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{"created":"2022-01-31T15:30:45.624389+00:00","id":"lit38508","links":{},"metadata":{"alternative":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft","contributors":[{"name":"Stumpf, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft 9: 17-37","fulltext":[{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 330]\n17\nBinaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle und Mitteltonbildung.\nVon\nC. Stumpe.\n\u00a71. Uber die sogenannte binaurale Ton-mischung.\n1. Bisher hielt man allgemein daf\u00fcr, dafs beim Tonsinne nicht, wie beim Farbensinne, gleichzeitige Eindr\u00fccke sich zu einem mittleren mischen k\u00f6nnen. In der Tat geben so verschiedene T\u00f6ne wie c und g zusammen nach unseren bisherigen Erfahrungen in keinem Fall und unter keiner Bedingung e \u25a0oder sonst einen mittleren Ton. v. Liebermann und R\u00e9v\u00e9sz behaupten nun aber, dafs unter bestimmten Umst\u00e4nden eine der Farbenmischung analoge Tonmischung stattfinde. Sie erachteten diese Tatsache wichtig genug, um in einer vorl\u00e4ufigen Mitteilung der G\u00f6ttinger Akademie davon Kunde zu geben.1 Die Richtigkeit vorausgesetzt kann man dies auch nur angemessen finden. Aber leider spricht alles daf\u00fcr, dafs ihre, inzwischen ausf\u00fchrlicher ver\u00f6ffentlichten Beobachtungen2 ganz anders gedeutet werden m\u00fcssen, und dafs sie \u00fcberdies Ruch nicht so neu sind, wie sie damals den Verfassern erschienen.\n1\t\u00dcber binaurale Tonmischung. Nachrichten der G\u00f6ttinger Gesellschaft der Wissenschaften, Mathematisch-Physikalische Kl. 1912. R\u00e9v\u00e9sz kommt in seiner \u201eGrundlegung der Tonpsychologie\u201c 1913, S. 63, sowie in dem Kongrefsvortrag \u201eNeue Versuche \u00fcber binaurale Tonmischung\u201c (Bericht \u00fcber den 6. Kongrefs f\u00fcr experimentelle Psychologie zu G\u00f6ttingen 1914, S. 90 ff.) darauf zur\u00fcck.\n2\tDie binaurale Tonmischung. Zeitschr. f. Psychol. 69, 1914, S. 234 ff.\nStumpf, Beitr\u00e4ge 9.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nC. Stumpf.\n[75, 331]\nBereits vor dem Erscheinen der ausf\u00fchrlichen Mitteilung, von der mir schon Ende 1912 ein Korrekturabzug durch Herrn Dr. R\u00e9v\u00e9sz freundlichst \u00fcbersandt worden war, habe ich in privater Verhandlung mit diesem, dann auch in einer Anmerkung zu meinem G\u00f6ttinger Kongrefsvortrag1 entschiedene Bedenken gegen diese Aufstellungen gerichtet. Ebenso hat Dr. Bale y in einer aus diesem Anlafs unternommenen Untersuchung der normalen dichotischen Unterschiedsschwelle keinen Grund gefunden, die Beobachtungen v. Liebermanns wesent lieh anders denn als Schwellentatsachen zu deuten.2 Die nunmehr ver\u00f6ffentlichte Mitteilung n\u00f6tigt mich, bei der prinzipiellen Bedeutung, die der Sache von den beiden Autoren zugeschrieben wird, jetzt auch entsprechend ausf\u00fchrlicher darauf einzugehen.\nDie beiden Forscher gehen aus von der Unterscheidung zwischen H\u00f6he und Qualit\u00e4t der T\u00f6ne. Das was sich mit den Schwingungszahlen parallel ver\u00e4ndert, ist die H\u00f6he, das was mit Verdoppelung der Schwingungszahl periodisch wiederkehrt, ist die Qualit\u00e4t des Tones. So ist \u00a9 dieselbe Qualit\u00e4t, mag es sich um c1 oder um cs handeln.\nZwei gleichzeitige Qualit\u00e4ten, wie c und g, w\u00fcrden sich nun nach den Verfassern tats\u00e4chlich zu einer einheitlichen mittleren Qualit\u00e4t mischen, wenn sie uns einmal in gleicher H\u00f6he gegeben w\u00e4ren. Ein solcher Fall soll pathologisch bei Herrn v. Liebermann eingetreten sein, dessen Ohren Verstimmungen und zwar in ungleichem Betrage aufweisen. Ein und derselbe objektive Ton erscheint ihm nach den Verfassern beiderseitig zwar in gleicher H\u00f6he, aber nicht in gleicher Qualit\u00e4t. Gebraucht nun v. L. beide Ohren zugleich, so h\u00f6rt er nach den Verf. doch nicht diese beiden verschiedenen Qualit\u00e4ten sondern nur eine, und zwar eine dazwischenliegende. Bei gleicher St\u00e4rke rechts und links liegt der Zwischenton genau in der Mitte, bei ungleicher St\u00e4rke liegt er in der Tonreihe dem st\u00e4rkeren n\u00e4her.\nHierin soll nun eine Analogie zur binokularen Farbenmischung liegen, bei welcher gleichfalls Farben, die auf \u201eiden-\n1\tBericht \u00fcber d. 6. Kongrefs f. exp. Psychologie 1914, S. 326.\n2\tBaley, Versuche \u00fcber den dichotischen Zusammenklang wenig verschiedener T\u00f6ne. Diese Beitr\u00e4ge 8, S. 57 ff., 60, 61 ff.","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"[75,332] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 19\ntischen Punkten\u201c beider Netzh\u00e4ute dargeboten werden, zu einem Mischeindruck verschmelzen. Monotische Tonmischung, die der monokularen Farbenmischung analog w\u00e4re, gibt es nach den Verf. nur darum nicht, weil wir \u2014 bisher wenigstens \u2014 nicht innerhalb eines Ohres die Bedingungen daf\u00fcr her-stellen k\u00f6nnen, dafs T\u00f6ne verschiedener Qualit\u00e4t auf einund-derselben H\u00f6he geh\u00f6rt werden.\nDie beiden Autoren f\u00fcgen hinzu \u2014 und R\u00e9v\u00e9sz f\u00fchrte dies sp\u00e4ter (\u201eNeue Versuche usw.\u201c) n\u00e4her aus \u2014, dafs die binaurale Tonmischung nicht etwa blofs an pathologische Zust\u00e4nde gekn\u00fcpft sei, sondern auch bei normalh\u00f6renden Menschen vorkomme: wenn n\u00e4mlich die Ohren eine merkliche Verschiedenheit der Stimmung zeigen, wie dies aufserordentlich h\u00e4ufig der Fall sei.1 Also w\u00fcrde es sich sogar um ein best\u00e4ndig vorkommendes normales Ph\u00e4nomen handeln, was das Gewicht der Sache wesentlich erh\u00f6ht.\n2. Nun ist freilich die binokulare Farbenmischung selbst, zu der hier eine Analogie im Tongebiete gesucht wird, eine Angelegenheit, \u00fcber die hervorragende Beobachter sich nicht einstimmig ausdr\u00fccken. R\u00e9v\u00e9sz scheint ihr Vorkommen und ihre Gezetze als v\u00f6llig ausgemacht anzusehen. Helmholtz hat aber ihr Vorkommen bezweifelt und f\u00fcr seine Augen sogar entschieden bestritten. Heking und Ebbinghaus, die sich besonders eingehend damit besch\u00e4ftigt haben, geben ihr Vorkommen zu, aber nur unter erheblichen Einschr\u00e4nkungen und Modifikationen gegen\u00fcber der leicht zu beobachtenden monokularen Mischung.2 Geringe S\u00e4ttigung und geringe Helligkeit\n1\tLetzteres ist nicht zu bestreiten. Wenn aber K\u00e9v\u00e9sz sagt, dafs \u201edie Mehrzahl der mit normalem Geh\u00f6r ausgestatteten Menschen in der Gegend des h2 Ohrendifferenzen, oft sogar bis zu einem Halbton, haben\u201c (Neue Versuche S. 91), so d\u00fcrfte der Beweis f\u00fcr diese Formulierung doch nicht ganz leicht sein. Mathematisch gesprochen wird nat\u00fcrlich ein Unterschied so gut wie immer da sein, die Frage ist nur, ob er die Merklichkeitsschwelle \u00fcberschreitet. R\u00e9v\u00e9sz gibt nicht an, wie er die Differenz gemessen hat. Ich habe daf\u00fcr Tonps. II, 320 eine gewisse Methode angegeben und danach auch sp\u00e4ter eine Anzahl Beobachtungen an anderen Personen \u00fcber das ganze Tongebiet hin gemacht, m\u00f6chte aber danach eine solche Behauptung doch nicht unterschreiben.\n2\tHering in Hermanns Handbuch d. Physiologie 4. Teil, S. 591 ff. \u2014 Ebbinghaus in Pfl\u00fcgers Archiv f. d. ges. Physiologie 46, S. 503 ff.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nC. Stumpf.\n[75, 333]\nder beiden Farben seien vorteilhaft. Die Analogie hierzu wird man auf dem Tongebiet vergeblich suchen. Besonders aber heben Hering und Ebbinghaus hervor, dafs man \u00fcberhaupt nur selten und schwer eine dauernde binokulare Mischfarbe erhalte. Fast immer, nach Ebbinghaus geradezu immer, handle es sich um einen Wettstreit zwischen Mischfarben, die bald der einen bald der anderen Komponente n\u00e4her stehen. Von solchem Wettstreit ist aber in den Beobachtungen von R\u00e9v\u00e9sz und v. Liebermann nicht das Geringste erw\u00e4hnt. Eine gleichweit von beiden Komponenten abstehende mittlere Mischfarbe endlich hat Ebbinghaus niemals erhalten, aufser wenn Erm\u00fcdungserscheinungen hinzutraten.\nWo bleibt bei alledem die Analogie? Es ergibt sich das Seltsame, dafs, w\u00e4hrend man die Mischung beim Geh\u00f6rssinne nach festem einfachem Gesetz hergestellt glaubt, der Gesichtssinn selbst wieder ausweicht.\nDie einzige Analogie l\u00e4ge vielleicht darin, dafs bei ungleicher Helligkeit der beiden Farben die Mischfarbe der helleren n\u00e4her liegt, ebenso wie bei ungleicher St\u00e4rke der binaural geh\u00f6rten T\u00f6ne der Mischton dem st\u00e4rkeren n\u00e4her liegt. Aber leider ist es unklar, auf welche Weise und mit welcher Genauigkeit sich die beiden Forscher des St\u00e4rkeverh\u00e4ltnisses der T\u00f6ne, namentlich des Punktes der St\u00e4rkegleichheit vergewissert haben. Ungleichheit der Qualit\u00e4t erschwert bekanntlich die St\u00e4rkevergleichung. Sind nun auch die eigentlichen \u201emusikalischen Qualit\u00e4ten\u201c hier nur wenig verschieden, so pflegt doch bei pathologischen Verstimmungen der ganze Toncharakter eigent\u00fcmlich alteriert zu sein. Mit grofser Regel-m\u00e4fsigkeit erf\u00e4hrt man von den Patienten mit solchen Verstimmungen \u2014 ich selbst war einmal in dieser Lage \u2014, dafs der pathologische Ton selbst etwas Kr\u00e4nkliches, D\u00fcrftiges an sich hat, das sich schwer definieren l\u00e4fst. Der Nachweis einer so genauen gesetzlichen Abh\u00e4ngigkeit des Mischtones von den St\u00e4rkeverh\u00e4ltnissen der beiderseitigen T\u00f6ne erscheint mir daher nicht leicht erbringbar.\nAuch gegen manche Einzelheiten der Versuche, wie sie in den Tabellen und Beschreibungen hervortreten, h\u00e4tte ich Bedenken, will sie aber hier nicht weiter verfolgen. Vgl. u. a. die Bemerkungen im G\u00f6ttinger Kongrefsbericht S. 315 f. Dafs die Feststellung der Sch win-","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 334] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 21\ngungszahlen mit Hilfe des STERNSchen Tonvariators keine vollkommene Methode ist, haben die Verfasser selbst hervorgehoben.\nJedenfalls aber ist die Analogie mit der binokularen Farbenmischung, wenn man die hier\u00fcber bekannten Tatsachen genauer ins Auge fafst, eine recht entfernte und die Subsumtion der Erscheinungen unter einunddenselben Begriff bedenklich. Diese Bedenken vermehren sich nun weiter noch in hohem Mafse durch das Folgende:\n3. In der akademischen Mitteilung ist nichts dar\u00fcber gesagt, wie grofs maximal die Verschiedenheiten der Tonqualit\u00e4ten sein k\u00f6nnen, die sich zu einer mittleren mischen; z. B. ob etwa wirklich auf diesem Wege c und g sich zu e oder es gemischt haben. Da die Analogie zur Farbenmischung betont wird, m\u00fcfste man in der Tat derartiges erwarten.\nAber schon in R\u00e9v\u00e9sz\u2019 \u201eGrundlegung\u201c erfahren wir, wenn auch nur anmerkungsweise, die wichtige Tatsache, dafs der Unterschied der T\u00f6ne, die sich mischten, niemals \u00fcber ein Halbtonintervall hinausging. Selbst die Mischung von f und g, die im Text zur Erl\u00e4uterung benutzt wird, wird ausdr\u00fccklich nur als eine Fiktion bezeichnet. Dies finden wir nun durch die ausf\u00fchrlichen Tabellen der letzten Abhandlung best\u00e4tigt. Die gr\u00f6fste \u00fcberhaupt in diesen Tabellen vorkommende Differenz der beiden Ohren entspricht 30 Schwingungen (in den ersten Versuchen der Tab. 91). Der Mittelwert der Tab. 9 und 10, die nach den Verfassern als die einwandfreiesten anzu-\n1 Die Verfasser befolgten in diesen Tabellen, wo Differenzen in Schwingungszahlbetr\u00e4gen angegeben sind, das Verfahren, den Patienten die Unterquinte des geh\u00f6rten pathologischen Tones (des \u201ePseudotones\u201c), die im normalen H\u00f6rgebiete lag, aufsuchen zu lassen. Die in den Tabellen angegebenen Differenzen sind Differenzen der Unterquinten f\u00fcr die T\u00f6ne beider Ohren, und m\u00fcssen daher mit 3/2 multipliziert werden.\nAufserdem kommt aber in Betracht \u2014 und das macht die ganze Rechnung leider einigermafsen ungenau \u2014, dafs die Verf. in den Tabellen gar nicht Schwingungszahlen angeben, sondern Skalenteile des benutzten STERNSchen Tonvariators, da ihnen ein Tonmesser nicht zur Verf\u00fcgung stand. Sie haben jedoch, ausgehend von der ad-Gabel, die sie stufenweise mit Hilfe von Schwebungen um je 2 Schwingungen erh\u00f6hten, die diesen Erh\u00f6hungen entsprechenden Stellungen auf der STERNSchen Skala festgestellt und eine Hilfstabelle gegeben (S. 241), nach welcher im grofsen","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nC. Stumpf.\n[75, 335]\nsehen sind, ist 20,4 Schwingungen. In anderen Tabellen liegt der Wert noch erheblich tiefer. Nun sind aber 20,4 Schwingungen in dieser Tonregion (die vorgelegten T\u00f6ne lagen zwischen 683 und 855 Schw.) ein Yiertelton. Das nur in ganz wenigen F\u00e4llen yorkommende Maximum von 30 entspricht einem knappen Halbton, w\u00e4hrend wieder die Differenzen in anderen Tabellen noch unter einem Viertelton liegen. Dies sind also die F\u00e4lle in denen eine \u201eMischung\u201c beobachtet wurde.\nNun kamen aber doch im Laufe der Jahre bei v. Liebermann nach den anderw\u00e4rts mitgeteilten Tabellen, wenn wir einmal die Angaben als ganz zuverl\u00e4ssig ansehen, bedeutend gr\u00f6fsere Differenzen der beiden Ohren vor ; z. B. soll der Klavierton c3 einmal rechts als g2, links als d2\u2014dis2, der Ton dis3 rechts als fis2\u2014gis3, links als dis3, der Ton a3 rechts als a3, links als dis3 geh\u00f6rt worden sein, usf.1 Wie schade, dafs bei dem vielfachen Wechsel der Pseudot\u00f6ne, wie er nach den Angaben R\u00e9v\u00e9sz\u2019 stattfand, nicht solche F\u00e4lle sofort benutzt wurden, um die Mischungsergebnisse daran zu studieren ! Wenn der Patient in einem solchen Falle, wo es sich um Differenzen bis zu einer Quinte handelte, einen Mischton geh\u00f6rt h\u00e4tte, oder wenn gar zwei T\u00f6ne wie ges2 und d3 sich gegenseitig aufgehoben und nur ein Ger\u00e4usch hinterlassen h\u00e4tten, so wie zwei Gegenfarben sich zu Weifs mischen (die Tonqualit\u00e4ten bilden ja nach R\u00e9v\u00e9sz einen Kreis, worin also die an den Enden eines Durchmessers liegenden T\u00f6ne recht\nund ganzen die Differenzen der Skalenteile in solche der Schwingungszahlen umgerechnet werden k\u00f6nnen.\nImmerhin bleibt das ganze Messungsverfahren von Vollkommenheit weit entfernt. Daher d\u00fcrfen auch unsere obigen aus den Tabellen berechneten Werte keinen Anspruch auf genaue Wiedergabe des Tatbestandes in den Ohren des Patienten machen.\n1 v. Liebermann und R\u00e9v\u00e9sz, Experimentelle Beitr\u00e4ge zur Ortho-symphonie. Zeitschr. f. Psychol. 63, S. 308. Allerdings wurde das rechte Ohr am 19., das linke am 20. April untersucht. Warum wurde bei einer so bedeutenden Differenz nicht am 20. das rechte noch einmal verglichen ? Warum fehlen \u00fcberhaupt Angaben \u00fcber die Differenz beider Ohren am gleichenTagein dieser ganzen Abhandlung ? \u2014 In der ersten V er\u00f6ffent-lichung \u00fcber Orthosymphonie bei v. Liebermann (Zeitschr. f. Psychol. 48, S. 259 ff.) wurden die Wahrnehmungen beider Ohren \u00fcberhaupt nicht getrennt beschrieben. Hat man es etwa dort nach den Verfassern nur mit Mischt\u00f6nen zu tun ?","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 336] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 23\nwohl Gegent\u00f6ne sein k\u00f6nnten) \u2014 : wenn solches eintr\u00e4te, dann freilich m\u00fcfsten wir die Segel streichen und das Vorkommen -einer echten binauralen Mischung in Analogie zur Farbenmischung anerkennen.\nAber nichts davon ist bekannt. Nirgends handelt es sich um Unterschiede, die \u00fcber eine halbe Tonstufe hinausgingen.\nHier liegt das entscheidendste Manco, wodurch allein schon die angebliche Analogie dahinf\u00e4llt. Wenn daher in der ersten, der G\u00f6ttinger Akademie eingereichten Mitteilung ganz uneingeschr\u00e4nkt und in gesperrtem Druck die These hingestellt wird: \u201eEs gibt eine Tonmischung, die der Farbenmischung entspricht\u201c, so hat die sp\u00e4tere ausf\u00fchrliche Darstellung den Beweis dieser These nicht erbracht.\n4. Wir m\u00fcssen aber die Analogisierung noch in einer anderen Beziehung beanstanden. Die Bedingung der Tonmischung soll Gleichheit der Tonh\u00f6hen sein, wie die der Farbenmischung gleiche Lokalisation. Tonh\u00f6he w\u00e4re also hiernach das Analogon des Ortes eines Farbeneindrucks im Sehraum.\nZun\u00e4chst l\u00e4ge es nun, wenn man schon die Unterscheidung von H\u00f6he und Qualit\u00e4t bei den T\u00f6nen macht, zweifellos n\u00e4her, als Analogon der H\u00f6he bei den Farben die Helligkeit anzusehen, wie dies bekanntlich Brentano getan hat, und wie es die vielfach vorkommende sprachliche Bezeichnung tiefer T\u00f6ne als dunkler, hoher als heller nahelegt.1 Indessen tr\u00e4gt R\u00e9v\u00e9sz Bedenken, den Ausdruck und Begriff \u201eHelligkeit\u201c auf die Tonh\u00f6hen anzuwenden.2 Und es ist auch sofort klar, das dann seine Forderung nicht stimmen w\u00fcrde, da bei den Farben gleiche Helligkeit f\u00fcr die binokulare Mischung, wenn auch g\u00fcnstig, doch keineswegs unbedingt erforderlich ist.\nAls Analogon f\u00fcr die r\u00e4umlichen Eigenschaften der Farbenerscheinungen wird man dagegen eben die r \u00e4 u m 1 i c h e n\n1\tNoch, k\u00fcrzlich erz\u00e4hlte mir Dr. 0. Abeaham, dafs sein 1% j\u00e4hriges S\u00f6hnchen ganz spontan, als er in der tiefen Region des Klaviers spielte, hat: \u201enicht so dunkel!\u201c\n2\tGrundlegung S. 17,19. In einer Anmerkung S.90 vermutet er, dafs die Helligkeitsunterschiede der T\u00f6ne auf der (K\u00d6HLEEschen) Vokalit\u00e4t beruhen, womit er dann freilich, da er die Vokalit\u00e4ten anerkennt, auch die Helligkeitsreihe zugibt.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nC. Stumpf\\\n[75, 337)\nEigenschaften der Tonempfind\u00fcngen anzusehen haben, die in neuerer Zeit immer allgemeiner anerkannt werden. Die identische Lokalisation von Gesichtseindr\u00fccken beider Augen wird man zu vergleichen haben mit der identischen Lokalisation von Geh\u00f6rseindr\u00fccken beider Ohren, soweit sich eben Gleichheiten und Unterschiede in beiden F\u00e4llen finden.\nDie Parallele erscheint also zun\u00e4chst recht k\u00fcnstlich, um nicht zu sagen verkehrt. Indessen, versuchen wir in R\u00e9v\u00e9sz* eigene Vorstellungsweise n\u00e4her einzudringen. Die binokulare Farbenmischung, meint er, sei nur dann und insoweit m\u00f6glich, wenn und soweit die Eindr\u00fccke auf korrespondierende Punkte beider Netzh\u00e4ute fallen und dann vermutlich in der Sehsph\u00e4re des Gehirns an einem identischen Orte Zusammentreffen. So werde es also auch bei den T\u00f6nen sein : die T\u00f6ne gleicher H\u00f6he werden durch Reizung korrespondierender Punkte in den beiden Schnecken verursacht, und dann vermutlich zu einer gemeinsamen Stelle des H\u00f6rzentrums geleitet.1\nEs scheint den Verfassern, obgleich v. Liebebmaxn Physiologe von Fach ist, nicht bewufst geworden zu sein, welch\u2019 k\u00fchne Hypothesen sie da auf bauen, um die vermeintliche neue Tatsache zu erkl\u00e4ren, und wie sehr sie dadurch ihre Auffassung sch\u00e4digen statt sie zu festigen. Kann man sich beim Gesichtssinn ein Zusammentreffen in identischen Punkten der Sehsph\u00e4re noch einigermafsen vorstellen, so ist dies beim Geh\u00f6rssinn doch \u00e4ufserst schwierig. Wir wissen durch die Exstirpationsversuche, dafs die Sehsph\u00e4ren der rechten und linken Gehirnhemisph\u00e4re dicht beisammen liegen und dafs die linken Netzhauth\u00e4lften beider Augen links, die rechten rechts in der gesamten Sehsph\u00e4re vertreten sind. Wir haben hier aufserdem die hemianopischen Sehst\u00f6rungen zur weiteren Be-\n1 Akademische Mitteilung S. 4f. : \u201eVermutlich treffen die Erregungen von korrespondierenden Stellen (beider H\u00f6rorgane) an einer gemeinsamen Stelle des Gehirns zusammen, \u00e4hnlich wie es die anatomische Hypothese f\u00fcr die Netzhautkorrespondenz annimmt.\u201c Zeitschr. f. Psyche 69, S. 252: \u201eWie nun korrespondierende Punkte der beiden Netzh\u00e4ute solche sind, von denen Optikusfasern zu einer Hirnh\u00e4lfte laufen, vielleicht zu derselben Stelle, so wollen wir annehmen, dafs es auch in den beiden Schnecken Punkte gebe, von denen die Akustikusfasern zu einer einzigen Stelle des Gehirns ziehen.\u201c Vgl. auch S. 255.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 338] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 25\nst\u00e4tigung. F\u00fcrs Geh\u00f6r liegen analoge Tatsachen meines Wissens nicht vor. Die beiden H\u00f6rsph\u00e4ren liegen in entgegengesetzten Teilen des Gehirns, im rechten und linken Schl\u00e4fenlappen, und ihre Beziehung zu den beiden Schnecken ist die einer vollst\u00e4ndigen oder wenigstens vorwiegenden Kreuzung; d. h. die Erregungen der rechten Schnecke gehen ausschliefslich oder vorwiegend zum linken Schl\u00e4fenlappen und umgekehrt. Der linke Schl\u00e4fenlappen scheint dabei aber im allgemeinen wichtiger als der rechte, w\u00e4hrend man dies vom rechten Ohr gegen\u00fcber dem linken nicht behaupten kann. Das scheint ziemlich alles zu sein, was in dieser Hinsicht feststeht1, und es enth\u00e4lt, wie wir soeben sahen, an sich schon gewisse noch nicht aufl\u00f6sbare Paradoxien. Wie soll man sich nun gar aus diesen Anhaltspunkten ein Bild davon machen, wie die Erregungen \u201ekorrespondierender\u201c Fasern beider Schnecken an einem identischen Punkt im Gehirn zusammenlaufen? Jedenfalls kommen die anatomischen Tatsachen einem solchen Postulat bisher keineswegs entgegen.\nSo endigt die vermeintliche Parallele auch in dieser Beziehung eher in einem Gegensatz.\nUm nun aber von den Hypothesen zu den Erscheinungen zur\u00fcckzukehren : woher weifs denn R\u00e9v\u00e9sz \u00fcberhaupt, dafs der den beiden Ohren zugef\u00fchrte objektive Ton, der im einen Ohr z. B. als \u00a9-Qualit\u00e4t, im anderen als \u00a9i\u00a7-Qualit\u00e4t vernommen wurde, wirklich in derselben H\u00f6he erschien? Sollten sich bei verschiedener Stimmung der beiden Ohren nur die Qualit\u00e4ten, nicht aber zugleich, wenn auch vielleicht in geringerem Mafse, die H\u00f6hen (bzw. Helligkeiten) ver\u00e4ndern? Davon, dafs der Beobachter, v. Liebermann, direkt ein Gleichbleiben der H\u00f6hen wahrgenommen und angegeben h\u00e4tte, lesen wir nichts. Im Kongrefsbericht gesteht R\u00e9v\u00e9sz selbst zu, dafs die H\u00f6hengleichheit \u201enicht mit aller Strenge nachgewiesen sei, sondern nur durch manche Beobachtungen und \u00dcberlegungen gest\u00fctzt werden konnte\u201c, \u2014 ohne indessen solche Beobachtungen und \u00dcberlegungen namhaft zu machen. Damit wird aber die ganze Grundlage seiner theoretischen Konstruktion wankend.\n1 S. Nagels Handb. d. Physiol. IV, 1, S. 84f., 105f.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nC. Stumpf.\n[75, 339j\nAuch mit der Behauptung einer Summierung der Intensit\u00e4ten der beiderseitigen Geh\u00f6rseindr\u00fccke, die K\u00e9v\u00e9sz wiederholt als St\u00fctze seiner Mischungslehre anf\u00fchrt (Akad. Mitteil. S. 5, Neue Versuche S. 92), hat er sich\u2019s etwas leicht gemacht. Er meint, sie stehe im besten Einkl\u00e4nge \u201emit dem was wir \u00fcber die Summation der Intensit\u00e4ten von Tonempfindungen wissen\u201c. Was wissen wir denn hier\u00fcber? Doch wohl noch sehr wenig Genaues. Was speziell den Unterschied des doppelohrigen H\u00f6rens vom einohrigen betrifft, so m\u00f6chte ich ihn mehr auf eine Art Verbreiterung als auf eine Verst\u00e4rkung des Tones deuten.1\nWir wollen aber einmal annehmen, es best\u00e4nde wirklich eine Summierung der Intensit\u00e4ten beim doppelohrigen H\u00f6ren gleich hoher T\u00f6ne: dann ist wieder sehr die Frage, ob damit eine Analogie zum doppel\u00e4ugigen Sehen gegeben w\u00e4re. Fechner, Helmholtz, Hering lehren, dafs man im allgemeinen die Dinge mit beiden Augen nicht heller sieht als mit einem (Hermanns Handb. a. a. O. S. 597). Danach w\u00fcrde also eine Analogie zwischen Gesicht und Geh\u00f6r vielmehr gerade dann herauskommen, wenn beim einen wie beim anderen keine Verst\u00e4rkung stattf\u00e4nde. Da nun aber weiterhin Piper in dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen dem Sehen mit Dunkel- und mit Helladaptltion gefunden hat, indem nach seinen Versuchen im ersten Fall eine Erhellung f\u00fcr das Doppelauge stattfindet, im zweiten aber nicht (diese Zeitschr. 32, S. 161 ff.), so hat R\u00e9v\u00e9sz noch die Wahl, welchen Pall er aufs Ohr \u00fcbertragen will, die Hell- oder Dunkeladaptation. Ein entsprechender Unterschied mufs da freilich erst gefunden werden; bisher ist von einem Gegenst\u00fcck der Hell- und Dunkeladaption beim Ohr, auch von St\u00e4bchen und Zapfen in der Schnecke nichts bekannt geworden.\nMan sieht, wohin solche Analogisierungen um jeden Preis f\u00fchren. Ihren Wert als Leitfaden zu neuen Untersuchungen will ich durchaus nicht in Abrede stellen. Aber ehe man eine Gesetzlichkeit als gemeinsam oder gleichartig f\u00fcr beide Sinnes-\n1 Tonpsychol.'II, 430ff., 538. Ebenso v. Hornbostel bei Baley, Versuche \u00fcber den dichotischen Zusammenklang wenig verschiedener T\u00f6ne. Diese Beitr. 8, S. 76.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 340] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 27\ngebiete anspricht, m\u00fcssen die Tatsachen doch viel genauer gepr\u00fcft und verglichen werden, als es von seiten der beiden Forscher geschehen ist.\nPunkt f\u00fcr Punkt ist uns die Gleichsetzung der beobachteten Geh\u00f6rserscheinungen mit denen der binokularen Farbenmischung oder gar der Farbenmischung \u00fcberhaupt dahingeschwunden. Was von der ganzen Analogie \u00fcbrig bleibt, ist eine andere Art von Tatsachen, und diese sind l\u00e4ngst bekannt. Es sind die Tatsachen der Unterschiedsschwelle gleichzeitiger T\u00f6ne und der Mittel- oder Zwischentonbildung bei wenig verschiedenen T\u00f6nen. An diese Tatsachen scheint R\u00e9v\u00e9sz zuerst nicht gedacht zu haben, wenigstens tut er in der akademischen Mitteilung ihrer keine Erw\u00e4hnung. In der \u201eGrundlegung\u201c (S. 65) und in der ausf\u00fchrlichen Abhandlung \u00fcber die binaurale Tonmischung (S. 234, 251) ist er bem\u00fcht, \u2014 wie ich vermute, aus Anlafs einer inzwischen unter uns stattgehabten m\u00fcndlichen Besprechung \u2014, Unterschiede der von ihm beobachteten und der fr\u00fcher schon bekannten Erscheinungen aufzufinden. Aber diese letzteren zerfallen wieder in mehrere Klassen, und es ist nicht schwer, die sog. binaurale Tonmischung in diese Klassifikation einzuordnen. Wir versuchen im folgenden, um auch zugleich einen gewissen positiven Ertrag aus diesen Betrachtungen zu ziehen, eine solche \u00dcbersicht und Einordnung.\n\u00a7 2. Unterscheidungs-(Mehrheits-)Schwelle bei gleichzeitigen T\u00f6nen.\nEs handelt sich hier nicht darum, neue Tatsachen zur Kenntnis zu bringen, sondern nur darum, bereits bekannte in einer geeigneten, in den Erscheinungen selbst begr\u00fcndeten Weise zusammenzuordnen.\n1. Zun\u00e4chst ein Vorschlag zur Einteilung und Benennung der verschiedenen F\u00e4lle m\u00f6glicher Verteilung von Schalleindr\u00fccken auf beide Ohren.\nUnaural1 (monotisch, einohrig) nennen wir das H\u00f6ren, wenn der Schall nur von einem Ohre vernommen wird.\n1 Entsprechend dem HERiNGschen \u201eunokular\u201c (Hermanns Handbuch a. a. O. S. 596 ff. Grundz\u00fcge d. Lehre vom Lichtsinn. S. 213).","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nC. Stumpf.\n[75, 341]\nBinaural (diotisch, doppelohrig) nennen wir es, wenn der Schall von beiden Ohren in gleicher H\u00f6he und Qualit\u00e4t (nur etwa der St\u00e4rke nach verschieden) vernommen wird.\nEndlich dichotisch (getrennt-ohrig) werde es genannt, wenn ein Schall von beiden Ohren in ungleicher H\u00f6he oder Qualit\u00e4t vernommen wird. Unter H\u00f6he verstehen wir die mit den Schwingungszahlen zunehmende Helligkeit, unter Qualit\u00e4t die mit verdoppelter Schwinguugszahl identisch wiederkehrende Eigenschaft, die zu identischer Buchstabenbezeichnung in der Musik gef\u00fchrt hat; daher auch pr\u00e4gnanter als \u201emusikalische Qualit\u00e4t\u201c bezeichnet.\nEs sei ausdr\u00fccklich bemerkt, dafs die Unterscheidung des diotischen und dichotischen H\u00f6rens hier nicht begr\u00fcndet wird auf Unterschiede in der Verteilung der \u00e4ufseren Schallreize, sondern auf die Beschaffenheit der Schallempfindungen und ihren Ursprung in den Ohren. Darum ist es f\u00fcr das diotische H\u00f6ren einerlei, ob, wie in den gew\u00f6hnlichen F\u00e4llen des H\u00f6rens, die n\u00e4mliche individuelle Schallquelle ihre Luftschwingungen zu beiden Ohren sendet oder ob zwei individuell verschiedene Schallquellen gesondert zu beiden Ohren geleitet werden. Es kommt nur darauf an, dafs die von beiden Ohren vernommenen Sch\u00e4lle, wenn wir sie nacheinander im isolierten Zustande vergleichen, keine Unterschiede der H\u00f6he oder Qualit\u00e4t aufweisen. Ebenso nennen wir dichotisch ein H\u00f6ren nicht darum, weil z. B. eine eine Gabel rechts, eine andere von merklich ungleicher Schwingungszahl links einwirkt, sondern darum und dann, weil und wann die beiden Reize, isoliert dargeboten, verschiedene T\u00f6ne im Bewufstsein erzeugen. Daher nennen wir auch die F\u00e4lle dichotisch, wo zwar objektiv der n\u00e4mliche Reiz auf beide Ohren ein wirkt, aber die Stimmung der Ohren verschieden ist. Als ich zuerst diesen Ausdruck vorschlug, war auf diesen besonderen Fall noch keine R\u00fccksicht genommen und daher die Definition durch die \u00e4ufseren Reize gegeben worden {diese Beitr. 4, S. 97: \u201ezwei Gabeln an die beiden Ohren verteilt\u201c). Aber es erscheint zweckm\u00e4fsig, den Begriff in solcher Weise zu erweitern. Man kann auch umgekehrt ein diotisches H\u00f6ren herstellen, bei dem die einwirkenden Reize nicht wie in den gew\u00f6hnlichen F\u00e4llen iden-","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 342] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonb\u00fcdung. 29\ntisch sondern verschieden sind: wenn n\u00e4mlich ein merklicher Unterschied in der Stimmung der Ohren durch einen umgekehrt gerichteten Unterschied der ein wirkenden Reize kompensiert wird, z.B. wenn ich rechts um einen Yiertelton h\u00f6her h\u00f6re als links, daf\u00fcr aber dem rechten Ohr eine um ebensoviel tiefere Gabel darbiete.\nNimmt man\u2019s ganz genau, so werden allerdings die Grenzen der hier unterschiedenen F\u00e4lle gegeneinander nicht vollkommen scharf erfunden werden. So ist es bei etwas st\u00e4rkeren Schallquellen wegen der Knochenleitung, teilweise auch schon der Luftleitung, nicht m\u00f6glich, ein rein monotisches H\u00f6ren herzustellen, wenn auch der in das gegenseitige Ohr her\u00fcberdringende Schall unter Umst\u00e4nden so schwach sein kann, dafs er f\u00fcr die Beschreibung der Erscheinungen vernachl\u00e4ssigt werden darf. Aus demselben Grund ist auch das dichotische H\u00f6ren nur unter besonders ausgesuchten Umst\u00e4nden rein dichotisch. Umgekehrt geht das diotische H\u00f6ren insofern fliefsend in ein dichotisches \u00fcber, als der Unterschied in der Stimmung der beiden Ohren vielleicht niemals absolut null, und die Grenze, wo es merklich wird, nicht vollkommen scharf bestimmbar ist. Das alles hindert aber nicht, dafs man ein so gut wie rein monotisches, diotisches, dichotisches H\u00f6ren hersteilen oder konstatieren kann, F\u00e4lle also, in denen so gut wie nichts in das gegenseitige Ohr hin\u00fcbergeht, andere F\u00e4lle, in denen beide Ohren T\u00f6ne ohne irgend deutliche Verschiedenheit h\u00f6ren, endlich F\u00e4lle, in denen jedes Ohr, einzeln gepr\u00fcft, in einer nach Qualit\u00e4t oder H\u00f6he deutlich verschiedenen Weise affiziert ist.\nInnerhalb jeder der drei Klassen von F\u00e4llen gibt es dann wieder normale und abnorme, bzw. pathologische Erscheinungen.\n2. An Beobachtungen in Hinsicht der Schwellentatsachen liegt nun wesentlich folgendes vor:\na) Monotisches und diotisches H\u00f6ren. Wird die Schwingungszahlendifferenz zweier gleichzeitiger objektiver T\u00f6ne immer mehr verringert, es entstehen zuerst rasche Schwebungen, w\u00e4hrend die T\u00f6ne noch ganz deutlich unterscheidbar bleiben, dann werden diese schwerer unterscheidbar, auch tritt ein dritter Ton zwischen ihnen auf, der weiterhin mit den \u00e4ufseren immer mehr zur Einheit verschmilzt, dann","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nC. Stumpf.\n[75, 343]\nh\u00f6rt man im strengsten Sinne nur einen einzigen langsam schwebenden und zuletzt einen ruhenden Ton. Ob der langsam schwebende zwischen Maximum und Minimum der Schwebung seine H\u00f6he sukzessiv ein wenig \u00e4ndert, mag uns hier nicht besch\u00e4ftigen, in jedem Augenblick ist er jedenfalls eine streng einheitliche Empfindung.\nDie Grenze, bei der Mehrheit in Einheit \u00fcbergeht, ist nicht leicht eindeutig anzugeben ; einmal wegen der st\u00f6renden Schwebungen, dann aber wegen gewisser \u00dcbergangsstufen, die selbst wieder stetig ineinander \u00fcbergeben: die Unterscheidung der beiden T\u00f6ne wird zuerst weniger deutlich, dann h\u00f6rt man nur eine Unreinheit des Klanges, endlich einen deutlich einheitlichen unteilbaren Ton. Dafs immerhin eine zahlenm\u00e4fsige Bestimmung innerhalb gewisser Grenzen m\u00f6glich ist, dafs hierbei die Schwelle f\u00fcr verschiedene Tonregionen verschieden ist, aber allgemein weit h\u00f6her liegt als die f\u00fcr die Unterscheidung der H\u00f6he (bzw. Qualit\u00e4t) zweier aufeinanderfolgender T\u00f6ne, ist bereits in der Tonpsychologie (II, 319 ff.) angef\u00fchrt. Dann haben K. L. Schaefer und A. Guttmann Versuchsreihen f\u00fcr verschiedene Tonregionen ver\u00f6ffentlicht, wonach bei mono-tischem oder diotischem H\u00f6ren \u201edeutliche Zweiheit\u201c f\u00fcr die meisten Beobachter in der mittleren Region (400 Schw.) bei 10\u201411 Schw. Differenz, in h\u00f6heren und tieferen Regionen (bis 1200 nach der H\u00f6he, 90 nach der Tiefe) bei 17\u201430 Schw. Differenz beginnt, wenn man vom Unisono ausgeht. Die blofse \u201eUnreinheit\u201c beginnt nat\u00fcrlich fr\u00fcher, aber auch im g\u00fcnstigsten Falle nicht unter 3 Schw. Differenz, w\u00e4hrend aufeinanderfolgende T\u00f6ne schon bei 0,5 Schw. Differenz ihrer H\u00f6he (Qualit\u00e4t) nach mit ziemlicher Sicherheit unterschieden werden k\u00f6nnen.\nAuf Wunsch Prof. Waetzmanns in Breslau habe ich 1913 wegen der Konsequenzen f\u00fcr die physiologische H\u00f6rtheorie noch eine Nachpr\u00fcfung f\u00fcr meine Person unternommen, stiefs aber dabei in der h\u00f6heren Region auf eine neue, fr\u00fcher nicht beachtete, Schwierigkeit. Wenn man n\u00e4mlich c3 und des3 zusammen angibt, so entstehen nicht blofs schnelle Schwebungen, sondern auch ein dicht neben c3 liegender starker Differenzton 2 t\u2014h (t der tiefere, h der h\u00f6here Prim\u00e4rton), der das Urteil, ob c3 und des3 voneinander unterscheidbar sind, aufserordentlich erschwert, da er eben die Aufgabe der Unterscheidung vervielf\u00e4ltigt. Der Differenzton bildet hier mit den beiden Prim\u00e4rt\u00f6nen zusammen gewissermafsen eine","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 344] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 3 t\neinzige breitere Klangmasse. Da mir die Untersuchung auch noch ausanderen Gr\u00fcnden zu anstrengend und zeitraubend wurde, habe ich sie aufgegeben.\nb) F\u00fcr das diehotische H\u00f6ren bezeichnete ich nach gelegentlichen Beobachtungen (Tonpsych. a. a. 0.) in der grofsen Oktave etwa 8 Schw., ebensoviele bei c\\ bei c2 zwischen 12 und 20 Schw., in der unteren H\u00e4lfte der 3-gestrichenen Oktave aber durchschnittlich 100 Schwingungen als Grenze, wo die T\u00f6ne f\u00fcr mich noch unterscheidbar waren. F\u00fcr die Gegend des c2 hat vor kurzem Bauet die dichotische Schwelle bei mehreren Individuen gleich etwa 8 bis 12 Schw. gefunden. F\u00fcr einen Beobachter trat aber die deutliche Zweiheit erst bei 15, sp\u00e4ter sogar bei 25 bis 30 Schw. auf. Baley vermutet,, dafs dieser gut musikalische Beobachter strengere Anforderungen an den Begriff der Tonzweiheit gestellt habe.\nDie Angaben der \u201eTonpsychologie\u201c m\u00f6chte ich in diesem Punkte nur als provisorische betrachtet wissen, wie sie mir bei den damaligen ungen\u00fcgenden experimentellen Hilfsmitteln eben m\u00f6glich waren. Ich fand sie zwar unter gleichen Umst\u00e4nden auch jetzt wieder best\u00e4tigt, auch in bezug auf die starke Erh\u00f6hung der Schwelle in der 3-gestrichenen Oktave. Aber die Versuche sind, so angestellt, nicht rein dichotische, da die T\u00f6ne der Gabeln durch Luftleitung und die der h\u00f6heren auch durch Knochenleitung ein wenig zum gegenseitigen Ohr hin\u00fcberdringen, was u. a. durch Schwebungen bezeugt wird. Man m\u00fcfste die Versuche systematisch in der Weise wiederholen, wie es f\u00fcr c2 durch Baley geschehen ist. Dafs meine Zahlenangaben f\u00fcr c2 ziemlich gut mit den seinigen \u00fcbereinstimmen, ist angenehm, l\u00e4fst aber keinen sicheren Schlufs auf die \u00fcbrigen Regionen zu. Die merkw\u00fcrdige Steigerung oberhalb c3 findet sich bei den ScHAEFER-G\u00fcTTMANNSchen monotischen Versuchen nicht. Aber f\u00fcr diese Region w\u00e4ren eben auch die Versuche selbst aus dem oben erw\u00e4hnten Grunde noch einmal nachzupr\u00fcfen.\nEine vereinzelte Angabe begegnete mir k\u00fcrzlich in Fechners immer noch sehr instruktiver Abhandlung \u201e\u00dcber einige Verh\u00e4ltnisse des binokularen Sehens\u201c. Abh. d. s\u00e4chs. Akad. d. Wiss., math.-phys. Kl., 1860, S. 543f. Der bekannte Violinvirtuose Wasielewsky konnte zwei Stimmgabeln, die an beide Ohren verteilt wurden, noch bei einer Differenz von etwa x/i6 Ton unterscheiden. Die Tonh\u00f6he ist nicht angegeben, vermutlich wTaren es e\u00f6-Gabeln. Aber die Mafsbestimmung beruhte leider nur auf der Sch\u00e4tzung des K\u00fcnstlers selbst, und solche Sch\u00e4tzungen ungewohnter ganz kleiner Intervalle k\u00f6nnen aufserordentlich fehlgehen. Vi6 Ton in dieser Gegend w\u00e4ren nur etwa 3 Schwingungen. Dafs selbst ein so vorz\u00fcglicher Geiger dabei noch zwei gleichzeitige T\u00f6ne auseinanderhalten k\u00f6nnte, scheint mir ausgeschlossen.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nC. Stumpf.\n[75, 345]\nF\u00fcr das durch blofse Stimmungsdifferenz der Ohren im normalen Zustande bedingte dichotische H\u00f6ren habe ich (a. a. 0. 320) gleichfalls den gr\u00f6fseren Betrag der Schwelle gegen\u00fcber aufeinanderfolgenden T\u00f6nen hervorgehoben. Sp\u00e4ter hatte ich Gelegenheit, in einem pathologischen Fall an mir selbst mit einer bis zu 3/4 Ton vergr\u00f6fserten Verstimmung des einen Ohres die Bildung eines einheitlichen Toneindrucks zu beobachten, wenn eine a1- Gabel auf bestimmte Punkte des Sch\u00e4dels gesetzt wurde.1 Dies entspricht einer Schwingungs-differenz von etwa 40 Schw. Aber hierbei war aller Wahrscheinlichkeit nach der eine Ton zugleich etwas schw\u00e4cher als der andere, w\u00e4hrend sie bei gleicher St\u00e4rke von einander gesondert werden konnten (s. u.).\nVon diesem pathologischen Fall unterscheidet sich der v. Liebermanns dadurch, dafs hier der objektive Ton statt durch Knochenleitung durch Luftleitung den Ohren zugef\u00fchrt wurde. Das ist indessen f\u00fcr die Natur des dichotischen H\u00f6rens selbst irrelevant. Man kann aber bei v. Liebermann, soweit die mitgeteilten Tatsachen reichen, nicht einmal von einer pathologisch vergr\u00f6fserten Erh\u00f6hung der Unterscheidungsschwelle sprechen: denn sie betrug nur etwa 16\u201420 Schwingungen in der mittleren Gegend, ein Schwellenwert, der nur wenig gr\u00f6fser ist als bei der Mehrzahl der BALEYschen Beobachter und sogar kleiner ist als bei einem unter ihnen, und der mit dem von mir im normalen Zustand f\u00fcr c2 angegebenen Werte ganz \u00fcbereinstimmt. Die Unterschiede zwischen meinem pathologischen Fall und dem v. LiEBERMANNschen, die die beiden Autoren S. 251 der letzten Abhandlung herauszufinden glauben, betreffen nicht die beobachteten Tatsachen, sondern lediglich \u201edie g\u00e4nzlich verschiedene Auffassung\u201c, d. h. eben ihre Theorie. Der einzige tats\u00e4chliche Unterschied, den sie anf\u00fchren, ist der, dafs in meinem Falle nicht immer ein einziger Ton geh\u00f6rt wurde, sondern der Ton je nach der Aufsetzung der Gabel mehr oder weniger in einen Doppelton \u00fcberging. Das bedeutet aber doch nur ein Plus von Tatsachen, nicht eine Abweichung. H\u00e4tte man v. Liebermann eine Gabel\n1 Beobachtungen \u00fcber subjektive T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\nBiese Beitr. 3, S. 47 ff.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 346] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 33\nauf den Sch\u00e4del gesetzt, so w\u00e4re vielleicht auch diese Modifikation zum Vorschein gekommen.\nWas nun aber die g\u00e4nzlich verschiedene Auffassung betrifft, so will es mir scheinen, dafs man nicht eine grundst\u00fcrzende Neuerung proklamieren sollte, solange es m\u00f6glich ist, die Beobachtungen mit l\u00e4ngst bekannten akustischen Tatsachen zu koordinieren, ja eine solche Koordination sich geradezu auf dr\u00e4ngt.\n\u00a7 3. Lage des unterhalb der Unterscheidungsschwelle geh\u00f6rten einheitlichen Tones zu den isolierten T\u00f6nen.\nDas eben Gesagte best\u00e4tigt sich weiter, wenn wir fragen : wie verh\u00e4lt sich beim Zusammenklingen zweier wegen zu geringer Differenz nicht mehr unterscheidbarer T\u00f6ne der geh\u00f6rte einheitliche Ton zu den beiden einzeln vorgelegten?\nVon welcher Theorie man auch ausgehe, man wird immer erwarten, dafs er seiner H\u00f6he (bzw. Qualit\u00e4t) nach im allgemeinen zwischen den beiden Einzelt\u00f6nen, und dafs er bei gleicher St\u00e4rke derselben ungef\u00e4hr oder genau in der Mitte, bei ungleicher aber dem st\u00e4rkeren n\u00e4her liege. Im ganzen best\u00e4tigt dies die Beobachtung. Doch schien sie mir in bezug auf die genaue Mittellage stets nicht leicht zu sein. So schon beim monotischen und diotischen H\u00f6ren (Tonpsych. II, 481). Die Ursache liegt sicherlich wieder besonders in der best\u00e4ndigen Intensit\u00e4tsschwankung, den Schwebungen. Etwas leichter wird die Beobachtung, wenn man zu gr\u00f6fseren Differenzen der Einzelt\u00f6ne \u00fcbergeht, wobei der resultierende nicht mehr als ganz einheitlich, ja sogar als dritter Ton neben den prim\u00e4ren geh\u00f6rt wird, wo also die Mehrheitsschwelle schon \u00fcberschritten ist. Doch konnte ich selbst da bei oft wiederholten Beobachtungen nicht zu gen\u00fcgender Sicherheit in bezug auf die genaue Mitte gelangen und hatte besonders h\u00e4ufig den bestimmten Eindruck eines N\u00e4herliegens zum tieferen Prim\u00e4rtone.\nNeuerdings hat Baley den Mittelton einer ganzen Anzahl gleichzeitig schwingender Zungen gesucht, deren Schwingungszahlen eine fortschreitende arithmetische Reihe bildeten, und hier in der Tat die arithmetisch mittlere Schwingungszahl f\u00fcr die\nStumpf, Beitr\u00e4ge 9.\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nC. Stumpf.\n[75, 347]\nH\u00f6he des auch hier auf treten den einheitlichen Zwischentones gefunden.1 Und so mag man von solchen deutlicheren F\u00e4llen aus r\u00fcckw\u00e4rts schliefsen, dafs auch bei nur zwei Prim\u00e4rt\u00f6nen dasselbe Gesetz gelte.\nRein mathematisch und in bezug auf die resultierende Wellenl\u00e4nge gilt es ohne Zweifel.2 Aber das Verhalten der Wellenl\u00e4ngen darf nicht ohne weiteres auf die Tonempfindungen \u00fcbertragen werden, schon darum nicht, weil dazwischen die ganze Reihe der Prozesse im Organ und im Nervensystem liegt, aber auch darum nicht, weil nicht sogleich vorausgesetzt werden darf, dafs die Empfindungsmitte mit der Reizmitte zusammenf\u00e4llt. Darauf beziehen sich bekanntlich schon bet aufeinanderfolgenden T\u00f6nen schwierige Untersuchungen, f\u00fcr gleichzeitige sind \u00fcberhaupt noch keine ver\u00f6ffentlicht. Die Ergebnisse mathematisch-physikalischer Deduktion d\u00fcrfen also, ehe wir nicht die \u00dcbertragung auf die Empfindungen recht-fertigen k\u00f6nnen, nur als Analogien benutzt werden.\nDiehotisch schien mir bei Beobachtungen mit verteilten Gabeln die genaue Bestimmung des resultierenden Tones gleichfalls schwer und das Urteil wechselnd (II, 326 ff.), obgleich hier die Schwebungen weit geringer und unter besonderen Umst\u00e4nden unmerklich werden. Die gleiche Schwierigkeit fanden Baleys Beobachter bei dichotischen Zusammenkl\u00e4ngen.\nIn meinem pathologischen Falle lag der resultierende Ton zwischen den Einzelt\u00f6nen, wenn er nicht mit einem von ihnen zusammenfiel. Setzt man voraus, dafs der verstimmte Ton des kranken linken Ohres physiologisch st\u00e4rker war3, so kann man die einzelnen von mir angef\u00fchrten Beobachtungen unter die Regel ordnen, dafs der resultierende Ton dem je-\n1\t\u00dcber den Zusammenklang einer gr\u00f6fseren Zahl wenig verschiedener T\u00f6ne. Diese Beitr. 8, S. Iff.\n2\tS. m. Abh. \u201e\u00dcber zusammengesetzte Wellenformen\u201c, diese Beitr. 4, S. 68 ff. Auch f\u00fcr den BALEYschen Fall liefert die Rechnung nach M. Plancks Darlegung die arithmetisch mittlere Wellenl\u00e4nge. Baley a. a. O. S. 273.\nEine auf die Kopfknochen gesetzte Gabel wird bei Erkrankung der schallleitenden Teile von dem kranken Ohr regelm\u00e4fsig verst\u00e4rkt geh\u00f6rt. Vgl. Urbantschitsch, Lehrb. d. Ohrenheilkunde 5, 910, S. 47 ff.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 348] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 35\nweilig st\u00e4rkeren Einzelton in der H\u00f6he (Qualit\u00e4t) n\u00e4her lag.1 * * * Auf den Scheitel gesetzt gab die Gabel einen dem verstimmten linken Tone n\u00e4herliegenden, auch mehr links im Kopfe lokalisierten Ton, verkn\u00fcpft mit einem nur ganz schwachen Eindruck der Falschheit. Auf die rechte Schl\u00e4fe gegen vorn gesetzt gab sie einen st\u00e4rkeren Mittelton, der aber auch mehr links im Kopfe zu liegen schien, ohne deutliche Beimischung von Unreinheit. Dafs er in der Tonlinie zwischen beiden Einzelt\u00f6nen lag, liefs sich leicht durch Vergleichung mit den T\u00f6nen, die die Stimmgabel vor jedem Ohre gab, erkennen. An der linken Schl\u00e4fe war die Erscheinung \u00e4hnlich wie auf dem Scheitel; n\u00e4her gegen das linke Ohr aber h\u00f6rte ich nur den verstimmten Ton dieses Ohres, auf dem Tragus des rechten Ohres nur den normalen Ton usf. Wurde die Gabel in der N\u00e4he des rechten Ohres einen Finger breit vom Tragus nach vorn, also auf den rechten Backenknochen, gesetzt, so spaltete sich der Ton, beide T\u00f6ne waren gesondert zu h\u00f6ren und auch gesondert lokalisiert. Dies war vermutlich der Fall gleicher physiologischer St\u00e4rke beider T\u00f6ne, indem die l\u00e4ngere Knochenleitung zur linken Schnecke durch die \u00dcberempfindlichkeit des kranken Ohres ausgeglichen wurde. Dafs hier nicht ein einheitlicher Zwischenton geh\u00f6rt wurde, war die Folge des grofsen Unterschiedes von 8/4 Ton, der bedeutend \u00fcber der normalen Mehrheitsschwelle liegt.\nEndlich in v. Liebeemanns Falle, wo bei geringerer Differenz stets ein einheitlicher Zwischenton entstand, wurde dieser bei gleicher St\u00e4rke der P^im\u00e4rt\u00f6ne in der qualitativen Mitte zwischen beiden geh\u00f6rt, und zwar mit befriedigender Genauigkeit der arithmetischen Mitte der Schwingungszahlen entsprechend.\nMan sieht (und darum erlaubte ich mir eigene fr\u00fchere Beobachtungen so ausf\u00fchrlich zu zitieren), dafs auch in Hinsicht der H\u00f6he (Qualit\u00e4t) des resultierenden Tones dieser Fall sich ganz in die Reihe der von fr\u00fcher her bekannten einordnet.\n1 a. a. O. S. 119. Ich f\u00fcgte damals nur bei: \u201eAll dies begreift sich\nunschwer aus den Verh\u00e4ltnissen der Knochenleitung von Ohr zu Ohr\u201c\n\u2014 wobei ich die obengenannte Voraussetzung stillschweigend zugrunde\nlegte.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nC. Stumpf.\n[75, 349]\nAuf die fr\u00fcher von mir besprochene Frage, ob die Einheit des Ton eindruckes bei zu geringer Differenz der beiden T\u00f6ne eine Empfindungseinheit oder nur eine Auffassungseinheit sei1, will ich hier nicht ein-gehen. Selbstverst\u00e4ndlich haben wir\u2019s bei den Aussagen unserer Beobachter immer zun\u00e4chst mit Urteilen zu tun. Aber diese Urteile k\u00f6nnen durch die Beschaffenheit der beurteilten Erscheinungen selbst und sie k\u00f6nnen durch andere Umst\u00e4nde bedingt sein. Eigent\u00fcmliche, unbesiegbare Urteilsschwankungen bez\u00fcglich der H\u00f6he des Mitteltons beim normalen dichotischen H\u00f6ren schienen mir f\u00fcr die zweite Deutung zu sprechen, w\u00e4hrend ich f\u00fcr den monotischen Zwischenton Empfindungseinheit statuierte und eine Hypothese entwickelte, wonach sein Ursprung schon in der Schnecke zu suchen w\u00e4re. Baley hat darauf hingewiesen (a. a. O. S. 334), dafs man diese Hypothese auch auf die von beiden Ohren ins Gehirn kommenden Erregungen \u00fcbertragen und so das Zustandekommen eines einheitlichen zentral bedingten Mitteltons auch beim normalen dichotischen H\u00f6ren verstehen k\u00f6nne. Als im allgemeinen m\u00f6gliche, wenngleich anatomischen Schwierigkeiten ausgesetzte Vorstellungsweise lasse ich dies gelten und gebe auch zu, dafs Empfindungen infolge zentraler Ursachen merklichen Schwankungen unterliegen k\u00f6nnen. Doch bleibt ein Unterschied, je nachdem die Schwankungen richtungslos und un\u00fcberwindlich sind oder das Urteil sich bei fortgesetzter Beobachtung unter gleichen \u00e4ufseren Umst\u00e4nden immer mehr einer bestimmten Tonh\u00f6he zuneigt. Das erste scheint mir beim normalen dichotischen H\u00f6ren, das zweite beim monotischen, diotischen und pathologisch-dichotischen H\u00f6ren stattzufinden. Das ist die tats\u00e4chliche Unterlage f\u00fcr die Einordnung in die beiden Klassen der \u201eAuffassungs-\u201c und der \u201eEmpfindungseinheit\u201c. Aber es w\u00e4re zwecklos, \u00fcber die Zuordnung einer einzelnen Erscheinung zu diesem oder jenem Glied der Alternative zu verhandeln, wenn \u00fcber die Zul\u00e4ssigkeit der Alternative selbst Streit ist. J\u00fcngere Psychologen arbeiten daran, die ganze Empfindungslehre, ja in notwendiger Folge die ganze Seelenlehre im Sinne einer Streichung dieses Unterschiedes umzugestalten. Es scheint mir, dafs sie sich \u00fcber den Nutzen und die Durchf\u00fchrbarkeit der Operation t\u00e4uschen. Man kann die tats\u00e4chlichen Unterschiede des Verhaltens wohl in verschiedenen Sprachwendungen ausdr\u00fccken, aber man kann sie nicht hinwegschaffen. Indessen geh\u00f6rt diese Frage in ein allgemeineres Kapitel als das gegenw\u00e4rtige.\nKehren wir schliefslich zum Ausgangspunkte zur\u00fcck, so hat die positive Darlegung bekr\u00e4ftigt, was die kritische bereits erkennen liefs : es liegt nicht der geringste Grund vor, die von\n1 Tonpsychol. II, S. 325 ff. Bericht \u00fcber den G\u00f6ttinger Psychologen-kongrefs S. 326. Vgl. Balby, diese Beitr. 8, S. 70.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"[75, 350] Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle u. Mitteltonbildung. 37\nHelmholtz behauptete Eigent\u00fcmlichkeit des Tonsinnes als eines analysierenden Sinnes gegen\u00fcber dem Farbensinn in Frage zu stellen. Dafs bei geringer Differenz der Schwingungszahlen der Klang unanalysierbar wird und dafs dann im allgemeinen ein mittlerer Ton herauskommt, hat schon Helmholtz gewufst. Wenn man dies eine Tonmischung nennen will, ist gegen das Wort nicht zu streiten. Aber man darf sich nicht der Illusion hingeben, als k\u00f6nnte es mit dieser Um-taufung gelingen, Geh\u00f6rs- und Gesichtsempfindungen in Hinsicht eines prinzipiellen und weittragenden Gegensatzes unter einen Hut zu bringen.","page":37}],"identifier":"lit38508","issued":"1924","language":"de","pages":"17-37","startpages":"17","title":"Binaurale Tonmischung, Mehrheitsschwelle und Mitteltonbildung","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:30:45.624394+00:00"}