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{"created":"2022-01-31T15:11:25.786452+00:00","id":"lit36696","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 3: Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Hering, Ewald","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 3: Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane, edited by Ludimar Hermann, 440-448. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"NACHTRAG\nzu Band III. Theil 1.\nlieber Irradiation.\nIm Anschl\u00fcsse an das im VI. Capitel des I. Theils der Physiologie des Gesichtsorganes Besprochene sind noch einige Erscheinungen zu er\u00f6rtern, welche ebenfalls dadurch bedingt sind, dass die von einem Aussenpunkte kommenden Strahlen sich nicht streng in einem Punkte der Netzhaut sammeln. Da dies auch dann gilt, wenn das Auge f\u00fcr die Entfernung des leuchtenden Punktes m\u00f6glichst genau accommodirt ist, so folgt, dass sich auch in diesem Falle jeder Aussenpunkt auf der Netzhaut nicht als Punkt, sondern als eine kleine Fl\u00e4che, jede Grenzlinie zweier verschieden heller Fl\u00e4chen nicht als Linie, sondern als ein verwaschener Streifen abbildet, in welchem sich die gr\u00f6ssere Helligkeit der einen Fl\u00e4che in die mindere Helligkeit der andern allm\u00e4hlich abstuft. Dieses durch Aberration der Lichtstrahlen erzeugte Zwischengebiet, welches im Netzhautbilde den scharfen Contur des Aussendinges vertritt, nennen wir das Aberrationsgebiet. Wir unterscheiden dasselbe vom Zerstreuungsgebiete, welches sich bildet, wenn das Auge mangelhaft accommodirt ist. Begreiflicherweise besteht zwischen beiden kein durchgreifender Unterschied, doch ist es f\u00fcr das Folgende wesentlich, beide zu trennen, weil die Zerstreuung sich durch genaue Accommodation beseitigen l\u00e4sst, die Aberration aber auch dann noch fortbesteht.\nDenken wir uns die Netzhaut als eine Ebene und auf jeden Punkt derselben eine Senkrechte aufgesetzt, deren L\u00e4nge die Intensit\u00e4t der Bestrahlung des zugeh\u00f6rigen Netzhautpunktes darstellt, so giebt uns die Gesammtheit der oberen Endpunkte aller dieser Ordinaten eine Fl\u00e4che, welche Mach1 als die Lichtintensit\u00e4tsfl\u00e4che oder Licht fl\u00e4che bezeichnet hat, w\u00e4hrend er unter Empfin-d un g s fl\u00e4che die Fl\u00e4che versteht, welche man erh\u00e4lt, wenn man die genannten Ordinaten denjenigen Helligkeiten proportional macht, mit welchen die entsprechenden Bildpunkte erscheinen.\n1 Mach, Sitzgsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LIY. 1866.","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"Nachtrag zu Band III. Theil 1. Irradiation.\n441\nSetzen wir den Fall, dass die gerade Grenzlinie zwischen einer weissen und einer absolut dunklen Fl\u00e4che sich auf der Netzhaut abbildet. Die Linie beg (Fig. B) sei ein Durchschnitt der Netzhaut, welcher senkrecht zur Richtung des jener Grenzlinie entsprechenden Aberrationsstreifens gef\u00fchrt ist. W\u00e4re das Netzhautbild der Grenzlinie absolut scharf, so w\u00fcrde dasselbe in c seinen Durchschnitt\nTi\nhaben, und das Bild der hellen Fl\u00e4che in unver\u00e4nderter objectiver Helligkeit bis zu diesem Punkte reichen, rechts von c aber die Netzhaut absolut dunkel sein. Stellt die Ordinate ba die Intensit\u00e4t der Bestrahlung vor, so w\u00fcrde demgem\u00e4ss die Lichtfl\u00e4che horizontal \u00fcber a hinaus bis cl verlaufen und hier senkrecht zur Abscisse nach c ab-fallen. In Wirklichkeit aber beginnt wegen der Aberration die Lichtfl\u00e4che schon bei a zu fallen und senkt sich nur allm\u00e4hlich, so dass sie erst bei g zur Abscisse gelangt. Die Curve af g stellt den Durchschnitt der Lichtfl\u00e4che nach Helmholtz dar unter der Voraussetzung, dass die Aberration nur eine chromatische und das Auge f\u00fcr die Strahlen mittler Brechbarkeit accommodirt ist. Genau l\u00e4sst sich \u00fcbrigens die Form der Lichtfl\u00e4che im Aberrationsgebiete bis jetzt nicht entwickeln. Den Durchschnitt der Lichtfl\u00e4che eines Zerstreuungsgebietes stellt nach Helmholtz die Curve a g in Fig. A dar.\nSowohl das Aberrations- als das Zerstreuungsgebiet bildet sich, wie man sieht, stets auf Kosten beider Fl\u00e4chen, und hieran \u00e4ndert sich nichts Wesentliches, wenn die eine Fl\u00e4che nicht absolut dunkel, sondern nur minder hell als die andre angenommen wird. Dann geht die Lichtfl\u00e4che nicht bis zur Abscisse herab, sondern verl\u00e4uft, nach ihrer Absenkung im Aberrationsgebiete, parallel zur Abscissenebene weiter in einem, der Helligkeit der minder hellen Fl\u00e4che entsprechenden Abstande von der Abscissenebene.\nDas Aberrationsgebiet ist nie so schmal, dass schon seine Feinheit die r\u00e4umliche Unterscheidung ausschl\u00f6sse, vielmehr hat es immer","page":441},{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"442\nNachtrag zu Band III. Theil 1.\neine relativ betr\u00e4chtliche Breite. Dass wir es gleichwohl in den meisten F\u00e4llen nicht sehen, hat seinen Grund darin, dass die Helligkeit der Empfindung der Lichtintensit\u00e4t nicht proportional ist und daher die Empfindungsfl\u00e4che eine andre Form hat als die Lichtfl\u00e4che.\nZun\u00e4chst ist zu bedenken, dass Unterschiede der Lichtintensit\u00e4t, wenn sie unter einer gewissen Gr\u00f6sse bleiben, \u00fcberhaupt nicht wahrgenommen werden, wobei besonders in Betracht kommt, dass die noch eben merklichen Unterschiede um so gr\u00f6sser sein m\u00fcssen, je gr\u00f6sser die Intensit\u00e4ten selbst sind. Daher m\u00fcsste der bei a Fig. B beginnenden Absenkung der Lichtfl\u00e4che keineswegs auch eine ebenda beginnende Absenkung der Empfindungsfl\u00e4che entsprechen, vielmehr die scheinbare Helligkeit noch eine Strecke \u00fcber a hinaus unver\u00e4ndert bleiben. Ebenso m\u00fcsste die dunkle Empfindung nicht erst bei g, sondern bereits diesseits g beginnen. Schon deshalb also m\u00fcsste das Aberrationsgebiet f\u00fcr die Wahrnehmung verschm\u00e4lert werden, und wenn die Lichtfl\u00e4che wirklich die in Fig. B dargestellte Form h\u00e4tte, so m\u00fcsste sich dort, wo das Aberrationsgebiet an die hellere Fl\u00e4che grenzt, ein gr\u00f6sserer Theil desselben der Wahrnehmung entziehen, als da, wo es an die dunkle Fl\u00e4che grenzt. Denn an der ersteren Stelle sind die absoluten Lichtintensit\u00e4ten viel gr\u00f6sser, und w\u00fcrden deshalb auch viel gr\u00f6ssere Intensit\u00e4tsunterschiede untermerklich werden, worauf schon Helmholtz1 hingewiesen hat.\nDie Begrenztheit unsres UnterscheidungsVerm\u00f6gens f\u00fcr Lichtintensit\u00e4ten m\u00fcsste also auf jeder Seite des Irradiationsgebietes einen Theil desselben der Wahrnehmung entziehen und zwar einen gr\u00f6sseren auf der helleren, einen kleineren auf der dunklen oder minder hellen Seite. W\u00e4ren nun die beiden Fl\u00e4chen in ihrer Lichtintensit\u00e4t \u00fcberhaupt nicht sehr verschieden, so w\u00fcrde vielleicht das f\u00fcr die Wahrnehmung \u00fcbrigbleibende Mittelst\u00fcck des Irradiationsgebietes so schmal werden k\u00f6nnen, dass eine r\u00e4umlich gesonderte Wahrnehmung desselben \u00fcberhaupt unm\u00f6glich w\u00fcrde. Dabei w\u00e4re zu bedenken, dass, je gr\u00f6sser die absoluten Lichtintensit\u00e4ten der beiden verschieden hellen Fl\u00e4chen sind, um so gr\u00f6sser auch ihre Intensit\u00e4tsunterschiede sein k\u00f6nnten.\nAber es kommt noch ein zweiter, zuerst von Aubert 2 ber\u00fccksichtigter und durch die Untersuchungen Mach\u2019s (1. c.) und Hering\u2019s 2 3 genauer festgestellter Umstand in Betracht.\nWo immer auf der Netzhaut das Bild einer helleren Fl\u00e4che in\n\u00bb\n1\tHelmholtz, Physiol. Opt. \u00a7 21.\n2\tAubert, Physiol, cl. Netzhaut. \u00a7. LOI. 1S65.\n3\tHering, Sitzgsber. d. Wiener x\\cacl. 3. Abth. LXIX. 1874.","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"Irradiation.\n443\ndas einer minder hellen oder dunklen Fl\u00e4che \u00fcbergeht, ist die scheinbare Helligkeit nicht mehr nach demselben Gesetze von der Lichtintensit\u00e4t abh\u00e4ngig, wie auf gleichm\u00e4ssig hellen Fl\u00e4chen, sondern folgt einem besonderen Gesetze. An der Grenze zwischen Hellem und Dunklem wird n\u00e4mlich das Helle heller, das Dunkle dunkler empfunden als wie es den Lichtintensit\u00e4ten entspricht. Wenn also bei a (Fig. B) die Lichtintensit\u00e4t in Wirklichkeit abnimmt, so wird diese Abnahme mehr oder weniger compensirt durch einen, auf der Contrastwirkung beruhenden, rein subjectiven Helligkeitszuwuchs, und da dieser mit der Ann\u00e4herung an die dunklere Fl\u00e4che w\u00e4chst, so wird die Absenkung der Lichtfl\u00e4che im Aberrationsgebiete durch einen ansteigenden Zuwuchs der scheinbaren Helligkeit bis zu einer gewissen Grenze ausgeglichen. Auf diese Weise erstreckt sich die scheinbare Helligkeit der helleren Fl\u00e4che ohne Abnahme oder sogar mit einer gewissen Zunahme mehr oder weniger weit in das Aberrationsgebiet hinein. Das Analoge findet von der andern Seite her statt. Die von g nach links hin ansteigende objective Helligkeit wird durch einen Zuwuchs des subjectiven Dunkels, d. i. durch einen negativen Helligkeitszuwuchs bis zu einer gewissen Grenze mehr oder weniger genau compensirt, und dadurch der objective Helligkeitszuwuchs unmerklich gemacht, so dass sich f\u00fcr die Wahrnehmung die mindere Helligkeit oder die Dunkelheit unver\u00e4ndert noch eine Strecke \u00fcber g hinaus in das Aberrationsgebiet hinein fortsetzt. So wird das letztere von beiden Seiten her f\u00fcr die Wahrnehmung verschm\u00e4lert und derselben mehr oder weniger vollst\u00e4ndig entzogen, daher im Anschauungsbilde beide Fl\u00e4chen wieder eine scharfe Grenzlinie erhalten.\nDie Lage dieser subjectiven Grenzlinie entspricht aber durchaus nicht nothwendig der Stelle, an welcher sie erscheinen m\u00fcsste, wenn das Netzhautbild der Grenzlinie ein absolut scharfes w\u00e4re, welchen Falls es nach c Fig. B zu liegen k\u00e4me, und ein Aberrationsgebiet gar nicht vorhanden w\u00e4re. Vielmehr wird es einerseits von der Form der Lichtfl\u00e4che im Aberrationsgebiete und von der absoluten H\u00f6he ihrer Ordinaten, anderseits von der Grosse der durch den Contrast bedingten positiven und negativen Zuw\u00fcchse der scheinbaren Helligkeit abh\u00e4ngen, an welche Stelle des Aberrationsgebietes die scheinbare Grenze zwischen beiden Fl\u00e4chen zu liegen kommt. Denn diese Zuw\u00fcchse sind keineswegs blos von der Form und H\u00f6he der Lichtfl\u00e4che, sondern sehr wesentlich auch von der Beleuchtung der gesammten \u00fcbrigen Netzhaut bedingt, ohne dass sich freilich bis jetzt das Gesetz dieser Abh\u00e4ngigkeit genauer formuliren und f\u00fcr jeden","page":443},{"file":"p0444.txt","language":"de","ocr_de":"444\nNachtrag zu Band III. Theil 1.\nEinzelfall entwickeln l\u00e4sst. Nur einiges Allgemeine l\u00e4sst sich schon jetzt dar\u00fcber sagen.\nDie einer beliebigen Netzhautstelle entsprechende Empfindung des Dunklen oder Schwarzen ist um so st\u00e4rker, oder anders gesagt, die scheinbare Helligkeit ist um so kleiner, je st\u00e4rker die \u00fcbrige Netzhaut und insbesondere die Nachbarschaft jener Stelle beleuchtet ist; umgekehrt ist die scheinbare Helligkeit einer Netzhautstelle um so gr\u00f6sser, je weniger die \u00fcbrige Netzhaut und insbesondere die Nachbarschaft der Stelle bestrahlt ist. Daraus ergiebt sich, dass die scheinbare Grenzlinie zweier verschieden hellen Fl\u00e4chen im Aberrationsgebiete um so weiter nach der dunkleren Fl\u00e4che hinr\u00fccken wird, je weniger Licht auf die \u00fcbrige Netzhaut f\u00e4llt, w\u00e4hrend die scheinbare Grenzlinie um so n\u00e4her der helleren Fl\u00e4che liegen wird, je st\u00e4rker die Bestrahlung der \u00fcbrigen Netzhaut ist; denn ersterenfalls ist die Helligkeit, letzterenfalls die Dunkelheit der Empfindung beg\u00fcnstigt.\nDie je nach den Beleuchtungsverh\u00e4ltnissen verschiedene Lage der scheinbaren Grenzlinie zweier verschieden hellen Fl\u00e4chen muss entsprechende Verschiedenheiten der Sehgr\u00f6sse (scheinbaren Gr\u00f6sse) zur Folge haben, insbesondere wenn eine rings umgrenzte kleinere Fl\u00e4che auf einer grossen helleren oder dunkleren Fl\u00e4che erscheint; und diese Verschiedenheiten der Sehgr\u00f6sse werden relativ um so gr\u00f6sser sein m\u00fcssen, je kleiner die begrenzte Fl\u00e4che ist.\nDie durch die Aberration bedingten Aenderungen des scheinbaren Ortes der Conturen und der Sehgr\u00f6sse bezeichnet man als Irradiationserscheinungen und zwar hat Volkmann 1 die Irradiation positiv genannt, wenn das Hellere auf Kosten des minder Hellen vergr\u00f6ssert erscheint, negativ dagegen, wenn das Minderhelle oder Dunkle auf Kosten des Hellen vergr\u00f6ssert ist. Er stellte z. B. eine weisse mit schwarzen Parallellinien bezogene Tafel vor sich auf. Die Linien waren genau 1 mm breit und eben so breit ihre weissen Zwischenr\u00e4ume. Dicht vor der Tafel befand sich eine sehr d\u00fcnne, verschiebbare, zur einen H\u00e4lfte weisse, zur andern schwarze Platte, in welche viereckige Fenster eingeschnitten waren. Durch ein grosses Fenster der weissen H\u00e4lfte der Platte sah man 10 schwarze und 10 weisse Linien, und hiebei erschienen die schwarzen Linien der Wirklichkeit entsprechend gleichbreit wie die weissen. Ferner sah man durch ein kleines Fenster der weissen H\u00e4lfte nur zwei schwarze Linien mit ihrem weissen Zwischenr\u00e4ume, also zwei\n1 A. W. Volkmann, Physiol. Untersuch, im Gebiete der Optik. I. Heft. S. 1. Leipzig 1863.","page":444},{"file":"p0445.txt","language":"de","ocr_de":"Irradiation.\n445\nschwarze Linien auf einem weit ausgebreiteten weissen Grunde. Hier schienen die schwarzen Linien doppelt so breit, wie die weisse Zwischenlinie (negative Irradiation). Endlich erblickte man durch ein kleines Fenster der schwarzen H\u00e4lfte der Scheibe nur zwei weisse Linien mit ihrem schwarzen Zwischenr\u00e4ume, also zwei weisse Linien auf weit ausgebreitetem schwarzen Grunde; hier erschienen nun umgekehrt die weissen Linien doppelt so breit wie ihr schwarzer Zwischenraum (positive Irradiation). Dieser Versuch zeigt den grossen Einfluss, welchen die Helligkeit oder Dunkelheit der n\u00e4chsten Umgebung des beobachteten Objectes auf die Irradiationserscheinungen hat.\nDie Irradiationsgr\u00f6sse, d. h. der auf Kosten der einen Fl\u00e4che stattfindende Zuwuchs der scheinbaren Gr\u00f6sse der anderen Fl\u00e4che l\u00e4sst sich messen, und wir verdanken Volkmann (1. c.) und Aubert (1. c.) zahlreiche genaue Messungen derselben. Wenn man z. B. den einen von zwei gleichschmalen schwarzen Parallelstreifen vor einem weissen Grunde, oder den einen von zwei weissen Streifen vor einem schwarzen Grunde verschiebbar macht, so kann man denselben so einstellen, dass der Zwischenraum zwischen beiden Streifen gerade so breit erscheint als jeder Streifen. Man begeht dann in den meisten F\u00e4llen einen positiven Fehler, welcher das Maass der Irradiation ist. Da die Vergleichung hierbei bis zu einer gewissen Grenze um so genauer, die Messung der Streifen und ihres Zwischenraumes aber um so schwieriger wird, je schm\u00e4ler die Streifen sind, so bediente sich Volkmann relativ breiter Streifen, welche er auf optischem Wege verkleinerte. Er nannte das hierzu benutzte Instrument das Makroskop. Volkmann hat auf Grund seiner Messungen eine Reihe von S\u00e4tzen aufgestellt, deren wichtigste die folgenden sind: \u201eDie Gr\u00f6sse der Irradiation ist von der Gr\u00f6sse des Netzhautbildes abh\u00e4ngig, und es ver\u00e4ndern sich beide in entgegengesetzter Richtung.\u201c Doch wurde dies nur f\u00fcr die Irradiation sehr kleiner Objecte festgestellt. \u201eWeisse Linien auf schwarzem Grunde irradiiren st\u00e4rker, als schwarze Linien auf weissem Grunde. \u201c\t\u201e Die\nIrradiationsgr\u00f6sse ist von dem Unterschiede der Lichtst\u00e4rke des Objects und des Grundes abh\u00e4ngig.\u201c \u201eDie (negative) Irradiation wird durch die geringste Erm\u00fcdung des Auges vergr\u00f6ssert. \u201c Aubert (1. c.) hat in eingehender Weise diese Ergebnisse Volkmann\u2019s controlirt und best\u00e4tigt und aus der Contrastwirkung erkl\u00e4rt.\nDer Astigmatismus hat nothwendig einen wesentlichen Einfluss auf die Irradiation, weil durch ihn das Aberrationsgebiet nach verschiedenen Richtungen verschieden breit, in einer bestimmten Richtung minimal, in der darauf senkrechten maximal wird. Dem ent-","page":445},{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446\nNachtrag zu Band III. Theil 1.\nsprechend muss auch die Irradiationsgr\u00f6sse in verschiedenen Richtungen verschieden sein, und es kann z. B., wie Fick1 zeigte, ein kleines Quadrat als Rechteck mit ungleichen Seiten, ein kleiner Kreis elliptisch erscheinen u. dgl. m. Auch die durch den Bau der Linse bedingte strahlige Form des Aberrationsgebietes macht sich oft genug geltend und verzerrt die Form kleiner Figuren und Muster in entsprechender Weise.\nAlle Irradiationserscheinungen werden durch Beschr\u00e4nkung der Aberration gemindert, daher ein vor das Auge gesetztes sehr kleines Diaphragma sie mehr oder minder vollst\u00e4ndig beseitigt, wobei freilich auch die Minderung der Lichtst\u00e4rke mit in Betracht zu ziehen ist.\nWir haben bis hierher eine m\u00f6glichst genaue Accommodation vorausgesetzt. Wenn dieselbe nicht gegeben ist, so gilt vom Zerstreuungsgebiete dasselbe wie vom Aberrationsgebiete; ein scharfer Unterschied zwischen beiden existirt im Grunde \u00fcberhaupt nicht. Auch sind meist die Irradiationserscheinungen infolge ungenauer Accommodation mit denen zusammengeworfen worden, welche sich auch dem accommodirten Auge zeigen. Die ersteren haben, weil sie viel auffallender sind, die Aufmerksamkeit zuerst auf sich gelenkt, und man hat sich fr\u00fcher fast ausschliesslich mit ihnen besch\u00e4ftigt. Gegenw\u00e4rtig, wo uns die Ursachen der Irradiation genauer bekannt sind, kn\u00fcpft sich an die Irradiation durch mangelhafte Accommodation ein viel geringeres Interesse, als an diejenige, welche die Folge der auch im accommodirten Auge stattfindenden Aberration ist und das Maass der Sehsch\u00e4rfe wesentlich mit bestimmt. Bei mangelhafter Accommodation wird das Zerstreuungsgebiet meist als solches ge-sehn, die Objecte erhalten verwaschene Umrisse, und genaue Messungen der Irradiationsgr\u00f6sse sind dann nicht m\u00f6glich; auch mischt sich sehr bald die Polyopie der Conturen st\u00f6rend ein.\nDie positive Irradiation ist meist auff\u00e4lliger und kommt auch h\u00e4ufiger zur Beobachtung als die negative, auf welche \u00fcberhaupt erst Volkmann aufmerksam gemacht hat. Die Fixsterne erscheinen auch bei m\u00f6glichst genauer Accommodation als kleine leuchtende Fl\u00e4chen, deren Durchmesser mit der Leuchtkraft des Sternes w\u00e4chst und also hier vom Gesichtswinkel ganz unabh\u00e4ngig ist. Ein feines Loch oder ein feiner Spalt im Fensterladen eines Dunkelzimmers erscheinen \u00fcberm\u00e4ssig breit. Die \u00e4ussere Peripherie der Mondsichel hat scheinbar einen gr\u00f6sseren Radius als die \u00fcbrige gleichzeitig sichtbare und nur sehr schwach erleuchtete Mondscheibe, so\n1 A. Fick, Ztschr. f. rat. Med. N. F. II. S. 83.1852.","page":446},{"file":"p0447.txt","language":"de","ocr_de":"Irradiation.\n447\ndass die erstere der letzteren von aussen angef\u00fcgt scheint. Die Kante eines Lineals bekommt, wenn man sie vor eine Flamme h\u00e4lt, durch die Irradiation der letzteren eine Einbiegung, ein Draht erscheint vor einer Flamme verschm\u00e4lert oder sogar durchbrochen. Diese Beispiele beweisen die Richtigkeit der oben ausgesprochenen Behauptung, dass das Aberrationsgebiet ein relativ grosses ist und dass wir es also bei minder starken Differenzen der Lichtintensit\u00e4t nur deshalb nicht als ein Uebergangsgebiet zwischen beiden Helligkeiten wahrnehmen, weil die durch den Contrast bedingten positiven und negativen Lichtzuw\u00fcchse gross genug sind, um es der Wahrnehmung zu entziehen.\nBei mangelhafter Accommodation und guter Beleuchtung erscheint eine weisse Scheibe auf schwarzem Grunde gr\u00f6sser, als eine gleich grosse schwarze auf weissem Grunde, w\u00e4hrend sich, wie Volkmann zeigte, bei sehr schwacher Beleuchtung das Verh\u00e4ltniss sogar umkehren kann. Eine weiss bekleidete Hand erscheint gr\u00f6sser als eine schwarz bekleidete, die weissen Felder eines Schachbretes scheinen gr\u00f6sser zu sein als die schwarzen, und was dergleichen bekannte Beispiele mehr sind.\nSchon Kepler erkl\u00e4rte die Irradiationserscheinungen physikalisch aus der Zerstreuung des Lichtes auf der Netzhaut. Sp\u00e4ter gewann jedoch eine besonders von Plateau 1 ausf\u00fchrlich entwickelte physiologische Erkl\u00e4rung grossen Anklang, nach welcher die positive Irradiation darauf beruhen sollte, dass die Erregung der Netzhaut sich \u00fcber die Grenzen des helleren Bildes hinaus verbreite und die Nachbarstellen in Miterregung versetze. Der Einfluss der Aberration und Zerstreuung wurde dar\u00fcber ganz vernachl\u00e4ssigt. Welcker1 2 ging wieder auf Kepler zur\u00fcck und zeigte an zahlreichen Beispielen den Einfluss der Zerstreuung des Lichts durch ungen\u00fcgende Accommodation. Helmholtz (1. c.) wies darauf hin, dass mit wachsender Lichtintensit\u00e4t immer gr\u00f6ssere Intensit\u00e4tsunterschiede unmerklich werden, und discutirte die Form der Lichtfl\u00e4che im Gebiete der Aberration f\u00fcr den Fall, dass letztere eine lediglich chromatische w\u00e4re. Volkmann (1. c.) machte auf die negative Irradiation aufmerksam und suchte die physikalische Erkl\u00e4rung durch psychologische zu erg\u00e4nzen. Aubert (1. c.) er\u00f6rterte zuerst den Einfluss des Contrastes auf die Irradiationserscheinungen und gab f\u00fcr fast alle Irradiationserscheinungen die Erkl\u00e4rung. Nachdem dann Mach (1. c.) die Contrastwirkungen einer exacteren Untersuchung unterworfen und eine physiologische Erkl\u00e4rung derselben gefordert hatte, wies Hering auf die Bedeutung hin, welche die gegenseitige Wechselwirkung der Netzhautstellen f\u00fcr die Conturirung der Sehdinge hat.\n1\tPtateatj, M\u00e9moir. de l\u2019Acad. de Belgique. XI. 1839 u. Ann. d. Physik u. Chemie. Erg\u00e4nz. I. 1842.\n2\tWelcker, Ueber Irradiation. Giessen 1852.","page":447},{"file":"p0448.txt","language":"de","ocr_de":"448\nBerichtigungen zu Band III. Theil 1.\nDie vollst\u00e4ndigste, bis zum Jahre 1876 reichende Zusammenstellung der Literatur \u00fcber Irradiation hat Plateau 1 gegeben. Zur Erg\u00e4nzung vergleiche man Nagel\u2019s Jahresbericht f. Oplith.\nE. Hering.\nBERICHTIGUNGEN zu Band III. Theil 1.\nSeite\t345\tZeile 19 v. u. statt als lies oder.\n\u201e\t353\t\u201e\t7 v. u. statt den L\u00e4ngsschnitten den mittlen L\u00e4ngschnitten.\n\u201e\t429 ist die rechte H\u00e4lfte der Fig. 29 um 90\u00b0 nach rechts gedreht zu denken.* *\n,,\t568 Zeile 4 v. o. statt als lies oder\n\u201e\t574\t\u201e\t19 u. 20 v. u. statt seine R\u00e4nder lies die B\u00e4nder des Schattens.\n\u201e\t582\t\u201e\t15\u201417 v. o. sind die Worte \u201eerstens wird\u201c u. s. w. bis ..wissen\nwir\" zu streichen und daf\u00fcr nur zu lesen: wir wissen. \u201e\t584\t\u201e\t7 v. o. ist zwischen \u201eman\" u. \u201edurch\" einzuschalten bei seit-\nw\u00e4rts geneigtem Kopfe.\n1 Plateau. M\u00e9moir. de l\u2019Acad. de Belgique. XLI1. 1878.\n* Der Fehler in Fig. 29 ist dadurch entstanden, dass der Stock durchschnitten und die H\u00e4lften dann falsch zusammengestellt wurden.","page":448}],"identifier":"lit36696","issued":"1880","language":"de","pages":"440-448","startpages":"440","title":"Ueber Irradiation. Nachtrag zu Band III, Theil 1.","type":"Book Section","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:11:25.786458+00:00"}