Open Access
{"created":"2022-01-31T16:06:10.041732+00:00","id":"lit38482","links":{},"metadata":{"alternative":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft","contributors":[{"name":"Abraham, Otto","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft 3: 22-29","fulltext":[{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Abklingen von Tonempfindungen.\nVon\nOtto Abraham.\n(Im Anschlufs an die vorstehende Abhandlung.)\nDie folgenden theoretischen Betrachtungen sollen ein Versuch sein, die Resultate der mit Dr. Schaerer gemeinsam ausgef\u00fchrten Untersuchungen zu erkl\u00e4ren.\nDas auffallendste Ergebnifs derselben war, dafs die Trillerschwelle f\u00fcr alle T\u00f6ne von der grofsen bis zur viergestrichenen Octave dieselbe war, ca. 30 o (\u2014 0,03 Sec.) f\u00fcr den einzelnen Ton betrug. Es ist dies um so auffallender, weil die Dauerschwelle des einzelnen Tones nach den Untersuchungen, die ich mit Dr. Br\u00fchl ausgef\u00fchrt hatte1, im Wesentlichen eine Function der Schwingungsdauer ist. Um diesen Unterschied zu erkl\u00e4ren, m\u00fcssen wir streng unterscheiden zwischen einem physikalischen und physiologischen Ton. Ein physikalischer Ton braucht, wie in der eben erw\u00e4hnten Arbeit gefunden wurde, nur 2 Schwingungen, um einen Nerven-procefs hervorzurufen ; damit ist aber noch nichts gesagt \u00fcber die Dauer des Nervenprocesses selbst. Wie auch die Endorgane unseres H\u00f6rnerven beschaffen sein m\u00f6gen, ob sie Resonatoren sind oder nicht, wie auch der Nervenprocefs und die Function des betreffenden Gehirntheils erkl\u00e4rt werden m\u00f6ge, das Eine steht jedenfalls fest, dafs eine Empfindung nicht v\u00f6llig synchron mit dem Reiz anf\u00e4ngt und aufh\u00f6rt. Die Tonempfindung klingt an, w\u00e4chst bis zu einer bestimmten Intensit\u00e4t an, bleibt in dieser eine Zeit lang bestehen und klingt dann ab. F\u00fcr unsere Untersuchungen scheint mir die Eigenschaft des Abklingens die wesent-\n1 Otto Abraham und Ltjdwio J. Br\u00fchl. Wahrnehmung k\u00fcrzester T\u00f6ne und Ger\u00e4usche. Zeitschr. f. Psych. 18, S. 201.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"[XX. 418]\nUeber das Abklingen von Tonempfindungen.\nliehe Rolle zu spielen und mit dieser will ich mich zun\u00e4chst ausschliefslich besch\u00e4ftigen.\nW\u00e4hrend bei den Versuchen \u00fcber die Dauerschwelle des einzelnen Tones das Abklingen unber\u00fccksichtigt blieb \u2014 denn die Wiederholung des (einzelnen) Tones erfolgte zu einer Zeit, in der das Abklingen des ersten Tones nicht mehr in Betracht kam \u2014, ist es f\u00fcr unsere jetzigen Versuche sehr wesentlich. Zwei verschieden hohe T\u00f6ne folgen physikalisch unmittelbar auf einander. Der erste Ton ruft eine Tonempfindung hervor, die noch nicht abgeklungen ist, wenn die Empfindung des zweiten Tones beginnt ; wir h\u00f6ren daher w\u00e4hrend dieser Zeit des Abklingens beide T\u00f6ne, d. h. einen Zusammenklang. Machen wir uns diesen Vorgang graphisch klar.\nFig. 1.\nIn Fig. 1 seien die den physikalischen T\u00f6nen entsprechenden Tonempfindungen dargestellt ; ich will in dieser Figur absehen von dem unwesentlichen Anklingen, mich auch nicht k\u00fcmmern um die Form der Abklingecurve, wie sie der Wahrscheinlichkeit entspricht, sondern den einfachsten Fall annehmen, dafs die Tonempfindung proportional der Zeit abklinge, d. h. in der Figur in der Form einer geraden Linie (andere Curvenformen werden sich dann auf diese beziehen lassen). Der Ton klingt dann von E bis I) ab, und man sieht an dem Dreieck BED, dafs ein Vermischen der beiden T\u00f6ne stattfinden mufs. Man m\u00fcfste also eigentlich erst den Ton A h\u00f6ren, dann einen kurzen Accord AB und dann Ton B allein; es ist jedoch nicht noth-wendig, dafs der Accord zur bewufsten Empfindung gelangt; er kann zu kurzdauernd sein und kann aus anderen Gr\u00fcnden von dem Ton B v\u00f6llig verdeckt werden.\nIn Wirklichkeit h\u00f6ren wir (s. vorstehende Abhandlung), sobald die physikalischen T\u00f6ne 30 o dauern, beide T\u00f6ne deutlich getrennt als Triller. Das kann nur daran hegen, dafs die Zeit, in welcher Ton B allein in der Empfindung klingt, sehr grofs","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\tOtto Abraham.\t[XX. 419]\nist im Verh\u00e4ltnifs zur Dauer des Accordes d. h. zur Zeit des Abklingens.\nLassen wir jetzt dieselben T\u00f6ne, die eben 30 o dauerten, nur z. B. 3 o dauern, dann bleibt zwar die Zeit des Abklingens von dieser Aenderung unbeeinflufst, aber jetzt f\u00e4llt der ganze 2., ja der 3., 4. etc. Ton noch in die Abklingezeit des 1. Tones.\nFig. 2.\nMan h\u00f6rt also nur einen Accord, denn ein zeitliches Ueber-wiegen des einzelnen Tones B \u00fcber den Accord ist \u00fcberhaupt nicht vorhanden, und das Intensit\u00e4ts\u00fcbergewicht derselben, ausgedr\u00fcckt durch die Dreiecke EFO, das sich in allen folgenden T\u00f6nen wiederholt, ist nur sehr gering und kann keineswegs die Accor dintensit\u00e4t BE OG verdecken. Das St\u00fcck EFO besteht eigentlich in einem Qualit\u00e4tswechsel der Accordempfindung, entstanden durch die Intensit\u00e4tsabnahme des einen Accordtones. Es entsteht durch diesen Intensit\u00e4tswechsel die .Rauhigkeit, wie sie sich bei unseren Versuchen gezeigt hat (s. vorst. Abhandlung).\nNach dieser graphischen Darstellung erkl\u00e4ren sich unsere Versuche folgendermaafsen: Wir h\u00f6ren unmittelbar aufeinanderfolgende T\u00f6ne deutlich getrennt als Triller, sobald die Abklingezeit verschwindend klein ist im Verh\u00e4ltnifs zur Dauer der T\u00f6ne; wirh\u00f6ren unmittelbar aufeinanderfolgende T\u00f6ne als rauhen Zusammenklang, wenn die Abklingezeit in einem zu grofsen Verh\u00e4ltnifs steht zur Dauer der T\u00f6ne. Das Auffallende bei unseren Versuchen war aber, dafs f\u00fcr alle T\u00f6ne von der grofsen bis zur viergestrichenen Octave dieselbe Zeit ca. 30 o f\u00fcr den Trillerton erforderlich war, um eine deutliche Trillerempfindung zu bewirken. Ich glaube daher zu dem Schlufs berechtigt zu sein, dafs alle T\u00f6ne, unabh\u00e4ngig von ihrer H\u00f6he, dieselbe Abklingezeit haben. Ich wage es, diesen Satz auszusprechen, obwohl die allgemeine musikalische Erfahrung","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"[XX. 420]\nUeber das Abklingen von Tonempfindungen.\n25\ndem gegen\u00fcberzustehen scheint, dafs auf dem Clavier und anderen Musikinstrumenten ein Triller in tieferen Tonlagen schon bei geringerer Geschwindigkeit zu einer undeutlichen Accordempfin-dung verschmilzt als in h\u00f6heren Lagen. Noch widersprechender aber scheinen meiner Behauptung die Resultate Aleeed Mayek\u2019s zu sein.1 Dieser liefs einen bestimmten continuirlichen Ton durch eine rotirende mit Oeffnungen versehene Scheibe dringen und berechnete die Zahl der Tonunterbrechungen, welche bei verschiedenen Tonh\u00f6hen n\u00f6thig war, damit die intermittirende Tonempfindung zu einer continuirlichen wurde. Daraus berechnete er die Zeit des Abklingens und fand f\u00fcr die einzelnen T\u00f6ne folgende Werthe, die er in Form einer Tabelle zusammenstellte :\nG m\ni\n25\nSecunde\n\n91 =\n45\n1\n70\n1\n102\n55\n55\nc2 = Secunde 1\nes ~ 153 1\n92 \u2014 166\n 1 Cs r iso\nAehnliche Resultate erhielt bei anderer Versuchsanordnung Uebantschitsch 2, der die Zeit der Pause berechnete, die eben gen\u00fcgte, um den Tonempfindungen einen intermittirenden Charakter zu geben. Dieser Unterschied der Berechnung ist der Grund, dafs die Zahlen Uebantschitsch\u2019s gr\u00f6fser sind als die Zahlen Mayee\u2019s; im Wesentlichen stimmen aber beide Autoren darin \u00fcberein, dafs f\u00fcr die Unterbrechungsschwelle die Pausendauer eine Function der Schwingungsdauer d. h. der Tonh\u00f6he ist.\nDiese Versuche scheinen mit unseren Versuchen und meinen Schlufsfolgerungen daraus in krassem Widerspruch zu stehen. Ich pr\u00fcfte deshalb zun\u00e4chst in etwas ver\u00e4nderter Form die MAYEE\u2019schen Versuche nach und konnte die Mayee\u2019sehen Resultate vollauf best\u00e4tigen. Die Differenzen waren nur geringf\u00fcgig. Da nun also an der Richtigkeit der Ergebnisse, der MAYEE\u2019schen\n1\tAmerican Journal of Science und Arts 8, 244; 9, 2; 47, 14.\n2\tUeber das An- und Abklingen akust. Empfindungen. Ppl\u00fcger\u2019s Archiv f\u00fcr Physiologie 25, 328.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nOtto \u00c4brciliam.\n[XX. 421]\nsowohl als der unsrigen, nicht zn zweifeln ist, mufs entweder f\u00fcr unsere oder f\u00fcr M.\u2019s Resultate eine andere Erkl\u00e4rung gesucht werden. Der Grund f\u00fcr unsere Trillerschwelle wie f\u00fcr die Schwelle des Unterbrochenklingens bei Mayer mufs im Wesentlichen im Abklingen zu suchen sein. Der Unterschied zwischen beiden Versuchsanordnungen ist aber der, dafs Mayer denselben Ton nach kurzer Pause wiederholte, wir zwei verschieden hohe T\u00f6ne physikalisch unmittelbar aufeinanderfolgen liefsen. Mayer und Urbantschitsch sagen nun, dafs der Moment, in dem die dis-continuirliche Tonempfindung gerade in eine continuirliche \u00fcbergeht, maafsgebend sei f\u00fcr das Abklingen des Tones. Diesen Schlufs wage ich zu bezweifeln; denn, falls auch der 1. Ton noch nicht v\u00f6llig abgeklungen ist, wenn der 2. Ton derselben H\u00f6he einsetzt, so braucht dadurch doch noch keine continuirliche Tonempfindung erzeugt zu werden, denn der Inten sit\u00e4tsunter-schied des abklingenden Tones und des neu beginnenden, zu welchem sich noch die Intensit\u00e4t des abklingenden zum Theil addirt, ist es, der die Intermittenz, die Rauhigkeit veranlafst. Und hier ist zu bedenken, dafs bei wechselnden Intensit\u00e4ten mit gen\u00fcgender Differenz stets die schw\u00e4chere v\u00f6llig = 0 erscheint. Die v\u00f6llige Zeit des Abklingens ist also durch die MAYERsohen Versuche ebensowenig wie durch die Versuche. Urbantschitsch\u2019s gefunden.\nMan mache den bekannten Versuch, den man in der Kindheit so oft gemacht hat ; man lasse einen continuirlichen Ton spielen und verstopfe und \u00f6ffne mit der Fingerbeere rhythmisch beide Geh\u00f6rg\u00e4nge. Dann h\u00f6rt man den Ton nur bei ge\u00f6ffnetem Geh\u00f6rgang, bei geschlossenem eine Pause, d. h. bei schnellem Oeffnen und Schliefsen einen intermittirenden Ton; l\u00e4fst man dagegen die Geh\u00f6rg\u00e4nge continuirlich verschlossen, dann h\u00f6rt man einen continuirlichen leisen Ton, der bei dem rhythmischen Zumachen gar nicht vernommen wird. Genau diesem Versuch scheinen mir die Versuche Mayer\u2019s und Urbartschitsch\u2019s zu entsprechen, und ich glaube, dafs man trotz der gr\u00f6fsten Uebung und Aufmerksamkeit nicht berechtigt ist, zu sagen, die eine Intensit\u00e4t sei = 0, wenn sie mit einer anderen weit gr\u00f6fseren Intensit\u00e4t schnell hintereinander wechselt. In seiner letzten diesbez\u00fcglichen Abhandlung1 sagt Mayer selbst, dafs seine Unter-\n1 Mayee, Researches in Acoustics. Amer. Journ. of Science 47. 1894, S. 3.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"[XX. 422]\nlieber das Abklingen von Tonempfindungen.\n27\nsuchungen nicht \u201ethe total duration of the after-sensation of a sound\u201c bestimmen, sondern ,,that duration in which the aftersensation of a sound does not perceptibly diminish in intensity\u201c. Das w\u00e4re meinen Ausf\u00fchrungen analog, wenn Mayer nicht stillschweigend angenommen h\u00e4tte, dafs die Empfindungsintensit\u00e4ten bei gleicher Reizst\u00e4rke dieselben w\u00e4ren; wenn sie aber ungleiche sind, dann l\u00e4fst sich nach den MAYER\u2019schen Versuchen weder \u00fcber die ganze noch \u00fcber einen Theil der Abklingezeit etwas aussagen, da die Differenzen der Intensit\u00e4ten dann eine Function der Empfindungsintensit\u00e4ten sind. (Die Aenderungen der Reizst\u00e4rke, die Mayer vornahm, tangiren diese Behauptung nicht.)\t, f'i'I 1\nNun haben aber hohe T\u00f6ne bei gleicher Reizst\u00e4rke eine gr\u00f6fsere Empfindungintensit\u00e4t als tiefe T\u00f6ne. Dies ist allerdings bisher nur eine Hypothese, aber die Erfahrung hat ihr eine Anzahl St\u00fctzpunkte verschafft. Helmholtz (Lehre v. d. Tonempf.) glaubte einen Beweis darin zu finden, dafs der Ton einer Sirene bei gleichm\u00e4fsigem Druck des Blasebalges mit der H\u00f6he an St\u00e4rke bis zur Unertr\u00e4glichkeit zunimmt. Eine Stimmgabel c, welche Zinken von gleicher Dicke und Breite hat, und mit derselben Amplitude 1 mm vibrirt wie eine Stimmgabel 0, kann man etwa doppelt so weit vom Ohre entfernen als diese, bis die Grenze der H\u00f6rbarkeit erreicht ist.1 Diese Erfahrungsthatsachen sprechen sehr f\u00fcr die Annahme der Hypothese; allerdings beweist ein constanter Druck des Blasebalges und gleiche mathematische Anordnung bei Stimmgabeln noch nicht, dafs auch der Ton physikalisch genau die gleiche St\u00e4rke hat. Die Intensit\u00e4t des physikalischen Tones h\u00e4ngt ab von dem Luftdruck des Tones d. h. der Amplitude der Luft-theilchen. Wenn man also die Empfindungsst\u00e4rken bei gleichen Reizst\u00e4rken untersuchen will, mufs man auch wirklich gleiche Reizst\u00e4rken herstellen; es m\u00fcfste also ein Apparat construirt werden, der in einem bestimmten Raumpunkte den Druck der einzelnen T\u00f6ne mifst ; er braucht dies f\u00fcr unsere Frage nicht in absoluten Maafsen zu thun, sondern nur in relativen. Einen solchen Apparat glaube ich in dem Phonographen gefunden zu haben: der Stift des Phonographen wird durch das Schwingen der mit ihm verbundenen Membran in die Wachsmasse der\n1 E. Koenig, Pogg. Annal. 157. \u2014 Stumpe, Tonpsychologie I, 370.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nOtto Abraham.\n[XX. 423]\nWalze eingedr\u00fcckt, und zwar ist die Gr\u00f6fse der Vertiefung proportional der Amplitude des Tones. Nehme ich einen beliebigen Ton auf der Walze auf, dann kann ich durch langsamere resp. schnellere Bewegung der Walze bei der Wiedergabe die Tonh\u00f6he variiren. An meinem Apparat1 gelingt dies um zwei Octaven. Die Gr\u00f6fse der Vertiefungen auf der Walze bleibt davon nat\u00fcrlich unbeeinflufst, d. h. physikalisch haben die T\u00f6ne dieselbe Intensit\u00e4t. Ich kann also auf dem Phonographen T\u00f6ne derselben physikalischen Intensit\u00e4t auf ihre Empfindungsintensit\u00e4t hin vergleichen. Es zeigte sich nun deutlich, dafs der Ton in der Tiefe viel schw\u00e4cher erscheint als in der H\u00f6he. Man k\u00f6nnte nur vielleicht entgegenhalten, dafs der Stift bei der Wiedergabe nicht stets die ganze Grube ausnutzt. Aber nat\u00fcrlich kann er sie mehr ausnutzen bei langsamerem Hindurchgleiten als bei schnellerem ; es m\u00fcfsten also, wenn diese mechanische Bedingung in Betracht k\u00e4me, die tieferen T\u00f6ne noch lauter erklingen als die hohen. Da das nicht, sondern das Gegentheil der Fall ist, scheint dies mechanische Moment gar nicht in Betracht zu kommen. Ich untersuchte, um Klangfarben\u00e4nderung zu vermeiden, m\u00f6glichst obertonlose Stimmgabelt\u00f6ne, wieder mit demselben Resultat, dafs sie in der H\u00f6he bei gleicher Amplitude st\u00e4rker erscheinen als in der Tiefe. Genauere Versuchsreihen werde ich sp\u00e4ter ver\u00f6ffentlichen.\nJedenfalls halte ich die Hypothese f\u00fcr gen\u00fcgend gest\u00fctzt, um weitere Schl\u00fcsse darauf aufbauen zu k\u00f6nnen. Ein solcher Schlufs ist die obige Erkl\u00e4rung der MWer\u2019sehen Versuche.. Wenn h\u00f6here T\u00f6ne eine gr\u00f6fsere Empfindungsst\u00e4rke haben als tiefe T\u00f6ne, dann ist bei ihrer schnellen Aufeinanderfolge auch die Differenz der Empfindungsintensit\u00e4ten des abklingenden und des neuen Tones gr\u00f6fser; ich kann daher h\u00f6here T\u00f6ne schneller aufeinander folgen lassen, um dieselbe Differenz der Intensit\u00e4ten zu erhalten, und wenn eine Minimaldifferenz erreicht ist, dann klingt der Ton continuirlich. Ich habe hierbei immer eine geradlinige Abklingecurve vorausgesetzt, doch w\u00fcrden sich diese Er\u00f6rterungen auch auf andere Curvenformen anwenden lassen. \u2014 So glaube ich die MAYER\u2019schen Versuche in Einklang bringen zu k\u00f6nnen mit meiner Annahme, dafs alle T\u00f6ne eine gleiche Ab-\n1 Durch die G\u00fcte des Ouratoriums der Gr\u00e4fin-Luise-Bose-Stiftung ist mir ein vortrefflicher ErasoN\u2019scher Phonograph zur Verf\u00fcgung gestellt worden.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"[XX. 424]\nUeber das Abklingen von Tonempfindungen.\n29\nklingezeit haben. Auf eine Pr\u00fcfung der Frage bei verschiedener Reizintensit\u00e4t habe ich vorl\u00e4ufig aus Mangel an Mefsinstrumenten verzichtet, so dafs ich es dahingestellt sein lasse, welche Beziehung zwischen physikalischer Tonst\u00e4rke und Abklingen besteht.\nViel leichter glaube ich den zuerst erw\u00e4hnten Einwand, der gegen den Satz ,,alle T\u00f6ne klingen gleich schnell ab\u201c, gemacht werden k\u00f6nnte, widerlegen zu k\u00f6nnen, n\u00e4mlich die Erfahrungsthat-sache der Musiker, dafs hei Instrumentalt\u00f6nen Triller und Figuren in der Tiefe bei einer Geschwindigkeit schon verschwommen klingen, hei der sie in h\u00f6heren Tonlagen noch deutlich getrennt empfunden werden. Der Unterschied von Instrumentalt\u00f6nen und unseren Sirenent\u00f6nen beruht erstens darin, dafs unsere T\u00f6ne physikalisch nicht nachklingen, zweitens dafs sie resonanzlos sind. Nehmen wir nun einen Claviertriller, dann ist es klar, dafs die Nachschwingungen der einen Saite noch nicht aufgeh\u00f6rt zu haben brauchen, wenn die zweite Saite angeschlagen und zum Schwingen gebracht wird. Nun richtet sich die Dauer des Nachklingens nach der L\u00e4nge der Saite. L\u00e4ngere Saiten schwingen l\u00e4nger nach als k\u00fcrzere, somit dauern tiefe T\u00f6ne auf dem Clavier bei gleicher Anschlagsdauer l\u00e4nger als hohe T\u00f6ne. Das hat also mit dem physiologischen Abklingen gar nichts zu thun, und es liegt kein Grund vor, aus diesen physikalischen Unterschieden auf D\u00e4mpfungsunterschiede im inneren Ohr zu schliefsen.1\nWie mit dem Clavier verh\u00e4lt es sich bez\u00fcglich der Saiten-nachschwingungen mit allen Anschlagsinstrumenten, Harfe, Either u. s. w. Auch bei den Streichinstrumenten kommen sie hei Saiten\u00fcberg\u00e4ngen, zwar nicht f\u00fcr den Triller, aber doch f\u00fcr musikalische Figuren in Betracht.\nAuch der Resonanzraum der Musikinstrumente bewirkt einen Unterschied der T\u00f6ne gegen unsere resonanzlosen Kl\u00e4nge: Ein gr\u00f6fserer Resonanzraum klingt ebenfalls l\u00e4nger nach als ein kleiner, so dafs auch dadurch der Triller von Instrumentalt\u00f6nen in tieferen Tonlagen eher verschwommen klingt als in h\u00f6heren.\n1 S. Helmholtz, Tonempfind., S. 212.","page":29}],"identifier":"lit38482","issued":"1901","language":"de","pages":"22-29","startpages":"22","title":"Ueber das Abklingen von Tonempfindungen","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:06:10.041738+00:00"}