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{"created":"2022-01-31T16:55:33.833509+00:00","id":"lit37823","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Baumstark, Rob.","role":"author"},{"name":"Otto Cohnheim","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 65: 477-482","fulltext":[{"file":"p0477.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Bindegewebsverdauung.\nVon\tN\nRoh. Baumstark und Otto Cohnheim.\n(Aus dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t Heidelberg.) (Der Redaktion zugegangen am 24. M\u00e4rz 1910.)\nK\u00fchne und Ewald haben durch histologische Untersuchungen einwandfrei dargetan, da\u00df das Trypsin des Pankreassekrets ungekochtes kollagenes Bindegewebe nicht verdaut und A. Schmidt hat diese Tatsache als Fundament f\u00fcr seine bekannte Bindegewebsprobe benutzt. Er sagt in seiner \u00abFunktionspr\u00fcfung des Darms\u00bb: \u00abBohes oder ger\u00e4uchertes Bindegewebe vermag der Darm \u00fcberhaupt nicht zu verdauen, hat es einmal den Pylorus ungel\u00f6st passiert, so wird es als Ballast bis zur Def\u00e4kation mitgef\u00fchrt.\u00bb\nGegen diese Auffassung mu\u00dfte Cohnheim Einspruch erheben, da er bei Verdauungsversuchen an seinen Duodenalfistelhunden sah, da\u00df auch bei erhaltenem Pylorusreflex, also bei ganz physiologischem Ablauf der Magenverdauung nach Verabreichung des Fleisches in gehackter Form (analog der Schmidtschen Probedi\u00e4t) eine nicht unbetr\u00e4chtliche Menge des Fleisches als St\u00fcckchen mit erhaltenem Bindegewebsger\u00fcst, also nur angedaut, den Pylorus verl\u00e4\u00dft. Trotzdem aber erscheint im Stuhl normalerweise kein Bindegewebe wieder. Das Bindegewebe, das in den erhaltenen Fleischst\u00fcckchen den Pylorus passiert, wird also nicht, wie Schmidt meint, unver\u00e4ndert als Ballast bis zur Def\u00e4kation weitergef\u00fchrt, sondern wird im Darm vollst\u00e4ndig gel\u00f6st.\nDa bisher keine Tierexperimente \u00fcber diese Fragen vorliegen, haben wir zur Klarstellung dieses Widerspruchs und der ganzen in Frage stehenden Verh\u00e4ltnisse eine Versuchsreihe mit 5 Hunden angestellt.","page":477},{"file":"p0478.txt","language":"de","ocr_de":"478\nRob. Baumstark und Otto Cofynheim,\nV er Suchsanordnung.\n1.\tVersuche in vitro.\n2.\t\u00bb\tan\t2\tpankreasexstirpierten Hunden.\n3.\t\u00bb\t\u00bb\t1\tMagenfistelhund.\n4.\t\u00bb\t\u00bb\t1\tDuodenalfistelhund.\n5.\t\u00bb\t\u00bb\t1\tJejunalfistelhund.\nVersuche in vitro.\nWir haben rohe Fleischst\u00fcckchen von 2\u20143 cm L\u00e4nge und 1 cm Durchmesser mit nat\u00fcrlichem Pankreassekret 36 Stunden unter Toluolzusatz im Brutschrank verdaut. Den Pankreassaft gewannen wir aus der Duodenalfistel durch Salzs\u00e4ureeinspritzung; er enthielt etwas Galle beigemengt und wurde durch etwas Darmextrakt eines anderen Hundes aktiviert. Nach 36 Stunden waren die Muskelfasern vollst\u00e4ndig aus dem erhaltenen Bindegewebe herausgedaut. Das Bindegewebsger\u00fcst der Fleischst\u00fcckchen war vollst\u00e4ndig zusammenh\u00e4ngend schlauchartig erhalten. Die mikroskopische Untersuchung best\u00e4tigte, da\u00df das Bindegewebe erhalten, die Muskelfasern restlos verdaut waren. Herr Professor Ewald hatte die gro\u00dfe Liebensw\u00fcrdigkeit, in diesen und den folgenden Versuchen unsere mikroskopische Untersuchung zu best\u00e4tigen, wof\u00fcr wir ihm auch an dieser Stelle bestens danken.\nDieser k\u00fcnstliche Verdauungsversuch f\u00fchrt also zu demselben Resultat wie die histologischen Untersuchungen von K\u00fchne und Ewald und zeigt, da\u00df der Darmsaft resp. das Trypsin des Pankreassekrets rohes Bindegewebe nicht angreift.\nDie beiden des Pankreas beraubten Hunde schieden nach Fleischf\u00fctterung gro\u00dfe Mengen des Fleisches wieder aus, das in makroskopischen feinen Faserb\u00fcndeln und mikroskopisch in ganze Pr\u00e4parate einnehmenden Muskelschichten nachzuweisen war. Bindegewebe fand sich aber ebensowenig wie in dem Stuhl gesunder Hunde. Der Ausfall der Pankreasverdauung war also ohne Einflu\u00df auf die Bindegewebsverdauung.\n* ^\nDer Magenfistelhund wurde am 3. Februar operiert.\n* .\t*\t4\t\u2022\u00bb\nEs war ein kleines Tier von 4 kg mit einer f\u00fcr den Magen zu","page":478},{"file":"p0479.txt","language":"de","ocr_de":"479\n\u00dcber Bindegewebsverdauung.\ngro\u00dfen Kan\u00fcle. Deshalb oder aus anderen nicht bekannten Gr\u00fcnden lag die Magenverdauung zun\u00e4chst stark darnieder.\n11.\tII. 10 Probefr\u00fchst\u00fcck. Nach einer Stunde \u00d6ffnen der Fistel. Brot v\u00f6llig unverdaut, fast ganz trocken, wenige Tropfen Fl\u00fcssigkeit, schwach sauer. Titration wegen Mangels an Fl\u00fcssigkeit unm\u00f6glich.\nAn den folgenden Tagen F\u00fctterung mit Fleisch, das reichlich Bindegewebe enthielt.\n12.\tII. 10 im Kot massenhaft gro\u00dfe St\u00fccke Bindegewebe.\n15.\tII. 10 im Kot reichlich Bindegewebsfetzen.\n16.\tII. 10 Probefr\u00fchst\u00fcck. 1 Stunde danach \u00d6ffnen der Fistel. Brod schlecht zerkleinert, kaum angedaut, Kongo positiv. Viel zu wenig Fl\u00fcssigkeit zum Titrieren.\n21.\tII. 10 Probefr\u00fchst\u00fcck. 1 Stunde danach \u00d6ffnen der Fistel. Inhalt viel besser verdaut, teilweise verfl\u00fcssigt. Kongo kaum positiv. GAc = 80.\n3 Gazes\u00e4ckchen mit rohen Fleichst\u00fcckchen in die Fistel, Fleischf\u00fctterung.\n22.\tII. 10. Weder in den 3 S\u00e4ckchen noch sonst im Stuhl Bindegewebe zu finden.\n24. II. 10. Desgleichen, Bindegewebe aus weiteren S\u00e4ckchen herausgedaut.\n24. II. 10. P. F., ann\u00e4hernd normales Aussehen des Mageninhalts, vielleicht noch etwas weniger verfl\u00fcssigt als normal, aber gut verdaut. Kongo positiv, HCl = 9, GAc = 71.\nBei diesem Hunde bestand also schon bei der ersten Untersuchung nach Anlegung der Magenfistel im Fundusteil des * Magens eine Magenerkrankung mit fast vollst\u00e4ndigem Versiegen der Magensaftsekretion, ein Krankheitsbefund, wie wir ihn beim Menschen als sub- oder anaciden Katarrh bezeichnen w\u00fcrden. In diesem Stadium lag nun die Bindegewebsverdauung bei dem Hunde vollst\u00e4ndig darnieder, es wurden gro\u00dfe Mengen gro\u00dfer Bindegewebsfetzen im Stuhl wiedergefunden.\nMit dem Abklingen der Erkrankung und der allm\u00e4hlichen Wiederherstellung normaler Magensaftsekretion \u00e4nderte sich auch der Faecesbefund, es war schlie\u00dflich bei normaler Magensaftsekretion kein Bindegewebe mehr im Kot zu finden und","page":479},{"file":"p0480.txt","language":"de","ocr_de":"480\nRob. Baumstark und Otto Cohnheim,\nauch das Bindegewebe der in Gazes\u00e4ckchen eingeschlossenen Fleischst\u00fcckchen war vollst\u00e4ndig verdaut. Hier war also die Bindegewebslienterie an die Insufficienz der Magenverdauung gebunden.\nVersuche an einem Duodenalfistelhund.\nWir haben einem Hunde, dem nach Cohnheim eine Duodenalfistel direkt unter dem Pylorus angelegt war, in Schmidtsche Gazes\u00e4ckchen eingebunden rohe Fleischst\u00fcckchen gegeben, teilweise per os bei der F\u00fctterung, teilweise bei leerem Magen durch die Kan\u00fcle in den D\u00fcnndarm eingeschoben, also mit Umgehung des Magens.\nTabelle der Versuche.\nDatum\tMagen- s\u00e4ckchen\tEinflu\u00df der Magenverdauung\t\tDarm- s\u00e4ckchen\tEinflu\u00df der Darmverdauung\t\n13./2.\t1\trestlos verdaut\t\t1\tBindegewebeger\u00fcst vollst\u00e4ndig erhalten\t\n15./2.\t1\t\u00bb\t\u00bb\t1\t\u00bb\t\u00bb\n17./2.\t1\t\u00bb\t\u00bb\t1\t\u00bb\t\u00bb\n19./2.\t1\t\u00bb\t\u00bb\t1\t\t\u00bb\n21./2. '\t1\t\u00bb\t>\t1\t\u00bb\t\u00bb\n23-/2.\t1\t\u00bb\t\u00bb\t1\t\u00bb \u00bb\t\n25/2.\t1\t\u00bb\t\u00bb\t1\t\u00bb\t>\n27-/2.\t1\t\u00bb\ty>\t1\t\u00bb\t\u00bb\n1./3.\t1\t\u00bb\t\u00bb\t1\t\u00bb\t\u00bb\n3./3.\t\u2014\t\t\u2014\t1\t\u00bb\t\u00bb\n\u00f6./3.\t\u2014\t\t\u2014\t1\t\u00bb\t\u00bb\n7-/3.\t\t\t\t\t\u2014\t1\t\u00bb\t>\n9./3.\t\t-,\t\t\u2014\t1\t\u00bb\t>\nDie 9 per os verabreichten S\u00e4ckchen waren bei der Untersuchung ausnahmslos absolut leer, au\u00dfer dem Muskelfleisch war auch das Bindegewebe der eingeschlossenen Fleischst\u00fcckchen restlos verdaut.\nEbenso ausnahmslos enthielten die 13 S\u00e4ckchen mit rohem Fleischst\u00fcckchen, die durch die Kan\u00fcle in den D\u00fcnndarm gegeben wurden, das ganze Bindewebeger\u00fcst des Fleischst\u00fcckchens","page":480},{"file":"p0481.txt","language":"de","ocr_de":"481\n\u00dcber Bindegewebsverdauung.\n9\nwohl erhalten und zusammenh\u00e4ngend, w\u00e4hrend die Muskelfasern herausgedaut waren, so da\u00df selbst bei mikroskopischer Untersuchung keine solchen mehr nachzuweisen waren. Ebensowenig also wie bei dem Versuche in vitro war in vivo bei dem Duodenalfistelhunde eine das rohe Bindegewebe verdauende Kraft des Pankreassaftes zu erweisen, w\u00e4hrend das restlose Verschwinden des Bindegewebs in den per os gegebenen S\u00e4ckchen bei dem Duodenalfistelhund und die Bindegewebslienterie des erkrankten Magenfistelhundes sowie das Verschwinden derselben bei der Wiederherstellung der Magensaftsekretion die rohes Bindegewebe verdauende Eigenschaft des Magensaftes dartun.\nAlso ist die Schmidt sehe Lehre, die seiner Bindegewebsprobe zugrunde liegt, berechtigt. Aber wie ist es zu erkl\u00e4ren, da\u00df erhaltenes Fleisch den Pylorus passieren und dann doch verdaut werden kann? Handelt es sich bei der Pepsin-Salzs\u00e4ureverdauung des Bindegewebes um ein Zug\u00e4nglichmachen f\u00fcr die Pankreasverdauung oder um eine Fortsetzung der Magenverdauung im Darm? Zur Entscheidung dieser Frage zogen\nwir noch andere Versuche heran.\n%\nVersuch in vitro.\nEinmal unterwarfen wir einige beim normalen Verdauungsversuch aus der Darmfistel kommende Fleischst\u00fcckchen von 1\u20142 cm L\u00e4nge und */* cm Durchmesser der Nachverdauung unter Toluolzusatz im Brutschrank bei 380 C. und konstatierten, da\u00df nach 24 Stunden die Verdauung weitere Fortschritte gemacht hatte, so da\u00df die vorher kompakten Fleischst\u00fcckchen vollst\u00e4ndig zerfallen waren und von dem vorher zusammenh\u00e4ngenden Bindegewebsger\u00fcst so gut wie nichts mehr nachzuweisen war.\nDie Pepsin-Salzs\u00e4ureverdauung war im Brutschrank also weiter unterhalten und fortgesetzt worden. Aber war das im K\u00f6rper m\u00f6glich?\nJejunalfistelhund.\nWir legten einem Hunde eine Darmfistel 37 cm unterhalb des Pylorus an. Wir konnten an diesem Hund feststellen, da\u00df der w\u00e4hrend der Verdauung aus dieser Fistel abflie\u00dfende Darm-","page":481},{"file":"p0482.txt","language":"de","ocr_de":"482 R. Baumstark und 0. Cohnheim, \u00dcber Bindegewebsverdauung.\ninhalt stark sauer war. Bei verschiedener Nahrung bestimmten wir durch Titration mit Phenolphthalein Acidit\u00e4ten zwischen 40 und 80. Eine so weite Strecke hinter dem Pylorus findet also noch Pepsin-Salzs\u00e4ureverdauung statt. Da bei dieser starken Salzs\u00e4urereaktion Pankreasverdauung ausgeschlossen ist, handelt es sich also auch bei der Verdauung des ungel\u00f6st aus dem Magen in den Darm \u00fcbertretenden Bindegewebes um eine Fortsetzung der Pepsin-Salzs\u00e4ureverdauung und nicht um ein Zug\u00e4nglichmachen f\u00fcr die Pankreasverdauung.\nDie Bindegewebsverdauung durch das noch im Darm wirkende Pepsin ist eine vollst\u00e4ndige. Als wir den Hund mit rohem feingehacktem Fleisch f\u00fctterten, von dem 40\u00b0/# den Pylorus ungel\u00f6st passieren1), konnten \u00fcberhaupt keine zusammenh\u00e4ngenden Fleischst\u00fcckchen in der Jejunalfistel beobachtet werden.\nDie Erkl\u00e4rung der Widerspr\u00fcche in der Frage der Bindegewebsverdauung ist also die, da\u00df rohes Bindegewebe tats\u00e4chlich nur durch Pepsin-Salzs\u00e4ure verdaut werden, da\u00df aber diese Verdauung noch jenseits des Pylorus im Darm geschehen kann.\nDie Schmidtsche Bindegewebsprobe ruht also auf einer sicheren Grundlage.\nl) 0. Cohnheim, M\u00fcnchener mediz. Wochenschr., 1907, S. 2581.","page":482}],"identifier":"lit37823","issued":"1910","language":"de","pages":"477-482","startpages":"477","title":"\u00dcber Bindegewebsverdauung","type":"Journal Article","volume":"65"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:55:33.833516+00:00"}