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{"created":"2022-01-31T16:54:12.229472+00:00","id":"lit38496","links":{},"metadata":{"alternative":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft","contributors":[{"name":"Hornbostel, Erich M. von","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft 5: 143-167","fulltext":[{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber vergleichende akustische und musikpsychologische Untersuchungen/\nVon\nErleb M. von Hornbostel.","page":143},{"file":"p0144blank.txt","language":"de","ocr_de":"-________________\u2014\u2014\u2014","page":0},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Studien \u00fcber die akustischen Anlagen und die musikalischen \u00c4ufserungen verschiedener V\u00f6lker liegen auf dem Trifinium dreier Wissenschaften: der V\u00f6lkerkunde, der Musikwissenschaft und der Psychologie. Dasselbe empirische Material kann, je nach dem Standpunkt des Beschauers, seinen Gedankengang in verschiedene Richtung weisen ; wobei er freilich gut tun wird, Seitenblicke in die Nachbargebiete nicht zu \u00e4ngstlich zu vermeiden. Die V\u00f6lkerpsychologie hat sich bisher fast ausschliefs-lich auf R\u00fcckschl\u00fcsse aus den Kulturdokumenten der verschiedenen V\u00f6lker beschr\u00e4nkt und erst in neuester Zeit sind vergleichende Experimentaluntersuchungen an Angeh\u00f6rigen verschiedener Rassen in Angriff genommen worden. Als j\u00fcngster Zweig der V\u00f6lkerpsychologie wiederum erscheint die vergleichende Musikpsychologie. Die Versp\u00e4tung hat innere und \u00e4ufsere Gr\u00fcnde. Die Sprachen, die als unentbehrliches Verkehrsmittel studiert werden mufsten, lieferten unmittelbar nicht nur dem vergleichenden Linguisten, sondern auch dem Sprachpsychologen ein grofses Material; mittelbar erm\u00f6glichten sie durch das Sammeln von Mythen eine vergleichende Religionspsychologie. Die Beschaffung-gen\u00fcgend zahlreicher und gen\u00fcgend zuverl\u00e4ssiger Grundlagen f\u00fcr eine vergleichende Musikpsychologie ist dagegen erst durch die Ben\u00fctzung des Phonographen m\u00f6glich geworden. Andererseits ist das wissenschaftliche Interesse, das die aufsereurop\u00e4ische Tonkunst bietet, arg untersch\u00e4tzt worden: teils glaubte man, durch die nach dem blofsen Geh\u00f6r aufgezeichneten und daher vielfach unwissentlich ins Europ\u00e4ische \u00fcbersetzten Melodien ge-\nStumpf, Beitr\u00e4ge V.\t10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. \u00a3. an g. Ps. III. 466]\nt\u00e4uscht, die Tonsprache aller V\u00f6lker sei eine nat\u00fcrliche Universal-spr\u00e4che, die Untersuchung der immerhin erkennbaren Dialektverschiedenheiten sei ein eng begrenztes Spezialgebiet der Musikwissenschaft und f\u00fcr die Psychologie ohne jeden Belang, da eben die psychischen Grundlagen aller Musik allgemein menschlich w\u00e4ren; teils meinte man, was die \u201eWilden\u201c hervorbringen, sei nichts als L\u00e4rm und \u00fcbles Get\u00f6n, h\u00f6chstens den Laut\u00e4ufse-rungen der Tiere vergleichbar, nicht aber unserer Tonkunst.1\nWenn die vergleichenden Untersuchungen der letzten Jahre nur wenig abschliefsende Resultate geliefert haben, so haben sie doch zu manchen neuen Fragestellungen, auch auf psychologischem Gebiete, gef\u00fchrt, und schon dadurch, wie ich glaube, beide eben skizzierten skeptischen Meinungen als falsch erwiesen.\nF\u00fcr vergleichende akustische und musikpsychologische Untersuchungen sind bisher drei Methoden angewendet worden; 1. Experimente mit nichteurop\u00e4ischen Versuchspersonen, 2. Tonmessungen an Musikinstrumenten und 3. Untersuchung von Ph o n o grammen.\n1. Pr\u00fcfungen des Tonsinns sind zun\u00e4chst unternommen worden \u2014 zusammen mit der Untersuchung anderer Sinne \u2014, um die Frage nach der Existenz sinnesphysiologischer und -psychologischer Rassenmerkmale zu pr\u00fcfen. Vielfach hatten Reisende von der aufserordentlichen Sch\u00e4rfe des Gesichts, Geh\u00f6rs oder Geruchs bei sogenannten Naturv\u00f6lkern berichtet und meist hatte man die Leistungen, die die Europ\u00e4er in Erstaunen versetzten, auf eine \u00dcberlegenheit des Sensoriums zur\u00fcckgef\u00fchrt. Diese Fragen sind auch heute noch nicht endg\u00fcltig beantwortet, doch weisen fast alle bisherigen Untersuchungen darauf hin, dafs die aufserordentlichen Sinnesleistungen der Nichteurop\u00e4er nur zum geringsten Teil, wenn \u00fcberhaupt, aus dem Sensorium zu erkl\u00e4ren sind.'2 Die Angaben verschiedener Autoren und\n1\tSo schreibt ein Autor noch 1908: \u201eWieviele V\u00f6lker stehen kaum auf der ersten Stufe der musikalischen Entwicklung, so dafs ihre musikalischen Leistungen von denjenigen mancher V\u00f6gel entschieden \u00fcbertroffen werden. Wieviele haben noch kein ausgesprochenes Tonsystem, wieviele vollf\u00fchren eine v\u00f6llig rhythmiklose Musik, die entweder entsetzlich monoton klingt oder ein w\u00fcstes Chaos von T\u00f6nen darstellt.\u201c (B. Hoffmann, Kunst und Vogelgesang. Leipzig 1908. S. 164.)\n2\tBez\u00fcglich des Gesichtsinns vgl. W. H. R. Rivers, Vision, in: Reports of the Cambridge Anthropological Expedition to Torres Straits,","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"147\n[Z. f. ang. Ps. III. 467] \u00dcber vergleichende usw. Untersuchungen.\nsogar desselben Autors \u00fcber verschiedene St\u00e4mme sind nur dann streng vergleichbar, wenn die Versuche unter den gleichen oder genau analogen Umst\u00e4nden und mit denselben Methoden auch an Europ\u00e4ern, wenigstens am Experimentator selbst, wiederholt worden sind. Versuche \u00fcber die H\u00f6r sch\u00e4rf e scheitern h\u00e4ufig an dem Mangel gen\u00fcgender Stille. Myers 1 benutzte zu H\u00f6rsch\u00e4rfebestimmungen den PoLizFEschen H\u00f6rmesser oder eine Stopuhr, F. G. Bruner 2 die \u00d6ffnungsger\u00e4usche eines durch Widerst\u00e4nde abstufbaren Telephonstroms. Die H\u00f6rsch\u00e4rfe der Murrayinsulaner (Myers) erwies sich als etwas geringer, als die der Weifsen, ebenso (Bruner) die von nord- und s\u00fcdamerikanischen Indianern, Philippinos, Ainu und Kongopygm\u00e4en. Sehr bemerkenswerterweise standen den Weifsen diejenigen Indianer am n\u00e4chsten, die Schulen besucht hatten und die Philippinos, die in Milit\u00e4rdienst standen, und Bruner meint, dafs die H\u00f6rsch\u00e4rfe von der \u201eIntelligenz\u201c der Versuchsperson abh\u00e4nge.* 1 2 3 * * * * 8 Diese Befunde weisen offenbar auf die haupts\u00e4chlichste Fehlerquelle hin, mit der man bei der Pr\u00fcfung der Sinne sogenannter Naturv\u00f6lker zu rechnen hat. Namentlich Schwellenbestimmungen sind streng genommen nur dann vergleichbar, wenn bei demselben Aufmerksamkeitsgrad, d. h. bei der maximalen Anstrengung der Aufmerksamkeit beobachtet worden ist. In vielen F\u00e4llen will man die Sch\u00e4rfe der sinnlichen Wahrnehmung oder Unterscheidung pr\u00fcfen, pr\u00fcft aber tats\u00e4chlich die F\u00e4higkeit der Ver-\nVol. II, Part I, Cambridge 1901 (f\u00fcr unsere Frage namentlich p. 12 f., 42\u201445; daselbst auch ausf\u00fchrliche \u00dcbersicht \u00fcber die \u00e4ltere Literatur); Derselbe, Observations on the senses of the Todas, Brit. Journal of Psych. ! (4), S. 321\u2014397, 1905; G. Fritsch, \u00dcber den Bau und die Bedeutung der Area centralis des Menschen. Berlin 1908.\nBez\u00fcglich des Geruch sin ns vgl.: Ch. S. Myers, Smell, in Cambridge Exp. Rep. Vol. II, Part II, IV ; G. Grijns , Messungen der Riechsch\u00e4rfe bei Europ\u00e4ern und Javanen. Engelmanns Arch. f. Phys. 1902. p. 4.\n1\ta. a. O. II. Hearing (daselbst auch die sehr magere \u00e4ltere Literatur).\n2\tThe Hearing of Primitive Peoples. Arch, of Psych. 11, 1908.\n3\tBruner liefs sehr einfache Rhythmen (unwissentlich) reproduzieren;\ndiese Methode hat viele Vorteile, bringt aber einen neuen nicht-sensorischen\nFaktor in das Experiment. \u2014 Sowohl Myers als Bruner bestimmten auch\ndie obere H\u00f6rgrenze mit der Galtonpfeife. Trotz der angewendeten Kautelen\nk\u00f6nnen, nach den neuesten Untersuchungen von F. A. Schulze {Ann. der\nPhys. (4), 24, 1907), wenn die Galtonpfeife mit dem Gummiball angeblasen wird, die Versuche wenig beweisen; bestenfalls sind sie als H\u00f6rsch\u00e4rfepr\u00fcfungen (Intensit\u00e4tsschwelle) anzusehen.","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. f. an g. Ps. III. 468]\nsuchsperson, sich auf einen bestimmten Reiz oder eine bestimmte Fragestellung zu konzentrieren. Es k\u00f6nnte nun allerdings auch von Interesse sein, die Konzentrationsf\u00e4higkeit von Angeh\u00f6rigen verschiedener Rassen miteinander zu vergleichen, und nach den allgemeinen und leider etwas unbestimmten Angaben, die wir z. B. \u00fcber das Seelenleben der afrikanischen Neger besitzen, sollte man gerade bez\u00fcglich der Konzentrationsf\u00e4higkeit auffallende rassenm\u00e4fsige Unterschiede erwarten. Ob die Pr\u00fcfung der Sinnesfunktionen hierf\u00fcr brauchbares Material liefern kann, erscheint aber ebenfalls aus zwei Gr\u00fcnden fraglich. Erstens n\u00e4mlich ist die Konzentrationsf\u00e4higkeit auf einen bestimmten Reiz in hohem Mafse von der \u00dcbung abh\u00e4ngig und die beobachteten Unterschiede der Sinnesschwellen bei verschiedenen Versuchspersonen w\u00fcrden gewifs geringer werden und vielleicht teilweise ganz verschwinden (gesunde Organe nat\u00fcrlich vorausgesetzt), wenn die Versuche immer bis zur Erreichung eines maximalen \u00dcbungsgrades fortgesetzt w\u00fcrden. Dies ist aber aus praktischen Gr\u00fcnden fast immer unm\u00f6glich, schon in unseren Laboratorien bei gebildeten, wohlerzogenen, interessierten und geduldigen Versuchspersonen, mehr noch bei sog. Primitiven. Bei diesen kommt zweitens noch hinzu, dafs die bei den \u00fcblichen Versuchs-inethoden verwendeten Reize und Fragestellungen den Leuten vollkommen fremd und \u2014 nach Edingers treffendem Ausdruck \u2014 biologisch inad\u00e4quat sind. Man hat schon vielfach bei Tieren beobachtet, dafs bestimmte Reize zwar das Sinnesorgan erregen, dabei aber doch keine motorische Reaktion ausl\u00f6sen k\u00f6nnen. Bei Fischen, die sich um gewisse T\u00f6ne und Ger\u00e4usche so wenig k\u00fcmmern, dafs man sie noch heute vielfach f\u00fcr taub h\u00e4lt, konnte Piper 1 durch Schallreize Aktionsstr\u00f6me im H\u00f6rnerven hervorrufen. Nach R. M. Yerkes 2 wird der Akustikus von Amphibien durch T\u00f6ne und Ger\u00e4usche erregt, ohne dafs die Tiere fliehen. Auch eine Eidechse, die Edinger1 2 3 beobachtete, und die \u201eauf das leise Krabbeln eines Insektes im Grase hin-\n1\tAktionsstr\u00f6me vom Geh\u00f6rorgan der Fische bei Schallreizung. Zen-tralbl. f. Physiol 1906, 293.\n2\tThe Mutual Relations of Stimuli in the Frog Rana Clamata Daudin. Harvard Psych. Studies, Vol. Il, 1906; Pfl\u00fcgers Archiv 107, 1905.\n3\tBeziehungen der vergleichenden Anatomie zur vergleichenden Psychologie. Bericht \u00fcber den III. Kongrefs f\u00fcr exper. Psychologie in Frankfurt a. M. (Leipzig 1909.) S. 9.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"149\n[Z f. ang. Ps. III. 469] \u00dcber vergleichende usw. Untersuchungen.\nh\u00f6rt, bleibt v\u00f6llig ruhig, wenn man dicht \u00fcber ihrem Kopfe auf einen Stein schl\u00e4gt, wenn man laut schreit, singt, l\u00e4rmt\u201c. Tiere, die nie einen Menschen gesehen haben, erschrecken auch nicht vor ihm. Walfische legten den Kopf auf den Rand der Eisscholle, die sich mit einem Teil von Ltn. Shackletons S\u00fcdpolarexpedition vom festen Eis losgel\u00f6st hatte. An Seehunde konnte der Expeditionsleiter mit dem Automobil ganz dicht heranfahren, um sie zu photographieren, und einem Schwarm Pinguine liefs er, wie die Photographie zeigt, aus n\u00e4chster N\u00e4he ein Grammophon Vorspielen.1 2 Zweifellos werden aber all diese Tieie fliehen, sobald ein optischer oder akustischer Reiz auf sie einwirkt, der nach ihrer phylogenetischen Erfahrung f\u00fcr sie Gefahr bedeutet. Der Begriff des biologisch ad\u00e4quaten Reizes, den solche Beobachtungen an Tieren nahelegen, ist aber auch auf den Menschen anwendbar. Nur werden hier vielleicht weniger phylogenetische Erfahrungen und kongenitale Dispositionen mafsgebend sein, als intra vitam erworbene apperzeptive Einstellungen. Man wird also ber\u00fccksichtigen m\u00fcssen, was f\u00fcr Gesichtsbilder, Ger\u00e4usche, Ger\u00fcche usw. im Leben eines Volkes wesentlich sind; und daher sind die gelegentlichen Beobachtungen zuverl\u00e4ssiger Reisender wohl auch beweiskr\u00e4ftiger f\u00fcr die apperzeptiven F\u00e4higkeiten fremdrassiger Versuchspersonen, als die mangelhafte Wahrnehmung von Uhrticken, Telephonger\u00e4uschen oder Stimmgabelt\u00f6nen gegen solche sprechen. Das Erstaunen des Europ\u00e4ers \u00fcber die ersteren ist ja gerade dadurch verursacht, dafs trotz der Vorz\u00fcglichkeit seiner Sinne seine Wahrnehmung und Auffassung in g\u00e4nzlich fremder Umgebung und ungewohnten Erscheinungen gegen\u00fcber zun\u00e4chst v\u00f6llig versagt.\nWir haben uns bei diesen Gesichtspunkten so lange aufgehalten, weil sie nicht nur bei der Vergleichung der Sinnesfunktionen, sondern auch bei der Beurteilung der h\u00f6heren psychischen T\u00e4tigkeiten und selbst der Kulturerscheinungen bei verschiedenen V\u00f6lkern von gr\u00f6fster Bedeutung sind. Das von der H\u00f6rsch\u00e4rfe Gesagte gilt ganz ebenso f\u00fcr die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen. Myees 2 fand sie in der Torres-strafse geringer als in Schottland, aber die Verbesserung durch\n1\tIm eisigen S\u00fcden. Die Umschau XIII. S. 911, 933. 936.\n2\ta. a. O. Myers verwendete eine Art Grenzmethode mit 2 Stimmgabeln, von denen eine durch ein Laufgewicht verstellbar war.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. f \u201e ang. Ps. III. 470]\n\u00dcbung war auch gr\u00f6fser bei den Papuas als bei den Weifsen. Bei gelegentlichen Versuchen mit nordamerikanischen Indianern konnte ich \u00e4hnliche Erfahrungen machen.1\nW\u00e4hrend eine gewisse, wenn auch nicht sehr grofse H\u00f6rsch\u00e4rfe unerl\u00e4fsliche Vorbedingung f\u00fcr jede musikalische T\u00e4tigkeit ist, da ja die Besch\u00e4ftigung mit T\u00f6nen nat\u00fcrlich ein normales H\u00f6rorgan voraussetzt, so wird doch niemand in der H\u00f6rsch\u00e4rfe ein Kriterium der musikalischen Begabung suchen. Anders ist es mit der Unterschiedsemphncllichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen. Wenn wir auch bei dieser gew\u00f6hnlich finden, dafs sie bei fortgesetzter \u00dcbung zu einem sehr hohen Maximum ansteigt, so gibt es doch zahlreiche F\u00e4lle, in denen sie \u00fcberraschend gering ist: die betreffenden Personen verm\u00f6gen in mittlerer Lage kaum T\u00f6ne zu unterscheiden, die um eine Terz bis Quinte, in h\u00f6herer und tieferer Lage nicht einmal solche, die eine Sexte oder Septime auseinander hegen. Man hat diese F\u00e4lle fr\u00fcher nicht sehr gl\u00fccklich mit \u201eTontaubheit\u201c bezeichnet.2 3 Es ist jedoch kaum anzunehmen, dafs es sich um eine pathologische Ausfallserscheinung handelt. Vor allem sind selten nur die ganz extremen F\u00e4lle; Personen, die auf die Fragestellung \u201ewelcher Ton h\u00f6her\u201c auch in der Mitte des Tongebiets zahlreiche falsche Urteile abgeben, trotz recht erheblicher Reizverschiedenheit, sind unter den sog. Unmusikalischen durchaus nicht selten.8 Auch bei diesen nimmt die Unterscheidungsf\u00e4higkeit durch \u00dcbung erheblich zu und zwar um so schneller, je schlechter die Versuchsperson anfangs urteilte. Mir ist ein Fall bekannt, dafs ein Kind die Klavierlehrerin bei Beginn des Unterrichts fragte, - wozu die schwarzen Tasten gut seien, da sie ja doch dieselben T\u00f6ne g\u00e4ben, wie die benachbarten weifsen. Auch diese anf\u00e4ngliche \u201eTontaub-\n1\tIch operierte nach der Methode der r- und /'-F\u00e4lle mit 4 Laufgewichts-gabeln, die, vor jeder Versuchsreihe in passenden kleinen Differenzen abgestimmt, zu paarweiser Vergleichung dargeboten wurden. Das Verfahren ist wohl sehr zuverl\u00e4ssig, stellt aber so hohe Anforderungen an die Geduld der Versuchsperson und ist auch so zeitraubend, dafs es f\u00fcr ethnopsycho-logische Zwecke nur in seltenen F\u00e4llen wird angewendet werden k\u00f6nnen. N\u00e4heres \u00fcber diese, sowie \u00fcber die weiter unten erw\u00e4hnten Versuche m\u00f6chte ich einer sp\u00e4teren Publikation Vorbehalten. Die Versuche wurden (1906), gr\u00f6fstenteils mit indianischer Schuljugend, in Pawnee und Chilocco (Oklahoma) ausgef\u00fchrt.\n2\tG\u00e9ant Allen, Mind 1878.\n3\tStumpf, Tonpsychologie, I, 327 ff., II, 158, 382 ff.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"151\n[Z. f. ang. Ps. III. 471J \u00dcber vergleichende usw. Untersuchungen.\nheit\u201c hat sich dann bei einiger \u00dcbung vollst\u00e4ndig verloren. Auch Versuchspersonen mit vortrefflicher Unterschiedsempfindlichkeit innerhalb des musikalischen Tongebiets erweisen sich als \u201etontaub\u201c in den extremsten Lagen. Die \u00dcberg\u00e4nge von der schlechtesten zur besten Unterschiedsempfindlichkeit sind also flielsend, und es ist nicht m\u00f6glich, die Menschen nach der Unterschiedsempfindlichkeit in die zwei \u00fcblichen Gruppen, \u201eMusikalische\u201c und \u201eUnmusikalische\u201c, zu scheiden; wohl aber wird die U. E. als Kriterium brauchbar sein bei der Aufstellung von Typen und Unterschieden innerhalb der musikalischen Begabung. Bemerkenswert scheint mir ferner, dafs alle sog. \u201eTontauben\u201c an den vorgelegten T\u00f6nen andere Momente als gerade die Tonh\u00f6he besonders beachten: die Intensit\u00e4t, Klangfarbe (Tonfarbe) und begleitende Ger\u00e4usche, Dauer usw. Diese Momente sind ja den T\u00f6nen und den Ger\u00e4uschen gemeinsam; in der Natur kommen aber fast nur Ger\u00e4usche vor und die Unterscheidungsf\u00e4higkeit f\u00fcr diese ist auch f\u00fcr den Menschen von grofser biologischer Wichtigkeit: es ist daher nicht weiter wunderbar, dafs jemand, der nicht gewohnt ist, sich mit T\u00f6nen zu besch\u00e4ftigen, an ihnen zun\u00e4chst das beachtet, was bei allen Geh\u00f6rempfindungen zu beobachten ist. Solche \u00dcberlegungen machen es auch begreiflich, dafs V\u00f6lker, die tongebende Instrumente wenig oder gar nicht benutzen, wie die nordamerikanischen Indianer, bei ihren Ges\u00e4ngen geringeren Wert auf die Tonh\u00f6hen legen als auf die Klangfarbe (im weitesten Sinne), auf die Phrasierung, kurz auf Momente, die dem europ\u00e4ischen Musiker minder wichtig scheinen und f\u00fcr die wir daher auch nur eine sehr unvollkommene Nomenklatur haben.\nIst nun die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen, wenn auch mit gewissen Einschr\u00e4nkungen, ein Kriterium f\u00fcr Unterschiede der musikalischen Begabung, so ist sie es doch in einem ganz anderen Sinne, als man vielfach irrt\u00fcmlich gemeint hat.\nSo ist die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr T\u00f6ne mit der f\u00fcr (Sukzessiv-)Intervalle verwechselt worden. Man darf aber, wenn ein Intervall a\u2014\u00df nicht als verschieden von einem Intervall a\u2014\u00df' erkannt wird, daraus nicht folgern, dafs auch die T\u00f6ne \u00df und \u00df\\ isoliert nacheinander gegeben, ununterscheidbar w\u00e4ren, oder umgekehrt. Eine Folge von 2 T\u00f6nen ist eben psychologisch etwas anderes als eine blofse Summe und wenn man 2 Intervalle miteinander vergleicht, so vergleicht man nicht 4 Einzelempfin-","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. f. an g. Ps. III. 472]\nd\u00fcngen, sondern 2 Empfindungskomplexe. Und dies schon aufserhalb jedes musikalischen Zusammenhangs, bei Laboratoriumsversuchen. Wenn nun z. B. in der altindischen Musiktheorie die Srutis \u2014 das sind Intervalle (etwa von der Gr\u00f6fse eines Dritteltons oder Vierteltons), aus denen man sich die verschiedenen Schritte der Tonleitern theoretisch zusammengesetzt denkt \u2014 erkl\u00e4rt werden als die kleinsten \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Tonschritte, so darf man hieraus gewifs keine Schl\u00fcsse ziehn auf mangelhafte Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen. Vermutlich haben auch die alten Theoretiker nicht diese im Auge gehabt, sondern vielleicht solche kleinsten Intervalle gemeint, bei denen der zweite don nicht nur wie eine Verstimmung des ersten, sondern wie ein neuer, anderer Ton und daher das Ganze als musikalischer Tonschritt wirkt. Umgekehrt hat man wegen der Verwendung so kleiner Intervalle die musikalische Begabung der Inder wie auch der Araber und Hellenen, in deren Musiktheorien sich Analoges findet, bewundert; man hat eben dabei \u00fcbersehn, dafs diese engen Tonschritte nicht als solche Vorkommen aufser vielleicht in der musikalischen Ornamentik, wo auf die genaue Gr\u00f6fse der Intervalle \u00fcberhaupt nichts ankommt ; dafs sie vielmehr, wenn sie wirklich mehr als blofs theoretische Bedeutung haben, nur die Unterschiede der gr\u00f6fseren Intervalle darstellen.1 Es ist ein mifsverst\u00e4ndlicher Sprachgebrauch, von \u201eVierteltonmusik\u201c zu reden, wo man etwa neben grofsen und kleinen auch noch neutrale Terzen findet. Vielleicht aber ist der Analogieschlufs erlaubt, dafs die, wenn auch nur um ein weniges, verschieden grofsen Intervalle, indem sie in den musikalischen Zusammenhang als charakteristische Elemente eingehn, die Gesamtwirkung der Melodie in bestimmter Weise f\u00e4rben. Was man also dann an der musikalischen Begabung und Erziehung der genannten V\u00f6lker bewundern m\u00fcfste, w\u00e4re die feine Unterscheidungsf\u00e4higkeit f\u00fcr Intervalle und ihre musikalische Gef\u00fchlswirkung. Auch bei europ\u00e4ischen Musikern ist das Urteil \u00fcber die Reinheit der bei uns gebr\u00e4uchlichen Intervalle aufser-ordentlich fein ; wenn nun in der Musik der Inder eine gr\u00f6fsere Anzahl verschiedener Intervalle gebraucht werden als bei uns, so mufs deshalb noch nicht ihre Unterschiedsempfindlichkeit bei\n1 Die Verwechslung der (theoretischen) Leiternstufen mit den musikalisch verwendeten Tonschritten r\u00fcgt schon Aristoxenos (Harmon. 28).","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"[Z. f. ang. Ps. III. 473] Uber vergleichende nsiv. Untersuchungen.\n153\neinem einzelnen Intervall der unserigen \u00fcberlegen sein ; nur m\u00fcssen sie eine gr\u00f6fsere Anzahl von Normalintervallen mit ihrer charakteristischen Gef\u00fchlsf\u00e4rbung im Ged\u00e4chtnis haben.1 Dies letztere, das Ged\u00e4chtnis2 f\u00fcr bestimmte Intervalle und die F\u00e4higkeit ihre \u201eReinheit\u201c zu beurteilen, ist es wohl, was gew\u00f6hnlich mit \u201eIntervallbewufstsein\u201c bezeichnet wird. Dafs das Reinheitsurteil mit dem Konsonanzbewufstsein, wie immer man es definieren mag, nichts zu tun hat, haben schon die Untersuchungen von Stumpf und Meyek 3 ergeben.\nDas akustische Ged\u00e4chtnis \u2014 bzw. die F\u00e4higkeit des Wiedererkennens akustischer Erscheinungen \u2014 ist bei Nichteurop\u00e4ern aus naheliegenden Ursachen bisher wenig untersucht worden. Nur einige mittelbare Schl\u00fcsse auf diese F\u00e4higkeit sind m\u00f6glich. Das Ged\u00e4chtnis f\u00fcr absolute Tonh\u00f6hen, das sog. absolute Tonbewufstsein, wird h\u00e4ufig f\u00fcr ein Zeichen besonders hoher musikalischer Begabung angesehen. Zu dieser steht es zwar sicher in Korrelation, ist aber keine unerl\u00e4fsliche Bedingung. Es kann bei bedeutenden Musikern fehlen, es kann Kindern anerzogen werden und zwar um so leichter, je weniger sie noch mit Musik zu tun gehabt haben. Andererseits k\u00f6nnen Papageien und Stare, soweit sie bisher beobachtet sind, vorgepfiffene Melodien nur in der Originaltonh\u00f6he reproduzieren und dies eben w\u00fcrde ihre Leistung wesentlich von der des Menschen unterscheiden, dem es f\u00fcr die Eigenart einer Melodie nicht darauf ankommt, auf welcher Tonstufe sie beginnt.4 Dafs dies bei sog. Naturv\u00f6lkern nicht anders ist als bei Europ\u00e4ern, geht schon daraus hervor, dafs bei phonographischen Aufnahmen die S\u00e4nger ihre Intonation sehr oft nach dem Stimmpfeifchen richten, dessen Ton angegeben wird, um bei sp\u00e4teren Reproduktionen des Phonogramms die Originaltonh\u00f6he leicht wieder hersteilen zu k\u00f6nnen.\n1\tOb auch aufserhalb des musikalischen Zusammenhangs, ist allerdings fraglich. Vgl, hierzu A. H. F, Strangways, The Hindu Scale, Sammelb. d. Intern. Mus. Ges. IX, namentlich S. 498.\n2\tIm doppelten Sinne: als F\u00e4higkeit des Wiedererkennens und der Reproduktion, bei der auch das motorische Ged\u00e4chtnis (aber nicht aus-sehlielslich) mitwirkt.\n3\tMafsbestimmungen \u00fcber die Reinheit konsonanter Inteiwalle. Beitr. z. Akust. u. Musikw. Fleft 2.\n4\tVgl. Otto Abraham, Das absolute Tonbewufstsein. Sammelb. d. Intern. Mus. Ges. III.","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nErich M. von Hornbostel.\n[Z.f.ang.Ps. III. 474]\nDafs dagegen das Ged\u00e4chtnis f\u00fcr Intervalle innerhalb des melodischen Zusammenhangs auch bei sog. Primitiven zuweilen ganz vorz\u00fcglich ist, ergibt sich aus den \u00e4ufserst geringen Intonationsschwankungen bei der AVieder-holung desselben Melodieteils, z. B. bei den Ges\u00e4ngen der Hopi-Indianer (Gilman1). Geradezu erstaunlich aber ist bei manchen Personen das Melodienged\u00e4chtnis. So haben z. B. einzelne Pawnee-Indianer mehrere hundert Melodien im Kopf.2 Allerdings wird hier das musikalische Ged\u00e4chtnis nicht unwesentlich durch die ungeheuer feste Assoziation von Melodie und Text unterst\u00fctzt.\nAls ein sehr zweckm\u00e4fsiges Mittel zur Untersuchung des musikalischen Bewufstseins hat sich das Nach singen lass en von T\u00f6nen und Tonschritten erwiesen.3 Die Verbindung des akustischen und kehlkopfmotorischen Apparats ist bei gut AVr-anlagten eine so enge, dafs der Vorgang bei der unmittelbaren Beproduktion des Geh\u00f6rten einem reflektorischen wohl sehr nahe kommt, jedenfalls zum gr\u00f6fsten Teil ins Unbewufste f\u00e4llt. A^\u00f6gel und ganz kleine Kinder, die Melodien nachsingen, tun dies, nachdem sie die Melodie mehrmals geh\u00f6rt haben, ganz ohne Herumprobieren : die neu erworbene Fertigkeit ist auf einmal da.4 Altere Kinder oder Erwachsene, die einen Ton nachsingen sollen, suchen daher meistens auch nicht nach der verlangten Tonh\u00f6he, sondern richtig oder falsch, aber sofort und bestimmt zu reagieren.5 6 Die vorkommenden Fehler sind lehrreich f\u00fcr die Art der Auffassung des vorgesungenen Tons ; dieser wird oft in seiner gesamten qualitativen Eigent\u00fcmlichkeit erf\u00e4fst und zu reproduzieren gesucht ; also in seiner absoluten H\u00f6henlage : liegt er f\u00fcr den Stimmumfang der Versuchsperson zu tief, so singt diese den tiefsten Ton, den sie \u00fcberhaupt hervorbringen\n1\tHopi Songs. Journal of Amer. Archaeol. arid Ethnol. V.\n2\t\u00c4hnlich auch in Europa. Vgl. John Meier, Kunstlieder im Volksmunde (Halle, 1906), S. LXXXIXf.\n3\tDas folgende bezieht sich auf die schon S. 470 erw\u00e4hnten Versuche mit Indianerkindern.\n4\tVgl. Stumpf, Tonpsychologie I, S. 294. Das gleiche gilt f\u00fcr die Re-\nproduktion von Sprachlauten, s. G. u. W. Stern, Die Kindersprache S. 129 (a) u. 130 (c).\n6 Immerhin ist der Grad der muskul\u00e4ren \u00dcbung mitbestimmend f\u00fcr das Resultat. Auch bei Kindern gehen ja dem Nachsingen und Nachsprechen spontaner Singsang und Lallen, allgemein der Nachahmung (biologisch zweckm\u00e4fsige) Bewegungsspiele voran.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"155\n[Z. f. ang. Ps. III. 475] \u00dcber vergleichende usiv. Untersuchungen.\nkann: oder der Versuchsperson ist die Klangfarbe wichtiger als die Tonh\u00f6he und sie reproduziert demgem\u00e4fs jene so genau als m\u00f6glich, diese nur ganz ungef\u00e4hr. Manche Versuchspersonen reproduzieren anstelle des vorgegebenen Tons selbst oder seiner Oktave seine Quinte oder Quarte, was darauf hindeutet, dafs auch T\u00f6ne, die in diesen Verh\u00e4ltnissen stehen, einander in derselben Hinsicht \u00e4hnlich sind, wie T\u00f6ne im Oktavenverh\u00e4ltnis.\nMan mufs auch damit rechnen, dafs akustisch veranlagte Versuchspersonen sich noch nach dem prim\u00e4ren Ged\u00e4chtnisbild orientieren k\u00f6nnen, w\u00e4hrend bei nicht akustischen die lonvor-stellung gleichzeitig mit oder doch unmittelbar nach dem Erl\u00f6schen des Reizes verschwindet. Durch das Zusammenwirken aller dieser Faktoren wird das Nachsingen auch zu einem Test auf die musikalische Begabung. Noch st\u00e4rker treten die individuellen- Differenzen hervor, wenn der nachzusingende Ton nicht vorgesungen, sondern vorgepfiffen oder auf einem Instrument angegeben wird. Durch die Entfernung der Klangfarbe von der der Singstimme wird in allen F\u00e4llen (auch f\u00fcr die Musikalischen) eine Erschwerung eingef\u00fchrt, die sich in dem Verh\u00e4ltnis der richtigen zu den falschen Reproduktionen auch zahlenm\u00e4fsig deutlich auspr\u00e4gt.\nAuch bei Versuchen \u00fcber das Nachsingen von Ton schritten sind die Eigent\u00fcmlichkeiten der Fehler sehr instruktiv. Oft werden die Tonschritte nur der ungef\u00e4hren Gr\u00f6fse nach wiedergegeben, um einen Halbton oder mehr zu weit oder zu eng ; sehr h\u00e4ufig werden Oktaven, Quinten und Quarten verwechselt, auch von im allgemeinen richtig reagierenden V ersuchspersonen ; manch^ reproduzierten absteigende Intervalle besser als aul-steigende (die Melodik der Indianerges\u00e4nge ist fast durchwegs absteigend !) usw. Im ganzen zeigen die Nachsinge versuche wdeder die \u00fcberragende Bedeutung der Auffassung und ihrer Bedingtheit nicht nur durch die Anlage des Individuums, sondern auch durch die musikalische Gewohnheit des Landes.\n*2. Tonmessungen an Musikinstrumenten m\u00fcssen sich \u2014 wenn sie nicht gleich an Ort und Stelle gemacht werden, unmittelbar nach der Abstimmung des Instruments durch einen eingeborenen Musiker \u2014\u25a0 naturgem\u00e4fs auf solche Instrumente beschr\u00e4nken, bei denen man sicher ist, dafs ihre Stimmung weder durch den Transport gelitten hat, noch durch technische Kunstgriffe beim Spiel ver\u00e4ndert oder korrigiert wird ; den Vorzug unter den Instrumenten","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. f. an g. Ps. III. 476]\nmit fester Abstimmung verdienen dann noch diejenigen, deren Herstellungs- und Stimmweise technisch einfach ist, so dafs auch ein weniger geschickter Instrumentenbauer seine musikalische Absicht auf ihnen verwirklichen kann. Aus diesen Gr\u00fcnden haben sich namentlich zwei Arten von Musikinstrumenten f\u00fcr tonometrische Untersuchungen als besonders brauchbar erwiesen : die Panpfeifen und die Xylophone.1 Die ermittelten Instrumentalleitern sind freilich in erster Linie f\u00fcr musiktheoretische und ethnologische Hypothesenbildungen wichtig.2 Einzelne Befunde geben aber auch Anhaltspunkte f\u00fcr tonpsychologische Betrachtungen. So finden sich beispielsweise in Nordwest-Brasilien Paare von Panpfeifen mit genau identischer Stimmung: die homologen Bohre, gleichzeitig angeblasen, geben (vollst\u00e4ndig oder nahezu) schwebungsfreie Einkl\u00e4nge. Man kann hieraus \u2014 falls die Eingeborenen beim Abstimmen sukzessiv vergleichen und sich nicht etwa der Schwebungen als Hilfskriterium bedienen, was sehr unwahrscheinlich ist \u2014 schliefsen, dafs die Unterschiedsempfindlichkeit dieser Indianer f\u00fcr Tonh\u00f6hen ganz ausgezeichnet ist.3 4 5\nAuf javanischen und siamesischen Xylophonen haben A. J. Ellis 4 und sp\u00e4ter Stumpf 5 Leitern gefunden, deren Intervalle nicht, wie es sonst gew\u00f6hnlich der Fall ist, nach dem Konsonanzprinzip gebildet sind; vielmehr haben je zwei benachbarte T\u00f6ne immer ein gleiches Schwingungszahlenverh\u00e4ltnis : es wechseln nicht, wie bei unserer diatonischen Leiter, Ganzt\u00f6ne mit Halbt\u00f6nen, sondern man kann, wie bei unserer chromatischen temperierten Leiter, eine beliebige Melodie auf jeder Stufe beginnen, ohne sie in ihren Intervallen zu ver\u00e4ndern. Da die Verwendung solcher\n1\tUnter gewissen Kautelen auch andere Instrumente.\n2\tNamentlich, wenn nicht nur die Intervalle, sondern auch die absoluten Tonh\u00f6hen \u00fcbereinstimmen, k\u00f6nnen Tonleitern als, m. E. sehr sicheres, Beweismittel f\u00fcr Kulturzusammenh\u00e4nge dienen. Vgl. meine \u201eNotiz \u00fcber die Musik der Bewohner von S\u00fcd-Neumecklenburg\u201c in Stephan u. Grabner, Neu-Mecklenburg (Berlin, D. Reimer 1907); \u201e\u00dcber die Musik der Kubu\u201c in B. Hagen, Die Orang-Kubu auf Sumatra (Frankfurt a. M., Baer, 1908) und \u201e\u00dcber einige Panpfeifen aus Nordwest-Brasilien\u201c in Koch-Gr\u00fcnberg, Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. II (Berlin, Wasmuth, 1910).\n3\t\u00dcber einige Panpfeifen aus Nordwest-Brasilien, a. a. O. S. 379.\n4\tOn the Musical Scales of Various Nations. Journ. Soc. of Arts XXXIII, 1885.\n5\tTonsystem und Musik der Siamesen, Beitr. z. Akust. u. Musikiu. III.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"157\n[Z f ang Ps. III. 477] \u00dcber vergleichende usic. Untersuchungen.\nLeitern nicht anders zu erkl\u00e4ren ist als durch die Annahme, dafs Tonschritte, die den gleichen Schwingungszahlenverh\u00e4ltnissen entsprechen, auch als gleich grofs empfunden werden, so lag es nahe, in der Existenz von \u201eDistanzleitern\u201c eine Best\u00e4tigung des WEBER-FECHNERschen Gesetzes zu suchen. Weber und Fechner hatten selbst das Argument ben\u00fctzt, dafs gleiche musikalische Intervalle, also Schwingungszahlen Verh\u00e4ltnisse, uns bei jeder beliebigen absoluten Tonh\u00f6he gleich erscheinen ; dieses Argument ist aber gerade bei europ\u00e4ischen Intervallen nicht beweiskr\u00e4ftig, da sich hier mit dem Distanzurteil, wenn ein solches \u00fcberhaupt stattfindet, fast immer em Konsonanzurteil kompliziert. Bei den f\u00fcnf- und siebenstufigen Distanzleitern der Javanen und Siamesen ist aber diese Fehlerquelle ausgeschlossen. Trotzdem scheint es fraglich, ob sie f\u00fcr das WEBER-FECHXERsche Gesetz etwas beweisen k\u00f6nnen. Dieses bezieht sich ja zun\u00e4chst nicht auf Qualit\u00e4ts-, sondern auf Intensit\u00e4tsunterschiede der Beize und hat sich auf diesem seinem eigentlichen Gebiet nur mit gewissen Einschr\u00e4nkungen und nicht mit absoluter Genauigkeit best\u00e4tigt. Es w\u00e4re daher recht merkw\u00fcrdig, wenn es im Tongebiet, und nur in diesem, bei Qualit\u00e4ten mit gr\u00f6fster Strenge gelten sollte. Man kann also, wie Stumpe hervorhebt, nicht sagen, dafs es sich um zwei F\u00e4lle eines Gesetzes handle, sondern nur, dafs sich eine logarithmische Formel auf mehreren verschiedenen Gebieten bew\u00e4hre. Die temperierten Leitern der genannten Kulturv\u00f6lker sind zwar sehr wahrscheinlich sp\u00e4tere Umbildungen anderer Skalen ; aber ihre genaue Plerstellung setzte eben die F\u00e4higkeit voraus, ohne mathematische und physikalische Hilfsmittel, nach dem blofsen Geh\u00f6r, Tonschritte einander gleichzumachen. Diese F\u00e4higkeit scheint, nach Messungen an Instrumenten (und Phonogrammen) verschiedenster Herkunft, sehr verbreitet zu sein. Worauf sie letzten Endes psychologisch beruht, dar\u00fcber sind Untersuchungen noch im Gange. Auf anderen Empfindungsgebieten haben Selbstbeobachtungen bei Vergleichung sog. \u00fcbermerklicher Empfindungsunterschiede ergeben, dafs sich das Urteil je nach Umst\u00e4nden auf ganz verschiedene Vorg\u00e4nge st\u00fctzt1, und \u00e4hnliches scheint auch bei den T\u00f6nen der Fall zu sein.\n1 Vgl. Fr\u00f6bes, Zeiischr. f. Psychol. 36 (namentl. S. 257ff.); Jacobsohn, ebenda 43 (S. 80ff.) ; Heine, ebenda 54 (S. 67 ff.).","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. f. ang. Ps. III. 478]\n3. Die Eigent\u00fcmlichkeiten von Tonfolgen im Gegensatz zii Zusammenkl\u00e4ngen sind durch die Untersuchungen der nichteurop\u00e4ischen Musik besonders deutlich geworden. Auch in unserer Musik unterscheiden wir die Melodie von der Harmonie ; aber seit dem 11. Jahrhundert ist in Europa \u2014 den asiatisch beeinflufsten Osten ausgenommen \u2014 wirklich einstimmige Musik fast ganz ausgestorben. Die Entwicklung der Harmonie und Polyphonie hat eine ganz bestimmte einseitige Ausbildung des Tonsystems und des Rhythmus, also der beiden wesentlichen Grundlagen der Melodie zur Folge gehabt. Durch die \u00fcberm\u00e4chtige Gewohnheit sind wTir unf\u00e4hig geworden, eine Melodie wirklich rein melodisch aufzufassen, ohne sie im Sinne unseres Tonsystems und einer hinzugedachten harmonischen Begleitung umzudeuten. Die Musik der aufsereurop\u00e4ischen V\u00f6lker dagegen hat sich, von wenigen r\u00e4umlich und zeitlich beschr\u00e4nkten Ausnahmen abgesehen, rein melodisch entwickelt oder erhalten. Exotische Musikst\u00fccke zeigen daher das melodische Element sozusagen in Reinkultur. Eine psychologische Theorie der Melodie ward daher A7on diesen rein-melodischen und nicht, wTie es bisher meistens geschehen ist (Th. Lipps 4, Weinmann1 2, M. Meyer3 4), von unserer harmonischen Musik ausgehen m\u00fcssen. Folgende Beobachtungen scheinen mir in dieser Hinsicht von besonderer Wichtigkeit.\nMan findet in der einstimmigen Musik, namentlich im un-begleiteten Gesang, eine ungeheure Menge von Intervallen, die der Gr\u00f6fse nach zwdschen zwei Intervalle unseres Tonsystems fallen (neutrale Intervalle), und zwar kommen solche nicht nur als Zufallsprodukte bei unge\u00fcbten S\u00e4ngern vor, sondern auch bei in sich ganz konstanter Intonation. In anderen Ges\u00e4ngen \u00e4ndert sich die Intonation im Verlauf einer Melodie, aber in ganz gesetzm\u00e4fsiger Weise : die Tonh\u00f6he r\u00fcckt best\u00e4ndig hinauf, die Melodiekurve \u00e4ndert sozusagen kontinuierlich ihr Niveau4\n1\tPsych. Studien (Heidelberg 1885); Zur Theorie der Melodie, Zeitschr. f. Psychol. 27, 1902.\n2\tZur Struktur der Melodie, Zeitschr. f. Psychol. 85, 1904.\n3\tContribution to a Psychological Theory of Music, TJniv. of Missouri Studies I. 1. 1901.\n4\tSo namentlich bei nordamerikanischen Indianern, vgl. Stumpf, Lieder der Bellakula-Indianer, Vjschr. f. Musikw. II, und Phonographierte Indianermelodien (nach Gilmans Notierungen), ebenda VIII.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"159\n[Z. f. an g. Ps. III. 479] \u00dcber vergleichende usw. Untersuchungen.\n(\u00e4hnlich wie es, nur in umgekehrter Richtung ohne Wissen und gegen die Absicht der S\u00e4nger bei unseren a capella-Ch\u00f6ren h\u00e4ufig passiert); oder es wird die Tonh\u00f6he eines melodischen Haupttons durch das ganze St\u00fcck festgehalten, aber die von diesem Hauptton ausgehenden oder zu ihm zur\u00fcckkehrenden Tonschritte werden gr\u00f6fser (oder kleiner) an bestimmten Stellen der Melodie und zwar an analogen Stellen immer in derselben Weise; oder es treten bei den verschiedenen Wiederholungen \u201ederselben\u201c Melodiestelle Intervalle auf, die voneinander so stark abweichen, dafs f\u00fcr unser Ohr der Sinn der Melodie g\u00e4nzlich ge\u00e4ndert wird, z. B. g e c statt g es c usw.1 Alle diese Eigent\u00fcmlichkeiten lassen sich meines Erachtens am einfachsten erkl\u00e4ren mit der Annahme, dafs es in der reinen Melodie zun\u00e4chst nicht auf eine genaue, sondern nur auf eine angen\u00e4herte Intervall-gr\u00f6fse ankommt.\nVielleicht kann man, um sich einen beil\u00e4ufigen Begriff von der Sachlage zu machen, die Intervalle nach ihrer Gef\u00fchlswirkung zun\u00e4chst in zwei grofse Klassen gruppieren : schreitende und springende. Bei den einen w\u00e4re der Tonabstand weit genug, so dafs der \u00dcbergang vom ersten zum zweiten Ton \u00fcberhaupt als deutlicher Tonschritt, nicht als blofse Verstimmung wirkt und doch auch wieder nicht so weit, dafs der \u00dcbergang als ein mehr gewaltsamer (springender) erscheint, wie bei der zweiten Gruppe. Die Grenze zwischen beiden Gruppen wird sich freilich nicht ein f\u00fcr alle Male festlegen lassen, sondern verschieden sein bei verschiedenen V\u00f6lkern, verschiedenen Entwicklungsstufen des musikalischen Bewufstseins usw. Ja dasselbe Intervall kann vielleicht ein und demselben H\u00f6rer, je nach dem melodischen Zusammenhang und je nach der, Vortragsweise (z. B. legato, staccato) bald als schreitend, bald als springend erscheinen. Damit kommen wir zu einem zweiten, f\u00fcr die Musikpsychologie wichtigen Punkt: der Gesamtgestalt der Melodie.\nEs ist eine banale Wahrheit, dafs das gesprochene Wort f\u00fcr das Bewufstsein des H\u00f6renden nicht die Summe oder Folge von Einzellauten ist, die etwa der Phonetiker herausanalysiert. Auch dem Gebildeten und Schriftkundigen wird dies besonders deutlich, wenn er eine fremde Sprache blofs h\u00f6rend und nachsprechend\n1 Vgl. namentlich Gilman, Hopi Songs, a. a. 0. und meine Wanyam-wesi-Ges\u00e4nge, Anthropos IV, 1809","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. t ang. Ps. III. 480]\nzu Jemen beginnt. Selbst das einzelne Wort ist vielfach nur eine grammatische, nicht eine psychologische Einheit. Namentlich in den inkorporierenden Sprachen Nordamerikas (und anderen) kann man die umfangreichen Gebilde, die einen einheitlichen Gedanken ausdr\u00fccken, ebensogut als S\u00e4tze wie als Worte bezeichnen. Aber auch in den europ\u00e4ischen Sprachen haben sich manche k\u00fcrzere S\u00e4tze oder Wortverbindungen zu Einheiten kondensiert und die grammatikalische Funktion von Worten erlangt, z. B. Gottseibeiuns, aujourd\u2019hui, selfmade-man, Nolimetangere.\nBei der Melodie f\u00e4llt zwar die vereinheitlichende Funktion der Bedeutung weg, im \u00fcbrigen sind die Verh\u00e4ltnisse aber ganz analog. Was wir zun\u00e4chst auffassen, wenn wir eine unbekannte Melodie h\u00f6ren, und was sich bei der Reproduktion auch als einheitliches Ganze im Bewufstsein wieder einstellt, das sind nicht T\u00f6ne, nicht Intervalle, sondern Motive. Selbstverst\u00e4ndlich ist diese Einheitlichkeit keine Gleichzeitigkeit im strengen Sinne : das Nacheinander der T\u00f6ne ist ja gerade der wesentliche Unterschied von Melodie und Harmonie, Motiv und Zusammenklang. Die besondere Qualit\u00e4t des Nacheinander ist vielmehr eine der Eigent\u00fcmlichkeiten der Gesamterscheinung, genau so, wie bei optischen BewTegungsbildern und \u00fcberhaupt bei allen in der Zeit verlaufenden Wahrnehmungen. Ohne besondere Analyse, auf die ja das naive unmittelbar auffassende Bewufstsein nicht eingestellt ist, erscheinen also Motive als die Elemente der Melodie. In ihnen ist die Melodiebew^egung, d. h. das Auf und Ab der T\u00f6ne, mit seinen Richtungen und Richtungswechseln.und seinen eigent\u00fcmlichen Qualit\u00e4ten, die wir als Gleiten, Schreiten, Springen usw. charakterisieren, zusammen gegeben mit dem kontinuierlichen oder pl\u00f6tzlichen Wechsel der Tonst\u00e4rke und dem Rhythmus, der aufser durch die beiden genannten Momente (Tonbewegung und Dynamik) auch noch durch die relative Dauer der T\u00f6ne bedingt ist; dazu kommt noch das Tempo und die Klangfarbe (im weitesten Sinne, also mit Einschlufs der begleitenden Ger\u00e4usche, verstanden). All dies sind Momente, die bei spezieller Einstellung der Aufmerksamkeit f\u00fcr sich beachtet, also herausanalysiert werden k\u00f6nnen, wie etwa H\u00f6he, St\u00e4rke und Farbe bei einem einzelnen Ton, die aber ebenso implizite mit dem Motiv gegeben sind (oder, wenn man will, es \u201ekonstituieren\u201c), wie die Momente der einzelnen Sinnesempfindung mit dieser. Da so","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"[Z.lang.Ps. III. 481] \u00dcber vergleichende nsiv. Untersuchungen. 161\nviele Faktoren die Gesamtwirkung des Motivs bestimmen, so ist es begreiflich, dafs \u00c4nderungen eines einzelnen Faktors innerhalb gewisser Grenzen noch keine wesentliche \u00c4nderung der Motivgestalt bewirken m\u00fcssen. Gewifs sind die Faktoren in ihrer Ge-stalt-bestimmenden Funktion nicht alle gleichwertig, und wahrscheinlich wird auch die Rangordnung dieser Werte mit den Kulturen und musikalischen Gewohnheiten wechseln. So werden z. B. auch gr\u00f6bere Abweichungen von bestimmten Intervall-gr\u00f6fsen die Melodiegestalt erst dann wesentlich beeinflussen, wenn sich das Ohr durch Instrumente mit fester Abstimmung an genaue Intonationen gew\u00f6hnt hat. Auch f\u00fcr uns hegt das Eigent\u00fcmliche der Melodiegestalt wesentlich in anderen Faktoren: dem Rhythmus und der Richtung der Tonbewegung; dies geht schon daraus hervor, dafs wir bekannte Melodien nach dem blofsen Rhythmus von Klopfger\u00e4uschen wiedererkennen k\u00f6nnen ; dafs die sog. Umkehrung eines Motivs \u2014 wobei der Rhythmus unver\u00e4ndert bleibt \u2014 die Melodiegestalt fast bis zur Unkenntlichkeit ver\u00e4ndert; dafs bei rein melodischen Stellen, z. B. schnellen Passagen, selbst unsere Klassiker auf die Gr\u00f6fse der Einzelintervalle und auf den Rhythmus wenig oder gar keine R\u00fccksicht nehmen, u. a, m.\nWie lang eine Melodie sein kann, um noch als ein einziges Motiv zu wirken, das wird zum Teil von ihrer Gestalt selbst (Pausen, Phrasierung), zum Teil wieder vom auffassenden musikalischen Bewufstsein, seiner Entwicklung und seinen gewohnheits-m\u00e4fsigen Einstellungen abh\u00e4ngen. In primitiven Ges\u00e4ngen findet man gew\u00f6hnlich ganz kurze Motive, die best\u00e4ndig wiederholt werden; der n\u00e4chste Fortschritt scheint dann eine absichtliche Variation des Motivs bei den Wiederholungen zu sein; weiter wird dann das Motiv bei der Wiederholung verschoben, und zwar meist um eine Quarte oder Quinte. Vermutlich besteht zwischen einem Ton und seiner Oberquinte (Unterquarte) eine \u00c4hnlichkeit derselben Art, wenn auch geringeren Grades, wie zwischen einem Ton und seiner Oktave.1 Dafs zur Transposition trotz der gr\u00f6fseren \u00c4hnlichkeit (Tonverwandtschaft) nicht die Oktave, sondern die Quarte bzw. Quinte verwendet wird, w\u00fcrde sich daraus erkl\u00e4ren, dafs die Oktave als melodischer Tonschritt zu grofs, auch die Ver\u00e4nderung der Tonfarbe bei einem so grofsen\n1 s. oben S. 155. Stumpf, Beitr\u00e4ge V.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. f. ang. Ps. III. 482]\nIntervall schon sehr merklich ist, andererseits auch aus dem Stimmumfang, der Unbequemlichkeit und Schwierigkeit so grofser Tonschritte f\u00fcr den Kehlkopf.\nAuch l\u00e4ngere Melodien, die sich aus mehreren Einzelmotiven aufbauen, haben eine Gesamtgestalt, die trotz gewisser Variationen erhalten bleiben kann. Auch hier l\u00e4fst sich f\u00fcr die Art und Grenzen der Variationen keine allgemein g\u00fcltige Norm aufstellen. Ein interessantes Beispiel hierf\u00fcr bieten die indischen Ragas.1 Der Begriff l\u00e4fst sich wohl am besten mit \u201eMelodietypus\u201c wdedergeben. Nirgends in der Sanskritliteratur wird dieser Begriff explizite, d. h. merkmalm\u00e4fsig definiert. Nach den Melodieproben, die wir aus neuerer Zeit besitzen, ist es f\u00fcr den Europ\u00e4er ungeheuer schwer, zu sagen, was Melodien, die zum gleichen Raga geh\u00f6ren, gemeinsam haben, und was verschiedene Ragas voneinander unterscheidet, trotzdem auch er \u00c4hnlichkeiten und Unterschiede sp\u00fcrt. F\u00fcr den Inder sind mit den einzelnen Ragas auch noch Gef\u00fchle verkn\u00fcpft, die z. T. wohl musikalischer Natur sein d\u00fcrften, z. T. aber durch religi\u00f6se oder zauberische Assoziationen bedingt. Analoga zu den indischen Ragas finden sich auch bei anderen Kulturv\u00f6lkern : den Chinesen, den Arabern, den Hellenen (\u25a0v\u00f6[ioi), vielleicht auch den Javan en. Aber man braucht die Beispiele nicht aus so wreiter Ferne zu holen : in vielen Werken unserer neueren Komponisten finden sich Variationen, deren Gemeinsamkeiten mit dem Thema selbst der Musikkundige schwer explizieren kann und der Durchschnittsh\u00f6rer nur dunkel ahnt; dem Komponisten mufs aber doch der gemeinsame Raga vorgeschwebt haben.\nUrspr\u00fcnglich wird unter Raga wohl die Gesamtgestalt einer Melodie verstanden worden sein. Doch schon bei den Indern hat sich der Begriff der rhythmischen Form (T\u00e4la) vom Ragabegriff losgel\u00f6st. Man \u201esetzt\u201c einen Raga \u201ein\u201c einen bestimmten Tala, \u00e4hnlich wie bei uns die Texte von Kirchen- oder Studentenliedern \u201enach einer bekannten Melodie\u201c gesungen werden. Raga w\u00fcrde also, streng genommen, Melodietypus abgesehen vom Rhythmus bedeuten. Aber auch der Tala ist nicht so inhalts-\n1 Zum Folgenden vgl. Abraham und v. Hornbostel, Phonographierte indische Melodien, Sammelb. d. Intern. Mus. Ges. V, 1904; C. R. Day, The Music and Musical Instruments of Southern India and Deccan (London, 1891); Strangways, The Hindu Scala, a. a. 0.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"163\n[Z. f. ang. Ps. III. 483J\n\u00dcber vergleichende usw. Untersuchungen.\narm wie unsere \u201eTaktarten\u201c (3/4, 4/4). Die Talas sind vielmehr Rhythmustypen. Das von den melodischen Motiven Gesagte l\u00e4fst sieh offenbar ohne weiteres auf Ger\u00e4uschfolgen, z. B.\no\nTrommelschl\u00e4ge, \u00fcbertragen. Nicht Z\u00e4hlzeiten oder Takte, sondern rhythmische Motive, Einheiten von bestimmter charakteristischer Form, sind die Elemente gr\u00f6fserer rhythmischer Gebilde. Auch die rhythmischen Motive sind in primitiven Verh\u00e4ltnissen kurz und einfach und wiederholen sich best\u00e4ndig unver\u00e4ndert: allm\u00e4hlich nehmen sie zu an Umfang und Komplikation. Dafs dann auch diese gr\u00f6fseren und komplizierteren Motive noch als Formeinheiten aufgefafst werden, geht daraus hervor, dafs bei vielen aufsereurop\u00e4ischen V\u00f6lkern mehrere solcher Motive gleichzeitig ausgef\u00fchrt werden. Eine Rhythmustheorie auf die antiken Versf\u00fcfse zu gr\u00fcnden, wie es namentlich R. Westphal 1 2 versucht hat, geht nur, solange man es mit einfachsten rhythmischen Verh\u00e4ltnissen zu tun hat, wTobei \u201eeinfach\u201c im mathematischen, nicht im psychologischen Sinn zu verstehen ist. Unsere europ\u00e4ische Musik hat sich infolge des Zusammenmusizierens Vieler notgedrungen mit mathematisch einfachen Rhythmen (einheitlich durchgef\u00fchrten Taktformen) begn\u00fcgen m\u00fcssen. Die nichtharmonische aufsereurop\u00e4ische Musik dagegen konnte sich gerade nach der rhythmischen Seite hin freier entwickeln und so kommt es, dafs die rhythmische Auffassungsgabe z. B. mancher afrikanischer Negerst\u00e4mme der unserigen weit \u00fcberlegen ist. ^ Viele afrikanische Trommel- und Xylophonrhythmen sind f\u00fcr uns v\u00f6llig unbegreiflich und bleiben es auch bei eingehendem Studium. In manchen F\u00e4llen gelingt es uns, den Rhythmus aus dem Ged\u00e4chtnis wiederzugeben ohne dafs wir ihn ausz\u00e4hlen, also in unserer Weise analysieren k\u00f6nnen ; in anderen F\u00e4llen wieder kann man sich wohl durch mechanische Kunstgriffe davon \u00fcberzeugen, dafs einem rhythmischen Motiv bestimmte, auch zahlenm\u00e4fsig ausdr\u00fcckbare Gesetze zugrunde liegen, ist aber aufserstande, das Motiv aufzufassen und zu reproduzieren.\nSchon das Zusammen- oder vielmehr Gegeneinanderwirken verschiedener Rhythmen kann als eine Art von Mehrstimmigkeit aufgefafst werden (rhythmische Polyphonies). In vielen F\u00e4llen\n1\tElemente des musikalischen Rhythmus. Jena 1872.\n2\tVgl. Ch. S. Myers, A Study of Rhythm in Primitive Music. Brit. Journal of Psychol. I, 1905.\n3\tRhythmische Polyphonie findet sich namentlich bei Kulturv\u00f6lkern:","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. f. ang. Ps. III. 484]\nwird eine rhythmisch freigestaltete Gesangmelodie auf der Trommel begleitet durch ein nicht allzu langes und immer unver\u00e4ndert wiederholtes rhythmisches Motiv. Ist dessen charakteristische Gestalt einmal erfafst und einem vertraut geworden, so kann sich die Aufmerksamkeit haupts\u00e4chlich der Gesangmelodie zuwenden und den begleitenden Trommelrhythmus mehr nebenbei beachten; es ist etwa so, wie wenn sich auf einem Bildnis die portr\u00e4tierte Person von dem Hintergrund einer bescheiden gemusterten Tapete abhebt. Mehrfach haben sich in der aufser-europ\u00e4ischen Musik, wenn auch nicht gerade bei den primitivsten St\u00e4mmen, Beispiele von nicht blofs rhythmischer, sondern tonaler Mehrstimmigkeit gefunden.* 1 Gibt die Trommel, mit der der Gesang begleitet wird, einen Ton von definierter H\u00f6he, nach dem sich die Intonation der S\u00e4nger richten kann, so ergibt sich schon eine sehr einfache und weit verbreitete Art von Mehrstimmigkeit: der Bordun oder Orgelpunkt. In anderen F\u00e4llen wird ein Ton durch ein Blas- oder Saiteninstrument oder eine Gesangstimme rhythmisch wiederholt oder kontinuierlich ausgehalten. Von ihm hebt sich die eigentliche Melodie ebenso ab, wie von dem begleitenden Trommelrhythmus; und wie dieser nicht aus regelm\u00e4fsigen Schl\u00e4gen, so braucht der Bordun nicht aus einem einzigen Ton zu bestehen, sondern kann bei fortschreitender Entwicklung durch ein einfaches, unver\u00e4ndert wiederholtes melodisches Motiv ersetzt werden. Die Aufmerksamkeit verteilt sich dann auf dieses und die Hauptmelodie zu ungleichen Peilen, ganz analog wie bei der rhythmischen Polyphonie (Ostinato). Endlich k\u00f6nnen sich auch zwei oder mehrere Melodien gr\u00f6fseren Umfangs miteinander kombinieren, wenn sie nur von hinreichend \u00e4hnlicher Gestalt sind, sozusagen Spezialf\u00e4lle ein und desselben Raga. Diese Form (\u201eHeterophonie\u201c) entwickelt sich zun\u00e4chst nur in der Instrumentalmusik und findet sich daher vorzugsweise bei Kulturv\u00f6lkern (Hinterindien, Indo-China, China, Java, vielleicht auch Hellas), Ans\u00e4tze auch schon bei afrikanischen Negerst\u00e4mmen.\nAlle diese Formen von Mehrstimmigkeit sind dadurch\nin den persisch-arabischen L\u00e4ndern, Indien, Ostasien und im malayischen Gebiet; aber auch in Westafrika.\n1 Vgl. meine vorl\u00e4ufige Mitteilung \u201e\u00dcber Mehrstimmigkeit in der aufsereurop\u00e4ischen Musik\u201c. Ber. \u00fcber den III. Kongrefs d. Intern. Mus. Ges. Wien, Mai 1909 (Wien u. Leipzig, 1909), S. 298 ff.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"165\n[Z. f. ang. Ps. III. 485] \u00dcber vergleichende usw. Untersuchungen.\ncharakterisiert, dafs mehrere Melodien zwar gleichzeitig erklingen, aber doch noch als Melodien, also als Snkzessivkomplexe auf-gefafst werden (Polyphonie). Auf die einzelnen Znsammenkl\u00e4nge als solche wird wenig oder gar nicht geachtet, Dissonanzen werden daher auch nicht als st\u00f6rend empfunden. Von der urspr\u00fcnglichen rein einstimmigen Musik geht aber die Entwicklung noch nach einer ganz anderen Richtung aus. Die Konsonanztheorie Stumpfs, die die Konsonanz auf Verschmelzung, d. h. Einheitlichkeit des Zusammenklangs, zur\u00fcckf\u00fchrt, wird durch die zweite Reihe der Entwicklung der Mehrstimmigkeit in besonders eklatanter Weise best\u00e4tigt. Bei dem konsonantesten Zweiklang, der Oktave, ist die Einheitlichkeit des Zusammenklangs so grofs, dafs sie zun\u00e4chst nicht bemerkt oder doch wenigstens nicht beachtet wird. Daher wird \u00fcberall, wo sich M\u00e4nner und Weiber zu gemeinsamem Chorgesang vereinigen, in Oktavenparallelen gesungen, der verschiedenen Stimmlage der S\u00e4nger und S\u00e4ngerinnen gem\u00e4fs. Dem Verschmelzungsgrade nach folgt auf die Oktave die Quinte und dann die Quarte, und in der Tat finden wir als n\u00e4chste Entwicklungsstufe der harmonischen Musik sowohl im fr\u00fchen Mittelalter Europas als auch heute noch bei manchen sogenannten Naturv\u00f6lkern Quinten- und Quartenparallelen. Dieser Gebrauch, der unserem heutigen Geschmack sehr zuwider ist, wird eben daraus verst\u00e4ndlich, dafs Quinten- und Quartenkl\u00e4nge der Einstimmigkeit noch verh\u00e4ltnism\u00e4fsig nahe stehen, dabei aber voller klingen als jene. Was sich im Laufe der Zeiten ge\u00e4ndert hat, ist nicht der Konsonanzgrad der ZwTeikl\u00e4nge, sondern ihr Gef\u00fchlswert. Den Primitiven sagen die Quintenparallelen zu, eben weil sie so sehr konsonant sind und die Wirkung der reinen Melodie, von der man herkommt, so wenig verdunkeln ; uns ver-driefsen sie, weil sie zu konsonant sind, sie klingen uns \u201eleer\", ganz abgesehen von der Wirkung der parallelen Stimmf\u00fchrung.\nIn diesem Zusammenhang m\u00f6gen nachtr\u00e4glich noch einige Beobachtungen \u00fcber die Gef\u00fchlswirkung europ\u00e4ischer Akkorde auf exotische Musiker erw\u00e4hnt werden. Ein Mitglied des siamesischen Hoforchesters, das Stumpf1 untersuchte, fand siamesische Motive mit einfacher Harmonisierung auf dem Klavier \u201enicht \u00fcbel, aber zu viel T\u00f6ne\u201c. Von verschiedenen vorgelegten Einzelakkorden fand er Dur-Dreikl\u00e4nge gut, und zwar um so besser,\n1 Tonsystem und Musik der Siamesen, a. a. O., S. 104 ff.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nErich M. von Hornbostel.\n[Z. f. ang. Ps. III. 486]\nje mehr die Zusammenkl\u00e4nge sich der Ordnung der harmonischen Partialt\u00f6ne n\u00e4herten; Moll- und Septimen-Akkorde wurden abgelehnt. Also auch hier wieder Bevorzugung der am st\u00e4rksten verschmelzenden Zusammenkl\u00e4nge. Ganz ebenso verhielten sich annamitische und kambodschanische Musiker, mit denen G. Knosp1 Versuche machte ; auch sie fanden Dur-Dreikl\u00e4nge sch\u00f6n, Moll-Dreikl\u00e4nge und verschiedene Septimen-Akkorde \u201eabscheulich, unbegreiflich, undeutlich, w\u00fcst\u201c. Europ\u00e4ische Plarmonisierungen ihrer einheimischen Melodien schienen ihnen \u00fcberladen. Diese S\u00fcdostasiaten stehen immerhin infolge ihrer sehr alten musikalischen Kultur der europ\u00e4ischen Musik nicht ganz so fern wie V\u00f6lker, die so gut wie keine Instrumentalmusik und auch in ihren Ges\u00e4ngen keinerlei Mehrstimmigkeit kennen. Ich habe gelegentlich 2 Dur-, Moll- und \u00fcberm\u00e4fsige Dreikl\u00e4nge nach der Methode der paarweisen Vergleichung von nordamerikanischen Indianern begutachten lassen. Viele begriffen die Fragestellung \u00fcberhaupt nicht oder rieten herum, um mir zu Gefallen doch Urteile abzugeben, obwTohl die Akkorde ihnen anscheinend gleichg\u00fcltig waren. Bei den anderen, deren Urteil bestimmter war, kam als einziges Kesultat dieser Volksabstimmung heraus, dafs alle Geschmacksrichtungen Vorkommen, die nach der Permutationsrechnung \u00fcberhaupt m\u00f6glich sind.3\nDie allm\u00e4hliche Entwicklung der Mehrstimmigkeit, die man namentlich bei den besonders musikbegabten Afrikanern recht gut verfolgen kann, zeigt, wie die beiden Entwicklungsreihen, die wir als harmonische und polyphone bezeichnet haben, nicht unabh\u00e4ngig nebeneinander herlaufen, sich vielmehr fortw\u00e4hrend wechselseitig beeinflussen. Die Aufmerksamkeit, die bei rein polyphoner Musik mehrere Melodien, aber als Melodien, gleichzeitig erfafst, bei rein harmonischer Musik eine einzige Melodie, aber sozusagen in vollerer Klangfarbe, wahrnimmt, lernt allm\u00e4hlich sich auf beide Momente zu verteilen. So entstehen harmonisch-\n1\t\u00dcber annamitisclie Musik. Sammelb. d. Intern. Mus. Ges. VIII, namentlich S. 153 f., 161 f.\n2\ts. oben S. 150, Anm. 1.\n3\tBeobachtungen dieser Art sind m. E. geeignet, die Theorien endg\u00fcltig zu widerlegen, nach denen reinmelodische Tonfolgen als \u201ezerlegte Akkorde\u201c aufzufassen und durch ein \u201elatentes Harmoniegef\u00fchl\u201c zu erkl\u00e4ren w\u00e4ren, wie dies namentlich f\u00fcr Indianerges\u00e4nge yon Fillmore u. a. behauptet worden ist.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"[Z. f. ang. Ps. III. 487] \u00dcber vergleichende usiv. Untersuchungen.\n167\npolyphone Formen, in denen nicht mehrere Melodien unabh\u00e4ngig nebeneinander herlaufen, in denen vielmehr die Stimmen sich gegenseitig einander anpassen, so zwar, dafs wenigstens an den Hauptpunkten der Melodie harmonische Zusammenkl\u00e4nge auf-treten. Die Alleinherrschaft der Melodie, ihre grofsen Freiheiten und unbeschr\u00e4nkten Entwicklungsm\u00f6glichkeiten in tonaler wie rhythmischer Hinsicht werden dabei freilich eingeschr\u00e4nkt; aber die musikalische Auffassungsf\u00e4higkeit wird in jahrhundertelanger Erziehung doch so gesteigert, dafs die Musik an Stelle der verlorenen mehr und mehr neue Freiheiten und Entwicklungsm\u00f6glichkeiten gewinnt und gerade in unseren L\u00e4ndern und unserer Zeit die letzten Reste ihres durch starre Regeln gebundenen Mittelalters zu vergessen sucht.","page":167}],"identifier":"lit38496","issued":"1910","language":"de","pages":"143-167","startpages":"143","title":"\u00dcber vergleichende akustische und musikpsychologische Untersuchungen","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:54:12.229478+00:00"}