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{"created":"2022-01-31T14:08:49.516223+00:00","id":"lit38493","links":{},"metadata":{"alternative":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft","contributors":[{"name":"Liebermann, Paul v.","role":"author"},{"name":"G\u00e9za R\u00e9v\u00e9sz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft 4: 117-133","fulltext":[{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIII. 259]\n117\n(Institut f\u00fcr allgemeine und experimentelle Pathologie der Universit\u00e4t Budapest. [Direktor Prof. Dr. Franz Tangl].)\n\u00dcber Orthosymphonie.\nBeitrag zur Kenntnis des Falschk\u00f6rens.\nVon\nPaul v. Liebermann und G\u00e9za R\u00e9v\u00e9sz.\nDie folgende Mitteilung bezieht sich auf einige Erscheinungen, die wir bei dem einen von uns (L.) w\u00e4hrend zweier Anf\u00e4lle von Parakusis beobachtet haben \u2014 wie wir glauben, zum ersten Male. Bekanntlich besteht die auffallendste Ver\u00e4nderung des Geh\u00f6rs bei Parakusis darin, dafs eine gewisse Anzahl von T\u00f6nen (in einer umschriebenen Gegend der Tonreihe) mit ver\u00e4nderter H\u00f6he geh\u00f6rt wird. Dem objektiven Ton entspricht also subjektiv ein Pseudoton.1 Unsere wichtigste Beobachtung besteht nun darin, dafs diese F\u00e4lschung durch gleichzeitiges Angeben eines anderen Tones scheinbar korrigiert wurde, d. h. trotz des Falschh\u00f6rens wurden Akkorde richtig beurteilt. Wir schlagen f\u00fcr diese Erscheinung den Namen Ortho symphonie vor. Weitere Versuche haben gelehrt, dafs sich das Richtigh\u00f6ren nur auf den Gesamteindruck des Akkordes bezieht, beim Heraush\u00f6ren der Komponenten dagegen der Pseudoton wieder zur Geltung kommt.\n1 Die liier in Rede stehende Parakusis wird zur Unterscheidung von Parakusis loci und P. Willisii als P. duplicata oder dysharmonica n\u00e4her bezeichnet, wir schlagen statt dessen den Namen P. qualitatis vor, da sich der Fehler auf die Empfindungsqualit\u00e4t bezieht; der Ausdruck P. dysharmonica d\u00fcrfte durch unsere Beobachtungen als falsch erwiesen sein, P. duplicata, d. h. verschiedene Stimmung der beiden Ohren ist zwar wohl stets vorhanden, aber unserer Meinung nach unwesentlich. Auch versteht man unter diesen Ausdr\u00fccken besonders die Empfindung von Doppelt\u00f6nen, die gar nicht bei allen hierher geh\u00f6rigen F\u00e4llen vorhanden ist.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nFaul v. Liebermann und G-\u00eaza R\u00e9v\u00e9sz.\t[XLVIII. 260J\nKrankheitsgeschickte. P. L., 21 Jahre, Arzt. Die Symptome eines Ohrleidens haben sich vor vier Jahren nach \u00dcberstehen eines Abdominaltyphus zuerst bemerkbar gemacht. Die Untersuchung ergab, dafs eine Otitis media simplex chron. und ein Labyrinthleiden bestanden. Befund von Privatdozenten v. Klug am 8. September 1905: Verminderte Durchg\u00e4ngigkeit der Tuben, Trommelfelleinziehung, Weber nach rechts, untere H\u00f6rgrenze um 2 T\u00f6ne nach oben verschoben, Galton beiderseits geh\u00f6rt, mit ungleicher Tonh\u00f6he, Knochenleitungsdauer verk\u00fcrzt, Rinne Luftleitung \u00fcberwiegend. H\u00f6rsch\u00e4rfe : L. Uhr 5 cm von der Muschel (durch Knochenleitung nicht geh\u00f6rt), Politzers Akumeter 10 cm, Fl\u00fcstersprache 2 m. R. Uhr ad concham (durch Knochenleitung nicht geh\u00f6rt), Politzers Akumeter 5 cm, Fl\u00fcstersprache ad concham. \u2014 Die Versuchsperson hatte bereits vor einigen Jahren einen parakustischen Anfall, der von Privatdozenten v. Klug auf eine akute Exazerbation des Mittelohrleidens zur\u00fcckgef\u00fchrt wurde. Von den in dieser Arbeit besprochenen beiden Anf\u00e4llen wurde der zweite von Herrn Privatdozenten Dr. Haike in Berlin beobachtet und mit Wahrscheinlichkeit auf ein (funktionelles) Labyrinthleiden bezogen. \u2014 F\u00fcr die Beurteilung der Natur der parakustischen Symptome d\u00fcrfte jedoch der Befund von Plerrn Prof. Bezold in M\u00fcnchen entscheiden, der am 2. M\u00e4rz 1908 erhoben wurde, zu einer Zeit, wo vom letzten parakustischen Anfall noch \u00abehr deutliche \u00dcberreste vorhanden waren. Es fanden sich vollkommen normale Verh\u00e4ltnisse im Mittelohr, daf\u00fcr aber die Symptome eines degene-rativen Prozesses im Labyrinth (Schneckenbasis) : nach unten verschobene obere H\u00f6rgrenze (Galton rechts Strich 7,5, links 5,3), verk\u00fcrzte Knochenleitungsdauer (a1 rechts 48 Sek., links 54 Sek.).\nZn den Versuchen haben wir Harmonium, Orgel, Klavier und Stimmgabeln benutzt, letztere nur zu wenigen Versuchen, da uns keine aus mehreren T\u00f6nen bestehende Stimmgabelreihe zur Verf\u00fcgung stand.\nZu den ersten Versuchen, die im akuten Stadium des ersten Anfalles (im April 1907) ausgef\u00fchrt wurden, haben wir beide Ohren benutzt. Es \u00fcberwog n\u00e4mlich stets das Ohr mit besserer H\u00f6rsch\u00e4rfe, so dafs beim Offenlassen beider Ohren ein einfacher, diesem Ohr entsprechender Ton geh\u00f6rt wurde. Sp\u00e4ter, als das Falschh\u00f6ren auf dem linken Ohr bis auf geringe \u00dcberreste verschwunden war, verwendeten wir vorzugsweise das rechte.1\nUnsere erste Aufgabe war die, die Pseudot\u00f6ne durch den Vergleich mit normal geh\u00f6rten T\u00f6nen zu bestimmen. Dazu ermittelten wir zuerst durch Spielen der chromatischen und der diatonischen Skala die ungef\u00e4hre Lage des parakustischen Ge-\n1 Da kein Antiphon zu beschaffen war, haben wir das andere Ohr mit dem Kautschukansatzst\u00fcck eines Perkussionshammers verstopft. Wird es gut in den Geh\u00f6rgang eingedr\u00fcckt, so erh\u00e4lt man gen\u00fcgenden Verschlufs.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIII. 261]\nTiber Orthosymphonie.\n119\nbietes, worauf wir zur Feststellung der einzelnen Pseudot\u00f6ne \u00fcbergingen. Es wurde der zu bestimmende Ton und ein tieferer \u2014 aus dem normalen Gebiete \u2014 nacheinander angegeben, gew\u00f6hnlich der tiefere zuerst; in der Regel begannen wir mit der Oktave. Die Vorf\u00fchrung geschah am besten so, dafs der tiefe Ton (Vergleichston) kurz und stark angeschlagen, der pathologische l\u00e4nger gehalten wurde. Bei dieser Art des sukzessiven Vergleiches wurde streng darauf geachtet, dafs die beiden T\u00f6ne gesondert angeschlagen wurden. Die Versuchsperson mufste das Intervall angeben. Die Zuverl\u00e4ssigkeit des Intervallurteils, die f\u00fcr unsere Schl\u00fcsse von grofser Wichtigkeit ist, wurde im normalen Tongebiete gepr\u00fcft; das Urteil zeigte sich sowohl bei sukzessiver als bei simultaner Vorf\u00fchrung fast absolut sicher. Die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonqualit\u00e4ten (mit dem STEExschen Tonvariator gepr\u00fcft) erwies sich als normal. L., der selbst musikalischer Dilettant ist (Geige), hat auch ein gutes absolutes Tonbewufstsein. \u2014 Trotz der Zuverl\u00e4ssigkeit machten wir folgende Kontrollversuche : 1. Das Versuchsintervall wurde mit zwei Intervallen des normalen Tonbereiches (Vergleichsintervalle) verglichen. Das eine bestand aus denselben objektiven T\u00f6nen, die das Versuchsintervall bildeten (nat\u00fcrlich in tieferer Lage), im anderen stimmte der untere Ton mit dem Vergleichston, der obere mit dem Pseudoton \u00fcberein. Es wurde also das objektiv und das subjektiv gleiche Intervall angegeben. Die Kontrolle war best\u00e4tigend, wenn das objektiv gleiche vom Versuchsintervall verschieden, das subjektiv gleiche ihm gleich empfunden wurde.\nEs sei z. B. der Pseudoton von d3 zu ermitteln. Es werden folgende Intervalle, sukzessiv angegeben, untersucht:\nd2\u2014 d8 wird empfunden als kleine Dezime,\nr- - d * \u201e\t\t\u201e Oktave,\ng2\u2014d3\t\u201e\t:n\t,, kleine Septime,\ncts2\u2014d3\t\u201e\t??\t,, grofse Sext,\na2 \u2014 d3 ,,\t??\t\u201e kleine Sext,\nb3 \u2014 d3 ,,\t\t,, Quint,\nd3 wurde stets um\teine kleine Terz h\u00f6her aufgefafst\t\nDer Pseudoton von\td3 ist also f 3.\t\nKontrolle: Zum Versuchsintervall d'2\u2014d3 wird das objektiv gleiche Intervall d1\u2014d2 und das subjektiv gleiche d1\u2014f2 ange-","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nPaul v. Liebermann und Gt\u00e9za R\u00e9v\u00e9sz.\n[XLVIII. 262]\nschlagen, d1\u2014d2 wird vom Versuchsintervall verschieden, d1\u2014f2 ihm gleich aufgefafst.\nZwei weitere Kontrollen bestanden im Vergleich mit dem gesunden Ohr und im Nachsingen.\nDie Lage und Ausdehnung des pathologischen Tongebietes war in beiden Anf\u00e4llen ungef\u00e4hr dieselbe. Im akuten Stadium des ersten Anfalles (Anfang April) erstreckte es sich etwa von a'2 bis gis8 (inkl.) bei diotischer Pr\u00fcfung, die, wie schon erw\u00e4hnt, das Verhalten des linken Ohres angab. Im chronischen Stadium desselben Anfalles (Versuche Mitte April) fanden wir f\u00fcr das rechte Ohr die anomale Strecke zwischen g2 und disx (inkl.). Im chronischen Stadium des zweiten Anfalles (Versuche im Oktober) von f2 bis cisx (inkl.).\nWir lassen jetzt die Tabellen der Pseudot\u00f6ne des rechten Ohres folgen.\n(Sielie Tabellen auf S. 121.)\nAus den Tabellen geht erstens hervor, dafs der Pseudoton in der mittleren Zone des krankhaften Gebietes stets f\u00fcr eine l\u00e4ngere Strecke derselbe ist, w\u00e4hrend die Grenzen gegen das normale diese Eigent\u00fcmlichkeit in der Regel nicht zeigen. In den meisten F\u00e4llen der Literatur war das Verhalten anders, indem sich jeder einzelne Ton um dasselbe Intervall vom normalen unterschied (meist 4/4 oder 1/2 Ton, vereinzelt bis zu einer Quint). Einige Male haben auch wir \u00e4hnliches gefunden. Einmal waren z. B. fis3, g3, gis3, sowie h3, c4 und cisx um je einen 4/2 Ton nach oben verstimmt. Daaes1 Fall entspricht dem von uns in der Regel gefundenen Verhalten. Der Patient perzipierte alle T\u00f6ne zwischen den Schwingungszahlen 128 und 2048 (also ca. c\u00b0 bis c4) in derselben H\u00f6he von f1. Ebenso hat Biedermann 2 an sich selbst beobachtet, dais er w\u00e4hrend eines par akustischen Anfalles die T\u00f6ne von e3 bis g3 inkl. als g3 h\u00f6rte. In \u00e4hnlicher Weise fanden wir bei der Versuchsreihe I, dafs fast s\u00e4mtliche T\u00f6ne von c3 bis disx den gleichen Pseudoton gis3 hatten. \u00c4hnliches zeigt Versuchsreihe V, wo alle T\u00f6ne von fis2 bis li3 den Pseudoton g2 bzw. g3 haben. Die Oktavlage dieses g liefs sich wegen der Schwierigkeit des Urteils bei der geringen Intensit\u00e4t der pathologischen T\u00f6ne nicht immer sicher bestimmen.\n1\tZeitschr. f. Ohrenheilk. 25, S. 261.\n2\tZeitschr. /'. Psychol. 18, S. 91.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIII. 263]\nUber Ortho symphonie.\n121\nTabelle I\u2014V.\nDatum\t20. April\t27. April\t17. Oktober\t\t29. Oktober\t\t5. Novbr.\t\nInstrument\tOrgel\tHarmonium\t\t\t\t\t\t\nObjektive T\u00f6ne\tPseudot\u00f6ne\t\t\t\t\t\t\t\np2\t\t\tetwas tiefer\t\t\t\t\t\nO\t\t\t\tals e2\t\t\t\t\nt2\t\t\ttiefer als f2\t\tetwas h\u00f6her als f2\t\t/2\t\nfis2\t\t\t\tr\th\u00f6her als /is2\t\tfis2\u2014g\t2\ng2\tgis2\t\t\tfis2\t\tg2\tg2\t\ngis2\tgis2\t\t\tfis2\t\tg2\tg2\t\na2\tgis2\t\t\tfis2\t\tg2\tg2\t\nais2\ta2\t/is3 od. g3\t\tfis2\t\tg2\tg2\t\nh2\tgis2\t/is3 od. g3\t\tfis2\t\tg2\tg2\t\nc3\tgis3\tfis3 od. g3\t\tc3\t\tg3\tg3\t\ncis3\tgis3\tgs\t\tc3\t\tg3\tgs\t\nd3\tg3\tgs\t\tc3\t\tg*\tg3\t\ndis3\tgis3\tgs\t\tc3\t\tgs\tg3\t\ne3\tg3\tg3\t\tc3\t\tg3\tgs\t\nn\tgis3\tgis3\t\tc3 od. fis3\t\ts4\tg3\t\nfis3\tgis3 od. g3\tg3 od. gis3\t\tfis3\t\ts4\tgz\t\ng3\tgis3\tgis3\u2014g3\t\tfis3\t\t\u00a34\tg3\t\ngis3\tgis3\tgis3\u2014g3\t\tfis3\t\tg4\tg*\t\na3\tgis3\tgis3\t\tfis3\t\ta3\ta3\t\nais3\ta3\ta3\t\tfis3\t\ta3\tgs\t\nh3\tgis3\tgis3\t\tfis3\t\tc4\tg3\t\nc4\tgis4 ?\tgis3\t\tc4\t\tc4\tc4\t\ncis4\tgis3\t\t'\tc4\t\tc4\tc4 1\t0 G\u00d6\ncD\tgis3\t\t\t\t\t\tc4\tis\ndis*\tgis3 od. gis4\t\t\t> L\u00fccke\t\t[ L\u00fccke\t\t:\ne4\t\t\t\t\t\t\t0 c\u25a0\tm\n\u00fc\t\t\t\t\u00dc\t\t\t\t\nTabelle III zeigt ein periodisches Wiederkehren der Pseudot\u00f6ne, und zwar in naturgem\u00e4fs wechselnder Oktavlage. Bemerkenswert sind die Beobachtungen an der \u00dcbergangsstelle zweier Perioden, wo f2, einigemal als c3, der einen Periode entsprechend, andere Male als fis?J, der anderen Periode entsprechend geh\u00f6rt wurde.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nFaul v. Liebermann und G\u00e9za R\u00e9v\u00e9sz.\n[XLVIII. 264]\nSchwankungen der Pseudot\u00f6ne, die ja bei Parakusis bekanntlich Vorkommen, haben auch wir beobachtet. Sie k\u00f6nnen nicht immer als Ausdruck der beginnenden Heilung aufgefafst werden. So haben wir im Beginne des ersten Anfalles den Pseudoton von cis?> in wenigen Minuten von e3 nach fs wandern sehen. An einem sp\u00e4teren Versuchstage haben wir folgende Verschiebungen beobachtet:\nTabelle VI.\nObjektiver Ton\tPseudoton\t\n\tVormittag\tNachmittag\ne3\tfis3\t9s\nP\t9Z\tgis3\nfis3\tf\tgis3\nr\tgis3\tgis3\ngis3\tgis3\tgis3\na3\ta3\tCi3\na is3\tj\tais3\nh3\t>\tcis3\th3\nc4\t'\tc4\nAusnahmsweise verschiebt sich die Tonh\u00f6he unmittelbar nach dem Anschlag um ein bedeutendes Intervall.\nEinigemal haben wir eine Abh\u00e4ngigkeit des Pseudotones vom Instrumente beobachtet.1 c4 erschien in einem Falle als c4 auf der Geige, als cis4 am Klavier. A3, als Flageoletten auf der Geige angegeben, erschien als A\\ am Klavier als c4. Ein anderes Mal lag der Pseudoton von f3 auf der Geige zwischen e3 und f3, am Klavier aber wurde g\u00b0 empfunden. Die Ursache war nicht etwa eine verschiedene Stimmung der beiden Ohren, wobei es vielleicht denkbar gewesen w\u00e4re, dafs beim H\u00f6ren des einen Instrumentes das eine, beim anderen das andere Ohr \u00fcberwogen h\u00e4tte. Vielmehr schien es sich um eine versteckte Diplakusis monauralis zu handeln; das eine Instrument h\u00e4tte also die eine, das andere die andere Tonempfindung st\u00e4rker erweckt. F\u00fcr diese Erkl\u00e4rung spricht erstens eine einmal beobachtete Schwankung\n1 \u00c4hnliches berichtet Burnett (Urbants chit sch, Lehrb. d. Ohrenheilk.,\n4. Aufl., S. 46).","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIII. 265]\n\u00dcber Ortho symphonie.\n123\ndes Urteils zwischen den Pseudot\u00f6nen der beiden Instrumente, zweitens die Beobachtung, dafs der auf der Geige normal geh\u00f6rte Ton hs in wenigen Minuten den Pseudoton des Klayieres (c4) annahm. Es ist also m\u00f6glich, dafs dieser Pseudoton beim H\u00f6ren des Violintones schon vorher unterschwellig vorhanden war und wT\u00e4hrend des Versuches die Schwelle \u00fcberschritt.\nNicht selten beobachteten wir ein Schwanken des Pseudotones um einen halben Ton w\u00e4hrend einer Versuchsreihe. Diese F\u00e4lle sind zum Teil wohl darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs das Intervallurteil durch die musikalisch gebr\u00e4uchlichen Intervalle ausgebildet wird, deren kleinstes der halbe Ton ist. Liegt nun ein Pseudoton in der Mitte zwischen zwei benachbarten T\u00f6nen der chromatischen Skala, so w7ird er je nach dem Versuchsintervall als der h\u00f6here oder der tiefere dieser beiden T\u00f6ne gesch\u00e4tzt werden. Liegt er z. B. zwischen fis8 und g3 und wird als Vergleichston fis-1 angeschlagen, so wird das Urteil meist zur kleinen None neigen, da die Unreinheit der Oktave scharf hervortritt. Ist der Vergleichston g2, so wird aus demselben Grunde gew\u00f6hnlich die grofse Septime gesch\u00e4tzt. Bei gr\u00f6fserer Aufmerksamkeit k\u00f6nnen jedoch bekanntlich auch kleinere Intervalle als ein halber Ton noch gesch\u00e4tzt werden. Die erw\u00e4hnten Schwankungen um einen halben Ton sind also nur scheinbar und r\u00fchren davon her, dafs wir konstante Tonstufen verwendet haben. \u2014\nDas par akustische Tongebiet wird von nicht verstimmten Stellen unterbrochen. Besonders zeigte sich die Gegend von a3 der Krankheit gegen\u00fcber resistent. Hier einige Versuche zu verschiedenen Zeitpunkten :\nTabelle VII.\nDatum\t17. April\t18. April\t20. April\t24. April\t29. April\t17. Jan.\n\t1907\t1907\t1907\t1907\t1907\t1908\nObjektiver Ton\terscheint als\t\t\t\t\t\n9Z\tgis3\tgis3\tgis3\tgis3\t93\tgis3\n\t\t\t\tetwas h\u00f6her als\t\t\ngis3\tgis3\tgis3\tgis3\tgis3\t93\tgis3\na3\ta3\ta3\ta3\ta3\ta3\ta3\nais3\teis4\tcis4\tcis4\tais3\ta3\tais3\nh3\tcis4\tCis4\tcis4\tc4\tc4\tc4","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nPaul v. Liebermann und G\u00e9za B\u00e9v\u00e9sz.\n[XLVIII. 266]\nBekanntlich h\u00f6ren infolge der Paraknsis die beiden Ohren denselben Ton verschieden hoch1, wie ja nat\u00fcrlich, da die Verstimmung die beiden Ohren in ungleichem Mafse betrifft. Obwohl hier\u00fcber zahlreiche Angaben vorliegen, wollen wir doch auch einige Beobachtungen mitteilen. Versuche am Klavier (Beginn des ersten Anfalles, 11. April) :\ng2 erscheint links als g2, rechts als fis2\na2\t55\t55\t55\ta2, *\t55\tb2 \u00bb u\nais2\t5?\t55\t55\tais2,\t55\t\u201e ais2\nc3\t55\t55\t55\tG3,\t55\t\u201e P\ncis3\t55\t55\t55\tC3,\t55\tzwischen fis3 u.\nd3\t5\u2019\t55\t55\te3,\t55\tals g3.\nHerr Privatdozent Dr. Haike in Berlin hatte die Freundlichkeit, die verschiedene Stimmung der beiden Ohren mit Stimmgabeln zu untersuchen. Hier das Kesultat (16. September 1907) :\nTabelle VIII.\nDi rechts\t\tgleich\tlinks\nEi\t55\t55\t5 5\nFi\t55\t55\t55\n\u25a0d-i\t55\tVa Ton h\u00f6her als\t55\nC\tV\tVa Ton \u201e\t55\nc\u00b0\t55\tVa Ton \u201e\t\u201e\t55 '\nc1\t55\tetwas\t\u201e\t\u201e\t,, (unsicher)\na1\t55\tV4 Ton tiefer \u201e\t55\nh1\t55\teine Spur ,,\t\u201e\t55\nc2\t55\tetwa gleich\t55\ne2\t55\tetwas \u00fcber 72 Ton tiefer als\t,,\t\nP\t55\t\u201e\t\u201e\t72 Ton \u201e\t5?\t55\nP\t55\t1 Oktave h\u00f6her\t2 5 5\t5 5\na2\t55\t1 Septime \u201e\t5 5\t5 5\nc3\t,,\t1 \u00fcberm\u00e4fsige Quart h\u00f6her\t\t55\t5 5\nci\t55\tgleich\t55\n(Die Intervalle wurden gesch\u00e4tzt.)\t\t\t\nMeist hatte\tdie\tVersuchsperson kein\tgleichzeitiges\nDoppelth\u00f6ren, da\tder\teine Ton, wie schon\terw\u00e4hnt, \u00fcberwog.\nAuch bestand meist keine Diplakusis monauralis. Einigemal\n1\tEs ist dies die Steigerung eines physiologisch meist vorhandenen Verhaltens.\n2\tEs kann sich hier nicht um eine L\u00fccke f\u00fcr den Grundton handeln wobei der erste Oberton am st\u00e4rksten geh\u00f6rt w\u00fcrde, da die Oktave unter\nden Obert\u00f6nen der Stimmgabel in der Regel nicht vorkommt.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIII. 267]\nTiber Orthosymphonie.\n125\nhaben wir aber beides beobachtet. Ein Beispiel (die fettgedruckten T\u00f6ne erscheinen st\u00e4rker, sie dominieren):\nTabelle IX.\nObjektiver Ton\tlinks\trechts\tmit beiden Ohren\t\t\ng is2\tgis2\tgis2 dis3\tgis2 dis3\t\t\na2\ta2\ta2 f3\t0*7\u00bb\t\t\n\t\t\t\t\tDiplak, monaur.\nais2\tais2\tais2 /3\tais2 f3\t\t\nh2\th2\tArJ3(?)\t\t\t\nc3\tc3\tg3\tC3 (/3 (fis3?)\t)\t\neis3\teis3\t93\tcis3 g3 oder fis3\tj\tDiplak. binaur.\t\nEin anderes Beispiel f\u00fcr Diplakusis monauralis:\nTabelle X.\nObjektiver Ton\tlinks\trechts\na1\ta2\ta2 f3\nais2\tais2\tais2 g 3\nh2\th2\thPfis3\nc3\tc3\tc3?'fis3\nCis3\tcis3\tcis3? g2\nd3\td3\td3? fis3\ndis3\tdis3\t93\ne3\te3\tgS\n\t\tVon hier bis c4 einfach geh\u00f6rt\nWerden zwei Pseudot\u00f6ne sukzessiv angegeben, so entspricht das Intervall naturgem\u00e4fs den Pseudot\u00f6nen. Haben also die aufeinanderfolgenden T\u00f6ne der chromatischen Skala den gleichen Pseudoton, so sind die T\u00f6ne nicht zu unterscheiden.\nWas die Intensit\u00e4t betrifft, so sind die Pseudot\u00f6ne meist schw\u00e4cher als die normalen. Diese Erscheinung beginnt tiefer als das Falschh\u00f6ren, die Intensit\u00e4t scheint dann nach oben kontinuierlich abzunehmen, und f\u00e4llt mit dem Beginn der eigentlichen Parakusis steil ab. Stellenweise kommt es manchmal zu g\u00e4nzlichem Ausfall. In einem Falle fingen die T\u00f6ne bei f1 an, an","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nPaul v. Liebermann und G\u00eaza l\u00ee\u00e9v\u00e9sz.\nIntensit\u00e4t einzub\u00fcfsen, jedoch nur sehr wenig, sehr geschw\u00e4cht waren sie von cP aufw\u00e4rts, von wo an sie auch falsch erschienen. Herr Dr. Haike stellte am 16. September eine Tonl\u00fccke von Galtonpfeife Strich 1 bis 5 am linken Ohr fest. Wir beobachteten Mitte November eine L\u00fccke von c4 bis e4, ein anderes Mal von c4 bis f\u00e0 am rechten Ohr.\nDie Klangfarbe der Pseudot\u00f6ne war meist von der normalen verschieden, leer, h\u00f6lzern, unlustbetont.\nDas Musikmachen war zur Zeit der beiderseitigen Verstimmung unm\u00f6glich. Das Pfeifen der Skala gelang nur bis zu einem bestimmten Ton, da von da an Intervallspr\u00fcnge eintraten.\nWir gehen nun zu der schon eingangs erw\u00e4hnten Erscheinung der Orthosymphonie \u00fcber. Bei gleichzeitiger Vorf\u00fchrung zweier T\u00f6ne wurde das Intervall stets richtig beurteilt. Die Verstimmung eines oder auch beider T\u00f6ne hatte also keinen Einflufs, die Empfindung der Harmoniequalit\u00e4t war also trotz des Falschh\u00f6rens ungest\u00f6rt.1 Es wrar z. B. e3 = pseudo-/13, demnach erschien e2 \u2014 e3 sukzessiv als kleine Non, simultan richtig als Oktave; a2\u2014 e3 sukzessiv als kleine Sext, simultan richtig als Quint ; g2 \u2014 e3 sukzessiv als kleine Septim, simultan richtig als grofse Sext. In einem anderen Falle waren d3 und beide gleich pseudo-/\u00a3s3; ds\u2014fs erschien sukzessiv als Prim, simultan als kleine Terz. Die Unab\u00e4nderlichkeit dieser Erscheinung zeigte sich in noch eklatanterer Weise, als die T\u00f6ne von g2 bis giss ohne Ausnahme als g2 hzw. gs geh\u00f6rt, die innerhalb dieser Oktave liegenden simultanen Intervalle aber richtig beurteilt wurden.\nWas f\u00fcr Zweikl\u00e4nge galt, galt auch f\u00fcr Zusammenkl\u00e4nge mehrerer T\u00f6ne, also f\u00fcr A k k o r d e im engeren Sinne. Dreikl\u00e4nge z. B. aus drei verstimmten T\u00f6nen wurden richtig aufgefafst.\nF\u00fcr die Auffassung der Musik ergab sich aus dem eben geschilderten Verhalten, dafs ihr sukzessives Element, die Melodie, unrichtig perzipiert, das simultane dagegen, die Harmonie, normal empfunden wurde.\nDas Auftreten von Schwebungen richtete sich ganz nach der Regel der Orthosymphonie. Wo der Differenz der Schwingungszahlen entsprechend Schwebungen auftreten mufsten, wurden sie\n1 \u00dcber die Intensit\u00e4t und die Klangfarbe einer solchen Harmonie\nwird also damit nichts ausgesagt.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIII. 269]\nUber Orthosymphonie.\n127\nauch geh\u00f6rt, sonst nicht. T\u00f6ne also, die ihrer subjektiven H\u00f6he nach Schwebungen h\u00e4tten geben m\u00fcssen, gaben keine, was gut stimmt zu einer Beobachtung Stumpfs der bei Diplakusis monauralis \u201eabscheuliche Dissonanzen\u201c ohne Schwebungen geh\u00f6rt hat.\nDie simultanen Intervalle wurden auf zweierlei Art beurteilt : durch unmittelbares Erkennen und durch Vergleich mit tieferen, im normalen Tongebiet gelegenen, wo das Urteil auf Gleichheit oder Ungleichheit lauten mufste. Die Methode ist also die der objektiv und der subjektiv gleichen Vergleichsintervalle, die wir f\u00fcr sukzessive Pr\u00fcfung ausf\u00fchrlich er\u00f6rtert haben (S. 2).\nDie Erscheinung der Orthosymphonie fesselte unsere Aufmerksamkeit in hohem Mafse. Wir erkannten die theoretische Wichtigkeit unserer Beobachtung und suchten sie daher m\u00f6glichst allseitig aufzukl\u00e4ren. Wir trachteten also von allen sich bietenden Vorsichtsmafsregeln und Kontrollversuchen Gebrauch zu machen, da wir uns dessen bewufst waren, dafs die Beobachtungen nicht zu jeder Zeit wiederholt und best\u00e4tigt werden k\u00f6nnten. Insbesondere haben wir die Erscheinung wiederholt gepr\u00fcft, in grofsen zeitlichen Abst\u00e4nden ; sie zeigte sich dabei v\u00f6llig konstant, so dafs ein zuf\u00e4lliger Irrtum wohl ausgeschlossen ist.\nAls wir im Fr\u00fchjahr die Orthosymphonie beobachtet hatten, mufsten wir annehmen, dafs in den also richtig geh\u00f6rten Akkorden auch die beiden Komponenten richtig geh\u00f6rt wurden, dafs also unter diesen Bedingungen der Pseudoton verschwindet und der normale an seine Stelle tritt. Diese Annahme konnte nur durch die Analyse der Akkorde gepr\u00fcft werden, d. h. durch das Heraush\u00f6ren der Komponenten. Die diesbez\u00fcglichen, im Plerbst ausgef\u00fchrten Versuche haben unsere Annahme nicht best\u00e4tigt. Es zeigte sich im Gegenteil das paradoxe Verhalten, dafs die Versuchsperson aus den Akkorden nicht die richtigen, sondern die falschen T\u00f6ne heraush\u00f6rte. Es sei also d3 \u2014 ps. c3 und g3 = ps. fis3, dann mufs der Gesamteindruck des objektiven Zweiklanges d3 \u2014 g3 einer reinen Quart entsprechen; wird aber die Aufmerksamkeit auf die Komponenten gelenkt, so erscheinen die T\u00f6ne c3 und fis3, als ob das Intervall eine \u00fcber-m\u00e4fsige Quart w\u00e4re. Zur Feststellung dieser Tatsache bedienten wir uns folgender Methode. Die Versuchsperson ver-schlofs beide Ohren, hierauf wurden zwei Stimmgabeln zum\n1 Stumpf. Beitr. zur Akustik und Musikwissenschaft, Heft 2. S. 30.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nPaul v. Liebermann und G\u00e9za P\u00e9v\u00easz.\nT\u00f6nen gebracht. Nun \u00f6ffnete die Versuchsperson das zu pr\u00fcfende Ohr. Im Augenblick des \u00d6ffnens trat der Gesamteindruck des Akkordes scharf hervor, das Intervall wurde auf Grund dessen richtig beurteilt. Nun richtete die Versuchsperson ihre Aufmerksamkeit auf die Komponenten. War f\u00fcr eine oder f\u00fcr beide ein Pseudoton vorhanden, so wurde dieser herausgeh\u00f6rt. In dem Augenblick, wo das Heraush\u00f6ren gelang, wurde die dem richtigen Intervall eigent\u00fcmliche Konsonanz nicht im geringsten ver\u00e4ndert, die Verschmelzungsstuf e blieb dieselbe, hinsichtlich des Intervall-urteiles trat aber Verwirrung ein, da die Versuchsperson natur-gem\u00e4fs nicht imstande war, ein Urteil zu geben \u00fcber ein Intervall, das bei der Zerlegung andere Komponenten lieferte, als nach dem Gesamteindruck zu erwarten war.\nWenn das Heraush\u00f6ren wegen der geringen Intensit\u00e4t des herauszuh\u00f6renden Tones Schwierigkeiten machte, wurde die Aufmerksamkeit von vornherein auf diesen gelenkt, indem er allein angeschlagen und erst dann die Stimmgabel des Vergleichstones zum T\u00f6nen gebracht wurde. Dabei merkte die Versuchsperson keine Qualit\u00e4ts\u00e4nderung des schon vorher klingenden Tones. Die Erscheinungen des richtigen Zusammenh\u00f6rens und falschen Heraush\u00f6rens bestanden also vollkommen unabh\u00e4ngig nebeneinander und bewahrten diese Unabh\u00e4ngigkeit selbst dann, wenn man das Bewufstsein durch m\u00f6glichste Verbindung der beiden gewaltsam zu verwirren suchte.\nDie Tatsache, dafs ein simultanes Intervall bei der Zerlegung andere Komponenten liefern kann, als nach dem Gesamteindruck zu erwarten w\u00e4re, m\u00fcfste im Sinne der Helm-HOLTzschen Theorie so ausgedr\u00fcckt werden, dafs der Gesamteindruck unabh\u00e4ngig davon ist, welche Ohrresonatoren erregt werden.1\nWas f\u00fcr den Gesamteindruck eines Intervalles gilt, mufs nach unseren Beobachtungen auch f\u00fcr das Auftreten oder Ausbleiben von Schwebungen gelten.\nDiese Folgerung gilt nat\u00fcrlich nur dann, wenn diese Theorie\n1 Der Eigenton dieser pathologischerweise erregten Resonatoren stimmt nat\u00fcrlich mit dem Eigenton derjenigen Resonatoren \u00fcberein, die normalerweise erregt werden m\u00fcfsten. Unser Schlufs besagt also nicht etwa, dafs der Gesamteindruck unabh\u00e4ngig davon sei, auf welchen Ton gestimmte Resonatoren erregt werden.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIII. 271]\nTiber Orthosymphonie.\n129\nin der \u00fcblichen Weise zur Erkl\u00e4rung der Parakusis herangezogen wird, wenn also angenommen wird, dafs die Resonatoren verstimmt werden und die Empfindungszellen ihre spezifischen Energien behalten.1\nWeitere, daran ankn\u00fcpfende theoretische Folgerungen und einige erg\u00e4nzende Mitteilungen werden in einer sp\u00e4teren Arbeit folgen.\nEs stand uns noch eine zweite, sehr musikalische Versuchsperson von zuverl\u00e4ssigem Intervallurteil zur Verf\u00fcgung.\nX. X., 24 Jahre, Arzt. Aufser einer Otitis medic, simplex chron. besteht ein chronisches Labyrinthleiden. Es ist vielleicht im Anschlufs an einen vor etwa 15 Jahren durchgemachten Abdominaltyphus entstanden und \u00e4ufsert sich in progressiver Verminderung der H\u00f6rsch\u00e4rfe (Fl\u00fcstersprache nicht geh\u00f6rt) und progressivem Herab gehen der oberen H\u00f6rgrenze. Diese ist jetzt seit 2 Jahren station\u00e4r, in ihrer Gegend sind einige parakustische T\u00f6ne vorhanden, die wir der Pr\u00fcfung unterworfen haben. Die folgenden Versuche wurden am Klavier ausgef\u00fchrt.\n1.\tVerhalten der Empfindungsintensit\u00e4t an der Grenze: Rechtes Ohr : Anscheinend normale Intensit\u00e4t bis inkl. b1, h1 erscheint geschw\u00e4cht, c2 stark geschw\u00e4cht, eis- etwa ebenso, eilst schon kaum h\u00f6rbar, dis2 gar nicht mehr.\nLinkes Ohr : Anscheinend normale Intensit\u00e4t bis inkl. h1. c2 geschw\u00e4cht, eis2 sehr geschw\u00e4cht, d2 noch schw\u00e4cher, dis2 kaum h\u00f6rbar. Ausfall beginnt mit e2 inkl. Den steilsten Intensit\u00e4tsabfall zeigt die chromatische Skala bei der Stufe c2\u2014eis2.\n2.\tVerhalten der Empfindungsqualit\u00e2t an der Grenze (Pr\u00fcfung mit der chromatischen Skala) :\nRechtes Ohr.\th1\u2014c2 etwas kleiner als 3/2 Ton.\tc2\u2014eis2\netwa 3/4 Ton.\nLinkes Ohr. c2\u2014eis2 kleiner als 1/2 Ton. eis2\u2014d2 desgleichen. d2\u2014dis2 noch kleiner, (eis1\u2014eis2 kaum kleiner als eine Oktave.)\nVergleicht man das Verhalten der Intensit\u00e4t und Qualit\u00e4t der Tonempfindungen, so zeigt sich die schon erw\u00e4hnte Kongruenz des starken Intensit\u00e4tsabfalles mit dem Anfang des\n1 Nach der EwAimschen Theorie m\u00fcfste man sagen: der Gesamteindruck ist unabh\u00e4ngig von der Form des Schallbildes, denn dieses mufs aus\nden Komponenten zusammengesetzt sein, die bei der Zerlegung erhalten werden.\nStumpf, Beitr\u00e4ge IV.\n9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nPaul v. Liebermann und G\u00e9za JR\u00e9o\u00e9sz.\n[XLVIII. 272\nFalschh\u00f6rens. Zur genaueren Feststellung der Pseudot\u00f6ne und deren Verhalten bei sukzessiver und simultaner Vorf\u00fchrung eignete sich am rechten Ohr besonders cis2, am linken besonders cP. Die Untersuchung ergab f\u00fcr cis2 am rechten Ohr einen Pseudoton zwischen c2 und cis2, n\u00e4her zu c2, f\u00fcr d2 am linken einen Pseudoton zwischen cis2 und d2, n\u00e4her zu cts2.\nDie Pr\u00fcfung auf Orthosymphonie ergab bei dieser Versuchsperson kein so eindeutiges Resultat wie bei dem einen von uns. Die ersten Versuchsreihen, mit cis2 am rechten und d1 am linken Ohr ausgef\u00fchrt, f\u00fchrten zu dem Ergebnis, dafs die simultanen Intervalle mit ganz vereinzelten Ausnahmen im Sinne des Pseudotones beurteilt wurden. Eine solche Ausnahme trat ein, als dem linken Ohr die simultane Oktave cP\u2014d2 vorgef\u00fchrt wurde.\nDa die Versuchsperson stets imstande war, den Akkord zu zerlegen, dies stets im Sinne des Pseudotones geschah, und wir bis dahin ein Urteil in diesem Sinne nur beim Zerlegen beobachtet hatten, so nahmen wir an, dafs die Abweichung von der Orthosymphonie nur scheinbar sei und auf Heraush\u00f6ren beruhe. Dies stimmte damit, dafs gerade die schwer zerlegbare Oktave eine Ausnahme machte.\nWir mufsten also annehmen, dafs die \u201elatente\u201c Ortho-symphonie durch Ausschlufs des Heraush\u00f6rens, also bei sehr kurzem Exponieren der simultanen Intervalle, zum Vorschein zu bringen w\u00e4re. Solche Versuche haben wir zwei Monate sp\u00e4ter ausgef\u00fchrt, und tats\u00e4chlich \u00fcberwogen jetzt die orthosymphoni-schen Urteile, doch zeigte die Kontrolle, dafs solche nun auch bei l\u00e4ngerer Exposition h\u00e4ufig zu erhalten waren.\nWir k\u00f6nnen demnach die Bedingungen der Orthosymphonie bei dieser Versuchsperson nicht vollst\u00e4ndig zusammenfassen und wollen nur noch bemerken, dafs die Art der Intervalle eine Rolle zu spielen scheint. Dies zeigt Tabelle XI, in der die am Klavier ausgef\u00fchrten Momentanexpositionsversuche zusammengestellt sind. Dafs der ganz kurze Anschlag die volle Sicherheit des Intervallurteils nicht beeintr\u00e4chtigt, haben Kontrollversuche ergeben.\nAus der Tabelle scheint hervorzugehen, dafs kleine Intervalle und sehr konsonante, aber nicht zu grofse Intervalle zur Orthosymphonie neigen.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIIL 273]\t\u00dcber Orthosymphonie.\t13X\nTabelle XI.1\nIntervalle\t\tLinkes Ohr\t\tRechtes Ohr\n\tleis'2 (=ps. c2\u2014cis2')\td2 (\u2014ps. cis2)\tdis2(\u2014ps. cis2\u2014d2)\t'pis2 (=ps. c2\u2014 cis2)\nkl. Sekund\t+\t: +\t1 +\t+\ngr. Sekund\ti i\t+\t+\t+\nkl. Terz\ti\t+\t+\t+\ngr. Terz\t+\t+\t\u2014\t+\nQuart\t+\t\u2014\t\u2014\tH-\n\u00fcberm. Quart\t\u2014\t+\t\u2014\t+\nQuint\t+\t+\t+\t+\nkl. Sext\t+\t\u2014\t\u2014\t\u2014\ngr. Sext\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\nkl. Septime\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u25a0\u2014\ngr. Septime\t?\t+<?)\t\u2014\t?\nOktave\t+\t+\t+\t+\nkl. None\t?\t?\t\u2014\t+\nDuodecime\t+\t\u2014\t\u2014 !\t+\nDes weiteren haben wir mit Stimmgabeln untersucht: den Ton c2 am rechten und e2 am linken Ohr. Die Verstimmung; Amn c2 liefs sich am Klavier nicht nachweisen, die Stimmgabelpr\u00fcfung ergab jedoch eine geringe Verstimmung nach unten. Von den simultanen Intervallen gab die Oktave stets Ortho-symphonie, ebenso die Quart und die kleine Sext bei Momentanexposition. Wurde aber die simultane Quart durch sukzessives Anschl\u00e4gen vorgef\u00fchrt, so zeigte sich, w\u00e4hrend der Akkord t\u00f6nte, die schon S. 11 erw\u00e4hnte Verwirrung des Urteils ; war auf diese Weise die Aufmerksamkeit einmal auf die Komponenten gelenkt, so gab die nachherige Momentanexposition auch kein ganz sicheres Urteil mehr. \u2014 e2 wurde auf dem Klavier nicht geh\u00f6rt, nur als Stimmgabelton konnte es, verst\u00e4rkt durch die Resonanz des Stimmgabelk\u00e4stchens, perzipiert werden. Dieser Ton, dessen Pseudoton etwa dis2 war, zeigte nur bei Momentan exposition eine Neigung zur Orthosymphonie, indem dabei die sukzessiv als grofse Septim beurteilte Oktave als ein mittleres Intervall zwischen Septim und Oktav bezeichnet wurde.\n1 Positives Zeichen bedeutet Orthosymphonie.\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nPaul v. Liebermann und G\u00e9za R\u00e9v\u00e9sz. [XLVIII. 274]\nDas Verhalten der Schwebungen entsprach bei dieser Versuchsperson vollkommen unseren fr\u00fcheren Erfahrungen, d. h. es wurden stets dann Schwebungen geh\u00f6rt, wenn sie objektiv vorhanden waren.\nEine bei unserer zweiten Versuchs]3ersoii beobachtete Erscheinung verdient noch besonders erw\u00e4hnt zu werden. Es fiel der Versuchsperson bei den Versuchen am Klavier auf, dafs das eingestrichene eis ged\u00e4mpft und von unangenehmer, h\u00f6lzerner Klangfarbe war. Die Erscheinung war auffallend, da ja der Ton mitten im normalen Tongebiete lag. Die Erkl\u00e4rung war durch die Verstimmung des ersten Obertones {eis-) gegeben, der, wie angegeben, fast als c2 geh\u00f6rt wurde. (Da diese Verstimmung am linken Ohr geringer war (s. oben), so war auch diese Erscheinung f\u00fcrs linke Ohr weniger ausgesprochen als f\u00fcrs rechte und f\u00fcrs diotische H\u00f6ren.) Aufser den schon erw\u00e4hnten Eigenschaften zeigte cis1 auch die eines Doppeltones, da der falsche erste Oberton herausgeh\u00f6rt wurde. Infolgedessen bestand \u201eekelhafte Dissonanz\u201c, jedoch ohne Schwebungen ! Es entspricht dies vollkommen der von Stumpf beobachteten, bereits S. 10 erw\u00e4hnten Erscheinung.\nWie zu erwarten war, erwies sich dies Verhalten von cis1 abh\u00e4ngig vom Instrumente, mit dem der Ton angegeben wurde; bei Geige, Waldhorn und m\u00e4nnlicher Fistelstimme war nur Intensit\u00e4tsverminderung vorhanden, bei m\u00e4nnlicher Bruststimme gar keine Abnormit\u00e4t des Tones.\nAll diese Eigent\u00fcmlichkeiten von cis1 wurden zur selben Zeit beobachtet, als die Versuche mit simultanen Intervallen fehlende Orthosymph\u00f6nie ergaben. Zur Zeit der sp\u00e4teren Versuche, als die Orthosymphonie \u00fcberwog, beschr\u00e4nkte sich das abnorme Verhalten des Tones auf Intensit\u00e4tsverminderung. Offenbar war nun der Grundton mit dem ersten Oberton orthosymphonisch.\nZusammenfassung der in unserem Falle beobachteten Erscheinungen.\n1. Der Ge samt ein druck eines simultanen Intervalles war von der Tonh\u00f6he seiner Komponenten, wie sie bei sukzessiver Darbietung empfunden wurde, unabh\u00e4ngig (Orthosymphonie).","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"[XLVIII. 275]\n\u00dcber Orthosymphonie.\n133\n2.\tDas Auftreten von Schwebungen wurde, wie beim normalen H\u00f6ren, von der objektiven Tonh\u00f6he b e s t i m m t.\n3.\tBei der subjektiven Zerlegung eines simultanen Intervalles erschienen die Komponenten in der H\u00f6he, wie sie einzeln vor gef\u00fchrt empfunden wurden. Waren also die Komponenten Pseudot\u00f6ne, so wurden sie als solche herausgeh\u00f6rt, obwohl der Gesamteindruck des Akkordes sich nach Satz 1 bestimmte.\n4.\tAuf den Konsonanzgrad des Intervalles hatte es keinen Einflufs, ob die Versuchsperson den Akkord zerlegte und dadurch Pseudot\u00f6ne darin h\u00f6rte oder den Akkord nur als Ganzes auffafste.","page":133}],"identifier":"lit38493","issued":"1909","language":"de","pages":"117-133","startpages":"117","title":"\u00dcber Orthosymphonie. Beitrag zur Kenntnis des Falschh\u00f6rens","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:08:49.516228+00:00"}