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{"created":"2022-01-31T17:03:28.145550+00:00","id":"lit38476","links":{},"metadata":{"alternative":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft","contributors":[{"name":"Meyer, M.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft 2: 25-65","fulltext":[{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Differenzt\u00f6ne und der Geh\u00f6rsempfindungen \u00fcberhaupt.\nVon\nMax Meyer.\nIn meiner Abhandlung \u201eUeber Kombinationst\u00f6ne\u201c, Zeitsehr. f. Psychol. Bd. XI, habe ich die wichtigsten bis dahin bekannten Thatsachen \u00fcber Differenzt\u00f6ne angef\u00fchrt und die M\u00f6glichkeit einer Theorie dieser Thatsachen zu zeigen versucht. Da mir schon damals die Resonanzhypothese unzureichend erschien, so stellte ich mir die Aufgabe, darzulegen, wie aus einer mechanisch m\u00f6glichen andersartigen Zerlegung der auf das Geh\u00f6rs-organeinwirkendenKlangwelle die wirklichen Erscheinungen erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen. Nur als eine Erg\u00e4nzung zu meiner Theorie der Wellenzerlegung nahm ich dann auch noch Resonanzwirkung, doch in unvollkommenem Grade, an. Ich bin jetzt bei Fortf\u00fchrung dieser Untersuchungen dahin gelangt, die Resonanzhypothese g\u00e4nzlich verwerfen zu m\u00fcssen, da die Widerspr\u00fcche, auf die man durch sie gef\u00fchrt wird, sich immer mehr h\u00e4ufen. Andererseits ist es mir gelungen, meinen theoretischen Prinzipien eine, wie mir scheint, sichere anatomische Grundlage zu geben und zugleich eine neue geometrische Darstellung zu finden, die den Vorzug hat, nicht nur \u2014 in ihren einzelnen Theilen wenigstens -\u2014 ein Abbild der Klangwelle zu sein, sondern uns auch eine \u00fcbersichtliche Anschauung zu gew\u00e4hren von dem zeitlichen und \u00f6rtlichen Verlaufe einer gewissen durch die Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen auf das Geh\u00f6rorgan \u00fcbertragenen Bewegung.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"Max Meyer.\n[XVI. 2]\nDamit wir das Thatsachenmaterial nach M\u00f6glichkeit beisammen haben, will ich zun\u00e4chst die Ergebnisse meiner fr\u00fcheren Abhandlung in kurzer Zusammenfassung wiedergeben und dann neue Beobachtungen anschliessen.\nDie Differenzt\u00f6ne sind subjektiven Ursprungs *, d. h. sie entstehen durch die eigenth\u00fcmliche Funktion unseres Geh\u00f6rorgans. Eine allgemein geltende Formel, aus der man f\u00fcr jeden Einzelfall ableiten k\u00f6nnte, welche Differenzt\u00f6ne entstehen m\u00fcssen, giebt es nicht. Doch haben sich nach meinen Beobachtungen die folgenden Regeln als richtig erwiesen.\nBei Halbton- oder noch kleineren Intervallen entsteht einzig und allein der direkt der Differenz der Prim\u00e4rt\u00f6ne entsprechende Differenzton, z. B. (in Verh\u00e4ltnisszahlen ausgedr\u00fcckt) beim Intervall 19:20 der Ton 1.\nBei gr\u00f6sseren Intervallen bis zur Oktave hin, von denen die Voraussetzung erf\u00fcllt wird, dass ihre Verh\u00e4ltnisszahlen sich um eine Einheit unterscheiden, entstehen ausser 1, der am st\u00e4rksten auftritt, noch einige derjenigen T\u00f6ne, die den in der absteigenden Zahlenreihe auf die Prim\u00e4rt\u00f6ne zun\u00e4chst folgenden Zahlen entsprechen, z. B. beim Intervall 8 :9 ausser 1 noch 7, 6 und 5, bei 6 : 7 ausser 1 die T\u00f6ne 5 und 4 ; unterscheiden sich die Prim\u00e4rt\u00f6ne um mehr als eine Einheit, so entstehen die Differenzt\u00f6ne h \u2014 t, 21\u2014h und 2 h \u2014 3/, wobei h die Schwingungszahl des h\u00f6heren, t die des tieferen Tones darstellt. Der st\u00e4rkste von diesen drei T\u00f6nen ist bei Intervallen, die kleiner sind als die Quinte, der Ton h \u2014 f, bei den Intervallen zwischen Quinte und Oktave der Ton 21 \u2014 h ; z. B. ist beim Intervall der kleinen Sexte \u2014 5:8 \u2014 der st\u00e4rkste Differenzton 2, die beiden andern sind 3 und 1. F\u00fcr ein starkes Auftreten des Differenztones 21\u2014h ist in jedem Falle g\u00fcnstig ein Ueberwiegen der St\u00e4rke des tieferen Prim\u00e4rtones \u00fcber die des h\u00f6heren.\nBei Intervallen, die \u00fcber die Oktave hinausgehen, entsteht derjenige Ton, dessen Verh\u00e4ltnisszahl gleich der kleinsten Differenz ist, die man erh\u00e4lt, wenn man h vom Doppelten oder Dreifachen von t (bezw. dieses von h) abzieht So h\u00f6rt man beim Intervall 4:9 den Differenzton 1, da 9 \u2014 2-4\u20141, bei 4:11 ebenfalls 1, da 3-4 \u201411 = 1 ist.\n1 In gewissen F\u00e4llen vorkommende objektive Kombinationst\u00f6nb interessiren uns hier nicht.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"pCVI. 3] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 27\n* Diese Regeln beziehen sich zun\u00e4chst nur auf einen Zusammenklang von zwei T\u00f6nen. Bei drei und mehr gleichzeitigen Prim\u00e4rt\u00f6nen pflegen alle diejenigen Differenzt\u00f6ne h\u00f6rbar zu werden, die man beim Zusammenklange von je zweien der Prim\u00e4rt\u00f6ne beobachtet. Ausserdem treten dann gew\u00f6hnlich noch neue Differenzt\u00f6ne auf, die der Differenz der Verh\u00e4ltniss-zahlen je zweier urspr\u00fcnglichen, d. h. schon im Zweiklange zu Geh\u00f6r kommenden (Prim\u00e4r- und Differenz-) T\u00f6ne entsprechen. Doch darf man sich, wenn man vor T\u00e4uschungen bewahrt bleiben will, nie auf eine Regel verlassen, sondern muss durch Beobachtung feststellen, welche Differenzt\u00f6ne bei jedem einzelnen in Frage kommenden Mehrklange sich bemerkbar machen.\nSind die bez\u00fcglichen Differenzen klein, so h\u00f6rt man stets neben den Differenzt\u00f6nen (bei ganz kleinen Differenzen an ihrer Statt) Hie entsprechende Anzahl Schwebungen.\nNeue Beobachtungen.\nI. Ganz und gar zu verwerfen ist das Verfahren, einfach die Differenzen aller Paare von Schwingungszahlen zu bilden, die den in einem Mehrklange enthaltenen T\u00f6nen zukommen, und dann zu behaupten, alle diesen Differenzen entsprechenden T\u00f6ne gelangten wirklich zur Empfindung. Dass dies auf ganz falsche Bahnen leitet, werde ich an zwei Helmholtz\u2019 \u201eTonempfindungen\u201c entnommenen Beispielen zeigen. Als Helmholtz seine \u201eLehre von den Tonempfindungen\u201c schrieb, war das \u00fcber Differenzt\u00f6ne vorhandene Thatsachenmaterial noch viel d\u00fcrftiger als heutzutage. Nur so ist es erkl\u00e4rlich, dass er durch den Umstand, dass in gewissen, wenn auch seltenen F\u00e4llen objektive, durch physikalische Mittel nachweisbare Kombinationst\u00f6ne1 Vorkommen, zu der Ansicht gebracht wurde, die allgemein in der mehrstimmigen Musik zu beobachtenden Differenzt\u00f6ne seien ebenfalls objektiven, physikalischen Ursprungs und durch eine\n1 Die objektiven Kombinationst\u00f6ne sind theils h\u00f6her, theils tiefer als die Prim\u00e4rt\u00f6ne, w\u00e4hrend.die subjektiven Differenzt\u00f6ne, wie schon ihr Name zum Ausdrucke bringt, stets tiefer sind.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nMax Meyer.\nfXVL 41\nmechanische Theorie ableitbar. W\u00e4re nun selbst diese Voraussetzung richtig, so w\u00fcrde Helmholtz\u2019 mathematische Deduktion doch noch an dem Mangel leiden, dass sie von ihm nur f\u00fcr den Zusammenklang von zwei T\u00f6nen wirklich durchgef\u00fchrt ist ; was in dem Falle eines Zusammenklanges von vier bis f\u00fcnf T\u00f6nen geschehen muss, wie er \u2014 ganz abgesehen von den Obert\u00f6nen \u2014 in der Musik h\u00e4ufig genug ist, w\u00e4re daraus nicht ohne weiteres zu ersehen.\nUnter den Dur-Dreikl\u00e4ngen in verschiedenen Lagen finden wir bei Helmholtz folgendes Beispiel:\nDie Halbnoten bezeichnen die Prim\u00e4rt\u00f6ne, deren Verh\u00e4ltniss-zahlen 5, 6, 16, die Viertelnoten die Differenzt\u00f6ne, deren Verh\u00e4ltnis szahlen 6 \u2014 5 = 1, 16 \u20146 = 10 und 16 \u2014 5 = 11 sind. Ich habe nun diesen Klang untersucht und festgestellt, dass zwar 1 sehr stark, von sonstigen Differenzt\u00f6nen aber, also auch von 10 und 11 keine Spur zu h\u00f6ren ist.1 Dem Moll-Dreiklange in der einfachsten Lage, dessen Zahlenverh\u00e4ltniss 10 :12 :15 ist, weist Helmholtz die Differenzt\u00f6ne 12 \u201410 = 2, 15 \u201412 = 3,15 \u201410 = 5 zu. Eine sorgf\u00e4ltige Analyse, der ich diesen Dreiklang unterwarf, ergab Folgendes: Am st\u00e4rksten von allen Differenzt\u00f6nen macht sich die Tonsumme 1 + 2 geltend. Ich spreche hier von der Summe beider T\u00f6ne, weil es wegen ihrer starken Verschmelzung \u00e4usserst schwer ist, \u00fcber die Intensit\u00e4t eines einzelnen von beiden zu einem bestimmten Urtheile zu kommen. Hecht stark ist ferner der Ton 7. Etwas schw\u00e4cher treten die T\u00f6ne 3, 5, 6 und 8 auf. Sehr schwach h\u00f6rbar ist der Ton 9. Wir h\u00f6ren also bei diesem Moll-Dreiklange gleichzeitig die den Zahlen I, 2, 3, 5, 6, 7, 8, (9), 10, 12, 15 entsprechenden T\u00f6ne. Dass die Methode, die Differenzt\u00f6ne durch alle m\u00f6glichen Subtraktionen\n1 Diese und die folgenden Beobachtungen beziehen sich stets, wenn nicht ausdr\u00fccklich anderes angegeben ist, auf T\u00f6ne von Stimmgabeln auf Ttesonanzk\u00e4sten.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 5] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 29\nzu bestimmen, v\u00f6llig unbrauchbar ist, geht aus diesen Beispielen klar hervor; sie liefert bald zu viel, bald zu wenig, nur selten die richtigen Differenzt\u00f6ne.\nII.\tBeim Intervall 5 : 8 ist, wie ich erw\u00e4hnte, der Ton 2 im Allgemeinen der st\u00e4rkste der drei Differenzt\u00f6ne. Dies trifft jedoch nur dann zu, wenn das Intervall ziemlich rein gestimmt ist. An T\u00f6nen der zweigestrichenen Oktave habe ich beobachtet, dass die Differenzt\u00f6ne 1 und 2 um so schw\u00e4cher werden, je mehr das Intervall verstimmt wird. Bei einer Verstimmung des h\u00f6heren Prim\u00e4rtones um etwa 8 Schwingungen ist der Ton 2 t \u2014 h nur noch mit M\u00fche, h \u2014 t dagegen sehr deutlich h\u00f6rbar. Man sieht daran, wie wichtig es ist, sich bei Differenztonbeobachtungen stets zu versichern, dass das zu untersuchende Intervall auch ganz rein g e s t i m m t ist, da man sich sonst leicht zu falschen Schlussfolgerungen verleiten l\u00e4sst.\nIII.\tEine nicht ganz unwichtige Beobachtung habe ich noch beim Intervall der kleinen Sexte gemacht, dass man n\u00e4mlich unter Umst\u00e4nden wohl einen Differenzton, den ihn erzeugenden Prim\u00e4rton aber nicht h\u00f6ren kann. Bekanntlich tritt bei Intervallen zwischen Quinte und Oktave der zweite Differenzton (2t \u2014 h) st\u00e4rker hervor als der erste; ja vielfach ist er \u00fcberhaupt allein zu h\u00f6ren. Bei T\u00f6nen der kleinen und eingestrichenen Oktave, wie ich sie zu meinen Beobachtungen am liebsten verwende, h\u00f6re ich nun beim Intervall 5:8 den Ton 3 nur dann einigermaassen deutlich, wenn 8 recht stark t\u00f6nt; dagegen die T\u00f6ne 1 und 2 (ich nehme hier beide immer zusammen, da ich nicht im Stande bin in jedem einzelnen Falle zu sagen, wie viel von dem tiefen Differenztone auf 1, wieviel auf 2 kommt, wenn er auch manchmal mehr, manchmal weniger brummend ist) h\u00f6re ich stets deutlich, besonders stark freilich, wenn die Gabel 5 stark ert\u00f6nt. Bei Gabeln der zwei- und dreigestrichenen Oktave dagegen h\u00f6re ich auch den Differenzton 3 leicht und deutlich. Ich glaube, dass dieses Verhalten seinen Grund in verschiedener St\u00e4rke irgend welcher Theilt\u00f6ne bei den verschieden hohen Gabeln hat, kann freilich bestimmte Vermuthungen in dieser Hinsicht nicht aussprechen. Dass die absolute Tonh\u00f6he hier irgend einen Einfluss haben k\u00f6nnte, halte ich f\u00fcr sehr Unwahrscheinlich, zumal da bei noch h\u00f6heren, durch Galton-Pfeifchen hervorgebrachten T\u00f6nen, sobald man die Quinte \u00fcber-","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nMax Meyer.\n[XVI. 6]\nschritten hat, wiederum nur der zweite Differenzton deutlich zu h\u00f6ren, vom ersten kaum eine Spur zu entdecken ist. Ich habe nun bereits fr\u00fcher nachgewiesen, dass der tiefe Differenzton (1 plus 2) beim Intervall 5 :8 auch dann bestehen bleibt, wenn der Oberton 10 durch Interferenz beseitigt ist. Jetzt habe ich noch folgenden Versuch angestellt. Durch Flaschen wurde ein starker Ton 5 und ein schwacher Ton 8 hervorgebracht. Sie wurden vermittelst einer durch das anstossende Zimmer hindurchf\u00fchrenden fast 8 Meter langen R\u00f6hre aus einem dritten Zimmer (wie immer bei derartigen Versuchen) beobachtet. Bei dem Tone 5 konnte durch Verwerthung der Resonanz der R\u00f6hrenleitung erreicht werden, dass trotz seiner St\u00e4rke am Ende der Leitung (er liess freilich auch sonst nur eine schwache Oktave und Duodezime h\u00f6ren) kein Oberton herausgeh\u00f6rt werden konnte. Der Ton 8 wurde so schwach gemacht, dass er im Zusammenklange mit 5 nicht herauszuh\u00f6ren war. Trotzdem bewirkte das thats\u00e4chliche Hinzutreten des h\u00f6heren Tons zu 5 eine \u00e4usserst auffallende Ver\u00e4nderung des Klanges. Es trat n\u00e4mlich sofort der tiefe Differenzton (1 plus 2) auf, und das Ganze nahm einen sehr tiefen, brummenden Charakter an. Man h\u00f6rt also hier einen Differenzton, obwohl man den ihn erzeugenden Ton gar nicht h\u00f6rt. Von dem Differenztone 3 ist in diesem Falle, wie ich noch bemerken m\u00f6chte, ebensowenig etwas zu h\u00f6ren wie von dem Prim\u00e4rtone 8.\nIV. Auf noch eine bemerkenswerthe Erscheinung m\u00f6chte ich aufmerksam machen. Wenn man beim Intervall 4:5 die Prim\u00e4r- und Differenzt\u00f6ne aufmerksam beobachtet, so h\u00f6rt man (und zwar habe ich dies bei Stimmgabel- wie bei Zungent\u00f6nen in gleicher Weise bemerkt), dass der Prim\u00e4rton 4 und der Differenzton 3 immer abwechselnd hervortreten. Zuerst glaubte ich, da mir dies an einem nicht v\u00f6llig rein gestimmten Intervalle auffiel, dass es sich hier um Schwebungen handle. Aber bei reinen Intervallen tritt dieselbe Erscheinung ein, und ausserdem haben wir hierbei keinen Rhythmus, sondern der Wechsel der Empfindung tritt unregelm\u00e4ssig ein, gew\u00f6hnlich nach etwa einer halben Sekunde, oft auch nach 1 V2 Sekunden. Man h\u00f6rt stets gleichzeitig beide T\u00f6ne, 3 auch 4, aber abwechselnd ist immer der eine, dann der andere st\u00e4rker. Der Eindruck ist ein \u00e4hnlicher, als wenn man Kirchenglocken l\u00e4uten h\u00f6rt. Ich","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"['XVL 7] %ur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 31\nhabe versucht durch Konzentration der Aufmerksamkeit auf einen der beiden in Frage kommenden T\u00f6ne den Umschlag der Empfindung zu verhindern. Es ist mir nicht gelungen. Der Wechsel trat ein, ob ich wollte oder nicht. Uebrigens ist diese Erscheinung keineswegs auf das Intervall 4 : 5 beschr\u00e4nkt. Beim Intervall 5 : 6 sind es die T\u00f6ne 3 und 4, die einander gewisser-maassen immer abl\u00f6sen ; beim Intervall 6:7 die T\u00f6ne 4 und 5. Ich glaube kaum, dass man diese Thatsache anders erkl\u00e4ren kann als durch die Annahme, dass hier dem die wechselnden T\u00f6ne erzeugenden Reize eine gewisse Zweideutigkeit zukommt, so dass eben so leicht die eine, wie die andere Empfindung entstehen kann, in Folge unbekannter Vorg\u00e4nge aber in den nerv\u00f6sen Organen, (in centraleren Theilen wahrscheinlich) bald die eine, bald die andere Empfindung eintritt Worin eine derartige Zweideutigkeit des Reizes bestehen kann, werde ich sp\u00e4ter zeigen.\nV. Es fiel mir auf, dass ich bei Stimmgabelt\u00f6nen bei der verstimmten Quinte den Differenzton stets sehr deutlich schweben h\u00f6rte, bei den Intervallen 3 : 4 und 4 : 5 schon weniger deutlich ; bei 5:6 und 6 : 7 mussten die Gabeln sehr stark zum T\u00f6nen gebracht werden, um Schwebungen des Differenztons 1 h\u00f6ren zu lassen. Bei noch gr\u00f6sseren Verh\u00e4ltnisszahlen konnte ich deutliche Schwebungen des Differenztons 1 \u00fcberhaupt nicht mehr h\u00f6ren. Ich schloss hieraus, dass Obert\u00f6ne der Prim\u00e4rt\u00f6ne bei der Erzeugung der Differenztonschwebungen eine Rolle spielen m\u00fcssten.\nF\u00fcr diese Vermuthung fanden sich nun leicht Best\u00e4tigungen. Bei Flaschent\u00f6nen, die ich zu anderweitigen Untersuchungen brauchte und so obertonfrei als m\u00f6glich hergestellt hatte, musste ich \u2014 damals zu meinem Aerger \u2014 bemerken, dass es mir nicht gelingen wollte, die Intervalle wie gew\u00f6hnlich dadurch rein zu stimmen, dass ich die Differenztonschwebungen zum Verschwinden brachte. Ich konnte diese Schwebungen bei keinem Intervall mit alleiniger Ausnahme der Quinte deutlich genug h\u00f6ren. Die entgegengesetzte Erscheinung tritt bei den obertonreichen Zungent\u00f6nen ein. Hier kann man beim Intervall 8 : 9 die Schwebungen des Differenztons 1, wenn das Intervall um ein geringes verstimmt ist, mit vollkommener Deutlichkeit h\u00f6ren.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nMax Meyer.\n[XVI. 8]\nJetzt kam es nur noch darauf an, festzustellen, welche Obert\u00f6ne die Schwebungen des Differenztons Verursachen. Zuerst dachte ich an die ersten zusammenfallenden Obert\u00f6ne, die man bei Zungent\u00f6nen sehr lebhaft schweben h\u00f6rt. Beim Intervall 4 : 5 w\u00e4re dieser erste zusammenfallende Oberton 4 \u2022 5 *m 20. Ich entfernte nun bei zwei Zungent\u00f6nen 400 und 500 (mit geringer Verstimmung) den Ton 2000 durch Interferenz, konnte aber dadurch die Schwebungen des tiefen Differenztons 100 nicht beseitigen. Wohl aber zeigte sich, dass die Differenztonschwebungen g\u00e4nzlich verschwanden, wenn der Interferenzapparat so eingestellt war, dass die zwischen 1500 und 1000 liegenden T\u00f6ne verschwanden. Der Differenzton 100 war dann vollst\u00e4ndig glatt und klar und recht laut zu h\u00f6ren; daneben h\u00f6rte man den Ton 2000 sehr deutlich schweben. Man kann sich \u00fcbrigens grade an diesem Falle leicht davon \u00fcberzeugen, dass h\u00f6here Schwebungen (entgegen Hermann\u2019s Ansicht) nicht im Geringsten den Schein erwecken, dass ein tieferer, gleichzeitig vorhandener und thats\u00e4ehlich glatter Ton in dem Rhythmus des h\u00f6heren Tones schwebe. Ich glaube hieraus schliessen zu d\u00fcrfen, dass beim Intervall 4:5 die Differenztolisch web ungen bedingt sind durch das Vorhandensein der Ob ert\u00f6ne 4*4 = 16 und 3-5 = 15.\nMan kann sich dies auch wohl folgendermaassen klar machen. 400 und 501 geben als Differenz 101, 1600 und 1503 geben als Differenz 97, und die beiden Differenzt\u00f6ne 101 und 97 m\u00fcssen nun viermal schweben. Solche Betrachtungen sind durchaus n\u00fctzlich, wenn man nur einen Anhalt gewinnen will, was f\u00fcr Erscheinungen beim Zusammenklange zweier T\u00f6ne m\u00f6glicher Weise eintreten k\u00f6nnten ; als eine wissenschaftliche Erkl\u00e4rung von Schwebungen und Differenzt\u00f6nen k\u00f6nnen aber derartige Multiplikationen und Subtraktionen in keinem Falle gelten, da hierdurch nicht nur \u00fcber die physiologischen Vorg\u00e4nge nicht das Geringste ausgesagt wird, sondern auch vor Allem diesem Erkl\u00e4rungsprinzip die Allgemeingiltigkeit fehlt.\nIch habe nun versucht, auch bei anderen Intervallen, deren Verh\u00e4ltnisszahlen sich nur um eine Einheit unterscheiden, experimentell festzustellen, welche Obert\u00f6ne vorhanden sein m\u00fcssen, damit Schwebungen des Differenztones entstehen k\u00f6nnen. Doch ist es mir bisher nicht gelungen, zu sicheren Ergebnissen zu gelangen. Indessen glaube ich nicht fehlzugehen, wenn ich","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"if [XVL 9J Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsemp\u00dfnd. \u00fcberhaupt. 33\nannehme, dass die Differenztonschwebungen allemal bedingt sind durch die Obert\u00f6ne t - und h (h \u2014 2), bei der Quarte also durch die Obert\u00f6ne 3 2 = 9 und 4-2\t8, bei der Quinte allein durch\n22 = 4, da 3*1 der Grundton selbst ist Bei der Oktave w\u00fcrden die beiden Formeln gar keinen neuen Ton ergeben. Hier sind nun auch, wie wir gleich sehen werden, die Schwebungen von etwas andern Umst\u00e4nden abh\u00e4ngig.\nVI. Es ist wohl von R. K\u00f6nio zuerst erw\u00e4hnt worden, dass beim Zusammenklange zweier T\u00f6ne, wenn die Schwingungszahl des einen ein etwas verstimmtes Vielfaches der Schwingungszahl des andern ist, Schwebungen geh\u00f6rt werden, und zwar \u2022 solche des h\u00f6heren und des tieferen Tones. Dass die h\u00f6heren Schwebungen fortfallen, wenn der betreffende Obert\u00f6n des tieferen Tones durch Interferenz beseitigt wird, hat Stumpf-1 nachgewiesen. In Bezug auf die tiefen Schwebungen jedoch findet sich, wie ich mich nachtr\u00e4glich \u00fcberzeugte, in seiner Abhandlung eine zu weitgehende Angabe, dass man n\u00e4mlich Schwebungen des tieferen Tones immer vernehmen werde. Diese Angabe beruht in ihrer Allgemeinheit nur auf einer theoretischen Erw\u00e4gung. (\u201eDie tiefen Schwebungen r\u00fchren von der Bildung eines Differenztones her, der dem tieferen Prim\u00e4rton nahe liegt und mit diesem schwebt.\u201c) Ich habe neuerdings bei einem Flaschentone von sehr mildem, aber hinreichend starkem Klange den zweiten Theilton durch Interferenz beseitigt. Dann waren, obwohl der tiefe Ton sehr gut h\u00f6rbar war, bei keinem Intensi-t\u00e4tsverh\u00e4ltniss und bei keiner Verstimmung (von 1 bis mehr als 10 Schwingungen) der h\u00f6heren Oktave Schwebungen h\u00f6ren, wederzu solche des tieferen noch solche des h\u00f6heren Tons. Sobald jedoch der Oberton etwas zugelassen wurde, traten sie beide gleichzeitig auf. Niemals habe ich die eine Art Schwebungen ohne die andere h\u00f6ren k\u00f6nnen. Stets waren beiderlei Schwebungen da oder gar keine.2 Daran ist \u00fcbrigens auch jetzt durchaus\n1\tWiedemanns Ann. Bd. 57, S. 660 ff. 1896.\n2\tAuch Professor Stumm? hat sich von diesem Sachverhalte \u00fcberzeugt. Die Angabe in der erw\u00e4hnten Abhandlung S. 671, dass bei 300 und etwas verstimmtem 600 nur die tiefen Schwebungen vernommen wurden, ist darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dass, wenn der Oberton sehr schwach vorhanden ist, die tiefen Schwebungen bedeutend auff\u00e4lliger sind, so dass man oft nur im letzten Moment, wenn der h\u00f6here Gabelton im Verschwinden ist, die\nStumpf, Beitr\u00e4ge II.\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nMax Meyer.\nfestzuhalten, dass die tiefen Schwebungen nicht etwa scheinbar sind, wie Hebmann 1 meint, sondern in gleicher Weise empfunden werden wie die hohen, wenn sie auch in der Regel nicht so ausgepr\u00e4gt sind Arie die hohen.\nVIT. Es ist oft behauptet worden, dass die Differenzt\u00f6ne bei r eine n durch kleine Zahlen darstellbaren Intervallen s t \u00e4 r k e r seien als bei verstimmten. In dieser allgemeinen Formulierung scheint mir diese Behauptung jedoch nicht richtig zu sein. Ich habe erst k\u00fcrzlich folgenden Versuch mit zwei Galton-pfeifchen gemacht. Die eine Pfeife gab den konstanten Ton 4800, die andere Avurde ganz langsam kontinuirlich ver\u00e4ndert von 4900 bis 7200. Dabei \u00fcberzeugte ich mich, dass sie bei jeder Stimmung innerhalb dieses Bereiches einen gleich starken Ton gab. Ich habe nun den Differenzton von 100 bis 2400 verfolgt, hin und zur\u00fcck, mehreren) a!. konnte aber an keinem Punkte feststellen, dafs er auch nur die geringste St\u00e4rkesclrvankung machte, obwohl die Prim\u00e4rt\u00f6ne hier alle m\u00f6glichen reinen und verstimmten Intervalle durchlaufen.\nWahrscheinlich Avird der Eindruck der gr\u00f6sseren St\u00e4rke des Differenztons bei reinen Intervallen durch den ruhigen Abfluss des Tons hervorgerufen. Dies steht allerdings scheinbar zu einer allgemeinen psychologischen Erfahrung im Gegensatz. Intermitti-rende Empfindungen Averden ja leichter Avahrgenommen al\u00df gleich bleibende. Doch handelt es sich hierbei im Allgemeinen nur um leichtere Erregung der Aufmerksamkeit. Mit flackerndem Lichte darf man intermittirende T\u00f6ne nicht vergleichen, Aveil beim Geh\u00f6r eine Erm\u00fcdung und Erholung des Sinnesorgans kaum vorliegt. Ich habe noch nie gleich stark bleibende T\u00f6ne st\u00e4rker geh\u00f6rt, wenn ich dem Ohre eine kurze Erholungspause g\u00f6nnte. Was ich konstatiren kann, ist h\u00f6chstens, dass es sehAver Avird, die Aufmerksamkeit auf einen Ton zu koncentriren, wenn man ihn 10 Minuten oder noch l\u00e4nger immer in unver\u00e4nderter St\u00e4rke zu\nhohen Schwebungen vernehmen kann, wie wir dies auch jetzt konstatirten. Es muss daher bei jenem Versuche der erste Oberton nicht vollst\u00e4ndig genug ausgeschlossen gewesen sein. Die Thesis der Abhandlung, dass, wo immer hohe Schwebungen vorhanden, auch die entsprechenden Obert\u00f6ne vorhanden sind, Avird nat\u00fcrlich hierdurch nicht alterirt, sondern nur wieder best\u00e4tigt.\n1 Wiedemann\u2019s Ann. Bd. 58, 189B.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"(XVI. 11] %ur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt 35\nh\u00f6ren bekommt. Man \u00fcberh\u00f6rt ihn schliesslich, w\u00e4hrend man ihm nach kurzer Unterbrechung wieder leichter die Aufmerksamkeit zuzuwenden vermag. Es kann wohl nicht davon die Rede sein, dass ein intermittirender Ton im Ganzen \u2014 abgesehen nat\u00fcrlich von kleinen Zeittheilen \u2014 st\u00e4rker ist als ein ruhender. Ich glaube nun, dass, wenn man den tiefen Dift'erenzton in gleich-m\u00e4ssig anhaltender St\u00e4rke h\u00f6rt, dies einen vollen, befriedigenden Eindruck macht, w\u00e4hrend der schwebende Differenzton, namentlich der schneller schwebende das Gef\u00fchl des Unbefriedigtseins erweckt, als fehle in der Empfindung etwas,. das wir von ihr erwarten. Hierdurch d\u00fcrfte der Schein \u2018 erweckt werden, als sei der Differenzton bei verstimmten Intervallen schw\u00e4cher. Auch dass die Verschmelzung mehrerer konsonanter Differenz- und Prim\u00e4rt\u00f6ne dabei eine Rolle spielt, ist wohl nicht ausgeschlossen. Ich erw\u00e4hnte bereits, dass ich beim Intervall 5 : 8 die Differenzt\u00f6ne 1 und 2 nicht so zu trennen vermag, dass ich \u00fcber die Intensit\u00e4t jedes einzelnen ein Urtheil f\u00e4llen k\u00f6nnte. In solchem Falle scheint es mir nun ganz nat\u00fcrlich, dass die Summe einen st\u00e4rkeren oder sozusagen gr\u00f6sserenEindruck macht als ein einzelner Ton. Bei Verstimmung des Intervalls m\u00fcssten die T\u00f6ne leichter getrennt werden, da sie dann keine Oktave mehr bilden.\nBesonders vorsichtig muss man mit Schlussfolgerungen sein, wenn man mit ober ton reichen T\u00f6nen operirt, denn bei solchen pflegt jeder Differenzton durch das Zusammenwirken mehrerer Paare von einfachen T\u00f6nen zu Stande zu kommen. Bei minimaler Verstimmung der Prim\u00e4rt\u00f6ne entstehen dann Schwebungen, bei Verstimmung um mehrere Schwingungen aber werden aus dem Einen Differenzton mehrere, von denen nun jeder einzelne nicht so stark sein kann als der urspr\u00fcngliche Eine.\nVIII. Bei kleinen (etwa Halbton-) Intervallen h\u00f6rt man ziemlich leicht einen Zwischenton als Tr\u00e4ger der Schwebungen, welche Thatsache von Stumpe zuerst festgestellt worden ist. Nun behauptet Ebbinghaus in seiner k\u00fcrzlich erschienenen \u201ePsychologie\u201c (S. 317) : \u201e\u2014 bei gr\u00f6sseren Entfernungen \u2014 verschwindet der Zwischenton vollkommen, die Schwebungen aber, die doch an ihm haften sollen, verschwinden nicht auch, sondern bleiben h\u00f6rbar noch bei betr\u00e4chtlich gr\u00f6sseren Intervallen, und zwar","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"30\tMax Meyer.\t[XVI. 12j\nhaften sie deutlich an den beiden Prim\u00e4rt\u00f6nen.\u201c1 Ich kann mich dieser Meinung nicht anschliessen.\nBei kleinen Intervallen, z. B. den T\u00f6nen 240 und 250, h\u00f6re ich \u00fcberhaupt nur einen schwebenden Zwischenton, nicht zwei T\u00f6ne. Die H\u00f6he des Zwischentons h\u00e4ngt nach meinen Beobachtungen ab von dem St\u00e4rkeverh\u00e4ltniss der Prim\u00e4rt\u00f6ne ; der Zwischenton liegt nur dann, wenn die Prim\u00e4rt\u00f6ne gleich stark sind, etwa in der Mitte zwischen beiden, bei ungleichen Prim\u00e4rt\u00f6nen n\u00e4her an dem st\u00e4rkeren. Einen \u00e4hnlichen Eindruck habe ich selbst noch bei einem Terzenintervall in tieferer Lage, wo die Differenz der Schwingungszahlen noch klein ist, z. B. bei den T\u00f6nen 100 und 120. Doch treten hier neben dem Zwischentone bereits die Prim\u00e4rt\u00f6ne auf, wenn auch ziemlich schwach. (Es handelt sich selbstverst\u00e4ndlich stets darum, welche T\u00f6ne man gleichzeitig h\u00f6rt ; denn wenn man den Kopf erst in eine f\u00fcr den einen, dann f\u00fcr den andern Prim\u00e4rton g\u00fcnstige Lage bringt, so h\u00f6rt man nat\u00fcrlich nach einander die beiden Prim\u00e4rt\u00f6ne und von einem Zwischentone kaum eine Spur.) In h\u00f6heren Lagen sind bei Intervallen, die gr\u00f6sser sind als ein Halbton, die Prim\u00e4rt\u00f6ne st\u00e4rker und der Zwischenton schw\u00e4cher zu h\u00f6ren. Einigermaassen deutlich ist letzterer nur dann, wenn die Prim\u00e4rt\u00f6ne gleich stark sind und der Zwischenton in Folge dessen von beiden gleich weit entfernt ist. Unter dieser Bedingung konnte ich bei c~ und d2 (512 und 576) mit Sicherheit einen rauhen Zwischenton von der ungef\u00e4hren H\u00f6he eis - wahrnehmen.\nDiese Beobachtungen beziehen sich nur auf einen Zusammenklang von zwei Stimmgabelt\u00f6nen, und ich m\u00f6chte noch ausdr\u00fccklich davor warnen, etwa anzunehmen, dass in Akkorden, in denen \u00e4hnliche Intervalle in entsprechenden H\u00f6henlagen Vorkommen, dieselben Erscheinungen auftreten m\u00fcssten. Derartige Schl\u00fcsse von Zweikl\u00e4ngen auf Mehrkl\u00e4nge f\u00fchren fast immer zu unrichtigen Ergebnissen. Auch wenn man statt der Stimmgabelt\u00f6ne zwei obertonreichere T\u00f6ne anwendet, macht man andere Beobachtungen. Bei den Zungent\u00f6nen 100 und 120 oder 512 und 576 habe ich keine deutliche Empfindung eines Zwischentons feststellen k\u00f6nnen. Es scheint mir, als ob in diesen F\u00e4llen die Aufmerksamkeit zu sehr durch die scharfen Prim\u00e4rt\u00f6ne in\nAehnlich ist auch die Angabe von Stumpf, Tonpsychol. II, S. 481.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 13] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 37\nAnspruch genommen wird. Die Schwebungen scheinen mir jedoch auch bei diesen Zungent\u00f6nen keineswegs deutlich an den Prim\u00e4rt\u00f6nen zu haften. Ich kann \u00fcber ihre H\u00f6henlage zu keinem Ur-theile kommen und w\u00fcrde sie, wenn man durchaus eine Aussage von mir verlangte, h\u00f6chstens deshalb den Prim\u00e4rt\u00f6nen zuschreiben, weil ich sonst nicht w\u00fcsste, wem.\nEbbinghaus\u2019 Theorie.\nEbbinghaus ist zwar mit der Resonanzhypothese in der HBLMHOLTz\u2019schen Form nicht ganz einverstanden, glaubt aber (S. 316 seiner \u201ePsychologie\u201c) daran festhalten zu m\u00fcssen, weil die in pathologischen F\u00e4llen vorkommenden Tonl\u00fccken und Toninseln ohne die Helmholtz\u2019sehe Vorstellung vollkommen r\u00e4thselhaft seien. Er macht jedoch zur Erkl\u00e4rung der Differenzt\u00f6ne den Zusatz, dass jede Faser der Basilarmembran nicht nur auf den Grundton, sondern auch auf s\u00e4mmtliche Obert\u00f6ne in Mitschwingung gerathe,1 wenn auch um so schw\u00e4cher, je h\u00f6her ihre Ordnungszahl ist. Wir wollen nun dahingestellt lassen, ob die Resonanzlehre die einzig m\u00f6gliche Erkl\u00e4rung der Tonl\u00fccken ist. Soviel aber scheint klar, dass gerade Ebbinghaus\u2019 Zusatz die kaum gewonnene Erkl\u00e4rung wieder zu nichte macht.2\nStellen wir uns einmal auf den Boden von Ebbinghaus\u2019 Theorie und denken wir uns eine Schnecke, in der s\u00e4mmtliche Resonatoren von 800 bis 2 500 Schwingungen durch einen Krankheitsprozess zerst\u00f6rt seien. Nun halten wir dem ungl\u00fccklichen\n1\tMit der spezifischen Energie im Sinne Helmholtz\u2019 ist das Mitschwingen der Membranfasern unter Knotenbildung nicht recht zu vereinigen. Helmholtz sah sich deshalb zu der Annahme gen\u00f6thigt, dass die Knotenbildung durch die Struktur der Membran sehr erschwert sein m\u00fcsse.\n2\tEbbinghaus\u2019 Theorie liegt bis jetzt nur theilweise vor, und es ist wahrscheinlich, dass er im weiteren Verlaufe seiner Darstellung auf die im Folgenden erw\u00e4hnte Schwierigkeit selber noch eingehen wird. Vielleicht versucht er ihr damit zu begegnen, dass in den fraglichen pathologischen F\u00e4llen die Knotenbildung der Fasern verhindert sei. Dann m\u00fcsste in diesen F\u00e4llen nach seiner Theorie das H\u00f6ren von Differenzt\u00f6nen ausgeschlossen oder doch beeintr\u00e4chtigt sein.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nMax Meyer.\n[XVI. 14}\nBesitzer dieses unvollkommenen Geh\u00f6rorgans eine schwingende Stimmgabel von 1000 Schwingungen vor das Ohr. Nach Bezold, auf dessen Abhandlung (Zeitsehr. /'. Psg\u00e9oL, Bd. XIII, S. 161. 1897 ) ich noch zu sprechen komme, kann der Patient dann diesen Ton that-s\u00e4ehlich. nicht h\u00f6ren. Nach Ebbinghaus aber m\u00fcsste er ihn h\u00f6ren, denn der Resonator 500 ist ja unverletzt ; der Resonator 500 macht auch mit Leichtigkeit 1000 Schwingungen, denn er braucht dazu ja blos einen einzigen Knoten zu bilden (von den tieferen Untertonresonatoren gilt das Entsprechende); die anliegenden Nervenzellen sind auf den Ton 1000 ebenfalls ausserordentlich gut einge\u00fcbt, denn so oft w\u00e4hrend des ganzen Lebens de's Individuums der Ton 1000 das \u00d6hr traf, erhielten sie stets von dem zugeh\u00f6rigen Resonator \u201e500u dieselben 1000 Schwingungsreize : Weshalb in aller Welt wird denn jetzt der Ton 1000 nicht geh\u00f6rt ?\nWenn also Ebbinghaus meint, ohne die Resonanz seien die Tonl\u00fccken und Toninseln r\u00e4thselhaft, so muss ich bekennen, dass sie mir unter Voraussetzung von Ebbinghaus\u2019 Theorie nicht im Geringsten weniger r\u00e4thselhaft erscheinen. Hier giebt es nur ein Entweder \u2014 oder: Entweder, wir halten an der Resonanz ohne Ebbinghaus Erweiterung fest und erkl\u00e4ren damit ausser der Zerlegung einer Tonwelle in ihre Komponenten noch die pathologischen F\u00e4lle der Tonl\u00fccken und Toninseln, verzichten aber ausdr\u00fccklich darauf, die F\u00fclle der \u00fcbrigen im normalen Zustande auftretenden Erscheinungen zu erkl\u00e4ren ; oder wir geben die Resonanzhypothese auf, erkl\u00e4ren die so sehr interessanten Empfindungen des normalen Ohres und bekennen, dass wir \u00fcber die Entstehung jener pathologischen Vorkommnisse vorl\u00e4ufig noch nichts Genaues wissen. Ich f\u00fcr meinen Theil ziehe das Letztere vor.\nWir haben gesehen, dass beim Zusammenklange zweier T\u00f6ne, die ein etwas verstimmtes Oktavenintervall bilden und von denen der tiefere die Oktave als Oberton enth\u00e4lt, Schwebungen des tiefen Tones sich bemerkbar machen. Dies muss nach Ebbinghaus so erkl\u00e4rt werden : Die den Membranfasern anliegenden Nerven (die \u00fcbrigens jede Tonempfindung vermitteln k\u00f6nnen, wenn sie nur in dem entsprechenden Rhythmus gereizt werden) sind auf den dem Grundtone ihrer Faser zugeh\u00f6renden Nervenprozess am besten einge\u00fcbt, auf die den Obert\u00f6nen zugeh\u00f6renden Prozesse um so weniger, je h\u00f6her","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"IXVI. 15] %ur Theorie d. Differenztime u. A. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 39\ndie Ordnungszahl des in Frage. kommenden Obertones ist. Alle Fasern nun, die auf gemeinsame Unter t\u00f6ne abgestimmt sind, machen die aus Grundton nebst erstem Obertone und der verstimmten Oktave zusammengesetzte Schwingungsbewegung ; und wenn diese die Periode 1 hat, so muss der tiefe Ton einmal schweben. Dass durch die Fasern, welche die zusammengesetzte Schwingung ausf\u00fchren, \u00fcberhaupt der tiefere und nicht der h\u00f6here Ton erzeugt wird, erkl\u00e4rt sich daraus, dass eben f\u00fcr den tieferen Ton die Nerven eine bessere Anpassung haben, weil eider Grundton der Faser selbst ist oder doch diesem n\u00e4her liegt. (Dass gleichzeitig an anderer Stelle der Membran der dem h\u00f6heren Ton entsprechende Nervenprozess zu Stande kommt, ist selbstverst\u00e4ndlich.)\nAber es bleibt doch noch eine Schwierigkeit \u00fcbrig. Bei K\u00f6nig 1 finden wir eine Anzahl von Schwingungskurven, wie sie dem Z\u00fcsammenklange zweier einfachen T\u00f6ne entsprechen, von denen der eine ein etwas verstimmtes Vielfaches des andern ist. Beim verstimmten Einkl\u00e4nge, den wir auf der ersten Figur sehen, h\u00f6ren wir auf Eine Periode Eine Schwebung. Nun frage ich: Weshalb h\u00f6ren wir hier eine Intensit\u00e4tsSchwankung? Es giebt zwei M\u00f6glichkeiten: Entweder: weil die Entfernung des schwingenden Theilchens von der Gleichgewichtslage nach der positiven Seite hin an einzelnen Stellen der Kurve sehr gross, an andern sehr klein ist, oder :# weil der senkrechte Abstand eines Kurvenmaximums vom n\u00e4chst vorhergehenden Minimum an einigen Stellen sehr gross, an andern sehr klein ist. Es ist nicht einzusehen, weshalb beide Ursachen dieselbe physiologische Wirkung haben sollen. Wir k\u00f6nnen diese beiden unter Voraussetzung der Resonanzhypothese m\u00f6glichen Arten, die Intensit\u00e4t der Empfindung aus der Beschaffenheit des Reizes zu erkl\u00e4ren, auch noch anders formuliren : Die St\u00e4rke der Reizung einer Nervenzelle h\u00e4ngt entweder ab vom absoluten oder vom relativen Druck. Letzteres bedeutet dasselbe, wie: Die Intensit\u00e4t der Reizung h\u00e4ngt ab von der Gr\u00f6sse der Differenz zwischen einem Druckmaximum und dem vorhergehenden Druckminimum.\nBleiben wir zun\u00e4chst bei dieser letzteren Anschauung, von der ich glaube, dass sie, obwohl dieses Problem meines\nExp\u00e9riences d'acoustique, B. \u00e47.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nMax Meyer.\n[XVI. 16]\nWissens noch nirgends er\u00f6rtert worden ist, den meisten die plausibelste sein wird. Nun betrachten wir einmal bei K\u00f6nig die Schwingungskurve bei der verstimmten Oktave. Die Schwingungen vertheilen sich um die Gleichgewichtslage in der Weise, wie ich es durch nachstehende Figur andeute. Der\n123456789 10 11\ngr\u00f6sste senkrechte Abstand der Begrenzungskurven liegt bei 2, 4, 6, 8 u. s. w. Da nun die erste Periode von 1 bis 5, die zweite von 5 bis 9 reicht, so m\u00fcssten wir, wenn die oben vorausgesetzte Erkl\u00e4rung der Intensit\u00e4t richtig w\u00e4re, in jeder Periode zwei Schwebungen h\u00f6ren.\nGehen wir nun gleich zu der andern M\u00f6glichkeit \u00fcber, dass die Intensit\u00e4t vom absoluten Druck abh\u00e4ngt. Dieser ist am st\u00e4rksten bei 3, 7 u. s. w. Wir m\u00fcssten danach also in jeder Periode nur Eine Schwebung h\u00f6ren. Thats\u00e4chlich aber h\u00f6ren wir, wenn der tiefere Ton absolut einfach ist, \u00fcberhaupt keine Schwebungen.\nEbbinghaus\u2019 Theorie erkl\u00e4rt also zu viel, denn nach ihr m\u00fcssten wir auch bei obertonfreien T\u00f6nen, die ein verstimmtes Oktavenintervall bilden, den tiefen Ton zweimal oder einmal w\u00e4hrend der Periode schweben h\u00f6ren.\nNur ein einziger Ausweg scheint mir f\u00fcr Ebbinghaus hier offen zu bleiben : Er muss annehmen, dass zwar die Reizintensit\u00e4t nicht vom absoluten Druck (dessen Schwankungen nach K\u00f6nig\u2019s Figur ziemlich betr\u00e4chtlich sind) abh\u00e4ngt, sondern vom relativen Druck, dass aber die in diesem Falle eigentlich zu erwartenden beiden Schwebungen des tiefen (obertonfreien) Tones deshalb nicht zu bemerken sind, weil die Schwankungen des relativen Druckes zu gering sind.\nIch hielt diese \u2014 zun\u00e4chst vielleicht ziemlich \u00fcberfl\u00fcssig erscheinende \u2014 Er\u00f6rterung der Frage, was in Ebbinghaus\u2019 Theorie unter Reizintensit\u00e4t zu verstehen ist, f\u00fcr nothwendig, um im Folgenden mit ganz bestimmten Voraussetzungen operiren zu k\u00f6nnen. Denn mit dem Sich-gen\u00fcgen-lassen, wenn man f\u00fcr jeden Ton und jede Schwebung die entsprechende Periodik gefunden zu haben glaubt, ohne zu sagen, was f\u00fcr ein physio-","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 17] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 41\nlogischer Vorgang denn da nun eigentlich periodisch sein soll, scheint mir in der Theorie der Tonempfindungen bisher gar zu arg ges\u00fcndigt worden zu sein.\nBeim Intervall 5:8 h\u00f6rt man die Differenzt\u00f6ne 3, 2 und 1. Wie diese aus Ebbinghaus\u2019 Theorie folgen sollen, verstehe ich nicht. Es werden ja in diesem Falle wohl mehrere Stellen der Basilarmembran da sein, die auf gemeinsame Untert\u00f6ne abgestimmt sind, also wird auch an mehreren Stellen die Membran die zusammengesetzte Schwingung machen. Es w\u00e4re daher m\u00f6glich, dass an einigen Stellen der Ton 1, an andern 2, an andern 3 erzeugt w\u00fcrde. Aber weshalb hier 3, da 2, da 1 ? F\u00fcr eine Beantwortung dieser Frage finde ich bei Ebbinghaus keine Anhaltspunkte. Wie ich gezeigt habe, kann die Intensit\u00e4t der Nerven-reizung bei Ebbinghaus\u2019 Theorie nur davon abh\u00e4ngig gesetzt werden, wie gross der Ordinatenunterschied eines jeden Kurvenmaximums und n\u00e4chst vorhergehenden Minimums ist. Bei der Kurve Fig. 2 meiner fr\u00fcheren Abhandlung sind diese Unterschiede unter Annahme einer willk\u00fcrlichen Einheit folgende : 72, 21, 44, 64, 14, 64, 44, 21. Die drei st\u00e4rksten Reizungen sind 72, 64, 64; dazwischen liegen schw\u00e4chere. H\u00e4lt man nun die Verschiedenheit von 72 und 64 im vorliegenden Falle f\u00fcr verschwindend klein, so m\u00fcsste und k\u00f6nnte einzig und allein der Differenzton 3 entstehen; h\u00e4lt man sie nicht f\u00fcr so geringf\u00fcgig, so ist zu ber\u00fccksichtigen, dass die Reizungen einmal in der Periode bei 72 ein St\u00e4rkemaximum erreichen, und dann k\u00f6nnte einzig und allein der Differenzton 1 entstehen. Dieser ist auch am ehesten zu erwarten, wenn man der Theorie konsequent folgt, da auf diesen als den tiefsten und ihrem Grundtone am n\u00e4chsten liegenden die in Betracht kommenden Nerven relativ am besten, (d. h. mehr als auf 2 und 3) einge\u00fcbt sind. Wie es aber kommt, dass 1, 2 und 3 gleichzeitig geh\u00f6rt werden, d\u00fcrfte aus Ebbinghags\u2019 Theorie schwer zu erkl\u00e4ren sein. Giebt es danerv\u00f6s e'Organe, denen die Eigenschaft zukommt, wenn sie auf so eigenth\u00fcmliche Weise gereizt werden, wie es eine zusammengesetzte Schwingungskurve sichtbar macht, dann gleichzeitig eine Mehrheit von nerv\u00f6sen Prozessen entstehen zu lassen, von denen der eine die Schwebungen, die andern die verschiedenen Differenzt\u00f6ne zur Empfindung bringen ? Dann finde ich es einfacher, zu der Ansicht Wundt\u2019s zur\u00fcckzukehren, dass der Akustikusstamm dies alles \u2014 auf unbekannte Weise freilich \u2014 besorge.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nMax Meyer.\n[XVI. 18]\nBei der Kurve Fig. 4 meiner fr\u00fcheren Abhandlung betragen die Ordinateminterschiede : 62, 20, 60, 26, 47, 47. 26, 60, 20. Betrachtet man hier den Unterschied von 47 und 62 als verschwindend klein, so erhalten wir 5 Reizungsmaxima, m\u00fcssten also den Ton 5 h\u00f6ren, von dem keine Spur vorhanden ist. Sicherlich aber m\u00fcssen wir den Unterschied von 60 und 62 vernachl\u00e4ssigen. Denn um uns \u00fcberhaupt eine bestimmte Vorstellung machen zu k\u00f6nnen, mussten wir ja voraussetzen, dass kleine Schwankungen der Reizst\u00e4rke ohne Einfluss bleiben. Und die Schwankungen, die wir damals bei der verstimmten Oktave zuliessen, ohne dass sie Schwebungen bewirkten, waren weit gr\u00f6sser als diese. Somit h\u00e4tten wir bei 62, 60 und 60 drei Reizmaxima. Ich weiss nicht, ob irgend jemand beim Intervall 4:9 den Ton 3 geh\u00f6rt hat. Wenn er \u00fcberhaupt da ist, so ist er jedenfalls ausserordentlich schwach. Recht stark jedoch ist der Ton 1 zu h\u00f6ren, von dem garnicht einzusehen ist, wie er nach Ebbinghaus\u2019 Theorie zu Stande kommen soll, es sei denn, dass man wieder die Ausflucht macht, es sei ja eine Periodik 1 da. Ich k\u00f6nnte die Beispiele dieser Art, die der Theorie Schwierigkeiten machen, leicht vermehren.\nWenn man objektiv drei T\u00f6ne erzeugt, deren Verh\u00e4ltniss-zahlen 107, 100 und 6 sind,1 so h\u00f6rt man ausser dem Differenztone 107 \u2014100 \u2014 7 auch noch den Ton 1. Man kann diesen so ableiten: Der Differenzton 7 giebt mit dem objektiven Tone 6 den neuen Differenzton 7 \u2014 6 \u2014 1. Um den Ton 1 aus Ebbinghaus\u2019 Theorie zu erkl\u00e4ren, m\u00fcssen wir annehmen, dass die auf den gemeinsamen Unterton 1 abgestimmte Faser gleichzeitig die Schwingungen aller drei T\u00f6ne ausf\u00fchrt. Ebbinghaus\u2019 Theorie setzt also voraus, dass die Membranfasern selbst noch auf den hundertsiebenten Ober ton in lebhaftes Mitschwingen ge-rathen. Mir scheint dies freilich aus rein physikalischen Gr\u00fcnden ausgeschlossen zu sein, dass die Fasern der Basilarmembran unter Bildung von 106 Knoten noch irgendwie in Betracht kommende Transversalschwingungen machen k\u00f6nnten. Doch wenn wir es wirklich annehmen W\u00fcrden, so w\u00e4re damit der Ton 1 doch nicht erkl\u00e4rt, denn die einmal auf tlie Periode\n1 In dem von mir ;uigestellten Versuche war die Einheit der Ver-h\u00e4ltnisszahlen gleich 80 Schwingungen. Der Ton 6 wurde durch eine Resonanzgabel, die beiden anderen durch GALTOX-Pfeifehen erzeugt.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 19] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfin\u00e4. \u00fcberhaupt 4$\nfallende Schwankung des relativen Druckes ist in diesem Falle, wie man sich durch Konstruktion der Kurve \u00fcberzeugen kann, verschwindend klein. Auch die an der Untertonfaser 1 liegenden Nerven m\u00fcssten demnach den Ton 7 zur Empfindung bringen.\nAuch die Thatsaehe vermag Ebbinghaus\u2019 Theorie nicht zu erkl\u00e4ren, dass man bei dem Intervall 8:9 die T\u00f6ne 9, 8, 7, 6, 5 und 1 h\u00f6rt.1 Dass diese T\u00f6ne s\u00e4mmtlich h\u00f6rbar sind \u2014 freilich nicht alle gleich stark \u2014, steht mir ohne jeden Zweifel fest.\nDie Unm\u00f6glichkeit der Existenz von Resonatoren\nim Ohre.\nMir scheint sowohl der Versuch Hermann\u2019s2 wie der Ebbinghaus\u2019, die Widerspr\u00fcche der Resonanztheorie durch eine Erweiterung derselben zu beseitigen, gescheitert zu sein. Ich habe die Ueberzeugung gewonnen, dass die Resonanzhypothese je eher, je besser g\u00e4nzlich aufgegeben werden muss, dass sie geradezu ein Hemmniss ist in der Entwickelung unserer Kenntnisse \u00fcber das Zustandekommen der Tonempfindungen. Im Folgenden m\u00f6chte ich nun kurz die Thatsachen zusammenfassen, welche direkt gegen das Vorhandensein von Resonatoren sprechen.\nDie Thatsaehe, dass ein die Oktave als Theilton enthaltender Ton, wenn gleichzeitig die verstimmte h\u00f6here Oktave erklingt, selber (der Cfrundton) schwebt, ist mit der auf die Voraussetzung der Resonanz und der spezifischen Energien gegr\u00fcndeten Theorie Helmholtz\u2019 \u00fcberhaupt unvereinbar : Die Summe von T\u00f6nen wird im Ohre wieder vollst\u00e4ndig zerlegt; um Schwebungen zu erzeugen, m\u00fcssen nach Helmholtz dieselben Theile der Basilar-membran durch zwei Schwingungen erregt werden; dieser Fall muss bei den beiden h\u00f6heren T\u00f6nen eintreten und diese m\u00fcssen schweben, er kann aber bei T\u00f6nen, die um eine Oktave auseinanderliegen, nie eintreten; folglich sind Schwebungen des\n1\tS. 194 meiner fr\u00fcheren Abhandlung, Zeitschr. f. JPsyeh. Bd. XI.\n2\tEine Kritik von H.\u2019s Theorie enth\u00e4lt meine fr\u00fchere Abhandlung S. 195 ff.","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nMax Meyer.\n[XVI. 20]\ntiefen Tons nach der Theorie unter allen Umst\u00e4nden ausgeschlossen1 * 3, w\u00e4hrend sie in Wirklichkeit jederzeit leicht beobachtet werden k\u00f6nnen.\nDass .Helmholtz selbst von der Existenz von Resonatoren im Ohre keineswegs ganz \u00fcberzeugt war, ersieht man aus seinem Bem\u00fchen, das Vorhandensein von Resonatoren nur ja nicht als etwas anderes als eine blosse Hypothese hinzustellen. Es widerstreitet allen physikalischen Erfahrungen, so winzigen K\u00f6rperchen, wie den Membranfasern, so tiefe Eigent\u00f6ne zuzu-schreiben. Man pflegt sich damit zu beruhigen, dass man annimmt, die kleinen Fasern k\u00f6nnten ja entsprechend belastet sein. Bisher hat aber noch Niemand solche anatomischen Unterschiede aufgezeigt, die auf verschiedene Belastung schliessen Hessen, obwohl die Unterschiede doch kolossal sein m\u00fcssen, wenn Saiten, die so geringe L\u00e4ngenverschiedenheiten aufweisen, wie die l\u00e4ngsten und k\u00fcrzesten Fasern der Membran, einerseits den Eigenton 20000, andererseits den Eigenton 20 haben sollen.\nBezold 2 glaubt seine interessanten Untersuchungen \u00fcber die Tonempfindung an partieller Taubheit Leidender als \u201eeine wesentliche St\u00fctze f\u00fcr die Hypothese von Helmholtz\u201c betrachten zu k\u00f6nnen. Es ist leicht zu zeigen, dass gerade seine eigenen Beobachtungen die Unm\u00f6glichkeit der Existenz von Resonatoren im Ohre beweisen. Bezold benutzte Stimmgabeln, die nach seiner Angabe vollkommen obertonfrei sind. F\u00fcr die Einfachheit der Stimmgabelt\u00f6ne versucht er zwei Beweise, die beide verfehlt sind. Der eine geht merkw\u00fcrdiger Weise aus von der HELMHOLTz\u2019schen Theorie, die doch gerade durch Bezold\u2019s mit Hilfe diesem Gabeln gemachte Beobachtungen erst gest\u00fctzt werden soll : Die Kranken, welche f\u00fcr den Grundton der Gabel taub sind, f\u00fcr die Obert\u00f6ne aber nicht, m\u00fcssten es bemerken, wenn man die Gabel an ihr Ohr h\u00e4lt, da sie die Obert\u00f6ne h\u00f6ren m\u00fcssten. Da sie aber von dem Vorhandensein der t\u00f6nenden Gabel an ihrem Ohre keine Ahnung haben, so schliesst Bezold, k\u00f6nnen auch keine Obert\u00f6ne da sein. Dieser Schluss w\u00e4re nur dann zwingend, wenn die Resonanztheorie bereits bewiesen w\u00e4re. Die von Bezold benutzten Gabeln sind schwerlich\n1 Eine Erkl\u00e4rung durch Differenzt\u00f6ne kann ich nicht gelten lassen, so\nlange letztere nicht seihst erkl\u00e4rt sind.\n3 Zeitsehr. f. Psychol. Bd. XIII, S. 161 ff., 1897.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 21] Zur Theorie d. Differ.enzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupti 45\nobertonfrei, denn von Stumpf ist festgestellt worden, dass tiefere Edelmann\u2019sche Gabeln ausser dem Grundtone die Oktave zweifellos hervorbringen. Bezold versucht nun noch einen zweiten Beweis f\u00fcr die Behauptung, dass die Gabeln obertonfrei seien. Man soll dies n\u00e4mlich der Schwingungskurve (a. a. 0., S. 163) ansehen k\u00f6nnen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich mir kein Urtheil dar\u00fcber Zutrauen w\u00fcrde, ob diese Kurve aus absolut einfachen Pendelschwingungen besteht oder eine schw\u00e4chere Oktave enth\u00e4lt. Doch wenn selbst durch Ausmessung festgestellt werden k\u00f6nnte, dass diese Kurve eine obertonfreie Schwingung darstellt, so w\u00fcrde dies gegen Stumpf\u2019s positiven Nachweis des zweiten Theiltons nichts verschlagen, denn dieser k\u00f6nnte immerhin erst bei der Uebertragung der Gabelschwingung auf die Luft in letzterer entstehen, was praktisch denselben Erfolg hat, als wenn er bereits in der Schwingung der Stimmgabel enthalten ist.\nDie Oktave ist also physikalisch vorhanden, nur ist es unm\u00f6glich , sie ohne besondere Hilfsmittel herauszuh\u00f6ren ; ihre Empfindung wird durch den starken tieferen Ton verhindert. (Weshalb dies geschieht, werde ich sp\u00e4ter zeigen.) Nun giebt es ausser den von Stumpf vorzugsweise benutzten Schwebungen noch andere Mittel, die Oktave h\u00f6rbar zu machen. Man braucht nur den Grundton durch Interferenz zu vernichten. Was man durch Interferenz erlangt, dass n\u00e4mlich keine Empfindung des tieferen Tones eintritt, kann man aber in gewissen pathologischen F\u00e4llen auch ohne jeden Apparat erreichen. Man nimmt einen Patienten, dessen Resonator f\u00fcr den Grundton zerst\u00f6rt, dessen Resonator f\u00fcr den Oberton erhalten ist, und h\u00e4lt ihm die t\u00f6nende Gabel an das Ohr. Dann kann die Empfindung des Grundtons nicht zu Stande kommen, wohl aber die des Obertons. Bezold hat nun diesen Versuch gemacht und fand, \u201edass die Kranken, wenn wir nur das Auge ausschliessen, keine Ahnung davon haben, ob \u00fcberhaupt die in starke Schwingung versetzte Gabel direkt vor dem Ohre sich befindet oder nicht.\u201c Dann kann es auch keine Resonatoren im Ohre geben; denn wenn es solche g\u00e4be, h\u00e4tten die Kranken die Oktave h\u00f6ren m\u00fcssen.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nMax Meyer.\nNeue Theorie des H\u00f6re n s.\nMan muss you einer Theorie der Geh\u00f6rsempfindungen vornehmlich verlangen, dass sie eine Erkl\u00e4rung giebt, wie es kommt, dass man aus einem zusammengesetzten Klange diejenigen T\u00f6ne (Prim\u00e4r- und Differenzt\u00f6ne) heraush\u00f6rt, die man, wie die Beobachtung zeigt, bei bestimmter St\u00e4rke der Prim\u00e4rt\u00f6ne that-s\u00e4chlich heraush\u00f6rt. Ich glaube nun, dass man dieser Forderung schwerlich auf andere Weise gen\u00fcgen kann, als dadurch, dass man eine Zerlegung der Tonwelle im Ohre annimmt, wie ich sie in meiner fr\u00fcheren Abhandlung dargestellt habe, wobei zun\u00e4chst die kleinsten Hinundherbewegungen ihre Wirksamkeit verlieren, dann die etwas gr\u00f6sseren u. s. w. Nur auf diese Weise erh\u00e4lt man eine Reihe an Frequenz abnehmender Hinundherbewegungen, wie sie den in Wirklichkeit geh\u00f6rten Prim\u00e4r- und Differenzt\u00f6nen entsprechen. Um nun diesen Vorgang anschaulich zu machen, habe ich damals direkt an der Kurve eine Zerlegungskonstruktion ausgef\u00fchrt. Doch ist diese nicht so \u00fcbersichtlich wie die jetzt von mir erdachte Konstruktion und kann auch zu Missverst\u00e4ndnissen Anlass geben. So ist mir zum Vorwurf gemacht worden, dass ich die bei der Zerlegung sich ergebenden St\u00fccke willk\u00fcrlich mit Tonschwingungen identi\u00df zirte. Dies ist jedoch gar nicht der Fall. Ich habe diese Theile \u201eSchwingungen\u201c genannt, weil sic wirkliche Hinundherbewegungen (nur nicht pendelf\u00f6rmige) darstellen. Im Uebrigen wird durch diesen Namen gar nichts behauptet. Um eine M\u00f6glichkeit zu zeigen, wie eine solche Wellenzerlegung thats\u00e4chlich geschehen kann, habe ich damals angenommen, dass die Schwingungen sich innerhalb der Schnecke mit starker D\u00e4mpfung in irgend einem K\u00f6rper fortpflanzte] 1, der mit den nerv\u00f6sen Endorganen in Verbindung stellt. Diese Annahme begegnet einer Schwierigkeit, weil man nicht recht zu sagen vermag, welcher der anatomisch in der Schnecke festgestellten K\u00f6rper es sein kann, in dem die Schwingungen ged\u00e4mpft fort schreiten. Ich erw\u00e4hnte damals die CoitTi\u2019schen B\u00f6gen, ohne aber selbst recht von einer derartigen Funktion dieser Theile \u00fcberzeugt zu sein. Schon damals w\u00e4re ich zu der einfachen gleich auseinander zu setzenden Anschauung gelangt, wenn es mir schon damals gelungen w\u00e4re, mich g\u00e4nzlich von der Resonanz zu emanzipiren.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 23] Zwr Theorie, d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 47\nDar\u00fcber herrscht allgemeine Uebereinstimmung, dass ein Druck des Steigb\u00fcgels auf das Vorhofswasser die Wassers\u00e4ule der Vorhofstreppe nicht in ihrer L\u00e4ngsrichtung so .verschiebt, dass die verdr\u00e4ngte Wassermenge durch die an der Spitze der Schnecke gelegene Kommunikations\u00f6ffnung auf die Paukentreppe iiberfiiesst, sondern dass in einem solchen Falle wegen der auf diesem l\u00e4ngeren Wege dem Wasser sich entgegenstellenden Reibungswiderst\u00e4nde die membran\u00f6sen W\u00e4nde des h\u00e4utigen Schneckenkanals gegen die Pa\u00fckentreppe hin sich buchten. Die Resonanztheorie wird hier inkonsequent, indem sie annimmt, dass diese Ausbuchtung stets an derjenigen Stelle stattfindet, wo sich der angebliche auf den betreffenden Ton abgestimmte Resonator befindet. Will man die allgemeine Annahme konsequent durchf\u00fchren, so muss man sagen: Da der l\u00e4ngere Weg der Fl\u00fcssigkeit einen gr\u00f6sseren Reibungswiderstand entgegensetzt, so buchten sich die Membranen des Schneckenkanals dort aus, bis wohin die Fl\u00fcssigkeit den k\u00fcrzesten Weg zur\u00fcck zulegen hat, also am Anf\u00e4nge der Schnecke. Je gr\u00f6sser die durch den Steigb\u00fcgel verdr\u00e4ngte Fl\u00fcssigkeitsmenge ist, um so weiter erstreckt sich der in Bewegung gerathene Theil der Membranen, da die Ausbuchtung doch wahrscheinlich nur in geringerer Tiefe m\u00f6glich ist ; und bei \u00e4usserst starken T\u00f6nen d\u00fcrften wohl die membran\u00f6sen W\u00e4nde in ihrer ganzen L\u00e4nge sich ausbuchten. Es wird kaum Jemand leugnen k\u00f6nnen, dass diese Annahme rein den anatomischen Befunden nach eine viel gr\u00f6ssere Wahrscheinlichkeit hat, als jene andere, dass die Basilar-membran aus vielen Tausenden Resonatoren bestehe.\nSehr wahrscheinlich ist es ferner, dass die membran\u00f6sen W\u00e4nde des Schneckenkanals als weiche, in Fl\u00fcssigkeit gebettete organische K\u00f6rper, wenn sie aus ihrer normalen Lage durch \u00e4ufsere Kr\u00e4fte verr\u00fcckt worden sind, nur verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig langsam wieder in den alten Zustand zur\u00fcckkehren werden, falls dies nicht wiederum durch \u00e4ufsere Kr\u00e4fte geschieht. Und zwar k\u00f6nnen wir ohne Schwierigkeit annehmen, dass die Zeit der selbst\u00e4ndigen R\u00fcckkehr in den fr\u00fcheren Zustand mehrere Sekunden betr\u00e4gt, gegen\u00fcber der Zeit einer Hinundherbewegung des Steigb\u00fcgels also im Allgemeinen sehr gross ist, so dass wir in der Anwendung dieser Voraussetzung auf besondere F\u00e4lle keinen nennenswerthen Fehler machen werden, wenn wir annehmen, dass die Membran \u00fcberhaupt nur durch \u00e4ussere Kr\u00e4fte bewegt wird.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"Max Meyer.\n[XVI. 24J\nEbenso, wie bei einer positiven Bewegung des Steigb\u00fcgels die Ausbuchtung der Basilarmembran am Anf\u00e4nge der Schnecke beginnt und sich bei fortschreitender Bewegung des Steigb\u00fcgels immer weiter nach der Spitze der Schnecke hin ausbreitet, muss bei der Umkehr des Steigb\u00fcgels die R\u00fcckbewegung der Membran vom Anf\u00e4nge der Schnecke beginnend nach der Spitze hin sich weiter verbreiten.\nHierzu will ich noch eine Voraussetzung machen, die keine wesentliche Bedeutung hat, die Konstruktion des Bewegungsbildes jedoch bedeutend vereinfacht. Ich will n\u00e4mlich annehmen, dass die R\u00fcckbewegung der Membran nicht \u00fcber ihre normale Lage hinaus stattfindet. Wegen des unsymmetrischen Baues der Basilarmembran (nur auf Einer Seite lagern festere Gebilde) ist es \u00fcbrigens gar nicht unwahrscheinlich, dass die Membran wirklich nur nach Einer Seite hin sich bewegt. Macht nun der Steigb\u00fcgel, wie es am Anf\u00e4nge einer akustischen Erregung h\u00e4ufig der Fall sein d\u00fcrfte, eine negative Bewegung von so grosser Amplitude, dass mehr Fl\u00fcssigkeit angesaugt wird, als in der Ausbuchtung der Membran enthalten ist, so muss, sobald s\u00e4mmtliche aus ihrer normalen Lage verr\u00fcckten Membrantheilchen diese wieder erreicht haben, ein Ueberfliessen der Fl\u00fcssigkeit durch die an der Schneckenspitze gelegene Oeffnung eintreten. Letzteres muss auch dann geschehen, wenn bei Einwirkung von \u00fcberaus starken T\u00f6nen selbst eine Ausbuchtung der ganzen Membran die verdr\u00e4ngte Fl\u00fcssigkeitsmenge nicht fassen kann. Diese die Vorhofsund Paukentreppe direkt verbindende Oeffnung hat demnach die Funktion eines Sicherheitsventils, durch das einem Zerreissen der Basilarmembran vorgebeugt wird.\nWeitere Hypothesen mache ich nicht, denn hiermit ist bereits so ziemlich alles erkl\u00e4rt, was \u00fcberhaupt zu erkl\u00e4ren ist. Man kann dies an den Figuren sehen, die uns eine Anschauung davon geben, wie in speziellen F\u00e4llen die einzelnen Theile der Schneckenmembran in Bewegung gerathen m\u00fcssen. Die senkrecht auf einander folgenden Felder bedeuten einzelne Theile h en der Schneckenmembran, und zwar liegen diese Theilchen bei 1 am Anf\u00e4nge der Schnecke; je gr\u00f6sser die Zahlen werden, um so mehr n\u00e4hern sich die zugeh\u00f6rigen Theilchen der Basilarmembran der Schneckenspitze, ohne dass jedoch das letzte Figurenfeld dem \u00e4ussersten Ende der Membran zu entsprechen brauchte, vielmehr kann es noch ein gr\u00f6sseres oder kleineres St\u00fcck davon","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 25] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 49\nentfernt bleiben ; dieser an der Sehneckenspitze gelegene Theil der Basilarmembran bleibt in diesem Falle eben unth\u00e4tig. Je l\u00e4nger der in Bewegung versetzte Theil der Basilarmembran ist, um so gr\u00f6sser muss nat\u00fcrlich auch die Zahl der erregten Nervenendigungen sein. Da nun aber der in Bewegung versetzte Theil der Basilarmembran um so l\u00e4nger sein muss, je gr\u00f6sser die Amplitude der Steigb\u00fcgelschwingung, also auch der Luftschwingung ist, so folgt aus unseren Voraussetzungen, dass die Intensit\u00e4t der Tonempfindungen abh\u00e4ngig ist von der Zahl der gereizten Nervenendigungen.\nGehen wir in einem der Figurenfelder von links nach rechts, entsprechend den Buchstaben a, &, c u. s. w., so sehen wir, wie die Bewegungen dieses Membrantheilchens derZeitnach auf einander folgen. Jeder Uebergang vom Weissen zum Schwarzen bedeutet eine positive, vom Schwarzen zum Weissen eine negative Bewegung; in den Zwischenzeiten befindet sich das Theilchen in Ruhe. Die gesammte so dargestellte Zeit entspricht einer Periode der zusammengesetzten Tonschwingung, so dass wir, rechts an der Grenze des Feldes angekommen, sofort wieder links am Anf\u00e4nge einsetzen m\u00fcssen.\nDie Konstruktion ist in sehr einfacher, wenn auch nicht m\u00fcheloser Weise auszuf\u00fchren. Man konstruirt zuerst die zusammengesetzte Kurve, z. B. Fig. 2 meiner fr\u00fcheren Abhandlung:\nStumpf, Beitr\u00e4ge II.\n4\n(Aus Zeitschr. f. Psych. XI, S. 218.)","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nMax Meyer.\nIXVI. 26]","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Zbecii-puzjr\t>, TLZzmrjr iki^op \u25a0\t*bcd,*rs\nFig. 0.\tFjg. 9.\tFig. 10t\tFig- 1t\tFig- 12,\n[XVI. 27] tZtw* Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 51\n^anvu\u00fc\u00bb'u\u00bbS'nn\n\ns\n3Q*\n\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nMax Meyer.\n[XVI. 28]\nIhr entspricht in dieser Abhandlung Fig. 1. Nun zeichnet man den Kurventheil 70 bis 4 ab. (Die eine H\u00e4lfte davon liegt in der Figur ganz am Ende rechts, ist aber nat\u00fcrlich links zu erg\u00e4nzen.) Dieser Theil ist a in der neuen Figur. Bei der Uebertragung ist es vortheilhaft, die L\u00e4ngeneinheiten zu ver\u00e4ndern (nat\u00fcrlich f\u00fcr die ganze Konstruktion in gleicher Weise), damit die neue Figur weniger breit als hoch wird. Dann \u00fcbertr\u00e4gt man den Kurventheil 4\u201410, aber in entgegengesetzter senkrechter Richtung, so dass man statt von oben nach unten wiederum von unten nach oben steigt. Als Anfang nimmt man wieder die Ordinate Null, als Abscisse den Werth, den der vorige Kurventheil in Feld 58 als \u00e4ussersten erreicht hat. Kurve a bedeutet eine positive Bewegung der 58 Membrantheilchen. Kurve b bedeutet eine Zur\u00fcckbewegung der Membrantheilchen. Aber, da dieser Kurventheil k\u00fcrzer ist als a, so bleiben die Membrantheilchen 45\u201458 noch in ihrer verr\u00fcckten Lage. Der Kurventheil 10\u201413 giebt die Kurve c, 13\u201415 die Kurve d. Auch hier bleiben die Theilchen 14\u201417 in der verr\u00fcckten Lage. Der Kurventheil 15\u201420 giebt die Kurve e. Diese bedeutet eine positive Verr\u00fcckung. Da eine solche aber bei den Theilchen 14\u201417 bereits vorhanden ist, so \u00fcberspringt sie dieses Gebiet. Kurve e sollte eigentlich nur bis 36 reichen; wegen dieses Sprunges aber dringt sie bis 40 vor. Der Kurventheil 20\u201427 (/) sollte eigentlich nur bis 56 reichen. Da diese Kurve jedoch das Gebiet 40\u201444 \u00fcberspringt, so kann sie s\u00e4nunt-liche verr\u00fcckten Theilchen bis 58 in die Anfangslage zur\u00fcckf\u00fchren; und da auch jetzt noch ein Theil von ihr \u00fcbrig ist, so macht sie noch einen Sprung (ein solcher Sprung bedeutet stets, dass die Fl\u00fcssigkeit im Schneckenkanal an dieser Stelle nur in der L\u00e4ngsrichtung verschoben wird) und f\u00fchrt auch noch die von fr\u00fcher her (bei \u00ce) verr\u00fcckten Theilchen 62\u201464 zur\u00fcck.. Auf diese Weise f\u00fchrt man nun die Konstruktion weiter, bis man zu dem Punkte der urspr\u00fcnglichen Kurve gelangt, von dem man ausgegangen ist.1 Dass schliesslich weder ein Rest \u00fcbrig\n1 Ich habe meine Konstruktionen ganz willk\u00fcrlich bei irgend einem Minimum der Kurve begonnen. Am leichtesten wird die Herstellung der Figur, wenn man beim tiefsten Minimum (z. B. in Fig. 2 der fr\u00fcheren Abhandlung beim Punkt 27) der Kurve anf\u00e4ngt. Beginnt man bei einem andern Punkte, so muss man manchmal, an der rechten Seite angekommen, wieder auf die linke \u00fcbergehen und hier die n\u00f6thigen Erg\u00e4nzungen, machen...","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 29] Zur Theorie cl. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 53\nfcleibt noch ein St\u00fcck fehlt, zeigt uns, dass in der Konstruktion kein Versehen vorgekommen ist.\nFolgende Tabelle giebt eine Uebersicht \u00fcber die Zusammensetzung der den Figuren zu Grunde liegenden Schwingungskuryen :\nFigur :\t1\t2\t3\t4 !\t1 5\t6\t7 und 8\t9 und 10\t11 und 12\nVerh\u00e4ltniss d. Schwingungs-Zahlen\t5:8\t5:8\t5:8\t5:6\t5:6\t10:21\tn : 2 n : (2n +d)\t4n: (5n + d)\t4n:(5n-j-d): (15n + 3d).' 16 n\nYerh\u00e4ltn-iss-zahlen der Amplituden\t1:1\t1:3\t3:1\t2:1\t1:2\t1:1\t2:1:1\t1:1\t2 : 2 :1:1\nDie Figuren 1, 2 und 3 zeigen uns dasselbe Intervall 5:8. Wenn wir in Fig. 1 die Felder 1 bis 11 von links nach rechts verfolgen, so treten wir achtmal in nicht sehr verschiedenen Abst\u00e4nden von Weiss auf Schwarz hin\u00fcber, d. h. die entsprechenden Theilchen der Basilarmembran machen w\u00e4h? rend der Periode achtmal nach nicht genau gleichen, aber auch nicht zu sehr verschiedenen Zeitabschnitten eine positive Bewegung. Nehmen wir nun, um bei m\u00f6glichst einfachen Vorstellungen zu bleiben, an, eine jede solche Bewegung sei ein Beiz f\u00fcr die anliegenden Nervenendigungen, so m\u00fcssen diese die Empfindung des Tones 8 vermitteln. Von den durch den Uebergang von Schwarz auf Weiss bezeichneten negativen Bewegungen nehme ich an, dass sie auf den Nerven ohne Einfluss bleiben. Es ist demnach gleichg\u00fcltig, ob die schwarzen Felder gr\u00f6ssere oder geringere Breite haben. Nur die linksseitige Begrenzung der schwarzen Felder ist f\u00fcr uns von Wichtigkeit, da durch sie der jedesmalige Zeitpunkt bezeichnet wird, in dem ein Beiz zur Wirkung gelangt.\nWir m\u00fcssen nun freilich voraussetzen, dass dieselbe (einer gewissen Zahl von Reizungen w\u00e4hrend der Periode entsprechende)","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nMax Meyer.\n[XVI. 30]\nEmpfindung zu Stande kommt, wenn die Reize in etwas unregelm\u00e4ssigen Zeitabschnitten sich wiederholen, als wenn sie ganz regelm\u00e4ssig erfolgen. Doch ist es selbstverst\u00e4ndlich, dass die Unregelm\u00e4ssigkeit eine gewisse Grenze hat. Wenn beispielsweise in einer Periode 20 Reize in ziemlich gleichen und darauf 20 in unter sich zwar auch gleichen, aber doppelt so grossen Abschnitten, als die fr\u00fcheren, aufeinander-folgen w\u00fcrden, so k\u00f6nnen wir nicht annehmen, dass dann der Ton 40 entstehen muss, sondern dass im ersten Theile der Periode von denselben Nerven der Ton 60 (wegen der Schnelligkeit der Reizfolge), im zweiten Theile die tiefere Oktave 30 zur Empfindung gebracht wird. Die Grenze, innerhalb deren die Unregelm\u00e4ssigkeit der Reizfolge ohne Einfluss ist, kann allerdings nicht a priori bestimmt werden, sondern muss durch Beobachtung von speziellen F\u00e4llen ermittelt werden.\nBei dem Intervall 5:8 werden die T\u00f6ne 8, 5, 2, 1 und, wenn 8 f\u00fcr sich allein st\u00e4rker ist als 5, auch 3 geh\u00f6rt. Der Ton 8 erkl\u00e4rt sich aus Fig. 1, wie wir gesehen haben, sehr leicht ; ebenso der Ton 5, denn bei den Theilchen 14 u. s. w. der Membran folgen w\u00e4hrend der Periode 5 Reize auf einander. Bei den Theilchen 12 und 13 haben wir freilich nur 7 Reize, und diesen Ton h\u00f6rt man nicht. Doch sind die beiden Reize g und l fast doppelt so weit von einander entfernt, als die \u00fcbrigen. Es ist also ziemlich dasselbe, als wenn man bei einer Sirenenscheibe von 8 L\u00f6chern immer eins verstopft. Dann h\u00f6rt man doch den Ton 8, also wird auch wohl hier bei der Reizfolge 12 und 13 der Ton 8 zu Stande kommen. Die St\u00e4rke des Tones 8 w\u00e4re dann insgesammt if oder 20 \u00b0/o ^es Gesammtklanges, w\u00e4hrend objektiv die Amplituden von 8 und 5 gleich sind. Bei den Mem-brantheilchen 40\u201457 sehen wir w\u00e4hrend der Periode 2 Reize auf einander folgen, bei 58\u201464 nur 1 Reiz. So erkl\u00e4ren sich die Differenzt\u00f6ne 2 und 1. Sie stellen zusammen ff oder 39 \u00b0/o ^es Gesammtklanges dar.\nIn Fig. 2, wo der Ton 8 objektiv dreimal so stark ist als 5, ergiebt sich als St\u00e4rke des empfundenen Tones doch nur f-\u00a7 oder 58 \u00b0/0 des Gesammtklanges. Die Differenzt\u00f6ne 1 und 2 entstehen hier bei den Theilchen 49 bis 59, ihre St\u00e4rke betr\u00e4gt also zusammen -J-J- oder 19 \u00b0/0 des Gesammtklanges. Sehr bemerkenswert]! ist der Unterschied, dass bei Fig. 2 der obere, f\u00fcr die Differenzt\u00f6ne 1 und 2 in Betracht kommende Theil einen sehr vielgeringeren","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI 31] %ur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 55\nTheil des Ganzen bildet, als inFig.l bei objektiv gleicher St\u00e4rke der Prim\u00e4r t\u00f6ne. In Fig. 3 ist objektiv der Ton 5 viel st\u00e4rker als 8. Wir sehen hier von einer achtmaligen Reizung nichts. Wie ich nun oben berichtet habe, h\u00f6rt man, falls der Ton 8 nur objektiv vorhanden ist, wenn er auch beim Zu-sammenklange nicht herausgeh\u00f6rt werden kann, doch die Differenzt\u00f6ne 2 und 1. Dementsprechend haben wir hier bei den Theilchen 40 bis 53 eine zweimalige, 54 bis 56 eine einmalige Reizung w\u00e4hrend der Periode. Die St\u00e4rke des empfundenen Tones 5 ist in diesem Falle ff oder 70 \u00b0/0, die der Differenzt\u00f6ne 2 und 1 zusammen -J-J oder 30 % des Gesammtklanges ; objektiv ist der Ton 5 dreimal so stark als 8. Der Differenzton 3 ist in diesem Falle nicht zu h\u00f6ren, wohl aber in dem der Figur 1 entsprechenden. Wenn wir die beiden Figuren mit einander vergleichen, so sehen wir leicht, dass uns kaum etwas Anderes \u00fcbrig bleibt; als in Fig. 1 aus der eigenth\u00fcmlichen Bewegungsform der Teilchen 14 bis 39 sowohl den Ton 5 als 3 herauszulesen. Die Annahme freilich lehne ich von vornherein ab, dass etwa bei diesen Theilchen dieselben Nervenendigungen gleichzeitig den Ton 5 und 3 vermittelten. Vielmehr k\u00f6nnen nur einzelne 5, andere 3 zur Empfindung bringen. 5 ist ja sehr leicht erkl\u00e4rt, denn wir hab\u00e8n \u00fcberall von 14 bis 39 f\u00fcnf auf einander folgende Reizungen. Um den Ton 3 zu erkl\u00e4ren, m\u00fcssen wir annehmen, dass bei einzelnen Theilchen zweimal je zwei Reizungen ihrer Wirkung nach zu einer einzigen verschmelzen. Dass dies unm\u00f6glich sei, wird wohl Niemand behaupten. Ich weise bei dieser Gelegenheit auf die in meiner fr\u00fcheren Abhandlung ver\u00f6ffentlichten Versuche mit unregelm\u00e4ssig auf einander folgenden Luftst\u00f6ssen bei Sirenenscheiben hin. Man macht dabei manchmal ganz seltsame, schwer zu erkl\u00e4rende Beobachtungen, jedenfalls nicht weniger schwer, als hier das H\u00f6ren des Tones 3. Weshalb aber zwei Reize zu einem verschmelzen, dar\u00fcber kann ich in unserem Falle eine bestimmte Aussage noch nicht machen, blosser Vermuthungen aber m\u00f6chte ich mich lieber enthalten.\nDie Figuren 4 und 5 zeigen uns das Intervall 5:6. In Figur 5, wo der Ton 6 objektiv an St\u00e4rke \u00fcberwiegt, sehen wir bei den Feldern 1 bis 13 sechs Reizungen in der Periode, bei 14 bis 17 f\u00fcnf Reizungen, bei 18 bis 23 vier Reizungen, bei 24 bis 29 drei, bei 30 bis 33 zwei, bei 34 bis 36 Eine Reizung. Diese T\u00f6ne werden auch alle geh\u00f6rt, mit Ausnahme von 2, den ich wenig-","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nMax Meyer.\n[XVI. 32]\nstens mit Sicherheit nicht festzustellen vermochte. Doch ist in diesem Falle die Verschmelzung zweier Reize zu einem einzigen sehr leicht zu erkl\u00e4ren, da sie verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig ausserordentlich nahe an einander liegen, in den Feldern 30 und 31 der Fig. 5 hei a und c, in den Feldern 32 und 33 bei l und a. In Fig. 4, wo der Ton 6 objektiv viel schw\u00e4cher ist als 5, sehen wir einen sechsmaligen Reiz \u00fcberhaupt nicht entstehen, wohl aber die den Differenzt\u00f6nen 4, 3 und 1 entsprechenden Reizfolgen. In den Feldern 21 bis 23 von Fig. 4 haben wir drei Reizungen und k\u00f6nnen daher annehmen, dass hier der Ton 3 entsteht. Andererseits jedoch muss man bedenken, dass die drei Reize i, ct und c sehr nahe an einanderliegen, dass dann aber eine Pause folgt. Es ist also \u00e4hnlich, als wenn wir bei einer Sirenenscheibe von vier L\u00f6chern immer eines verstopften; in diesem Falle h\u00f6rt man doch den Ton vier. Wir k\u00f6nnen also annehmen, dass auch hier nicht der Ton 3, sondern 4 zur Empfindung gelangt. Dies eben ist die Zweideutigkeit des Reizes, von der ich fr\u00fcher sprach, durch die eine abwechselnde Verst\u00e4rkung bald von 3, bald von 4 beim Intervall 5 : 6 erm\u00f6glicht wird. Welches freilich die physiologischen Ursachen sein k\u00f6nnen, durch die bewirkt wird, dass dem zweideutigen Reize bald die eine, bald die andere Empfindung entspricht, dar\u00fcber weiss ich nichts zu sagen. Aehnlich, wie hier sind die Verh\u00e4ltnisse beim Intervall 4 : 5 und andern.\nFig. 6 zeigt uns das Intervall 10 : 21, also in mittleren Lagen eine um ziemlich viel Schwingungen verstimmte Oktave. In den unteren Feldern sehen wir 21 Reizungen w\u00e4hrend- der Periode auf einander folgen. Der Ton 21 m\u00fcsste nun eigentlich, wie leicht aus der Figur zu ersehen ist, zweimal, in der Gregend von e und s schweben, weil die in k\u00fcrzeren Zeitabschnitten sich wiederholenden Reize sich hier bis auf das Theilchen 13 hin erstrecken, bei dem in der Gegend von a und m die Reizungen nach doppelt so langen Zeiten auf einander folgen. Er schwebt aber, wenn keine Obert\u00f6ne vorhanden sind, wie ich gezeigt habe, \u00fcberhaupt nicht. Es handelt sich jedoch in diesem Falle auch nur um sehr geringe St\u00e4rkeschwankungen, die wahrscheinlich zu gering sind, um bemerkt werden zu k\u00f6nnen. Wir erhalten also bei den Theilchen 1 bis 12 den Ton 21, 13 bis 40 den Ton 10 und bei 41 bis 48 den Differenzton 1, wie er in diesem Falle thats\u00e4chlich zu beobachten ist.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"[XVI. 33] %ur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 57\nDie Figuren 7 und 8 zeigen uns den Vorgang bei einem nur ganz minimal verstimmten Oktavenintervall (wo also kein Differenzton entsteht), wenn der tiefere Ton die Oktave als Oberton enth\u00e4lt. In diesem Falle (etwa beim Intervall 500 :1001) kann ich nat\u00fcrlich nicht die ganze Periode aufzeichnen. Wir brauchen aber auch, um uns den Vorgang anschaulich darzustellen, nur die beiden charakteristischen Phasen, die, wenn der h\u00f6here Ton um 1 Schwingung verstimmt ist, nach Verlauf von ^ Sek. sich immer abl\u00f6sen. Diese beiden Phasen sehen wir nun in Fig. 7 und 8. In Fig. 7 erstrecken sich die Reizungen des h\u00f6heren Tons \u00fcber 5 Felder, die des tieferen \u00fcber 17. In Fig. 8 sind die Reizungen des h\u00f6heren Tons g\u00e4nzlich verschwunden, die des tieferen erstrecken sich \u00fcber 12 Felder. Beide T\u00f6ne m\u00fcssen also schweben, aber der h\u00f6here auffallender, weil er abwechselnd auftritt und wieder verschwindet, w\u00e4hrend der tiefere nur abwechselnd st\u00e4rker und schw\u00e4cher wird.\nBeim verstimmten Intervall 4: 5 h\u00f6rt man, wie ich festgestellt habe, wenn keine Obert\u00f6ne vorhanden sind, keine Schwebungen des Differenztons 1. Wenn solche zu Stande k\u00e4men, so k\u00f6nnte dies nur dadurch geschehen, dass die objektiven T\u00f6ne mit best\u00e4ndig sich \u00e4ndernder Phase zusammenklingen. Man kann in diesem Falle vier charakteristische Phasen unterscheiden, die, wenn der h\u00f6here Ton um 1 Schwingung verstimmt ist, in Abst\u00e4nden von tV Sek. auf einander folgen, zusammen also eine Viertelsekunde ausf\u00fcllen. Fig. 9 bringt uns die erste, Fig. 10 die zweite dieser Phasen zur Anschauung. Die dritte und vierte erh\u00e4lt man fast genau, wenn man in diesen beiden Figuren Weiss und Schwarz mit einander vertauscht. Wir \u00fcberzeugen uns ohne Weiteres, dass diese Phasenverschiebung keine bemerkenswerthe Klang\u00e4nderung zu bewirken im st\u00e4nde ist. Ein ganz anderes Bild zeigen uns die Figuren 11 und 12, die ebenfalls das verstimmte Intervall 4:5 darstellen, wobei aber zu 4 der Oberton 16, zu 5 der Oberton 15 hinzugef\u00fcgt ist. Hier \u2022kann man zwei charakteristische Phasen unterscheiden, die, wenn der Ton 5 um 1 Schwingung verstimmt ist, in Abst\u00e4nden von Sek. auf einander folgen, zusammen eine Viertelsekunde aus* f\u00fcllen, sodass also der ganze Vorgang sich viermal in der Sekunde wiederholt, entsprechend den 4 Schwebungen des Differenztons 1, die man in diesem Falle h\u00f6rt. In Fig. 11 kommt der Differenzton 1 in mehr als 10 Theilchen von 36\u201446 zu Stande, in Fig. 12","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nMax Meyer.\n[XVI. 34]\ndagegen nicht einmal ganz in einem einzigen, 35. Wir haben also hier die Schwebungen des Differenztons direkt erkl\u00e4rt, ohne in der Annahme von allerlei mit einander schwebenden Differenzt\u00f6nen unserer Phantasie freien Spielraum lassen zu m\u00fcssen.\nIch habe im Vorstehenden meine Theorie auf eine Anzahl spezieller F\u00e4lle angewandt, die mir in der einen oder andern Hinsicht besonders merkw\u00fcrdig waren. Mir scheint die Ueberein-stimmung der Theorie mit den Thatsachen in allen diesen F\u00e4llen eine recht gute zu sein. Doch d\u00fcrfte die Theorie, wenn sich ihre Grundvoraussetzung als richtig erwiese, jedenfalls in den Einzelheiten einen weiteren Ausbau erfordern. Vor Allem aber bedarf das Thatsachenmaterial, das durch die Theorie erkl\u00e4rt werden soll und auf das sich jede Theorie daher zu st\u00fctzen hat, noch einer recht ausgiebigen Erweiterung durch neue Beobachtungen. Am meisten muss man wohl nach der bisherigen Darstellung meiner Theorie an den daraus folgenden Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen Anstofs nehmen, F\u00fcr die Differenzt\u00f6ne scheint aus der Theorie doch eine gr\u00f6ssere relative St\u00e4rke sich zu ergeben, als sie in Wirklichkeit zu beobachten ist, und die Abschw\u00e4chung des h\u00f6heren Prim\u00e4rtons eines Zweiklanges scheint auch nicht so bedeutend zu sein, als die Theorie erwarten l\u00e4sst. Doch das muss ich betonen, dass die obigen Intensit\u00e4tsbestimmungen auf der stillschweigend gemachten Voraussetzung beruhen, dass die Nervenendigungen in gleicher Dichtigkeit der L\u00e4nge nach \u00fcber die Basilarmembran verbreitet sind, und dass die L\u00e4nge des ausgebuchteten Theiles der Membran stetsproportional ist der W eite der betreffenden Schwingungs-bewegung des Steigb\u00fcgels. Wie weit die erstere Annahme erf\u00fcllt ist, kann man bei unserer mangelhaften anatomischen Kenntniss der Schnecke nicht sagen; die zweite ist aber sicherlich nicht erf\u00fcllt, da der Querschnitt des Schneckenkanals keineswegs vom Anf\u00e4nge bis zur Schneckenspitze der gleiche ist. Ich werde auf diesen Punkt in einer weiteren Abhandlung n\u00e4her eingehen und hoffe zeigen zu k\u00f6nnen, dass meine Theorie nicht nur die Qualit\u00e4ten, sondern auch die Intensit\u00e4ten in vollkommenerer Weise als die Besonanztheorie zu erkl\u00e4ren vermag.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"[XVII. 13] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 59\nAnhang I.\nUeber einen Apparat zur Demonstration der. Wellenzerlegung durch das Geh\u00f6rorgan.\nMan hat bekanntlich, um die Eigenth\u00fcmlichkeit der Wellenbewegung zu verdeutlichen, allerlei Wellenmaschinen construirt, die einen der Wellenbewegung analogen Vorgang vor dem Auge des Betrachtenden vor\u00fcberziehen lassen. Zu \u00e4hnlichem Zwecke, um n\u00e4mlich die durch Einwirkung einer beliebigen akustischen Welle auf das Ohr meiner Theorie gem\u00e4fs bewirkte verschieden frequente Reizung der Nervenendigungen in der Schnecke in ganz langsamer Aufeinanderfolge darzustellen, habe ich einen Apparat construirt, dessen Einrichtung und Function ich kurz beschreiben m\u00f6chte.1\nWie die Figur zeigt, enth\u00e4lt der Apparat eine Reihe (12) Gl\u00fchl\u00e4mpchen, die eine Reihe von Nervenendigungen in der Schnecke vertreten sollen. Die in der Figur sichtbare eiserne Scheibe, die vermittelst einer Schraube ohne Ende langsam gedreht werden kann, enth\u00e4lt an der Peripherie eine Curve, die zusammengesetzt ist aus zwei ein Nonenintervall (4:9) bildenden Sinusschwingungen. Da die Scheibe leicht auswechselbar ist, so kann jedoch auch jede beliebige anders zusammengesetzte Curve angewandt werden. Der die Wellenzerlegung bewirkende Mechanismus besteht aus zw\u00f6lf beweglichen Holzrahmen (entsprechend den zw\u00f6lf L\u00e4mpchen), von denen jeder einen eigen\u00ab th\u00fcmlich gebauten Schleifkontakt tr\u00e4gt.\nDie Holzrahmen, die durch Drehung der Curvenscheibe bewegt werden, sind so eingerichtet, dafs eine kleine (positive\n1 Der Apparat befindet sich im Psychologischen Seminar zu Berlin und kann dort in Augenschein genommen werden.","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\tMax Meyer-, . ,\t[XVII. 14]\noder negative) Steigung der Curve nur den bezw. die ersten Rahmen in (positive oder negative) Bewegung versetzt und damit ein Ergl\u00fchen oder Erl\u00f6schen der zugeh\u00f6rigen L\u00e4mpchen veranlagt. Je gr\u00f6fser die Steigung der Curve ist, um so gr\u00f6fser ist auch die Zahl der bewegten Rahmen und damit der zum Ergl\u00fchen bezw. Erl\u00f6schen gebrachten L\u00e4mpchen. Dies entspricht insofern der Bewegung der Basilarmembran, als durch eine kleine Hin- und Herbewegung des Steigb\u00fcgels nur der am Anf\u00e4nge gelegene Theil der Basilarmembran in Bewegung versetzt und so auf die hier lagernden Nervenendigungen ein Reiz ausge\u00fcbt wird, w\u00e4hrend durch gr\u00f6fsere Hin- und Herbewegungen des Steigb\u00fcgels auch weiter nach der Schneckenspitze hin gelegene Theile der Basilarmembran bewegt werden.\nDreht man nun die Scheibe mit der Curve (4:9) einmal herum, so sieht man die ersten L\u00e4mpchen neunmal, die weiter folgenden viermal und die letzten einmal ergl\u00fchen, entsprechend den drei T\u00f6nen, die bei Einwirkung einer solchen Luft welle auf das Geh\u00f6rorgan thats\u00e4chlich geh\u00f6rt werden. Man kann also auf diese Weise auch dem, der nicht n\u00e4her in die Theorie eingeweiht ist, die M\u00f6glichkeit einer den wirklichen Tonempfindungen entsprechenden Zerlegung des physikalischen Schwingungsvorganges anschaulich zeigen, was der Zweck des Apparates ist.\nAnhang II.\nErweiterung der Theorie des H\u00f6rens.1\nIn der obigen Darstellung der Theorie war vorausgesetzt worden, dafs die Nervenendigungen in gleicher Dichtigkeit der L\u00e4nge nach \u00fcber die Basilarmembran ausgebreitet seien, und dafs die von einer Querfaser der Membran bei der Einwirkung einer Tonschwingung beschriebene Fl\u00e4che am Anf\u00e4nge der Schnecke ebenso grofs sei wie an der Spitze der Schnecke und\n1 Die folgende Ableitung geht nicht etwa von einer der Theorie hinzugef\u00fcgten Hilfshypothese aus, sondern ist eine Ber\u00fccksichtigung der that-s\u00e4chliehen, wenn auch noch nicht mit gr\u00f6fser Genauigkeit und Zuverl\u00e4ssigkeit festgestellten anatomischen Befunde.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"[XVII. 9] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt, \u00dfl\nan jeder anderen Stelle der Membran. Diese letztere Voraussetzung entspricht, wie schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt wurde, zweifellos nicht der Wirklichkeit, da die Membran an Breite nach der Schneckenspitze hin betr\u00e4chtlich zunimmt. Im Folgenden wird nun dargestellt, welche Wirkung die verschiedene Breite der Membran der neuen Theorie zufolge auf die Intensit\u00e4t der Tone haben mufs.\nWir wollen voraussetzen, die Basilarmembran nehme vom Anf\u00e4nge bis zur Schneckenspitze gleichm\u00e4fsig um so viel zu, dafs die gr\u00f6fste Breite sechsmal so grofs ist als die geringste. Letztere sei gleich b. Die L\u00e4nge der Membran sei gleich 150 6. Diese Annahmen d\u00fcrften nach den bisherigen Messungen der Membran einigermafsen mit den wirklichen Verh\u00e4ltnissen \u00fcbereinstimmen. Die Entfernung einer beliebigen Stelle der Membran vom Anf\u00e4nge sei \u00e6, die Breite der Membran an diesem Punkte \u00df.\nDann ist\nDie von einer Querfaser der Membran bei der Bewegung aus der Ruhelage bis zur maximalen Ausbuchtung beschriebene Fl\u00e4che sei am Anf\u00e4nge der Membran q, an einer beliebigen Stelle x. Machen wir \u00fcber das Verh\u00e4ltnifs von q und x die einfachste Annahme, dafs n\u00e4mlich diese Fl\u00e4chen \u00e4hnlich sind, so ist:\nx _ \u00df2\t(306 + x)2\nq 62\t90062\nDie von einem ausgebuchteten Theile der Membran aufgenommene Fl\u00fcssigkeitsmenge f ist :\n\u00e4TSfjr [(30& + z2)3-(30& + z1)3]","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nMax Meyer.\n[XVII. 10]\nDie gesammte in der Ausbuchtung der ganzen Membran Platz findende Fl\u00fcssigkeitsmenge F erhalten wir, wenn wir x\u00b1 \u2014 0, \u00e62 \u2014 150b setzen:\nF =\t[(180\u00c4)8 _ (30i)3J =2150bq\nWir wollen nun berechnen, wie weit die Membran vom Anf\u00e4nge an sich ausbuchten mufs, um die Fl\u00fcssigkeitsmenge 50 bq aufzunehmen. Dann ist xx \u2014 0, x2 die zu berechnende Unbekannte.\n50 bq = 27(^.2 [(306 + x)* - 270006*] x = 24,5146\nAuf dieselbe Weise k\u00f6nnen wir berechnen, wie weit die Membran vom Anf\u00e4nge an sich ausbuchten mufs, um die Fl\u00fcssigkeitsmengen 100 bq, 150 bq, 200 bq u. s. w. aufzunehmen. Die folgende Tabelle zeigt uns die Ergebnisse der Rechnung. Links stehen die Fl\u00fcssigkeitsmengen als Vielfache der willk\u00fcrlich angenommenen Einheitsmenge 50 bq, rechts die zugeh\u00f6rigen Werthe von x als Vielfache von b.\nf\tX\tf\tX\tf\tX\tf\tX\tf\tX\n1\t24,51\t11\t84,78\t21\t111,98\t31\t131,50\t41\t147,18\n2\t36,72\t12\t88,10\t22\t114,18\t32\t133,20\t42\t148,60\n3\t45,60\t13\t91,24\t23\t116,31\t33\t134,88\t43\t150,00\n4\t52,77\t14\t94,22\t24\t118,38\t34\t136,51\t\t\n5\t58,88\t15\t97,07\t25\t120,40\t35\t138,12\t\t\n6\t64,24\t16\t99,80\t26\t122,36\t36\t139,70\t\t\n7\t69,06\t17\t102,42\t27\t124,28\t37\t141,25\t\t\n8\t73,45\t18\t104,94\t28\t126,14\t38\t142,77\t\t\n9\t77,49\t19\t107,37\t29\t127,97\t39\t144,26\t\t\n10\t81,25\t20\t109,71\t30\t129,75\t40\t145,73\t\t\nIch will nun an einem Beispiel zeigen, wie obige Tabelle bei den theoretischen Intensit\u00e4tsbestimmungen zusammengesetzter Kl\u00e4nge zu verwerthen ist. Von der durch den Steigb\u00fcgel eines Ohres verdr\u00e4ngten Fl\u00fcssigkeitsmenge kann angenommen werden, dafs sie der Entfernung des Steigb\u00fcgels aus seiner Ruhelage proportional sei. Nun mache der Steigb\u00fcgel eine periodische","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"[XVII. 11] Zur Theorie d. Differenzt\u00f6ne u. d. Geh\u00f6rsempfind. \u00fcberhaupt. \u00df3\nSchwingung, die zusammengesetzt sein soll aus den Sinusschwingungen des Quintenintervalls in gleichen Amplituden.\nUm in diesem Falle ein Bild von der Bewegung der Basilar-membran zu erhalten, m\u00fcssen wir zun\u00e4chst die Schwingungs-curve nach den fr\u00fcher entwickelten Kegeln zerlegen. Wir erhalten dann f\u00fcr die drei h\u00f6rbaren T\u00f6ne 3, 2 und 1 drei Amplit\u00fcdentheile, die sich ungef\u00e4hr verhalten wie 2:9:8. Diese Theile bedeuten jedoch der wachsenden Membranbreite wegen nicht auf einander folgende L\u00e4ngen der Basilarmembran, sondern auf einander folgende Fl\u00fcssigkeitsmengen. Die zu diesen Fl\u00fcssigkeitsmengen geh\u00f6rigen Membranl\u00e4ngen bestimmen wir nun aus der Tabelle auf folgende Weise.\nWenn wir als Fl\u00fcssigkeitseinheit 50 bq annehmen, so erhalten wir als die zur Erzeugung des Tones 3 dienende Membranl\u00e4nge 36,7 (da x =36,7 f\u00fcr f \u2014 2). Gehen wir um 9 Fl\u00fcssigkeitsmengen weiter, so erhalten wir x = 84,8, als Membranl\u00e4nge f\u00fcr den Ton 2 also 84,8 \u2014 36,7 = 48,1. Gehen wir nun um 8 Fl\u00fcssigkeitsmengen weiter, so erhalten wir x \u2014 107,4, als Membranl\u00e4nge f\u00fcr den Ton 1 also 107,4 \u2014 84,8 ==- 22,6. Die zur Erzeugung der T\u00f6ne 3, 2 und 1 dienenden Membranl\u00e4ngen verhalten sich daher ungef\u00e4hr wie 37:48:23.\nWenn wir als Fl\u00fcssigkeitseinheit 100 bq annehmen, d. h. wenn wir die physikalischen T\u00f6ne auf das Ohr in demselben St\u00e4rkeverh\u00e4ltnifs, aber mit verdoppelter Amplitude einwirken lassen, so erhalten wir als Membranl\u00e4ngen f\u00fcr die drei T\u00f6ne 3, 2 und 1 bezw. 52,8, 114,2 \u2014 52,8 = 61,4, 142,8 \u2014 114,2 = 28,6. Die zur Erzeugung der T\u00f6ne 3, 2 und 1 dienenden Membran* l\u00e4ngen verhalten sich also in diesem Falle ungef\u00e4hr wie 53 :61:29.\nDas St\u00e4rkeverh\u00e4ltnifs der geh\u00f6rten T\u00f6ne w\u00fcrde hiernach nicht ganz unabh\u00e4ngig sein von der absoluten Intensit\u00e4t, mit der die Tonschwingungen auf das Ohr einwirken. Vielmehr","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nMax Meyer.\n[XVII. 12]\nwird durch gr\u00f6fsere absolute Tonintensit\u00e4t die relative Intensit\u00e4t der h\u00f6heren T\u00f6ne etwas beg\u00fcnstigt. Doch ist der Unterschied nicht so grofs, dafs man hoffen k\u00f6nnte, ihn durch Beobachtung festzustellen, da die Schwierigkeiten bei feineren Untersuchungen dieser Art dem Anscheine nach un\u00fcberwindlich sind.\nBei der fr\u00fcheren Darstellung meiner Theorie d\u00fcrfte es Anstofs erregt haben, dafs die Abschw\u00e4chung des h\u00f6heren von zwei Prim\u00e4rt\u00f6nen im Zusammenklange nach der Theorie so aufserordentlich grofs ist, und dafs die Differenzt\u00f6ne verh\u00e4ltnifs-m\u00e4fsig gar zu stark sind. Die obigen Ausf\u00fchrungen zeigen, dafs dieses auff\u00e4llige St\u00e4rkeverh\u00e4ltnifs durch die Wirkung der verschiedenen Membranbreite derart modifizirt wird, dafs kaum noch Anstofs daran zu nehmen ist, zumal wTenn man bedenkt, dafs die Gfr\u00f6fsenverh\u00e4ltnisse der Membran hier nur der Wahrscheinlichkeit nach angenommen sind, in Wirklichkeit aber noch andere sein k\u00f6nnen.\nFalls die Basilarmembran nicht bei allen Individuen in gleicher Weise gebaut w\u00e4re, sondern bei einigen gr\u00f6fsere, bei anderen geringere Breitenunterschiede aufweisen w\u00fcrde, was keineswegs unwahrscheinlich ist, so w\u00fcrde dies nach der Theorie individuelle Unterschiede des H\u00f6rens zur Folge haben. Vor Allem w\u00fcrden Personen, bei denen die Zunahme der Membranbreite nicht so betr\u00e4chtlich ist, die Differenzt\u00f6ne bei Weitem st\u00e4rker h\u00f6ren als solche, deren Membran nach der Schneckenspitze zu sich stark verbreitert.\nDafs die Membran gerade am Anf\u00e4nge so sehr schmal ist, bringt unter Anderem den Vortheil mit sich, dafs selbst ein Schall von sehr geringer Schwingungsamplitude noch leicht eine Schallempfindung hervorruft (was ja hinl\u00e4nglich bekannt), da infolge der geringen Breite der Membran auch bei minimalen Schwingungen des Steigb\u00fcgels ein nicht unbedeutender L\u00e4ngenabschnitt der Basilarmembran in Bewegung gerathen mufs.\nEine Konsequenz der entwickelten Anschauungen ist, dafs bei der Verst\u00e4rkung einer einfachen auf das Ohr einwirkenden Tonschwingung die zum Centralorgan fortgepflanzte physiologische Erregung nicht in gleichem, sondern in geringerem Maafse zunimmt, als die Schwingungsamplitude.\nDie vorstehenden Auseinandersetzungen \u00fcber zusammengesetzte Kl\u00e4nge beschr\u00e4nken sich auf solche Kl\u00e4nge, die von nur zwei physikalischen Komponenten gebildet werden. Wenn","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"[XVII. 13] Zur Theorie d. Differenz t\u00f6ne u, d. Geh\u00f6rsempfind, \u00fcberhaupt. 65\nnicht nur zwei, sondern eine gr\u00f6fsere Zahl Sinusschwingungen erzeugt wTerden, so gelten nat\u00fcrlich dieselben theoretischen Regeln. Bedenken erregende Schwierigkeiten scheinen mir aus diesen complicirteren F\u00e4llen f\u00fcr die Theorie nicht zu entstehen.\nBei vielstimmigen Accorden, wie sie in unserer Orchestermusik ganz gew\u00f6hnlich sind, ist zu erwarten, dafs der im Concertsaal stattfindenden Reflexionen wegen nicht alle T\u00f6ne gleich stark auf beide Ohren, sondern die einen st\u00e4rker auf das eine, die andern st\u00e4rker auf das andere Ohr einwirken. Dies w\u00fcrde nach der Theorie in vielen F\u00e4llen zur Folge haben, dass gewisse T\u00f6ne auf dem einen, gewisse auf dem anderen Ohre unh\u00f6rbar werden. Da wir aber mit beiden Ohren h\u00f6ren, so kann nur selten ein Ton f\u00fcr unsere Empfindung g\u00e4nzlich verloren gehen, da es nicht wahrscheinlich ist, dass h\u00e4ufig derselbe Ton f\u00fcr beide Ohren verschwindet.\nF\u00fcr den Genuss vielstimmiger Musik d\u00fcrfte daher die Existenz von zwei Geh\u00f6rorganen nicht ohne Bedeutung sein. Man kann sich leicht durch Beobachtung davon \u00fcberzeugen, wenn man beim H\u00f6ren von Musik das eine Ohr mit dem Finger verschliefst. Die Accorde werden dann nicht nur schw\u00e4cher, sondern verlieren auch im Allgemeinen erheblich an Klangf\u00fclle, was kaum anders erkl\u00e4rt werden kann als dadurch, dass einzelne T\u00f6ne bei einohrigem H\u00f6ren stark geschw\u00e4cht oder ganz unh\u00f6rbar sind.\nDurch den Umstand, dafs die Schnecke so klein ist gegen die Wellenl\u00e4nge der akustischen Reize, steht unser Geh\u00f6rorgan in mancher Hinsicht zur\u00fcck hinter dem Auge, da die Wellenl\u00e4nge der optischen Reize verschwindend klein ist gegen die Dimensionen der Netzhaut. Dieser Nachtheil wird nur dadurch einigermafsen ausgeglichen, dafs die Entfernung unserer beiden Geh\u00f6rorgane von einander einen ziemlich grofsen Bruchtheil der Wellenl\u00e4nge der h\u00e4ufiger vorkommenden akustischen Reize darstellt.\nStumpf, Beitr\u00e4ge II.\n5","page":65}],"identifier":"lit38476","issued":"1898","language":"de","pages":"25-65","startpages":"25","title":"Zur Theorie der Differenzt\u00f6ne und der Geh\u00f6rsempfindungen \u00fcberhaupt","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:03:28.145556+00:00"}