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Über künstlerischen Wert

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{"created":"2022-01-31T16:57:31.528606+00:00","id":"lit38299","links":{},"metadata":{"alternative":"Psychologische Forschung: Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und ihre Grenzwissenschaften","contributors":[{"name":"Allesch, G. J. v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Psychologische Forschung: Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und ihre Grenzwissenschaften 4: 23-32","fulltext":[{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber k\u00fcnstlerischen Wert.\nVon\nG. J. von Alleseh.\nBei jeder Besch\u00e4ftigung mit Kunst spielt mehr oder weniger der Begriff des k\u00fcnstlerischen Wertes eine Rolle, nicht nur beim K\u00e4ufer und Verk\u00e4ufer von Kunstwerken, bei denen er unter dem Namen Qualit\u00e4t einen st\u00e4ndigen Diskussionsgegenstand bildet, sondern auch beim Betrachter, und nicht zum geringsten beim Historiker, denn auch die historische Forschung kommt mit einer rein entwicklungsgeschichtlichen Einstellung nicht aus. Die historisch wichtigen Kunstwerke sind ja durchaus nicht immer oder nur solche, durch die die Entwicklung des Zeitgeschmackes entscheidend beeinflu\u00dft wird oder die ihr st\u00e4rkster Ausdruck sind. Es gibt in gewissem Sinn meteorhafte Erscheinungen wie etwa Mar\u00e9es, oder solche, die dem Strom ihrer Zeit entgegen ins Unbegrenzte gehen und keinerlei Wechselwirkung mit ihrer k\u00fcnstlerischen 1 mgebung mehr haben, wie der alte Rembrandt. Also auch der Historiker mu\u00df f\u00fcr seine Betrachtung aus dem vorhandenen Material eine Auswahl nach einem anderen Gesichtspunkt treffen, als ihn der zeitliche Verlauf unmittelbar bietet; er tut das schon l\u00e4ngst nach dem Prinzip des k\u00fcnstlerischen Wertes. Wir vergessen das gew\u00f6hnlich, weil wir einen schon gesiebten Bestand von Kunstwerken \u00fcbernommen haben. Unz\u00e4hliges, was in Kirchen und Privatbesitz verstreut neben den uns gel\u00e4ufig gewordenen bedeutenden Werken einherging, ist in den Zusammenhang historischer Vorstellung gar nieht aufgenommen worden, da es den Wertanforderungen einfach nicht entsprach.\nWie sehr nun auch der Begriff der k\u00fcnstlerischen Qualit\u00e4t eine unbewu\u00dfte Wirkung aus\u00fcbt, ebensosehr hat er sich bisher einer wissenschaftlichen Betrachtung vollkommen zu entziehen gewu\u00dft, Auch die \u00c4sthetik, die offenbar die erste Verpflichtung gehabt h\u00e4tte, sieh mit diesem Problem auseinander zu setzen, hat es immer wieder umgangen. \u2014 Wir wollen nun versuchen, gewisserma\u00dfen erste Querschnitte durch das fragliche Gebiet zu legen und so die Hauptstrukturen festzustellen, die sich an dem Ph\u00e4nomen ergeben, das wir unter dem Namen k\u00fcnstlerischer Wert als Erlebnis kennen.\nWenn wir voraussetzen, da\u00df sich das Kunstwerk nieht auf den phjsi-kalischen Gegenstand beschr\u00e4nkt, der als gemalte Leinwand an der","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nG. J. von Allesch:\nWand hiingt oder als behauener Steinklotz irgendwo aufgestellt ist, und wenn wir uns gegenw\u00e4rtig halten, da\u00df erst die Betrachtung, die Auffassung, mit einem Wort die psychische Verarbeitung des \u00e4u\u00dferen Gegenstandes das zustande bringt, was man im eigentlichen Sinne des Wortes das Kunstwerk nennt, so ist klar, da\u00df auch zur Feststellung der k\u00fcnstlerischen Qualit\u00e4t das,.objektiv1'Konstatierbare nicht gen\u00fcgt, sondern da\u00df dabei das ganze Werk in Frage kommt, d. h. also der aus den \u00e4u\u00dferen Gegebenheiten, ihren Auffassungen und deren Sinn sich ergebende Gesamtgegenstand. der ja auch mit dem anerkennenden oder verwerfenden Urteil gemeint ist.\nDa\u00df dabei zwischen den \u00e4u\u00dferen Gegebenheiten und der voll entwickelten Form eines Kunstwerkes kein eindeutiger Zusammenhang besteht, popul\u00e4r gesprochen, da\u00df man diese Gegebenheiten sehr verschieden auffassen kann, daf\u00fcr liefert eine Arbeit von F. Wiehert sch\u00f6ne Beispiele, wo untersucht wird, wie in barocken Zeichnungen und Kupferstichen W erke der antiken und Renaissance-Plastik abgebildet wurdenl). Wenn auch urspr\u00fcnglich die Haltung einer Figur auf frontale Betrachtung eingestellt war, versucht der barocke Stecher durch m\u00f6glichst viele Windungen und \u00dcberschneidungen, die er mit Hilfe eines entsprechend gew\u00e4hlten Standpunktes erreicht, ihr dennoch etwas von barocker Drehung und Bewegtheit abzugewinnen, und dort wo in dem abgebildeten \\Y erk selbst schon solche Drehungen Vorkommen, werden sie m entsprechender Weise zum Hauptthema des Ganzen gemacht, und man sieht aufs allerdeutlichste, wie der barocke Betrachter vor allem diese Seite am Kunstwerk hervorhebt und auf diese Weise ein Gebilde schafft ,n dem zwar auch dieselben \u00e4u\u00dferen Gegebenheiten als Faktoren mitwirkcn, die dem antiken oder Renaissance-Beschauer vor Augen standen, wo sie aber ganz anders in das Gesamtgebilde eingeordnet und von einer anderen Struktur erfa\u00dft werden. Die Gestalten, die in einem oder \u201e\u201e anderen Falle aus demselben Material entwickelt werden, weichen \u00abe,t voneinander ab, \u201edie gemeinsame Grundlage\" ist kaum mehr ,larin\n\u25a0iSr\u00ab; . 1St aUCh H\u201c'** ZUl\u00e4SSig\u2019 eine Wertdifferenzierung lediglich auf diese zu stutzen.\nFreilich gibt es unter den verschiedenen Formungen des Kunstwerkes eine besonders ausgezeichnete, die aus einer bestimmten Art der\nsd ::cungungdi errrgeK\u2019di; \u2122die\t~2), das z\nschauung, die dem Kunstwerk einem Wesen und Meinen nach am\ni \u00bb \u2022 n gerecht wird, es in seinem Sinn richtig erfa\u00dft und seinen Ge lt an k\u00fcnstlerischen Werten m\u00f6glichst vollkommen zutage f\u00f6 dert Ab. r auch an- IM. **\t..... uod ^ Cl, ^y\u00ef\n\u2019) Kkhe: -Cher\tFreiburger Dia,. 1907.\nPsychol. 34, S. 513ff.\ter * sthetik zur Psychologie\u201c, Zeitschr. f.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"i ber k\u00fcnstlerischen Wert.\n25\nkalisch Gegebenen her bestimmen, sondern um sie aus den vielen m\u00f6glichen Anschauungen zu sondern, bedarf es \u00fcber einen probeweisen Ausbau des Werkes hinaus noch umf\u00e4nglicher Operationen verschiedener Art, darunter besonders historischer Betrachtungen, so da\u00df auch von dieser Seite her die Bewertung des Kunstwerkes auf eine andere Basis gestellt werden mu\u00df, als sie im rein \u00c4u\u00dferlichen gegeben ist.\nDas W esentlichste f\u00fcr den Aufbau des Kunstwerkes ist der intentionale Gehalt, den die physischen Daten durch die Betrachtung und die wechselweise Determination gewinnen.\nAlle im Kunstwerk irgendwie unterscheidbaren Faktoren lassen, zumal wenn sie im Zusammenh\u00e4nge des Ganzen wirksam sind, eine Art von Meinen, eine Art von Gerichtetsein erkennen. Ein flacher Bogen kann z. 15. das eine Mal als eine Kurve erscheinen, die von einem sehr gekr\u00fcmmten Bogen herkommt und etwa durch innere Elastizit\u00e4t einen Drang erfahren hat, sich zu spannen und zu strecken, das andere Mal kann geometrisch dasselbe Ergebnis dadurch entstanden scheinen, da\u00df eine urspr\u00fcnglich grade Linie in Ermattung, in Schw\u00e4che ihre Festigkeit verliert und weich zusammenknickt. Je nach der einen oder der anderen Auffassung wird die Kurve dieses oder jenes bedeuten, in der \u00d6konomie des Bildes eine ganz verschiedene Rolle spielen, eine andere Intention\nhaben. Auf diese Weise entsteht eine Gesamtgestalt des \\\\ erkes, in der jede einzelne Intention ihre Bedeutung f\u00fcr das Ganze hat und wiederum durch ihre Teilnahme am Ganzen eine Erweiterung, manchmal, ja zumeist auch eine Umformung ihres Sinnes erf\u00e4hrt.\nVon diesem Gebilde m\u00fcssen wir ausgehen, wenn wir zu einer Wert-differenzierung kommen wollen und wir h\u00e4tten schon dann unser Ziel erreicht, wenn wir imstande w\u00e4ren, Strukturverschiedenheiten dieser Gebilde festzustellen, die mit positivem und negativem Weit in fester Korrelation stehen. Noch vollkommener w\u00e4re nat\u00fcrlich unsere Aufgabe gel\u00f6st, wenn wir dar\u00fcber hinaus noch eine Einsicht in die kausalen Beziehungen dieser Korrelationen gewinnen k\u00f6nnen. Doch ist daf\u00fcr bei dem gegenw\u00e4rtigen Stand der \u00c4sthetik keinerlei Hoffnung vorhanden.\nNun lassen sich tats\u00e4chlich charakteristische Strukturen der positiv bewerteten Kunstwerke zeigen, deren Fehlen auch zugleich den negativen Wert begr\u00fcndet, wobei es wiederum f\u00fcr unseren Standpunkt sehr wesentlich ist, da\u00df es sich dabei zwar um eine feste \\ erkn\u00fcpfung der Strukturen und der Werte, nicht aber der Strukturen und der physi-kalischen Gegebenheiten handelt, so da\u00df bei verschiedener .Struktur dasselbe \u00e4u\u00dfere Material verschieden bewertet werden kann was mit dem historischen Verlauf der Kunstbetrachtung ja auch deutlich uber-einstimmt.\nDas erste derartige Strukturmerkmal ist die intentionale hnih.it. Sie besteht darin, da\u00df sich die Intentionen eines Werkes, sowohl des","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nO. J. von Allesch :\nganzen wie aller einzelnen Faktoren, aus denen es sich aufbaut, gewisserma\u00dfen in einem Brennpunkt sammeln. Es sind dabei drei Typen zu unterscheiden, die sich mit den schon fr\u00fcher festgesetzten Typen der Merkmale eines Kunstwerkes decken1).\nDer extreme Fall ist dort erreicht, wo von vornherein alle Faktoren diese Richtung schon unabh\u00e4ngig von ihrem Zusammenhang, soweit sich diese Unabh\u00e4ngigkeit \u00fcberhaupt denken l\u00e4\u00dft, in sich tragen. Der Apoll vom Ostgiebel in Olympia ist in jedem Betracht heroisch, edel, straff, in Klarheit strahlend. Die Stellung der Figur vor der R\u00fcckwand, die Wendung des Kopfes mit ihrer Energie und Entschlossenheit im Nacken, die Bestimmtheit und st\u00e4hlerne Kraft, die unglaubliche Eindeutigkeit des erhobenen Armes, die gerade Gespanntheit der anderen Glieder, aber auch die Form des Augenlides, der Lippen, der Locken, der Schwung jeder Fl\u00e4che, die diesen K\u00f6rper umschlie\u00dft wie ein Panzer, der Scheitelpunkt des Giebels, der ihn \u00fcberdacht, die Wirkung auf die l mgebung, die von der Erscheinung des Gottes aus: trahit, alles und piles will dasselbe, ist auf die gleiche Idee des G\u00f6ttlichen, Erhabenen. I oerm\u00e4chtigen gerichtet.\nOder denken wir an irgend eines von den zehnfach gel\u00e4uterten Bil-\n^\t\u2014 ----gLiauiciua du-\ndem Cezannes, wo die Welt der Farbe, die Welt der Fl\u00e4che, die Welt des\ngerichteter Faktoren erwachsen kann.\nBeispiele f\u00fcr die-'\u2014 t.....-\nEpochen, in denen arbeitete\u00ab K\u00f6nnen\nM,, Psychologische Bemerke Zeitschr. t, S. 308 ff.\nungen zu zwei Werken der neueren Kunstgeschichte\u201c,","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Liber k\u00fcnstlerischen Wert.\n27\nAnreiz gesucht wird, ohne das doch elementar Neues aus unmitti barem, jungen Welterleben hervorbr\u00e4che, das dann ja auc 1 r< i io ui die alten Formen keine Verwendung mehr h\u00e4tte.\nSo konnte das ber\u00fchmte Programm entstehen, ..die Zeichnung Michelangelos und Tizians Kolorit zu vereinigen . Ganz a >gi sc u n c a\\ on da\u00df Tizians Kolorit im Rahmen von Michelangelos Zeichnung, so treu man der Art des Meisters auch folgen mag, niemals lzianisi ci 11 kann, sondern unter der Hand zu etwas anderem uii , un ( \u2018l a Michelangelos Formen, in Tizians Farben geh\u00fcllt, nicht mehr das sind, was sie urspr\u00fcnglich waren, haben auch die K\u00fcnstler, die sich il.es Programm zu eigen machten, von vornherein mit jenen Ausgangswert nur jongliert. Sie haben im Widerspiel von Glanz und W ucht, von Kraft und Leichtigkeit, von Ergriffenheit -\u00a3\u00a3\u00a3<\u00a3\nSinn der Welt erblickt. Schon bei Tint\tp ,\n\u2122\t.\t.\t... Tonymeister in schimmernden larben.\nChristus zu einem gewaltigen Tanzme\t^ ^ erst\that\nbei Baroccio ist der ganze Himmel un\tr blossen\nwieder eine Pol.rtation die\u00ab wilde\u00bbGewoges\u00bbstrengen G\nheit in einer neuen Sph\u00e4re gefunden. Aber \u00bb ******\n\u201e\tr\tauch sein moenten, naoen\nFaktoren w\u00e4hrend dieser ganzen Bntwic^g\t^ ^ ^ ^ (,m\ndie Meister jener Zeit doch immer d\t^ zu bilden, in dem der\nheitlichen Ziel zusammenzufassen, h\tWesen verschmilzt\nganze Gehalt des Werkes zu emem ins^\tbesondprs an\nEine ganz andere Frage ist. wie\u00abe\t^ diesen Verschmelzungs-\nder klassischen Kunst Geschulte in 1\tJas gelingt> das Ergehn\nproze\u00df neu zu vollziehen, und selbst\tzu greifen, der sei\nmit den gleichen Grad seelischer &\t.\tw\u00a3, vielleicht immer dan\nEntstehen begleitete. Etwas t on\t8 iK,meisterten Anh\u00e4nger,\nhaften, aber freilich hat ja auch er^\u2019 ,\tin(, Vereinheitlichung nicht\nAnders sehen solche Werke aus, ^ ei\tIntentionen nicht zustande\nm\u00f6glich ist, ein Zusammenschnie/.<- Mpjnung> ein Hindeuten, ein kommt. Auf der einen Seite \"in ^itc nicht aufgenommen wird Wollen angebahnt, das auf der an<u rl\u201d\u2018ujt\u00e4t jn literarischen Werken Besonders deutlich ist diese fh' \u00b0n ^ ejner ganz anderen Lebens-nachzuweisen, wo oft einzelne 1\t^ gejn .scheinen, so da\u00df der\nzone herausgestiegen oder herau.-gtg 1\tdpn j,\u2019\u00fc\u00dfen verliert und von\nBetrachter immer wieder den Boi ^ gewinnen sucht, um im kurzen\nneuem Stellung gegen\u00fcber dem \\ \\F baiten kann. Realistisches und\neinzusehen, da\u00df er sich auch da ini|.roskopisch Gesehenes flattert Symbolistisches, makroskopisch 111 |dud unm\u00f6glich, durcheinander und ein Zusammen ^ solche Werke, aber es ist, was Auch in der bildenden Kunst\tsich ihrer als Beispiel zu hc-\ndie vergangenen Epochen hetri t.\t\u00dcberlieferung ausgeschieden\ndienen, da sie begreiflicherweise\nills\nin\nan","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\n(r. J. von Allesch :\nwurden. Allein wenn wir uns fragen, was denn einen K\u00fcnstler wie Ghir-landajo zu einein Mann zweiten Ranges macht, so finden wir neben und vor allem anderen, da\u00df er die beiden Hauptkr\u00e4fte seines Stiles, das Streben nach naturalistischer Wirklichkeit, wie es sich besonders im Detail durchsetzt, und den Ausbau der klassischen Gestalt ungsprin-zipien der Renaissance, den auch er um einen deutlichen Schritt vorw\u00e4rts bringt, nicht zusammenschwei\u00dfen konnte. Der eine Gestaltungsproze\u00df wird immer wieder vom anderen unterbrochen, die Richtungen sind windschief zueinander, es stehen sich zwei Gesinnungen gegen\u00fcber.\nDie Entscheidung, ob es sich um die Intention eines Widerspruches als letzten Inhalt des Werkes oder um einen Widerspruch der Intentionen, also um das Fehlen der Einheit handelt, wird manchmal nicht leicht zu treffen sein, doch bietet sich auch da ein Mittel. Wo in einem Werk Einzelintentionen festzustellen sind, die mit der Gesamt intention nicht \u00fcbereinstimmen, aber auch im Zusammenhang des Werkes, so wie es eben vom Betrachter erlebt wird, keine Umbildung erleiden, sondern so bleiben wie sie bei isoliertem Erleben ihres begrenzten Bezirkes sein w\u00fcrden, dort fehlt die Einheitlichkeit. Der Naturalismus Ghirlandajos im Kleinleben erf\u00e4hrt durch den Zusammenhang mit den Renaissanceabsichten des Ganzen keine Umformung, er wird nicht zu einem besonderen Zug antikisierender Betrachtung, sondern bleibt, was er auch rein auf sich selbst gestellt und ohne klassischen Rahmen sein w\u00fcrde.\nDa> zweite Strukturmerkmal, das den Charakter der k\u00fcnstlerischen\nocum ueueuumg. nanen, wie wir sahen, im Zu-sammt nhang des Kunstwerkes gegen\u00fcber fier isolierten Darbietung einen erweiterten und ver\u00e4nderten Gehalt. Es wird etwas fWh ,\u201e\u201el mit\ng einen\nm m sich zur unmittelbaren Anschauung rkeit ist es, die wir beim Begriff Dichte vor","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"i'ber k\u00fcnstlerischen Wert.\n29\nallem im Auge haben. Es ist gewisserma\u00dfen kein Zwischenraum zwischen dem real Gegebenen und dem Gemeinten. Es bestehen keine metaphorischen R\u00fcckst\u00e4nde, Substrat und Sinn gehen ohne Rest ineinander auf.\nDas es auch anders sein kann, sehen wir zum Beispiel an B\u00f6cklin : Die Naturlaute, das Schluchzen, das dumpfe Gurgeln der Brandung sollen wir mit m\u00f6glichster Eindringlichkeit erleben. Es ist einem, als ob da etwas Lebendiges st\u00f6hnte. Der K\u00fcnstler glaubt den Eindruck zu verdichten. indem er eine blasse Frau in violettem Gewand mit einer goldenen Harfe zwischen die Felsen stellt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Freilich ist in der Frau etwas Schmerzliches und auch etwas von Leben. Aber die Figur ist au\u00dferdem noch so au\u00dferordentlich reich an Bestimmtheiten, die alle mit dem Wesender Brandung g\u00e4nzlich unvergleichlich sind, da\u00df, grob gesprochen, in der Richtung des Bildsinnes nur ein ganz geringer Teil von ihr zur Wirkung kommen kann. Alles \u00fcbrige wird als toter Ballast mitgeschleppt. Ganz anders ist es, wenn es in Claudels .Mittagswende hei\u00dft : ,,Ist das Meer (das rote Meer) nicht wie ein geschlachtetes Rind?\u201c Dieses Bild ist auf ein einziges Merkmal konzentriert, das Rind ist nicht ausgeschm\u00fcckt, wir erfahren nichts von seiner barbe und seinem Verhalten; nur ein dumpfes warmes Geschlachtetsein wird uns gegeben und das geht zur G\u00e4nze in die Vorstellung des hei\u00dfen unbeweglichen Meeres ein.\nDiese Dichte der intentionalen Gestaltung ist nichts anderes als das Erf\u00fcllungsverh\u00e4ltnis der ad\u00e4quaten Anschauung, \u00fcber das an anderer Stelle ausf\u00fchrlich gesprochen worden ist1), aber von der anderen Seite her betrachtet. Das Erf\u00fcllungsverh\u00e4ltnis verlangt, da\u00df alle in dem gegebenen k\u00fcnstlichen Substrat vom Betrachter anerkannten Intentionen nur soweit zum Wirkungsbestand des Kunstwerkes geh\u00f6ren, als sie in den gegebenen Daten ihre Erf\u00fcllung finden, d. h. also eine Intention. die wir in irgendeiner barbe oder irgendeiner borm. einer Geste oder einer Wortfolge als gemeint erfassen, gilt nur soweit und insofern, als ihr ein bestimmtes Quale des Substrats entspricht. Was dar\u00fcber hinaus, wenn auch im Sinne dieser Intention mitgedacht wird, geh\u00f6rt nicht mehr zum ad\u00e4quaten Bestand des Kunstwerkes und ist f\u00fcr die \u00e4sthetische Wirkung auszuschalten. Ist aber in einem Werk die Dichte der intentionalen Gestaltung im extremen Ma\u00df erreicht, wie etwa bei Giotto, so ist weder von der Seite des Sinnes her ein unerf\u00fcllter Rest, noch von Seite der gegebenen Daten her ein Leerlaufen zu finden.\nDas dritte Strukturmerkmal ist das der intentionalen Weite. Wir wissen mit vollster Sicherheit, da\u00df gewisse Bilder des XIX. -Jahrhunderts, wie sie etwa Or\u00fctzner u. \u00e4. gemacht haben, durchaus schlecht sind, aber\nl) \u201eUber das Verh\u00e4ltnis der \u00c4sthetik zur Psychologie\u201c. Zeitschr. f. Psych. 34, S. 516 tf.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"no\nG. J. von Allesch :\nman kann bei ihnen trotzdem nicht sagen, da\u00df die intentionale Einheit nicht vorhanden w\u00e4re oder da\u00df sie der Dichte ermangelten, im Gegenteil, sie geh\u00f6ren zu dem Konsequentesten, was diese Zeit hervorgebraeht hat. Aber das F\u00fcrchterliche ist eine bestimmte Stellung der Welt gegen\u00fcber, diese alberne, beengte, nur an sieh und den n\u00e4chsten Augenblick denkende Gem\u00fctlichkeit, und wenn wir im Gegensatz dazu an die Werke denken, die uns am meisten ersch\u00fcttern, so finden wir, da\u00df da \u00fcberall eine ganz andere Gesinnung hervortritt. Was uns bei van Gogh oder bei Rembrandt oder bei Michelangelo so sehr ergreift, das ist die Tatsache, da\u00df wir in der Menschlichkeit, in die wir durch das Verstehen des Bildes hineingezogen werden, die ganze Welt erleben. Wir erweitern uns zum Allgemeinsten. wir kommen in Zusammenhang mit dem Schwersten und H\u00f6chsten, was \u00fcberhaupt denkbar ist. Wo es an dieser Gesinnung fehlt, dort bleiben wir unzufrieden. In eine pr\u00e4zisere Sprache ausgedr\u00fcckt hei \u00dft das: Der vom Kunstwerk mit allen seinen Kr\u00e4ften intendierte Gehalt hat seinerseits wieder eine weitere Bedeutung; es ist in ihm ein geistiger Zustand gegeben, bzw. der intendierte Gehalt ist als Gehalt innerhalb eines geistigen Zustandes gegeben, von dem aus der Weg zu den gro\u00dfen I roblemen der Welt offen steht, der oft schon die Richtung auf diese Probleme gibt, ja die Art der L\u00f6sung in verschiedenem Grad der Deutlichkeit in sich birgt. Die Gestaltung des Kunstwerkes hat also eine >oh ln \\\\ eite, da\u00df diese M\u00f6glichkeiten gewisserma\u00dfen als Hintergrund des konkreten intentionalen Gebildes, als die ihm zugeordnete \u201eschwache (testait in K\u00f6hlers .Sinn, in den Kreis des Werkes miteinbezogen sind.\nDt r tats\u00e4chliche Inhalt der einzelnen Komplexe kommt dabei nicht in Frage. Es ist durchaus nicht n\u00f6tig, zwischen den verschiedenen Weltanschauungen zu w\u00e4hlen und dann eine gelten zu lassen und andere zu verwerfen. Die Geschichte der Kunst zeigt uns, da\u00df sowohl im Rahmen \u00ab1er Ueltlichkeit wie im Rahmen des mystischen Enthusiasmus, sowohl \"\" Gebiete des blo\u00dfen Schauens, wie im Gebiet der menschlichen Tragik, gro\u00dfe Werke zustande kommen k\u00f6nnen. Nicht um die Wahl einer dieser vielen Gattungen handelt es sich, sondern darum, da\u00df in der Intention des Bildes die Kraft enthalten ist, die Welt im ganzen von ihrer Seite her zu durchdnngcn und sie zu einem einheitlichen Bilde einzuschmelzen.\nAu\u00dfer diesen drei Merkmalen, die sich auf die Struktur der intentionalen Gestalt beziehen, kommt aber noch ein weiterer Gesichtspunkt fur unser Problem in Frage. Das sog. gute Kunstwerk hat etwas, das wir Intensit\u00e4t nennen k\u00f6nnen, es hat eine Eindringlichkeit, eine Kraft. Muren die es den Beschauer mitrei\u00dft. Sie kann laut und leise sein sie ist ebenso vehement im Donnern Michelangelos wie im stummen Bohren \\t- , '\t\u2018 >er s'e ''< \"t\tnur in der \u00e4u\u00dferen Konsequenz eines\n.K llTh 7 R,nn tr 7:n besP\u2122 h^n Struktureigenschaften. Freilich h, da\u00df ein Werk bis zu seinem letzten Rest von einem bestimmten","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"('ber k\u00fcnstlerischen Wert.\n31\nDurchg\u00e4rungsproze\u00df erfa\u00dft ist. da\u00df etwa in einem Manet sehen Bilde alles, was an Sichtbarem darin ist. in reine Farbe verwandelt wird, da\u00df es da nur Schauen und Schauen gibt, keine Reste irgendwelcher Art. keine Widerspr\u00fcche bleiben, werden wir von der Dynamik dieses Sehaktes \u00fcberw\u00e4ltigt und sp\u00fcren unmittelbar die Intensit\u00e4t der Anschauung, aus deren Glut das Werk hervorgegangen ist.\nAllein au\u00dfer dieser innerlich bedingten Eindringlichkeit gibt es auch noch \u00e4u\u00dfere Anl\u00e4sse, die unser Erlebnis in seiner St\u00e4rke wesentlich beeinflussen.\nWir erleben sehr h\u00e4ufig, da\u00df die Werke eines Nachahmers, eines, der die gro\u00dfen Errungenschaften seines Meisters ererbt und mit ihnen nun in dessen Sinne neue Bilder sozusagen zusammenstellt, den Werken des Meisters sehr nahe kommen, so da\u00df sie oft durch lange Zeit f\u00fcr solche des Meisters gelten und da\u00df trotzdem, wenn der Tatbestand einmal aufgekl\u00e4rt ist. ihre Wirkung pl\u00f6tzlich eine ungeheure Einbu\u00dfe erleidet. Woher kommt dieses sonderbare Ph\u00e4nomen? Wenn nichts als das Realgegebene des Bildes oder die im Bild fa\u00dfbare intentionale Gestalt ausschlaggebend w\u00e4ren, so w\u00fcrde sich nicht begreifen lassen, da\u00df nun die Wirkung so au\u00dferordentlich viel geringer ist. Der extreme Fall liegt ja bekanntlich in der Kopie vor. wo wir auch dann, wenn sie sehr gut ist. nicht int entferntesten so stark ber\u00fchrt werden, wie es vom Original aus geschieht. Wir sehen, es kommt nicht nur auf das Kunstwerk als solches an, sondern auch darauf, da\u00df wir in der richtigen inneren Verfassung sind, es zu erleben, darauf, da\u00df es in uns gewisserma\u00dfen aufbl\u00fcht, und das geschieht nur dann, wenn wir den n\u00f6tigen Impuls f\u00fcr die Betrachtung aufbringen, wenn wir ihm die Ausgestaltung, die es seinem Bestand nach erm\u00f6glicht, auch als eine ihm zugeh\u00f6rige zumuten k\u00f6nnen. Das setzt eine gewisse Frische des Entstehens voraus, und daher kommt in sehr vielen F\u00e4llen das Streben nach Originalit\u00e4t. Sie ist nur selten, und nur in schon verschobenen F\u00e4llen, Selbstzweck, ihr tiefer Sinn ist vielmehr der. da\u00df durch das Neue. Unvermutete des Aspekts, dieser Aspekt eine Leib-\nhaftigkeit. eine Eindringlichkeit, dadurch auch einen Reichtum gewinnt, den er als gewohntes, durch den Gebrauch eingeebnetes Ph\u00e4nomen gar nicht mehr haben kann. Auch bei der Beurteilung traditioneller Kunst, etwa bei der indischen, spielt dieses Moment eine gro\u00dfe Rolle. Traditionelle Kunst steigt nur dann \u00fcber das Niveau des Handwerklichen empor, wenn wir durch irgendeine besondere Wendung, und sei sie noch so klein, den Eindruck gewinnen, da\u00df der K\u00fcnstler auch das an seinem Werk, was er gewisserma\u00dfen nur wiederholt, doch als lebendig und m seiner Bedeutung deutlich empfunden hat. so da\u00df sogar zu \u00bbintr bison deren Nuance die Kraft vorhanden war.\nMit diesen drei Strukturmerkmalen und der allgemeinen Bedingung der Intensit\u00e4t scheinen uns zum mindesten die Hauptkriterien fur den","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nfi. J. von Allesch: \u00dcber k\u00fcnstlerischen Wert.\nk\u00fcnstlerischen Wert gegeben zu sein. Es soll aber noch einmal daran erinnert werden, da\u00df bei ihrer Pr\u00fcfung jeweils eine bestimmte intentionale Ausgestaltung zugrunde gelegt werden mu\u00df, denn nur in bezug auf ein in dieser Weise individualisiertes Kunstwerk und die ihm zugeordnete individuelle Reaktion k\u00f6nnen die hier gefundenen Regeln ausgesprochen werden. Solange Mar\u00e9es vom impressionistischen Sehen her mi\u00dfdeutet wurde, war die Gestaltung seiner Werke zerrissen und sinnlos, das, was solche Betrachter vor sich zu sehen glaubten, war in der Tat schlecht. Erst mit der ad\u00e4quaten Formung der Werke trat auch ihre gro\u00dfe Bedeutung ans Licht.\nFreilich darf das nicht in dem Sinne mi\u00dfverstanden werden, da\u00df im Grunde \u00fcberhaupt kein Wandel des Gefallens stattfinde, sondern nur die Aspekte der Kunstwerke dem Wechsel unterworfen seien, f\u00fcr sich genommen aber immer die gleiche Wirkung ausiiben m\u00fc\u00dften. Das w\u00e4re falsch. Es gibt einen aktuellen und einen potentiellen Wert von Kunstwerken. Nur \u00fcber den letzteren haben wir hier gesprochen. Eine Untersuchung des ersteren w\u00fcrden wir auf ganz anderem Gel\u00e4nde f\u00fchren m\u00fcssen.\n(Eingegangen am 5. April 1923.)","page":32}],"identifier":"lit38299","issued":"1923","language":"de","pages":"23-32","startpages":"23","title":"\u00dcber k\u00fcnstlerischen Wert","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:57:31.528612+00:00"}

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