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{"created":"2022-01-31T13:19:35.419831+00:00","id":"lit38504","links":{},"metadata":{"alternative":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft","contributors":[{"name":"Stumpf, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft 8: 17-56","fulltext":[{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"[VL Kongr. 305]\n17\n\u00dcber neuere Untersuchungen zur Tonlehre1).\nYon\nC. Stumpf.\nDie aufsehenerregenden Neuerungen auf dem tonpsychologischen Gebiete, die uns die letzten Jahre gebracht haben, ver-anla\u00dften unseren Vorsitzenden, mir ein Referat dar\u00fcber anzutragen. Da ich begreiflicherweise von den Neuerscheinungen mit Begier Kenntnis genommen, bin ich bereit, sowohl zu referieren als Stellung zu nehmen, soweit es mir gegenw\u00e4rtig m\u00f6glich erscheint. Es soll sich dabei aber nicht um eine Literatur\u00fcbersicht handeln, die Vollst\u00e4ndigkeit anzustreben h\u00e4tte, sondern nur um die Untersuchungen \u00fcber die Elemente oder Grundeigenschaften der Geh\u00f6rserscheinungen. Nur durch diese Beschr\u00e4nkung ist es m\u00f6glich, einigerma\u00dfen tiefer in die Streitfragen einzugehen. Es geh\u00f6rt dazu die von Brentano und R\u00e9v\u00e9sz erneuerte Unterscheidung zweier Momente in der sog. Tonh\u00f6he, eines mit den Schwingungszahlen parallel fortschreitenden und eines mit Verdoppelung der Schwingungszahl periodisch wiederkehrenden Momentes 2). Dann die auf dem Innsbrucker Kongre\u00df zuerst vorgetragene\n\u00dc Vortrag auf dem 6. Kongre\u00df der Gesellschaft f. experimentelle Psychologie, April 1914. Aus dem Kongre\u00dfbericht abgedruckt, mit einzelnen Korrekturen.\n2) F. Brentano, Untersuchungen zur Sinnespsychologie, 1907, S. lOlff. Im kurzen Auszug 1905 f\u00fcr den Intern. Psychologenkongre\u00df in Pom gedruckt. Bereits 1890 wurde diese Ansicht als die Brentanos in meiner \u201eTonpsychologie\u201c, II 199ff., erw\u00e4hnt und besprochen.\nG. R\u00e9v\u00e9sz\u2019 akustische Arbeiten seien hier sogleich zusammen angef\u00fchrt, obgleich er die erste darunter erst sp\u00e4ter mit der obigen Lehre in Zusammenhang gebracht hat: \u00dcber Orthosymphonie (mit v. Liebermann) Zeitschr. f. Psych., 48, 259 ff. Auch in diesen Beitr\u00e4gen 4. \u2014 Nachweis, da\u00df in der sog. Tonh\u00f6he zwei voneinander unabh\u00e4ngige Eigenschaften zu unterscheiden sind. Nachrichten der G\u00f6ttinger Gesellsch. d. Miss. Math.-phys. Kl., 1912. \u2014 \u00dcber binaurale Tonmischung. Daselbst (mit v. Liebermann). \u2014 Experimentelle Beitr\u00e4ge zur Orthosymphonie und zum Falschh\u00f6ren (mit v. Lieb ermann). Zeitschr. f. Psych. 63, 286ff. \u2014 \u00dcber eine besondere Form des Falschh\u00f6rens in tiefen Lagen (mit v. Liebermann), daselbst, S. 325 ff. \u2014 Zur Grundlegung der Tonpsychologie, 1913.\nStumpf, Beitr\u00e4ge VIII.\n2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nG. Stumpf.\n[VI. Kongr. 306]\nLehre K\u00f6hlers von den Vokalqualit\u00e4ten der T\u00f6ne1). Weiter, wenn auch nur nebenbei, die Lehre Jaenschs, wonach die Vokale als die eigentlichen Qualit\u00e4ten der Ger\u00e4usche zu betrachten w\u00e4ren 2)\u201e Endlich einiges Hierhergeh\u00f6rige aus der Arbeit Erl. v. Maltzews \u00fcber das Erkennen von Intervallen in den Grenzregionen3).\nR\u00e9v\u00e9sz betitelt seine zusammenfassende Arbeit: Zur Grundlegung der Tonpsychologie. Aber auch die beiden anderen jungen Forscher fassen ihre Neuerungen in demselben Sinne auf. Mindestens drei Grundlegungen also scheinen erforderlich, um das Geb\u00e4ude auf die richtige Unterlage zu setzen. Allerdings erg\u00e4nzen sie sich nicht so, da\u00df man sie zusammen genommen als Eine betrachten d\u00fcrfte, sondern stehen unter sich in manchem Konflikt. Hoch wollen wir Zusehen, was von jeder sich tragf\u00e4hig erweist.\nHem sachlichen Berichte schicke ich einige methodische und definitorische Bemerkungen voraus. Immer mehr hat sich herausgestellt, da\u00df man die Eigenschaften der T\u00f6ne zun\u00e4chst an einfachen T\u00f6nen untersuchen mu\u00df, und da\u00df es nur ein Mittel gibt, bei objektiven Kl\u00e4ngen vollkommen einfache T\u00f6ne herzustellen: die Beseitigung der Obert\u00f6ne durch Interferenzvorrichtungen. Ich habe diese Forderung 1896 formuliert4), aber an der strengen und allgemeinen Burchf\u00fchrung fehlt es noch immer. An Stelle der Quinckeschen Interferenzvorrichtung ist die von Gr\u00fctzner und Sauberschwarz benutzte, wobei der Ton in Seitenr\u00f6hren von 1/4 Wellenl\u00e4nge hin- und zur\u00fcckl\u00e4uft, also mit 1/2 Wellenl\u00e4nge Hifferenz zur\u00fcckkommt, gebr\u00e4uchlich geworden. Obgleich man mehr R\u00f6hren dazu gebraucht, ist sie doch viel bequemer. Jedes Institut sollte solche R\u00f6hrensysteme besitzen. Im Berliner. Institut sind zehn Systeme mit zusammen 98 ausziehbaren R\u00f6hren im\n9 Akustische Untersuchungen I, Zeitschr. f. Psych. 54, 134ff. (wo die Vokalit\u00e4tenlehre S. 176 ff. angebahnt ist). Diese Beitr\u00e4ge 4. \u2014 \u00dcber akustische Prinzipalqualit\u00e4ten. Bericht \u00fcber d. 4. Kongre\u00df f. exp. Psych., 1911 (der Kongre\u00df 1910), 8. 229 ff. \u2014Akustische Untersuchungen II, Zeitschr. f. Psych. 58, 59 ff. Diese Beitr\u00e4ge 6. \u2014 Akustische Untersuchungen. Bericht \u00fcber d. 5. Kongre\u00df f. exp. Psych., 1913 (der Kongre\u00df 1912), S. 151 ff. \u2014 Akustische Untersuchungen III und IV. Vorl\u00e4ufige Mitteilung Zeitschr. f. Psych. 64, 92 ff.\n2)\tDie Natur der menschlichen Sprachlaute, Zeitschr. f. Sinnesphysiologie (Zeitschr. 1 Psych. II. Abt.) 47, 219 ff.\n3)\tDas Erkennen sukzessiv gegebener musikalischer Intervalle in den \u00e4u\u00dferen Tonregionen, Zeitschr. f. Psych. 64, 37 ff.\n4)\t\u00dcber die Ermittelung von Obert\u00f6nen. Annalen d. Phvsik u. Chemie, N. E., 57, S. 680.","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"[VI. Kongr. 307] \u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\t19\nGebrauch, womit T\u00f6ne aller Schwingungszahlen von 75 Schwingungen an bis zur oberen Tongrenze ausgeschlossen werden k\u00f6nnen. Da\u00df man auch f\u00fcr die allerh\u00f6chsten T\u00f6ne noch wirksame Interferenzen herstellen kann, haben R A. Schulze und W. K\u00f6hler gezeigt. Im einzelnen sind die zu beachtenden Ma\u00dfregeln von R. K\u00f6nig, M. Meyer, R Krueger und mir n\u00e4her er\u00f6rtert worden. Ich m\u00f6chte auch bei dieser Gelegenheit besonders einsch\u00e4rfen, da\u00df man sich stets durch schwebende Hilfsgabeln vergewissern sollte, ob der letzte Rest eines Tones getilgt ist. Bei der Oktave des Grundtones besteht aber die Schwierigkeit, da\u00df die Hilfsgabel auch bei v\u00f6lligem Ausschlu\u00df dieses Tons doch noch Schwebungen geben kann infolge der Bildung eines Differenztones zwischen ihr selbst und dem Grundton. Hier mu\u00df man hohe und tiefe Schwebungen unterscheiden. Da dies aber nicht so einfach ist, verfahre ich jetzt immer so, da\u00df ich zuerst den Grundton selbst ausschlie\u00dfe und nach seinem v\u00f6lligen Wegfall erst die Pr\u00fcfung auf die Oktave vornehme.\nIn bezug auf andere methodische Gesichtspunkte m\u00f6chte ich nur auf die schon anderw\u00e4rts betonte Unterscheidung zwischen Versuchspersonen und Beobachtern verweisen. Bei einer zweckr m\u00e4\u00dfigen Fragestellung kann man aus den Aussagen beliebiger, selbst ganz unge\u00fcbter Individuen manchmal mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit auf Umwegen die Eigenschaften ihrer Sinnesempfindungen erschlie\u00dfen. Aber Behauptungen \u00fcber die Grundeigenschaften unserer Sinnesempfindungen sollte man im allgemeinen nur auf die Aussagen von Beobachtern st\u00fctzen, die durch lange \u00dcbung auf das bestimmte Gebiet eingeschult sind und auch ihre Einzelbeobachtungen immer wieder nachgepr\u00fcft haben. Bei diesen ist das unwissentliche Verfahren nicht einmal immer und in jeder Hinsicht das empfehlenswerteste, unentbehrlich dagegen gr\u00fcndliche Analyse der Beobachtungen und Ausmerzung der Fehlerquellen von Fall zu Fall, genau so wie bei naturwissenschaftlichen Beobachtungen, die sich ja lediglich durch ihre Verwertung f\u00fcr die Erkenntnis der objektiven Welt, nicht aber ihrer Natur nach von den Beobachtungen des Psychologen, soweit diese die rein sinnlichen Erscheinungen betreffen, unterscheiden.\nEine weitere Vorfrage ist allgemein begrifflicher Art und betrifft die Kriterien f\u00fcr die immanenten Eigenschaften unserer Empfindungen. Wir m\u00fcssen jedenfalls so viele Eigenschaften an einer Empfindung unterscheiden, als es unabh\u00e4ngige Ver\u00e4nderungs-\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nC. Stumpf.\n[VI. Kongr. 308]\nweisen gibt. Eine Tonerscheinung kann z. B. ihre St\u00e4rke ver\u00e4ndern bei gleichbleibender H\u00f6he, wie auch umgekehrt. Daher sind diese beiden Merkmale zu unterscheiden. Man hat gemeint, da\u00df wir auch dann, wenn zwei Eigenschaften sich vollkommen parallel ver\u00e4nderten, imstande seien, sich durch Abstraktion auseinanderzuhalten. Aber ich m\u00f6chte in diesem Falle bezweifeln, ob wir ein Recht zur Unterscheidung haben, und ob wir ihre Notwendigkeit einem, der sie nicht anerkennt, beweisen k\u00f6nnen. Dagegen empfiehlt es sich, das Prinzip der unabh\u00e4ngigen Ver\u00e4nderlichkeit weiter zu fassen als es manchmal geschieht: wir werden auch dann zwei Eigenschaften auseinanderhalten, wenn sie sich zwar immer miteinander ver\u00e4ndern, aber der Betrag der Ver\u00e4nderung ein ungleicher ist, so da\u00df also bei einer bestimmten Beiz\u00e4nderung die Empfindungs\u00e4nderung in der Hinsicht a vielleicht nur eben merklich, die Ver\u00e4nderung in Hinsicht b aber weit \u00fcbermerklich ist. Besonders zwingend wird die Unterscheidung, wenn in einer anderen Reizregion sich das Verh\u00e4ltnis umkehrt. Das Prinzip in seiner ersten Fassung ist nur eine Spezialisierung dieser Formel. Beispiele werden wir alsbald finden und uns dann auch zu den prinzipiellen Fragen zur\u00fcckgef\u00fchrt sehen.\nWir Psychologen sind wohl dar\u00fcber einig, da\u00df die Eigenschaften der Empfindungen ihrer Zahl nach keineswegs denen der \u00e4u\u00dferen Reize zu korrespondieren brauchen. Sinusschwingungen unterscheiden sich bekanntlich nur noch durch ihre L\u00e4nge und Amplitude. Wenn nun beispielsweise ein so verdienter Akustiker wie F. Auerbach daraus schlie\u00dft, da\u00df es eine sogenannte Tonfarbe als eine von der H\u00f6he und der St\u00e4rke unterschiedene Eigenschaft bei einfachen T\u00f6nen nicht geben k\u00f6nne1), ja wenn selbst Ziehen diesen Begriff (den \u00fcbrigens nicht ich, sondern erst K\u00f6hler auf ein selbst\u00e4ndiges einfaches Moment der Tonempfindungen bezogen hat, w\u00e4hrend ich darunter H\u00f6he, St\u00e4rke und Volumen zusammengenommen verstanden hatte) wegen der mangelnden physikalischen Grundlage mit zwei Fragezeichen versieht2), so sind mir solche Bedenken unverst\u00e4ndlich. Zwischen den Luftschwingungen und der Sinnesempfindung liegt das ganze Gebiet der Vorg\u00e4nge vom Ohr bis zur Gehirnrinde. Und sehr wohl m\u00f6glich ist es, da\u00df auf diesem Wege, beim \u00dcbergang in neue Geb\u00fcde und\n1)\tWinkelmanns Handbuch d. Physik2 II (1909), S. 264.\n2)\t\u00dcber den gegenw\u00e4rtigen Stand der experimentellen \u00c4sthetik (Kongre\u00dfvortrag), Zeitschr. 1 \u00c4sthetik u. allgemeine Kunstwissensch. 9, 42.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"[VI. KongT. 309] \u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\n21\nneue Prozesse, neue Variable hinzukommen, da\u00df also z. B. mit zunehmender Schwingungszahl des \u00e4u\u00dferen Keizes sich mehrere Eigenschaften des Nervenprozesses in den Neuronen gleichzeitig, aber in verschiedenem Ma\u00dfe oder nach verschiedenen Gesetzlichkeiten, ver\u00e4ndern. Wieweit dies der Pall ist, dar\u00fcber kann uns nicht die Physik der Luftschwingungen, sondern nur die Beobachtung der Sinneserscheinungen selbst belehren1).\nUnd nun zur Sache:\nI. Die Unterscheidung von Qualit\u00e4t und H\u00f6he bzw. Helligkeit der T\u00f6ne hat eine lange Geschichte, auf die ich bereits beim vorigen Kongre\u00df hindeutete und auf die auch R\u00e9v\u00e9sz jetzt verweist2). Als derjenige, der sie in neuerer Zeit gegen\u00fcber Helm-\n0 \u00c4hnlich schon W. K\u00f6hler, Zeitschrift f. Psych. 58, 101 f. Titchener nannte obige Schlu\u00dfweise den \u201estimulus-error\u201c.\n2) Vor allem beweist die seit einem Jahrtausend \u00fcbliche identische Bezeichnung der Oktavent\u00f6ne, da\u00df man l\u00e4ngst in ihnen Identisches gefunden hat. R\u00e9v\u00e9sz verweist mit Recht auch auf analoge Bezeichnungssysteme der Chinesen und Inder. Die griechische Musik hatte allerdings ein komplizierteres Zeichensystem. Doch findet man auch bei griechischen Musikschriftstellern, z. B. Ptolem\u00e4us, die \u00c4hnlichkeit der Oktavent\u00f6ne anerkannt. Siehe meine \u201eGeschichte des Konsonanzbegriffes\u201c, Abh. d. M\u00fcnchener Akad. I. Kl. Bd. 21 (1897) und \u201eDie pseudoaristotelischen Probleme \u00fcber Musik\u201c, Abh. d. Berliner Akad. 1896 (ersch. 1897) S. 12 ff. \u00dcber Mittelalterliches vgl. H. Riem an ns Gesch. d. Musiktheorie (z. B. S. 261 ff.) und Joh. Wolfs Handb. d. Notationskunde I, 37, 46, 49, 53.\nIm 18. Jahrh. hat Rameau in zahlreichen Schriften (1722\u20141762) die Identit\u00e4t der Oktave zugrunde gelegt, die er auch in einer besonderen Schrift 1753 gegen Euler verteidigte. Die Oktave ist ihm nur eine \u201er\u00e9plique\u201c des tieferen Tons. Er leitete daraus die harmonische Identit\u00e4t der drei Umlagerungen eines Dreiklanges ab, die vorher als verschiedene Akkorde galten, und gab damit unserem heutigen harmonischen Bewu\u00dftsein zuerst den ad\u00e4quaten Ausdruck. Auch die Verschmelzung der Oktaven beim gleichzeitigen Erklingen f\u00fchrte er auf jenes Prinzip zur\u00fcck (ces deux sons se confondant presque enti\u00e8rement \u00e0 l\u2019oreille, hei\u00dft es in dem Akademiebericht 1749). Rousseau, derVork\u00e4mpfer des melodischen Prinzips, ber\u00fchrt den Punkt, soviel ich sehe, nur fl\u00fcchtig (Dictionnaire de musique, Art. Son (Ausg. 1768, S. 446).\nAus der neueren musikwissenschaftlichen, psychologischen und \u00e4sthetischen Literatur sei nur einiges angef\u00fchrt, das mir gerade zur Hand ist: Griepenkerl, Lehrb. d. \u00c4sthetik, 1827, S. 382. W. Opelt, \u00dcber die Theorie der Musik, 1834, S. 31 (\u201eWarum die Oktaven mit der Tonika notwendig die bekannte \u00c4hnlichkeit haben m\u00fcssen\u201c), 34, 46 (Spirale). W. Drobisch, \u00dcber d. math. Bestimmung d. musikal. Intervalle, Abh. d. Jablonowskischen Gesellsch., 1846, S. 113 (Schraubenfl\u00e4che). Lotze, Medizin. Psychologie, 1852, S. 213f. (gebraucht auch schon den Ausdruck \u201eQualit\u00e4t\u201c gegen\u00fcber \u201eH\u00f6he\u201c). M. Hauptmann, Natur d. Harmonik u. Metrik, 1853, S. 22 (Oktave Ausdruck f\u00fcr den Begriff der Identit\u00e4t, der Einheit und Gleichheit mit sich selbst). W. Drobisch, \u00dcber musikal. Ton-","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nG. Stumpf.\n[YI. Kongr. 310]\nholtz und mir selbst zuerst wieder nachdr\u00fccklich zur Geltung zu bringen versucht hat, mu\u00df zweifellos Franz Brentano genannt werden. So wenig mich seine Polemik gegen die Yerschmelzungs-lehre \u00fcberzeugen kann, so mu\u00df ich doch in diesem Punkte seine wesentlichsten Argumente als zutreffend anerkennen. Ich rechne\nbestimmung. Abh. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. Math.-phys. Kl. II, 1855, S. 12 (\u201ean Einer!eiheit grenzende Verwandtschaft\u201c), 36. Auszug bei Eechner. Eechner selbst, Elem. d. Psychophysik II, 1860, S. 179ff. Lotze, Gesch. d. deutschen \u00c4sthetik, 1866, S. 465 (\u201eDie Wiederkehr des gleichen Toncharakters mit der Verdoppelung der Schwingungszahl ist nie unbemerkt geblieben.\u201c \u201eIn der Tat empfinden wir alle die Oktaven qualitativ als denselben Ton mit dem Grundton, nur von ihm in einer Weise verschieden, f\u00fcr die es kaum eine anderweitige Analogie als eben diese H\u00f6hendifferenz gibt, die ja der Sprachgebrauch l\u00e4ngst zur Bezeichnung derselben gew\u00e4hlt hat\u201c). H. Eiemann, Vom musikalischen H\u00f6ren (Diss.), 1873. Auch in sp\u00e4teren Schriften kommt E. \u00f6fters auf diese Grundtatsache zur\u00fcck, z. B. Musikal. Syntaxis, 1877, S. 10 (\u201eT\u00f6ne, welche im Verh\u00e4ltnis der Oktave zueinander stehen, sind nicht als verschiedene T\u00f6ne, sondern als verschiedene Erscheinung desselben Tones anzusehen . . . Die \u00c4hnlichkeit von Oktavt\u00f6nen ist eine ganz au\u00dferordentliche und prinzipiell von der \u00c4hnlichkeit der T\u00f6ne anderer Intervalle zu unterscheidende\u201c). H. Bellermann, Die Gr\u00f6\u00dfe der musikalischen Intervalle, 1873, S. 8 (\u00a7 11). Derselbe, Der Kontrapunkt2, 1877, S. 13 (wohl auch schon in der 1. Aufl., 1862). Gurney, Power of Sound, 1880, \u00a7 11 (\u201eeinzigartiges, unbeschreibliches Ph\u00e4nomen\u201c). J. Sully, Sensation and Intuition2, 1880 (vgl. m. Aufsatz \u201eMusikpsychologie in England\u201c, Viertel]'.-Sehr. f. Musikwiss., 1885, S. 290, 297). 0. B\u00e4hr, Das Tonsystem unserer Musik, 1882, S. 3\u20144. Volkmann, Lehrb. d. Psychol., 1884, I, S. 269 (\u201ebis endlich seine Qualit\u00e4t selbst nur in etwas anderer Lage, in gesteigerter H\u00f6he wiederkehrt\u201c). Natorp, Gotting. Gel. Anz., 1891, S. 789, 791 (nennt gegen\u00fcber m. Tonpsychologie den Gleichton der Oktaven die f\u00fcr ihn einfachste und unwiderleglichste Beobachtung im ganzen Bereiche der Tonwelt). Th. Lipps, Philosoph. Monatshefte, 28, 1892, S. 577 ff. (\u201eGrundton und Oktave erscheinen uns in gewisser, nicht n\u00e4her angebbarer Weise als dasselbe\u201c. Lipps leugnet aber, da\u00df die \u00c4hnlichkeit bzw. Identit\u00e4t der Oktaven auf einem von H\u00f6he, St\u00e4rke, Tonfarbe noch zu unterscheidenden Momente beruhe. Sie sei eine \u00c4hnlichkeit ohne bewu\u00dftes Fundament. Dagegen meine Bemerkungen, Beitr. z. Akust. u. Musikwiss. I, S. 47, die, wie andere, von Ch. Lalo in seinem unten zu erw\u00e4hnenden Buche, S. 150, stark mi\u00dfverstanden worden sind). K\u00fclpe, Grundri\u00df d. Psychol., 1893, S. 317. Jodl, Lehrb. d. Psychol., 1896, S. 302f. Ebbinghaus, Grundz\u00fcge d. Psych. I1, 1897, S. 278ff. Max Meyer, On the Attributes of Sensation. Psychol. Eeview, XI, 1904, S. 96 ff. (unterscheidet quality = Tonfarbe und pitch = musikalische Qualit\u00e4t; vergleicht in letzterer Hinsicht Grundton, Terz und Oktave mit Kreis, \u00dfechteck und Ellipse, die dem Kreise wieder \u00e4hnlicher ist). Ch. Lalo, Esquisse d\u2019une Esth\u00e9tique musicale, 1908, S. 146 ff.\nBrentanos Darstellungen s. o. S. 17. Ich selbst habe \u00fcber die Frage \u00f6fters mehr oder weniger ausf\u00fchrlich gesprochen, besonders: Tonpsych. H, 1890, S. 199 ff., 407 f.; Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwiss. I, 1898, S. 45 ff., 82;","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"23\n(TL Kongr. 311]\n\u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\ndazu nicht die Analogien mit dem Farbensinn, die eine sch\u00f6ne Illustration, aber kein Beweis sind, sondern die aus den Erfahrungen des Tonsinnes selbst hergenommenen, namentlich das vielfache Fehlgreifen um eine, ja zwei Oktaven bei dem Bestimmen der absoluten Tonh\u00f6he, sowie die Leichtigkeit der Oktaventransposition, die vielfach ganz unbemerkt vollzogen wird, und die harmonische \u00c4quivalenz der Oktave im Zusammenklange (Einlagerung der Intervalle und Akkorde). Man braucht nur einen zuerst gesungenen Ton nachzupfeifen oder umgekehrt, so transponiert man um eine oder zwei Oktaven, ohne es auch nur zu bemerken (Demonstration)1). Diese Tatsachen sprechen sicherlich\nKonsonanz und Konkordanz, Zeitschr. f. Psych., 58, 1911, S. 834. Zur Anerkennung der qualitativen Identit\u00e4t der Oktaven bei einfachen T\u00f6nen hin ich nach meinen Aufzeichnungen 1902 \u00fcbergegangen, wesentlich wegen der Oktavent\u00e4uschungen, deren Erkl\u00e4rung in der Tonpsych. II, 408, mich immer weniger befriedigte. Doch habe ich in Publikationen zun\u00e4chst immer nur die Alternative als solche ber\u00fchrt und erst auf dem vorigen Kongre\u00df, 1912 (Bericht S. 154), \u00f6ffentlich diese Stellung eingenommen.\nVielleicht erscheint manchem das Geschichtliche als blo\u00dfer Ballast. Und gewi\u00df kann man darauf keinen Beweis bauen. Auch l\u00e4\u00dft sich nicht verlangen, da\u00df abgelegene Quellen dem Experimentalpsychologen bekannt seien. Aber eine so alt- und allbekannte Lehre durfte eigentlich nicht wie eine neue Entdeckung mitgeteilt werden. Wir m\u00fcssen auch in dieser Beziehung dem Beispiele der exakten Wissenschaften und nicht dem der Philosophie folgen.\nh Diese T\u00e4uschung bei den Pfeift\u00f6nen tritt immer wieder mit der zwingenden Kraft eines in der reinen Empfindung wurzelnden Sinnesurteils auf, obgleich sie jedesmal, wenn man auch nur am Klavier die verschiedenen Oktaven des Tons vergleicht, als T\u00e4uschung erkannt wird. F\u00fcr den exzeptionell dunklen Charakter der menschlichen Pfeift\u00f6ne selbst gibt es noch keine gen\u00fcgende Erkl\u00e4rung. Ich m\u00f6chte nur darauf hinweisen, da\u00df auch die ton\u00e4ien Ger\u00e4usche, die durch leichtes Hinblasen \u00fcber einen Resonanzraum entstehen, sowie die gefl\u00fcsterten Vokale ganz dieselbe Eigenschaft zeigen und ebenso zu Oktavent\u00e4uschungen f\u00fchren. Vielleicht ist auch bei den Pfeift\u00f6nen das Blaseger\u00e4usch mit Schuld.\n\u00dcber das Nachsingen \u00fcberhaupt hat k\u00fcrzlich W. K\u00f6hler (Katzensteins Archiv f. exp. u. klin. Phonetik, I, 1913, S. 19 ff.) beachtenswerte Vermutungen aufgestellt, wonach direkte physiologische Zusammenh\u00e4nge zwischen dem Erregungszustand der H\u00f6rnerven und der entsprechenden Muskelinnervation des Kehlkopfes angenommen werden k\u00f6nnen, die allenfalls auch zu einer Transformation in halbe oder doppelte Frequenzzahlen f\u00fchren k\u00f6nnten. Doch handelt es sich hier noch um Hypothesen. Auch w\u00fcrde ich in keinem Falle so weit gehen, die Bedeutung der Tonvorstellung f\u00fcr*das richtige Nachsi\u00fcgen bzw. Transponieren um deswillen zu leugnen, weil entsprechende Innervationen durch angeborene physiologische Mechanismen beg\u00fcnstigt werden. K\u00f6hlers Argumente gegen die \u00e4ltere Theorie, wonach das richtige Nachsingen auf fein ausgebildeten Assoziationen zwischen Tonvorstellungen und kin\u00e4sthetischen Vorstellungen beruhte, scheinen mir aller-","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nG. Stumpf.\n[YL Kongr. 312]\nsehr daf\u00fcr, da\u00df die im Oktavenverh\u00e4ltnis stehenden T\u00f6ne in gewisser Beziehung identisch sind. Das Identische nennen wir ihre Qualit\u00e4t, das Verschiedene ihre H\u00f6he bzw. Helligkeit.\nFreilich fehlt es Brentanos Argumentation noch an einem Punkte: er hat niemals mit wirklich einfachen T\u00f6nen operiert. Sobald aber ein Ton auch nur yon seinem ersten Oberton begleitet ist, greift sofort die Helmholtzsche Erkl\u00e4rung Platz, da\u00df der Eindruck der Verwandtschaft eben auf dieser partiellen Identit\u00e4t, auf dem Enthaltensein der Oktave in dem Grundklange beruhe.\nDiese L\u00fccke hat nun R\u00e9v\u00e9sz (dem Brentanos Anschauungen erst bei der Ausarbeitung der seinigen bekannt wurden) erg\u00e4nzt, indem er im Frankfurter Psychologischen Institut *) obertonfreie T\u00f6ne durch Interferenz herstellte und von verschiedenen Personen \u00c4hnlichkeitsurteile abgeben lie\u00df, wobei die Oktavent\u00f6ne als hervorragend \u00e4hnlich bezeichnet wurden. \u00dcbrigens ist es auch mir und anderen, die fr\u00fcher mit Interferenzvorrichtungen gearbeitet haben, nat\u00fcrlich nicht entgangen, da\u00df der Eindruck von Oktaven auch bei v\u00f6llig einfachen T\u00f6nen das Merkmal der Wiederkehr aufweist.\nDie Versuche, die R\u00e9v\u00e9sz am Klavier angestellt hat, halte ich aus dem angegebenen Grunde nicht f\u00fcr beweisend. Klavierversuche k\u00f6nnen sonst lehrreich sein, in unserer Frage sind sie ohne alles Gewicht. Wenn z. B. (Gr\u00fcndl. S. 124) der Septimenschritt (1) am Klavier nicht so ganz un\u00e4hnlich klingt dem der absteigenden kleinen Sekunde (2), also 1. 2.\nVV , -1\t\t.5 rfl\n\u25a0==3\u2014*\u2014v\t\t\n\nso darf dies weder als Beleg f\u00fcr die Identit\u00e4t der Oktavent\u00f6ne, noch als Beweis f\u00fcr die geringeren H\u00f6hendistanzen in der Tiefenregion angef\u00fchrt werden, da eben Bj den sehr starken Oberton B mitf\u00fchrt. Bei einfachen T\u00f6nen ist keine Gefahr, da\u00df man diese beiden\ndings zutreffend. \"Wir wissen, da\u00df auch hei anderen willk\u00fcrlichen Bewegungen Bewegungsvorstellungen keineswegs notwendige Mittelglieder sind. Aber die Vorstellung eines Bewegungsregulativs, hier des Tones (eventuell des Noten- oder sonstigen Zeichens), bleibt doch erforderlich, solange es sich um eine willk\u00fcrliche T\u00e4tigkeit handelt.\nx) Im Kongre\u00df bericht hei\u00dft es hier: \u201eunter K\u00f6hlers Beihilfe\u201c. Herr Dr. K\u00f6hler schrieb mir inzwischen, da\u00df er an den Versuchen selbst nicht den mindesten Anteil habe, sondern nur gezeigt habe, wie die Inteferenzr\u00f6hren gehandhabt werden (so dr\u00fcckt sich auch R\u00e9v\u00e9sz S. 10 aus). Wie weit die T\u00f6ne in den Versuchen selbst obertonfrei waren, k\u00f6nne er nicht wissen.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"25\n[YI. Kongr. 313] \u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\nSchritte verwechsele. Frl. v. Maltzew hat bei ihren Untersuchungen \u00fcber Intervallurteile in der tiefen Region an Orgelpfeifen YerWechslungen dieser Art, bei denen sogar der dritte Teilton den Ausschlag gab, nicht selten bemerkt, sie aber richtig auf die angegebene Ursache zur\u00fcckgef\u00fchrt. Auch die Tatsache, da\u00df eine melodische Figur wie\n\u2014F\t\t\t\t\t3\t s\t\t-p\u2014m\tfff\t-f\tr- Ti\n./Ln (lw r\t\t\t\t\t\u25a1ie\u00ab\u00bb:\t. \u00e9 i\t\u2014r\t\t\t-3\tS?\t1\tj\n\t\t\t-\u2022\t\u2022 \u00e0 1 A\t\t\t\t\t* 7 \"I\nals Wiederholung wirkt, ist kein Beweis f\u00fcr die Identit\u00e4t der Oktave, denn schon die ganze Melodiegestalt ist ja dieselbe; darum erscheint sie uns auch mit g1, ja mit d1 als Anfangston als Wiederholung. Wenn R\u00e9v\u00e9sz erwidert: aber nicht als vollkommene Wiederholung, so antworte ich: eine vollkommene Wiederholung ist auch die auf der Oktave nicht. \u00dcberhaupt ist die von B\u00e9v\u00e9sz mehrfach betonte melodische \u00c4quivalenz der Oktave nur sehr bedingt vorhanden. Man kann eine Melodie durch Einsetzung von Oktavent\u00f6nen bis zur Unkenntlichkeit entstellen1).\nEndlich und besonders vermisse ich den \u00fcberzeugenden Nachweis, da\u00df der Identit\u00e4ts- bzw. \u00c4hnlichkeitseindruck bei den Oktaven nicht empiristisch, als Nachwirkung individueller Erfahrungen erkl\u00e4rt werden kann. Warum kann die \u00c4hnlichkeit einfacher Oktavent\u00f6ne nicht eine Nachwirkung der an obertonhaltigen Kl\u00e4ngen gesammelten Erfahrungen sein, wie es nach Helmholtz zu vermuten w\u00e4re? Oder eine Nachwirkung ihres Yerschmelzungs-eindruckes bei gleichzeitigem Erklingen? Es scheint mir, da\u00df man tiefer auf die Frage eingehen m\u00fc\u00dfte, wann und inwieweit solche Nachwirkungen \u00fcberhaupt psychologisch m\u00f6glich sind, um die Ent-\nq Gurney (Power of Sound, 1880, \u00a7 16) f\u00fchrt als Beispiel das Trio des Chopinschen Trauermarsches an: man ersetze nur die aufsteigenden Septime durch eine absteigende Sekunde \u2014 und die Melodie ist total verdorben. Da\u00df in einzelnen B\u00e4llen die Oktavent\u00f6ne ohne so wesentliche \u00c4nderung eingesetzt werden k\u00f6nnen, soll nicht geleugnet werden.\nAuch von einer harmonischen \u00c4quivalenz kann \u00fcbrigens nicht ohne Einschr\u00e4nkung gesprochen werden: die \u201eumgelagerten\u201c Intervalle und Akkorde k\u00f6nnen nicht an Stelle der urspr\u00fcnglichen gebraucht werden. Aber eine so fundamentale \u00c4nderung wie bei der Melodie ensteht nicht, vielmehr bleibt der Grundcharakter doch erhalten, weshalb man die harmonische \u00c4quivalenz (auch das \u201eErweiterungsgesetz\u201c, von dem ich in den Beitr. zur Akustik u. Musikwissenschaft I, 78 ff. gesprochen) immerhin zur Best\u00e4tigung der Oktavenidentit\u00e4t anf\u00fchren kann.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"G. Stumpf.\n26\n[VI. Kongr. 314]\nScheidung f\u00fcr unseren Fall zu treffen. Erst dadurch kann die Frage definitiv erledigt werden.\nWenn R\u00e9v\u00e9sz gegen meine Herleitung aus den Verschmelzungserfahrungen die Tatsache ins Treffen f\u00fchrt, da\u00df die Oktavent\u00f6ne schon zu einer Zeit, als es noch keine harmonische Musik gab, mit dem gleichen Buchstaben oder Wort bezeichnet wurden, so w\u00fcrde ich erwidern, da\u00df zwar nicht harmonische Musik, aber Oktavenparallelen zweifellos seit uralter Zeit, wenn M\u00e4nner und Weiber zusammen sangen, gebraucht wurden und bei Naturv\u00f6lkern heute noch gebraucht werden. Und dies w\u00fcrde hinreichen, um meine Hypothese zu st\u00fctzen. Bemerkenswert bleibt es auch immer, da\u00df die identische Buchstabenbezeichnung f\u00fcr die Oktavent\u00f6ne in Europa sich so sp\u00e4t durchsetzte, und da\u00df die systematische und definitive Einf\u00fchrung dieser identischen Bezeichnungen hier mit den ersten Versuchen eines systematischen Gebrauches simultaner Tonverbindungen zeitlich ungef\u00e4hr zusammenf\u00e4llt (10. Jahrhundert)1).\nObgleich also R\u00e9v\u00e9sz\u2019 Beweisf\u00fchrung hier eine L\u00fccke hat, bin ich doch aus allgemeineren Gr\u00fcnden -\u2014 eben wegen der Undurchf\u00fchrbarkeit der psychologischen Konstruktion \u2014 selbst seit l\u00e4ngerer Zeit der Meinung, da\u00df die empiristische Deutungsweise sich nicht halten l\u00e4\u00dft, da\u00df wir es also bei dem, was allen (\u00a3s, ebenso allen $)s usw. unter sich gemeinsam ist, mit einer prim\u00e4ren Eigenschaft der Tonempfindungen neben der H\u00f6he zu tun haben2).\nErw\u00fcnscht sind in dieser Hinsicht auch noch zuverl\u00e4ssige Beobachtungen an musikbegabten Kindern. Pilar Osorio, die Stiefschwester des von Eichet und mir untersuchten Pepito Arriola (von derselben Mutter), kannte als l1/2j\u00e4hriges Kind kein gr\u00f6\u00dferes Vergn\u00fcgen, als auf dem Klavier Oktaven herauszusuchen. Als ich davon h\u00f6rte, schien es mir unglaublich, doch fand ich es durch eigene Wahrnehmung best\u00e4tigt. Einem solchen Falle gegen\u00fcber sind empiristische Erkl\u00e4rungen unwahrscheinlich genug. Auch der Hinweis auf die durch die gemeinsamen Obert\u00f6ne gegebene \u00c4hnlichkeit d\u00fcrfte nicht ausreichen. Bezweifeln k\u00f6nnte man allerdings, ob \u00fcberhaupt eine \u00c4hnlichkeits- oder Identit\u00e4tswahrnehmung der Grund des Vergn\u00fcgens war; es lie\u00dfe sich denken, da\u00df an solche Sukzessionen bei musikalischen Kindern eine prim\u00e4re, psychisch \u00fcberhaupt nicht begr\u00fcndete Annehmlichkeit (angenehme Gef\u00fchlsempfindung) gekn\u00fcpft w\u00e4re. Aber angesichts der unzweifelhaften Freude der Kinder am Wiedererkennen ist die obige Deutung-weit wahrscheinlicher.\nAuch schon aus dem \u00f6fters beobachteten Nachsingen vorgegebener T\u00f6ne\n\u00fc Vgl. Job. Wolf, Handbuch der Notationskunde I (1913), 37ff.\n2) Es empfiehlt sich, f\u00fcr die Bezeichnung der Qualit\u00e4ten als solcher, wenn von der Oktavenlage abgesehen werden soll, die deutschen Buchstaben zu gebrauchen, wie dies auch K\u00e9v\u00e9sz auf meinen Vorschlag (vgl. auch schon Tonpsych. II, 388) getan hat.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"[YI. Kongr. 315] \u00dcber neuere Untersuchungen zur Tonlehre.\t27\ndurch. Kinder im fr\u00fchesten Lebensalter k\u00f6nnte man auf die Identit\u00e4t der Oktaven schlie\u00dfen, sobald es sich um T\u00f6ne handelt, die in ihre Stimmlage transponiert werden m\u00fcssen1). Hierbei w\u00e4re nur die M\u00f6glichkeit einer Unterst\u00fctzung durch rein physiologische Mechanismen mit zu ber\u00fccksichtigen, von der oben (S. 311, Anm. 4) gesprochen ist.\nGewisse Schwierigkeiten bleiben f\u00fcr die Lehre von der Oktavenidentit\u00e4t immerhin auch noch zn l\u00f6sen, z. B. warum die Gleichheit von c1 und c2 nicht ebenso leicht erkennbar ist wie die eines st\u00e4rkeren und eines schw\u00e4cheren c1 ; warum das absolute Tonbewu\u00dftsein nicht viel leichter sich ausbildet und allgemeiner verbreitet ist, wenn es sich doch nur um das Wieder erkennen der innerhalb einer Oktave beschlossenen Qualit\u00e4ten handelt; warum die Oktave bei einfachen T\u00f6nen mit Yorliebe erheblich zu hoch genommen wird, wenn es doch identische Qualit\u00e4ten sind usw. Aber auf diese Spezialfragen k\u00f6nnen wir hier nicht weiter eingehen.\nWir wollen nun einige besondere Tatsachenkreise, die mit der Unterscheidung von Qualit\u00e4t und H\u00f6he bzw. Helligkeit in Yerbindung gebracht'werden k\u00f6nnen, kurz besprechen:\na) Zun\u00e4chst den pathologischen Fall des Herrn von Liebermann, den R\u00e9v\u00e9sz in Yerbindung mit dem Patienten so ausf\u00fchrlich untersucht und in erster Linie aus dieser Unterscheidung verst\u00e4ndlich zu machen gesucht hat: eine Yerstimmung beider Ohren, vorzugsweise aber des rechten, von der Mitte der zweigestrichenen Oktave nach oben hin. Die beiden Herren schlie\u00dfen aus dem Befunde, da\u00df in einem gr\u00f6\u00dferen Bezirk, zeitweise z. B. von g2 bis dis 4, alle Qualit\u00e4tsunterschiede weggefallen seien, derart, da\u00df s\u00e4mtliche T\u00f6ne die Qualit\u00e4t ($i\u00a7 hatten, w\u00e4hrend die H\u00f6henunterschiede unver\u00e4ndert vorhanden gebheben seien.\nIch habe die Berichte und die zahlreichen Tabellen wiederholt genau durchgesehen, mu\u00df aber leider bekennen, von dem Zustande des Patienten eine klare YorsteUung nicht gewonnen zu haben. In der ersten Abhandlung \u201eOrthosymphonie\u201c wird nichts davon erw\u00e4hnt, da\u00df die H\u00f6he normal gebheben sei, sondern auf eine ganz andere Erscheinung Gewicht gelegt, auf das richtige Erkennen simultaner Intervalle in der verstimmten Region, die in der zweiten Abhandlung als Illusion erkl\u00e4rt wird. In der ersten steht ohne Einschr\u00e4nkung geschrieben (S. 125): die Pseudot\u00f6ne seien nicht voneinander zu unterscheiden, sp\u00e4ter aber werden sie doch der H\u00f6he nach\n*) Ygl. Tonpsych. I, 293. Dr. Abraham hat noch k\u00fcrzlich hei seinem P/J\u00e4hrigen S\u00f6hnchen diese F\u00e4higkeit festgestellt.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nC. Stumpf.\n[YI. Kongr. 316\nunterschieden und zwar so gut, da\u00df selbst absolute H\u00f6henurteile m\u00f6glich sind (GrundL, 60). R\u00e9v\u00e9sz erkl\u00e4rt sich das so, da\u00df das normal gebliebene Moment fr\u00fcher der Aufmerksamkeit v. Liebermanns entgangen sei (das. 61). Aber man sollte denken, da\u00df gerade, wenn die Qualit\u00e4ten alle gleich geworden, die H\u00f6henunterschiede sich um so deutlicher aufdr\u00e4ngen mu\u00dften.\nWir k\u00f6nnen nicht auf alle einzelnen Schwierigkeiten und Fragezeichen eingehen. Aber bedenkt man, da\u00df nach R\u00e9v\u00e9sz der Zustand v. Liebermanns best\u00e4ndig wechselt, da\u00df innerhalb weniger Minuten betr\u00e4chtliche Unterschiede der Pseudot\u00f6ne auftreten k\u00f6nnen (das. 65), da\u00df die beiden Ohren sich verschieden verhalten, ohne da\u00df sie immer getrennt untersucht wurden, da\u00df v. Lieb ermann auch sehr schwerh\u00f6rig ist, da\u00df die meisten Yersuche, in der ersten Abhandlung alle, am Klavier angestellt wurden und nur sp\u00e4ter auch die Interferenzmethode angewandt ist, so wird man es mir nicht ver\u00fcbeln, wenn ich diesem Falle zweifelnd gegen\u00fcberstehe. Pseudot\u00f6ne pflegen etwas Trockenes, H\u00f6lzernes zu haben: sollte da nicht auch starke Perseveration des Urteils zu dem Eindr\u00fccke einer gleichbleibenden Qualit\u00e4t mitgewirkt haben1)?\nIch will durchaus nicht behaupten, es sei nicht so, wie die beiden Herren es sich vorstellen; es sind einige unter den Tabellen, die dieser Interpretation g\u00fcnstig scheinen. Aber ich habe nur eben ein durchsichtiges und \u00fcberzeugendes Bild von der Sachlage nicht gewinnen k\u00f6nnen, auch nicht aus den Protokollen der ausf\u00fchrlichen Pr\u00fcfungen, zu denen sich Herr Dr. v. Liebermann den Herren Dr. Abraham und Dr. v. Hornbostel vor einigen Jahren freuud-lichst zur Verf\u00fcgung stellte2). Immer bleibt es verdienstlich, da\u00df ein Fall von Parakusis so eingehend untersucht worden ist, und man mu\u00df w\u00fcnschen, da\u00df das Beispiel Nachahmung finde. Denn gerade bei pathologischen F\u00e4llen kommt es auf eine gr\u00f6\u00dfere Zahl \u00e4hnlicher F\u00e4lle besonders an.\nb) Es liegt nahe, hier auch an die Unmusikalischen zu denken, und die merkw\u00fcrdigen Ausfallserscheinungen, die bei dieser\nb Herr R\u00e9v\u00e9sz schreibt mir allerdings, da\u00df die Yersuche vom Jahre 1911 sicher nicht in der Reihenfolge gemacht wurden, wie sie in den Tabellen stehen (vgl. Grundl. 54). Bez\u00fcglich der Yersuche vom Jahre 1907 ist er hier\u00fcber nicht sicher, glaubt aber, ebenso vorgegangen zu sein. Immerhin scheint mir selbst unter dieser Yoraussetzung Perseveration nicht ausgeschlossen.\n2) Diese Yersuche sind nicht ver\u00f6ffentlicht; die Protokolle wurden mir von den beiden Herren zur Einsicht \u00fcberlassen.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"29\n[YI. Kongr. 317]\n\u00dcber neuere Untersuchungen zur Tonlehre.\nMenschenklasse gegen\u00fcber den Musikalischen auf treten, daraus zu erkl\u00e4ren, da\u00df ihnen zwar die H\u00f6henunterschiede der T\u00f6ne ebenso, dagegen die Qualit\u00e4tsunterschiede nicht oder nur in relativ geringer Auspr\u00e4gung gegeben sind. Bereits Brentano hat hier wieder die Analogie des Gesichtssinnes herangezogen, indem er die Unmusikalischen mit Farbenblinden vergleicht. Auch fr\u00fchere haben in diesem Sinne von tontauben, genauer m\u00fc\u00dfte man sagen: qualit\u00e4tstauben Individuen gesprochen. Diese Auffassung hat entschieden gro\u00dfe Wahrscheinlichkeit, wenngleich die volle Erkl\u00e4rung des Unterschiedes damit noch nicht gegeben ist, vielmehr auch die St\u00e4rke der an T\u00f6ne gekn\u00fcpften Gef\u00fchlsempfindungen bei den unmusikalischen Individuen sicherlich von Anfang an eine sehr geringe oder die Qualit\u00e4t dieser Gef\u00fchlsempfindungen eine umgekehrt gerichtete ist.\nc) Eine weitere hierher geh\u00f6rige Tatsache sind die Erscheinungen in den \u00e4u\u00dferen Regionen des Tongebietes, besonders an der oberen Grenze. Ihre Wichtigkeit hat schon Prey er erkannt, sich aber leider in seinen Yersuchen auf falsch gestimmte Appunn-sche Gabeln verlassen. Ich habe in der Tonpsychologie auf die abweichenden Erscheinungen jenseits- c5 mehrfach hingewiesen und 1897/99 in R\u00fccksicht darauf die Differenztonmethode zur richtigen Abstimmung h\u00f6chster Klangquellen durchgebildet Q. Ihre Ergebnisse wurden von F. A. Schulze auf anderen Wegen, namentlich mit den Kundtschen Staubfiguren, best\u00e4tigt.\nDas Auffallendste ist nun, da\u00df von c5 an die musikalische Qualit\u00e4t und die musikalischen Intervalle nicht mehr sicher und bald gar nicht mehr erkannt werden. Man kann nicht sagen, ob ein % oder g oder \u00a7 vorliegt, ob ein Ton oder mehrere gleichzeitig erklingen, und ob zwei aufeinanderfolgende T\u00f6ne eine Terz oder eine Septime bilden. Nat\u00fcrlich kann man auch nicht mehr Konsonanz und Dissonanz und die verschiedenen Akkorde untereinander unterscheiden. Das Intervallurteil ist von Frl. v. Maltzew von der 3- bis zur 6-gestrichenen Oktave eingehend untersucht worden. Wie unm\u00f6glich die Bestimmung der musikalischen Qualit\u00e4t und der Intervalle ist, lehrt in einer drastischen Weise schon das Beispiel des j\u00fcngeren App un n. Er hatte mir 1899 vier von ihm nach dem absoluten Geh\u00f6r abgestimmte, angeblich musterg\u00fcltige Pfeifen f\u00fcr c5, c6, c7, c8 \u00fcbersandt, die ich Ihnen hier demonstriere.\na) Annalen d. Physik u. Chemie, N. P., 61, 65, 68.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nC. Stumpf.\n[YI. Kongr. 318]\nDie Schwingungszahlbestimmungen ergaben bei mittlerem Winddruck die H\u00f6hen: 4000, 5120, 6400, 7450, d. h. etwa c5, es5, g5, b5. Die Pfeifen standen also statt in Oktaven s\u00e4mtlich in gro\u00dfen oder kleinen Terzen zueinander, und s\u00e4mtliche vier Pfeifen lagen innerhalb einer kleinen Septime1). Appunn hatte sich ausdr\u00fccklich darauf berufen, da\u00df er imstande sei, die Qualit\u00e4ten auch bei den h\u00f6chsten T\u00f6nen direkt zu erkennen. \u2014 Eine \u00e4hnliche Unsicherheit besteht aber auch f\u00fcr die tiefste Gegend. Brentano und B,\u00e9v\u00e9sz lehren daher,' da\u00df gegen die Grenzen hin die Qualit\u00e4t verschwinde und \u201ewie verblichen\u201c sei. Man nimmt immer noch eine Ver\u00e4nderung wahr: die T\u00f6ne werden in der H\u00f6he immer spitziger, in der Tiefe immer diffuser, nebliger. Aber das Qualitative scheint zu fehlen2).\nOb nun die \u00fcbrigbleibenden Unterschiede Helligkeitsunterschiede sind, von derselben Art wie zwischen c1 und c2, oder ob auch diese hinwegfallen und man richtiger die r\u00e4umlichen Ausdr\u00fccke und Begriffe der Spitzigkeit und Breite anwendet, wie ich es soeben und schon in der Tonpsychologie getan habe, wollen wir hier dahingestellt sein lassen3). Ebenso ob die Qualit\u00e4t wirklich wegf\u00e4llt oder nur undeutlich wird oder konstant bleibt oder sich genau mit den \u00fcbrigbleibenden Eigenschaften, also ohne Periodik, ver\u00e4ndert (was mir jetzt am plausibelsten erscheint).\nHur auf die prinzipielle Bedeutung dieser Disjunktion m\u00f6chte ich doch hinweisen. Wenn die Qualit\u00e4t wirklich jenseits c5 \u00fcberhaupt wegf\u00e4llt, so k\u00e4me man zum Begriff eines Attributes, das nicht notwendig und allgemein jeder Tonempfindung zuk\u00e4me. Und es w\u00fcrde sich fragen, ob man ein solches Attribut, besonders wenn die Trennbarkeit eine gegenseitige w\u00e4re, noch als Attribut im alten\n\u00fc A. a. O. 68, 111 ff.\n2)\tBrentano bringt das Zur\u00fccktreten der Qualit\u00e4t damit in Zusammenhang, da\u00df in der \u00e4u\u00dferen Region das Ger\u00e4uschige immer mehr das Tonale \u00fcberwiege. Max Meyer berichtet (Psych. Rev., 11, S. 97), da\u00df seine Zuh\u00f6rer sich gew\u00f6hnlich str\u00e4ubten, solche T\u00f6ne noch T\u00f6ne zu nennen, und dazu neigten, sie den Ger\u00e4uschen beizuz\u00e4hlen. Auch \u00c4u\u00dferungen von y. Maltzews Versuchspersonen (S. 103f.) und anderer (Jaensch S. 265 f.) gehen in dieser Richtung. Ich kann dem aber nicht bei stimm en Auch die allerh\u00f6chsten T\u00f6ne sind ganz klar von Ger\u00e4uschen unterschieden; es bleibt ein spezifischer Unterschied. Von Blase-und Anschlagger\u00e4uschen mu\u00df man nat\u00fcrlich absehen.\n3)\tVgl. Tonpsych. II, 8. 51, 56ff., 203 u., 336, 535ff. Ich habe damals die Helligkeitsunterschiede mit den Volumenunterschieden identifiziert, da die letzteren eben auch nur \u201equasi-r\u00e4umlich\u201c seien.","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"[YI. Kongr. 319] \u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\t31\nSinne, ob man es nicht vielmehr als eine blo\u00df hinznk\u00f6mmende Begleitempfindung ansehen m\u00fc\u00dfte, so wie ich die rein sinnliche Gef\u00fchlsempfindung bei T\u00f6nen als zentrale Mitempfindung aufzufassen vorgeschlagen habe. Aber diese allgemeine und weittragende Frage soll hier wieder nur ber\u00fchrt sein.\nEine andere auffallende Tatsache ist, da\u00df man in der \u00dcbergangsregion zu den h\u00f6chsten T\u00f6nen, wo noch eben ein Urteil \u00fcber die musikalische Qualit\u00e4t und das Intervall m\u00f6glich ist, d. h. in der zweiten H\u00e4lfte der 4-gestrichenen und bei den ersten T\u00f6nen der 5-gestrichenen Oktave, die T\u00f6ne zu tief und das Intervall zu klein an gibt. Frl. v. Maltzew hat dies gleichfalls festgestellt und daraus den Schlu\u00df gezogen (zu welchem auch K\u00f6hler selbst\u00e4ndig gekommen ist), da\u00df das Gesetz der doppelten Schwingungszahl der Oktave in dieser H\u00f6he nicht mehr streng gelte, sondern da\u00df die T\u00f6ne hinter den Schwingungszahlen Zur\u00fcckbleiben. Der doppelten Schwingungszahl des c4 entspricht nicht wieder ein U, sondern eine etwas tiefere Qualit\u00e4t, etwa ein \u00c4hnliches vermutet v. Maltzew nach ihren Yersuchen auch f\u00fcr die tiefere Begion, wo die T\u00f6ne auch nicht Schritt halten mit der Yerringerung der Schwingungszahl, also h\u00f6her erscheinen als sie sollten. Dr. Eu pp hat mich k\u00fcrzlich aufmerksam gemacht, da\u00df dieses Yerhalten auch schon aus den Tabellen Dr. Abrahams in seiner Arbeit \u00fcber das absolute Tonbewu\u00dftsein deutlich hervorgeht Q. Es best\u00e4tigt sich in der Tat mit gro\u00dfer Eegelm\u00e4\u00dfigkeit (Demonstration).\nF\u00fcr einen rein physikalisch Denkenden ist das nun nat\u00fcrlich wieder eine Absurdit\u00e4t, da\u00df eine Oktave keine Oktave sein soll. Aber psychologisch wie physiologisch ist es sehr wohl denkbar, da\u00df die verdoppelte Schwingungszahl nicht durchweg den Oktaveneindruck hervorruft. Dennoch m\u00f6chte ich die Schlu\u00dffolgerung f\u00fcr noch nicht ganz ausgemacht ansehen, aus mehreren Gr\u00fcnden:\nErstlich ist es aus meinen Untersuchungen mit Max Meyer \u00fcber die Reinheit der Intervalle bekannt, da\u00df die konsonanten Intervalle und besonders gerade die Oktave von musikalischen Menschen sehr regelm\u00e4\u00dfig zu hoch genommen und die physikalisch reine Oktave zu tief gesch\u00e4tzt wird, auch schon in der mittleren Region. Abraham und v. Hornbostel haben gefunden, da\u00df dieser Fehler sich vergr\u00f6\u00dfert mit der Doppel- und Tripeloktave. Wenn nun ein gegebener sehr hoher Ton nachgesungen, also um mehrere\nh Sammelb\u00e4nde der Internat. Musikgesellschaft, 3, 1901, S. 11\u201412.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nC. Stumpf.\n[VI. Kongr. 320]\nOktaven tiefer transponiert wird, so w\u00fcrde es sich verstehen, da\u00df man einen zu tiefen Ton singt Ans demselben Grunde wird man einen sehr tiefen Ton zu hoch nachsingen. Es w\u00e4re also zun\u00e4chst die Frage, ob hier nicht eine allgemeinere T\u00e4uschungsquelle vorliegt, die bei diesen ungew\u00f6hnlich hohen oder tiefen T\u00f6nen nur in verst\u00e4rktem Ma\u00dfe wirksam ist.\nZweitens aber scheinen mir das falsche H\u00f6henurteil, das falsche Nachsingen und falsche Intervallurteil doch keinen dauernden Bestand zu haben, wenn man sich den Ton und das Intervall immer wieder in unmittelbarer Aufeinanderfolge vergegenw\u00e4rtigt. Der Ton scheint sich nach und nach auf die richtige H\u00f6he einzustimmen. Auch die beiden ebengenannten Herren hatten diesen Eindruck. Vielleicht ist das nicht einmal eine blo\u00dfe Hrteilskorrektur. Es k\u00f6nnte sein, da\u00df durch die h\u00e4ufige Wiederholung der physiologische Proze\u00df in dieser hohen Lage erst seine den Schwingungszahlen entsprechende Beschaffenheit ann\u00e4hme, da\u00df er sich gleichsam einstimmte, emporschraubte, und damit auch die richtige Tonqualit\u00e4t in der Empfindung entst\u00e4nde. Weitere Untersuchungen hier\u00fcber w\u00e4ren erw\u00fcnscht. Zu den angenehmsten geh\u00f6ren sie freilich nicht, und man mu\u00df Frl. v. Maltzew und ihren Versuchspersonen f\u00fcr ihre Geduld dankbar sein. Bei diesen weiteren Untersuchungen m\u00fcssen aber durchaus einfache T\u00f6ne benutzt werden, worauf es f\u00fcr v. Maltzews Hauptzweck nicht so unbedingt ankam. Die hohen offenen Pfeifen, die sie benutzte, haben einen viel st\u00e4rkeren ersten Oberton, als ich selbst damals glaubte. Durch die hierdurch bedingte Erhellung der Klangfarbe, die bei dem tieferen von je zwei Kl\u00e4ngen mehr ausmacht als bei den h\u00f6heren, kann auch das Intervallurteil beeinflu\u00dft werden, und zwar in dem Sinne der Versuchs-ergebnisse. Das w\u00e4re also sogar noch eine dritte M\u00f6glichkeit. Ich halte sie nicht f\u00fcr ausreichend und glaube, da\u00df bei ganz einfachen T\u00f6nen die Erscheinung nicht verschwinden w\u00fcrde. Aber der Sicherheit halber mu\u00df so vorgegangen werden.\nd) Wieder eine neue Frage entsteht in Hinsicht der Unterschiedsempfindlichkeit. Wenn mit der Ver\u00e4nderung der Schwingungszahl sich zwei Eigenschaften, die Qualit\u00e4t und die Helligkeit, gleichzeitig ver\u00e4ndern: auf welche von beiden beziehen sich die zahlreichen Versuche, die man bez\u00fcglich der Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr die Tonh\u00f6he angestellt hat? Sind die Qualit\u00e4ten oder die Helligkeiten feiner abgestuft?\nBrentano bezieht die nachgewiesene Feinheit der Unter-","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"38\n[VL Kongr. 321]\n\u00dcber neuere Untersuchungen zur Tonlekre.\nScheidung auf die Qualit\u00e4t. Er scheint mir auch darin recht zu haben. Wenn man sich den Helligkeitsunterschied von c1 und c2 vergegenw\u00e4rtigt, so ist er zwar nicht zu verkennen, aber einen Unterschied dieser Art zwischen c1 und einem um eine halbe Schwingung h\u00f6heren c1 kann ich nicht finden, halte also d'en tats\u00e4chlichen Unterschied f\u00fcr einen qualitativen. Auch die von mir festgestellte krasse Unf\u00e4higkeit mancher unmusikalischen Personen, selbst bei Terzen, ja Quinten zu sagen, welcher Ton der h\u00f6here sei (Tonps. I, 313ff.), l\u00e4\u00dft sich unter dieser Voraussetzung besser verstehen. Denn bei solchen Personen ist, wie schon erw\u00e4hnt, allem Anschein nach das qualitative Moment fast ausgeschaltet. Sie sind wesentlich auf Helligkeitsunterschiede angewiesen, und diese sind eben relativ grober Art.\nR\u00e9v\u00e9sz scheint im allgemeinen gleichfalls dieser Ansicht zu sein. Aber er f\u00fchrt eine Tatsache ins Feld, die ich anders interpretieren m\u00f6chte: es komme vor, da\u00df ein Beobachter bei kleinen Unterschieden der Schwingungszahl das Vorhandensein einer Verschiedenheit zwischen beiden T\u00f6nen erkenne, ohne aber sagen zu k\u00f6nnen, welcher der h\u00f6here sei. Diese letzte Aussage, meint R\u00e9v\u00e9sz, sei erst m\u00f6glich, wenn au\u00dfer dem Unterschiede der Qualit\u00e4t auch ein solcher der H\u00f6he wahrgenommen werde. Er meint daher aus diesen Vorkommnissen sogar einen Beweis f\u00fcr die Trennung der beiden Momente f\u00fchren zu k\u00f6nnen.\nAber erstlich ist es sehr leicht m\u00f6glich, da\u00df das blo\u00dfe Verschiedenheitsurteil durch kleine Unterschiede der St\u00e4rke oder der Klangfarbe bedingt wird, es brauchen in solchem Falle keine Qualit\u00e4tsunterschiede im Sinne von R\u00e9v\u00e9sz vorzuliegen. Zweitens aber sind umgekehrt auch schon bei Qualit\u00e4ten Richtungsurteile m\u00f6glich. Denken wir sie (wie es auch R\u00e9v\u00e9sz tut) in einem Kreise angeordnet, so kann man von einem Punkte aus sich in zwei entgegengesetzten Richtungen weiterbewegen, und diese Richtungsunterschiede, die uns zum Bewu\u00dftsein kommen, geben uns zugleich an, ob es aufw\u00e4rts oder abw\u00e4rts geht. Wir k\u00f6nnen, wenn etwa der Hauptreiz c2 = 512 Schwingungen ist, bemerken, da\u00df ein zweiter Reiz mit 513 Schwingungen in derjenigen Richtung liegt, in der es auf dem k\u00fcrzesten Wege zu (St\u00ea weitergeht. Es darf also nicht geschlossen werden, da\u00df in solchen F\u00e4llen, wo das Urteil auf \u201eh\u00f6her\u201c oder \u201etiefer\u201c lautet, notwendig H\u00f6henurteile im Sinne von R\u00e9v\u00e9sz beteiligt sein m\u00fcssen. Mir scheinen vielmehr tats\u00e4chlich auch die Untersuchungen ,nach der Konstanzmethode, wo es sich um die\nStumpf, Beitr\u00e4ge VIII.\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nG. Stumpf.\n[TI. Kongr. 322]\nFragestellung \u201eh\u00f6her oder tiefer?\u201c und um richtige und falsche F\u00e4lle handelt, sich auf das qualitative Moment zu beziehen. Jedenfalls darf man F\u00e4lle jener Art, wo der Urteilende eine Verschiedenheit wahrzunehmen glaubt, deren Eichtling er doch nicht angeben kann, nicht als einen Beweis f\u00fcr die Trennung von Qualit\u00e4t und Helligkeit bzw. H\u00f6he ansehen.\ne) Endlich entsteht die Frage, wie der Verlauf der qualitativen \u00c4nderungen innerhalb der Oktave beschaffen ist, insbesondere ob es noch andere, besonders \u00e4hnliche Qualit\u00e4ten gibt, z. B. die T\u00f6ne der Quinte oder Quarte. Schon Op eit und Drobisch haben den Verlauf der Qualit\u00e4ten als einen kreisf\u00f6rmigen angesehen, und, da die H\u00f6he geradlinig ansteigt, beide Ver\u00e4nderungen zusammen durch das Bild der Spirale oder Schraubenlinie ausgedr\u00fcckt. K\u00e9v\u00e9sz kehrt dazu zur\u00fcck, und ich kann ihm nur recht geben. Es scheint mir allerdings, da\u00df man eine abnehmende qualitative \u00c4hnlichkeit mit dem Ausgangstone nur in seiner unmittelbaren N\u00e4he noch direkt konstatieren kann, und dann erst gegen das obere Ende der Oktave hin wieder eine qualitative Ann\u00e4herung bemerkt. Aber Br\u00fcnde, die in den Intervalltatsachen liegen, scheinen mir notwendig zu dem Bilde der Kreislinie hinzuf\u00fchren.\nDurch die schnelle Abnahme des \u00c4hnlichkeitseindrucks nach beiden Seiten einer Qualit\u00e4t w\u00fcrde ich jetzt einen Versuch erkl\u00e4ren, den ich Tonpsych. II, 202 anf\u00fchrte. Wenn man in G-dur spielt (oder sich vorstellt)\nso wird man nicht sagen k\u00f6nnen, da\u00df sich die Tonbewegung irgendwie ihrem Ausgangspunkte n\u00e4here, da\u00df der h\u00f6chste Ton dem tiefsten wieder \u00e4hnlicher w\u00fcrde. Dies begreift sich, wenn die qualitative Ann\u00e4herung eben erst etwa bei c1 oder cis1 merklich wird. Wenn man aber cis1 hinzuf\u00fcgt, die Phrase in D-dur denkt und zugleich den Rhythmus so \u00e4ndert, da\u00df nicht nur der letzte, sondern auch der erste Ton akzentuiert werden:\nso \u00e4ndert sich, wie ich schon damals hervorhob, der Eindruck zugunsten der behaupteten qualitativen Ver\u00e4hnlichung. Einen Beweis f\u00fcr die qualitative R\u00fcckwendung w\u00fcrde ich gleichwohl auch heute auf einen solchen Versuch nicht st\u00fctzen, weil dabei (auch wenn nicht das Klavier ben\u00fctzt wird) in erster Linie die in den Strukturprinzipien unserer Tonleiter liegenden Motive wirksam sind, weil es sich nicht um die Urqualit\u00e4ten in sich selbst, sondern um \u201ehistorische Qualit\u00e4ten\u201c (vgl. das Folgende) handelt. Man mu\u00df in dieser Sache eben nicht melodische Phrasen, sondern durchaus nur einzelne einfache T\u00f6ne vergleichen.\nIn der obigen Beschr\u00e4nkung der bemerkbaren qualitativen \u00c4hnlichkeits-","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"35\n[VL Kongr. 323] \u00dcber neuere Untersuchungen xur Tonlehre.\nabstufungen weiche ich von den \u00e4lteren Autoren (Lotze, Volkmann u. a.) ab, die schon von der Mitte, der Skala ab eine \"Wiederann\u00e4herung zu bemerken glaubten. Da man zuletzt auf der gleichen Qualit\u00e4t wieder anlangt, so liegt es nat\u00fcrlich nahe, zu schlie\u00dfen, da\u00df man sich ihr von der Mitte ab wieder gen\u00e4hert habe; aber direkte Wahrnehmung d\u00fcrfte hier nicht vorliegen.\nDie schnelle Abnahme der qualitativen \u00c4hnlichkeit h\u00e4ngt jedenfalls mit der feinen Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr die Qualit\u00e4ten zusammen.\nAnders l\u00e4ge es nun, wenn Ebbinghaus und andere bedeutende Forscher mit der Ansicht recht h\u00e4tten, da\u00df bei der Quinte und der Quarte eine gr\u00f6\u00dfere \u00c4hnlichkeit mit dem Grundtone zutage tr\u00e4te, als etwa bei der Sekunde und der Terz. F\u00fcr diese Behauptung k\u00f6nnte man die Quintenverwechslungen anf\u00fchren, die selbst musikalischen Menschen zuweilen begegnen und bei unmusikalischen sogar recht h\u00e4ufig sind, derart, da\u00df ein vorgesungener Ton in der Quinte oder Quarte nachgesungen wird; eine Tatsache, die auch in der Musik der Naturv\u00f6lker ihre Analogien hat.\nAber man mu\u00df bedenken, da\u00df hierbei in der Praxis immer die gemeinsamen Obert\u00f6ne eine Rolle spielen. Sobald man mit obertonhaltigen Kl\u00e4ngen operiert, ist nat\u00fcrlich die Quinte dem Grundton durch den gemeinsamen Teilton der Duodezime \u00e4hnlich. Es m\u00fc\u00dften also besondere Versuche \u00fcber diese Frage mit v\u00f6llig einfachen T\u00f6nen gemacht werden. Ich kann vorl\u00e4ufig mich dieser Anschauung, obgleich meine sachverst\u00e4ndigen Freunde v. Hornbostel und Abraham sie teilen, nicht anschlie\u00dfen.\nDiese meine Mitarbeiter haben sich au\u00dferdem die Ansicht gebildet, da\u00df die musikalischen Qualit\u00e4ten nicht eine stetige Linie, sondern eine Anzahl diskreter Punkte darstellen, die \u00fcberhaupt keine Anordnung unter sich besitzen, sondern, abgesehen von den Quinten- und Quartent\u00f6nen, einander g\u00e4nzlich un\u00e4hnlich seien. Schon cis habe also qualitativ keine \u00c4hnlichkeit mehr mit c; und die Septime n\u00e4here sich nicht etwa wieder dem Ausgangston, sondern dieser kehre pl\u00f6tzlich, \u00fcbergangslos bei der Erreichung der ungef\u00e4hr doppelten Schwingungszahl zur\u00fcck1).\nHier mu\u00df man meines Erachtens unterscheiden zwischen den Qualit\u00e4ten im Sinne von Brentano und R\u00e9v\u00e9sz, die wir auch als Urqualit\u00e4ten bezeichnen k\u00f6nnen, und den Qualit\u00e4ten unseres heutigen oder irgend eines anderen ausgebildeten Musiksystems. F\u00fcr den heutigen Musiker gibt es innerhalb der Oktave 12 T\u00f6ne, sofern die nur enharmonisch verschiedenen miteinander identifiziert werden, wie dies bei Urteilen \u00fcber absolute Tonh\u00f6he praktisch\ni) Dieselbe Ansicht bei Natorp, Gotting. Gel. Anz., 1891, S. 794.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nC. Stumpf.\n[VI. Kongr. 324]\nimmer geschieht. Diese 12 T\u00f6ne sind infolge ihrer Verwendung in unserer Musik f\u00fcr uns Individualit\u00e4ten, ausgezeichnete Punkte geworden, deren absoluter Ort allerdings innerhalb enger Grenzen schwankt, die aber immer eine bestimmte Entfernung voneinander haben. F\u00fcr das musikalische Bewu\u00dftsein des Chinesen, des Siamesen oder Javaners sind andere Punkte ausgezeichnet. Ich m\u00f6chte daher diese so entstandenen Qualit\u00e4ten, die innerhalb der stetigen Linie der Urqualit\u00e4ten liegen, historische Qualit\u00e4ten nennen. F\u00fcr sie gilt alles, was die beiden Forscher behaupten, aber ich w\u00fcrde sie nicht als Grundqualit\u00e4ten des Tonreiches \u00fcberhaupt bezeichnen.\nWir haben vorher (S. 30f.) die Frage ber\u00fchrt, ob man Qualit\u00e4t und Helligkeit nicht etwa noch in einem durchgreifenderen Sinne auseinanderhalten m\u00fc\u00dfte, als es durch den Begriff verschiedener \u201eEigenschaften\u201c einer einheitlichen Empfindung geschieht, ob es sich nicht vielmehr um zwei Empfindungen handle, die nur eben unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden sehr eng verkn\u00fcpft sind. Daran w\u00fcrde sich nun noch die weitere, prinzipiell folgenreiche Frage schlie\u00dfen, ob nicht sogar schon das eine dieser beiden \u201eMomente\u201c, die Helligkeit, selbst wieder aus zwei Elementen zusammengesetzt sei. Dies haben Mach und Brentano behauptet. Letzterer spricht, seine Analogisierung mit dem Gesichtssinn durchf\u00fchrend, von einem Tonwei\u00df und einem Tonschwarz, die sich in jedem einzelnen Tone mischen bzw. juxtaponieren. Ihr Mischungsverh\u00e4ltnis gibt die jeweilige Tonh\u00f6he, entsprechend einer bestimmten Graunuance. Dadurch w\u00fcrde nun die Atomisierung der scheinbar einfachen Tonempfindungen noch weiter getrieben. K\u00f6hler1) und viele andere lehnen solche \u201eunbemerkte Empfindungen\u201c als'methodisch verkehrte Annahme ab. Ich m\u00f6chte aber die Frage hier dahingestellt sein lassen, wie dies auch R\u00e9v\u00e9sz tut. Die Entscheidung liegt meines Erachtens auf dem Gebiete der Klangfarbenlehre, das wir hier nicht betreten.\nII. Au\u00dfer der Qualit\u00e4t und Helligkeit in dem nunmehr besprochenen Sinne w\u00e4ren nun noch andere immanente Eigenschaften der T\u00f6ne zu besprechen, die alle zu Diskussionen \u00fcber ihre Existenz und ihr Wesen Anla\u00df gegeben haben oder geben k\u00f6nnen. Aber wir wollen uns nur noch mit der einen hier besch\u00e4ftigen, die seit dem Innsbrucker Kongre\u00df unser aller Nachdenken am meisten herausgefordert hat: der von Wolf gang K\u00f6hler als eine\nx) \u00dcber unbemerkte Empfindungen und Urteilst\u00e4uschungen. Zeitschr. f. Psych. 66, 1913, S. 51 ff.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"37\n[VI. Kongr. 325]\n\u00dcber neuere Untersuchungen zur Tonlehre.\nGrundeigenschaft einfacher T\u00f6ne in Anspruch genommenen Vokalqualit\u00e4t, dem Vokalcharakter oder, wie man ihn jetzt h\u00e4ufig k\u00fcrzer nennt, der Vokalit\u00e4t.\nBekanntlich hatten Helmholtz u. a. die Anwesenheit bestimmter T\u00f6ne von fester absoluter H\u00f6he in den Kl\u00e4ngen der verschiedenen Vokale gelehrt. Diese T\u00f6ne sollten im wesentlichen unver\u00e4ndert bleiben, wenn derselbe Vokal auf verschiedenen Grundt\u00f6nen gesungen oder gesprochen wird, und sie sollten den Charakter des Vokals bestimmen. Rudolf K\u00f6nig hatte nun bereits 1870 bemerkt, da\u00df mehrere dieser charakteristischen T\u00f6ne im Oktavenverh\u00e4ltnis zueinander stehen, und hat dann auf Grund eigener Beobachtungen das Oktavengesetz auf alle f\u00fcnf Hauptvokale ausdehnt und f\u00fcnf Stimmgabeln anf diese Tonh\u00f6hen abgestimmt1). Solche sind z. B. im Stra\u00dfburger Physiologischen Institut vorhanden und mit den f\u00fcnf Vokalbuchstaben und den Schwingungszahlen f\u00fcr b, b1, b2, b3, b4 bezeichnet. Doch gab K\u00f6nig die T\u00f6ne alle um einen Ganzton tiefer an als sp\u00e4ter K\u00f6hler. Dieser ist selbst\u00e4ndig und ohne Kenntnis seines Vorg\u00e4ngers durch seine bekannte sorgf\u00e4ltige Experimentaluntersuchung an mehreren Versuchspersonen zu derselben \u00dcberzeugung gelangt Ein etwas erh\u00f6htes (f\u00fcr a1 == 440 sogar genaues) c1, c2, c3, c4, c5 \u2014 das sind nach ihm die Ur-vokale TT, O, A, E, I (Demonstration). Die zwischen diesen ausgezeichneten Punkten liegenden T\u00f6ne tragen den jeweiligen \u00dcbergangscharakter, z. B. \u00c4 liegt zwischen c3 = A und c4 \u2014 E. Alle T\u00f6ne um einen ausgezeichneten Punkt herum bis zum n\u00e4chstliegenden h\u00f6heren oder tieferen tragen noch in abnehmendem Ma\u00dfe seinen Charakter. Man kann dies in \u00e4hnlicher Weise versinnlichen wie die Heringschen Grundfarben:\nc1\tc2\tc3\tc4\tc5\nio kt-,\t2.0 kr.\n0 Quelques exp\u00e9riences d\u2019acoustique, 1882, S. 421, 8. 64. (Die Originalabhandlung in den Comptes rendus der Pariser Akademie, 1870).","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nC. Stumpf.\n[VI. Kongr. 326]\nDie Tonlinie der einfachen T\u00f6ne verl\u00e4uft also nicht gleichsam indifferent, sondern gliedert sich in Oktavenabschnitte, innerhalb deren die spezifisch voneinander verschiedenen ausgezeichneten Punkte liegen. Da K\u00f6hler jede empiristische Deutung f\u00fcr ausgeschlossen h\u00e4lt, nannte er diese Punkte Grundqualit\u00e4ten, ja sogar die Grundqualit\u00e4ten des Tonreiches. Denn die Existenz der qualitativen Seite, von der wir im vorhergehenden gesprochen, erkannte er, damals wenigstens, nicht an.\nK\u00f6hler hat in seiner Abhandlung nicht angegeben, was aus den Vokalit\u00e4ten wird, wenn zwei einfache T\u00f6ne zusammen erklingen, z. B. c3 und c4. Aber es ist auf Grund seiner letzten Mitteilung anzunehmen, da\u00df er auch in diesen F\u00e4llen die Entstehung einer mittleren Vokalit\u00e4t statuiert, hier z. B. eines \u00c4. Dieses kann also auf zwei ganz verschiedenen Wegen entstehen. Dadurch w\u00fcrden die Vokalit\u00e4ten in einen starken und prinzipiellen Gegensatz zu den vorher erw\u00e4hnten Qualit\u00e4ten treten, bei denen niemals durch Kombination zweier hinreichend verschiedener einfacher T\u00f6ne ein zwischen ihnen liegender entsteht. Denn c und g geben zusammen nicht e 1).\nEbenso kann nach K\u00f6hler aber auch ein reines 0 auf doppelte Weise entstehen: entweder durch die entsprechende Sinusschwingung eines c2 oder durch Kombination eines zwischen 0 und U liegenden Tones (fis1) mit einem zwischen 0 und A liegenden Ton (fis2). Die gleichen O-Valenzen addieren sich, w\u00e4hrend die U-Valenz des einen und die A-Valenz des anderen Tones irgendwie vernichtet werden2).\nq Die von R\u00e9v\u00e9sz behauptete \u201ebinaurale Mischung\u201c bei v.- Liebermann bezieht sich nur auf wenig (bis etwa 16 Schwingungen) verschiedene T\u00f6ne und ist meiner Ansicht nach nichts als die bekannte Tatsache der Unterschiedsschwelle gleichzeitiger T\u00f6ne mit Bildung eines Zwischentons, die eben unter Umst\u00e4nden auch f\u00fcr das dichotische H\u00f6ren Geltung hat.\nTats\u00e4chlich scheinen nun doch bei v. Liebermann Differenzen bis zu einer Quinte vorzukommen. So wurde (allerdings an zwei aufeinanderfolgenden Tagen) nach Tabelle X der \u201eExperimentellen Beitr\u00e4ge\u201c der Ton d3 rechts als gis2, links als dis3 geh\u00f6rt. Wenn in einem solchen Falle bei gleichzeitigem H\u00f6ren sich der Ton h2 oder his2 daraus mischte, dann freilich k\u00f6nnte man von einer Analogie zur Farbenmischung reden.\n[Die im Kongre\u00dfbericht hier folgende Erl\u00e4uterung ist gestrichen. Der Verfasser wird aus Anla\u00df weiterer inzwischen erfolgter Ver\u00f6ffentlichungen von R\u00e9v\u00e9sz und Baley auf die sog. binaurale Mischung und die Bildung von Mittelt\u00f6nen noch besonders zur\u00fcckkommen.]\n2) Im Kongre\u00dfbericht: \u201esich aufheben\u201c. Zufolge einer brieflichen Erinnerung Dr. K\u00f6hlers hier genau nach seiner Abhandlung ausgedr\u00fcckt.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"39\n[VI Kongr. 327]\n\u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\nDie Umlaute \u00dc und \u00d6, die K\u00f6hler in der grundlegenden Abhandlung noch nicht unterzubringen wu\u00dfte, denkt er sich nunmehr, soviel ich sehe, durch Kombination von U und I bzw. 0 und E gebildet, wobei er aber ausdr\u00fccklich bemerkt, da\u00df dadurch etwas v\u00f6llig Neues entsteht. Im \u00fcbrigen l\u00e4\u00dft er die speziellen Gesetze der Resultantenbildung noch dahingestellt.\nK\u00f6hler hat schon fr\u00fcher vermutet und diese Vermutung in der neuesten Mitteilung bestimmter ausgesprochen, da\u00df das Oktavengesetz auch nach unten von c1 und nach oben von c5 noch Geltung habe, da\u00df auch da weitere ausgezeichnete Punkte liegen, die aber nicht durch Vokale, sondern durch Konsonanten oder Halbvokale repr\u00e4sentiert sind. Nach unten hin namentlich durch M, nach oben durch S, F, Ch. Ja er meint sagen zu k\u00f6nnen, da\u00df diese ger\u00e4uschartigen Laute, da sie streng in Oktaven \u00fcbereinander liegen, weit \u00fcber die jetzt fast allgemein angenommene Tongrenze von 20000 Schwingungen hinaus liegen. Merkw\u00fcrdigerweise nehme aber der Helligkeitscharakter dieser Vokalit\u00e4ten von einem gewissen Punkte an wieder ab, soda\u00df also die Geh\u00f6rsempfindungen mit 30000 oder 40000 Schwingungen wieder dunkler w\u00fcrden als die mit 10000. Es w\u00fcrde also auf der Helligkeitslinie eine Umkehr stattfinden \u2014 eine \u00fcberaus k\u00fchne, wenn auch gewi\u00df nicht a priori unm\u00f6gliche Lehre.\nVon dieser Erweiterung der H\u00f6rgrenze kann ich mich indessen bisher nicht \u00fcberzeugen, obschon ich auch j\u00fcngere Ohren zu Hilfe genommen. Die Laute F, Ch werden durch Interferenzen ausgeschlossen, deren zugeh\u00f6rige Schwingungszahlen erheblich unter 20000 liegen. Aus dieser tieferen Lage erkl\u00e4rt sich auch ohne weiteres ihr dunklerer Charakter. Das feinste, hellste Blaseger\u00e4usch aber schien mir und meinen Mitbeobachtern an eben jener Grenze (20000) zu verschwinden. Indessen, es handelt sich um eine vorl\u00e4ufige Mitteilung, darum m\u00f6chte ich zun\u00e4chst den ausf\u00fchrlichen Bericht K\u00f6hlers hier\u00fcber abwarten.\nIn bezug auf die f\u00fcnf Vokalit\u00e4ten aber wollen wir hier so weit als m\u00f6glich absehen von der Frage nach der Natur der empirischen Vokale, wie sie nun einmal dem menschlichen Sprachwerkzeug entstr\u00f6men. Die Vokaltheorie geh\u00f6rt immer noch zu den schwierigsten und verwickeltsten Problemen, obgleich K\u00f6hler sie in seiner ersten Arbeit f\u00fcr \u201enahezu vollst\u00e4ndig gel\u00f6st\u201c hielt. Nur so viel m\u00fcssen wir uns klar machen, da\u00df jene einfachen T\u00f6ne nat\u00fcrlich nicht die Vokale selbst sein k\u00f6nnen, sondern bestenfalls ma\u00dfgebende Bestand-","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nG. Stumpf.\n[VL Kongr. 328]\nteile, die den Vokalen \u00e4hnlich oder denen die Vokale \u00e4hnlich sind. Z. B. das I, wie es gesprochen oder gesungen wird, wird nat\u00fcrlich stets auf einem Grundton angegeben, der viel tiefer als c5 ist; es sind aber auch noch andere Teilt\u00f6ne darin. Das auf c gesungene A einer kr\u00e4ftigen M\u00e4nnerstimme enth\u00e4lt nach meinen Feststellungen gegen 30 Teilt\u00f6ne, die eine Stimmgabel in Mitschwingung versetzen k\u00f6nnen. Vielleicht sind die um c3 herum etwas st\u00e4rker als andere, aber die anderen sind auch da, und es w\u00e4re noch der Nachweis zu liefern, warum sie keinen Einflu\u00df \u00fcben. Sollen ihre Vokalit\u00e4ten sich s\u00e4mtlich gegenseitig annullieren?\nAlso von der Vokaltheorie selbst wollen wir hier m\u00f6glichst absehen und uns nur fragen: Wie verh\u00e4lt es sich mit den ausgezeichneten Punkten und ihrem spezifischen Charakter?\nEs ist mir nun, indem ich an die Besprechung dieser Lehre gehe, \u00fcberaus leid, da\u00df ihr Urheber, mein junger Freund und Sch\u00fcler, durch seine tierpsychologischen Studien in Teneriffa verhindert ist, teilzunehmen. Er h\u00e4tte sicherlich in der Diskussion mit gewohnter Frische und Verve seinen Mann gestellt. So m\u00fcssen wir die Verhandlung einstweilen ohne ihn f\u00fchren.\nDie Arbeit hat durch ihre scharfsinnige und umsichtige Beweisf\u00fchrung eine so \u00fcberzeugende Wirkung ge\u00fcbt, da\u00df nicht blo\u00df weite Kreise der psychologischen Fachgenossen diese Grundqualit\u00e4ten in ihr System aufgenommen, sondern auch Ohren\u00e4rzte daraus wichtige Konsequenzen f\u00fcr die Praxis gezogen haben. Wie man h\u00f6rt, sollen sich diese Konsequenzen auch vielfach best\u00e4tigt haben. Indessen, auf solche Best\u00e4tigungen durch die ohren\u00e4rztliche Praxis gebe ich zun\u00e4chst \u2014 aufrichtig gesagt \u2014 nicht allzuviel. Ist nicht die Bez old sehe Sprachsext ein wahrer Kanon geworden f\u00fcr die weitesten ohren\u00e4rztlichen Kreise? Und doch steht es damit, wie die Arbeit von Frankfurther und Thiele1) gezeigt hat, recht bedenklich. Aber gerade weil die Ohren\u00e4rzte anfangen, auf die K\u00f6hl er sch en Vokalit\u00e4ten Diagnosen zu bauen, sind wir doppelt verpflichtet, die Grundlage aufs neue zu pr\u00fcfen.\nZum mindesten bestehen hier starke individuelle Verschiedenheiten. Ich selbst mu\u00df gestehen, da\u00df ich nicht imstande bin, diese Grundqualit\u00e4ten an den bezeichneten Punkten deutlich wahrzunehmen. Ich kann allenfalls in der Gegend des c1 und tiefer hinunter eine gewisse \u00c4hnlichkeit mit U konstatieren, in der\nq Zschr. f. Sinnesphysiologie, 47, 1912, S. 192 ff. Diese Beitr\u00e4ge 7, S. 134 ff.","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"41\n[YI. Kongr. 329] \u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\nGegend des c5 eine solche mit I, aber es sind nicht so scharf begrenzte Punkte in der Tonlinie, denen diese Eigenschaften zukommen. Yiel genauer finde ich \u00dc lokalisiert, aber ungl\u00fccklicherweise bei as3 oder b3, also nahe dem K\u00f6hl ersehen E. Dies h\u00e4ngt wohl damit zusammen, da\u00df man beim \u00dc den Mund so zuspitzt, da\u00df man auch pfeifen kann, und zwar gibt es dann eben einen Ton in dieser Lage. Man versuche nur z. B. das Wort \u201eh\u00fcbsch\u201c so hervorzubringen, da\u00df man das \u00fc darin pfeift, was ganz gut m\u00f6glich ist: man wird ziemlich genau einen Ton dieser H\u00f6he hervorbringen (Demonstration)J). Nach K\u00f6hler m\u00fc\u00dfte gerade dieser Laut \u00dc durch einen Zusammenklang von U und I zustande kommen, nicht durch einen einfachen Ton. Bei den Yokalen O, A, E fehlt es mir \u00fcberhaupt an der F\u00e4higkeit, eine ausgesprochene \u00c4hnlichkeit mit ihnen bei c2, c3, c4 zu entdecken. Mit dieser Unf\u00e4higkeit stehe ich aber nicht allein, sondern finde nicht wenige Genossen gerade unter solchen, die sich, wie z. B. Dr. Abraham, mit phonetischen Studien abgegeben haben.\nAuch Jaensch undR\u00e9v\u00e9sz, die K\u00f6hlers Vokalit\u00e4ten in gewisser Hinsicht anerkennen, stehen \u2014 genauer zugesehen \u2014 mit den tats\u00e4chlichen Angaben\n\u00dc Diese Lokalisation des \u00dc ist auf Grund derselben Methode auch schon von anderen, so von Helmholtz (Tonempf.4, 176f.) und von Nagel (Handb. d. Physiol. 4, 785) angegeben worden. Neuerdings findet es H. J. Moser (Katzensteins Arch. f. exp. u klin. Phonetik, 1, 121, 125) nach seinen Pfeifversuchen bei f3. Hier gibt es nat\u00fcrlich eine gewisse Zone, je nach dem dunkleren oder helleren \u00dc, das man bevorzugt.\nEine unerwartete Best\u00e4tigung gaben die Urteile Erl. v. Maltzews \u00fcber Pfeift\u00f6ne, die nicht von ihr selbst, sondern von anderen erzeugt wurden, wobei also jede eigene Intention, ein \u00dc zu sprechen, und jede Autosuggestion ausgeschlossen war. Sie erkl\u00e4rte s\u00e4mtliche T\u00f6ne zwischen fis8 und d4, die unregelm\u00e4\u00dfig zwischen T\u00f6ne ganz anderer Lagen eingestreut waren (fis8 2 mal, g3, b3, c4 je lmal, d4 2 mal) als \u00dc. Bei d4 fand sie eine starke I-Beimischung, in keinem unter diesen F\u00e4llen aber riet sie auf E. Aber auch bei den sogleich zu erw\u00e4hnenden Versuchen mit ganz obertonfreien Kl\u00e4ngen erkl\u00e4rte sie a3 und b3, wenn auch etwas schwankend, als \u00dc. Sie war \u00fcber diese Urteile selbst verwundert, da sie sich erinnerte, in K\u00f6hlers Versuchen niemals \u00dc gefunden zu haben.\nK\u00f6hler selbst berichtet S. 88 (Vorversuche): ,.Endlich zeigte sich \u00dcbereinstimmung zwischen den Angaben der Beobachter auch insofern, als sie die sogenannten Umlaute \u00d6 und \u00dc in der Reihe einfacher T\u00f6ne [sc. der damals benutzten Resonanzgabeln] nicht fanden.\u201c Bisweilen seien zwar tiefe Gabeln, seltener sehr hohe, als \u00dc-\u00e4hnlich bezeichnet worden, aber es seien im ersten Falle hohe Obert\u00f6ne, im zweiten Falle ein Nebenger\u00e4usch, das \u00fcbrigens kein eigentliches \u00dc angab, vorhanden gewesen. Bei vorsichtiger Versuchseinrichtung und zunehmender Abstraktionsf\u00e4higkeit seien diese Urteile ausgeblieben. Ich glaube dieses Ausbleiben anders deuten zu m\u00fcssen (s. u. S. 46 Anm.).","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nC. Stumpf.\n[YI. Kongr. 330]\nK\u00f6hlers in vollem Widerspruch. Jaensch sagt (S. 264): \u201eNiemals habe ich reine T\u00f6ne geh\u00f6rt, die in wirklich \u00fcberzeugender Weise wie A oder E geklungen h\u00e4tten.\u201c Nach Jaensch kommt die Yokalit\u00e4t erst heraus, wenn die Sinusschwingungen in sog. \u201egemischte Sinuskurven\u201c umgewandelt werden. Damit gehen aber eben die einfachen T\u00f6ne in ganz zusammengesetzte Kl\u00e4nge \u00fcber. R\u00e9v\u00e9sz sagt (Grundlegung S. 86), die Vokalit\u00e4ten seien nur bei einfachen T\u00f6nen bemerkbar, nicht bei Kl\u00e4ngen. Nun sind aber die empirischen Vokale samt und sonders Kl\u00e4nge; also w\u00fcrde sich ergeben, da\u00df die Yokalit\u00e4t bei den Vokalen selbst nicht bemerkbar w\u00e4re. \u00dcbrigens widerspricht R\u00e9v\u00e9sz hiermit auch direkt den Angaben K\u00f6hlers, der tats\u00e4chlich \u00fcberall Vokale h\u00f6rt, auch bei den Instrumenten (vgl. S. 67, 105 ff. seiner Abhandlung).\nGra\u00dfmann, den K\u00f6hler in gewissem Umfange zur Best\u00e4tigung heranzieht, schreibt den Resonanzgabeln bis zu c3 den Charakter eines in der Tiefe dumpfen, dann immer heller werdenden, zuletzt dem \u00dc sich n\u00e4hernden U zu, von c3 bis c4 den des \u00dc, von da bis zu beliebiger H\u00f6he den des I. Ich kann hierin nur einen starken Widerspruch mit K\u00f6hler finden. Ist doch von O, A, E \u00fcberhaupt nicht die Rede. K\u00f6hler findet sich dadurch an die Protokolle aus den Vorversuchen mit Anf\u00e4ngern erinnert. Immerhin war Gra\u00dfmann ein trefflicher Phonetiker und verstand sich auf Sinneserscheinungen \u00fcberhaupt.\nLahr (von K\u00f6hler gleichfalls erw\u00e4hnt) fand, da\u00df die Gabel von 1000 Schwingungen wie ein A klinge, aber nur mit mehreren tiefen zusammen. Nach deren Ausl\u00f6schen klang sie ihm sofort wie U. Also dasselbe.\nBesser stimmt v. Wesendoncks Urteil mit dem K\u00f6hl er sehen, nur da\u00df er in allen Gabeln bis b2 ein U h\u00f6rt, 0 aber erst durch Kombination zweier Gabeln (wie Helmholtz, Tonempfindungen4, S. 103) erh\u00e4lt.\nSehr beweisend scheint zun\u00e4chst die \u00dcbereinstimmung der Koni g sehen Angaben mit den K\u00f6hlerschen. Hierbei ist aber nicht zu \u00fcbersehen, da\u00df bei K\u00f6nig die Deduktion eine unverkennbare Rolle spielt (wie sie es freilich in der Weiterentwicklung der Lehre, besonders in der Ausdehnung auf die h\u00f6chste Region, auch bei K\u00f6hler tut). K\u00f6nig kam durch die drei \u00dcS\u2019s in Helmholtz\u2019 Tabelle der Vokalt\u00f6ne auf die Idee eines Oktavengesetzes und unterzog daraufhin die damit durchaus nicht \u00fcbereinstimmenden U- und I-T\u00f6ne Helmholtzens einer Neupr\u00fcfung. Diese geschah aber nicht etwa durch direkte Beobachtung des Vokalcharakters von Gabeln, sondern physikalisch durch Aufsuchung derjenigen Gabel, die vor der Mund\u00f6ffnung bei Einstellung auf den Vokal am meisten verst\u00e4rkt wird. Hierin d\u00fcrfte er sich aber mindestens beim U get\u00e4uscht haben. In Verbindung mit Dr. Abraham, dessen Mundh\u00f6hle auf verschiedene Weise ausgezeichnet zur Resonanz zu bringen ist, konnte ich nicht die geringste Verst\u00e4rkung, vielmehr geradezu nur eine Schw\u00e4chung der b-Gabel finden, glaube daher, da\u00df K\u00f6nig hier zu sehr von dem Vertrauen \u201eauf sein \u201eGesetz\u201c beeinflu\u00dft war. Jedenfalls kann er in Anbetracht dieser seiner physikalischen Methode nicht als Zeuge f\u00fcr die direkte Beobachtung einer U-Qualit\u00e4t in der N\u00e4he des c1 herangezogen werden.\nAus \u00e4lterer Zeit ist Willis\u2019 Angabe, da\u00df man bis zu einem gewissen Grade in der Tonreihe die Vokale von U bis I zu h\u00f6ren glaube (Pogg. Ann. 24, 1832, S. 415) von K\u00f6hler, und fr\u00fcher auch schon von mir selbst, herangezogen worden. Bereits 1780 lehrte Fr. Sltellwa^ das n\u00e4mliche (s. Hirschfeld, \u00dcber d. Natur d. Vokale, Diss. 1898). Der oben S. 309 erw\u00e4hnte Herbartianer Griepenkerl bezeichnet in seiner \u00c4sthetik, 1827, S. 376 sogar als erste wohlgef\u00e4llige Modifi-","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"43\n[VL Kongr. 331]\n\u00dcber neuere Untersuchungen xur Tonlehre.\nkation, die mit den T\u00f6nen vorgenommen werden k\u00f6nne, die \u201eVer\u00e4nderung des Tons nach, den Vokalt\u00f6nen\u201c. \u201eDiese sind schon durch das \u00e4sthetische Urteil aus der Vokallinie, einem Kontinuum, das vom u bis zum i alle zwischenliegenden Nuancen ber\u00fchrt, als wohlgef\u00e4llige Punkte herausgehoben\u201c. Schade, da\u00df er zugeh\u00f6rige T\u00f6ne nicht angibt. Im allgemeinen lehren auch diese Angaben doch nur, da\u00df man die Reihenfolge unserer Grundvokale nach ihren Helligkeiten beobachtete, wodurch sie der Tonreihe \u00e4hnlich erscheinen.\nNun kommt aber dazu, da\u00df auch die f\u00fcr die Yokalit\u00e4tswahr-nehmungen Begabten doch recht unsicher sind, wenn ihnen isolierte T\u00f6ne aus ganz verschiedenen H\u00f6hen in bunter Reihenfolge vorgelegt werden, deren Vokalit\u00e4t sie aus dem Stegreif bestimmen sollen. Ich habe k\u00fcrzlich an zwei von K\u00f6hlers Versuchspersonen1), Herrn v. Allesch und Frl. v. Maltzew, solche Versuche gemacht; teilweise mit Resonanzgabeln, teilweise mit Pfeif t\u00f6nen des Mundes, die wie die Gabelt\u00f6ne nahezu einfach sind2 *), teilweise aber auch mit Pfeifenkl\u00e4ngen, die durch Interferenz Vorrichtungen obertonfrei gemacht waren8). Bei den letzteren, die wir zuerst besprechen wollen,\n1)\tVon Versuchspersonen rede ich hier darum, weil die Fragestellung zun\u00e4chst nicht auf die Vokalit\u00e4ten selbst, sondern auf Vokal\u00e4hnlichkeiten ging, aus denen auf die Vokalit\u00e4ten geschlossen wurde. Erst bei den Einstellungsversuchen zur genauen Bestimmung der Lage der \u201eausgezeichneten Punkte\u201c kann man von Beobachtern sprechen, sofern sie die nach K\u00f6hlers Ansicht nunmehr festgestellten Vokalit\u00e4ten genauer zu lokalisieren hatten und daher ihre Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Vokal\u00e4hnlichkeit, sondern auf die Vokalit\u00e4t selbst zu richten hatten.\n2)\tDa\u00df die T\u00f6ne von Resonanzgabeln, mit denen K\u00f6hler seine Vorversuche und seine ersten Hauptversuche machte, recht zusammengesetzt seien (S. 89), kann ich nicht zugeben. Sie enthalten, wenn der etwaige unharmonische Oberton durch einen Gummiring ausgeschlossen wird, und nicht durch Anschlag mit einem\nzu harten Kl\u00f6ppel kurze Nebent\u00f6ne im Anschlagsmoment erzeugt werden, nur\ndie Oktave in erheblichem Ma\u00dfe und eine minimale Duodezime, sonst aber nichts.\nDagegen die angeblasenen Flaschen, an denen v. Wesendonck \u00e4hnliche Beob-\nachtungen anstellte, und die K\u00f6hler gelegentlich als nahezu einfache T\u00f6ne be-\nzeichnet (S. 110), gerade diese enthalten merkliche Teilt\u00f6ne bis zum f\u00fcnften. \u00dcber die Sternschen Pfeifen gibt sich in dieser Hinsicht auch R\u00e9v\u00e9sz einer T\u00e4uschung hin (Experim. Beitr\u00e4ge, S. 29J : \u201eDa die T\u00f6ne schon an sich fast rein sind\u201c).\n8) Nur bei c4 * * * und c hat eine Nachpr\u00fcfung noch das Vorhandensein des ersten Obertones ergeben. Aber unter den acht Urteilen, die auf c4 fielen (vier von jeder Versuchsperson) lautete nur eines: \u201eGutes E4 eher etwas nach I als nach A\u201c, wobei das \u201eetwas nach I\u201c auf den Oberton zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnte. Dieses Urteil habe ich daher als schlechtweg richtig gerechnet. Unter den \u00fcbrigen Urteilen lauteten f\u00fcnf umgekehrt: \u201eE nach A\u201c. Daran kann der Oberton nicht schuld sein, c kam nur zweimal (einmal bei jeder Versuchsperson) vor; beide Male lautete das Urteil: U nach M. Hier also k\u00f6nnte der allerdings sehr schwache Oberton schuld sein.","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nG. Stumpf.\n[VL Kongr. 332]\nlagen die angegebenen T\u00f6ne wie bei K\u00f6hler alle zwischen c und e5. Beiden Versuchspersonen wurden die n\u00e4mlichen T\u00f6ne dargeboten. Die Anzahl dieser Versuche an obertonfreien Kl\u00e4ngen betrug f\u00fcr jede Versuchsperson 24, in je zwei durch mehrere Wochen getrennten Reihen zu 12. Solange es sich um Stichproben und Stegreifurteile handelt, die nur den augenblicklichen Zustand der Urteilsf\u00e4higkeit feststellen sollen, brauchen es nicht mehr zu sein, ja eine Vermehrung w\u00fcrde, wenn nicht immer l\u00e4ngere Zeit zwischen den Teilreihen liegt, sogar der Intention der Versuche zuwiderlaufen. Unter den 24 T\u00f6nen kamen 9 (Vs vor, um K\u00f6hlers reine Vokalit\u00e4ten m\u00f6glichst ins Bewu\u00dftsein zu rufen, zumal da Frl. v. Maltzew ausdr\u00fccklich w\u00fcnschte, \u201ereine Vokale\u201c dazwischen zu h\u00f6ren.\nSchlechtweg richtig in K\u00f6hlers Sinne waren bei v. Maltzew nur 6, bei v. Allesch 5 Urteile; z. B. c1 = gutes U, c2 = 0, g2 = A nach 0 hin. In anderen (4 -f- 9) F\u00e4llen w\u00e4re das Urteil richtig gewesen, wenn der gegebene Ton bis zu einer kleinen Terz, wieder in anderen (5 -f- 9), wenn er von einer ganzen Terz bis zu einer Quinte h\u00f6her oder tiefer gewesen w\u00e4re. Bei einer letzten Klasse (9 -f- 1) betrug der Fehler mehr als eine Quinte nach oben und unten, oder das Urteil fiel ganz aus der Vokallinie K\u00f6hlers heraus (\u00dc)1).\nBei den Versuchen mit Resonanzgabeln, die ich nur an Frl. v. Maltzew anstellte (12 F\u00e4lle zwischen den Tonh\u00f6hen A und c5), war das Ergebnis fast noch ung\u00fcnstiger; sie beurteilte z. B. c2 einmal direkt als U, ein anderes Mal als U mit starker O-Beimischung beim Ausklingen, d2 als U mit einer Spur 0, e2 einmal als U nach 0 hin, einmal als zwischen U und 0, c3 einmal als U mit ziemlich viel 0 (w\u00e4hrend es ganz au\u00dferhalb der U- und O-Zone liegt!), e3 als zwischen 0 und A. Also offenbar eine starke Hinneigung zu U-Urteilen auch bei viel h\u00f6heren Grabein, ganz \u00e4hnlich wie bei Gra\u00dfmann, Lahr und v. Wesendonck.\nAm schlimmsten endlich stand es mit den Pfeift\u00f6nen. Diese lagen alle zwischen c2 und d4. v. Maltzew urteilte in 12 F\u00e4llen mit bunter Reihenfolge: c2 (2mal), d2 (2mal), e2: U, etwas nach 0; auch schlechtweg: U, U sicher, c3: U, ziemlich viel 0 darin.\n\u00dc Beim m\u00fcndlichen Vortrag dieses Referates in G\u00f6ttingen hatte ich richtige, vorwiegend richtige, vorwiegend falsche und schlechthin falsche Urteile unterschieden. Ich halte es aber jetzt f\u00fcr zweckm\u00e4\u00dfiger, zur Vermeidung von Definitionsstreitigkeiten auf eine solche doch immer etwas willk\u00fcrliche Klassifikation zu verzichten und nur eben den Grad der Abweichung, anzugeben.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"45\n[TL Kongr. 333]\nUber neuere Untersuchungen xur Tonlehre.\nfis3 (2mal): \u00dc, nicht ganz sicher; \u00dc mit ziemlich viel \u00d6. g3: \u00dc mehr nach! c4: \u00dc ohne I. d4 (2mal): \u00dc, viel I darin; \u00dc mehr nach I. v. Allesch (der hier sogar einen Unterschied bemerkte, je nachdem Dr. Abraham oder Dr. v. Hornbostel den n\u00e4mlichen Ton pfiffen) hatte unter 20 Urteilen doch f\u00fcnf ganz oder ann\u00e4hernd richtige (OA, A, \u00c4, E, I), sonst ging er aber gleichfalls um eine bis zwei Oktaven nach unten fehl. Von diesen letzten Versuchen wollen wir aber, da K\u00f6hler nicht mit Pfeift\u00f6nen operierte, zun\u00e4chst absehen.\nMan k\u00f6nnte nun annehmen, da\u00df die beiden Versuchspersonen ihre seinerzeit erlangte \u00dcbung wieder gro\u00dfenteils eingeb\u00fc\u00dft h\u00e4tten. Aber, abgesehen davon, da\u00df ein solcher Abfall zwar bei Ged\u00e4chtnis-leistungen, bei Assoziationen, die ja hier ausgeschlossen sein sollen, nicht aber bei der einmal erlangten Beobachtungsf\u00e4higkeit gegen\u00fcber einer elementaren Eigenschaft der T\u00f6ne leicht begreiflich w\u00e4re: \u2014 wenn wir die Tabellen der K\u00f6hlerschen Abhandlung selbst betrachten, die das Ergebnis seiner nach gleicher Methode angestellten Versuche enthalten (Tab. I\u2014III, S. 91 bis 93), so bieten sie ein ganz \u00e4hnliches Bild. Ich mu\u00df gestehen, da\u00df ich es nicht m\u00f6glich finde, nach Urteilen mit so gro\u00dfer Streuung ein Oktavengesetz auch nur schwach zu vermuten1). Denn man sollte doch eigentlich erwarten, da\u00df die Urvokale noch sicherer erkannt und voneinander unterschieden werden m\u00fc\u00dften als die empirischen, in denen sie durch die Anwesenheit anderer Teilt\u00f6ne gewisserma\u00dfen verunreinigt wird; wie das Salz f\u00fcr sich allein salziger schmeckt und leichter vom Zucker unterschieden wird, als wenn es in gleicher Quantit\u00e4t in der Suppe aufgel\u00f6st ist.\nKur das eine scheint mir aus K\u00f6hlers eigenen Tabellen der Stegreifversuche deutlich hervorzugehen, da\u00df bei Darbietung von Stimmgabeln zwischen 163 und 4000 Schwingungen (e bis c5), wenn die Aufgabe gestellt ist, die Vokale in diese Tonreihe einzuordnen, das Urteil mit steigender Tonh\u00f6he immer mehr von U \u00fcber die helleren Vokale zu I \u00fcbergeht. Da wir nun anerkannt haben, da\u00df die T\u00f6ne eine Helligkeitsreihe bilden, und da andrerseits auch die Vokale in der Folge UOAEI unstreitig immer heller werden, so scheint mir der Gang der Werte in diesen Tabellen auch ohne die\nx) Im Kongre\u00dfbericht: \u201eeinen Schlu\u00df auf die Vokalqualit\u00e4ten und das Oktavengesetz zu ziehen, wie ihn K\u00f6hler auf Grund der herausgezogenen Maxima (S. 113) wenigstens wahrscheinlich findet.\u201c Obige \u00c4nderung auf Grund einer brieflichen Erinnerung K\u00f6hlers.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nG. Stumpf.\n[TL Kongr. 334]\nAnnahme von besonderen Yokalqualit\u00e4ten verst\u00e4ndlich1). Gewi\u00df wird das U dabei nicht etwa blo\u00df dem relativ dunkelsten unter den dargebotenen T\u00f6nen zugeteilt. N\u00e4hme man die Gabelreihe Cl7 C, c, c1, c2, so w\u00fcrde gewi\u00df nicht c2 als I-\u00e4hnlich beurteilt; oder n\u00e4hmen wir c3, c4, c5, c6, c7, so w\u00fcrde wohl schwerlich jetzt c3 als entschiedenes U beurteilt werden. Sondern es wird allerdings eine gewisse absolute Helligkeitszone geben, \u00fcber die ein Ton nicht hinaus liegen darf, wenn er seiner Helligkeit nach noch eine st\u00e4rkere Yerwandtschaft mit U oder mit A haben soll. Aber weiter scheint mir zun\u00e4chst aus diesen Yersuchen nichts mit Sicherheit hervorzugehen.\nK\u00f6hler hat vorausgesehen, da\u00df man die Einordnung nach Helligkeiten zur Erkl\u00e4rung heranziehen werde, und hat darum mehrere Tage hintereinander alle die T\u00f6ne nicht vorgelegt, die von den Yersuchspersonen bisher als U bezeichnet worden waren. Die Eolge war nicht, da\u00df das U von den Yersuchspersonen h\u00f6her gelegt wurde, sondern da\u00df es in den Aussagen ganz ausblieb (S. 95). Dies ist bemerkenswert, w\u00fcrde aber bestenfalls nur beweisen, da\u00df die\n9 Anf\u00e4nglich, wurde auch hier nach S. 81 meist nur die \u00c4hnlichkeit der tieferen Gabeln mit U, den h\u00f6heren mit I bemerkt. \u201eDann ist es meistens, als ob pl\u00f6tzlich die Ohren der Beobachter ge\u00f6ffnet w\u00fcrden, als ob sie jetzt eigentlich erst herausgefunden h\u00e4tten, was an den T\u00f6nen beurteilt werden soll, und in kurzem wird, sobald dieses Stadium erreicht ist, das Urteil fest und v\u00f6llig unbeirrbar durch das ganz willk\u00fcrliche Herausgreifen der dargebotenen Tonh\u00f6hen. Andere wieder gibt es, die vom ersten Versuch an ohne viel \u00dcberlegung ihre\nEntscheidung mit Sicherheit f\u00e4llen.\u201c\nIch vermute, da\u00df durch die immer wiederholte Frage nach der V\u00f6kal\u00e4hnlich-keit der dargehotenen T\u00f6ne die Versuchspersonen sich veranla\u00dft sahen, nach dem\nU und I auch die \u00fcbrigen Hauptvokale zwischen die Extreme ihrer Helligkeit nach in die T\u00f6ne einzuordnen. Ob nicht die Lage der Resonanzt\u00f6ne des Mundes f\u00fcr 0 und A dabei auch einen Einflu\u00df hatte (der nicht in der von K\u00f6hler,\nS. 86, bek\u00e4mpften Form stattzufinden brauchte), m\u00f6chte ich dahingestellt lassen.\nDa\u00df aber \u00dc und \u00d6 bald aus den abgegebenen Urteilen verschwanden, mag wohl auch mit der Fragestellung Zusammenh\u00e4ngen, wie sie sich im Bewu\u00dftsein der Yersuchspersonen allm\u00e4hlich ausbildete (ohne da\u00df sie von K\u00f6hler ausdr\u00fccklich so gegeben wurde): sie suchten eben bald nur noch die Hauptvokale und dachten nicht mehr an die Umlaute.\nNicht verhehlen kann ich \u00fcbrigens, da\u00df ich die Charakteristik der Aussagen bei K\u00f6hler \u00f6fters reichlich optimistisch finde. \u201eV\u00f6llig unbeirrbar\u201c ist doch angesichts der Tabellen etwas stark ausgedr\u00fcckt. Die subjektive Zuversicht der Yersuchspersonen, die nach vier oder f\u00fcnf Versuchsreihen \u201egar nicht mehr begreifen konnten, wie da \u00fcberhaupt Zweifel m\u00f6glich sind\u201c (S. 83), kann nat\u00fcrlich gegen\u00fcber ihren objektiven Irrt\u00fcmern nicht ins Gewicht fallen.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"47\n[VL Kongr. 335]\n\u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\nHelligkeitszone, der man das U noch gut zuordnen kann, keine so gro\u00dfe Verschiebung vertr\u00e4gt, nicht aber da\u00df es ein in Schwingungszahlen angehbares unverr\u00fcckbares Optimum dieser Zone gibt. Aber der Versuch ist insofern nicht rein zu nennen, als eben doch schon Urteilsreihen mit gr\u00f6\u00dferem Tonumfang, mit tieferen T\u00f6nen vorausgegangen waren und eine Disposition hinterlassen haben k\u00f6nnen, die jetzt nachwirkte. In meinen Versuchen mit obertonfreien Kl\u00e4ngen, wobei c nur ein einziges Mal in der Eeihe gegeben wurde, zeigte Frl. v. Maltzew eine entschiedene Neigung, zu tiefe Vokalit\u00e4ten zu nennen. Es ist doch m\u00f6glich, da\u00df der genannte Umstand dabei mitwirkte.\nDa\u00df bei der Zuordnung der Vokale die Helligkeiten ma\u00dfgebend waren, w\u00fcrde auch damit \u00fcbereinstimmen, da\u00df allem Anscheine nach (auch K\u00f6hler neigt nach S. 80 zu dieser Vermutung) die Vokal\u00e4hnlichkeiten besonders von unmusikalischen Personen bemerkt- werden, bei denen die Qualit\u00e4ten in dem oben besprochenen Sinn im allgemeinen weniger ausgepr\u00e4gt sind und darum die Helligkeiten um so mehr in den Vordergrund treten.\nFerner begreifen sich dann leicht die geh\u00e4uften Irrt\u00fcmer (Irr-t\u00fcmer im K\u00f6hl ersehen Sinne) bei den Pfeift\u00f6nen des Mundes. Diese Fehlgriffe liegen in der gleichen Dichtung wie die gew\u00f6hnlichen, wenn die absolute Tonh\u00f6he solcher T\u00f6ne zu beurteilen ist (s. o. S. 23): man legt den Ton um 1\u20142 Oktaven tiefer. Nun aber betrifft der Irrtum bei den absoluten Tonh\u00f6hen eben nicht die Qualit\u00e4t, welche vielmehr ganz richtig erkannt wird, sondern die H\u00f6henlage (Helligkeit). So spricht alle Wahrscheinlichkeit daf\u00fcr, da\u00df es auch hier gerade die Helligkeit war, nach der die sogenannte Vokalit\u00e4t beurteilt wurde. Da diese bei den Pfeif t\u00f6nen ungew\u00f6hnlich vertieft ist, wurden auch die tieferen Vokale angegeben.\nNun ist aber K\u00f6hler zu Versuchen nach der Einstellungsmethode \u00fcbergegangen; und diese sind es, die ihm und uns allen die gr\u00f6\u00dfte \u00dcberraschung bereitet haben. Mit erstaunlicher Genauigkeit wurden von ihm selbst und seinen Mitbeobachtern bestimmte \u201eausgezeichnete Punkte\u201c festgestellt, die den Vokalen U, O, A am reinsten entsprachen und in Oktaven \u00fcbereinander lagen. Dies ist nat\u00fcrlich auf dem angegebenen Wege nicht zu erkl\u00e4ren. Aber wir erinnern uns, da\u00df die T\u00f6ne neben der Helligkeit noch das qualitative Moment aufweisen, das K\u00f6hler damals freilich nicht anerkannte. Wir haben es im Vorhergehenden anerkannt und wissen, da\u00df es in Oktaven identisch wiederkehrt. Sobald man sich dies vergegenw\u00e4rtigt, ist die","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nC. Stumpf.\n[VL Kongr. 336]\nVermutung nicht abzuweisen, da\u00df es eben dieses Moment sei, das bei den K\u00f6hlerschen Einstellungs versuch en die entscheidende Rolle gespielt hat. Wir brauchen nur anzunehmen, da\u00df die Gegend um die (S-Qu alit\u00e2t herum allgemein oder f\u00fcr bestimmte Individuen irgend etwas Auff\u00e4lliges habe, irgendwie markiert sei, wenn dies auch nur bei l\u00e4ngeren Versuchsreihen und unter den besonderen, auch von K\u00f6hler betonten Umst\u00e4nden hervortritt1). So ist ja unter den Farben das Rot aufdringlicher als andere.\nAuch diese M\u00f6glichkeit hat K\u00f6hler nicht \u00fcbersehen, weist sogar auf die hervorragende Bedeutung des (\u00a3 in unserer Musik hin (S. 132) meint aber, diese sei eher die Folge als die Ursache der Vokalit\u00e4t, und h\u00e4lt die Erkl\u00e4rungsweise schon darum f\u00fcr hinf\u00e4llig, weil f\u00fcr seine unmusikalischen Beobachter (S keine irgendwie ausgezeichnete Kote sei. Indessen braucht die Auszeichnung nicht notwendig mit der Musik zusammenzuh\u00e4ngen, und tats\u00e4chlich ist doch eben diese Tonh\u00f6he f\u00fcr seine Beobachter irgendwie ausgezeichnet, sei es nun dank ihrer Vokalit\u00e4t oder dank ihrer Qualit\u00e4t: das zeigen ja seine Einstellungsversuche. Also mu\u00df die Deutung erlaubt sein, da\u00df auf eine besonders markierte Qualit\u00e4t eingestellt wurde, womit auch das Oktavengesetz \u2014 sonst so wunderbar \u2014 ohne weiteres selbstverst\u00e4ndlich wird.\nDa\u00df diese beiden Oktavengesetze, das der Qualit\u00e4ten, die sich identisch in jeder Oktave wiederholen, und das der reinen \u201eUrvokale\u201c, die in Oktaven \u00dcbereinanderliegen, ganz unabh\u00e4ngig voneinander als prim\u00e4re Gesetzlichkeiten best\u00e4nden, ist doch von vornherein \u00e4u\u00dferst unwahrscheinlich. Man wird also schon darum versuchen m\u00fcssen, entweder die Qualit\u00e4ten auf Vokalit\u00e4ten oder umgekehrt diese auf jene zur\u00fcckzuf\u00fchren. K\u00f6hler neigt vielleicht zu dem ersten Wege, mir scheint der zweite allein gangbar.\nMan kann einwenden, es sei inkonsequent, nachdem wir die geringe Auspr\u00e4gung der Qualit\u00e4ten als g\u00fcnstig f\u00fcr das Bemerken von Vokal\u00e4hnlichkeiten vermuteten, nunmehr gerade die starke Auspr\u00e4gung einer einzelnen Qualit\u00e4t als ma\u00dfgebend f\u00fcr die ausgezeichneten Punkte anzusehen. Allein genauer betrachtet ist dies\n*) So sagt K\u00f6hler, da\u00df eine gewisse Schnelligkeit nnd Regelm\u00e4\u00dfigkeit der Aufeinanderfolge der einzelnen Tonschritte erforderlich waren (S. 122). Einem Beobachter, dessen \u00dcbung schnell nachlie\u00df, wurde jedesmal vor Beginn einer Versuchsreihe eine Reihe reiner T\u00f6ne mit dem betreffenden Yokal darin vorgef\u00fchrt (S. 126), was K\u00f6hler mit seiner Ablenkbarkeit durch Nebenumst\u00e4nde rechtfertigt (S. 134).","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"49\n[VI. Ivongr. 337] \u00dcber neuere Untersuchungen zur Tonlehre.\nkein Widerspruch, sondern f\u00fcgt sich sehr wohl in die Gesamt-Yorstellung des Sachverhalts. Denn wenn auch die Qualit\u00e4ten bei Unmusikalischen im allgemeinen weniger ausgepr\u00e4gt sind, so schlie\u00dft dies nicht aus, da\u00df eine von ihnen relativ st\u00e4rker da ist. Gerade die gleichm\u00e4\u00dfige Ausgepr\u00e4gtheit ist f\u00fcr den Musikalischen die Hauptsache. Denken wir einmal zur Vergleichung an die Tonst\u00e4rke. Es ist wohl zweifellos, da\u00df f\u00fcr Tiere z. B. Hunde gewisse T\u00f6ne eine weit gr\u00f6\u00dfere St\u00e4rke gegen\u00fcber anderen T\u00f6nen haben, w\u00e4hrend das menschliche Ohr in dieser Hinsicht, wenn auch nicht vollkommen, doch viel ausgeglichener ist (vgl. Helmholtz4, 187 ff.). Einzelne Beobachtungen scheinen mir darauf hinzudeuten, da\u00df auch unmusikalische Personen die Tonst\u00e4rken ungleichm\u00e4\u00dfiger h\u00f6ren als musikalische. So ist Herr v. A Ile sch gegen hohe T\u00f6ne \u00fcberaus empfindlich, w\u00e4hrend ich fr\u00fcher bei Beobachtungsreihen stundenlang h\u00f6chste T\u00f6ne, auch schrille Schwebungen zwischen ihnen geh\u00f6rt habe, ohne allzu stark davon angegriffen zu werden. \u00c4hnliches mag nun bez\u00fcglich der Tonqualit\u00e4ten der Fall sein. Unsere Musik verlangt eine prinzipielle Gleichberechtigung aller Tonstufen, welche gest\u00f6rt werden m\u00fc\u00dfte, wenn eine bestimmte Qualit\u00e4t weit ausgepr\u00e4gter w\u00e4re als eine andere. Geringere Unterschiede, die mit dem Charakter der Tonarten Zusammenh\u00e4ngen k\u00f6nnten, m\u00f6gen immerhin zur\u00fcckgeblieben sein. Aber bei Unmusikalischen k\u00f6nnte in der Tat trotz des allgemeinen Zur\u00fccktretens der Qualit\u00e4ten doch die (S-Qualit\u00e4t sich relativ besonders merklich abheben. Sie w\u00e4ren dann gewisserma\u00dfen farbenschwach f\u00fcr die \u00fcbrigen, aber farbent\u00fcchtig f\u00fcr diese. Sind das vorl\u00e4ufig auch nur ziemlich hypothetische Aufstellungen, so haben sie doch einige Wahrscheinlichkeit und gen\u00fcgen jedenfalls, um das gegen unsere Erkl\u00e4rung erhobene Bedenken und den anscheinenden inneren Widerspruch zu beseitigen.\nAber nun noch zu einem Hauptpunkt! Zwischen den Qualit\u00e4ten und den Vokalit\u00e4ten ist doch der ganz prinzipielle Unterschied, da\u00df eine Qualit\u00e4t in allen Oktaven identisch wiederkehrt, w\u00e4hrend die Vokalit\u00e4ten sich von Oktave zu Oktave spezifisch ver\u00e4ndern. Die Vokale sollen nach K\u00f6hler ja nicht Helligkeitsstufen einer und derselben ^-Qualit\u00e4t sein, sondern selbst durchaus verschiedene Qualit\u00e4ten darstellen, so wie die Heringschen Urfarben. Wie soll sich dies aus unseren Erkl\u00e4rungsgr\u00fcnden verstehen lassen?\nNun: diese spezifischen Unterschiede sind doch sehr cum grano salis zu verstehen. U und 0, ebenso E und I scheinen mir, bei\nStumpf, Beitr\u00e4ge VIII.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nC. Stumpf.\n[VI. Kongr. 338]\nden empirischen Vokalen wenigstens, keineswegs so verschieden wie etwa die sogenannten Urfarben Eot und Gelb oder \u00dfot und Blau (um nur benachbarte zu nennen), sondern das 0 erscheint mir in der Tat nur als ein helleres U. Ob das bei den Urvokalen anders ist, kann ich freilich nicht beurteilen. Jedenfalls kann aber ein Farbent\u00fcchtiger reines Rot und Gelb nicht verwechseln, w\u00e4hrend U und 0, E und I in meinen Versuchen von beiden vokalit\u00e4ts-t\u00fcchtigen Personen \u00f6fters verwechselt wurden.\nUnd wie w\u00e4ren denn bei absoluten Tonurteilen Oktavenverwechslungen m\u00f6glich, die doch zu den gew\u00f6hnlichsten Erscheinungen geh\u00f6ren, wenn solche spezifische Unterschiede zwischen c2, c3, c4 best\u00e4nden? Sie w\u00fcrden doch gen\u00fcgen, um jede Oktavenverwechslung auszuschlie\u00dfen.\nMan mu\u00df also nicht spezifische Unterschiede zu erkl\u00e4ren suchen, die in dieser schroffen Form gar nicht vorhanden sind. Da\u00df die durch unser Alphabet ausgezeichneten empirischen Vokale uns gewisserma\u00dfen zu Individualit\u00e4ten oder zu nat\u00fcrlichen Spezies geworden sind, will ich nicht leugnen, und diese Individualit\u00e4ten werden sich auch in den Assoziationen mit einfachen T\u00f6nen geltend machen. Aber das ist ebenso bei den Klangfarben der Instrumente: die Klangfarben der Oboe, des Horns, der Geige sind Individualit\u00e4ten, k\u00f6nnen uns spezifisch verschieden erscheinen, und doch sind es nur Kombinationen von Teilt\u00f6nen neben vielen anderen m\u00f6glichen Kombinationen, und sind uns nur eben durch den h\u00e4ufigen Gebrauch zu solchen vertrauten Individualit\u00e4ten geworden.\nSchlie\u00dflich verlange ich nicht, da\u00df man diese Bemerkungen und Vermutungen v\u00f6llig gen\u00fcgend finde, um daraus eine \u00fcberzeugende Erkl\u00e4rung der K\u00f6hlerschen Vokalqualit\u00e4ten zu gestalten. Aber des Nachdenkens sind sie doch wohl wert, und solange sie nicht widerlegt sind, darf man dem Prinzip der Sparsamkeit gem\u00e4\u00df nicht eine neue prim\u00e4re Eigenschaft statuieren. Hat man einmal Helligkeiten und Qualit\u00e4ten in dem vorher erl\u00e4uterten Sinn als verschiedene Grundeigenschaften der T\u00f6ne anerkannt, so d\u00fcrften sich die Kosten der Vokalit\u00e4ten damit bestreiten lassen. K\u00f6hler hat richtig erkannt, da\u00df mit den blo\u00dfen H\u00f6henunterschieden nicht auszukommen ist, da\u00df man daneben eigentlich-qualitative Unterschiede anerkennen m\u00fcsse (S. 102); aber er hat sie meines Erachtens in falscher Richtung gesucht. In seinen Tabellen hat er ohne Zweifel merkw\u00fcrdige psychologische Sachverhalte aufgezeigt, die eine Erkl\u00e4rung fordern und uns schon darum weiter bringen. Aber weder","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"[VL Kongr. 339] Tiber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\t51\nkann ich zugeben, da\u00df die Vokaltheorie damit auf die richtige Basis gestellt sei, noch da\u00df neue Grundeigenschaften oder gar die Grundqualit\u00e4ten der T\u00f6ne damit aufgedeckt seien.\nIII. Hach diesen sachlichen Er\u00f6rterungen eine kurze Bemerkung \u00fcber die zweckm\u00e4\u00dfigste Terminologie. Lehnen wir dieK\u00f6hler-schen Vokalqualit\u00e4ten ab, so k\u00f6nnen wir die musikalische Qualit\u00e4t, das was G zu G, \u00a7 zu g macht, einerlei in welcher Oktave, als \u201eQualit\u00e4t\u201c schlechtweg bezeichnen. F\u00fcr das mit den Schwingungszahlen parallel ver\u00e4nderliche Moment ist der alte Ausdruck \u201eH\u00f6he\u201c eine anschauliche und insofern n\u00fctzliche Metapher. Aber man mu\u00df sich bewu\u00dft bleiben, da\u00df die kleinsten wahrnehmbaren Differenzen dieser sogenannten Tonh\u00f6he rein qualitativer Art, also nicht von derselben Art sind, wie das, was c1 von c2 unterscheidet. Insofern ist der Ausdruck \u201eH\u00f6he\u201c nicht eindeutig. Indessen kommt es in vielen F\u00e4llen auf diesen Unterschied nicht an. Au\u00dferdem wird nat\u00fcrlich der Ausdruck \u201eH\u00f6he\u201c auch in rein physikalischer Bedeutung, f\u00fcr die Unterschiede der Schwingungszahlen, stets weitergebraucht werden1).\n\u201eHelligkeit\u201c, ebenso wie \u201eH\u00f6he\u201c dem Gesichtssinn entlehnt, hat kaum Aussicht, als technischer Karne den so allgemein gebr\u00e4uchlichen Ausdruck \u201eH\u00f6he\u201c zu verdr\u00e4ngen. Aber f\u00fcr den Unterschied ganzer Tonregionen, auch schon der Oktaven voneinander, w\u00fc\u00dfte ich in der Tat keinen bezeichnenderen. Er dr\u00e4ngt sich solchen, die nicht in der musikalischen Redeweise aufgewachsen sind, von selbst auf, wenn sie den Unterschied hoher und tiefer T\u00f6ne angeben sollen. Und so mag er auch nebenbei gebraucht werden. Au\u00dferdem empfiehlt er sich dann, wenn es sich um das Verst\u00e4ndnis der Klangfarben handelt, deren Helligkeitsunterschiede ebenso wie die der Vokale gerade vorwiegend auf dieser Eigenschaft der einfachen T\u00f6ne beruhen.\nF\u00fcr das quantitative Moment endlich, wenn man ein solches anerkennt, wird man am besten eben Quantit\u00e4t, Volumen oder Gr\u00f6\u00dfe, Breite der T\u00f6ne sagen.\nDen Ausdruck und Begriff Tonfarbe, den ich in der \u201eTonpsychologie\u201c gleichfalls im Interesse der Klangfarbenlehre einf\u00fchrte, halte ich fest. Aber ich fa\u00dfte damals schon den Begriff als einen zusammengesetzten. Er bezeichnete die Gesamtheit der f\u00fcr die Tonempfindung bei einer gegebenen Schwingungszahl charakteristi-\nx) Die beiden letzten S\u00e4tze sind dem Kongre\u00df bericht hinzugef\u00fcgt.\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nG. Stumpf.\n[VI Kongr. 340]\nsehen Eigenschaften: Qualit\u00e4t (die mir mit H\u00f6he zusammenfiel), Intensit\u00e4t (die allerdings sich nur bedingungsweise mit der H\u00f6he parallel ver\u00e4ndere) und Tongr\u00f6\u00dfe. Jetzt w\u00fcrde ich also Qualit\u00e4t und Helligkeit nebeneinander als Teilmomente nennen. Aber auch Hebenempfindungen (Ger\u00e4usche und Empfindungen anderer Sinne), die mit einer gewissen Regelm\u00e4\u00dfigkeit bestimmte T\u00f6ne begleiten, rechnete und rechne ich zu dem Gesamteindruck, der zweckm\u00e4\u00dfig Tonfarbe genannt wird und die Grundlage f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis der Klangfarbe bilden mu\u00df.\nIV. Gleichfalls nur kurz kann ich auf den Unterschied von Ton und Ger\u00e4usch in diesem Zusammenh\u00e4nge eingehen.\nBrentano fa\u00dft das Verh\u00e4ltnis gleich dem zwischen farblosen und farbigen Gesichtserscheinungen. Sicher liegt darin eine bestechende Vergleichung. Bei den Ger\u00e4uschen wird man geradezu den Ausdruck \u201eHelligkeiten\u201c ohne Zwang allgemein gebrauchen k\u00f6nnen. R\u00e9v\u00e9sz, der den Ausdruck \u201eH\u00f6hen\u201c auch hier vorzieht, stimmt doch sachlich mit Brentano darin \u00fcberein, da\u00df reine Ger\u00e4usche nur Helligkeits-, aber keine Qualit\u00e4tsunterschiede besitzen (Grundl., S. 75). Soviel wird man jedenfalls behaupten d\u00fcrfen, da\u00df bei Ger\u00e4uschen das qualitative Moment sehr zur\u00fccktritt, und da\u00df es Ger\u00e4usche gibt, bei denen es kaum m\u00f6glich ist, durch fortschreitende Erhellung periodisch wiederkehrende Oktavenpunkte zu erhalten oder auch irgendwelche andere musikalische Intervalle eindeutig festzustellen. Dies trifft freilich auch bei manchen T\u00f6nen zu (h\u00f6chste Lage).\nHach Untersuchungen, zu denen mich K\u00f6hlers \u201eVorl\u00e4ufige Mitteilung\u201c angeregt hat, kann man Blaseger\u00e4usche jeder beliebigen Helligkeit \u2014 und dies sind wohl die reinsten Ger\u00e4usche \u2014 durch Einstellung der Interferenzr\u00f6hren auf eine bestimmte Zone ausl\u00f6schen. Die Enden der R\u00f6hren bilden dabei eine schr\u00e4ge Linie. Wenn man sich gen\u00fcgende \u00dcbung erworben hat, kann man es einem solchen Ger\u00e4usch von vornherein anh\u00f6ren, welche Zone man ungef\u00e4hr einzustellen hat. Man hat dann also gelernt, die Helligkeitsgrade der Ger\u00e4usche bestimmten H\u00f6henregionen der T\u00f6ne zuzuordnen. Diese Tatsachen geben Anla\u00df zu physikalisch-physiologischen Folgerungen, die wir hier aber \u00fcbergehen wollen.\nHat\u00fcrlich gibt es auch Ger\u00e4uschkombinationen, bei denen die Teilger\u00e4usche durch leere Helligkeitsstrecken voneinander getrennt sind. Diese sind das Analogon der Kombinationen einfacher T\u00f6ne zu Kl\u00e4ngen. Auch der Begriff der Klangfarbe ist in dieser Weise auf","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"53\n[YI. Kongr. 341] \u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\nGer\u00e4usche \u00fcbertragbar. Da\u00df auch wirkliche T\u00f6ne einem Ger\u00e4usch beigemischt sein k\u00f6nnen und den gew\u00f6hnlichen Ger\u00e4uschen fast immer beigemischt sind, ist bekannt. Da\u00df aber alle Ger\u00e4usche Tonbeimischungen enthalten, w\u00fcrde ich heute nicht mehr festhalten.\nDagegen gibt es Ger\u00e4usche, solche mit einer engbegrenzten H\u00f6henzone, an denen man, ohne da\u00df sie wirkliche T\u00f6ne einschl\u00f6ssen, doch Tonqualit\u00e4ten mit ihrer periodischen Yer\u00e4nderlichkeit, mit deutlichen Oktaven und anderen Intervallen, beobachten kann. Dahin geh\u00f6rt u. a. jedes durch Hinstreichen eines Luftstroms \u00fcber einen Resonanzraum entstehende Ger\u00e4usch, speziell auch die El\u00fcstervokale. Das Anblasen der Resonanzk\u00e4sten einer c1- und einer c2-Gabel gibt Ger\u00e4usche, die zweifellos den \u00a9-Charakter haben und untereinander im Oktaven Verh\u00e4ltnis stehen. Ebenso stehen bestimmte El\u00fcstervokale in diesem Yerh\u00e4ltnis, z. B. ein bestimmtes 0 und \u00d6. Ger\u00e4usche k\u00f6nnen also sowohl das H\u00f6hen- wie das Qualit\u00e4tsattribut besitzen, ohne darum zu T\u00f6nen zu werden. Doch erreichen sie in beiden Beziehungen nicht denselben Grad der Abgegrenztheit, sondern erf\u00fcllen immer eine gewisse Strecke der Schwingungszahlenlinie, und damit wird auch ihr spezifischer Erscheinungscharakter Zusammenh\u00e4ngen.\nEine neue Ger\u00e4uschtheorie finden wir nun aber bei Jaensch in seiner Arbeit \u00fcber die Yokale. Diese sind ihm nicht, wie K\u00f6hler, die eigentlichen Qualit\u00e4ten der T\u00f6ne, sondern vielmehr die der Ger\u00e4usche. Wie c, d, e Qualit\u00e4ten der T\u00f6ne, so sind ihm O, U, I Qualit\u00e4ten von Ger\u00e4uschen. Er denkt dabei nicht etwa nur an die gefl\u00fcsterten, sondern in erster Linie an die laut gesprochenen Yokale. Bereits Hermann, an dessen Yokaltheorie Jaensch ankn\u00fcpft, sowie andere Forscher hatten eine ger\u00e4uschartige Hatur der Yokale behauptet. Doch hat keiner vor Jaensch die Yokale geradezu als \u201edie Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinnes\u201c in Anspruch genommen. Genetisch denkt er sie sich gegen\u00fcber den T\u00f6nen dadurch gegeben, da\u00df Sinusschwingungen von etwas verschiedener, aber um einen Mittelwert schwankender L\u00e4nge aufeinanderfolgen, w\u00e4hrend bei den T\u00f6nen eine konstante L\u00e4nge, bei den eigentlichen Ger\u00e4uschen st\u00e4rkere Yerschiedenheiten der aufeinanderfolgenden Schwingungen gegeben seien. Dadurch werde aber nur der Yokalcharakter im allgemeinen bestimmt, den speziellen Charakter als U, A usw. erhalten die Yokale dadurch, da\u00df die mittlere Wellenl\u00e4nge in der Gegend jener ausgezeichneten Punkte liegt, die K\u00f6hler daf\u00fcr angab.\nGegen diese Yokaltheorie, ebenso wie gegen die experimentelle","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\n0. Stumpf.\n[VI. Kongr. 342]\nBegr\u00fcndung h\u00e4tte ich starke Bedenken. Aber wir k\u00f6nnen auf die Vokallehre hier nur insoweit eingehen, als sie mit den Untersuchungen \u00fcber die Grundeigenschaften der Geh\u00f6rsempfindungen zusammenh\u00e4ngt. In dieser Beziehung scheint mir nun eine Unklarheit in Jaensch\u2019 Darstellung zu liegen. In der genetischen Erkl\u00e4rung stellt er, wie wir soeben h\u00f6rten, die Vokale nicht unter die Ger\u00e4usche, sondern in die Mitte zwischen T\u00f6nen und Ger\u00e4uschen. Aber dann k\u00f6nnen die Vokale doch nicht die eigentlichen Qualit\u00e4ten der Ger\u00e4usche sein, auch nicht rein deskriptiv. Denn wenn sie das w\u00e4ren, m\u00fc\u00dfte man erwarten, da\u00df der Vokalcharakter um so mehr hervortr\u00e4te, je mehr der Ton sich in ein Ger\u00e4usch verwandelt. Aber dann soll er ja gerade verschwinden. Ich mu\u00df darum diese Idee, die Vokale als die Qualit\u00e4ten der Ger\u00e4usche zu definieren, eine ungl\u00fcckliche, weil inkonsequente nennen.\nF\u00fcr Jaensch\u2019 Vokaltheorie w\u00e4re dies indessen von wenig Belang. Es w\u00e4re ein Sch\u00f6nheitsfehler, den er beseitigen k\u00f6nnte. Ich mu\u00dfte ihn nur erw\u00e4hnen, um zu erl\u00e4utern, weshalb ich in seinen Ausf\u00fchrungen keine prinzipiellen Feuerungen in bezug auf die Grundeigenschaften der Geh\u00f6rsempfindungen erblicken kann.\nV. Zum Schl\u00fcsse m\u00f6chte ich gewisse entwicklungsgeschichtliche Ideen ber\u00fchren, die sich an das Vorgetragene leicht anschlie\u00dfen und bei Verschiedenen aufgetaucht sind1). Wir haben Grund anzunehmen, da\u00df beim Gesichtssinn die farbigen Empfindungen ein sp\u00e4teres Stadium der generellen Entwicklung gegen\u00fcber den farblosen darstellen. Fach He\u00df\u2019 vielf\u00e4ltigen Untersuchungen scheinen sie erst bei den Wirbeltieren (au\u00dfer den Fischen) hinzuzukommen. In \u00e4hnlicher Weise kann man sich nun die Verh\u00e4ltnisse beim Geh\u00f6r denken, obgleich experimentelle Untersuchungen hier viel sp\u00e4rlicher vorliegen. Sinusschwingungen, \u00fcberhaupt genau periodische Erregungen, sind ja ein Ausnahmefall, auf den der Organismus urspr\u00fcnglich nicht eingerichtet zu sein brauchte. Er reagierte darauf, wenn sie vorkamen, vielleicht auch nur durch Ger\u00e4uschempfindungen. Aber bei den V\u00f6geln hat doch sicherlich eine solche Anpassung schon stattgefunden. Es w\u00e4re unnat\u00fcrlich, anzunehmen, da\u00df sie ihre hohen reinen T\u00f6ne nicht als T\u00f6ne, sondern als Ger\u00e4usche empf\u00e4nden. Es werden sich mindestens bei den Wirbeltieren schon Tonempfindungen in spezifi-\nb Vgl. besonders Jaensch\u2019 Abhandlung, S. 2601 Unabh\u00e4ngig davon ist auch K\u00f6hler zu verwandten Anschauungen gelangt.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"55\n[VI. Kong'r. 343] \u00dcber neuere Untersuchungen %ur Tonlehre.\nschein Sinne einstellen. Dann ist aber noch die Frage, ob diese T\u00f6ne auch schon Qualit\u00e4tsunterschiede oder ob sie vorerst nur H\u00f6hen-(Helligkeits-) Unterschiede oder gar auf einer noch fr\u00fcheren Stufe nur Quantit\u00e4tsunterschiede besitzen. Auch beim Menschen gibt es ja \u2014 wie wir vermuteten \u2014 in dieser Beziehung Atavismen, Individuen, denen die Qualit\u00e4tsunterschiede fast ganz abgehen.\nBei Hunden hat bekanntlich Kali sch er durch Dressur auf bestimmte Fre\u00dft\u00f6ne eine unerwartet feine Differenzierung der T\u00f6ne erzielt, und Pfungst hat nach prinzipiell gleichem Verfahren1) mit sorgf\u00e4ltigster Ausf\u00fchrung der Versuche sogar eine Schwelle bis zu sieben oder acht Schwingungen herab gefunden, jenseits deren nicht mehr auf den Fre\u00dfton reagiert wurde. Da keine Oktavenverwechslungen Vorkommen, d\u00fcrften die H\u00f6hen als solche (sei es bewu\u00dft oder nur physiologisch) ausschlaggebend sein. Es w\u00e4re m\u00f6glich, da\u00df die Empfindlichkeit f\u00fcr Helligkeitsabstufungen sich gerade da, wo Qualit\u00e4tsunterschiede noch fehlen, feiner entwickelt h\u00e4tte, und da\u00df sie bei uns zugunsten der qualitativen Unterscheidung zur\u00fcckgegangen w\u00e4re.\nVieles spricht daf\u00fcr, da\u00df diese Wandlungen in den Erscheinungen physiologisch zugleich mit einem Wandern des Sitzes der Empfindung verbunden sind; unter dem Sitze der Empfindung denjenigen Teil des Nervensystems verstanden, der auf irgend eine Weise unmittelbar mit der Empfindung verkn\u00fcpft ist. Es blickt in den Abhandlungen der J\u00fcngeren \u00fcberall die Idee hindurch, da\u00df die Qualit\u00e4ten der Tonempfindung erst zentral hinzukommen, w\u00e4hrend in der Schnecke zun\u00e4chst nur die H\u00f6hen vorgebildet seien2). Solche Vorstellungen scheinen mir sehr wohl in Betracht zu kommen.\nNoch sp\u00e4ter als die Qualit\u00e4tsunterschiede sind dann jene mehr oder wenigen festen Einteilungen in der an sich stetigen Qualit\u00e4tslinie entstanden, die uns als Intervalle in der Geschichte der Musik\nq Ich sage \u201eprinzipiell\u201c, weil ich mit Pfungst das Verfahren Kalischers im einzelnen nicht f\u00fcr gen\u00fcgend einwandfrei halte. Wenn er z. B. selbst die Unterscheidung von Dur- und Molldreikl\u00e4ngen unabh\u00e4ngig von der absoluten Tonh\u00f6he Hunden andressiert haben will (Arch. f. Anat. u. Physiol., Phys. Abt., 1909, 8. 311), so erweckt dies doch starke Bedenken.\n2) Nach K\u00f6hler (V. Kongre\u00df, Bericht S. 153) w\u00e4re es scheinbar umgekehrt: er verlegt gerade die H\u00f6hen ins Zentrum. Aber er versteht eben in diesem Vortrag unter Tonh\u00f6hen offenbar unsere Qualit\u00e4ten (die er nur seltsamerweise \u00fcber eine Oktave hinausreichen l\u00e4\u00dft), w\u00e4hrend er unter Tonfarbe Vokalit\u00e4t und Helligkeit zusammenfa\u00dft. In der Sache ist also seine Meinung doch die n\u00e4mliche, wie die oben ausgedr\u00fcckte.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56 O. Stumpf. \u00dcber neuere Untersuchungen zur Tonlchre. [VI. Kongr. 344]\nentgegentreten, und deren heutige Fixierung durchaus auf dem Konsonanzprinzip beruht. In Verbindung damit wurden dann auch bestimmte Punkte der Qualit\u00e4tsreihe ausgezeichnet, die wir die historischen Qualit\u00e4ten genannt haben. Zugleich bildeten sich Gef\u00fchlsempfindungen aus, deren Wandlungen innerhalb sehr kurzer Zeitr\u00e4ume durch die Musikgeschichte bezeugt sind. Diese Neu- und Umbildungen haben sicher einen tiefzentralen Sitz, wie \u00fcberhaupt mit dem Zur\u00fcckwandern von der Peripherie zum Zentrum immer gr\u00f6\u00dfere Labilit\u00e4t der psychischen Erscheinungen verbunden ist.\nMit diesen zwar noch stark hypothetischen, aber durch weite Perspektiven immerhin lohnenden Ausblicken m\u00f6gen wir schlie\u00dfen.","page":56}],"identifier":"lit38504","issued":"1915","language":"de","pages":"17-56","startpages":"17","title":"\u00dcber neuere Untersuchungen zur Tonlehre","type":"Journal Article","volume":"8"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:19:35.419837+00:00"}