diejenige Betrachtungsweise einzuf\u00fchren, welche sich schon f\u00fcr die galvanischen Vorg\u00e4nge im erregten Muskel bew\u00e4hrt hat. Wir betrachten die negative Schwankung des Nervenstroms als den Ausdruck eines besonderen dem Nervenstrom entgegengerichteten Stromes \\ den wir Actionsstrom nennen, und der sich zum Ruhestrom\nder Kraft des Ruhestroms herr\u00fchre. Indessen m\u00fcsste in gleichem Maasse auch die negative Schwankung abnehmen, da sich der Querschnitt durch das Schwinden der Kraft dem Verhalten eines L\u00e4ngsschnittspunctes n\u00e4hert und die \u201eschwachen Str\u00f6me\u201c auch eine entsprechend geringere negative Schwankung zeigen.\n1 Schiff war der Erste, welcher beim Nerven von einem besonderen, vom Ruhestrom unabh\u00e4ngigen Actionsstrom sprach, und zwar weil er die sog. negative Schwankung auch an Nerven beobachtete, deren Ruhestrom verkehrt war; vgl. Lehrbuch etc. S. 72. 1858. Ueber Mattetjcci\u2019s Annahme eines Actionsstroms in den Muskeln s. Bd. I. S. 236.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Zeitl. Verlauf der Schwankung. Actionsstr\u00f6me des unversehrten Nerven. 155\nalgebraisch summirt; er beruht darauf, dass die in Erregung begriffene Nebenstelle sich gegen den Rest des Nerven negativ verh\u00e4lt. Die negative Schwankung des tetanisirten Nerven beruht darauf, dass an der L\u00e4ngsschnittsableitungsstelle der Nerv fortw\u00e4hrend erregt wird, w\u00e4hrend die absterbende Substanz am Querschnitt an der Erregung nicht Theil nimmt; so ist der Actionsstrom im tetanisirten Nerven best\u00e4ndig vom L\u00e4ngsschnitt zum Querschnitt, also dem Ruhestrom entgegengesetzt gerichtet. Der Rheotomversuch zeigt, auf welche Weise die Negativit\u00e4t am L\u00e4ngsschnitt beim Durchgang der Erregung zunimmt und dann wieder abnimmt.\nWird von zwei L\u00e4ngsschnittspuncten des Nerven abgeleitet, die wir entweder symmetrisch zum Aequator, oder von den Querschnitten so weit entfernt annehmen, dass in der Ruhe kein Strom vorhanden ist, so gehen beim Tetanisiren Erregungswellen unter beiden Ableitungsstellen'hindurch. Es zeigt sich, wie du Bois-Reymond fand, kein Actionsstrom (s. oben S. 150). Allerdings tritt, wenn die Reizstr\u00f6me stark sind, und die abgeleitete Strecke der Reizstrecke zu nahe liegt, ein scheinbarer Actionsstrom auf, welcher im Nerven zu der Reizstelle hin gerichtet ist; hat die abgeleitete Strecke Nerven-strom, so kann dieser scheinbare Actionsstrom unter den genannten Umst\u00e4nden ebenfalls eintreten, und stellt eine positive Schwankung des Ruhestroms dar. Allein die wahre Ursache dieses Stromes ist electrotonischer Natur; er beruht auf dem Ueberwiegen des Anelec-trotonus \u00fcber den Catelectrotonus 1 (s. unten sub 5).\nDer Umstand, dass bei richtig angestelltem Versuch kein teta-niscker Actionsstrom zwischen zwei stromlosen L\u00e4ngsschnittspuncten auftritt, deutet darauf, dass die Erregung an jedem Puncte der Nervenfaser in gleicher Gr\u00f6sse anlangt, also weder eine lavinenar-tige Zunahme (vgl. oben S. 113 f.) noch eine Abnahme der Erregung bei ihrem Ablauf wie im ausgeschnittenen Muskel (vgl. Bd. I. S. 213) stattfindet.\nL\u00e4uft eine einzelne Erregungswelle \u00fcber die Nervenfaser ab, so ist, nach Analogie des Muskels, zwischen zwei L\u00e4ngsschnittspuncten ein doppelsinniger phasischer Actionsstrom zu erwarten, indem zuerst die der Reizstelle n\u00e4here, dann die entferntere Ableitungsstelle sich gegen die andere negativ verh\u00e4lt, wie auch die im Tetanus vorhandene anscheinende Stromlosigkeit in Wirklichkeit darauf beruhen muss, dass die beiden entgegengesetzten Phasen des Actionsstromes\n1 Vgl. \u00fcber jene vermeintlichen positiven Schwankungen Moleschott, Molesck. Unters. VIII. S. 1. 1861 ; du Bois-Reymond. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 786; J. Ranke, ebendaselbst 1862. S. 241.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nfortw\u00e4hrend in gleicher Gr\u00f6sse mit einander ab wechseln. Versucht man nun unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden jenen doppelsinnigen pha-sischen Actionsstrom mittels des Rheotoms darzustellen, so misslingt es, und zwar wesentlich deshalb weil bei der grossen Leitungsgeschwindigkeit des Nerven selbst beim gr\u00f6ssten m\u00f6glichen Abstand der beiden Ableitungsstellen die beiden Phasen zeitlich zu nahe zusammenfallen um am Rheotom getrennt dargestellt zu werden. Dagegen gelang mir1 die Darstellung vollkommen, durch den Kunstgriff, die Leitung im Nerven durch K\u00e4lte betr\u00e4chtlich zu verlangsamen, und die Boussolwirkungen durch Anwendung eines B\u00fcndels von 4\u20146 Nerven, welches von den Reiz- und Ableitungsf\u00e4den umschlungen wurde, zu verst\u00e4rken.\nEs zeigte sich ferner bei diesen Versuchen, dass K\u00e4lte den Ablauf der Erregung an jeder Nervenstelle betr\u00e4chtlich in die L\u00e4nge zieht.\nMan kann nun weiter fragen, ob der Actionsstrom bei k\u00fcnstlichem Querschnitt wirklich nur einsinnig ist, d. h. ob die Erregung am k\u00fcnstlichen Querschnitt wirklich mit der Gr\u00f6sse Null anlangt, wie wir oben (S. 155) vorl\u00e4ufig angenommen haben, oder ob sie vielleicht nur am Querschnitt kleiner ist als am L\u00e4ngsschnitt. Schon dies n\u00e4mlich w\u00fcrde zur Erkl\u00e4rung der negativen Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittsstromes gen\u00fcgen. Auch dieser Versuch kann nur am abgek\u00fchlten Nerven angestellt werden und ergiebt, dass die zweite Phase wirklich fehlt oder wenigstens bis zur Unnachweisbarkeit, vermindert ist, wenn die zweite Ableitungsstelle sich am k\u00fcnstlichen Querschnitt befindet. Die Erregung scheint also hier mit der Gr\u00f6sse Null anzulangen; in welcher Weise die Erregung beim Ablauf gegen den Querschnitt zu Null abnimmt, wird weiter unten er\u00f6rtert werden.\nUeber das Verhalten der Actionsstr\u00f6me in einem electrotonisch ver\u00e4nderten Nerven s. unten sub 5.\nSchliesslich ist noch eine sehr merkw\u00fcrdige Angabe von Schiff 2 zu erw\u00e4hnen, deren Best\u00e4tigung und event, weitere Verfolgung dringend w\u00fcnschenswerth ist. Leitet man n\u00e4mlich von zwei Puncten eines unversehrten Nerven ab, der noch mit dem Centralorgan und mit seiner peripherischen Ausbreitung im Zusammenhang steht, so\n1\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVIII. S. 574. 1878.\n2\tSchife, Aim. dell\u2019 Istit. Veneto (3) XIV. Sep.-Abdr. 1869; ein freilich sehr kurzer Auszug auch im Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 232. 1871. Die Arbeit enth\u00e4lt auch die Angabe, dass an einem mit Querschnitten versehenen Nerven der Aequator der negativen Schwankung nicht mit dem des Ruhestroms zusammenf\u00e4llt, sondern der Reizstelle n\u00e4her liegt. worin Schief einen weiteren Beweis f\u00fcr die Existenz eines vom Ruhestrom unabh\u00e4ngigen Actionsstroms sieht (s. oben S. 154).","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Phasischer Actionsstrom. Verhalten am Querschnitt. Electrotonus. 157\nbewirkt nach Schiff jede Reizung, gleichg\u00fcltig ob central oder peripherisch von der abgeleiteten Strecke, ob electrisch oder durch Strychnin resp. Hautreizung, einen schwachen centripetalen Actionsstrom, den Schiff als den eigentlichen galvanischen Ausdruck der nat\u00fcrlichen Nervenerregung ansieht. Alle erdenklichen Fehlerquellen waren nach Schiff\u2019s Darstellung ausgeschlossen.\n5. Der electrotonische Zustand.\nA) Die Grunderscheinungen.\ndu Bois-Reymond1 entdeckte im Jahre 1843, bei den Vorarbeiten zur Untersuchung der galvanischen Erregungserscheinungen am Nerven, dass ein constanter galvanischer Strom w\u00e4hrend der Zeit seines Fliessens durch eine Strecke des Nerven, eine Ver\u00e4nderung des von L\u00e4ngs- und Querschnitt abgeleiteten Nervenstromes bewirkt, obgleich jene best\u00e4ndige Durchstr\u00f6mung nicht erregend wirkt. Sofort zeigte sich, dass jene Ver\u00e4nderung mit der Richtung des einwirkenden Stromes zusammenh\u00e4ngt; der abgeleitete Nervenstrom erscheint n\u00e4mlich verst\u00e4rkt oder geschw\u00e4cht, je nachdem der einwirkende Strom mit ihm im Nerven gleiche oder entgegengesetzte Richtung hat.\nAber der positive oder negative Zuwachs, den der Nervenstrom unter dem Einfluss des einwirkenden constanten Stromes erh\u00e4lt, tritt auch dann, als selbstst\u00e4ndiger Strom, in gleicher Gr\u00f6sse wie vorher auf, wenn statt von L\u00e4ngs- und Querschnitt von zwei L\u00e4ngsschnitts-puneten, sei es mit oder (wegen symmetrischer Lage) ohne Nervenstrom, abgeleitet wird, vorausgesetzt dass der Abstand zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke derselbe bleibt. Der ruhende Nervenstrom hat also mit dieser Erscheinung nichts zu thun, und das Gesetz derselben lautet demnach : Wird durch eine Strecke des Nerven ein constanter Strom geleitet, so zeigt jede andre Strecke des Nerven eine jenem Strome gleichgerichtete galvanische Wirkung auf das Galvanometer; hat die abgleitete Strecke ruhenden Nervenstrom, so summirt sich diese Wirkung zu ihm algebraisch. Den Zustand, in welchen der Nerv durch den constanten Strom ger\u00e4th, nannte du Bois-Reymond den \u201e electrotonischen \u201c oder \u201e Electrotonus\nIn den F\u00e4llen, wo die electrotonischen Wirkungen sich zu ruhendem Nervenstrom summiren, nannte du Bois-Reymond den Fall, wo beide gleichsinnig sind, \u201epositive Phase\u201c des Electrotonus, den anderen \u201enegative Phase\u201c; jedoch sind diese Bezeichnungen entbehrlich und deshalb von\n1 du Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 289.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\ndu Bois-Reymond selbst sp\u00e4ter aufgegeben worden, da die Erscheinungsweise des Electrotonus mit dem Nervenstrom nichts zu thun hat. Den einwirkenden Strom nennt man gew\u00f6hnlich den \u201e polarisirenden \u201c, die durchflossene Strecke die intrapolare ; die Strecke zwischen durchflossener und abgeleiteter heisst auch wohl die \u201eableitende\u201c.\nZu den Grundthatsachen geh\u00f6rt ferner die, dass die electroto-nischen Wirkungen um so st\u00e4rker sind, je kleiner cet. par. der Abstand zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke ist, dass ferner die Gr\u00f6sse dieser Wirkungen mit der Intensit\u00e4t des polarisirenden Stromes best\u00e4ndig w\u00e4chst, ohne dass ein Maximum erreicht wird, was von Neuem best\u00e4tigt, dass der Electrotonus keine Erregungserscheinung ist. Dass aber die electrotonischen Str\u00f6me nicht einfach vom Hereinbrechen des polarisirenden Stromes in den Galvanometerkreis herr\u00fchren, scheint auf den ersten Blick daraus hervorzugehen, dass sie sofort ausbleiben, wenn der Nerv zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke unterbunden, oder durchschnitten und wieder zusammengef\u00fcgt wird. Der electrotonische Zustand verbreitet sich also, \u00e4hnlich der Erregung, nur soweit im Nerven, wie dessen Continuit\u00e4t unversehrt ist. Ferner spricht gegen jene Deutung durch einfache Stromschleifen, dass der Nerv sich gegen den Electrotonus bei starken Str\u00f6men bald abstumpft, dass todte oder misshandelte Nerven, ferner feuchte F\u00e4den, und endlich der Muskel, der f\u00fcr Stromschleifen noch g\u00fcnstigere Bedingungen darbietet, in du Bois-Rey-mond\u2019s Versuchen keine electrotonischen Wirkungen zeigten (vgl. auch unten).\nDie an todten Nerven von manchen Autoren beobachteten Spuren electrotonischer Wirkungen sind unvergleichlich schw\u00e4cher als an lebenden Organen, und wahrscheinlich gew\u00f6hnliche Stromschleifen; \u00fcber die Behauptung Matteucci\u2019s, dass auch jenseits eines Schnittes schwacher Electrotonus nachweisbar sei, vgl. unten S. 160. An degenerirten Nerven sahen Schiff & Valentin 1 keinen Electrotonus, w\u00e4hrend Gr\u00fcnhagen1 2 solchen behauptet.\nB) Die Gr\u00f6sse des Electrotonus und die sie bestimmenden Umst\u00e4nde.\nSchon oben ist angef\u00fchrt, dass die St\u00e4rke des Electrotonus haupts\u00e4chlich bestimmt wird erstens durch die N\u00e4he der durchflossenen Strecke, zweitens durch die St\u00e4rke des polarisirenden Stromes, mit welcher sie unbegrenzt w\u00e4chst, so lange der Strom nicht zerst\u00f6rend wirkende Intensit\u00e4ten erreicht. Die electrotonischen Str\u00f6me k\u00f6nnen\n1\tSchiff & Valentin, bei Schiff, Lehrb. d. Muskel- u. Nervenphysiologie S. 69. Lahr 1858\u201459 ; Valentin, Ztschr. f. rat. Med. (3) XI. S. 1. 1861.\n2\tGr\u00fcnhagen, K\u00f6nigsberger med. Jahrb. IV. S. 199.1864.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Electrotonus. Grundthatsachen. Intensit\u00e4tsbedingungen.\n159\nin Folge dessen St\u00e4rken erreichen, welche die des Nervenstroms vielfach \u00fcbertreffen; die zu ihrer Compensation erforderliche electro-motorische Kraft kann nach du Bois-Reymond1 2 \u00fcber 0,5 Dan. steigen.\nMit der L\u00e4nge der durchflossenen Strecke w\u00e4chst die Gr\u00f6sse des Electrotonus, wenn man daf\u00fcr sorgt, dass die Intensit\u00e4t des pola-risirenden Stromes die gleiche bleibt, du Bois-Reymond 2 erreichte dies, indem er entweder in den polarisirenden Kreis einen so grossen Widerstand (Alkohokohr) einschaltete, dass die Widerst\u00e4nde der Nervenstrecken dagegen ann\u00e4hernd verschwanden, oder den Nerven zwischen den polarisirenden Electroden mit feuchtem Faden unterband3, so dass die Intensit\u00e4t des polarisirenden Stromes dieselbe blieb und doch der auf die abgeleitete Strecke wirkende Theil der durchflossenen verk\u00fcrzt wurde. Legt man ferner einem Theil der durchflossenen Strecke einen feuchten Leiter an, so zeigt sich der Electrotonus in der Gr\u00f6sse ver\u00e4ndert, und zwar verst\u00e4rkt, wenn die Anlegung von der hinteren Electrode aus geschieht, so dass der unverdickte Theil der durchflossenen Strecke der abgeleiteten n\u00e4her liegt, geschw\u00e4cht dagegen, wenn die Verdickung von der vorderen Electrode aus geschieht. In beiden F\u00e4llen wird der dichter durchstr\u00f6mte Theil der intrapolaren Strecke verk\u00fcrzt, zugleich aber seine Dichte vergr\u00f6ssert; letzterer Umstand tr\u00e4gt aber den Sieg davon, d. h. die Wirkung wird vergr\u00f6ssert ; im ersten Falle aber wird der wirksame Theil der durchflossenen Strecke von der abgeleiteten weiter entfernt und dadurch der Electrotonus wieder vermindert. Verl\u00e4ngerung der abgeleiteten Strecke verst\u00e4rkt also im Allgemeinen die Wirkungen, wenn der Einfluss der Widerstands\u00e4nderung m\u00f6glichst klein gemacht wird.\nQuere Durchstr\u00f6mung des Nerven hat keine electrotonisirenden Wirkungen; sowie longitudinale Componenten da sind, treten solche ein. Das Galvanometer ist daher in den oben S. 97 f. erw\u00e4hnten Versuchen ein gutes Reagens, um zu sehen, ob die Durchstr\u00f6mung streng transversal ist.\nEndlich ist, unter sonst gleichen Umst\u00e4nden, der Electrotonus nach Kraft und Intensit\u00e4t auf der Seite der Anode gr\u00f6sser als auf der Cathode. Dies ergiebt sich nicht allein aus directer Vergleichung, sondern auch daraus, dass bei raschem regelm\u00e4ssigem Wechsel der\n1\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 441. (Ges. Abh.II. S. 251.)\n2\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 337.\n3\tZur pl\u00f6tzlichen Unterbindung ohne Verlagerung des Nerven wandte du Bois-Reymond einen kleinen Apparat an (vgl. a. a. 0. Taf. III. Fig. 109, 110), der mittels zweier Triebr\u00e4der die Fadenschlinge zuzieht, welche den Nerven gegen einen Elfenbeink\u00f6rper schn\u00fcrt und zerquetscht. Zu gleichem Zwecke habe ich sp\u00e4ter den Nerven mittels einer Beisszange mit Elfenbeinschneiden durchbissen, ohne ihn zu durch-schneiden, vgl. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 230. 1875.","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nRichtung des polarisirenden Stromes die Wirkung der abgeleiteten Strecke nicht Null, sondern im Sinne des Anelectrotonus ist, d. h. es zeigt sich ein nach der durchflossenen Strecke hin gerichteter Strom. Dieser Umstand kann bei Versuchen mit tetanisirenden, abwechselnd gerichteten Inductionsstr\u00f6men, wie schon oben S. 155 erw\u00e4hnt, einen Actionsstrom Vort\u00e4uschen, oder einen wirklichen Actionsstrom modi-ficiren.\nC) Nachweis des Electrotonus durch das physiologische Rheoscop.\nLegt man irgend einer Strecke eines Nerven den Nerven eines strompr\u00fcfenden Froschschenkels an, so ger\u00e4th letzterer in Zuckung oder Tetanus, wenn man den ersten Nerven auf electrischem Wege reizt oder tetanisirt. Diese von du Bois-Reymond 1 entdeckte \u201e secun-d\u00e4re Zuckung (seeund\u00e4rer Tetanus) vom Nerven aus\u201c ist wie schon oben S. 151 erw\u00e4hnt, nicht Folge eines Actionsstroms, sondern des Electrotonus des ersten Nerven, welcher sich durch den zweiten abgleicht. du Bois-Reymond fand n\u00e4mlich, dass erstens die Erscheinung nur bei electrischer, nie bei mechanischer oder chemischer Reizung des ersten Nerven auftritt, dass sie ferner ausbleibt, wenn der zweite Nerv dem ersten in gr\u00f6sserer Entfernung von der durchflossenen Strecke angelegt wird, dass es endlich keinen Unterschied macht, ob der zweite Nerv dem L\u00e4ngs- und Querschnitt oder nur dem L\u00e4ngsschnitt des ersteren in stromloser Anordnung anliegt, obgleich doch nur im ersteren Falle negative Schwankung eintritt.\nDie secund\u00e4re Zuckung vom Nerven aus erkl\u00e4rt es, warum zuweilen, dem Gesetz der isolirten Leitung scheinbar widersprechend, Zuckungen im Bereiche eines Nerven eintreten, wenn nicht er selbst, sondern ein ihm anliegender Nerv electrisch gereizt wird. Eine solche \u201eparadoxe Zuckung\u201c tritt z. B. im Gastrocnemius ein,.bei Reizung des centralen Peroneus-Endes, weil dessen Fasern im Stamm des Ischiadicus den Fasern des Tibialis anliegen.\nDer electrotonische Strom des ersten Nerven, welcher sich durch den zweiten Nerven abgleicht, versetzt diesen selbst in Electrotonus, wie man direct mit dem Galvanometer nachweisen kann ; dieser \u201e secund\u00e4re \u201c Electrotonus1 2 beharrt nat\u00fcrlich so lange wie der erste Nerv durchstr\u00f6mt wird; bei der Oeffnung schwindet er. Die erregende Wirkung des prim\u00e4ren Electrotonus bei der secund\u00e4ren Zuckung be-\n1\tDir Bois-Reymond, Untersuchungen IL 1. S. 528- 1849.\n2\tDer secund\u00e4re Electrotonus kann, wie Moleschott gezeigt hat, zu der irr-th\u00fcmlichen Behauptung Matteucci\u2019s Anlass gegeben haben, dass der Electrotonus sich auch \u00fcber Schnittstellen des Nerven hinaus fortpflanzt. Moleschott hat einmal auch \u201eterti\u00e4ren\u201c Electrotonus beobachtet. Vgl. Molesch. Unters. X. S. 649. 1870.","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Secund\u00e4re Zuckung u. Tetanus v. Nerven aus. Etablirung des Electrotonus. 161\nstellt, wie hierdurch klar wird, im Entstehen und Verschwinden eines Stromes im zweiten Nerven, und man beobachtet in der That unter gewissen Umst\u00e4nden, dass dem Zuckungsgesetz entsprechend die Zuckung in dem einen oder anderen Falle ausbleibt.1 Hierin liegt ein weiterer Beweis, dass die secund\u00e4re Zuckung nicht von einem Actionsstrom herr\u00fchrt, denn dieser w\u00fcrde bei der Schliessung und bei der Oeffnung in gleicher Richtung vor\u00fcbergehend auftreten.\nDen secund\u00e4ren Tetanus vom Nerven aus hat du Bois-Reymond statt durch den Muskel auch durch die negative Schwankung am Querschnittsende des zweiten Nerven nachgewiesen.\nD) Zeitliche Entwicklung und Abklingen des Electrotonus.\nDer Electrotonus entsteht wie du Bois-Reymond fand (a. a. 0. S. 321, 391, 540) schon im Momente der Schliessung des polarisi-renden Stromes, und schwindet ebensoschnell im Momente der Oeffnung; selbst die k\u00fcrzesten Stromdauern, z. B. einzelne Inductions-schl\u00e4ge, sind daher von Electrotonus begleitet.\nHelmholtz 2 stellte ferner \u00fcber die Zeit des Eintritts des Electrotonus folgenden Versuch mit der secund\u00e4ren Zuckung vom Nerven aus an : \u201e Es gelang mir nur in wenigen F\u00e4llen diese Art der secund\u00e4ren Zuckung bei einmaliger Reizung in gleicher St\u00e4rke zu erhalten, wie die prim\u00e4re. Um die Unterschiede in der L\u00e4nge der Nervenleitung zu eliminiren, wurde die dem zeichnenden Muskel n\u00e4here H\u00e4lfte seines Nerven in Ber\u00fchrung mit der entsprechenden H\u00e4lfte eines zweiten Nerven gebracht, und dann wurden nacheinander die peripherischen Enden3 beider Nerven gereizt, und zwar, um unipolare Zuckungen zu vermeiden, durch den Strom einer kleinen Daniell-schen Batterie, f\u00fcr deren Strom die stromunterbrechenden Theile des Apparates bis zum Augenblicke der Reizung eine Nebenschliessung bildeten. Die Versuche ergaben, dass die secund\u00e4re Zuckung vom Nerven aus nicht merklich sp\u00e4ter eintritt als die prim\u00e4re. Daraus folgt, dass der electrotonische Zustand nicht merklich sp\u00e4ter eintritt, als der ihn erregende electrische Strom.\u201c\nDie Deutung dieses Versuches ist jedoch nicht so einfach. Helmholtz schliesst aus ihm, dass der Electrotonus im Augenblick der Schliessung des polarisirenden Stromes bereits an jeder Stelle des Nerven vorhanden ist, dass er zu seiner Ausbreitung keine etwa der Er-\n1\tdt Bois-Reymond. a. a. 0. S. 532 f.\n2\tHelmholtz, Monatsber. d. Berliner Acad. 1854. S. 329.\n3\tNach jetzigem Sprachgebrauch w\u00fcrde man sagen \u201ecentralen Enden\u201c; es sind n\u00e4mlich die vom Muskel abgewendeten Enden verstanden ; Helmholtz nennt sie peripherisch, indem er von der Schnittstelle des Nerven aus rechnet.\nHandbuch der Physiologie. Bd. II.\t11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nregungsleitung vergleichbare Zeit braucht, du Bois-Reymond 1 dagegen folgert aus dem HELMHOLTz\u2019schen Versuch etwas Anderes, n\u00e4mlich dass der Electrotonus sich mit gleicher Geschwindigkeit wie die Erregung \u00fcber den Nerven ausbreite. Ohne Zweifel liegt dieser Auffassung folgende Betrachtung zu Grunde: Ist die Zeit zwischen Reizung und Zuckung des Muskels M (Fig. 15) die gleiche, mag bei\na oder b gereizt werden, so beweist dies, c\tdass der Electrotonus um im Nerven 1 von\nc\t\u00ab bis c sich auszubreiten, so viel Zeit\nbraucht wie die Erregung, um im Nerven 2 von b bis c' zu gelangen. Aber\nFig. 15. Versuch von Helmholtz \u00fcber\t.\ti\t. ,\nEtabiirung des Eiectrotonus. wenn der Electrotonus in c stark genug ist, um den zweiten Nerven zu erregen, so wird er in c gewiss mindestens ebenso stark direct erregen, wenn er durch Reizung bei b im Nerven 2 direct erzeugt wird'1 2 3; mit andern Worten: bei der angewandten Reizst\u00e4rke wird der Nerv 2, sobald der Strom bei b applicirt ist, bis cf direct erregt, und der Versuch beweist also nur, dass der Electrotonus sich in beiden Nerven mit gleicher Geschwindigkeit ausbreitet; \u00fcber die Gr\u00f6sse dieser Geschwindigkeit giebt er jedoch keinen Aufschluss.5\nOhne vorstehenden Versuch zu erw\u00e4hnen, theilt Gr\u00fcnhagen4 einen \u00e4hnlichen mit, in welchem die Latenzzeit der secund\u00e4ren Zuckung vom Nerven aus bei beiden Lagen des polarisirenden Stromes bestimmt wurde; sie ergab sich in beiden F\u00e4llen gleich gross, woraus folgt, dass der An- und Catelectrotonus sich mit gleicher Geschwindigkeit entwickeln.\nDer Zusammenhang der galvanischen Wirkungen des Electrotonus mit den oben S. 40 ff. besprochenen erregbarkeits\u00e4ndernden ist durch zahlreiche Umst\u00e4nde h\u00f6chst wahrscheinlich, von denen einzelne noch im Folgenden zur Sprache kommen werden. Es fragt sich an dieser Stelle, ob die galvanische Wirkung gleichzeitig mit der erregbarkeits\u00e4ndernden sich entwickelt, oder ob eine der andern vorangeht, Pfl\u00fcger5 hat diese Frage f\u00fcr den Anelectrotonus durch folgenden Versuch beantwortet. Der Nerv A (Fig. 16) erh\u00e4lt bei ab einen starken aufsteigenden Strom; der electrotonische Strom von\n1\tdu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 449. (Ges. Abh. II. S. 258.)\n2\tAus dem Umstande, dass der starke Strom bei b eine Schliessungszuckung gab, ist zu schliessen, dass er absteigend war.\n3\tEtwas Anderes w\u00e4re es, wenn die Reizung bei b sehr viel schw\u00e4cher gewesen w\u00e4re als bei a, wovon indess Helmholtz nichts angiebt; in diesem Falle w\u00e4re aber die du Bois\u2019sche, und nicht die HELMHOLTz\u2019sche Folgerung richtig.\n4\tGr\u00fcnhagen, Arch. f. d. ges. Physiol. 1Y. S. 549. 1871.\n5\tPfl\u00fcger, Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 442. Berlin 1859.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Etablirung des Electrotonus.\n163\na'\t'b c\t\td\n' J\t>\tQ.\nFig. 16.\n_\tE\nYersueli von Pfl\u00fcger \u00fcber Etablirung des Eleetrotonns.\ncd wird dem Nerven B bei ef so zugeleitet, dass Nerv B in gleichem Abstande vom Muskel und gleich stark wie A in cd, jedoch aufsteigend durchstr\u00f6mt wird. Wird nun der starke aufsteigende Strom in ab abgeschlossen, so erh\u00e4lt man keine prim\u00e4re Zuckung, sondern nur secund\u00e4re, d. h. zu der Zeit, wo der anelectrotonische Strom in cd entsteht und den zweiten Nerven erregt, ist auch schon die Strecke cd unerregbar, sonst m\u00fcsste auch der Muskel A zucken, die Erregbarkeits\u00e4nderung erscheint also nicht sp\u00e4ter als die galvanische Aenderung.1\nUeber die absolute Zeit der Etablirung des Electrotonus sagt auch dieser Versuch Nichts aus. Gr\u00fcnhagen (a. a. 0.) bestimmte dieselbe jedoch durch folgenden Versuch: Er schloss bei s den Kreis der Kette K (Fig. 17), der zugleich die prim\u00e4re Spirale eines In-ductionsapparats enthielt ; der Schlies-sungsinductionsstrom der secund\u00e4ren Spirale wurde dem Nerven bei ab in aufsteigender Richtung zugeleitet; bei cd aber erhielt der Nerv gleichzeitig einen schwachen, f\u00fcr sich nicht erregenden, aufsteigenden Stromzweig des prim\u00e4ren, constanten Stromes, mittels des Rheochords rr\\ Nach Gr\u00fcnhagen\u2019s Angabe ist nun die Zuckung, wegen des Anelectrotonus von cd, kleiner als ohne den polarisirenden Strom in c d. Der Anelectrotonus ist also schon wirksam zur Zeit der Schliessungsinduction, d. h. er etablirt sich gleichzeitig mit dem polarisirenden Strom selbst; dies gilt nach dem oben angef\u00fchrten GR\u00fcNHAGEN\u2019schen Versuch zugleich f\u00fcr die Etablirung des Catelectrotonus.\nDer Electrotonus hat, wie Pfl\u00fcger2 3 f\u00fcr den erregbarkeits\u00e4ndernden, du Bois - Reymond 3 f\u00fcr den galvanischen Ausdruck desselben fand, keine best\u00e4ndige Gr\u00f6sse. Der Anelectrotonus w\u00e4chst nach seiner Entstehung langsam an, erreicht ein Maximum, und nimmt dann langsam wieder ab; der Catelectrotonus hat gleich anfangs sein Maximum und nimmt dann best\u00e4ndig ab. Die Erregbarkeit steigt jedoch auch hier im ersten Augenblick noch etwas an, und die entsprechende galvanische Zunahme k\u00f6nnte, wie du Bois-\nFi}\u00c7. 17. Versuch von Gr\u00fcnhagen \u00fcber Etablirung des Electrotonus.\n1\tCzermak (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 65) h\u00e4lt diesen Versuch f\u00fcr nicht beweisend, weil nach v. Bezold der schwache Strom in e f erst nach einer gewissen Vorbereitungszeit erregt; vgl. indess hier\u00fcber oben S. 85.\n2\tPfl\u00fcger, a. a. 0. S. 265, 319, 349. 1859.\n3\tnu Bois-Reymond, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1867. S. 446. (Ges. Abh. II. S. 255.)\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\tHermann. AU g. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nReymond vermuthet, durch die Langsamkeit der Boussolwirkung verh\u00fcllt sein. Bestimmter Aufschluss hier\u00fcber w\u00e4re durch Rheotom-versuche zu erwarten. Das Maximum des Aneleetrotonus liegt, wie\nschon obenS. 159 erw\u00e4hnt, stets \u00fcber dem des Catelectrotonus, dagegen der Anfangswerth des ersteren bald \u00fcber, bald unter dem des letzteren. Diese Verh\u00e4ltnisse werden durch die Cur-ven der Fig. 18 dargestellt, deren punctirter Theil der oben\nPi-v 18. Zeitliclier V\u00f6rlauf und rol\u00e4tivo Int6nsit\u00e4t dos ongo*pqi4vap1ipupti VpvirnitKim^ An- und Catelectrotonus nach du Bois-Eeymond. 3 Mo- aUSgeSpl OC\u00fceneil \\ CI mUI\u00dcUIlg ment der Schliessung, <, Beginn der Beobachtung.\tgtellt die zeit-\nliehe Curve des Aneleetrotonus, A(> A i k2 die des Catelectrotonus dar; S ist der Moment der Schliessung, t{ der Moment der ersten Boussolablesung.\nNach der Oeffhung des polarisirenden Stromes schwindet der Electrotonus im Allgemeinen schnell ; die in den ersten Augenblicken vorhandenen Modifi cationen der Erregbarkeit sind schon oben S. 49 angegeben. Ueber den galvanischen Ausdruck des Abklingens hat zuerst Fick1 Versuche angestellt; er gab an, dass die electrotonisehen Str\u00f6me nach der Oeffnung des polarisirenden Stromes sich f\u00fcr kurze Zeit umkehren und dann verschwinden. Ich fand indess2, dass dies nur f\u00fcr den Aneleetrotonus richtig ist; der catelectrotonische Nachstrom ist dem polarisirenden gleich gerichtet, also beide extrapolare Strecken wirken nach der Oeffnung f\u00fcr kurze Zeit in einem von der durchflossenen Strecke weg gerichteten Sinne. Der anelectrotonische Nachstrom ist ferner kr\u00e4ftiger als der catelectrotonische, wie sehr einfach der in Fig. 19 dargestellte Versuch mit zwei gekreuzten Nerven NN und MM ergiebt. a, b sind die polarisirenden, c, (1 die ableitenden Electroden ; der ableitende Kreis wird durch Umlegen einer Wippe unmittelbar nach ris;. 19. versuch \u00fcber Oeffnung des polarisirenden geschlossen ; die Pfeile\nrelative Gr\u00f6sse der ex-\t. ,\t,\ntrapoiaren Nachwirkun- zeigen die Richtungen der Nachstr\u00f6me, und der gr\u00f6s-eiectrotonus. sere Pfeil die resultirende Wirkung, im Sinne des an-electrotonischen Nachstroms. Die durchflossene Strecke selbst hat in allen ihren Th eilen eine dem polarisirenden Strom entgegengesetzte Nachwirkung, die so gross ist, dass sie immer den Sieg davon tr\u00e4gt,\n1\tFick, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. S. 436.\n2\tHermann, Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven III. S. 71. Berlin 1868.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Electrotoniis. Zeitlicher Verlauf, Abklingen, Actionsstr\u00f6me.\n165\nK\nAO\\\nwenn sie mit den Nachwirkungen der extrapolaren Strecken zusammen abgeleitet wird; Fig. 20 stellt diese Ergebnisse dar; aKb ist der pola-risirende Strom; die B\u00f6gen und Pfeile unter dem Nerven bezeichnen die elec-trotonischen Nachstr\u00f6me. Fic^ 1 hat sp\u00e4ter seine Angabe betreffs der Nachwirkung des Catelectrotonus berichtigt, so dass sie nun mit der meinigen \u00fcbereinstimmt.\nN-\n\u2014N'\nFig. 20. Intra- und extrapolare Nachwirkungen des Electrotonus.\nDer entgegengesetzte Nachstrom der durchflossenen Strecke geh\u00f6rt zu den von Peltier, du Bois-Reymond und Matteucci untersuchten secund\u00e4r-electromotorisclien Erscheinungen (vgl. Bd. I. S. 88); letzterer giebt an, dass der Nachstrom der extrapolaren Strecken dem polarisirenden gleichsinnig ist (nach Obigem nur f\u00fcr den Catelectrotonus richtig). Eine vollst\u00e4ndige Untersuchung des Abklingens des Electrotonus w\u00fcrde, ebenso wie die seiner Eta-blirung, die Anwendung des Rheotoms erfordern. Gelegentlich einer andern Versuchsreihe habe ich zwar die electrotonische Wirkung eines Doppelinduc-tionsschlags mit dem Rheotom untersucht'2 3; indessen sind die Resultate ohne vollst\u00e4ndige Durchf\u00fchrung der ganzen Frage von keinem allgemeineren Interesse.\nE) Verhalten der Actionsstr\u00f6me im electrotonisirten Nerven.\nDie Frage, wie sich die electrotonischen Str\u00f6me verhalten wenn der Nerv tetanisirt wird, ist zuerst von Bernstein 3 untersucht worden. Derselbe fand, dass sie, \u00e4hnlich wie der ruhende Nervenstrom, im Tetanus eine negative Schwankung erleiden.\nIch best\u00e4tigte sp\u00e4ter diese Angabe. Da aber unterdess die electrotonischen Str\u00f6me sich als eigenth\u00fcmliche Stromesschleifen des polarisirenden Stromes erwiesen hatten, konnte eine scheinbare negative Schwankung derselben nur auf Ver\u00e4nderung der Erregung beim Ablauf durch den polarisirten Nerven bezogen werden. Sie erkl\u00e4rte sich leicht wenn man annahm4, dass die Erregung zunimmt, wenn sie zu st\u00e4rker anelectrotonischen oder schw\u00e4cher catelectrotonischen Nervenstellen fortschreitet, dagegen abnimmt, wenn sie auf schw\u00e4cher anelectrotonische oder st\u00e4rker cateleetrotonische Stellen \u00fcbergeht (Satz vom \u201epolarisatorischen Increment\u201c der Erregung).\nWenn dieser Satz richtig ist, so muss die Erregung an der Anode ein Maximum, an der Cathode ein Minimum erreichen, also in der intrapolaren Strecke selbst ein dem polarisirenden Strome gleich gerichteter kr\u00e4ftiger Actionsstrom, also eine scheinbare Zunahme des\n1\tFick, Unters, a. d. physiol. Labor, d. Z\u00fcrcher Hochschule S. 129. Wien 1869.\n2\tVgl. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XVIII. S. 580. 1878.\n3\tBernstein, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1866. S. 614.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 359. 1872.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nersteren, auftreten. Dies fand ich bei der Pr\u00fcfung sofort best\u00e4tigt.1 Jene Zunahme hatte schon vorher Gr\u00fcnhagen2 beobachtet, aber auf Abnahme des Widerstands durch die Erregung bezogen.3 Ohne hiervon zu wissen, habe ich diese M\u00f6glichkeit der Deutung widerlegt4, und den Nachweis gef\u00fchrt, dass der Widerstand bei der Erregung unver\u00e4ndert bleibt und der Erscheinung eine electromotorische Kraft zu Grunde liegt. Neuerdings ist es mir gelungen das angef\u00fchrte Gesetz ganz direct durch Rheotomversuche zu best\u00e4tigen.\nDer Versuch \u00fcber den intrapolaren Actionsstrom wird am besten so angestellt, dass der Magnet der in den polarisirenden Kreis eingeschalteten Boussole durch eine besondere Rolle (Reductionsrolle, s. Bd. I. S. 187) in das Gesichtsfeld zur\u00fcckgef\u00fchrt und dann der Nerv tetanisirt wird. Man kann auch die erregende Inductionsrolle in den polarisirenden Kreis selbst einschalten. Die Ablenkung ist stets sehr m\u00e4chtig. Ist der polarisirende Strom stark, so tritt die Schwankung bei Reizung jenseits der Cathode nicht ein; die Erregung langt n\u00e4mlich dann an der Cathode so schwach an, dass sie hier erlischt, ein Vorgang, der im folgenden Capitel noch einmal er\u00f6rtert wird.\nDass die Schwankung \u2022 nicht von Widerstandsabnahme herr\u00fchrt, wird folgendermassen bewiesen: 1. Bestimmt man die scheinbare Widerstandsabnahme bei der Erregung nach der WHEATSTONUschen Methode, so ergiebt sich dieselbe um so geringer, je st\u00e4rker der angewandte Strom, woraus folgt, dass keine Widerstandsabnahme, sondern ein Kraftzuwachs vorliegt. 2. Unterbindet man die intrapolare Strecke in ihrer Mitte, so wird die Schwankung kaum vermindert, obgleich jetzt nur noch die H\u00e4lfte der Strecke an der Erregung tlieilnimmt; die Verminderung betr\u00e4gt nur so viel wie die Abnahme des Electrotonus durch Verk\u00fcrzung der Strecke es bedingt (s. oben S. 159).\t3. Der Querwiderstand des Nerven wird\ndurch Erregung nicht ver\u00e4ndert.\nEnth\u00e4lt die durchflossene Strecke zugleich den L\u00e4ngsquerschnittsstrom, so summiren sich beide Schwankungen algebraisch. Ist wie bei den gew\u00f6hnlichen Versuchen \u00fcber negative Schwankung der Ruhestrom compensirt, so besteht, wie hieraus folgt, die beobachtete Schwankung aus zwei gleichgerichteten Actionsstr\u00f6men, n\u00e4mlich einer negativen Schwankung des Ruhestroms und einer positiven Schwankung des compensirenden Stroms. Soll keine Schwankung eintreten, so muss ein bestimmter, dem Ruhestrom gleich gerichteter Strom durch das Querschnittsende des Nerven gesandt werden. Dieser Strom zeigt sich von der Reizst\u00e4rke unabh\u00e4ngig ; eine f\u00fcr die Theorie wichtige Thatsaclie, da sie lehrt, dass die negative Schwankung des Nervenstroms und die positive des fremden Stromes gleiche Function der Reizst\u00e4rke sind (vgl. Cap. 6 am Schluss).\nDie oben erw\u00e4hnten (noch nicht ver\u00f6ffentlichten) directen Versuche\n1\tHermann, ebendaselbst VI. S. 560. 1872: VII. S. 349. 1873.\n2\tGr\u00fcnhagen. Ztscbr. f. rat. Med. (3) XXXVI. S. 132. 1869.\n3\tdu Bois-Reymond (Untersuchungen II. 1. S. 444. 1849) hatte am Nerven keine Widerstands\u00e4nderung durch Erregung gefunden, offenbar weil damals die Vorrichtungen noch nicht ausreichten.\n4\tHermann. Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 215, XII. S. 151.1875.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Actionsstr\u00f6me im Electrotonus. Polarisatorisches Increment der Erregung. 167\nmit dem Rheotom wurden am abgek\u00fchlten Nervenb\u00fcndel (vgl. oben S. 156) folgendermassen angestellt :\nF\u00fcr die Untersuchung der extrapolaren Strecke wurden, bei best\u00e4ndig geschlossenem polarisirenden Strome, die ableitenden Electroden act\u2019 (Fig. 21) zwischen den erregenden rr' und den polarisirenden pp\u2019 angebracht und ihre Phasen mit dem Rheotom untersucht. Der Actionsstrom zeigt sich stets doppelsinnig wie sonst (s. S. 156); die zweite Phase aber ist bedeutend ge-schw\u00e4cht, wenn ar im Catelectrotonus, ^ 1\nverst\u00e4rkt dagegen, wenn a! im Anelec- pjg. 21. Phasen des Actionsstroms im trotonus liegt.\tpolarisirten Nerven.\nF\u00fcr die durchflossene Strecke selbst wurde der Versuch so eingerichtet, dass das Rheotom nach der Reizung jedesmal einen Stromzweig des polarisirenden Kreises zur Boussole zuliess; durch passende Widerst\u00e4nde wurde daf\u00fcr gesorgt, dass die Schliessung und Oeffnung dieses Zweiges nicht etwa erregend auf den Nerven wirkte und doch ein gen\u00fcgender Stromzweig durch die Boussole ging. Bei gut spielendem Rheotom halten die kurzen Boussolschliisse den Magneten in einer grossen, aber sehr best\u00e4ndigen Ablenkung, und die Phasen des Actionsstroms sind sehr gut zu beobachten. Diejenige an der Anode ist stets sehr verst\u00e4rkt und zeitlich ausgebreitet, die an der Cathode schwach und h\u00e4ufig fehlend. Muss die Erregung, um zur Anode zu gelangen, die Cathode \u00fcberschreiten, so fehlt auch die Anodenphase h\u00e4ufig (s. oben).\nEine weitere Best\u00e4tigung des Satzes vom polarisatorischen Increment hat vor Kurzem E. v. Fleischl 1 geliefert. Er beobachtete, dass Induc-tionsstr\u00f6me, welche durch einen lebenden Nerven und ein Galvanometer geleitet werden, bei gleichem fi.dt eine um so gr\u00f6ssere Ablenkung machen, je steiler ihr Verlauf/also ihre erregende Wirkung, w\u00e4hrend ohne den Nerven die Ablenkung nur von fi.dt abh\u00e4ngig ist. Der In-ductionsstrom wird also wie jeder sonstige dem Nerven zugeleitete Strom durch einen gleich gerichteten Actionsstrom verst\u00e4rkt, der um so intensiver ist, je st\u00e4rker die Erregung. Fleischl hat zwar eine andre, sein-gek\u00fcnstelte Erkl\u00e4rung gegeben, die aber leicht zu widerlegen ist.\nUeber die Bedeutung des Satzes vom polarisatorischen Increment f\u00fcr die Theorie einer grossen Reihe von Erscheinungen am Nerven s. das 5. Capitel.\nF) Anhang. Ueber electrotonische Erscheinungen am Muskel.\ndu Bois-Reymond2 giebt an, dass am Muskel keine extrapolaren elec-trotonischen Str\u00f6me nachzuweisen sind. Auch mit Anwendung der von ihm vervollkommneten Methoden gelang es mir viele Jahre sp\u00e4ter nicht, solche mit Sicherheit darzustellen 3, obgleich Valentin 4 in einer Untersuchung, welche freilich durchaus nicht einwandsfrei ist, sie mit Bestimmt-\n1\tE.v. Fleischl, Sitzungsber.d.Wiener Acad. S.Abth. LXXVII. Sep.-Abdr. 1878.\n2\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen IL 1. S. 329. 1849.\n3\tHermann. Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 350. 1872.\n4\tValentin. Arch. f. d. ges. Physiol. I. S. 512. 1868.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nheit behauptet hatte. Bei der relativen M\u00e4chtigkeit der gew\u00f6hnlich zum Versuche verwendeten Muskeln sind die Stromschleifen des polarisirenden Stromes f\u00fcr den Nachweis des Electrotonus zu betr\u00e4chtlich ; sie sind als solche daran sofort zu erkennen, dass sie an zwei gegen\u00fcberliegenden L\u00e4ngsschnittmeridianen entgegengesetzte Richtung besitzen, und nach Durchschneidung und Wiederzusammenf\u00fcgung des Muskels zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke, bestehen bleiben.\nDie Existenz intrapolarer electrotonischer Erscheinungen ist auch f\u00fcr den Muskel durch gewisse, im 1. Bande angef\u00fchrte Erscheinungen festgestellt (vgl. daselbst S. 91, 93). Es war im h\u00f6chsten Grade unwahrscheinlich, dass diese Erscheinungen, die an den Electroden selbst ihr Maximum erreichen, hier urpl\u00f6tzlich vollkommen aufh\u00f6ren sollten ; vielmehr war zu vermuthen, dass sie auch hier die durchflossene Strecke \u00fcberschreiten, aber entweder im Vergleich zum Nerven sich weniger weit oder schwacher ausbreiten (wof\u00fcr ich in der citirten Arbeit Gr\u00fcnde entwickelt habe), oder durch die Stromschleifen nur verh\u00fcllt werden.\nBei Gelegenheit von Untersuchungen \u00fcber den Actionsstrom des Mus* kels gelang es mir jedoch, den extrapolaren Electrotonus desselben unzweifelhaft festzustellen, indem ich sowohl die zuleitenden als die ableitenden Electroden den m\u00f6glichst d\u00fcnn gew\u00e4hlten Muskel in Form dicker Fadenschlingen umg\u00fcrten liess. Stets zeigen sich hierbei, schon von den schw\u00e4chsten Str\u00f6men an, gleichgerichtete Str\u00f6me in der abgeleiteten Strecke, welche mit dem polarisirenden Strome wachsen, jedoch (was wichtig ist) langsamer als dieser. Sie sind ferner auf Seite der Anode bedeutend st\u00e4rker als auf der der Cathode, ganz wie beim Nerven. Bei der Oeff-nung hinterlassen sie keinen nennenswerthen R\u00fcckstand. In starren Muskeln zeigen sich von diesen Str\u00f6men ebenfalls Spuren, jedoch von unvergleichlicher Schwache. Solche Spuren bleiben auch nach Durchquetschung des Muskels zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke zur\u00fcck.\nDiese Beobachtungen (deren Einzelheiten sp\u00e4ter mitzutlieilen sind) enthalten den bestimmten Nachweis, dass der Muskel sich bez\u00fcglich des Electrotonus vom Nerven nur durch die Intensit\u00e4t der Wirkungen unterscheidet.\n6. Theorie der galvanischen Erscheinungen am Nerven.1\nA) Theorie des Ruhestroms und der Str\u00f6me durch Erregung.\nI) Die du Bois-REYMOND\u2019sche Moleculartheorie.\nBei der vollkommenen Analogie des ruhenden Nervenstroms und seiner negativen Schwankung mit den entsprechenden Erscheinungen am Muskel war Nichts nat\u00fcrlicher als die f\u00fcr letztere aufgestellte Moleculartheorie auch auf erstere zu \u00fcbertragen, du Bois-Reymond nahm daher auch im Nerven eine regelm\u00e4ssige Anordnung electro-motorischer Theilchen an, welche in einer indifferenten leitenden Fl\u00fcssigkeit suspendirt seien. Diese Molekeln wenden dem L\u00e4ngs-\n1 Bez\u00fcglich der allgemeinen theoretischen Behandlung der thierischen Elec-tromotoren wird auf Bd. I. S. 226 ff. verwiesen.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Electrotonus am Muskel. Theorien des Nervenstroms.\n169\nschnitt positive, den Querschnitten negative Fl\u00e4chen zu, und nehmen bei der Erregung entweder an electromotoriseher Kraft ab, oder eine andere Anordnung an, in welcher sie nach aussen weniger wirksam sind. So erkl\u00e4rt sich die negative Schwankung des L\u00e4ngs-Querschnittsstromes, und die Negativit\u00e4t der Erregungswelle gegen den Rest des Nerven. Bez\u00fcglich der specielleren Betrachtung kann auf das im ersten Bande, S. 230 ff. Gesagte verwiesen werden.\nEinen analogen Beweis, wie ihn du Bois-Reymond gegen die Herleitung des Muskelstroms aus einem electrischen Gegensatz zwischen Inhalt und Scheide der Fasern gef\u00fchrt hatte (vgl. Bd. I. S. 234), hat Morgan1 am Nerven erbracht ; er legte zwischen den Querschnitt und seinen Bausch einen zweiten Nerven in unwirksamer L\u00e4ngsschnittsanordnung ein, und auch jetzt erschien der Strom des ersten Nerven, obgleich die Anordnung war : Scheide, Inhalt, Scheide, Inhalt, Scheide. Der Nervenstrom zeigte sich auch an solchen Nerven, welche nach dem Verfahren von Harless (s. S. 95) durch Ausziehen aus ihren Muskeln ihrer \u00e4usseren Scheide beraubt waren, und auch an diesen gelang der genannte Versuch. Gegen die Herleitung des Stromes von einem Gegensatz zwischen Axencylinder und Markscheide macht Morgan, abgesehen von der Frage, ob die Trennung dieser Gebilde pr\u00e4existire, namentlich den Strom markloser Nerven geltend. Vgl. indess f\u00fcr den MoRGAN\u2019schen Versuch Bd. I, a. a. 0.\nJ. Ranke\u2019s Behauptung, dass er die Moleculartheorie auf chemische Gegens\u00e4tze im Nerven, auf S\u00e4ure-Alkaliketten zur\u00fcckgef\u00fchrt habe, beruht auf durchaus keinen besseren Grundlagen als am Muskel, so dass auf das dort Gesagte verwiesen werden kann. Gr\u00fcnhagen hat sein \u201e Cylinder-schema u selbstverst\u00e4ndlich auch auf den Nerven ausgedehnt; auch hier kann auf den ersten Band (S. 234) verwiesen werden; s. daselbst auch die Literaturangaben.'2\n2) Die Alterationstheorie.\nDie Aufstellung der Moleculartheorie geschah lediglich aus Analogiegr\u00fcnden. Beim Nerven fehlten n\u00e4mlich und fehlen noch heute alle Thatsachen welche auf galvanische Wirkungen des ruhenden unversehrten Organs hindeuten, wie sie beim Muskel wenigstens scheinbar Vorlagen. Um so weniger bedarf es der Rechtfertigung, alle galvanischen Erscheinungen am Nerven lediglich denjenigen Alterationen zuzuschreiben, mit denen sie nachweisbar verbunden sind,\n1\tMorgan, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1863. S. 338.\n2\tDie negative Schwankung glaubt Gr\u00fcnhagen dadurch erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen, dass der Widerstand des Nerven bei der Erregung abnehme (vgl. oben S. 166), wodurch die Str\u00f6me besser innere Nebenschliessung finden (Gr\u00fcnhagen, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXXVI. S. 140. 1869). Indess w\u00e4re diese Betrachtung nur dann zul\u00e4ssig, wenn man die (vermeintliche) Widerstandsabnahme nur in bestimmte Theile des Nerven willk\u00fcrlich verlegt; ebensogut kann man sie so verlegen, dass eine positive Schwankung herauskommt. Eine gleichm\u00e4ssige Widerstands\u00e4nderung im Nerven kann, wenn der abgeleitete Ruhestrom compensirt ist, den Compensationszustand nicht st\u00f6ren; vgl. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. XII. S. 156. 1875; Centralbl. f. d. med. Wiss. 1878. S. 241, 340.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\tHermann, All g. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nn\u00e4mlich die Negativit\u00e4t des Querschnitts einem electrischen Gegensatz zwischen dem absterbenden Faserinhalt am Querschnitt und dem unver\u00e4nderten Inhalt des Restes der Faser, und die Negativit\u00e4t erregter Faserabschnitte gegen ruhende einem electrischen Gegensatz zwischen erregtem und unver\u00e4ndertem Faserinhalt. Wir bezeichnen den aus dem ersteren Gegensatz hervorgehenden ruhenden Nerven-strom wie beim Muskel als \u201e Demarcationsstrom und die aus dem letzteren hervorgehenden Str\u00f6me zwischen erregten und ruhenden, oder zwischen st\u00e4rker und schw\u00e4cher erregten Faserabschnitten als \u201e Actionsstr\u00f6me\nBeim Muskelstrom existirt f\u00fcr die Identit\u00e4t der galvanischen Reaction beim Absterben und bei der Erregung eine St\u00fctze in der grossen Reihe anderer physicalischer und chemischer Analogien beider Ver\u00e4nderungen des Faserinhalts. Beim Nerven ist das nicht der Fall, weil unsre Kenntnisse hier zu gering sind; das einzige behauptete, aber nicht einmal allgemein anerkannte Analogon besteht hier in der S\u00e4urebildung (vgl. oben S. 137). Trotzdem bleibt jene Annahme, welche alle Erscheinungen so einfach erkl\u00e4rt, vollauf berechtigt, namentlich auch durch die Analogie des Muskels.\nEngelmann hat neuerdings eine Thatsache gefunden, welche f\u00fcr die Alterationstheorie eine wesentliche St\u00fctze bietet, n\u00e4mlich das oben S. 149 erw\u00e4hnte rasche Schwinden der manifesten Kraft eines k\u00fcnstlichen Querschnitts, w\u00e4hrend neue Querschnitte wieder wirksam sind. Die Erkl\u00e4rung welche Engelmann giebt, und welche mit der von mir schon vorher f\u00fcr die analoge Erscheinung an Pflanzenquerschnitten gegebenen \u00fcbereinstimmt (vgl. Bd. I. S. 200) besteht darin, dass der Strom nur so lange besteht, als die angeschnittenen anatomischen Faserelemente noch einen lebenden Antheil haben. Am n\u00e4chsten RANviER\u2019schen Schn\u00fcrring macht das Absterben fiait (s. oben S. 122), und nun h\u00f6rt der Strom auf, ein Beweis dass der nat\u00fcrliche Querschnitt des n\u00e4chstfolgenden Faserabschnitts stromlos, und der Strom an den unmittelbaren Contact eines absterbenden und eines unver\u00e4nderten Zellantheils gebunden ist. Gad & Tschirjew 1 haben zwar eine andere Deutung versucht; sie schreiben die Abnahme der Kraft dem Umstande zu, dass nach dem Absterben der verletzten Abschnitte die nat\u00fcrlichen Querschnitte der n\u00e4chsten Abschnitte nicht in Einer Flucht liegen, so dass sich ihre, nach der Pr\u00e4existenztheorie vorhandenen Str\u00f6me durch Nebenschliessung bedeutend schw\u00e4chen. Eine solche Schw\u00e4chung l\u00e4sst sich experimentell nachahmen, indem\n1 Gad & Tschirjew, Verh. d. physiol. Ges. zu Berlin 1877. Nr. 21 ; abgedr. im Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Alterationstheorie des Nervenstroms. Theorien des Electrotonus. 171\nman kurze und lange Nerven in analoger Weise combinirt. Jedoch reicht diese Erkl\u00e4rung bei Weitem nicht aus. Die L\u00e4nge der Ran-viER\u2019schen Abschnitte betr\u00e4gt nur 1\u201411/-2 mm., und man wird gewiss nicht behaupten wollen dass ein Nerv stromlos wird, wenn die k\u00fcnstlichen Querschnitte seiner Fasern statt in einer Querebene zu liegen auf eine Strecke von 1\u2014IA/2 mm. vertheilt sind.\nDass die Narbe des centralen Endes eines im lebenden Thiere durchschnittenen Nerven, nach mehreren Wochen untersucht, gegen den L\u00e4ngsschnitt stromlos ist, und positiv gegen k\u00fcnstliche Querschnitte, hat Schiff1 schon vor l\u00e4ngerer Zeit gefunden; diese Erscheinung ist der von Engelmann sp\u00e4ter am Muskel gefundenen analog (vgl. Bd. I. S. 200), l\u00e4sst aber wegen der Begrenzung des Ab-sterbeprocesses eine einfachere Erkl\u00e4rung zu (s. oben).\nUeber die Ursache der schwachen L\u00e4ngsschnittsstr\u00f6me am Nerven vgl. auch unten sub B) 2).\nB) Theorie des Electrotonus.\n1) Moleculare Theorien des Electrotonus.\nDen Electrotonus erkl\u00e4rt du Bois-Reymond aus einer richtenden Einwirkung des polarisirenden Stromes auf die electromotoriseken Molekeln des Nerven. In der durchflossenen Strecke selbst nehmen dieselben, wie in der GROTTHuss\u2019schen Theorie der Electrolyse, eine s\u00e4ulenartige Anordnung an, indem sie der positiven Electrode ihre negativen, der negativen ihre positiven Theile zukehren; um dies m\u00f6glich zu machen muss man jede peripolare Molekel als aus zwei dipolaren bestehend annehmen, wie dies auch f\u00fcr die Theorie der parelectronomischen Schicht des Muskels angenommen wird. Verm\u00f6ge der s\u00e4ulenartigen Anordnung w\u00fcrden die Molekeln im Sinne des polarisirenden Stromes wirken, denselben also verst\u00e4rken, wof\u00fcr der Nachweis nicht erbracht werden konnte. Es wird nun weiter angenommen dass jene s\u00e4ulenartige Anordnung im Sinne des Stromes sich auch, wenn auch in geringerem, und mit der Entfernung abnehmendem Grade, auf die extrapolaren Strecken verbreitet, wodurch die electrotonischen Str\u00f6me erkl\u00e4rt w\u00e4ren. Nehmen alle Molekeln an der negativen Kraftschwankung Theil, so m\u00fcssen auch die electrotonischen Str\u00f6me im Tetanus abnehmen, was Bernstein in der That fand (s. oben S. 165).\nDiese Theorie des Electrotonus leidet jedoch an mannigfachen M\u00e4ngeln. Vor Allem ist die nach Analogie der GROTTHuss\u2019schen\n1 Schiff, Nuovo Cimento (2) III. 1870. Sep.-Abdr.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nTheorie angenommene Einstellung der Molekeln im Sinne des Stromes theoretisch anfechtbarer als in jener Theorie. In der Grott-Huss\u2019schen Theorie sind die dipolaren Molekeln die ausschliesslichen, constituirenden Bestandtheile des Leiters, und k\u00f6nnen also wie iso-lirte dipolare K\u00f6rper betrachtet werden. Sind aber solche K\u00f6rper in einem Leiter suspendirt, wie die Molecularhypothese annehmen muss, so k\u00f6nnen sie an ihrer Oberfl\u00e4che nur sehr geringe Spannungsreste haben. Besser scheint es die electrodynamische Richtkraft des Stromes auf die beweglichen Str\u00f6mchen, welche die Molekeln darstellen, zu einer Theorie des Electrotonus zu verwerthen l, zumal da die erstere Theorie anscheinend f\u00fcr die extrapolaren Molekeln durch die Anziehung der Electroden auf ihre ungleichnamigen Seiten eine Einstellung in entgegengesetztem Sinne erfordern w\u00fcrde als die elee-trotonischen Str\u00f6me documentiren.\nDer Zuwachs ferner, den die Molekeln der intrapolaren Strecke dem polarisirenden Strome ertheilen w\u00fcrden, m\u00fcsste sich darin zu erkennen geben, dass ein Strom ceteris paribus ungemein viel st\u00e4rker sein m\u00fcsste, wenn er durch eine lebende als wenn er durch eine todte Nervenstrecke von gleicher L\u00e4nge geleitet wird; mit andern Worten: der scheinbare Widerstand des lebenden Nerven m\u00fcsste sehr viel kleiner sein als der des todten. Wie betr\u00e4chtlich jener Zuwachs sein m\u00fcsste, ergiebt sich daraus, dass die Kraft einer einzelnen Molekel nach Abzug des Verlustes durch innere Abgleichung zu mindestens Vso Dan. veranschlagt werden muss, und die Kr\u00e4fte unz\u00e4hliger Molekeln sich nach der Theorie s\u00e4ulenartig summiren. Ich fand nun aber, dass zwischen der Stromst\u00e4rke bei Durchstr\u00f6mung eines lebenden und eines todten Nerven kein nennenswerther Unterschied ist2; sp\u00e4ter fand ich freilich, dass Erw\u00e4rmen auf 50\u00b0 den L\u00e4ngswiderstand des Nerven vergr\u00f6ssert, eine Ver\u00e4nderung die beim Kochen wieder schwindet (s. oben S. 28)3; allein auch dies l\u00e4sst sich, wie ich gezeigt habe4, nicht im Sinne der Moleculartheorie verwerthen. Diese w\u00fcrde n\u00e4mlich erfordern, dass die scheinbare Widerstandsverminderung der intrapolaren Strecke durch die electrotonische Molekelanordnung ungemein viel gr\u00f6sser w\u00e4re als die scheinbare Widerstands\u00e4nderung einer extrapolaren Strecke durch den Electrotonus, welche letztere sich leicht nach der WHEATSTONE\u2019schen Me-\n1\tYgl. Hermann, Unter su chungen etc. III. S. 66. 1868: Arcb. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 268. 1874.\n2\tHermann, Untersuchungen etc. III. S. 68. 1868.\n3\tUeber eine hier in Betracht kommende Angabe von H. M\u00fcnk vgl. oben S. 28.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 328. 1872.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Moleculare Theorien des Electrotonus.\n173\nthode bestimmen l\u00e4sst.1 2 Ich fand nun letztere bis zu 122 % des gew\u00f6hnlichen Widerstands, w\u00e4hrend die erw\u00e4hnte Widerstandszunahme der intrapolaren Strecke durch den W\u00e4rmetod nur 43 % betr\u00e4gt. Hiermit ist die moleculare Theorie des Electrotonus endg\u00fcltig widerlegt. Die Ursache der Widerstandszunahme durch Erw\u00e4rmung auf 50 0 (und nach Munk durch spontanes Absterben) liegt m\u00f6glicherweise einfach in Ver\u00e4nderungen des Aggregatzustands im Nerven, wie schon Munk vermuthet hat.\nIch habe auch versucht, ob durch electrodynamische Fernewirkung starker Str\u00f6me, welche dem Nerven parallel laufen, sich in ihm eine Moleeulareinstellung, d. h. ein dem erregenden gleichgerichteter Strom erzeugen l\u00e4sst -; der Nerv wurde durch die Lichtung eines Ringelectromagneten gesteckt, welcher radial umwickelt war; es zeigte sich keinerlei Wirkung auf das galvanische Verhalten des Nerven.\nDie moleculare Theorie des Electrotonus vermag ferner die Erregbarkeitsver\u00e4nderungen, deren inniger Zusammenhang mit den galvanischen durch mancherlei Umst\u00e4nde dargethan wird (vgl. z. B. oben S. 162 f.), durchaus nicht zu erkl\u00e4ren. Es ist nicht abzusehen, warum die Erregbarkeit auf der Seite der Anode in entgegengesetztem Sinne ver\u00e4ndert sein soll als auf der der Cathode, da doch in beiden die Molec\u00fcle in gleichem Sinne gestellt sind. Man k\u00f6nnte es freilich aus der s\u00e4ulenartigen Anordnung begreiflich finden, wenn die Leitung der Erregung in einer Richtung gegen die andere beg\u00fcnstigt w\u00e4re, aber die einfachste Betrachtung lehrt, dass die Thatsachen eben ganz andrer Natur sind; die Erregungen im Catelectrotonus sind in ihrem Erfolge nach beiden Enden des Nerven beg\u00fcnstigt, die im Anelec-trotonus nach beiden geschw\u00e4cht. Ebensowenig kann die Existenz eines Indifferenzpuncts in der durchflossenen Strecke, der verschiedene zeitliche Verlauf der beiden Electrotoni und die Verschiedenheit ihres Abklingens ohne weitgehende neue Annahmen aus jener Theorie begriffen werden.\nEine andere moleculare Theorie des Electrotonus, als die du Bois\u2019sche, hat Bernstein3 aufgestellt; dieselbe soll zugleich die Erregbarkeitsver\u00e4nderungen erkl\u00e4ren. Die positive Electrode soll die peripolaren Molekeln, da sie negative Zonen nach aussen wenden, in ihrer Lage festlial-ten, die negative dagegen sie durch Abstossung der gleichnamigen Zonen\n1\tDiese scheinbare Widerstands\u00e4nderung ist nat\u00fcrlich eine Verminderung, wenn der electrotonische Strom dem Messstrom gleich gerichtet, eine Vermehrung, wenn er ihm entgegengesetzt ist; Versuch und Theorie ergeben, dass die Vermehrung im zweiten Falle gr\u00f6sser ist als die Verminderung im ersten ; vgl. a. a. O. S. 331.\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 335. 1872.\n3\tBernstein, ebendaselbst VIII. S. 51. 1874.","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nbeweglicher machen; hieraus erkl\u00e4re sich die Erregbarkeits\u00e4nderung. In den befestigten anodischen Molekeln aber speichere sich Melekularkraft auf, in den eathodischen werde sie geringer; so verhalten sich erstere gegen weniger ver\u00e4nderte positiv, letztere negativ, wodurch die electro-tonischen Str\u00f6me erkl\u00e4rt seien. Allein nach dieser, an sich schon anfechtbaren Theorie k\u00f6nnte die Kraft im Catelectrotonus allerh\u00f6chstens bis zu der des ruhenden Nervenstroms gehen, w\u00e4hrend sie in Wirklichkeit letztere betr\u00e4chtlich \u00fcbertrifft.1 Die Annahmen, welche Bernstein weiter macht um diesen Einwand zu beseitigen (Influenz-Wirkungen des Stromes auf die Molekeln), sind, wie ich gezeigt habe 2, physicalisch unhaltbar.\nAuch manche andere Autoren3 haben die moleculare Theorie des Electrotonus zu modificiren gesucht, namentlich auch f\u00fcr die intrapolare Strecke selber, im Gegensatz zu du Bois-Reymond, einen dem polarisiren-den Strom entgegengesetzten Zuwachs angenommen, wie ihn auch die vorstehenden Theorien verlangen w\u00fcrden, und ich aus gewissen Gr\u00fcnden schon 1867 annahm.4\n2) Ableitung des Electrotonus aus der inneren Polarisirbarkeit des Nerven.\nMatteucci5 entdeckte im Jahre 1863 ein dem Electrotonus sehr \u00e4hnliches Ph\u00e4nomen an \u00fcbersponnenen Metalldr\u00e4hten, welche mit einer leitenden Fl\u00fcssigkeit befeuchtet sind. Wird der feuchten H\u00fclle eines solchen Drahtes in einer Strecke ein Strom zugeleitet, so zeigt der Draht an jeder Stelle seines Verlaufs einen dem einwirkenden gleichgerichteten Strom, dessen St\u00e4rke mit zunehmender Entfernung von der durchflossenen Strecke abnimmt. Matteucci fand weiter, dass diese Str\u00f6me ausbleiben, wenn der Draht aus amalgamirtem Zink und seine feuchte H\u00fclle aus Zinksulphatl\u00f6sung besteht ; er leitet daher die Str\u00f6me von electrolytischen Producten ab, welche sich an der Oberfl\u00e4che des Drahtes abscheiden und sich durch Diffusion l\u00e4ngs desselben ausbreiten ; die hierdurch entstehenden Ungleichartigkeiten der Drahtoberfl\u00e4che (\u201ePolarit\u00e9 secondaire\u201c) seien die Ursache der abgeleiteten Str\u00f6me.\nIch habe diese Erscheinung einer genaueren Untersuchung unterworfen 6, und dazu den in Fig. 21 schematisch dargestellten Apparat benutzt.\n1\tDerselbe Einwand gilt auch f\u00fcr eine der mannigfachen Electrotonustheorien von J. Ranke, welche den Anelectrotonus als verst\u00e4rkten, den Catelectrotonus als verminderten Nervenstrom auffasst; Ztschr. f. Biologie II. S. 398. 1866.\n2\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 266. 1874.\n3\tVgl. z. B. E. v. Fleischl, Sitzungsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXVII. Sep.-Abdr. S. 15.1878.\n4\tHermann, Untersuchungen etc. II. S. 41. Berlin 1867.\n5\tMatteucci, Compt. rend. LVI. p. 760. 1863; LXV. p. 151, 194, 884. 1867; LXVI. p. 580.1868; vgl. auch Cantoni, Rendiconti delR. Istit. Lomb. (2) I. Sep.-Abdr. ; Eccher, Nuovo cimento XXVIII. p. 171. 1872; Schief, Ztschr. f. Biologie VHI. S. 91. 1872.\n6\tHermann, Arch. f.d. ges. Physiol. V.S. 264; VI. S. 312. 1872; VII. S. 301.1873.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Electrotonus. Stromausbreitung an polarisirbaren Kernen. 175\nIn der Mehrzahl der Versuche war das Rohr AB mit ges\u00e4ttigter neutraler Zinksulphatl\u00f6sung gef\u00fcllt, und ein Platindraht a b hindurchgespannt. Die zu- und ableitenden, in die Ans\u00e4tze gesteckten Electroden waren\nFig. 22. (S. 174.) Apparat zu Versuchen \u00fcber Polarisation an Leitern mit polarisirbaren Kernen.\nhakenf\u00f6rmig iimgebogene amalgamirte Zinkdr\u00e4hte. Die wichtigeren Resultate waren folgende: 1. Die abgeleiteten Str\u00f6me sind stets dem po-larisirenden gleich gerichtet, auch wenn man von der unteren Seite des Drahtes (bei g h) ableitet. 2. Sie nehmen ab wenn die ableitenden Electroden von der durchflossenen Strecke weiter entfernt werden. 3. Sie bleiben aus, wenn der Kerndraht entfernt wird. 4. Sie bleiben aus, wenn der Kerndraht unpolarisirbar ist (amalgamirtes Zink). 5. Sie bleiben aus, wenn der Draht zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke unterbrochen ist, dagegen nicht, wenn er eine Strecke weit ausserhalb der Fl\u00fcssigkeit verl\u00e4uft (Schliessung und Oeffnung des Schl\u00fcssels s in Fig. 22C). 6. Sie bleiben aus, wenn die Continuit\u00e4t der Fl\u00fcssigkeit zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke unterbrochen ist (Fig. 22 B).\t7. Sie\nbleiben aus, wenn die Stromzuleitung senkrecht zum Drahte geschieht. 8. Die Str\u00f6me sind cet. par. proportional dem polarisirenden Strom. 9. Sie sind f\u00fcr Platin in Zinkl\u00f6sung (oder Schwefels\u00e4ure) auf der Anoden-und Cathodenseite cet. par. gleich. 10. Sie sind bei gegebenem Abstand beider Strecken um so st\u00e4rker, je l\u00e4nger die durchflossene Strecke, d. h. je entfernter die entferntere stromzuleitende Electrode, vorausgesetzt, dass die Intensit\u00e4t des polarisirenden Stromes constant erhalten wird. 11. Die Str\u00f6me sind im Augenblick der Schliessung vorhanden, nehmen aber (trotz Constanz des polarisirenden Stroms) best\u00e4ndig an Intensit\u00e4t ab; die .Ursache ist die Entwicklung eines Gegenstroms, der bei der Oeffnung durch eine der Schliessungsablenkung an Gr\u00f6sse gleiche entgegengesetzte Ablenkung rein hervortritt. Die Ursache dieses Gegenstroms hat ihren Sitz in der durchflossenen Strecke selbst ; er fehlt z. B. wenn statt der Oeffnung nur eine Kernunterbrechung zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke stattfindet, u. s. w. 12. Der Gegenstrom fehlt, wenn der polarisirende Strom, statt zwei Puncten der Fl\u00fcssigkeit, dem Kern und der Fl\u00fcssigkeit zugeleitet wird. 13. Wird der Fl\u00fcssigkeit zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke ein metallischer Bogen angelegt, so verst\u00e4rkt dies die abgeleiteten Str\u00f6me. 14. Die abgeleiteten Str\u00f6me nehmen nach einem bestimmten Gesetze ab, wenn der Querschnitt der Fl\u00fcssigkeit zwi-","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nsehen durchflossener und abgeleiteter Strecke vermindert wird, gleichg\u00fcltig ob die Fl\u00fcssigkeit ganz oder theilweise dem Kern anliegt oder nicht. 15. Verk\u00fcrzung des Leitersystems jenseits der abgeleiteten Strecke (Womit identisch ist Verk\u00fcrzung des Kerns allein oder der H\u00fclle allein) schw\u00e4cht die abgeleiteten Str\u00f6me. 16. Verzweigung des Leitersystems # hat zur Folge, dass jeder Zweig neben sich die Str\u00f6me schw\u00e4cht und hinter sich (im Stamme) verst\u00e4rkt.\n17. Die vorstehenden Resultate bezogen sich s\u00e4mmtlich auf Combi -nationen, welche beiderseits polarisirbar sind, wie Platin in Zinksulphat oder in Schwefels\u00e4ure. Bei nur einseitig polarisirbaren Combinationen, wie Zinkdraht in Schwefels\u00e4ure oder Kochsalzl\u00f6sung, Kupferdraht in Schwefels\u00e4ure oder Zinkl\u00f6sung1, zeigen sich folgende Abweichungen: an der unpolarisirbaren Cathodenseite sind die abgeleiteten Str\u00f6me sehr schwach und nur in n\u00e4chster N\u00e4he der durchflossenen Strecke merklich ; ferner fehlt der oben sub 11 erw\u00e4hnte Gegenstrom nach der Oeffnung und die von ihm herr\u00fchrende best\u00e4ndige Abnahme der abgeleiteten Str\u00f6me ; statt dessen nehmen letztere nach der Schliessung zu ; endlich ist der extrapolare Nachstrom dem polarisirenden gleich gerichtet, der intrapolare aber entgegengesetzt.\nDiese Resultate lassen sich leicht theoretisch erkl\u00e4ren. Der der H\u00fclle zugeleitete Strom sucht sich nach bekanntem Princip grossen-theils durch den gut leitenden metallischen Kern abzugleichen; ist derselbe unpolarisirbar, so nehmen die in ihn einm\u00fcndenden Stromf\u00e4den mit zunehmender L\u00e4nge rasch an Intensit\u00e4t ab, d. h. der Strom tritt fast nur an den Electrodenstellen selbst in den Kern ein und aus ihm aus. Der Eintritt in den Kern geschieht in jedem Querschnitt rings herum mit gleicher Intensit\u00e4t, wenn der Kern nicht so dick ist, dass seine Dimensionen f\u00fcr den Widerstand der Stromf\u00e4den in Betracht kommen.\nFindet dagegen an der Grenze von Kern und H\u00fclle Polarisation statt, so f\u00fcgt die Gegenkraft der letzteren zu dem Widerstand der\nStromf\u00e4den noch einen Ue-bergangswiderstand hinzu, der an allen Stellen der Kern-oberfl\u00e4che gleich gross ist. Ist nun dieser Uebergangs-widerstand gross im Vergleich zu den von der L\u00e4nge Fig. 23. zur Theorie des Eieetrotonus.\tabh\u00e4ngigenWiderst\u00e4ndender\nStromf\u00e4den, so hat die L\u00e4nge nur geringen Einfluss auf die Ver-theilung des Stromes in der H\u00fclle, d. h. merkliche Stromzweige verbreiten sich weithin l\u00e4ngs des Kernes (vgl. Fig. 23). Angelegte\n1 Bei diesen Versuchen wurden mit Blase verschlossene unpolarisirbare R\u00f6h-renelectroden statt der einfachen Zinkbaken benutzt ; vgl. a. a. O. VI. S. 319.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Erkl\u00e4rung der Stromausbreitung bei polarisirbarem Kern.\n177\nableitende B\u00f6gen empfangen Antkeile dieser Zweige, welche \u00fcberall dem polarisirenden Strome gleichsinnig sind. Es ist ohne Weiteres klar, dass die Ausbreitung nur so weit geht wie Kern und H\u00fclle reichen (5, 6), dass durchg\u00e4ngige Ber\u00fchrung beider nicht n\u00f6thig ist (5), dass eingeschaltete widerstandsreiche Stellen die Ausbreitung beeintr\u00e4chtigen (14), dass umgekehrt Verminderung des Zwischenwiderstands, z. B. durch einen metallischen Bogen, die Str\u00f6me verst\u00e4rkt (13), dass die abgeleiteten Str\u00f6me den polarisirenden proportional sind (8), dass endlich bei querer Zuleitung kein Anlass zu longitudinaler Ausbreitung ist, denn der Metalldraht bietet f\u00fcr quere Str\u00f6me gar kein hervorragendes Abgleichungsmittel, und spielt deshalb keine Rolle.\nBerechnet man (s. d. Anhang) die Vertheilung der Spannungen an der Oberfl\u00e4che des Kernleiters, unter der Voraussetzung eines \u00fcberall gleichen polarisatorischen Uebergangswiderstands zwischen Kern und H\u00fclle, so ergeben sich ringf\u00f6rmige Spannungscurven, und die Spannung einer jeden proportional dem Polarisationsbestand des dem betr. Querschnitt angeh\u00f6rigen Kernantkeils. Diese Spannungen und Polarisationen haben ihr positives Maximum im Querschnitt der Anode, ihr negatives im Querschnitt der Cathode; l\u00e4ngs des Cylinders nehmen sie in Gestalt einer Exponential -curve ab. Die electromotorische Kraft eines abgeleiteten Stromzweiges ist nach dem Gesagten zugleich ein Maass der Polarisationsdifferenz des Kerns an beiden Fusspuncten des Bogens; dieselbe wird, der angegebenen Curve entsprechend, um so kleiner, je weiter der Bogen, bei gegebener Spannweite, von der durchflossenen Strecke abgertickt wird.\nIst nur Eine Uebergangsstelle am Kern polarisirbar, z. B. nur die unter der Anode liegende, so breiten sich nur die anodischen Stromzweige l\u00e4ngs des Kerns weithin aus (17). Sind beide Uebergangsstellen polarisirbar, so ergeben sich zwei entgegengesetzt polarisirte Drahtabtheilungen, deren Polarisationscurven sich auf einander superponiren (Fig. 24). Hieraus folgt, dass erstens in der durchflossenen Strecke ein un-polarisirter Punct (\u201eIndifferenz-punct\u201c) liegt, in der Mitte wenn beide Polarisationen gleich, verschoben wenn sie ungleich sind; zweitens muss Verk\u00fcrzung der\ndurchflossenen Strecke die Po- Fis. 24. Saperposition a\u201e positirm upd pesatiT9n Po_\nlarisationsgl'\u00f6ssen und ihre Dif- lansationseurve : aus besonderen Gr\u00fcnden (s.u. S.196) sind r* \u201e\tj ,\t,.\t.\t.\t, die positiven Ordinaten nach unten, die negativen nach\nterenzen, d. h. die abgeleiteten\toben genommen.\nStr\u00f6me, schw\u00e4chen (10). Die polarisirten Kernstrecken fangen alsbald nach Art eines in die Fl\u00fcssigkeit versenkten Plattenpaars gegen einander zu wirken an, und hierin liegt die Ursache des erw\u00e4hnten Gegenstroms (11). Derselbe ist kaum merklich oder fehlt, wenn nur einseitige Polarisation stattfindet (17) oder der Strom einerseits dem Kern direct zugeleitet wird (12).\nDie vielfachen Analogien dieser Erscheinungen mit denen des\nHandbuch der Physiologie. Bd. II.\t12\nli.","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"i 78 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nElectrotonus liegen auf der Hand, und es entstellt die Frage, ob vielleicht im Nerven \u00e4hnliche Verh\u00e4ltnisse existiren.\nDie oben S. 28 angef\u00fchrte Differenz des L\u00e4ngs- und Querwiderstands der Nerven hat nach Untersuchungen \u00fcber die zeitlichen Ver\u00e4nderungen des Widerstands, \u00fcber seine Abh\u00e4ngigkeit von der Intensit\u00e4t der Durch Str\u00f6mung, und \u00fcber das electromotorische Verhalten des durchstr\u00f6mten Organs nach der Oeffnungl, seine Ursachen in einer inneren Polarisation der Nerven, welche senkrecht zur Faserung zu viel bedeutenderen Betr\u00e4gen anw\u00e4chst als bei L\u00e4ngsdurchstr\u00f6mung.\nZwar ist der Widerstand der quer durchstr\u00f6mten Nerven schon im Augenblick der Schliessung in nahezu voller St\u00e4rke vorhanden (er nimmt nach der Schliessung langsam noch etwas zu), er erscheint ferner mit Wechselstr\u00f6men gepr\u00fcft nicht merklich geringer als mit constanten Str\u00f6men, w\u00e4hrend manche Polarisationserscheinungen durch Wechselstr\u00f6me nahezu eliminirt werden k\u00f6nnen ; dies spricht aber durchaus nicht gegen Polarisation als Ursache der Widerstandsdifferenz, denn es giebt Polarisationen, welche im Moment der Schliessung schon vollkommen ausgebildet sind und im Moment der Oeffnung ebenso schnell wieder schwinden. Der Polarisationsr\u00fcckstand der Nerven ist in der That, obgleich sehr deutlich nachweisbar, sogar bei querer Durchstr\u00f6mung geringer als bei longitudinaler (beim Muskel ist es umgekehrt), wodurch die Erkl\u00e4rung des grossen Querwiderstands aus einer specifischen Querpolarisirbarkeit vollends unwahrscheinlich zu werden scheint. Indess wird die Abh\u00e4ngigkeit des Querwiderstands von Quer-Polarisation auf das Bestimmteste dadurch bewiesen, dass der scheinbare Widerstand des Nerven (gemessen durch Feststellung der \u00e4quivalenten Rheostatwiderst\u00e4nde f\u00fcr gleiche Intensit\u00e4t) bei Verst\u00e4rkung der Str\u00f6me von einer gewissen Intensit\u00e4t ab zunimmt, um beim Zur\u00fcckkehren zu geringeren Intensit\u00e4ten wieder abzunehmen. Dies kann nur daher r\u00fchren, dass ein Theil des scheinbaren Widerstands von einer Polarisationskraft abh\u00e4ngig ist, und dass diese Kraft anfangs dem Strom proportional w\u00e4chst, schliesslich aber ein Maximum erreicht. Es zeigt sich nun, dass dies Maximum bei. L\u00e4ngsdurch-str\u00f6mung schon bei sehr niedrigen Stromwerthen, bei Querdurchstr\u00f6mung erst bei sehr hohen (etwa 30\u201440 Dan.) erreicht wird, und zwar um so schwerer je l\u00e4nger und faserreicher die querdurchstr\u00f6mte Strecke ist; das Maximum der Polarisation betr\u00e4gt nach einem sehr ungenauen Ueber-schlag etwa l/4o Dan. f\u00fcr jede quer durchstr\u00f6mte Faser (beim Muskel etwa ebensoviel). Das schnelle Verschwinden der Quer-Polarisation nach der Oeffnung (beim Nerven viel schneller als beim Muskel) k\u00f6nnte daher r\u00fchren, dass die nur durch die Faserbreite getrennten Ionen sich so nahe sind, dass sie sich augenblicklich neutralisiren. Am todten Nerven hat die Verst\u00e4rkung der Str\u00f6me keinen Einfluss auf den scheinbaren Widerstand. \u2014 Ob der im w\u00e4rmetodten Nerven bestehende Rest von Ueberwiegen des Querwiderstands von einem Rest specifischer Polarisirbarkeit, oder von einer Abwechselung besser und schlechter leitender Schichten in der Querrichtung, herr\u00fchrt, ist noch nicht entschieden. Letztere k\u00f6nnte auch im\n1 Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 223. 1871.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Verwirklichung des Kernleiterschemas am Nerven. Theorie des Electrotonus. 179\nlebenden Nerven an den Widerstandsph\u00e4nomenen Antheil haben, oder auch erst unter dem Einfluss gewisser Temperaturen entstehen (Coagulationen?).\nDie Fl\u00e4chen, an welchen bei der Querdurchstr\u00f6mung die Polarisation auftritt, k\u00f6nnen, da letztere nur Muskeln und Nerven, nicht aber anderen gefaserten Geweben, z. B. den Sehnen, eigent\u00fcmlich ist, keine anderen sein, als die Grenzfl\u00e4chen zwischen dem specifischen R\u00f6hreninhalt und den indifferenten H\u00fcllen; beim Nerven kann es zweifelhaft erscheinen, ob vielleicht die Grenze zwischen Markscheide und Axencylinder statt derjenigen zwischen Neurilemm und R\u00f6hreninhalt als Polarisationsfl\u00e4che zu nehmen sei; indess wird man sich f\u00fcr erstere Annahme ohne zwingende Gr\u00fcnde schwerlich entscheiden, \u00fcbrigens hat diese Frage zun\u00e4chst wenig Bedeutung.\nMit der Feststellung, dass jede Nervenfaser aus einer Kern- und einer H\u00fcllensubstanz mit polarisirbarer Grenzfl\u00e4che besteht, ist die M\u00f6glichkeit -nahe ger\u00fcckt, den Electrotonus aus den eben angef\u00fchrten Polarisationserscheinungen an Kernleitern zu erkl\u00e4ren. Indess fehlt noch ein Glied; in jenen Versuchen war n\u00e4mlich der Kern metallisch, und dadurch ein wesentliches Abgleichungsmittel, welches von den Stromf\u00e4den aufgesucht wurde. Beim Nerven haben wir aber kein Recht, den Faserinhalt als besser leitend anzunehmen als die H\u00fclle (Gr\u00fcnhagen hat ihn sogar schlechter leitend angenommen, s. unten S. 182). Allein jedenfalls muss auch in diesem Falle der Kern, besonders bei seiner relativen M\u00e4chtigkeit, einen gewissen Antheil der Leitung zwischen beiden Electroden \u00fcbernehmen, und die in ihn eindringenden Stromf\u00e4den m\u00fcssen sich ganz wie im andern Falle durch die Polarisation ausbreiten. Diese Theorie wird auch durch die mathematische Analyse best\u00e4tigt.\nDie von H. Weber ausgef\u00fchrte mathematische Untersuchung ergiebt, dass die Ausbreitung der Str\u00f6me, bei gleichem Leitungsverm\u00f6gen von Kern- und H\u00fcllensubstanz, von der Gr\u00f6sse des Uebergangswiderstands abh\u00e4ngt; sie nimmt mit diesem zu, erreicht ein Maximum, und nimmt dann wieder ab. Letzteres ergiebt schon die Anschauung; bei sehr grossem Uebergangswiderstand wird n\u00e4mlich der Strom sich nur noch in der H\u00fclle ausgleichen, und die Kerne sich wie Glasf\u00e4den verhalten; dann fehlt aber jeder Anlass zur Ausbreitung. Ferner ergiebt die Theorie, dass der Polarisationszustand in jeder Querzone des Kerns um so gleichm\u00e4ssiger ist, je mehr das Maximum des Uebergangswiderstands erreicht ist.\nNunmehr sind alle electrotonischen Erscheinungen einfach erkl\u00e4rbar, vor Allem die Thatsache, dass der Electrotonus sich nicht \u00fcber eine Unterbindungsstelle hinaus ausbreitet; denn hier ist der Kern unterbrochen, da der Nerv durch und durch in indifferentes Gewebe verwandelt ist; ferner das Ausbleiben bei Querdurchstr\u00f6mung, der Einfluss der Lage der ableitenden Electroden, der L\u00e4nge der durch-\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\nflossenen Strecke u. s. w. Auch erkl\u00e4rt sich vollkommen der von du Bois-Reymond 1 vermuthete, von Gr\u00fcnhagen 1 2 3, Roeber 3 und mir 4 nachgewiesene Umstand, dass Anlegung eines leitenden Bogens zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke die abgeleiteten Str\u00f6me verst\u00e4rkt (s. oben S. 177). Der Zuwachs ist, wie Versuch und Theorie ergeben, genau so gross wie der electrotonische Strom, den der im Zwischenbogen sich abgleichende Stromzweig f\u00fcr sich bewirken w\u00fcrde. Auch die Erscheinungen bei zwei gleichzeitig den Nerven an zwei Stellen polarisirenden Str\u00f6men stimmen genau mit der Theorie.5\nDer Nerv geh\u00f6rt zu den Kernleitern mit beidseitiger Polarisation (s. oben S. 177), und hat daher in der durchflossenen Strecke einen Indifferenzpunct. Die Natur der sich abscheidenden Ionen l\u00e4sst sich durchaus nicht \u00fcbersehen; die S. 56 angef\u00fchrte Betrachtung scheint darauf hinzudeuten, dass sie unter der Anode in einer S\u00e4ure, unter der Cathode in einem Alkali bestehen. Die Kraft der Polarisation ist beiderseits nicht gleich gross, und auch die Entwicklung der Polarisation beiderseits ungleich; die S. 44 und 163 f. angef\u00fchrten Thatsachen beweisen, dass die anodische Polarisation sich mit der Zeit und mit zunehmender Stromst\u00e4rke vermehrt und ausbreitet, w\u00e4hrend die ea-\nthodische sich im umgekehrten Sinne ver\u00e4ndert, m\u00f6glicherweise nur durch \u00fc' den Einfluss der Superposition der anodischen. Genauere Einsicht k\u00f6nnen hier nur weitere Untersuchungen gew\u00e4hren; auch die S. 164 erw\u00e4hnten Erscheinungen nach der Oeflhung werden erst nach genauerer Feststellung erkl\u00e4rbar sein.\nDie angef\u00fchrte Theorie des Electrotonus erkl\u00e4rt auch die \u201eschwachen des Nerven (und vielleicht auch des Muskels) weit vollkommener als die blosse Annahme einer relativ indifferenten, abgestorbenen Faserlage an der Oberfl\u00e4che des Nerven (vgl. Bd. I. S. 228, 239), welche sich bei Reizversuchen wohl zu erkennen geben m\u00fcsste. Wie Fig. 25 verdeutlicht, sind die Stromf\u00e4den der Demarca-tionsfl\u00e4che am k\u00fcnstlichen Querschnitt durch die Grenzpolarisation\nFig. 25. Electrotonische Ausbreitung des Demareationsstroms l\u00e4ngs des Nerven (schwache L\u00e4ngssehnittsstr\u00f6me).\nL\u00e4ngsschnittsstr\u00f6me\n1\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 543. 1849.\n2\tGr\u00fcnhagen, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXXIII. S. 256. 1868.\n3\tRoeber, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1869. S. 623.\n4\tHermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 318, 326, 354. 1872 ; VIL S. 308. 1873.\n5\tVgl. du Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 339, 351. 1849; Hermann, a. a. O. VI. S. 320, 327, 354. 1872.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Electrotonus und der schwachen L\u00e4ngsschnittsstr\u00f6me. 181\ngezwungen, sich weithin im Faserkern auszubreiten, oder mit andern Worten der Nerv ist in der N\u00e4he des Querschnitts in wahrem Cat-electrotonus, dessen Intensit\u00e4t nach dem Querschnitt hin zunimmt, wie die Polarisationscurve PP1 2 andeutet. Die schwachenL\u00e4ngs-schnittsstr\u00f6me k\u00f6nnen also als electrotonische Ausbrei-tung des Demarcationsstromes betrachtet werden.\nMatteucci 1 hat, schon ehe er die oben angef\u00fchrten Versuche anstellte, welche zum Theil der eben entwickelten Theorie als Grundlage dienen, in zahlreichen Publicationen den Electrotonus durch innere Polarisation des Nerven zu erkl\u00e4ren versucht. Er st\u00fctzte sich im Wesentlichen auf die schon vorher von Peltier und du Bois-Reymond untersuchte \u201esecund\u00e4r-electromo-torische Wirksamkeit\u201c der Nerven, d. h. die nach der Oeffnung eines Stromes zur\u00fcckbleibende entgegengesetzt gerichtete eleetromotorische Kraft (s. obenS. 165). Die Existenz dieses polarisatorischen Gegenstroms suchten Martin-Magron & Fernet 2 schon w\u00e4hrend des Geschlossenseins durch die Abnahme des polarisirenden Stromes selbst zu beweisen. In den extrapolaren Strecken soll nach Matteucci, wie schon erw\u00e4hnt, der Nachstrom dem polarisirenden gleichsinnig sein. In vager Weise behauptete nun Matteucci einen Zusammenhang des Electrotonus mit jener inneren Polarisation; seine eigene Erfahrung, dass jene Nachwirkungen des Stromes auch an todten Nerven, und an zahlreichen anderen thierischen und pflanzlichen Geweben vorhanden sind, obgleich von Electrotonus hier Nichts zu merken ist, h\u00e4tte belehren k\u00f6nnen, dass jene Theorie unzureichend ist. Matteucci u. A. glaubten auch die electrolytischen Producte im Innern des Nerven nachgewiesen zu haben, n\u00e4mlich S\u00e4ure an der Anode, Alkali an der Cathode, und eine Anzahl Autoren, wie Baxter 3, J. Ranke4 5 gingen soweit zu behaupten, dass diese Producte die galvanischen und erregbarkeits\u00e4ndernden Wirkungen des Electrotonus verursachen, und diese letzteren sich durch Bestreichen des Nerven mit S\u00e4uren oder Alkali nachahmen lassen (Ranke nimmt zur Erkl\u00e4rung seines ,,S\u00e4ure-und Alkali-Electrotonus\u201c eine v\u00f6llig r\u00e4thselhafte Fernwirkung der S\u00e4ure, resp. des Alkali an). Schon das ist aber keineswegs sicher, dass die an der Oberfl\u00e4che des Nerven nachweisbaren Ionen \u00fcbereinstimmen mit denjenigen im Nerven; ferner spricht die Geschwindigkeit der Entwicklung und des Verschwindens des Electrotonus, die Proportionalit\u00e4t zwischen polarisirendem und abgeleitetem Strom und zahlreiche andere Gr\u00fcnde gegen derartige Annahmen.\nFerner hat Gr\u00fcnhagen 5 versucht, die electrotonischen Str\u00f6me als einfache durch Unterschiede im Leitungsverm\u00f6gen der Nervenbestand-theile bedingte Stromschleifen des polarisirenden Stromes zu erkl\u00e4ren. Er vermuthet n\u00e4mlich, dass die feuchten Neurilemme besser leiten als das fetthaltige Mark und der feste Axencylinder. Dadurch sei der Strom\n1\tMatteucci, Compt. rend. L. p. 412. 1860 ; LII. p. 231. 1861 ; LNV. p. 151,194, ^84. 1867 (vgl. auch Ann. d. chim. et phys. (4) XII. p. 97, 104).\n2\tMartin-Magron & Fernet, Compt. rend. L. p. 592. 1860.\n3\tBaxter, Edinb. new phil. journ. XIX. p. 29. 1864.\n4\tJ. Ranke, Die Lebensbedingungen der Nerven S. 124,130,133,144. Leipzig 1868.\n5\tGr\u00fcnhagen, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXXI. S. 43. 1868 ; XXXIII. S. 256. 1868; XXXVI. S. 132. 1869.","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182 Hermann. Allg. Nervenphysiologie. 4. Cap. Erscheinungen am Nerven selbst.\ngen\u00f6thigt, sich weit im Bindegewebe des Nerven auszubreiten; indem er gleichsam den schlechtleitenden Faserinhalt umgehe ; Unterbindung durchbreche letzteren und schaffe so dem Strom eine directere Abgleichung. Die Zunahme des Anelectrotonus und die Abnahme des Catelectrotonus wird dann durch electrolytische Abscheidungen an der Oberfl\u00e4che der Markscheide erkl\u00e4rt. Abgesehen davon, dass jene Annahme \u00fcber die schlechtleitende Beschaffenheit des Faserinhalts durchaus keine thats\u00e4ch-liche Grundlage hat (nicht einmal den Unterschied des Quer- und L\u00e4ngswiderstands hatte Gr\u00fcnhagen nachgewiesen), ist die Theorie leicht zu widerlegen. Wenn ein Theil des Nerven aus schlechtleitenden F\u00e4den besteht, so kann dies nur die Dichte des Stromes im gutleitenden Theil vermehren, zu einer gr\u00f6sseren seitlichen Ausbreitung ist aber kein Grund ; dies empfindend meinte Gr\u00fcnhagen, der k\u00fcnstliche Querschnitt biete eine gute Abgleichung und diese aufsuchend m\u00fcsse sich der Strom longitudinal ausbreiten; allein der Electrotonus erscheint ebensogut wenn der k\u00fcnstliche Querschnitt fehlt, oder soweit entfernt ist, dass in seiner N\u00e4he gar keine electrotonischen Stromzweige mehr nachweisbar sind. Ein noch vernichtenderer Einwand ist, dass die electrotonischen Stromzweige nach dieser Theorie an der von den Electroden abgewandten L\u00e4ngsh\u00e4lfte des Nervencylinders entgegengesetzte Richtung haben m\u00fcssten als der pola-risirende Strom.1 Endlich m\u00fcsste Verk\u00fcrzung des Nerven den Electrotonus verst\u00e4rken, was nach Goldzieher2 nur selten und schwach, und beim Abschneiden jenseits der polarisirenden Electroden nie der Fall ist ; hier tritt im Gegentheil Schw\u00e4chung ein (nach der oben vorgetragenen Theorie ist dies Resultat gut erkl\u00e4rbar). Gr\u00fcnhagen glaubte f\u00fcr seine Theorie die oben S. 180 angef\u00fchrte Thatsache geltend machen zu k\u00f6nnen, dass Verbesserung der Leitung zwischen durchflossener und abgeleiteter Strecke den Electrotonus verst\u00e4rkt; indess l\u00e4sst sich zeigen, dass diese Thatsache eine notliwendige Folge der allgemeinen Potentialgesetze ist und sich mit jeder Theorie des Electrotonus vereinigen l\u00e4sst.3 Nach der Ver\u00f6ffentlichung meiner Theorie hat Gr\u00fcnhagen 4 Ver\u00e4nderungen an der seinigen angebracht, z. B. nunmehr dem Inhalt der Faser im Gegentheil besseres Leitungsverm\u00f6gen als der H\u00fclle zugeschrieben; den bedingenden Einfluss der Polarisation bestreitet er nach wie vor.4\nDie cataphorischen Wirkungen des Stromes am Nerven sind von H. Munk studirt und zur Erkl\u00e4rung gewisser mit dem Electrotonus zusammenh\u00e4ngender Erscheinungen, aber nicht zu einer Theorie des Electrotonus verwendet worden (vgl. oben S. 46, und das 5. Capitel).\nAnhang \u00fcber die mathematische Theorie des Electrotonus. H. Weber5 hat die Stromausbreitung in Cylindern mit polarisir-barem Kerne einer mathematischen Untersuchung unterworfen, welche sowohl den Fall eines relativ sehr gut leitenden (metallischen) Kernes,\n1\tVgl. hier\u00fcber Hermann, Untersuchungen zur Physiologie der Muskeln und Nerven HI. S. 34. Berlin 1868; Arch. f. d. ges. Physiol. IV. S. 336. 1872.\n2\tGoldzieher, ebendaselbst in. S. 240. 1870.\n3\tVgl. Hermann, ebendaselbst VII. S. 308. 1873.\n4\tGr\u00fcnhagen, Die electromotorischen Eigenschaften lebender Gewebe S. 85. Berlin 1873; Arch. f. d. ges. Physiol. VIH. S. 519. 1873; Hermann, ebendaselbst IX. S. 34. 1874.\n5\tH. Weber, Borchardt\u2019s Journ. f. Mathematik LXXVI. S. 1. 1872.","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Electrotonus.\n183\nals den Fall gleichen Leitungsverm\u00f6gens von Kern und H\u00fclle betrifft (vgl. \u00fcber letzteren Fall oben S. 179). Die vollst\u00e4ndigen Resultate k\u00f6nnen hier nicht wiedergegeben werden. Jedoch gen\u00fcgt folgendes: Nimmt man den Querschnitt des Cylinders sehr klein an gegen alle in Frage kommenden L\u00e4ngsdimensionen (die folgenden Resultate gelten also erst in erheblicheren Abst\u00e4nden von den Electroden), so bewirkt jede Electrode eine nach beiden Seiten gleichm\u00e4ssig abfallende Spannungsvertheilung, und zwar ist die Spannung in einem Querschnitt rings herum die gleiche. Dieselbe l\u00e4sst sich, wenn z der absolut genommene Abstand des Querschnitts von der Electrode ist, ausdr\u00fccken durch\nu \u2014 + aJ.\nworin J die Intensit\u00e4t des durch die Electrode eintretenden Stromes, a und & Constanten, welche von den Radien nnd dem Leitungsverm\u00f6gen des Kerns und der H\u00fclle, sowie von der Gr\u00f6sse des Uebergangswider-stands oder der Polarisationsconstante abh\u00e4ngen, und e die Basis der nat\u00fcrlichen Logarithmen. Das positive Vorzeichen ist zu nehmen, wenn die Electrode eine Anode ist. Die resultirende Spannung eines Punctes ergiebt sich aus algebraischer Summation der ihm von jeder Electrode f\u00fcr sich ertheilten Spannungen.\nWird der Strom J durch 2 Electroden vom Abstande 2 a zugeleitet1 und werden die z von der Mitte der durchflossenen Strecke aus gerechnet, so ist u __ aJe~ a) \u2014 uJe~d'(z + a) = AJ.e~\nworin\tA \u2014 a (e^a \u2014 e~^a).\nDie durch Compensation gemessene electromotorische Kraft zwischen zwei Ableitungspuncten von der Lage z und zr ergiebt sich zu t = u \u2014 u\u2019 \u2014 AJ (e~^z\u2014 e ^z\u2019).\nDie Polarisationsgr\u00f6sse an jeder Stelle des Kerns ergiebt sich propor-\ntional\nd\u20192u\n~SW\nalso sind an den genannten beiden Stellen die Polarisations-\ngr\u00f6ssen p ^y^AJe\u2014V'2 und pf = y^AJ, woraus folgt\tp \u2014 pr = y&\nd. h. die electromotorische Kraft in einem ableitenden Bogen ist proportional der Differenz der Polarisationen seiner Fusspuncte.\nDa ferner\nfp .dz \u2014 yfr2AJfe ^Z.dz =\u2014y&Aj{e \u2014e \u2014\nZ\tZ\nso ist die electromotorische Kraft in einem ableitenden Bogen zugleich proportional der Summe aller Polarisationen zwischen seinen Fusspuncten.\nWird der in einen angelegten leitenden Bogen sich ergiessende Stromzweig nicht compensirt, so hat dies eine Ver\u00e4nderung der Spannungen und Polarisationen am ganzen Leiter zur Folge. Nach den BosscHA\u2019schen S\u00e4tzen ist diese Ver\u00e4nderung die gleiche, als wenn der Stromzweig selbstst\u00e4ndig polarisirend wirkte und die von ihm herr\u00fchrenden Spannungen sich \u00fcberall algebraisch zu den vorhandenen summirten ; sind alle Widerst\u00e4nde bekannt, so l\u00e4sst sich demnach die resultirende Spannung mit Zu-\n1 Alles Folgende sind Ableitungen aus dem von H. Weber erhaltenen Resultat;\nvgl. Hermann, Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 319. 1873.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184 Hermann, Allg.Nervenphysiologie. 5. Cap. Theor.Er\u00f6rter. d.Vorg\u00e4nge imNerven.\nh\u00fclfenahme des Obigen berechnen. Ist die Polarisationsconstante f\u00fcr beide Ionen die gleiche, so macht der angelegte Bogen von seiner Mitte ab nach der durchflossenen Strecke zu \u00fcberall Verminderung, nach der anderen Seite \u00fcberall Erh\u00f6hung der bestehenden Polarisation, er verst\u00e4rkt also den Electrotonus vor und hinter sich und vermindert ihn zwischen seinen eigenen Fusspuncten, unter Umst\u00e4nden bis zur Umkehrung, wie man durch Rechnung oder Curvenschema leicht findet.\nBisher wurde der Kernleiter unbegrenzt angenommen. Endet er an einer Stelle (oder endet hier nur der Kern oder nur die H\u00fclle, vgl. oben S. 177), so folgt aus dem sog. Princip der Spiegelung, dass man, um die Spannungen zu erhalten, diejenigen Spannungen, welche an der Fortsetzung des Leiters hinter dem Endquerschnitt vorhanden sein w\u00fcrden, den vorhandenen in gleichem Abstand vor dem letzteren hinzuzuf\u00fcgen hat; die Spannungen werden also durch die N\u00e4he des Endes vergr\u00f6ssert, der Spannungsabfall aber, d. h. die Kraft der electrotonischen Str\u00f6me, vermindert.\nF\u00dcNFTES CAPITEL.\nTheoretische Er\u00f6rterung der Vorg\u00e4nge im Nerven.\nI. Die \u00e4lteren Anschauungen vom Wesen des Nervenprincips, l)is zur Entdeckung des Nervenstroms.\nDas R\u00e4thsel, welches der Nerv in der Herstellung einer functioneilen Verbindung zwischen entfernten Organen darbietet, hat von jeher die Forscher besch\u00e4ftigt. Man konnte sich anfangs jene Vermittlung nur entweder aus einer Bewegung des Nervenstrangs selbst, nach Art eines Glockenzuges oder einer wellenleitenden Schnur, oder aus der Fortleitung einer tropfbar- oder elastisch-fl\u00fcssigen Substanz, sogenannter Nervengeister, in den Nervenr\u00f6hren erkl\u00e4ren. Bei Haller 1 findet man derartige Anschauungen er\u00f6rtert und widerlegt oder wenigstens ihre Schwierigkeiten enth\u00fcllt. Im Jahre 1743 wurde zuerst, in einem Werke des Mathematikers Hausen1 2, welches nach dem Tode des Verfassers erschien, die Idee ausgesprochen, dass die Electricit\u00e4t, deren m\u00e4chtige Erregungswirkungen und ungemeine Verbreitungsf\u00e4higkeit seit Erfindung der Electrisirmaschine bekannt waren, das wirksame Princip im Nerven sei. Ohne Zweifel selbstst\u00e4ndig \u00e4usserte de Sauvages ein Jahr sp\u00e4ter dieselbe Idee, und\n1\tHaller, Elementa physiologiae corporis humani IV. p. 357, 373. Lausanne\n1762.\n2\tHausen, Novi profectus in historia electricitatis p. 47. Leipzig 1743. Hausen wurde von Haller ohne Cit\u00e2t als Autor genannt ; du Bois-Reymond machte das Original ausfindig (Untersuchungen IL 1. S. 211).","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Electrotonus. Aeltere Anschauungen vom Nervenprincip. 185\neine grosse Anzahl scharfsinniger M\u00e4nner schlossen sich derselben an.1 Allein die Vorsichtigeren, unter ihnen Haller selbst, machten vor Allem zwei Einw\u00e4nde geltend : den Mangel isolirender H\u00fcllen umdie Nervenfasern, und die Unterbrechung der Nervenleitung durch Unterbindung.\nAllein die Entdeckung, dass die Wirkungen der Zitterfische elec-trischer.Natur sind, hielt die Ueberzeugung von der Identit\u00e4t des Nervenprincips mit Electricit\u00e4t aufrecht, und vollends gaben ihr die Entdeckungen Galvani\u2019s und seiner Nachfolger anscheinend m\u00e4chtige St\u00fctzen. Nicht allein war mit dem Nachweis einer allen Thie-ren eigenen Electricit\u00e4t Aussicht gegeben, Electricit\u00e4tsquellen zu entdecken, welche die f\u00fcr die Theorie n\u00f6thigen Str\u00f6me lieferten, sondern die Lehre von der S\u00e4ule, von den electrodynamischen Anziehungsund Abstossungserscheinungen und der Induction, die Erfindung des electrischen Telegraphen2 u. s. w., lieferten zahllose Anhaltspuncte f\u00fcr Speculationen \u00fcber das Wesen des Nervenprincips, seine Wirkung auf die Muskelcontraction u. s. w. (vgl. z. B. Bd. I. S. 245), die durch anscheinend gl\u00fcckliche Versuche, in welchen aber zum Theil grober Irrthum, zum Theil Schlimmeres sein Wesen trieb, gest\u00fctzt wurden. Ich verweise bez\u00fcglich dieses Zeitraums lediglich auf die von du Bois-Reymond geschriebene Geschichte.\nAllein noch immer fehlte der Lehre von der electrischen Natur des Nervenprincips nicht allein der Nachweis einer wirklichen Elec-trieit\u00e4tsquelle im Nervensystem3, sondern es bestanden auch die beiden oben genannten Einw\u00e4nde mit ungeschw\u00e4chter Kraft fort.\nGenau hundert Jahre, nachdem zum ersten Mal die Idee einer electrischen Natur des Nervenprincips Ausdruck gefunden hatte, im Jahre 1843, wurde die erste Thatsache, welche ihr Berechtigung zu verleihen schien, von du Bois-Reymond entdeckt (s. oben S. 145). Weit mehr aber, als der ruhende Nervenstrom, gaben die negative Schwankung und der Electrotonus Hoffnung auf eine electrische Theorie der Nervenvorg\u00e4nge, und diese Erscheinungen werden fortan die Grundlagen der Discussion zu bilden haben.\n1\tDie Geschichte dieser Meinungen sowie der ganzen Entwicklung der Frage vom Nervenprincip bis zur Entdeckung des Nervenstroms s. bei du Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 209; der obige Text stellt nur einen d\u00fcrftigen Auszug aus diesem h\u00f6chst lesenswerthen Abschnitt dar.\n2\tDer electrische Telegraph bildet bekanntlich noch heute das gebr\u00e4uchliche Mittel, um die Nervenfunction popul\u00e4r zu veranschaulichen; dies Mittel hat seine grossen Gefahren, da dem beliebten Vergleich keine weitere Analogie zu Grunde liegt, als dass in beiden F\u00e4llen Str\u00e4nge vermittelnd wirken, ohne sich wie Klingelz\u00fcge selbst zu bewegen.\n3\tDie vergeblichen Bem\u00fchungen, Str\u00f6me in Hirn und Nerven theils durch den Multiplicator. theils durch Magnetisirung eingef\u00fchrter Stahlnadeln, theils auf andern Wegen nachzuweisen, s. bei du Bois-Reymond, a. a. 0.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186 Hermann. Allg.Nervenphysiologie. 5. Cap. Theor.Erorter.d.VorgangeimNerven.\nII. Allgemeine Beziehungen zwischen Leitungs- und Erregungsyorgang.\nZu den wesentlichsten Eigenschaften des Nerven geh\u00f6rt es, dass seine eigentliche Function, die Leitung mit ihrem Erfolg im Endorgane, nicht bloss im erregenden Endorgan, sondern an jeder Stelle des Nerven selbst hervorgerufen werden kann (s. oben S. 7). Die nat\u00fcrlichste Folgerung hieraus, welche auch stillschweigend von uns fortw\u00e4hrend der Darstellung zu Grunde gelegt worden ist, besteht darin, dass auch bei der Leitung der Process der Erregung sich fortw\u00e4hrend wiederholt, dass jedes Theilchen des Nerven in den gleichen Zustand ger\u00e4th, mag es von dem im Nerven entlang laufenden Vorgang ergriffen oder direct durch einen \u00e4usseren Reiz erregt werden, so dass ein Leitungs Vorgang erst von ihm seinen Ausgang nimmt. Die Nervenleitung ist nach dieser Anschauung nichts Anderes als eine Uebertragung der Erregung von Theilchen zu Theilchen, und kann deshalb, wie es pr\u00e4sumirend von uns schon vielfach geschehen ist, auch als Fortpflanzung des Erregungsvorgangs l\u00e4ngs des Nerven bezeichnet werden. Hieran kn\u00fcpft sich unmittelbar die Vorstellung, dass jedes erregte Nervenelement erregend auf das benachbarte wirkt, grade wie ein \u00e4usserer Reiz, und weiter die Vermutkung, dass unter der bekannten \u00e4usseren Nervenreizen irgend einer identisch oder nahe verwandt sein werde mit der Wirkung eines erregten Nerven-elements auf das andere. In der Auffindung dieses Reizes liegt, kann man sagen, die Aufgabe der Theorie des Nervenprincips.\nDer von einigen Autoren, besonders Schiff1, Ziemssen & Weiss2, Erb3 und Gr\u00fcnhagen4, erhobene Einwand, dass es Zust\u00e4nde des Nerven gebe, in welchen er leitungsf\u00e4hig, aber \u00e4usseren Reizen unzug\u00e4nglich ist, kann jene Anschauung nicht umstoss\u00e9n. Schiff erinnert an die Eigenschaft der R\u00fcckenmarksstr\u00e4nge, Erregungen zu leiten, ohne selbst erregbar zu sein5, und f\u00fchrt ferner an, dass Curare-oder Coniinvergiftung die Wirkungen reflectorischer Erregungen auf den (durch Gef\u00e4ssligatur von der Vergiftung ausgeschlossenen) Muskel nicht hindere, w\u00e4hrend directe Reizung des vergifteten Nerven er-\n1\tSchiff, Lehrb. d. Muskel- u. Nervenphysiol. S. 75. Lahr 1858\u201459; Ztschr. f. rat. Med. (3) XXIX. S. 221. 1867.\n2\tZiemssen & Weiss, Deutsch. Arch. f. klin. Med. IV. S. 579. 1868.\n3\tErb, Deutsch. Arch. f. klin. Med. V. S. 62. 1869.\n4\tGr\u00fcnhagen, Berliner klin. Wochenschr. 1871. S. 625; Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 180. 1872.\n5\tDie Lehre von der \u00e4sthesodischen und kinesodischen Substanz ist bekanntlich nicht unbestritten und besonders die M\u00f6glichkeit nicht ausgeschlossen, dass Mitreizung von Hemmungsfasern den Erfolg verhindere.","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Beziehungen zwischen Leitung und Erregung.\n187\nfolglos sei;1 Ziemssen & Weiss und Erb fanden Aehnliches an gequetschten Nerven bei Thieren und bei Paralysen am Menschen; Gr\u00fcnhagen behauptet, dass ein Nerv, der eine Strecke weit der Einwirkung von Kohlens\u00e4ure ausgesetzt ist, an dieser Stelle weniger erregbar ist, w\u00e4hrend h\u00f6her angebrachte Reize in gew\u00f6hnlicher St\u00e4rke wirken. Allein die Einwirkung \u00e4usserer Reize ist stets ein verh\u00e4lt-nissm\u00e4ssig roher und unnat\u00fcrlicher Eingriff, und es ist sehr wahrscheinlich, dass der Reiz, welchen die Nervenelemente selbst auf einander aus\u00fcben, wenn auch mit einem \u00e4usseren Reiz nahe verwandt, ungleich g\u00fcnstigere Bedingungen als letzterer findet. Ein anderer Einwand gegen die angef\u00fchrte Anschauung k\u00f6nnte aus der Angabe v. Bezold\u2019s entnommen werden, dass der Catelectrotonus trotz erh\u00f6hter Erregbarkeit f\u00fcr \u00e4ussere Reize, die Leitung verlangsamt ; aber diese Thatsache ist, wie oben (S. 26) bemerkt, bestritten, und ausserdem die Erscheinungen erh\u00f6hter Erregbarkeit einer anderen Deutung f\u00e4hig, wie unten er\u00f6rtert werden wird.\nDie besonders von pathologischer Seite aufgestellte Ansicht, dass der Axencylinder zur Leitung, die Markscheide zur Aufnahme der Erregung diene, ist \u00e4usserst unwahrscheinlich. Erstens beruht sie lediglich auf anatomischen Bildern degenerirender Nerven, die um so weniger zu Schl\u00fcssen geeignet sind, als die Pr\u00e4existenzfrage hier mindestens ebenso zweifelhaft ist wie im Normalzust\u00e4nde; zweitens ist die \u201eAufnahme\u201c von Erregungen in der Continuit\u00e4t gar kein nat\u00fcrlicher Vorgang, also gewiss nicht daran zu denken, dass f\u00fcr ihn ein besonderes Gebilde da sei.\nSelbst wenn man aber, aus irgend welchem Grunde, die Identit\u00e4t des Uebertragungsreizes (so sei der K\u00fcrze halber der Reiz eines erregten Nervenelements auf das Nachbarelement bezeichnet) mit einem der bekannten \u00e4usseren Reize bestreitet, so bleibt doch die Annahme einer Erregung von Theilchen zu Theilchen unentbehrlich. Die Leitung im Nerven kann unm\u00f6glich als Fortbewegung einer Substanz aufgefasst werden; ausser dem schon S. 8 angegebenen Grunde spricht hiergegen namentlich die Zur\u00fccklegung langer Wege ohne Verlust, unz\u00e4hliger anderer Schwierigkeiten nicht zu gedenken. Ebensowenig kann die Rede sein von einem die ganze L\u00e4nge der erregten Faser gleichzeitig ergreifenden Vorgang, etwa einer Ortsverlagerung wie beim Klingelzug oder Herstellung eines den Nerven der L\u00e4nge nach durchfliessenden Stromes, wie beim Telegraphendraht ; schon die Beobachtungen \u00fcber die Zeit, welche die Fortpflanzung erfordert, widerlegen derartige Vorstellungen. Es bleibt also allein \u00fcbrig die An-\n1 Nach Schiff zeigt der vergiftete Nervenabschnitt negative Stromesschwankung bei Erregung des unvergifteten, dagegen nicht der unvergiftete bei Reizung des vergifteten; dies ist nat\u00fcrlich nur eine andere Beweisform f\u00fcr den Verlust der direc-ten Erregbarkeit bei Erhaltung der Leitungsf\u00e4higkeit.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188 Hermann, Allg.Nervenphysiologie. 5. Cap. Theor.Er\u00f6rter.d. Vorg\u00e4nge im Nerven.\nn\u00e4hme einer Zustands\u00e4nderung*, einer Bewegung im weitesten Sinne, welche successive ein L\u00e4ngenelement nach dem andern ergreift. Da nun die Ursache dieser Ver\u00e4nderung f\u00fcr jedes Theilchen in dem unmittelbar vorher erregten Theilchen liegt, so ist der Ausdruck \u201eReizung\u201c durch letzteres v\u00f6llig am Platze.\nIII. Moleculare Theorien der Nervenprocesse.\nDie unmittelbarsten Hoffnungen, die Erregungsleitung im Nerven erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen, mussten sich, \u00e4hnlich wie beim Muskel (vgl. Bd. I. S. 245), an die du Bois\u2019sche Moleculartheorie kn\u00fcpfen. In zweifacher Hinsicht waren die Aussichten am Nerven anscheinend noch g\u00fcnstiger als am Muskel. Erstens fiel die Aufgabe fort, eine Ortsver\u00e4nderung der Molekeln zu erkl\u00e4ren; sie durften im Nerven feste Pl\u00e4tze behaupten, und es galt anscheinend nur, die Fortpflanzung einer gewissen Stellungsver\u00e4nderung jedes Theilchens aus irgend einem physicalischen Princip abzuleiten ; zweitens bot die Moleculartheorie des Electrotonus anscheinend schon ein solches Princip dar.\ndu Bois-Reymond selbst hat keine Theorie der Nervenfunctio-nen ausgesprochen, und in der That musste jede eingehende Pr\u00fcfung zeigen, dass mit einfachen galvanischen Theoremen hier nichts anzufangen war. Manche haben zwar geglaubt1 2, die Fortpflanzung der Erregung mit der der electrotonischen Molekeldrehung identificiren zu k\u00f6nnen; allein unz\u00e4hlige Gr\u00fcnde lassen sich hiergegen anf\u00fchren, selbst mit Anerkennung der molecularen Theorie des Electrotonus, und sind auch schon gr\u00f6sstentheils von du Bois-Reymond 2 selbst nachdr\u00fccklich hervorgehoben worden. Vor Allem ist der Electrotonus eine mit der Entfernung von der Reizstelle rasch abnehmende Erscheinung, w\u00e4hrend die Erregung in unver\u00e4nderter Gr\u00f6sse den Nerven durchl\u00e4uft; zweitens ist die Ausbreitung des Electrotonus ein ungleich schnellerer Vorgang als die Fortpflanzung der Erregung; drittens und vor Allem ist nicht abzusehen, wie mechanische, thermische, chemische Reize Electrotonus herbeif\u00fchren sollen u. dgl. m.\nDie Untersuchungen Pfl\u00fcger\u2019s brachten den auf die Moleculartheorie gegr\u00fcndeten Speculationen weitere Schwierigkeiten. Der Electrotonus best\u00e4tigte sich freilich als das Zwischenglied zwischen dem erregenden Strome und der Erregung selbst, und der Ausspruch du Bois-Reymond\u2019s (a. a. 0.): \u201egalvanische Reizung ist uns nichts mehr als die erste Stufe der Electrolyse eines Nerven \u201c, erhielt gl\u00e4nzende Best\u00e4tigung. Aber unerkl\u00e4rbar f\u00fcr die Moleculartheorie war es\n1\tVgl. z. B. Funke, Lehrb. d. Physiologie. 4. Aufl. I. S. 859. Leipzig 1863.\n2\tdu Bois-Reymond, Untersuchungen II. 1. S. 385 f.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Wesen der Nervenprocesse. Moleculare Theorien.\n189\nschon, dass die angenommene Molekelverstellung bei ihrem Entstehen nur an der Cathode und bei ihrem Verschwinden nur an der Anode den Vorgang der Erregung einleitete. Vernichtend ferner f\u00fcr alle Theorien, welche die Erregungsleitung auf electrodynamische Einwirkung jeder Molekel auf die Nachbarmolekel zur\u00fcckzuf\u00fchren suchten, w\u00e4re es gewesen, wenn die Lehre von dem lavinenartigen Anschwellen der Erregung sich als sicher erwiesen h\u00e4tte.\nUnter dem Eindruck der letzteren Lehre stellte Pfl\u00fcger1 den Satz auf, dass bei der Fortpflanzung der Erregung nicht eine einfache Mittheilung von Bewegung stattfinden k\u00f6nne, sondern dass noth-wendig jedes Nervenelement im Nachbarelement selbstst\u00e4ndige Spannkr\u00e4fte ausl\u00f6se; denn nur so konnte erkl\u00e4rt werden, dass die freiwerdenden Kr\u00e4fte im folgenden Theilchen gr\u00f6sser ausfallen als die im vorigen waren. Da nun jeder Beiz immer nur einen gewissen Bruchtheil der vorhandenen Spannkr\u00e4fte ausl\u00f6st (welche letzteren sich durch den Stoffwechsel best\u00e4ndig regeneriren), schrieb Pfl\u00fcger den Molec\u00fclen des Nerven eine elastische Molecularhemmung zu. Die Einstellung derselben bedingt den Grad der Erregbarkeit, d. h. den Betrag an Spannkraft, den ein gegebener Reiz auszul\u00f6sen vermag. Im Anelectrotonus wird, so musste weiter angenommen werden, die elastische Kraft der Molecularhemmung vergr\u00f6ssert, im Catelectro-tonus verkleinert; im letzteren Falle bewegt sich die Hemmung so, dass ein Abfluss lebendiger Kraft stattfindet und die Spannkraft abnimmt; im ersteren Falle wird die Spannkraft gesteigert und beim Aufh\u00f6ren des Stromes schnellt die nun wieder in ihre gew\u00f6hnliche Stellung zur\u00fcckkehrende Hemmung \u00fcber die letztere hinaus, so dass nunmehr ein Abfluss stattfindet. Man sieht leicht ein, dass diese schematische Vorstellung mit den Erscheinungen der electrotonischen Erregbarkeits\u00e4nderungen, der Schliessungs- und Oeffnungszuckung, der entsprechenden Tetani u. s. w. im Einkl\u00e4nge ist, und auch das lavinenartige Anschwellen der Erregung erkl\u00e4ren kann, wenn man annimmt, dass die freiwerdenden Kr\u00e4fte eines Nervenelements die Molecularhemmung des n\u00e4chsten soweit verschieben, dass in diesem etwas mehr Kraft frei wird als im ersteren. Die speciellere Ausbildung und modellweise Veranschaulichung dieser Anschauung ist in Pfl\u00fcger\u2019s Werk gegeben.\nDiese Vorstellungen k\u00f6nnen durchaus nicht, wie dies von Einigen geschehen ist, als im Gegensatz zur du Bois\u2019schen Moleculartheorie stehend betrachtet werden, sie haben mit derselben durchaus nichts\n1 Pfl\u00fcger. Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus S. 465. Berlin 1859.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190 Hermann, Alig.Nervenphysiologie. 5. Cap. Theor.Er\u00f6rter.d. Vorg\u00e4nge im Nerven.\nzu thun. Das PFL\u00dcGER\u2019sche Schema will nur die Gr\u00f6ssenverh\u00e4ltnisse der Erregung erkl\u00e4ren; was die Erregung ist, dar\u00fcber sagt es nichts aus. Der chemische Vorgang des Freiwerdens von Spannkr\u00e4ften kann seinerseits all die electrischen Folgen in dem aus du Bois\u2019scken Molec\u00fclen zusammengesetzten Nerven haben, welche gefunden oder vermuthet worden sind.1 In dem einen Punct, wo ein Widerspruch zwischen beiden Theorien besteht, n\u00e4mlich in der verschiedenen Einwirkung des Stromes an der Anode und der Cathode, w\u00e4hrend diese nach der Moleculartheorie gleich sein sollte, besteht der Widerspruch eiben schon durch die Thatsachen der Erregbarkeits\u00e4nderung. Das Unbefriedigende, das die PFL\u00fcGEu\u2019scke Hemmungstheorie hat, theilt sie mit jeder mechanischen Moleculartheorie, welche verwickelte Mechanismen voraussetzt, zu deren directerer Verificirung und fundamentaler Aufkl\u00e4rung jede Aussicht fehlt.\nBernstein'2 hat einen Versuch gemacht die PFL\u00dcGER\u2019sche Theorie weiter auszubilden und directer mit der Moleculartheorie zu vereinigen. Das Princip jener Theorie erfordert n\u00e4mlich, dass die Spannkraft durch Verstellung der Hemmung sich vermehrt oder vermindert ; im Anelectrotonus m\u00fcsste also zwar der Reiz etwas st\u00e4rker sein, um die Hemmung bis zum Freiwerden von Kraft zu verstellen, die freigemachte Kraftmenge aber daf\u00fcr gr\u00f6sser ausfallen; umgekehrt im Catelectrotonus. Bei schwachen Reizen wird nun, meint Bernstein, immer der Einfluss \u00fcberwiegen, dass die Verstellung der Hemmung erschwert oder erleichtert ist, der Reiz wird also im Anelectrotonus schw\u00e4chere, im Catelectrotonus st\u00e4rkere Wirkung haben. Bei maximalen Reizen dagegen falle jener Einfluss ausser Betracht, es komme nur noch auf die Spannkraft an, und so bewirke der Anelectrotonus eine Verst\u00e4rkung, der Catelectrotonus eine Verminderung der Wirkung maximaler Reize.3 Dies glaubte nun Bernstein direct in Zuckungsversuchen beobachtet zu haben, und f\u00fchrt ferner daf\u00fcr die oben S. 165 erw\u00e4hnte Thatsache an, dass die negative Schwankung des L\u00e4ngs-Querschnittsstroms zunimmt, wenn die Strecke zugleich einen gleichsinnigen electrotonischen Zuwachsstrom enth\u00e4lt, d. h. auf der anelectrotonischen Seite eines polarisirenden Stromes liegt, abnimmt im entgegengesetzten Falle. Man sieht aber sogleich, dass letztere Erscheinung eben nur darauf beruht, dass nicht bloss die Reizstelle, sondern auch die abgeleitete Strecke im Bereich des Electrotonus liegt, die Analogie mit den Muskelversuchen also gar nicht vorhanden ist. Die Bernstein\u2019sehen Muskel-\n1\tIn der That haben manche Autoren, welche das PFL\u00dcGER\u2019sche Schema an-nahmen, die Erregung nach wie vor als Schwingung der electromotorischen Molekeln betrachtet; vgl. z. B. v. Bezold & Hirt, Untersuchungen a. d. physiol. Labor, in W\u00fcrzburg I. S. 151. Leipzig 1867 ; Bernstein, Untersuchungen \u00fcber den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsysteme S. 143. Heidelberg 1871.\n2\tBernstein, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 40. 1874.\n3\tEine Unterscheidung zwischen Anspruchsf\u00e4higkeit und Effectgr\u00f6sse des Nerven, freilich nicht mit Aufstellung eines gegens\u00e4tzlichen Verhaltens beider, war schon fr\u00fcher von Munk (vgl. oben S. 121) und von Fick (Untersuchungen \u00fcber electrische Nervenreizung. Braunschweig 1864) ausgesprochen worden.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Moleculare Theorien der Nervenprocesse.\n191\nversuche sind aber nicht nach tadellosen Vergleichungsprincipien angestellt, und ich fand sie, wenn alle Fehlerquellen ausgeschlossen wurden, nicht best\u00e4tigt.1 Die moleculare Theorie des galvanischen Electrotonus, welche Bernstein aufstellt, um klar zu machen, dass die Anziehung und Abstossung der polarisirenden Electroden die Ursache der PFL\u00fcGER\u2019schen Hemmungsverstellung ist, indem die anodischen Molekeln in ihrer Stellung befestigt, die cathodischen labiler gemacht werden, ist schon oben S. 173 f. angedeutet und als unzureichend erwiesen worden, die Kraft der electro-tonischen Zuwachsstr\u00f6me zu erkl\u00e4ren. Schon vorher hatte \u00fcbrigens J. Ranke eine \u00e4hnliche, oben S. 174, Anm. 1 ber\u00fchrte Theorie aufgestellt; nur sollte nach dieser Nervenstrom und Erregbarkeit in einem gewissen gegens\u00e4tzlichen Verh\u00e4ltniss stehen, wie in vager Weise aus der NoBirTschen krampfstillenden Wirkung des constanten Stromes gefolgert wurde; die Bedeutung des aufsteigenden Froschstroms (welcher am unversehrten Thiere gar nicht existirt) ist nach Ranke eine best\u00e4ndige deprimirende Wirkung auf das R\u00fcckenmark.\nSchon (Jie PFL\u00fcGER\u2019sche Theorie war im Grunde ein Versuch die Erregungs- und Leitungserscheinungen im Nerven auf moleculare Vorg\u00e4nge zur\u00fcckzuf\u00fchren, ohne grade auf die electromotorischen Molekeln zu recurriren. Aehnliche Theorien sind noch mehrfach auf-gestellt worden ; und zwar blieb man im Allgemeinen, auch nachdem die Lehre vom lavinenartigen Anschwellen dahingefallen war, bei der Annahme dass jedes Nervenelement im Nachbarelement Spannkr\u00e4fte frei mache, die Leitung also eine Kette von Ausl\u00f6sungsvorg\u00e4ngen sei. In der That ist schon die Erhaltung der Erregungsgr\u00f6sse, auch ohne Zunahme, ein hinreichender Beweis dass nicht einfache Mittheilung von Bewegung vorliegt; ferner w\u00fcrde eine rein kinetische Theorie die Erm\u00fcdungserscheinungen nicht haben erkl\u00e4ren k\u00f6nnen.\nEin rein kinetisches Schema w\u00fcrde vor Allem eine absolut volL kommene Elasticit\u00e4t der Nervenelemente voraussetzen m\u00fcssen. In einer Reihe vollkommen elastischer oder mit vollkommener Elasticit\u00e4t festgehaltener Theilchen w\u00fcrde allerdings ein Stoss, der einem Theilchen -ertheilt ist, sich wellenf\u00f6rmig durch die ganze Reihe fortpflanzen, indem jedes Theilchen seine lebendige Kraft vollst\u00e4ndig an das Nachbartheilchen abgiebt und selber zur Ruhe kommt. Wer aber bei einem solchen Bilde Befriedigung findet, muss doch gestehen dass es mit den Erm\u00fcdungserscheinungen im Widerspruch steht. Sowie die sich wellenf\u00f6rmig fortpflanzende Bewegung eine Ver\u00e4nderung zur\u00fcckl\u00e4sst, kann sie nicht ihre Gr\u00f6sse beibehalten.\nDie Spannkr\u00e4fte, um deren Ausl\u00f6sung es sich demnach handelt, k\u00f6nnen kaum andere als chemische sein. Man war lange geneigt\n1 Hermann. Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 258. 1874.","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192 Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 5. Cap. Theor.Er\u00f6rter. d.Vorg\u00e4nge im Nerven.\nalle chemischen Processe des Organismus sich als Oxydationen vorzustellen; im Jahre 1867 machte ich es f\u00fcr Muskel und Nerv wahrscheinlich, dass die eigentliche functionelle Umsetzung eine Spaltung ist. In diese Anschauung \u00fcbertragen w\u00fcrden also die nunmehr zu er\u00f6rternden Theorien lauten: in jedem erregten Nerventheilchen spaltet sich eine spannkraftf\u00fchrende, gleichsam explosive Substanz, und die Folge dieser Spaltung ist die Ausl\u00f6sung des gleichen Vorgangs im Nachbarelement. Der Vorgang der Nervenleitung w\u00e4re also vergleichbar dem Abbrennen einer Pulverlinie. Um jedoch zu begreifen warum nicht der ganze Vorrath der vorhandenen Spannkr\u00e4fte auf einmal verzehrt wird, wie im eben angef\u00fchrten Beispiel, m\u00fcssen hemmende Einrichtungen irgend welcher Art, wie in der PFL\u00fcGER\u2019schen Theorie, angenommen werden.\nSieht man die nach Pfl\u00fcger aufgestellten Theorien durch, so findet man in allen die bisher angef\u00fchrten theoretischen Elemente verwendet, wenn auch in sehr verschiedenen Combinationen, und bald mit, bald ohne Hineinziehung der electromotorischen Erscheinungen. Eine sehr verwickelte Theorie hat Wundt1 ausgearbeitet, in welcher er seinen oben S. 48 er\u00f6rterten Ergebnissen Reclmuug getragen hat. Indessen enth\u00e4lt dieselbe keine neuen Elemente, welche \u00fcber das oben Gesagte hinausgingen.\nHeidenhain2 hat sich, nachdem er der Lehre vom lavinenartigen Anschwellen der Erregung entgegengetreten war (s. oben S. 1 14), gegen Pfl\u00fc-ger\u2019s Theorien erkl\u00e4rt, indem er die Erwartung aussprach, die du Bois-sche Moleculartheorie w\u00fcrde sich zur Erkl\u00e4rung der Nervenfunctionen ausreichend erweisen. Die Aufkl\u00e4rung der verschiedenen Wirkung des An- und Catelectrotonus erwartete er von einer Ber\u00fccksichtigung der cataphorischen Wirkungen des Stromes. Einen eingehenderen Versuch in letzterer Beziehung unternahm H. Munk.3 Aus der Fl\u00fcssigkeitsverarmung an der Anode und der Zunahme an der Cathode ergebe sich in der Umgebung der ersteren ein vermehrter, in der der letzteren ein verminderter Leitungswiderstand (die extrapolare Ausbreitung dieser Ver\u00e4nderungen ist ein besonders schwacher Punct dieser Speculatlonen). Nach dem Aufh\u00f6ren des Stromes kehre die verlagerte Fl\u00fcssigkeit wieder zur\u00fcck. Dass Munk diesen Widerstands\u00e4nderungen grossen Einfluss auf Eckhard\u2019s und Pfl\u00fcger1 s Resultate zuschreibt, ist schon oben S. 46 erw\u00e4hnt. Er kommt nun aber weiter zu der merkw\u00fcrdigen Theorie, die ganze Nervenerregung auf Fl\u00fcssigkeitsbewegungen zur\u00fcckzuf\u00fchren ; leider ist der Theil des MuNK\u2019schen Werkes, welcher die ausf\u00fchrliche Begr\u00fcndung dieser Theorie enthalten sollte, bisher nicht erschienen; die vorl\u00e4ufigen Mittheilungen sind mir nicht hinl\u00e4nglich klar geworden, oder vielmehr, wenn ich sie richtig verstanden habe, so w\u00e4re die Theorie durch die n\u00e4chstliegenden Einw\u00e4nde sofort zu widerlegen.\n1\tWundt , Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren I. S. 261. Erlangen 1871.\n2\tHeidenhain, Studien d. physiol. Instit. zu Breslau I. S. 63. Leipzig 1861.\n3\tH. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1866. S. 369; Untersuchungen \u00fcber das Wesen der Nervenerregung I. Vorrede und Schluss. Leipzig 1868.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Moleculare Theorien der Nervenprocesse. Nicht moleculare Theorien. 193\nIY. Anhaltspunkte f\u00fcr eine Theorie der NerYenfunctionen.\nDie Beseitigung der molecularen Theorie des Nervenstroms, des Actionsstroms und des Electrotonus, ferner die Erkenntniss des Ablaufs der Actionsstromwelle im polarisirten Nerven, sind Momente welche auf neue Wege zum Verst\u00e4ndniss der Nervenfunctionen hin-weisen.\nMan k\u00f6nnte vor Allem versucht sein, rein chemische Theorien der Erregung aufzustellen. Wir haben gesehen dass Manches f\u00fcr die Annahme spricht, dass die Nervenfaser eine \u00e4usserst unbest\u00e4ndige, gleichsam explosive Substanz enth\u00e4lt, welche sich auf den leisesten Anstoss (Reiz) spaltet. Es w\u00e4re nicht unm\u00f6glich sich Verkettungen vorzustellen, durch welche diese Spaltung sich schnell von Theilchen zu Theilchen fortpflanzt, etwa wie in einer abbrennenden Pulverlinie. Aber mag auch an dieser Vorstellung1 etwas Richtiges sein, so fehlt doch jedenfalls noch ein fundamental wichtiges Glied; warum n\u00e4mlich spaltet sich auf den Anstoss des Reizes nicht der ganze Vorrath jeder Stelle, sondern nur ein der Reizgr\u00f6sse ann\u00e4hernd proportionaler Antheil? Es muss also die Verkettung l\u00e4ngs des Nerven der Art sein, dass sie nicht allein den Process weiter leitet, sondern ihn auch an Ort und Stelle quantitativ beschr\u00e4nkt.\nSehen wir nun, ob nicht die bereits bekannten Thatsachen auf eine solche Verkettung hinleiten.\nUnzweifelhaft sind die beiden wichtigsten S\u00e4tze der allgemeinen Nervenphysik das Gesetz der electrischen Erregung und das Gesetz des Actionsstroms.\nDas erstere Gesetz lautet: Eine Nervenstelle wird erregt wenn in ihr Catelectrotonus zunimmt oder Anelectrotonus abnimmt. Der Umstand dass jede einzelne Faser f\u00fcr sich ihre Anode und Cathode im physiologischen Sinne hat, mehr noch derjenige, dass der Nerv zwischen Kern und H\u00fclle der Fasern polarisirbar ist, lehrt dass die durch den Electrotonus bedingte erregende Ver\u00e4nderung an dieser Grenze ihren Sitz haben muss, so dass man das Gesetz auch aus-dr\u00fccken kann: Ein Faserquerschnitt wird erregt, wenn seine negative Polarisation zu- oder seine positive abnimmt.\nDas Gesetz des Actionsstroms lautet: Jeder erregte Faserquerschnitt verh\u00e4lt sich negativ gegen einen weniger oder nicht erregten. Beziehungen zwischen der Gr\u00f6sse der electromotorischen Kraft und der der Erregungsdifferenz sind bisher nicht bekannt.\n1 Ich habe dieselbe 1867 in meinen Untersuchungen \u00fcber Muskeln und Nerven entwickelt.\nHandtuch der Physiologie. Bd. II.\n13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194 Hermann, Allg. Nerv enphysiologie. 5.Cap. Theor.Er\u00f6rter.d.Vorg\u00e4ngeimNerven.\nBetrachten wir nun die Vorg\u00e4nge in der Umgebung einer prim\u00e4r erregten Stelle (E in Fig. 26). Der Reiz hat in ihr diejenige Ver\u00e4nderung hervorgebracht, durch welche sie gegen ihre Nachbarschaft negativ wird. Es entstehen die durch die Pfeilb\u00f6gen Claris gestellten Str\u00f6me, welche wir uns in n\u00e4chster N\u00e4he ungemein intensiv vorstellen m\u00fcssen, da, bei ziemlich betr\u00e4chtlicher\n\u00bb\u00a3\t\u00efndineinerrD\u00e2b- electromotorischer Kraft, die Widerst\u00e4nde\nsterbenden Fasersteile. wegen der microscopischen Dimensionen\nsehr gering sind. Diese Str\u00f6me treten in der ruhenden Nachbarschaft aus dem Kern in die H\u00fclle aus, und an der erregten Stelle selbst in den Kern ein. Die ruhende Substanz wird also negativ, die erregte positiv polarisirt ; erstere wird demnach beim Entstehen des Actionsstroms noth wendig erregt, an letzterer k\u00f6nnte m\u00f6glicherweise eine Beruhigung durch die positive Polarisation eingeleitet werden. In diesen einfachen und thats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnissen liegt wie es scheint der Keim zu einer zuk\u00fcnftigen ersch\u00f6pfenden Theorie der Nerven-functionen und zu einer Erkenntniss der wahren Bedeutung der thie-rischen Electricit\u00e4t.1\nVor der Hand ist jedoch die Durchf\u00fchrung einer solchen Theorie noch nicht m\u00f6glich; es fehlen noch mannigfache Zwischenglieder, ehe man zu einer partiellen Differentialgleichung gelangt, welche etwa der des Schalles analog w\u00e4re. Versucht man nur zun\u00e4chst das Pfluger\u2019scIic Erregungsgesetz mathematisch zu formuliren, so st\u00f6sst man sogleich auf eine eigen-th\u00fcmliche Schwierigkeit. Anscheinend w\u00e4re der einfachste Ausdruck des oben formulirten Gesetzes\tdp\ne==~a'~di~\\\nworin e die momentane Erregung, p der Polarisationszustand eines Ner-venquerschnitts und a eine Constante. Allein diese Gleichung w\u00fcrde verlangen, dass den beiden nicht erregenden Acten, Entstehung positiver und Schwinden negativer Polarisation, ein negatives \u20ac, eine der Erregung entgegengesetzte Ver\u00e4nderung des Nerven entspr\u00e4che. Freilich hat Wundt (s. oben S. 48) zu beweisen gesucht, dass von der Anode bei der Schliessung eine \u201eHemmungswelle\u201c ausgehe, die man in diesem Sinne verwerthen k\u00f6nnte. Allein ich selbst habe in einer 1873 und 1875 angestellten (nicht publicirten) Untersuchung mich \u00fcberzeugt, dass wenigstens ein galvanisch nachweisbarer Vorgang im Nerven, den man als negative Erregung bezeichnen k\u00f6nnte, den nicht erregenden Acten nicht entspricht. Mittels eines rotirenden Commutators wurde der L\u00e4ngsquerschnittsstrom des Nerven dem Galvanometer entweder nur w\u00e4hrend der Schliessungen oder nur w\u00e4hrend der Oeffnungen eines Reizstroms zugeleitet, welcher letztere das andre Ende des Nerven durchfloss und durch den Commutator ab-\n1 Vgl. die Anmerkung 1 zu Band I. S. 256.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie cler Nervenprocesse.\n195\nwechselnd geschlossen und ge\u00f6ffnet wurde. Bei mittleren Str\u00f6men trat bei jeder Richtung des Reizstroms sowohl bei der Oeffnung wie bei der Schliessung negative Schwankung des Nervenstroms auf; bei starken Str\u00f6men dagegen blieb dieselbe aus bei der Schliessung des weggewandten und bei der Oeffnung des zugewandten Stromes, d. h. es zeigte sich einfach das PFL\u00fcGER\u2019sche Erregungsgesetz best\u00e4tigt, und es ging von der Anode bei der Schliessung und von der Cathode bei der Oeffnung kein Vorgang aus, der irgend einen, etwa dem der Erregung entgegengesetzten Einfluss auf den Nervenstrom gehabt h\u00e4tte. Um ferner ein noch empfindlicheres Reagens anzuwenden, wurde statt des L\u00e4ngsquerschnittsstroms ein den Nerven durchfliessender starker Strom jedesmal der Boussole mit einem Zweige zugeleitet (vgl. oben S. 165); dieser Strom zeigte ebenfalls nur in den dem PFL\u00fcGER\u2019schen Gesetz entsprechenden Erregungsf\u00e4llen die a. a. 0. besprochene positive Schwankung, und in den beiden anderen F\u00e4llen gar keine Ver\u00e4nderung, wenn der Reizstrom stark genug war. Diese Versuche stehen zu den Aufstellungen Wundt\u2019s in einem gewissen Gegensatz.\nEin einfaches Polarisationsschema gen\u00fcgt \u00fcberhaupt, wie man schon jetzt sehen kann, der gestellten Aufgabe nicht; es w\u00fcrde bestenfalls zu einer der W\u00e4rmegleichung analogen Differentialgleichung f\u00fchren. Offenbar spielt die Eigenschaft des Nervenr\u00f6hreninhalts, durch Anst\u00f6sse im negativen Sinn galvanisch wirksam zu werden, auch f\u00fcr die Polarisationserscheinungen im Nerven eine entscheidende Rolle, so dass die Aussicht eine ersch\u00f6pfende Theorie zu liefern, in weite Ferne ger\u00fcckt wird. Es ist daher auch ein tiefes Missverst\u00e4ndniss der Theorie des Electrotonus, wenn man annimmt, dass sie zugleich den Schl\u00fcssel zur Erkl\u00e4rung der Erregungserscheinungen liefern m\u00fcsse. Der Platindraht mit seiner feuchten Umh\u00fcllung ist kein Modell des erregbaren Nerven, sondern nur ein solches der electrotonischen Eigenschaften.1 K\u00f6nnte man als Kern, oder auch als H\u00fclle dieses Modells eine Substanz w\u00e4hlen, welche durch Anst\u00f6sse zersetzt und galvanisch wirksam wird, so w\u00e4re es nicht undenkbar, dass auch die Erregungserscheinungen, soweit sie der Nerv an sich zeigt, d. h. wellenf\u00f6rmige Fortleitung einer galvanischen Phase, und Increment derselben an fest polarisirten Stellen, k\u00fcnstlich reproducirt w\u00fcrden.\nDer oben S. 165 er\u00f6rterte Satz vom polarisatorischen Increment der Erregung, welcher aus gewissen Thatsachen abgeleitet und durch directe Versuche best\u00e4tigt wurde, spricht entschieden zu Gunsten der Anschauung, dass die Fortleitung der Erregung im Nerven ein wesentlich galvanischer Vorgang ist. Liegt die Ursache dieser Fortpflanzung in den Actionsstr\u00f6men der Fig. 26, so ist es begreiflich, dass die Erregung schw\u00e4cher wird, wenn sie zu Stellen fortschreitet, die schon an sich durch feste Polarisation negativ sind, und dass sie im entgegengesetzten Fall zunimmt; der erregende Actionsstrom ist im ersten Falle schw\u00e4cher, im zweiten st\u00e4rker als im nicht polarisirten Nerven.\nSchliesslich noch einige Bemerkungen \u00fcber das Wesen der Erregbarkeitserscheinungen im polarisirten Nerven. Auch diese zeigen sich in ganz anderem Lichte durch den zuletzt genannten Satz. Man kann sich die Wirkung desselben am besten veranschaulichen, wenn man (Fig. 27) die\nl Missverst\u00e4ndnisse dieser einfachen Sache sind neuerdings vorgekommen.\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196 Hermann. Allg. Nervenphysiologie. 5. Cap. Theor. E r\u00f6rt er. cl .Vorg\u00e4nge im N erven.\nCurve der Polarisationen so zeichnet, dass die negativen Ordinaten nach oben, die positiven nach unten gehen. Denkt man sich nun eine Kugel e, welche l\u00e4ngs der Polarisationscurve abrollt, und welcher eine bestimmte\nlebendige Kraft ertheilt ist, deren Gr\u00f6sse die Erregung darstellt, so ist klar, dass diese Kraft bei der Ann\u00e4herung an die Anode zunimmt, bei der Ann\u00e4herung an die Cathode abnimmt; sie erreicht an ersterer ein Maximum, an letzterer ein\nFi\u00a7. 2/. Zur Erl\u00e4uterung des Satzes vom polarisatorisclien MininillTn ^Vfl\u2019d die iKugel bei\ngleicher Kraft statt auf einen Punct von der Polarisation Null auf irgend einen andern aufgesetzt, so langt sie am Ende des Nerven mit vergr\u00f6sserter Kraft an, wenn sie auf ein hohes (catelectrotonisches) Niveau aufgesetzt war, mit verminderter, wenn sie von einem anelectrotonischen Niveau ausging. Man sieht also, dass die Versuche von Eckhard und Pfl\u00fcger sich auch ohne Annahme localer Erregbarkeits\u00e4nderungen, lediglich durch das polarisatorische Increment, erkl\u00e4ren lassen. Ferner findet man sofort, dass die Erregung die Cathode in manchen F\u00e4llen nicht erreichen kann, dann n\u00e4mlich, wenn die Polarisation stark oder die Erregung schwach ist; die Kugel kann dann den Gipfel des catelectrotonischen Berges nicht erreichen. So erkl\u00e4rt sich erstens das Ausbleiben der Zuckung bei suprapolarer catelec-trotonischer Reizung ebensogut wie durch die bisherige Annahme, dass der Anelectrotonus den Nerven leitungsunf\u00e4hig macht (s. oben S. 64); zweitens habe ich direct nachgewiesen dass bei starker Polarisation die Erregungen an der Cathode, und nicht an der Anode scheitern.1 Dass unter Umst\u00e4nden auch der Anelectrotonus die Erregung unterdr\u00fccken kann, lehrt folgende Betrachtung: die Erregung kann ein gewisses Maximum nicht \u00fcberschreiten, der Anelectrotonus kann aber so stark sein, dass beim Weitergehen die an der Anode maximale Erregung bis Null abnimmt, ehe sie das Ende des Nerven erreicht.\nOben S. 181 ist gezeigt worden, dass der Nerv in der N\u00e4he eines k\u00fcnstlichen Querschnitts in best\u00e4ndigem Catelectrotonus ist. Eine hier entspringende Erregung muss demnach im Muskel verst\u00e4rkt anlangen (s. S. 117). Ebenso muss eine dem Querschnitt sich n\u00e4hernde Erregungswelle schon vor Erreichung desselben best\u00e4ndig abnehmen, also der Demarcationsstrom auch dann eine negative Schwankung machen, wenn der letzte noch lebende Faserquerschnitt an der Erregung theilnimmt. Derjenige dem Demarcationsstrom gleich gerichtete Strom, der die negative Schwankung grade annullirt (s. oben S. 166), ist ohne Zweifel derjenige, welcher den Faserkernen ah der L\u00e4ngsschnittselectrode den gleichen Grad von Negativit\u00e4t verleiht, welchen der letzte noch lebende Querschnitt besitzt.\nWeiter in theoretische Betrachtungen einzutreten, ist bei dem jetzigen Standpunct unsrer Kenntnisse nicht rathsam.\nK\n1 Hermann. Arch. f. d. ges. Physiol. VII. S. 354. 1873; X. S. 226. 1875; vgl. auch oben S. 166, 167.","page":196}],"identifier":"lit36689","issued":"1879","language":"de","pages":"1-196","startpages":"1","title":"Erster Theil: Allgemeine Nervenphysiologie","type":"Book Section","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:39:45.596284+00:00"}

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