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Zweiter Theil: Die Bewegungen der Verdauungs-, Absonderungs- und Fortpflanzungsapparate nebst einem Anhang ueber die allgemeine Physiologie der glatten Muskeln

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{"created":"2022-01-31T16:42:00.973855+00:00","id":"lit37394","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 5: Handbuch der Physiologie der Absonderung und Aufsaugung","contributors":[{"name":"Mayer, Sigmund","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 5: Handbuch der Physiologie der Absonderung und Aufsaugung, edited by Ludimar Hermann, 399-482. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"DIE BEWEGUNGEN\nDER\nVEE BAUEN GS-, AB S ONDE RUNGS -\nFORTPFLANZ\u00dcNGSAPPARATE\nNEBST EINEM ANHANGE\nUEBER\nDIE ALLGEMEINE PHYSIOLOGIE DER GLATTEN MUSKELN\nVON\nProf. Dr. SIGMUND MAYER in Prag.","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"EINLEITUNG.\nDasjenige Capitel der Physiologie, welches in den nachfolgenden Bl\u00e4ttern zur Darstellung gelangen soll, d\u00fcrfte zu den unerquicklichsten geh\u00f6ren, welche der Gesammtstoff unserer Wissenschaft \u00fcberhaupt darbietet. Die Ursachen dieser wohl unbestreitbaren Thatsache sind mannigfacher Art. Ich kann nicht umhin, mich hier\u00fcber an dieser Stelle in K\u00fcrze etwas n\u00e4her auszusprechen, da aus diesen Er\u00f6rterungen die Rechtfertigung des von mir eingehaltenen Verfahrens der Darstellung sich ergeben wird.\nDer erste Umstand, der in Ber\u00fccksichtigung gezogen werden muss, um den unfertigen Zustand der Lehre von den Bewegungen der Eingeweide zu erkl\u00e4ren, ist der, dass die betreffenden bewegungs-f\u00e4higen Gebilde ihre Contractilit\u00e4t der sog. glatten Muskelfaser verdanken. Jede tiefer gehende Auffassung der hierhergeh\u00f6rigen Bewegungsph\u00e4nomene ist undenkbar, so lange nicht die Elemente einer allgemeinen Physiologie der glatten Muskelfaser in besserer Weise vorliegen, als dies bis jetzt der Fall ist. Worin nun aber wieder diese grosse L\u00fccke in der allgemeinen Physiologie der irritablen Gebilde ihre Begr\u00fcndung findet, dies habe ich in einem Anh\u00e4nge zu diesem Capitel (Bemerkungen zur allgemeinen Physiologie der glatten Muskulatur) auseinanderzusetzen versucht.\nSt\u00fcnde aber auch die Lehre von den Th\u00e4tigkeits\u00e4usserungen der glatten Muskelfaser auf einer h\u00f6heren Stufe, als dies thats\u00e4chlich der Fall ist, so w\u00fcrde gleichwohl der exacten Erforschung vieler wichtiger Fragen sich ein zweiter wesentlicher Umstand entgegenstellen. Es kann nemlich keinem Zweifel unterliegen, dass die Ausl\u00f6sungen der Bewegungen der Eingeweide haupts\u00e4chlich durch langsam sich ausbildende Reize zu Stande kommen, m\u00f6gen letztere nun auf was immer f\u00fcr einen Best.andtheil des irritablen Gesammtapparates ihre Wirkung entfalten. Hiernach erscheint es mir, nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft, \u00e4usserst schwierig, ja fast unm\u00f6glich, durch das, so\nHandbuch der Physiologie. Bd. Va.\t26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402 Sigmund Mayer, Bewegungen der Yerdauungs- etc. Apparate. Einleitung.\nzu sagen \u201eacute\u201c Experiment festzustellen, welche Momente Zusammenwirken m\u00fcssen, um die normalen, den Zwecken des Organismus dienstbaren Bewegungsvorg\u00e4nge einzuleiten, lieber letztere sind wir daher kaum im Stande, einigermassen sicher begr\u00fcndete Aussagen zu machen. Wenn wir in den nachfolgenden Bl\u00e4ttern diejenigen Momente angef\u00fchrt haben, die auf Grund experimenteller Ermittelungen als Bewegungen hervorrufende angesehen werden, so ist hiermit nicht die Auffassung zu verbinden, als w\u00e4ren diese Momente f\u00fcr die Aufkl\u00e4rung des Entstehungsmechanismus der normalen Bewegungsvorg\u00e4nge ganz direct zu verwerthen. Andererseits muss anerkannt werden, dass die Kenntniss der Bedingungen, unter denen \u00fcberhaupt Bewegungen hervorgerufen werden k\u00f6nnen, notkwendig erscheint, um der Verkettung von Umst\u00e4nden auf die Spur zu kommen, durch welche in der Norm die Contractionsvorg\u00e4nge angeregt werden.\nWir sind nicht der Meinung, dass die hier in Frage kommenden Probleme der Forschung mit den uns jetzt zur Verf\u00fcgung stehenden Hilfsmitteln ganz unzug\u00e4nglich sind. Um jedoch auf diesem Gebiete neue Bahnen zu erschlossen, w\u00e4re es noth wendig gewesen, Hekatomben von Versuckstkieren opfernd, die Arbeit von Jahren eiuzu-setzen. Da ich mich hierauf aus verschiedenen Gr\u00fcnden nicht einlassen konnte, so habe ich die Darstellung m\u00f6glichst objectiv gehalten und keinen ausgiebigen Versuch gemacht, das zur Zeit vorliegende thats\u00e4chliche Material durch Hypothesen und Hilfshypothesen ad hoc theoretisch zu gl\u00e4tten.\nIn dem nachfolgenden Capitel werden auch die Vorg\u00e4nge des Kauens, des Sehlingens und S a u g e n s in aller K\u00fcrze besprochen. Es geh\u00f6ren die Er\u00f6rterungen \u00fcber die genannten Functionen in ein Grenzgebiet zwischen descriptiver Anatomie und Physiologie. Da die physiologische Betrachtung der genannten Vorg\u00e4nge nur unter Zugrundelegung der genauesten anatomischen Zergliederungen in Ein-zelnkeiten eintreten kann, so habe ich geglaubt, diese Aufgabe den Handb\u00fcchern und Specialarbeiten der Anatomie \u00fcberlassen zu m\u00fcssen und habe mich, unter Anf\u00fchrung der wichtigeren Literatur, auf eine Skizze beschr\u00e4nkt.\nDie hier zu schildernden Vorg\u00e4nge zeigen in der Reihe der Tkiere vielfache Besonderheiten. Wir werden das nach dieser Richtung hin vorliegende Material aber nicht weiter ber\u00fccksichtigen, da wir mit der ausf\u00fchrlichen Behandlung dieser in die vergleichende Physiologie geh\u00f6rigen Thatsachen den Rahmen dieses Handbuches \u00fcberschreiten w\u00fcrden. Zudem sind die hierhergeh\u00f6rigen Ermitte-","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Kauen.\n403\nlungen der Hauptsache nach nicht geeignet, auf die sich erhebenden Fragen ein besonderes Licht zu werfen. Im Verlaufe der Darstellung haben wir jedoch mehrmals Anlass genommen, auf diejenigen in der Literatur vorhandenen Hauptwerke hinzuweisen, in denen der uns besch\u00e4ftigende Gegenstand vom vergleichend physiologischen Gesichtspunkt abgehandelt wird.\nERSTES CARTEL.\nBewegungen im Digestionsapparate.\nI. Das Kauen.\nFl\u00fcssigkeiten k\u00f6nnen ohne weitere Vorbereitung verschluckt werden. Feste K\u00f6rper bed\u00fcrfen aber einer Vorbereitung f\u00fcr den Schlingact; diese besteht einerseits in einer hinl\u00e4nglichen Zerkleinerung durch das Kauen, andererseits in einer durch die muskul\u00f6sen Bestandtheile der Mundh\u00f6hle bewirkten Formung der gekauten und eingespeickel-ten Nakrungsbestandtkeile zum Bissen.\nBeim Kauen1 wirken die Schneidez\u00e4hne auf die Ingesta wesentlich zertheilend, indem sie von gr\u00f6sseren St\u00fccken kleinere abbeissen, w\u00e4hrend die zermalmende Wirkung durch die Backenz\u00e4hne ausge\u00fcbt wird. Das Kiefergelenk erlaubt die f\u00fcr das Kaugesch\u00e4ft erforderlichen allseitigen Bewegungen, d. i. Heb- und Senkbewegungen, Seitenbewegungen und Vor- und Zur\u00fcckschieben des Unterkiefers.\nDie wichtigsten beim Kaugesch\u00e4fte in Betracht kommenden Muskeln sind die Muse, masseter, temporalis, pterygoideus internus und externus. Die Hebung des Unterkiefers, wodurch die kr\u00e4ftige Aneinanderschliessung der Z\u00e4hne zu Stande kommt, besorgen die Muse, masseter, temporalis und pterygoideus internus; bei der drehenden und mahlenden Bewegung (Seitenbewegung) des Unterkiefers ist der Muse, pterygoideus externus betheiligt.\nAls Hilfsbewegung f\u00fcr den Act des Kauens dienen die Bewegungen der Lippen, der Wangen und ganz besonders der Zunge ; sie erf\u00fcllen den Zweck, immer neue, theils noch gar nicht, theils unvoll-\n1 lieber Bau und Mechanik des Kiefergelenkes verweise ich besonders auf Henke, Handb. d. Anat. u. Mcchan. d. Gelenke, mit R\u00fccksicht auf Luxationen und Contracturen S. 103. Leipzig u. Heidelberg 1863.\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404 Sigmund Mayer. Bew. d. Verdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nst\u00e4ndig gekaute Speisebestandtkeile zwischen die Zahnreihen zu bringen, deren Durchfeuchtung mit Speichel zu bewerkstelligen und endlich deren Formung zum Bissen zu veranlassen.\nMan hat fr\u00fcher angenommen, dass der Unterkiefer bei v\u00f6llig geschlossenen Lippen einen Zug auf die Kaumuskeln auslibe oder dass er an den Kaumuskeln gleichsam aufgeh\u00e4ngt sei. Hiergegen hat nun Mezger1 bemerkt, dass das Gef\u00fchl eines solchen Zuges normal selbst bei stundenlang geschlossenem Munde nicht vorhanden sei, dass aber der Versuch, selbst bei minimal ge\u00f6ffneten Lippen und gleichm\u00e4ssig erschlaffter Muskulatur mehrere Minuten zu athmen, unangenehm empfunden werde, da nun in der That ein Zug auf den Muse, temporalis ausge\u00fcbt wird. Dieses durch die Dehnung des genannten Muskels hervorgerufene abnorme Gef\u00fchl tritt noch st\u00e4rker hervor, wenn man den Unterkiefer durch ein angeh\u00e4ngtes Gewicht etwas belastet. Mezger macht weiter darauf aufmerksam, dass die Wangenschleimhaut sich zwischen die Zahnreihen beider Kiefer einst\u00fclpt und Speichelerguss in den Mund eintritt, sobald man bei geschlossenem Munde den Unterkiefer vom Oberkiefer zu entfernen sucht. Bei geschlossenem Munde und ruhigem Athmen durch die Nase ruht die Zunge mit ihrer unteren Fl\u00e4che auf dem Rande des Unterkiefers, w\u00e4hrend sie mit ihrer Spitze nach vorn und oben geht und sich in die durch die obere Zahnreihe, Processus alveolaris des Oberkiefers und Palatum durum gebildete H\u00f6hlung legt ; die Zungenwurzel hebt sich zu beiden Seiten etwas und passt sich an die hinteren Z\u00e4hne und die entsprechende Partie des Oberkiefers an. So wird die ganze Zunge nebst ihrer Unterlage vom Luftdruck getragen.\nDie Muse, masseter, temporalis und pterygoidei erhalten ihre Nerven vom dritten Aste des Trigeminus; der Muse, buccinatorius wird vom Nerv, facialis innervirt, da im Nerv, buccinatorius haupts\u00e4chlich sensible Nerven enthalten sind. Doppelseitige Durchsclmei-dung des Nerv, facialis verhindert die Thiere am Schlingen nicht, wie Brown-S\u00e9quard glaubte; sie verm\u00f6gen vielmehr normal zu schlucken, wenn man die Nahrungsmittel tief in die Mundh\u00f6hle hereinschiebt. Wohl aber ist durch die genannte Operation das Kaugesch\u00e4ft insofern beeintr\u00e4chtigt, als die Speisebestandtheile einestheils aus dem durch die Lippen nicht mehr geschlossenen Munde herausfallen k\u00f6nnen und sich anderentheils in den Raum zwischen Backen und Zahnfleisch verirren; auch ist die Bissenbildung erschwert.\n1 Mezger, Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 89. 1875 und Nachschrift von F. C. Donders, ebenda S. 91.","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Zungenbewegungen.\n405\nII. Bewegungen der Zunge.\nDie Zunge bietet eine ausserordentliche Mannigfaltigkeit von Bewegungserscheinungen dar, die hei den Functionen der Phonation, des Saugens, Kauens, Schmeckens und Sehlingens eine wichtige Rolle spielen.\nDie Muskeln der Zunge entspringen entweder vom Knochenger\u00fcste (Mm. genioglossus, styloglossus, hyoglossus) oder sie nehmen Ursprung und Insertion in der Zunge selbst (Muse, lingualis, Muse, transversus linguae).\nDie Zunge kann betr\u00e4chtlich nach vorw\u00e4rts bewegt werden, so dass sie nicht allein zwischen Lippen und Z\u00e4hne treten, sondern selbst mehrere Centimeter weit aus dem Munde herausgestreckt werden kann. Bei dieser Bewegung wirken die Fasern des Muse, genioglossus und die transversalen Fasern, die bei ihrer Contraction die Zuuge verschm\u00e4lern.\nDie Abw\u00e4rts- und R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung der Zunge wird wesentlich durch die Action der Muse, hyoglossi bewirkt; die Wurzel der Zunge wird durch die hintersten B\u00fcndel des Myoglossus in die Breite gezogen. Bei den Seitw\u00e4rtsbewegungen, wobei die Zungenspitze sich nach links oder rechts wendet, w\u00e4hrend der Zungengrund sich in entgegengesetzter Richtung verschiebt wirken die L\u00e4ngsfasern; die oberfl\u00e4chlichen Schichten der letzteren sind auch haupts\u00e4chlich in Th\u00e4tigkeit, wenn die Zunge sich aufw\u00e4rts und, dem Gaumengew\u00f6lbe sich anschmiegend, von vorn nach r\u00fcckw\u00e4rts kr\u00fcmmt.\nDie Zunge wird an ihrer oberen Fl\u00e4che convex, wenn die Muse, hyoglossi die Seitenr\u00e4nder niederziehen, sie wird concav, wenn die Muse, genioglossi einen Zug nach abw\u00e4rts auf ihre Mitte aus\u00fcben.\nWenn die obere Fl\u00e4che der Zunge eine Art von Rinne bildet, so ziehen die Muse, genioglossi die Mittellinie der Zunge nach abw\u00e4rts, w\u00e4hrend zu gleicher Zeit die oberen transversalen Fasern die R\u00e4nder in die H\u00f6he biegen; hierbei wirken auch die transversal in die Zunge ausstrahlenden B\u00fcndel des M. styloglossus.\nDie Contractionen der vertical die Dicke der Zunge durchsetzenden Fasern f\u00fchren zu einer Verringerung des Dickendurchmessers der Zunge und einer gleichzeitigen Verbreiterung.\nDie geschilderten Contractionsarten der Zunge k\u00f6nnen sich in mannigfaltigster Weise eombiniren, so dass eine im Einzelnen kaum zu \u00fcbersehende Vielheit von Zungenbewegungen zu Stande kommen kann.\nDie Zungenmuskulatur wird vom Nerv, hypoglossus innervirt,","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406 Sigmund Mayer. Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nwie zum Tlieil schon lange bekannt war und besonders von Panizza 1 gezeigt wurde. Nach Durchschneidung beider Nervi hypoglossi k\u00f6nnen die Thiere nur durch m\u00fchsame k\u00fcnstliche F\u00fctterung am Leben erhalten werden, da sowohl das Kauen, als auch das Schlingen bedeutend erschwert sind. Nach Schiff'2 soll jedoch die Bewegung der Zungenwurzel nach hinten und oben beim Schlingen nicht ganz aufgehoben sein, da dieselbe zum Tlieil durch Contraction des Muse, stylohyoideus, der einen Zweig vom Nerv, facialis erh\u00e4lt, besorgt werden kann. Eine Bewegung der Zunge nach hinten kann durch die Muskeln bewirkt werden, die den Kehlkopf und das Zungenbein abw\u00e4rts ziehen.\nDa beim Kauen die vollst\u00e4ndig gel\u00e4hmte Zunge leicht durch passive Bewegungen zwischen die Z\u00e4hne gebracht wird, so wird sie h\u00e4ufig der Sitz schmerzhafter Verletzungen.\nBidder3 und Schiff haben darauf aufmerksam gemacht, dass bei Hunden, bei denen der Nerv, hypoglossus einseitig durchschnitten worden war, die Zunge eine Deviation nach der gel\u00e4hmten, nicht aber nach der gesunden Seite, wie man nach Analogie erwarten sollte, zeigt.\nNach Schiff (1. c.) tritt die Deviation der einseitig gel\u00e4hmten Zunge nach der gel\u00e4hmten Seite nur dann hervor, wenn die Zunge aus dem Munde hervorgestreckt wird, w\u00e4hrend sie, wenn sie ruhig im Munde liegt, mit Ausschluss der \u00e4ussersten Spitze, nach der gesunden Seite hin abweicht; wird die Zunge zur\u00fcckgezogen, so de-viirt sie ganz nach der gesunden Seite hin.\nSchiff erkl\u00e4rt diese Erscheinungen daraus, dass die Muse, genio-glossi bei ihrer Action die Zungenspitze nach vorn und der entgegengesetzten Seite hin ziehen ; wenn nun der Muse, genioglossus einseitig gel\u00e4hmt ist, so muss die Zunge bei ihrem nach Vorntreten auch zu gleicher Zeit nach der Seite der L\u00e4hmung ausweichen, da nur aus dem Zusammenwirken beider Muse, genioglossi die grade Eichtling hervorgeht. Diese Erkl\u00e4rung hat Schiff der von Bidder gegebenen gegen\u00fcbergestellt, nach der die geschilderte Deviation der Zunge nach der gel\u00e4hmten Seite hin bewirkt wird durch die einseitige Wirkung der Zungenbeinheber auf der gesunden Seite, wodurch eine schiefe Stellung des Zungenbeins zum Unterkiefer und also auch der Zunge zur Mundh\u00f6hle bewirkt werden soll. Gegen die Erkl\u00e4rung\n1\tPanizza, Versuche \u00fcber die Verrichtungen der Nerven, \u00fcbers, von Schneemann S. 31. Erlangen 1836.\n2\tSchiff, Lehrb. d. Physiol. S. 422 und Arch. f. physiol. Heilk. 1851. S. 579.\n3\tBidder, Arch. f. Anat. u. Thysiol. 1842. S. 110.","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Saugen.\t407\nBidder\u2019s bemerkt Schiff, dass erstens die Hebung des Zungenbeins beim Hervorstrecken der Zunge, besonders beim Hunde nur eine untergeordnete Bolle spielt, zweitens die Deviation auch bei Schonung der Nerven\u00e4ste f\u00fcr die Zungenbeinmuskeln dieselbe bleibt, drittens eine Schiefstellung des Zungenbeins beim Herausstrecken der Zunge bei einseitiger L\u00e4hmung derselben nicht auftritt und dass endlich viertens die Hebung des Zungenbeins der gel\u00e4hmten Seite mit dem Finger die fehlerhafte Stellung der Zunge beim Herausstrecken nicht aufhebt.\nIII. Das Saugen.\nDer Mangel der Z\u00e4hne und die geringe Ausbildung des Kiefergelenkes, sowie der beim Kauen betheiligten Muskeln machen es in der ersten Zeit des Lebens unm\u00f6glich, feste Nahrungsmittel hinl\u00e4nglich zu verarbeiten. Das Kind ist auf fl\u00fcssige Nahrung angewiesen, die es sich durch den Act des Saugens einverleibt.\nBeim Saugen umfassen die Lippen in Folge der Th\u00e4tigkeit ihrer Kingmuskulatur die Brustwarze luftdicht, was durch den Mangel der Z\u00e4hne und durch besondere membran\u00f6se sehr gef\u00e4ssreiche Vorspr\u00fcnge am Zahnfleischrand beider Kiefer erleichtert wird. Diese von Robin und Magitot1 er\u00f6rterten Bildungen befinden sich an der Stelle der vier Eckz\u00e4hne und sind haupts\u00e4chlich am Unterkiefer durch einen 1 \u2014 3 Mm. vorspringenden membran\u00f6sen Saum miteinander verbunden, welche w\u00e4hrend des Saugens etwas schwellen und das Umfassen der Brustwarzen erleichtern sollen.\nWas die Art und Weise betrifft, in welcher die Milch aspirirt wird, so ist zun\u00e4chst zu bemerken, dass die Respiration hiermit o-ar nichts zu thun hat, wie man fr\u00fcher vielfach irrthtimlich annahm. W\u00e4hrend des Saugens geht die Athmung durch die Nase ungehindert ihren Gang.\nF\u00fcr das Saugen d. i. die Herstellung eines luftverd\u00fcnnten Raumes in der Mundh\u00f6hle, wodurch dann der auf die Brustdr\u00fcse wirkende atmosph\u00e4rische Druck die Milch in die Mundh\u00f6hle eintreibt, kommt ein besonders von Donders2 hervorgehobener Umstand in Betracht. W\u00e4hrend n\u00e4mlich der Mund in normaler Weise geschlossen gehalten wird, liegt die Zunge gegen den harten Gaumen an, der weiche Gaumen liegt \u00fcber die Wurzel der Zunge nach unten ausgespannt und so entsteht in der angegebenen Weise ein Raum, in\n1\tBobin & Magitot, Gaz. meet. d. Paris I860, p. 351.\n2\tDonders, Arch. f. d. ges. Physiol. X. S. 91. 1875.","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408 Sigmund Mayer, Bew. d. Verdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat\ndem nach den Messungen von Donders ein negativer Druck von 2\u20144 Millimeter besteht. Dieser Raum ist also nach hinten durch das der Zungenwurzel sich anschmiegende Gaumensegel, nach vorn durch die vorderen Theile der Zunge abgeschlossen. Streckt sich \u00fcber die Zunge ein K\u00f6rper in diesen Saugraum hinein aus, dann wird er nach hinten gezogen und ist er durchbohrt, so kann dadurch Fl\u00fcssigkeit in den Saugraum eingezogen werden. Die Vergr\u00f6sserung des Saugraumes geschieht durch actives Zur\u00fcckziehen der Zungenwurzel, welche sich durch eine \u00e4usserlich bemerkbare Schwellung \u00fcber dem Zungenbein bemerklieh macht.\nNach Vierordt 1 sollen R\u00fcckw\u00e4rtsbewegungen der Zunge beim Saugen nicht Vorkommen und der Saugraum durch eine Abw\u00e4rtsbewegung des Unterkiefers hergestellt werden. Sobald sich hinl\u00e4nglich Milch, die \u00fcber die nach oben eine Rinne bildende Zunge abl\u00e4uft, angesammelt hat, tritt in sp\u00e4ter zu schildernder Weise der Schlingact ein.\nDonders hat auch darauf hingewiesen, dass bei geschlossenem Munde und der Herstellung des oben geschilderten Saugraumes (\u201ehinterer Saugraum\u201c) die Theile der Mundh\u00f6hle nach vorn von demselben durch Adh\u00e4sion so aneinander liegen, dass eigentlich hier kein Raum vorhanden ist; wird dann aber der vordere Theil der Zunge nach hinten gezogen, so bildet sich zwischen der unteren Fl\u00e4che der Zunge, Boden der Mundh\u00f6hle und Lippen ein \u201evorderer Saugraum\nIY. Das Schlingen (Schlucken).\nNach Magendie\u2019s Vorg\u00e4nge * 2) wird die complicate Reihenfolge von Bewegungen, durch welche die gekauten und eingespeichelten festen Ingesta, sowie die Fl\u00fcssigkeiten aus dem Munde in den Magen bef\u00f6rdert werden, in drei Stadien zerlegt. Diese drei Stadien folgen sich rasch hintereinander und ohne dass zwischen denselben bemerkbare Pausen eintreten.\nDas erste Stadium besteht in dem Transport des geformten Bissen bis hinter den vorderen Gaumenbogen. Die hierzu nothwen-digen Bewegungen werden von der Zungenmuskulatur ausgef\u00fchrt: w\u00e4hrend eine Pause im Kauen eintritt, wird die Zunge von der Spitze gegen die Basis hin erhoben und an das Gaumengew\u00f6lbe angelegt, wo-\n] Vierordt, Physiol, des Kindesalters (Sep.-Abdr. aus Gerhardts Handb. d. Kinderkrankh.). S. 73. T\u00fcbingen 1877.\n2 Magendie, Th\u00e8se soutenue \u00e0 l'Ecole de m\u00e9decine de Paris 1808.","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Schlingen.\n409\ndurch der Bissen gezwungen wird, nach dem Schlundkopfe hin auszuweichen.\nW\u00e4hrend des zweiten Stadiums hat der Bissen nur den Weg vom mittleren Theil des Schlundes in den unteren zur\u00fcckzulegen, um w\u00e4hrend des dritten Stadiums durch den Oesophagus in den Magen zu wandern.\nNachdem der Bissen hinter den vorderen Gaurnenbogen gelangt, wird er durch die Contractionen der mittleren und unteren Schlundkopfschn\u00fcrer weiter bewegt; die Wurzel der Zunge, sowie der Kehlkopf und der Schlundkopf heben sich, um so den zu verschluckenden Massen gleichsam entgegenzukommen.\nDamit die Ingesta jedoch richtig in den Anfangstheil des Oesophagus gelangen, muss ihnen der Weg nach der Mundh\u00f6hle, nach der Nasenh\u00f6hle und in seinem Fortschreiten auch der Weg nach dem Kehlkopfe abgeschnitten werden.\nDie R\u00fcckkehr des Bissens nach der Mundh\u00f6hle wird wesentlich verhindert durch die Zusammenziehung der vom Septum linguae entspringenden und mit der fibr\u00f6sen Fortsetzung des kn\u00f6chernen Gaumens sich verbindenden Fasern des Muscul. glossopalatinus. Diese Muskelwirkung n\u00e4hert die Zunge dem Gaumen und verkleinert zu gleicher Zeit den Durchmesser des Isthmus faucium. Verst\u00e4rkt wird die erw\u00e4hnte Wirkung des Muse, glossopalatinus durch die Th\u00e4tig-keit der Mm. styloglossi, welche die Zunge dem Gaumen entgegenheben und sie noch vor dem Rande des Velum palatinum an den Gaumen andr\u00fccken.\nDie Ab Schliessung des Cavum pharyngo-nasale vom Cavum ph arvngo-orale w\u00e4hrenddes Sehlingens ist ein compli-eirter Act, \u00fcber dessen Mechanismus im Laufe der Zeit verschiedenartige Meinungen laut geworden sind.\nBei der n\u00e4heren Betrachtung dieses Vorganges ergiebt sich, dass bei demselben verschiedene Apparate mitwirken und zwar 1. das Gaumensegel, 2. die hinteren Gaumenbogen, 3. die Pharynxmuskulatur, 4. die Plica salpingo-pkaryngea.\nUeber die Rolle, welche die genannten Theile bei dem Mechanismus des Abschlusses der Nasenh\u00f6hle von der Rachenh\u00f6hle spielen, ist Folgendes zu bemerken.\n1. Was zun\u00e4chst das Gaumensegel betrifft, so war die Mehrzahl der alten Anatomen und Physiologen der Ansicht, dass die andr\u00e4ngende zu verschluckende Masse das schlaff herabh\u00e4ngende Gaumensegel in die H\u00f6he hebt, der horizontalen Lage n\u00e4hert und so, indem es den freien Rand desselben der hinteren Rachenwand n\u00e4hert, den","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410 Sigmund Mayer. Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nAbschluss der Nasen- von der Rachenh\u00f6hle bewerkstelligt. Das Irrige dieser Ansicht, nach welcher die Erhebung des Gaumensegels einen passiven Act darstellen soll, wurde vielfach nachgewiesen. Dagegen d\u00fcrfte es heutzutage wohl als feststehend angenommen werden, nach den Versuchen und Beobachtungen von Maissiat, Bidder, Debrou, Schuh, Fiaux u. A., dass beim Schlingen das Gaumensegel durch Muskelwirkung in die H\u00f6he gehoben und horizontal gestellt wird und so den Speisen und Getr\u00e4nken den Weg nach der Nasenh\u00f6hle zu versperren vermag.\nAn Menschen, bei denen es in Folge von chirurgischen Eingriffen m\u00f6glich geworden war, das Gaumensegel von oben her zu betrachten, haben BiDDer1, Schuh2 3, Gentzen 3 die Aufw\u00e4rtsbewegung des Gaumensegels, dessen Horizontalstellung bis zur Ber\u00fchrung mit der hinteren Rachenwand beim Acte des Sehlingens direct beobachtet.\nDebrou4 erweist die Aufw\u00e4rtsbewegung des Gaumensegels beim Schlingen durch folgenden Versuch: Ein Stilet wird durch eine Nasenh\u00f6hle bei horizontaler Kopflage bis in den Pharynx eingef\u00fchrt, w\u00e4hrend man Fl\u00fcssigkeit oder einen festen, zum Verschlingen geeigneten K\u00f6rper im Munde hat. Mit dem Abschlucken bemerkt man dann eine Abw\u00e4rtsbewegung des \u00e4usseren Endes des Stilets und f\u00fchlt den Stoss des Gaumensegels gegen das im Pharynx befindliche Ende.\nFiaux5 hat bei Hunden die das Cavum pharyngo-nasale von vorn bedeckenden Bestandtheile der Nase weggenommen und das Verhalten des Gaumensegels beim Schlucken von Fl\u00fcssigkeiten und festen K\u00f6rpern beobachtet. Er sah beim Beginn des zweiten Stadiums des Sclilingactes das Gaumensegel sich heben und seinen freien\n1\tF. H. Bidder, Neue Beobachtungen \u00fcber die Bewegungen des weichen Gaumens und \u00fcber den Geruchssinn (mit einer Tafel). Dorpat 1838.\n2\tSchuh, Wiener med. Wochenschr. 1858. Nr. 2. Die von Br\u00fccke (Vorlesungen \u00fcber Physiologie I. S. 2S6. 2. Aufl.) erw\u00e4hnte Beobachtung bezieht sich auf diesen a. a. 0. von Schuh n\u00e4her besprochenen Fall.\n3\tGentzen, Beobachtungen am weichen Gaumen nach Entfernung einer Ge-schwulst in der Augenh\u00f6hle S. 26. Diss. K\u00f6nigsberg 1876. Gentzen erw\u00e4hnt auch eines dem Aufsteigen des weichen Gaumens voraufgehendes und nachfolgendes kurzdauerndes Abw\u00e4rtssteigen unter die Ruhelage; die erstere Bewegung (kurzdauerndes Abw\u00e4rts steigen vor der Erhebung des Gaumensegels) haben auch Schuh und Fiaux gesehen.\n4\tDebrou, Des muscles, qui concourent aux mouvements du voile du palais; th\u00e8se inaugurale. Paris 1841.\n5\tLouis Fiaux, Recherches exp\u00e9rimentales sur le m\u00e9canisme de la d\u00e9glutition. Paris 1875. Diese Schrift giebt sehr ausf\u00fchrliche geschichtliche Notizen \u00fcber die Ansichten betr. den Mechanismus des Abschlusses der Nase vom Rachen. Das angeh\u00e4ngte ausf\u00fchrliche Literaturregister bezieht sich nur auf einzelne Punkte aus der Lehre vom Schlingen, soweit das zweite Stadium.desselben in Betracht kommt. Es linden sich in dieser Schrift auch einige vergleichend-physiologische Notizen \u00fcber den Schlingact.","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"Schlingen.\n411\nRand sich der hinteren Rachenwand anschmiegen, w\u00e4hrend seine mittlere Partie nach oben convex wurde und die hintere Rachenwand zum Theil dem Blicke entzog. Diese Vorg\u00e4nge spielten sich in derselben Weise ab, wenn man das Thier nur einige Tropfen Fl\u00fcssigkeit oder einen festen Bissen verschlucken Hess.\nDie Lage des Gaumensegels zum Bekufe des Abschlusses der Nasenh\u00f6hle von der Rachenh\u00f6hle wird durch die Abbildungen Fig. 1 und 2 veranschaulicht, von denen Fig. 1 die Stellung in der Ruhe, Fig. 2 diejenige w\u00e4hrend des Schlingactes darstellt.\n1. Mediansehnitt des Kopfes (nach Henle). 7p Gaumensegel w\u00e4hrend der K\u00fche.\nDie Hebung des Gaumensegels gleichzeitig mit einer Spannung desselben wird durch die Contraction der Musc, levatores palati (M. pe-trostaphylini) bewirkt; zur Spannung des Gaumensegels kann auch die Zusammenziehung der Muse, pharyngo-palatini beitragen.\nF\u00fcr die Frage nach dem Mechanismus des Abschlusses der Nasen-von der Rachenh\u00f6hle ist noch von Wichtigkeit folgender Versuch von E.H. Weber1. Giesst man durch ein Nasenloch eines horizontal ausge-\n1 E. H. Weber. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1847. S. 351. Vach einer Bemerkung von Fiaux (1. c.) hat schon Littr\u00e9 im Jahre 1718 (Mein, de l\u2019Acad. des sc. 1718.","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nstreckten Menschen, dessen Kopf \u00fcberh\u00e4ngt, Wasser in die K\u00e4se, so fliesst es schliesslich aus dem anderen Nasenloch aus, w\u00e4hrend nicht ein Tropfen in den Rachen gelangt.\n2. Den hinteren Gaumenbogen hat man seit den Untersuchungen von Dzondi 1 und G erd y 2 eine sehr hervorragende Bedeutung zuerkannt. Dzondi schildert die Bewegungen der hinteren Gaumenbogen\n/ /;-\nFig. 2. Stellung des Gaumensegels w\u00e4hrend des zweiten Stadiums des Schlingactes (nach Fia\u00fcx).\nA Gaumensegel, C Bissen.\nin folgender Weise: In demselben Augenblicke, in welchem der Bissen die Grenzlinie des vorderen Gaumenvorhanges \u00fcberschreitet\np. fi) die Beobachtung gemacht, dass eine in die Nasenh\u00f6hle eingegossene Fl\u00fcssigkeit nicht in die Rachenh\u00f6hle abfliesst. Yergl. \u00fcber diesen Punkt noch Moura, Pacte d. 1. d\u00e9glutition, son m\u00e9canisme. Paris 1867 und Compt. rend. LII. p. 460.\n1\tKarl Heinrich Dzondi, Die Functionen des weichen Gaumens beim Athmen, Sprechen, Singen, Schlingen, Erbrechen u. s. w. Halle 1831.\n2\tDie an verschiedenen Orten zerstreuten Publicationen von Gerdy sind (nach einer Notiz bei Fiaux) zusammengestellt in einer von Broca und Beaugrand besorgten Ausgabe der anatomischen und physiologischen Arbeiten Gerdy\u2019s. 2 Bde. Paris 1875.","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Schlingen.\n413\noder schon einen Augenblick vorher, n\u00e4hern sich pl\u00f6tzlich die beiden Schenkel des hinteren Gaumenvorhanges von beiden Seiten in loth-rechter oder perpendicul\u00e4rer Richtung einander dergestalt, dass sie kaum noch eine viertel Linie breit von einander entfernt sind. Zu gleicher Zeit wird der mittlere obere Theil des hinteren Gaumenbogens durch den Levator nach oben zu angespannt und wirklich ein wenig \u2014 ungef\u00e4hr eine bis ein paar Linien \u2014 nach oben in die H\u00f6he gezogen, dergestalt, dass ungeachtet der Zusammenziehung der beiden, die Schenkel des hinteren Gaumenvorhanges constituirenden Muskeln (der Palato-pkaryngei) der hintere Gaumenbogen in der Mitte keineswegs herabgezogen, sondern vielmehr gehoben wird. Allein keineswegs nach hinten zu, um sich gegen die Choanen zu schlagen, sondern vielmehr gerade, jedoch dergestalt, dass die Schenkel des hinteren Gaumenbogens eine etwas nach der Gr\u00f6sse des Bissens mehr oder weniger gekr\u00fcmmte Linie beschreiben.\nNach Dzondi, Gerd y und deren zahlreichen Anh\u00e4ngern soll nun der Weg nach der Nase desswegen nicht betreten werden, weil der Bissen \u00fcber die eng aneinander gezogenen hinteren Gaumenbogen wie \u00fcber ein Planum inclinatum hingleitet, wobei er durch die Zunge gepresst und die R\u00fcckkehr nach der Mundh\u00f6hle ebenfalls unm\u00f6glich gemacht wird (siehe oben). Zur Vervollst\u00e4ndigung des Abschlusses dient nach Dzondi das durch die vorbeigehenden Speisen angedr\u00fcckte Z\u00e4pfchen, welches sich in seiner ganzen L\u00e4nge vor die schmale, per-pendicul\u00e4re Spalte legt, welche zwischen den Schenkeln des hinteren Gaumenbogens bleibt.\nAus den Beobachtungen von Bidder, Schuh u. A. geht nun hervor, dass die Bedeutung, welche Dzondi dem coulissenartigen Vortreten der hinteren Gaumenbogen f\u00fcr den Abschluss der Nasen- von der Rachenh\u00f6hle zugeschrieben hat, entschieden \u00fcbertrieben war und dass hierbei die Erhebung des Gaumensegels, wie oben er\u00f6rtert, viel mehr in Betracht kommt. Doch bleibt das Verdienst Dzondi\u2019s, auf die beschriebenen Erscheinungen an den hinteren Gaumenbogen beim Schlingacte zuerst hingewiesen zu haben. F\u00fcr das Zustandekommen dieses Vorschiebens der hinteren Gaumenbogen, die in diesem Zustande einen viel breiteren Spalt zwischen sich lassen als Dzondi meinte, hat Br\u00fccke 1 folgende Erkl\u00e4rung gegeben. Die in den hinteren Gaumenbogen verlaufenden Muse, palato-pharyngei, die in das Gaumensegel ausstrahlen, sind bestrebt dasselbe nach abw\u00e4rts zu ziehen; ausserdem aber k\u00f6nnen sie das Gaumensegel von vorn\n1 Br\u00fccke. Vorlesungen \u00fcber Physiologie I. S. 2S6. 2. Aufi. 1S75.","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414 Sigmund Mayer, Bew. d. Verdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nnach hinten ziehen und so in \u00e4hnlichem Sinne wie die Muse, petro-staphylini (Levatores veli) wirken. Da die kr\u00e4ftige Wirkung der letzteren Muskeln den antagonistisch gerichteten Zug der viel schw\u00e4cheren Muse, pharyngo-palatini nicht zur Geltung kommen l\u00e4sst, so tritt die zur Erhebung des Gaumensegels f\u00fchrende Componente bei der Contraction dieser Muskeln allein in Wirksamkeit; da aber die Muse, pharyngo-palatini im erschlafften Zustande gekr\u00fcmmt in den hinteren Gaumenbogen verlaufen, so m\u00fcssen sich letztere bei der Contraction dieser Muskeln gerade strecken und sich dann von beiden Seiten coulissenartig vorschieben.\nNach Fiaux dienen die hinteren Gaumenbogen beim Schlingacte auch dazu, den freien Rand des erhobenen Gaumensegels zu spannen und dessen Umschlagen nach der Nasenh\u00f6hle hin zu verhindern. Wenn die Wirkung der Levatores veli nachgelassen hat, k\u00f6nnen die hinteren Gaumenbogen das Gaumensegel herabziehen.\n3. Die Betheiligung des oberen Theiles der hinteren Schlundwand bei dem Abschl\u00fcsse der Nasenh\u00f6hle hat Passavant 1 er\u00f6rtert. Wenn auch die Beobachtungen von Passavant sich haupts\u00e4chlich auf den Abschluss des Schlundes von der Nase beim Sprechen beziehen, so haben sie doch auch f\u00fcr den gleichen Vorgang beim Schlingen ihre Bedeutung.\nPassavant sah (beim A-sagen) in F\u00e4llen von Gaumenspalten, welche eine Beobachtung der hinter dem Gaumensegel gelegenen hinteren Schlundwand gestatteten, an letzterer einen in der H\u00f6he des harten Gaumens hervortretenden Wulst. Dieser Wulst verl\u00e4uft an der hinteren Schlundwand horizontal, ist nach oben scharf, nach unten weniger scharf begrenzt ; seine Breite von oben nach unten betr\u00e4gt etwa 3\u20144'\", seine Erhebung 1V2\u20142\"'. An diesen Wulst legt sich nun die erhobene Gaumenklappe an.\nDer PassavANT\u2019sche Wulst entsteht durch die Contraction des Muse, constrictor pharyngis superior, welcher von verschiedenen Punkten, insbesondere aber von den Hamulis pterygoideis entspringt (Muse, pterygo-pkaryngeus), bogenf\u00f6rmig nach hinten um den Schlund heruml\u00e4uft und hier auf einen kaum 12 Zoll breiten Faserstreifen zusammengedr\u00e4ngt ist. Durch die Contraction dieses Muskels wird der Bogen der hinteren Schlundwand abgeflacht und so der Wulst hervorgetrieben.\nBewegungen an der hinteren Schlundkopfwand beim Sehlingen hatten\n1 Gustav Passavant, Leber die Verschliessung des Schlundes beim Sprechen. Frankfurt a. M. 1863 und Arch. t. pathol. Anat. XLA LS. 1. 1866.","page":414},{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"Schlingen.\n415\nschon fr\u00fcher Kobelt l 2, N\u00f6ggerath, Debrou (1. c.) und Gerdy (1. c.) bemerkt ; der letztgenannte Autor dr\u00fcckte sich, den Thatbestand \u00fcbertreibend, dahin aus, dass der sich contrahirende Muse, constrictor pharyngis superior das Gaumensegel umfasse und mit verschlucken w\u00fcrde, wenn dasselbe nicht am harten Gaumen befestigt und horizontal ausgespannt w\u00e4re.\n4. Zaufal 1 hat auf die Bedeutung der Plica salpingo-pharyngea (Wulstfalte) f\u00fcr den Abschluss der Nasenh\u00f6hle beim Schling- und W\u00fcrgacte aufmerksam gemacht. Diese Falte steigt vom hinteren, unteren Ende des Tubenwulstes an der Seitenwand der Rachenh\u00f6hle herab und kreuzt sich mit dem \u00e4usserlich schr\u00e4g vor ihr absteigenden hinteren Rand des Levator veli palati. Nahe \u00fcber dem Arcus palatopharyngeus verflacht sie sich und setzt sich, zur Seite der oberen Platte des Gaumenvorhanges schwach r\u00fcckw\u00e4rts ausw\u00e4rts sich wendend, gegen den hinteren Gaumenbogen fort, an dessen oberer Platte sie nach aussen sich anlegt; so ist diese Falte zwischen die hintere Fl\u00e4che des weichen Gaumens und die hintere Rachenwand interponirt. In derselben verlaufen Muskelfasern vom Muse, pha-ryngo-palatinus, die \u00f6fters einen selbst\u00e4ndigen Muskel constituiren.\nBeim Schlingacte tritt die Plica salpingo-pharyngea an die hintere Rachenwand und schreitet zu gleicher Zeit gegen die Medianlinie vor. Diese Locomotion der genannten Falte wird bewirkt durch die Zusammenziehung des Muse, thyreopharyngo-palatinus mit dem salpingo - pharyngeus, durch die gleichzeitige Hebung des Kehl- und Schlundkopfes und das Zur\u00fcckdr\u00e4ngen der medialen Tubenplatte durch den Levator veli. Die Plicae salpingo-pharyngeae bilden so an der hinteren Rachenwand einen spitzen Bogen, dessen Oeffnung durch den Wulst des contrahirten Azygos geschlossen wird. Da nun auch noch, wie bereits oben bemerkt, das Gaumensegel gehoben wird und die hintere Rachenwand dem Azygoswulst entgegengedr\u00e4ngt wird, und zwar, nach Zaufal\u2019s Beobachtungen, unter normalen Verh\u00e4ltnissen nicht unter der Form des scharf ausgepr\u00e4gten Passavant\u2019-schen Wulstes, sondern nur unter der Form einer leicht vortretenden gleichm\u00e4ssigen Schwellung im Gebiete des oberen Schlundkopfschn\u00fcrers, so wird durch diesen Mechanismus ein vollst\u00e4ndiger Abschluss des oberen vom unteren Rachenraum hergestellt.\nZur Versinnlichung der geschilderten Verh\u00e4ltnisse dienen Fig. 3\n1\tKobelt, Froriep\u2019s Not. 1840. Nr. 345. \u2014 N\u00fcggerath. De voce, lingua, respi-ratione, deglutitione observationes quaedam. Bonn 1S41. (Beobachtungen an einem Verwundeten, bei dem der Schlundkopf durch eine Oeffnung in der Begio supra-und infrahyoidca von vorn der Beobachtung zug\u00e4nglich geworden war.\n2\tZaufal, Arch. f. Ohrenheilk. XV. S. 96. Vergl. auch noch C. Michel, Berl. klin. AVochenschr. 1S75. Nr. 42.","page":415},{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416 Sigmund Mater, Bew d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\n1\tYergl. hierzu die von demselben Autor herr\u00fchrende Fig. 21 im II. Theil des III. Bandes dieses Handbuchs S. 55.\n2\tCarlet, Compt. rend. LXXIX. p. 1013. 1S74.\n3\tMaissiat, Th\u00e8se d. Paris 1S3S.\nund 4, die Herr Prof. Zaufal 1 entworfen bat, dessen G\u00fcte ich dieselben verdanke. Die Contouren lieferten die von Henke herr\u00fch-renden Figuren, in welche die Stellung der betreffenden Gebilde in der Ruhe (Fig. 3) und w\u00e4hrend des Schlingactes (Fig. 4) eingetragen sind.\nFig. 3. TW Tubenwulst, LW Levatorwulst, HT Wulstfalte.\nCarlet- hat mitgetheilt, dass gleich im Beginne des Schlingacts, noch bevor der Kehlkopf seine aufsteigende Bewegung begonnen, in der Schlundh\u00f6hle eine Druckabnahme stattfindet. Diese schon von Maissiat1 2 3 erw\u00e4hnte Erscheinung schiebt Carlet auf die","page":416},{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"Schlingen.\n417\nErhebung\u2019 des Gaumensegels, das sich gegen den Pharynx zum Be-hufe der Abschliessung der Nasenh\u00f6hle fixirt. Arloing 1 hat mit Hilfe graphischer Methoden den Schlingact studirt; er fand hierbei einen Unterschied im Verhalten beim Verschlucken fester und fl\u00fcssiger K\u00f6rper. Bei ersterem Acte zeigten sich im Beginne des Ver-\nFig. -1. T. TF., L. IF., 1F.F., wie in Fig. 3. A. 1F. Azygoswulst, c.j^h.s. Muse. constrictor pharyngeus superior.\nschlingens Zur\u00fcckweichen von Luft in die Nasenh\u00f6hlen, dann starkes Ansaugen, am Pharynx zun\u00e4chst Zusammenschn\u00fcren und dann Erschlaffung, und endlich am Anfangstheile des Oesophagus Erweiterung, die von einer Zusammenschn\u00fcrung gefolgt wurde. Das Schlucken von Fl\u00fcssigkeiten kann entweder ohne Absatz erfolgen (Trinken in\n1 Arloing, Compt. rend. LXXIX. p. 1009. 1S74.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Va.\n27","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. I. Cap. Digestionsapparat.\neinem Zuge), in welchem Falle man kein Ger\u00e4usch h\u00f6rt, oder absatzweise, in welchem Falle das Hinabgleiten jeden Schluckes ein Ger\u00e4usch mit sich bringt. Die Messung des Druckes in der Nasenh\u00f6hle ergab beim Schlingen der Fl\u00fcssigkeiten in einem Zuge keine Aenderung; die Atkmung ist dann entweder unterbrochen oder geht durch den Mund vor sich. Beim absatzweisen Schlucken von Fl\u00fcssigkeiten spielen sich in der Nasenh\u00f6hle \u00e4hnliche Druckschwankungen ab, wie beim Verschlingen fester K\u00f6rper. Der Pharynx soll sich beim Schlucken von Fl\u00fcssigkeiten in einem Zustande mittlerer Contraction befinden, der sich mit der Ankunft neuer Fl\u00fcssigkeitspartien vergr\u00f6ssert, w\u00e4hrend umgekehrt der permanent etwas dilatirte An-fangstheil des Oesophagus sich noch mehr erweitert, wenn eine neue Fl\u00fcssigkeitswelle anlangt, die alsbald durch die Zusammenziehung der Speiser\u00f6hre nach abw\u00e4rts getrieben wird.\nDer ganze Act des Sehlingens, der mit der Ankunft der Speisen und Getr\u00e4nke im Magen endet, ist ein im centralen Nervensystem1 coordinirter Vorgang. Dem Willen ist er nur in geringem M aasse untertk\u00e4nig. Ohne Anwesenheit schlingbarer fester oder fl\u00fcssiger von Aussen eingebrachter K\u00f6rper l\u00e4sst sich das Schlingen nur meh-reremal hintereinander ausf\u00fchren. Hierbei aber scheint die eigentlich willk\u00fcrliche Bewegung nur von der Zunge geleistet zu werden, wodurch die Mundfl\u00fcssigkeiten in den hinteren Tlieil der Mundh\u00f6hle und den Bachen gebracht werden. Die dann weiter erfolgenden Bewegungen sind wahrscheinlich s\u00e4mmtlich reflectorischer Natur und k\u00f6nnen, wenn einmal eingeleitet, durch den Willen nicht mehr gehemmt werden.\n1. Verschluss des Kehlkopfes.\nLuft- und Speisewege besitzen im Schlundkopfe ein Kreuzungsgebiet, von wo aus sich einestkeils Luft in die Speisewege, anderen-theils Speisebestandtheile in die Luftwege verirren k\u00f6nnen. Dass fortw\u00e4hrend mit den Speisen und dem Speichel auch etwas Luft verschluckt wird2, erscheint unzweifelhaft; doch ist von dem Hereingelangen einer gewissen Quantit\u00e4t Luft in den Magen irgend eine Sch\u00e4digung der dort ablaufenden Vorg\u00e4nge nicht zu erwarten. Hin-\n1\tVergl. hier\u00fcber Bd. IL S. 51.\n2\tlieber das Schlucken von Luft vgl. Herrn Abt Spallanzani\u2019s Versuche \u00fcber das Verdauungsgesch\u00e4ft des Menschen und verschiedener Thierarten nebst einigen Bemerkungen des Herrn Senebier. Hebers, von D. Christ. Friedr. Michaelis. S. 396. Leipzig 1785. (Versuche von Gosse in Genf, der mit Leichtigkeit Luft verschlucken konnte.) Magendie, M\u00e9m. s. 1. d\u00e9glutition de l\u2019air atmosph\u00e9ricpie, lu \u00e0 l\u2019Institut, le 25. octobre 1813.","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Verschluss des Kehlkopfes heim Schlingen.\n419\ngegen erweist sich die Anwesenheit von fl\u00fcssigen und festen Be-standtheilen in den Luftwegen begleitet von nicht unwesentlichen Beschwerden und Beeintr\u00e4chtigung der normalen Athemfunctionen. Besondere Beachtung verdienen daher die Mechanismen, durch welche der Abschluss des Kehlkopfes zum Behufe der Verhinderung des Hereingelangens von festen und fl\u00fcssigen K\u00f6rpern in denselben bewirkt wird.\nFr\u00fcher hegte man die Ansicht, dass die Epiglottis von dem andr\u00e4ngenden Bissen selbst auf die obere Oeffnung des Kehlkopfes herabgedr\u00fcckt wird. Von dieser Anschauung aber ist man vollst\u00e4ndig zur\u00fcckgekommen, seitdem man erfahren, dass der Kehldeckel bereits seine f\u00fcr den Schutz des Kehlkopfeinganges passende Stellung eingenommen hat, ehe der Bissen so weit vorger\u00fcckt ist, um denselben niederdr\u00fccken zu k\u00f6nnen.\nDie ersten Bestrebungen, auf dem Wege des Experimentes die Functionen der Epiglottis klarzustellen, verdankt die Physiologie Magendie1. Dieser Forscher exstirpirte beim Hunde vom Halse aus die Epiglottis und fand hierbei, dass dieselbe nicht unerl\u00e4sslich sei f\u00fcr den normalen Ablauf des Schlingactes. Diese Schlussfolgerungen Magendie's konnten sp\u00e4tere Forscher, wie Reichel2 3 4, Longet 3 u. A. nur insofern best\u00e4tigen, als Tliiere mit abgetragenem Kehldeckel noch zu schlucken vermochten, gleichwohl aber hierbei gewisse St\u00f6rungen zeigten, insbesondere bei dem Versuche, Fl\u00fcssigkeiten abzuschlingen. Longet insbesondere sprach sich auf Grund seiner Versuche an Hunden dahin aus, dass Tliiere nach Abtragung der Epiglottis zwar noch feste K\u00f6rper normal zu verschlingen im Stande seien, dass das erschlucken von Fl\u00fcssigkeiten krampfhaftes Husten in seinem Gefolge habe ; f\u00fcr diese Ansicht f\u00fchrt Longet (1. c.) eine Anzahl von Beobachtungen an Menschen an von Mercklin, Bonnet, Larrey, Louis u. A., in denen bei Verletzungen der Epiglottis St\u00f6rungen im Schlingacte constatirt wurden.\nSchiff 4 bediente sich bei seinen Versuchen die Function des Kehldeckels zu pr\u00fcfen, nicht der alten Methode von Magendie und Longet, die Epiglottis vom Halse her durch einen Schnitt zwischen Schildknorpel und Zungenbein zu exstirpiren, weil durch diese Ope-\n1\tMagendie, M\u00e9m. s. 1 usage de l\u2019\u00e9piglotte dans la d\u00e9glutition (pr\u00e9sent\u00e9 \u00e0 L pr\u00e8m. classe de l\u2019institut 1. 22. mars 1S13). Paris 1S13.\n2\tReichel, De usu epiglottidis. Diss. Berlin 1S16.\n3\tLonget, Recherches exp\u00e9r. s. 1. fonctions de l\u2019\u00e9piglotte et s. 1. agents de l\u2019occlusion d. la glotte dans 1. d\u00e9glutition, 1. vomissement et 1. rumination (Extrait des arch, g\u00e9n. de m\u00e9d.). Paris 1841 ; Trait\u00e9 d. physiol. 3. \u00e9d. I. p. 131.\n4\tM. Schiff in Molesch. Unters. IX. S. 321. 1865 und Le\u00e7ons s. 1. physiol, d. 1. digestion I. p. 309. 1867.\n27*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"42U Sigmund Mater. Bew. d. ^ erdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nration Muskeln beeintr\u00e4chtigt werden, die f\u00fcr das Schlucken wichtig sind. Schiff fasste an grossen, tief narkotisirten Thieren bei weit-ge\u00f6ffnetem Munde den Kehldeckel entweder mit einer Pincette oder mit dem Finger, bohrte durch denselben einen stark gekr\u00fcmmten Haken und zog ihn dann so weit in die H\u00f6he und nach vorn, dass er dicht \u00fcber dem Rande des Schildknorpels mit einem Messerchen abgeschnitten werden konnte.\nIn den Versuchen von Schiff zeigten nun die Thiere einige Zeit nach der Operation beim Schlingen von festen K\u00f6rpern so gut wie gar keine Beschwerden, beim Schlingen von Fl\u00fcssigkeiten aber h\u00f6chstens ein geringes Husten, das durchaus nicht, wie Longet es beschrieben hatte, krampfhaft war. Schiff\u2019s Erkl\u00e4rung geht nun von der Thatsache aus, dass beim Verschlucken von Fl\u00fcssigkeiten sich kleine Portionen in der Furche, die an der Vorderwand des Schlingkanales zwischen dem Zungenwulst und dem hintersten Theile der oberen Kehldeckelfl\u00e4che liegt, ansammeln. Diese geringen Mengen von Fl\u00fcssigkeit ergiessen sich dann allm\u00e4hlich seitw\u00e4rts in die Sinus pvriformes, da die vorspringende Epiglottis ein Hinderniss f\u00fcr ihr Hereingelangen in den Kehlkopf abgiebt. Da nun aber die Schleimhaut der Sinus pyriformes auf mechanische Reizung sehr leicht Schlingbewegungen ausl\u00f6st, so wird durch das baldige Auftreten der letzteren die Fl\u00fcssigkeit wieder entfernt. Schiff macht besonders darauf aufmerksam, dass wir beim Schlucken von Fl\u00fcssig-keiten, zu einer Zeit da Mund und Rachen schon ganz leer zu sein scheinen, nachtr\u00e4glich noch einmal eine Schluckbewegung ausf\u00fchren, scheinbar leer schlucken; bei Hunden und Katzen soll dies ebenfalls der Fall sein.\nWenn nun Thiere der Epiglottis beraubt werden, so kann die Fl\u00fcssigkeit gerade herab gegen die Oeffnung des Larynx herab-fliessen und in die Glottis treten, wodurch Husten erregt wird ; Naeh-schluckbewegungen aber werden weniger leicht auftreten, da der Weg in die Sinus pyriformes nicht mehr so gebahnt ist, wie bei exi-stirender Epiglottis. Sorgt man aber bei Thieren mit abgetragener Epiglottis daf\u00fcr, dass sie unmittelbar nach dem Trinken von Fl\u00fcssigkeiten Schlingbewegungen machen, noch ehe die auf der Zungenbasis befindlichen Portionen Zeit gehabt haben in den Vorhof der Glottis hinabzurinnen, so bleibt unter diesen Verh\u00e4ltnissen der Husten gew\u00f6hnlich aus.\nDie partielle Exstirpation der Epiglottis bleibt meistens ohne irgend welche erhebliche Folgen f\u00fcr das Verschlingen sowohl fester als fl\u00fcssiger K\u00f6rper.","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Verschluss des Kehlkopfes beim Schlingen.\n421\nWas nun den Verschluss der Glottis w\u00e4hrend des Sehlingens betrifft, so hat Longet1 2 zuerst darauf hingewiesen, dass letzteres auch dann stattfinden kann, wenn alle motorischen Nerven, die zu den Muskeln des Kehlkopfes gehen, ausser Function gesetzt worden. Dieser Verschluss kommt nun so zu Stande, dass die unteren Schlund-kopfschnttrer die beiden Schildknorpel zusammendr\u00fccken, wodurch die R\u00e4nder der Glottis aneinander gepresst werden; diesen Effect k\u00f6nnen die unteren Schlundkopfschn\u00fcrer aber nur dann hervorbringen, wenn die Bewegung des Kehlkopfes nach vorn und oben stattfindet, wodurch die genannten Muskeln erst diejenige Spannung erhalten, um die Schildknorpel in der verlangten Weise einander zu n\u00e4hern.\nNach Longet\u2019s Beobachtungen an Schafen ist aber das Schlingen auch dann nicht unm\u00f6glich gemacht, wenn die Glottis durch Hereinschieben einer Pincette offen gehalten wird.\nF\u00fcr den Verschluss der oberen Kehlkopf\u00f6ffnung ist aber ganz besonders wichtig die Th\u00e4tigkeit der Muse, genio - hyoidei, mylo-hvoidei und des vordersten Bauches des Digastricus, welche den Kehlkopf sammt dem Zungenbein nach vorn und oben ziehen, und die Contraction des Muse, hyothyreoideus, der den Kehlkopf eng an das Zungenbein anzieht. Mit diesen Bewegungen combinirt sich dann eine R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung der Zunge, wodurch sich deren Basis zum Theil \u00fcber den Kehlkopfeingang legen kann ; ausserdem aber wendet sich noch die Epiglottis, in Folge der Bewegung der Zungenbasis, zwischen der und dem oberen Kehlkopfeingang sie gelegen ist, nach dem letzteren hin. F\u00fcr das Zustandekommen der geschilderten Bewegung des Kehlkopfes ist es notkwendig, dass der Unterkiefer durch die contrahirten Masseteres, Temporales und Pterygoidei fixirt ist.\nCzermak 2 pr\u00e4cisirt nach den Resultaten seiner Beobachtungen mit dem Kehlkopfspiegel seine Ansichten \u00fcber das Zustandekommen eines ganz festen luftdichten Kehlkopfverschlusses beim Schlingen, Dr\u00e4ngen vermittelst der Bauchpresse u. s. w. in folgenden S\u00e4tzen :\n1.\tDie Aryt\u00e4noidknorpel und Proc, vocales dr\u00fccken sich mit ihren Innenseiten fest aneinander und bringen so auch die R\u00e4nder der wahren Stimmb\u00e4nder zur gegenseitigen Ber\u00fchrung.\n2.\tDie falschen Stimmb\u00e4nder schmiegen sich bis zum Verschwinden der Ventr. Morgagni an die wahren an, indem sie sich zugleich gegenseitig n\u00e4hern.\n3.\tDer Kehldeckel wird mit seinem nach innen noch convexer\n1\tLonget, in den oben cit. Schriften.\n2\tJ. N. Czermak, Molesch. Unters. VIII. S. 4S9. 1862, auch Ges. Schriften I. 2. S. 545. 1879.","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422 Sigmund Mayer, Beiv. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nvorspringend gemachten Wulst von vorn nach hinten fortschreitend auf die geschlossene Glottis fest aufgedr\u00fcckt.\n4. Das Herabgedr\u00fccktwerden der Epiglottis geschieht nicht passiv\n\u2014\tetwa durch den Zungengrund \u2014 sondern gewiss wesentlich activ,\n\u2014\tdurch die eigenen Muskeln der Epiglottis.\n2. Bewegungen des Oesophagus.\nSobald ein Bissen aus dem Schlunde in die Speiser\u00f6hre \u00fcbergetreten ist, wird derselbe durch eine von oben nach unten wellenf\u00f6rmig ablaufende Contraction der muscul\u00f6sen Wandungen dieses Schlauches in den Magen bef\u00f6rdert.\nFalck und Kronecker 1 haben neuerdings die Ansicht aufgestellt, dass die Contraction der Pharynxmusculatur und die Peristaltik der Speiser\u00f6hre f\u00fcr die Weiterbef\u00f6rderung der Bissen nur bei dem als \u201eHinunterw\u00fcrgen\u201c bekannten Vorg\u00e4nge in Betracht k\u00e4men. Bei der normalen Bef\u00f6rderung der Speisen und Getr\u00e4nke sei es haupts\u00e4chlich die im luftdicht abgeschlossenen Rachenraum comprimirte Luft, welche Speisen und Getr\u00e4nke durch die Speiser\u00f6hre treibe, welche durch die Contraction der L\u00e4ngsmusculatur klaffend erhalten w\u00fcrde.\nF\u00fcr diese Ansicht wird angef\u00fchrt, dass beim Verschlingen \u00e4tzender Fl\u00fcssigkeiten ausgedehnte zusammenh\u00e4ngende Arrosionsspuren in Schlund und Speiser\u00f6hre nicht angetroffen werden, sondern gew\u00f6hnlich nur an drei verengten Stellen der Speiser\u00f6hre (Virchow1 2), ein Umstand, der f\u00fcr eine grosse Schnelligkeit der Bewegung zu sprechen scheint.\nDie manometrische Bestimmung des Druckes im Rachenraum ergab beim Menschen eine Zunahme um 20 cm Wasser und dar\u00fcber. Auch bei Hunden Hess sich durch ein mittelst T-Rohr in den Oesophagus eingesetztes Manometer dieser Druck beim Schlucken nach-weisen, wenn die Speiser\u00f6hre nach dem Magen zu comprimirt wurde ; in letzterem war er nicht mehr zu constatiren.\nDie Muskelcontractionen, welche die er\u00f6rterte Drucksteigerung im Rachenraume hervorbringen, werden wohl von der Zungenwurzel und den Kehlkopf hebern aufgebracht werden. Es ergaben Versuche mit Durchschneidung der Nerv, hypoglossi, der Ram. descen-dentes desselben, und Combination der Ausschaltung dieser Nerven\n1\tF. Falck & H. Kronecker, Verh. d. physiol. Ges. z. Berlin 1879\u201480. S. 81 (abgedr. im Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880. S. 29(3).\n2\tVirchow, Charit\u00e9-Annalen Y. S. 730. 1880.","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Oesophagus.\n423\nmit derjenigen der Nervi r\u00e9currentes als Resultate, dass die Sckluck-bewegung nach diesen Operationen nicht unm\u00f6glich, sondern nur mehr oder weniger erschwert war. Erst die mechanische i ixirung des Kehlkopfes hob die normale Schluckbewegung auf.\nWas die Vertheilung der quergestreiften und glatten Muskulatur am Oesophagus des Menschen und der Thiere betrifft, so liegen \u00fcber diesen Gegenstand eine Reihe von Angaben vor. Nach Gillette 1 besitzt die Speiser\u00f6hre des Menschen in ihrem oberen Abschnitte (Halstheil) nur quergestreifte Muskulatur, in dem oberen Brusttkeile (etwa 5\u20146 cm) haupts\u00e4chlich glatte mit sp\u00e4rlichen quergestreiften Fasern, in dem bis zum Hiatus oesopkageus des Zwerchfells reichenden Theile nur glatte, im untersten glatte und quergestreifte, letztere jedoch in geringer Anzahl. N\u00e4here Angaben \u00fcber die Anordnung der glatten und quergestreiften Muskelfasern im Oesophagus bei verschiedenen Tkieren linden sich in der angef\u00fchrten Arbeit von Gillette, sowie bei Ravitsch2 und E. Klein3.\nSehr bemerkenswertk ist die lange Dauer der postmortalen Erregbarkeit des neuro-muscul\u00e4ren Apparates des Oesophagus, worauf j\u00fcngsthin Mosso wieder aufmerksam gemacht hat, nachdem schon fr\u00fcher Valentin4 angegeben hatte, dass die Reizbarkeit dieses Organs l\u00e4nger dauere, als die der Skeletmuskeln, der Baucheingeweide und des Herzens. Ich selbst hatte Gelegenheit mich vielfach von der Richtigkeit dieser Tkatsache zu \u00fcberzeugen.\nWenn man einem eben get\u00f6dteten Hunde ein 10 \u201412 cm langes St\u00fcck aus der Speiser\u00f6hre excidirt, aufbl\u00e4st und dasselbe in einer feuchten Kammer aufh\u00e4ngt, so lassen sich an einem solchen Pr\u00e4parate Bewegungen bis zu zwei Stunden beobachten; unter denselben Bedingungen zeigte der Oesophagus einer vorher curarisirten Katze unregelm\u00e4ssige, anfangs sehr lebhafte Bewegungen, welche noch nach 26 Stunden sehr betr\u00e4chtlich waren, nach 30 Stunden immer noch, wenn auch sehr schwach, constatirt werden konnten. Die Erw\u00e4rmung wirkte sichtlich verst\u00e4rkend auf diese Bewegungen ein (Mosso).\nF\u00fcr die ausserordentlich lange anhaltende Irritabilit\u00e4t der Nerven des Oesophagus spricht ein Versuch von Mosso, in welchem 41 2 Stunden nach dem durch Luftinjection in die Venen herbeigef\u00fchrten Tode des Versuckstkieres (Hund) die elektrische Reizung des N. recurrens vagi noch schwache Zuckung der Speiser\u00f6hre hervorbrachte.\n1\tGillette. Journ. d. l'anat. et d. 1. physiol. 1S72. p. 617.\n2\tJ. Ravitsch, Arch. f. pathol. Anat. XXVII. S. 413.\n3\tE. Klein, in Strieker\u2019s Handb. d. Lehre v. d. Geweben I. S. 3S1.\n4\tValentin, Lehrb. d. Physiol, etc. II. S. 465.","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\n3. Die Verthei lung der Nerven am Oesophagus.\nBeim Menschen wird der obere Tlieil der Speiser\u00f6hre von den Zweigen der Nn. r\u00e9currentes vagi, der untere Theil von Zweigen aus dem Lungen- und Speiser\u00f6hrengeflecht versorgt. Die centralen Wurzeln der genannten Nervengeflechte stammen aus Aesten vom unteren Theiie des Brustvagus.\nNach Chauveau 1 verh\u00e4lt sich die Nervenversorgung des Oesophagus beim Kaninchen ebenso wie beim Menschen. Steiner 2 giebt neuerdings an, dass auch beim Kaninchen zuweilen ein Theil der f\u00fcr den oberen Abschnitt des Oesophagus bestimmten Fasern in einem besonderen vom Nerv, vagus entspringenden und aufsteigend verlaufenden St\u00e4mmchen enthalten sind. Steiner nennt diesen Nerven-faden, der auch beim Meerschweinchen vorhanden zu sein pflegt, Ramus oesophagi magnus. Bei anderen Tkieren (Pferd, Esel, Hund, Schaf, Rind) finden sich bemerkenswertke Abweichungen von der geschilderten Vertheilung der Nerven. W\u00e4hrend der untere Abschnitt der Speiser\u00f6hre aus denselben Quellen, wie dies beim Menschen und dem Kaninchen der Fall ist, seine Nerven bezieht, erh\u00e4lt der obere Abschnitt nur einige sehr feine F\u00e4den aus den Nn. r\u00e9currentes vagi, w\u00e4hrend der Hauptnerv dieses Theiles des Oesophagus durch einen langen vom Nervus pharyngeus ausgehenden Ast dargestellt wird, der an der Seite des Oesophagus bis in die Brust herabsteigt und die Muskelhaut mit zahlreichen Zweigen versorgt.\nBei V\u00f6geln fand Chauveau (1. c.) ein \u00e4hnliches Verhalten, insofern der obere Abschnitt der Speiser\u00f6hre von einem Aste des Nerv, pharyngeus innervirt wird, der bis zum Kropfe heruntergeht.\nMit den Ergebnissen der anatomischen Untersuchungen Chau-veau\u2019s stimmen die von demselben angestellten Versuche \u00fcber die Wirkungen der elektrischen Reizung des Vagusstammes auf die Con-tractionen der Speiser\u00f6hre \u00fcberein. Beim Kaninchen ergibt elektrische Reizung des Vagusstammes am Halse Contractionen des Oesophagus, auch in seinem Halstheile ; beim Pferde bleibt Reizung des Halstheiles des Vagus, ebenso der Nervi r\u00e9currentes, ohne Wirkung auf den Halstheil der Speiser\u00f6hre ; letzterer wird erst zur Contraction gebracht wenn der Vagusstamm vor Abgang des Nerv, pharyngeus gereizt wird; der Erfolg dieser Reizung wurde auch nicht vermisst wenn der Halsstamm des Vagus vorher durchschnitten worden war.\n1\tChauveau, Journ. d. 1. physiol. V. p. 337. 1862.\n2\tSteiner, Verh. d. naturhist.-med. Ver. z. Heidelberg. N. S. II. S. 283. 1879.","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Oesophagusnerven.\n425\nMagendie 1 bat zuerst angegeben, dass die Speiser\u00f6hre in ihrem untersten Dritttheile ein fortw\u00e4hrendes vom Schlingact unabh\u00e4ngiges Spiel von Contraction und Erschlaffung zeige. Die Contraction beginnt von oben und schreitet nach der Cardia zu abw\u00e4rts.\nNach Magendie soll die Phase der Contraction verl\u00e4ngert werden wenn der Magen durch Gase oder Fl\u00fcssigkeiten ausgedehnt ist; ebenso soll ein auf den Magen ausge\u00fcbter Druck die Dauer und die Intensit\u00e4t der Zusammenziekung vergr\u00f6ssern.\nDass in der Phase der Erschlaffung durch Druck auf den Magen dessen Inhalt leicht in die Speiser\u00f6hre hinein getrieben werden kann, wie Magendie angab, wird von Schiff 2 bestritten.\nDiese Beobachtungen von Magendie wurden alsbald von Joh. M\u00fcller2 3 4 best\u00e4tigt, ebenso von Longet4; auch Schiff hat dieselben zum Gegenst\u00e4nde besonderer Untersuchungen gemacht. Der genannte Forscher beschreibt den Bewegungsvorgang in etwas anderer Weise als Magendie, indem er angibt, dass es sich hierbei um eine von der Cardia nach aufw\u00e4rts sich fortpflanzende Contraction der Kingmuskulatur der Speiser\u00f6hre handele; hierbei sei der Verschluss der Cardia gleichsam nach aufw\u00e4rts verlegt, sodass von einem leichten Hereingelangen von Mageninhalt in die oberen Abschnitte des Oesophagus oder in den Schlund nicht die Eede sein k\u00f6nne.\nMosso konnte die eben erw\u00e4hnten Bewegungen beim Hunde nicht wieder finden.\n4. Iolgen der Durchschneidung der Oesophagusnerven.\nDa nachweislich die geordneten Contractionen des Oesophagus unter der Herrschaft von Nervenfasern stehen, die sich auf verschiedenen Bahnen vom Nerv, vagus abzweigen, so sollte man nach den an anderen Organen gemachten Erfahrungen erwarten, dass nach Durchtrennung dieser Nervenverbindungen die Muskulatur der Speiser\u00f6hre einer permanenten Erschlaffung anheimfalle. In den oberen Abschnitten scheint dies in der 4 hat der Fall zu sein; von dem untersten Abschnitte aber hat Cl. Bernard 0 zuerst bemerkt, dass derselbe unmittelbar nach Durchschneidung der Nervi vagi am Halse in einen\n. J Magendie, M\u00e9m. sur l'oesophage, lu \u00e0 l\u2019institut de France, le 11. octobre 18 H mid Precis element de physiologie.\n2\tSchiff, Le\u00e7ons s. 1. physiol, d. 1. digestion YI. 330, 509 etc. Florence et Turin\nleu/.\n3\tJ. M\u00fcller, Lehrb. d. Physiol. 4. Aufl. I. S. 412.\n4\tLonget, Trait\u00e9 d. physiol. I. p. 140.\no Claude Bernard, Compt. rend. d. 1. soc. d. biol. 1850. (Cit\u00e2t nach Notice s 1 travaux d anat. et de physiol, de Claude Bernard. Paris o. J.)","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426 Sigmund Mayer, Bew. d. Verdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nZustand krampfhafter Contraction gerathe, welche sich erst allm\u00e4hlich l\u00f6se und zuweilen mehrere Tage andaure. Die Unm\u00f6glichkeit oder die Erschwerung des Hinabgelangens von Speisen in den Magen nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung am Halse beruhe daher nicht sowohl auf einer vollst\u00e4ndigen Erschlaffung der Speiser\u00f6hrenmuskulatur als vielmehr auf einer krampfhaften Contraction der letzteren. Bernard constatirte dieses Ph\u00e4nomen bei Hunden, Kaninchen und Pferden.\nSchiff 1 hat die Angaben Bernard's best\u00e4tigt ; ebenso hat Chauveau 2 einige hierhergeh\u00f6rige Beobachtungen mitgetheilt. Goltz 1 2 3 hat beim Frosche gezeigt , dass sowohl nach Zerst\u00f6rung der Medulla oblongata als auch nach der Durchsclmeidung der Nervi vagi eine lang andauernde Contraction des Schlundes, der Speiser\u00f6hre und des Magens zu Stande kommt.\nMagendie hatte bereits angegeben, dass nach Durchschneidung der Nervi vagi der Oesophagus (nicht ausschliesslich der untere Abschnitt desselben) in einen Zustand \u00fcbergehe, der in der Mitte zwischen Contraction und Erschlaffung stehe. Mosso5 konnte sich von der Richtigkeit dieser Angabe nicht \u00fcberzeugen.\no\to\to\n5. Ausl\u00f6sung des Schlingactes.\nDie Frage nach den Ursachen der Ausl\u00f6sung und der Fortpflanzung der Oesophaguscontractionen ist in verschiedener Weise beantwortet worden.\nVolkmann4 stellte die Behauptung auf, dass durch die mehr oder weniger willk\u00fcrliche Th\u00e4tigkeit des Schlundes beim Schlingen der mit ihm in Verbindung stehende Oesophagus zu seiner Th\u00e4tigkeit angeregt werde. \u201eDer willk\u00fcrliche Schluckact giebt die Veranlassung zu den unwillk\u00fcrlichen, und zwar vermittelst einer durch die Structur der Theile vermittelten Association der Bewegungen.w\nAbgesehen davon, dass diese Anregung der Speiser\u00f6hre vom Schlunde aus einer n\u00e4heren Erkl\u00e4rung bed\u00fcrfte, so spricht auch gegen diese Theorie der von Mosso6 hervorgehobene Umstand, dass der Schlund von der Speiser\u00f6hre abgetrennt werden kann, ohne dass\n1\tSchiff, Le\u00e7ons s. 1. physiol, d. 1. digestion I. p. 350, II. p. 377. Nach Schiff tritt die krampfhafte Contraction des untersten Abschnittes der Speiser\u00f6hre nicht unmittelbar nach der Nervendurchschneidung, sondern erst 4\u20146 Stunden sp\u00e4ter auf.\n2\tChauveau, Journ. d. 1. physiol. V. p. 337. 1862.\n3\tGoltz, Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 616. 1872.\n4\tMosso, Molesch. Unters. XL S. 342. 1876.\n5\tVolkmann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1841. S. 332.\n6\tMosso, Molesch. Unters. XI. S. 327. 1876.","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Ausl\u00f6sung des Schlingactes.\n427\ndie peristaltisclie Bewegung\u2019 des letzteren bei der Hervorrufung einer Schlingbewegung verhindert wird.\nNach der Meinung von Wild 1 werden durch die Contractionen der h\u00f6chsten Theile der Speiser\u00f6hre successive die benachbarten gereizt und so das Fortschreiten der Bewegung nach abw\u00e4rts hervorgebracht.\nMosso (1. c.) hat an Hunden eine Versuchsreihe ausgef\u00fchrt, aus der hervorgeht, dass auch diese Ansicht von Wild nicht richtig sein kann. Wenn Mosso den Oesophagus unterband, durchschnitt oder selbst ein Viertel seiner ganzen L\u00e4nge excidirte, so pflanzte sich gleichwohl eine wie immer erzeugte Schlingbewegung vom Schlunde bis zum Magen hin fort. Diese Fortpflanzung der Bewegung ist jedoch gebunden an die Unversehrtheit der Nerven, welche die Speiser\u00f6hre mit dem Gehirne verkn\u00fcpfen.\nDer Schlingact l\u00e4sst sich, wie aus vielfachen Versuchen hervorgeht, durch Beizung des Nervus laryngeus superior ausl\u00f6sen. Schon Rosenthal'1 2 hatte bei seinen Untersuchungen \u00fcber den Einfluss der Reizung des Nerv, laryngeus superior auf die Athembewegungen beobachtet, dass der Kehlkopf in Folge dieses Eingriffes rasche Auf- und Abw\u00e4rtsbewegungen macht. Bidder3 4 hat dann diese Bewegungen als Schlingbewegungen erkannt, die von dem Schlunde beginnend bis zum Magen herablaufen. Nach Waller und Pr\u00e9vost 4 soll sich hier und da auch eine wurmf\u00f6rmige Bewegung des Magens anschliessen.\nSchon eine schwache Ber\u00fchrung des blossgelegten Nerv, laryngeus superior reicht hin, um eine Schlingbewegung oder auch eine Reihe solcher Bewegungen hervorzurufen; durch l\u00e4ngere Zeit fortgesetzte Reizung des Nerven mit Inductionsstr\u00f6men kann man eine ganze Reihe mehr oder weniger rhythmisch sich folgender Schlingbewegungen ausl\u00f6sen. Durch elektrische Reizung der Kehlkopfschleimhaut, sowie der R\u00e4nder und der hinteren Partie der Epiglottis Hess sich derselbe Effect erzielen, w\u00e4hrend mechanische Eingriffe ohne Erfolg blieben (Waller und Pr\u00e9vost).\nBei der Untersuchung \u00fcber die Nerven, welche bei der Ausl\u00f6sung des Schlingactes noch in Betracht kommen, fanden Waller und Pr\u00e9vost, \u00e4ltere Beobachtungen best\u00e4tigend:\n1\tAA'ild, Ztschr. f. rat. Aled. Y. S. 76.\n2\tRosenthal. Die Athembewe\u00fbum\u00e7en und ihre Beziehungen zum Nerv, vagus S. 70, 229.\n3\tBidder, Arch. f. An at. u. Physiol. 1S65. S. 492, sowie Bllwiberg, Unters, \u00fcber die Hemmungsfunction des Nerv, laryngeus superior. Diss. Dorpat 1865.\n4\tAV aller A Pr\u00e9vost, Compt. rend. IL p. 4S0. 1S69; Arch. d. physiol, norm, et pathol. III. p. IS5. 1S70.","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\n1.\tdass auch die Reizung' des Nerv, recurrens zuweilen wirksam ist. Steiner (1. c.) hat diese Beobachtung best\u00e4tigt, und darauf aufmerksam gemacht, dass sich nur bei Pflanzenfressern, nicht aber bei Fleischfressern im Nerv, recurrens Fasern zu befinden scheinen, die reflectorisch Schluckbewegungen auszul\u00f6sen verm\u00f6gen,\n2.\tdass die von Fasern des zweiten Astes des Nerv, trigeminus versorgten Theile des Gaumensegels sehr leicht durch mechanische Reizung Schlingbewegungen ausl\u00f6sen,\n3.\tdass beim Kaninchen der Nervus glossopharyngeus in den Schlingact gar nicht eingreift, w\u00e4hrend dies beim Hunde und der Katze der Fall zu sein scheint.\nNach Schiff 1 ist es haupts\u00e4chlich der Zungengrund, von dem aus unter Vermittelung von Fasern des Nerv, glossopharyngeus der Schlingact angeregt wird.\nTrotzdem im Nerv, recurrens, wie die directe elektrische Reizung dieses Nerven ergiebt, Fasern enthalten sind, die den Schlingact anzuregen verm\u00f6gen und diese Fasern, wie aus einer Beobachtung von Steiner hervorgeht, vom Oesophagus herzukommen scheinen, so ist es weder Wild noch Steiner gegl\u00fcckt, durch Reizung der Speiser\u00f6hrenschleimhaut eine reflectorische Schluckbewegung hervorzurufen. Auch die elektrische Reizung der Nerv, vagi unterhalb des Abganges der Herz- und Lungenzweige, sowie an der Cardia in der Bauchh\u00f6hle, blieb nach dieser Richtung hin erfolglos.\nV. Die Bewegungen des Magens.\nDie \u00e4lteren Forscher hatten \u00fcber die Intensit\u00e4t der Magenbewegung offenbar sehr \u00fcbertriebene Vorstellungen, indem sie der Meinung waren, dass dieses Organ in einer fortw\u00e4hrenden Bewegung begriffen sei. Wepfer, Peter, B. Schwartz 2 u. A. schilderten zuerst die Bewegungen nach Beobachtungen am passend blossgelegten Magen des lebenden Thieres und fanden dieselben \u00f6fters ganz fehlend, wenn aber vorhanden durchaus nicht so h\u00e4ufig und stark, als man dies nach den fr\u00fcheren Schilderungen h\u00e4tte erwarten sollen.\nDie Magenbewegungen der S\u00e4ugethiere haben offenbar einen zweifachen Zweck im Organismus zu erf\u00fcllen. Einmal f\u00e4llt ihnen die Aufgabe zu, die Ingesta in eine allseitige Ber\u00fchrung mit dem\n1\tSchiff, Le\u00e7ons s. 1. physiol, cl. 1. digestion I. p. 333. .\t.\n2\tB. Schwartz, Dissertatio etc. etc. de vomitu et motu intestmorum ; m Dispu-tationum anatomicarum selectarium Volumen I. ad chylilicationem collegit etc. etc. Albertus Haller, p. 13. G\u00f6ttingen 1750.","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"Magenbewegungen.\n429\nverdauenden Safte zu bringen, sodann haben sie den bereits verdauten und den unverdaut gebliebenen Speisetheilen einen Impuls nach dem D\u00fcnndarm hin zu ertheilen ; zu diesen beiden Bewegungsformen muss sich schliesslich noch eine dritte auf die beiden Pforten des Magens beschr\u00e4nkte hinzugesellen, um abwechselnd einen Verschluss oder eine Er\u00f6ffnung derselben zu bewirken.\nDie letzterw\u00e4hnte Bewegungsform des Magens l\u00e4sst sich ihrer scharfen Localisirung wegen mit einiger Sch\u00e4rfe auffassen; von den beiden anderen l\u00e4sst sich dies aber nicht durchf\u00fchren, da sie vielfach ineinander \u00fcbergehen und je nach ihrer Intensit\u00e4t in ihrem mechanischen Effecte entweder mehr dem einen oder dem andern Zwecke zu Gute kommen werden.\nDie Bewegungen des Magens sind in der Periode der Verdauung weitaus st\u00e4rker ausgebildet, als zu einer Zeit, in der der Verdauungs-process ruht; zuweilen gelingt es gar nicht, Bewegungserscheinungen am blossgelegten Magen wahrzunehmen.\nLetztere nehmen ihren Ausgangspunkt von verschiedenen Stellen des Organs ; entweder sie gehen, wie von vielen Beobachtern gesehen wurde, vom Pylorustheile oder selbst vom Duodenum (Magendie) aus und schreiten nach dem Cardiatheile und dem Fundus zu weiter, also antiperistaltisch ; oder sie sind entschieden peristaltisch, indem sie von der Cardia oder dem Blindsack ausstrahlend nach dem Pf\u00f6rtnertheile zu sich ausbreiten. Diese Bewegungen erscheinen gew\u00f6hnlich an der grossen Curvatur des Magens mit gr\u00f6sserer Energie, als an der kleinen.\nBeaumont 1 hat nach Beobachtungen an einem mit einer Magenfistel behafteten Menschen eine hin- und hergehende Bewegung des Mageninhaltes beschrieben in der Art, dass durch die Cardia eingetretene Speisebestandtheile zun\u00e4chst ihren Weg nach links in den Blindsack nahmen, dann l\u00e4ngs der grossen Curvatur nach rechts wan-derten, um dann l\u00e4ngs der kleinen Curvatur wieder zur\u00fcckzukehren.\nAusser den genannten Contractionserscheinungen bemerkt man noch am blossgelegten Magen Einschn\u00fcrungen von verschiedener St\u00e4rke und an verschiedenen Orten. Beim Kaninchen ins-besonders findet sich gew\u00f6hnlich etwa in der Mitte zwischen Cardia und Pylorus eine ziemlich tiefe Furche, die an der vorderen Fl\u00e4che deutlicher ausgepr\u00e4gt zu sein pflegt, als an der hinteren. Diese Furche ist in ihrer Tiefe sehr wechselnd, manchmal fast verstreichend, dann wieder sehr ausgepr\u00e4gt, so dass ihre Abh\u00e4ngigkeit\nt M . Beaumont, Experiments and observations on the gastric juice and the physiology of digestion. Boston 1S34.","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"430 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nvon wechselnden Contractionszust\u00e4nden der Muskelhaut nicht wohl zweifelhaft sein kann. Vielleicht h\u00e4ngt mit diesen localen starken Contraetionen der Circularfasern die Beobachtung von Beaumont zusammen, nach der die Kugel eines Thermometers zwischen Pylorus und Cardia manchmal wie eingeklemmt feststand und sich dann nach dem Pylorus zu weiter fortschob.\nWas die Oeffnungen des Magens betrifft, so sind die Muskelwirkungen an denselben offenbar so angeordnet, dass sie normaler-weise nur zeitweilig den Ein- und Austritt von luftf\u00f6rmigen, festen und fl\u00fcssigen Substanzen gestatten.\nDie Cardia er\u00f6ffnet sich vor dem andringenden Bissen, indem die den Oesophagus durchlaufende Contractionswelle auch auf den Cardialtheil des Magens \u00dcbertritt. Der bei Abwesenheit des Schlingactes normal vorhandene Verschluss scheint aber nicht immer gerade an der Cardia seinen Sitz zu haben, sondern mit den fr\u00fcher er\u00f6rterten rhythmischen Contraetionen des untersten Theiles der Speiser\u00f6hre etwas nach aufw\u00e4rts in letztere verlegt zu werden.\nDer Pylorus erlaubt nur in Intervallen den Durchtritt des Speisebreies; letzterer kann nur stattfinden, wenn die tonische Contraction der als Sphincter fungirenden Ringmuskulatur nachl\u00e4sst.\nBei Kaninchen (und anderen Thieren) bemerkt man an der Magencardia zu einer Zeit, da das Thier schon sehr geschw\u00e4cht ist oder gar nach dem Erl\u00f6schen der normalen Herz- und Athmungs-th\u00e4tigkeit eigenth\u00fcmliche Bewegungen, die Magendie schon gekannt hat und auf die sp\u00e4ter Basslinger 1 die Aufmerksamkeit wieder gelenkt hat. Hierbei contrahirt sich der an die Einm\u00fcndungsstelle des Oesophagus grenzende Theil des Magens sowie der unterste Abschnitt der Speiser\u00f6hre sehr stark, so dass es den Anschein gewinnt, als ob der letztere in den Magen hineingeschluckt werden solle; der Contraction folgt dann allm\u00e4hlich die Erschlaffung auf dem Fusse nach. Diese Bewegungen folgen sich in so unregelm\u00e4ssigen Zeitr\u00e4umen, dass die Bezeichnung von Basslinger \u201eCardiapuls\u201c nicht besonders passend erscheint; sie treten auch an dem aus dem Thiere herausgeschnittenen Organe auf.\n1. Einfluss des Nervensystems auf die Bewegungen des Magens.\nAuf experimentellem Wege l\u00e4sst sich zeigen, dass die Muskelhaut des Magens unter der Herrschaft des Nervensystems steht.\n1 Basslinger, Molesch. Unters. VIT. S. 35S.","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"Magennerven.\n431\nReizt man den Stamm des Nerv, vagus am Halse mit Inductions-str\u00f6men, so bemerkt man deutliche Bewegungserscheinungen, deren Charakter ein verschiedener sein kann. Beim Kaninchen habe ich folgende drei Arten des motorischen Erfolges der Vagusreizung gesehen:\n1.\tder Cardiatheil des Magens zog sich sehr stark ein, dann folgte eine nach dem Pylorustheil fortschreitende Contractionswelle.\n2.\tdie schon f\u00fcr gew\u00f6hnlich in wechselnder St\u00e4rke vorhandene Einschn\u00fcrung in dem Abschnitte zwischen Cardia und Pylorus (s. oben) vertiefte sich sehr betr\u00e4chtlich und ausserdem traten noch an anderen Stellen des Magens mehr oder wenig tiefe Einschn\u00fcrungen auf.\n3.\tdie gesummte Muskulatur des Magens ger\u00e4th in einen Zustand tetanischer Contraction, der sich leichter mit dem tastenden Finger als ein Hartwerden der Wandung, als mit dem Gesichte wahrnehmen l\u00e4sst, wohl aus keinem anderen Grunde, als weil die Contraction sehr langsam erfolgt.\nDie Periode der latenten Reizung ist grossen, schon ohne Anwendung zeitmessender Methoden wahrnehmbaren Schwankungen unterworfen. Zuweilen folgt die Bewegung der Reizung sehr rasch, fast momentan nach; in anderen F\u00e4llen sieht man die Reaction auf die Reizung merklich versp\u00e4tet eintreten.\nLonget1 2 vermisste bei Reizung der Nervi vagi am Halse \u00f6fters die bewegende Wirkung auf den Magen; er schiebt diese Inconstanz des Erfolges auf den Umstand, dass nur in der Periode der verdauenden Th\u00e4tigkeit des Magens der erw\u00e4hnte Einfluss der Nerven-wirkung hervortrete. Obwohl es bekannt ist, dass die Beeinflussung der glatten Muskulatur vom Nervensystem aus durch k\u00fcnstliche Reizungen starken Schwankungen zu unterliegen pflegt, so schien es uns doch, dass gerade die Hervorrufung von Magenbewegung durch hinl\u00e4nglich starke Reizung des Halsstammes des Vagus zu den mit einiger Sicherheit gelingenden Reizversuchen im Bereiche der glatten Muskulatur geh\u00f6re (wenigstens beim Kaninchen).\nJedenfalls ist der Vagus die Hauptbahn, auf der sich motorische Fasern zum Magen begeben; doch scheint es, dass auch vom Sym-pathicus aus motorische F\u00e4den zu dem genannten Organe entsendet werden. Schiff- hat nach dieser Richtung hin von positiven Reizversuchen berichtet. Adrian3 erzielte durch elektrischen Reiz des Plexus coeliacus und des Grenzstranges von der Cardia nach dem\n1\tLonget, Trait\u00e9 d. physiol. I. (3) p. 14S.\n2\tSchiff, Molesch. Unters. VIII. S. 523. 1862.\n3\tAdrian, Eckhard\u2019s Beitr. z. Anat. u. Physiol. III. S. 59.","page":431},{"file":"p0432.txt","language":"de","ocr_de":"432 Sigmund Mayer. Bew. d. 'S erdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nPylorus zu gerichtete Bewegungen. Beim Frosche hat Goltz ebenfalls einige hierher geh\u00f6rige Beobachtungen mitgetheilt.\nDie \u00e4lteren Experimentatoren suchten den Einfluss der Lungenmagennerven auf die Bewegungen (und \u00fcbrigen Functionen) des Magens in der Weise zu eruiren, dass sie die betr. Nervenst\u00e4mme am Halse durchschnitten. Magendie hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass diese Methode nothwendigerweise zweideutige Resultate ergeben muss, da die mit der doppeltseitigen Vagustrennung am Halse gegebenen St\u00f6rungen im Gesammtorganismus auch ihre R\u00fcckwirkung auf die Verrichtungen des Magens aus\u00fcben m\u00fcssen. Magendie nahm daher die Durchschneidung der Vagi in der Brust vor.\nSchultze (nach einer Bemerkung von Schiff) durckscknitt sodann die genannten Nerven in der Bauchh\u00f6hle, indem er den Oesophagus vorzog und die zu beiden Seiten desselben verlaufenden Nerven dem Messer zug\u00e4nglich machte.\nNachdem Br\u00e4chet zuerst darauf hingewiesen, dass die den Oesophagus begleitenden directen Fortsetzungen der Vagusst\u00e4mme nicht die einzigen zum Magen sich begebenden F\u00e4den des Vagus seien, sondern dass schon weiter oben verschiedene St\u00e4mmchen sich ab-l\u00f6sen und den unteren Theil der Speiser\u00f6hre und des Magens unter reicher Geflechtbildung versorgen, mussten die Resultate aller derjenigen Versuche einer erneuten Kritik unterzogen werden, in denen diese anatomische Thatsache nicht ber\u00fccksichtigt worden war.\nDie zu einer vollst\u00e4ndigen Eliminirung der vom Vagus abstammenden Nerven vorgeschlagene Operation der Abtrennung des Oesophagus vom Magen in seinem Verlaufe unterhalb des Diaphragma ersetzte Schiff 1 durch das nachfolgende Verfahren. Er macht in der Gegend des linken Hypochondrium einen etwa 3 cm langen Einschnitt, zieht durch die Oeffnung den Oesophagus vor und durchschneidet zun\u00e4chst alle gr\u00f6sseren Nervenst\u00e4mmchen ; dann macht er noch einen Zirkelschnitt durch die die Muskelhaut des Oesophagus umgebenden bindegewebigen H\u00fcllen, sodass alle in denselben verlaufenden Nerven durchschnitten werden ; wenn die Wiederverwachsung der Nerven m\u00f6glichst verhindert werden soll, so werden die durchschnittenen Theile noch von dem Oesophagus abgel\u00f6st und mit Pin-cetten gequetscht. Diese Operation soll bei geh\u00f6riger Ausf\u00fchrung mit\n1 Schiff, Schweizer. Monatsschr. f. pract. Med. V. S. 321. I860 und Le\u00e7ons s. 1. physiol, d. 1. digestion II. p. 345. Nach einer Bemerkung von Schiff (Le\u00e7ons etc. p. 341) findet sich Beschreibung und Abbildung der im Texte erw\u00e4hnten Verbreitung der Nerven am Oesophagus und Magen hei Walther, leones nervorum thoracis et abdominis.","page":432},{"file":"p0433.txt","language":"de","ocr_de":"433\nMagennerven.\nsehr geringem Blutverlust verbunden sein und von den Thieren gut ertragen werden, so dass eine l\u00e4ngere Beobachtung derselben m\u00f6glich ist.\nDas Resultat der Durchschneidungsversuche am Nerv, vagus an den verschiedenen Stellen seines Verlaufes l\u00e4sst sich nun dahin zusammenfassen, dass die Bewegungen des Magens durch diesen Eingriff nicht sistirt werden. Der Uebertritt von Chymus aus dem Magen ins Duodenum findet nach wie vor statt, wenn auch eine viel l\u00e4ngere Zeit verfliesst, als in der Norm, bis der Magen sich seines Inhaltes entledigt hat. Dieses Verhalten aber bezieht sich nur auf den Magen von Carnivoren, da der Magen von Herbivoren (besonders vom Kaninchen) selbst nach l\u00e4ngerer Zeit der Inanition nie leer gefunden wird. Die geringe Abschw\u00e4chung der Magenbewegungen nach der Durchschneidung der Vagi kann wohl auf St\u00f6rungen im Allgemeinzustande der Versuchstiere, die nie ohne R\u00fcckwirkung auf die chemischen Brocesse der Verdauung bleiben, bezogen werden.\nBei Fr\u00f6schen sah Goltz sowohl nach Zerst\u00f6rung von Gehirn und R\u00fcckenmark, als auch nach Durchschneidung der Nervi vagi, starke Zusammenziehungen des Magens und der Speiser\u00f6hre l 2, die sehr lange Zeit anhielten. Auch auf dem Wege des Reflexes, durch Reizung der Haut und der Ged\u00e4rme mit Hilfe chemischer oder elektrischer Reize, Hessen sich starke Bewegungen des Magens und der Speiser\u00f6hre hervorrufen. Da diese Bewegungen nach Durchschneidung der Nervi vagi nicht aufh\u00f6ren, vielmehr eine sichtliche Verst\u00e4rkung zeigen, so erscheint die Auffassung derselben als Reflexbewegungen im gew\u00f6hnlichen Sinne nicht zul\u00e4ssig. Auf die eben erw\u00e4hnten Erfahrungen von Goltz werden wir an anderem Orte noch einmal zur\u00fcckzukommen haben.\nBeim Menschen wird zuweilen ein dem Wiederk\u00e4uen \u00e4hnlicher Vorgang beobachtet. Eine Anzahl derartiger Beobachtungen f\u00fchrt Milne-Edwaeds 2 auf. Ein Fall ist von B\u00e9rard3, der das Wiederk\u00e4uen bei seinem Bruder beobachtete, genauer untersucht worden.\nFe. Arnold4 fand bei der Section von drei w\u00e4hrend des Lebens\n1\tGerade das umgekehrte Piesultat (n\u00e4mlich L\u00e4hmung des Magens nach doppelseitiger Vagotomie bei Fr\u00f6schen) berichtet Ravitsch, \u00c4rch. f. Anat. u. Physiol. 1861. S. 770 ; derselbe Autor vertritt auch die Meinung, dass die Durchschneidung beider Vagi bei S\u00e4ugethieren die Magenbewegungen sistire. Zu dieser Aufstellung steht aber nicht im Einklang, wenn der genannte Autor weiter behauptet, dass nach Aufhebung der Vagusinnervation Reizungen der Magenschleimhaut noch Bewegungen unterhalten k\u00f6nnen.\n2\tMilxe-Edwards, Le\u00e7ons s. 1. physiol, et l\u2019anat. compar. etc. VI. p. 330. 1850.\n3\tB\u00e9rard, Cours d. physiol. IL p. 274.\n4\tFr. Arnold, Unters, im Gebiete der Anatomie und Physiologie etc. S. 211. Z\u00fcrich 1S3S.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ya.\t'\t28","page":433},{"file":"p0434.txt","language":"de","ocr_de":"434 Sigmund Mayer, Bew. d. Verdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\ndie Erscheinung des Wiederk\u00e4uens zeigenden Menschen eine st\u00e4rkere Ausbildung der Muskelh\u00e4ute des Magens und der Speiser\u00f6hre, sowie \u00fcber der Cardia noch eine besondere Erweiterung des Endes der Speiser\u00f6hre, ein Antrum cardia cum, welches unmittelbar \u00fcber dem Durchgang der Speiser\u00f6hre durch den Hiatus oesophageus des Zwerchfells lag.\n2. Das Erbrechen.\nW\u00e4hrend unter normalen Verh\u00e4ltnissen der Mageninhalt sich nur nach dem Darme hin entleert, schl\u00e4gt er unter Bedingungen, die sich von denen des normalen Organismus mehr oder weniger entfernen, den entgegengesetzten Weg ein. Bekanntlich nennt man diesen Act, bei welchem durch eine Reihe rasch sich folgender coordi-nirter Bewegungen verschiedener Organe der feste oder fl\u00fcssige Inhalt des Magens durch den Oesophagus, den Schlund, Mund oder Nase nach aussen bef\u00f6rdert wird, Erbrechen. Das Erbrechen ist eine dem Ablauf der Functionen im ganz normalen Organismus fremde Erscheinung, und hat als solche keine vollg\u00fcltige Berechtigung zur Aufnahme in den Lehrstoff der Physiologie. Da die genannte Erscheinung sich jedoch unter Bedingungen hervorrufen l\u00e4sst, die der Norm noch sehr nahe stehen, und da es ausserdem ein altes Herkommen ist, das Erbrechen in den Lehr- und Handb\u00fcchern der Physiologie abzuhandeln, so wollen wir hier die haupts\u00e4chlichen Ermittelungen \u00fcber diesen Gegenstand anschliessen h\nDie Hauptpunkte, um welche sich seit mehr als zwei Jahrhunderten die Discussionen \u00fcber das Erbrechen drehen, betreffen die Fragen nach der Rolle, welche bei diesem Acte die Contractionen des Magens und der Speiser\u00f6hre einerseits und die Zusammenziehungen der Bauchmuskeln und des Zwerchfelles andererseits spielen.\nDie \u00e4lteren Aerzte und Physiologen nahmen schlechtweg an, dass das Erbrechen eine Folge der antiperistaltischen Bewegung der Magenwandungen darstelle, ohne sich jedoch sonderlich zu bem\u00fchen, diese Behauptung durch directe Beobachtungen und Versuche sicher zu stellen.\nSeitdem Bayle und Chirac, von der Beobachtung des Magens\n1 Ueber das Erbrechen besitzen wir eine sehr betr\u00e4chtliche Literatur. Eine Anzahl \u00e4lterer Abhandlungen werden wir sp\u00e4ter bei Gelegenheit einer kurzen Besprechung der Geschichte der Lehre vom Erbrechen erw\u00e4hnen. An dieser Stelle verweisen wir besonders auf: Magendie, M\u00e9m. sur le vomissement. Paris 1813. \u2014 J. Budge, Die Lehre vom Erbrechen, mit einer Vorrede von Fr. Nasse. Bonn 1S40. \u2014 H. R\u00fchle in L. Traube\u2019s Beitr\u00e4gen zur experimentellen Pathologie u. Physiologie. Berlin 1846. \u2014 M. Schiff, Le\u00e7ons s. 1. physiol, d. 1. digestion etc. II. p. 450.","page":434},{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"Erbrechen.\n435\nbeim Brechacte ausgehend, zuerst die alte Ansicht ersch\u00fcttert haben, dass es die Muskelkr\u00e4fte des Magens allein seien, die den Mageninhalt nach der Mundh\u00f6hle zu treiben, vertrat Magendie energisch die ebenfalls einseitige Meinung, dass der Magen beim Erbrechen eine ganz passive Rolle spiele und sein Inhalt durch die combinirte Wirkung der Zusammenziehungen des Zwerchfelles und der Bauchmuskeln ausgetrieben werde.\nAus den vielfachen experimentellen Untersuchungen, die seit der durch Magendie gegebenen neuen Anregung \u00fcber diesen Gegenstand ausgef\u00fchrt wurden, d\u00fcrfte sich nun der Ausspruch mit einiger Sicherheit ableiten lassen, dass es im Wesentlichen nicht die Muskeln d e s M a g e ns sind, sondern die Muskeln desBauches und das Zwerchfell, welche beim Brechacte die austreibenden Kr\u00e4fte darstellen; dass aber andererseits die Ansicht nicht durchzuf\u00fchren ist, dass die Magenwandungen hierbei ganz passiv sich verhalten und in keiner Weise mit activen Bewegungsvorg\u00e4ngen in den Brechact eingreifen.\nF\u00fcr die Thatsache, dass die muskul\u00f6sen Wandungen des Magens f\u00fcr sich allein nicht zum Erbrechen f\u00fchren k\u00f6nnen, sprechen die Erfahrungen von B. Schwartz, dass der blossgelegte, dem Einfl\u00fcsse der Bauchpresse entzogene Magen die Austreibung seines Inhaltes nicht mehr zu Stande bringen kann. Diese Thatsache hat Magendie noch weiter ausgef\u00fchrt, indem er die Wirkung des Zwerchfells allein durch doppelseitige Durchschneidung der Nervi phrenici ausschaltete, worauf das Erbrechen erschwert, aber nicht unm\u00f6glich gemacht worden war; letzteres trat erst ein als auch die Contractionen der Bauchmuskeln nicht mehr eingreifen konnten. Magendie ging aber insofern \u00fcber die Angaben von B. Schwartz hinaus, als er weder durch die Inspection, noch durch die Palpation Bewegungen am Magen beim Erbrechen wahrnehmen konnte, w\u00e4hrend Schwartz ausdr\u00fccklich von solchen berichtet b\nEin Experimentum crucis gegen die active Betheiligung des Magens beim Erbrechen schien aber Magendie durch seinen bekannten Versuch vorgebracht zu haben, in dem er den Magen exstirpirte und an dessen Stelle eine mit Wasser gef\u00fcllte Schweinsblase setzte, die er durch ein elastisches Zwischenst\u00fcck mit dem unteren Theile\n1 Nach einer Bemerkung bei Schiff (Le\u00e7. s. 1. physiol, d. 1. dig. etc. II. p. 455) ist Magendie sp\u00e4ter von seinen fr\u00fcheren Angaben, dass der Magen beim Erbrechen keinerlei Bewegungen zeige, zur\u00fcckgekommen, indem er die schon von B. Schwartz geschilderten Magencontractionen ebenfalls zu Gesichte bekam. (M\u00fcndliche Mittheilung an Schiff 1845.)\n28*","page":435},{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"436 Sigmund Mayer, Beiv. d. Yerdaunngs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nder Speiser\u00f6hre verband. Wurde nun einem derart operirten Tliiere durch eine Vene ein Brechmittel in den Kreislauf eingef\u00fchrt, so wurde der Inhalt der Blase durch einen regelrechten Brechact in die Mund-h\u00f6hle bef\u00f6rdert.\nEinen weiteren Beweis f\u00fcr die Unm\u00f6glichkeit, durch die Leistungen der muskul\u00f6sen Magenwandungen allein den Brechact zureichend zu erkl\u00e4ren, f\u00fchrte Giaxuzzi 1 durch die Anwendung des Curare. Da dieses Mittel bekanntlich in solchen Dosen, welche die Th\u00e4tigkeit der quergestreiften Muskeln vollst\u00e4ndig l\u00e4hmen, den Nervmuskelapparat der glattmuskeligen Organe, sowie die wichtigsten nerv\u00f6sen Centren noch intact l\u00e4sst, so untersuchte Giaxuzzi die Wirkungen des Brechweinsteins bei curarisirten Hunden.\nEs ergab sich das Besultat, dass bei diesen Tkieren der Brechact nicht mehr zu Stande kommen konnte.\nDie angef\u00fchrten Thatsachen beweisen jedoch nur, dass nach Ausschaltung der auf den Magen wirkenden durch das Diaphragma und die Bauchmuskeln bei ihrer Zusammenziehung ausge\u00fcbten Druck-kr\u00e4fte die Muskelw\u00e4nde des Magens f\u00fcr sich allein gew\u00f6hnlich zur Hervorrufung des Erbrechens nicht mehr hinreichen. Der bekannte MAGEXDiE?scke Versuch beweist nicht mehr, als dass eine in freier Communication mit dem Oesophagus stehende, mit Wasser gef\u00fcllte Blase durch den Druck des contrahirten Diaphragma und der con-trahirten Bauchmuskeln leicht nach oben hin entleert werden kann. Die eben vorgebrachten Erfahrungen sagen aber nichts dar\u00fcber aus, inwieweit am Magen selbst active Ver\u00e4nderungen vor sich gehen m\u00fcssen, um die Expulsion seines Inhaltes durch die Th\u00e4tigkeit der \u00f6fters erw\u00e4hnten Muskeln zu erm\u00f6glichen.\nNach dieser Bichtung hin hat zuerst Taxtixi 2 einen wichtigen Versuch ausgef\u00fchrt, der eine interessante Modification des Magexdie -schen Experimentes darstellt. Taxtixi fand n\u00e4mlich, dass in dem Versuche von Magexdie, in dem der Magen durch eine Schweinsblase ersetzt worden war, das von Magexdie und seinen Nachfolgern beschriebene Resultat, \u2014 n\u00e4mlich die durch Brechmittel hervorzurufende Entleerung der Blase \u2014 nur dann eintrat, wenn der ganze Magen sammt der Cardia entfernt worden war. Wurde jedoch die Cardia am unteren Ende des Oesophagus gelassen und die Blase erst mit diesem St\u00fccke in Verbindung gebracht, so\n1\tGianuzzi, Centralbl. f. d. med. Miss. 1865. S. 1.\n2\tTaxtini, in Omodei, ann. univ. di med. XXXI. 1824 und Gerson, Magazin der ausl\u00e4nd. Literatur XIII. S. 93. (Cit\u00e2t nach Longet, Trait\u00e9 etc. 3. \u00e9d. \u00ef. p. 162, der diese literarischen Notizen von Schiff erhielt.)","page":436},{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"Erbrechen.\n437\nrief die Einverleibung eines Brechmittels zwar Brechbewegungen hervor, es kam aber nicht bis zur Austreibung der Fl\u00fcssigkeiten.\nWas gegen die Anschauung ins Feld gef\u00fchrt werden konnte, dass der Magen beim Erbrechen keine rein passive Bolle spielen d\u00fcrfte und dass er nur durch die combinirte Wirkung des Diaphragma und der Bauchmuskeln ausgedr\u00fcckt wird, ist der Umstand, dass die angestrengteste Th\u00e4tigkeit der Bauchpresse, wie z. B. beim Husten, der Dedication u. s. w. gleichwohl keine Entleerung des Magens d. i. kein Erbrechen zu Stande kommt. Schiff (1. c.) erw\u00e4hnt auch F\u00e4lle, in denen bei Menschen, die an St\u00f6rungen im Nervensystem litten, Brechmittel kein Erbrechen hervorrufen konnten, trotz angestrengter Th\u00e4tigkeit des Diaphragma und der Bauchmuskeln. Mit Biicksicht auf diese Thatsachen und auf den hinl\u00e4nglich er\u00f6rterten Umstand, dass weder die Kraft der beim Brechact vorkommenden Magenbewegungen noch der wenig convulsivische Charakter der letzteren zur Erkl\u00e4rung der Magenentleerung hinreichend erscheinen, lag es nahe, am Magen nach einem Mechanismus zu suchen, durch den w\u00e4hrend des Erbrechens der Widerstand an der Cardia vermindert oder weggeschafft wird. Schon B\u00fchle (1. c.) stellte einen solchen Mechanismus als sehr wahrscheinlich hin, ohne dar\u00fcber zu einer bestimmten Aufstellung zu gelangen.\nSchiff 1 hat diesem Gegenst\u00e4nde eine besondere Aufmerksam- ' keit zugewendet. Bei Hunden, die eine Magenfistel trugen, f\u00fchrte er den Finger in den Magen ein, um das Verhalten der Magencardia und des untersten Abschnittes des Oesophagus beim Brechacte unter g\u00fcnstigeren Bedingungen zuconstatiren, als dies bei den fr\u00fcheren Beobachtungen m\u00f6glich war. W\u00e4hrend nun f\u00fcr gew\u00f6hnlich am untersten Ende des Oesophagus die schon fr\u00fcher (S. 425) erw\u00e4hnten rhythmischen Bewegungen, durch welche die Oeffnung der Speiser\u00f6hre in den Magen innerhalb einer kleinen Strecke gleichsam hin- und herwandert, durch den tastenden Finger bemerkt werden konnten, zeigte sich im Momente des durch Tartar, stibiatus hervorgerufenen Brechactes eine weite Er\u00f6ffnung der Magencardia, durch welche alsbald in Folge der Contraction des Zwerchfells und der Bauchmuskeln der Inhalt des Magens mehr oder wenig vollst\u00e4ndig entleert wurde. Da die Er\u00f6ffnung der Cardia deutlich als der Contraction der genannten quergestreiften Muskeln voraufgehend wahrgenommen werden konnte, so wird der Verdacht von der Hand gewiesen, als handle es sich um eine durch\nL Schiff in den oben citirten Le\u00e7ons s. 1. physiol, d. 1. digestion etc. und in Mo-lesch. Unters. X. S. 353. 1S6T.","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438 Sigmund Mayer. Bew. d. Verdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nden Druck der contrakirten Muskeln bewirkte passive Er\u00f6ffnung der Cardia.\nDie Kr\u00e4fte f\u00fcr die erw\u00e4hnte active Erweiterung der Magencardia beim Brechacte sucht Schiff in den Z\u00fcgen glatter Muskelfasern, die als L\u00e4ngsfasern vom untersten Tkeile des Oesophagus sich in einer L\u00e4nge von etwa 5\u20146 cm in die Magenwandungen fortsetzen, in der Art, dass sie daselbst nach allen Seiten auseinanderstrahlen. Bei ihrer Contraction sollen dieselben die* Cardia erweitern, wobei einerseits die vor dem Erbrechen gew\u00f6hnlich vorhandene Ausdehnung des Magens durch festen, fl\u00fcssigen oder gasf\u00f6rmigen Inhalt, andererseits die durch die Contraction das Diaphragma bewirkte Abw\u00e4rtsbewegung des unteren Theiles des Oesophagus als unterst\u00fctzende Momente f\u00fcr diese Wirkung angesehen werden.\nDen Beweis f\u00fcr die vorgebrachten Anschauungen \u00fcber den Mechanismus der Er\u00f6ffnung der Cardia, suchte Schiff auf indirecte Art zu erbringen, da es nicht anging, die betreffenden Theile des Magens so schonend bloszulegen, um dieselben der directen Besichtigung zu unterwerfen. Er versuchte die beschriebenen f\u00fcr die Er\u00f6ffnung der Cardia in Betracht kommenden Muskelfaserz\u00fcge durch die Quetschung mittelst eines um dieselbe gelegten Bandes zu zerst\u00f6ren, und so ihre Mitwirkung beim Erbrechen unm\u00f6glich zu machen. Wenn diese Operation als wirklich gelungen angesehen werden konnte, so kam es bei der Mehrzahl der untersuchten Thiere (Hunde), trotz heftiger Brechanstrengungen nicht mehr zum wirklichen Erbrechen.\nEs erscheint uns hier die geeignete Stelle, die Beobachtungen zusammenzustellen, welche \u00fcber die Bewegungserscheinungen am Magen w\u00e4hrend des Brechactes bekannt geworden sind.\nSchwartz 1 sah h\u00e4utig, wenn auch nicht ausnahmslos, mit dem Begiune der Brechbewegungen an dem vorher ruhigen Magen Bewegungen auftreten. Dieselben betrafen vorzugsweise den an den Pylorus angrenzenden Tkeil; er zeigte hierbei otters eine hin- und hergehende Bewegung, wodurch er dem Fundus entweder gen\u00e4hert oder von demselben entfernt wurde. Die Bedeutung dieser Contrac-tionen suchte Schwartz theils in dem durch sie ausge\u00fcbten Drucke auf den Mageninhalt, theils in ihrer Wirkung auf den Verschluss des Pylorus. Die Beobachtungen von Schwartz wurden vielfach best\u00e4tigt.\nBudge (1. c.) spricht von einer starken Contraction des Pylorus-theiles des Magens, wodurch die Ingesta nach der Cardia hin ge-\n1 B. Schwartz, Diss. etc. vergl. oben S. 42S.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Erbrechen.\n439\ntrieben werden sollen. Von diesem \u201e Stossu des Pylorus beim Erbrechen konnten andere Beobachter nichts wakrnehmen.\nPatry1 2 hatte Gelegenheit, die Bewegungen des Magens bei einem jungen Menschen zu beobachten, der nach einer starken Mahlzeit eine Verwundung der Bauchwandungen erlitten hatte. Zum Behufe der Reposition des Magens wurde ein Brechmittel gereicht. W\u00e4hrend des Stadiums der Uebelkeiten traten am Magen starke aber langsam ablaufende Contractionen auf, die vom Pf\u00f6rtner nach der Cardia zu sich verbreiteten. Bald kam es zu wirklichen Brechbewegungen, wobei sich der Magen entleerte, w\u00e4hrend derselbe, wie Patry meint, einer Druckwirkung von Seiten des Zwerchfells und der Bauchmuskeln vollst\u00e4ndig entzogen war. Weiteres \u00fcber diesen Fall siehe unten.\nBemerkenswerth ist auch noch die Beobachtung von Schiff (1. c.) \u00fcber die Bewegungen des Magens nach beiderseitiger Durchschneidung der Nervi vagi und Einverleibung eines Brechmittels. Es zeigen nemlich unter diesen Bedingungen die schon vorher bestandenen Bewegungen des Magens gewisse Modificationen ihres Charakters (in Bezug auf zeitliche Aufeinanderfolge, Verbreitung, St\u00e4rke der Einschn\u00fcrung), die nach Durchtrennung der Nervi vagi durch scharfen Schnitt ohne Einverleibung eines Brechmittels nicht zu beobachten waren.\nB. L\u00fcttich- hat hervorgehoben, dass der Brechact mit einer Inspirationsstellung des Thorax einhergeht; denn das Diaphragma steigt sehr tief herab, und die hierdurch bewirkte Vergr\u00f6sserung der Brusth\u00f6hle wird lange nicht ausgeglichen durch die zu gleicher Zeit eintretende Ab- und Einw\u00e4rtsbewegung der unteren Rippenbogen in Folge der Contraction der Bauchmuskeln. Ausserdem aber erfolgt gleichzeitig mit dem Herabsteigen des Diaphragma und der Zusammenziehung der Bauchmuskeln eine krampfhafte Verengerung der Stimmritze. Durch die Combination der geschilderten Bewegungsvorg\u00e4nge muss ein nicht unbetr\u00e4chtlicher negativer Druck im Thorax entstehen, wodurch eine Aspiration von Mageninhalt nach dem Oesophagus zu stattfinden muss.\nDem erw\u00e4hnten Mechanismus schreibt L\u00fcttich eine wesentliche Rolle beim Erbrechen zu, insofern die auf den Magen dr\u00fcckenden\n1\tPatry, Bull, de l'acad. de m\u00e9d. XXYIII (nach einem Excerpt von Valentin, Canstatt\u2019s Jahresber. 1863. p. 12o).\n2\tB. L\u00fcttich, Ueber den Mechanismus des Brechactes, insbesondere \u00fcber die Betheiligung des Oesophagus. Diss. Kiel 1S73. Zu denselben Ergebnissen wie L\u00fcttich scheint Arnozan in einer im Original mir nicht zug\u00e4nglichen Schrift gelangt zu sein: \u00c9tude exp\u00e9riment. s. 1. actes m\u00e9caniques du vomissement. Paris 1879.","page":439},{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"440 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nZwerchfell- und Bauchmuskeln als auch unter besonders g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden die elastischen Kr\u00e4fte der Magenwandungen leicht die Entleerung des Magens nach der unter niedrigerem Drucke stehenden Speiser\u00f6hre zu Wege bringen k\u00f6nnen \u2019.\nAuf die Aspiration der Speiser\u00f6hre d\u00fcrften sich noch einige Erscheinungen zur\u00fcckf\u00fchren lassen, die beim Brechacte beobachtet und von verschiedenen Autoren beschrieben wurden. So die von R\u00fchle hervorgehobene Spannungsabnahme im Magen und die Aufbl\u00e4hung des Magens, die der Entleerung desselben durch das Erbrechen voraufging. Diese Erscheinung hat schon Magendie erw\u00e4hnt und gezeigt, dass die Luft, welche den Magen erf\u00fcllt, nicht vom Pylorus aus eingetreten sein kann, da die Anf\u00fcllung des Magens mit Luft auch dann auftritt, wenn der Pylorus vorher ligirt worden ; Budge spricht sogar von einer activen Magenausdehnung, von der jedoch nicht die Rede sein kann. Es ist jedoch nach L\u00fcttich leicht denkbar, dass in den F\u00e4llen, in denen der Cardiaversckluss durch die Brechbewegungen nicht \u00fcberwunden werden kann, Luft in die Speiser\u00f6hre angesaugt wird ; sobald nun die Brechbewegungen auf h\u00f6ren, wird die so in den Oesophagus gelangte Luft in den Magen abgeschluckt werden k\u00f6nnen.\nDas Aufstossen von Gasen und Fl\u00fcssigkeiten d\u00fcrfte wesentlich von einer Aspiration abh\u00e4ngen, wobei ebenfalls die Contractionen des Diaphragma und der Bauchmuskeln mitwirken k\u00f6nnen.\nUeber die Frage, inwieweit beim Erbrechen die Weiterbef\u00f6rderung des Mageninhaltes durch active Contractionen der Speiser\u00f6hre bewirkt wird, liegen \u00e4ltere Angaben von Magendie (1. c.), Legallois und B\u00e9clard 2 und von Budge vor. Die einschl\u00e4gigen Versuche, die zum Theil an Thieren mit er\u00f6ffneter Brusth\u00f6hle, ohne k\u00fcnstliche Respiration, angestellt wurden, konnten keine sehr zuverl\u00e4sslichen Resultate ergeben, da die Versuchsbedingungen zu ung\u00fcnstige waren und die Thiere rasch Erstickungserscheinungen zeigen mussten. Die von den genannten Beobachtungen geschilderten antiperistaltischen Bewegungen der Speiser\u00f6hre konnten in den von R\u00fchle und L\u00fcttich angestellten Versuchen nicht in gleicher Weise\n1\tL\u00fcttich spricht in seiner Arbeit, im Hinblick auf die von Flourens ermittelte Thatsache, dass L\u00e4hmung des Zwerchfells und der Bauchmuskeln das Wiederk\u00e4uen erschwere oder gar unm\u00f6glich mache, die Vermuthung aus, dass auch bei diesem Vorg\u00e4nge ein \u00e4hnlicher Mechanismus der Aspiration im Spiele sein m\u00f6ge, wie beim Erbrechen. In der That hat seither Toussaint (Compt. rend. 1S74. p. 532) das Herabsteigen des Diaphragma bei geschlossener Glottis als einen wesentlichen Act beim Wiederk\u00e4uen hingestellt, was \u00fcbrigens Chauveau, nach einer Bemerkung des genannten Autors, schon seit l\u00e4ngerer Zeit gelehrt haben soll.\n2\tLegallois, Oeuvres de Legallois II. p. 93. Paris 1830.","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"Erbrechen.\n441\nbeobachtet werden. Budge sah die Speiser\u00f6hre unmittelbar nach dem Eintreten von Mageninhalt sich erweitern und dann sich con-trahiren, worauf diese Contraction sich nach oben fortpflanzte. Die eben geschilderte Bewegung am untersten Abschnitte der Speiser\u00f6hre sah auch R\u00fchle, ohne das weitere Verhalten w\u00e4hrend ihres Verlaufes durch die Brust genau feststellen zu k\u00f6nnen; deutliche antiperistaltische Bewegungen am Halstheile des Oesophagus konnten nicht bemerkt werden.\nMan sieht beim Erbrechen gew\u00f6hnlich eine Aufw\u00e4rtsbewegung des Cardiatheiles des Magens, welche R\u00fchle auf eine Contraction der L\u00e4ngsfasern der Speiser\u00f6hre schiebt. Patey 1 beschreibt nach Beobachtungen an einem mit einer perforirenden Bauchwunde behafteten jungen Menschen eine sehr energische Contraction der L\u00e4ngsmuskeln der Speiser\u00f6hre vor dem Momente der Magenentleerung; er sieht diese Action der Oesophagusmuskulatur als wesentlich f\u00fcr die Aufhebung des Cardiaverschlusses an, was schon R\u00fchle als wahrscheinlich hingestellt hat.\nEs bedarf weiterer Untersuchungen zur Kl\u00e4rung der Frage, ob selbst\u00e4ndige Contractionen der Speiser\u00f6hre eine wesentliche Bedeutung f\u00fcr die Aufw\u00e4rtsf\u00f6rderung des Mageninhaltes haben oder ob hierzu die er\u00f6rterten Druck- und Saugkr\u00e4fte f\u00fcr gew\u00f6hnlich ausreichen. Passive Verschiebungen des Oesophagus in Folge der Ortsver\u00e4nderungen des Kehlkopfes k\u00f6nnen beim Erbrechen sehr leicht Vorkommen.\nUeber das Verhalten der Gebilde der Mundh\u00f6hle, des Gaumens, Schlundes und Kehlkopfes bei der Passage der durch den Brechact in Bewegung gesetzten Massen, ist seit Dzondi 2 eine genauere Untersuchung nicht mehr vorgenommen worden. Der Abschluss der Nasenh\u00f6hle und des Kehlkopfes d\u00fcrfte nach dem bereits fr\u00fcher er\u00f6rterten Mechanismus vor sich gehen. Der wichtigste Unterschied in dem Verhalten der Theile beim Schlingen und Erbrechen besteht darin, dass das Erbrochene einen freien Weg durch die Mundh\u00f6hle vorfinden muss. Die Zunge ist daher nicht gehoben, sondern herabgedr\u00fcckt und rinnenf\u00f6rmig ausgeh\u00f6hlt.\no\tO\nNach Dzondi ist das Z\u00e4pfchen, das, wie fr\u00fcher er\u00f6rtert, beim Schlingacte nur passiv zum Verschl\u00fcsse der zwischen den hinteren Gaumenbogen freibleibenden Spalte herangezogen wird, beim Er-\n1\tPatry. Bull, de Pacacl. de m\u00e9d. etc. Yergl. oben S. 439.\n2\tKarl Heinrich Dzondi, Die Functionen des weichen Gaumens etc. Halle 1 S31. Yergl. auch noch C. L. Merkel, Die Functionen des menschlichen Schlund-und Kehlkopfes, besonders beim Schlingen, Brechen. Athmen, Singen und Sprechen. Leipzig 1562.","page":441},{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"442 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nbrechen activ contrahirt, um dem Anprall der direct gegen die Nasen\u00f6ffnung geworfenen Masse einen kr\u00e4ftigen \\Y iderstand entgegensetzen zu k\u00f6nnen.\n3. Abh\u00e4ngigkeit des Erbrechens vom Nervensysteme.\nDas Erbrechen stellt einen complicirten Act dar, bei dem eine ganze Anzahl verschiedenartiger Bewegungserscheinungen zur Erreichung eines bestimmten Zweckes coordinirt sind. Wir erinnern an die Schliessung der Stimmritze der (allerdings nicht immer eintretenden und auch nicht specifischen) Art der Abschliessung der Nasenh\u00f6hle vom Schlund, die gleichzeitig eintretende tetanische Contraction des Diaphragma und der Bauchmuskeln, die verschiedenartigen Bewegungsph\u00e4nomene am Magen selbst und am Oesophagus. Bewegungen vom Charakter des Erbrechens k\u00f6nnen aber er fahrungsgem\u00e4ss nur von den nerv\u00f6sen Centren aus eingeleitet werden.\nDie Frage nach der Existenz und der Localisation eines Brechcent rums ist vielfach ventilirt worden. Die Natur der beim Brechen intervenirenden Bewegungen macht es von vornherein sehr unwahrscheinlich, dass dieselben von der Intervention eines besonderen Centrums abh\u00e4ngen, w\u00e4hrend es plausibel erscheint, dass sie durch eine abnorme Th\u00e4tigkeit und ein specifisches Zusammenwirken derjenigen Centren eingeleitet werden, welchen die Innervation der beim Brechacte in Action tretenden Bewegungsapparate in der Norm \u00fcbertragen ist. Mit R\u00fccksicht auf die \u00f6fters erw\u00e4hnten Thatsachen, dass beim Erbrechen die wesentlich bei der Athmung fungirenden Muskeln, die Verengerer der Glottis, das Diaphragma und die Bauchmuskeln eine wichtige Rolle spielen, erscheint uns daher der von Grimm1 2 ausgesprochene, von Geeve 2 adoptirte Gedanke durchaus annehmbar, dass das Brechcentrum m\u00f6glicherweise mit dem Athmungscentrum identisch sei. Grimm f\u00fchrt f\u00fcr diese Ansicht seine Erfahrung ins Feld, dass durch ein dem K\u00f6rper einverleibtes Brechmittel das Zustandekommen von Apnoe in Folge energischer k\u00fcnstlicher Respiration verhindert wird und dass Erbrechen unter diesen Umst\u00e4nden nicht zu Stande kommt. Letzteres Resultat k\u00f6nnte \u00fcbrigens auch dadurch bedingt sein, dass die Er\u00f6ffnung der Trachea und die Ausf\u00fchrung der k\u00fcnstlichen Respiration das den Brechact beg\u00fcnstigende Moment der Aspiration in den Oesophagus fast ganz in Wegfall bringen; auch ist\n1\tGrimm (Hermann), Arch. f. cl. ges. Physiol. IV. S. 205. 1S71.\n2\tGreve, Berliner klin. Wochenschr. 1874. Nr. 28 u. 29.","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"Erbrechen.\n443\nin der R\u00fcckenlage das Erbrechen entschieden erschwert, wenn auch nicht unm\u00f6glich.\nHaenack 1 h\u00e4lt die Hypothese von der Identit\u00e4t des Brech- und Athemcentrums f\u00fcr widerlegt durch seine Beobachtungen, dass Thiere, die mit Chloral oder Morphium tief bet\u00e4ubt waren, nicht auf Einverleibung von Apomorphin erbrechen, trotzdem das Athemcentrum weiter fungirt und auch durch das genannte Mittel stark erregt wird. Gegen diesen Einwand aber ist geltend zu machen, dass alle Nar-cotica, wenn sie auch die Th\u00e4tigkeit des Athmungscentrum fortbe-stehen lassen, dasselbe doch nachweislich alteriren. Da nun aber beim Erbrechen eine specifische St\u00f6rung in der Coordination der Athembewegungen angenommen werden muss, insofern Inspirations- und Exspirationsinnervationen gleichzeitig ausgesendet werden, so steht Nichts der Annahme im Wege, dass die Einverleibung einer st\u00e4rkeren Dosis eines narkotischen Mittels diese eigenthiimliche Reaction des Athemcentrums verhindert; es ist auch daran zu denken, dass das Narcoticum die vereinte Wirkung des Athmungscentrums und der Centren f\u00fcr die Magenbewegungen st\u00f6rt. Wir halten also bis auf Weiteres die Anschauung, dass das Brechcentrum im Wesentlichen mit dem Athemcentrum zusammenfallen d\u00fcrfte, wobei allerdings die Mitwirkung anderer Centren nicht ausgeschlossen ist, einer besonderen Beachtung werth\nDiejenigen Theile des nerv\u00f6sen Centralorgans, die den Brechact einleiten, werden vorzugsweise auf dem Wege des Reflexes erregt. Von den verschiedensten Organen k\u00f6nnen die centripetalen Erregungen ausgehen, die zum Erbrechen f\u00fchren. Besonders leicht aber wird der Brechact von den Digestionsorganen aus hervorgerufen, vom Zungengrunde, dem Schlunde, dem Magen, dem Darme u. s. w. ; dass Erregungen, die ihren Sitz im Urogenitalapparate haben, ebenfalls zu Erbrechen f\u00fchren k\u00f6nnen, ist bekannt.\nDass aber auch das Centrum auf anderem Wege, also auf dem des Reflexes, in Action treten kann, beweisen die Erfahrungen der Pathologie \u00fcber Erbrechen bei Erkrankungen und Verletzungen des Gehirns, sowie das Erbrechen auf die reine Vorstellung ekelhafter Objecte hin u. s. w.\nDie Rolle des Nerv, vagus im Brechacte scheint eine zweifache zu sein, insofern in diesem Nerven zahlreiche centripetale Fasern verlaufen, die Erbrechen hervorrufen k\u00f6nnen, als auch, nach Schiff,\n1\tHaenack, Arch. f. exper. Pathol, u. Pharm. II. S. 254. 1874.\n2\tVergl. die Angaben \u00fcber das Athemcentrum im II. und IV. Bande dieses Handbuchs.","page":443},{"file":"p0444.txt","language":"de","ocr_de":"444 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\ndiejenigen centrifugalen Fasern, von denen die active Erweiterung der Magencardia abli\u00e4ngen soll; von letzteren ist es wahrscheinlich, wenn auch nicht streng erwiesen, dass sie mit den Wurzeln des Nerv, accessorius aus dem Centralorgan austreten.\nAuf elektrische Reizung eines centralen Vagusstumpfes erfolgt Erbrechen; ebenso bringt die Durchschneidung eines Vagus sehr oft wirkliches Erbrechen hervor. Das Aufsteigen von Speisemassen nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung ist jedoch h\u00e4ufig kein wirkliches Erbrechen, sondern nur ein Regurgitiren der verschluckten Ingesta, die wegen der am unteren Oesophagusabschnitte vorhandenen Constriction, welche wir als eine Folgeerscheinung der Vagusdurchschneidung kennen gelernt haben, entweder gar nicht oder nur sehr unvollst\u00e4ndig in den Magen gelangen k\u00f6nnen. Es erscheint leicht begreiflich, dass die in den centralen St\u00fcmpfen der durchschnittenen Nervi vagi sich ausbildenden Processe Anlass geben k\u00f6nnen zu einer refleetorischen Erregung der beim Erbrechen th\u00e4tigen Centren; Schiff hat darauf hingewiesen, dass auch die Reizung der Laryngealschleimhaut durch Fremdk\u00f6rper, die in Folge des leichten Verschluckens sich in den Kehlkopf verirren, eine Ursache reflec-torischer Brechbewegungen nach der doppelseitigen Vagussection abgeben kann. Ueber wirkliches Erbrechen nach dem genannten Eingriffe siehe unten.\nNach Schiff erbrechen Thiere nach Durchschneidimg beider Vagi \u00f6fters gar nicht, in anderen F\u00e4llen ist dieser Act wenig oder gar nicht gest\u00f6rt. Schiff schiebt diesen Erfolg darauf, dass nach der Trennung der genannten Nerven die rhythmische Erschlaffung und Contraction am untersten Oesophagusabschnitte gest\u00f6rt ist und nun zuf\u00e4lligerweise die Contraction des Diaphragma und der Bauchmuskeln mit einem Offenstehen der Cardia coincidiren kann, wodurch dann, trotz des gest\u00f6rten normalen Nerveneinflusses Erbrechen zu Stande kommt.\nEs ist nichts N\u00e4heres dar\u00fcber bekannt, in welchen Bestandtheilen der Magenwandungen die f\u00fcr die Ausl\u00f6sung des Brechactes wesentlichen centripetalen Nervenbahnen enden, ob in der Serosa, Musculosa oder Mucosa. Bulatowicz 1 konnte, nach dem Vorg\u00e4nge von C. Ludwig und Kupffer, durch schwache galvanische Reizung der Magenschleimhaut in der N\u00e4he der Cardia und am Fundus immer Erbrechen hervorrufen, w\u00e4hrend schwache Reizung in der Pylorusgegend sich unwirksam erwies ; nach Durchschneidung der beiden Nervi vagi am Halse blieb der erw\u00e4hnte Erfolg der Magenschleimhautreizung weg. Da mechanischer Insult des Magens durch Dr\u00fccken, Kneipen u. s. w. leicht zu Brechbewegungen f\u00fchrt, so wird es wahrscheinlich, dass die Mucosa nicht ausschliesslich der Sitz derjenigen Erregungen ist, die Erbrechen ausl\u00f6sen.\n1 Bulatowicz, De partibus, quas nervi vagi in vomitu agunt. Diss. Dorpat\n1858.","page":444},{"file":"p0445.txt","language":"de","ocr_de":"Erbrechen.\n445\nWir erinnern liier noch an die fr\u00fcher S. 418 erw\u00e4hnte F\u00e4higkeit von Gosse, willk\u00fcrlich Luft zu verschlucken und durch die Anf\u00fcllung seines Magens mit Luft Erbrechen zu erregen. Hierbei war wahrscheinlich die Dehnung des Magens und die hierdurch bewirkte Contraction der Muskulatur im Spiele.\nEs erscheint mir nicht unwahrscheinlich, dass Contractionen der Magenwandungen an der Hervorrnfung des Brechactes noch in einer anderen mehr indirecten AYeise betheiligt sein k\u00f6nnen und zwar in der Art, dass gleichzeitig mit dem Vorg\u00e4nge der Zusammenziehung der glatten Muskelfasern der Magenwandung eine Reizung centripetaler reflectorisch zu Erbrechen f\u00fchrender Nervenfasern stattfindet. Ich f\u00fchre hierf\u00fcr eine Beobachtung an, die ich wiederholt an mir selbst in aller Deutlichkeit gemacht habe. Wenn ich nemlicli zum Behufe der Expectoration von Schleim aus den Luftwegen sehr heftige Hustenanstrengungen machte, so empfand ich pl\u00f6tzlich einen deutlich in den Magen zu verlegenden kolikartigen Schmerz; gleichzeitig mit dieser Empfindung traten unter Nausea Brechbewegungen auf, die aber nicht zu einem wirklichen Erbrechen von Mageninhalt f\u00fchrten. Ich bin geneigt, diese Beobachtung dahin zu deuten, dass der durch die Bauchpresse auf den Magen ausge\u00fcbte Druck eine Contraction ausl\u00f6st und dass diese dann reflectorisch Anlass zum Brechact geben kann. Man kann den Gedanken nicht von der Hand weisen, dass die beim Erbrechen wahrgenommenen Bewegungen des Magens, die f\u00fcr die Austreibung des Mageninhaltes nur sehr wenig zu leisten verm\u00f6gen, vielleicht die eben er\u00f6rterte Bedeutung f\u00fcr den uns besch\u00e4ftigenden Vorgang haben.\nKleine Kinder erbrechen bekanntlich viel leichter als Erwachsene ; ohne Ekelgef\u00fchl und ohne sichtliche Anstrengung der Bauchmuskeln und des Diaphragma sieht man die Milch aus dem Munde hervorquellen. Man 1 2 hat f\u00fcr diese Erscheinung die geringe Entwickelung des Magen-fundus, die horizontale Stellung der L\u00e4ngsaxe des Magens und die h\u00e4ufig vorkommende Ueberfiillung desselben mit Milch verantwortlich gemacht.\nDas Erbrechen tritt nicht bei allen Thieren gleich leicht ein ; die Carnivoren, insbesondere Hunde und Katzen, erbrechen leicht, ebenso viele Omnivoren ; die Herbivoren mit einem Magen und die Wiederk\u00e4uer erbrechen nur mit der gr\u00f6ssten Anstrengung oder gar nicht. Auf die Verschiedenheiten nach dieser Richtung hin k\u00f6nnen wir hier nicht n\u00e4her eingehen. Wir verweisen in Betreff der \u00fcber diesen Gegenstand besonders in Frankreich gef\u00fchrten Diskussionen auf das Werk von Colin, Trait\u00e9 de physiologie compar\u00e9e des animaux 2. \u00e9d. I. p. 67 6. Paris 1871 und Milne - Edwards , Le\u00e7ons s. 1. physiol, et l\u2019anat. compar\u00e9e etc. VI. p. 337 ; in denselben Werken \u00fcber vergleichende Physiologie besonders ausf\u00fchrlich bei Colin (1. c. p. 631), findet man auch die Lehre vom W i e d e r k \u00e4 u e n abgehandelt.\nKrimer 2 beobachtete, dass Kr\u00e4hen, welche in ihren Magen einge-brachte Korkst\u00fcckchen regelm\u00e4ssig erbrachen, hierzu unf\u00e4hig wurden,\n1\tC. H. Schultz. De alimentorum concoctione; Salbach, De diversa ventriculi forma in infanti et adulto. Berlin 1S35.\n2\tKrimer. Horn's u. Nasse\u2019s Arch. IS 16.","page":445},{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446 Sigmund Mayer, Bev. d. Verdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nnachdem er die zu den Bauchmuskeln gehenden Nerven durchschnitten hatte.\nWas die Wirkungsweise der Brechmittel betrifft, so handelt es sich hier vorwiegend um die Frage, ob dieselben ihren Angriffspunkt direct im Centrum nehmen k\u00f6nnen oder ob es zum Zustandekommen der Brechen hervorrufenden Wirkung nothwendig ist, dass gewisse periphere Nervenenden prim\u00e4r erregt werden, um auf dem Wege des Reflexes das Erbrechen einzuleiten.\nDer Versuch von Magendie, in dem nach Ersetzung des Magens durch eine Schweinsblase noch Erbrechen nach Einverleibung eines Brechmittels auftrat, beweist nur soviel, dass die in den Magen Wandungen gelegenen nerv\u00f6sen Endapparate nicht absolut noting sind zur Einleitung des Brechactes, ein Resultat, das im Hinblick auf die vielfachen anderweitigen K\u00f6rpertheile, von denen aus Erbrechen hervorzurufen ist, nicht auff\u00e4llig erscheinen kann. F\u00fcr die Entscheidung der Frage, ob die beim Erbrechen betheiligten Centren direct, ohne Intervention peripherer Nervenapparate durch Brechmittel erregt werden k\u00f6nnen, ist das angef\u00fchrte Experiment nicht von Gewicht.\nHermann 1 fand, dass Tart. stibiat. vom Magen aus in kleinerer Dosis und viel schneller Erbrechen bewirkt, als von den Venen aus; in den zuerst erbrochenen Portionen liess sich bereits Antimon nachweisen. Weitere Details \u00fcber die Wirkungen der Brechmittel geh\u00f6ren in die Pharmakodynamik.\nHistorisches. Die \u00e4lteren Aerzte und Physiologen nahmen ohne Weiteres an, dass das Erbrechen durch eine heftige antiperistaltische Action der Magenwandungen hervorgerufen; experimentelle Beweise f\u00fcr diese Ansicht glaubten Wepfer1 2 und Perrault3 4 5 6 beibringen zu k\u00f6nnen. Fr. Bayle 4 und Chirac 5 wiesen sodann eindringlich auf die Bedeutung der Bauchmuskeln und des Zwerchfells hin; Duverney und Schwartz (1. c.) schlossen sich dieser Ansicht an, ohne jedoch die Betheiligung des Mag ens in Abrede zu stellen; Haller nahm ebenfalls eine vermittelnde Stellung ein.\nDurch Ma gendie\u2019s Eingreifen wurde besonders in Frankreich eine ausgedehnte Diskussion \u00fcber die Rolle des Magens, der Bauchmuskeln und des Diaphragma beim Erbrechen hervorgerufen. Die einschl\u00e4gige Literatur ist bei Lund 6 angef\u00fchrt, wo ein kurzer Auszug aus den zahlreichen Arbeiten f\u00fcr und gegen Magendie\u2019s Lehre gegeben wird.\nAus neuerer Zeit erw\u00e4hnen wir besonders der Arbeiten von R\u00fchle und Schiff.\n1\tL. Hermann (nach Versuchen von Kleimann und Simonowitsch). Arch. f. d. ges. Physiol. V. S. 280. 1872.\n2\tWerfer, Hist, cicut. aquat. etc. p. 251. B\u00e2le 1679.\n3\tPerrault, Essais d. physique et de m\u00e9canique III. p. 134.\n4\tFr. Bayle, Dissert, s. quelques points de physique et de m\u00e9d. Toulouse 1681.\n5\tChirac, M\u00e9m. d. l\u2019acad. des sc. de Paris 1700.\nDiese Citate entlehne ich dem Werke von Longet. Weitere Literaturangaben\nbei Budge.\n6\tLund, Physiol. Resultate d. Vivisectionen neuerer Zeit S. 33. 1825.","page":446},{"file":"p0447.txt","language":"de","ocr_de":"Darmbewegungen.\n447\nYI. Die Bewegungen der Ged\u00e4rme.\nNach dem Uebertritt des Speisebreies in das Anfangsst\u00fcck des D\u00fcnndarmes f\u00fcllt den Bewegungen der Ged\u00e4rme die Aufgabe zu, denselben allm\u00e4hlich weiter zu treiben, um einerseits die Einwirkung der in den Darm ergossenen oder dort secernirten Verdauungsfl\u00fcssigkeiten auf denselben zu erm\u00f6glichen, andererseits die Aufsaugung und die schliessliche Herausbef\u00f6rderung der unbrauchbaren Stoffe zu veranlassen.\nDie angef\u00fchrten Endzwecke des Darmbewegen w\u00fcrden nur unvollkommen erf\u00fcllt werden, wenn dieselben mit grosser Geschwindigkeit erfolgten. In der That scheint es nun auch, dass in der Norm die Bewegungen nur mit einer gewissen Langsamkeit und nicht permanent, sondern nur in Perioden stattfinden.\nWenn man die blossgelegten D\u00e4rme unter m\u00f6glichstem Schutz vor Vertrocknung und mechanischen Beleidigungen und bei normaler Blutcirculation beobachtet, so sind die im Anf\u00e4nge vorkommenden Bewegungen lange nicht so st\u00fcrmisch wie dies im Verlaufe einer l\u00e4ngere Zeit dauernden Beobachtung und ganz besonders nach dem Tode der Fall zu sein pflegt. Die st\u00fcrmischen und ungeordneten Bewegungen am Darmrohre, die gew\u00f6hnlich nach dem Tode zum Vorschein kommen, geben keine richtige Vorstellung von den Bewegungsvorg\u00e4ngen w\u00e4hrend des normalen Ablaufes der K\u00f6rperfunctionen, da sie offenbar ihre Entstehung dem Eingreifen von Bedingungen verdanken, wie sie in gleicher Weise normal nicht Vorkommen, worauf sp\u00e4ter noch einmal zur\u00fcckzukommen sein wird.\nDie wesentlichen vorkommenden Bewegungsformen am Darme sind folgende:\n1.\tLocale Einschn\u00fcrung, in der Richtung vom Magen nach dem After fortschreitend, \u00fcber einen mehr oder weniger ausgedehnten Theil des Darmes weglaufend (peristaltische Bewegung).\n2.\tContractionen der longitudinal angeordneten Muskelfasern, wodurch der Darm eine hin- und herschiebende Bewegung ausf\u00fchrt (Pendelbewegungen).\nDie Contractionen sind gew\u00f6hnlich am D\u00fcnndarm kr\u00e4ftiger und h\u00e4ufiger als am Dickdarm.\nNicht zu allen Zeiten sind Darmbewegungen vorhanden; im Grossen und Ganzen erscheinen sie mehrere Stunden nach der Nahrungsaufnahme, doch fehlen sie auch zuweilen in dieser Periode, zu-","page":447},{"file":"p0448.txt","language":"de","ocr_de":"448 Sigmund Mayer. Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nweilen treten sie ganz unabh\u00e4ngig von der Gegenwart von Speisemassen im Darmkanal auf (Schwarzenberg 1 2 3).\nGew\u00f6hnlich sind die Bewegungen, insbesondere am D\u00fcnndarm, peristaltisch ; doch scheint aus vielen Beobachtungen hervorzugehen, dass unter Umst\u00e4nden auch antiperistaltische auftreten k\u00f6nnen, wie insbesondere Busch 2 beim Menschen an einer Darmfistel beobachtet hat.\nMan kennt eine Reihe von Eingriffen, die in verschiedener Weise die Darmbewegungen zu beeinflussen verm\u00f6gen. Ausser dem Ein-flusse des Nervensystems, worauf sp\u00e4ter noch zur\u00fcckzukommen ist, haben wir hier besonders St\u00f6rungen der Blut Versorgung und der Respiration hervorzuheben.\n1.\tSchiff 3 hat zuerst angegeben, dass Klemmung der Aorta die D\u00e4rme in Bewegung versetzt. Diese Thatsache hat vielfache Best\u00e4tigung erfahren, so durch A. Krause4, 0. Nasse 5 6, S. Mayer & v. Basch g u. A. Doch vermisst man nicht allzuselten den angegebenen Effect des Aortenverschlusses, so dass auch die widersprechenden Angaben von Martin 7 8 9, Betz \", van Braam Houckgeest 9 u. A. nicht als aus Beobachtungsfehlern herr\u00fchrend hingestellt werden d\u00fcrfen. Als Erkl\u00e4rungsgrund f\u00fcr den wechselnden Erfolg ist wohl an verschiedene Reizbarkeit der irritabeln Bestandtheile der Darmwandungen und an eine variable Ausbildung collateraler Gef\u00e4ssbak-\no\to\nnen zu denken.\n2.\tWenn beim Beginne der Aortencompression einzelne Darmschlingen bereits in Bewegung begriffen sind, so beantworten sie den Eintritt der Blutleere zuweilen mit dem Einstellen der Contractionen, um sich bald darauf neuerdings und zwar st\u00e4rker als fr\u00fcher zu bewegen. (0. Nasse, S. Mayer und v. Basch.)\n3.\tDas Wiedereinstr\u00f6men des Blutes nach L\u00f6sung der Aortencompression bewirkt \u00f6fters sehr intensiYe Bewegungen des Darmes. (A. Krause, S. Mayer und v. Basch.)\n1\tSchwarzenberg, Ztschr. f. rat. Med. YII. S. 311. 1S49.\n2\tBusch, Arch. f. pathol. Anat. XIY. S. 166.\n3\tSchiff, Froriep\u2019s Tagesber. Juni 1S51 und Lehrb. d. Physiol. 1S59. S. 105.\n4\tA. Krause in Heidenhain\u2019s Studien d. physiol. Instituts z. Breslau IL S. 31. 1863, auch als Dissertation, Quaestiones de origine e. natura motuum peristalticorum intestinorum. Yratislav 1862.\n5\t0. Nasse, Beitr\u00e4ge z. Physiologie d. Darmbewegungen S. 31. Leipzig 1866.\n6\tSigmund Mayer & v. Basch, Sitzgsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LXII. 1870.\n7\tMartin, Ueber die peristaltischen Bewegungen des Darmkanales. Dissert. Giessen 1859.\n8\tBetz, Ztschr. f. rat. Med. IL (I) S. 329. 1851.\n9\tvan Braam Houckgeest. Arch. f. d. ges. Physiol. YI. S. 266. 1872.","page":448},{"file":"p0449.txt","language":"de","ocr_de":"D armb e wegungen.\n449\n4.\tStauung1 des Blutes im Darme durch Verschluss der Vena portarum oder der Cava inferior bringt zuweilen schwache Bewegungen hervor (Betz, Donders 1).\n5.\tDarmbewegungen werden ganz gew\u00f6hnlich in ziemlicher Intensit\u00e4t hervorgerufen durch dyspnoische Beschaffenheit des Blutes (Brown-S\u00e9quard, A. Krause, S. Mayer und v. Basch). Unter Umst\u00e4nden l\u00e4sst sich aber auch gerade das Gegentheil, Beruhigung vorhandener Bewegungen nachweisen (S. Mayer und v. Basch).\nUeber die Angriffspunkte der Wirkung sowohl der Aortenklemmung, als auch der unterbrochenen Respiration ist eine definitive Ansicht zur Zeit noch nicht aufzustellen. Die Aortenklemmung kann sowohl vom R\u00fcckenmarke aus wirken und zwar in zweifacher Weise; entweder durch Erregung motorischer Apparate oder durch L\u00e4hmung hemmender Centren, als auch von der Peripherie aus. Letztenfalls k\u00f6nnte der Reiz sowohl die Muskelfaser selbst, oder die intramuscu-l\u00e4ren Ganglienzellen (?) oder endlich die intramuscul\u00e4ren terminalen Nervenapparate prim\u00e4r ergreifen. Dass die Darmmusculatur, aus jeglicher Verbindung mit dem Centrum losgel\u00f6st, noch Bewegungen ausf\u00fchrt, ohne Intervention \u00e4usserer Reize, offenbar auf Antriebe, die von Vorg\u00e4ngen in den irritabelen Gebilden der Darmwandungen ausgehen, ist gewiss; ebenso spricht die Erfahrung von Brown-S\u00e9quard2), dass Unterbindung der Mesenterialarterien heftige Darmcontractionen hervorrufe, daf\u00fcr, dass auch ohne Vermittlung der Centren die locale An\u00e4mie reizend wirken kann. Inwieweit aber bei der Aortenklemmung das R\u00fcckenmark oder die peripherischen Gebilde in Wirklichkeit der Ausgangspunkt der Bewegung bilde, bedarf weiterer Untersuchung.\nF\u00fcr die Unterbrechung der Respiration gelten die gleichen Erw\u00e4gungen; nur tritt hier noch die Frage hinzu, inwieweit allenfalls die Darmbewegungen vom Gehirn aus erzeugt werden m\u00f6gen. Sowohl die von mir vielfach gemachte Beobachtung, dass Dyspnoe nach vorheriger unblutiger Ausschaltung der Hirnfunctionen noch heftige Darmcontractionen hervorruft als auch die von C\u00fcuty 3), der von der localen Erstickung des Gehirns durch Injection von semen lycopodii eine Wirkung auf die contractilen Wandungen des Magens und des Darms vermisste, sprechen gegen die Betheiligung des Gehirns bei der Entstehung der Darmbewegungen durch Dyspnoe.\n1\tDonders, Lchrb. d. Physiol. S. 296.\n2\tBrown-S\u00e9quard, Exper. research, applied etc. 1853. p. 101.\n3\tL. Gouty, Arch. d. physiol, norm, et pathol. 2. s\u00e9r. III. p. 665. 1876.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ya.\t29","page":449},{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450 Sigmund Mayer, Be ay. d. Verclaimngs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nEinfluss des Nervensystems.\nEs kann nickt daran gedacht werden, dem Nervensystem einen so directen Einfluss auf die Contractionen der muskul\u00f6sen Darmwandungen zuzusckreiben, wie diese z. B. in der Combination Nerv und quergestreifte Muskelfaser der Fall ist. Gleichwohl ist auf dem Wege des Experimentes nachgewiesen worden, dass das Nervensystem in die Bewegungen des Darmrohres einzugreifen vermag. Die so gewonnenen Versuchsresultate geben aber vorderhand nur in so weit sicheren Aufschluss, als aus denselben gefolgert werden kann, dass in bestimmten Nervenbahnen Impulse von den Centralorganen nach dem Muskelapparate des Darmes geleitet werden, die entweder motorische oder hemmende Einfl\u00fcsse aus\u00fcben. Inwieweit aber das Nervensystem beim Zustandekommen der normalen Darmbewegungen intervenirt, dar\u00fcber ertkeilen die wechselnden Resultate der Versuche mit Durchschneidung und Reizung der im Darm sich verbreitenden Nervenst\u00e4mme zun\u00e4chst keine Aufkl\u00e4rung. Wir geben hier eine Uebersicht der experimentell festgesetzten Tkatsacken.\nA) Motorische Einwirkungen.\n1. Vom Halsvagus aus lassen sich ebenso wie Bewegungen des Magens so auch solche des D\u00fcnn- und Dickdarmes hervorbringen (Budge1, E. Weber2, Ludwig und Kupfer3 und \u00e4ltere Angaben von Br\u00e4chet, B\u00e9rard, Volkmann u. A.). Der bewegende Einfluss des N. vagus auf die Ged\u00e4rme, welcher durch die dyspnoische Beschaffenheit des Blutes und post mortem deutlicher hervortritt (S. Mayer und v. Basch 1. c.) kann aber auch zuweilen g\u00e4nzlich vermisst werden. Dieser Umstand hat einzelne Forscher veranlasst, den Einfluss der Nervi g\u00e4nzlich in Abrede zu stellen, aber offenbar ganz mit Unrecht (Legros und Onimus 4).\nDie Meinung von Braam-Houckgeest (1. c.), dass die auf Reizung des Nerv, vagus erfolgenden Bewegungen des D\u00fcnn- und Dickdarmes nur indirect durch die Nervenreizung bewirkt werden, insofern der durch die Bewegungen des Magens in den Darm \u00fcbergetriebene Speisebrei die Contractionen anregen soll, kann ich nicht als zutreffend anerkennen. Ich habe mich erst k\u00fcrzlich wieder davon ilber-\n1\tBudge. Froriep\u2019s Notizen XXXIX. S. 312. 1846 und Wagner's Handw\u00f6rterb. III. S. 422.\n2\tE. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. III. 2. S. 50.\n3\tLudwig & Kupfer, Sitzungsber. d. Wiener Acad. XXV. S. 5S0.\n4\tLegros & Onimus, Journ. d. l\u2019anat. et d. 1. physiol. VI. 1869.","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"Darmbewegungen.\n451\nzeugt, dass Vagusreizung auch dann noch Bewegungen des D\u00fcnn- und Dickdarms beim Kaninchen hervorruft oder bestehende Bewegungen betr\u00e4chtlich verst\u00e4rkt, wenn vorher das Duodenum unterbunden worden war.\n2.\tChemische Reizung der Ganglia coeliaca ergab schon in \u00e4lteren Versuchen von J. M\u00fcller Bewegungen in den d\u00fcnnen Ged\u00e4rmen; auch elektrische Reizung dieser Gebilde und der Nervi splanchnic! ruft denselben Erfolg hervor. (Aeltere Angaben von J. M\u00fcller, Valentin, Longet, Radclyff Hall, neuere von Ludwig und Kupffer, Nasse, S. Mayer und v. Basch u. A.) Der Erfolg tritt nach Aufh\u00f6ren der Herz- und Athemth\u00e4tigkeit sicherer hervor, als w\u00e4hrend des Lebens.\nDurchtrennung der Nerv, splanehnici bewirkt bei Katzen, nach Versuchen von Haffter1, weder Vernichtung der Darmbewegungen noch Verst\u00e4rkungen derselben.\n3.\tDurch directe Reizung der Med. oblongata, des kleinen Gehirns (seltener der Corpor. striata und der Thalami) erzielte Budge2 Bewegungen des Magens und der D\u00e4rme; auch vom R\u00fcckenmarke aus kann man den Darm anregen (Budge 3 4, Volkmann).\nMagen und Ged\u00e4rme der Schleihe (Cyprinus tinea) besitzen nach E. Weber (1. c.) in ihrer Muscularis nicht glatte, sondern quergestreifte Muskelfasern. Elektrische Reizung der Nerv, vagi oder der Medulla oblongata bewirkt eine tetanische, der Reizung unmittelbar sich anschliessende und mit deren Aufh\u00f6ren sofort sistirende tetanische Contraction, die sich in Nichts von der Zusammenziehung quergestreifter Skelettmuskeln unterschied.\nB) Hemmende Einwirkungen.\nNachdem E. Weber bekanntlich nachgewiesen, dass der Nerv, vagus im erregten Zustande dem Herzen gegen\u00fcber eine bewegungshemmende Einwirkung aus\u00fcben kann, wies Pfl\u00fcger2 dem Nerv, splanchnicus eine \u00e4hnliche Rolle in Bezug auf die Bewegungen der d\u00fcnnen Ged\u00e4rme zu. Er st\u00fctzte diese Ansicht auf die von ihm gemachte Beobachtung, dass sowohl Reizung des unteren R\u00fcckenmarks-abschuittes, als auch der Nerv, splanehnici in Bewegung begriffene Schlingen der d\u00fcnnen Ged\u00e4rme im Zustande der Erschlaffung zur Ruhe bringe. W\u00e4hrend die von Pfl\u00fcger entdeckte Thatsache viel-\n1\tHaffter, Neue Versuche \u00fcber den Nerv, splanchnicus major und minor. Diss. Z\u00fcrich 1853 (auch abgedr. in Ztschr. f. rat. Med. IV. (2)).\n2\tBudge, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. III. S. 421.\n3\tBudge, Unters, \u00fcber d. Nervensystem I. S. 150. Frankfurt a. M. 1841.\n4\tPfl\u00fcger, Ueber d. Hemmungsnervensystem f. d. peristaltischen Bewegungen d. Ged\u00e4rme. Berlin 1S57.\n29 *","page":451},{"file":"p0452.txt","language":"de","ocr_de":"452 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nfach best\u00e4tigt wurde 1 2 3 4, haben sich betreffs der Deutung abweichende Auffassungen geltend gemacht. Ausgehend von der Anschauung, dass die durch die Reizung des Nerv, splanchnicus zu hemmenden Bewegungen des Darmes angeregt werden durch dem Darme zustr\u00f6mendes Blut von bestimmter (ven\u00f6ser) Beschaffenheit schoben S. Mayer und v. Basch die hemmende Wirkung der Nerv, splanchnici auf die bekannten vasoconstrictorischen Functionen dieses Nerven. F\u00fcr diese Meinung brachte v. Basch eine neue St\u00fctze bei, indem er zeigte, dass (beim Hunde) die durch Nikotin bewirkten peristaltischen Darmbewegungen, die der Injection ins Blut nicht sofort, sondern erst nach einigen Minuten folgen, durch Splanclmicusreizung, sowie durch R\u00fcckenmarksreizung beruhigt werden konnten und dass mit der Darmruhe ein Ansteigen des Blutdruckes zusammenfiel; wenn letzteres fehlte, so dauerten auch die Darmbewegungen fort. Dagegen hat v. Braam Houckgeest 2 beim Kaninchen f\u00fcr den Nerv, splanchnicus die Unabh\u00e4ngigkeit der hemmenden von der vasoconstrictorischen Wirksamkeit neuerdings behauptet. Diese Angelegenheit bedarf somit weiterer Untersuchung; nach der Gesammtheit unserer jetzigen Erfahrungen \u00fcber hemmende Wirkungen auf in Contraction begriffene Muskelsubstanzen ist sowohl eine directe als auch eine indirecte Art der Wirkung denkbar.\nU eber die Bewegungen der Gallenblase, der G alle n gauge, der pankreatischen G\u00e4nge bei S\u00e4ugethieren, liegen keine Untersuchungen vor. Bei V\u00f6geln (H\u00fchnern, Tauben) sah Cl. Bernard3 am Ductus choledochus und dem pankreatischen Gange eine Art rhythmischer Bewegung. Brown-S\u00e9quard4 best\u00e4tigte diese Beobachtung; die Bewegungen sollen sich in der Asphyxie f\u00fcr kurze Zeit etwas rascher folgen und nach der Zerst\u00f6rung des Cerebrospinalorganes fortdauern.\nYU. Die Dedication.\nDie unbrauchbaren oder im Darmkanal nicht zur Aufsaugung gelangten Bestandteile der Ingesta und der Verdauungss\u00e4fte werden durch den Act der Def\u00e4cation aus dem K\u00f6rper eliminirt.\n1\tAusser den bereits fr\u00fcher angef\u00fchrten Arbeiten von Ludwig & Kdpffer. Kasse. S. Mayer & v. Basch, van Braam Houckgeest vergl. noch K\u00f6lliker, Arch, f. pathol. Anat. X. S. 20. 1856. \u2014 v. Bezold, Ebenda XIY. S. 282. 1858. \u2014 Spiegelberg, Ztschr. f. rat. Med. II. (3) S.44. 1858. Neuerdings geben J. Ott und G. B. Wood Field (Thejourn. of nervous and mental diseases. 1879. Ko. 4. p. 654. Citirt nachCen-tralbl. f. Nervenheilkunde, Psychiatrie etc. 1880. S. 6) an, dass in den Thalamis opticis .ein Hemmungscentrum f\u00fcr die Bewegungen der Ged\u00e4rme gelegen sei.\n2\tY. Braam-Houckgeest, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 163. 1874.\n3\tCl. Bernard, Compt. rend. d. 1. soc. d. biol. I. p. 171. 1849.\n4\tBrown-S\u00e9quard, Journ. d. 1. physiol. I. p. 775. 1858.","page":452},{"file":"p0453.txt","language":"de","ocr_de":"Def\u00e4cation.\n453\nDie Skybala formen sieh bereits im Dickdarm, verlieren in ihrem Vorschreiten nach dem Mastdarme durch Resorption immer mehr Wasser und bilden bei ihrem Anlangen im Mastdarme mehr oder weniger feste Massen.\nO'Beirne 1 hat die Ansicht aufgestellt, dass das Rectum nur zum Durchtritte der Faces bestimmt sei, nicht zum Reservoir derselben, dass somit die Rolle des Rectum bei der Def\u00e4cation derjenigen des Schlundes und der Speiser\u00f6hre beim Schlingen zu vergleichen sei. Nach O\u2019Beirne h\u00e4ufen sich die F\u00e4ces in der Flexura sigmoidea an, wodurch letztere aus der Beckenh\u00f6hle heraustritt, sich nach der linken Fossa iliaca wendet und je nach dem Grade ihrer Ausdehnung auf dem contrahirten Mastdarm, wie auf einem festen Punkte ruht. Erst mit l\u00e4ngerer Dauer des Druckes der in der Flexura sigmoidea befindlichen F\u00e4ces auf den Mastdarm soll der Uebertritt der letzteren in das Rectum durch die Wirkung der Bauchpresse bewirkt werden und dann erst die Muskulatur des Mastdarms unter Nachlassung des Sphincterenwiderstandes in Action treten. O\u2019Beirne hat f\u00fcr seine Ansicht angef\u00fchrt: 1. Der Mastdarm ist auf sich zusammengezogen und gr\u00f6sstentheils leer von Koth; daher die Klystirspritze oder der Finger nicht beschmutzt werden. 2. Bei Erschlaffung der Schliess-muskehy bei Vorfall, L\u00e4hmung, nach Durchschneidung, bei Verschw\u00e4rungen entsteht kein LTnverm\u00f6gen, den Koth zur\u00fcck zu halten. 3. Nur dann, wenn eine Schlundr\u00f6hre h\u00f6her als 1f'2 Zoll in den Mastdarm gef\u00fchrt wird, entleeren sich Winde und F\u00e4ces. 4. Die Sonde dringt mit Schwierigkeit durch den h\u00f6chsten Theil des Mastdarms, sie geht an dieser Stelle wie durch einen Ring hindurch. 5. Der Mastdarm ist bei Gesunden ganz leer und zusammengezogen, sowohl im Augenblick des Gef\u00fchls der Darmausleerung als auch wenige Minuten nach einer Stuhlentleerung (nach Arnold, Lehrb. d. Physiol. II. S. 133). Obwohl die Chirurgen, welche die O'BEiRNE\u2019schen Aufstellungen n\u00e4her pr\u00fcften, sich gegen dieselben erkl\u00e4rt haben, so d\u00fcrften dieselben doch einer weiteren Beachtung werth sein.\nDa die Ausscheidung der F\u00e4calmassen nur in grossen Zwischenr\u00e4umen erfolgt, die Bildung derselben jedoch, normale Nahrungsaufnahme vorausgesetzt, continuirlich erfolgt, und in Folge hiervon auch das Rectum sich allm\u00e4hlich anf\u00fcllt, so m\u00fcssen Vorrichtungen gegeben sein, welche die Zur\u00fcckhaltung der F\u00e4calmassen bis zu dem Zeitpunkte erm\u00f6glichen, in dem die austreibenden Kr\u00e4fte ihre Wirkungen entfalten.\nDen Widerstand f\u00fcr den fortw\u00e4hrenden Abgang der F\u00e4ces bildet der Contractionszustand des die After\u00f6ffnung umgebenden quergestreif-ten Muse, sphincter ani externus und des \u00fcber demselben gelegenen, eine Verdickung der glatten Ringmuskulatur des Rectum darstellenden Muse, sphincter ani intend. Da der Mastdarm nicht gerade absteigend gelagert ist, sondern eine S-f\u00f6rmige Kr\u00fcmmung zeigt, so\n1 O'Beirne, Arch, gener. 2. ser. III. p. S4.","page":453},{"file":"p0454.txt","language":"de","ocr_de":"454 Sigmund Mayer. Bew. d. Verdauungs- etc. Apparate. 1. Cap. Digestionsapparat.\nwird durch diese Anordnung die von den contrahirten Sphincteren zu tragende Last verringert (Kohlrausch *).\nDie Wirkung des Musc, sphincter ani externus wird verst\u00e4rkt durch die Wirkung des Muse, levator ani; da dieser Muskel wie eine Schleife um den Mastdarm herumgelegt ist, so vermag er denselben bei seiner Contraction zusammenzupressen (Henle1 2 3 4, Budge'2). Budge sah auch bei einem Hunde, bei dem er unmittelbar nach dem Tode die B\u00fcndel des Muse, levator ani der elektrischen Beizung unterwarf, den Ausfluss von Wasser, das in den Dickdarm eingegossen wurde, sistiren.\nDer Muse, sphincter ani externus ist tonisch innervirt; das N\u00e4here \u00fcber die Lage und die Reactionen dieses Centrums findet sich in Bd. II dieses Handbuches S. 53, 66.\nDie von Goltz 3 entdeckten rhythmischen Bewegungen des After-schliessers, die bei Hunden auftreten, denen das Lendenr\u00fcckenmark durch Schnitt vom \u00fcbrigen Marke getrennt worden, lassen sich durch starke sensible Reizungen hemmen.\nDer Einfluss des Gehirns auf die Th\u00e4tigkeit des Aftersckliessers zeigt sich in der F\u00e4higkeit, willk\u00fcrlich dessen Action zu verst\u00e4rken, sowie in der bekannten Thatsache, dass starke psychische Emotionen unter Umst\u00e4nden zu einem Nachlasse der Sphinctercontraction und zu unwillk\u00fcrlicher Def\u00e4cation f\u00fchren k\u00f6nnen.\nBei Erkrankungen des Lendenmarkes wird, wenn das Centrum f\u00fcr die Sphincterinnervation mitbetroffen ist, Incontinentia alvi ein-treten m\u00fcssen. Man hat jedoch beobachtet, dass selbst nach Ausschneidung des Sphinct. ani extern, die M\u00f6glichkeit, den Koth zur\u00fcckzuhalten, noch vorhanden ist. O\u2019Beirne macht hierf\u00fcr den von ihm hervorgehobenen Umstand verantwortlich, dass f\u00fcr gew\u00f6hnlich die F\u00e4ces in der Flexura sigmoidea verweilen, Andere ziehen die Th\u00e4tigkeit eines von N\u00e9laton als Sphincter sup\u00e9rieur, von Harte als Sphincter tertius beschriebenen (nach anderen Forschern aber nicht constant vorkommenden) Muskelringes an der Grenze des supraperitonealen und infraperitonealen Theiles des Mastdarmes zur Erkl\u00e4rung herbei. Nach Henle 4 und Budge kann in den F\u00e4llen, in denen die\n1\t0. Kohlrausch, Zur Anatomie und Physiologie der Beckenorgane S. 5.\n2\tHenle. Eingeweidelehre S. 522. \u2014 J. Budge, Berliner klin. Wochenschr. 1S75. S. 369.\n3\tGoltz, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 4S0. 1874. Yergl. noch Isaac Ott. Journ. of physiol. IL p. 42. 1879. Bei einem Kaninchen, das eine Verletzung am Lumbartheile des R\u00fcckenmarkes erlitten hatte, beobachtete Gluge (Bull, de l\u2019acad. de Belg. 1868) rhythmische Contractionen des Sphincter ani.\n4\tHenle, Eingeweidelehre S. 182. An dieser Stelle finden sich auch die Angaben \u00fcber den Sphincter sup\u00e9rieur (Nelaton), wor\u00fcber auch Budge (Berliner klin. Wochenschr. 1875. S. 371) zu vergleichen ist.","page":454},{"file":"p0455.txt","language":"de","ocr_de":"Def\u00e4cation.\n455\nTh\u00e4tigkeit des M. sphincter ani extern, ausf\u00e4llt oder insufficient wird, die Contraction des M. levator ani zum zeitweiligen Verschl\u00fcsse des Afters beitragen. Henle bemerkt ausserdem, dass auch nach der L\u00e4hmung der Sphincteren die Darmexcretion eine gewisse Aehnlich-keit mit dem normalen Stuhlgang haben muss, weil sie von der Contraction der Mastdarmmuskulatur abh\u00e4ngig ist, ohne deren Th\u00e4tigkeit einigermaassen feste Excremente einige Zeit im Rectum ruhig liegen bleiben.\nAls austreibende Kr\u00e4fte wirken bei der Def\u00e4cation die Con-tractionen der starken L\u00e4ngs- und Ringmuskelschichten der Mastdarmwandungen und die Bauchpresse.\nKrimer 1 fand bei Hunden, denen er die Bauchmuskeln getrennt oder das R\u00fcckenmark zwischen 5. und 6. R\u00fcckenwirbel durchschnitten hatte, die F\u00e4higkeit zur Entleerung der Excremente vernichtet, w\u00e4hrend Legallois und B\u00e9clard1 2 nach Wegnahme der Bauchmuskeln die Def\u00e4cation sich noch vollziehen sahen. Diese Differenz in den Angaben kann darin begr\u00fcndet sein, dass sehr feste Excremente nur unter Mitwirkung der Bauchpresse, minder feste aber durch die Muskulatur des Rectum allein bew\u00e4ltigt werden k\u00f6nnen.\nDer Muse, levator ani kann nach Henle insofern zur Def\u00e4cation beitragen, als er bei seiner Contraction den organischen L\u00e4ngsfasern des Rectum Insertionspunkte bietet; die Zusammenpressung des Mastdarmes durch den Muse, levator ani kann bei gleichzeitiger Erschlaffung des Sphincters und starker Wirkung der Bauchpresse bei der Entleerung mitwirken. Die Wirksamkeit sowohl der Bauchpresse als auch der Mastdarmmuskeln wird ausgel\u00f6st unter der Intervention der Erregung sensibler Nerven; die Contraction tritt entweder rein refleetorisck oder als Reaction auf bewusste Empfindungen ein. Normal wird die Reizung der centripetalen, die Def\u00e4cation anregenden Nerven durch die angeh\u00e4uften Excremente eingeleitet; zu demselben Resultat k\u00f6nnen aber auch in das Rectum eingef\u00fchrte Fremdk\u00f6rper und in gewissen Krankheiten auch andere, selbst sehr geringf\u00fcgige Reize der Rectalschleimhaut f\u00fchren.\nUeber den Einfluss des Nervensystems auf die Bewegungen des Rectum ist sehr wenig bekannt.\nDie Nerven des Mastdarmes stammen beim Menschen aus dem Plexus hypogastricus inferior und vom dritten und vierten Kreuzbeinnerven.\n1\tKrimer, Horn\u2019s & Nasse\u2019s Arch. 1819.\n2\tLegallois & B\u00e9clard, Bull. d. 1. foc. et d. 1. soc. d. m\u00e9d. IS 13. No. X. Diese beiden Citate nach Lund, Resultate d. Vivisectionen etc. S. 52.","page":455},{"file":"p0456.txt","language":"de","ocr_de":"456 Sigmund Mayer, Lew. d. Verdauungs- etc. Apparate. 2. Cap. Urogenitalapparat.\nBei Hunden beobachtete Freusberg *, dass ein Thermometer, welches nach Trennung des Lendenmarkes tief in den Mastdarm eingef\u00fchrt worden war, durch regelm\u00e4ssige peristaltische Bewegungen allm\u00e4hlich wieder herausbef\u00f6rdert wurde ; nach Zermalmung des Lendenmarkes aber blieb das Instrument unver\u00e4ndert im Mastdarm liegen. Inwieweit bei diesem Versuche die Zerst\u00f6rung motorischer Centren oder die Unterbrechung motorischer oder centripetaler Leitungsbahnen durch den zerst\u00f6rten Theil des R\u00fcckenmarkes in Frage kommen,\nO\t7\nmuss durch weitere Analyse der angef\u00fchrten Beobachtungen noch eruirt werden.\nDie postmortalen Bewegungen treten an der Muscularis des Rectum sehr stark, jedoch nicht continuirlich, sondern in mehr oder weniger langen Zwischenr\u00e4umen auf. Besonders energisch habe ich die postmortalen Bewegungen der L\u00e4ngsmuskelschicht des Mastdarms bei der Ratte gesehen, wodurch ein starkes Schieben des Darmendes nach abw\u00e4rts zu Stande kommt, eine Erscheinung, die lebhaft an die Uretercontraction erinnert und diese gleichsam in vergr\u00f6ssertem Maassstabe darstellt.\nKussmaul & Tenner1 2 3 beobachteten beim Kaninchen, dem sie die Aorta jenseits der Art. subclavia sinistra und die beiden Art. subclaviae verschlossen hatten, zuerst krampfhafte, Zusammenziehung des Sphincter ani und am Endst\u00fcck des Mastdarms f\u00f6rmlichen Tenesmus, sp\u00e4ter vollst\u00e4ndige Erschlaffung.\nZWEITES CAPITEL.\nBewegungen im Urogenitalapparate.\nI. Bewegungen des Harnleiters b\nDie Bewegungen des Harnleiters schildert Engelmann4 nach Beobachtungen am Kaninchen folgendermassen. Bei der Contraction wird das beobachtete St\u00fcck des Ureter d\u00fcnner, vollkommen cylin-\n1\tGoltz, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S.4S2.\n2\tKussmaul & Tenner, Molesch. Unters. III. S. 60. 1S57.\n3\tDie \u00e4lteren Angaben \u00fcber die Physiologie der Harnleiterbewegungen sind vollst\u00e4ndig zusammengestellt in der Dissertation von Bouvin, Over den Bouw en de Beweging der Ureteres, abgedr. in Onderzoekingen gedaan in het Physiologisch Laboratorium der Utrechtsche Hoogeschool, Tweede Reeks, II. p. 319. 1868\u201469. Wir heben hervor Meyer, De musculis in ductibus efferentibus glandularum. Diss. Berlin 1837. \u2014 Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. III. 2. \u2014 Ludwig, ebenda IL S. 628.\n4\tEngelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. H. S. 243. 1S69.","page":456},{"file":"p0457.txt","language":"de","ocr_de":"Ureter.\n457\ndrisch und \u00e4ndert seine vorher graur\u00f6thliche Farbe in eine weisse; ehe die Contraction beginnt, erweitert sich \u00f6fters die gerade ins Auge gefasste Partie ; mit dem Maximum der Zusammenschn\u00fcrung schiebt sich der Ureter stark nach unten (der Blase zu), um mit der Erschlaffung wieder nach oben zu gleiten. Besonders bei der Ratte sind diese Platzverschiebungen des Ureter bei seiner Contraction viel mehr in die Augen fallend als die Verd\u00fcnnung desselben \u2019.\nDie Bewegungen beginnen immer an der h\u00f6chst gelegenen Stelle des Ureter und schreiten von da, successive alle Querschnitte desselben ergreifend, bis zur Blase fort, ohne auf die Muskulatur der letzteren \u00fcberzugehen. Spontan kommen von der Blase nach der Niere zu fortschreitende Bewegungen nicht vor, solche lassen sich aber leicht durch mechanische Reizung des Ureter in seinem Verlaufe hervorrufen. Die mittlere Leitungsgeschwindigkeit des ganzen Ureter bestimmte Engelmaxn bei kr\u00e4ftigen Kaninchen unter m\u00f6glichst normalen Bedingungen auf 20\u201430 mm in der Secunde.\nDurchschneidet man den Ureter etwa in seiner Mitte, so f\u00e4hrt das mit der Niere in Zusammenhang stehende St\u00fcck fort sich rhythmisch und peristaltisch zu contrahiren ; das untere St\u00fcck macht \u00f6fters nach der Durchschneidung eine Pause, beginnt aber dann ebenfalls wieder spontane Bewegungen; selbst in mehrere St\u00fccke l\u00e4sst sich der Harnleiter trennen und alle contrahiren sich weiter, entweder isochron oder zu verschiedenen Zeiten, wie zuerst Vulpian 2 gesehen hat. Diese Erscheinung l\u00e4sst sich am besten am Harnleiter der Ratte beobachten.\nEin directer Einfluss des Nervensystems auf die Bewegungen des Ureter ist bislang durch Reizung oder Durchschneidung der zutretenden Nerven oder durch Beeinflussung bestimmter Theile der centralen Nervengebilde nicht nachgewiesen worden.\nWas die Art und Weise betrifft, wie die spontanen Bewegungen des Ureter ausgel\u00f6st werden, so erscheint es von vornherein sehr wahrscheinlich, dass hierbei der Eintritt des Harns in den Kanal haupts\u00e4chlich mitwirkt, sei es, dass hierdurch die irritabeln Bestand-theile der Wandungen direct erregt oder auf dem Wege des Reflexes die Bewegungen hervorgerufen werden. F\u00fcr einen nach dieser Rich-\n1\tHeldenhain (Arch. f. mikroskop. Anat. X. S. 35. 1S74) empfiehlt zur Beobachtung der Uretercontractionen f\u00fcr Demonstrationszwecke die Benutzung von Kaninchen, denen chemisch reines indigschwefelsaures Natron in den Kreislauf eingebracht wurde. Man sieht dann, wie die 2-5 mm langen Fl\u00fcssigkeitss\u00e4ulchen blauen Harns in das obere Ende des Ureter eintreten und durch peristaltische Contraction nach der Blase hinbef\u00f6rdert werden.\n2\tVulpian, Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1S5S. p. 42S.","page":457},{"file":"p0458.txt","language":"de","ocr_de":"458 Sigmund Mayer, Be\\v. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 2. Cap. Urogenitalapparat.\ntung hinzielenden Erkl\u00e4rungsversuch schienen auch fr\u00fchere Beobachtungen von Mulder und Donders zu sprechen. Mulder 1 sah bei einem mit Exstrophia vesicae behafteten Menschen, dass nach reichlichem Genuss von Fl\u00fcssigkeiten die Uretereontractionen sich rascher folgten; Donders'1 2 beobachtete bei Hunden und Kaninchen, dass sieh in der Pause nach einer Contraction der Ureter in seinem oberen Theile allm\u00e4hlich wieder mit Fl\u00fcssigkeit f\u00fcllte.\nEngelmann (1. c.) macht gegen die angef\u00fchrte Auffassung jedoch geltend, dass bei Kaninchen, die in Folge eingeschr\u00e4nkter Aufnahme von Speise und Trank wenig Harn secerniren, die Uretercontrac-tionen kaum in l\u00e4ngeren Perioden sich folgen, als bei solchen Thieren, die reichlich getrunken haben. Sodann ist weder die Durchsehnei-dung des Ureter dicht an der Niere, noch die Unterbindung in einiger Entfernung vom Nierenbecken von einigermassen betr\u00e4chtlichem Einfl\u00fcsse auf den Ablauf der Zusammenziehungen, w\u00e4hrend doch im ersteren Falle der Druck auf die Wandungen kaum in Betracht kommen kann, im zweiten der Druck im Innern des abgesperrten St\u00fcckes betr\u00e4chtlich steigen muss.\nEngelmann kommt nun, in Hinblick darauf, dass in den zwei obersten Dritttheilen des Ureter Ganglienzellen nicht nachweisbar sind, durch Reizung motorischer zutretender Nerven Bewegungen nicht hervorgerufen werden k\u00f6nnen und endlich isolirte Ureterst\u00fcckchen noch typische peristaltische Contractionen zeigen, zum Schl\u00fcsse, dass der Reiz auf die Muskelfaser selbst ausge\u00fcbt und die Fortpflanzung der Erregung durch Uebergreifen derselben von Faserzelle zu Faserzelle in der Muskelsubstanz selbst geschieht.\nDie Mechanik der Ausl\u00f6sung der nat\u00fcrlichen Ureterbewegungen scheint uns jedoch noch nicht hinreichend klargestellt; insbesondere bedarf es weiterer Aufkl\u00e4rung, in welcher Weise der in den Ureter hineingelangende Harn den Erregungsvorgang einleitet und inwieweit das centrale Nervensystem, welches gewiss auch mit der Ureter wand in irgend einem Connex steht, in den Ablauf der Contraction regu-1 i r e n d eingreift.\nII. Bewegungen der Harnblase.\nDie Nieren secerniren stetig und ihr Secret wird stetig durch die Ureteren in die Harnblase abgef\u00fchrt. Letztere entleert ihren Inhalt normaler Weise jedoch nur periodisch nach aussen; es entsteht\n1\tMulder. Neederl. Lancet 1S45\u201446. p. 611.\n2\tDonders, Ebenda 1S52\u201453. p. 266.","page":458},{"file":"p0459.txt","language":"de","ocr_de":"Harnblase.\n459\ndaher die Frage, durch welche Mechanismen die Zur\u00fcckhaltung des Urins in der Blase bis zu dem Termine der Entleerung bewerkstelligt und durch welche Hilfsmittel die letztere hervorgerufen wird.\nDer R\u00fcckfluss des Harns aus der Blase nach den Ureteren zu wird durch den Umstand gehindert, dass die Harnleiter bei ihrer Einm\u00fcndung in die Blase die Wandung der letzteren in absteigend schiefer Richtung durchbohren. Der mit der Anf\u00fcllung der Blase auf deren Innenfl\u00e4che wirkende Druck bewirkt einen Verschluss dieser Oefifnung.\nWas nun den Verschluss der Harnblase nach der Harnr\u00f6hre zu betrifft, durch den die Ansammlung des Urins erm\u00f6glicht und das stetige Abtr\u00e4ufeln verhindert wird, so ist hier haupts\u00e4chlich an zwei M\u00f6glichkeiten zu denken. Entweder die Harnblase besitzt einen derartigen Bau, dass der ankommende Urin f\u00fcr eine Zeit lang durch Herstellung ventilartig wirkender Vorrichtungen seinen Abfluss in die Harnr\u00f6hre unm\u00f6glich macht; oder der zeitweilige Abschluss der Harnr\u00f6hre gegen die Blase wird durch Muskelkr\u00e4fte besorgt.\nDie Harnblase h\u00e4lt auch im Tode ihren Inhalt sehr h\u00e4ufig zur\u00fcck; hieraus hat man den Schluss gezogen, dass es keineswegs Muskelkr\u00e4fte allein sein k\u00f6nnen, die den Blasenschluss erm\u00f6glichen. Koiiluausch hat insbesondere darauf aufmerksam gemacht, dass mit wachsender Anf\u00fcllung der Blase mit Fl\u00fcssigkeit der vordere Theil der Basis derselben sich in den Raum zwischen Symphysis ossiuni pubis und Blasenausgang einsenkt, sodass auf die Pars prostatica urethrae ein nach hinten gerichteter Druck ausge\u00fcbt wird, der das Abfliessen des Urins hindern kann.\nWenn es nun auch wahrscheinlich ist, dass vielleicht aus rein mechanischen Gr\u00fcnden der Abfluss des Harns aus der Blase eine Zeit lang nicht statthat, so folgt hieraus noch nicht, dass bei wachsendem Drucke in der Blase nicht ein durch Muskelkr\u00e4fte besorgter Verschluss hergestellt wird.\nL. Rosenthal 1 und v. Wittich 2 glaubten aus ihren Versuchen die Ansicht ableiten zu d\u00fcrfen, dass im Tode zur Ueberwindung der dem Abfl\u00fcsse von Fl\u00fcssigkeit aus der Blase sich darbietenden Widerstande kein geringerer Druck noth wendig sei als w\u00e4hrend des Lebens ; die Annahme eines tonisch innervirten Muskels sei daher unn\u00f6thig, da die elastischen Kr\u00e4fte des letzteren allein die zum Blasenschlusse erforderliche Arbeit zu leisten im Stande seien. Doch wird von\n1\tLesser Rosenthal, De tono cum musculorum, tum eo imprimis, qui sphinc-terum tonus vocatur. Diss. K\u00f6nigsberg 1857.\n2\tv. Wittich, K\u00f6nigsberger med. Jahrb. II. S. 12. 1862. III. S. 249. 1863.","page":459},{"file":"p0460.txt","language":"de","ocr_de":"460 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 2. Cap. Urogenitalapparat.\ny. Wittich die Mitwirkung von Muskelkr\u00e4ften f\u00fcr den Verschluss der Harnblase bei starker Anf\u00fcllung derselben nicht vollst\u00e4ndig in Frage gestellt.\nVerschiedene Forscher haben dann sp\u00e4ter die Frage nach der Natur der Abschliessung der Harnblase experimentell untersucht, so Heidexhain und Colberg *, Sauer, Uffelmaxn, Budge, Kupressow, Sokownix und Rosenplatxer. Das Resultat dieser Nachforschungen ging im Allgemeinen dahin, dass in der That ein durch Muskelkr\u00e4fte bewirkter Abschluss der Blase gegen die Urethra hin vorhanden sein m\u00fcsse. Als wichtigste hierf\u00fcr sprechende Thatsache ist hervorzuheben, dass durchg\u00e4ngig die lebende Blase einem h\u00f6heren Drucke Widerstand zu leisten vermag, als die todte 1 2.\nWenn aber, wie nicht abzuweisen ist, auch im todten Zustande die Blase ihren Inhalt einigermaassen zur\u00fcckzuhalten vermag, so sind wohl hierf\u00fcr die bereits oben erw\u00e4hnten mechanischen Bedingungen zum Theil verantwortlich zu machen. Es scheint mir aber hierbei noch ein anderer nicht hinl\u00e4nglich ber\u00fccksichtigter Umstand mitzuwirken. Viele Beobachtungen deuten darauf hin, dass die glatte Musculatur nach dem Absterben der grossen nerv\u00f6sen Centren und dem Aufh\u00f6ren der normalen Blutcirculation in Contraction ger\u00e4th und dass diese Contraction im Tode persistirt resp. zwischen Todten-starre und postmortaler Contraction kein Zwischenstadium besteht. Der Blasenverschluss k\u00f6nnte somit durch diese Muskelcontraetionen auch post mortem einigermaassen gesichert sein ; auch st\u00fcnde es hiermit durchaus im Einklang, dass gleichwohl im Tode zur Ueberwin-dung der Verschlusswiderst\u00e4nde geringere Druckkr\u00e4fte erforderlich sind, als w\u00e4hrend des Lebens, da durch die Vermittelung der Th\u00e4-tigkeit der nerv\u00f6sen Centralorgane die Muskelfasern einerseits in den Zustand einer noch st\u00e4rkeren, andererseits in den einer schw\u00e4cheren Contraction zu gerathen im Stande sind. Aehnliche Erscheinungen scheinen auch an anderen Apparaten mit glatter Muskulatur ange-\n1\tHeidenhain & Colberg, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1S58. S. 437. \u2014 Sauer, Ebenda 1861. S. 112. \u2014 Uffelmann, Ztschr. f. rat. Med. XVII. (3) S. 254. \u2014 Budge, Ebenda XXI. S. 1, 174. 1864, XXIII. S. 78. 1865; Wiener med. Wochenschr. 1S64. Xr. 39, 40 u. 41; Arch. f. pathol. Anat. XV. S. 115. 1865. Weitere Aeusserungen dieses Autors vergl. unten. Kupressow, Arch. f. d. ges. Physiol. Y. S. 291. 1872. \u2014 Sokownin, Ebenda VIII. S. 600. \u2014 Rosenplatner, Petersburger med. Ztschr. II. S. 16.\n2\tBei Hunden fand Rosenthal nach dem Tode zur Er\u00f6ffnung der Harnblase einen Druck von 900\u20141000 mm Wasser nothwendig. Die von Heidenhain und Colberg gefundenen Werthe sind um ein Betr\u00e4chtliches geringer. Es betrugen w\u00e4hrend des Lebens die zur Er\u00f6ffnung der Harnblase erforderlichen Druckh\u00f6hen bei weiblichen Kaninchen zwischen 210 und 335 mm Wasser, nach dem Tode 25 \u2014 75; beim Kinde w\u00e4hrend des Lebens 680 und 730 mm, im Tode 130 (weiblich) und 380 (m\u00e4nnlich).","page":460},{"file":"p0461.txt","language":"de","ocr_de":"Harnblase.\n461\ndeutet zu sein. So ger\u00e4th z. B. nach Ausschaltung s\u00e4mmtlicher Nerveneinfl\u00fcsse die Pupille in einen Zustand mittlerer Contraction, wie im Tode, w\u00e4hrend man durch k\u00fcnstliche Reizung z. B. des Halssympathicus sich die Ueberzeugung verschaffen kann, dass der Nervmuskelapparat der Iris noch erregbar ist. Hier hat man es also mit einer Contraction des Sphincter iridis (und wohl auch des Dilatator) zu thun, die ohne sich vorher wieder zu l\u00f6sen, in den Zustand der Todtenstarre \u00fcbergeht. Dass die Pupille unter diesen Bedingungen relativ enge ist, h\u00e4ngt mit der st\u00e4rkeren Ausbildung der Ringln uskulatur zusammen.\nDie Muskelkr\u00e4fte, die f\u00fcr den Verschluss der Harnblase in Betracht kommen k\u00f6nnen, sind die in der N\u00e4he des Orificium liegenden starken circul\u00e4ren Z\u00fcge glatter Muskelfasern, die man gew\u00f6hnlich als Sphincter vesicae (Sphincter vesicae intern. Henle) bezeichnet und die an der Pars prostatica uretrae befindlichen B\u00fcndel glatter und quergestreifter Muskulatur, welche letztere Kohlrausch Sphincter uretrae prostaticus, Henle Sphincter vesicae externus nennt. Den erstgenannten Muskel, welchem man fr\u00fcher eine sehr grosse Rolle f\u00fcr den Verschluss der Blase zuschrieb, hat man neuerdings f\u00fcr ziemlich unwesentlich hingestellt und die Hauptwirkung dem quergestreiften Sphincter vesicae externus zugeschrieben. F\u00fcr diese Ansicht hat Budge noch besonders geltend gemacht, dass sich durch Reizung desselben der Ausfluss unter einem bestimmten Drucke aus der Blase abfliessenden Wassers sofort hemmen l\u00e4sst.\nDie Austre ibung des Urins besorgt die Contraction der glatten Muskulatur, die sich in theils l\u00e4ngs, theils schr\u00e4g verlaufender Richtung in der Blasenwandung vorfindet (Detrusor urinae) ; f\u00fcr die Austreibung der letzten Portionen kann auch die circul\u00e4re Schicht am Orificium (der oben erw\u00e4hnte Sphincter vesicae der \u00e4lteren Autoren) mitwirken. Als accessorische Triebkraft tritt dann noch die Bauchpresse hinzu und die Th\u00e4tigkeit des M. bulbocavernosus beim Ende des Harnlassens.\nEinfluss des Nervensystems auf die Harnentleerung.\nNach Budge\u2019s1 haupts\u00e4chlich an Hunden angestellten Versuchen stammen die motorischen Nerven f\u00fcr die Harnblase einerseits aus den vorderen Wurzeln des ersten, zweiten und dritten Kreuzbeinner-\n1 Budge, Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 306. 1S72. Vergl. auch noch Gianuzzi, Journ. d. 1. physiol. VI. p. 22. 1863, der angiebt, dass die durch Reizung der aus dem Sympathicus stammenden Nerven hervorgerufenen Contractionen der Harnblase viel schw\u00e4cher seien als diejenigen Bewegungen, die nach elektrischer Ansprache der direct aus dem B\u00fcckenmarke stammenden Nerven auftreten.","page":461},{"file":"p0462.txt","language":"de","ocr_de":"462 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 2. Cap. Urogenitalapparat.\nyen, andererseits aus dem Plexus hypogastricus ; sensible Nerven f\u00fcr die Blase sollen durch den Plexus hypogastricus zum Stamm des N. sympathieus und von diesem durch die Rami communicantes aller Sacral- und Lumbarnerven zum R\u00fcckenmarke verlaufen.\nDie motorischen Functionen der Harnblase h\u00e4ngen, wie vielfach nachgewiesen ist, von bestimmten Stellen des centralen Nervensystems ab. So giebt es, wie in der Physiologie des R\u00fcckenmarkes 1 2 bereits er\u00f6rtert ist, im Lendenmark ein Centrum f\u00fcr die Verschlussmuskulatur der Harnblase, ebenso wie f\u00fcr die harnaustreibende Muskulatur. Nach Budge besteht eine motorische Nervenbahn f\u00fcr die Harnblase, die in den Pedunculi cerebri, Corpora restiformia, Medulla oblongata und den vorderen R\u00fcckenmarksstr\u00e4ngen bis zum Ende des R\u00fcckenmarks verl\u00e4uft.\nAuf reflectorischem Wege erzielte Bert 2 bei einem curarisirten Hunde Contraction der Harnblase durch Reizung des Nerv, ischiadi-cus, medianus und infraorbitalis ; schon vor l\u00e4ngerer Zeit habe ich gemeinschaftlich mit v. Basch, als wir darauf ausgingen, durch Reizung sensibler Nerven Reflexbewegungen der Ged\u00e4rme hervorzurufen, Contractionen der Blase als Folge einer elektrischen Reizung des Nerv, cruralis beobachtet. Die Angabe von Oehl 3 4 5, dass Erregung des centralen Vagusstumpfes Blasencontraction hervorruft (mit H\u00fclfe eines eingesetzten Manometers beobachtet) hat Kehrer 4 nicht best\u00e4tigt gefunden, indem er die Schwankungen im Manometerstand dem Drucke quergestreifter, reflectorisch erregter Muskeln auf die Blase zuschreibt. Auch Bert fand Reizung des Vagus, Sympathieus und Spianchnicus bez\u00fcglich des Auftretens rellectorischer Blasencon-tractionen unwirksam, w\u00e4hrend Budge 5 an curarisirten Thieren, bei denen die von Kehrer gemachten Einw\u00e4nde nicht zul\u00e4ssig sind, ebenfalls von der centralen Vagusreizung einen motorischen Erfolg auf die Harnblase sah.\nD i e V o r g \u00e4 n g e bei der normalen Harnsecretion d\u00fcrften sich in folgender Weise abspielen. Der in die Blase gelangte Harn veranlasst, wenn die Anf\u00fcllung derselben bis zu einem gewissen Grade gediehen ist, Sensationen, welche die erste Anregung zur\n1\tYergl. die Angaben in Bd. II. 2. S. 53, 66 dieses Handbuchs.\n2\tBert, Arch. d. physiol. II. p. 650. 1869.\n3\tOehl, Compt, rend. II. p. 340. 1865. In einer sp\u00e4teren Mittheilung, Gazz. lorab. 1868. 10\u201412, Schmidt\u2019s Jahrb. XCLI. S. 274. I860 kommt Oehl auf seine ersten Angaben zur\u00fcck; auch tritt er f\u00fcr eine directe Wirkung der Nerv, vagi auf die Harnblase ein.\n4\tKehrer, Ztschr. f. rat. Med. XXIX. S. 144. 1867.\n5\tBudge, Arch. f. d. ges. Physiol. II. S. 511. 1869.","page":462},{"file":"p0463.txt","language":"de","ocr_de":"Harnblase.\n463\nHarnentleerung geben. Die Nervenenden, die diese Sensationen vermitteln, werden wohl haupts\u00e4chlich in der Muscularis gesucht werden m\u00fcssen, da der Reiz des angesammelten Urins, trotzdem derselbe fortw\u00e4hrend mit der Mucosa in Ber\u00fchrung ist, doch erst wirksam wird, wenn die Ausdehnung einen gewissen Grad erreicht hat b\nWenn nun das Bed\u00fcrfniss, den Harn zu entleeren, nur eben so stark in das Bewusstsein tritt, dass hiermit noch keine irgendwie unangenehmen Empfindungen eintreten, so treten zwei Reihen von Erscheinungen auf, von denen die eine in das Gebiet der willk\u00fcrlichen, die andere in das der unwillk\u00fcrlichen Muskelcontractionen geh\u00f6rt. Willk\u00fcrlich k\u00f6nnen wir den M. sphincter urethrae erschlaffen und so ein Hinderniss f\u00fcr den Harnabfluss entfernen; ebenso k\u00f6nnen wir die Bauchpresse willk\u00fcrlich in Action setzen, um so einen den Ausfluss des Harns bef\u00f6rdernden Druck auf die Blase auszu\u00fcben.\nUnwillk\u00fcrlich, d. h. auf dem Wege des Reflexes contrahiren sich die glatten Muskelfasern der Harnblasenwandung. Hierbei wirkt aber der Detrusor nicht allein dadurch, dass er bei seiner Contraction die Blase ihres Inhaltes zu entleeren sucht, sondern noch in einer anderen von Kohlrausch2 er\u00f6rterten Weise. Ein grosser Theil der longitudinalen Detrusorfasern findet nemlich seine Anheftungspunkte an den Fasern des Sphincter. In Folge dieser Anordnung k\u00f6nnen die bei ausgedehnter Blase gespannten und nun mehr rechtwinklig einen Zug auf den Sphincter aus\u00fcbenden Fasern des Detrusor zur Er\u00f6ffnung der Blase beitragen, sobald sie in Contraction gerathen. Der Widerstand des Sphincter kann somit wahrscheinlich in zweifacher Weise gebrochen werden, durch ein Nachlassen seiner tonischen Innervation und einen von dem sich contrahirenden Detrusor auf ihn ausge\u00fcbten Zug.\nNach Budge 3 soll die harnaustreibende Muskulatur der Willk\u00fcr unterworfen sein, so dass es m\u00f6glich sei, die Blase zusammenzuziehen selbst wenn eben erst der Urin entleert worden sei. Wenn Budge meint, dass man hiervon ein deutliches Gef\u00fchl habe, so kann ich dem ebenso wenig wie Goltz 4 ganz zustimmen.\nEinen gewissen Einfluss der Willk\u00fcr auf die Harnentleerung kann man wohl aus der Erfahrung ableiten, dass es gelingt, ohne jeglichen\n1\tNach Ch. Bell l\u00f6st Ber\u00fchrung der Blasenschleimhaut in der N\u00e4he der Ureterenm\u00fcndungen sehr leicht Contractionen des Detrusor aus. (Cit\u00e2t nach C. Ludwig, Lehrb. etc. II. S. 431, der die Beobachtung aus Romberg\u2019s Lehrbuch der Nervenkrankheiten I. S. 406 entlehnt.)\n2\t0. Kohlrausch, Zur Anatomie und Physiologie der Beckenorgane S. 14. Leipzig 1S54.\n3\tBudge, Ztschr. f. rat. Med. XXIII. (3) S. 90.\n4\tGoltz, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 477. 1S74.","page":463},{"file":"p0464.txt","language":"de","ocr_de":"464 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 2. Cap. Urogenitalapparat.\nDrang sein* bald nach einer stattgehabten Excretion den Harn wieder zu entleeren, wobei es oft geraume Zeit dauert, bis es zum Ausfl\u00fcsse des Harns aus der Harnr\u00f6hre kommt. Diese Thatsaehe d\u00fcrfte wohl darauf beruhen, dass alsbald mit dem Wiedereinstr\u00f6men des Harns in die eben entleerte Blase das Reflexcentrum f\u00fcr die Detru-sorinnervation auch schon wieder beginnt, schwach in Action zu treten, und dass vom Hirn aus diese Th\u00e4tigkeit verst\u00e4rkt werden kann. Nach Kohlrausch 1 soll die unter den genannten Umst\u00e4nden zur Mitwirkung herangezogene Bauchpresse dadurch wirken, dass sie die Eingeweide von oben gegen den Scheitel der Blase dr\u00e4ngt, wodurch dieselbe abgeplattet wird. Hierdurch aber kommen die Fasern des Detrusor an ihrer Insertionsstelle am Sphincter in eine mehr rechtwinklige Lage und verm\u00f6gen dadurch ihre antagonistische zum Zustandekommen der Harnentleerung nothwendige Wirkung \u2014 die Er\u00f6ffnung des Sphincter \u2014 zu entfalten.\nWenn dem dringenden Bed\u00fcrfniss zu uriniren nicht Folge geleistet werden kann, so wird der Harn in der Blase nur noch durch den der Willk\u00fcr unterworfenen Muse, vesicae externus zur\u00fcckgehalten; hierbei entstehen zuckende Empfindungen im Mittelfleisch und dem Ges\u00e4sse. W\u00e4hrend eines solchen Zustandes ist der Harn wahrscheinlich schon in den Anfangstheil der Harnr\u00f6hre eingedrungen, was sich durch ein eigenth\u00fcmliches Gef\u00fchl kund giebt. Nach Aufheben des willk\u00fcrlichen Verschlusses erfolgt die Excretion mit grosser Schnelligkeit, woraus hervorgeht, dass die \u00fcbrigen der Harnentleerung dienenden oben erw\u00e4hnten Kr\u00e4fte schon vorher in voller Th\u00e4tigkeit waren.\nWenn das Centrum f\u00fcr die Innervation des Detrusor durch Erkrankungen, Verletzungen u. s. w. des Lendenmarkes ausser Function gesetzt worden, so vermag selbst die st\u00e4rkste Anstrengung der Bauchpresse eine Entleerung der Blase nicht mehr zu erzwingen.\nBei erigirtem Gliede ist es bekanntlich nicht m\u00f6glich, den Harn zu lassen. F\u00fcr diese Erscheinung hat Kobelt 2 folgende Erkl\u00e4rung gegeben. Das erectile Gewebe des Bulbus urethrae erstreckt sicli zwischen der Schleim- und Muskelhaut der Pars membranacea urethrae bis zum Caput > gallinaginis. Da nun dieser Abschnitt des Schwellgewebes an der allgemeinen Schwellung ebenfalls Theil nimmt, so wird durch diese Volums-vergr\u00f6sserung das Lumen der Pars prostatica urethrae in der Gegend des Caput gallinaginis verlegt. Durch diesen Mechanismus wird dem Harn der Weg nach vorn sowie dem Samen der nach hinten abgesclmitten.\n1\tKohlrausch, 1. c. S. 19.\n2\tG.L. Kobelt, Die m\u00e4nnlichen und weiblichen Wollustorgane S. 13. Freiburg i. B. 1844.","page":464},{"file":"p0465.txt","language":"de","ocr_de":"Uterusbewegungen.\n465\nIII. Die Bewegungen des Uterus1.\nAlle die Schwierigkeiten, die sich der Erforschung der Bewegungserscheinungen im Bereiche der glatten Muskulatur darbieten, kehren in besonders ausgepr\u00e4gter Weise beim Uterus wieder. Denn zu den schon fr\u00fcher angef\u00fchrten Umst\u00e4nden, die das Studium der Bewegungen der Eingeweide so sehr compliciren, tritt hier noch der hinzu, dass der Uterus nur in bestimmten Zeitabschnitten, denjenigen der Gravidit\u00e4t und Geburt, wesentlich in Action tritt. W\u00e4hrend er zu dieser Zeit eine massigere Entwicklung seiner Muskel- und wohl auch seiner Nervensubstanz darbietet, ist es fraglich, ob sich der Uterus im jungfr\u00e4ulichen oder nicht schwangeren Zustande \u00fcberhaupt im Vollbesitze derjenigen irrifabeln und co ntra etilen Ge webs eie mente befindet, die zur Vo 11 f\u00fchrung energischer Contractionen nothwendig erscheine n.\nIm Hinblick auf diese eigenth\u00fcmliche Stellung des Uterus in der Reihe der glattmuskeligen Organe darf man sich wohl darauf gefasst machen, dass er gewisse Eigenth\u00fcmlichkeiten seiner motorischen Reactionen aufweisen wird. Gleichwohl wird sich heraussteilen, dass eine Reihe auch sonst an Organen mit glatter Muskulatur vorkommender Erscheinungen in gleicher Weise am Uterus hervortritt.\nWas die Methode der Untersuchung betrifft, so ist man zun\u00e4chst von der von \u00e4lteren Experimentatoren ge\u00fcbten Beobachtung am eben get\u00f6dteten Thiere zur\u00fcckgekommen. Die Anwendung der Narcotica, die, vorsichtig applicirt, die Gesammtheit der f\u00fcr das Zustandekommen von Uterusbewegungen nothwendigen nerv\u00f6sen und muskul\u00f6sen Apparate nicht tiefgreifend sch\u00e4digen und der Gebrauch des Curare erm\u00f6glichen die Beobachtung am lebenden Thiere.\nAllgemein wird angegeben, dass der nicht tr\u00e4chtige Fruchthalter der meistentheils zu Versuchen ben\u00fctzten Fleischfresser (Hund, Katze) sich den gew\u00f6hnlich zur Anwendung kommenden Reizmitteln gegen\u00fcber sehr tr\u00e4ge zu verhalten pflegt. Kaninchen eignen sich weit besser zu Beobachtungen \u00fcber Uterusbewegungen. Nach der Empfehlung von Oser und Schlesinger 2 soll es ganz besondere Vortheile f\u00fcr die Versuche \u00fcber Uterusbewegungen bieten, Thiere zu ben\u00fctzen, die schon geschlechtsreif sind, aber noch nie geworfen haben; solche Thiere zeigen nach Er\u00f6ffnung der Beckenh\u00f6hle einen\n< 1 Oie Bewegungen des Uterus werden in der Lehre von der Zeugung nur soweit behandelt, als sie unmittelbare Beziehung zum Geburtsact haben.\n2 L. Oser & 5V. Schlesinger, Wiener med. Jahrb. I. S. 57. 1872.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Va.\t30","page":465},{"file":"p0466.txt","language":"de","ocr_de":"466 Sigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 2. Cap. Urogenitalapparat.\nflachen, bandf\u00f6rmigen, hellroth injicirten Uterus, der, wenn keine St\u00f6rungen in Athmung und Blutcirculation Platz greifen, sehr wenig Neigung zeigt in spontane Bewegungen zu verfallen ; gerade diese aber k\u00f6nnen, wie bereits fr\u00fcher bemerkt, sehr leicht Anlass zu Irrungen geben. Die Aussagen Oser\u2019s und Schlesinger\u2019s \u00fcber die Vortheile, welche Thiere von den angef\u00fchrten Eigenschaften f\u00fcr die Versuche am Uterus bieten, hat Roehrig 1 best\u00e4tigt. Cyon 2 dagegen hat geltend gemacht, dass der Uterus bei Thieren, die noch nicht geboren haben, sehr arm an Muskelfasern sei und gr\u00f6sstentkeils aus flbr\u00f6sem Gewebe bestehe, eine Behauptung, die doch erst genauerer Begr\u00fcndung durch histologische Untersuchung bed\u00fcrfte.\nWas den Modus der Uterusbewegungen betrifft, so kann man drei Typen (Kehrer1 2 3 4) unterscheiden, die aber nicht ganz strenge von einander zu trennen sind, da die eine Bewegungsform sich \u00f6fters an die andere anschliesst.\n1.\tDie Muskelsubstanz zeigt eine \u00f6rtliche Contraction, die sich in Form einer Einschn\u00fcrung kund giebt. (Station\u00e4re Einschn\u00fcrung oder Strictur.) Diese Form der Zusammenziehung zeigt sich besonders als Folge eines local applicirten Reizes.\n2.\tDie Bewegung ist eine fortschreitende, indem eine von einer bestimmten Stelle ausgehende Contraction nach einander \u00fcber benachbarte Strecken abl\u00e4uft. Die Richtung ist hierbei entweder von dem Tubarende nach dem Vaginalende hin gerichtet \u2014 peristaltisch oder umgekehrt \u2014 antiperistaltisch. Ihren Ausgangspunkt nehmen die peristaltischen und antiperistaltischen Bewegungen nicht immer an einer der M\u00fcndungen des Organs, sie k\u00f6nnen auch von anderen Stellen ihren Anfang nehmen. Christie 4 spricht dem Uterus eine peristaltische Bewegung im gew\u00f6hnlichen Sinne des Wortes ab, da die Contraction zwar von einem bestimmten Punkte ihren Anfang nehme und von da fortschreite, eine Erschlaffung der vorher con-trahirten Theile aber nicht eintr\u00e4te.\n3.\tDie dritte Form kann man als tetanische Zusammenziehung des Uterus bezeichnen. Die s\u00e4mmtlichen Muskelfasern des Organs ziehen sich gleichzeitig zusammen; es wird blass, hart, verk\u00fcrzt sich, die H\u00f6rner stellen sich auf und kn\u00e4ueln sich auch wohl zusammen.\n1\tR\u00f6hrig, Arch. f. pathol. Anat. LXXVI. S. 3. 1879.\n2\tCyon, Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 349. 1874.\n3\tF. A. Kehrer, Beitr\u00e4ge zur vergleichenden und experimentellen Geburtskunde. 1. Heft: Ueber die Zusammenziehungen des weiblichen Genitalcanals. Giessen 1864.\n4\tChristie, Edinb. med. journ. 1858. Dec. p.4Sl (Cit\u00e2t n. Meissner's Jahresber. 1859. S. 586).","page":466},{"file":"p0467.txt","language":"de","ocr_de":"Uterusnerven.\n467\nAbgesehen von directen auf den Uterus applicirten Reizen, hat man Bewegungen an demselben durch folgende Eingriffe hervorgerufen :\n1.\tDurch Einschr\u00e4nkung oder zeitweise Aufhebung der respiratorischen Erneuerung des Blutes kann man peristaltische oder teta-nische Contractionen des Uterus bewirken. (Oser und Schlesinger (1. C.), SCHLESINFER \\ R\u00d6HRIG (L C.).)\n2.\tAuf Verschliessung der Aorta erfolgt gew\u00f6hnlich tetanische Contraction des Uterus. (Spiegelberg1 2, Oser und Schlesinger (1. c.), R\u00fchrig (1. c.j, K\u00f6rner 3.) Negative Ergebnisse berichten von diesem Eingriffe Kehrer (1. c.), Obernier 4, v. Basch und Hofmann 5 6) (nach Beobachtungen am Hundeuterus).\nEinfluss des Xervensystems auf die Uterusbewegungen.\nAus \u00e4lteren Angaben von Valentin, Br\u00e4chet, Longet, Budge u. A. ging schon hervor, dass von verschiedenen Theilen des centralen Nervensystems aus Bewegungen des Uterus hervorzurufen sind. F. M. Kilian 6 nahm in einer umfangreichen Experimentaluntersuchung diesen Gegenstand wieder auf, der in der letzten Zeit vielfache Bearbeiter gefunden hat.\nWir stellen die wesentlichen Angaben, die sich aus den zahlreichen Versuchsreihen ergeben haben hier zusammen.\n1. Die Centren f\u00fcr die Bewegungen der Geb\u00e4rmutter linden sich haupts\u00e4chlich im Lumbartheile des R\u00fcckenmarkes. (Br\u00e4chet, Longet, Barlow 7 8.) Goltz neigt sich s dieser Ansicht haupts\u00e4chlich deswegen zu, weil er eine H\u00fcndin, der das R\u00fcckenmark in der Gegend des ersten Lendenwirbels durchschnitten worden war, ohne Kunsth\u00fclfe ein lebendiges Junges geb\u00e4ren sah ; dieselbe Beobachtung wurde auch von Heidenhain9 gemacht. R\u00fchrig (1. c.) tritt daf\u00fcr ein, dass\n1\tW. Schlesinger, Wiener med. Jahrb. 1S74.\n2\tSpiegelberg. Ztschr. f. rat. Med. II. (3) S. 1. 1858.\n3\tTh. K\u00f6rner, Studien d. physiol. Instituts zu Breslau III. S. 1. 1865 und Diss., De nervis uteri.\n4\tObernier, Exper. Untersuchungen \u00fcber die Nerven des Uterus. Bonn 1865.\n5\tv. Basch & Hofmann, Wiener med. Jahrb. 1877. S. 000.\n6\tF. M. Kilian, Einfluss d. Medulla oblong, auf die Bewegungen des Uterus {nach des Verfassers Hinscheiden herausgegeben von A. Mayer) in Zeitschr. f. rat. Med. II. (2) S. 1. 1852. In dieser Arbeit finden sich die genaueren Literaturnachweise \u00fcber die \u00e4lteren Angaben betreffs des Einflusses des Nervensystems auf die U terusbewegungen.\n7\tBarlow, Lancet 1847. No. 26.\n8\tGoltz, Arch. f. d. ges. Physiol. IX. S. 552. 1874.\n0 Heidenhain (nach Versuchen v. E. Kabierske), Arch. f. d. ges. Physiol. XIV. S. 518. 1877.\n30*","page":467},{"file":"p0468.txt","language":"de","ocr_de":"468 Sigmund Mayer. Bew. d. Yerdauungs- ctc. Apparate. 2. Cap. Urogenitalapparat.\ndie durch Dyspnoe und Compression der Aorta hervorgerufenen Bewegungen wesentlich auf eine durch die genannten Eingriffe hervorgerufene Reizung des Lendenmarks zu beziehen seien.\n2.\tAusser dem Lendenmark sind durch das ganze R\u00fcckenmark hindurch Centren f\u00fcr die Innervation der Geb\u00e4rmutter verbreitet (Kehrer (1. c.), K\u00f6rner (1. c.), Schlesinger (1. c.)j.\n3.\tDie Medulla oblongata wurde zuerst von F. M. Kilian (1. c.) f\u00fcr das Hauptcentrum der Bewegungen des Uterus angesprochen. Dieselbe Ansicht vertraten anfangs auch Oser und Schlesinger (1. c.) ; doch hat sp\u00e4ter Schlesinger die Centren f\u00fcr die Uterusbewegung' nicht mehr ausschliesslich in das verl\u00e4ngerte Mark verlegt. Wenn Oser und Schlesinger als St\u00fctze f\u00fcr die Behauptung, dass das Centrum f\u00fcr die Contractionen der Geb\u00e4rmutter in der Medulla oblongata gelegen sei, auch anf\u00fchrten, dass Kussmaul und Tenner 1 in einem Versuche, in dem sie bei einem Kaninchen die vier zum Kopfe aufsteigenden Arterien verschlossen hatten, den Geb\u00e4ract ein-treten sahen, so ist dieser Beobachtung geringe Bedeutung f\u00fcr den genannten Schluss beizulegen. Denn die Hirnarterienverschliessung nach der von Kussmaul und Tenner ge\u00fcbten Methode musste auch alsbaldige dyspnoische Beschaffenheit des Blutes im Gefolge haben, welche auch andere bei der Uterusinnervation betheiligte Tlieile des centralen Nervensystems zu'erregen im Stande war; hierdurch und durch die starke Wirkung der Bauchpresse k\u00f6nnte sehr gut die Ausstossung des Uterusinhaltes bewirkt worden sein.\n4.\tAls Hauptcentrum f\u00fcr die Uterusbewegungen sehen Budge2 3, Valentin und Spiegelberg (1. c.) das kleine Gehirn an, w\u00e4hrend Kehrer und K\u00f6rner die Bedeutung bestimmter Hirntheile f\u00fcr das Zustandekommen der Uteruscontractionen zugeben, aber auch dem R\u00fcckenmarke eine bestimmte Einwirkung vindiciren; Frankenii\u00e4u-ser 3 localisirt die Centren f\u00fcr die Anregung der Uterusmuskulatur in das Kleinhirn und die Medulla oblongata.\n5.\tEs hat auch nicht an Stimmen gefehlt, welche die Knoten des Sympathicus f\u00fcr die Einleitung der Uterusbewegungen verantwortlich machten. Dergleichen Aufstellungen, wie sie von Snow-Beck4, Simpson, v. Scanzoni5, Bertling6 und zum Theil auch\n1\tKussmaul & Tenner, Molesch. Unters. III. S. 79. 1857.\n2\tBudge, Unters, \u00fcberd. Nervensystem I. S. 174. 1841,11. S. 82. 1842.\n3\tFrankenh\u00e4user. Jenaische Ztschr. f. Med. u. Naturw. I. S. 35. 1864.\n4\tSnow-Beck, Med. Times 1851, der auch die einschl\u00e4gigen Beobachtungen von Simpson mittheilt (Schmidt\u2019s Jahrb. LXX1II. S. 67).\n5\tv. Scanzoni, Prager Vierteljahrschr. 6. Jahrg. XXIV. S. I. 1849.\n6\tBertling. Diss. Marburg 1853. Vergl. auch die Dissertation von Hedd\u00e4us. W\u00fcrzburg 1851.","page":468},{"file":"p0469.txt","language":"de","ocr_de":"Uterusnerven.\n469\nvon Obernier (1. c.) herr\u00fchren entbehren jeder eingehenden auf Versuchen beruhenden Begr\u00fcndung.\nUeber die peripherischen Nervenbahnen, auf denen sich die motorischen Impulse von den Centren nach dem Uterus zu bewegen, ist das Folgende zu bemerken.\nDie von F. M. Kilian (1. c.) herr\u00fchrende Angabe, dass haupts\u00e4chlich der Nerv, vagus die bewegungshervorbringenden Antriebe von der Med. oblongata zum Uterus leite, wurde von sp\u00e4teren Beobachtern nicht best\u00e4tigt. (Obernier, R\u00f6iirig u. A.) Spiegelberg hat die Meinung ausgesprochen, dass der Nerv, vagus indirect Uterusbewegungen hervorbringen k\u00f6nne dadurch, dass bei seiner Reizung Herzstillstand eintritt, der in seiner Wirkung einer vor\u00fcbergehenden Aortencompression gleich kommen soll.\nNach den Untersuchungen von K\u00f6rner, R\u00f6hrig u. A. sind die f\u00fcr die Uterusbewegungen wichtigsten Bahnen erstlich Nervi uterini, sympathische Nervengeflechte, die auf der Aorta und ihren Zweigen zur Geb\u00e4rmutter hinziehen; sodann dem R\u00fcckenmarke entspringende, ohne Vermittlung des sympathischen Systems zu dem Uterus tretende Nerven. Letztere, die Nervi uterini sacrales, verlassen nach der Untersuchung von K\u00f6rner das R\u00fcckenmark etwa in der Gegend des 3. und 4. Lendenwirbels, w\u00e4hrend die sympathischen Uterusnerven-zweige in der H\u00f6he des letzten Brustwirbels aus der Medulla spinalis austreten. (Kaninchen.)\nv. Basch und Hofmann (1. c.) beobachteten bei der H\u00fcndin, dass auf Reizung der Nervi hypogastrici (sympathische Bahn) ein Hervordr\u00e4ngen des Cervix und ein Oeffnen des Muttermundes stattfindet, bei Reizung der dem Sacralplexus entspringenden F\u00e4den aber ein Zur\u00fcckziehen des Cervix und ein Schliessen des ge\u00f6ffneten Muttermunds. In der beschriebenen Locomotion des Cervix sehen die g;e-nannten Autoren nur passive Vorg\u00e4nge; das Hervordr\u00e4ngen des Cervix etc. soll durch eine Contraction von Ringmuskelfasern, der umgekehrte A organg durch die Zusammenziehung von L\u00e4ngsmuskelfasern hervorgerufen werden.\nWir schliessen hier noch die Beobachtungen von Braxton Hicks 1 an, nach denen sich der Uterus vom dritten Schwangerschaftsmonate an in regelm\u00e4ssigen Pausen von 5\u201420 Min. contrahiren und die Contraction 3\u20145 Min. anhalten soll.\nDie Bewegungen der Geb\u00e4rmutter k\u00f6nnen auch reflectorisch\n1 Bkaxton Hicks, Brit. med. journ. No. 565 (Cit\u00e2t n. Centralbl. f. cl. med. Wiss. 1ST2. S. 32.","page":469},{"file":"p0470.txt","language":"de","ocr_de":"470 Sigmund Mayer. Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. 2. Cap. Urogenitalapparat.\nhervorgerufen werden. Wir erw\u00e4hnen in dieser Beziehung die Beobachtung von Schlesinger und R\u00f6hrig, welche auf elektrische Reizung der centralen St\u00fcmpfe gemischter Nervenst\u00e4mme Reflexbewegungen des Uterus auftreten sahen. Nach R\u00f6hrig 1 gen\u00fcgt selbst chemische und thermische Reizung der Haut, um Uterusbewegungen reflectorisch auszul\u00f6sen. Die Reizung der centralen St\u00fcmpfe der Nervi uterini sympathici und sacrales, sowie die Erregung der Ova-rialnerven ergiebt ebenfalls auf dem Wege des Reflexes eine motorische Wirkung auf den Uterus. Von der Reizung der Brustwarzen hatte Scanzoni schon fr\u00fcher gezeigt, dass sie in einer reflectorisehen Beziehung zu den Centren f\u00fcr die Uteruscontractionen steht.\nNach einer Beobachtung von J. R. Beck 2 zeigte sich bei der Untersuchung einer an einem Geb\u00e4rmuttervorfall leidenden Frau, dass der vorher geschlossene Muttermund nach mehrmaligem Streichen \u00fcber den Cervix sich auf Zollweite \u00f6ffnete und 5\u20146 schnappende Bewegungen machte, wobei das Os externum kr\u00e4ftig in den Cervix hineingezogen wurde. W\u00e4hrend die betreffenden Theile vorher sich hart anf\u00fchlten, wurden sie w\u00e4hrend der angef\u00fchrten Bewegungen weich. Dieser offenbar reflectorisch hervorgerufene Vorgang wird von Beck, Werrich u. A. als eine Art von Erection anfgefasst und mit dem Mechanismus f\u00fcr die Hereinbef\u00f6rderung des Sperma in den Uterus in Zusammenhang gebracht.\nEs soll schliesslich noch bemerkt werden, dass der Uterus das einzige Organ ist, dessen normale Bewegungen mit lebhafter Schmerzempfindung einhergehen.\nDie Ansichten \u00fcber die Momente, welche am Ende der Schwangerschaft von normaler Dauer den Uterus zu seinen auf die Ausstossung der Frucht gerichteten Zusammenziehungen bestimmen, werden zweck-massiger bei der Lehre von der Geburt zur Besprechung gelangen.\n1\tR\u00f6hrig. Berliner klin. Wochensckr. 1S75. Nr. 46.\n2\tJ. R. Beck. Med. and surg. reporter XXVII. No. 15. 1872 (Cit\u00e2t n. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1872. S. 894).","page":470},{"file":"p0471.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Physiologie der glatten Muskelfaser.\n471\nANHANG.\nBemerkungen zur allgemeinen Physiologie der\nglatten Muskelfaser1.\nW\u00e4hrend die Mannigfaltigkeit der Bewegungen innerhalb der animalischen Sph\u00e4re durch quergestreifte Muskulatur erzielt wird, sind die Bewegungsph\u00e4nomene im Bereiche der vegetativen und generativen Organcomplexe zum grossen Th eile an das Vorkommen von glatten Muskelfasern gekn\u00fcpft. Ganz durchgreifend ist jedoch dieser Vertheilungsmodus von glatter und quergestreifter Muskulatur nicht. Denn einerseits finden wir im Centralorgane des Kreislaufsapparates, dem Herzen, quergestreifte Muskelfasern, andererseits sind im Sehapparate f\u00fcr die Leistungen desselben wesentliche Bewegungen glatten Muskelfasern \u00fcbertragen, n\u00e4mlich den Muskellagen in der Iris und der Chorioidea.\nMehrfach kehrt in einigen Abhandlungen der neueren Zeit die Behauptung wieder, dass das Froschherz in seinem Ventrikel quergestreifte, in seinen Vorh\u00f6fen glatte Muskulatur f\u00fchre. Man kann sich jedoch durch sehr einfache Pr\u00e4parationen davon \u00fcberzeugen, dass sowohl der Ventrikel als auch die Vorh\u00f6fe aus quergestreiften Muskelfasern bestehen.\nA on den quergestreiften Muskeln haben neuere Untersuchungen gelehrt, dass dieselben nicht allenthalben mit gleichen Eigenschaften begabt sind, sondern dass sie sowohl r\u00fccksichtlich ihres Baues als auch ihrer Th\u00e4tigkeits\u00e4usserungen bemerkenswerthe Verschiedenheiten darbieten (rothe und blasse Muskeln, Raxvier, Kronecker). Aekn-liche Erscheinungen sind an den glatten Muskelfasern noch nicht mit derselben Sicherheit aufgedeckt; doch ist es sehr wahrscheinlich, dass zwischen den muskul\u00f6sen Bestandtheilen in den verschiedenen Organen nicht unwesentliche Verschiedenheiten in Bau und Leistungen existiren.\nDie mikroskopische Untersuchung der quergestreiften und glatten Muskulatur ergiebt Unterschiede, welche dazu dr\u00e4ngten, zwischen beiden Gewebsformen eine strenge Scheidewand aufzustellen. Gleich-\n1 Vergl. 1. Ed. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. III. 2. \u2014 2. M. Schiff. Le\u00e7ons s. 1. physiol, cl. 1. digestion II. p. 3s 1. \u2014 3. E. Oximus et Ch. Legros, Trait\u00e9 d\u2019\u00e9lectricit\u00e9 m\u00e9d. p. 033. Paris 1S72. Man vergl. auch Bd. I. 1 dieses Handbuchs: Allgemeine Muskelphysik und Chemie und Stoffwechsel der Muskeln.","page":471},{"file":"p0472.txt","language":"de","ocr_de":"47 2\nSigmund Mayer. Bew. d. Verdauungs- etc. Appaiate. Anhang.\nwohl zeigt es sich, dass an bestimmten Localit\u00e4ten sich die allm\u00e4hliche Umbildung der glatten Muskelfaser in die quergestreifte durch hinl\u00e4nglich charakterisirte Zwischenstufen feststellen l\u00e4sst. In derselben Weise sind auch die Th\u00e4tigkeits\u00e4usserungen der beiden Arten von Muskelgewebe gew\u00f6hnlich derart voneinander verschieden, dass eine strenge Sonderung derselben vollst\u00e4ndig gerechtfertigt erscheint ; andererseits ergeben sich wieder entschiedene Ann\u00e4herungen der Functionen der quergestreiften an die glatten Muskelfasern. Beiden Gewebsarten gemeinschaftlich ist die Grundeigenschaft der Contrac-tilit\u00e4t und die Beeinflussung derselben durch das F erven s}Tstem; durch letzteren Umstand unterscheidet sich die Muskel contract il it \u00e4t \u00fcberhaupt sehr wesentlich von der Contrac-tilit\u00e4t des Protoplasma.\nWenn man fr\u00fcher die willk\u00fcrliche Beherrschung der quergestreiften Muskeln der vom Willen unabh\u00e4ngigen Th\u00e4tigkeit der glatten Muskelfasern gegen\u00fcber stellte, so ist dieser Unterschied im Grossen und Ganzen festzuhalten. Es ist augenf\u00e4llig, dass wir \u00fcber die Bewegungen unserer Arme und Beine eine vom Willen abh\u00e4ngige Disposition besitzen, w\u00e4hrend wir z. B. vollst\u00e4ndig machtlos sind \u00fcber die Bewegungen des Darmes oder des Harnleiters.\nDass jedoch aus diesem Eingreifen des Willens in die Bewegungen der glatten und quergestreiften Muskulatur sich ein fundamentaler Unterschied zwischen beiden Muskelarten nicht herleiten l\u00e4sst, ergiebt sich aus mehreren bekannten Tliatsacken. Die Bewegungen des quergestreiften Herzmuskels sind vollst\u00e4ndig jeder Willk\u00fcr entzogen; die Atkembewegungen, die mit H\u00fclfe von quergestreiften Muskeln ausgef\u00fchrt werden, sind nur in beschr\u00e4nktem Maasse dem Willen untertk\u00e4nig. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Bewegungen der Irismuskulatur zum Theil willk\u00fcrlich sind. Denn wenn wir beabsichtigen f\u00fcr einen nahen Gegenstand zu accomodiren, so tritt eine Contraction des Sphincter iridis ein. Diese Bewegung f\u00fcr unwillk\u00fcrlich zu halten, wie dies gew\u00f6hnlich geschieht, sehen wir keinen Grund ein. Denn auch bei der Ausf\u00fchrung der zweifellos willk\u00fcrlichen Bewegungen wirkt der Wille nicht direct auf einzelne Muskeln, sondern derselbe ist lediglich gerichtet auf die Erreichung gewisser Zwecke, die allerdings nur mit H\u00fclfe der angesprochenen Muskeln zu erreichen ist. Ebenso ist bei der Accomodation f\u00fcr die F\u00e4he der Wille gerichtet auf die deutliche Wahrnehmung eines nahen Gegenstandes und eine hierzu nothwendige Bewegung wird vom Willen aus vollf\u00fchrt, ohne dass uns diese Innervation, ebenso wie bei den \u00fcbrigen willk\u00fcrlichen Bewegungen, direct als solche ins Be-","page":472},{"file":"p0473.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Physiologie der glatten Muskelfaser.\n473\nwusstsein tritt. Auch von der Innervation der Muskulatur der Harnblase wurde behauptet, dass sie willk\u00fcrlich eingeleitet werden k\u00f6nne.\nDie Frage nach der Abh\u00e4ngigkeit der glatten Muskulatur vom Willen f\u00fchrt uns zun\u00e4chst zur Er\u00f6rterung der Beziehungen, welche zwischen der glatten Muskulatur und dem Nervensystem bestehen. Wir werden hierbei sehen, dass in dieser Beziehung zwischen quergestreifter und glatter Muskelfaser vielfache Verschiedenheiten bestehen, ohne dass wir Veranlassung nehmen k\u00f6nnten, aus der Existenz derselben eine strenge und durchgreifende Scheidung der Th\u00e4tigkeits\u00e4usserungen beider Gewebsarten herzuleiten.\nZun\u00e4chst ist hervorzuheben, dass die von den grossen nerv\u00f6sen Centren, Hirn und K\u00fcckenmark, ausstrahlenden Nerven sich zu den quergestreiften Muskeln auf directem Wege hinbegeben, w\u00e4hrend die f\u00fcr die glatte Muskulatur bestimmten Nervenbahnen sehr gew\u00f6hnlich einen Umweg insofern einschlagen, als sie vorerst in das mit Nervenknoten ausgestattete sympathische System eintreten, um sich erst von hier aus in die betreffenden glattmuskeligen Organe einzusenken.\nDemgem\u00e4ss zeichnen sich die zu der glatten Muskulatur sich begebenden Nerven aus durch einen grossen Gehalt an marklosen und schmalen markhaltigen Nervenfasern. Die fr\u00fchere Auffassung aber, dass die glattmuskeligen Organe ausschliesslich vom Sympathies versorgt werden, ist kaum mehr durchzuf\u00fchren, insofern vielfach glatte Muskelfasern von unzweifelhaften cerebralen und spinalen Nervenf\u00e4den, die in keinerlei Beziehungen zum sympathischen System treten, innervirt werden.\nEine weitere Eigent\u00fcmlichkeit der Nervenverbreitung in den glatten Muskelfasern gegen\u00fcber den quergestreiften liegt darin, dass die Nervenver\u00e4stigungen innerhalb der glatten Muskeln vielfach mit Ganglienzellen versehen sind, w\u00e4hrend an quergestreiften Muskeln nur im Herzen, der Speiser\u00f6hrenmuskulatur und in der quergestreiften Irismuskulatur der V\u00f6gel gangli\u00f6se Gebilde nachgewiesen sind. Nicht alle glattmuskeligen Organe zeigen einen gleichen Gehalt an Nervenzellen. In den Muskellagen des Darmes sind sie z. B. sehr zahlreich vorhanden, w\u00e4hrend sie im Uterus, der Harnblase, in der Irismuskulatur sp\u00e4rlicher Vorkommen, in der Hauptmasse der Muskellagen des Ureter und der Blutgef\u00e4sse u. s. w. bislang gar nicht nachgewiesen werden konnten.\nWenn die Lehre von dem Einfl\u00fcsse des Nervensystems auf die glatte Muskulatur noch auf einer vergleichsweise sehr tiefen Stufe steht, so sind hierbei mehrere Umst\u00e4nde betheiligt. Die wesentlichen Thatsachen \u00fcber die Beeinflussung des quergestreif-","page":473},{"file":"p0474.txt","language":"de","ocr_de":"474\nSigmund Mayer. Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. Anhang.\nten Muskels durch, die zugeh\u00f6rigen Nerven wurden gewonnen durch das Studium des isolirten Froschnervmuskelapparates. Derartige einfache ersuchsobjecte lassen sich f\u00fcr die Erforschung des Nerveneinflusses auf die glatte Muskelfaser nicht gewinnen. W\u00e4hrend durch den Gebrauch des Curare die Ausschaltung der Nervenwirkung auf den quergestreiften Muskel mit Leichtigkeit erzielt werden kann, ist dies f\u00fcr das glatte Muskelgewebe nicht mit derselben Sicherheit zu erreichen; endlich bleiben dann hier immer noch die erw\u00e4hnten, theils thats\u00e4chlich erwiesenen, theils mit grosser K\u00fchnheit vielfach angenommenen intramuskul\u00e4ren Ganglienzellen zur\u00fcck, die der theoretischen Verwerthung der Thatsachen eine grosse, wenn auch vielfach \u00fcbertriebene Reserve auferlegen. Was aber ganz besonders st\u00f6rend in die Untersuchungen \u00fcber den Einfluss des Nervensystems auf die glatte Muskulatur eingreifen musste, ist die l\u00e4ngst bekannte Thatsacke, dass Organe mit glatter Muskulatur zu einer Zeit, da s\u00e4mmtliche andere Th eile des K\u00f6rpers (abgesehen von den matten, leistungsunf\u00e4higen Schl\u00e4gen des Herzens) bereits jede sichtbare Th\u00e4tigkeit eingestellt haben, in eine aus s erst lebhafte Action g\u00e9ra then, deren zureichende Erkl\u00e4rung zur Stunde noch nicht gegeben werden kann. Dass das Urtheil \u00fcber den Effect einer Nervenreizung im h\u00f6chsten Grade getr\u00fcbt werden muss, wenn die spontanen Bewegungen intercurriren, erscheint selbstverst\u00e4ndlich. Aber auch w\u00e4hrend des Lebens, unter Umst\u00e4nden, die sich der Norm m\u00f6glichst n\u00e4hern, ist die Eruirung des Nerveneinflusses dadurch sehr erschwert, dass die Nervenversorgung der glatten Muskulatur eine viel complicirtere ist als bei der quergestreiften, indem an zahlreichen Stellen feine F\u00e4den sich in dieselbe einsenken. Immerhin ist in der Erforschung der einschl\u00e4gigen Probleme ein bemerkenswertker Fortschritt zu consta-tiren, seitdem durch die Cardinalversucke von Bernard und Brown-S\u00e9quard die Combination \u201eNerv und glatte Muskelfas eider Arte ri en wand\u201c als ein vortreffliches Versuchsobject in die Experimentalphysiologie eingef\u00fchrt wurde.\nDa somit die Bewegungen der glatten Muskulatur in ihrer Abh\u00e4ngigkeit von den grossen nerv\u00f6sen Centren, mit denen sie in Zusammenhang stehen, nicht so unmittelbar der Beobachtung sich aufdr\u00e4ngen, wie dies hinsichtlich der quergestreiften der Fall ist, so wird es gerechtfertigt erscheinen, den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen von denjenigen Contractionsersckeinungen zu nehmen, die auftreten unter Bedingungen, bei denen an ein Eingreifen der nerv\u00f6sen Centralorgane nicht zu denken ist.","page":474},{"file":"p0475.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Physiologie der glatten Muskelfaser.\n47 5\nBetrachten wir z. B. die Ged\u00e4rme eines eben get\u00f6dteten Thieres, an dem die quergestreifte Muskulatur, abgesehen von vereinzelten Zuckungen und fibrill\u00e4ren Bewegungen, in Ruhe verharrt, so sehen wir, wie sich einestheils Einschn\u00fcrungen bilden, welche von oben nach unten langsam fortlaufen und wie ausserdem eine hin- und herschiebende Bewegung der Darmschlingen stattfindet. Diese eigen-th\u00fcmliche, in gesetzm\u00e4ssiger Weise von Querschnitt zu Querschnitt fortschreitende Bewegung, die nur der glatten Muskulatur zukommt, f\u00fchrt bekanntlich den Namen der peristaltischen Bewegungen oder der Peristaltik.\nDie Unabh\u00e4ngigkeit derselben von den centralen Nervengebilden wird zun\u00e4chst durch den Fundamental versuch erwiesen, dass dieselbe nicht aufgehoben wird durch die vollst\u00e4ndige Entfernung der Eingeweide aus dem Thiere. Da derselbe Versuch auch an dem Ureter gelingt, an dem Engelmann1 eine Reihe wichtiger Studien \u00fcber die peristaltische Bewegung angestellt hat, so d\u00fcrfen wir wohl mit Recht die an diesem Objecte gewonnenen Resultate bei unseren Er\u00f6rterungen \u00fcber die peristaltische Bewegung der glatten Muskulatur \u00fcberhaupt mit in Ber\u00fccksichtigung ziehen.\nDa die Bedingungen, unter denen die Bewegungen der glatten Muskulatur an den verschiedenen Orten ihres Vorkommens auftreten, bei der speciellen Analyse der verschiedenen Organcomplexe n\u00e4her er\u00f6rtert wurden, so kann hier nur auf das Allgemeine der Erscheinungen R\u00fccksicht genommen werden.\nAls Reize f\u00fcr die glatte Muskulatur haben wir dieselben Agen-tien wie f\u00fcr die quergestreifte anzuf\u00fchren. Elektrische, thermische, chemische und mechanische Eingriffe verm\u00f6gen dieselbe zur Contraction anzuregen.\nWas die elektrische Reizung betrifft, so ist dieselbe bereits an anderer Stelle zur Er\u00f6rterung gelangt; \u00fcber den Einfluss chemischer Reize ist Nichts bekannt.\nMechanische Eingriffe wirken in verschiedener Weise auf die glatte Muskelfaser, wenn dieselbe vom Centralorgan isolirt ist. Entweder tritt nur eine locale Einschn\u00fcrung auf oder eine peristaltisch fortschreitende Contraction. Ersteres beobachtet man z. B. an der mittleren Ohrarterie des Kaninchens, letzteres am Darm (wenn auch nicht ausnahmslos) und ganz besonders sch\u00f6n am Ureter. Hier kann man sich auch sehr gut davon \u00fcberzeugen, dass die Bewegung von der\n1 Engelmann. Arch. f. d. ges. Physiol. II. S. 243. 1S69 : Arch. f. mikroskop. Anat. XV. S. 255. 1S7S.","page":475},{"file":"p0476.txt","language":"de","ocr_de":"Sigmund Mayer, Bew. cl. Yerdauungs- etc. Apparate. Anhang.\n47 6\ngereizten Stelle aus nach beiden Seiten (peristaltisch und antiperistaltisch) fortschreiten kann.\nBesondere Beachtung verdient aber die leicht zu constatirende, aber bisher wenig gew\u00fcrdigte Thatsache, dass an den Muskelfasern der Gef\u00e4sse, die, verm\u00f6ge ihrer Innervation von den grossen nerv\u00f6sen Centren aus, sich in einem Zustande wechselnder Contraction und Erschlaffung befinden, mechanische Beizung z. B. durch Streichen mit einer Nadel, eine locale Erweiterung hervorbringt. Dass es sich hier um eine von der Muskelfaser selbst ausgehende Erscheinung handelt, ist schwer zu erweisen, da ebensowohl ein Reflex-ph\u00e4nomen (was wegen der engen Begrenzung des Effectes ziemlich unwahrscheinlich ist) im Spiele sein k\u00f6nnte, als auch eine Wirkung auf die intramuskul\u00e4ren Nerven. Da jedoch nach meinen Beobachtungen eine locale Erweiterung an den Arterien auch dann noch durch massiges Reiben derselben sich erzielen l\u00e4sst, wenn nach vorgenommener Excision von grossen St\u00fccken aus dem Nerv, sympa-thicus und dem Nerv, auricularis magnus und eingetretener Degeneration der Nerven die consecutive starke Gef\u00e4sserweiterung wieder zu-r\u00fcckgegangen war, so scheint hier wirklich eine directe erschlaffende Wirkung auf die glatte Muskelfaser vorzuliegen. St\u00e4rkere mechanische Insulte der glatten Muskelfaser rufen f\u00fcr gew\u00f6hnlich eine Contraction hervor.\nDie Wirkung thermischer Reize auf die glatte Muskelfaser ist noch wenig untersucht. Auch hier scheint sich das merkw\u00fcrdige Verhalten herauszustellen, dass durch Einwirkung verschiedener Temperaturen theils Erschlaffung, theils Verk\u00fcrzung herbeigef\u00fchrt werden kann. Gk\u00fcnhagen und Samkowy 1 haben nach dieser Richtung hin experimentirt und fanden, dass die lebende glatte Muskulatur des Frosches sich ausdehnt bei Erw\u00e4rmung, sich contrahirt bei Abk\u00fchlung und dass dasselbe Gewebe bei S\u00e4ugethieren sich umgekehrt verh\u00e4lt. Die Erschlaffung der glatten Muskelfaser durch thermische Einwirkung kann man auch sehr gut beobachten, wenn man einer kleinen Arterie einen heissen K\u00f6rper vorsichtig n\u00e4hert; \u00fcber den n\u00e4chsten Ausgangspunkt dieser Erschlaffung l\u00e4sst sich \u00fcbrigens keine bestimmte Aussage machen.\nDass auf Reizung der glatten Muskulatur die Verk\u00fcrzung langsam entsteht und ebenso langsam vergeht, geh\u00f6rt zu den \u00e4ltesten Beobachtungen an diesem Gewebe. Doch scheinen gerade hinsicht-\n1 Samkowy, Arch. f. cl. ges. Physiol. IX. S. 399.1S74. \u2014 Samkowy & Gr\u00fcnhagen, Ebenda X. 165. 1875.","page":476},{"file":"p0477.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Physiologie der glatten Muskelfaser.\n477\nlieb dieses Punktes Verschiedenheiten in dem Verhalten der Muskelfasern an verschiedenen Legalit\u00e4ten zu herrschen b\nWas die Reizbarkeit und ihre Abh\u00e4ngigkeit derselben von verschiedenen Bedingungen betrifft, so ist zun\u00e4chst zu bemerken, dass dieselbe ziemlich lange den Tod \u00fcberdauert. Sodann steigt und f\u00e4llt sie mit der Temperatur; St\u00f6rungen in der Circulation setzen sie herab. Deutlich ist der Einfluss der Erm\u00fcdung, indem am Ureter unmittelbar nach Ablauf einer Contraction sich erst einige Zeit nachher wieder eine zweite durch mechanischen Reiz ausl\u00f6sen liess (Engelmann, 1. c.).\nDie Abh\u00e4ngigkeit der glatten M u s k e If as e r n vom centralen Nervensystem ergiebt sich zun\u00e4chst aus den Resultaten der Versuche mit Durchschneidung und k\u00fcnstlicher Erregung der Nerven.\nDie Muskulatur der Arterien erschlafft nach der Durchtrennung der sie versorgenden Nerven und es kann, trotz neuerdings versuchter anderweitiger Deutungen dieser Erscheinungen, kein Zweifel dar\u00fcber obwalten, dass es sich hierbei um den Wegfall einer von den nerv\u00f6sen Centralorganen ausgehenden Erregung handelt. Auch f\u00fcr andere glattmuskelige Organe, wie z. B. gewisse Abschnitte des Oesophagus, die Harnblase etc. l\u00e4sst sich aus den Resultaten sowohl von Versuchen als auch von pathologischen Beobachtungen die Abh\u00e4ngigkeit von den grossen nerv\u00f6sen Centren ableiten.\nZwischen dem Verhalten der quergestreiften und der glatten Muskelfaser nach Trennung ihrer Nerven vom Centralorgan zeigt sich insofern eine bisher nicht hinl\u00e4nglich hervorgehobene Analogie, als die aut diesen Eingriff erfolgende Erschlaffung keine dauernde ist. Nach einigen Tagen (etwa vom 4. Tage ab) stellen sich in den quergestreiften Muskeln zitternde Bewegungen ein (L\u00e4hmungsoscil-lationen, Schiff, Beowx-Sequard), die glatte Muskulatur der Arterien ger\u00e4th allm\u00e4hlich wieder in einen Zustand mittlerer Contraction. Da ich 1 2 von den Oscillationen gel\u00e4hmter Muskeln gezeigt habe, dass sie der Curare Vergiftung widerstehen, also wahrscheinlich von der Muskelsubstanz ausgehen, so d\u00fcrfte ein Gleiches wohl auch hinsichtlich der sich wieder ausbildenden Contraction nach Nervendurchschnei-\n1 Ueber die Einwirkung des Lichtes auf die glatte Muskulatur der Iris vergl. Bd. I. S. 106 dieses Handbuchs. Zu der dort angezogenen Literatur \u00fcber diesen Gegenstand ist noch nachzutragen: Edgren (Holmgren), Hofmann\u2019s A Schwalbe\u2019s Jahresber. 1S76. S. 103 und Gysi (Luchsinger), Beitr\u00e4ge z. Physiol, d. Iris. (Berner Inauguraldiss.) Aarau 1b79.\n- Sigmund Mayer, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1S78. S. 579, 594. Yergl. auch Bleuler & Lehmann, Arch. f. d. ges. Physiol. XX. S. 354. 1S79.","page":477},{"file":"p0478.txt","language":"de","ocr_de":"478\nSigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. Anhang.\ndung bei der glatten Faser der Fall sein h Wenn hier und da gelehrt wird, dass die mittlere Ohrarterie des Kaninchens auch nach der Excision grosser St\u00fccke aus dem Sympathicus und Auricular is ma gnu s noch die von Schiff beschriebenen Schwankungen des Lumens zeigt, so muss ich nach meinen zahlreichen Beobachtungen das Gegentheil behaupten; die nach der genannten Operation auftretenden geringf\u00fcgigen Aenderungen im Lumen der arteriellen Gef\u00e4sse entstehen vielmehr unter dem Einfl\u00fcsse mehr oder weniger rhythmischer Schwankungen des Blutdruckes, wie sie beim Kaninchen sehr h\u00e4ufig auftreten.\nDass aber das Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltniss zwischen glatter Muskulatur und centralem Nervensystem sich nicht allenthalben in der relativ einfachen Weise, wie dies eben geschehen ist, formuliren l\u00e4sst, geht aus verschiedenen Reihen von Thatsachen hervor. So hat Goltz 1 2 beobachtet, dass nach Durchschneidung der Nervi vagi oder nach Zerst\u00f6rung von Hirn und R\u00fcckenmark beim Frosche die glatten Muskelfasern des Schlundes, der Speiser\u00f6hre und des Magens in heftige Con-tractionen gerathen. Diese Contractionen d\u00fcrften wohl auch im Wesentlichen dieselben Ursachen haben, wie die oben erw\u00e4hnten oft \u00e4usserst heftigen postmortalen Contractionen am Darmrohre. Die theoretischen Vorstellungen, die man sich nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse hier\u00fcber bilden kann, sollen sp\u00e4ter entwickelt werden.\nDie Beeinflussung der glatten Muskelfasern von den nerv\u00f6sen Centren aus, insofern es sich um Hervorrufung von Contractions- oder Erschlaffungszust\u00e4nden handelt, geschieht auf dieselben Reize, die auch bei der Erregung der quergestreiften Muskulatur unter Vermittelung des Hirns und R\u00fcckenmarks wirksam sind.\nSo sehen wir die Kreismuskeln der Blutgef\u00e4sse vom Gehirn aus sowohl durch automatische wie reflectorische Erregung desselben entweder in Contraction (bei der Dyspnoe, pressorische Reflexe) oder in Erschlaffung gerathen (depressorische Reflexe). Es sind jedoch auch Erscheinungen bekannt geworden, in denen auf dem Wege offenbar reflectorischer Erregung Bewegungen auftreten, die nicht auf dem Wege der Uebertragung von centripetalen auf centrifugale Bahnen erkl\u00e4rbar sind in der Weise, wie man sich dies gew\u00f6hnlich vorstellt.\n1\tIch bemerke ausdr\u00fccklich, dass ich diesem aus der 'Wirkungsweise des Curare abgeleiteten Schl\u00fcsse nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuerkenne, da eine zureichende Theorie der Curarevergiftung bis jetzt nicht vorliegt. Ganz in j\u00fcngster Zeit habe ich Erfahrungen gemacht, die nach dieser Richtung zur gr\u00f6ssten Vorsicht mahnen.\n2\tGoltz, Arch. f. d. ges. Physiol. VI. S. 616. 1872.","page":478},{"file":"p0479.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Physiologie der glatten Muskelfaser.\n479\nSo fand Goltz (1. c.) beim Frosche, dass durch Reizung sensibler peripherer Bezirke starke langandauernde Contractionen in der Speiser\u00f6hre und im Magen entstehen; da nun die Nervi vagi nach ihrer Durchschneidung, wie oben bemerkt, nicht L\u00e4hmung, sondern Bewegung in ihrem Gefolge haben, so muss hier ein reflectorischer Vorgang anderer Art, als der f\u00fcr gew\u00f6hnlich statuirte, vorliegen.\nAls Centralorgan f\u00fcr die Einwirkungen auf glattmuskelige Organe kann sowohl das Gehirn, wie das R\u00fcckenmark fungiren.\nAus Gr\u00fcnden der formalen Darstellung wollen wir den Einfluss des Sympathicus und der intramuscul\u00e4ren Ganglienanh\u00e4ufungen in die nun anzustellenden allgemeinen Betrachtungen \u00fcber den Einfluss des Nervensystems auf die glatten Muskelfasern einflechten.\nDass das Nervensystem offenbar in wesentlich verschiedener Weise auf die Fasern verschiedener glattmuskeliger Organe einwirkt, ergiebt sich schon aus einer oberfl\u00e4chlichen Betrachtung der verschiedenartigsten Functionen, die an dieselben gekn\u00fcpft sind. Je mehr ein Organ mit glatten Muskelfasern in seinen Functionen an die quergestreifte heranstreift, desto deutlicher ergiebt sich auch seine directe Abh\u00e4ngigkeit vom nerv\u00f6sen Centralsystem, wie z. B. bei der Irismuskulatur, den muskul\u00f6sen Bestandteilen der Harnblase u. s. w. Die Muskulatur der Blutgef\u00e4sse n\u00e4hert sich in ihrem Verhalten offenbar dem Herzen, insofern sie, gerade so wie diejenige des Herzens, die bestimmenden Ursachen ihrer Th\u00e4tigkeit zwar in sich selbst tr\u00e4gt, in zwiefacher Weise aber vom Centralorgan beeinflusst zu werden vermag, d. h. entweder zur verst\u00e4rkten oder verminderten Contraction angeregt werden kann.\nEiner zur Zeit fast allgemeinen adoptirten Hypothese zu Folge, deren Grundlagen n\u00e4her zu pr\u00fcfen uns hier nicht obliegt, werden die Vorg\u00e4nge, denen die rhythmische Contraction des Herzens ihre Entstehung verdankt, in die Ganglienzellengruppen, die sich in verschiedenen Abschnitten des Herzens vorfinden, verlegt. Diese Hypothese fortspinnend hat man die Thatsache, dass entnervte Gef\u00e4sse wieder in Contraction gerathen, so erkl\u00e4ren wollen, dass man peripherische Ganglienzellen statuirte, die diesen neuen Contractionsvor-gang einleiten sollen. Ausserdem schritt man zur Annahme, dass diese Th\u00e4tigkeit der Ganglienzellen durch vasoconstrictorische Fasern angeregt, durch vasodilatatorische gehemmt werden k\u00f6nne. Allen derartigen Hypothesen wird jeglicher Boden zun\u00e4chst dadurch entzogen, dass die postulirten Ganglienzellen thats\u00e4chiich nicht nach gewiesen sind. Sodann aber haben wir bereits oben erw\u00e4hnt, dass glatte und quergestreifte Muskelfasern","page":479},{"file":"p0480.txt","language":"de","ocr_de":"480\nSigmund Mayer, Bew. d. Yerdauungs- etc. Apparate. Anhang.\nnach Ausschaltung der Einwirkung des centralen Nervensystems insofern sich \u00e4hnlich verhalten, als sie in einen dauernden massigen Grad von Contraction gerathen. Wir wollen hier noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, in dem die Analogie zwischen glatter und quergestreifter Muskelfaser hervortritt. Trennt man die Nerven, die sich zu glatter Gef\u00e4ssmuskulatur begeben oder die motorischen Nerven der Gesichts- oder Zungenmuskeln auf irgend eine Weise vom Centralorgan, sistirt dann f\u00fcr kurze Zeit (5 \u2014 10 Minuten) die Blut-zufuhr, und l\u00e4sst dann den Blutstrom wieder frei, so contra hire n sich alsbald sowohl die Gef\u00e4sse, wie die genannten quergestreiften Muskeln (postan\u00e4mische Bewegungen)l. Da bei letzteren die Bewegungen gehemmt werden durch Einverleibung von Curare, so liegt Grund vor zur Annahme, dass das intramuscul\u00e4re Nervensystem der Ausgangspunkt der Bewegung ist. Da aber in den Nerven der beiden genannten Muskelarten Ganglienzellen fehlen, so spricht dies f\u00fcr die M\u00f6glichkeit auch einer rhythmischen Erregung derselben durch directe Beeinflussung der Muskel- und Nerven subs tanz ohne Intervention von Ganglienzellen.\nGanz allgemein hat man in neuerer Zeit f\u00fcr das Zustandekommen der peristaltischen Bewegungen, wie sie in typischer Weise an den D\u00e4rmen und am Ureter wahrgenommen werden, die Tli\u00e4tig-keit von intramuscul\u00e4ren Ganglienzellen als noth wendig hingestellt. Gegen diese auf \u00e4usserst schwachen Grundlagen ruhende Hypothese hat Engelmann (1. c.) Einsprache erhoben, indem er sich haupts\u00e4chlich auf die Resultate seiner mikroskopischen Untersuchungen des Ureter st\u00fctzt, denen zu Folge thats\u00e4chlich ganglienzellenfreie St\u00fccke noch peristaltische und antiperistaltische Bewegungen zeigen, anderen-theils die Anzahl der wahrnehmbaren Nervenendigungen zu gering erscheint, um die Bewegungen des Ureter \u00fcberhaupt als direct vom Nervensystem beeinflusste anzusehen. Wir k\u00f6nnen uns der Engel-MANN\u2019scken Theorie insofern anschliessen, als wir die Nothwendig-keit der Betheiligung peripherischer Ganglienzellen bei der Entstehung peristaltischer Bewegungen f\u00fcr durchaus unerwiesen halten ; selbst f\u00fcr den Fall, dass ihre Abwesenheit in dem gr\u00f6ssten Theile der Muskelwandungen des Ureter nicht dargethan w\u00e4re, so w\u00e4re ihre Mitwirkung bei der Hervorbringung der Peristaltik des Ureter doch aus dem Grunde sehr zweifelhaft, weil derartige Ganglienzellengruppen von gleicher Configuration und gleichem Baue allenthalben im K\u00f6rper zerstreut sind, deren Functionen also doch wohl andere sein m\u00fcssen, als peristaltische Bewegungen einzuleiten.\n1 Sigmund Mayer, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1878. S. 579, 594.","page":480},{"file":"p0481.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Physiologie der glatten Muskelfaser.\n481\nEngelmann glaubt, dass w\u00e4hrend des Lebens eine Trennung der Muskelmasse in einzelne Fasern durch Spalten von viel geringeren Dimensionen hergestellt sei, als dies nach Beobachtungen an abgestorbenen Theilen scheine, und dass der Ureter sich in functio-neller Beziehung verhalte, wie eine colossale, hohle Muskelfaser. Diese Muskelfaser sei automatisch d. h. durch specifische in derselben vor sich gehende Stoffwechselvorg\u00e4nge erregbar ; der Erregungsvorgang aber k\u00f6nne sich von Stelle zu Stelle ohne Betheiligung von Nervenfasern durch Contact fortpflanzen.\nMit Engelmann\u2019s Anschauungen kann ich insoweit vollst\u00e4ndig \u00fcbereinstimmen, dass ich der glatten Muskelfaser mit peristalti-scher Bewegung automatische Erregbarkeit zuschreibe, dass ich die regul\u00e4re Fortpflanzung der Erregung wesentlich auf Rechnung der Muskelsubstanz selbst setze und dass ich die wichtige Rolle, die man den intramuscul\u00e4ren Ganglienzellengruppen bei der Hervorbringung der peristaltischen Bewegungen zuzuschreiben pflegt, f\u00fcr vollst\u00e4ndig unerwiesen ansehe. Die ENGELMANN\u2019sche Theorie aber m\u00f6chte\no\nich dahin erweitern, dass ich den Einfluss, den nachweislich die nerv\u00f6sen Centralorgane auf Organe mit glatten Muskeln und peristal-tischer Bewegung aus\u00fcben, nicht so sehr in den Hintergrund stelle, wie dies von der genannten Theorie geschieht. Diesen Einfluss aber kann man nach den oben vorgebrachten Thatsachen wohl dahin pr\u00e4-cisiren, dass man sagt: Die peripherisch auf die glatten Muskelfasern wirkenden Reize werden nur dann motorisch wirksam, wenn die von den Centralorganen ausgehenden Impulse die Muskelfaser in einem zum Wirksa mwerden des Reizes geeigneten Zustande erhalten resp. den letzteren hervorbringen. Demgem\u00e4ss m\u00fcsste man annehmen, dass zu den glattmuskeligen mit peristaltischer Bewegung versehenen Organen vom Centralorgane zwei antagonistische Erregungsformen verlaufen k\u00f6nnen:\n1.\teine hemmende, das Zustandekommen von Bewegungen unter dem Einfl\u00fcsse der peripherischen Reize hindernde,\n2.\teine erregende, mit der entgegengesetzten Wirkung.\nDa nach dieser Anschauung die Nerven zu der glatten Muskelfaser in einer weniger directen Beziehung stehen, als dies bei der' quergestreiften der Fall ist, so w\u00fcrden sich hieraus die oft so unregelm\u00e4ssigen Erfolge der k\u00fcnstlichen Nervenerregung erkl\u00e4ren lassen.\nFragen wir endlich nach denjenigen Erregungsformen, durch welche die Th\u00e4tigkeit der Centralorgane gegen\u00fcber den Organen mit glatten Muskelfasern wach gerufen wird, so d\u00fcrften hier haupts\u00e4chlich reflectorische Erregungen ins Spiel kommen.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Va.\t31","page":481},{"file":"p0482.txt","language":"de","ocr_de":"482\nSigmund Mayer, Bew. d. Verdauimgs- etc. Apparate. Anhang.\nDass die Organe mit glatten Muskelfasern auf dem Wege cen-tripetaler Nerven mit den nerv\u00f6sen Centren in Communication stehen, wird dadurch bewiesen, dass viele glattmuskelige Organe, obwohl sie w\u00e4hrend des normalen Ablaufes der Functionen f\u00fcr gew\u00f6hnlich dem Bewusstsein so gut wie gar keine Sensationen vermitteln, entweder unter krankhaften Bedingungen oder normal der Sitz heftiger Schmerzempfindungen werden, die an den Vorgang der Contraction gekn\u00fcpft zu sein scheinen (Kolikschmerzen, Wehenschmerzen).\n/\nDrues von J. B. Hirschfeld in Leipzig.","page":482}],"identifier":"lit37394","issued":"1881","language":"de","pages":"399-482","startpages":"399","title":"Zweiter Theil: Die Bewegungen der Verdauungs-, Absonderungs- und Fortpflanzungsapparate nebst einem Anhang ueber die allgemeine Physiologie der glatten Muskeln","type":"Book Section","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:42:00.973861+00:00"}

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