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{"created":"2022-01-31T14:44:21.443299+00:00","id":"lit37566","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Ibrahim, J.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 64: 95-99","fulltext":[{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verdauungsphysiologie des menschlichen Neugeborenen.\nVon\nJ. Ibrahim.\n(Aus dem Gisela-Kinderspital in M\u00fcnchen.)\nDer Redaktion zugegangen am 16. Dezember 1905).)\nAm 5. XII. 09 wurde in das Spital ein 2 Tage altes Kind aufgenommen, bei dem die klinische Beobachtung bald erwies, da\u00df eine Atresie der Speiser\u00f6hre, etwa in der H\u00f6he der Lungen-^ wurzel, bestand. Klinische Erw\u00e4gungen, auf die an dieser Stelle nicht n\u00e4her eingegangen werden soll, sprachen daf\u00fcr, da\u00df eine Kommunikation des unteren Oesophagusabschnittes mit den gro\u00dfen Luftwegen vorhanden war. Diese Annahme wurde durch die am 12. XII. 09 ausgef\u00fchrte Sektion best\u00e4tigt. Der Oesophagus endete etwa 5 cm unterhalb des Pharynx als etwas erweiterter Blindsack, w\u00e4hrend der untere Abschnitt der Speiser\u00f6hre in die Trachea einm\u00fcndete.\nBei dem Kinde war durch Herrn Prof. v. St \u00fcben rauch am 6. XII. eine Magenfistel angelegt worden. Die Fistel\u00f6ffnung sa\u00df an der vorderen Magenwand im Bereich des Corpus ven-triculi nahe der gro\u00dfen Kurvatur. In die Fistel\u00f6ffnung wurde ein St\u00fcckchen Gummischlauch eingen\u00e4ht, um eine Ern\u00e4hrung des Kindes durch die Fistel zu erm\u00f6glichen. Die regelm\u00e4\u00dfige Zufuhr von abgedr\u00fcckter Frauenmilch lie\u00df sich gut durchf\u00fchren. Die Verdauung schien ungest\u00f6rt. Das Kind starb an Aspiratio\u2019ns-pneumonien, die bei der Kommunikation der Speiser\u00f6hre mit den Luftwegen nicht verh\u00fctet werden konnten.\nEs sei in K\u00fcrze \u00fcber einige wenige Beobachtungen berichtet, die sich an dem Kinde anstellen lie\u00dfen. Die Fistel gestattete leider kein Studium der Sekretionsverh\u00e4ltnisse des Magensaftes, denn das Gummir\u00f6hrchen ragte ziemlich weit in das Innere des Magens hinein; auch konnte etwas Saft neben","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nJ. Ibrahim,\ndem R\u00f6hrchen nach au\u00dfen austreten; diese beiden Umst\u00e4nde machten ein quantitatives Auffangen von Saft unm\u00f6glich. Es lag ja sehr nahe, den Versuch zu machen, eine durch Saugen am Schnuller psychisch bezw. reflektorisch bedingte Absonderung von Magensaft zu erzielen, analog den bekannten Versuchen von Cohnheim und Soetbeer,1) die k\u00fcrzlich durch Noth mann-*) eine wertvolle Best\u00e4tigung und Erg\u00e4nzung erfahren haben. Es gelang aber nicht, ein eindeutiges Ergebnis zu erzielen. Ich vermute, da\u00df die Erkl\u00e4rung hierf\u00fcr lediglich in den erw\u00e4hnten mechanischen Verh\u00e4ltnissen zu suchen ist.\nDagegen gl\u00fcckte es am 10. XII. 3 V* Stunden nach der letzten F\u00fctterung (30 g Frauenmilch) aus dem sonst offenbar leeren Magen eine geringe Menge reinen Magensaftes zu gewinnen; es waren etwa drei gr\u00f6\u00dfere Tropfen einer fast wasserklaren Fl\u00fcssigkeit, die blaues Lackmuspapier intensiv r\u00f6tete; Kongopapier wurde durch sie nicht gebl\u00e4ut.\nAus letzterer Tatsache d\u00fcrfen wohl keine Schl\u00fcsse auf das Fehlen von Salzs\u00e4ure im Magensaft gezogen werden; denn bei dem Leidendes Kindes ist eine Abstumpfung der freien Salzs\u00e4ure durch alkalischen Schleim oder Speichel denkbar. Der Entleerung des Magensaftes waren Saugversuche vorangegangen, die aber nur kurz fortgesetzt worden waren, da das Kind an diesem Tage nicht zu regelrechtem Saugen veranla\u00dft werden konnte.\nEin Tropfen des Saftes wurde mit etwa der vierfachen Menge \u00bb/lo-Salzs\u00e4ure versetzt und mit zwei Mett sehen Eiwei\u00dfr\u00f6hrchen und \u00fcbersch\u00fcssigem Toluolzusatz in den Brutschrank (39\u00b0) gestellt. Nach 16 Stunden waren an allen vier Enden der R\u00f6hrchen \u00fcber 2 mm der Eiwei\u00dfs\u00e4ulchen verdaut. Der Saft enthielt demnach ein kr\u00e4ftig wirksames Pepsin.\nDer Rest des Magensaftes diente zur Untersuchung auf Lipase nach der Volhard-Stadeschen Methode. Bez\u00fcglich aller Einzelheiten verweise ich auf meine (mit T. Kppec gemeinsam verfa\u00dfte) Mitteilung in der Zeitschrift f\u00fcr Biologie, Bd. LUI, S. 201, 1909. Bei einer Einwirkungsdauer von 23lls Stunden lie\u00df sich eine Spaltung von 33,7 \u00b0/o des in der Eigeib-\n\u2018) 0. Cohn heim und F. Soetbeer, Diese Zeitschrift, Bd. XXXVII, S. 407, 1903.\n*) H. Nothmann. Arch. f. Kinderheilk., Bd. LI, S. 123, 1909.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verdauungsphysiologie des menschlichen Neugeborenen. 97\nemulsion enthaltenen Fettes nach weisen. Diese Beobachtung best\u00e4tigt unsere an Leichenmaterial gewonnenen Befunde, da\u00df der menschliche Neugeborene \u00fcber eine kr\u00e4ftig wirksame Ma<*en-lipase verf\u00fcgt.\t1\t.\nEs gelang ferner, von dem Kinde eine gr\u00f6\u00dfere Menge reinen Speichels zu gewinnen. Am 11. XII. wurde ein Nclaton-katheter in den Oesophagusblindsack eingef\u00fchrt und der Sack durch Ansaugen (mittels eines am Katheter.befestigten Glas-rohrsi v\u00f6llig entleert. Die erhabene z\u00e4he, leicht gelblich gef\u00e4rbte tr\u00fcbe Fl\u00fcssigkeit stellte offenbar ein Gemisch von Schleim und Speichel dar: sie enthielt ein sehr wirksames diastatisches herment. Schon 5 Minuten nach Zusatz zu einer 2\u00bbAigen L\u00f6sung (Quellung) von St\u00e4rkemehl fiel die Trommersche Probe stark positiv aus. Rhodankalium liell sich nicht nachweisen\nNach der Ausheberung des Oesophagusinhaltes erhielt nun das Kind einen undurchlochten Gummis&uger in den Mund an dem es sehr kr\u00e4ftig 20 Minuten lang saugte und schnullte\u2019 Danach wurde der Oesophagusblindsack in gleicher Weise wiederum ausgehebert. Er enthielt jetzt ca. 2'A ccm einer leicht getr\u00fcbten opalescierenden, etwas fadenziehenden Fl\u00fcssigkeit, die beim Sch\u00fctteln leicht sch\u00e4umte und deutlich alkalisch reagierte. Es handelte sich offenbar um reinen Speichel. Die H\u00e4lfte wurde in der \u00fcblichen Weise mit Salzs\u00e4ure und verd\u00fcnnter Eisenchloridl\u00f6sung auf Rhodankalium untersucht-auch diese Probe fiel negativ aus. Diese Beobachtung steht im Einklang mit den bisherigen Angaben von Rittershain 0 Pribram,2) A. Keller,\u00bb) A. Mayer') und Moll,\u00bb) die auch bei alteren S\u00e4uglingen Rhodankalium im Mundsekrete vermi\u00dften.\nMit der anderen H\u00e4lfte des ausgeheberten Speichels wurde eine quantitative Pr\u00fcfung der diastatischen Wirk-\nKindcsalt^^T mterShai\"\u2019 Jahrb- \u00ab ***** \u00ab*\n!) Pfi,b.ram\u2019 2it- nach Czerny-Keller, Des Kindes Ern\u00e4hrun Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen und Ern\u00e4hrungstherapie, 1906 S \u00ab\n3) A. Keller, ibidem, S. 45.\n2 f \u00aba,y,er\u2019 Deutsch- Areh-f- klin. Med., Bd. LXXIX, S. 209, 190 ) L. Moll, Monatsschr. f. Kinderheilk., Bd. IV, S. 307, 1905.","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nJ. Ibrahim,\nsamkeit nach den Vorschriften von J. Wohlgemuth1) aus-gef\u00fchrt.\nDigestionsdauer 65'.\nMenge des Speichels\tj 4* \u00bbccm 1 \u00b0/oiger St\u00e4rkel\u00f6sung (Kahl b\u00e4um)\n0,5\t+ ,\n0.2\t+\n0.1\t+\n0.05\t+\n0.025\tlimes\n0.0125\t\no,oot;\t\u2014\n\tC-ioo\nDer gefundene Wert betrug D*\" = 1\u00dc0. Wie die beigegebene Tabelle zeigt, wurden leider nur wenige Abstufungen in der zu untersuchenden Fermentmenge vorgenommen. Es l\u00e4\u00dft sich aus ihr nur entnehmen, da\u00df der Wert f\u00fcr D \u00fcber 100 und unter 200 gelegen war. Es ergibt sich hieraus jedenfalls die bemerkenswerte Tatsache, da\u00df die Wirksamkeit des Ptyalins des menschlichen Neugeborenen der des Erwachsenen nur wenig nachsteht, deren Werte nach Wohlgemuths Untersuchungen zwischen 156 und 500 schwanken.\nEin kleiner Rest des Speichels wurde auf Maltase gepr\u00fcft: er wurde mit 50 ccm einer 4\u00b0/oigen Maltosel\u00f6sung unter Chloroformzusatz 23 Stunden bei 390 im Brutschrank belassen ; dann wurde die Fl\u00fcssigkeit durch frisch gef\u00e4lltes Bleihydrat enteiwei\u00dft und durch Natriumsulfat vom Blei\u00fcberschu\u00df befreit ; das Filtrat wurde mit salzsaurem Phenylhydrazin und Natriumacetat (2 : 3) im \u00dcberschu\u00df versetzt, filtriert und zwei Stunden lang im kochenden Wasserbad gehalten. W\u00e4hrend des Kochens fiel kein Osazon aus; erst nach dem Erkalten bildeten sich Krystalle, die auch mikroskopisch als Maltosazon anzusprechen waren. Es war also keine Dextrose gebildet worden. Da die\n\u2019) J Wohlgemuth, Biochem. Zeitschrift, Bd. IX, S. 1, 1908.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verdauungsphysiologie des menschlichen Neugeborenen. 99\nf\u00fcr diesen Versuch verwandte Speichelmenge sehr gering war, m\u00f6chte ich glauben, da\u00df aus dem negativen Ergebnis keine bindenden Schl\u00fcsse gezogen werden d\u00fcrfen. Es. sei hier erw\u00e4hnt,' da\u00df ich bereits fr\u00fcher1) w\u00e4sserige Extrakte bezw. Organbreie von Speicheldr\u00fcsen neugeborener Kinder mehrmals auf Maltase untersucht hatte, stets mit negativem Resultat; doch kann ich auch bez\u00fcglich meiner fr\u00fcheren Versuche nicht entscheiden, ob bei Verwendung reichlicheren Materials und eventuell bei noch l\u00e4ngerer Einwirkungsdauer auf die Maltose die Resultate nicht doch positiv geworden w\u00e4ren.\nZu weiteren Untersuchungen des Speichels, z. B. auf Oxy-dasen reichte leider das Material nicht aus.\nDie Tatsache, da\u00df lediglich auf Grund des Saug- bezw. Lutschaktes am verschlossenen Gummisauger eine gr\u00f6\u00dfere Speichelmenge sezerniert wurde, scheint mir an sich von Interesse zu sein. Auch Gohnheim und Soetbeer2) beobachteten bei ihren 14 Tage alten H\u00fcndchen starke Speichelsekretion, wenn sie sie an einer nicht milchenden H\u00fcndin saugen lie\u00dfen.\nAls wesentlichste Ergebnisse der mitgeteilten Beobachtungen m\u00f6chte ich hervorheben :\n1.\tDer Magensaft des neugeborenen Menschen enth\u00e4lt eine auf fein emulgiertes Fett kr\u00e4ftig einwirkende Lipase.\n2.\tDer Saug- oder Lutschakt bewirkt beim menschlichen S\u00e4ugling in den ersten Lebenstagen reflektorisch eine reichliche Speichelsekretion.-\n3.\tDer Speichel des neugeborenen Menschen enth\u00e4lt ein diastatisches Ferment, das an Wirksamkeit dem des Erwachsenen nur wenig nachsteht. Er.enth\u00e4lt kein Rhodankalium und wahrscheinlich auch keine Maltase.\n\u2018) J. Ibrahim, Vernandl. d. Gesellsch. f. Kinderheilkunde, C\u00f6ln, 1908, s; 31.\n2) 0. Cohnheim und F. Soetbeer, 1. c., S. 470.","page":99}],"identifier":"lit37566","issued":"1910","language":"de","pages":"95-99","startpages":"95","title":"Zur Verdauungsphysiologie des menschlichen Neugeborenen","type":"Journal Article","volume":"64"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:44:21.443305+00:00"}