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Die Arbeitscurve

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{"created":"2022-01-31T12:59:21.595948+00:00","id":"lit3699","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Kraepelin, Emil","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 19: 459-507","fulltext":[{"file":"p0459.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\nYon\nEmil Kraepelin..\nHeidelberg.\nMit 5 Figuren im Text und Tafel II.\nAls das feste, gemeinsame Band, das die bunte Folge der Tageseindr\u00fccke zu einer zusammenh\u00e4ngenden Kette von Erlebnissen aneinanderschlie\u00dft, erkennen wir ohne weiteres das Bewusstsein unserer Pers\u00f6nlichkeit. Wir sind daher gew\u00f6hnt, den wechselnden Bildern der Au\u00dfenwelt unser eigenes Ich als den Spiegel gegen\u00fcberzustellen, der unver\u00e4ndert bleibt, so viele und so mannigfache Strahlen er auch in sich aufnimmt. Es liegt auf der Hand, dass dieser Auffassung nur eine eng begrenzte Berechtigung zukommt. Zun\u00e4chst ist der Schatz unserer Vorstellungen und unsere gesammte Eigenart bestimmten, langsamen und allm\u00e4hlichen Umwandlungen unterworfen, die sich im Laufe des Lebens deutlich genug erkennen lassen. Sodann aber sind wir auch nichts weniger, als unbetheiligte Zuschauer, sondern wir sind Mitspieler auf der B\u00fchne des Daseins: wir verarbeiten unsere Erfahrungen geistig und gem\u00fcthlich und setzen sie in Handlungen um, oft genug unter den heftigsten inneren Ersch\u00fctterungen-Endlich verm\u00f6gen \u00e4u\u00dfere Einfl\u00fcsse aller Art, am entschiedensten gewisse Krankheiten und Gifte, in k\u00fcrzester Frist die st\u00e4rksten Umw\u00e4lzungen in unserer seelischen Pers\u00f6nlichkeit hervorzubringen.\nAber auch dann, wenn wir von allen \u00e4u\u00dferen Einwirkungen nach M\u00f6glichkeit losgel\u00f6st sind, herrscht in dem scheinbar so festen Kerne unseres Wesens keine wirkliche Stetigkeit. Vielmehr vollziehen sich in unserem inneren Leben unausgesetzte Wandlungen ohne Ruhe-","page":459},{"file":"p0460.txt","language":"de","ocr_de":"460\nEmil Kraepelin.\npunkt. Wie das Gleichgewicht in unserem K\u00f6rperhaushalte fortw\u00e4hrend durch das verwickelte Ineinandergreifen der verschiedenartigsten Leistungen aller Theile vermittelt wird, so ist auch unser Seelenzustand in jedem Augenblicke von dem Zusammenwirken mannigfaltiger, sich vielfach durchkreuzender Vorg\u00e4nge bestimmt. In ihren allgemeinen Umrissen ist -uns diese Abh\u00e4ngigkeit unseres Ich von Allgemeinbefinden und Stimmung, von Erm\u00fcdung, Ruhe und Schlaf, von Hunger und S\u00e4ttigung u. s. f. vollkommen bekannt. Sie l\u00e4sst sich aber auch in ihren Einzelheiten verfolgen, sobald man zu dem H\u00fclfsmittel des planm\u00e4ssigen psychologischen Versuches greift. Wir sind im st\u00e4nde, nicht nur die Schwankungen unserer seelischen Leistungen nachzuweisen und zu messen, sondern auch bis zu einem gewissen Grade ihre Ursachen aufzudecken und die Theilvorg\u00e4nge von einander zu trennen, aus denen sich jeweils die Gesammtleistung zusammensetzt. Freilich werden wir uns dabei zun\u00e4chst zu bescheiden haben. Es sind bis heute nur einzelne, sehr einfache Formen der geistigen Th\u00e4tigkeit, aus denen wir Ma\u00dfbestimmungen f\u00fcr die wechselnden Zust\u00e4nde unseres Innern ahleiten k\u00f6nnen. Wir d\u00fcrfen indessen wohl erwarten, dass die einmal gewonnenen Grundanschauungen sich sp\u00e4terhin auch auf anderen Gebieten des Seelenlebens als g\u00fcltig erweisen werden.\nI. Der Oaug der Arbeitscnrve.\nDie Frage nach den Schwankungen der geistigen Leistungen ist mir zuerst bei dem Bestreben nahe getreten, die Beeinflussung des Seelenlebens durch \u00e4u\u00dfere Einwirkungen, insbesondere durch Gifte, zu messen. Bei solchen Versuchen zeigte sich n\u00e4mlich, dass die Dauer einfacher psychischer Vorg\u00e4nge an verschiedenen Tagen unter gleichen \u00e4u\u00dferen Umst\u00e4nden durchaus nicht die gleiche war. Ging daraus die Abh\u00e4ngigkeit der geistigen Th\u00e4tigkeit von wechselnden inneren Bedingungen hervor, so musste mit der M\u00f6glichkeit gerechnet werden, dass sich Aenderungen auf diesem Gebiete auch schon im Laufe eines l\u00e4nger dauernden einzelnen Versuches heraussteilen k\u00f6nnten, die dannjrrth\u00fcmlicher Weise als Giftwirkungen h\u00e4tten gedeutet werden k\u00f6nnen. Unter diesen Umst\u00e4nden erwies es sich als nothwendig, zun\u00e4chst zu untersuchen, welchen Wandlungen die geistigen","page":460},{"file":"p0461.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n461\nggp Leistungen aus inneren Gr\u00fcnden, ohne Wechsel der \u00e4u\u00dferen Bedingungen, unterliegen. Als Ma\u00df der Leistungsf\u00e4higkeit dienten dabei fortlaufende Reihen von einfachen, gleichartigen Einzelaufgahen, von denen in einer bestimmten Zeit, meist in je 5 Minuten, m\u00f6glichst viele gel\u00f6st werden mussten. Bei weitem am h\u00e4ufigsten wurde hei diesen, vor nunmehr 14 Jahren zuerst begonnenen Versuchen das zifferweise Addiren einstelliger Zahlen verwendet. Durch dieses un-gemein einfache und anscheinend ziemlich rohe Verfahren konnten eine grosse Reihe von Erfahrungen gesammelt werden, die uns heute\nFig. 1.\nZO' Z5' 30\u2019 35' 40\u2019 45' 50' 55' 60' 65' 7O' 75' 60' 85' 90' 95' 100' >65' lio' 115' 1Z0'\nschon einen ungef\u00e4hren Einblick in die verwickelte Zusammensetzung der geistigen Arbeitscurve gestatten, wenn auch im einzelnen noch Vieles aufzukl\u00e4ren bleibt.\nWar ich urspr\u00fcnglich von der Vorstellung ausgegangen, dass die Arheitswerthe nach einigen einleitenden Schwankungen eine ann\u00e4hernde Stetigkeit erreichen w\u00fcrden, so zeigte sich sehr bald, dass von einem derartigen Verlaufe der Arbeitscurve niemals die Rede ist. Auch wenn wir vorerst von den mehr unregelm\u00e4\u00dfigen Schwankungen der Leistung absehen, verl\u00e4uft die Arbeitscurve h\u00f6chstens auf ganz kurze Strecken einmal in gleicher H\u00f6he. Fast immer wird man in","page":461},{"file":"p0462.txt","language":"de","ocr_de":"462\nEmil Kraepelin.\nihren gr\u00f6\u00dferen Abschnitten eine absteigende oder aufsteigende Verlauf srichtung erkennen; nicht selten tritt nach l\u00e4ngerer Arbeit eine entschiedene Richtungs\u00e4nderung ein. Als Beispiele f\u00fcr die drei Grundformen der Arbeitscurve seien hier aus der Arbeit y on Oehrn1) die zweist\u00fcndigen AddMeistungen von H. und F. (Fig. 1 und 2) sowie K.\u2019s zweist\u00fcndige Leistung im Zahlenlernen nach dem Verfahren von Ebbinghaus (Fig. 3) wiedergegeben. Die Werthe bedeuten die in je 5 Minuten addirten oder gelernten Zahlen; auf der Grundlinie sind die Zeitabschnitte in Minuten angezeichnet.\nMustert man eine Anzahl von l\u00e4ngeren Arbeitscurven, so bemerkt man, dass in der Regel gegen den Schluss hin eine Senkung ein-tritt, auch wenn die Richtung vorher eine aufsteigende war wie in\nFig. 3.\n' 90' 95\u2018 100' 105' 1JO' 115\u2019 1ZG'\n507 55' 60' 65' 70'\t15'\t80' 85\u2018\nFig. 2. Unter den von Oehrn mitgetheilten 70 2st\u00fcndigen Reihen stand nur 8 Mal der h\u00f6chste erreichte Werth am Ende, aber 24 Mal ganz am Anf\u00e4nge. Der Grund f\u00fcr dieses Verhalten liegt ohne Zweifel in dem Auftreten von Erm\u00fcdung, die hei l\u00e4ngerer Dauer der Arbeit immer mehr einen ma\u00dfgebenden Einfluss auf die Leistung gewinnt. Da aber doch nicht alle Curven absteigend verlaufen, so muss es eine Ursache geben, die der Erm\u00fcdung entgegenwirkt und sie zeitweise oder dauernd \u00fcberwiegt. Auch \u00fcber diese Ursache werden wir nicht lange im unklaren sein: es ist die Uebung. Aus der Uebersicht Oehrns ist leicht zu erkennen, dass ein durchweg\n1) Experimentelle Studien zur Individualpsychologie. Kraepelin\u2019s Psychologische Arbeiten, I, S. 135. Die Curven stellen nach den urspr\u00fcnglichen Zahlen aus Oehrn\u2019s Aufzeichnungen f\u00fcr H. und F. den ersten, f\u00fcr K. den zweiten der aufeinander folgenden gleichartigen Versuche dar.","page":462},{"file":"p0463.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n463\naufsteigender Verlauf der Arbeitscurve besonders bei solchen Arbeiten beobachtet wird, die wenig ge\u00fcbt und daher dem Uebungseinflusse sehr zug\u00e4nglich sind, wie das Buchstabenz\u00e4hlen zu 3, sowie das Lernen von Zahlen (Fig. 3) und Silben.\nAllerdings ist von einer Regelm\u00e4\u00dfigkeit dieses Verhaltens so wenig die Rede, dass eine einheitliche Deutung der sich anscheinend vielfach widersprechenden Erfahrungen auf den ersten Blick unm\u00f6glich scheint. Gerade beim Silbenlernen liegt unter 10 Reihen 6 mal die h\u00f6chste Leistung in der ersten Viertelstunde ; andererseits finden wir dieselbe Erscheinung beim Schreiben 5 mal und beim Lesen 4 mal wieder; bei letzterem wird der beste Werth einmal auch erst am Schl\u00fcsse erreicht. Die L\u00f6sung dieser und anderer \u00e4hnlicher Schwierigkeiten liegt in der Erw\u00e4gung, dass wir es in der Gestaltung der Arbeitscurve mit einem Kampfe entgegengesetzter Einfl\u00fcsse zu thun haben, von denen der eine oder der andere die Oberhand gewinnen kann. Das Erlernen 12 stelliger Reihen von sinnlosen Silben, wie es hier ge\u00fcbt wurde, ist nicht nur eine ungewohnte, sondern auch eine anstrengende Arbeit. Bei der Mehrzahl der Versuchspersonen war daher anscheinend die erm\u00fcdende Wirkung dieser Leistung st\u00e4rker, als die allm\u00e4hlich sich herausbildende Erleichterung durch die Uebung; bei zwei anderen war es gerade umgekehrt, w\u00e4hrend die letzten Zwei nach kurzem Ueberwiegen der UebungsWirkung sp\u00e4terhin wachsende Erm\u00fcdungsl\u00e4hmung darboten. Ein ganz \u00e4hnlicher Widerstreit bestand offenbar beim Zahlenlemen, doch trat bei dieser weniger anstrengenden Arbeit die Erm\u00fcdung etwas mehr hinter den Uebungs-einfl\u00fcssen zur\u00fcck. Beim Schreiben war es ohne Zweifel vorzugsweise die Erm\u00fcdung der Hand, die in der H\u00e4lfte der Reihen von vorn herein ein Sinken der Leistung bedingte. Dagegen haben wir im fl\u00fcsternden Lesen eine Leistung vor uns, die, anders als das Silben-lemen, weder erm\u00fcdend, noch der Uebung sehr zug\u00e4nglich ist. Wenn sich hier die Arbeitscurve mehrfach von vorn herein senkte, so lag das an der Geringf\u00fcgigkeit des Uebungsfortschrittes, und wenn trotzdem auch einmal der h\u00f6chste Werth am Ende der Reihe lag, so haben wir daf\u00fcr das Ausbleiben st\u00e4rkerer Erm\u00fcdungswirkungen verantwortlich zu machen.\nEs bietet keine Schwierigkeit, unter diesen Gesichtspunkten ein allgemeines Verst\u00e4ndniss f\u00fcr den Ausfall der verschiedenartigen, von","page":463},{"file":"p0464.txt","language":"de","ocr_de":"464\nEmil Kraepelin.\nOehrn mitgetheilten Versuche zu gewinnen. - So lange die Ourven ansteigen, \u00fcberwiegt die Uebungswirkung; sobald sie zu sinken beginnen, die Erm\u00fcdung. Das gegenseitige Verh\u00e4ltniss beider Einfl\u00fcsse ist indessen von einer Reihe verschiedenartiger Umst\u00e4nde abh\u00e4ngig, die zum Theil in der pers\u00f6nlichen Eigenart, zum Tbeil aber in den besonderen Versuchsbedingungen liegen. Die meisten der in den Versuchen gestellten Aufgaben k\u00f6nnen von den Arbeitern auf verschiedene Weise gel\u00f6st werden und bedingen dabei bald mehr, bald weniger Anstrengung; so erscheint mir das Lernen mit H\u00fclfe der motorischen Sprachvorstellungen, das sogenannte \u00bbmechanische\u00ab Lernen, weniger erm\u00fcdend, als die Einpr\u00e4gung der Gesichtsbilder. Ein solcher Unterschied, der \u00fcbrigens im Laufe l\u00e4ngerer Versuchsreihen manchen Wandlungen unterworfen sein kann, vermag recht wohl das Verh\u00e4ltniss von Uebungs- und Erm\u00fcdungswirkung zu verschieben. Wie viele Andere, finde ich das Silbenlemen schwieriger,, als das Zahlenlernen; dem entsprechend sinkt meine Arbeitscurve dort, w\u00e4hrend sie hier, bei einer sonst so nahe verwandten Th\u00e4tigkeit, steigt bis zum Schl\u00fcsse.\nWir k\u00f6nnen nicht zweifeln, dass bei gen\u00fcgend langer Fortsetzung der Arbeit jede Curve schlie\u00dflich sinken muss. Die Erm\u00fcdung gewinnt unter allen Umst\u00e4nden endlich die Oberhand; ihr Fortschritt muss demnach von einem gewissen Punkte an schneller vor sich gehen, als derjenige der Uebung. Die Lage dieses Punktes wird, abgesehen von den Erm\u00fcdungs- und Uebungswirkungen der Th\u00e4tigkeit selbst, durch das Ma\u00df von Erm\u00fcdung und Uebung bestimmt, mit dem der Versuch begonnen wurde. Die l\u00e4hmenden Einfl\u00fcsse gewinnen in der Arbeitscurve um so rascher das Uebergewicht \u00fcber den Uebungsfortschritt, je h\u00f6her der Grad von Erm\u00fcdung war, der heim Eintritt in die Arbeit bestand. Oehrn theilt die nach einer durchreisten Nacht erhaltene, rasch sinkende Addircurve einer Versuchsperson mit, bei der sonst die Leistung in der gleichen Zeit weit h\u00f6her zu bleiben pflegte. Solche Erm\u00fcdungsreste k\u00f6nnen, wie Bettmann1) gezeigt hat, nicht nur aus der letzten, sondern sogar aus einer noch fr\u00fcheren Nacht stammen ; sie k\u00f6nnen aber auch durch d*e Arbeit des gleichen Tages erworben werden. Versuche am\n1) Psychologische Arbeiten I, S. 202.","page":464},{"file":"p0465.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n465\nMorgen werden daher ein anderes Gepr\u00e4ge zeigen, als solche des Abends. Hier werden wir im allgemeinen ein fr\u00fcheres Sinken der Arbeitscurve zu erwarten haben, als dort. Auch wenn keine eigentliche Arbeit voraufgegangen ist, nimmt im Laufe des Tages die Erm\u00fcdung zu, bis ihr Ausgleich durch den Schlaf erfolgt. Gerade die unweigerliche Nothwendigkeit des Schlafes nach l\u00e4ngerer Zeit des Wachseins lehrt uns am eindringlichsten, dass in jeder Arbeitscurve das Verh\u00e4ltniss zwischen den Einfl\u00fcssen der Uebung und der Erm\u00fcdung allm\u00e4hlich ung\u00fcnstiger werden muss.\nAllerdings hat es den Anschein, als ob in dieser Beziehung gewisse pers\u00f6nliche Unterschiede bestehen. Lindley1) f\u00fchrt die sehr starke Erm\u00fcdbarkeit seiner Versuchsperson 0. zum Theil auf den Umstand zur\u00fcck, dass 0. ein Abendarbeiter und deswegen morgens erm\u00fcdbarer war als abends. Richtig ist es, dass ausgepr\u00e4gte Abendarbeiter morgens trotz des vorhergegangenen Schlafes ein Gef\u00fchl starker M\u00fcdigkeit haben k\u00f6nnen, das sich erst allm\u00e4hlich verliert, w\u00e4hrend sie sich abends frisch und leistungsf\u00e4hig f\u00fchlen. Es ist indessen einstweilen fraglich, ob wir es in jenem Falle wirklich mit Erm\u00fcdung zu thun haben, wie sie den Morgenarbeiter am Schl\u00fcsse seines Tagewerkes \u00fcberw\u00e4ltigt. Ich habe mich davon \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dass dem Gef\u00fchle der Arbeitsunlust am Morgen bei Abendbeitem in der That eine Herabsetzung der Leistungsf\u00e4higkeit entsprach. Indessen fand ich, dass mit dem Schwinden jenes Gef\u00fchls im Laufe der Th\u00e4tigkeit die Arbeitswerthe anwuchsen. Andererseits konnte ich feststellen, dass bei einem Abendarbeiter zwar abends die Leistung am h\u00f6chsten war, dass aber die Arbeitscurve eine deutliche Neigung zum Sinken darbot.\nWie mir scheint, haben wir nur dann ein Recht, eine Herabsetzung der Leistung als Erm\u00fcdungserscheinung anzusehen, wenn sie durch die Arbeit selbst gesteigert wird, nicht aber, wenn sie beim Fortarbeiten abnimmt. Im letzteren Falle m\u00fcssen die Ursachen der Arbeitserschwerung anderer Art gewesen sein. Die Erfahrungen Michelsons2) \u00fcber die Schlaftiefe sprechen daf\u00fcr, dass die Schlaf-curve bei den Morgenarbeitern viel rascher ihre gr\u00f6sste Tiefe\n1)\tPsychologische Arbeiten IH, S. 520.\n2)\tPsychologische Arbeiten II, S. 105.\nWim dt, Philos. Studien. XIX.\n30","page":465},{"file":"p0466.txt","language":"de","ocr_de":"466\nEmil Kraepelin.\nerreicht und sich wieder verflacht, als hei Abendarheitem. Wir d\u00fcrfen ferner wohl annehmen, dass die Fortschaffung der Erm\u00fcdungsstoffe, namentlich aber der Ersatz der verbrauchten Kr\u00e4fte und damit die Erholung sich vorzugsweise im Tiefschlafe vollzieht. Diese theilweise stoffliche Erneuerung wird, wenn auch nur in geringem Umfange, doch mit einem Verluste fr\u00fcher erworbener Eigenschaften der k\u00f6rperlichen Grundlagen unseres Seelenlebens Hand in Hand gehen m\u00fcssen. Sind wir doch gew\u00f6hnt, das^ rasche und unausgesetzte Schwinden der Ged\u00e4chtnissspuren zum Theil wenigstens mit dem stetigen Wechsel der Bestandteile unseres K\u00f6rpers in Beziehung zu bringen. Wenn dem so ist, so w\u00fcrden wir es begreiflich finden, dass unmittelbar nach dem Tiefschlafe die Ausnutzung der frisch gewonnenen Kr\u00e4fte noch durch allerlei innere Reibungen und Hinderungen erschwert ist, dass erst eine gewisse Einpassung der neuen Ersatztheile in das verwickelte Getriebe unseres seelischen R\u00e4derwerkes stattfinden muss, bevor wir mit der fr\u00fcheren Leichtigkeit arbeiten k\u00f6nnen. Bei den Morgenarheitern ist die Erneuerung des verbrauchten Stoffes in der Hauptsache anscheinend schon 2\u20143 Stunden nach dem Einschlafen beendet, so dass nun noch eine Reihe von Stunden oberfl\u00e4chlicheren Schlafes folgen, in denen sich der Ausgleich zwischen alten und neuen Bestandtheilen vollziehen kann. Dagegen scheint bei den Abendarbeitern der Ersatz so langsam und z\u00f6gernd stattzufinden, dass er erst kurz vor dem Erwachen abgeschlossen ist. Es w\u00e4re daher recht wohl denkbar, dass hier die Erschwerung der Morgenarbeit, zumal sie allm\u00e4hlich zu verschwinden pflegt, ihren Grund mit in den inneren Widerst\u00e4nden h\u00e4tte, welche die Aufnahme neuer Theile in den Verband der arbeitenden Gewebe zun\u00e4chst nothwendig erzeugen muss. Gerade unter diesem Gesichtspunkte w\u00fcrden wir es verstehen, dass die Arbeit selbst diese Hindernisse zu beseitigen vermag.\nEin weiteres Beispiel einer Arbeitserschwerung, die nicht auf Erm\u00fcdung beruht, bietet uns der Zustand nach der Nahrungsaufnahme. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass mindestens nach der Hauptmahlzeit die Leistung herabgesetzt ist, aber bei fortgesetzter Arbeit nicht sinkt, sondern allm\u00e4hlich ansteigt. So deutlich auch nach Tisch das Gef\u00fchl der M\u00fcdigkeit sich geltend macht, kann es demnach doch nicht aus wirklicher Erm\u00fcdung hervorgehen. Freilich","page":466},{"file":"p0467.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n467\nist es nicht leicht, sich eine bestimmte Vorstellung von der Ursache unserer Arbeitsunlust nach dem Essen zu machen. Vielleicht spielen hier die erh\u00f6hten Anforderungen, die der Verdauungsvorgang bei der Blutvertheilung stellt, eine gewisse Rolle.\nWir d\u00fcrfen gewiss annehmen, dass es au\u00dfer den angef\u00fchrten F\u00e4llen noch manche andere Zust\u00e4nde gibt, die \u00e4u\u00dferlich demjenigen der Erm\u00fcdung \u00e4hnlich sind, den Gang der Arbeitscurve aber in ganz anderer Weise beeinflussen. Dahin geh\u00f6ren namentlich gewisse traurige Verstimmungen, Zerstreutheit durch Ablenkung, auf krankhaftem Gebiete die Zust\u00e4nde mit psychischer Hemmung. Hier findet \u00fcberall im Verlaufe der Arbeit nicht, wie hei der wirklichen Erm\u00fcdung, ein Sinken, sondern ein Anwachsen der Leistung statt. Aehnlich ist es mit manchen vor\u00fcbergehenden Giftwirkungen. Sobald der l\u00e4hmende Einfluss des Giftes, etwa des Aethers oder Alkohols, schwindet, steigt die Arbeitscurve wieder an, auch wenn wir fortarbeiten.\nAuf der anderen Seite kann die wirkliche Erm\u00fcdung zum Theil oder vollst\u00e4ndig durch Einfl\u00fcsse verdeckt werden, die unsere Arbeitsleistung steigern. So verm\u00f6gen wir durch vermehrte Anspannung des Willens ohne Zweifel, wenn auch nur f\u00fcr kurze Zeit, die Erm\u00fcdungsl\u00e4hmung auszugleichen. Dasselbe gilt von Erregungszust\u00e4nden verschiedenen Ursprunges. So scheint aus Versuchen von Hylan1) hervorzugehen, dass die durch einen zweist\u00fcndigen Spaziergang erzeugte Erregung, obgleich sie von Erm\u00fcdung begleitet ist, doch eine Zeit lang die Addirleistung steigern und somit die Zeichen der Erm\u00fcdung verdecken kann. Wir d\u00fcrfen auch wohl annehmen, dass gem\u00fcthliche Erregungen nicht nur im Stande sind, das Gef\u00fchl der M\u00fcdigkeit zu verjagen, sondern auch den Erm\u00fcdungseinfl\u00fcssen bis zu einem gewissen Grade entgegenzuwirken. Freilich wird sich dann mit dem Nachlassen der Erregung die Erm\u00fcdungsl\u00e4hmung um so st\u00e4rker geltend machen m\u00fcssen, da sie nat\u00fcrlich nur verdeckt, nicht aber beseitigt werden konnte. Leider sind diese Verh\u00e4ltnisse zur Zeit nur wenig untersucht worden. Ich selbst aber habe z. B. die Erfahrung gemacht, dass unter dem Einfl\u00fcsse gem\u00fcthlicher Erregung die l\u00e4hmende Wirkung einer Gabe von 60 gr Alkohol ausblieb. Einige Gifte verm\u00f6gen die\n1) Psychologische Arbeiten IV (noch unter der Presse).\n30*","page":467},{"file":"p0468.txt","language":"de","ocr_de":"468\nEmil Kraepelin.\nErm\u00fcdungswirkungen vor\u00fcbergehend durch Steigerung der Leistung auszugleichen, so beim Addiren das Coffein.\nAus den bisherigen Darlegungen geht hervor, dass wir die Arbeits-curve nur dann ann\u00e4hernd als den Ausdruck des Yerh\u00e4ltnisses zwischen Uehung und, Erm\u00fcdung ansehen d\u00fcrfen, wenn alle sonstigen. Bedingungen des Versuches die gleichen \u2022 geblieben sind. Ganz genau wird das leider nur selten zutreffen, da wir wohl die \u00e4u\u00dferen Umst\u00e4nde, nicht aber die inneren Vorg\u00e4nge einigerma\u00dfen zu beherrschen verm\u00f6gen. Aber auch wenn es uns gelingt, f\u00fcr unsere Arbeit immer dieselben Seelenzust\u00e4nde herzustellen, werden wir, wie schon oben angedeutet, die Beobachtung machen, dass die Beziehungen zwischen Uebung und Erm\u00fcdung nicht feststehen, sondern dass sie ganz bestimmten Ver\u00e4nderungen unterworfen sind. Die Grundlage dieser Erfahrung bildet die Thatsache, dass die Uebung dauernde Spuren in unserem Seelenleben hinterl\u00e4sst, w\u00e4hrend die Erm\u00fcdung durch Schlaf und Nahrungsaufnahme immer wieder vollst\u00e4ndig beseitigt wird. In Folge dessen wachsen die Uebungswirkungen von Versuch zu Versuch an; die Erm\u00fcdung dagegen wird jedesmal durch die Arbeit erst wieder neu erzeugt. Die Arbeitsleistung beginnt daher auf einer immer h\u00f6heren Stufe und beharrt auf derselben, bis die allm\u00e4hlich sich entwickelnde Erm\u00fcdung sie wieder herabdr\u00fcckt.\nEs ist indessen einleuchtend, dass der Fortschritt der Uebung irgendwo eine un\u00fcbersteigbare Grenze haben muss. Wenn auch durch unwillk\u00fcrliche Aenderungen der Arbeitsweise bisweilen noch \u00fcberraschende Steigerungen der Leistung auftreten, nachdem der H\u00f6hepunkt bereits erreicht schien, so zeigt sich doch regelm\u00e4\u00dfig, dass bei gr\u00f6\u00dfer Uebung kein stetiges Anwachsen der Leistung mehr stattfindet, sondern\u2019in immer st\u00e4rkerem Grade die zuf\u00e4lligen Tagesschwankungen Einfluss auf die H\u00f6he der Arbeitswerthe gewinnen. Die Abnahme des Uebungsfortschrittes erfolgt, wenn wir von den erw\u00e4hnten Aenderungen der Arbeitsweise absehen, anfangs rasch, sp\u00e4terhin langsamer. So sank der durchschnittliche t\u00e4gliche Leistungszuwachs bei Lindley\u2019s Versuchsperson B., die regelm\u00e4\u00dfig eine Stunde addirte, von 12,2 % in den ersten 10 Tagen auf 2,6 % in den n\u00e4chsten 10 und auf 1,9 % in den letzten 6 Arbeitstagen.\nDiese Abnahme des Uebungsgewinnes macht sich nat\u00fcrlich auch in der einzelnen Arbeitscurve geltend. Je weiter die Uebung fort-","page":468},{"file":"p0469.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n469\ngeschritten ist, desto geringer wird die Neigung der Arbeitscurve, sich zu erheben, und desto rascher \u00fcberwiegen die Erm\u00fcdungswirkungen. Wir machen daher die \u00fcberraschende Erfahrung, dass bei hohem Uebungsgrade die Curve immer fr\u00fcher die absteigende Kichtung einschl\u00e4gt, aber nicht deswegen, weil die Erm\u00fcdung st\u00e4rker geworden ist, sondern weil der geringf\u00fcge Uebungseinfluss ihr nur kurze Zeit hindurch die Waage halten kann. Als Beispiel gebe ich in viertelst\u00fcndigen Werthen, aber in gleichem Maa\u00dfstabe wie die fr\u00fcheren Cur-ven, zwei zweist\u00fcndige Addircurven von K. aus 0 ehr ns Arbeit wieder, die durch eine Woche getrennt waren (Fig. 4). Die sp\u00e4ter gewonnene\nFig. 4.\nCurve II sinkt, fr\u00fcher als die erste. Solche Curven mit vorgeschrittener Uebung, wie sie z. B. auch Oehrns Leseversuche geliefert haben, unterscheiden sich jedoch von denen mit gro\u00dfer Erm\u00fcdbarkeit wesentlich durch die verschiedene H\u00f6he der Gesammtleistung. Auch in Fig, 4 liegen alle Arbeitswerthe der Curve II um 50\u2014100 Zahlen \u00fcber denen der Curve I. Zugleich aber zeigt sich in der Eegel, wie auch in der Figur 4, dass die Senkung der Curve bei hoher Uebung ungleich langsamer erfolgt, als dort, wo die Abnahme der Leistung durch starke Erm\u00fcdungswirkungen herbeigef\u00fchrt wird. Ich stelle in Tabelle I die viertelst\u00fcndigen Leistungen von Oehrns Versuchsperson B. im Addiren, Lesen, Zahlenlemen und Silbenlernen zusammen; der Vergleichbarkeit halber ist \u00fcberall die H\u00f6chstleistung gleich 1000 gesetzt.\nTabelle I.\n\tH\u00f6chst- leistung\t1\t2\t3\t4\t5\t6\t7\t8\nAddiren\t\t238\t983\t1000\t945\t953\t942'\t899\t884\t930\nLesen\t\t1952\t1000\t923\t962\t965\t923\t947\t999\t970\nZahlenlemen\t23\t913\t573\t530\t613\t1000\t739\t960\t913\nSilbenlemen\t. 24\t1000\t833\t600\t666\t666\t750\t\u2014\t\u2014","page":469},{"file":"p0470.txt","language":"de","ocr_de":"470\nEmil Kraepelin.\n, Das tiefste Sinken der Leistung beim gut einge\u00fcbten Lesen betr\u00e4gt 7,7 %, beim etwas weniger ge\u00fcbten Addiren fast 12 %, beim Zahlenlernen 26 %, nachdem schon vorher ein noch tieferer Stand der Leistung erreicht war, beim Silbenlernen endlich 50 %. Wir k\u00f6nnen aus diesen und vielen anderen \u00e4hnlichen Erfahrungen den Schluss ableiten, dass mit wachsender Uebung nicht nur die Uebungs-f\u00e4higkeit, sondern auch die Erm\u00fcdbarkeit abnimmt. Das wird begreiflich, wenn wir bedenken, dass die Uebung die Arbeit erleichtert, vielleicht, indem sie einen mehr selbstth\u00e4tigen Ablauf derselben erm\u00f6glicht. Der Aufwand an Arbeitskraft wird somit bei gleichen Leistungen vermindert; innere Eeibungen und unzweckm\u00e4\u00dfige Nebenarbeiten fallen 'fort. So kann es kommen, dass schlie\u00dflich selbst das \u00fcberhaupt erreichbare H\u00f6chstmaa\u00df der Leistung nicht denjenigen Grad von Erm\u00fcdung erzeugt wie im Anf\u00e4nge weit niedrigere Arbeits-werthe. Diese Abnahme der Erm\u00fcdbarkeit h\u00e4lt sich indessen in gewissen Grenzen. Auch bei der leichtesten und besteinge\u00fcbten Arbeit machen sich rasch die deutlichen Zeichen der Erm\u00fcdung bemerkbar,. wenn sie ohne Unterbrechung fortgesetzt wird; das Sinken der Arbeitscurve geschieht nur langsamer und kann leichter durch entgegengesetzt wirkende Zuf\u00e4lligkeiten verwischt werden.\nSetzt man eine erm\u00fcdende Arbeit l\u00e4ngere Zeit hindurch fort, so macht man die Erfahrung, dass der Abfall der Arbeitscurve allm\u00e4hlich immer steiler wird. Diese Thatsache deutet darauf hin, dass sich das Verh\u00e4ltnis zwischen den Wirkungen der Uebung und Erm\u00fcdung im Laufe der Arbeit ung\u00fcnstiger gestaltet. Eine solche Wirkung k\u00f6nnte in gewissen Grenzen schon die allm\u00e4hliche Abnahme des Uebungsfortschrittes aus\u00fcben, doch ist diese letztere bei h\u00f6heren Uebungsgraden immerhin so langsam, dass sie das unverh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig rasche Sinken der Arbeitswerthe im Zustande der Erm\u00fcdung nicht wohl erkl\u00e4ren kann. Wir stehen daher vor der Frage, ob nicht vielleicht der Grad der Erm\u00fcdung st\u00e4rker anw\u00e4chst, als die geleistete Arbeit. F\u00fcr diese Auffassung w\u00fcrde zun\u00e4chst vielleicht die Ueber-legung sprechen, dass mit Zunahme der Erm\u00fcdung auch die inneren Widerst\u00e4nde bei der Arbeit wachsen und demnach die gleiche Leistung einen immer gr\u00f6\u00dferen Kraftaufwand erfordert. Bei der einzelnen Erm\u00fcdungscurve des Muskels scheint in der That eine ifcpartige, rasch fortschreitende Erschwerung der Arbeit einzutreten. Indessen","page":470},{"file":"p0471.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitsourve.\n471\nmachen es die Erfahrungen von Oseretzkowsky1) unwahrscheinlich, dass sich auch hei l\u00e4ngerem Fortarbeiten, wie es mehr dem Vorg\u00e4nge der geistigen Arbeit entsprechen w\u00fcrde, ein wachsendes Missverh\u00e4lt--niss zwischen Gr\u00f6\u00dfe der Erm\u00fcdung und geleisteter Arbeit herausbildet. Ferner sprechen von Hylan ausgef\u00fchrte Versuche mit Erm\u00fcdungsmessungen nach verschieden langer Fortsetzung sehr ge\u00fcbter Arbeit nicht gerade f\u00fcr ein unverh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfiges Fortschreiten der Erm\u00fcdungswirkung in k\u00fcrzeren Zeitr\u00e4umen, wenn sie a\u00fcch in dieser Frage nicht v\u00f6llig beweiskr\u00e4ftig sind.\nEndlich aber haben die Versuche vonBivers2) mit Arbeiten von wechselnder Dauer an verschiedenen Tagen die Best\u00e4tigung f\u00fcr eine landl\u00e4ufige Anschauung gebracht, dass n\u00e4mlich der Erm\u00fcdungsarheit ein geringerer Uebungswei^ zukomme. Bivers fand, dass von der f\u00fcr je eine halbe Stunde erwarteten UebungsWirkung bis zum n\u00e4chsten Tage mehr als doppelt soviel verloren ging, wenn vier halbe Stunden, als wenn'nur eine halbe Stunde lang gearbeitet worden war. Diese Herabsetzung des Uebungsgewinnes durch die Erm\u00fcdung w\u00fcrde vollkommen gen\u00fcgen, um die gr\u00f6\u00dfere Steilheit des Abfalles zu erkl\u00e4ren, die l\u00e4ngere A^beitscurven gegen das Ende darzubieten pflegen.\nEine besondere Beleuchtung erhalten diese vielfachen Beziehungen zwischen den Erscheinungen der Uebung und Erm\u00fcdung durch die allm\u00e4hlich immer mehr sich best\u00e4tigende Erfahrung, dass die Gr\u00f6\u00dfe der Uebungsf\u00e4higkeit und der Erm\u00fcdbarkeit bei einer Person einander ann\u00e4hernd zu entsprechen scheinen. Ich habe schon in einer ganzen Beihe von F\u00e4llen darauf hinweisen k\u00f6nnen, dass sich gro\u00dfe Uebungsf\u00e4higkeit mit gro\u00dfer Erm\u00fcdbarkeit verband und umgekehrt. Besonders lehrreich war in dieser Bichtung der Vergleich der beiden Versuchspersonen A. und B. von Bindley. Hier schien die erm\u00fcdbarere Person A. zun\u00e4chst eine geringere Uebungsf\u00e4higkeit zu besitzen, als B. ; bei genauerer Betrachtung stellte sich indessen heraus, dass A. in der That doch \u00fcbungsf\u00e4higer war, aber einen unverh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig gro\u00dfen Theil seiner Uebung binnen kurzem wieder einb\u00fc\u00dfte. Auch in neuerer Zeit hat sich wieder bei Versuchen von Hylan gezeigt, dass drei Versuchspersonen hinsichtlich jener beiden Eigenschaften\n4\n1)\tPsychologische Arbeiten HI, S. 682.\n2)\tPsychologische Arbeiten I, S. 652.","page":471},{"file":"p0472.txt","language":"de","ocr_de":"472\nEmil Kraepelin.\ngenau die gleichen Abstufungen zu einander darboten. Mir scheinen diese Thatsachen, denen noch einige andere anzureihen w\u00e4ren, wie schon h\u00e4ufig ausgef\u00fchrt, daf\u00fcr zu sprechen, dass Uebungsf\u00e4higkeit und Erm\u00fcdbarkeit vielleicht den gemeinsamen Ausdruck gewisser allgemeiner Grundeigenschaften der psychischen Pers\u00f6nlichkeit bilden.\nSind wir im Stande, aus dem Zusammenwirken von Uebung und Erm\u00fcdung in gro\u00dfen Z\u00fcgen den verschiedenartigen Verlauf der Arbeits-curve zu deuten, so lehrt doch schon die Betrachtung der mitgetheilten Beispiele, dass der Gang der Ourven, sobald man die Leistungen in k\u00fcrzeren Zeitabschnitten aufzeichnet, durchaus nicht so regelm\u00e4\u00dfig zu sein pflegt, wie man es bei dem einfachen Wechselspiel zweier entgegengesetzter Einfl\u00fcsse erwarten sollte. Vielmehr zeigen sich, namentlich beim Lernen, allerlei j\u00e4he Schwankungen, die zun\u00e4chst unerkl\u00e4rbar erscheinen. Manche dieser Schwankungen sind gewiss auf rein zuf\u00e4llige St\u00f6rungen zur\u00fcckzuf\u00fchren, Ablenkung durch \u00e4u\u00dfere Eindr\u00fccke, k\u00f6rperliche Empfindungen, auftauchende Vorstellungen oder Stimmungen. Alle derartigen Ursachen werden eine mehr oder weniger rasch vor\u00fcbergehende Herabsetzung der Arbeitsleistung zur Folge haben k\u00f6nnen, die sich sp\u00e4ter \u25a0 wieder ausgleicht.\nWeiterhin aber sehen wir gewisse Schwankungen so vielfach an denselben Stellen der Ourven auftreten, dass sie auf bestimmte Vorg\u00e4nge hinzuweisen scheinen. Dahin geh\u00f6rt zun\u00e4chst die in der Fig. 1 und 2 erkennbare Senkung der Werthe im Anf\u00e4nge. An sich sollte man wegen der wachsenden Uebung, der hier noch keine nennenswerthe Erm\u00fcdung entgegensteht, eine rasche Zunahme der Leistung erwarten. Es l\u00e4sst sich indessen zeigen, dass wir es hier mit einer sehr h\u00e4ufigen Erscheinung zu thun haben, die allerdings besonders bei bestimmten Personen, ferner im Beginne k\u00fcrzerer Arbeitszeiten und im Zustande der geistigen Frische aufzutreten pflegt. Sie entspricht genau dem Gef\u00fchle der besonderen Willensanspannung, mit der man an eine Arbeit herantritt. Rivers1) hat ihr daher die Bezeichnung \u00bbAntrieb\u00ab gegeben, um damit ihren Ursprung aus dem Willen anzudeuten. Da wir nicht im st\u00e4nde sind, diese erh\u00f6hte Anspannung l\u00e4ngere Zeit hindurch festzuhalten, sinkt die Curve bald wieder, um nunmehr unter dem Einfl\u00fcsse der Uebung von neuem\n1) A. a. O. S. 636.","page":472},{"file":"p0473.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n473\nanzusteigen. Ein sein- lehrreiches Beispiel f\u00fcr das Verhalten des Antriebes zu Beginn einer Curve bietet die nachstehende, im Ma\u00dfstahe den \u00fcbrigen Figuren entsprechende Darstellung eines der vielen gleichartigen Versuche Dr. Heumann\u2019s (Fig. 5), hei dem die Zahl der ausgef\u00fchrten Rechnungen von Minute zu Minute wiedergegeben ist. Wir erkennen hier, dass die gr\u00f6\u00dfte Rechengeschwindigkeit h\u00f6chstens 1 Minute lang eingehalten werden konnte, dass aber nach weiteren 2 Minuten das Sinken der Curve durch das Anwachsen der arheitsfordernden Einfl\u00fcsse zur Umkehr gebracht wurde. Diese Einzelheiten gehen nat\u00fcrlich hei der Aufzeichnung gr\u00f6\u00dferer Durchschnittswerthe verloren. Wo der Antrieb gering ist, vermag er hei der Zusammenfassung l\u00e4ngerer Zeitstrecken \u00fcberhaupt keinen Einfluss auf die erste Mittelzahl auszu\u00fcben und wird daher \u00fcbersehen; so war er noch in den 5-Minutenwerthen der Curve IT von K (Fig. 4) nachweisbar. Es sei indessen schon hier darauf hingewiesen, dass eine gewisse Erh\u00f6hung der Anfangsgeschwindigkeit einer Arbeit durch st\u00e4rkere Willensanspannung auch dann vorhanden sein kann, wenn selbst die Minutencurve nichts davon zeigt. Der erste Werth einer Curve muss ohne Antrieb aus sp\u00e4ter zu er\u00f6rternden Gr\u00fcnden immer recht erheblich unter dem zweiten liegen. Wir haben also schon Antrieb anzunehmen, wenn sich dieser Unterschied verkleinert, auch wenn der erste Werth dabei nicht gerade \u00fcber den zweiten erhoben wird. Freilich ist in diesem Falle der Nachweis des Antriebes sehr schwierig und erfordert die Durchf\u00fchrung ausgedehnter Versuchsreihen, welche die rechnerische Bestimmung der Lage des ersten Werthes ohne Antrieb erm\u00f6glichen.\nEiner anderen Schwierigkeit begegnen wir bei der Beurtheilung des Antriebes in solchen Curven, die wegen gro\u00dfer Erm\u00fcdbarkeit von Anfang an fortschreitend sinken. Hier fallen die Zeichen des Antriebs und der Erm\u00fcdung untrennbar zusammen. Dennoch wird ein unverh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig rascher Abfall der Curve im Anf\u00e4nge, wo die Erm\u00fcdung nur gering sein kann, f\u00fcr Antriebswirkungen sprechen, namentlich dann, wenn darauf eine Verlangsamung des Sinkens folgt, wie sie das Anwachsen der JJebung bedingt.\nEiner anderen Form des Antriebes begegnen wir gelegentlich am Ende einer Versuchsreihe, wenn die Versuchsperson wei\u00df, dass der","page":473},{"file":"p0474.txt","language":"de","ocr_de":"'474\nEmil Kraepelin.\n/ Abschluss nahe ist,! wie in den beiden Curven der Fig. 4, vielleicht auch in den Figuren 1\u20143. Ich wurde zuerst auf diese Erscheinung \u25a0 aufmerksam, als ich selbst die Uhr vor mir hatte und daher das Herannahen des letzten Glockenzeichens voraussah. Mich \u00fcberkam dabei eine leichte Erregung, die mich anspornte, nun noch m\u00f6glichst viel zu leisten. Das Ergebniss war eine Steigerung des letzten Ar-beitswerthes, obgleich die Curve l\u00e4ngst im Sinken begriffen war, ein .\u00bbSchlussantrieb\u00ab. Der Nachweis dieser Erscheinung, die aus naheliegenden Gr\u00fcnden weit seltener ist,- als der Antrieb im Beginne, wird nur dort leicht, wo das Ansteigen der Curve mit dem bisherigen Verlaufe im \"Widerspruche steht. Ueberwiegen die Uebungseinfl\u00fcsse bis zum Schl\u00fcsse, so vermischt sich ihre Wirkung untrennbar mit der Steigerung der Leistung durch den Willen.\nSchon die bisher besprochenen Antriebserscheinungen weisen uns darauf hin, dass die Willensspannung, mit der wir die Arbeit vollziehen, durchaus keine gleichm\u00e4\u00dfige ist, sondern mannichfachen Schwankungen unterhegen kann. Wir werden uns daher auch nicht wundern, wenn in den einzelnen Curven, namentlich bei schwierigen Leistungen, die ein Eingreifen unseres Willens besonders herausfordern, h\u00e4ufig gro\u00dfe Abweichungen, auftreten, die sich der einfachen Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit des Kampfes zwischen Uebung und Erm\u00fcdung nicht f\u00fcgen wollen. Die Werthe von B. f\u00fcr das Zahlenlernen in Tabelle I. bieten daf\u00fcr ein Beispiel. Auch in den Figuren 1\u20143 finden sich vielfache solche Schwankungen. Wir erinnern uns dabei der h\u00e4ufig gemachten und aus Heumanns Curve (Fig. 5) deutlich hervorgehenden Erfahrung, dass st\u00e4rkerevWillensspannungen immer nur kurze Zeit andauern. Daraus ergibt sich, dass jedem Antriebe im Verlaufe der Curve immer sehr bald eine Senkung der Werthe folgen muss. Dieses Hin- und Herpendeln der Zahlen ist \u00fcberall sein; auffallend, sobald man die Leistungen 'ganz kurzer Zeiten aufzeichnet. . Au4 den \" Versuehenrvon v. Voss1) geht hervor, dass' di\u00e8 Einzelaufgaben immer , \u2022 gruppenweise gel\u00f6st zu werden pflegen; jeder solchen Anspannung , des Arbeitseifers folgt dann ein kurzer Nachlass, der sich durch lang-'\u25a0 .\u2022 sameres Arbeiten oder geradezu durch eine kleine Pause andeutet. Diese ' Schwankungen \u00e4hneln vollkommen denjenigen der Aufmerksamkeit,\n1) Psychologische Arbeiten II, S. 440.","page":474},{"file":"p0475.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n475-\nwie sie vielfach untersucht worden sind. Sie sprechen daf\u00fcr, dass \u2022 die nur in gro\u00dfen Umrissen stetige Arbeit in Wirklichkeit durch \u2019 immer wiederholte Willensanst\u00f6\u00dfe im Grange erhalten wird. Au\u00dfer- * dem scheinen sich aber, wie die lange D\u00fcnung des Meeres unter dem oberfl\u00e4chlichen Gekr\u00e4usel, noch in gr\u00f6\u00dferen Zeitr\u00e4umen jene Schwankungen zwischen st\u00e4rkerer und schw\u00e4cherer Spannung des Willens abzuspielen, die sich auch in den Mittelwerthen l\u00e4ngerer Arbeitsabschnitte geltend machen. Nur bei sehr einge\u00fcbten und daher mehr selbstth\u00e4tig ablaufenden Arbeiten treten diese gr\u00f6beren Willensschwankungen mehr und mehr hinter den stetigen Einfl\u00fcssen der Uebung und Erm\u00fcdung zur\u00fcck.\nEs liegt auf der Hand, dass ein solches Eingreifen des Willens keine festen Regeln zeigen kann. Dennoch haben wir Anhaltspunkte daf\u00fcr, dass es neben anderen, unberechenbaren Einfl\u00fcssen namentlich zwei Ursachen sind, die eine st\u00e4rkere Anspannung des Willens auszul\u00f6sen pflegen. Die eine ist wahrscheinlich die Wahrnehmung einer Verlangsamung der Arbeit durch die Erm\u00fcdung. Daf\u00fcr spricht au\u00dfer den inneren Erfahrungen bei der Arbeit selbst die Thatsache, dass die gro\u00dfen Schwankungen ganz vorzugsweise in denjenigen Abschnitten der Curve und bei solchen Arbeiten auf treten, bei denen die Erm\u00fcdung bereits eine erhebliche Rolle spielt, wie z. B. in dem Versuche mit Zahlenlemen aus der Tabelle I und in Eig. 2. Bei der sehr erm\u00fcdbaren Versuchsperson H., von der die Eig. 1 stammt, war vielfach vor dem endg\u00fcltigen Sinken ein Anstieg zu beobachten, der, aus dem Gef\u00fchle der M\u00fcdigkeit hervorgehend, wohl als \u00bbM\u00fcdigkeitsantrieb\u00ab bezeichnet werden darf. Wir wissen ja auch aus der t\u00e2glich\u00e9n Erfahrung, dass uns das Nachlassen der Kr\u00e4fte bei der L\u00f6sung einer Aufgabe zu erh\u00f6hter Kraftanstrengung zu veranlassen pflegt. Ganz \u00e4hnlich-ist die Willensanspannung zu beurtheilen, die nach .einer St\u00f6rung erfolgt, um die ablenkende, Wirkung derselben-aus^ugleichen. \u25a0 Bei den \u25a0 Versuchen v\u00f6n-v. V\u00f6ss hat sich ergeben, dass sich an die Verz\u00f6gerung des Addirens, die durch den Uebergang auf eine neuer. Spalte der Zahlenreihen verursacht - wurde, regelm\u00e4\u00dfig , eine kurze Beschleunigung der Arbeit anschloss, die augenscheinlich durch das Bestreben bedingt war, den Zeitverlust wieder einzubringen. Dass sich derselbe Vorgang auch bei sonstigen Ablenkungen und St\u00f6rungen abspielt, kann nach den pers\u00f6nlichen Wahrnehmungen der","page":475},{"file":"p0476.txt","language":"de","ocr_de":"476\nEmil Kraepelin.\nArbeiter selbst kaum bezweifelt werden. Wir sind demnach berechtigt, auch von einem \u00bbSt\u00f6rungsantrieb\u00ab zu sprechen, der aus dem Wunsche entspringt, jeder Gef\u00e4hrdung des Arbeitsergebnisses durch erh\u00f6hte Willensanstrengung zu begegnen.\n. II. Die Arbeitspensen.\n/. Wiederholen wir eine wenig ge\u00fcbte Arbeit nach einiger Zeit zum .zweiten'Male, so stellt sich .-heraus,-fda\u00ebs die Leistung nicht nur die Anfangs- oder Schlusswerthe des fr\u00fch^re^ ,Versuches,.\u2018sondern oft auch den ..Jl\u00f6hepupkt' desselben nicht unerheblich \u00fcbertrifft. Diese allt\u00e4gliche Erfahrung isi'von \u00e4er^allergr\u00f6\u00dften Tragweite f\u00fcr die gesummte , k\u00f6rperliche \u2018und geistige,' Entkleidung der Lebewesen \u00fcberhaupt. Sie beruht darauf, \"dass dife Erscheinungen der Erm\u00fcdung fl\u00fcchtig sind und sich ziemlich rasch vollkommen wieder ausgleichen, W\u00e4hrend die Uebung dauernde Spuren hinterl\u00e4sst, die wir uns etwa, als eine bessere Abfassung des Werkzeuges an , di^ Arbeit deuten k\u00f6n\u00fceni T^i\u00e9'- Muskeln undNinpofaefi durch die Arbeit messbare, zweckdienliche Ver\u00e4nderungen erfahren, so wird wohl auch die geistige Th\u00e4tigkeit die feinen Gewebe umzuformen verm\u00f6gen, an deren Lebensvorg\u00e4nge sie gekn\u00fcpft ist. So schafft sich der Wille seih geistiges R\u00fcstzeug durch die Arbeit, deren Ablauf das anfangs schwerf\u00e4llige Getriebe nachhaltig umgestaltet und zu immer vollkommeneren Leistungen bef\u00e4higt. , \u25a0 '. .' '\nDie Fortdauer der \u00dcebungsspuren kann eine .erstaunlich lange sein. Nach zwei 2 st\u00e4ndigen Addirversucheh schien bei mir selbst voll\u00eb 3 Monate; sp\u00e4ter noch- ein deutlicher Uebungsrest vorhanden zu sein;\u2019 von 17 mal 'wiederholten Associationsversuchen lie\u00dfen sich unverkennbare Nachwirkungen noch nach 13/4 Jahren nach-~ weisen. Der bei weitem gr\u00f6\u00dfte Theil der Uebung geht allerdings recht rasch verloren; hur ein gewisser Bruchtheil derselben erh\u00e4lt sich mit au\u00dferordentlicher Z\u00e4higkeit. Wahrscheinlich vollzieht sich der Vorgang des Uebungsverlustes bei verschiedenen Personen mit sehr verschiedener Geschwindigkeit. Lindley fand, dass zwei Personen nach k\u00fcrzeren und l\u00e4ngeren Zeiten die folgende Zahl von . Additionen weniger ausf\u00fchrten, als man nach dem Stande ihrer Uebung h\u00e4tte erwarten d\u00fcrfen:","page":476},{"file":"p0477.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n477\nTabelle II.\nUebungsverlust nach\t30'\t46'\t1 Tage\t2 Tagen\nA. .\t\u2014\t36\t187\t\u25a0434\nB.\t11\t\u2014\t50\t84 \u25a0\nFreilich sind diese Zahlen mit manchen Fehlern behaftet; ' sie k\u00f6nnen aber doch eine Vorstellung d#von- geben, wie viel sehneller sich die Ue^ng in d\u00e9r ersten Stunde verliert, als in . den folgenden Zeitabschnitte^1, und ; wie gro\u00df die Unterschiede zwischen -den beiden \u25a0' Versuchspersonen sind, die \u00fcbrigens keineswegs Gegenpole darstellen.\" > Vielmehr halte ich es f\u00fcr sicher, d'ass die Abweichungen bei anderen Personen auch im Bereiche der Gesundheitsbreite noch erheblich gr\u00f6\u00dfer sein k\u00f6nnen. Sehr bemerkenswerth ist dabei die schon mehr- - ' fach festgestellte. .Beobachtung, dass gro\u00dfer Uebungsf\u00e4higkeit eine geringe Uebungsfestigkeit zu entsprechen, scheint und umgekehrt. \u2019Wir werden daher die Beziehungen zwisohen Uebungsf\u00e4higkeit und, Erm\u00fcdbarkeit m\u00f6glicherweise auch noch auf die Uebungsfestigkeit a\u00fcsdehnen k\u00f6nnen, drei Eigenschaften, deren gemeinsame Grundlage vielleicht die verschiedene Beweglichkeit und Beeinflussbarkeit der psychischen Vorg\u00e4nge sein k\u00f6nnte.\nVon entschiedener Bedeutung f\u00fcr die .Gr\u00f6sse des \"Uebungsver-lustes ist, die Ausf\u00fcllung der. Zwischenzeit. 'Amberg1) hat gezeigt, dass nach einer Anzahl von Tagesstunden der Uebungsrest. geringer ' ausf\u00e4llt, aie nach der Nachtruhe, trotz .deren l\u00e4ngerer. Dauer. Wir d\u00fcrfen wohl daran denken, dass sich am Tage einerseits' die Er- ' mudung doch nicht so vollst\u00e4ndig* ausgleichen kann-wie in der Nacht, dass aber andererseits vielleicht auch das Kommen und Geh\u00e7n von Eindr\u00fccken, Vorstellungen und Gem\u00fcthsbewegungen im Wachen .der Befestigung der Uebungsspuren weniger, g\u00fcnstig ist, als das Schwinden der Bewusstseinsvorg\u00e4nge im Schlafe.\nWird eine Arbeit wiederholt, bevor der fr\u00fchere Uebungsrest verloren gegangen ist, so wird dieser letztere durch die neu erworbene Uebung verst\u00e4rkt. Das Anwachsen der Uebung durch Wiederholung\n1) Psychologische Arbeiten I, S. 327.","page":477},{"file":"p0478.txt","language":"de","ocr_de":"478\nEmil Kraepelin.\ngeschieht um so schneller, je h\u00e4ufiger die Wiederholungen und je k\u00fcrzer die Zwischenzeiten zwischen den einzelnen Arbeitsabschnitten waren. Dabei ist jedoch die schon fr\u00fcher erw\u00e4hnte Einschr\u00e4nkung zu machen, dass der hei st\u00e4rkerer Erm\u00fcdung geleisteten Arbeit ein geringerer Uebungswerth zukommt, j\u00fca die H\u00f6he der \u00fcberhaupt erreichbaren Uebung begrenzt ist, f\u00e4llt der Uebungszuwachs, der durch eine Arbeit erzeugt wird, um so gr\u00f6\u00dfer aus, je geringer der \u00fcehungsgrad noch ist. Namentlich im ersten Anf\u00e4nge pflegt die Besserung der Leistung eine ganz unverh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig bedeutende zu sein.! Die in Tabelle H erw\u00e4hnten beiden Versuchspersonen Lind-ley\u2019s gewannen hei t\u00e4glich einst\u00fcndigem Addiren in der ersten halben Stunde des zweiten Tages gegen\u00fcber derjenigen des ersten 545 und 299 Zahlen, w\u00e4hrend der durchschnittliche t\u00e4gliche Uehungsfortschritt f\u00fcr die ersten halben Stunden der ersten 10 Tage 145 Zahlen hei A. und 150 hei B. betrug, um in den letzten 6 Tagen der 26 t\u00e4gigen Reihe auf 31,8 Zahlen bei A. und 42,2 Zahlen bei B. zu sinken. \\ Dieselbe Erscheinung, ein ungemein starkes Anwachsen der Leistung von einem Tage zum andern, wiederholt sich stets nicht nur im ersten Beginn der Versuche, sondern auch nach einer l\u00e4ngeren Unterbrechung derselben. Da dieses Verhalten von dem sp\u00e4teren, weit flacheren Verlaufe der Uebungscurve in sehr auffallender Weise abweicht, erscheint die durch die Versuchserfahrung gest\u00fctzte Anschauung berechtigt, dass hier noch eine besondere, die Arbeit erleichternde Ursache mit hineinspielt, die Gew\u00f6hnung.\nDas Addiren einstelliger Zahlenreihen ist an sich eine Arbeit, die wir h\u00e4ufig leisten. Dem Versuche eigenth\u00fcmlich ist einerseits die lange Fortsetzung der gleichen Th\u00e4tigkeit, andererseits die m\u00f6glichste Beschleunigung derselben. Wir werden dadurch gen\u00f6thigt, f\u00fcr ganz ungew\u00f6hnlich lange Zeit unsere Aufmerksamkeit ununterbrochen auf denselben Gegenstand zu richten und alle Nebenvorstellungen aus unserem Bewusstsein femzuhalten. Gerade beim Herantreten an die neue Art der Arbeit mit ihren besonderen Bedingungen und Zielen dr\u00e4ngen sich uns aber unwillk\u00fcrlich allerlei Gedanken auf, die uns von der Aufgabe ahlenken. Zugleich m\u00fcssen wir erst lernen, alle die kleinen zuf\u00e4lligen St\u00f6rungen unbeachtet zu lassen und uns gegen die Umgehung mehr und mehr abzuschlie\u00dfen. Wie die Erfahrung lehrt, verschwindet das aus diesen Umst\u00e4nden","page":478},{"file":"p0479.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n479\nentspringende Gef\u00fchl des \u00bbUngewohnten\u00ab verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig rasch und ist am 2. oder 3. Yersuchstage jedenfalls kaum andeutungsweise mehr vorhanden, obgleich die Uebung, die Erleichterung der Arbeit durch die Ausbildung bleibender Spuren der fr\u00fcheren Th\u00e4tigkeit, noch bedeutende Fortschritte machen kann. Diesem raschen Eintritte der Gew\u00f6hnung d\u00fcrfte daher die unverh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfige Steigerung der Leistung mit entsprechen.\nDer Ausgleich der Arbeitserm\u00fcdung ist nur m\u00f6glich durch die Erholung. Bei geringen Graden gen\u00fcgt einigerma\u00dfen schon das einfache Ausruhen. Da aber das Wachsein keine vollst\u00e4ndige Ruhe, sondern immer Bewusstseinsth\u00e4tigkeit bedeutet, nimmt, die geistige Gesammterm\u00fcdung im Laufe des Tages langsam zu, auch wenn durch Erholungspausen die Erm\u00fcdungswirkung einzelner Arbeiten ann\u00e4hernd beseitigt wurde. Aus diesem Grunde kann v\u00f6llige geistige Frische schlie\u00dflich nur durch den Schlaf wiederhergestellt werden. Unser geistiges Werkzeug verh\u00e4lt sich in dieser Beziehung wesentlich anders, als der Muskel, der durch einfache Ruhe seine Leistungsf\u00e4higkeit wieder gewinnen kann, da das Fortfallen der Bewegung f\u00fcr ihn wirklich ein g\u00e4nzliches Aufh\u00f6ren der Arbeitsleistung bedeutet. Die Arbeit der Muskeln vertheilt sich auf eine grosse Zahl von einander g\u00e4nzlich unabh\u00e4ngiger Th\u00e4tigkeitsgehiete, die einzeln erm\u00fcden und einzeln sich wieder erholen k\u00f6nnen. Dem gegen\u00fcber ist die Erm\u00fcdung durch geistige Arbeit, soviel wir bis jetzt wissen, eine allgemeine. Wie insbesondere Weygandt\u2019s Untersuchungen \u00fcber die Wirkungen des Arbeitswechsels1) gezeigt haben, setzt die Erm\u00fcdung durch eine bestimmte Th\u00e4tigkeit die Leistung auch f\u00fcr solche Arbeiten herab, die mit ganz anderen seelischen H\u00fclfsmitteln durchgef\u00fchrt werden. So erkl\u00e4rt sich eben die Nothwendigkeit, nach bestimmter Zeit Ruhe und Schlaf einzuschieben, gleichg\u00fcltig, ob wir immer dieselbe oder verschiedenartige geistige Arbeit geleistet haben. Nur die Schwierigkeit der Leistung ist f\u00fcr den allgemeinen Erm\u00fcdungsgrad ma\u00dfgebend, nicht ihre Art. Allerdings scheint angestrengte Th\u00e4tigkeit gr\u00f6\u00dferer Muskelgruppen auch die Arbeitsf\u00e4higkeit anderer, nicht unmittelbar betheiligter Muskeln zu beeintr\u00e4chtigen, so das Marschiren die Kraft der Arme. Einerseits aber ist hei ausgiebigen k\u00f6rperlichen Uehungen\n1) Psychologische Arbeiten II, S. 190.","page":479},{"file":"p0480.txt","language":"de","ocr_de":"480\nEmil Kraepelin.\nvon wirklicher Ruhe einzelner Glieder schwerlich die Rede ; andererseits ist es sehr wohl m\u00f6glich, dass es sich hei der Herabsetzung der Leistung durch die Arbeit fern gelegener Muskelgebiete um Erm\u00fcdungserscheinungen nicht in den Muskeln seihst, sondern im Bereiche der Willcnsausl\u00f6sung handelt.\nAus diesen Ueberlegungen werden wir den Schluss ziehen d\u00fcrfen, dass ohne den Einfluss der Uebung nach einer erm\u00fcdenden geistigen Arbeit die volle H\u00f6he der fr\u00fcheren Leistung nur dann wieder erreicht werden k\u00f6nnte, wenn ein Schlaf nicht nur die Versuchserm\u00fcdung, sondern auch die Tageserm\u00fcdung beseitigt h\u00e4tte. In Wirklichkeit aber wird der wachsende Emi\u00fcdungrest aus der gesammten Tagesleistung meist mehr als aufgewogen durch die Nachwirkungen der Uebung. Indessen, da auch die Uebungsspuren, namentlich im Anf\u00e4nge, rasch verblassen, wird der Ausgleich der Erm\u00fcdung bei l\u00e4ngerer Zwischenzeit ein allm\u00e4hlich immer weniger g\u00fcnstiges Ergebniss liefern. Dazu kommt, dass die \u00fcberhaupt erreichbare Erholungswirkung einer Pause ohne Schlaf nach einer gewissen Zeit ihren Abschluss findet. Von hier ab wird die H\u00f6he der Arbeitswerthe nur noch durch die langsam fortschreitende Tageserm\u00fcdung und den schwindenden Uebungs-rest bestimmt; sie muss also fortschreitend sinken.y\nWir erkennen somit, dass in der Pause nach einer erm\u00fcdenden Arbeit die Leistungsf\u00e4higkeit sich zun\u00e4chst durch die Erholungswirkung der Ruhe wieder hebt. Nach einer bestimmten Zeit erreicht sie einen H\u00f6hepunkt, der in Folge des Uebungsrestes vielfach h\u00f6her liegt, als jede fr\u00fchere Leistung, aber wegen des Uebungsverlustes nicht um den vollen Betrag der urspr\u00fcnglich erzielten Uebung. Dieser H\u00f4h\u00e8punkt bezeichnet den Augenblick, in welchem der Uebungs-rest den gr\u00f6\u00dften Ueberschuss \u00fcber den Erm\u00fcdungsrest aufweist. Sp\u00e4terhin nimmt dann die wesentlich durch den Gang des Uebungsverlustes bestimmte Leistung langsam wieder ab. Durch Versuche k\u00f6nnen wir die Lage jener \u00bbg\u00fcnstigsten Pause\u00ab ann\u00e4hernd feststellen. Dieselbe h\u00e4ngt einerseits ab von der L\u00e4nge und Art der vorhergehenden Arbeit, die das Verh\u00e4ltniss zwischen Uebung und Erm\u00fcdung bestimmen, sodann von den pers\u00f6nlichen Eigenschaften der Uebungsf\u00e4higkeit, Uebungsfestigkeit und Erm\u00fcdbarkeit, vielleicht auch von der Uebungsstufe, auf der sich die Versuchsperson zur gegebenen Zeit befindet. Da indessen mit wachsender Uebung auch","page":480},{"file":"p0481.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n481\ndie Erm\u00fcdungswirkungen abnehmen, so darf die L\u00e4nge der g\u00fcnstigsten Pause unter sonst gleichen Arbeitsbedingungen wahrscheinlich wesentlich als ein Ausdruck der pers\u00f6nlichen Eigenart oder doch des jeweiligen Gesammtzustandes angesehen werden. In der That schwankte ihre Ausdehnung bei den 3 Versuchspersonen Lin die y\u2019s nach halbst\u00fcndiger Addirarbeit zwischen 15' und mehr als 60'.\nDa die Erm\u00fcdungswirkungen wenigstens bei einigerma\u00dfen einge\u00fcbten Arbeiten in der Pause zun\u00e4chst stets das Feld beherrschen, andererseits aber weit fr\u00fcher schwinden, als die Uebungsreste, so wird im allgemeinen die Dauer der g\u00fcnstigsten Pause uns ein Bild von der Geschwindigkeit liefern, mit der sich die Erm\u00fcdung wieder ausgleicht; ihr Abschluss wird m. a. W. meist dem Ende der Erholungswirkung ziemlich nahe liegen. Ihre Ausdehnung liefert uns somit einen ungef\u00e4hren Anhalt zur Beurtheilung der Erholungsf\u00e4higkeit einer Versuchsperson. Andererseits zeigt uns die H\u00f6he der nach der g\u00fcnstigsten Pause erreichten Arbeitswerthe die Einbu\u00dfe, welche die Leistung vor der Pause durch die Erm\u00fcdung erlitten hat. Allerdings ist der Unterschied der vor und nach der g\u00fcnstigsten Pause erhaltenen Zahlen unter allen Umst\u00e4nden kleiner, als die wirkliche Erm\u00fcdungsgr\u00f6\u00dfe, da einerseits in der Zwischenzeit meist doch kein v\u00f6lliger Ausgleich der Erm\u00fcdung stattgefunden hat, und da andererseits auch der unterdessen eingetretene Uebungs-verlust mit in Rechnung gezogen werden m\u00fcsste. Ueber das Gewicht dieser letzteren Einschr\u00e4nkung wird man sich ein ann\u00e4herndes Ur-theil durch Untersuchung noch l\u00e4ngerer Pausen verschaffen k\u00f6nnen. Rasches Sinken der Arbeitswerthe mit Vergr\u00f6\u00dferung der Zwischenzeiten deutet darauf hin, dass die Sch\u00e4tzung der Erm\u00fcdungswirkung in Folge des Uebungsverlustes weit hinter dem wirklichen Betrage zur\u00fcckblieb, w\u00e4hrend eine langsame Verkleinerung der Leistung schlie\u00dfen l\u00e4sst, dass sich das Schwinden der Uebung auch in der g\u00fcnstigsten Pause nicht \u00fcberm\u00e4\u00dfig schnell vollzog. Es wird immerhin m\u00f6glich sein, den Leistungszuwachs nach der g\u00fcnstigsten Pause als ein brauchbares Vergleichsma\u00df f\u00fcr die pers\u00f6nliche Erm\u00fcdbarkeit zu betrachten, wenn der Verlauf der Arbeitswerthe nach l\u00e4ngeren Pausen keine st\u00e4rkeren Abweichungen erkennen l\u00e4sst.\nBevor die g\u00fcnstigste Pause erreicht wird, m\u00fcssen wir an einen Punkt kommen, an dem Erm\u00fcdungsrest und Uebungsrest einander\nW u n d t, Philos. Studien. XIX.\t31","page":481},{"file":"p0482.txt","language":"de","ocr_de":"482\nEmil Kraepelin.\ngenau die Waage halten. Setzt hier ein neuer Arheitsabschnitt ein, so wird demnach die Leistung gerade so hoch ausfallen m\u00fcssen wie vor der Pause. Auch die Lage dieser \u00bbGleichgewichtspause\u00ab--wird vornehmlich durch die Schnelligkeit bestimmt, mit der sich die Erm\u00fcdung ausgleicht, in zweiter Linie durch die Geschwindigkeit des Uebungsverlustes, aber in umgekehrtem Sinne. Leider gen\u00fcgen die bisherigen Erfahrungen nicht, um \u00fcber die L\u00e4nge dieser Pause genaue Angaben zu gestatten, doch haben Versuche von Hylan und Krauss an einer Eeihe von Personen gezeigt, dass die Gleichgewichtspause nach einer Addirarbeit von 5 Minuten Dauer etwa um 20' herum gesucht werden muss. Der Zeitunterschied zwischen der g\u00fcnstigsten und der Gleichgewichtspause, der sich durch geeignet abgestufte Versuche ermitteln l\u00e4sst, w\u00fcrde uns wiederum ein Urtheil \u00fcber die Erholungsgeschwindigkeit erm\u00f6glichen, das um so zuverl\u00e4ssiger wird, wenn wir aus dem Gange der Leistung jenseits der g\u00fcnstigsten Pause gleichzeitig ein Bild von dem Verlaufe des Uebungsverlustes allein gewonnen haben.\nBei dem raschen Schwinden der Erm\u00fcdung und der weit langsameren Abnahme der Uebungsspuren muss offenbar das Verh\u00e4ltniss dieser beiden Einfl\u00fcsse zu einander am ung\u00fcnstigsten unmittelbar nach Beendigung der Arbeit sein. Wir werden somit erwarten, dass die Wirkung einer Pause auf die H\u00f6he der Arbeitsleistung von den k\u00fcrzesten Erholungszeiten bis zur g\u00fcnstigsten Pause' mehr oder weniger regelm\u00e4ssig anw\u00e4chst. Der Versuch hat anders entschieden. Schon Amberg1) konnte zeigen, dass nach halbst\u00fcndigem Addiren die Besserung der Arbeitswerthe durch eine Pause von 5' ausgiebiger war, als nach 15'. Er zog daraus den Schluss, dass es eine arbeitf\u00f6rdernde Ursache geben m\u00fcsse, deren Wirkung nach 5' noch vorhanden, nach 15' aber bereits verschwunden sei. Diese Ursache, die eben wegen ihrer Fl\u00fcchtigkeit von der Uebung abzutrennen war, bezeichnete er als \u00bbAnregung\u00ab und verglich sie mit der Tr\u00e4gheit der Massen, welche den Anfang wie die Beendigung einer Bewegung erschwert. Nach seiner Auffassung ist einerseits ein Theil des Leistungsfortschrittes auf diese Ueberwindung der psychophysischen Tr\u00e4gheit zur\u00fcckzuf\u00fchren ; andererseits bleibt nach dem Auf h\u00f6ren der\n1) Psychologische Arbeiten I, S. 317, 374.","page":482},{"file":"p0483.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n483\nTh\u00e4tigkeit noch eine kurze Zeit hindurch die innere \"Erregung zur\u00fcck, die zun\u00e4chst den Wiederbeginn der Arbeit erleichtert. Beide Vorg\u00e4nge spielen sich auch dann in gleicher Weise ab, wenn ein nennenswerther Uebungsfortschritt gar nicht mehr stattfindet, zeigen also auch darin ihre Sonderstellung gegen\u00fcber den Uebungseinfl\u00fcssen. Jede Arbeitspause wirkt demnach nicht nur als ^Erholung und durch den Ygrlust der Uebung, sondern auch als Unterbrechutig-mif, Schwinden der Anregung. Die verschiedene Wirkung der Pause von 5' und 15' w\u00e4re dahin zu deuten, dass in der kurzen Zeit nur ein Theil der erworbenen Anregung verloren geht, w\u00e4hrend nach 15' wohl \"kein Rest derselben mehr \u00fcbrig gebliehen ist.\nDie Ergebnisse Amberg\u2019s haben durch sp\u00e4tere Versuche vielfache Best\u00e4tigung gefunden. Bei allen drei Versuchspersonen Lindley\u2019s hat sich wenigstens gezeigt, dass die Pause von 5' ung\u00fcnstiger wirkte, als das Fortarbeiten ohne Pause, dass also hier ein arbeitf\u00f6rderrider Einfluss verloren gegangen war. Dass es sich nicht wohl um den UehungsVerlust handeln k\u00f6nne, lehrte mit gr\u00f6\u00dfter Wahrscheinlichkeit das Verhalten l\u00e4ngerer Pausen, in denen sich die Leistung zun\u00e4chst wieder g\u00fcnstiger gestaltet. Man m\u00fcsste sonst zu der sehr zweifelhaften Annahme kommen, dass sich der Uebungsverlust anfangs rascher, sp\u00e4ter aber weit langsamer vollzogen habe, als der Ausgleich der Erm\u00fcdung. Weiterhin aber haben Versuche von Hylan mit Arbeitsabschnitten von 5' Dauer, die durch verschieden lange Pausen von einander getrennt waren, dargethan, dass es lange vor der Erreichung der Gleichgewichtspause eine Pause gibt, durch welche die Leistung eine rasche und erhebliche Senkung erf\u00e4hrt. Diese Pause lag bei seinen drei Personen zwischen 10' und 20', soweit die ungen\u00fcgend abgestuften Versuche ein Urtlieil erlauben. Endlich besitzen wir Versuche von Krauss nach der gleichen Anordnung, die wenigstens bei 3 von 5 Personen deutlich eine \u00bbung\u00fcnstigste Pause\u00ab von etwa 15' Dauer erkennen lassen; bei den anderen Personen wurde sie m\u00f6glicherweise durch die zu grobe Abstufung der Versuche verdeckt. Ich gebe in Tabelle III einige Zahlen, welche diese Befunde verdeutlichen. Die Leistung im Addiren nach den Pausen von verschiedener Dauer ist \u00fcberall in Procenten der vorher erreichten Arbeitswerthe ausgedr\u00fcckt; alle Abschnitte umfassten nur 5- Minuten.\n/\n31*","page":483},{"file":"p0484.txt","language":"de","ocr_de":"484\nEmil Kraepelin.\nTabelle III.\nPausendauer\t1 0'\t1'\t5'\t10'\t15'\t20'\t30'\nHylan, H.\t100,3\t100,8\t103,3\t101,1\t101,1\t93,9\t106,1\nHylan, K.\t98,5\t100,6\t101,5\t98,5\t100,4\t99,9\t100,9\nHylan, W.\t100,5\t100,1\t109,0\t110,4\t98,4\t111,8\t112,5\nKrauss, A.\t96,0\t99,1\t98,2\t\t98,2\t\t101,1\nKrauss, D.\t97,3\t96,4\t101,4\t\t90,4\t\t100,8\nKrauss, E.\t94,6\t98,1\t102,8\t\t98,6\t\t101,7\nDie hier \u00fcberall mehr \u00f6der weniger deutlich hervortretende ung\u00fcnstigste Pause vor dem sp\u00e4teren Anwachsen der Werthe lehrt uns mit Bestimmtheit, dass in der Zeit zwischen 10' und 20' ein arbeitf\u00f6rdernder Einfluss aufgeh\u00f6rt haben muss. Dass es sich hier um die Anregung Amberg\u2019s handelt, wird man schwerlich bezweifeln k\u00f6nnen. Auffallend ist nur der Umstand, dass diese Anregung auch nach einer so kurzen Arbeitszeit, wie sie hier vorlag, 15' oder selbst 20' angedauert haben soll. Man wird kaum annehmen d\u00fcrfen, dass nach 5 Minuten Arbeit das einfache Beharrungsverm\u00f6gen des Seelenwerkzeuges die sp\u00e4tere Th\u00e4tigkeit so lange Zeit erleichtern konnte. Vielmehr wird man sich zu denken haben, dass w\u00e4hrend der k\u00fcrzeren Pausen, so lange die Versuchsperson die baldige Wiederaufnahme der Th\u00e4tigkeit im Auge behielt, eine gewisse \u00bbArbeitsbereitschaft\u00ab forthestand, die sich im einzelnen vielleicht aus sehr verschiedenen Bedingungen zusammensetzte, etwa aus dem Festhalten bestimmter Vorstellungen und Willensrichtungen, dem Ausschl\u00fcsse von ablenkenden Einfl\u00fcssen, am Ende auch einer gewissen Spannung und Erregung im Sinne der Tr\u00e4gheit.\nWie die Bezeichnung der ung\u00fcnstigsten Pause andeutet, nimmt die Leistung nicht nur bei l\u00e4ngeren, sondern auch bei k\u00fcrzeren Pausen einen h\u00f6heren Stand ein. Dadurch entsteht vor der ung\u00fcnstigsten eine neue g\u00fcnstige Pause, die in der Regel eine etwas geringere Steigerung der Leistung erzeugen d\u00fcrfte, als die sp\u00e4tere. In der Tabelle III trifft das nicht immer zu, doch d\u00fcrfen wir nicht au\u00dfer Acht lassen, dass die dort gegebenen Zahlen bei der Gr\u00f6\u00dfe der Abstufungen nur ein sehr l\u00fcckenhaftes Bild von dem wahren","page":484},{"file":"p0485.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n485\nVerlaufe der Dinge zu \u00fcbermitteln verm\u00f6gen. Die erste g\u00fcnstige j Pause liegt etwa bei 5', wie vfir aus unseren Versuchen schlie\u00dfen d\u00fcrfen. Wir haben uns wohl vorzustellen, dass die geringe Einbu\u00dfe an Arbeitsbereitschaft nach dem Aufh\u00f6ren der Arbeit zun\u00e4chst die Erholungswirkungen der Pause nicht auszugleichen vermag. Diese \u00fcberwiegen daher im Anf\u00e4nge \u00fcber den ung\u00fcnstigen Einfluss der Arbeitsunterbrechung, w\u00e4hrend sp\u00e4terhin der ziemlich rasch erfolgende Verlust der Anregung das Verh\u00e4ltniss ung\u00fcnstiger gestaltet. Nach einer Minute Pause ist, wie aus der Tabelle III hervorgeht, die Leistung bald etwas gr\u00f6\u00dfer, bald etwas kleiner, als bei ununterbrochenem Eortarbeiten. Wir haben Grund, anzunehmen, dass im ersteren Falle ein h\u00f6herer Grad von Erm\u00fcdung, unter sonst gleichen Bedingungen also eine st\u00e4rkere Erm\u00fcdbarkeit besteht, als im letzteren.\nEs hat sich n\u00e4mlich schon bei Amberg\u2019s Versuchen heraus-gestellt, dass die Erholungswirkung einer Pause ganz wesentlich von der Art und Dauer der vorhergehenden Arbeit abh\u00e4ngig ist. So J steigerte eine viertelst\u00fcndige Pause die Leistung, wenn sie nach ein- I stiindiger Addirarbeit eingeschoben wurde, w\u00e4hrend sie nach einhalb-st\u00fcndiger Th\u00e4tigkeit ung\u00fcnstig gewirkt hatte. Trat aber an Stelle \\ des Addirens das Lernen, so erwies sich die gleiche Pause schon nach einer halben Stunde g\u00fcnstig. Auf st\u00e4rkere Erm\u00fcdungswirkungen ist es daher wohl in erster Linie zur\u00fcckzuf\u00fchren, wenn auf Lindley\u2019s Versuchspersonen nach halbst\u00fcndiger Arbeit die Pause von 15' verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig g\u00fcnstiger wirkte als bei Amberg. Anscheinend \u00fcberwog der Ausgleich der Erm\u00fcdung so sehr, dass dem gegen\u00fcber der Anregungsverlust nicht zur Geltung kam. Es ist aber nat\u00fcrlich auch m\u00f6glich, das in dem Verhalten der Anregung Unterschiede bestehen, \u00fcber die wir uns bisher keine Rechenschaft zu geben verm\u00f6gen.\nDie gro\u00dfe Bedeutung des Erm\u00fcdungsgrades f\u00fcr die Wirkung der Pause ergibt sich deutlich aus Versuchen, die Heumann neuerdings angestellt hat, indem er \u00fcberall eine Pause von 1' nach Addiren von 1' bis zu 60' Dauer einschob. Dabei liess sich klar erkennen, dass nach kurzen Arbeitszeiten die Unterbrechungswirkung der Pause \u00fcberwog, w\u00e4hrend mit dem Anwachsen der Erm\u00fcdung die Erholungswirkung immer st\u00e4rker hervortrat. So lieferte eine Versuchsperson","page":485},{"file":"p0486.txt","language":"de","ocr_de":"486\nEmil Kraepelin.\nfolgende Leistungen nach der Pause, ausgedr\u00fcckt in % der Durchschnittsleistung vor derselben:\n/ '\nTabelle IV.\nArbeitsdauer\t\t1'\t5'\t10'\t15'\t30'\t60'\nLeistung nach der Pause ( % )\t86,7\t97,4\t105,3\t106,0\t111,5-\t112,3\n'YWWn\t\t\t\t\t\t\nNach 5' Arbeit war hier offenbar die Erm\u00fcdung noch so gering, dass ihr Ausgleich den Veflust an Anregung nicht zu \u00fcberwiegen vermochte. Erst hei 10' trat die Erholung durchaus in den Vordergrund. Allerdings handelte es sich hier um eine Versuchsperson mit gro\u00dfer Erm\u00fcdbarkeit und Uebungsf\u00e4higkeit. In einer anderen, \u00e4hnlichen Versuchsreihe, die Hylan mit einer Versuchsperson von sehr geringer Erm\u00fcdbarkeit durchf\u00fchrte, lie\u00df sich beim Anwachsen der Arbeitszeit von 5' auf 20' noch keine regelm\u00e4\u00dfige Zunahme der g\u00fcnstigen Pausenwirkung nachweisen. Andererseits schien es in den Versuchen Hylan\u2019s, als oh die L\u00e4nge der g\u00fcnstigsten Pause mit wachsender TJebung ahn\u00e4hme. Diese Beobachtung deutet auf einen rascheren Ausgleich der Erm\u00fcdungserscheinungen bei vorgeschrittener Uebung hin, wie er mit sonstigen Erfahrungen der Versuche und des t\u00e4glichen Lebens \u00fcber die Abnahme der Erm\u00fcdbarkeit durch die Uebung in gutem Einkl\u00e4nge stehen w\u00fcrde. Wir erkennen aus allen angef\u00fchrten Thatsachen, dass die Wirkung einer Pause durchaus von dem Grade der bestehenden Erm\u00fcdung abh\u00e4ngig ist und gerade deswegen vielleicht als Maa\u00df f\u00fcr die Gr\u00f6\u00dfe von Erm\u00fcdungswirkungen benutzt werden kann.\nDass der Unterschied in der Wirkung einer Pause von 1' um 25 % anwachsen k\u00f6nne, je nachdem die Arbeitszeit vorher 1' oder 60' betragen hat, ist gewiss \u00fcberraschend. Indessen ist dabei zu ber\u00fccksichtigen, dass die Durchschnittswerthe vor der Pause bei den l\u00e4ngeren Arbeitszeiten deswegen verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig zu niedrig ausgefallen sind, weil in ihnen der jedesmalige erhebliche Uehungsfortschritt, der den Werth nach der Pause hob, nur ungen\u00fcgend zum Ausdrucke kommt. Vergleicht man die Leistung der letzten 5 Minuten unmittelbar","page":486},{"file":"p0487.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n487\nvor der Pause mit der Leistung nach derselben, so betr\u00e4gt der Zuwachs nach einst\u00fcndiger Arbeit nur noch 8,2 so dass sich der gesammte Spielraum der Pausenwirkung im vorliegenden Falle auf 21,5 % erm\u00e4\u00dfigt. Auch so schon erscheint es recht bemerkenswerth, dass eine so kurze Pause nach l\u00e4ngerer Arbeit eine derartige Besserung der Leistung herbeif\u00fchren kann. Wir m\u00fcssen daraus den Schluss ziehen, dass die Erholung keinesfalls wesentlich in einem Ers\u00e4tze der verbrauchten Stoffe liegen kann, da auf diesem Wege eine so schleunige Wirkung unm\u00f6glich erscheint. Vielmehr werden wir durch diese Erfahrung darauf hingewiesen, dass hier wohl \u00e4hnliche Verh\u00e4ltnisse obwalten wie beim Muskel. Dort k\u00f6nnen wir deutlich die durch eine einzelne Ziehung oder Gruppe von Ziehungen erzeugte, sich rasch ausgleichende Erm\u00fcdung von der erst in l\u00e4ngerer Arbeit allm\u00e4hlich anwachsenden Dauererm\u00fcdung auseinanderhalten, die nur langsam und haupts\u00e4chlich unter dem Einfl\u00fcsse der Nahrungsaufnahme sich wieder verliert. Wir haben allen Grund, heim Muskel f\u00fcr die Curven-erm\u00fcdung die Anh\u00e4ufung von l\u00e4hmend wirkenden Zersetzungsstoffen und nur f\u00fcr die Dauererm\u00fcdung die Ersch\u00f6pfung des Kraftvorratlies verantwortlich zu machen. Daher d\u00fcrfen wir wohl auch hier ver-muthen, dass die ungemein starke Wirkung kurzer Pausen vor allem I auf die Aussp\u00fclung von Stoffwechselerzeugnissen zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, die sich im Laufe fortgesetzter Arbeit rascher angesammelt haben, als sie weggeschafft werden k\u00f6nnen. Auf ihrer Giftwirkung beruht wahrscheinlich der gr\u00f6\u00dfte Theil der Erm\u00fcdungsl\u00e4hmung, wenn sich auch die Anzeichen einer Dauererm\u00fcdung, die nur durch Stoffersatz ausgeglichen Werden kann, hei l\u00e4ngerer Arbeit \u00fcberall nachweisen lassen. Auch f\u00fcr die geistige Erm\u00fcdung w\u00fcrde somit die Vorstellung verwerthbar sein, dass wir es, wie beim Muskel, mit einer Art Selbststeuerung zu thun haben, insofern die Zerfallstoffe durch ihre l\u00e4hmenden Wirkungen die Leistung herabsetzen und damit eine wirkliche Ersch\u00f6pfung des Kraftvorrathes mit ihren verderblichen Folgen f\u00fcr den Bestand der Gewebe verhindern.\nBei sehr kurz dauernder Arbeit kann nat\u00fcrlich die Anh\u00e4ufung von Zersetzungsstoffen nur unbedeutend sein. Ihre Beseitigung in der Arbeitspause wird daher auf die H\u00f6he der Leistung nur einen geringf\u00fcgigen Einfluss aus\u00fcben. Da ferner der Uebungsrest einer Arbeit von 1' nach der Pausenminute verschwindend sein d\u00fcrfte,","page":487},{"file":"p0488.txt","language":"de","ocr_de":"488\nEmil Kraepelin.\nso liegt die Vermuthung nahe, dass wir in dem Sinken der Leistung, wie es die Tabelle IV nach 1' aufweist, einen brauchbaren Ma\u00dfstab f\u00fcr die Gr\u00f6\u00dfe der Anregung besitzen. Scheint doch die Abnahme des Arbeitswerthes um 13,3 % wesentlich oder ausschlie\u00dflich durch den theilweisen Verlust der Anregung in der kurzen Pause verursacht zu sein. Dieser Betrag ist ganz auffallend hoch, zumal wenn wir bedenken, dass die Anregung nach 1' gewiss noch nicht voll entwickelt gewesen sein kann und dass nach 5 Minuten Arbeit, wie Hylan\u2019s Versuche zeigen, ihre letzten Spuren mindestens 10' lang das Aufh\u00f6ren der Arbeit \u00fcberdauern. Der hier abgeleitete \"Werth k\u00f6nnte demnach nur einen Theil der Anregung umfassen, die wir nach 5' oder 10' Arbeitszeit anzunehmen h\u00e4tten.\nAllein diese Annahme ist tr\u00fcgerisch. Es zeigt sich n\u00e4mlich, dass die kurze Arbeitszeit von 1' in ganz unverh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfigem Grade vom Antriebe beherrscht wird. Die Aussicht, nur eine Minute Zeit vor sich zu haben, f\u00fchrt zu einer sehr starken \"Willensanspannung, wie sie keine zweite Minute lang eingehalten werden k\u00f6nnte. Dadurch wird der erste Vergleichswerth viel zu hoch. Allerdings fehlen auch in den \u00fcbrigen Arbeitsabschnitten vor und nach den Pausen Antriebswirkungen nicht, aber sie sind einmal geringer; sodann aber wird ihr Einfluss auf die Zahlen der Tabelle durch die Mittelziehung aus l\u00e4ngeren Zeitr\u00e4umen mehr oder weniger vollst\u00e4ndig ausgeglichen. Die Unterbrechungswirkung der Pause nach 1 Arbeit erscheint demnach viel zu ung\u00fcnstig und vermag durchaus keine richtige Vorstellung von der wahren Gr\u00f6\u00dfe der Anregung zu liefern.\nIn \u00e4hnlicher Weise wie der Antrieb k\u00f6nnen anscheinend auch andere vor\u00fcbergehende Einfl\u00fcsse die Arbeitswerthe vor oder nach der Pause ver\u00e4ndern und dadurch das Bild der Pausenwirkung f\u00e4lschen. Namentlich ablenkende Ursachen w\u00fcrden hier in Betracht kommen, die aber durch H\u00e4ufung der Versuche unsch\u00e4dlich gemacht werden k\u00f6nnen. Ferner hat Hylan Pausenversuche ausgef\u00fchrt, in denen dem ersten Arbeitsabschnitte ein zweist\u00fcndiger Spaziergang voraufging. Er hoffte, dabei den Einfluss k\u00f6rperlicher Erm\u00fcdung auf die Pausenwirkung genauer feststellen zu k\u00f6nnen. Es zeigte sich indessen, dass au\u00dfer der Erm\u00fcdung zun\u00e4cht eine leichte Erregung auf trat, welche die Arbeit erleichterte, sich aber nach einiger Zeit wieder verlor. Dieses Schwinden der Erregung bedingte eine","page":488},{"file":"p0489.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n489\nAbnahme der Leistung, welche die Wirkung der Pausen, innerhalb deren sie erfolgte, unverh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig ung\u00fcnstig erscheinen lie\u00df. So konnte eine k\u00fcnstliche ung\u00fcnstige Pause entstehen, deren Lage jedoch nicht mehr von den Erm\u00fcdungsverh\u00e4ltnissen im Versuche, sondern nur von der L\u00e4nge der Zwischenzeit seit der Beendigung des Spazierganges abh\u00e4ngig war.\nIII. Die Zerlegung der Arbeitscurve.\nUnsere bisherigen Betrachtungen haben uns gezeigt, dass die Arbeitscurve eine recht verwickelte Zusammensetzung aufweist. Uebung und Erm\u00fcdung, Gew\u00f6hnung, Anregung und Antrieb in wechselnder Gr\u00f6\u00dfe, dazu Uebungsverlust und Erholung wirken mit und gegeneinander, um alle die mannigfaltigen Gestaltungen der Arbeitscurve zu erzeugen, die uns bei der Untersuchung verschiedener Personen und unter verschiedenen Bedingungen begegnen. Man wird nicht gerade behaupten k\u00f6nnen, dass diese Feststellung etwas wesentlich Neues enthalte. Alle die genannten einzelnen Bedingungen sind uns aus den Erfahrungen des t\u00e4glichen Lebens genugsam bekannt. Wir wissen, dass die Arbeit uns nicht nur erm\u00fcdet, sondern auch unsere Leistungsf\u00e4higkeit steigert, dass wir uns an eine neue Th\u00e4tigkeit erst gew\u00f6hnen m\u00fcssen, dass uns Unterbrechungen hindern, bei einer Arbeit warm zu werden u. s. f. Manche dieser S\u00e4tze und die aus ihnen abgeleiteten Folgerungen sind geradezu Volksregeln geworden, die wir mehr oder weniger klar bewusst in unserer Lebensf\u00fchrung befolgen.\nDennoch d\u00fcrfte wohl kaum Jemand im st\u00e4nde sein, sich ohne die Ergebnisse des Versuches ein deutliches Bild von dem Ineinandergreifen aller der genannten Einfl\u00fcsse zu entwerfen. Ich selbst muss wenigstens gestehen, dass ich mehr als ein Jahrzehnt gebraucht habe, um nach und nach auf die Betheiligung der einzelnen Umst\u00e4nde an der Entstehung der Arbeitscurve aufmerksam zu werden. Die Quelle der Erkenntniss waren regelm\u00e4\u00dfig Versuche, die ein ganz anderes Ergebnis lieferten, als ich erwartet hatte. Die L\u00f6sung des Widerspruches f\u00fchrte dann zur Aufdeckung irgend eines bis dahin \u00fcbersehenen Gliedes in der Kette von Ursachen, welche die Arbeitscurve gestalten. War die L\u00f6sung einmal gefunden, so tauchten stets eine","page":489},{"file":"p0490.txt","language":"de","ocr_de":"490\nEmil Kraepelin.\nMenge yon Best\u00e4tigungen aus der gew\u00f6hnlichen Erfahrung auf, die vorher unbeachtet gehlieben waren. So gewannen die zun\u00e4chst mehr als Zufallserzeugnisse erscheinenden mannigfachen Curven allm\u00e4hlich immer mehr innere Bedeutung, als es gelang, in diesen und jenen Einzelheiten die Wirkung ganz bestimmter Ursachen zu erkennen.\nDas Ziel unserer Versuche war indessen ein h\u00f6heres. Es galt, nicht nur die Art, sondern auch die Gr\u00f6\u00dfe der Einfl\u00fcsse zu erforschen, welche die Arbeitscurve beherrschen. Kennen wir aber alle in Betracht kommenden Gr\u00f6\u00dfen, so m\u00fcssen wir im st\u00e4nde sein, aus ihrem Zusammenwirken die gefundene Curve in \u00e4hnlicher Weise zusammenzusetzen, wie eine verwickelte Schwingungscurve aus einzelnen Pendelcurven von verschiedener Schwingungszahl oder einen Vielklang aus Einzelt\u00f6nen. Gelingt ein solcher Versuch, so zeigt er uns zugleich, dass uns kein wesentlicher Umstand mehr unbekannt ist, der an der Entstehung der Arbeitscurve Antheil haben k\u00f6nnte. Sonst m\u00fcsste notliwendig an irgend einem Punkte eine L\u00fccke entstehen, die wir mit unserer jetzigen Kenntniss der Dinge nicht auszuf\u00fcllen verm\u00f6chten.\nSo verlockend der Gedanke eines Aufbaues der Arbeitscurve aus ihren Bestandtheilen auch ist, so gro\u00df sind doch die Schwierigkeiten, die einem derartigen Unternehmen zur Zeit noch entgegenstehen. Die Vorg\u00e4nge, die hier in einander greifen, sind so innig mit einander verkn\u00fcpft, dass es unm\u00f6glich erscheint, sie getrennt einer Messung zug\u00e4nglich zu machen. Wir erkennen ihr Dasein, gewisserma\u00dfen wie dasjenige mancher Sternmassen im Weltenraum, nur aus den St\u00f6rungen, die sie im Ablaufe anderer Vorg\u00e4nge verursachen, ohne dass wir sie aus ihren Verbindungen loszul\u00f6sen verm\u00f6chten. H\u00f6chstens durch Rechnung k\u00f6nnen wir die Gr\u00f6\u00dfe ihres Einflusses einigerma\u00dfen bestimmen. Und w\u00e4hrend die Weltk\u00f6rper stets in den gleichen Bahnen wandeln, so dass allm\u00e4hlich eine immer gr\u00f6\u00dfere Genauigkeit der Messung, eine fortschreitende Ber\u00fccksichtigung aller Fehler m\u00f6glich ist, haben wir es hier mit \u00fcberaus fl\u00fcchtigen, den mannigfaltigsten Zuf\u00e4llen und der Willk\u00fcr unterworfenen Vorg\u00e4ngen zu thun, die niemals in genau derselben Form wiederkehren, da sie selbst die Bahnen ver\u00e4ndern, in denen sie sich abspielen.\nEs ist jedoch kein Zweifel, dass auch auf unserem Gebiete feste Gesetze gelten, und dass durch H\u00e4ufung der Beobachtungen","page":490},{"file":"p0491.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n491\nschlie\u00dflich doch wenigstens in groben Umrissen sich auch die Gr\u00f6\u00dfenbeziehungen der einzelnen zusammenwirkenden Einfl\u00fcsse feststellen lassen m\u00fcssen. Ungemein wichtig ist f\u00fcr die L\u00f6sung dieser Aufgabe der Umstand, dass die verschiedenen Vorg\u00e4nge von ganz verschiedener Nachhaltigkeit sind. Der Antrieb vermag h\u00f6chstens Minuten lang die Leistung zu beeinflussen; die Anregung schwindet rasch nach dem Auf h\u00f6ren der Th\u00e4tigkeit, langsamer die Erm\u00fcdung. Dagegen bleiben die Spuren der Uebung und namentlich der Gew\u00f6hnung unter Umst\u00e4nden Wochen und Monate lang zur\u00fcck. Wie wir einen Vielklang dadurch zerlegen k\u00f6nnen, dass wir bald das eine, bald das andere Instrument zum Schweigen bringen, um so den An-theil jedes einzelnen in dem Gesammteindrucke deutlicher zu machen, so gibt uns die verschiedene Dauer der Vorg\u00e4nge, welche die Arbeitscurve zusammensetzen, die M\u00f6glichkeit, einzelne derselben nach Belieben ein- und auszuschalten und dadurch Art und Gr\u00f6\u00dfe ihres Einflusses genauer zu umgrenzen.\nDas H\u00fclfsmittel, dessen wir uns zur Erreichung dieses Zweckes bedienen, ist der Pausenversuch im weitesten Sinne des Wortes, die Untersuchung der Wirkungen, welche Zwischenzeiten von allerk\u00fcrzester bis zu allerl\u00e4ngster Dauer auf den Ablauf der Arbeitscurve aus\u00fcben. Allerdings leidet auch dieses Verfahren, so fruchtbar es sich bisher erwiesen hat, an dem gro\u00dfen Uebelstande, dass wir nach dem Abklingen eines Vorganges die \u00fcbrigen nicht unver\u00e4ndert vorfinden, sondern dass jede Pause alle neben einander herlaufenden Vorg\u00e4nge ohne Ausnahme beeinflusst, nur in verschiedenem Grade. Wir verm\u00f6gen somit die flie\u00dfenden und ungemein ver\u00e4nderlichen Gr\u00f6\u00dfen nicht in dem ganzen Verlaufe ihres Wirkens, sondern zun\u00e4chst immer nur in einzelnen, ganz bestimmten Abschnitten zu messen. Ueber den unserer Messung nicht zug\u00e4nglichen, weil nicht rein darstellbaren Theil der Einzelcurven k\u00f6nnen wir uns vor der Hand nur mehr oder weniger unsichere Vermuthungen bilden.\nDazu kommt aber endlich die Unzul\u00e4nglichkeit der vorliegenden Beobachtungen. Wenn vielleicht manche Einzelheiten der hier behandelten Frage sich der genaueren Feststellung grunds\u00e4tzlich und f\u00fcr immer entziehen, w\u00e4re es an vielen Punkten nicht einmal besonders schwierig, durch geeignete Versuche weitere Aufkl\u00e4rung zu gewinnen. Freilich erfordern alle solche Versuche einmal eine zweck-","page":491},{"file":"p0492.txt","language":"de","ocr_de":"492\nEmil Kraepelin.\nm\u00e4\u00dfige Anordnung, die nur aus eingehendster Kenntniss dieses Sondergebietes heraus zu treffen ist, sodann aber gro\u00dfe Geduld und v\u00f6llige Unabh\u00e4ngigkeit in der gesammten Lebensf\u00fchrung, da sonst unberechenbare Fehlerquellen die Ergebnisse tr\u00fcben und verwirren w\u00fcrden. Unter diesen Umst\u00e4nden ist, zumal diesen Untersuchungen vorerst greifbare Beziehungen zu allgemeinen Lebenszwecken fehlen, nur eine sehr langsame und schrittweise F\u00f6rderung unseres Wissens zu erwarten.\nTrotz aller dieser und mancher anderer Bedenken habe ich doch geglaubt, den etwas verfr\u00fchten Versuch einer zahlenm\u00e4\u00dfigen Zerlegung der Arbeitscurve in ihre Bestandtheile wagen zu sollen. Allerdings tritt aus den schon angedeuteten Gr\u00fcnden das von mir entworfene Bild nicht mit dem Anspr\u00fcche der Naturwahrheit auf. Es soll vielmehr nur eine allgemeine Vorstellung von dem gegenseitigen Verh\u00e4ltnisse der einzelnen Vorg\u00e4nge gew\u00e4hren, die sich in der Arbeitscurve verbinden, eine \u00fcbersichtliche Darstellung meiner fr\u00fcheren Betrachtungen, deren Anordnung das Ineinandergreifen der verschiedenartigen Einfl\u00fcsse nicht immer klar genug erkennen lie\u00df. Es erschien mir deswegen auch zweckm\u00e4\u00dfig, nicht von einer einzelnen, sondern von einer Durchschnittscurve auszugehen, weil ich hohen konnte, dass in ihr die allgemeinen Gesetzm\u00e4\u00dfigkeiten gegen\u00fcber den zuf\u00e4lligen Abweichungen deutlicher hervortreten w\u00fcrden. Dennoch musste ich die Annahme machen, dass es sich um einen ersten Arbeitstag handle, um auch die Entwicklung des Gew\u00f6hnungsvorganges in die Darstellung aufnehmen zu k\u00f6nnen. Die Gr\u00f6\u00dfen f\u00fcr Uebung und Erm\u00fcdung mussten dieser Annahme entsprechend berechnet werden, obgleich sie f\u00fcr die Durchschnittscurve an sich nat\u00fcrlich andere Werthe aufgewiesen haben w\u00fcrden. Es wird sich indessen zeigen, dass diese Fehler, die ich h\u00e4tte vermeiden k\u00f6nnen, wenn ich mehr, als ein allgemeines Bild h\u00e4tte geben wollen, an Gewicht weit hinter denjenigen Unsicherheiten zur\u00fcckstehen, denen wir auf Schritt und Tritt begegnen, sobald wir mit den bisher verf\u00fcgbaren, unzul\u00e4nglichen H\u00fclfsmitteln wirklich an die Einzelheiten unserer Aufgabe herantreten.\nVon den mir vorliegenden Versuchen waren f\u00fcr meinen Zweck nur diejenigen von Lindley geeignet, da nur hier einerseits gen\u00fcgend vielseitige Pausenversuche angestellt waren, w\u00e4hrend andererseits","page":492},{"file":"p0493.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n493\ndoch die Arbeitszeit von einer Stunde gen\u00fcgte, um alle Bestandteile der Curve deutlich zu machen. Da es mir darauf ankam, auch die Vorg\u00e4nge in den Pausen mit darzustellen, w\u00e4hlte ich den Versuch von A. mit 30' Pause. Er schien mir am geeignetsten, weil A. eine gro\u00dfe Fl\u00fcssigkeit seiner Seelenvorg\u00e4nge darhot, und weil die K\u00fcrze der g\u00fcnstigsten Pause die M\u00f6glichkeit gew\u00e4hrte, hier die Darstellung der Pause noch \u00fcber deren Dauer hinaus fortzusetzen, ohne doch die Zeichnung allzusehr in die Breite zu ziehen. Die Einzelwerthe des Versuches, wie sie Lindley in seiner Tabelle VII1) zusammengestellt hat, waren f\u00fcr die auf einander folgenden 5-Minutenab-schnitte folgende:\nTabelle V.\nUnsere erste Aufgabe besteht darin, ein Ma\u00df f\u00fcr die Gr\u00f6\u00dfe des Uehungsfortschrittes in dieser Reihe zu finden. Wir gehen dabei aus von Lindley\u2019s Tabelle II, in der sich der durchschnittliche t\u00e4gliche Uehungszuwachs f\u00fcr die drei gleichartigen Versuchsgruppen von 10,10 und 6 Tagen Dauer angegeben findet. Er betrug f\u00fcr die erste Gruppe 10, f\u00fcr die zweite 0,7, f\u00fcr die dritte 1,1#. Diese Zahlen stellen die durchschnittliche t\u00e4gliche Zunahme der halbst\u00fcndigen Arbeitswerthe in # der Leistung der ersten halben Stunde des ersten Tages jeder Gruppe dar. Wir ersehen daraus, dass dieser Uebungscoefficient am Schl\u00fcsse der ersten Gruppe kaum mehr als etwa \\% betragen haben kann, da er sich in den n\u00e4chsten Gruppen dauernd um diesen Werth herum bewegt. Ist das der Fall, so muss die procentische Zunahme der Leistung vom ersten zum zweiten Tage mindestens 19# betragen haben, da sonst der Durchschnitt von 10 # nicht zu st\u00e4nde gekommen w\u00e4re. Eher war er noch gr\u00f6\u00dfer, da nach allgemeiner Erfahrung die Uebung im Anf\u00e4nge weit rascher sinkt, als sp\u00e4terhin. Doch wird dieser Fehler dadurch wohl einigerma\u00dfen wieder ausgeglichen, dass die Procentbeziehung in den sp\u00e4teren Gruppen zu h\u00f6heren Ausgangswerthen stattfand und daher\n1) A. a. 0. S. 503.","page":493},{"file":"p0494.txt","language":"de","ocr_de":"494\nEmil Kraepelin.\nim Vergleiche zu der ersten Gruppe niedrigere Uebungscoefficienten lieferte. Unter der Annahme eines anf\u00e4nglichen Uebungscoefficienten von 19^ w\u00fcrde der Uebungszuwachs in unserer Reihe, wenn wir sie als ersten Arbeitstag betrachten, bis zum n\u00e4chsten Tage f\u00fcr die erste halbe Stunde 276 Zahlen betragen, w\u00e4hrend sich der durchschnittliche halbst\u00fcndige Uebungsfortschritt von Tag zu Tag hei Zusammenfassung aller Gruppen aus Lindley\u2019s Tabelle II auf 136 Zahlen berechnen l\u00e4sst.\nAllein alle diese Werthe sind mit dem sehr gro\u00dfen Fehler des Uebungsverlustes von einem Tage zum anderen behaftet und darum f\u00fcr die Feststellung des Uebungszuwachses innerhalb unserer Tagesreihe nicht zu verwenden. Besser eignet sich f\u00fcr diesen Zweck der Uebungsfortschritt, der sich aus der g\u00fcnstigsten Pause in Tabelle I bei Bindley ergibt, und der f\u00fcr eine halbe Arbeitsstunde 135 Zahlen oder 4,8^ betrug. Indessen dieser Werth ist aus dem Durchschnitte aller Versuche gewonnen und deswegen f\u00fcr den ersten Tag allein viel zu niedrig. Vielleicht aber ist es gestattet, anzunehmen, dass sich der reine Uebungsfortschritt, wie er aus der g\u00fcnstigsten Pause erhalten wird, w\u00e4hrend der Versuchsreihe in demselben Ma\u00dfstabe ver\u00e4ndert wie der t\u00e4gliche Uebungszuwachs. Wir w\u00fcrden dann die Beziehung aufstellen k\u00f6nnen 276 :136 = x : 135, wo x den reinen Uebungsfortschritt am ersten Tage bedeutet. Bevor wir jedoch diese Rechnung ausf\u00fchren, werden wir zu ber\u00fccksichtigen haben, dass auch die Zahl 135 den reinen Uebungszuwachs selbst f\u00fcr den Durchschnitt noch zu niedrig angibt. Da die g\u00fcnstigste Pause 15' betrug, ist jener Werth um den Uebungsverlust in diesem Zeitr\u00e4ume zu klein. Au\u00dferdem war nach 15' sicher noch ein Erm\u00fcdungsrest vorhanden, der che Leistung nach der Pause herabdr\u00fcckte. Nach beiden Richtungen hin werden wir also unsere Zahl zu verbessern haben.\nF\u00fcr die Sch\u00e4tzung des Uebungsverlustes steht uns nur die That-sache zu Gebote, dass nach 60' Pause der Leistungszuwachs gegen\u00fcber der Pause von 30' um 1,1^ abgenommen hatte. Diese Abnahme w\u00e4re als reiner Uebungsverlust zu betrachten, wenn nach 30\u2019 schon jeder Rest von Erm\u00fcdung durch den ersten Arbeitsabschnitt verschwunden gewesen w\u00e4re. Das ist freilich im Hinblicke auf die Erfahrungen von Rivers sehr unwahrscheinlich. Ohne Erm\u00fcdung","page":494},{"file":"p0495.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n495\nw\u00fcrde wohl die Leistung nach 30' h\u00f6her ausgefallen, die Abnahme bei Verl\u00e4ngerung der Pause um weitere 30' also gr\u00f6\u00dfer gewesen sein. Da wir diesen Fehler nicht beseitigen k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir uns damit begn\u00fcgen, f\u00fcr 30' einen \u00fcebungsverlust von 33 Zahlen zu verzeichnen. F\u00fcr 15' w\u00fcrden wir demnach mindestens 17 Zahlen erhalten, wenn der \u00dcebungsverlust in den ersten 15' nicht schneller erfolgt w\u00e4re, als zwischen 30' und 60'. Auch diese Annahme trifft sicherlich nicht zu, doch haben wir zun\u00e4chst keine M\u00f6glichkeit, die wirkliche Geschwindigkeit des Uebungsverlustes in der g\u00fcnstigsten Pause festzustellen, m\u00fcssen es also hei dem genannten, viel zu niedrigen Werthe bewenden lassen.\nSetzen wir diesen Werth, was etwas mehr Berechtigung hat, auch f\u00fcr die Zeit zwischen der 15. und der 30. Minute ein, so w\u00fcrden wir erwarten, dass der Leistungszuwachs nach der Pause von 30' um 17 Zahlen niedriger ausfallen werde, als nach 15', wenn inzwischen nur ein \u00fcebungsverlust und keine Erholung stattgefunden h\u00e4tte. In Wirklichkeit ist er nur um 3 Zahlen gesunken, so dass also in den dazwischen liegenden 15' ein Ausgleich der Erm\u00fcdung um mindestens 14 Zahlen stattgefunden hat. Allerdings ist dieses Ergebnis wegen der verschiedenen H\u00f6he der gesammten Arbeitswerte in den verglichenen Eeihen noch mit einem kleinen Fehler behaftet. Weit wichtiger aber ist es, dass die Erholung ohne Zweifel im Anf\u00e4nge ungleich rascher von statten geht, als sp\u00e4terhin. Der hier f\u00fcr die zweite Viertelstunde gefundene, an sich schon viel zu kleine Werth bleibt demnach f\u00fcr die erste Viertelstunde gewiss noch weit mehr hinter der Wirklichkeit zur\u00fcck. Da wir aber den Gang der Erholung unter den gegebenen Bedingungen durchaus nicht kennen, werden wir vorerst doch bei der gefundenen Zahl stehen bleiben m\u00fcssen.\nUm den \u00fcebungsverlust in 15' und den nach der gleichen Zeit noch vorhandenen Erm\u00fcdungsrest werden wir die Leistung nach der g\u00fcnstigsten Pause vergr\u00f6\u00dfern m\u00fcssen, wenn wir durch Vergleich derselben mit der Arbeit vor der Pause die Gr\u00f6\u00dfe des reinen Uebungsfortschrittes finden wollen. Der Werth von 135 w\u00fcrde sich demnach um 17 + 14 Zahlen, also auf 166 erh\u00f6hen. Freilich gibt auch diese Zahl nur eine sehr entfernte Ann\u00e4herung an die that-s\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnisse, da sowohl der \u00fcebungsverlust wie der aus ihm abgeleitete Erm\u00fcdungsrest ohne Zweifel bedeutend zu klein sind.","page":495},{"file":"p0496.txt","language":"de","ocr_de":"496\nEmil Kraepelin.\nDie Ausrechnung des oben aufgestellten Verh\u00e4ltnisses w\u00fcrde als reinen, verbesserten Uebungszuwachs f\u00fcr den ersten Tag der ersten Versuchsgruppe 336 Zahlen auf die halbe Arbeitsstunde, also 56 Zahlen auf je 5' ergeben. Um welchen Betrag dieser untere Ann\u00e4herungswerth zu erh\u00f6hen w\u00e4re, entzieht sich zur Zeit unserer Kenntniss. Ich will jedoch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass es recht wohl m\u00f6glich erscheint, mit H\u00fclfe k\u00fcrzerer Arbeitszeiten, bei denen die Erm\u00fcdungswirkungen weniger st\u00f6rend sind, den Gang des Uebungs-verlustes auch in seinen ersten Abschnitten etwas genauer zu verfolgen.\nDer Uebungszuwachs, mag man ihn in einfachen Zahlen oder in Verh\u00e4ltniswerthen ausdr\u00fccken, ist keine stetige Gr\u00f6\u00dfe, sondern fortw\u00e4hrenden Ver\u00e4nderungen unterworfen, \u00fcber deren Verlauf wir leider noch sehr wenig unterrichtet sind. Zun\u00e4chst hat er die allgemeine Neigung, sich mit fortschreitendem Uehungsgrade zu verkleinern. Sodann werden wir in dem einzelnen Versuche anzunehmen haben, dass die Uebungswirkung der Arbeit mit dem Anwachsen der Erm\u00fcdung sinkt. Endlich aber werden wir die Uehungsfortschritte der einzelnen Abschnitte eines Versuches nicht in voller Gr\u00f6\u00dfe in Rechnung ziehen d\u00fcrfen, um das Gesammtergebniss der Uehung zu erhalten, da sicherlich auch w\u00e4hrend der Arbeit ein Uebungsverlust stattfindet, der allerdings durch neuen Erwerb immer mehr als gedeckt wird. Kennten wir genau das Gesetz, nach welchem die Spuren der Arbeit verblassen, so w\u00fcrden wir vielleicht im st\u00e4nde sein, in einer Differentialformel den jeweils w\u00e4hrend der Arbeit aus den vergangenen Minuten noch vorhandenen Uebungsrest auszudr\u00fccken. So aber m\u00fcssen wir uns mit der allgemeinen Erfahrung bescheiden, dass die Uebungswirkung auch im einzelnen Versuche nicht in gleichen, sondern in allm\u00e4hlich sich verkleinernden Abstufungen fortschreitet. Einen Wegweiser f\u00fcr den Verlauf der Uebungscurve im einzelnen vermag uns nur der Gang der thats\u00e4chlich gefundenen Arbeitswerthe zu geben. Nur soviel k\u00f6nnen wir nach einem \u00e4hnlichen Gedankengange wie oben berechnen, dass der reine, verbesserte Uehungsf ortschritt f\u00fcr je 5' bei Beginn der zweiten Versuchsgruppe bereits auf etwa 5 Zahlen gesunken war.\nUm uns einen Einblick in die Gr\u00f6\u00dfe der Erm\u00fcdungswirkungen zu verschaffen, gehen wir aus von der Reihe ohne Pause. Offenbar","page":496},{"file":"p0497.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n497\nm\u00fcsste hier die Leistung in der letzten Viertelstunde um den reinen halbst\u00fcndigen Uebungszuwachs gr\u00f6\u00dfer sein, als diejenige der zweiten Viertelstunde, um den viertelst\u00fcndigen Uebungszuwachs gr\u00f6\u00dfer, als die der dritten Viertelstunde. Als halbst\u00fcndigen Uebungszuwachs hatten wir oben f\u00fcr den ersten Tag 336 Zahlen gefunden. Es ist jedoch wohl anzunehmen, dass diese Zahl nur f\u00fcr den ersten Anfang des Versuches G\u00fcltigkeit hat und sich sehr bald verkleinert. Aus dem Vergleiche des Uebungsfortschrittes im Anf\u00e4nge der beiden ersten Versuchsgruppen w\u00fcrde folgen, dass derselbe in jeden 5' um etwa eine Zahl sinkt. Unter dieser Annahme w\u00fcrde sich die erwartete Uebungswirkung in der letzten halben Stunde des ersten Versuchstages auf 256, in der dritten Viertelstunde auf 147 Zahlen berechnen. Im Hinblicke auf unsere fr\u00fcheren Betrachtungen ist es zwar wahrscheinlich, dass die Abnahme des Uebungsfortschrittes in Wirklichkeit rascher erfolgt ist; andererseits waren aber auch die berechneten Uebungswerthe von vornherein sicher zu klein, zumal wir den halbst\u00fcndigen Durchschnitt hier als Anfangswerth zu Grunde gelegt haben. Wir werden daher zur Zeit keine besser begr\u00fcndeten Zahlen f\u00fcr den muthma\u00dflichen Uebungszuwachs am ersten Versuchstage aufstellen k\u00f6nnen. Die Leistung in der zweiten Viertelstunde betrug 1311 Zahlen. Daraus w\u00fcrden sich durch Hinzuf\u00fcgung des angenommenen Uebungszuwachses f\u00fcr die dritte Viertelstunde 1458, f\u00fcr die letzte 1596 Zahlen berechnen lassen, wenn keine Erm\u00fcdung stattgefunden h\u00e4tte. In Wirklichkeit wurden 1327 und 1340 Zahlen addirt, so dass wir als Betrag f\u00fcr die viertelst\u00fcndige Erm\u00fcdung 131, f\u00fcr die halbst\u00fcndige 256 Zahlen erhalten, f\u00fcr je 5' im ersteren Falle 44, im letzteren 43 Zahlen.\nWenn demnach anscheinend die Erm\u00fcdungswerthe zunehmen, w\u00fcrden wir etwa f\u00fcr die zweite halbe Stunde 42, f\u00fcr die erste 41 Zahlen als Erm\u00fcdungsgr\u00f6\u00dfe annehmen d\u00fcrfen. Ich will indessen hier bemerken, dass vorl\u00e4ufig keine Anhaltspunkte f\u00fcr die Annahme eines derartigen Anwachsens der Erm\u00fcdung vorliegen. Im Gegen-theil ist es sicher, dass die Erm\u00fcdungswirkungen der Arbeit im allgemeinen mit fortschreitender Uebung abnehmen. Es w\u00e4re aber m\u00f6glich, dass sich in diesem Ansteigen der Werthe, wenn es sich nicht um einen einfachen Zufall handelt, die Beeintr\u00e4chtigung der Uebungswirkung durch die Erm\u00fcdung ausspricht. Wir werden daher\nWundt, Philos. Studien. XIX.\t32","page":497},{"file":"p0498.txt","language":"de","ocr_de":"498\nEmil Kraepelin.\nsp\u00e4terhin den Erm\u00fcdungswerth von 41 Zahlen zun\u00e4chst regelm\u00e4\u00dfig f\u00fcr jeden Arheitsabschnitt einsetzen, daf\u00fcr aber die Uebungszahlen fortschreitend verkleinern. Nur gegen den Schluss der Arbeitsstunde werden wir in einer ganz leichten Abnahme der Erm\u00fcdungswirkungen dem Einfl\u00fcsse der wachsenden Uebung einen gewissen Ausdruck geben d\u00fcrfen.\nAuch f\u00fcr die Berechnung der Anregung gehen wir von der Eeihe ohne Pause aus, deren Gang wir mit dem der n\u00e4chsten, durch 5' Pause unterbrochenen Eeihe vergleichen. Wir d\u00fcrfen erwarten, dass sich die Wirkung der Anregung in dem Yerh\u00e4^pisse der 6. und 7. Werthe beider Eeihen kundgibt. Im einen Falle wird der 7. Werth durch die Anregung voll beeinflusst, w\u00e4hrend im anderen Falle ein gewisser Theil derselben wieder verschwunden ist. In der Eeihe ohne Pause liegt der 7. Werth um 13 Zahlen h\u00f6her, in derjenigen mit 5' Pause um 12 Zahlen niedriger, als der 6. Die Wirkung des Anregungsverlustes in 5' w\u00fcrde demnach 25 Zahlen gewesen sein, wie auch Lind ley angiht. Allein dabei ist zu ber\u00fccksichtigen, dass in der Pause einerseits ein Uebungsverlust, andererseits eine gewisse Erholung stattgefunden hat. Der erstere hat den 7. Werth der Pausenreihe herabgesetzt, die letztere hat ihn erh\u00f6ht. Dadurch ist dort eine scheinbare Vergr\u00f6\u00dferung der Anregungswirkung, hier eine scheinbare Verkleinerung derselben zu st\u00e4nde gekommen. Als Uebungsverlust f\u00fcr 30' haben wir fr\u00fcher den Ann\u00e4herungswerth von 1,1 % gefunden, der von 5' etwa 0,2 % ergeben w\u00fcrde. Der 7. Werth der Eeihe mit 5' Pause w\u00e4re demnach in Folge des Uebungsverlustes um etwa 1 Zahl zu erh\u00f6hen. Auch dieser Werth ist wegen der viel gr\u00f6\u00dferen Anfangsgeschwindigkeit des Uebungsverlustes ohne Zweifel sehr erheblich zu klein.\nDie Erholungswirkung der Pause von 15' betrug nach Lindley\u2019s Tabelle I 4,8 %. Dieselbe w\u00e4re noch h\u00f6her ausgefallen, wenn nicht inzwischen auch ein Uebungsverlust stattgefunden h\u00e4tte, den wir nach unseren fr\u00fcheren Er\u00f6rterungen, freilich zu klein, f\u00fcr 15' auf 0,6 % berechnen k\u00f6nnen. Die wirkliche Erholungswirkung der viertelst\u00fcndigen Pause war also mindestens 5,4 % ; mithin werden wir diejenige nach 5' auf mindestens 1,8 % bemessen d\u00fcrfen. Auch dieser Werth ist entschieden zu klein. Bringen wir von ihm den ebenfalls zu kleinen Uebungsverlust f\u00fcr 5' in Abzug, so kommen wir zu dem","page":498},{"file":"p0499.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n499\nSchl\u00fcsse, dass wir den 7. Werth der Reihe mit 5' Pause um 1,6 %, mithin um 7 Zahlen, zu erniedrigen haben, wenn wir wissen wollen, wie derselbe ohne Uebungsverlust und Erholung durch die Pause ausgefallen w\u00e4re. Der Unterschied im Verlaufe der Reihe ohne Pause und mit 5' Pause erh\u00f6ht sich dadurch auf 32 Zahlen. Das w\u00e4re also der, freilich mit vielen Fehlern behaftete Betrag, um den die Leistung w\u00e4hrend der Pause von 5' durch den theilweisen Verlust der Anregung gesunken ist.\nFreilich erfahren wir \u00fcber die ganze Gr\u00f6\u00dfe der Anregung dadurch nichts. Es wird jauch ohne Versuche mit anderen kurzen Pausen nicht m\u00f6glich sein, \u00fcber diesen Punkt Klarheit zu gewinnen. Mir blieb daher nichts \u00fcbrig, als den Gesammtwerth willk\u00fcrlich anzunehmen. Unter der Voraussetzung, dass nach 5' etwa 2/3\u20143/4 der Anregung geschwunden seien,- wurde ihr Betrag auf etwa 45 Zahlen gesch\u00e4tzt, wahrscheinlich eher etwas zu niedrig, als zu hoch.\nUm endlich auch f\u00fcr die Gew\u00f6hnung Zahlenwerthe zu finden, kehren wir zu unserer fr\u00fcheren Betrachtung zur\u00fcck, dass vom ersten bis zum zweiten Arbeitstage nach dem sp\u00e4teren Verlaufe der Uebung ein Zuwachs von ungef\u00e4hr 276 Zahlen zu erwarten gewesen w\u00e4re, ein Betrag, der allerdings wohl nicht ganz an die Wirklichkeit heranreicht. Dennoch l\u00e4sst sich bestimmt sagen, dass der thats\u00e4chlich gefundene Zuwachs von 545 Additionen neben der Uebung zu einem recht erheblichen Theile der Gew\u00f6hnung seinen Ursprung verdanken muss. Folgt man der oben vertretenen Annahme, so w\u00fcrde die Gew\u00f6hnung in der ersten halben Stunde des zweiten Tages einen Fortschritt um 269 Zahlen bedingt haben. Unter der recht wahrscheinlichen Voraussetzung, dass auch am zweiten Tage die Gew\u00f6hnung noch eine gewisse, wenn auch bescheidene Rolle gespielt hat, w\u00e4re also der Antheil der Gew\u00f6hnung an dem Ausfall der Arbeitsleistung auf die einzelnen 5 Minuten des ersten Tages derart zu vertheilen, dass etwa der berechnete Betrag sich ergibt. Man erreicht das ann\u00e4hernd, wenn man annimmt, dass die Steigerung der Arbeit durch die zunehmende Gew\u00f6hnung am Schl\u00fcsse der ersten halben Stunde 45, am Schl\u00fcsse der zweiten 65 Zahlen f\u00fcr je 5 Minuten betragen hat und am n\u00e4chsten Tage nochmals um etwa 20\u201425 Zahlen im Laufe der Arbeitsstunde angewachsen ist. Im einzelnen m\u00fcssen wir uns allerdings diesen Verlauf ganz willk\u00fcrlich ausmalen.\n32*","page":499},{"file":"p0500.txt","language":"de","ocr_de":"500\nEmil Kraepelin.\nEs w\u00fcrde nunmehr noch unsere Aufgabe sein, auch die Gr\u00f6\u00dfe der Willenseinfl\u00fcsse in Rechnung zu ziehen, welche auf die Arbeits-curve eingewirkt haben k\u00f6nnen. Nat\u00fcrlich muss der Wille zur Arbeit w\u00e4hrend der ganzen Zeit vorhanden gewesen sein und das Werkzeug im Gange erhalten haben. Erfahrungsgem\u00e4\u00df aber pflegt namentlich im Anf\u00e4nge die Willensspannung vor\u00fcbergehend erh\u00f6ht zu sein und erst nach einer gewissen Zeit einen mittleren Grad zu erreichen, der dann mit einigen Schwankungen dauernd festgehalten wird *). Um uns ein Urtheil \u00fcber die Gr\u00f6\u00dfe dieser mittleren Spannung zu bilden, werden wir zweckm\u00e4\u00dfig von dem Werthe der zweiten 5' ausgehen, da in ihm der Antrieb bereits in der Hauptsache geschwunden zu sein scheint. Dieser zweite Werth ist aber schon durch Uebung, Anregung, Gew\u00f6hnung und Erm\u00fcdung beeinflusst. Wollen wir erfahren, wie der von allen diesen Ursachen unber\u00fchrte Anfangswerth hei mittlerer Willensspannung ausgefallen w\u00e4re, so werden wir die Leistung des zweiten Arheitsabschnittes um den Betrag der Uebung, Gew\u00f6hnung und Anregung f\u00fcr die ersten 5' herahzusetzen, um denjenigen der Erm\u00fcdung zu erh\u00f6hen haben. Nehmen wir an, dass der zweite Werth durch die Uebung um 56, durch die Anregung um 35, die Gew\u00f6hnung um 30 Zahlen gesteigert, durch die Erm\u00fcdung um 41 Zahlen herabgesetzt wurde, so kommen wir zu dem Schl\u00fcsse, dass der Anfangswerth bei normaler Willensspannung und ohne die Einwirkung aller jener Ursachen um 80 Zahlen unter der Leistung der zweiten 5', also bei 393 Zahlen, gelegen haben w\u00fcrde. Da er aber thats\u00e4chlich nicht unter, sondern um 10 Zahlen \u00fcber dem zweiten Werthe gefunden wurde, so muss er durch st\u00e4rkere Willensspannung um den Betrag von 90 Zahlen gehoben worden sein. Diese Gr\u00f6\u00dfe werden wir also dem Antriebe im Beginne der Arbeit, zuschreiben d\u00fcrfen. Auch im weiteren Verlaufe der Curve wird sich zeigen, dass die aus dem regelm\u00e4\u00dfigen Gange der einzelnen, zusammenwirkenden Einfl\u00fcsse berechneten Werthe vielfach kleinere und gr\u00f6\u00dfere Abweichungen von den wirklich gefundenen darbieten. Wir d\u00fcrfen annehmen, dass gerade diese Abweichungen, die sich auch schon in der gefundenen Curve meist gut auspr\u00e4gen, auf Schwankungen in der Willensspannung zur\u00fcckzuf\u00fchren sind.\n1) Nach neueren Versuchen Heumann\u2019s stellt sich mit wachsender Erm\u00fcdung wahrscheinlich eine allm\u00e4hliche Steigerung der \"Willensspannung ein.","page":500},{"file":"p0501.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n501\nNach diesen etwas umst\u00e4ndlichen, aber durchaus nothwendigen Vorbereitungen sind wir endlich im st\u00e4nde, die muthma\u00dfliche Gr\u00f6\u00dfe und den Gang der einzelnen er\u00f6rterten Einfl\u00fcsse f\u00fcr die auf einander folgenden Arbeitsabschnitte festzusetzen. Ich stelle die Ergebnisse in der folgenden Uebersicht zusammen, vorerst f\u00fcr die erste halbe Stunde.\nTabelle VI.\nAbschnitte (5')\t1\t2\t3\t4\t5\t6\nUebung\t0\t56\t96\t133\t167\t199\nErm\u00fcdung\t0\t41\t82\t123\t164\t205\nAnregung\t0\t35\t40\t45\t45\t45\nGew\u00f6hnung\t0\t30\t35\t40\t45\t50\nAntrieb\t+ 90\t0\t\u2014 4\t\u2014 15\t0\t\u2014 8\nMit H\u00fclfe dieser Zahlen sind wir im st\u00e4nde, vom Ausgangspunkte 393 aus die s\u00e4mmtbcben Theilcurven aufzubauen, durch deren Zusammensetzung dann die wirklich gefundene Arheitscurve entsteht. Diese Curven lehren uns, welchen Gang die Leistung nehmen w\u00fcrde, wenn sie ausschlie\u00dflich durch einen einzelnen der dargestellten Einfl\u00fcsse bestimmt w\u00e4re. Nat\u00fcrlich sind dabei die Wer the f\u00fcr Uehung, Anregung und Gew\u00f6hnung mit positivem, diejenigen f\u00fcr die Erm\u00fcdung mit negativem Vorzeichen zu versehen. Die Arheitscurve selbst, wie sie auf der beiliegenden Tafel mit schwarzen Linien angedeutet ist, verl\u00e4uft in der Hauptsache horizontal, mit geringen Schwankungen, die wesentlich durch Nachlassen und Anspannen des Willens verursacht scheinen. Uebung und Erm\u00fcdung, deren Curven mit blauer bezw. brauner Farbe eingezeichnet sind, halten sich im allgemeinen das Gleichgewicht, doch \u00fcberwiegt anfangs die erstere, sp\u00e4terhin die letztere ein wenig. Dazu wird die ganze Curve nach kurzer Zeit schon durch Anregung und Gew\u00f6hnung, deren Verlauf in gelben bezw. gr\u00fcnen Linien wiedergegeben wurde, gleichm\u00e4\u00dfig \u00fcber die Linie gehoben, die sie durch den Arbeitswillen allein erhalten w\u00fcrde. Im Beginne, wo diese beiden Einfl\u00fcsse noch fehlen, tritt gewisserma\u00dfen erg\u00e4nzend die Willensspannung ein, die wir in der rothen Linie angedeutet haben. Dieselbe ist demnach beim Einsetzen der Arbeit","page":501},{"file":"p0502.txt","language":"de","ocr_de":"502\nEmil Kraepelin.\nweit gr\u00f6\u00dfer, als man nach der gefundenen Arbeitscurve annehmen sollte; sie hat alle jene inneren und \u00e4u\u00dferen Arbeitshindemisse zu \u00fcberwinden, die sp\u00e4ter durch Anregung und Gew\u00f6hnung beseitigt werden. Vielfach werden wir somit auch dort Antriebswirkungen zu vermuthen haben, wo die Arbeitscurve vom ersten zum zweiten Werthe nicht f\u00e4llt, sondern steigt. Die hohe Willensspannung dauert, wie das regelm\u00e4\u00dfig der Fall ist, nur ganz kurze Zeit an, um dann mit der wachsenden Erleichterung der Arbeit einem Nachlasse Platz zu machen. Sp\u00e4terhin tritt noch einmal eine leichte Steigerung hervor, allerdings nur bis auf die im zweiten Arbeitsahschnitte eingehaltene H\u00f6he. Vielleicht geschieht das unter dem Einfl\u00fcsse der allm\u00e4hlich sich ent-wickelndenM\u00fcdigkeit, nachdem die urspr\u00fcnglich so rasch fortschreitende Arbeitserleichterung einigerma\u00dfen zum Stillst\u00e4nde gekommen war.\nSuchen wir uns nunmehr \u00fcber die Vorg\u00e4nge w\u00e4hrend der halbst\u00fcndigen Pause Rechenschaft zu geben, so werden wir anzunehmen haben, dass sich in dieser Zeit der bei weitem gr\u00f6\u00dfte Theil der Erm\u00fcdung ausglich, dass ein erheblicher Uebungsverlust stattfand, dass die Anregung vollst\u00e4ndig verschwand, die Gew\u00f6hnung jedoch, wenn \u00fcberhaupt, so doch nur eine sehr kleine Einbu\u00dfe erlitt. Genauere Anhaltspunkte f\u00fcr die zahlenm\u00e4\u00dfige Darstellung dieser Vorg\u00e4nge fehlen uns leider fast ganz; wir wissen nur, dass von der Anregung im Laufe der ersten 5 Minuten 32 Zahlen verloren gehen und dass nach 10\u201415' wohl jede Spur derselben geschwunden ist. Sodann entnehmen wir aus den Versuchen von Hylan und Krauss, dass die Zusammensetzung der Einzelcurven ungef\u00e4hr bei 15\u201420' das g\u00fcnstigste, bei 10' das ung\u00fcnstigste Ergebniss liefern muss, dem bei 5' eine erste Steigerung vorhergeht, w\u00e4hrend nach der g\u00fcnstigsten Pause ein langsamer Abfall folgt. Lindley\u2019s Versuchsperson zeigt eine g\u00fcnstigste Pause bei 15'. Es ist jedoch im Hinblicke auf die bedeutendere L\u00e4nge dieser Pause bei den anderen Personen anzunehmen, dass sie in Wirklichkeit wohl noch jenseits von 15', etwa bei 20', gelegen war; auch die geringe Abnahme des Pausengewinnes von 15' zu 30' spricht daf\u00fcr, dass wir bei gen\u00fcgender Abstufung der Versuche die g\u00fcnstigste Pause zwischen diesen beiden Zeiten gefunden haben w\u00fcrden.\nDie angef\u00fchrten Erfahrungen erlauben uns, wenigstens in den gr\u00f6bsten Umrissen das gegenseitige Verh\u00e4ltniss der einzelnen zusammenwirkenden Einfl\u00fcsse von 5' zu 5' Pause derart abzustufen, wie es etwa","page":502},{"file":"p0503.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n503\nder Wirklichkeit entsprechen k\u00f6nnte. Nach vielen vergeblichen Bem\u00fchungen ist es mir gelungen, einen Verlauf der Werthe f\u00fcr Uebungs-verlust und Erholung zu finden, der im Verein mit den \u00fcbrigen bestimmenden Einfl\u00fcssen einerseits ziemlich stetige und darum wahrscheinliche Ourven liefert, andererseits diejenigen Schwankungen der Leistungscurve in den einzelnen Abschnitten der Pausenwirkung bedingen w\u00fcrde, die wir nach den Versuchen von Hylan undKrauss erwarten m\u00fcssten. Ich bin dabei von der allerdings willk\u00fcrlichen Annahme ausgegangen, dass der kleine Erm\u00fcdungsrest, den wir nach den Erfahrungen von Rivers am Ende der halbst\u00fcndigen Pause noch voraussetzen m\u00fcssen, sich auf 8 Zahlen f\u00fcr 5' belaufe. Nehmen wir ferner an, dass ein Gew\u00f6hnungsverlust von 5 Zahlen stattgefunden habe, was ungef\u00e4hr der Wirklichkeit an einem ersten Versuchstage entsprechen d\u00fcrfte, so ergibt ein Aufbau dieser Zahlen auf dem Ausgangswerthe von 393 Zahlen, dass der nach der Pause verbliebene Uebungsrest noch 50 Zahlen betragen muss, wenn der wirklich gefundene Werth zu st\u00e4nde kommen soll. Der Erholungswirkung von 197 Zahlen stand also ein Uehungsverlust von 149 Zahlen in der halbst\u00fcndigen Pause gegen\u00fcber. Freilich sind diese Werthe etwa viermal so gro\u00df wie die fr\u00fcher aus den l\u00e4ngeren Pausen abgeleiteten, aber sie sind ohne Zweifel weit richtiger, da Erholung wie Uebungs-verlust in den ersten 10\u201415' sicher unvergleichlich schneller von statten gehen, als sp\u00e4terhin.\nDie Zahlenwerthe, in die sich die hier entwickelten Annahmen umsetzen lassen, sind in Tabelle VH zusammengestellt.\nTabelle VU.\nPausendauer\t5'\t10'\t15'\t20'\t25'\t30'\nUebung\t135\t96\t81\t70\t62\t56\nErm\u00fcdung\t125\t80\t45\t19\t12\t10\nAnregung\t28\t13\t5\t0\t0\t0\nGew\u00f6hnung\t49\t48\t47\t46\t45\t45\nLeistung\t480\t470\t481\t490\t488\t484\nDie diesen Werthen entsprechenden Ourven habe ich auf der Tafel in die Pausenzeit eingetragen. Wir erkennen dort, wie die","page":503},{"file":"p0504.txt","language":"de","ocr_de":"504\nEmil Kraepelin.\nGew\u00f6hnung fast unver\u00e4ndert die Pause \u00fcberdauert, w\u00e4hrend die An. regung nach Ablauf von 10' nahezu, nach 15' ganz geschwunden ist. Uebung und Erm\u00fcdung verlieren sich anfangs sehr schnell, dann langsamer, erstere, wie es der Erfahrung entspricht, in weniger steilem Abf\u00e4lle als letztere. Die Uebungscurve wird zuletzt immer flacher, ein Zeichen daf\u00fcr, dass der Uebungsrest sich lange zu erhalten strebt. W\u00fcrde der ganze Rest von 50 Zahlen bis zum n\u00e4chsten Tage andauern, so w\u00fcrden wir einen t\u00e4glichen, halbst\u00fcndigen Uebungszuwachs von 300 Zahlen zu verzeichnen haben. Unsere Berechnung hatte fr\u00fcher 276 Zahlen ergeben. Dabei ist zu ber\u00fccksichtigen einmal, dass nat\u00fcrlich der am Ende der halbst\u00fcndigen Pause vorhandene Uebungsrest bis zum n\u00e4chsten Tage doch noch erheblich sinken wird, andererseits, dass derselbe durch die Uebung der n\u00e4chsten, allerdings etwas mehr unter Erm\u00fcdungseinfluss stehenden halben Arbeitsstunde verst\u00e4rkt werden wird. Man darf vielleicht sagen, dass unter den hier gemachten Annahmen und dem wirklich gefundenen Ergebnisse f\u00fcr den heutigen Stand unserer Kenntniss kein gr\u00f6berer Widerspruch besteht; es erscheint recht wohl m\u00f6glich, dass unter den gegebenen Verh\u00e4ltnissen der Uebungsrest am n\u00e4chsten Tage ungef\u00e4hr die gefundenen Werthe erreicht.\nAuch die Erm\u00fcdungscurve verl\u00e4uft in ihrem letzten Theile wesentlich flacher. Es hat sich, wenn das gegenseitige Verh\u00e4ltniss zwischen Uebung und Erm\u00fcdung w\u00e4hrend der Pause in den einzelnen Abschnitten den sonstigen Erfahrungen \u00fcberall entsprechen sollte, nicht vermeiden lassen, dass die Abflachung der Curve ziemlich pl\u00f6tzlich einsetzte. Wie ich denke, hat dieser Verlauf nichts Unwahrscheinliches. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass wir auch bei der geistigen Erm\u00fcdung Anlass haben, zwischen der vor\u00fcbergehenden L\u00e4hmung durch giftige Zerfallsstoffe und der langsamer sich ausgleichenden Ersch\u00f6pfung des Kr\u00e4ftevorrathes zu unterscheiden. Vielleicht haben wir uns die Erholungscurve aus zwei Theilcurven zusammengesetzt zu denken, von denen die eine, steiler verlaufende, der Durchsp\u00fclung der Gewebe entsprechen w\u00fcrde, w\u00e4hrend die andere, weit niedrigere, aber langsamer abfallende Curve die allm\u00e4hliche Zufuhr frischen Kraftvorrathes durch das Blut wiederg\u00e4be. Die Richtungs\u00e4nderung in unserer Zeichnung k\u00f6nnte den Schnittpunkt dieser beiden Ourven bezeichnen.","page":504},{"file":"p0505.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n505\nDas Ergebniss aller in der Pause noch sich abspielenden Vorg\u00e4nge habe ich in der punktirten schwarzen Linie angedeutet. Sie zeigt an, mit welchem Betrage die Leistung unter Annahme mittlerer Willensspannung einsetzen w\u00fcrde, wenn sie nach Pausen von verschiedener Dauer wieder aufgenommen w\u00fcrde. Wir h\u00e4tten somit nach dem wirklich gefundenen Endwerth der ersten halben Stunde zun\u00e4chst eine leichte Steigerung, dann bei 10' den ung\u00fcnstigsten Stand der Leistung, nach 20' den g\u00fcnstigsten. Von da ab wird die Leistung bei dem ungemein langsamen und geringf\u00fcgigen Fortschreiten der Erholung fast ausschlie\u00dflich durch den Uebungsverlust bestimmt, sinkt also allm\u00e4hlich.\nIn der zweiten halben Arbeitsstunde sehen wir dieselben Vorg\u00e4nge wieder in Wirksamkeit treten wie vor der Pause. Allerdings ist der Uebungsfortschritt, der sich auf dem Uebungsreste aufbaut, aus den verschiedenen, fr\u00fcher angef\u00fchrten Gr\u00fcnden in langsamem Sinken begriffen. Auch die Erm\u00fcdung nimmt gegen Schluss der Arbeit in Folge der gr\u00f6\u00dferen Uebung ein wenig ab, beh\u00e4lt aber dauernd das Uebergewicht \u00fcber die Uebungswirkungen, so lange diese nicht durch den Uebungsrest und die sich rasch wieder entwickelnde Anregung wesentlich unterst\u00fctzt wird. Dem entspricht in der gefundenen Curve die leichte Senkung am Schl\u00fcsse nach anf\u00e4nglichem Ansteigen. Wir d\u00fcrften wohl erwarten, dass bei weiterem Fortarbeiten die Erm\u00fcdungseinfl\u00fcsse immer entscheidender den Verlauf herabgedr\u00fcckt haben w\u00fcrden.\nIn der gefundenen Curve zeigt der 4. Werth eine auffallende, sich rasch wieder ausgleichende Senkung. Wir kennen die Ursache derselben nicht, um so weniger, als es sich um eine Durchschnittscurve handelt. Ich habe mir, nur um das innere Geschehen bei einem solchen Vorg\u00e4nge darstellen zu k\u00f6nnen, die Annahme erlaubt, dass hier eine ablenkende St\u00f6rung die Minderleistung verschuldet habe. Demgem\u00e4\u00df habe ich hier der Gew\u00f6hnungscurve eine kleine Senkung gegeben, um anzudeuten, dass die v\u00f6llige Fernhaltung von Nebenvorg\u00e4ngen in diesem Arbeitsabschnitte nicht gelungen sei. Zugleich war eine geringe Abnahme der Willensspannung zu verzeichnen, nachdem im Beginne der halben Stunde ein m\u00e4\u00dfiger Antrieb stattgefunden hatte. Der Erfahrung entsprechend, folgt aber in unserer Darstellung dem Sinken der Willensleistung, wie sie durch die Ablenkung bedingt wird, sofort eine st\u00e4rkere Anspannung zum","page":505},{"file":"p0506.txt","language":"de","ocr_de":"506\nEmil Kraepelin.\nAusgleiche der St\u00f6rung, ein \u00bb St\u00f6rungsantrieb \u00ab, der bis zum Schl\u00fcsse des Versuches andau\u00e8rt. Da er sich im letzten Abschnitte noch erheblich steigert, haben wir hier nicht mehr eine Nachwirkung der ja nur willk\u00fcrlich angenommenen St\u00f6rung, sondern entweder einen M\u00fcdigkeitsantrieb in Folge der allm\u00e4hlich st\u00e4rker werdenden Erm\u00fcdung oder einen Schlussantrieb vor uns, falls die Versuchsperson das bevorstehende Ende des Versuches voraussah.\nDie Zahlenwerthe, die wir unserer Zeichnung f\u00fcr die letzte halbe Arbeitsstunde zu Grunde gelegt haben, gehen wir in der Tabelle VITT Wieden\nTabelle VHI\nAbschnitte\t1\t2\t3\t4\t5\t6\nUebung\t60\t81\tHO\t137\t163\t188\nErm\u00fcdung\t8\t49\t90\t130\t169\t207\nAnregung\t0\t35\t45\t45\t45\t45\nGew\u00f6hnung\t15\t50\t54\t46\t56\t57\nAntrieb\t+ 16\t0\t\u2014 1\t\u2014 2\t+ 9\t+ 18\nWir k\u00f6nnen nicht im unklaren dar\u00fcber sein, dass sich gegen den hier unternommenen Versuch, mit vor der Hand ganz unzul\u00e4nglichen H\u00fclfsmitteln eine Arbeitscurve in ihre Bestandtheile zu zerlegen, im allgemeinen wie im einzelnen gewichtige Bedenken erheben lassen, wie wir sie in unseren Er\u00f6rterungen schon vielfach angedeutet haben. Dennoch sind wir an einen solchen Entwurf herangetreten, zun\u00e4chst, um den allgemeinen Anschauungen, die man aus den bisherigen Versuchen \u00fcber die Zusammensetzung der Arbeitscurve gewinnen konnte, einen m\u00f6glichst \u00fcbersichtlichen Ausdruck zu geben. Wenn wir uns dabei nicht mit einer ganz willk\u00fcrlich entworfenen Zeichnung begn\u00fcgt, sondern uns der \u00e4u\u00dferst m\u00fchseligen Arbeit unterzogen haben, zahlenm\u00e4\u00dfige Grundlagen f\u00fcr die Zergliederung einer bestimmten, gegebenen Curve aufzusuchen, so geschah das in der Absicht, die L\u00fccken unseres Wissens deutlich zu machen und zugleich die Angriffspunkte f\u00fcr neue Untersuchungen klarzulegen. Wer einen tieferen Einblick in die verwickelten Entstehungsbedingungen der Arbeitscurve gewonnen hat, wird sehr zweifelnd der M\u00f6glichkeit gegen\u00fcberstehen, dass wir zu einem praktisch brauchbaren und zugleich","page":506},{"file":"p0507.txt","language":"de","ocr_de":"Die Arbeitscurve.\n507\nzuverl\u00e4ssigen Verfahren der Erm\u00fcdungsmessung durch irgend einen besonders gl\u00fccklichen Einfall gelangen werden. Weit wahrscheinlicher ist es mir, dass uns eine sorgf\u00e4ltige Erforschung der Arbeitscurve in allen ihren Einzelheiten zum Ziele f\u00fchren kann. Wenn wir es erst verstehen, sicherere Grundlagen f\u00fcr den Aufbau der einzelnen Arbeitscurve aufzufinden, als sie in unserem Beispiele zu Gebote standen, wird es voraussichtlich auch gelingen, durch zweckm\u00e4\u00dfige Vertheilung von Arbeit und Ruhe ein Ma\u00dfverfahren zu ersinnen, welches uns rasch mit den wesentlichsten Eigenschaften der Versuchsperson, ihrer Uebungsf\u00e4higkeit und ihrer Erm\u00fcdbarkeit, vertraut macht. Schon jetzt w\u00fcrde die Feststellung der g\u00fcnstigsten Pause, zu der uns die Versuche gef\u00fchrt hatten, ein Urtheil in der genannten Richtung erm\u00f6glichen. Es kann aber wohl keinem Zweifel unterliegen, dass wir auch einfachere und leichter zu beschreitende Wege zum Ziele auffinden werden, wenn wir erst die Karte des Landes vervollst\u00e4ndigt haben, in dem wir uns zurechtfinde\u00fc sollen.","page":507},{"file":"z0004table2.txt","language":"de","ocr_de":"Wandt, Philosophische, Studien. XIX. Band.\nTaf.II\nZusammensetzung der Arbeitscurve.\n---- Gefundene Curve.\n---- Uebungscurve.\n---- -Erm\u00fcdiingscurve.\n---- Anregungscurve.\n---- Gewohnizngscurve.\n---- Willensspannung.\nlith Anst Julius Klinkhardt Leipzig.\nVerlag VWillielm Engdmami in. Leipzig-.","page":0}],"identifier":"lit3699","issued":"1902","language":"de","pages":"459-507","startpages":"459","title":"Die Arbeitscurve","type":"Journal Article","volume":"19"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:59:21.595954+00:00"}

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