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{"created":"2022-01-31T15:27:39.812743+00:00","id":"lit39661","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden, Abt. VI: Methoden der experimentellen Physiologie. Teil B (2): Methoden der reinen Psychologie","contributors":[{"name":"Giese, Fritz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden, Abt. VI: Methoden der experimentellen Physiologie. Teil B (2): Methoden der reinen Psychologie, edited by Emil Abderhalden, 805-1124. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg","fulltext":[{"file":"p0805.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n805\nVorbestimmung en.\nWir verstellen im folgenden nnter Arbeitshand die werkt\u00e4tige obere Extremit\u00e4t des Menschen.\nWerkt\u00e4tig! Damit soll ansgedr\u00fcckt werden, da\u00df die Hand knltnrbedingten Arbeitszielen zngerichtet ist, da\u00df sie mithin \u201etut\u201d, nnd zwar sich im Sinne der Gemeinschaftsarbeit aller Menschen als Ger\u00e4t nnd mitschaffendes Werkzeug einf\u00fcgt den kollektiven, ans den Zeitverh\u00e4ltnissen jeweils bedingten Schaffenszielen. Die Arbeitshand hat nichts von Spiel an sich. Die spielende Hand ist etwas anderes nnd wir werden anf die \u00dcbergangsformen vom Spiel zur arbeitlichen Gestaltung noch hinreichend zu verweisen haben. Im Begriff der Arbeitshand liegt teleologisch eine Vorstellung der Handlung, ist die Beziehung zum intellektuellen Vorgang klar ausgepr\u00e4gt. Das Spiel hat mit Intellekt in diesem Zusammenhang keine gleichgerichteten Beziehungen. Arbeitshand ist auch nicht Ausdruckshand, nicht Geste, Mimus und bewu\u00dfte oder unterbewu\u00dfte Darstellung eines Innenvorganges des Ichs. Arbeitshand will objektive Dinge meisternd gestalten; Ausdruckshand will innere Vorg\u00e4nge des Tr\u00e4gers verdeutlichen oder versinnbildlicht sie unvermittelt im Sinne einer Ausdrucksbewegung. Auch auf diese wesentlichen M\u00f6glichkeiten der Erscheinungsweise unserer oberen Extremit\u00e4t werden wir noch zu sprechen kommen.\nObere Extremit\u00e4t: Damit soll nachhaltig eine fehlgerichtete Beschr\u00e4nkung auf die isolierte \u201eHand\u201d vermieden werden. Auch der Unter- und Oberarm geh\u00f6ren zu diesem Werkzeug Hand, das entwicklungsgeschichtlich einen Schnitt legte zwischen Tier und Mensch. Wir meinen auch nicht nur die Einger oder die Handgelenke, ja es wird sich heraussteilen m\u00fcssen, da\u00df die isolierte anatomische Definition \u201eHand\u201d funktionell das Wesentliche der durch die oberen Extremit\u00e4ten erwirkten Leistungen beim Menschen kaum erkl\u00e4ren kann. Die Zusammenh\u00e4nge sind in Wirklichkeit sehr komplex.\nWir wollen auch nicht nur singul\u00e4r, sondern lieber pluralistisch den Begriff Arbeitshand erschlie\u00dfen. Mu\u00df sich doch erweisen, da\u00df der Sonderbegriff \u201eHandgeschick\u201d bzw. \u201eZusammenarbeit der H\u00e4nde\u201d den Grund darstellt, warum wir heute ein solches Thema anders darstellen m\u00fcssen, als es fr\u00fcher, in Epochen ohne entsprechend ausgepr\u00e4gte Arbeitskultur, denkbar gewesen w\u00e4re.\nEndlich richtet sich die Darstellung an die Menschenhand. Man k\u00f6nnte die Anthropoidenhand mit zu den manuellen Werkzeugen rechnen. Uns wird diese M\u00f6glichkeit nur Anla\u00df sein, \u00fcber entwicklungspsychologische Methoden an sich, bei dieser Beziehung Anthropoide: Mensch, zu sprechen. Greif- und Arbeitswerkzeuge menschen\u00e4hnlicher Tiere nennen wir hier nicht unmittelbar \u201eHand\u201d.\n53*","page":805},{"file":"p0806.txt","language":"de","ocr_de":"806\nFritz Griese\nNachdem wir den Begriff klar nmz\u00e4unt haben, mu\u00df des weiteren betont sein, da\u00df wir allein die psychologischen Befunde hier zu er\u00f6rtern haben. Mithin fallen vielleicht sehr wichtige anatomisch-physiologische Zusammenh\u00e4nge aus. Es ist m\u00f6glich, da\u00df daher die Darstellung wichtige Erg\u00e4nzungen missen lassen mu\u00df. Auf der anderen Seite erkennt man, wie stark der Begriff Arbeitshand gerade von rein psychologischen Bedingungen abh\u00e4ngt. Durch die Zielsetzung der Arbeit ist dieses anatomischphysiologische System erst in innigere Beziehung zu geistigen Inhalten des Ichs getreten, wurde die Hand herausgehoben aus dem instinktm\u00e4\u00dfig-vererbt oder spielerisch-intuitiv geleiteten Ger\u00e4t der Menschenaffen. Die Psychologie der Hand ergibt daher die Kernfrage des Problems.\nWeiterhin haben wir uns hier auf die Methodologie beschr\u00e4nken m\u00fcssen. Es handelt sich daher nicht darum, monographisch die Hand zu er\u00f6rtern. Diese formale Notwendigkeit der methodologischen Darstellung macht die Abhandlung zugleich erst m\u00f6glich: denn verlegen wird man zuzugeben haben, da\u00df die hier aufzureihenden Methoden gleichsam SehWinkel darsteilen, unter denen wir das Objekt zu beobachten erst noch lernen m\u00fcssen, denn wir wissen nichts von ihm. Eine Ergebnisdarstellung \u00fcber die Arbeitshand w\u00e4re heute noch unfruchtbar, wenn nicht unm\u00f6glich. Schon die Ermittlung einer methodischen Systematik bereitete Schwierigkeiten.\nDamit kommen wir auf die knappen historischen Bemerkungen zur\u00fcck. Eine Darstellung der ,,Arbeitshand\u201d gab es n\u00e4mlich bisher noch nicht, auch keine methodologisch gerichtete. Diese Darstellung ist die erste. Die erste, welche auf die tragenden Prinzipien eingehen will, die daher zu einer Systematik durchst\u00f6\u00dft und die den Begriff Arbeitshand festzuhalten sucht. Was bisher vorliegt, hat entweder spezialisierte Bedeutung oder war rein psychophysisch gerichtet. Zum ersteren rechnet die gro\u00dfartige Darstellung der Prothesenkonstruktionen durch Schlesinger1), zum anderen alles, was zwischen JE. H. Weber und Katz liegt2). Des letzteren, unter den neuesten Gesichtspunkten der Wahrnehmungspsychologie entstandene Arbeit gibt die arbeitende Hand nur als Annex, ermangelt au\u00dferdem noch der Auswertung psychoanalytischer Erkenntnisse, die auf dem Wahrnehmungsgebiete des Tastraumes sehr erhebliche Erkenntnisbereicherungen zur Motivation der Wahrnehmungen und ihrer Erscheinungsweisen bieten k\u00f6nnten. Wesentlicher scheinen\n1)\tSchlesinger u. a.: Ersatzglieder und Arbeitshilfen f\u00fcr Kriegsbesch\u00e4digte, Berlin 1920.\n2)\tE. E. Weber: Tastsinn und G-emeingef\u00fchl. Leipzig 1905; Katz: Der Aufbau der Tastwelt. Leipzig 1925; ferner derselbe: Der Vibrationssinn.Intern. Psyehologenkongre\u00df Groningen 1926 (Kongre\u00dfber. 1927, ebenda).","page":806},{"file":"p0807.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n807\nf\u00fcr die Arbeitshand dagegen die Entdeckungen zum Vibrationssinn zu werden, die wir Katz verdanken. Andrerseits haben wir in klassischer Form seit der Arbeit von Bell1 2 3) nnd den allgemeineren Fragestellungen Duchennes?) vor allem das hervorragende posthume Werk des so fr\u00fch verstorbenen Vaschidez). Alle diese Arbeiten gehen von der Ansdruekshand ans, ja Vaschide er\u00f6rtert sogar die Chiromantie nnd bringt nur sekund\u00e4r Dinge der Pathologie der Hand, die aber wiederum nicht berufshygienisch gemeint sind. So blieb f\u00fcr unsere Darstellung nichts \u00fcbrig, als der eigene Weg und daher wird man sich nicht verwundern, wenn in manchem die L\u00f6sung mangelhaft oder unwahrscheinlich d\u00fcnkt. Die Arbeitshand ist in diesem Sinne ein Zwischengebiet ausgesprochen theoretisch und ausgesprochen praktisch gerichteter Psychologie. Sie interessiert den allgemeinen Psychologen wie den psychotechnisch orientierten. Diese Doppelstellung des Falles ist ausdr\u00fccklich beibehalten worden bei der Methodendarbietung, und so mag es kommen, da\u00df der angewandt t\u00e4tige Psychologe dieses und jenes entbehrlich findet, w\u00e4hrend der theoretisch gerichtete Forscher \u00fcber die Eobustheit und Flachheit praktischer Probleme vielleicht nicht minder erstaunt ist. Es w\u00e4re trotzdem falsch gewesen, in der Arbeitshand ein nur praktisches Problem zu sp\u00fcren. In Wirklichkeit sind gerade hier Theorie und Anwendung unmittelbar in Wechselaustausch von Fragestellungen und Anregungen begriffen. Allerdings darf man sagen, da\u00df erst die Fragestellungen der Wirtschaft und Arbeitswissenschaft die vielf\u00e4ltige Geltung der Arbeitshand als psychologisch, p\u00e4dagogisch, technologisch, physiologisch, \u00e4sthetisch, genetisch, soziologisch, therapeutisch gerichtetes Problem nahelegen konnten !\nAus diesen Gesichtspunkten folgt die Systematik der Methodendarstellungen im folgenden:\nEin erster Abschnitt wird sich mit dem zu befassen haben, was man die Psychophysik der Arbeitshand nennen m\u00f6chte. Es handelt sich dabei um die kurze methodologische Vorf\u00fchrung einiger elementarer Voraussetzungen, die teils mehr physiologisch, te\u00fcs rein psychologisch bedingt sein d\u00fcrften. Hierbei wird, um selbst auf\nx) Henri 1). : Raum Wahrnehmungen des Tastsinnes. Berlin. Bell : The hand. Philadelphia 1835; Bulwers: Observationes von unterschiedener Figur der H\u00e4nde. Dresden 1679; Cams: \u00dcber Grund nnd Bedeutung der verschiedenen Formen der Hand. Stuttgart 1846; Budolph: Die Hand. Berlin 1859.\n2)\tDuchenne: Physiologie der Bewegungen. Cassel-Berlin 1885.\n3)\tVaschide: Essai sur la psychologie de la main. Paris 1909; vgl. auch Gauthier: Des mouvements automatiques. Paris 1898. Die sonstige Literatur ist jeweils am Orte genannt. Zum Begriff vgl. Giese: Psychologie der Arbeitshand, Kongre\u00dfber. Marburger Psychol.-Kongre\u00df. Jena 1922 ; Arbeitshand und Ausdruckshand in \u201eDie Arbeitsschule\u201d, Leipzig 1925; endlich die Definitionen im Hand-w\u00f6rterb. d. Arbeitswissenschaft. Halle 1927.","page":807},{"file":"p0808.txt","language":"de","ocr_de":"808\nFritz Griese\ndiesen Gebieten die Relativit\u00e4t der Isolierung und der elementaren Komponentenzerlegung darzutun, die Beziehung zwischen Arbeitshand und K\u00f6rperstellung wie K\u00f6rperhaltung als weiteres hinzutreten.\nEin zweiter gr\u00f6\u00dferer Abschnitt befa\u00dft sich mit der theoretischen Psychologie der Arbeitshand. Hierbei m\u00fcssen die Sonderfragen komplexer psychischer Funktionen der arbeitenden Hand, insbesondere das sogenannte Handgeschick, er\u00f6rtert werden. Es werden ferner die Erm\u00fcdungsprobleme, der Begriff der Sinnf\u00e4lligkeit, der Begriff des Zusammenarbeiten der H\u00e4nde und der Domin anz-funktion angemessen behandelt. Ein wesentlich anderer methodischer Weg wird beschritten, wenn der genetische und der vergleichende Darstellungsgedanke durchbricht. So mu\u00df die Entwicklung der Arbeitshand vom Menschenaffen zum Kind, vom Normalen zum degenerierten Erbprodukt, vom biologisch jungen zum alten Menschen voll Anbr\u00fcchigkeit dargestellt sein. So werden vergleichende Methoden herangezogen, wenn die H\u00e4nde der V\u00f6lker oder die Arbeitshand bei den Geschlechtern Problem sind.\nEin drittes Kapitel gilt dann der Praxis der Arbeitshand.\nDabei tritt die Anwendung auf P\u00e4dagogik und Medizin stark in den Vordergrund, nicht minder die Auswertung f\u00fcr k\u00fcnsterische, gewerblich-industrielle oder sportliche Leistungen. In diesem Sinne werden Arbeitsschulmethoden, wie Basteln, Formen, Schreiben, Zeichnen, behandelt. Dergestalt mu\u00df das Prothesenproblem der Amputierten und die Bentenhand des Unf\u00e4llers methodisch beachtet sein. So werden wir Klavierspiel wie Artistik erw\u00e4hnen und wollen wir auf die Grundfragen der industriellen wie gewerblichen Arbeitshand zu sprechen kommen, um mit der Arbeitshand im Sportwesen zu schlie\u00dfen.\nZur Darstellung der Arbeitshand geh\u00f6rt alsdann noch die Schilderung ihrer gegens\u00e4tzlich gerichteten Erscheinungsform als Ausdruckshand.\nDas vierte abschlie\u00dfende St\u00fcck widmet sich daher der Ausdruckshand. Auch hier werden gewisse elementare Grundanalysen das Prinzip verdeutlichen helfen. Aber auch dort wird man immer an die Anwendung der Ausdruckshand zu denken haben. So werden folgerichtig in der Methodendarstellung alle Seiten psychologischer Deutungen der Ausdrucksgebarung der Hand anzuf\u00fchren sein. Beispielsweise vorerst die Graphologie, die Kriminalistik, dann aber auch die von Vaschide so kritisch dargestellte Chiromantie. Ferner wird man die Berufshand als Ausdruckshand beim Normalen erw\u00e4hnen, sie, die sozusagen BahnungsWirkung der Arbeitshand im Berufe zeigt. Weiter hat die Hand im Tanz und Mimus der K\u00f6rperkultur Aus drucks wert. Ferner finden wir die \u00e4sthetische Handformulierung in den Ausdrucksweisen der bildenden Kunst. Und","page":808},{"file":"p0809.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n809\nendlich gibt es eine Sprache der Hand in nnmittelbarer Bedeutung: dort, wo Taubstumme oder Blinde als Hilfsmittel der Verst\u00e4ndigung die Geb\u00e4rde oder das Tasten zu Bate ziehen, um zu sprechen oder zu lesen,\nMan sieht, wie Methodendarstellung zwanglos au\u00dferordentlich verschiedenartige Gebiete um diesen Mittelbegriff des Gemeinsamen scharen kann. Man wird aus einer derartigen Zusammenfassung auch erkennen, wie seltsam zur\u00fcckgeblieben unsere Wissenschaft auf einem wirklich so wichtigen Gebiete ist. Schon Pestalozzi und Herbart haben klar betont, da\u00df die Hand eigentlich das Ger\u00e4t war, das den Menschen erst zum Menschen machte und die Geschichte der ausl\u00e4ndischen wie heimischen Arbeitsschule ist auch heute noch gebunden an diese grundgebende Erkenntnis, die vielen Menschen dagegen noch nicht gegeben ist. Ha\u00df die methodologische Betrachtung eines so hervorragenden Funktionsgliedes durchaus ab weichen kann von den Gepflogenheiten der abstrakter gerichteten, isoliert-zerpfl\u00fcckenden Psychologie des reinen Laboratoriums ist nicht verwunderlich. Her Gegenstand vertr\u00e4gt sich in manchem zu wenig mit theoretischen Einengungen und Exaktheitsfiktionen, wobei leider festzustellen ist, da\u00df historisch gesehen die Mediziner und die P\u00e4dagogen nebst den Ingenieuren unendlich mehr an Erkenntnis ermittelt haben, als alle theoretisch gerichteten psychologischen Spezialisten.\nI. Arbeitshand.\nR. Theoretische Forschung.\nZwar ist schon der Begriff ,,Arbeitshand\u201d unmittelbarer Ausdruck des praktischen Haseins. Wenn daher von theoretischen Forschungen die Bede ist, so soll damit nur ausgedr\u00fcckt werden, da\u00df die werkt\u00e4tige Extremit\u00e4t auch ohne unmittelbare Anwendungs\u00fcbertragung untersucht werden kann und mu\u00df. Es entspricht dies der Notwendigkeit jeder angewandten Psychologie, theoretisch gerichtete Grundelemente zu besitzen, um auf diesen die reale Anwendung zu erstreben. Ha\u00df oft genug (so beim Prothesenbau) auch hier das Leben mehr forderte, als die Theorie beantworten konnte, ist das \u00fcbliche Bild jeder wirklichkeitsnahen Fragestellung. Hie Praxis \u00fcberfordert oft genug die Wissenschaft. Aber wir k\u00f6nnen aus der Geschichte der Chemie oder Physik erkennen, da\u00df trotz dieses Sch\u00f6nheitsfehlers im System derartige \u00dcbergangserscheinungen bei werdenden neuen Gebieten dem Endergebnis keinen Schaden tun, im Gegenteil sogar die Theorie f\u00f6rdern helfen. Wenn also im Bereiche der Arbeitshand ebenfalls mehr Praxis als Theorie vorherrscht, so wird das eine Zwischenphase sein, die sp\u00e4ter einmal durch eine wohl abgewogene Ausgleichung beider Zonen","page":809},{"file":"p0810.txt","language":"de","ocr_de":"810\nFritz Griese\nabgel\u00f6st werden d\u00fcrfte, wie sie beute in anderen Naturwissenschaften entwicklungsgem\u00e4\u00df sich auch dartut.\nDie theoretische Forschung an der Arbeitshand soll methodisch in drei Abschnitte zerlegt werden.\nUm einen Einblick in das T\u00e4tigkeitsfeld der werkt\u00e4tigen Extremit\u00e4t zu gewinnen, wird man zun\u00e4chst die Erscheinungsweisen der Arbeitshand zu ermitteln haben. Diesem Gedanken dienen gewisse, bereits heute als m\u00f6glich erkannte Verfahren. Alsdann wird man aus den mannigfachen Erscheinungsweisen auf bestimmte manuelle Grundelemente psychologischer Form kommen, die das Gemeinsame unter allen m\u00f6glichen Erscheinungsweisen darstellen. Wir sprechen so von psychischen Grundelementen der Arbeitshand. Endlich aber wird als Erkenntnis folgern, da\u00df die elementare und isolierte, mosaikartige Auffassung nicht zur angemessenen Synthese f\u00fchren kann. Wir werden methodisch mithin die Synthese zu einer erscheinungsgem\u00e4\u00dfen Anwendung nur dann f\u00fchren, wenn wir die Elemente bestimmten komplexen Strukturbegriffen unterstellen, die regulierend das einzelne zur Ganzheit der Hand zusammenf\u00fcgen. Ein dritter Abschnitt behandelt sinnentsprechend die komplexen Strukturbildungen bei der Arbeitshand.\n1. Erscheinungsweisen der Arbeitshand.\nDie Verfahren der Festlegung von Erscheinungsweisen der Arbeitshand gehen aus von der Arbeit selbst. Mithin erinnern sie an die in der Berufskunde und Arbeitsforschung \u00fcblichen Methoden, welche uns \u00fcber die Eigenart der Berufsformen unterrichten sollen. Nat\u00fcrlicherweise f\u00e4llt f\u00fcr den vorliegenden Fall der Gesichtspunkt der wirtschaftlichen, medizinischen und p\u00e4dagogischen wie soziologischen Komponente aus. Mithin wird alles fortgelassen, was den Beruf oder die Arbeit als Inbegriff einer gesellschaftsbedingten Leistung kennzeichnet. Wir ben\u00f6tigen nur das Gerippe der T\u00e4tigkeitsvorg\u00e4nge der Hand im Umkreis von Arbeiten, Berufen oder sonstwie zusammengefa\u00dften sozialen Handlungsweisen im Bahmen der Gemeinschaft, deren Charakteristikum es ist, da\u00df diese Handlungen in gewisser Gleichf\u00f6rmigkeit wiederkehren, zu bestimmten objektiven T\u00e4tigkeitsergebnissen zielen und als wertvoll von der Kultur anerkannt werden wollen. Es handelt sich mithin nicht um zuf\u00e4llige, gelegentliche und streng individualisierte \u201eBewegungen\u2019* der Hand, sondern um Zweckformen der T\u00e4tigkeitsverl\u00e4ufe im Bahmen der traditionell gegebenen Berufe oder Arbeitsgebilde. Die Betrachtung der individuellen und in diesem Sinne nicht unmittelbar \u201ezweckvollen\u201d, arbeitsgerichteten Ausdruckshand wird die Besonderheit der arbeitlichen Erscheinungsweisen der Hand nur noch betonen.","page":810},{"file":"p0811.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n811\nMethodologisch kann man in drei Etappen an die Erscheinungsweisen gelangen1).\nDie erste Form der Beobachtung geht aus vom Objektiven. Sie mu\u00df daher darnach trachten, die Arbeitstypik objektiven Gehalts darzustellen, mithin aus der objektiven Erscheinungsweise der T\u00e4tigkeiten zu gewissen Schl\u00fcssen auf die eigentlich subjektiven Elemente zu gelangen.\nDie Beobachtung kann zweitens darnach streben, mittels besonderer Methoden die spezifisch manuellen Vorg\u00e4nge irgendwie festzuhalten. So kommen wir zu einer Untersuchungsrichtung, die sich zur Aufgabe stellt, zwecks eingehender Analyse die T\u00e4tigkeit zu zergliedern. War das erste allgemeine Beschreibung der Erscheinungsweisen an Hand des allgemeinen objektiven Feldes, ist das zweite die Analyse der Teilelemente.\nDrittens wird eine synthetische Richtung zu erw\u00e4hnen sein, die nunmehr erscheinungsgem\u00e4\u00df bestimmte, stets wiederkehrende, \u00e4u\u00dfere formale Handfunktionen in ein System zu bringen sucht. Man kann diese Abteilung mit Griff or schung bezeichnen. Dabei werden wir naturgem\u00e4\u00df enge Beziehungen zur Gelenkmechanik und zur Physiologie der Bewegung vorfinden, ohne indessen aus Gr\u00fcnden des eigentlichen Themas diese anderen Sondergebiete der Bewegungs- und Funktionslehre des K\u00f6rpers mehr als fl\u00fcchtig erw\u00e4hnen zu k\u00f6nnen. Auch hier wird das Wesentlichere die Psychologie des Vorganges sein.\na) Allgemeine Beobachtung objektiver Vorg\u00e4nge.\nIm Gegensatz zur berufkundlichen Darstellung beschr\u00e4nken wir uns immer nur auf die Erscheinungsweisen der Hand! Hierbei kann man wiederum direkte und indirekte Beschreibung trennen.\nEine indirekte Beschreibung liegt vor, wenn man feststellt, welche Arbeiten die Hand in einem Berufe nicht zu vollziehen hat. Man mag \u00fcber diesen Gedanken etwas erstaunt sein, darf aber nicht verkennen, welche Bedeutung er f\u00fcr die Praxis sp\u00e4terhin hat* Gehen wir aus von bestimmten Typen der Erscheinungsweise, so bedeutet beispielsweise die negative Angabe wertvollen Hinweis bei der realen Zuordnung von Handbesch\u00e4digten zu diesem oder jenem Arbeitsfeld. Die Bezeichnung indirekter Form deutet an, wozu die anbr\u00fcchige Hand noch bef\u00e4higt ist ; sie kennzeichnet daher eine Erscheinungsweise als leicht oder mittel oder schwer* Ein Beispiel kann dies erl\u00e4utern2).\nb Vgl. hierzu Griese: Methoden der Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.\n2) M. B\u00f6hm: Der Glied-Ersatz f\u00fcr den Schwerbesch\u00e4digten. Wiesbaden und Berlin 1918.","page":811},{"file":"p0812.txt","language":"de","ocr_de":"812\nFritz G-iese\nIn der Landwirtschaft wird es sich etwa darum handeln k\u00f6nnen, Arm-und Handbesch\u00e4digte unterzubringen. Landarbeit gilt typologisch als Schwerarbeit. Es ist wichtig zu erkennen, da\u00df erscheinungsgem\u00e4\u00df folgende T\u00e4tigkeitsformen bei der Landarbeit negativ Umrissen werden k\u00f6nnen:\nSchwere Handbesch\u00e4digung verhindert vollwertige Arbeit (auch mit Prothese) nicht bei:\nPfl\u00fcgen,\nEggen,\nder Bedienung der Drillmaschine,\nViehf\u00fcttern und Viehpflegen,\nGraben,\nHeuwenden,\nDung verlagern auf ebener Fl\u00e4che,\nKarren.\nLeichtere Handunt\u00fcchtigkeit (eventuell mit Prothese) verhindert vollwertige Arbeit nicht au\u00dferdem bei\nGetreidereinigungsmaschine,\nM\u00e4hmaschine,\nHeurechen,\nSelbstbinder.\nEs fallen mithin ans beispielsweise das Schaufeln, Harken, Wenden, J\u00e4ten, M\u00e4hen, S\u00e4en, Kehren, Staken nsw. Die negative Beschreibung ergibt daher durchaus ein indirektes Bild der Handarbeit in diesem Falle. Selbstverst\u00e4ndlich setzen negative wie positive, indirekte wie direkte Arbeitsbeschreibungen Kenntnisse der technischen Vorg\u00e4nge voraus. Es geh\u00f6ren letztere nicht in vorliegende Darstellung, ebensowenig die Methodik, wie man technische Vorg\u00e4nge als objektive Vorg\u00e4nge technisch festzuhalten pflegt.\nBestimmen wir dasselbe in direkter Form, so w\u00fcrden wir die Typik landwirtschaftlicher Handt\u00e4tigkeit in folgender Beschreibung finden :\nFormen landwirtschaftlicher Arbeitsweisen:\nZugbelastung doppelseitig gleichm\u00e4\u00dfig:\nArbeiten mit der Trage,\nArbeiten am Karren mit Kippbewegung beim Entladen;\nZugbelastung einseitig belastet:\nEimer tragen,\nAufladen von S\u00e4cken, St\u00e4mmen usf. ;\nDruckleistung des Armes:\nPfl\u00fcgen,\nam einarmigen Werkzeughebel:\nHarken,\nHacken (schwere und leichte Form),\nFegen,\nM\u00e4hen,\nDreschen ;\nim Wechsel vom zwei- zum einhebeligen Arbeiten:\nGraben,\nSchaufeln,\nDungstreuen,\nStaken.","page":812},{"file":"p0813.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n813\nVielfach dauernder Wechsel zwischen einem Hauptarm und einem\nNebenarm.\nZusatzhandarbeiten :\nKlopfen,\nSch\u00e4rfen,\nDengeln der Sense.\n\u00c4hnlich kann man anch hinsichtlich der ein- nnd zweihebeligen Arbeitsform die weiteren T\u00e4tigkeiten bei Axtgebranch, Pfl\u00fcgen, Dreschmaschine nnd anderem Maschinenbetrieb bestimmen.\nEntsprechend finden wir Anfreihnng der Hanptarbeitsformen f\u00fcr andere Bernfe. Einige Proben:\na) Maschinenschlosserarbeiten.\nFeilen (S\u00e4gen),\nSchaben,\nH\u00e4mmern (Mei\u00dfeln, Nieten, K\u00f6rnern, Stauchen, Strecken, Eichten), Bohren, Eeiben, Gewindeschneiden,\nSchwei\u00dfen und L\u00f6ten,\nMontieren (Zusammensetzen, Auseinandernehmen),\nMessen, Anrei\u00dfen, Vorzeichnen,\nBedienung von Maschinen.\nHierbei ist die Objektgr\u00f6\u00dfe bei der Arbeit (z. B. schon f\u00fcr Montage) von Belang. Banschlosser nnd Grobschlosser arbeiten stets mit gr\u00f6\u00dferen St\u00fccken. Bei der Maschinenarbeit kommen die Typen \u00fcblicher Werkzengmaschinen znr Anwendung: Drehbank, Bundschleifmaschine nnd Schleifbock, Werkzeugschleifmaschine, Hobelmaschine, Sto\u00dfmaschine, wagrechtes Bohr-, Dreh- nnd Fr\u00e4swerk, senkrechtes Bohr- nnd Fr\u00e4swerk (Karussell), Universalfr\u00e4smaschine, Planfr\u00e4smaschine nnd Bohrmaschine. Hierbei wird in Serienfertigung anch die Maschine f\u00fcr Massenherstellung die Einzelfertignngsvorrichtnng ersetzen. So werden Bedienungsgriffe an selbstt\u00e4tigen Fr\u00e4smaschinen, selbstt\u00e4tigen Schleifmaschinen mit senkrechter nnd wagrechter Spindel, senkrechten Bohrmaschinen, Bevolverb\u00e4nken nnd Automaten, Exzenter- nnd Beibnngsspindelpressen in Betracht stehen. In hochwertigen Betrieben wird heute der Arbeiter nur f\u00fcr eine ihm gem\u00e4\u00dfe Maschine ansgelesen nnd ihr dann angepa\u00dft.\n\u00df) Tischlerhandarbeiten.\nZeichnen, Aufrei\u00dfen,\nZuschneiden,\nHobeln,\nStemmen,\nBohren,\nDrechseln,\nZiehklingenarbeit,\nNageln,\nFeilen, Easpeln,\nLeimen,\nPolieren.","page":813},{"file":"p0814.txt","language":"de","ocr_de":"814\nFritz Griese\ny) Sattlert\u00e4tigkeiten (bei Handbetrieb).\nSattlernabtarbeit (Naben mittels Able und Nadel), Vorrichten (Zuscbneiden, Aufziehen),\nAusschneiden.\n<$) Schuhmacher arbeiten (bei Handbetrieb).\nPechdrahtherstellung,\nAusschneiden der Lederst\u00fccke,\nOberlederspannen \u00fcber Leisten,\nOberlederfestzwicken auf Brandsohle und Leisten,\nEinreihen mittels Ahle und Pechdraht,\nSohlenausschneiden,\nSohlenklopfen,\nVor stechen der Speill\u00f6cher,\nEinschlagen der Speile,\nPaspeln der Sohle zum Gl\u00e4tten,\nBeschneiden des Sohlenrandes,\nAbraspeln des Sohlenrandes,\nHerrichten der Glasscherbe,\nAbglasen,\nGl\u00e4tten mit Holz,\nSteppen auf Maschine.\nIn Schuhfabriken bei erheblicher Arbeitsteilung und der Verwendung von Maschinen bleiben nur wenige derartige, dazu maschinell ver\u00e4nderte Handbet\u00e4tigungen \u00fcbrig. Auch bei der Schuhreparatur im Kleinbetrieb wird nicht alles genannte verlangt.\ns) Lackiererarbeiten.\nWaschen mit Lederlappen,\nSpachteln,\nGrundieren mit \u00d6l, Sikkativ oder Farbe,\nSchleifen mit Bimstein,\nStreichen und Lackieren.\nDas letztere gilt als spezifische Arbeit, das \u00fcbrige als Nebenarbeiten des Lackierers. Auch hier ver\u00e4ndert sich durch Maschineneinf\u00fchrung vielerlei.\n\u00c7) Maler- und\nMalert\u00e4tigkeiten :\nAbheben des Ger\u00fcstbrettes, Forttragen des Ger\u00fcstbrettes,\nPaneel absetzen,\nHalten der Schnurrolle,\nEinrussen der Schlagschnur,\nSchn\u00fcren mit Schlagschnur,\nTupfen mit Schwamm, saugen lassen, Farbspritzen,\nLineal, Zeichnen,\nPalette, Pinsel, Halten, Schablonenschneiden,\nSchablonieren,\nMalstock halten,\nFu\u00dfboden verkitten.\nTapeziererarbeiten.\nTapezierert\u00e4tigkeiten :\nLoten,\nKleister einstreichen,\nTapete Zusammenlegen,\nTapete auf Leiter bringen,\nAnkleben,\nEinklemmen der Hilfsvorrichtungen, Ankleben damit,\nAbschneiden der Tapete am Fu\u00dfboden.","page":814},{"file":"p0815.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n815\nNeben diese allgemeine ,,Handarbeits\u2019\u2019-Zusammenstellung kann und mu\u00df metbodiscb zweierlei als Erg\u00e4nzung treten.\na)\tEine Angabe der zur Arbeit geh\u00f6rigenWerkzeuggattung und Maschinenart ;\nb)\teine Darstellung wichtigerer Teilt\u00e4tigkeiten in ihrer Einzelabfolge und Sondercharakteristik.\nAls Beispiel sei der Buchbinder herausgegriffen1).\nDie Werkzeugkunde gibt demgem\u00e4\u00df als seine handbedienten Ger\u00e4te an:\nFalzbein,\nMesser,\nSchneidebrett,\nLineal und Winkel,\nSchlaghammer mit Schlagstein,\nS\u00e4ge und Raspel.\nHeft Werkzeug,\nAufschabblech,\nAbziehbrett,\nHammer,\nLeimapparat,\nPunktiereisen,\nPresse mit Brettern,\nPre\u00dfbengel und Pre\u00dfknecht,\nPinsel,\nB\u00fcrste,\nSprenggitter,\nwozu noch f\u00fcr Vergoldungsarbeiten sich anschlie\u00dfen w\u00fcrden:\nGoldmesser und Goldkissen,\nVergoldebrett,\nV\tergoldelampe,\nVergoldeklotz,\nV\tergoldeklotzpresse,\nStreicheisen,\nRollen,\nStempel,\nFileten,\nGl\u00e4ttkolben,\nStech- und Anschlageisen,\nNietwerkzeug,\nMarmorierwerkzeug,\nworan sich dann die eigentliche Arbeitsabfolgebeschreibung, wie\nfolgt, anf\u00fcgen m\u00fc\u00dfte :\nPlanieren,\nFalzen,\nZusammentragen,\nKollationieren der B\u00f6gen,\nEinkleben von Bildern, Karten, Beilagen,\nAusrei\u00dfen (Nachfahren bei Brosch\u00fcren),\nFlicken,\nEinpressen,\nWalzen vor Heften,\nEins\u00e4gen,\nHeften,\nAufschaben,\nKleistern,\n1) A. Franke: Die Buchbinderei. Leipzig 1922.","page":815},{"file":"p0816.txt","language":"de","ocr_de":"816\nFritz Griese\nLeimen,\nBrosch\u00fcren,\nBeschneiden:\nRundklopfen,\nAbpressen,\nVerzieren,\nDeckelzerschneiden,\nAnsetzen der Deckel,\nFormieren der Deckel.\nWiederum w\u00fcrde bei Maschinenbetrieb und Bedienung durch Angelernte sich vielerlei \u00e4ndern : diese Werkzeugliste ergibt zugleich mit der Arbeitsfolge aber eine Kunde der in Betracht stehenden Handteilt\u00e4tigkeiten. Die Schilderung der modernen Maschinengattungen im Maschineneinbandverfahren wollen wir hier fortlassen.\nFig. 87. Die Schlagform heim Einziehen.\nDie Abbildung deutet den spitzwinkeligen Schlag aus der Schr\u00e4ge an,, der f\u00fcr Gef\u00e4\u00df Verengerungen stauchend und in L\u00e4ngsrichtung dehnend wirkt. Dieser Schr\u00e4gschlag ist ebenso charakteristisch wie etwa das Poltern, wobei eine hohle Kupferform (bei engen R\u00f6hren, Gef\u00e4\u00dfen usw.) von innen her mittels Eisen oder Haken ohne feste Unterlage gedehnt werden soll. Auf das nach innen f\u00fchrende Poltereisen wird dann au\u00dfen geschlagen.\nb) Analyse von Teilelementen.\nSoll auf der anderen Seite eine Teilschilderung der Einzelt\u00e4tigkeiten ansetzen, so mu\u00df durch die Mittel der \u00fcblichen Betriebs-beobachtung, wie sie in der Wirtschaftspsychologie \u00fcblich ist1), eine Analyse bis in die Elemente erfolgen.\nHierbei kann es sich etwa nur darum handeln, gewisse Arbeitstechniken oder Arbeitstricks festzuhalten, um die eigent\u00fcmliche Funktion der Hand dabei zu erkennen.\nBeispiel hierf\u00fcr ist das nachstehend dargestellte Verfahren des sogenannten Einziehens bei der Kupferschmiedtechnik2).\n1)\tGiese: Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.\n2)\tPetit: Der Kupferschmied. Leipzig 1910.","page":816},{"file":"p0817.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n817\nBesser ist es, bei Bedarfsfall die Teilt\u00e4tigkeiten in zeitlicher Abfolge der Handlung anfl\u00f6send, partiell zu gliedern. Um das oben erw\u00e4hnte Schlosserbeispiel auszuf\u00fchren, w\u00fcrde in dieser Weise mit Friedrich sich eine doppelte Teilung ergeben1).\nDarstellung der Schlosserhandarbeit als:\nStetige Dauerleistung:\nI\tII\nWiederholte Momentanhandlung :\nIII\nFeilen\nSchlichten,\nSchaben,\nS\u00e4gen,\nBohren,\nGewindeschneiden,\nAnfreiben,\nVersenken,\nSchleifen,\nRichten,\nMei\u00dfeln,\nNieten,\nSchmieden,\nK\u00f6rnern,\nDr\u00fccken\tH\u00e4mmern\ndazu als Nebenarbeiten:\nH\u00e4rten,\nL\u00f6ten,\nBrennen,\nSchwei\u00dfen.\nNaturgem\u00e4\u00df gleitet so die objektive Erscheinungsschilderung der Arb eit St\u00e4tigkeit der Hand sofort in eine psychologische Funktionsdarstellung \u00fcber. W\u00fcrde man etwa das Feilen herausgreifen, so bek\u00e4me man in weiterer Unterteilung au\u00dferdem jene psychischen Funktionen, die elementar den Vorgang tragen, im Icherlebnis und der Ichbehandlung eine Rolle spielen, zur Analyse.\nDas Feilen w\u00fcrde sieh so darstellen:\nHochheben der Feile\nAuflegen der Feile anfs Arbeitsst\u00fcck\nAuflegen der Linken aufs Feilenende (soweit nicht sofort bimanuell erfa\u00dft)\nFesterfassen des Griffes mit der Rechten\nRichtungsgeben der Feile (formentsprechend)\nZugleich schnelles Bewirken des Linksdruckes\ngleichzeitig\nlangsames Anschwellen des rechten Handdruckes,\nVorw\u00e4rtsschieben der Feile, Abschwellen des Linksdruckes, zugleich\nAnwachsenlassen des Rechtsdruckes,\nschnelles Nachlassen und Aufheben des bimanuellen Druckes, Anhalten der Fe\u00fce, leichtes Zur\u00fcckholen der Feile, eventuell leichtes Anheben.\nAnalytisch folgert, da\u00df Gelenkwahrnehmung, Impuls und Rhythmisierung bei dieser Arbeit eine Rolle spielen, was dem subjektiven Erleben und Handeln entspr\u00e4che, aus der objektiven Erscheinungsdarstellung aber unmittelbar nicht hervorgehen mu\u00df.\nEin zweites Beispiel \u2014 das Richten \u2014 analysiert der gleiche Autor wie folgt:\nBeobachten der Gegenstandsform,\nEinpr\u00e4gen derselben,\nH ammer auf greif en,\nx) Friedrich: Die Analyse des Schlosserberufes. Prakt. Psychol. 3. (1922).","page":817},{"file":"p0818.txt","language":"de","ocr_de":"818\nFritz Giese\nAb w\u00e4gen des Hammers,\nHandHchfassen des Hammers,\nAuflegen des Hammers auf den Treffpunkt in erstrebter Zielrichtung, Hochheben des Hammers,\nFixieren des Treffpunktes,\nHerunterrei\u00dfen des Hammers (unter Gleichlialtung des Gelenkdruckverlaufes wie beim Hochheben),\nErkennen der Hammerbahn im Blickfeld,\nBremsreaktion bei Erkennen falscher Kichtungsbahn,\nAuf treffen auf Zielpunkt,\nGegendruckwahrnehmung beim Aufschlageton,\nEinpr\u00e4gen desselben,\nErkennen des Auftreffpunktes,\nErkennen des Abstandes zwischen Ziel- und Auftreffpunkt,\nErkennen der neuen Form des Gegenstandes unter Hammerhochheben, Erkennen erreichter Formver\u00e4nderung,\nEinpr\u00e4gen derselben,\nSchlaganpassung an Schlu\u00dfzustand des Gegenstandes hinsichtlich St\u00e4rke und Richtung der weiteren Schl\u00e4ge, usw.\nDas Ineinander\u00fcberspielen des Auges, der momentanen Alerk-f\u00e4Mgkeit, der intellektuellen Auffassung mit den Funktionen der Hand (hier etwa Gelenkempfindung, Impuls und Zielsicherheit, Kraftgebung) wird deutlich und offenbart zugleich, da\u00df bei der Arbeitshand keinesfalls nur die formale Yorgangsbeschreibung gen\u00fcgen kann! Man mu\u00df sich stets in Parallele eine psychische Erlebnisablaufsbahn auf stellen, deren subjektive Analyse freilich schwer fallen wird und deren Inhaltsausdruck keinesfalls in jedem Teilmoment Allgemeing\u00fcltigkeit beanspruchen darf, wie wir noch erfahren werden.\nDie Angaben k\u00f6nnen ferner durch Zeiteinheiten analytisch gef\u00f6rdert sein. Man kommt dann zu Verfahren, die in der Industrie die Akkordgrundlage der L\u00f6hne bedingen und Zeitstudie genannt werden. Freilich handelt es sich in unserem Falle dann nicht um eine Anwendungsfrage, sondern vorerst um einfache Festlegung. Diese Zeitfestlegung kann in den zu erw\u00e4hnenden photographischen Verfahren zugleich mit der Bewegungsangabe verbunden sein. (Siehe Tabelle 1 auf S. 819.)\nDiese Probe d\u00fcrfte das Prinzip gen\u00fcgend verdeutlichen. Die Vereinigung von arbeitstechnischen Bewegungsbeobachtungen mit Zeitaufnahmen ergibt von Fall zu Fall entsprechende Vergleichsm\u00f6glichkeiten. Leider sind irgendwelche Studien, die etwa den Begriff der Schwere oder der Leichtigkeit der Arbeit in diesem doppelten Sinne erfassen, indem sie geregelte Vergleiche an vielen Arbeitsformen und Proben durchf\u00fchren, noch nicht zustande gekommen. Allerdings wird dabei die Physiologie hinsichtlich ihrer Erm\u00fcdungsuntersuchung eine au\u00dferordentliche Bedeutung bei der Arbeitskennzeichnung gewinnen: bisher l\u00e4\u00dft sie wiederum die genannte Arbeitsdarstellung vermissen.","page":818},{"file":"p0819table1.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n819\nTABELLE 1.\nBeispiel: Abfolge der Teilhandarbeiten in Zeitangaben. (Minuten).\nM bedeutet Maschinenarbeit. Gegenstand: Fertigung eines Milit\u00e4rmantels1),\nA bedeutet, da\u00df die Arbeit schwer ist.\nMa\u00dfnehmen . . ..............................\nZnschneiden.................................\nEinrichten (Schneiden, Zeichnen, Abmessen) .\nTaschen machen..............................\nBeilegen, Eckenband einziehen................\nKanten b\u00fcgeln...............................\nBesetzen, reinbringen.................... .\nFuttertasche machen, abf\u00fcttern...............\nUntenkante abheften, absteppen..............\nHaken und \u00d6sen einsetzen................... .\nSchlitz mit Leiste..........................\nB\u00fcckenfalten abheften, steppen..............\nBiegel machen...............................\nK\u00fcckengurt machen...........................\nMantel zusammensetzen.......................\nUnterkragen absteppen ......................\nUnterkragen auf setzen......................\nKragen b\u00fcgeln.........................\u25a0 \u2022 \u2022\nOberkragen ziehen .................. . . .\nOberkragen aufn\u00e4hen.........................\n\u00c4rmel fertig machen ........................\n\u00c4rmel einsetzen....................\nKnopfl\u00f6cher machen .........................\nMantel unten umheften, steppen unten, Haken\nann\u00e4heh................................\nKragenschlanfe machen, ann\u00e4hen ......\nAbb\u00fcgeln.....................................\nKn\u00f6pfe ann\u00e4hen.....................\n30 30 45\tmit M\t\n30\tA\t\n15\tA\t\n15\tmit M\t\n30\tmit M\t\n60\tA mit\tM\n15\t\u25a0 A\t\n60\t\t\n15\tA mit\tM\n15 30\tmit M\t\n15\tmit M\t\n15\tM\t\n15\tA mit\tM\n15\tA\t\n15\tA\t\n30\tAAA\t\n60\tmit M\t\n60\tA A A mit M\t\n20\tM\t\n30\tmit M\t\n15\tmit M\t\n60 30\t\t\nEs gilt nunmehr, auch der M\u00f6glichkeit einer analytischen Festhaltung der objektiv beobachteten Vorg\u00e4nge in sachlich einleuchtender Form n\u00e4herzntreten. Hierbei kann das Gro\u00df-ausma\u00df der eingangs erw\u00e4hnten Allgemeingliederung ebenso davon Gebrauch machen wie die an zweiter Stelle angedentete Teilanalyse von Einzelfolgen und Einzelelementen.\nAlan h\u00e4lt die Handarbeitsvorg\u00e4nge entweder photographisch oder me\u00dftechnisch fest.\nHie photographische Form wiederum vermag Standbilder, Gegensatzpositionen, Phasenbilder, Serienbilder und Laufbilder zu liefern.\nEin Standbild liegt vor, wenn man aus einer Handt\u00e4tigkeit eine bestimmte Leistung herausgreift, diese im Photobilde fest-h\u00e4lt. Hierbei kommt es von Fall zu Fall entweder nur auf die Darstellung der Hand oder die des ganzen K\u00f6rpers an. Bei Schwerarbeiten wird das letztere, bei Leicht- und Feinarbeiten das erste erstrebt werden.\n1) Schlesinger: a. a. 0.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n54","page":0},{"file":"p0820.txt","language":"de","ocr_de":"820\nFritz Griese\nNachstehend sei je eine Probe dieser beiden M\u00f6glichkeiten gegeben. Die Handhaltung an der Drehbank ergibt beispielsweise eine n\u00e4her zu beschreibende Arbeitsform, bei der es in erster Linie auf die Hand, nicht den K\u00f6rper ankommt. Bei der Darstellung der Grif formen werden weitere derartige Proben geboten.\nFig. 88. Handhaltung an der Drehbank (Ausschnitt).\nAls Typ k\u00f6rperlicher Schwerarbeit sei der oben erw\u00e4hnte Landwirtschaftsarbeiter herangezogen. Um seine K\u00f6rperleistung darzustellen, wird man unbekleidete K\u00f6rper photographieren. Die Probe zeigt den Fall des Stakens, wobei der Mann mit der Linken als Hauptarm die Last \u00fcber Brusth\u00f6he in einarmiger Hebelbewegung zu bew\u00e4ltigen hat.\nFig. 89. Landwirtschaftliche Hubarbeit.\nGegensatzpositionen sollen dem Beobachter das \u201eRichtig\" und \u201eFalsch\u201d, das \u201eGewandte\u201d und \u201eUngewandte\u201d u. dgl. m. vorf\u00fchren. KTachstehend sei daf\u00fcr eine Aufnahme Amurs1) \u00fcber richtige und falsche Feilarbeitshaltung dargestellt.\nx) Amar: Organisation physiologique du travail. Paris 1917.","page":820},{"file":"p0821.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitsliam\n821\nPig. 90. Vergleiclisaiifnahmen beim Feilen (nach A mar).\n54*","page":821},{"file":"p0822.txt","language":"de","ocr_de":"822\nFritz G-iese\nPhasenaufnahmen k\u00f6nnen hergestellt werden, indem man auf eine Platte mehrere Stellungen derselben Person an der gleichen Arbeits\u00f6rtlichkeit festh\u00e4lt. Die Photos verschwinden dann schattenhaft ineinander. Die Anwendung auf eine Haltungsstudie in Schattenphoto sei nachstehend vorgef\u00fchrt1).\nWerden im Standbild verschiedene Phasen eines \u2018Berufes dagegen festgehalten, so gewinnt man Bilder, die uns jene erw\u00e4hnten objektiven Arbeitsformen nebeneinander im Bilde vorf\u00fchren, so da\u00df ein gewisser Totaleindruck der anfallenden Hand-\nFig. 91. Haltungsstudien in Schattenphotographie (nach A mar).\narbeiten nicht unm\u00f6glich wird. Als Beispiel eines solchen Darstellungsverfahrens sei der eingangs erw\u00e4hnte Tapezierer genannt, und zwar unter der Sonderbedingung einer einseitigen Amputation mit Kunstarm: gerade f\u00fcr diese Anwendungen haben die photographischen Festlegungen der Arbeitssituationen ihre besondere Bedeutung gewonnen.\nYon dort zum Laufbild ist nat\u00fcrlich nur ein \u00dcbergang. Der Film kann dabei entweder als teure Zeitlupenaufnahme oder als Normalfilm auf genommen w erden. Meist begn\u00fcgt man sich mit letzterem und benutzt f\u00fcr Handstudien Zeitlupenaufnahmen\n1) Amar: Le travail humain. Paris 1923.","page":822},{"file":"p0823.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n823\nFig. 92. Unterarmainputierter Tapezierer in typisclien Teilt\u00e4tigkeiten\n(nach Schlesinger).\nnur dort, wo besonders feine Unterschiede der Handarbeit (etwa das Einf\u00e4deln Ge\u00fcbter und Unge\u00fcbter, das Knotenschlingen in der Textilflyerarbeit von Anf\u00e4ngern und Fortgeschrittenen u. dgl. rn.) gegen\u00fcbergestellt werden sollen oder die Handvorg\u00e4nge undurchsichtig bleiben.","page":823},{"file":"p0824.txt","language":"de","ocr_de":"824\nFritz Giese\n\u00dcber die richtige Form der Filmaufnahme unterrichten meine Ausf\u00fchrungen an anderem Orte1). Beispiel einer Filmstudie ist in der vorliegenden Darstellung unter dem Abschnitt \u00fcber Prothesen (Feilen beim Gesunden und Amputierten) zu finden. Man kann, genau wie in der Wirtschaftspsychologie, au\u00dferdem beim Filmen noch die Ablaufszeiten der Bewegungen durch Mitaufnahme einer Gilbrethuhr mit leuchtenden Zifferbl\u00e4ttern und (meist) 1/100-Minutengang erreichen.\nDa\u00df an und f\u00fcr sich die Aufnahmem\u00f6glichkeit von Bewegungsverh\u00e4ltnissen bis zu Geschwindigkeiten von 1/100.0oo Sekunden elektrisch m\u00f6glich ist, d\u00fcrfte bekannt sein, kommt f\u00fcr die Psychologie der Hand aber kaum in Frage2).\nEndlich kann man zu v\u00f6llig abstrakter Form der Lichtkurve schreiten, und \u2014 wie seinerzeit bereits Braune und Fischer3) und sp\u00e4ter in der Industrie Gilbreth4) \u2014 zu Lichtlinien kommen, die von Gl\u00fchlampen stammen, welche der bewegten Extremit\u00e4t aufgesetzt wurden. Mittels stereoskopischer Aufnahme gewinnt man zugleich ein Baumbild des Vorganges. Ein Muster hierzu findet sich nachstehend bei dem genannten Prothesenbeispiel, wo man Film wie Lichtkurve abgebildet findet. (Weiteres in der von mir zitierten Darlegung an anderem Orte.)\nNachdem wir so die Grundverfahren der objektiven Festhaltung von Handarbeitsformen in ihrer Erscheinungsweise er\u00f6rtert, bleibt endlich das letzte \u00fcbrig: der Versuch, alles zur\u00fcckzuf\u00fchren auf einige, immer wieder vorkommende Griffelemente.\nc) Grifforschunge n.\nEs mu\u00df dabei ausdr\u00fccklich hervorgehoben werden, da\u00df die M\u00f6glichkeit der Gelenkmechanik uns in rein mechanischem Sinne au\u00dferordentliche Vorteile bietet, die wir allerdings hier nicht psychologisch verwerten k\u00f6nnen5). Selbst die Darstellung des Bezugsraumes eines Arbeitsgliedes in einer Bahnkugel hat f\u00fcr die Psychologie nur sehr bedingtes Interesse6). Ebenso sind heute, wie die Praxis immer wieder gezeigt hat, auch die physiologischen\nx) Giese: Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927; Thun: Film i. d. Technik. Berlin 1923.\n2)\tGlatzel: Elektrische Methoden der Momentphotographie. Braunschweig 1915; ferner Cranz: Anwend. d. elektr. Momentphotographie. Halle 1901. Ballistik. Berlin 1925.\n3)\tBraune und Fischer: Der Gang des Menschen. Leipzig 1895.\n4)\tGilbreth: Angewandte Bewegungsstudien. Berlin 1920.\n5)\tR. Fick: Allgemeine Gelenk- und Muskelmechanik. Spezielle Gelenk- und Muskelmechanik. Berlin 1910 und 1911; Strasser: Lehrbuch der Muskel- und Gelenkmechanik. Berlin 1908\u20141917; v. Recklinghausen: Gliedermechanik und L\u00e4hmungsprothesen. Berlin 1920.\n6)\tSchlesinger: Ersatzglieder und Arbeitshilfen. Berlin 1919.","page":824},{"file":"p0825.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n825\nHand- und Armnntersuchiingen unmittelbar f\u00fcr die reale Arbeit noch nicht verwendbar, obschon die Versuche Atzler A) und seiner Mitarbeiter, ebenfalls ausgehend von bestimmten Einheitselementen vorkommender Bewegungen, sicherlich f\u00fcr die Erm\u00fcdungsforschung ihre hohe Bedeutung gewinnen werden. Die psychologischen Motive freilich gehen dabei verloren und der Anschlu\u00df an die Wirklichkeit ist vielfach im Laboratorium auch niemals erreichbar. Zur Erg\u00e4nzung unserer Darstellung mu\u00df aber ausdr\u00fccklich auf den spezifischen Forschungswert der Gelenkmechanik wie der physiologischen Handforschungen nachhaltig verwiesen werden! Sie erweitern die in vorliegendem Zusammenhang thematisch gebotenen psychologischen Befunde vielf\u00e4ltig, auch dort, wo jene theoretisch, also nur eingeengt verwendbar sind.\nAlan kann die Arbeitshand, zumal nach den eingehenden Studien der Kriegsmedizin und -technik, heute folgenderma\u00dfen darstellen2):\n1. Gro\u00dfbewegungen haupts\u00e4chlicher Allgemeinform.\nRei\u00dfen und Ziehen (mit \u201eHeben\u201d),\nSto\u00dfen,\nWerfen,\nSchlagen.\nDa\u00df hier Gro\u00dfbewegungen vorliegen, ersieht man ohne weiteres bei Beobachtung des Gesamtk\u00f6rpers. Es handelt sich keinesfalls nur um Handbewegungen oder nur um Armbewegungen, sondern um Gesamtleistungen des Organismus. Eine Photographie zweier Arbeitspositionen f\u00fcr das Werfen verdeutlicht dies Prinzip.\nHierbei ist methodisch jedoch zu beachten, da\u00df ausschlaggebend f\u00fcr die praktische Leistung die Kraftangriffsstellen derartiger Totalk\u00f6rperwirkungen sind. Man hat verschiedentlich Untersuchungen mit Hilfe besonderer Pr\u00fcfst\u00e4nde vorgenommen. Einer Darstellung von Kunze und Schulhof sei nachfolgendes Schema entnommen, wobei die Autoren den Pr\u00fcfstand durch ein Dynamometer gewannen, das an einer eisernen Wands\u00e4ule\nx) Atzler, Herbst, Lehmann und M\u00fcller: Arbeitsphysiologische Studien. Pfl\u00fcgers Arch. f. d. ges. Physiol. 208. Berlin 1925; Full und Lehmann: Ebendort. 201. (1923); ferner Atzler, Herbst und Lehmann: Biochem. Zeitschr. 143. (1923); Atzler: K\u00f6rper und Arbeit. Leipzig 1927.\n2)\tDuchenne: Physiologie der Bewegungen. Berlin 1885; Heiberg: \u00dcber die Drehungen der Hand. Wien und Leipzig 1884; P. M. Wilson: The care of human machinery. London 1921; Bothenaicher : Harmonie der Bewegung. M\u00fcnchen 1912 ; Giese : Zur Psychologie der Arbeitshand. Vortrag auf dem Marburger Psychologenkongre\u00df. Jena 1922; Bowen: Applied Anatomy and kinesiology. Philadelphia 1923; F. Martin: Verst\u00fcmmelungen und Ersatzglieder. Genf 1924.\n3)\tBingeimann: Ann. d. Inst. Kat. Agron. Paris. 12. (1913); Kunze und Schulhof: Untersuchung \u00fcber die menschliche Zug- und Sto\u00dfkraft. Ind. Psychotech. 2. (1925).","page":825},{"file":"p0826.txt","language":"de","ocr_de":"826\nFritz G-iese\nauf und ab beweglich befestigt war und durch Gegengewicht in Schwebe gehalten werden konnte. Dann wurde mit verschiedenen am Dynamometerseil befestigten Handhaben und bei wechselnden K\u00f6rperstellungen der Person die Arbeitswirkung des Totalk\u00f6rpers festgestellt. Das Schema zeigt die untersuchten Kraftangriffsstellungen.\nMan kann au\u00dferdem methodisch versuchen, nicht nur die Bewegungsformen gleicher objektiver Leistung unter Ver\u00e4nderung\nFig. 93 a. Anfangs- und\nFig. 93 b. Endposition beim Wurf (nach Boxe en).\ndes Angriffsmomentes subjektiver Form zu pr\u00fcfen, sondern man kann am Objekt soviel Modifikationen treffen, bis im Sinne der \u201eEichung\u201d dies optimalen Arbeitsm\u00f6glichkeiten entspricht. Als Beispiel der Ganzbewegung des K\u00f6rpers in gr\u00f6\u00dferem Format sei u. a. Lehmann-Aiders1) Methode genannt, die an Kurbeln,\n1) Aider, Herbst, Lehmann und M\u00fcller: Arbeitsphysiologisclie Studien. Pfl\u00fcgers, Arch. f. d. ges. Physiol. 208., 925; ebendort Full mit Lehmann: 201. (1923); ferner Aider, Herbst, Lehmann: Biedrem. Zeitsehr. 193. (1923).","page":826},{"file":"p0827.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n827\nbeim Gewichtheben, beim Hantelsto\u00dfen, Halten von Gewichten n. a. m. unter ver\u00e4nderten Tempobedingungen, Raumlagen der Objekte, entsprechend allerdings physiologisch gerichtete Ergebnisse gewonnen hat. \u00dcber psychoteehnische Kurbelpr\u00fcfungen durch Klemm, Sanderx) usw., die in das Gebiet der Wirtschaftspsychologie fallen, wurde an anderem Orte berichtet.\nEs mag endlich methodisch Aufgabe werden, die verschiedenen Gro\u00dfbewegungen mit der \u00dcberleitung zu Kleinbewegungen des Arbeitsarmes, wie der Hand, in eine allgemeine Schwierigkeitsstaffelung zu bringen. Bei dieser wird \u2014 wie schon die Ergebnisse der p\u00e4dagogischen Psychologie vermuten lassen \u2014 keinesfalls allein Kraftleistung die ma\u00dfgebliche Rolle spielen,\nFig. 94. Kraftangriffsstellungen.\nBeispielsweise ergab sich als Mittelwert f\u00fcr 20 m\u00e4nnliche Personen, die jeweils maximale Kraftanspannung erzielen sollten und diese je f\u00fcnf Sekunden durchzuhalten hatten, f\u00fcr die Positionen I bis X als maximale Anstrengung in Kilogramm im arithmetischen Mittel, nebst angef\u00fcgter Variation der Leistung in Prozenten: 70-7 (8-9), 56-6 (7-8), 74-2 (6*7), 71*6 (7*2), 68*7 (10*8), 82*7 (7*8), 77*1 (9*3), 62*0 (5*5), 68*4 (5*3). Der Wert VII f\u00e4llt also hinsichtlich maximaler Anstrengung heraus. Das Maximum der Zugkraftleistungsf\u00e4higkeit liegt beim horizontalen Zug bei R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung mit Schulterriemen (17% \u00fcber dem Mittel der anderen Modifikationen). Als ung\u00fcnstigste Form ergab der Zug bei Vorw\u00e4rtsbewegung mit \u00fcber die Schulter geworfenem Seil den Gegenpol der Arbeit sleistung.\nsondern der Begriff des Handgeschickes, den wir weiter unten in einigem zerlegen werden.\nEine solche Skala w\u00fcrde ausgehen von den einfachsten (wenn auch vielleicht k\u00f6rperlich ,, anstrengendst en\u201d) Formen und in den subtilen, die zivilisatorischen Fortschritte durch die Arbeitshand auspr\u00e4genden Bewegungen enden. Beispielsweise w\u00fcrde eine Schwierigkeitsskala wie folgt entstehen:\nG Klemm und Sander: Arbeitspsychologische Untersuchungen an der H\u00e4ckselmaschine. Leipzig 1924.","page":827},{"file":"p0828.txt","language":"de","ocr_de":"828\nFritz G-iese\nDruck,\nHalten,\nHub (Beispiele der Praxis: Pressen, Tragarbeit, Tastaturbedienung), Wurf,\nSchleudern (Sortieren, Ablegen, Expedieren),\nSto\u00df,\nHieb,\nSchlag (Asphaltklopfen, Steinbehauen, Schmieden),\nDrehen (volar, dorsal),\nW\u00e4lzen (Kurbeln, Formen),\nGreifen-F\u00e4ngen,\nF\u00fchltasten.\nJe lebensnaher eine Arbeitshandprobe ist, um so weniger wird und kann es gen\u00fcgen, die rein bewegungstechnischen Vorg\u00e4nge als ausschlaggebend zu erachten.\n-6\u00db- -\nFig. 95. Bewegungsbereich des Armes.\n2. Kleinbewegungen.\nPlbenso wie bei den Gro\u00dfbewegungen des K\u00f6rpers (mit dem Arm und der Hand) immer wieder komplexe Durchkreuzungen und so verwickelte Zusammenh\u00e4nge bewegungstechnischer wie rein psychischer Form zu verzeichnen sind, ist es schlie\u00dflich auch bei der kleindimensionierten eigentlichen Armbewegung. Man kann sagen, da\u00df die anatomisch-physiologische Betrachtungsweise auch hier wieder vor allem bei Ausfallserscheinungen Aufschlu\u00df bietet, wobei sie dann von hohem Werte wird, da\u00df sie dagegen nicht unbedingt in der Lage w\u00e4re, uns die Leistungen der Normalen und die pers\u00f6nlichen Differenzierungen bei gleichen Arbeits-","page":828},{"file":"p0829.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der \u00c4rbeitshand\n829\nVorg\u00e4ngen restlos zu deuten: dort entscheidet stets das Seelische (Arbeitslust, Aufmerksamkeit, Erm\u00fcdbarkeit, Interesse-nahme u. dgl. m.).\nDer Arm soll die f\u00fcr die Hand zum Griff notwendige Lage einhalten und zielgem\u00e4\u00df erreichen. Er ist sozusagen das Vorsortierger\u00e4t im Raume. Man kommt so zu einer Systematik aller erdenkbaren Armstellungen. Dabei unterst\u00fctzen ihn die Bewegungen des Schulterg\u00fcrtels (mit Heben, Senken, Vorw\u00e4rts-und R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung), so da\u00df er unter mannigfaltigen Positionsvarianten im Schultergelenk fixiert ist. Es finden dauernd An-gleichungen und Ausgleichungen \u2014 bezogen auf das zu erfassende oder zu bearbeitende Objekt \u2014 statt. Den Bewegungsbereich des Armes veranschaulicht eine Bahnkugel.\nDie Bewegungen und Stellungen des Armes wiederum folgern aus dem nachstehend angedeuteten Diagramm, das Schlesingers Untersuchungen entnommen wird.\nHierbei sind auch Handdrehungen unter gleichzeitiger Unterarmbeugung m\u00f6glich, ebenso Beugungen des Handgelenkes bei beliebiger Drehlage der Hand und Beugelage des Unterarmes (die letzten zwei Schemata). Unter Bezug auf die noch zu besprechenden Handstellungen beim Griff ergeben sich daher praktisch wichtige Voraussetzungen. Der Griff nach einem Gegenstand kann voraussetzen:\nBeliebige Beugelage des Armes,\nBeliebige Drehtage des Armes,\nBeliebige Beugelage der Hand und des Armes,\nBeliebige Drehtage der Hand bei Unterarmbeugung,\nBeliebige Beugelage von Hand und Unterarm,\nBeliebige Beugelage der Hand nach Drehung und Beugung des Armes.\nDiese Varianten werden weiter durchkreuzt durch die un\u00fcbersehbare Kombination beim bimanuellen Arbeiten. Man sieht, da\u00df die Reduzierung auf Elemente nur fiktiven und f\u00fcr bestimmte Anwendungen der Gelenkmechanik (in der Orthop\u00e4die z. B.) entsprechenden Sinn besitzt.\nWichtig sind auch Seitw\u00e4rtsbewegungen der Hand, die gegebenenfalls durch Unter- und Oberarm die Schr\u00e4gstellungen bewirken. Die noch zu nennenden seitw\u00e4rtigen Randbewegungen des Handgelenkes k\u00f6nnen so in F\u00e4llen der L\u00e4hmung oder bei zuf\u00e4lliger Situation ersetzt sein.\n3. Praxis der Kleinbewegungen als Griff.\nSo n\u00e4hern wir uns der weiteren Frage, welche praktischen Kleinbewegungen Vorkommen ? Es ist ausgeschlossen, hier irgendwie auch nur skizzenhafte Andeutungen zu machen. Kur das f\u00fcr die Arbeitshand allerwichtigste sei in Sichworten genannt.","page":829},{"file":"p0830.txt","language":"de","ocr_de":"830\nEllenbogenbeuge.\nUnterarmzuschlag,\nHandgelenkbengnngen in beliebiger Handdrehlage bei Unterarmbeugestand.\nFig. 96.\nFritz Griese\nSimultane Handdrehung\tArmbeuge in beliebiger\nund Unterarmbeugung,\tHanddrehlage.\nStrecklage.\nDreh-\nbewegung.\nFestgehaltene Beuge -\nl\u00e4ge.\nFestgehaltene Beuge-\nlage.\nH andgelenkbeugung in Strecklage.\nG-ebrauchsforinen von Armstellungen.","page":830},{"file":"p0831.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n831\nBei der Hand nimmt der Daumen durch eine \u2014 f\u00fcr die Griffe besonders in Betracht kommende \u2014 Sonderbewegung eine ausgezeichnete Stellung gegen\u00fcber allen Fingern ein. Er ist in weitestem Ma\u00dfe, wie es der Achsenrichtung eines Globoidgelenkes entspricht, beweglich.\nSpeiche\nDaumen\nDaumen\nFig. 97. Pronation und Supination.\nEr hat daher seine ganz besondere Bedeutung in der Werkzeughandhabung, da er bekanntlich oft genug eine Gegenstellung zu den anderen vier Fingern im Sinne des Haltegriffes einnehmen mu\u00df, indem er umklammert, die Faust schlie\u00dft usw.\nDie Hand selbst wird beim Griff: durch die drei Yarianten gelenkt:\na) Pro und Supination (durch Drehung um Unterarml\u00e4ngsachse im Ellen -b ogendr ehpunkt. )\n\u00df) Beugung in der Handwurzel zur Handr\u00fccken- oder Handinnenfl\u00e4che (dorsale bzw. volare Beugung).\ny) Seiteneinstellung der Hand durch Seitenbewegungen.","page":831},{"file":"p0832.txt","language":"de","ocr_de":"832\nFritz G-iese\nDie nachstehende Abbildung erg\u00e4nzt die oben erw\u00e4hnte erste Bewegungsm\u00f6glichkeit allein durch das Handgelenk beim Zufassen. Damit k\u00e4me man zu den Erscheinungsformen der Griffe. Man kann mit Martin nach Kraftgriff und nach Pr\u00e4zisionsgriff unterscheiden: diese Definition d\u00fcrfte sehr wichtig sein,\nFig. 98. Dorsale und volare Beugung der Hand.\nda zweifellos die physiologischen Pr\u00fcfungen eher das erste, die psychologischen immer das zweite in den Vordergrund r\u00fccken\nFig. 99. Randbewegungen.\nm\u00fcssen. Beim Pr\u00e4zisionsgriff arbeitet der Daumen in Gegen\u00fcberstellung zu den Fingern. Er gewinnt dann ausgesprochene\nFig. 100. Dreibackenfutter\nals Vorbild.\nWerkzeug Wirkung in den Manipulationen. Man hat gelegentlich so unmittelbar Parallelen zwischen Maschine und Menschenhand in ihrer Werkzeugrichtung gezogen. Obenstehend seien gegen\u00fcbergestellt das Dreibackenfutter und die entsprechende Pr\u00e4zisionsgriffstellung der Hand.","page":832},{"file":"p0833.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n833\nAuch die Parallele zu Haken, Ring, Zange wirkt sehr einleuchtend.\nDemgegen\u00fcber wirkt der Faustgriff beim Halten eines Gegenstandes oder beim Sto\u00dfen und Schlagen als ausgesprochene Kraftleistung. Der Pr\u00e4zisionsgriff wird immer die taktile und die Gelenkwahrnehmung ben\u00f6tigen, wird immer eine verwickelte Zusammenarbeit mit Auge, Intelligenz usw. bedingen, wird aufmerksamkeitsabh\u00e4ngiger sein als der Kraftgriff.\nZwar gibt es acht verschiedene Endstellungen der Finger, trotzdem kommen nach Recklinghausen praktisch nur vier wichtige in Betracht :\nStreckung aller Gelenke (Beispiel: Faltenstreichen),\nGelenkbeugimg wie hei der Faust (Beispiel: Boxen),\nFig. 10i. Haken, Ring- und Zangengriffe.\n\u00dcberstreckung der Grundgelenke und Beugung der zwei Interphalangeal-gelenke (Beispiel: Kralle beim Kratzen),\nBeugung der Grundgelenke und Streckung der Interphalangealen (Beispiel: Schaufelstellung der Hand, wie beim Arbeiten in Teig oder Sand).\nMit diesen Grundstellungen verkn\u00fcpft sich die M\u00f6glichkeit der Fingerschlu\u00dfformen, die gerade f\u00fcr die Pr\u00e4zisionshand von au\u00dferordentlicher Wichtigkeit sind.\nDas Bezugssystem nun zwischen Fingerhaltung und Handwirkung bei den praktisch vorkommenden Arbeiten kann man an Hand von etwa zw\u00f6lf Typengriffen ungef\u00e4hr \u2014 aber immer wieder einh\u00e4ndig! \u2014 darstellen.\nNachstehend sind gegen\u00fcbergestellt die praktisch vorkommenden Varianten, die sich gegebenenfalls auf etwa sieben immer wieder vorkommende Hauptarten zur\u00fcckf\u00fchren lassen. Denkt man sich diese F\u00e4lle reduziert auf die Gelenkwirkung und die Anatomie des Vorganges, so bekommt man eine Skelettdarstellung.","page":833},{"file":"p0834.txt","language":"de","ocr_de":"834\nFritz Griese\nAber immer wieder mu\u00df betont sein, da\u00df das alles nur Fiktionen sind: Stellungen, die nicht nur momentane Bedeutung f\u00fcr den Arbeitsvorgang haben, sondern die au\u00dferdem noch st\u00e4ndig verwickelt werden durch das Zusammenspiel beider H\u00e4nde, von den zu erw\u00e4hnenden Dominanzfunktionen ganz zu schweigen !\nZweifellos gibt es Dauergriffe. Richtiger k\u00f6nnten wir sagen: griff\u00f6rmige Handleistungen. \u00dcberall dort, wo man Kurbeln an Maschinen und Vorrichtungen konstanter Form anfa\u00dft, kommt ein spezialisierter ,, Griff\u201d zustande. Ein Griff setzt mithin materielle Konstanz des Bezugsverh\u00e4ltnisses zwischen Handstellung und Stofformung voraus. Ganz anders in den F\u00e4llen, wo man elastische Materie behandelt (etwa Teig, Stoffe, Plastilin, Ton), dort ver\u00e4ndert sie ihre Erscheinungsweise dauernd.\nFig. 102. Praktische Typengriffe der Hand.\nDa bei Bedienungselementen der Maschine konstantere Griffformen m\u00f6glich sind, ergeben sich Methoden, die die Anpassung des Maschinenteiles an die naturbedingte Vorzugsgriffstellung der Hand erstreben. Man sucht den Hebel, die Kurbelform heraus, die sich am ehesten mit einer der erw\u00e4hnten manuellen Vorzugsgriffe deckt, also hinreichende Konstanz verspricht.\nSo erwirkt man Abformenlassen von Gebrauchsgriffselementen, die aus weicher Masse hergestellt waren oder mit Firniskitt belegt wurden. Die Grifform kommt so selbstt\u00e4tig durch Bedienung des Ger\u00e4tes zustande. Aber wir ersehen, es handelt sich dabei in allererster Linie nicht um die Pr\u00e4zisionshand, sondern um die kraftleistende Extremit\u00e4t. Ein Beispiel f\u00fcr die Formung von Kurbeln der Stra\u00dfenbahnkontroller nach Tramm wird den Gedanken der Methodik verdeutlichen. Die nat\u00fcrlichen Grifformen","page":834},{"file":"p0834s0001.txt","language":"de","ocr_de":"Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden.\nAbt. YI. Teil B/II. (G-iese: Psychologie der Arbeitshand.)\tTABELTjE 2\nxi\nfl\nfl\nfH\nbf)\n3D\nb\u00df\nfl\nfl\nrfl\n4)\n4-3\nfl\nfl\ncD\n44\nfH\nfl\n44\nCD\nfl\nfl\nCD\n\u00a3aJ0\nfl\nr\u2014<\n<D>\n4-3\nCO\nfH\nO\nt>\nCD\n44>\nr\u20144\nCD\n4-3\n44)\nfH\nCD\nfl\ncd\nfl\nfl\nrfl\nfl\ncfl\nA\ns\nw\ncD\n4-3\nr\u2014-i\ncD\n4-3\n44)\nCD\n>","page":0},{"file":"p0834s0002table2.txt","language":"de","ocr_de":"H <3\n\u00d6D \u25a0+=>\nH H\n\u00a9\ni\u2014i (N CO\ncg \u00a9\nPh\nPj \u00a9 !<S \u00a9 \u00d6\t\u00a9\n'\tej\u2014\u00bb\tIhTn\tS\u00e9^\nd \u00ae-d\nb\u00df \u00d6rS\n43 d \u25a0+= d -p\no Ord o d &>\u00df\u00a3\nk. K ffl Kv H H\nt> t> \u00ceH K. ?H\nen rl en i!T cd\nb\u00df \u00a9 b\u00df \u00a9 b\u00df \u00a9\n\u00f6 $.\u00f6 \u00f6\npj \u00a9 \u00a9 \u00a9\n1-3 ts |-3 ts (-3 tS3\nOQ <|\nH H H\nPH ft\n3^3 3^3 3^3\n?32 . Z/1\nd d d d\n3cd \u00a9<d\u00a9il\no Cd H\n\u00a9 -g \u00a9\n\u00a9 p\u00e4 i-H'\n\u00a9 P\u00e4r^\nH \u00a9 Q","page":0},{"file":"p0835.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n835\nunten wurden von Arbeitern geformt. Die Varianten der Kurbelgestaltung ist im oberen Bildteil enthalten.\nWelche Kraftleistung an sich die Hand aus\u00fcben kann, sofern ein^ Ger\u00e4t lange Jahre vom gleichen Menschen benutzt wird, zeigt ein Hammerstiel, den ein Beilhauer 21 Jahre bei der Arbeit benutzte, so da\u00df das Ger\u00e4t sich seiner Individualit\u00e4t anpa\u00dfte. Die\nVorhandene Formen\nH i 1 !\t,\t'1\n\tIHHH\u00fc\nFig. 103. Kurbeigriffe am Kontroller.\nGrenze, wo diese Anpassung freilich psychologisch n\u00fctzlich ist und von wo ab sie schadet, da die verloren gehende Urform die Leistungswirkung des Ger\u00e4tes in objektiver Form reduziert, w\u00e4re eine andere Frage.\nFig. 104. Hammerstiel nach 21 Jahren.\nDie Bezeichnung ,,Griff\u201d ist endlich in diesem Sinne heute Element der industriellen Betriebsf\u00fchrung geworden. Man bezeichnet nach der Definition des AwF (Ausschu\u00df f\u00fcr wirtschaftliche Fertigung) mit Griff eine einzelne in sieh abgeschlossene Bet\u00e4tigung des Arbeiters, bestehend aus einer Zahl von Griffelementen am Werkst\u00fcck, Werkzeug oder an der Maschine zum Zwecke der Bearbeitung oder zur Vorbereitung dieser.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n55","page":835},{"file":"p0836.txt","language":"de","ocr_de":"836\nFritz Griese\nGriffelement ist der kleinste me\u00dfbare Teil einer Arbeitsverrichtung, die h\u00f6chstens ans einer in sich abgeschlossenen Bewegung besteht.\nDie Technik und die ihr angeschlossene Psychotechnik geht also aus von der Fertigung, nicht vom K\u00f6rper. Das ist wichtig! Sie benutzt ferner nicht die anatomischen Elemente, sondern Zeiteinheiten und verzichtet in der Praxis auf irgendwelche Deutungen der sicherlich bei diesen Griffen vorliegenden psychischen und physischen, atomistisch wie komplex anzusprechenden Befunde. Sie verlegt den Griff ins Objektive und subjektiviert nur das Zeitma\u00df.\nDaraus entsteht bekanntlich die f\u00fcr die Lohnfestlegung und Fertigungsorganisation so wichtige Zeitstudie nach Taylor, \u00fcber die ich an anderem Orte eingehend berichtete1).\nZum Schlu\u00df mu\u00df noch betont werden, \u2018 da\u00df die die Griffe analysierenden Methoden nicht \u00fcbersehen haben, da\u00df die Urelemente der Handarbeit naturgem\u00e4\u00df fiktiven Sinn haben, ja da\u00df schon der Begriff \u201eHand\u201d eigentlich selbst im Rahmen der Bewegungslehre kaum zutrifft.\nSehen wir hier durchaus ab von der F\u00fclle rein psychischer Einfl\u00fcsse, die aus dem arbeitlichen Vorgang und der Ich-Stellung zur Arbeit erwachsen, so bleibt \u00fcbrig noch der Befund der Mitbewegungen und der unwillk\u00fcrlichen, auch sogenannten automatischen Bewegungen2).\nBei jeder Position, selbst der Ruhe der Hand im Stillstehen, kommen Mitbewegungen vor. So hat man photographisch durch Lichtkurvenaufnahme die Mitbewegungen der Helmspitzen beim ruhigen Stehen von Soldaten auf genommen. Jeder K\u00f6rper schwankt dauernd auch in gewollt fixierter Stellung.\nMitbewegungen kommen vor bei Erkrankungen (Tabes, Chorea) und werden so Ausdruck zugeordneter somatischer St\u00f6rungen. Mitbewegungen kommen vor bei allen motorisch veranlagten Personen, zumal im Sinne der Gestik der Ausdruckshand (s. u.). Diese Bewegungen nennt man auch gelegentlich unwillk\u00fcrliche, automatische, unterbewu\u00dfte. Zur Erforschung dieser \u201eAusdrucksbewegungen\u201d wird auch die Hand wichtige Beitr\u00e4ge stiften k\u00f6nnen. Es wird im letzten Abschnitt des Buches darauf verwiesen sein. Mitbewegungen und reflexartige Handbewegungen kommen ferner immer vor bei Unfallgef\u00e4hrdungen. Daher hat die Unfallverh\u00fctung auf die unzweckm\u00e4\u00dfige Mit-\nx) Giese: Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.\n2) Hierzu Schlesinger : a. a. 0.; ferner Foerster: DieMitbewegungen ; Wood-worth: The Accuracy of voluntary Movement. Ps. Rev. Monogr. Suppl. New York 1899; Gauthier: Des Mouvements automatiques. Paris 1898; Eichet: Les mouvements inconscientes. Hommage \u00e0 M. Chevreul. Paris 1886.","page":836},{"file":"p0837.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n837\nbewegung einer Extremit\u00e4t bei simultaner Alleinarbeit der anderen in Gefahrzonen besonders geachtet. (Beispiel: Holzverarbeitungsindustrie.)\n2. Psychologische Funktionspr\u00fcfungen der Grundelemente der Hand.\nMan hat in der Psychologie in der Pegel Hand = Haut gesetzt, wenn in \u00e4lteren Untersuchungen \u00fcber ,,niedere Sinneswahrnehmungen\u201d gesprochen ward. Auch die Neurologie hat die Sensibilit\u00e4tspr\u00fcfung in den Vordergrund ger\u00fcckt, aber keinesfalls damit das erfa\u00dft, worauf es methodisch bei der Arbeitshand ankommt. Ebensowenig hat die Arbeitshand Ber\u00fccksichtigung allein in jenen M\u00f6thoden gefunden, die von medizinischer Methodik her in der Kraftf\u00fchrung der Extremit\u00e4t im gro\u00dfen und ganzen ihr Ziel suchten. Allen diesen Sonderformen gegen\u00fcber besitzt die Arbeitshand bestimmte funktionelle Seiten, die eigentlich das ausmachen oder tragen, was man bei der Arbeit \u201eHandgeschick\u201d nennt. Zwar k\u00f6nnen wir \u2014 eben wegen der Einseitigkeit aller sonstigen Untersuchungen \u2014 heute den Begriff Handgeschick nicht anders beantworten, als durch eine Beihe von Elementen, die in ihm ruhen (vgl. Schorn1). Ob und inwieweit beispielsweise die Wertigkeit dieser oder jener Funktion im Handgeschickbegriff bei Einzelf\u00e4llen sich \u00e4u\u00dfert, ob vielleicht einige Punktionen ganz besonders wichtig, andere grunds\u00e4tzlich nebens\u00e4chlicher Natur sind: das kann vorerst nur die umschreibende Darstellung der Erscheinungsweise offenbaren und d\u00fcrfte ziemlich verschieden in diesem oder jenem Anwendungsbereich sein. Hoch-entwickelt erscheinen uns jene Zusammenh\u00e4nge, die wir mit einem gewissen Erschrecken vor unserer wissenschaftlichen Unwissenheit entdeckten, als es gelegentlich galt, den Begriff Handleistung, Handgeschick, Handarbeit n\u00e4her zu bestimmen: in der P\u00e4dagogik, dem Prothesenbau und \u00e4hnlichen aktuellen Fragen ! Unbefriedigend ist der jetzige Stand der Wissenschaft in jeder Form; eine weitsichtige und weitschichtige Forschung mu\u00df einsetzen, um Pegeln und Gesetze aufzufinden. Dazu werden die folgenden und noch k\u00fcnftige neue Verfahren der Pr\u00fcfung dienen. Verfahren, deren psychologische Funktionsabgrenzung vielleicht wesentlich klarer ist, als bis heute irgendeine einzige der genannten Methoden es f\u00fcr sich beanspruchen kann. Von einer wirklich isolierten und elementaren Pr\u00fcfung gewisser \u201eElemente\u201d (wie man es in der physiologischen Optik vielleicht kennt, in der Wahrnehmungspsychologie bisweilen erhofft) ist bei der Arbeitshand schwerlich die Pede. Die Funktionszuordnung der Methoden bedingt die Toleranz, welche jede Fiktion f\u00fcr sich beanspruchen und jede neue Wissenschaft erwarten darf!\nb Schorn: Analyse d. Handgeschickes. Vortrag 6. Tagung d. V. d. d. pr. Ps. Hannover 1928.","page":837},{"file":"p0838.txt","language":"de","ocr_de":"838\nFritz. G-iese\na) Hautfunktionen der A r b e i t s h a n d.\nMag auch der Ausdruck gewagt erscheinen, so k\u00f6nnen wir im Bereich der Arbeitshand doch damit die grunds\u00e4tzlich andere Einstellung zur physiologischen Psychologie einfach kennzeichnen. Wir deuten an, da\u00df die niederen Sinnes Wahrnehmungen f\u00fcr uns von relativ oberfl\u00e4chlicher Bedeutung w\u00e4ren. Die Schmerzwahrnehmung, die Wahrnehmung der Temperaturunterschiede, die Wirkung elektrischer Beizungen, die einfache sogenannte ,,Tastwahrnehmung\u201d tritt gegen\u00fcber anderen Elementen zur\u00fcck. Daher verzichten wir hier auf die Anreihung der aus den neurologischen Darstellungen, wie der Sinnespsychologie bekannten Methodik. Das Arbeiten mit der Druckwage, dem Haar\u00e4sthesiometer, dem Therm\u00e4sthesiometer, dem Algesimeter und so fort, spielt f\u00fcr die Arbeitshand keine wesentliche Bolle oder interessiert nur aus rein neurologischen Befunden, die nicht zum Thema geh\u00f6ren. Es sei auf die bekannten Darstellungen der einschl\u00e4gigen Untersuchungsverfahren verwiesen1).\n>\t\u2014=1-\t..-/rf i i ' i \u2022 \u00ab ' 11 * i ' t i\t\t\t\t\ti \t\t\t 1 i i i i i 1111 ii 11 ! 117 i TX.\t\t\t\t\n1\t! 1\t0 1 mIm\t0 2 iliiliLU\t\t0 4 Mm\t0\t5\t0 6 Mini\tHllllll\t0 8 rnJim\t\n'\tV 1 \"11111 ; ! L\u00fc.i u-1-Hi ..L.\t- ' -\t,\u00ff\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\nFig. 105. \u00c4sthesiometer nach Spearman.\nb) Tastraumforschung.\nErst durch Katz, der in sehr klarer Weise die Einseitigkeit des Bisherigen sp\u00fcrte, sind wir auch f\u00fcr die Arbeitshand zu gewissen anwendbaren und zugleich thematisch pr\u00e4zisen Methoden im Bahmen des Tastraumes gediehen. Katz ging dabei aus von der Hand, wie sie eben real vorkommt. Wir reihen die f\u00fcr uns in Betracht kommenden neueren mit einigen \u00e4lteren Verfahren auf.\n1. \u00c4sthesiometerversuche.\nNoch eben an der Grenze stehen alle \u00c4sthesiometerversuche, die nur bei Spezialfragen \u2014 etwa Berufst\u00e4tigkeiten in der Text\u00fc- oder Papierbranche \u2014 ihre Bedeutung gewinnen, zumeist dort aber nicht statische Tastwahrnehmungen, sondern die taktilen Eindr\u00fccke der bewegten Hand ben\u00f6tigen.\nAls brauchbar erweist sich das \u00c4sthesiometer nach Spearman, das weniger Unregelm\u00e4\u00dfigkeiten als das Griesbachsche\u00bb dank der sehr einfachen Konstruktion aufweist. Elektrisch angetriebene \u00c4sthesiometer verlohnen sich f\u00fcr die Arbeits-\n1) Vgl. Goldstein: Psychologische Methoden zur Untersuchung der Hautsinne. Abderhaldens,' Handb. Abt. VI, A, 3. Berlin und Wien 1923; Wundt: Physiologische Psychologie. 1. und 2. Leipzig 1908 ff.; Kirschmann: Grundz\u00fcge der psychologischen Ma\u00dfmethoden. Abderhaldens, Handb. VI. A, 2. Berlin und Wien 1920.","page":838},{"file":"p0839.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n839\nhand nicht. Berechnet wird die absolute und die Unterschiedsschwelle (in der Praxis eher die erstere) zur Charakteristik der Person.\nEin vielseitiges und f\u00fcr rein theoretische Pr\u00fcfungen mit geeignetes Ger\u00e4t ist das Universal\u00e4sthesiometer nach Werner1), das die n\u00e4chste Abbildung zeigt. Seine Verwendung d\u00fcrfte deutlich sein. Man kann den Apparat am Zimmermann-schen Universalstativ anbringen und zweidimensionale Tastgestalten unter simultanem Hautaufsetzen darbieten. Die in Schlitten laufenden Spitzen k\u00f6nnen bis auf Nulldistanz gen\u00e4hert werden.\nFig. 106. Universal\u00e4sthesiometer (nach Werner).\n2. Taktile Erkennung von Gegenstandsqualit\u00e4ten.\nWesentlich tiefer in die psychischen Funktionen der Arbeitshand f\u00fchren alle Versuche, die sich mit der erkenntnisgem\u00e4\u00dfen Wahrnehmung und Auffassung von Gegenst\u00e4nden durch taktile Eindr\u00fccke befassen. Dabei kommen vor allem wichtige Fragen der Arbeitshand bei Pathologischen in Betracht, vor allem Hirnverletzten und Blinden. Da die ersteren sp\u00e4terhin gesondert behandelt werden, soll an dieser Stelle nur auf einige Blindenforschungen theoretischer Form verwiesen sein. Das Blinden-schriftproblem wird ebenfalls weiterhin noch er\u00f6rtert werden.\nx) Werner: Grundfragen der Intensit\u00e4tspsychologie. Leipzig 1922.","page":839},{"file":"p0840.txt","language":"de","ocr_de":"840\nFritz Griese\nEs ist das Verdienst von Katz1), da\u00df er die Erforschung des Tastranmes und der Wahrnehmung von Gegenstandsqualit\u00e4ten durch die Hand in neuartiger Form erschlossen hat. Obwohl seine Forschungen unmittelbar die eigentliche Arbeitshand nicht zum Thema hatten, erw\u00e4hnen wir sie teilweise doch, weil sie unmittelbare \u00dcbertragung erm\u00f6glichen.\na) Oberfl\u00e4chenbewegung und Abf\u00fchlung.\nber]FApparat pr\u00fcft Tastfl\u00e4chenvorf\u00fchrung bei rubendem Tastorgan. Die Tastfl\u00e4chen werden unter die ruhende, auf Pappe gelegte Hand mittels\nFig. 107. Versuchsanordnung nach Katz.\nSchumann\u00fcchem horizontal gelegten Tachistoskop vorgeschoben. Die benutzten Fl\u00e4chen waren durch Klammern leicht auswechselbar befestigt.\n\u00df) Analyse von Tastbewegungen.\nZur Analyse der beim aktiven Tasten, Abtasten vorkommenden Bewegungen benutzte Katz zwei Methoden. Einmal wurde ir\u00fcittels\nx) Katz: Der Aufbau der Tastwelt. Leipzig 1925; Vaschide: Essai sur la Psychologie de la main. Paris 1909; Henri: Die Raumwahrnehmungen des Tastsinnes. Berlin 1898; Karl Schulze-. Gestaltwahrnehmung von drei und mehr Punkten. Langensalza; Kollmann: Der Tastapparat der Hand. Hamburg und Leipzig 1883; \u00ca. H. Weber: Tastsinn und Gemeingef\u00fchl. (Neudruck.) Leipzig 1905; Ja\u00ebll: Un Nouvel Etat de Conscience. Paris 1910; Franz: The accuracy of localisation of touch. Ps. Rev. 20. (1913); Meumann: Erweiterungen der Versuche Petkoffs; Petkoff: \u00dcber die Auffassung und Wiedergabe geometrischer Figuren. Beih. z. Jahrb. d. Hamburger wiss. Anstalten. 31. (1913); Ghinaglia: \u00dcber subjektive Ausf\u00fcllung von Raumteilen. Arch. f. d. ges. Psychol. 23. (1912); Couv\u00e9: Psychotechnik bei der Reichsbahn. Berlin 1925.","page":840},{"file":"p0841.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n841\nKymographion direkt durch Seidenschnur die Fingerbewegung auf einen Schreibhebel \u00fcbertragen, so da\u00df dabei entstehende Kurven H\u00e4ufigkeit der Abtasthinundherbewegungen, Pausen-gebungen zwischen Tastakten, Tempo der Bewegungen usw. erkennen lassen. Das zweite Verfahren benutzte ein Tastspurverfahren, \u00e4hnlich wie es in den psychotechnischen Bewegungsstudien oder der Kriminalistik \u00fcblich ist. Die Finger wurden, nunmehr v\u00f6llig unabh\u00e4ngig von irgend einem apparativen Verbund, \u00fcber beru\u00dftes Papier gef\u00fchrt, wo sie Bewegungsstreichspuren hinterlassen.\nFig. 108. Graphische Registrierung der Tastbewegungen (aus Katz).\nEndlich hat Katz Deformations Wirkungen durch Fingerdruck (ganz im Sinne der Daktyloskopie) mittels Bu\u00dfspurenverfahren nachgewiesen, indem die Versuchsperson an einer Doppelwage mit einseitiger Gewichtsbelastung auf der anderen Seite einen entsprechenden ver\u00e4nderlichen Gegendruck zur Ausbalancierung zu geben hatte. Die Linienspur konnte dabei in gewissem Sinne die Deformationen des Fingerballens anzeigen.\ny) Angewandtes Abtasten von Gegenst\u00e4nden.\nRein psychotechnisch geht das Verfahren der Reichsbahn vor, die Gegenst\u00e4nde nach ihrer Form abtasten und so sortieren l\u00e4\u00dft: in zwei oder mehr Gestaltsgruppen. Komplizierter war das Verfahren der Metallindustrie, die verschieden geartete Tastfl\u00e4chen praktisch abf\u00fchlen und bestimmen lie\u00df. In jedem Fall ward die Hand unter Abdeckung des Auges an den Gegenstand herangef\u00fchrt1).\nb Waldau: Ps. Eignungspr\u00fcfung von anzulernenden Arbeiterinnen. Betrieb (1921).","page":841},{"file":"p0842.txt","language":"de","ocr_de":"842\nFritz Giese\n8) Blinden ver suche.\nTheorie und Praxis treffen sich hei Untersuchungen von Blinden. Hierbei sto\u00dfen wir auch zugleich auf eine Systematik der ruhenden und bewegten Tast-arbeit der Hand, bei der freilich kaum noch die Tastwahrnehmung, sicherlich auch in manchem bereits die Gelenkempfindung eine Rolle spielt.\nFig. 109. Tastspurenverfahren (aus Katz).\nAls methodisches Beispiel sei erw\u00e4hnt die Anordnung Steinbergs,, der auf-gestellte Kl\u00f6tze umrandend abtasten und auf Formbestimmung beobachten lie\u00df1).\nWeitere Blindenversuche finden sich im letzten Abschnitt \u00fcber Blindenschrift und Blindenlesen angedeutet.\nFig. 110. Tastversuche f\u00fcr die Metallindustrie.\nHieraus erw\u00e4chst als hochwichtiger Befund eine Darstellung der Tastarten der Hand, die folgende B\u00fcrJdensche2) Tafel veranschaulicht. Die Zuordnungen der Tastbewegungen zu den entsprechendenkomplexen Vorstellungen, den Empfindungen ( = Wahrnehmungen und Allgemeingef\u00fchlen) ergeben sich aus der nachstehenden Tabelle 2, die die Abbildungen unterst\u00fctzt und die zugleich die Grenze einer rein mechanistischen oder physiologischen\n1)\tSteinberg: Die Raumwahrnehmung der Blinden. M\u00fcnchen 1920.\n2)\tB\u00fcrhlen: Blindenpsychologie. Leipzig 1924.","page":842},{"file":"p0843.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\n843\nCL\nFig. lila. Tastarten der Hand.\nFig. 111 b. Tastarten der Hand.","page":843},{"file":"p0844.txt","language":"de","ocr_de":"844\nFritz G-iese\nDarstellung der Arbeitshand dartun mu\u00df. Hier beginnt immer deutlicher das psychologische Element sich zu offenbaren!\nDie Tabelle 2 wird nicht erl\u00e4uterungsbed\u00fcrftig sein.\nEine Sonderstellung in sogenannten Druck- und Ber\u00fchrungsempfindungen nimmt der von Katz (urspr\u00fcnglich am Musikgenu\u00df Geh\u00f6rloser) entdeckte Vibrationssinn ein1). Er erscheint berufen, auch f\u00fcr Anwendungen auf die Arbeitshand \u2014 vor allem im Sinne des\nFig. 112. Kinematometer nach Meumann.\nsogenannten Materialgef\u00fchles (s. u.) sp\u00e4ter einmal eine gro\u00dfe Bolle zu spielen. Er gilt als Entwicklungsstufe zwischen Druck-und Geh\u00f6rsinn und wirkt deutlich auch bei Fernwahrnehmung von Ersch\u00fctterungsrichtungen, ja sogar beim Fernf\u00fchlen von\nFig. 113. Gelenkpr\u00fcfer nach Gallus. (E. Zimmermann, Leipzig.)\nMaterialien (Glas, Holz, Gummi), die mit dem Beobachter nur durch eine l\u00e4ngere Holzstange verbunden waren. Zur experimentellen Darstellung von Yibrationsempfindungen wird ein sogenannter Vibrator benutzt2). Er wird gebildet aus einem kr\u00e4ftigen Elektromagneten, dem ein mit Eisenanker versehener Holzw\u00fcrfel\n1)\tKatz: \u00dcber den Vibrationssinn. VIII. Intern. Kongre\u00df f. Psychologie Kongre\u00dfber. Groningen 1927.\n2)\tNoldt: Ein Vibrator zu psychologischen Zwecken. Zeitschr. f. PsychoL 100. (1926).","page":844},{"file":"p0845.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n845\ngegen\u00fcberstellt, wobei 4 mm starker Paragummi Eisenplatte nnd Magnetpole trennt. Bei Betrieben mit Wechselstrom oder (beliebig) unterbrochenem Gleichstrom entstehen v\u00f6llig ger\u00e4uschlose Vibrationen des Holzes, welche alsdann unmittelbar von der Hand wahrgenommen werden k\u00f6nnen.\nFig. 115. Spalt-Feingelenkpr\u00fcfer.\nc) Gelenkwahrnehm nng der Hand.\nHierbei unterscheidet man bei der Arbeitshand die grobe Wahrnehmung von Gewichten, Widerst\u00e4nden, Bewegungsrichtungen und die feinere, pr\u00e4zisionsgem\u00e4\u00dfere. Au\u00dferdem kann man passiv und aktiv die Differenzen wahrnehmen lassen. Bei der passiven, in der Diagnose von pathologischen F\u00e4llen vielfachst benutzten Untersuchung mu\u00df der Pr\u00fcfling Widerst\u00e4nde oder Stellungen im Raume beurteilen, die von der fremdgeleiteten","page":845},{"file":"p0846.txt","language":"de","ocr_de":"846\nFritz G-iese\nExtremit\u00e4t ihm zngefiihrt wurden. In allen anderen und praktisch vorkommenden Normalf\u00e4llen bewegt er die eigene Hand selber.\nBeispiele von Methoden:\noc) Kinematometer Meumann1).\nHierbei wird auf einer Unterlage der Arm befestigt und die Hand aktiv (eventuell auch passiv) gewinkelt. Die Stellung ist als Abweichung zu kennzeichnen, oder es sind fr\u00fcher gebotene Raumlagen wiederzufinden. Winkelabweichungen geben den Sch\u00e4tzungsfehler gegen\u00fcber der ersten Position an.\nDie Untersuchung der reinen Gelenkempfindlichkeit ist neuerlich \u2014 bezogen auf den Arm und die Hand \u2014 im Sinne einer Bef\u00e4higung des Menschen zu \u201emotorischer Gestaltbildung\u201d r\u00fcstig vorangeschritten. Yon Sander und seinen Sch\u00fclern2) wurden unter anderen f\u00fcr paarweise Vergleichung brauchbare Gestelle\n9 / ff/fl/ff/ft /ft /ff/ff/9\n9/ 9 / 9 / 9\nFig. 116. Handgelenkpr\u00fcfung mit Kleingewichtsvergleich.]\nkonstruiert, welche das Registrieren von Hand- und Armbewegungen in Sukzessions-komplexen unschwer (auch me\u00dfbar) erm\u00f6glichten. Es fand sich hierbei eine \u00fcberraschende Unterschiedsempfindlichkeit, die freilich f\u00fcr Kenner t\u00e4nzerisch-gymnastischer \u00dcbungsergebnisse keinesfalls beispiellos ist3).\n\u00df) Gelenkpr\u00fcfer mit Gewichten.\nDer von Gallus, sp\u00e4ter Moede und Rupp angegebene Gelenkpr\u00fcfer benutzt vergleichendes Anheben von auf Hebeln angebrachten Gewichten. Im Sinne der Konstanzmethode kann ein Normalhub mit einem stets ver\u00e4nderlichen Vergleichshub auf schwerer gleich leichter beurteilt werden, oder kann \u201e Gleich -einstellung\u201d gefordert sein4). Statt Hub kann auch Kurbeldrehen mit Widerstand benutzt werden.\n1)\tMeumann: Vorlesungen zur Einf\u00fchrung in die experimentelle P\u00e4dagogik.\n2.\tLeipzig 1913.\n2)\tHierzu siehe unter anderem Lippert : \u00dcber motorische Gestaltbildungen des Armes in \u201eGestalt und Sinn\u201d. Kruegers,^eue psychol. Stud. 4. (M\u00fcnchen 1927).\n3)\tHierzu siehe Abschnitt \u201eAusdruckshand\u201d und Giese: K\u00f6rperseele. M\u00fcnchen 1927.\n4)\tMoede: Praktische Psychologie. Abh. Herwig. Auswertungsverfahren.\n3.\t(Leipzig 1922).","page":846},{"file":"p0847.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n847\ny) Taktometer.\nDas Prinzip des Taktometers stammt von Graham Brown1). Es ist in der Moedeschen Konstruktion wiederzufinden. Der Pr\u00fcfling mu\u00df in Kombination vonTast- und Fingergelenkwahrnehmungen H\u00f6henunterschiede (z. B. zweier ineinander verschiebbarer Zylinder), ohne hinzusehen, beurteilen.\n\u00f6) Peingelenkpr\u00fcfer.\nZur Pr\u00fcfung von Spaltdistanzen einzeln oder in Vergleich mit einem Normalspalt -\u2014- wobei ebenfalls feine Fingergelenkbewegungen sich mit Tastwahrnehmungen verbinden, benutzt man beispielsweise mikrometrisch verschieb-\nFig. 117. Dosen-Feingelenkpr\u00fcfer. (JS. Zimmermann, Leipzig.)\nbare, in horizontalen Schienen laufende Metall- oder andere Fl\u00e4chen. Fig. 115 gibt ein Modell nach Giese wieder. \u00c4hnlich ist eine Vorrichtung von B. Schulze (Leipzig).\nIn anderer Weise pr\u00fcft man (Giese2) das in Feinmechanik usw. vorkommende Gelenkempfinden mittels paarweise vergleichendem Hebenlassen kleiner Gewichte in einer Reihenfolge von unregelm\u00e4\u00dfigen Gewichtsunterschieden. Die Gewichte sind unsichtbar in einem Kasten montiert und werden senkrecht gehoben.\ne) Widerstandgelenkpr\u00fcfer.\nMan benutzt (Biebe) zumeist eine Kurbel, die eine Feder zusammenpre\u00dft und l\u00e4\u00dft so den Widerstand einer Urstellung wiederfinden, wobei Raumlage und\nx) Tigerstedt: Handb. d. physiol. Meth. 3. Leipzig, B\u00fcrzel.\n2) Giese: \u00dcber Eignungspr\u00fcfungen f\u00fcr Uhrmacherlehrlinge. Halle 1924.","page":847},{"file":"p0848.txt","language":"de","ocr_de":"848\nFritz Giese\nDrehziffern der Kurbeln vertauscht werden, um keine andere als manuelle Wahrnehmungen zu erm\u00f6glichen.\n\u00dcbertragen auf Feingelenkwahrnehmungen benutzt man Widerstandswirkungen auf Me\u00dfdosen, die mittels mikrometrischer Schraube auf einen vergleichbaren Me\u00dfstand zu bringen sind. Eine Probe hierzu findet man in Moedes Feingelenkpr\u00fcfer, der nicht auf Spalt-, sondern Widerstanderkennung beruhte1).\n?]) Kalibergef\u00fchlspr\u00fcfer.\nMan kann eine der \u00fcblichen Rachenlehren der Industrie benutzen, um das Kalibergef\u00fchl in der Hand \u2014 meist durchaus auf Feinwahrnehmung der Gelenke beruhend \u2014 zu untersuchen. Dasselbe Prinzip l\u00e4\u00dft sich durch ein Ger\u00e4t, das\nFig. 118. Kalibergef\u00fchlspr\u00fcfer.\neinen Bolzen in eine \u00d6ffnung mit feinver\u00e4nderlichem Durchmesser einf\u00fchren und gerade eben \u201eauf Passung\u201d sitzen l\u00e4\u00dft, erzielen. Hierbei mu\u00df der Pr\u00fcfling dann den toleranzentsprechenden \u201eSitz\u201d des Bolzens durch Drehen am kaliber\u00e4ndernden Handrad einstellen. Allerdings erweist diese Probe erhebliche Beeinflussung durch Kenntnisse. Die Abbildung stellt Moedes Bolzenpasser dar2).\nd) Krafthandleistung oder Dynamometrie.\nWir m\u00fcssen ferner die Untersuchung der Krafthandleistung heranziehen, auch dort, wo vielleicht nur die Pr\u00e4zisionshand in\n\u00f6 Moede: Psychologie im Dienste des Wirtschaftslebens. Berlin 1919.\n2) Katalog E. Zimmermann, Apparatefabrik, Leipzig, Liste 33 a.","page":848},{"file":"p0849.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n849\nBetracht kommt. Damit w\u00e4ren die bekannten Formen des Dynamometers nnd der Ergographen, die ans der Erm\u00fcdungsforschung, welche wir hier anslassen, gel\u00e4nfig sind, zn nennen. Wir beschr\u00e4nken nns anf Formen, die teils den praktischen Arbeitsbedingungen entgegenkommen, teils die Unterscheidung nach Total- nnd Teilarbeit des K\u00f6rpers bzw. der Hand festhalten1).\nFig. 119. Dynamometer nach Sternberg.\n1. Pr\u00fcfger\u00e4te f\u00fcr die Untersuchung der Teilarbeit.\noc) Dynamometer nach Sternberg.\nStellt sich dar als handliche Umbildung des \u00e4lteren Dynamometers nach Collin, dessen Ursprnngsform noch zu ersehen ist.\nFig. 120. Arbeitsschreiber nach Weiler.\n\u00df) Zugdynamometer nach Ulmann.\nEs entspricht der Umkehrung des Prinzips nnd wird durch Ziehen bet\u00e4tigt2).\nx) Hierzu vgl. Gregor, Zondek, im Teil VI, Hoffmann, Zoth im Teil V von Abderhaldens Handb. d. biol. Arbeitsmeth. Berlin und Wien. Ferner Giese: Handb. psychotechn. Eignungspr\u00fcfungen. Halle 1925.\n2) Vgl. hierzu Meumann: Vorlesungen. 2. Leipzig 1913.","page":849},{"file":"p0850.txt","language":"de","ocr_de":"850\nFritz Giese\nFig. 121. Dynamometer nach Moede. (E. Zimmermann, Leipzig.)\nFig. 122. Streckenme\u00dfuhr-Ergograph.\n(H. Diehl, Leipzig.)\ny) Arbeitsschreiber nach Weiler.\nEine S\u00e4ule ist zusammenzudr\u00fccken, ein- oder heidh\u00e4ndig. In verschlossener Kapsel schreibt ein mitlaufender Kadialhebel Druckleistung nach Kilogramm-ausschlag kopierf\u00e4hig auf. Die Innenkonstruktion zeigt die Zeichnung1).\n1) Kr\u00e4pelins Arbeiten. 5. Leipzig 1910","page":850},{"file":"p0851.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n851\ng) Perforationsdynamometer nach Moede.\nEine kammartige Perforationseinrichtung locht Papierstreifen je nach Leistung mehr oder minder breit ein. Ein Me\u00dflineal kann angef\u00fcgt werden, um die Angaben des Kegistrierinstrumentes weiter auszuwerten1).\ns) Ergograph mit Streckenme\u00dfuhr na c h Klemm.\nIm Prinzip des Duboisergographen vereinigt das Instrument in trefflicher Form sowohl die graphische Kurvendarstellung wie die Streckenmessung der\nFig. 123. Hubgewicht.\nGesamtleistung. Bei Zeitaufnahme hat man so absolute und relative Leistung festgestellt. Arbeitswiderstand ist eine auf 10 leg einstellbare Bandfeder2).\n2. Versuche f\u00fcr Totalarbeit.\na) Hubgewicht nach Tramm.\nPr\u00fcfling mu\u00df mit oder ohne Rhythmusvorschrift ein Gewicht mit Handgriffen heben und senken. Hubleistung wird gez\u00e4hlt.\n1)\tKatalog Zimmermann, Apparatebau, Leipzig, Liste 33 a.\n2)\tKatalog Apparatebau H. Diehl. Leipzig.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B II.\n56","page":851},{"file":"p0852.txt","language":"de","ocr_de":"852\nFritz G-iese\n\u00df) Kistenlieben.\nEine Kiste mit etwa zw\u00f6lf Kilo Sand gef\u00fcllt, wird in Rhythmus vom Tisch auf einen Hocker, von da auf den Fu\u00dfboden, von dort auf den Tisch im Zirkel gehoben. Aufsatzfl\u00e4che f\u00fcr die Kiste enth\u00e4lt hintereinander geschaltete Kontakte, welche die Abfolge der H\u00fcbe auf den drei raumgetrennten Positionen in elektrischen Z\u00e4hlern addieren. Es kann eine Einheitszeit oder die Grenzzeit bis zur Ersch\u00f6pfung gegeben sein.\nFig. 124. Hubkiste1).\nFig. 125. K nrbold v nam omet er,\ny) Kurbeldynamo m et er na c h Giese.\nEine nach Bremsbandwiderstand, Raumlage und Kurbell\u00e4nge v\u00f6llig ver\u00e4nderliche Dreheinrichtung ist eine Zeit (etwa eine halbe Stunde) unter konstantem Widerstand (1 bis 25 kg) zu drehen. Elektrische Addition der gemachten Touren\n1) Giese: Deutsche Psychologie. 4. H. 1, Abli. Lang und R\u00fcssel. Halle 1925.","page":852},{"file":"p0853.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n853\nund eventuell Kurven verlauf mittels Markiermagnet auf Kymograpliion. Die Kurbel kann auch wie eine Bremse horizontal arbeiten1).\nEs er\u00fcbrigt sich, die bekannten Deutungen des Ergogramms und des Kurvenverlaufes hier zu wiederholen. Alle nach Zeitwerten oder Kilogrammleistung registrierenden Instrumente erm\u00f6glichen, wie \u00fcblich, die Typik der Ermiidungs- und der Arbeitskurve aufzubauen. Die Kormalkurve, die unendliche Kurve, die Simulantenkurve, die unter qualitativer Aufgaben\u00e4nderung zustande kommende Kurve sowie alle sonstigen Spielarten werden sowohl im Teil- wie Totalergogramm gewonnen. Einrichtungen, die Me\u00dfstrecken oder Tourenzahl oder Summen addieren, k\u00f6nnen jederzeit entsprechend direkt (Kymographion) oder mittelbar (rechnerisch-graphische Darstellung) analysiert werden.\nIm \u00fcbrigen ist bei manueller Erm\u00fcdung die Grenze f\u00fcr rein, psychologische Analysen erreicht. Zumal die Totalversuche, welche\nPig. 126. Taster mit Kymographion.\nden ganzen Organismus, einschlie\u00dflich Wirbels\u00e4ule und Schultern wie Beine mitbeanspruchen, finden zweckm\u00e4\u00dfigerweise zugleich eine physiologische Betrachtung. Als Instrumente zur Untersuchung der Krafthand sind sie naturgem\u00e4\u00df nicht zu vermissen.\ne) Aktivit\u00e4t der Hand.\nHierbei soll die Eigenschaft der Hand in aktiver Motorik, bei schnellen, leichten und flotten Bewegungsformen gepr\u00fcft werden. Derartige Bewegungen spielen eine Rolle beispielsweise bei Telegraphie, Maschinenschreiben u. a. m.\ncc) Darstellung motorischer Intervalle.\nBenutzt wird ein Taster A, der mittels Schlauchleitung und Tambour auf einem Kymographion entsprechende Kurven anzeigt, die zugleich der Intensit\u00e4tsmessung der Handbewegung dienen k\u00f6nnen (Werner2).\n1)\tGiese: Handb. d. psychotechn. Eignungspr\u00fcfungen. Halle 1925; Methoden der Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.\n2)\tWerner: G-rundfragen der Intensit\u00e4tspsychologie. Leipzig 19.22.\n56*","page":853},{"file":"p0854.txt","language":"de","ocr_de":"854\nFritz Griese\n\u00df) Tapping Board.\nGegeben ist ein kleines Kontaktbrett, das einpolig verbunden mit dem gleichfalls einpoligen Kontaktstift, in Z\u00e4hler usw. die Zahl der schnellsten Tipp-bewegungen in einer Einheitszeit ein- oder beidh\u00e4ndig \u00fcbertr\u00e4gt1).\ny) Passives Tapping.\nAm Geschwindigkeitssch\u00e4tzer nach Giese ist neben der optischen und akustischen Darbietung auch ein Klopfer vorgesehen, der auf den Handr\u00fccken\nSchutzblech\nSch\u00e4u\u00f6ffnung\nZeiger\nUhr\\\n\u2018werk\nKlopfer\nPf?\t\t\t/\n1\t\ty f 1\t\n. Geschwindigkeits-regier\nKurbel\nEinschaltung Achse Tonfeder Fig. 127. Passive Tippbewegungen.\nFig. 128. Aktionspr\u00fcfer.\nin beliebigem, dauernd ver\u00e4nderlichen, Intervall durch Uhrwerk niederf\u00e4llt. Die Geschwindigkeit der Tippber\u00fchrungen ist zu sch\u00e4tzen, einem Vortempo gleichzumachen usw.2).\nI) Aktionspr\u00fcfer.\nZur ein- oder beidh\u00e4ndigen Pr\u00fcfung schnellster Hin- und Herbewegungeii der H\u00e4nde in beliebiger Raumrichtung (horizontal, vertikal) sind zwei Hebel auf\n1)\tKatalog Stoelting & Co., Chicago.\n2)\tGiese: A. a. 0.","page":854},{"file":"p0855.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n855\netwa je 3 cm Wegstrecke zwischen je zwei Anschl\u00e4gen maximal hin und her zu bewegen. Elektrische Z\u00e4hleraddition der linken und rechten Leistung (getrennt); graphische Parallelverbuchung der Rhythmisierung auf dem Kymograpliion (Gie-se1).\n/) Impulsgebung der Hand.\nHierbei handelt es sich um die zielgem\u00e4\u00dfe, meist aus der Dominanz des Auges folgernde Angriffst\u00e4tigkeit der Hand.\nFig. 129. Stempelprobe.\nSoll nur der aktive Impuls ohne Kraftaufwand untersucht sein, so geht die Frage in die erw\u00e4hnten Versuche zur ,,Aktivit\u00e4t\u201d \u00fcber.\nFig. 130. Impulsmesser.\n(E. Zimmermann, Leipzig.)\na) Z u s c h 1 a g prob e.\nMit einem Spitzhammer ist auf eine Bleiplatte (beispielsweise) ein Hieb auf angerissene Punkte zu vollziehen. Messung der Abweichungen von den Zielpunkten (Heilandt2).\nL) Giese: Ebendort; vgl. Katalog der Firma E. Zimmermann, Leipzig, Liste 33 a.\n2) TIeiJandt: Lehrlingspr\u00fcfung bei der A. E. GL Berlin; Couv\u00e9: Psycho-technik in der Reichsbahn. Berlin 1925.","page":855},{"file":"p0856.txt","language":"de","ocr_de":"856\nFritz Giese\n\u00df) S t e m pelprobe.\nAuf einen elektrischen Kontaktknopf ist mittels steihpel\u00e4hnlicher Einrichtung dauernd zu schlagen. Treffermessung durch Elektroz\u00e4hler bei Kontaktschlu\u00df (GricSC1).\ny) I m puls m esse r.\nAuf einen Metallklotz mu\u00df mit dem Hammer geschlagen werden. Ein Mitnehmer bleibt auf einer Sektorskala je nach Schlagkraft liegen (Moede2).\ng) H a n d r u h e.\nSie ist Kennzeichen f\u00fcr die tremorfreie und dadurch sowohl in Dauerarbeit wie Zielsicherheit zuverl\u00e4ssige Extremit\u00e4t, wobei\nFig. 131. Tremograph.\nauch Anwendungen auf Zusammensetzen von Kleinteilen, Halfen medizinischer Ger\u00e4te und chemischer Vorrichtungen vorkommt.\na) Tre m o g r a p h n a c h Vierordt3).\nEin am Stiel befestigter, mit Eisenst\u00fcck zentral-membran versehener Mareytambour \u00fcbertr\u00e4gt Zitterbewegungen auf ein Kymographion. Gegebenenfalls werden Schreckreizungen durch Sch\u00fcsse, Lichtreize usw. auf den Pr\u00fcfling-abgegeben .\nD Giese: A. a. 0.\n2)\tMoede: Die Psychologie im Dienste des Wirtschaftslebens. Berlin 1919.\n3)\tVierordt, siehe Giese: Handh, a. a. 0.","page":856},{"file":"p0857.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitsliand\n857\n\u00df) T r e m o m e t e r nach Whipple1).\nGegeben ist ein in beliebigen Raumlagen anzubringendes, mit L\u00f6chern, Linien usw. versehenes Kontaktbrett (einpolig). Nach Metronomtakt oder freih\u00e4ndig ist mittels Kontaktstift in die L\u00f6chermitte zu stechen, sind ruhig die aus-\nFig. 132. Whipples Tremometer.\ngesparten Linienzwischenr\u00e4ume nachzufahren usw. Auch Bretter mit sich verengernden Schienen, Bretter mit Marken als Treffpunkt usw. sind \u00fcblich. Eine \u00e4hnliche Darstellung bietet Christinens, eine Nachahmung des Tremometers\nE.ZIMMEKMANN.\nLEIEZIG.\nPeritremometer.\nFig. 133.\nBisehoff, Moede u. a. Ciese verwendet 5 mm im Durchmesser aufweisende parallele Lochreihen, insgesamt 1600 je Platte, um die Nervenruhe zu provozieren. Hier elektrische Z \u00e4hleraddition.\nD Whipple: Manual of phys. and mental tests. Baltimore 1910; ferner ,,Bulletin trimestriel de l\u2019Office intercommunal pour l\u2019Orientation Professionelle\u201d. Br\u00fcssel 1927. Nr. 27.","page":857},{"file":"p0858.txt","language":"de","ocr_de":"858\nFritz Giese\nDie Tromometer werden au\u00dfer mit dem Kymographion auch mit Klingeln verbunden. Kontakt erfolgt dann bei Fehlleistung, Zittern.\ny) Peritremomete r.\nEs sind zwei Metallrohre (oder eines) in freiem Arm so zu halten, da\u00df sie ruhig im Schlittenkontaktloch eines Gestelles f\u00fcnf Minuten schweben, ohne dessen Rand zu ber\u00fchren. Entsprechende \u00c4rmruhestellung einh\u00e4ndig wie beim Gewehranschlag. Z\u00e4hlerbuchung der Summe der Zitterkontakte des Stabes im Schlittenkontaktloch (Giese1).\n8) Aufbauversuche.\nKl\u00f6tzchen sind vorsichtig aufzuschichten und abzutragen (Iiwpp2).\nh) Zusammenarbeit der H\u00e4nde.\nHer Begriff \u201eHandgesehick\u201d kommt in \u00fcblicher Form vor allem im angemessenen Zusammenspiel beider H\u00e4nde zur Geltung.\nFig. 134. S t o rcli s eh n ab ei ap parat.\nDamit verl\u00e4\u00dft dann die Psychologie die relative Einseitigkeit der gelenkmechanischen und physiologischen Pr\u00fcfungen. Hierbei wird bevorzugt das Verfahren der Arbeitsprobe, sofern man nicht ausgesprochen betonte \u201e Zweihandpr\u00fcf er\u20195 benutzt.\n1. Zweihand'pr\u00fcjer.\na) Storchschnabelapparat.\nEin storchschnabel\u00e4hnliches Ger\u00e4t ist bimanuell zu bedienen, so da\u00df eine vorgezeichnete Kurve durch doppelte Hebelbedienung nachgefahren wird (Hupp3).\n\u00df) Supportappara t.\nDer gew\u00f6hnliche Support kann ebenfalls durch Kurbelung dieselbe Aufgabe stellen ( Moede4). Nach Giese wird das Verfahren zur automatischen Pr\u00fcfung, wenn\n1)\tGiese: Method, (ebenso f\u00fcr das folgende) d. Wirtschaftspsychol. (s. o.).\n2)\tHupp: Eetriebsh\u00fctte. Berlin 1924.\n3)\tHupp: Untersuchung zur Lehrlingspr\u00fcfung. Psychotechn. Zeitsehr. 1. (1925).\n4)\tMoede: Prakt. Psychol. 1. (Leipzig 1919).","page":858},{"file":"p0859.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n859\nder nachzufahrende Stift durch eine kontaktgebende Messingplatte mit ausges\u00e4gter Kurve zu f\u00fchren ist, wobei bei Abirrungen vom Kurvenweg Kontakte entstehen. Beachtlich bleibt auch die Kurbelungszeit bis zur Aufgabenl\u00f6sung!\n2. Arbeitsproben aller Art.\nHierbei kommen die in der Psychotechnik und in der Kleinkindp\u00e4dagogik gel\u00e4ufigen Verfahren in Betracht. Beispiele, deren jedes andere Seiten der Zusammenarbeit der Hand erfa\u00dft.\na) Drahtbiegen nach Heilandt.\nDr\u00e4hte sind nach Modell mit freien H\u00e4nden nachzubiegen. Die Fig. 136 zeigt die Leistungssteigerung bei einem Lehrling nach Lehrzeit1).\n\u00df) Knete n.\nBenutzt wird Plastilin. Knetproben bei dem Abschnitt \u00fcber Mindersinnige!\nFig. 135. Support, y) F \u00e4 d e 1 n.\nIn Nadel\u00f6hre sind F\u00e4den einzuziehen, ebenso in ausgestanzte L\u00f6cher. Man vergleiche die Aufgaben von Montes so ri in der Kindererziehung (s. u.).\n8) Sp\u00fclen, W\u00e4ssern, F\u00fclle n.\nWird z. B. in einem Aquarium, das verschieden von unten beleuchtet werden kann, vorgenommen (Giese). Richtet sich zugleich auf das \u201eMaterial-gef\u00fchl\u201d f\u00fcr fl\u00fcssige Arbeitsstoffe. Gegenst\u00e4nde werden ges\u00e4ubert oder Gef\u00e4\u00dfe gef\u00fcllt, Materialien gemischt usw.\nZum F\u00fcllen kann Sand benutzt werden; dasselbe wird auch in trockenem Zustand der Materialien durchgef\u00fchrt.\ns) Zusammensetzen,\nBenutzt werden mechanische Zusammensetzk\u00e4sten, wie der von M\u00e4rldin, Matador, in dem Schraubenteilchen, Eisenst\u00e4be ab- und aufzumontieren sind. Komplexe Gebilde werden hergestellt oder auseinandergenommen.\nl) Heilandt: Psychologische Eignungspr\u00fcfungen bei der Einstellung gewerblicher Lehrlinge. Betrieb. 3. (1920); ferner ebenda. 4. (1921); Psychotechn. Zeitschr. 1. (1925).","page":859},{"file":"p0860.txt","language":"de","ocr_de":"860\nFritz G-ies\u00a9\nStenquist verwendet fertig eingerichtete Arbeitsk\u00e4sten mit Teilaufgaben an Gebrauchsgegenst\u00e4nden (Klingel, Schlo\u00df usw.1).\n>) Einsetzversuche..\nGegeben werden Pflockbretter, wie das f\u00fcr tabisehe Patienten nach Frenkel (s. u. im Abschnitt ,,Pathologie\u201d).\nMan kann auch in L\u00f6cher Streichh\u00f6lzer im Eiltempo stecken lassen oder Schrauben in Metallstabl\u00f6cher f\u00fcgen.\nWerden Holzbretter genommen, die zerschnitten sind und als Puzzle in Brettl\u00fccken passen, so geht hier als Dominanzfunktion die Formvisualit\u00e4t neben\n4948 HLOsthaUS Ausjfffhrung 3-4 \u00df#$,Pr\u00fcfung 2-3 440ahr# alt. Das Pr\u00fcfungsverfahrers war\n______ ___\u201eFFF, ff #nfl* 9eHng...................^9^8 noch nicht so durch gearbeitet wie 4320\nOo Oo\n4924 K .\u00f6sfcllSlIS ^ashpr\u00f6fyrtg nach 3ahr tshrxeit gsferaucfcfcf 43/4 St.\n:\t,\t........\t,\t4 Is,........... t........._ M\u00e2teci\u00e0L:\t5 Dr\u00e4hte a 50 cm Lange\nFig. 136. Drahtbiegen.\ndem Handgeschick hervor2). Ein Beispiel ist das Brett nach Ucahf). Viel benutzt wird auch das Formbrett von Goddard, dasjbei Intelligenzalterspr\u00fcfungen Verwendung fand4).\ni) Reaktion sbewegunge n.\nEndlich kann man anch noch das Reaktionstempo der Hand festlegen. Man richtet dann den gew\u00f6hnlichen Ohronoskopversiich mit\nx) Katalog Stoeliing Co., Chicago.\n2)\tBlumenfeld: Untersuchungen \u00fcber die Formvisualit\u00e4t. Zeitsclir. f. Psychol. 91.\n3)\tKatalog Stoelting & Co., Chicago.\n4)\tSiehe Giese: Wirtschaftspsychologie.","page":860},{"file":"p0861.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n861\nHipp-Schulze#chem Ohronoskop (polarisierte Magnete!) her oder nimmt die Loebnersche Zeitnhr bzw. den Lewin sehen Chronographen1).\nVerlangt werden einfache nnd Wahlreaktionen.\nF\u00fcr variierte Handgriffe nnd Anpassungen an das praktische Leben wird ein Reaktionsbrett (nach Giese) verwendet, das reale Bedienungselemente \u2014 Druckkn\u00f6pfe, Zughebel, Drehschalter, Fu\u00dftritthebel, Klappen (die herunterfallen), Zugschn\u00fcre usw. \u2014 bietet, ferner optische und akustische Signale aller Art. Hier mu\u00df die Hand komplex eingreif en: auf verschiedene Signale in verschiedenartiger Form. Die Schaltung erfolgt automatisch durch Solenoidvorschalteinrichtung (Automaten), das angeschiossene Ohronoskop oder eine sonstige Zeitme\u00dfeinrichtung ergibt die\nFig. 137. Brett nach Healy.\nVariationen wie die Gesamtzeit f\u00fcr eine vorherbestimmte Zahl hintereinander erledigter Reaktionen. Bei Fehlreaktionen wird die Zeit selbstt\u00e4tig durchgemessen, da der Apparat nur bei richtiger Handlungsweise neue Reize bietend weiterl\u00e4uft.\nWenn wir so die psychischen Funktionen der Hand \u00fcberblicken, so pflegt man mithin heute ein Schema der lebenswichtigen Arbeitselemente in folgender Form zu bevorzugen. Handgeschick und Arbeitselemente enthalten u. a. :\nTasten,\nGelenkwahr nehmung,\nKraft,\nAktivit\u00e4t,\nK\u00fche,\nImpulsgebung,\nZusammenarbeit,\n( Reaktionsweise).\nr) Alle diese Angaben in des Verfassers ,,Methoden der Wirtschaftspsychologie\u201d. Berlin und Wien 1927.","page":861},{"file":"p0862.txt","language":"de","ocr_de":"862\nFritz Giese\nEs wird auf den objektiven Arbeitswert ankommen, ob als Dominante diese oder jene Einzelheit in den Vordergrund riickt und auf den Trainingsstand wie den Habitus der Person, ob diese oder jene Seite f\u00fcr sie von ausgezeichneter Charakteristik w\u00e4re.\n3. Komplexe Strukturbildungen.\nWir er\u00f6rtern nunmehr eine Reihe von Faktoren, die insgesamt als komplexe Strukturbildungen aufzufassen sind. Das will sagen, da\u00df sie in jeder vorkommenden Handt\u00e4tigkeit bei Arbeit eine Rolle spielen und bewirken k\u00f6nnen, da\u00df die auf-gereihten Elemente unter ihrem Einflu\u00df in jeweils verschiedener Wirkungsweise zutage treten. Damit ist ferner angedeutet, da\u00df das spezifisch psychologische Gebiet der Arbeitshand immer auf diese Einfl\u00fcsse zu achten hat! Vorerst k\u00f6nnen wir nicht mehr tun, als eine Reihe solcher Einflu\u00dffaktoren zu nennen. Wie sie bestimmten Gesetzen folgen und wie sie sich zueinander verhalten, das wird Gegenstand besonderer Untersuchungen werden. Methodisch soll gesagt sein, da\u00df die Bestimmung einer Arbeitsweise in ihren Elementen immer zum Ende die Frage nach den Strukturbildungen erheben soll. Mithin, da\u00df sie diese Faktoren auch in der Praxis der Untersuchung anf\u00fchren m\u00fc\u00dfte, um Aussicht auf praktische Wirkung zu bekommen.\na) Der Begriff der Serienhandlung,\nJede reale Handt\u00e4tigkeit setzt sich aus Elementen zusammen, die wir Griffe nennen k\u00f6nnen. Beobachtet man nun die Teilt\u00e4tigkeiten der Hand, so beobachtet man zugleich eine Wiederkehr bestimmter Elemente im Arbeitsablauf. Die Wiederkehr pflegt nicht eine ununterbrochene, sondern eine solche von phasen-haftem Schub zu sein. Wir k\u00f6nnen eine mehr oder minder kurze Arbeitszeit gliedern nach diesen Phasen und daher als Serienhandlung den Umkreis der Griffolgen eines Handarbeitsvorganges bezeichnen, der zusammenfassend Teile zu einem Ganzen verschwei\u00dft und damit das Kontinuum des Arbeitszeitverlaufes gruppiert. Die Gliederung kann je nach vorliegendem Fall weit oder eng gespannt sein, aber nie in erheblichsten Kurzzeiten denkbar werden.\nIm Begriff der Serienhandlung, die also ein Tun in geschlossenen Sch\u00fcben von verschwei\u00dften Einzelbewegungen w\u00e4re, steckt zugleich zweierlei. Der Begriff des Rhythmus und der Begriff des Gesamtimpulses! Rhythmus in irgendeinem Arbeitsvorgang ist dabei der rein subjektive Vorgang, der zu trennen ist vom objektiven Takt, der dinglich gerichteten Zeitphasengliederung (dem Takt der Maschine, dem Takt einer Gruppen-","page":862},{"file":"p0863.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n863\nt\u00e4tigkeit, dem Takt der Zeiteinheit, in der der Conveyor l\u00e4uft hei Flie\u00dfarbeit usw.), Rhythmus ist hier, in diesem Zusammenhang, das subjektive, funktionsgem\u00e4\u00dfe Erleben der ,,Erscheinung\u201d Takt. Und in jedem Vorgang, den wir Serienhandlung hei\u00dfen, ist fast restlos das Erleben eines Arbeitsrhythmus verb\u00fcrgt. Dieses Erleben ist etwas Hinnehmendes, fast sensoriell Bedingtes, das sich sofort umsetzt in Tat und Aktion. So entsteht der Wille\nFig. 138. Serienhandlungspr\u00fcfer.\nzum Gesamtimpuls. Der Mensch verschwei\u00dft die Serienhandlung unter dem rhythmischen Empfinden zu einer Aktion, die einen die Elemente verschmelzenden Impuls, einen Akzent der Gemeinschaft tr\u00e4gt1).\nBeispiele hierf\u00fcr bietet das Schreiben, dessen Gesamtimpuls beim Erwachsenen so klar gegen\u00fcber der infantilen, atomistischen\nx) Zum Rhythmusbegriff vgl. meine Ausf\u00fchrungen auf dem Kongre\u00df f\u00fcr \u00c4sthetik. Halle 1927. Kongre\u00dfber. Stuttgart 1927; Zur Serienhandlung siehe auch meine Methoden der Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.","page":863},{"file":"p0864.txt","language":"de","ocr_de":"864\nFritz Griese\nStruktur der Worte beim Kinde ist! Gesamtimpuls liegt vor beim Klavierlauf, den der Ge\u00fcbte gegen\u00fcber dem Tonaddieren des Anf\u00e4ngers besitzt. Gesamtimpuls hat der Kraftfahrer, der den Gang reibungslos mit Gasgeben verbindet: Gesamtimpuls hat der Maschinenschreiber, der Worte nicht addiert aus Einzelbuchstaben. Serienhandlung liegt in dem letzteren Falle vor, wenn nicht mehr Worte, sondern Phrasenzusammenh\u00e4nge, Satzteile gemeinsam getippt werden. Serienhandlung liegt vor, wenn der Klavierspieler phrasieren gelernt hat.\nMethodisch hat der Verfasser einen Serienhandlungspr\u00fcfer seinerzeit ausgebildet, um an diesem Apparat Untersuchungen darzustellen.\nHierbei sind aufblitzende Lampen durch f\u00fcnf Bedienungsgriffe, die hintereinander bimanuell bet\u00e4tigt werden m\u00fcssen, auszuschalten. Ist eine f\u00fcnffache Schaltung richtig erledigt, taucht automatisch sofort eine andere neue Reizlampe auf. Die oberen, in den Fenstern befindlichen Lampen bedingen umgekehrte Handlungsfolge der Schaltung wie die unteren, rotes Licht werfenden. Der Apparat l\u00e4\u00dft die Lampe stets brennen, bis richtig geschaltet ist, kontrolliert also die Person auf angemessene Serienhandlung der Bedienungsgriffe. Zu diesem Zweck ist ein Automat (Solenoidpumpe mit Kontakten) eingebaut, der zwangl\u00e4ufige Schaltungen bedingt. Man kann feststellen, wie lange jemand beispielsweise f\u00fcr 50 Serienhandlungen gebraucht, was zeitlich leicht erm\u00f6glicht wird, da der Apparat jede Fehlleistung durch Aufhalten der Versuchsperson bucht. Den Rhythmus der Schaltungen beobachtet man direkt; ferner indirekt durch parallelgeschalteten Markiermagneten am Kymographion.\nb) Gleichf\u00f6rmigkeit.\nIn der Serienhandlung entwickelt \u00bbsich ein Rhythmus, der f\u00fcr die Arbeitshand deshalb von Vorteil ist, weil er den Ablauf gleichf\u00f6rmiger Handlungen gliedert : mithin Ordnung in den Strom bringt, das Gef\u00fchl des Vorw\u00e4rtskommens verleiht. Es ist zu betonen, da\u00df wir trennen m\u00fcssen diese objektive Identit\u00e4t des Arbeitsverlaufes \u2014 bedingt vielleicht durch die Maschine, den Arbeitsflu\u00df \u2014 von der subjektiven Wirk u n g im Erlebnis, das wir Monotonie nennen. Hinzugef\u00fcgt kann werden, da\u00df Monotonie seltener empfunden wird als schreibtischgem\u00e4\u00dfe Beobachter vermeinen1). Definitorisch und methodisch mu\u00df man aber bei jeder Handarbeit fragen: I. Ist sie gleichf\u00f6rmig? 2. Ist sie auch monoton? Her paradoxe Fall, da\u00df eine objektiv nicht gleichf\u00f6rmige Arbeit monoton w\u00e4re, ist denkbar in F\u00e4llen, in denen der Mensch keinerlei Interesse, keine Stellungnahme zur Arbeit w\u00fcnscht. Bei der Hand wird die Monotonie durch Wechsel der Bewegungsformen unter Umst\u00e4nden behoben. Auch Wechsel der K\u00f6rperhaltung (Stehen, Sitzen, Laufen), ferner Ablenkungsreize, wie Gesang, Musik, scheinen nicht unvorteilhaft zu sein. Ferner haben Erm\u00fcdung und Monotonie gewisse Beziehungen.\nJ) Vgl. W. Stern: Wunderlich: Die Einwirkung einf\u00f6rmiger zwangl\u00e4ufiger Arbeit. Leipzig 1925.","page":864},{"file":"p0865.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n865\nZur Pr\u00fcfung typisch monotoner Arbeiten habe ich einen Monotoniepr\u00fcfer bergest eilt.\nHierbei fallen st\u00e4ndig automatisch auf einer schiefen Ebene Stahlkugeln herunter, laufen dem links sitzenden Pr\u00fcfling entgegen, der die Weisung hat, die Kugeln bimanuell abzufangen und in die zwei Trichter zu werfen. Rechte und linke Hand sind dem entsprechenden Trichter zugeordnet. X iehtabgef ange ne Kugeln fallen in eine Versenkung und rollen wie die Trichter kugeln wieder zum Sch\u00f6pfrad an der rechten Apparatseite zur\u00fcck. Der Apparat ist so unendlich t\u00e4tig und mi\u00dft mittels Streichkontaktes die links wie rechts abgeworfene Kugelzahl. Graphische Verbuchung kann der z\u00e4hlenden am Kymographion angeschlossen werden. Das Bewu\u00dftsein, eine Sisyphusarbeit zu vollziehen, unterst\u00fctzt zweckm\u00e4\u00dfig die Monotonie der Versuchsperson.\nc) Sinnf\u00e4lligkeit.\nWenn man die verschiedenen Handbewegungen beobachtet und vor allem im Zusammenhang der Wirklichkeit, so bemerkt\nPig. 139. Monotoniepr\u00fcfer. ( E. Zimmermann, Leipzig. )\nman, da\u00df Bedienungsgriffe zweierlei Al\u00f6glichkeiten zeigen: entweder sie erfordern scharfe Aufmerksamkeit, auch bei Wiederholung, gewisses Aachdenken, bestimmtere Apperzeption. Oder sie gehen in ihrer Funktion wie im Aebenher; wir meistern sie deutlich auch, ohne vollbewm\u00dft dabei zu sein. Das k\u00f6nnen wir experimentell sehr leicht feststellen, indem wir einem arbeitenden Menschen dauernd st\u00f6rende Reize darbieten, auf die er irgendwie achten mu\u00df (Zahlenzuruf, mit dem Hinweis auf bestimmte Reize mit Ja oder Aein zu antworten, Bilder zum Behalten usw.). Die Bewegungen, bei denen wir sagen k\u00f6nnen, da\u00df ihre Ausf\u00fchrung unterbewu\u00dft, automatisch zustande kommt, also in angemessenem Bezugssystem zwischen Ich und Objekt, nennen wir sinnf\u00e4llige.","page":865},{"file":"p0866.txt","language":"de","ocr_de":"866\nFritz Giese\nSie ,,fallen uns in den Sinn\u201d ohne erhebliche \u00dcberlegung. Man hat nun bei den Handgriffen auch gewisse Regeln finden wollen, nach denen ein Griff sinnf\u00e4llig sein kann. Meist handelt es sich dabei um Bedienungsgriffe an Maschinen, F\u00f6rdereinrichtungen, T\u00fcren usw. Es gilt heute, um Unfall und Zeitverluste wie Materialverschlei\u00df zu reduzieren, als selbstverst\u00e4ndlich, da\u00df alle Bedienungsgriffe objektiver Art f\u00fcr die schaffende Hand sinnf\u00e4llig vorbereitet werden, so da\u00df der Handgriff mit dem Maschinengriff psychologisch in Konnex steht.\nDie hier zu erw\u00e4hnende sogenannte \u201eHandregel\u201d, die die Technik durch Drehbank, Laufkatzen, Fahrstuhl und andere Konstruktionen ermittelte, lautet:\nHandregel.\n\u201eRechtsverschiebung und Rechtsdrehung f\u00fchrt nach rechts, r\u00fcckt ein und \u00f6ffnet oder vergr\u00f6\u00dfert. Linksverschiebung bzw. Drehung f\u00fchrt nach links, r\u00fcckt aus, schlie\u00dft oder verkleinert1).\u201d\nKach dieser Regel arbeitet die Industrie. Sie benutzt also die als Dominanz bei der Handarbeit vorliegenden Assoziationen unterbewu\u00dfter, fast instinktiver Art. Au\u00dfer dieser Handregel gibt es andere Sinnf\u00e4lligkeiten, bei denen Drehungen und Sch\u00fcbe nicht Vorkommen. Hinausbewegungen sind immer mit Sto\u00dfen verbunden; Rechtsrichtung mit Rechtsdrehung, Linksbewegung mit Linksdrehung des Ger\u00e4tes. Aufw\u00e4rtsbewegung des Griffes mit Emporheben, Abw\u00e4rtsbewegung mit der Erwartung des Sich-senkens. Abwehrbewegungen (vor dem K\u00f6rper, dem Gesicht) ergeben sinngem\u00e4\u00df Bremsbewegungen der Hand: Es gen\u00fcgt, dieses wichtige Prinzip der Sinnf\u00e4lligkeit hier zu nennen, das zweifellos zur methodischen Definition von Handbewegungen auch dort wichtig ist, wo eine Bewegung ausgesprochen fernsteht der Frage, also weder sinnf\u00e4llig noch nichtsinnf\u00e4llig, sondern neutral gerichtet ist.\nWie Monotonie die Erm\u00fcdung steigert, so kann Sinnf\u00e4lligkeit bei Erm\u00fcdung die Leistungen verbessern, indem die Bewegungen ein geringeres Ma\u00df von Konzentration bedingen. Die Bedeutung der Sinnf\u00e4lligkeit f\u00fcr die Unfallverh\u00fctung ist daher bei der erm\u00fcdeten Hand von besonderer Wichtigkeit. Monotonie und Sinnf\u00e4lligkeit sind, nebenbei bemerkt, in der Industrie notwendigerweise Kompensationswerte bei Arbeiten unter Gleichma\u00df und gehobenem Tempo2).\n1)\tWerkstattechnik. Berlin 1917. S. 15; 1918. S. 3.\n2)\tWeiteres hierzu in Giese: Methoden der Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927; siehe auch Schlesinger: Psychotechnik und Betriebswissenschaft. Leipzig 1920; Giese: Untersuchungen z. Sinnt. (Vortrag, 6. Tagung d. V. d. pr. Ps.) Hannover 1928.","page":866},{"file":"p0867.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n867\nd) Materialgef\u00fchl.\nWir m\u00fcssen im Zusammenhang mit den assoziativen Vorg\u00e4ngen hinsiclitlicli der Hand noch erw\u00e4hnen, da\u00df anch der Begriff \u201eMaterialgef\u00fchl\u201d eine kennzeichnende Bedeutung besitzt.\nIch verstehe unter Materialgef\u00fchl die subjektive Stellungnahme der Person zur Qualit\u00e4t des Arbeitsstoffes, der Materie. Ein auf Gef\u00fchlston beruhendes Bezugssystem. Mcht etwa eine nur \u00e4sthetische Einstellung, die mit Wohlgefallen oder Unlust definiert sei, sondern ein inneres Zugeh\u00f6rigkeitsverh\u00e4ltnis zwischen Menschenhand und Masse. Bei jeder Arbeitshanduntersuchung sollte daher dieser Faktor erw\u00e4hnenswert bleiben. Denn aus dem Bezugssystem erwachsen nicht nur die Arbeitszeiten, die Leistungscharakteristik auf Dauer, sondern auch viele Einzelheiten: beispielsweise die Stoffgestaltung, die sch\u00f6pferische Gestaltungsf\u00e4higkeit der Hand, ja sogar \u00e4u\u00dferlichste Dinge, wie die taktile Verschmelzungszeit zwischen Hautoberfl\u00e4che und Gegenstand. Es gibt individuelle Vorlieben f\u00fcr das Hasse, das Weiche, das Warme, das Blanke, das Harte, das Rauhe, das Eckige, das Leichte, das Faltige, das Scharfe; das nach Holz, nach \u00d6l, nach Farbe, nach Campher usw. Duftende; f\u00fcr das Rote, das Gelbe, das Graue, das Wei\u00dfe; f\u00fcr das Starre, das Biegsame, das Schnellende, das Bohrbare, das Klebbare, das Spaltbare usw. Es kann hier nicht n\u00e4her die Typologie des Materialgef\u00fchls gegeben werden: aber man wird die Wirkung des Materialgef\u00fchls vor jeder Drehbank, in jedem Laden, in jedem Zimmer beobachten. Die Hand ber\u00fchrt immer nur gern das ihr Sympathische und sie macht mit dem sympathischen Gegenstand mehr, sie behandelt ihn fast liebevoller als den nicht gem\u00e4\u00dfen. Zweifellos h\u00e4ngen auch Berufswahl und Materialgef\u00fchl miteinander zusammen1). Man kann selbst bei hochgeistigen Leuten Streicheln ihrer Instrumente, ihrer frisch riechenden B\u00fccher, Betasten ihrer Steinsammlung usw. beobachten. Das taktile Moment ist dabei nur Kontaktgebung zwischen der inneren Einstellungsanteilnahme und dem Objekt. Man darf mithin Materialgef\u00fchl nicht der nur taktilen Wahrnehmung gleichsetzen. Auch hier kommen Dominanzen (der Geruch, der Geschmack, die Farbe) sofort hinzu, um das Materialgef\u00fchl zu beeinflussen. Als Faktor der Handarbeitsdefinition ist jedenfalls dieser Begriff nicht mehr zu entbehren.\ne) Pr\u00e4valenz und Autonomie der Hand.\nBeide Begriffe geh\u00f6ren zusammen und verweisen auf den Tatbestand, da\u00df bei den Extremit\u00e4ten des Menschen zur be-\n1) Vgl. Giese: Psychoanalytische Psychotechnik. Wien 1924; Technik und Psychoanalyse in \u201eKrisis der Psychoanalyse\u201d (Prinzhorn). Leipzig 1928.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/-II.\to7","page":867},{"file":"p0868.txt","language":"de","ocr_de":"868\nFritz Giese\nsonderen Umschreibung des Arbeitsvorganges auch die Angabe der K\u00f6rperseite bedeutsam ist. Wir sprechen von Pr\u00e4valenz, wenn zweifelsfrei die eine K\u00f6rperseite uberwiegt, wenn also die rechte oder die linke Hand den Arbeitsproze\u00df \u00fcberlegen gestaltet. Wir sprechen von Autonomie der Hand, wenn diese Gestaltung ebenso zweifelsfrei unabh\u00e4ngig von der anderen K\u00f6rperseite aus sich vollzieht, wenn die eine Hand der einen Seite wirklich unabh\u00e4ngig und eigengesetzlich arbeitet. Mit der Aufrollung dieser Frage, ob und inwieweit eine K\u00f6rperseite bei der Hand \u00fcberwiege oder selbst\u00e4ndig schaffe, kommen wir zu einer Gruppe von Problemen, die teils theoretische, teils praktische Bedeutung haben und sich einmal begrifflich, zum anderen auch methodisch festlegen lassen. Zun\u00e4chst mu\u00df man sich daran erinnern, da\u00df an und f\u00fcr sich schon der erscheinungsgem\u00e4\u00dfe Unterschied der einen von der anderen K\u00f6rperh\u00e4lfte bei der Hand etwas Erfahrungsgem\u00e4\u00dfes ist. Und zwar kommen wir damit auf gewisse Beobachtungen, die eine Abweichung der \u00fcblichen Yerhaltungsweise des Menschen f est stellten : n\u00e4mlich auf das Problem des sogenannten Linksers. Weil erfahrungsgem\u00e4\u00df tats\u00e4chlich die Pr\u00e4-valenz der rechten Seite zu vermerken war, fielen die Menschen, bei denen sich die Verschiebung derselben Handeigenschaften auf die andere K\u00f6rperh\u00e4lfte verzeichnen lie\u00df, als ,,Linkser\u201d auf.\nDer Linkser wiederum erwirkte sp\u00e4ter die umgekehrte und eigentlich kausale Frage: warum man von einem Rechtsertum ausgehen m\u00fcsse; warum und inwieweit das \u00dcberwiegen der rechten Hand vorkomme und Bedeutung besitze ? So ist das Linksertum als Erscheinung gleichzeitig ein Problemkreis f\u00fcr die Merkw\u00fcrdigkeit der Rechtsbetonung unserer Handarbeit geworden.\nEin weiteres Beobachtungsfeld entwickelte sich freilich erst aus den n\u00e4heren Untersuchungen der Arbeitshand, die sich insbesondere mit dem weiter unten zu schildernden Prothesenproblem, also der Kunsthandherstellung und -konstruktion, befa\u00dften. Hier kam man dahinter, da\u00df die \u00dcberbetonung der einen (rechten) Seite und die \u201eMinderwertigkeit\u201d der anderen (linken) Seite auch im Kormalfall durchaus nicht immer zutrifft, sondern da\u00df bei den Arbeitsvorg\u00e4ngen die Beziehung Rechts : Links eine ganz andere Bedeutung hat. So entwickelte sich der Begriff der Leit-und Hilfshand und der Doppelf\u00fchrung, die wir weiterhin zu erw\u00e4hnen haben, um die Anteilhaberschaft der Extremit\u00e4ten bei irgendwelchen objektiven Arbeitsvorg\u00e4ngen richtig zu definieren.\nEin vierter Gedanke kam aus einer mehr theoretisch bedingten und ins Praktisch-P\u00e4dagogische zielenden Frage: n\u00e4mlich der Forderung, die Pr\u00e4valenz der einen Seite des K\u00f6rpers auszugleichen und demgem\u00e4\u00df eine Erziehungsmethode zur gleichartigen","page":868},{"file":"p0869.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitsliand\n869\nund gleichwertigen Ausbildung beider H\u00e4nde zu fordern. Her Begriff \u201eAmbidextrie\u201c meint dieses doppelte Bechtsertum im Sinne einer Verbesserung der menschlichen Leistung, steht also immer noch auf dem Boden der \u00dcb er Wertigkeit der einen K\u00f6rperh\u00e4lfte, was wir entsprechend zur\u00fcckzuschrauben haben werden.\nDieses B\u00fcndel von vier verschiedenen begrifflichen wie methodischen Fragestellungen, die insgesamt der Annahme eines \u00dcberwiegens der einen Seite des K\u00f6rpers folgen, w\u00e4re nunmehr noch kurz zu erl\u00e4utern. Um Irrt\u00fcmer auszuschlie\u00dfen, wird es gut sein, bereits hier zu betonen, da\u00df der weiterhin von uns genannte Dominanzbegriff etwas ganz anderes meint! Er richtet sich nicht der Frage des \u00dcberwiegens der einen K\u00f6rperseite zu, sondern entwickelt den Gedanken des funktionalen Hintergrundes bei sogenannter Handarbeit. Der Pr\u00e4 valenzbegriff gibt nur das Formal-Manuelle der Sache an. Der Dominanzbegriff meint die Funktion und will darauf hinweisen, da\u00df Handarbeit ein oberfl\u00e4chlich gefa\u00dftes Bestimmungsst\u00fcck ist, da\u00df vielmehr hinter der Funktion der Hand h\u00f6here und vielleicht die Hand entscheidend in ihrer Arbeit steuernde Eigenschaften, Anlagen, Vorg\u00e4nge anderer Art ruhen. Wir erhalten so zur Definition irgendeiner Handarbeit zwei Faktoren: den Faktor der Pr\u00e4valenz und den der Dominanz. Um eine Ph\u00e4nomenologie irgendeiner manuellen Arbeit anzudeuten, mu\u00df der Index beider Faktoren bestimmt werden. Wenn diese Angaben vorerst \u2014 bei Fehlen jeder Vorforschung \u2014 auch nur durch allgemeinere Bezeichnungen erfolgen k\u00f6nnen, so ist es doch wichtig, diese beiden Bestimmungsst\u00fccke festzuhalten. Der allgemeine Ausdruck \u201eHandgeschick\u201d besagt uns beispielsweise nichts mehr, wenn er nicht zugleich angibt, welche Pr\u00e4valenz und welche Dominanz diese Handgeschicklichkeit besitze? Der Ausdruck Packen, Stanzen, B\u00fcndeln, Werfen \u2014 als Unterbegriff der sogenannten Handgeschicklichkeit \u2014 bedingt ebenfalls methodisch eine n\u00e4here Dominanz- und Pr\u00e4valenzangabe.\n1. Linksh\u00e4ndigkeit.\nZun\u00e4chst ist zu beobachten, da\u00df \u2014 entgegen der \u00fcblichen Verhaltungsweise des Durchschnittes \u2014 eine Beihe von Menschen mit der linken Hand Operationen vollziehen, die man sonst rechts auszuf\u00fchren pflegt. Diese Leute nennt man bekanntlich Linkser.\nUm festzustellen, ob jemand Linkser ist, w\u00e4hlt man methodisch solche Operationen, bei denen zweifelsfrei (wenigstens \u00e4u\u00dferlich) sonst die Bechte die Arbeit zu vollziehen pflegt. Zwar ist diese Annahme nahezu volkst\u00fcmlich, denn selbst bei scheinbar ruhender Linken bedeutet diese Mchtaktivit\u00e4t durchaus etwas\n57*","page":869},{"file":"p0870.txt","language":"de","ocr_de":"870\nFritz (riese\nPositives. Eine Unterst\u00fctzung der aktiven Beeilten, die zweifellos gest\u00f6rt w\u00e4re, wenn man die Linke sich fort denkt.\nEs gibt hente dabei zwei getrennte M\u00f6glichkeiten der Linkserfeststellung.\nor) Das unmittelbare Beobachten normaler Arbeitst\u00e4tigkeiten.\nGew\u00e4hlt werden Proben, wie das in der Tagest\u00e4tigkeit zur Gewohnheit und zu allgemeinem Gebrauch gewordene Bedienen von Schreibmaterialien, E\u00dfger\u00e4ten, Kleidungsst\u00fccken. Diese Beispiele zeichnen sich aus durch die volkst\u00fcmliche Bekanntschaftsqualit\u00e4t und den Befund, da\u00df jedermann sie zu \u00fcben pflegt. Man kann auch an abstrakten Proben derartige Pr\u00fcfungen vollziehen, doch pflegt dort der Einwand der Mchtbekanntheit mit dem betreffenden Handlungsablauf \u2014 als Entschuldigung f\u00fcr Fehlleistungen \u2014 nicht ganz abwendbar zu sein. Zu den \u00fcblichen Anwendungen rechnet daher der Gebrauch des Messers und der Gabel beim Essen, die Verwendung des L\u00f6ffels bei der Suppe usw., die Verwendung des Messers beim Anspitzen von Bleistiften, die Benutzung der Beehten bei der Bedienung des Streichholzes, des Schuhriemens, der Krawatte (im Binden), der Bet\u00e4tigung der T\u00fcrklinken, des Kartenspieles, dem Einsehalten von Lampen u. a. m. Man w\u00e4hlt also den Alltagsgebrauch der Hand zur Beobachtung, und zwar tunlichst nicht ganz unkomplizierte Vorg\u00e4nge, um die Linkserschaft festzustellen.\nWill man die Analyse in wissenschaftlicher Weise vornehmen, so kann man rechts und links auch Teilfunktionen pr\u00fcfen, wobei aber zu sagen ist, da\u00df hierbei viel von der praktischen Bedeutung der Pr\u00e4valenz verlorengehen mag. Man kommt dann zur\n\u00df) Vergleichenden Funktionspr\u00fcfung der K\u00f6rperb\u00e4lften.\nBeispielsweise l\u00e4\u00dft man mit der linken und der rechten Hand am Dynamometer arbeiten. Es ist anzunehmen, da\u00df eine Mehrleistung links im allgemeinen die arbeitliche \u00dcberbetonung dieser Extremit\u00e4t andeutet. Man kann \u00e4hnlich an allen in der Psycho-technik gel\u00e4ufigen Apparaten zur Handpr\u00fcfung vergleichend links wie rechts arbeiten lassen, um Mehrleistungen zu ermitteln. Es eignen sich hierzu etwa f\u00fcr den Hammerzuschlag ein Impuls-messer, f\u00fcr die Feingelenkpr\u00fcfung eine Me\u00dfdoseneinrichtung mit Mikrometerschraube, ferner die Zitterbewegungsfestlegung durch Tremometrie und Arbeiten an Kurbeln1). Au\u00dfer diesem Prinzip der Mehrleistung pr\u00e4valierender Extremit\u00e4ten und auch der eventuellen Leistungsangleichung ambidexter H\u00e4nde einer Person\n1) Hierzu vgl. Oiese: Wirtscliaftspsycliologio. Abderhaldens Handb. Berlin und Wien 1927.","page":870},{"file":"p0871.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n871\nkann man au\u00dferdem noch die Vergleiche im Sinne der unter der Dominanzfestlegung genannten ,,Isolierungsmethode\u201d erweitern. Man gibt alsdann ganz ungewohnte und erst einzu\u00fcbende Aufgaben und vergleicht die Anstiegskurven der Leistung, vor allem aber deren mittlere Variationen, rechts wie links. Insbesondere eignet sich hierzu die Einhandarbeit, also das unvermittelte Schaffenlassen mit nur einer Hand bei solchen Vorg\u00e4ngen, die ausgesprochen bimanuelles Tun voraussetzen: Anz\u00fcnden des Streichholzes, Einsortieren von kleinen Bl\u00e4ttchen, Schn\u00fcren von Paketen oder Einf\u00e4deln von Schn\u00fcren in L\u00f6chern usw. Die unter der Montessorimethodik f\u00fcr Kinder erw\u00e4hnten Handschulungen des Schleifenbindens, Ealtens u. dgl. m. sind derartige \u00fcblicherweise bilnanuell erledigte Arbeiten. Vertauscht man nun nicht nur Links mit Bechts (was methodisch schwer fallen k\u00f6nnte), sondern fordert man einh\u00e4ndige Ausf\u00fchrung, so kann der Vergleichswert zwischen Bechts- wie Linksleistung andeuten, welche K\u00f6rperseite von Natur die anpassungsf\u00e4higere ist. Denn f\u00fcr beide ist die Sachlage dann neuartig. Die Betrachtung insbesondere der Variationen um den Mittelwert (etwa der ben\u00f6tigten Zeit oder der Erledigung von St\u00fcckzahlen in einer Einheitszeit) ist wichtig, weil wir aus den Erfahrungen der praktischen Psychologie die Beziehung zwischen Gleichma\u00df und Leistungsf\u00e4higkeit allgemein ersehen haben. Erm\u00fcdungszust\u00e4nde und Unsicherheiten pr\u00e4gen sich stets durch erheblichere mittlere Variationen aus. Es bleibt dann individuell dahingestellt, ob im Einzelfall die Erm\u00fcdbarkeit der unge\u00fcbteren Extremit\u00e4t oder deren Unbehilflichkeit unmittelbarer Anla\u00df zu der Leistungsschwankung wurde. Beides h\u00e4ngt innerlich zweifellos zusammen. Die Feststellung der Linksh\u00e4ndigkeit macht keine Schwierigkeiten, wenn sie bereits in nahezu auff\u00e4lliger Weise in der Alltagspraxis zustande kommt. Beispiele, die meist ausgesprochen einh\u00e4ndige Bechtsarbeit voraussetzen, sind etwa das Schreiben mit dem Federhalter und Bleistift oder das Z\u00e4hneputzen.\nEs mu\u00df vermerkt werden, da\u00df die Ermittlung der Linksh\u00e4ndigkeit auch au\u00dferordentlich reale Bedeutung haben kann. Bei der Bentenfestlegung von Gel\u00e4hmten, Amputierten und bei der Therapie pathologischer F\u00e4lle ist diese Diagnose wichtig. Unter dem Begriff der ,,Einhandarbeit\u201d werden wir sogleich noch auf diese M\u00f6glichkeiten zur\u00fcckverweisen.\nEs ist endlich anzuf\u00fcgen, da\u00df das Linksh\u00e4ndertum vor allem theoretisch gereizt hat, weil man Linksh\u00e4ndigkeit und gewisse Dominanzfunktionen in Beziehung setzte. Nicht nur die Theorie der Bechtsh\u00e4ndigkeit wird durch das Linksertum geweckt, sondern auch dies selbst als Ausdruck des \u00dcberwiegens der rechten Gehirn-","page":871},{"file":"p0872table3.txt","language":"de","ocr_de":"872\nFritz G-iese\nh\u00e4lfte auf gef a\u00dft. Stier1) hat in breiten Untersuchungen diese Dinge einer n\u00e4heren Pr\u00fcfung unterzogen und dabei darauf hingewiesen, da\u00df die Linksh\u00e4ndigkeit vor allem kennzeichnend bei feineren, komplizierten und koordinierten Bewegungen sei. Die Reproduktion und Erlernung derartiger Arbeiten falle dem Linkser als solchem links leichter. Um einen Vergleich \u00fcber die Vertauschung dieser Befunde zu bieten, sei nachstehend nach Stier eine Vergleichstafel, die sich auf Massenstatistiken im alten Heer bezieht, wiedergegeben (Prozents\u00e4tze).\nTABELLE 3.\nFormen der Arbeit\t! Rechtser arbeiten bevorzugt 1 rechts\ti Linkser arbeiten dabei bevorzugt links\t\t\t\n\t\tErsatz- Rekruten 1\t1 ;\t!\tEin- j\u00e4hrige\tMehr-j \u00e4hr .Freiwillige\tUnteroffiziers-sch\u00fcler j\nSchuheputzen\t\t99-8\t8-9\t8-0\t141\t10-8\nBrotschneiden\t\t!\t99-8\t! 12-0\t10-0\t17-7\t13-5\nN\u00e4hen \t1\t1\t99-8\t;\t14-3\t15-5\t22-9\t13-5\nEinf\u00e4deln\t\t99-7\t14-0\t18-5\t19-5\t21-6\nPeitscheknallen \t\t99-7\t15-4\t13-5\t19-1\t18-9\nSteinwerfen\t\t99-6\t15-5\t8-0\t17-7\t13-5\nKartenmischen\t\t99-3\t15-9\t17-0\t20-6\t18-9\nKartenausspielen\t\t99-1 1\t21-3 s:\t1\t25-0\t28-9 i\t35-1\nAuf die Beziehungen zwischen Alter, sozialer Schicht und Linksh\u00e4ndigkeit bzw. den Durchbruch der Rechtsh\u00e4ndigkeit bei komplizierten Vorg\u00e4ngen sowie die Aufl\u00f6sung der Einhandarbeit in Doppelf\u00fchrung (beide Begriffe erl\u00e4utern wir noch), sei hier nicht weiter verwiesen. Die Zahlen geben ja die verwickelten M\u00f6glichkeiten ihrer Begr\u00fcndung zur Gen\u00fcge an. Das in der Allgemeinheit als entscheidend hervorgehobene Merkmal ist: a) die M\u00f6glichkeit der Vererbung des Linksertums; b) der Befund, da\u00df andere Degenerationszeichen mit Linksh\u00e4ndigkeit korrelieren (k\u00f6rperliche Degenerationszeichen, wie Bettn\u00e4ssen usw. ; psychische, wie Stottern) k\u00f6nnen; c) das einseitigere Vorkommen der Linksh\u00e4ndigkeit in bestimmten Gegenden (z. B. S\u00fcddeutschland); d) die Korrelation zu der Bevorzugung des zugeordneten Beines beim Linksertum in praktischen Bet\u00e4tigungen (Schlittern, Weitsprung, Ballsto\u00df z. B.); e) der Tatbestand einer hervortretenden Differenzierung der H\u00e4nde mit Altersfortschritt. Andere Beziehungen, wie die zwischen ausgesprochener geistiger Minderwertigkeit und Linkshand oder zwischen Spiegelschrift und Linksertum, sind noch umstritten2). Aus der Hirnverletzten-\nx) Stier: Untersuchungen \u00fcber Linksh\u00e4ndigkeit. Jena 1911.\n2) Lochte: Beitrag zur Kenntnis des Vorkommens und der Bedeutung der Spiegelschrift. Arch. f. Psychol, sowie Stern, Ps. d. fr\u00fch. Kindheit. Leipzig 1925.","page":0},{"file":"p0873.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n873\npsychologie ist die \u00dcb er Wertigkeit der rechten Gehirnh\u00e4lfte beim Linkser wegen der Sprachst\u00f6rungen bei Rechtsverletzung nahegelegt1); jedenfalls sind die Verh\u00e4ltnisse heute etwas durchsichtiger als vormals.\nMit diesen allgemeinen kurzen Vermerken kam man jedoch zugleich zur Problematik der\n2. Rechtser und der Rechtsh\u00e4ndigkeit.\nMan mu\u00df \u2014 unter Ansehung experimenteller Beobachtung, wie der genannten Zusammenh\u00e4nge \u2014 fragen, was die Rechtsh\u00e4ndigkeit f\u00fcr eine Bedeutung besitze?\nMethodisch ger\u00e4t man dabei auf andere M\u00f6glichkeiten der Materialgewinnung, weil diese Frage durchaus nicht nur rein experimentell vorgeht, sondern ferner im Sinne einer vergleichenden Untersuchung mit in den Beobachtungskreis zieht: a) das Tier, b) die primitiven Vorzeit V\u00f6lker. Mithin erg\u00e4nzt sich das Problem durch ethnologische wie tierpsychologische Befunde. Als dritte, allerdings hier durchaus nicht mehr zur Er\u00f6rterung stehende, indessen sicherlich mitent scheidend auf kl\u00e4rende Methodik w\u00e4re noch die Gehirnanatomie zu nennen, die dann in die Physiologie der Hand f\u00fchren k\u00f6nnte, um Funktionsweisen formal zu verdeutlichen.\nMan hat beispielsweise aus der Anthropoidenuntersuchung (vgl. weiterhin die Bemerkungen zur Tierentwicklungspsychologie) und der Naturvolks- bzw. Vorzeitforschung ermitteln wollen, da\u00df Rechtsh\u00e4ndigkeit, als Differenzierungsvorgang der H\u00e4nde, entwicklungsgeschichtlich etwas H\u00f6heres sei. Das Tier kennt keine einseitige Handbenutzung. Kl\u00e4hn2) betont, da\u00df, geologisch-pal\u00e4ontologisch betrachtet, Rechtsh\u00e4ndigkeit (nachweisbar durch Zeichnungstechnik, Zeichnungsdarstellung, Ger\u00e4teforschung usw.) erst einsetzt, wo primitivere Arbeiten allm\u00e4hlich komplizierter werden, so da\u00df Rechtsgebrauch manifest wird. Vorher haben wir also eher an Ambidextrie zu denken! Ja, man nimmt sogar an, da\u00df im Diluvium und Terti\u00e4ralter nach den Resten Linkser -tum relativ geringer vorkommt als heute. Kl\u00e4hn sieht im Linkser -tum Verfallssymptome der Bev\u00f6lkerung, Anomalie und Pathologie der Person. Interessant ist, da\u00df man geologisch-pal\u00e4ontologisch den Klimawechsel und die dadurch ge\u00e4nderte Nahrungs weise zwischen Terti\u00e4r und Diluvium erwiesen hat. Aus dem Vegetarier wird der Eiszeitmensch mit anderem Handgebrauch bei der Jagd, die Waffen, Zerlegungsvorrichtungen f\u00fcr die Beute, also eine differenzierte Handgeschicklichkeit voraussetzt.\n*) Hierzu B. Pfeifer: Die psychischen St\u00f6rungen nach Kriegsverletzungen des Gehirnes. Lewandowskys Handb. Erg.-Bd. 1. 2. Berlin 1924.\n2) Kl\u00e4hn: Das Problem der Rechtsh\u00e4ndigkeit. Berlin 1925.","page":873},{"file":"p0874.txt","language":"de","ocr_de":"874\nFritz Griese\nDas Beehtsertum ist daher vor allem als entwicklungspsychologisches Ph\u00e4nomen von Beachtung.\nEs folgt, da\u00df umgekehrt alle Theorien \u00fcber das Linksertum eigentlich auf der Erl\u00e4uterung des Beehters beruhen m\u00fcssen!\nParsont), der selbst eine Beziehung zwischen einseitiger Augendominanz im binokularen Sehen und dazu korrelierter \u00dcberbetonung der einen K\u00f6rperseite annimmt, hat die bisher vorliegenden Erkl\u00e4rungsmethoden wie folgt gekennzeichnet:\nErkl\u00e4rung durch die Gewohnheit bzw. Disposition, durch Vererbungs Vorg\u00e4nge, durch fr\u00fche Erziehung,\ndurch Schwerpunkts Verlagerung des K\u00f6rpers nach rechts (gr\u00f6\u00dfere Lungenteile, Leber usw.), durch primitive Kriegsf\u00fchrung, durch ungleichm\u00e4\u00dfige Blutf\u00fclle im Gehirn, durch Blutdruckunterschied und Fr\u00fchentwicklung der Arteria subclavia,\ndurch \u00dcb er ent Wicklung der (linken) Gehirnh\u00e4lfte, durch optische Dominanz der (rechten) Seite.\nDemgem\u00e4\u00df beruhen derartige Auffassungen auf einem verwickelten Methodenprinzip. Es einigen sich Verfahren der Vererbungslehre, Soziologie, P\u00e4dagogik und P\u00e4dologie, Ethnologie, Anatomie-Physiologie, Entwicklungsmechanik, Keurologie, physiologischen Optik usw. In rein psychologischem Zusammenhang werden die Materialien, welche aus der soziologischen, vererbungswissenschaftlichen, anthropologischen, physiologischen Biehtung' kommen, ihre besondere Bedeutung gewinnen. Man kann zusammenfassend also betonen, da\u00df das Experiment methodisch durch die analytische und beschreibende Darstellung anderer Gebiete erg\u00e4nzt werden mu\u00df, da\u00df es nicht allein entscheidet und da\u00df ferner die Untersuchung der Linksh\u00e4ndigkeit die Pr\u00fcfung der Bechtsh\u00e4ndigkeit (Tierpsychologie, V\u00f6lkerpsychologie) unbedingt notwendig macht.\n3. Einarmproblem und Poppelf\u00fchrungsprinzip.\nIm Kriege wurde durch das Erscheinen der Amputierten oder Gel\u00e4hmten das Einarmproblem bedeutsam.\nDer Einarmer ist eine Pers\u00f6nlichkeit, die zwangl\u00e4ufig nur eine Hand benutzen kann, weil ihr die andere fehlt. W\u00e4hrend der Linkser die Bechte und der Bechter die Linke stets mitverwendet, ist der Einarmer auf eine einzige Hand allein angewiesen. Er ist also in Dauerbefund in gleicher Lage, wie bei\n1)\tB. 8. Parson : Lefthandness. New York 1924.\n2)\tU. a. sind noch zu nennen: Her sch : Die linke Hand. Berlin 1893; D. Wilson: The right hand: Left-handedness. London 1891; Alsberg: Rechts-h\u00e4ndigkeit und Linksh\u00e4ndigkeit. Hamburg 1894; JE. Weber: Ursachen und Folgen der Rechtsh\u00e4ndigkeit. Halle 1905.","page":874},{"file":"p0875.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n875\ndem erw\u00e4hnten Isolierungs ver such (s. n.) oder wie der Mensch, der durch vor\u00fcbergehenden Unfall (Brnch, Entz\u00fcndung usw.) eine Hand ausschalten mu\u00df.\nEs entsteht hier die M\u00f6glichkeit, da\u00df der Bechtser einarmiger Linkser oder der Linkser einarmiger Bechtser werden mu\u00df. Man kann ferner ab trennen noch die Personen, die von Geburt nur eine Hand besa\u00dfen. Her Grenzfall ist dann bei den sogenannten Armlosen zu finden. Diese letzteren Spielarten sind interessant f\u00fcr die Entwicklungspsychologie und werden als Degenerationsformen in dem entsprechenden Buchabschnitt weiterhin behandelt. Die Kr\u00fcppelhand bedarf eines besonderen Interesses. Wenn hier zun\u00e4chst von Einhand die Bede ist, so kommen methodisch folgende Beobachtungsm\u00f6glichkeiten in Betracht, die wiederum theoretisch wie praktisch von erheblichem Belange sein k\u00f6nnen.\noc)Die Untersuchung der Umstellungsf\u00e4higkeit des\nIndividuums.\nDabei tritt die entwicklungsgem\u00e4\u00dfe Betrachtungsform in den Vordergrund. Der Patient soll die eine, gebliebene Hand zu einem brauchbaren Werkzeug wandeln. Er soll einh\u00e4ndig dabei unter Umst\u00e4nden die Umstellung von rechts auf links vollziehen, au\u00dferdem die Summation oder Synthese bimanuellen Arbeitens ersetzen durch einh\u00e4ndige Verrichtung. Diese beiden Fragestellungen \u2014 Umstellung und Kompensation \u2014 ergeben wertvolle Zusammenh\u00e4nge. Beispielsweise konnte man Kompensationswerte bei Hirnverletzten in der Einhand am Dynamometer feststellen, indem die Einhand eine h\u00f6here, betr\u00e4chtlich st\u00e4rkere Mittelleistung an Kraft ergab als die Einhand des bimanuellen Gesunden. Auch die Bef\u00e4higung der Umstellung auf die Einhand war individuell stets verschieden und hing ab von den Willenseinfl\u00fcssen der Person. Psychogene mit organischen Defekten schnitten stets schlechter in der objektiven Leistungsf\u00e4higkeit ab als rein Organische. \u00c4hnliche Wirkungen des Gesundungswillens und der Einfl\u00fcsse der Kompensation bei Pathologischen werden wir noch im Zusammenh\u00e4nge des Kunstarm-* problems streifen. Zur Psychologie der Umstellung der Person bieten daher die Einarmer besonders wichtige Beispiele1).\n\u00df)Der Vergleich, des fr\u00fcheren und sp\u00e4teren Status\nandergleichenPerson.\nGanz besonders interessant sind die F\u00e4lle, die uns Vergleichswerte des Einarmarbeitens mit einem fr\u00fcheren einarmigen, aber nicht zwangsm\u00e4\u00dfigem einarmigen Handeln gegen\u00fcber st eilen. Da\u00df\nx) Marbe: \u00dcber psychische Einstellung und Umstellung. Zeitschr. f. angew. Psychol. 26. (1925).","page":875},{"file":"p0876.txt","language":"de","ocr_de":"876\nFritz Griese\nder Gesunde bimanuell Besseres leisten kann, mag man erwarten nnd f\u00fcr notwendig erachten. Wo aber beim Gesunden einarmig gearbeitet wird, kann man die Wirkung des zwangsl\u00e4ufig bedingten Handwechsels dann f\u00fcr besonders wertvoll erachten, um nicht nur die Frage der Umstellung des Individuums, sondern auch der objektiven Wertigkeit dieser oder jener K\u00f6rperseite zu ermessen. Vergleiche fr\u00fcherer und sp\u00e4terer (dauernd oder intermittierend erzwungener) Einarmt\u00e4tigkeit ermittelt z. B. das Schreiben. Handschriften vor und nach Handwechsel sind au\u00dferordentlich interessant. Sie geben uns, nebenbei bemerkt, auch ausgezeichnete Einblicke in das Wesen der Ausdruckshand. (Ich habe Handschriftangleichung der Linken an die eingeb\u00fc\u00dfte Bechte gefunden, die Links und Hechts als Ausdruckswert fast restlos zur Identifizierung brachten.) Entwicklungsgem\u00e4\u00df ist ferner der Leistungsfortschritt hier von erheblichem Interesse.\nAls Sonderfall kann das Kind herangezogen werden, das bekanntlich1) in der Fr\u00fchzeit nicht nur Oben und Unten, sondern auch Links und Bechts beliebig vertauscht. Methodologisch hat das Studium der kindlichen Links- und der kindlichen Spiegelschrift (die m\u00fchelos zustande kommt) einen besonderen Beiz.\ny) Anschulungsver fahren f\u00fcr Rechtslinksge brauch.\nEndlich erwachsen methodische Aufgaben f\u00fcr die Umschulung der Linkser auf Bechte und der Bechtser auf Linke. Dieser letztere Fall ist bei komplizierten urt\u00fcmlichen Einhandarbeiten besonders beachtenswert. So hat die Kriegstherapie besondere Verfahren zum Erlernen der Linksschrift ehemaliger Bechtser ausgearbeitet. Nachstehend ein Beispiel der Methodik.\n1.\tDer Grundgedanke der Umstellung bei der Schulung darf nicht durch das Prinzip der unmittelbaren kopierenden Nachahmung vertreten werden, sondern bedingt Technik\u00fcbertragung in entwickelnden \u00dcbungen.\n2.\tAnf\u00e4nger schreiben zun\u00e4chst nur beim Ausatmen.\n3.\tDie Umstellung beginnt mit Schwung\u00fcbungen \u00fcber die ganze und die teilige Schreibseite.\n4.\tZur Vorbereitung der Teilbewegungen vor Ort, wird vor jedem Buchstaben oder Wort erst eine Grundlinie vollzogen. Beim Beugen mu\u00df der Daumen insbesondere beachtet werden, der lebhafte Bewegungen, unterst\u00fctzt von der Mitbewegung des Handgelenkes, vollziehen soll. Die anf\u00e4ngliche \u00dcberbetonung der Unterl\u00e4ngen ist abzubremsen, der Abstrich soll auf Brustmitte zielen, wobei das Papierblatt linksschr\u00e4g vor der K\u00f6rpermitte liegt.\n5.\tAufstrich am Ort wird durch unbewegliches Halten des Kleinfingers erzielt. Richtung bietet der Unterarm.\n6.\tErst sp\u00e4ter l\u00e4\u00dft sich andrillen: Normale Lage des Papierblattes, Buchstabenverbindung, Aufrichtung der meist schr\u00e4g nach links gelagerten Schrift zur Steil- oder Kursivschrift.\n7.\tVor dem langen Aufstrich zur Fortbewegung soll man etwas pausieren zu Beginn, um der Hand Zeit zwecks Aufheben des Niederdruckes zu geben. Sonst entstehen f\u00fcr Einh\u00e4nder typische Grundstrichrundungen.\nx) W. Stern: Psychologie der fr\u00fchen Kindheit. Leipzig 1926.","page":876},{"file":"p0877.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\t877\n8.\tEine Grundlinie wird anfangs stets mehrmals geschwungen, dann die Richtungslinie ohne eine Handverr\u00fcckung gebeugt. Alsdann erfolgt Handrollung mit Eingerbeuge nach links, beginnend mit Aufstrich.\n9.\tAnfangs erfolgen nur Gro\u00dfbewegungen, die Kleinkreisbewegungen erst am Ende.\n10.\tDie Rollbewegungen werden zur Erzielung bestimmter, schwieriger Buchstaben gesondert ausgebeutet. Ebenso erfolgt eine Sonderschulung f\u00fcr die runde Antiqua gegen\u00fcber der spitzen Fraktur..\nDa das Ziel (im Gegensatz zur Kinderschrift; vgl. die sp\u00e4teren Ausf\u00fchrungen \u00fcber schulische Hand\u00fcbung beim Schreiben) die Keuschulung des Ge\u00fcbten in traditioneller Art ist, die wirkliche mehr oder minder kalligraphische Kursiv, so werden die Umleitungen \u00fcber Kleinkind-Kunst- oder Zusammensetzschriftformen beim Einarmer meist, vermieden (Kuhlmann u. a.). Als Beispiel der \u00dcbungsarten, die s\u00e4mtlich gro\u00dfschriftig beginnend, in Teilpartien vorgehen und den Buchstabenverbindungsweg erst zuletzt aufsuchen, sei nachstehend die \u00dcbungsseite eines Links-einarmers dargestellt.\nDieses Einarmproblem \u2014 d. h. wie wir immer wieder betonen, die erworbene Einarmigkeit \u2014 f\u00fchrte zur Entwicklung des Doppelf\u00fchrungsbegriffes durch Schlesinger1).\nUnter Doppelf\u00fchrung ist die gleichzeitige und gleich-wichtige T\u00e4tigkeit beider H\u00e4nde zu. verstehen. Schlesinger verwies auf Beispiele des Mei\u00dfelns, bei dem die Linke den Mei\u00dfel, die Rechte den Hammer f\u00fchrt. Gegensatz w\u00e4re das von einer (der linken oder der rechten) Hand ausge\u00fcbte Schaben, bei der die andere nur untergeordnete Hilfst\u00e4tigkeit aus\u00fcbt. Man kann also auch immer von einer Leithand und einer Hilfshand sprechen, ohne damit andeuten zu wollen, da\u00df dadurch eine dauernde Festlegung der einen Hand geboten ist. Vielmehr wird oft, wie schon die Er\u00f6rterung der Ambidextrie nahelegen wird, ein steter Wechsel zwischen beiden H\u00e4nden einsetzen k\u00f6nnen: nur ist kennzeichnend, da\u00df bei der Doppelf\u00fchrung beide H\u00e4nde tats\u00e4chlich f\u00fcr den Arbeitsgang gleiche Bedeutung gewinnen, w\u00e4hrend durchaus nicht dasselbe in F\u00e4llen der Leithand (gegen\u00fcber der Hilfshand) einsetzt. Man ersieht, da\u00df der Begriff der Doppelf\u00fchrung so auch zu einer qualitativen Staffelung der Arbeiten nach ihren manuellen Anforderungen f\u00fchrt. Das Feilen, das Montieren wird so beispielsweise hochwertig, das Anstreichen, Schreiben, Kn\u00f6pfen ist von sekund\u00e4rer Bedeutung. Der Anstreicher wird wiederum differenziert vom Maler, der bimanuell bereits mit Lineal und Dreieck vielleicht Buchstaben auf ein Schaufenster f\u00fcgen soll. Da\u00df der Vorgang des Schreibens hier als einfacher gilt, hindert nicht, da\u00df wir ihn vom Standpunkt der Teilbewegungen und Bewegungsdifferenzierung der isolierten Alleinhand aus f\u00fcr \u201eschwer\u201c erachten.\nq Schlesinger: Psychotechnik und Betriebswissenschaft. Leipzig 1920.","page":877},{"file":"p0878.txt","language":"de","ocr_de":"878\nFritz Griese\n'j fi, krtQ/fvk' 'Vt\nAS\nAA t\u00ff\u00f9n'Tru %\ty ySA\u00f4 y^nc\u00e0\n-\t\u2014 1 iU idlr ^Mn\n.\t,, imju.a/f'\n'JL \u2018VPl^Jj\u00fc lituhMkWr'\n- ^<JL/L^-~~TSZ\t-j\nWTVy^TW^\n;rw'- ' '\t\u00bb\u00bb&-\n-fyS^=>(\nc-^o\t_^ V\nFig. 140. Entwicklungs\u00fclrangen des Einarmers.\n4. Ambidextrie.\nGegen\u00fcber diesen neueren, ans der Technik stammenden Beobachtungen und gegen\u00fcber allen erdenkbaren Ergebnissen der geographisch-pal\u00e4ontologischen Betrachtungsweise kommt der Begriff der Ambidextrie zu eigenartiger Geltung. Letztere ist kenn-","page":878},{"file":"p0879.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n879\nzeichnend theoretisch erdacht nnd will besagen, da\u00df an und f\u00fcr sieh eine der H\u00e4nde meist minderwertiger sei als die andere. Ha\u00df ferner infolge \u00dcberbetonung der einen Hand auch die andere Hirnh\u00e4lfte verk\u00fcmmert sei, so da\u00df nunmehr die Aufgabe entst\u00fcnde, durch Doppelhandausbildung beide H\u00e4nde gleichwertig zu machen und dadurch die andere Hirnh\u00e4lfte zu voller Funktion zu entwickeln, was der individuellen Gestaltung n\u00fctzlich w\u00e4re. Diese Argumente finden sich bei medizinischen Vertretern wie etwa Fraenlcel1). Die Erfahrungen der Linksausbildung2) bei Verletzten und ,,gewordenen\u201d Einarmern schienen dem recht zu geben. Die technischen Untersuchungen jedoch und ebenso die erw\u00e4hnten vielseitigen Entwicklungserkl\u00e4rungen lassen dies Problem als recht anders sich dar st eilen. Es ist richtig, da\u00df der Einarmer aus Unfall und Verlust besonders hilflos erscheint, so da\u00df man die Doppel -h\u00e4ndigkeit sich erw\u00fcnschen m\u00f6chte. Es wird aber v\u00f6llig dar\u00fcber vergessen, da\u00df die entwicklungsgem\u00e4\u00dfe Beleuchtung des Problems, wie \u00fcberall in der Biologie, nicht die Identit\u00e4t, sondern die Differenzierung als Zeichen des Fortschrittes erweist. Der Anthropoide gilt als Typ der Ambidextrie. Schon der Primitive der Vorzeit wird einseitig Bechtser. Der Linkser zeigt verlagerte Einseitigkeit der einen K\u00f6rperh\u00e4lfte. Der Einarmer erworbener Form ist ungeschickt, da er die Doppelf\u00fchrung im Leben aus\u00fcbte. Es erscheint praktisch fraglich, ob nicht sogar dieser Gedanke der Ambidextrie Schaden stiftet, da sie ja die Bewegungszusammenh\u00e4nge zwischen Leithand und Hilfshand verwirrt. Doppelh\u00e4ndig-keit k\u00e4me zun\u00e4chst als Ziel nur f\u00fcr ausgesprochen einh\u00e4ndige Operationen (Schaben, Schreiben) in Betracht: wenn man ihrer Idee huldigt. Die Annahme, da\u00df durch Ausbildung der rechten Gehirnh\u00e4lfte wegen Schulung der linken Hand Geist und K\u00f6rper sich erst vollkommen entfalten, d\u00fcrfte eine Utopie darstellen. Erinnert sei an die aus der Hirnverletztenforschung erwiesene Funktionstopographie3).\nEs versteht sich von selbst, da\u00df der Ambidextriebegriff sofort auch zu methodischen Sonderformen f\u00fchrte: n\u00e4mlich der Schulung auf Doppelhandarbeit. Hierbei sind aber zwei sehr getrennte und von den Autoren anscheinend \u00fcberhaupt \u00fcbersehene M\u00f6glichkeiten von Belang.\na) Doppelhand kann bedeuten Vertauschbarkeit von Links und Bechts. Hierbei soll die Linke mit der Bechten in Beziprozit\u00e4t\nP Fraenkel: Die doppelh\u00e4ndige Ausbildung. Berlin 1915.\n2)\tStoltefuss: Das Schreiben mit der linken Hand, D\u00fcsseldorf 1916; Herbst: Die Schrift der linken Hand. Leipzig 1917.\n3)\tHierzu B. Pfeifer: Lewandowslcys, Handb. d. Neurol. Erg.-Bd. 1. 2 (Berlin 1924); Goldstein und Gelb: Psychologische Analysen hirnpathologischer F\u00e4lle. Leipzig 1920.","page":879},{"file":"p0880.txt","language":"de","ocr_de":"880\nFritz \u0152ese\nerzogen werden. F\u00e4lle praktischer Notwendigkeit sind denkbar. Beispielsweise mu\u00df jeder Schwachstrommonteur, anf der Leiter stehend, seine Instrumente (Schl\u00fcssel, Feile, Bohrer, Schraubenzieher usw.) dauernd ebenso gut im Wechsel links oder rechts bet\u00e4tigen k\u00f6nnen, je nach der \u00f6rtlichen Sonder l\u00e4ge (einer Ecke oder Biegung im Baum). Wechsel von Links nach Bechts zu v\u00f6llig identischer Handarbeit kommt auch bei gehobenen Berufen vor: etwa dem Chirurgen bei Behandlung schwer zug\u00e4nglicher Leibesh\u00f6hlen. Erzwungen w\u00e4re sie dagegen bei Alltagsarbeiten, die nicht zwangsm\u00e4\u00dfigen Umtausch der Seiten bedingen (etwa Schuhschn\u00fcren, Krawattebinden usw.). Hierbei m\u00f6chte ich auf die interessante Erscheinung hinweisen, da\u00df Frauen (bei uns) in umgekehrter Bichtung die Kleider kn\u00f6pfen usw. wie der Mann. Ein Befund, der sich ohne weiteres auch nicht theoretisch erkl\u00e4ren l\u00e4\u00dft. Notwendig kann die Ambidextrie ferner dort sein, wo Gleichma\u00df bei simultaner Handaktion vonn\u00f6ten ist. Beispiel ist Klavier- oder Schreibmaschinenbet\u00e4tigung. Gerade bei diesen F\u00e4llen ist es Aufgabe der Schulung und Zeichen besserer Handbeherrschung, wenn der Unterschied zwischen Bechts und Links verschwindet. In solchen F\u00e4llen ist jedoch die Hand autonomieerf\u00fcllt. Man kann nicht von Doppelf\u00fchrung sprechen wie im Falle des Elektromonteurs. Ambidextrie als Methodengedanke hat also strikte diese drei M\u00f6glichkeiten zu trennen:\n1.\tDen Befund der Doppelf\u00fchrung, bei der eine Hand ausdr\u00fccklich anderes tun soll als die andere, um bestm\u00f6glichen E\u00e4ekt der Leistung zu erwirken;\n2.\tdie M\u00f6glichkeit der simultanen Autonomie beider H\u00e4nde bei Zusammenarbeit ;\n3.\tdie M\u00f6glichkeit einseitiger Einhandarbeit beim Gesunden, die aber zugleich die Notwendigkeit des Handwechsels bedingt!\nWenn man daher absichtlich in Ambidextrie ausbildet, werden in erster Linie die F\u00e4lle zu 3., ferner dann die zu 2. in Betracht kommen.\nDieser methodische Grundgedanke findet in Wirklichkeit \u2014 bei Verwechslung der tats\u00e4chlichen Befunde \u2014 jedoch einen ganz anderen Ausdruck.\nb) Doppelhand kann bedeuten Koordination simultaner Zweihandbewegungen im Sinne \u201esymmetrischer Gleichzeitigkeit\u201d der Aktion.\nMan meint, da\u00df die H\u00e4nde so ausgebildet werden m\u00fc\u00dften, da\u00df sie bei gleichzeitiger Arbeit symmetrisch handeln. Man wendet diesen Gedanken auf Zeichnung und Schrift an und erstrebt eine vollkommene symmetrische Arbeit links wie rechts1).\nx) Tadd: Neue Wege zur k\u00fcnstlerischen Erziehung der Jugend. Leipzig. Kipiani: Ambidextrie. Bruxelles und Paris 1912.","page":880},{"file":"p0881.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n881\nHierbei wird entweder simnltan darauf losgezeichnet oder auch getrennt die Linke der Rechten in v\u00f6lliger Koordination \u2014 nnter Symmetrie der Darstellung \u2014 angepa\u00dft. W\u00e4hrend obige Linksschreibemethode des akquirierten Einarmes nicht Symmetrie und Koordination, sondern Imitation der Bewegung erstreben mu\u00dfte, handelt es sich in diesem Ealle um eine doppelh\u00e4ndige Zuordnung der einen Seite auf die andere. Man hat darauf verwiesen, da\u00df bei bestimmten Handarbeiten mit Doppelhand unwillk\u00fcrlich der Hang zur Symmetrie einsetze, so beispielsweise beim Kneten in Plastilin u. a. m., wenn die Hand das St\u00fcck simultan behandelt1).\nFig. 141. Symmetrische Zeichnung (mit Spiegelschrift links!).\nDemgem\u00e4\u00df hat man simultane und sukzessive \u00dcbungen in der Doppelhandbet\u00e4tigung in Schulen eingef\u00fchrt.\nMethodisch w\u00fcrde also der (beim Einarmer notwendig abrupte) \u00dcbergang zur ungewohnten K\u00f6rperseite hier, gestaffelt \u00fcber die simultane Ambidextrie, fast zur sukzessiven Einhandschulung. Ob diese Schulungen irgendwelche besonderen Ergebnisse zeitigen, ist niemals bekannt geworden. Da\u00df Ambidextrie beim Zivilisationsmenschen nur unter den oben erw\u00e4hnten Sonderbedingungen des Handwechsels in der Arbeit wichtig wird und da\u00df der Begriff der Doppelf\u00fchrung f\u00fcr die Praxis die sonstige Ausbildung in Ambidextrie keinesfalls theoretisch vereinfacht, d\u00fcrfte zur Gen\u00fcge betont worden sein.\nF\u00fcr die definitorische Festlegung einer Handarbeit spielt daher die Ambidextrie keine Bolle, da sie praktisch belanglos\nx) Eud. Schulze: Aus der Werkstatt der experimentellen Psychologie und P\u00e4dagogik. Leipzig 1913.","page":881},{"file":"p0882.txt","language":"de","ocr_de":"882\nFritz G-iese\nwirkt. Neben Doppelf\u00fchriing und neben (pathologisch bedingter) Einhand kommt f\u00fcr nns nur das Prinzip des Handwechsels in Betracht, wobei dann entweder Leit- nnd Hilfshand ihre Position Umtauschen oder eine einh\u00e4ndige Arbeit des Gesunden (aus Bedingungen der bei der Werkt\u00e4tigkeit notwendigen Raumlage) Links mit Rechts umtauscht. Wir w\u00fcrden dies als simultane Autonomie der (einen) Hand bezeichnen.\nMit dieser Feststellung aber kommen wir nun auf ein noch anderes Bestimmungsst\u00fcck jeder Handarbeit. Wir haben bereits unter diesen wenigen F\u00e4llen den einfachsten Typ einer \u201eZusammenarbeit\u201d der Hand gefunden. Einer Zusammenarbeit zwischen der rechten wie der linken Hand. Hie kurzen Proben von berufsgem\u00e4\u00dfen Arbeitsdefinitionen der Handt\u00e4tigkeit im vorigen Kapitel erwiesen, da\u00df der Begriff Zusammenarbeit jedoch noch viel weiter gefa\u00dft werden mu\u00df ; denn die Zusammenarbeit von Links und Rechts ist keinesfalls immer das Entscheidende bei einem Arbeitsvorgang. Wir kommen so zu einem ,,Zusammenarbeits\u201d-Begriff, der als Erweiterung zum Begriff der Hominanzfunktion f\u00fchren wird.\n5. Zusammenarbeit der Hand.\nHie erheblichste Fiktion, die gemacht wurde, war die scheinbare Alleinhand. Wir haben bereits erw\u00e4hnt, wie bei dem Linkserproblem der Wechsel der H\u00e4nde \u00fcbersehen werden kann. Wir sprachen bei den Handstellungen von Leithand, Hilfshand, Hoppelf\u00fchrung. Man kann auch nach Krafthand und St\u00fctzhand \u2014 wechselweise \u2014 trennen.\nTrotzdem gen\u00fcgt der Inhalt dem Begriff \u201eZusammenarbeit\u201d noch nicht, denn die Hand arbeitet noch in anderer Form \u201ezusammen\u201d.\nBringen wir den Ausdruck in ein System, so bekommen wir folgende, stets zu beachtende Varianten:\nZusammenarbeit.\na) Komplement\u00e4re Zusammenarbeit :\nK\u00f6rperseiten erg\u00e4nzen sieb zu einem Gesamtwert.\nTeilwahrnebmungen der H\u00e4nde erbringen einen Wahrnehmungskomplex.\nZum Beispiel: Recbts-Links in der Raumlage.\nFunktionenzusammenscblu\u00df aus taktilen Eindr\u00fccken neben W\u00e4rme, K\u00e4lte,\nDruck, Schmerz und anderen Empfindungen.\n\u00df) Antagonistische Zusammenarbeit :\nDie H\u00e4nde trennen sieb nach verschiedenen Aufgaben. Man darf keinesfalls von der Alleinband sprechen. Sie haben Arbeitsteilung in Wechselwirkung.\nZum Beispiel Leitband-Hilfsband.\nGegenbewegungen, Ineinanderspiel der H\u00e4nde, Handwecbsel in der Arbeit.\ny) Komplikative Zusammenarbeit :\nDie Hand arbeitet gemeinsam mit anderen Partien der biologischen Person, teils physisch, te\u00fcs rein psychisch bedingten. Dieses Zusammenarbeiten kompliziert den Vorgang und f\u00fchrt ihn aus der Engzone des Manuellen heraus.","page":882},{"file":"p0883.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n883\nPhysische Zusammenarbeit der Hand mit dem Bein, mit dem Brustkorb, mit dem Lungenrhythmus, mit der Wirbels\u00e4ule,\nMit- und Gegenbewegungen des K\u00f6rpers zur Arbeitshand. Psychische Zusammenarbeit der Hand mit dem Auge, dem Ohr,\nder Aufmerksamkeit, der Intelligenz, dem Ged\u00e4chtnis, der Willenszone, dem Gef\u00fchlsleben.\nFig. 142. Typen von Zusammenarbeit der Hand und der H\u00e4nde.\nEine Erl\u00e4uterung wird sich kaum als notwendig erweisen. Zur Darstellung der M\u00f6glichkeiten seien einige Probebilder von \u201eZusammenarbeit\u201d beliebig herausgegriffen.\nKeine Alltags Verrichtung ohne Zusammenarbeit! Letzten Endes keine Handarbeit ohne komplikative Gemeinschaft mit der Psyche! Damit kommen wir zu noch einem anderen wichtigen Begriff.\n6. DominanzfunMionen.\nSchon der Ausdruck \u201eHand\u201d-Arbeit war eigentlich falsch. Die Hand arbeitete nur formal autonom. Sie wurde gesteuert\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\t58","page":883},{"file":"p0884.txt","language":"de","ocr_de":"884\nFritz Griese\nvon komplikativen Beziehungsfunktionen: daher Wirkungen der geistigen Beschaffenheit des Menschen auf die Handfertigkeit, wie wir noch sehen werden, daher Sondererscheinungen von Ausfallswirkungen bei Menschen mit anders\u00f6rtlichen Erkrankungen.\nWir m\u00fcssen als Dominanzfunktion die seelische Seite bezeichnen, die im jeweiligen Arbeitsmoment beim vorliegenden Handgriff die ausschlaggebende Bolle spielt.\nIm vorliegenden Griff: d. h. in jedem Fall unter wechselnder Situation ver\u00e4ndert. Ver\u00e4ndert durch die objektive Sachlage; denn einmal erfordert die Handarbeit ein gutes Hinsehen, einmal starke Konzentration, einmal Wahrnehmung der Gestaltqualit\u00e4t, also etwas Intellektuelles usw. Aber auch subjektiv variiert: denn der Augenblickszustand entscheidet. Der erm\u00fcdete Mensch sp\u00fcrt bei jeder Arbeit, da\u00df ihm dieser oder jener Griff pl\u00f6tzlich schwerer f\u00e4llt, ein anderer vielleicht leichter. Der \u00dcbende sp\u00fcrt (etwa an einem Klavierlauf), da\u00df die Passagen langsam ihren Schwierigkeitsgrad ver\u00e4ndern. Takte, bei denen vormals als Dominanz der ,,Triller\u201d schwer fiel, verlieren diese Dominanz, um daf\u00fcr bei gehobenem Tempo oder anderem \u00dcbungsfort sclrritt eine Stelle mit \u201eFingersatz\u201d, eine andere mit spezifischer \u201ePhrasierung\u201d als nunmehr manuell heikel hervorstechen zu lassen. Jedermann kann an sich beobachten, wie seine Handarbeit von solchen \u00fcbergeordneten Dominanzfunktionen abh\u00e4ngt. Man wird daher durchaus nicht immer behaupten, da\u00df f\u00fcr alle Leute derselbe Gegenstand zu gleicher Zeit, handarbeitlich behandelt, dieselben Dominanzen voraussetze. Ein Kurzsichtiger wird bei einer Kn\u00fcpfarbeit normalerweise die Dominanz im Auge sp\u00fcren. Derselbe Kurzsichtige wird wiederum dem Normalsichtigen in der Baumorientierung \u00fcberlegen werden, wenn durch einen Zwischenfall ein erleuchtetes Zimmer pl\u00f6tzlich in Dunkel geh\u00fcllt ist. Der Normale, nunmehr ungewohnterweise beim Tasten mit der Hand unter der Dominanz \u201efehlendes Auge\u201d stehend, wird viel \u00f6fter sich im Wegfinden irren als der Kurzsichtige, der taktil durch den Alltag vorgeschult ist und die optische Wahrnehmung dank seiner schlechten Augen im Dunkeln missen kann. Derselbe Kurzsichtige w\u00fcrde aber vollends wieder von der Dominanz \u201ekein Auge\u201d beherrscht sein, wenn ihm bei Handarbeit pl\u00f6tzlich die Brille zerbricht: er ist dann bei Tage v\u00f6llig hilflos. Tempowechsel in einer Arbeit, Materialwechsel, Arbeitsfolgenwechsel in der Serie, auch bei sonst identischer Bet\u00e4tigung, kann immer wieder die Dominanzfunktionen sich \u00e4ndern lassen. Ebenso Altersfortschritt (z. B. das Ged\u00e4chtnis), vor\u00fcbergehende Sonderzust\u00e4nde (Menstruation, Schmerzen usw.), auch Tageszeit und Klima1). Wichtiger als diese\nx) Hierzu Giese : Die kosmischen Einfl\u00fcsse auf die Person in Brugsch-Lewy. 4. Biologie der Person. Berlin und Wien 1927.","page":884},{"file":"p0885.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n885\nsehr \u00fcbergeordneten Ursachen ist aber, da\u00df wir den Begriff Dominanzfunktion \u00fcberhaupt grunds\u00e4tzlich ben\u00f6tigen, um Handt\u00e4tigkeiten zu beurteilen.\nWenn man beispielsweise Pappscheiben auf Draht reihen l\u00e4\u00dft, Schrot in kleine Gl\u00e4ser f\u00fcllt und Draht auf St\u00e4be wickelt, so ist das alles Handarbeit und man kann allgemein bei Leistungsertr\u00e4gen von mehr oder minder hohem Geschick des Betreffenden sprechen. Wir kennen aber nichts von der Ursache dieses Mehr, da wir nicht einmal wissen, wodurch die Leistungen getragen werden m\u00fcssen. Inwieweit spricht die Hand mit beim Papp-scheibenaufreihen, Schrotf\u00fcllen und -abwiegen, Drahtwickeln ?\nEs wird jeder einsehen, da\u00df beispielsweise das Auge auch eine Rolle dabei besitzt ; aber man wei\u00df nicht, ob im ersten, zweiten oder dritten Versuchstypus betr\u00e4chtlicher.\nUm dies zu kl\u00e4ren, soll man \u201eIsolierungsversuche\u201d durchf\u00fchren. Sie k\u00f6nnen personell vorgehen: dann macht man dieselben Proben am Mindersinnigen und Pathologischen, um aus den objektiven Ausfallserscheinungen bei diesen auf die die Arbeit tragenden Dominanzen r\u00fcckw\u00e4rts zu schlie\u00dfen. Denn objektiver Mangel der Person und Leistungsertrag werden Zusammenh\u00e4ngen. Man wird erfahren, worauf es beispielsweise nicht ankommt bei einer Arbeit (Intelligenz oder Sehen usw.). Zweitens soll man den Isolierungsversuch an Normalen machen, indem man dort gewisse Einfl\u00fcsse ausschaltet. Man verbindet die Augen, man schnallt eine Hand an, man lenkt die Aufmerksamkeit durch Reize ab, man irritiert das Ged\u00e4chtnis. W\u00e4hrend der Pathologische aus der Dauer situation seiner Lage bestimmte Kompensationen der Leistung durch Plusfunktionen auf anderem Gebiete errungen haben konnte (was das Bild gelegentlich verwischt), ist der Gesunde, der pl\u00f6tzlich einarmig, ohne Sehen oder ohne Konzentrationsm\u00f6glichkeit schaffen soll, aus dem Geleise geworfen. Man kann daher mittels umfassenderer Versuche ersehen, wie eine vorher normal aufgenommene Leistung trotz \u00dcbung bei Wiederholung in der Handarbeit absinkt im Wert, sobald eine St\u00f6rung bestimmter, ausgew\u00e4hlter Form einsetzt. Manchmal wird der momentane Ausfall des Auges, manchmal der einen Hand die Leistungssenkung vergr\u00f6\u00dfern. Dort spricht das Optische, hier das Bimanuelle die erheblichere Dominanzrolle.\nBeispiel der Ergebnisse eines Isolierungsversuches an Durchschnittswerten nebst mittlerer Variation in Prozenten: (20 Versuchspersonen). Jeder Versuch bestand aus zehn Proben im Abwiegen von Schrot in Gl\u00e4schen auf einer Briefwage und im Packen von Holzscheiben auf einen Draht, der durch das zentrale Scheibenloch zu stecken war. Der Durchschnittswert und die mittlere Variation vor allem sind kennzeichnend:\n58*","page":885},{"file":"p0886table4.txt","language":"de","ocr_de":"886\nFritz G-iese\nTABELLE 4.\nMittlere Arbeitszeiten und mittlere Variationen pro St\u00fcck beim Isolier ungs versuch.\n! Arbeitsweise i\t-mz Abwiegen\t\tPacken\t\ni ! Beidh\u00e4ndig, normal\t\t52-4\t22\t25-7,\t10\nEinh\u00e4ndig mit der Hechten ....\t49-5\t22-8\t56-7\t19-5\n,,\t,,\t,, Linken ....\t50-1\t21-6\t51-9\t14-4\nBlind (d. h. mit verbundenen Augen)\t90-6 D. W. in sec.\t29*2 m. V %\t41-0 D. W. in sec.\t12-3 m. V o/0\nWir ben\u00f6tigen mithin zweifellos einer methodischen Aufreihung von Grundbegriffen, die k\u00fcnftige Entersuchungen sogleich in ein angemessenes Geltungsbereich bringen. Es ist m\u00f6glich, da\u00df noch andere Begriffe Ausdruck komplexer Strukturbildungen werden. Die genannten d\u00fcrften nach Ansicht des Verfassers vorerst die f\u00fcr die Arbeitshand wichtigen sein, welche jeweils erl\u00e4utern, weshalb derselbe formale Handgriff hier diese, dort jene Erscheinungsweise, Erlebnisform und zugleich objektive Leistlings-Ziffer auf weist.\nB. Entwicklungspsychologie der Arbeitshand.\nDie genetische Betrachtungsweise pflegt in Wissenschaften oft erst au\u00dferordentlich sp\u00e4t einzusetzen. Man mu\u00df sich erinnern, wie lange es gedauert hat, bis beispielsweise eine vergleichendentwicklungsgem\u00e4\u00dfe Geschichtsschreibung zustande kam. Immer wird vorerst die absolute Geltung des Tatbestandes, getrennt von anderen Feldern zeit \u00f6rtlicher M\u00f6glichkeiten, das naheliegendste sein. Entwicklungspsychologie hat in solchem Sinne sp\u00e4t begonnen und ist in dieser scharfen Formulierung als Sondergebiet erst durch Krueger gefordert und vertreten worden1).\nWenn wir die Grundbedingungen der Arbeitshand in ihren Erscheinungsweisen ansehen, so erhellt ohne weiteres, warum methodologisch in der genetischen Betrachtung ein ganz besonderer Vorzug liegen kann. Ist die methodische Auswertung des pathologischen Materials Kunstgriff, um aus Gegens\u00e4tzlichkeiten des Mveaus gleichsam vergr\u00f6bert das Strukturelle des 1ST or malf alles zu eruieren, so bedeutet es nicht minder eine fruchtbare Vergleichs-m\u00f6glichkeit, wenn wir den genetischen Faden verfolgen. Das, was in jeder \u00dcbung und jedem Leistungsanstieg oder -abfall uns\nb Krueger: Entwicklungspsychologie. Leipzig 1915; Werner: Entwicklungspsychologie. Leipzig 1926.","page":0},{"file":"p0887.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n887\nindividuell als wertvoller Ansdruck dahinter liegender funktionaler Befunde erscheint, dasselbe kann sich ebenfalls offenbaren, wenn wir Entwicklungsstufen vergleichend nebeneinanderstellen; mithin kollektiv vorgehend, gro\u00dfe Zusammenh\u00e4nge aus Mveauunter-schieden erschlie\u00dfen m\u00f6chten.\nUnter dieser Leitlinie werden wir methodologisch zweckm\u00e4\u00dfig die Arbeitshand an dem einen Pol der Entwicklung aufsuchen; das ist in der Gegebenheit der tierischen Pers\u00f6nlichkeit. Wir werden genetisch vom menschen\u00e4hnlichen Tier die \u00dcberleitung zur Kinderhand finden. Wir werden in der genetischen Folge aber einzuschalten haben auch die Erscheinungen, die bei entwicklungsgem\u00e4\u00dfen Abweichungen, B\u00fcckschl\u00e4gen oder, allgemeiner gesagt, Degenerationsformen zutage treten. Endlich werden wir beim Normalen Entwicklung finden, wenn wir die Kurve seiner Leistungen von der Jugend bis ins Alter verfolgen. Es versteht sich, da\u00df folgerichtig zum Ende eine Vererbungs-wissenschaft der Arbeitshand anzuschlie\u00dfen h\u00e4tte, deren methodische Bedeutung klar, deren inhaltlicher Ertrag heute aber noch in Dunkel geh\u00fcllt ist.\n1. Tier Studien.\nEs ist merkw\u00fcrdig, da\u00df die Anthropologie und die Psychologie zu Anfang und Mitte des vergangenen Jahrhunderts viel sch\u00e4rfer sich mit Vergleichen zwischen menschlicher und tierischer Leistung befa\u00dft haben, als es heute durchschnittlich \u00fcblich w\u00e4re.\nInsbesondere hat man immer das Ph\u00e4nomen der Arbeitshand aus dem entwicklungsgem\u00e4\u00dfen und vergleichenden Gesichtspunkt her beleuchtet, wenn auch alle diese Anf\u00e4nge sich mit allgemein deskriptiver Psychologie begn\u00fcgten. Es mag daran erinnert werden, da\u00df bereits Bell1) nicht nur auf Vergleiche zwischen Mensch und Tier hinsichtlich der Skelettform einging, sondern unmittelbare Beispiele f\u00fcr den Ersatz der Menschenhand durch andere Organe erbrachte. Er zog hierbei Saugeinrichtungen der Fische zum Festhalten, die Ber\u00fchrungsempfindung der V\u00f6gel und mancherlei mehr heran, um einen gemeinsamen Boden vom Standpunkt der Wirkungsweise dieser Organe f\u00fcr Lebewesen \u00fcberhaupt zu gewinnen. Cams2) hat sehr eingehend Vergleiche angestellt, wobei er unter anderem auch durch seine Symbolik veranla\u00dft werden mu\u00dfte. In seinen Handvergleichen gab er\n1)\tBell: Die Hand und ihre Eigenschaften (deutsch von Kottenkamp). Stuttgart 1851.\n2)\tCams : \u00dcber Grund und Bedeutung der verschiedenen Formen der Hand in verschiedenen Personen. Stuttgart 1846; ferner: Symbolik der menschlichen Gestalt. Neuausgabe von Lessing. Celle 1925.","page":887},{"file":"p0888.txt","language":"de","ocr_de":"888\nFritz G-iese\nbeispielsweise Zeichnungen von Cavia Aguti, Kasua rufa, Procyon loton wieder, wollte er Hasenfu\u00df, Coati- und Waschb\u00e4renfu\u00df vergleichen. Hinsichtlich der Hand jedoch gingen die Carusschen Studien bereits in neuzeitige Problemstellungen \u00fcber. Er verglich die menschliche Hand mit der Hinterhand des Pavians und kam auch hier auf das Problem der verschiedenartigen Ausbildung der linken und rechten K\u00f6rperseite; da\u00df er au\u00dferdem noch Einfl\u00fcsse der Rasse, des Geschlechtes usw. heranzog und die Hand den tierischen Geb\u00fcden Flosse, Fu\u00df und Fl\u00fcgel parallel stellte, zeigt deutlich, wie weit bereits damals der Blick f\u00fcr das Wesentliche der Erscheinungsweisen war.\nMan mu\u00df bei diesen Betrachtungen auch moderner Yersuche gedenken, die gewi\u00df-nicht immer mit dem vollen R\u00fcstzeug des Experimentes arbeiten und im Analogieschlu\u00df hier und dort voreilig sein m\u00f6gen. Trotzdem ruht in solchen Vergleichen ein richtiger Kern und man kann die menschliche T\u00e4tigkeit der Arbeitshand, die sich in bestimmten ,,Handwerken\u20195 dar stellte, auch im Tierreich durch Parallelf\u00e4lle wiederfinden, so da\u00df man dort Handersatz oder entwicklungsgem\u00e4\u00df richtiger gesagt, Handvorl\u00e4ufer finden kann. So hat Lucanus]) neuerdings derartige Parallelf\u00e4lle ornithologisch zusammengefa\u00dft. Weberv\u00f6gel in den Tropen treiben mittels F\u00e4den und Bast ausgesprochene Flechtarbeit. Die Schwalbe ist Vorl\u00e4ufer der Maurer, denn auch sie benutzt zum Nestbau Lehm, den sie mit Speichel bindet. Ebenso ist der Specht Vorl\u00e4ufer f\u00fcr Holzbearbeitung, der afrikanische T\u00f6pfervogel Vorbild des Backofenbaues, da er als Heim ein etwa neun Pfund schweres Nest von Backofenform aus Lehm errichtet. Derartige Beispiele lassen sich nat\u00fcrlich in Analogie massenhaft sammeln und man kann theoretisch zu Schl\u00fcssen gelangen, wie sie France gezogen hat* 2), der bekanntlich aus der Pflanzenwelt und dem Tierreich eine gro\u00dfe Zahl menschlicher Erfindungen und Konstruktionen ableitete und daher entwicklungsgem\u00e4\u00df nur ein Naturnachbild suchte, das menschlichen Zwecken angepa\u00dft ist. Wenn auch viele derartige Versuche nicht strenge Wissenschaftlichkeit auf-zeigen, so haben sie trotzdem ihre Bedeutung und um so mehr dann, wenn \u00fcber dieselben Zusammenh\u00e4nge wissenschaftlich nichts sicheres ermittelt wurde. Diese einfache und erste Methode, mittels Analogieschlu\u00df Materialien zu vergleichen und so Entwicklungen abzuleiten, ist gewi\u00df nichts vollkommenes. Aber sie hat auf der anderen Seite jene ungeheure Lebensn\u00e4he, die Goethes Farbenlehre und Psychologie vor rein experimenteller Exaktheit aus-zeichnete. So lange wir im Rahmen des Entwicklungsgedankens\nx) v. Lucanus: Das Leben der V\u00f6gel. Berlin 1924.\n2) France: Bios. M\u00fcnchen 1921; Die Pflanze als Erfinder. Stuttgart 1920.","page":888},{"file":"p0889.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n889\nverh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig keine anderen Materialien besitzen, wird auch diese urspr\u00fcnglichere Methodik noch Geltung besitzen.\nSelbstverst\u00e4ndlich ist ein zweiter Weg das Experiment.\nMan m\u00fc\u00dfte hier die F\u00fclle tierpsychologischer Verfahren mit-heranziehen, welche immer wieder benutzt worden sind, um Klarheiten aus Vergleich zu bringen. Wenn wir aus der Tierpsychologie nur den einen Ausschnitt erfassen, der das Vergleichsmotiv zum Menschen im allgemeinen und seiner Werkhand im besonderen betrifft, so sto\u00dfen wir auf jenen bekannten Konflikt der Experimentalmethodik, die auf der einen Seite als Dressur oder Vexierversuch, auf der anderen als Experimente im Sinne einsichtigen Handels bekannt geworden ist1).\nMethodologisch kann die Dressur, wie sie in jeder \u00f6ffentlichen Vorf\u00fchrung \u00fcblich ist, im Sinne der mechanischen Abrichtung, selbstverst\u00e4ndlich geringen Aufschlu\u00df bieten, um so geringeren, als ein Ersatzorgan des Tieres unnat\u00fcrlicherweise Handt\u00e4tigkeiten verrichten soll. Das von Koehler erstmalig auf-gerollte Problem des einsichtigen Handelns ist an sich eine Fragestellung der Intelligenzpr\u00fcfung. Aber auch in den vergleichenden Handstudien wird entwicklungsgem\u00e4\u00df nur das interessieren, was spontan vom Tiere zustande kommt, nicht, was ihm k\u00fcnstlich beigebracht ward. Was also vielleicht wie ein Fremdgebilde ihm auferlegt ward und nur mit Hilfe des Putterlohnes auch vom Tiere geleistet wird. Spontan ist die Handlung des Hundes, der mit der Pfote die T\u00fcre aufklinkt, spontan die Nutzung der Affenhand beim Aufbrechen von Gegenst\u00e4nden. Insofern kann auch hier (aber nur in unserem Zusammenh\u00e4nge) der Vexierversuch (das Sich-Befreien aus K\u00e4figen, Labyrinthen usw.) manches andeuten an Spontaneit\u00e4t des Tieres, kann er eine zur Beobachtung brauchbare Situation schaffen. Aber immer werden dann die Verhaltungsweisen uns eine Parallele zeigen, bei der wir instinkt-m\u00e4\u00dfige oder zuf\u00e4llige, jedoch niemals organisch bewu\u00dfte und durchsichtige Einstellungen ersehen. Darauf mu\u00df aber entwicklungsgem\u00e4\u00df Wert gelegt werden! Es wird interessieren, den Arbeitshandgebrauch teils am Ersatzorgan, teils am entwicklungsgem\u00e4\u00df verwandten Handorgan zu ersehen. Das erstere kommt bei den Studien an allen der Menschenhand genetisch unverwandten Organen in Betracht, erreicht also die Fragestellungen, die bereits Carus, Bell u. a. erhoben. Das zweite f\u00fchrt her\u00fcber\n1) Kafka: Tierpsychologie. M\u00fcnchen 1922; Sommer: Tierpsychologie. Leipzig 1925; Ziegler : Tierpsychologie. Leipzig 1924; K\u00f6hler : Intelligenzpr\u00fcfungen an Menschenaffen. Berlin 1921; Abderhaldens Handb. Abt. VI, D; ferner ebendort die Beitr\u00e4ge von Scymanski, Frisch, Brun, Henning u. a.; Hempelmann: Tierpsychologie. Leipzig 1925.","page":889},{"file":"p0890.txt","language":"de","ocr_de":"890\nFritz Griese\nzur modernen Entwicklungslehre und untersucht, inwieweit die Tierhand der Menschenhand arbeitlich \u00e4hnlich sei1).\nInsofern haben die K\u00f6hlerschen Untersuchungen eine gro\u00dfe F\u00fclle von Neuland erbracht, zumal K\u00f6hler eben das einsichtige Verhalten beim Werkzeuggebrauch der Extremit\u00e4ten untersuchte.\nMethodisch wurde die unvermerkte Beobachtung des frei beweglichen Tieres verbunden mit anfangs idealem Aufenthalt, der unter anderem auch wichtige soziologische Verhaltungsweisen der Tiere in der Naturfreiheit zur Beobachtung f\u00fchrte. Als Beiz-gebung im Experimentalfalle wurde zumeist Nahrung angesetzt, deren spontan zu erstrebende Gewinnung, \u00fcber den Weg des Hindernisses hinweg, dem Tiere Zieh sein mu\u00dfte.\nHierbei kam es dann naturgem\u00e4\u00df zu werkt\u00e4tigem Verhalten, das aufschlu\u00dfreich f\u00fcr eine entwicklungsgem\u00e4\u00dfe Betrachtungsweise sein kann: Beispielsweise konnte K\u00f6hler sehr deutlich Unterschiede in Wurfbewegungen beobachten, je nachdem der Zielgedanke aggressiv oder spielerisch gerichtet war. Die Wurf-bewegungen der Tiere beim Angriff waren ein Schleudern mit starken Angriffsbewegungen anderer Ausdrucksform; warfen dagegen die Anthropoiden H\u00fchnern aus Spa\u00df Nahrung (Brot) hin, um zu beobachten, wie diese herbeieilten und die Brosamen aufpickten, so lag hierin in der Bewegung ein l\u00e4ssigeres Streuen, verbunden mit interessiertem Hinsehen auf den sich dann ab-spielenden Vorgang bei der unterlegenen Kreatur. Es versteht sich von selbst, da\u00df wir hierbei entwicklungsgem\u00e4\u00df an Verhaltungsweisen beim Gewerbe, beim Krieg und Angriff oder bei Spiel und Sport denken werden. Interessant war werktechnisch auch die Benutzung der H\u00e4nde, um Erfindungen zu machen: Bambusst\u00e4be verschiedenen Durchmessers ineinander zu stecken, um auszuprobieren, ob der so verl\u00e4ngerte Stock die ersehnte, abseits gelagerte Banane ber\u00fchrt, oder ob aufeinander gesetzte Kisten das hochgelegene Ziel erreichen lassen. Solange hierbei nun die Tiere spontan und nicht nur ,,optisch\u201c handelten, ist entwicklungsgem\u00e4\u00df eine Fr\u00fchform der Handbenutzung verb\u00fcrgt. Ging es doch so weit, da\u00df diese, im Sinne der Dominanzfunktion durch die Intelligenz der Tiere geleitet, stets nur h\u00f6chst individuell zu solchen Werkzeugl\u00f6sungen kam. Selbst zuschauende andere Tiere gerieten durch das Vorbild des Kollegen durchaus nicht in Nachahmung zu gleichem Besultat, ja K\u00f6hler berichtet, wie viele der Tiere sich vergeblich abm\u00fchten, die Imitation zu erreichen; die Dominanzfunktion ihrer Arbeitshand war eben nicht entsprechend die\nx) Zum Grunds\u00e4tzlichen vgl. Thorndike: Animal inteil. (1911); Volkelt: \u00dcber die Vorstellungen der Tiere. Leipzig 1914; Holmes: Studies in animal behavior. 1916; B\u00fchler: Die Instinkte der Menschen. IX. Kongre\u00df f\u00fcr experimentelle Psychologie. M\u00fcnchen 1925. Ber. .Jena 1926; Henning: Z. f. Psychol. 105. 1928.","page":890},{"file":"p0891.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n891\nFig. 143. St\u00fctzhand des Anthropoiden (aus K\u00f6hler)","page":891},{"file":"p0892.txt","language":"de","ocr_de":"892\nFritz Giese\n\u201epraktische Intelligenz\u201d, sondern anderes. Vielleicht das Ange, das Erfassen einer optischen Struktur, aber eben nicht der Leitgedanke, der die Hand als Werkzeug benutzt. Man sieht, wie man das Problem der Dominanzfunktion auch aus der Entwicklung^ -psychologie am Tiere studieren kann1).\nNaturgem\u00e4\u00df kann derartiger Methodenweg neben der Beschreibung auch die Photographie in Standbild, Film (mit und ohne Zeitlupe) benutzen. Vorausgesetzt, da\u00df die Tiere heimlich beobachtet werden. Die nachstehende Abbildung sei als Probe solcher Aufnahmen geboten. Es versteht sich von selbst, da\u00df\nFig. 144. Montageband des Menschenaffen (aus K\u00f6hler).\nderartige Aufnahmen durch ihre Nebenerscheinungen nicht immer leicht fallen. Gerade der Tierfilm erfordert monatelange Vorbereitungen, um die Tiere nicht scheu werden zu lassen. Die UFA berichtet, wie beispielsweise die Aufnahme von St\u00f6rchen anfangs mi\u00dflang, weil das Kurbelger\u00e4usch die V\u00f6gel mi\u00dftrauisch machte. Daher wurden diese durch einen klappernden Apparat erst monatelang an das (harmlose) Ger\u00e4usch gew\u00f6hnt, um f\u00fcr den Filmaufnahmeapparat reif zu werden. Monatelang hat Lola Kreutzberg bei Tieraufnahmen abwarten m\u00fcssen, um Situationen wirklichkeitsnah in Spontaniet\u00e4t zu fassen. Denn durchaus nicht immer k\u00f6nnen wir ein Bekanntschafts- und Vertrauensverh\u00e4ltnis voraus-\nb Lipmann-Bogen: Naive Physik. Leipzig 1923.","page":892},{"file":"p0893.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der ArboitsTiand\n893\nsetzen, wie es zwischen Menschen nnd Anthropoiden m\u00f6glich ist. Filmexpeditionen in der Wildnis haben beispielsweise anch die Yerhaltnngsweisen verschiedener Tiergattnngen an einsamen Wasserstellen lehrreich vor Angen gef\u00fchrt1). Es ist begreiflich, da\u00df derartige Filmaufnahmen des spontanen nnd in Freiheit befindlichen Tieres noch erheblichere Eesultate zeitigen, als der beste Versuch bei Pr\u00fcfung einsichtigen Verhaltens. Jedenfalls wird Beschreibung und Photoaufnahme des Tieres in der Freiheit nach wie vor das problemgerichtetere Experiment wesentlich erg\u00e4nzen. Die M\u00f6glichkeit, mittels Film und Grammophon die Handlung der Tiere abzufangen, verb\u00fcrgt selbstverst\u00e4ndlich heute eine wesentlichere G\u00fcltigkeit, als die allgemeinen Beschreibungen fr\u00fcherer Zeiten.\n2. Kinderstudien.\nEin zweites Studienobjekt ist das Kind.\nHierbei handelt es sich um strikte Vergleichs einst ellung der Entwicklungspsychologie und -psychophysik, so da\u00df die Kinderpsychologie dabei ein etwas anderes Gesicht erh\u00e4lt. Immer mehr verschwei\u00dfen heute Kinder- und Tierpsychologie in diesem Sinne zur Entwicklungspsychologie und mithin auch zur Psychologie des primitiven Menschen.\nBeim Kind ist in entsprechender Ber\u00fccksichtigung seiner Erscheinung der Entwicklungsgedanke methodisch sowohl auf die anatomisch-physiologische Seite, wie die rein psychologische Komponente zu \u00fcbertragen. Hierbei kommen \u00fcblicherweise methodisch dann entsprechende Verfahren zur Anwendung.\nWir wollen folgende grunds\u00e4tzlichenMethodenweg^erw\u00e4hnen:\na) Ent.wicklungsgem\u00e4\u00dfe E\u00f6ntgenstudie.\nZun\u00e4chst mu\u00df die Leistung der Arbeitshand abh\u00e4ngen von der Entwicklungsform des K\u00f6rpers. So sehr man aus dynamo-metrischen und ergographischen Vergleichskurven die Entwicklungsweise der Arbeitshand in der Kindheit und fr\u00fchen Jugend erschlie\u00dft, so wenig gen\u00fcgt f\u00fcr die kausale Erl\u00e4uterung der blo\u00df formale Leistungsbefund. Hier setzen f\u00fcr eine umfassendere Psychophysik der Arbeitshand alle Bem\u00fchungen der vergleichenden Anatomie ein, mittels E\u00f6ntgenreihen die Knochenbildung der Arbeitshand vor Augen zu f\u00fchren.\nDer einfachere Fall ist der, Probeaufnahmen von Lebensstufen verschiedener Personen zu sammeln. Seltener wird es m\u00f6glich sein, E\u00f6ntgenvergleichsbilder verschiedener Altersstufen\nx) Verwiesen sei auf die Tierfilme von Lola Kreutzberg (UFA-Vertrieb), die Citro\u00ebn-Exp\u00e9dition u. a.","page":893},{"file":"p0894.txt","language":"de","ocr_de":"894\nFritz Griese\ndesselben Individuums zu gewinnen. Letzteres kann in besonders wertvoller Weise die Einfl\u00fcsse bestimmter Ern\u00e4hrungsweisen kundtun, mithin \u00fcberleiten zu Forschungen, wie sie die Schule von JE. B. Jaensch1) hinsichtlich der Eidetik und Einwirkungen von Pr\u00e4paratzufuhr auf die psychophysische Veranlagung, auf anderem Gebiete bereits versucht haben.\nDiese E\u00f6ntgenbilder werden in der \u00fcblichen Weise vorgenommen, wie es Wilms, Akerlun\u00e4 und Sessa-Alberti zumal f\u00fcr die Hand, den Arm und die Schulterpartie durchgef\u00fchrt\nFig. 145 c.\tFig. 145 a.\nFig. 145 a bis d. R\u00f6ntgenaufnahmen einer Hand beim Neugeborenen, F/4j\u00e4hrigem, Kind von 3 Jahren, von 10 und von 13 Jahren.\n(Aus technischen Gr\u00fcnden Reihenfolge umgestellt.)\nhaben2). Man gewahrt beispielsweise, wie beim Heugeborenen die Diaphysen der Fingerphalangen und Metacarpalknochen verkn\u00f6chert sind, wie Handwurzelknochen sich darstellen, wie s\u00e4mtliche Epiphysen der Hand und des unteren Endes von Radius\nx) W. Jaensch: Vortrag auf dem Marburger Psychologenkongre\u00df. Kongre\u00dfbericht. Jena 1922; Psychotherapie und Konstitutionsprobleme. I. allg. \u00e4rztl. Kongre\u00df f. Psychotherapie. Baden-Baden 1926 in \u201ePsychotherapie; Gesammelte Arbeiten zur Kasuistik. Zeitschr. f. Kinderf. 32. (Berlin); Bericht \u00fcber den III. Kongre\u00df f\u00fcr Heilp\u00e4dagogik. (M\u00fcnchen 1926) Berlin; Grundlage einer Physiologie und Klinik der psychologischen Pers\u00f6nlichkeit. Berlin 1926.\n2) W-ilms und Sick : Die Entwicklung der Knochen der Extremit\u00e4ten. Hamburg 1902; Akerlun\u00e4: Entwicklungsreihen in R\u00f6ntgenbildern. Hamburg 1918; beide in den Fortschritten auf dem Gebiete der R\u00f6ntgenkunde Albers-Sch\u00f6nberg. ferner Sessa-Alberti: Atlante Radiografien. Bologna 1922.","page":894},{"file":"p0895.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arheitshand\t895\nund Ulna noch frei sind von Knochenkernen. Letztere treten im R\u00f6ntgenbild erst etwa vom vierten nnd f\u00fcnften Monat an auf. Diese Kernentwicklnng l\u00e4\u00dft sich dann Jahre hindurch weiterverfolgen und deutet unmittelbar bis zum Erwachsenen hin auf die Leistungsm\u00f6glichkeiten der Arbeitshand.\nDer Yerkn\u00f6cherungsfortschritt der Epiphysenlinie von Radius und Ulna, Yer \u00e4nderungsunter schiede zwischen links und rechts,\nFig. 145 b.\nFig. 145 d.\nGeschlechtsunterschiede und vieles mehr lassen sich so auf zeigen. Der Fortschritt der Ossifikation in dem Verh\u00e4ltnis zu Alter und K\u00f6rperl\u00e4nge, Konstitution und Ern\u00e4hrungszustand ist ohne weiteres in Verbindung zu bringen. AJcerlund stellte beispielsweise fest, da\u00df ein erheblicherer Parallelismus zwischen Konstitution und Entwicklung des Knochenskelettes als zwischen K\u00f6rper -l\u00e4nge und Verkn\u00f6cherung besteht. Bei kr\u00e4ftiger Konstitution ist der Verkn\u00f6cherungsfortschritt h\u00e4ufiger zu beobachten. Sach-\nv.-\\. v\n-, *\u2022\n\u25a0f.\t*3#\n?>- ~\n: :\u2022\ny :","page":895},{"file":"p0896.txt","language":"de","ocr_de":"896\nFritz Griese\nstehend ist nach ATcerlund f\u00fcr 56 F\u00e4lle eine Darstellung der Ver\u00e4nderung der Alterskurven \u2014 bei Ber\u00fccksichtigung des Konstitutionsgrades \u2014 dargestellt. Auf der Ordinatenachse sind die Entwicklungsgrade des Knochensystems (ermittelt aus den verschiedenen ber\u00fccksichtigten Faktoren) aufgetragen, punktiert sind Abweichungen vom normalen Anstieg der Ossifikation angedeutet. Es versteht sich von selbst, da\u00df ein Diagramm mit relativ wenig Abweichungen zwischen ausgezogener und punktierter Linie den inneren Antriebsfaktor der Ossifikation als Dominante am st\u00e4rksten trifft. Die hier abgebildeten Konstitutionskurven sind von allen anderen Diagrammen die von relativ geringster Abweichung. Die Schaulinien geben Knaben und M\u00e4dchen zwischen 8 und 14 Jahren getrennt wieder.\n29 30 37 32 33 39 33 36 37 3S 39 90 91 *3 93 99 9f 96 97 92 99 50 51 32 S3 59 S5 56\nFall Nr 1 2- 3 9 5 6 7 S 9 10 17 12 73 79 ff 16 17 W 79 20 21 22 23 29 25 26 21\nFig. 146. Ossifikationsstand und Konstitutionsgradsver\u00e4nderung (relative Masse).\n(Nach Ackerlund.)\nDie K\u00f6rperkonstitutionskurven wurden mit Hilfe der Born-har \u00e4tschen Formel entwickelt1). Zum Vergleich sei au\u00dferdem eine gegen\u00fcberstellende Tafel als Ossifikationstabelle beigegeben, um auch die verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfige Toleranzgr\u00f6\u00dfe der Angaben anzudeuten (s. Tabelle 5).\nZur Frage des Lernens, der Diagnose und weiterer Beurteilungen der Arbeitshand einer Person wird die Ossifikation eine erhebliche Bolle spielen.\nb) Kinderpsychologische Bewegungsstudien.\nZweitens kann man durch Beschreibung bzw. Festhaltung im Bilde die spontanen Bewegungsentwicklungen des Fr\u00fchkindes und der sp\u00e4teren Kindheit festhalt en. Damit kommt man auf die \u00fcblichen Gesichtspunkte der Kinder psychologie als Entwicklungswissenschaft. Wie man vom Sehling und L\u00e4chling spricht, wie man die Lokomotion des Kindes im Baume beobachtet, so kann\nL Bornhardt: \u00dcber die Bezeichnung der K\u00f6rperbeschaffenheit durch Ziffern. St. Petersb. med. Wochenschr. 1888. Nr. 48.","page":896},{"file":"p0897.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n897\nman auch den Greifling nnd die Entwicklung der Hand an bestimmteren realen Verhaltungsweisen beobachten.\nFig. 147. Lewinsokes Filmstreifenklischee.\nSolche Entwicklungsbilder von Bewegungen sind, zun\u00e4chst allgemein beschreibend, in der kinderpsyehologischen Literatur stets als Methodenweg benutzt, seltener aber auf die Probleme","page":897},{"file":"p0898.txt","language":"de","ocr_de":"898\nFritz G-iese\nder Arbeitshand \u00fcbertragen worden1). Mur wo der Erziehungsgedanke und die \u00dcbung eine Bolle spielte, hat man sich, wie das Montessorisystem dartut, eingehend mit entsprechenden Fragestellungen befa\u00dft2).\nBesonders lehrreich ist die auch hier, vor allem durch B. Schulze, immer wieder erstrebte spontane Photographie3), vor allem der Film.\nSo sehen wir, wie die Hand urspr\u00fcnglich im Mundraum taktiles Forschungsger\u00e4t ist, eine Erscheinung, die weit her\u00fcberleitet bis zu Auffassungen der Psychoanalyse4). Typisch ist sie ferner ,,Ausdruckshand\u201d (s. u.) beim Mitbewegen mit den Beinen, beim Strampeln und bei Ganzbewegungen des K\u00f6rpers. Sie geht ausdrucksgem\u00e4\u00df in die ,,Spielhand\u201d \u00fcber, wenn das Kind beispiels-\nFig. 148. Spielhand als Forschungsger\u00e4t.\nwTeise (ruckweise rhythmisch) einen Gegenstand hin- und herschleudert, ohne da\u00df ein praktischer Effekt gemeint w\u00e4re (,,Ausdrucksbewegung5 \u2019 ).\nDann kommt die Phase des Greiflings, die das Bezugssystem zwischen Kleinkind und Umwelt, vor allem vor der Zeit der Bewegung im Baum, stiftet. Hier wird die Hand bereits nicht mehr Sinnesorgan, sondern Anfang zum Arbeitsger\u00e4t, wird sie benutzt zum Festhalten, Antasten, Ergreifen.\nWir verdanken Lewin wertvolle Vergleichsf\u00e4lle in Filmaufnahmen, vor allem auch hinsichtlich tickartiger Mitbewegungen und Ausdruckssymptome bei Pathologischen5).\nx) Giese: Kinderpsychologie. M\u00fcnchen 1922.\n2)\tDelitzsch'. Entwicklung der Bewegungen. Langensalza 1913.\n3)\tB. Schulze: Aus der Werkstatt der experimentellen Psychologie und P\u00e4dagogik. Leipzig 1913.\n4)\tVgl. Freud: Vorlesungen zur Einf\u00fchrung in die Psychoanalyse. Wien 1920.\n5)\tK. Lewin (Berlin): Vortrag D\u00fcsseldorf 1926 u. a.; vgl. Zeitschr. f. p\u00e4d. Psychol. 1927; Zeitschr. f. Kinderforschung. 32. Berlin 1927.","page":898},{"file":"p0898s0002table5.txt","language":"de","ocr_de":"Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden.\t'\t.\nAbt. VI, B/II. G-iese: Psychologie der Arbeitshand.\nTABELLE 5.\nOssifikationstabelle.\nHand.\n\tDist. Ulnaepiphyse\t\tDist. Radius -epiphyse\t\tCapi- tatum\tHa- matum\tTri- quetrum\tLunatum\tNavi- culare\tMultang. maj.\tMultang. min.\tPisi- forme\tMetacarpaha\t\tPhalangen\t\tSesam-beine\nAutor\tAuftreten des Knochen- kernes\tVollst. Synost.\tAuftreten des Knochen- kernes\tVollst. Synost.\t\t\t\t\t\t\t\t\tAuftreten des Knochen- kernes\tVollst. Svnost. t/\tAuftreten des Knochen- kernes\tVollst. Synost.\tAuftreten des\nN\u00bb\t\t\t\t\t\t\tAuftreten des\t\tKnochenkernes\t\t\t\t\t\t\t\tKnochen- kernes\nQuain-Hoffmann1) . .\t4 5\t20\t2\t20\t1\t1\u20142\t3\t5\t8\t5\t8 9\t12\t3 8\t20\t3 6\t20\t\u2014\nTestut. \t\t\t6\u20149\t20\u201425\t4 5\t20\u201425\t1 3\t1\u20143\t3\t3\t3\t4 5\t4 5\t10\u201416\t4 5\t18 20\t5 6\t18 20\t\u2014\nRambaud u. Renault1)\t6\t22\u201424\t5\t24\t26\t3\t3\t3\t3\t3\t4 5\t4 5\t(10)15-16\t2\u20143\t19\t20\t3\t18\t19\t\u2014\u2014\nK\u00f6lliker1)\t\t6\t19\u201420\t5\t19\t20\t1\t1\t3\t5\t6 7\t5\t7 8\t12\t2 '\tn 18\t3\tn 18\t\u2014 \u25a0\nHeule1)\t\t6\t20\t2\t18\u201420\t1\t1\t3\t4\u20145\t, 8\u20149\t4 5\t8\u20149\t12\u201415\t2\u20143\t18\u201420\t3\u20147\t18 20\t\u2014\nGegenbauer2) . . . , ...\t\t\u2022\t\u25a0\u2014- '\t\u2014\u2014\t\u2014\t1\t2\t3\t4\t5\t8\t6\t12\t\u2014_\t\u25a0.\u2014\t-\u2014\u25a0\u25a0\t\u2014 ;\t\u2014\nRauber-Kopsch . . .\t4 5\t20\tE 2\t20\t1\t1\u20142\t3\t5\t8\t5\t8\u20149\t12\t3 8\t20\t3\u20146\t20\t.\t\u2014\u2014\nBehren\u00e4sen (\u201497) . .\t8 9\t14\t20\t3\t17\u201420\t/12\t/12\t8/12\t12/l2\t4\t5\u20147\t5\u20147\t,\t5\t7\t5\u20147\u2014(8)\t11\u201412\t3 4\t17\u201420\t2 3\t17\u201420\t12\u201413\nv. Ranke (\u201498) . . .\tb 7\tv. 19\tb l\u201c/\u201e\tv 19\tb4/i2\tb5/i2\tb l10/i2\tB 3\t5\tb 53/12\tB 3\t5\t. b 7\tB 12\tE 2\tv 19\tE 2\t3\tv 19\tb 1610/i2\nv. Wyss (\u201499)\t. . .\t7 8\t9 v 18 cf v 20\tb 23/12\t9 v 18 cf v20\t^ 23/l2\tb2 \u2022/\u201e\t3\u20145\tb 5\t5 f\t6\u20147\t6 7\t11\u201415\t2\u20143\t9 15\u201417, cf 16\u201419\t2\u20145\t\u25a0\t9 15\t17i \u00c7? 16\t19\t\t*\u2014\n, Wilms (\u201402) . .. . .\t: 7\tE 18\tB\u2014M2\tE 18\t4/l2\t5/l2\t4/12 5/12\t3\t5\tM 6\tE 5, B 6\tE 5, B 6\t10\tB 3\t17, B 18\tB 3\t17, B 18\t13\u201414\nWiesener (\u201408) . . .\t10\t18 20\tu / /12\t18\u201420\tVl2 5/12\t/12 /12\t3\t5\t6\t\u25a0 5\tE 5, B 6\t10\t\u25a0 \u2014\t\t:\t\u25a0 \u2014\u2014\t\t13\u201414\nK\u00f6hler (\u201410) . . . .\t6 8\tn 18\t1 3\tn 18\t4/l2\t5/l2\t3\t; 5 .\tM 6\tE 5, B 6\tE\u00f6, B0\t10\t\u2014\t\t\t\t\t\t\nFujinami (\u201411). . .\tB 7 9 fr\u00fcher als cf\t16\u201417 9 fr\u00fcher als cf\tB 2\t16\t17 9 fr\u00fcher als cf\tM Vi.\tMVl2\tM3\tM 4\tB 6\tB 6\tB 6\tB 12\tj\t\t: - .\t\t\nGrenzwerte .....\tB 6- M 8\t\t.\t8/i2 L 3\t\t.\tEVi\u00e4 bis M'/u\tEVia bis MVl2\tB 2\u2014M 4\tM 3 B 6\tB 5 E 7\tM5 B 7\tM 5\u2014B 7\tE 9\u2014E 12\t1 \u25a0\tJ\t-\t\t\u00ce\t\u25a0 ! .\nDie Zahlen bezeichnen im allgemeinen die Ordnungszahl des Lebensjahres (z. B. 3 = w\u00e4hrend des 3. Lebensjahres). B, M und E bezeichnen bzw. Beginn, Mitte und Ende eines\nJahres. (B 3__M 5 = vom Beginn des dritten bis zur Mitte des f\u00fcnften Jahres); n und v bezeichnen nach bzw. vor einem bestimmten Jahr (v 16= vor dem 16. Jahr, beispielsweise w\u00e4hrend\ndes 15. Jahres). Nur nach b und m bezeichnen die Zahlen das Alter in Jahren und Monaten, b und m bedeuten bei bzw. mit (b 23/i2 bedeutet bei einem Kinde im Alter von zwei Jahren und drei Monaten; m 37/12 = mit einem Alter von drei Jahren und sieben Monaten). Pub. = Pubert\u00e4t, A. p. = Ante partum, p = bei der Geburt, f\u00f6t. = f\u00f6tale, pf. \u2014 postf\u00f6tale Lebensperiode.\n0 Zitiert nach v. Wyss.\n2) Zitiert nach Wilms: a. a. O. Gesamt\u00fcbersicht nach Ackerland","page":0},{"file":"p0899.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\n899\nSp\u00e4terhin sehen wir, wie der inzwischen znm Gehen gediehene kindliche Mensch ans der Hand das Forschungsger\u00e4t macht. Man fa\u00dft alles an, nm die geheimnisvollen Zusammenh\u00e4nge von Dingen und Lebewesen zn ergr\u00fcnden. So vereinigt sich hier Spielhand und Forschnngshand beim Kinde zugleich.\nKoch sp\u00e4ter tritt die Erziehung und der Ernst des Lebens heran, so da\u00df die Hand wiederum der Arbeit dient. Das, was jenseits von den Aufgaben des schulischen Unterrichtes liegt, was Heimerziehung bedeutet, befa\u00dft sich in erster Linie mit den Handaufgaben des t\u00e4glichen Lebens: Eeinigung, Kahrungszufuhr und gesellschaftlichem Ritus (z. B. Handgeben).\nIn diesem Sinne verdanken wir Katz ausgezeichnete Aufnahmen. Eine systematische, nicht immer nur nach dem Alter, sondern nach funktionellen Gesichtspunkten gerichtete Handaufnahmendarstellung fehlt vorerst allerdings1).\nc) Experimentelle Vergleiche.\nDer dritte Weg ist der experimentelle und es gibt so gut wie keine Seite kindlicher Geistest\u00e4tigkeit, die man nicht statistisch oder unmittelbar experimentell in Vergleichs- oder Entwicklungskurven f\u00fcgte. Hierbei kann naturgem\u00e4\u00df eine solche Kurve auch die Bedeutung des Handlungsabbaues, als einem Ausdruck des Altersfortschrittes, besitzen. Das Versiegen spontanen Schreiens oder Weinens, der Verlust der pers\u00f6nlichen Unsauberkeit, die Unempfindlichkeit gegen L\u00e4rm, der Abbau unkoordinierter Handbewegungen und zielverfehlender Handbewegungen, das alles mag sinngem\u00e4\u00df \u201eEntwicklung\u201d darstellen.\nUnmittelbar im Anschlu\u00df an K\u00f6hlers Anthropoidenpr\u00fcfungen haben Bogen und Lipmann die naive Physik oder die praktische Intelligenz, wie man auch sagen k\u00f6nnte2), an Kindern gepr\u00fcft und hierbei genau so die Werkzeugauswahl und den Werkzeuggebrauch wie die Werkzeugherstellung in Rechnung gesetzt.\nEbenso hat man fr\u00fcher die Hand f\u00fcr die beiden wichtigen Kindleistungen, Kraft und Schreiben, experimentell gemustert3).\nHierbei zeigte sich sehr deutlich der Unterschied gegen\u00fcber der arbeitenden Hand des Erwachsenen, der nicht darin nur liegt, da\u00df die kindliche Arbeitshand schw\u00e4cher ist, als darin, da\u00df sie bei mechanischer Wiederholungst\u00e4tigkeit hinsichtlich Ausdauer, Rhythmus und Variation wesentlich andere Verh\u00e4ltnisse bieten\nb Katz: Erziehung im vorschulpflichtigen Alter. Leipzig 1925; Delitzsch: Entwicklung der Bewegungen. Langensalza 1913.\n2)\tLipmann und Bogen: Naive Physik. Leipzig 1923.\n3)\tMenmann: Vorlesungen zur Einf\u00fchrung in die experimentelle P\u00e4dagogik.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n59","page":899},{"file":"p0900.txt","language":"de","ocr_de":"900\nFritz Griese\nkann. Das, was wir bei der Serienhandlung und dem f\u00fcr reale Arbeit notwendigen Gesamtimpnlse zu sagen hatten (ein Problem, das auch die industrielle Schulung der Werkhand stark angeht), fand sich hier wieder. Bei Vergleichen an der Kr\u00e4pelinsehen Schriftwaage1) offenbarte das Kind wesentlich mehr Einzeldruck -gebung, Fehlen des die Wortganzheit erfassenden Gesamtschwunges, Unregelm\u00e4\u00dfigkeiten u. \u00e4. m. Das sind mithin Entwicklungsseiten der Arbeitshand, welche die komplexe Funktion derselben unmittelbar mit dem Altersfortschritt und in erster Linie mit dabei in Betracht stehenden Dominanzfunktionen verkoppeln.\nEs m\u00fc\u00dfte hier nunmehr sinngem\u00e4\u00df der Entwicklungsstand der Naturv\u00f6lker zur Er\u00f6rterung stehen. Da jedoch dort vor allem v\u00f6lkerpsychologische Differenzen einen wesentlichen Ausschlag bieten, verschieben wir die Er\u00f6rterung auf das n\u00e4chste Kapitel.\n3. Studien an Degenerierten.\nSehr bedeutsam kann f\u00fcr die Handforschung das methodische Verfahren werden, an Degenerierten und K\u00fcmmerlingen Unter-\nFig. 149. Kindliche Ergographenkurven (Siebenj\u00e4hriger).\nsuchungen anzustellen. Hierbei soll an dieser Stelle nicht pathologisches Material als solches gemeint sein, sondern das Teilgebiet der entwicklungsgest\u00f6rten oder entwicklungsverbildeten Individuen.\nIn diesem Sinne ist die Kr\u00fcppelhand von besonderem Interesse.\nDer Weg, den die Methoden hier beschreiten, ist prinzipiell derselbe. Man kann durch statistische Arbeitserhebungen, durch Beschreibung von F\u00e4llen, durch Photographie und B\u00f6ntgenbild und durch das unmittelbare Experiment zu Vergleichswerten gedeihen.\nUm nicht die dadurch notwendige Wiederholung des Gleichen zu erwirken, m\u00f6chte man an dieser Stelle einige Sonderfragen in knapper Form ber\u00fchren, denen diese entwicklungsgerichtete Vergleichsforschung dienen k\u00f6nnte.\n1) Ebendort. 3. Leipzig 1914.","page":900},{"file":"p0901.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n901\na) Statische Kr\u00fcppelhandaufnahme.\nHierbei wird es nnr darauf ankommen, angeborene Mi\u00dfbildungen anatomisch festzuhalten, um r\u00fcckschlie\u00dfend daraus das praktische Verhalten des Falles begreifen zu k\u00f6nnen. Wie wichtig dabei das K\u00f6nt genverfahr en wiederum werden kann, erhellt nachstehendes, beliebig herausgegriffenes Muster.\nFig. 150. Typen angeborener Handverbildnngen\nDiese Materialien hat Joachimsthal erstmalig zusammenzufassen gesucht1). Die Auswertung f\u00fcr die erw\u00e4hnten Probleme der Prothesen liegt dabei sehr nahe.\nx) Joachimsthal: Die angeborenen Verbildungen der oberen Extremit\u00e4t. Hamburg 1900; Grumbach: Das Handskelett. Wien 1921.\n59*","page":901},{"file":"p0902.txt","language":"de","ocr_de":"902\nFritz Griese\nb) Bewegungsbilder\nder Hand.\nHierbei wird wie Bewegung aufeinander\nin der Galtonschen Methode einfach die photographiert. Habei mu\u00df sich bei ver-\nFig. 151. Aufeinander photographierte Bewegungsformen.\nkr\u00fcppelten H\u00e4nden vor allem erweisen, inwieweit die Drehungs-oder Spreizbewegungen der betreffenden, stets ja einen Individualwert darstellenden Hand, behindert sind. Der Vergleichs wert zwischen normaler und verkr\u00fcppelter Hand ist dabei einleuchtend.","page":902},{"file":"p0903.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n903\nUmstehende Probe ist f\u00fcr die angloamerikanische Photographie kennzeichnend1) (Pig. 151).\nc) Einarmerstndien.\nBei der Er\u00f6rterung der Prothesenfragen wird die Wirkung einarmigen Schaffens auf die Arbeitsleistung er\u00f6rtert und in der Konstruktion zweckm\u00e4\u00dfiger Kunst arme zum Ausdruck kommen. Hier liegt es so, da\u00df von Natur einarmige Leute aus ihrer Erfahrung heraus zu gewissen arbeitstechnischen Behelfen geraten,, die einmal f\u00fcr den durch Unfall einarmig gewordenen Menschen von Vorteil werden k\u00f6nnen, andrerseits f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis der gesunden Normalhand von betr\u00e4chtlichem Nutzen sind.\nDabei spielen stark objektspsychoteehnisehe Fragen hinein. Denn gerade der geborene Einarmer ist notwendigerweise gezwungen, die Dinge der Umgebung seiner menschlichen Natur anzupassen, Erleichterungsformen f\u00fcr die Benutzung von Ge-brauchsgegenst\u00e4nden zu finden. Da\u00df daraus sogar wichtige Hinweise f\u00fcr den Normalen folgern, ist m\u00f6glich.\nAn zwei Beispielen kann man sich von dem methodischen Prinzip der Einarmerstudie grunds\u00e4tzlich \u00fcberzeugen.\nProben nach K\u00fcnssberg deuten darauf hin, wie man mit einer einzigen Hand und ohne Zuhilfenahme eines Stumpfes, Arbeitsleistungen wie das Streichholzanz\u00fcnden meistern kann. Weitere Varianten lassen sich in breiter F\u00fclle f\u00fcr andere Alltagsarbeiten (Waschen, Kleidung anziehen, Schirm auf spannen usw.) finden2).\nAls Beispiel der objektspsychotechnischen Anpassung von Arbeitsger\u00e4ten an die Lebensbedingungen des (geborenen) Ein-armers kann man au\u00dferdem noch Ergebnisse der Extremf\u00e4lle heranziehen: die Selbstbehelfe beidseitiger geborener Arm- oder Handloser. Zu nennen sind hier die hervorragenden Eigenerfindungen von Unthan3), W\u00fcrtz4), Neumann5) usw. Es ergibt sich beispielsweise eine Skala mehr oder minder leicht auch ohne Hand zu \u00f6ffnender Federmesser, eine Beihe mit einer oder keiner Hand zu meisternder Bekleidungsst\u00fccke, E\u00dfger\u00e4te u. dgl. m. Als Probe sei Neumanns, in Waldes Preisausschreiben mitgeteilte Armlosenkleidung hier genannt, die das Problem des Kragens und Krawattenverschlusses, der Hosenbefestigung, des Westenschlusses und des Stiefelschn\u00fcrens l\u00f6st.\nx) C. Beck: The crippled hand and arm. Philadelphia 1925.\n2)\tK\u00fcnssberg: Einarmfibel. Karlsruhe 1917.\n3)\tUnthan: Ohne Arme durchs Lehen. Karlsruhe 1916; Das Pediskript. Stuttgart 1925.\n4)\tW\u00fcrtz: Der Wille siegt. Berlin 1916.\n5)\tK\u00fcnssberg: Hilfsmittel des t\u00e4glichen Lehens in Schlesinger, Ersatzglieder und Arheitshilfen. Berlin 1919; Einarmfibel. Karlsruhe 1917.","page":903},{"file":"p0904.txt","language":"de","ocr_de":"904\nFritz G-iese\nWelche F\u00fclle von Erw\u00e4gungen die objektspsychotechnische Anpassung der Bekleidung bedingt, folgert aus einer Schilderung, die ein Handloser \u00fcber den Hosenschlitz des Mannes gibt.\n\u201eDie Hosen werden vom Schneider angefertigt wie \u00fcblich, es sollte aber darauf gesehen werden, da\u00df die Hosen \u00fcber das Ges\u00e4\u00df nicht zu enge sind und nicht in den Kn\u00f6pfen spannen, da\u00df weiter der Verschlu\u00df des Hosent\u00fcrls nur drei Kn\u00f6pfe hat und nicht vier, da sonst der Abstand zwischen den Kn\u00f6pfen zu enge wird. An der Stelle des untersten Knopfes macht mir der Schneider ein kleines kreisrundes Loch, 5 mm im Durchmesser, welches ebenso wie ein Knopfloch mit Seide gut umn\u00e4ht wird, es scheuert sich sonst bald durch. Ein schwarzes Gummiband wird auf der inneren Seite der Knopflochleiste, also da, wo sonst im geschlossenen Zustand der Knopf sitzt, angen\u00e4ht, von au\u00dfen nach innen durch das kleine Loch zwischen Ober- und Unterhose nach oben zum linken Hosentr\u00e4ger gef\u00fchrt und dort befestigt. Die Befestigung geschieht am einfachsten dadurch, da\u00df das Gummiband unter die verstellbare Hosentr\u00e4ger schnalle gesteckt und festgeklemmt wird. Das Gummiband wird in der Lage festgehalten da\u00df bei aufrechter Haltung das Band eben anf\u00e4ngt, einen Zug auszu\u00fcben. Bei\nFig. 152. Neumanns Armlosenbekleidungsst\u00fccke.\ngut sitzenden Hosen bedarf es nur eines ganz leichten Zuges und darf sich an der Stelle, wo das Band angen\u00e4ht ist, keine Falte zeigen. Dies die Einrichtung; zwei Umst\u00e4nde m\u00fcssen aber noch ber\u00fccksichtigt werden, die einem im Anfang und zuweilen auch sp\u00e4ter noch, der gewollten Erleichterung recht hinderlich im Wege sind, Unterhose und Hemd. Die Unterhosen sind stets so einzuh\u00e4ngen, da\u00df die \u00d6ffnungen der beiden Hosen miteinander korrespondieren. Es geht dies ganz leicht, indem man die Unterhosen einh\u00e4ngt, da\u00df dieselbe nicht Mitte auf Mitte mit der Unterhose, sondern etwas nach links ger\u00fcckt wird. Das Hemd wird am einfachsten hochgerafft (\u00fcber den Hosenbund geh\u00e4ngt). Wer gegen Erk\u00e4ltungen empfindlich ist, wird dies nicht gut k\u00f6nnen, hier mu\u00df man eben jedesmal das Hemd unter der Weste hochziehen.\u201d\nd) Griffstudien.\nErkenntnisreich sind ferner photographische oder filmische Aufnahmen von praktischen Griffen, die als Arbeitshandfunktion neben der Bewegungsstudie uns die allt\u00e4glichen Werkzeugwirkungen der Hand vorf\u00fchren.\nAls Beispiel solcher Bilder sei nachstehend eine Probe geboten, bei der nicht nur die Wirkung einer ausgesprochenen","page":904},{"file":"p0905.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\t905\nKr\u00fcppelhand, sondern auch partielle Ausfallserscheinungen einzelner Finger wertvolle Aufschl\u00fcsse bieten. (Man beachte das Versagen des Mittelfingers beim Klemm Schlu\u00df auf dem mittleren Bilde.)\nMit dem Kr\u00fcppel- und Degeneriertenproblem kommt man an ein weiteres methodologisch wichtiges Gesamtgebiet.\nFig. 153. Grifformen von Kr\u00fcppelh\u00e4nden.\n4. Vererbungsforschung.\nDas Kr\u00fcppelproblem mu\u00df die Frage der VererbungsWirkung bei der Arbeitshand nahelegen. Demgem\u00e4\u00df geh\u00f6rt in den Bahmen der Entwicklungsforschung der Arbeitshand auch dies: ob und inwieweit Handfunktionen und Handgestaltung jeder Form durch Vererbungseinfl\u00fcsse bedingt sein k\u00f6nnten? Wenn oben bereits","page":905},{"file":"p0906.txt","language":"de","ocr_de":"906\nFritz Giese\ndie kindliche Handentwicklung mit der Konstitutionsforschung in Beziehung gesetzt ward, so liegt dies in derselben Richtung.\nBei der Vererbungslehre interessieren in methodischer Hinsicht vor allem f\u00fcr die Arbeitshandpraxis zwei Grundgedanken: die Vererbung der degenerativen Ausfallserscheinungen wie der Minderleistung an sich und auf der anderen Seite die Vererbung von H\u00f6chstleistungen der Arbeitshand.\nEine Ber\u00fccksichtigung der ungeheuer breiten Vererbungs-wissenschaftlichen Literatur ist hier ausgeschlossen1). Merkw\u00fcrdigerweise wird die Arbeitshand in ihr restlos \u00fcbersehen.\nEine gewisse Ausnahme macht vielleicht das Linkserproblem, das man von je in arbeitstechnischer Beziehung beachtete. Auch die Vererbung von Verkr\u00fcppelungen der Extremit\u00e4ten ist immerhin, wenn auch nicht arbeitspsychologisch, so doch biologisch von Interesse gewesen.\nDagegen ist so gut wie selten oder gar nicht die Vererbung manueller Geschicklichkeiten von der Psychotechnik erfa\u00dft worden.\nTrotzdem sind zweifellos hier beachtliche Werte vorhanden. Wissen wir doch, da\u00df ganze Ortschaften und Gegenden zweifelsfrei durch Vererbung qualitative Hochleistungen in der Arbeit erzielen. Insbesondere kommt Eeinmechanik und Pr\u00e4zisionsarbeit, aber auch das Arbeiten mit Holz, Kleinarbeit der Spielzeugindustrie, das Handweben und manches mehr in Betracht.\nMithin entsteht methodisch die M\u00f6glichkeit, derartige Handqualit\u00e4ten einer Bev\u00f6lkerung zu verfolgen. Es ist interessant, da\u00df lokal derartige Qualit\u00e4ten sogar die Verpflanzung in andere Gegenden mit anderer Bev\u00f6lkerung ausschlie\u00dfen. (Beispiel: Zigarettenindustrie, soweit handbedingt.) Neuerlich hat man von der psychotechnischen Seite her derartige Probleme praktisch zur Aufgabenstellung bekommen, wenn es galt, in einer Gegend neue Industrien einzuf\u00fchren (etwa Edelmetallverarbeitung, Porzellanindustrie usw.), wobei die ortsans\u00e4ssige Bev\u00f6lkerung durch Untersuchungen auch der Hand zu eichen war und in Vergleich stand mit der Bev\u00f6lkerung einer anderen Gegend, die generations-weise derartige Arbeiten verrichtete. Methodisch ist dann Aufgabe, die gewohnheitsm\u00e4\u00dfige T\u00e4tigkeit der Ursprungs\u00f6rtlichkeit durch Altersschichten und so Generationen mit gleicher Arbeit zu beobachten, um festzustellen, ob und welche Handt\u00e4tigkeiten wirklich eine generationsweise Mehrleistung gegen\u00fcber neutralen Bev\u00f6lkerungen erbringen.\n1) Foyer: Les Probl\u00e8mes g\u00e9n\u00e9raux de l\u2019h\u00e9r\u00e9dit\u00e9. Paris 1921; Hoffmann: Vererbung und Seelenleben. Berlin 1922; Peters: Vererbung und Pers\u00f6nlichkeit. Jena; 1924; Eugenics genetics and thefamily. Baltimore 1923; Eugenics race state. Baltimore 1923; Mac Curdy: Human Origins. New York 1924; Epstein und Alexander: Konstitution und Umwelt im Lehrlingsalter. M\u00fcnchen 1922; Siemens: Vererbungspathologie. Berlin 1923.","page":906},{"file":"p0907.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n907\nOb und welche Funktionen der Arbeitshand der Vererbbarkeit besonders unterstehen, k\u00f6nnen wir heute einwandfrei noch keinesfalls sagen. Hinzu tritt, da\u00df durch die Einfl\u00fcsse der Technik und der gesamten sozialen Lebensbedingungen Bev\u00f6lkerungen mit relativ konstantem Lebensraum und gleichbleibender Arbeitsweise selten anzutreffen sind. Am ehesten findet man dies in hochqualifizierten alten Gewerben, welche die Maschine noch nicht erreichte, und in der Hausindustrie. Methodisch ist die Fragestellung von erheblichstem Belang und mu\u00df zweifellos die Charakterisierung der Arbeitshand f\u00f6rdern helfen1).\nAnmerken m\u00f6chte man in diesem Zusammenhang nur noch ein Sonderverfahren, das verschiedenartigste Beziehungen zwischen Vererbung, Leistung, Niveau und Hand stiftet. Was in der Kriminalistik die Untersuchung mittels Daktyloskopie gegen\u00fcber der Chiromantik der Parapsychologie bedeutet, d\u00fcrfte dieses Verfahren gegen\u00fcber kriminalistischen Versuchen, aus den Venenbildern Identifizierungen zu erstreben, bedeuten. W. Jaensch hat n\u00e4mlich festzustellen geglaubt, da\u00df zwischen der Capillaren-bildung, die durch entsprechende Benutzung eines (eventuell auch f\u00fcr Photogrammaufnahme geeigneten) Vergr\u00f6\u00dferungs-apparates bei jedem Menschen sichtbar gemacht werden kann, und der Intelligenz bestimmte Beziehungen bestehen. Er untersuchte die Capillarenbildung an den Fingerbeeren und fand eine Entwicklungsbeziehung, dahingehend, da\u00df Zur\u00fcckgebliebene, Schwache, Degenerierte und andere Personen \u00e4hnlicher Entwicklungsstufe sich durch knospen- und rankenf\u00f6rmige Gebilde gegen\u00fcber den Gesunden, gut Bef\u00e4higten, die knapp und feingezeichnete Capillarengef\u00e4\u00dfbilder zeigen, unterscheiden. Hilfsschulkinder stehen zwischen den geistig sicher defekten Personen und den sicher Normalen hinsichtlich ihrer Capillarenformen in der Mitte. \u00c4nderung der Capillarenbilder durch entwicklungsf\u00f6rdernde Medikamente bei Kindern ist nicht zu verkennen gewesen2). Ein Vergleichsbild mag den Wert dieser Methode verdeutlichen helfen (Fig. 154).\nEs w\u00e4re mithin in der Entwicklungsforschung auch dieser Weg einer Handstudie denkbar, der freilich auf die so mannigfachen Besonderheiten der Ausdruckshand hin\u00fcberleitet. Wir m\u00f6chten indessen diese Methode deshalb unter den Entwicklungs-\nx) Hierzu vgl. in Vorbereitung befindliche Ver \u00d6ffentlichungen in der Deutschen Psychologie. ( J\u00df\u00fcssel u. a.) Halle ; ferner Giese: Psychotechnische Bev\u00f6lkerungsstudien f\u00fcr die Edelmetallindustrie. Psychotechn. Zeitschr. 2. M\u00fcnchen 1927.\n2) W. Jaensch: Vortrag auf dem Marburger Psychologenkongre\u00df. Kongre\u00dfbericht. Jena 1922; Zeitschr. f. Kinderhlk. Berlin 1925; ferner alles a. a. O. B. 2 a; Mertz: Beobachtungen an den Hautkapillaren von S\u00e4uglingen. Monatsschr. f. Kinderhlk. 18. (1920).","page":907},{"file":"p0908.txt","language":"de","ocr_de":"908\nFritz G-iese\nformen der Arbeitshand nennen, da ihr wesentlicher Wert in diesem Rahmen beschlossen sein d\u00fcrfte. Da\u00df damit die Vererbung der Arbeitshand mit her \u00fcb erreicht zur M\u00f6glichkeit einer Vererbung der Ausdruckshand, ist selbstverst\u00e4ndlich.\n5. Alter sent wieklung der Arbeitshand.\nUngeheuer wichtig mu\u00df es sein, nun noch die Greisenhand als Arbeitsger\u00e4t der Betrachtung zu unterziehen.\nBestehende .Normalform bzw. Hemmung der Entwicklung.\nFortschreitende normale Entwicklung bis zur Bildung \u201eechter\u201c (neocapillarer) Endcapillaren.\n1\nII\nReihe\n)\nNormale Entwicklungsstufen der Gef\u00e4\u00dfe beim S\u00e4ugling bis zum ersten Lebenshalbjahr.\nFingercapillaren bei Gesunden, Hilfssch\u00fclern nnd Geisteskranken.\nZum Greisenalter gibt es verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig wenig Literatur, und nur sehr angen\u00e4hert befa\u00dft sie sich mit Berufsproblemen, wenn sie psychologisch geartet ist1). Ganz und gar nicht indessen legt sie Wert auf eine Beschreibung der Altershand, des Versagens der Arbeitshand durch Altersanbr\u00fcchigkeit.\nWir wollen wiederum die methodischen Grundgedanken festlegen, die f\u00fcr dieses Thema k\u00fcnftig aufschlu\u00dfgebend sein d\u00fcrften. Denn naturgem\u00e4\u00df kann nicht nur interessieren, wie\n1) Voronow: Etude sur la vieillesse. Paris\tHall: Senescence. London\n1922; TJiewlis: Geriatrics. London 1924; Mueller: \u00dcber die Alterssch\u00e4tzung. Berlin 1922; Child: Senescence. Chicago 1915; Schwalbe: Lehrbuch der Greisen-krankheiten. Stuttgart 1909. Lorand: Das Altern. Leipzig 1919; ferner Sterns Bibliographie in der \u201eDifferentiellen Psychologie\u201d. Leipzig 1923; Giese: Erlebnisformen des Alterns (Umfrageergebnis). Kongre\u00df f\u00fcr experimentelle Psychologie. Bonn 1927; Ber. Jena 1928 und \u201eDeutsche Psychologie\u201c 5, Halle 1928.","page":908},{"file":"p0909.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n909\ndie Hand in der Jngend wird, sondern mu\u00df auch wertvoll sein, zu sehen, in welcher Weise dnreh biologischen Abban urspr\u00fcngliche M\u00f6glichkeiten verloren gehen. Methodisch stehen dementsprechend folgende Wege offen:\na) Unmittelbare Pr\u00fcfung von Handfunktionen\nabstrakter Form.\nHer Yersuch einer Untersuchung der greisen Arbeitshand kann ausgehen vom sogenannten abstrakten Yersuch. Dieser w\u00e4re an sich rein neurologisch denkbar, mu\u00df aber in unserem Zusammenh\u00e4nge die Komplexheit der psychotechnischen Fragestellung beibehalten.\nDaher k\u00e4me sinngem\u00e4\u00df eine kennzeichnende Pr\u00fcfung f\u00fcr folgende bekannten Funktionen in Betracht:\n1.\tHr go graphie\nzur Feststellung des Kr\u00e4fteverlustes im Alter. Es ist begreiflich, da\u00df daher der Sport mit seiner Bekordeinstellung auch hinsichtlich der Arbeitshand des Alters vielseitigen Aufschlu\u00df bieten kann.\n2.\tTremographie\nzur Feststellung unwillk\u00fcrlicher Handunruhe, der Alterszittererscheinungen und des Yersagens der Treffsicherheit der Hand-Da\u00df hierbei auch der Abbau der optischen Wahrnehmung mitspricht, ist erkl\u00e4rlich.\n3.\tBeaMionsbewegungen\nder Hand durch Tasterdruck bei Einfach- und Mehrfachhandlungen aller Art. Messung der jetzt durch das Alter ver\u00e4nderten Yerhaltungsweisen, vor allem hinsichtlich mittlerer Yariation, Zeit und Fehler leis tung, wobei Dominanteneinfl\u00fcsse des Ohres und Auges bei Mehrfachhandlungen auftreten werden.\n4.\tAufmerJcsamJceitspr\u00fcfungen,\nverbunden mit Handbewegungen im Sinne des Bourdonversuches. Es kann angef\u00fcgt werden, da\u00df beachtliche Absenkungen erst in sehr hohem Alter zu erwarten sind.\nb) Ausdrucksgebung der Arbeitshand.\nHierbei m\u00fcssen wir vorgreifend zwei Befunde streifen, die zur Charakteristik der Greisenarbeitshand aber sehr wichtig sind. Wir erw\u00e4hnen, unter Yerweis auf die weiter unten im Schlu\u00dfabschnitt II gegebenen Ausf\u00fchrungen in diesem Kapitel:","page":909},{"file":"p0910.txt","language":"de","ocr_de":"910\nFritz Giese\nKinderhand (2 Jahre).\tHand einer 62j\u00e4hrigen (welke Haut).\tHand eines 49j\u00e4hrigen Arztes\n(Kunzelung der Haut).\nFig. 155 a, e, d. Altersformen der H\u00e4nde (aus M\u00fcller).","page":910},{"file":"p0911.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n911\nHand eines 13j\u00e4hrigen.\nHand eines 29j\u00e4hrigen (Venenmuster).\nHand eines 70j\u00e4hrigen (Pigmentierung, Faltenbildung, Unelastizit\u00e4t).\nHand eines 80j\u00e4hrigen (Handr\u00fccken zerknittert, kein Unterhautfettgewebe, Haut zu weit).\nFig. 155 b, c, /, g. Altersformen der H\u00e4nde (aus M\u00fcller)","page":911},{"file":"p0912.txt","language":"de","ocr_de":"912\nFritz G-iese\n1. Altersphysiognomih der Hand.\n\u00c4hnlich wie im Gesicht, an den Beinen, dem Halse, dem Rumpf kann man die Altersspurengebung auch an der Hand finden1). Es sprechen hierbei mit die Einfl\u00fcsse der Witterung, der Eettbildung, der Berufst\u00e4tigkeit und vieles mehr. Die fettreiche Kinderpatsche bildet sich in den zwanziger Jahren um, wo bereits die Yenen blau durch den Handr\u00fccken schimmern. Zwischen den n\u00e4chsten zwei Jahrzehnten bilden sich die ersten Hautfalten heraus, wird die Handbehaarung beim Manne st\u00e4rker, beginnt immer deutlichere Schwielenbildung. Das Fett l\u00e4\u00dft nach, so da\u00df die Hand alsbald knochiger erscheint, die Haut faltenreicher, d\u00fcnner, dunkler gefleckt; formal zu \u201eweit\u201d.\nDerartige Grundverh\u00e4ltnisse kann man zum Studium photographisch festlegen. Umstehend werden die Altersstufen von H\u00e4nden zwischen dem 2. bis 80. Lebensjahre vorgef\u00fchrt.\n2. Graphologische Ausdrucksgebung.\nWertvoll kann auch die graphologische Ausdrucksgebung der alternden Arbeitshand sein. Hierbei mu\u00df, \u00e4hnlich wie beim Kinde, die formale Ver\u00e4nderung der Handschrift beachtlich bleiben. Die Handschrift kann nicht nur zittriger, sondern im Gegenteil fl\u00fcchtiger, ruhiger oder ausgeglichener sein als im Jugendduktus. Bekannt ist die Gegen\u00fcberstellung der Jugend- und Altershandschriften bedeutender Menschen, so Goethe s, G. F. Meyers u. a. In einigen F\u00e4llen hat man aus der Altersentwicklung unmittelbar auch R\u00fcckschl\u00fcsse auf den Gesamthabitus etwa im pathologischen Sinne gefolgert; so bei Nietzsche, Lenau, H\u00f6lderlin u. a.\nYYenn auch beide Methoden schon unmittelbar zur Untersuchung der Ausdruckshand rechnen, m\u00f6chte man sie doch an dieser Stelle miterw\u00e4hnen.\nc) Bahnungs \u00dcbungen der Altershand.\nSehr interessant waren F\u00e4lle, vielfach des Krieges oder der Unfallanbr\u00fcchigkeit, in denen es galt, alte Leute umzuschulen auf eine neue T\u00e4tigkeit. Hierbei kommen wiederum nur die Arbeitsformen in Betracht, die als manuelle bestimmt sind. Es zeigte sich in allen diesen F\u00e4llen, da\u00df das individuelle Altern des Menschen auf dem Gebiete auch der Hand verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig fr\u00fch beginnt, gelegentlich bereits Ende der zwanziger, meist deutlich Mitte der vierziger Jahre. Wir k\u00f6nnen die Erfahrungen der Altersumschulungsst\u00e4tten in der sozialen Wohlfahrt ebenso verwenden, wie die Erkenntnisse des Sportes.\nx) L. JR. M\u00fcller: \u00dcber die Alterssch\u00e4tzung bei Menschen. Berlin 1922.","page":912},{"file":"p0913.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n913\nFig. 156. EntwicklungsunterscMede bei Conrad Ferdinand Meyer.","page":913},{"file":"p0914.txt","language":"de","ocr_de":"914\nFritz Griese\nIn jedem Falle kann man methodisch mithin \u00fcber die Altershand sich orientieren, indem man Einschulungsversuche mit altersgestaffelten Leuten macht. Es wird sich von Fall zu Fall zeigen, da\u00df bestimmte Handt\u00e4tigkeiten durchlaufend erlernbar, andere schwer oder gar nicht mehr erlernbar sind. Auch die Artistent\u00e4tigkeiten bringen diese Grenzen f\u00fcr Mchterlernbarkeit von bestimmten Altersstufen an deutlich heraus. Mcht nur die rohe Kraft, sondern auch Fingerteilgelenkigkeit wie Tempo scheinen nach den bisherigen k\u00fcmmerlichen Einsichten in die entwicklungsgem\u00e4\u00dfen Zusammenh\u00e4nge wichtige Faktoren zu sein, deren Meisterung vom Alter abh\u00e4ngt. Eine systematische Handpr\u00fcfung, getrennt nach Grifformen oder Funktionsweisen der Hand, gestaffelt nach Lebensjahrg\u00e4ngen, kann methodisch auch als Dominantenpr\u00fcfung im Sinne des erw\u00e4hnten IsolierungsVersuches Wert haben. Vor allem dort, wo Handarbeit auch noch durch das Auge oder das Ohr entscheidend beeinflu\u00dft ist.\nd) Wirtschaftsstatistische Methoden.\nErw\u00e4hnenswert sind in diesem Zusammenhang endlich alle Verfahren, die Wirtschaftsstatistiken auswerten.\nStofflich kann man dabei, um die alternde Hand zu charakterisieren, an folgende Statistiken denken: Akkordleistung, Krankheitstage, Unfallh\u00e4ufigkeit und Pensionierungsabbau.\nDiese sind insgesamt Symptome einer Anbr\u00fcchigkeit, wobei wir freilich nie \u00fcbersehen d\u00fcrfen, da\u00df auch andere Einfl\u00fcsse (Augenschw\u00e4che, Rheumatismus, Ged\u00e4chtnisschwund) die Anbr\u00fcchigkeit bedingen m\u00f6gen; wenn wir aber eine ausgesprochene Handarbeit im engsten Sinne im Betriebe vor uns haben, vor allem solche An- und Ungelernter (Stanzen, Ein wickeln, Sortieren, Packen u. dgl. m.), so kommen wir der manuellen Arbeitsform gewi\u00df sehr nahe. Dabei bedeutet dann der Akkordertrag immer die Abgeltung effektiver Leistungen, eine Senkung des Akkordes gegen\u00fcber anderen Altersstufen also einen LeistungsVerlust, gegebenenfalls sogar trotz etwas gesteigerter S\u00e4tze. Krankheitstage bedeuten Arbeitsunterbrechung unfreiwilliger Form und geben so wiederum die Resonanz f\u00fcr die Arb eit s Wirkung (der Hand) wieder. Anstrengende Handarbeit und durch Alter gesteigerte Anstrengung kann sich durch H\u00e4ufung der Krankmeldungen andeuten. Bekanntlich ist man so auch bei jungen Leuten in der Lage, die Wirkung ausbeutender oder normaler Akkords\u00e4tze indirekt zu erschlie\u00dfen1). Wichtig ist die Charakteristik der Hand durch die Unfallquote, wobei das von Marbe aufgefundene Prinzip der Einer- und Mehrerunf\u00e4ller, also der\nb Giese: Psychologie der Lohnmethoden in \u201eOrganisation\u201c. Berlin 1922.","page":914},{"file":"p0915.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n915\nkonstitutionellen Disposition f\u00fcr Unf\u00e4lle an sich, als korrigierendes Motiv zu beachten ist1). Es k\u00f6nnen Unf\u00e4lle durch Alter sich h\u00e4ufen, weiterhin mu\u00df die Unfall\u00f6rtlichkeit beachtet werden. Branchen mit besonders gef\u00e4hrdeter Handzone (HolzVerarbeitung, Tiefbau) werden dabei mannigfach wertvolle Aufschl\u00fcsse bieten. Endlich kann der einsetzende Grad mehr oder minder voller Invalidit\u00e4t, der Abbau des Arbeiters durch Alter (Gesetze des Abbaues wie beim Beamten gibt es hier ja nicht), dann aber auch die Besch\u00e4ftigungsweise der Invaliden und Alten in Altersheimen der Industrie2) die Charakteristik der Greisenhand methodisch festigen helfen.\nGrunds\u00e4tzlich wird man sich mit tabellarischen Feststellungen begn\u00fcgen und so ein Entwicklungsbild derselben Handarbeit bei verschiedenen Altersstufen versuchen.\nAls Beispiel einer derartigen, hier nur noch nicht gen\u00fcgend arbeitstechnisch differenzierten Entwicklungskurve sei eine Probe\nFig. 157. Akkordverdienste in der Elektrobranche.\naus den Untersuchungen Bi\u00e9nkoivsMs3) \u00fcber Akkordverdienst in der Elektrobranche wiedergegeben. Horizontal sind die Altersstufen verzeichnet.\nMan sieht deutlich die Anbr\u00fcchigkeit im Beginn der vierziger Jahre entstehen. \u00c4hnliches haben prinzipiell Untersuchungen in der Textilindustrie von B er nays4), im Fahrer dienst von Tramm5), noch kennzeichnender die Abbaukurven der Eignung im Kraft-\n1 ) Marbe: Praktische Psychologie der Unf\u00e4lle. M\u00fcnchen 1926; Lipmann : Unfallursachen. Berlin 1925; Unfallverh\u00fctung, herausgegeben von der Tiefbaugenossenschaft. Berlin 1925.\n2)\tArnhold: Der Faktor Mensch in der Industrie. Industr. Psychotechn. 2. (Berlin 1925).\n3)\tBi\u00e9nkowski : Arbeitseignung und Leistungsf\u00e4higkeit der Arbeiterschaft einer Kabelfabrik. M\u00fcnchen und Leipzig 1910.\n4)\tBernays: Auslese und Anpassung der Arbeitskraft in der geschlossenen Gro\u00dfindustrie. M\u00fcnchen und Leipzig 1910.\n5)\tTramm: Psychotechnik und Taylorsystem. Berlin 1921; ferner auch Couv\u00e9: Psychotechnik im Dienste der Reichsbahn. Berlin 1925.\nAbderhalden. Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/IT.\n60","page":915},{"file":"p0916.txt","language":"de","ocr_de":"916\nFritz Griese\nfahrerdienst von Moede1) ergeben. Hierbei freilich kommen naturgem\u00e4\u00df nicht nur manuelle Bedingungen in Betracht.\nDa\u00df im \u00fcbrigen die Alterskrankheitenkunde das Bild der Berufshand erg\u00e4nzen mu\u00df, versteht sich von selbst.\n5. V\u00f6lkerpsychologie der Arbeitshand.\nEs w\u00fcrde den Rahmen der vorliegenden Methodendarstellung weit \u00fcbersteigen, wenn wir das in die Ethnologie, Anthropologie und Entwicklungspsychologie her\u00fcberreichende Thema einer v\u00f6lkerpsychologischen Differenzierung der Arbeitshand darstellen wollten. Das interessante Sonderproblem des Linksertums und der Ambidextrie ist bereits oben er\u00f6rtert worden. Wenn wir grunds\u00e4tzlich hier methodisch die Wege zusammenfassen, die uns v\u00f6lkerpsychologisch erweiternden Aufschlu\u00df \u00fcber die arbeitende Extremit\u00e4t bieten, so soll damit wiederum nur Anregung geboten sein. Denn die Arbeitshand als solche wird leider so gut wie gar nicht in der bisherigen Literatur ber\u00fccksichtigt.\nMan kann methodisch diese tragenden Gesichtspunkte aufstellen :\na) Arbeit s hand Studien bei Naturv\u00f6lkern.\nOhne den Begriff des Naturvolkes hier definitorisch auseinanderzusetzen, kann man mit ihm alle V\u00f6lker umschreiben, die der menschlichen Zivilisation ferner stehen, wobei aber nicht ausgeschlossen sein soll, da\u00df diese V\u00f6lker ihre ureigene Kultur besitzen. Sie sind aber zivilisatorisch nicht auf unsere Arbeitstechnik eingestellt. Wir denken in allererster Linie an die Farbigen (Neger, Hindus, Malaien usw.).\nWenn wir diese Naturv\u00f6lker methodologisch einer Musterung auf Arbeitshand unterziehen, so kommen folgende Proben in Betracht2) :\noc) Anatomische Entwicklungsstudien.\nEs kann sich dabei um r\u00f6ntgenologische und anthropometrische Verfahren handeln, die uns entwicklungsgem\u00e4\u00df die Hand beim Naturvolk dar stellen. Grunds\u00e4tzlich wird man hinzuf\u00fcgen, da\u00df die Frage der Entwicklung hierbei zwiesp\u00e4ltiger Natur ist. Es wird zweifellos Funktionen der Hand geben, in denen der Farbige uns \u00fcberlegen, andere, in denen er sicher unterlegen ist. Soweit wir heute bereits einiges Allgemeinere \u00fcbersehen, ist er immer\n1)\tMoede-. Psychotechnik im Dienste des Wirtschaftslebens. Berlin 1919.\n2)\tGiese: Arbeitseignung bei Farbigen und Wander y \u00f6lkern. Prakt. Psychol. 1. Leipzig 1919.","page":916},{"file":"p0917.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n917\nunterlegen, wenn die Arbeitshand als Dominanzfunktion \u201eAufmerksamkeitsspaltung\u201d bedingt oder \u201eDifferenzierung\u201d der Tast-wabrnehmung anderer Form. Das zeigt sieh bei den hohen Ausschu\u00dfziffern \u00fcberall, wo Farbige Sortiert\u00e4tigkeiten, selbst bei Naturprodukten (Fr\u00fcchte, Rohr usw.) rein manuell zu vollziehen hatten und wo sie leicht aus Insuffizienz in der Handleistung ab-fallen. Andrerseits ist es m\u00f6glich, da\u00df Naturv\u00f6lker auf gewohnten Gebieten uns \u00fcberlegen sind, genau so wie sie in der optischen Fernsicht erfolgreicher bleiben, ohne indessen bei komplizierter optischer Gestaltwahrnehmung unmittelbar uns vergleichbar zu sein. Zu den manuellen T\u00e4tigkeiten rechnen hierher viele Hausgewerbe, vor allem also Frauenarbeit, dann Handfunktionen beim Reiten, der Jagd und dem Fischen. Diese grunds\u00e4tzlichen Andeutungen m\u00fcssen uns gen\u00fcgen. Da\u00df bei entsprechender Dominanzfunktion der Naturmensch wiederum versagen kann, erweisen die Untersuchungen an Negerzeichnungen und an der optischen Weltdarstellung durch die Hand \u00fcberhaupt1). Damit kommen wir zugleich auf einen zweiten Fall.\n\u00df) Historische Entwicklungsstudien.\nMan kann n\u00e4mlich grunds\u00e4tzlich von den Naturv\u00f6lkern die Entstehung der Handarbeiten ableiten und so die technologische wie manuelle Quelle handwerklichen Tuns auf suchen. Damit w\u00fcrde man Gesichtspunkte der beschreibenden Kulturgeschichte einf\u00fchren, um etwa die manuellen Bearbeitungen des Kupfers, des Goldes, der Kleider oder sonst irgendeines Materials darzustellen. Es ist verst\u00e4ndlich, da\u00df eigentlich jede anatomische Betrachtungsweise der Naturv\u00f6lker und jede anthropometrische Untersuchung diese Beziehung zwischen kultureller Arbeitst\u00e4tigkeit und Skelett- oder K\u00f6rperentWicklung ber\u00fccksichtigen mu\u00df.\nHierbei haben die Darstellungen von Verworn2) und anderen dann auch den ungeheuren Einflu\u00df der Wandlungen des Urbildes in der reproduktiven Technik vor Augen gef\u00fchrt. Bezogen auf Zeichnungen mu\u00df man also zum Schl\u00fcsse kommen, da\u00df die Kopie des Originals zu erheblicheren Wandlungen f\u00fchrt. Daher wird man also bei Untersuchung irgendeines Musters die M\u00f6glichkeit der Kopiewandlung sich klar machen m\u00fcssen, also gegebenenfalls die Unm\u00f6glichkeit, aus der Vorlage auf die zeichnerische Funktion der Arbeitshand der vergangenen Epoche zu schlie\u00dfen, einsehen. Man kann demnach methodisch zweierlei\nb Franke: Geistige Entwicklung der Negerkinder. Leipzig 1915.\n2) Verivorn: Psychologie der primitiven Kunst. Jena 1917; K\u00fchn: Kunst der Primitiven. M\u00fcnchen 1924; Malerei der Eiszeit. M\u00fcnchen 1924; Einstein: N egerplastiken. M\u00fcnchen 1922.\n60*","page":917},{"file":"p0918.txt","language":"de","ocr_de":"918\nFritz Griese\nBeobacht\u00fcngsreihen f\u00fcr diese Hand anfstellen: eine, die die vertikale Entwicklung, etwa von der Eiszeit bis zur Gegenwart, bietet. Parallel dazu die horizontale Darstellung, welche die Wandlung desselben Vorbildes durch verschiedene Kopien phasenhaft gegen\u00fcberstellt. Das, was methodisch hier f\u00fcr die Zeichnungen gilt, ist jedoch auf jede andere fertigende T\u00e4tigkeit der Hand anwendbar : beispielsweise also auch auf die Keramik, alle Schnitzereien usw. Die kulturhistorische Interpretation mu\u00df daher mit Vorsicht die Charakteristik der Arbeitshand vornehmen (vgl. Linkserproblem).\ny) Kolonialforschungen der Praxis.\nAm allerwertvollsten sind Studien am lebenden Arbeitsmodell, wenn wir zivilisatorische Gegenwartsarbeit von Farbigen\nFig. 158. Zeichnungen von der Eiszeit bis zur Gegenwart.\nverrichten lassen. Dabei sind zwei Varianten beachtlich: da\u00df entweder die Arbeit im echten Sinne kolonial sich vollzieht, der Farbige also in seiner Heimat nach zivilisatorischem Vorbild Handarbeit in Spinnereien, Walzwerken, Bureaus oder sonstwo leistet. Oder da\u00df der Farbige Handarbeit im Milieu der modernsten Zivilisationsv\u00f6lker in freier Konkurrenz vollbringt, beispielsweise der Neger in den Vereinigten Staaten von Kordamerika, der vielleicht dort als Farbiger geboren wurde. Sehr wertvoll sind beide Erfahrungen, denn sie zeigen, da\u00df die Naturv\u00f6lker in vielem eine ausgezeichnete Handleistung besitzen, in anderen F\u00e4llen dagegen versagen. Immer scheinen die Dominanz -funktionen eine erhebliche Polle zu spielen. So die Geduld und Ruhe in der erheblichen Leistung amerikanischer Neger bei der Krankenpflege und der Hoteltechnik. So das Versagen der Inder vor dem Webstuhl. Wir wissen, wie die Hemmungen der Handarbeit aus rein religi\u00f6sen Gr\u00fcnden \u2014 etwa der Ablehnung tierischer Produkte wie \u00d6l und Transmissionsriemen in Fabriken \u2014 in Indien","page":918},{"file":"p0919.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n919\nsich ableiten lassen. Wir wissen, da\u00df die Asiaten ans Konzentrations -mangel bei Textilwerken geringere Spnlenzahl, h\u00f6here Ansschn\u00df-quote nnd geringeren Akkordlohn erbringen. Eine wirklich vergleichende V\u00f6lkerpsychologie existiert in diesem Sinne ebenfalls","page":919},{"file":"p0920.txt","language":"de","ocr_de":"920\nFritz Griese\nnoch nicht. Ebensowenig, wie wir von einer Entwicklung der Handarbeit heute bereits etwas Psychologisches aussagen k\u00f6nnen, sind wir imstande, bereits vergleichend Farbige und Wei\u00dfe hinsichtlich ihrer Arbeitsfunktionen der Hand zu differenzieren. Praktische drastische Einzelf\u00e4lle erweisen aber die Fruchtbarkeit dieser methodischen Forschungsrichtung, deren baldige Erschlie\u00dfung zu erhoffen ist1).\nb) Arbeitsstudien an Zivilisationsv\u00f6lkern.\nHa\u00df gegen\u00fcber den Farbigen die hochwertigen Kultur- oder richtiger gesagt Zivilisationsv\u00f6lker ebenfalls beachtliche Studienobjekte sein m\u00f6gen, ist selbstverst\u00e4ndlich.\nHierbei wird man vorteilhaft den methodischen Weg nach der rassengem\u00e4\u00dfen und der nationalen Seite beschreiten.\nPassegem\u00e4\u00df interessiert uns der Unterschied beispielsweise der kulturell und zivilisatorisch so hochstehenden Ostasiaten gegen\u00fcber den Westeurop\u00e4ern oder Slawen. Hie Arbeitshand des Japaners und Chinesen mu\u00df in vielem durchaus anders geartet sein als die des Engl\u00e4nders. Wir wissen, da\u00df der kurzarmige Chinese bei der Baumwollspinnerei ung\u00fcnstig abschneidet, da\u00df der flinke Pole und Engl\u00e4nder dem Heutschen auf dem gleichen Gebiete scharfe Konkurrenz macht, wobei der Engl\u00e4nder fast \u00fcberall noch Maximalleistungen bietet. Hie bastelnde Hand des im alten Sinne versuchenden Mechanikers scheint bei den Slawen st\u00e4rker entwickelt zu sein als bei den Italienern. Man m\u00fc\u00dfte in diesem Sinne eine Vergleichs dar Stellung der f\u00fchrenden Zivilisation* -v\u00f6lker erstreben, wozu die Ergebnisse des internationalen Arbeitsamtes in Genf vielleicht in einigem bereits beitragen m\u00f6gen. Am bekanntesten wurde jene gro\u00dfe Untersuchung \u00fcber die Produktion, die das Genfer Amt einleitete, die aber naturgem\u00e4\u00df auf die Arbeit* -hand selbst nicht zu sprechen kommt, da diese gegen\u00fcber anderen Wirtschaftsfragen zur\u00fccktreten mu\u00df2). Ferner kann einiges Material auch in der Heutschen Industrieenquete von 1926 ff. verborgen sein3). Ebenso kann man die ins Ungeheure und Breite angeschwollene Literatur \u00fcber Amerika heranziehen, und zwar vor allem dort, wo es sich um Einschulungsfragen der Angelernten und um KachWuchsleistungen handelt. Es scheint bereits deutlich zu werden, da\u00df beispielsweise der Heutsche in der optischen Industrie und der Feinmechanik hinsichtlich der Arbeitshand eine erste Polle spielt, w\u00e4hrend er bei anderen Arbeitst\u00e4tigkeiteil\n1)\tGriese: a.. a. 0.; \u00dfaumgarten: Di\u00a9 Berufseignung der V\u00f6lker in ,,V\u00f6lker-psyckol. Charakterstudien\u201c. Leipzig 1927.\n2)\tEnqu\u00eate sur la production. 8 Bde. Genf 1925 ff:.\n3)\tVer\u00f6ffentlichungen der \u00efndustrieenqu\u00eate heim Reiehswirtsehaftsrat. Berlin 1926 ff.","page":920},{"file":"p0921.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n921\nder Hand (im Bureau bei der Maschinenschrift, auf der Stra\u00dfe im Lastentransport, in der Montagehalle bei Wiederholung leichter \u2022 oder mittelschwerer Grifft \u00e4tigkeit en) nicht ganz dieselben optimalen M\u00f6glichkeiten erreicht. Auch da sind die Handergebnisse bestimmt durch die Struktur der Dominanten, die dahinter stehen; so die Einstellung auf Intelligenz Steuerung der Hand, auf Wechsel der Handbewegungen und weiteres mehr.\nBassefragen und Nationsfragen die praktisch, wie Hertz1) bemerkt, ja zusammenfallen k\u00f6nnen, sind demnach methodisch der Leitgedanke f\u00fcr diese noch unentwickelte V\u00f6lkerpsychologie der Hand bei den Zivilisierten. Die Hoffnung auf baldige Erf\u00fcllung des ungeheuren Programms, die wir hinsichtlich der Erschlie\u00dfung der Naturvolkhand aussprachen, mu\u00df leider auch hier wiederholt sein. Da\u00df dabei au\u00dferordentlich hohe wirtschaftliche Werte mit in Frage kommen und da\u00df au\u00dferdem der sich international austauschende Sport \u00e4hnliche Parallelen nahelegt, das alles wird gewi\u00df nur dazu beitragen k\u00f6nnen, alsbald Material auf diesem so wertvollen Gebiete zu gewinnen. Ergebnisse sind zur Zeit verstreut und finden sich au\u00dfer in Gesch\u00e4ftsberichten kolonialer Gro\u00df-unternehmungen in Berichten der Mission\u00e4re, Eorschungs-reisenden, Ethnologen, Mediziner der Tropen, der eugenischen Literatur Angloamerikas und vielf\u00e4ltigen anderen Quellen vor2).\n6. Geschlecht und Arbeitshand.\nWir schlie\u00dfen diesen Abschnitt mit dem methodischen Hinweis auf die Besonderheit des Geschlechterproblems.\nAn und f\u00fcr sich ist in \u00fcblicher Weise die Hand der Erau bei der Arbeitst\u00e4tigkeit ausgezeichnet gegen\u00fcber der des Mannes, und es m\u00fc\u00dfte Aufgabe einer vergleichenden Forschung werden, die Arbeitshand der Geschlechter in diesem Sinne systematisch zu ermitteln.\nAllgemein wissen wir, da\u00df die Erau manuell mit hohem Kraftaufwand verbundene Arbeiten nicht aushalten oder sch\u00e4tzen mag. So ist sie keinesfalls nur aus wirtschaftlicher Umgruppierung aus allen jenen Berufen verschwunden, in denen sie im Kriege als Mannersatz t\u00e4tig war: im Verladen von Gu\u00dfst\u00fccken, vor der Drehbank, in der Holzbearbeitung mit Maschinen oder sonstwo. Praktisch konkurrenzlos und dem Manne \u00fcberlegen arbeitet sie manuell dagegen \u00fcberall dort, wo Feinempfinden der H\u00e4nde\nx) Hertz: Basse und Kultur. Leipzig 1925; ferner: Arch. f. Fassen- u. Gesellschaftsbiol. M\u00fcnchen (leider nicht ganz tendenzfrei).\n2) N\u00e4heres au\u00dfer a. a. 0. noch hei Giese: Wirtschaftspsychologie. Abderhaldens, Handb. 6. Berlin 1927 ; Boas: Changes in bod\u00fcy form. N. Y. 1912; Eugenics race state. Baltimore 1923; Davenport: Body Build. London 1925.","page":921},{"file":"p0922.txt","language":"de","ocr_de":"922\nFritz Griese\nmit Gelenkigkeit und kleiner Dimension des Arbeitsst\u00fcckes sich verbindet. Sie ist in der Ankerwicklerei, beim Gl\u00fchlampeneinpacken, an der Schreibmaschine, in der Lackiererei, Handl\u00f6terei oder Poliererei zn finden ; nicht ohne Grund hat sie sich als Angelernte in der Uhrenindustrie auch beim Zusammenbau (der mechanisiert wurde) und in der Feinmechanik f\u00fcr Automobilzubeh\u00f6rteile (Signale, Lichtmaschinen) bestens bew\u00e4hrt und so eingef\u00fchrt. Nicht an ihrer Handgeschicklichkeit, sondern ihrem allgemeinen, fluktuierenden Verhalten auf dem Arbeitsmarkt liegt es, wenn die Frau nicht \u00fcberall in aufsteigender Kurve zur Einf\u00fchrung kam. Aber das sind \u00fcbergeordnete allgemeine Verhaltensweisen im Beruf selbst, die mit der erheblichen Handgeschicklichkeit der Frau wenig zu tun haben.\nGanz besonders wichtig ist methodisch ein Studium der spezifischen alt\u00fcberkommenen h\u00e4uslichen und gewerblichen Handarbeiten der Frau. Man kann methodisch unmittelbar Geschlechterunterschiede feststellen, wo irgendein Beruf beide Geschlechter in voller Parallele besch\u00e4ftigt. Beispielsweise ist der Damenschneider und die Schneiderin manuell etwas sehr anderes. Der Mann behandelt und verarbeitet den Stoff auch subjektiv unter Aufwand von Kraft, Energie und einer Dominante, die man Systematik nennen m\u00fc\u00dfte. Die Schneiderin behandelt den Stoff dagegen fast intuitiv spielerisch, zart, systemlos, v\u00f6llig nach individuellen Anpassungen und stellt so bei derselben Berufsarbeit einen v\u00f6llig anderen T\u00e4tigkeitstyp dar. Bekannt ist, da\u00df Medizinerinnen in der Gyn\u00e4kologie wegen Mangel an Kraft der Arbeitshand scheitern k\u00f6nnen. Die Anstrengung, z. B. bei Geburten manuell im Uterus Bestbest\u00e4nde abzul\u00f6sen, ist (beispielsweise) eine Anstrengung, der die Frau nicht gewachsen sein kann, ob-schon das Gebiet durchaus feminin gerichtet w\u00e4re. Methodisch hat man naturgem\u00e4\u00df von der Schule her immer wieder das Unterschiedliche der Geschlechter herausgehoben und nicht nur psychologisch beschreibend, experimentell oder statistisch Differenzen zu finden getrachtet als auch didaktisch Folgerungen gezogen. Nach wie- vor ist der Typus \u201eweibliche Handarbeit\u201d etwas durchaus anderes als Knabenhandarbeit, die zur Dreh- und Hobelbank f\u00fchrt.\nDa m\u00e4nnlichen Kreisen die typischen Formen weiblicher Handarbeit, wie sie von altersher \u00fcberkommen sind, meist unvertraut sind, seien hier einige Formen kennzeichnender Handbewegungen festgehalten.\na) N\u00e4hen.\nArbeitstechnisch umfa\u00dft das N\u00e4hen die spezifischen Bewegungen beim Fadeneinkn\u00fcpfen (Einf\u00e4deln), N\u00e4hen mit und ohne k\u00fcnstliche Unterlage, Faltenstreichen.","page":922},{"file":"p0923.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitsliand\n923\n1. Einf\u00e4deln.\n4\nZusammenarbeit der nadelhaltenden einen Hand mit der Zielsuchen den, fadenhaltenden anderen. Beim Linkser tritt meist auffallende Umtauschung der Leithandseite ein. Besonders interessant ist die Arbeit bei kurzen F\u00e4den und d\u00fcnnem \u00d6hr. Hier wird der Faden, in \u00fcblicher Weise, durch eine Masche am \u00d6hr befestigt. Der Faden wird dabei nahe der Nadel um den Zeigefinger geschlagen, innen am Finger gekreuzt und mit dem Daumen gehalten. Die Nadel wird unter dem Faden beim Zeigefingernagel durch- bzw. herausgef\u00fchrt und eine Schlinge \u2014 beim Verbinden \u2014 zugesch\u00fcrzt.\n2. N\u00e4hstellung.\nMan kann mit und ohne k\u00fcnstliche Unterlage n\u00e4hen.\nIm ersteren Fall h\u00e4lt die Linke die Unterlage (Kissen, vormals auch N\u00e4hstein genannt) frei, ohne Tisch oder Unterlagenfl\u00e4che selbst zu ber\u00fchren. Die Rechte fa\u00dft die Nadel in der halben L\u00e4nge, der Mittelfinger dr\u00fcckt die Nadel durch den Stoff, die beiden ersten Finger erfassen die Nadelspitze am anderen Ende beim Herauskomnlen und ziehen sie nebst Faden durch, wobei letzterer zwischen viertem und f\u00fcnftem Finger zu liegen kommt. Hierbei wird eine Schlinge mit ihm gebildet, die \u2014 zwecks Hinderung von Knotenbildung \u2014 langsam nachzuziehen ist. Die Handstellung links wechselt je nach der Raumstellung am Stoffst\u00fcck, das zur Bearbeitung kommt.\nFig. 160. N\u00e4hen ohne Unterlage.\nOhne Unterlage gen\u00e4ht, wird das Stoffst\u00fcck zwischen Daumen und Zeigefinger genommen und frei \u00fcber die anderen Finger gleiten gelassen. Um ein gewisses Festhalten des Zeuges zu erm\u00f6glichen, kann man, ohne Spannung, dasselbe durch vierten und f\u00fcnften Finger ziehen.\nBeim Maschinenn\u00e4hen kommt es darauf an, ob der Antrieb manuell, mit den F\u00fc\u00dfen oder elektrisch erfolgt.\nBei den alten Handkurbelmaschinen \u2014 die auch heute noch verwendet werden \u2014 wird mit der Linken in Spreizstellung das horizontal unter der arbeitenden Maschinennadel durchzuf\u00fchrende St\u00fcck gespannt und darauf geachtet, da\u00df es stets straff und nahtgerecht durchgef\u00fchrt ist.\nBeim Fu\u00dfantrieb greifen Rechte und Linke wechselnd gegeneinander \u00fcber, die eine distal, die andere proximal zur N\u00e4herin gerichtet. Hierbei ist wichtig die unmittelbare impulsgem\u00e4\u00dfe Zusammenarbeit mit dem schwunggebenden Fu\u00df bzw. den F\u00fc\u00dfen. Im \u00fcbrigen ist die Dominanzfunktion das Auge.\nBei der elektrischen Maschine, die meist erheblicheres Tempo hat, bleibt das \u00dcbergreifen ebenso, wird meist mit dem Knie ein- und ausgeschaltet. Statt Impulsgebung im Rhythmus wird hier in einfacher Reaktionsform durch eine Beinbewegung in Zusammenarbeit mit Auge und Hand operiert.\nDie Vorg\u00e4nge beim N\u00e4hen hinsichtlich ihrer Dominanzfunktion werden verst\u00e4ndlicher, wenn man die Sticharten kurz erw\u00e4hnt. Man unterscheidet Vorderstich, R\u00fcck- oder Hinterstich, Saumstich und \u00dcberwendlingstich. Daraus ergeben sich verschiedenartige Nahtformen.\nBeim Vorderstich wird die Nadel wagrecht unter drei bis vier F\u00e4den unter-, dann \u00fcber ebensoviele oberhalb gef\u00fchrt. Nach einer Serie von solchen Teilstichen wird die Nadel mit Faden nachgezogen. Es handelt sich also, abgesehen von der","page":923},{"file":"p0924.txt","language":"de","ocr_de":"924\nFritz Griese\noptischen Leistung, um eine mehr oder minder automatisch werdende Z\u00e4hlar beit,\ndie___in Serienhandlungen \u2014 zu leicht dynamischer Zugwirkung auf den Faden\nf\u00fchrt. Gesamtimpuls ist \u00fcberall deutlich, wo nicht, wie beim Kinde, das N\u00e4hen noch etwas Neues ist.\nBeim R\u00fcck- oder Hinterstrich wird die Nadel eingestochen, nach sechs F\u00e4den wieder herausgeholt, der Faden von links nach rechts umgelegt, die Nadel drei F\u00e4den vom Ausgangspunkt erneut eingef\u00fchrt und sechs F\u00e4den darauf wieder herausgeholt. Bei sehr enger Reihung dieser Hinterstiche spricht man von Steppstich. Beim Steppsaum ist zu beachten, da\u00df die Nadel oft dreifache Stofflagen zu durchdringen hat. Der dynamische Vorgang wird daher \u2014 wegen der Impuls -anstiege \u2014 nur noch verwickelter.\nDer Saumstich verlangt, da\u00df die Nadel einen Faden tiefer, als der Saum liegen soll, eingef\u00fchrt werde. In Schr\u00e4gstellung ist sie oberhalb des Saumes etwa zwei F\u00e4den herauszubringen. Alle Nachfolgestiche sind in strikten Geraden in Abst\u00e4nden von zwei bis drei F\u00e4den wiederholt. Bei der sogenannten 'Obernaht mu\u00df der Zeigefinger w\u00e4hrend der Arbeit links die Naht von unten her gl\u00e4tten, um flaches Anliegen zu verb\u00fcrgen.\nDer \u00dcberwendlingsstich soll zwei Webkanten verbinden. Der erste Stich wird von rechts nach links durch beide Stofflagen gef\u00fchrt, der n\u00e4chste im Abstand von zwei bis drei F\u00e4den wiederholt. Die F\u00fchrung des ersten Stiches geht unter dem ersten Kantenfaden durch, beide Webst\u00fccke werden vorher mittels Stecknadeln oder Vorheftung aufeinander angepa\u00dft und so lose gehalten. Bei Kleider-n\u00e4hten u. a. m. wird derselbe Stich auch von links nach rechts durchgemacht.\nAuf weitere Nahtformen, wie die Sto\u00dfnaht, die franz\u00f6sische Doppelnaht, die ges\u00e4umte Doppelnaht usw., gehe ich nicht ein1).\nWichtig ist als Manipulation aber\n3. Faltenarbeit.\nMan unterscheidet dabei Faltenziehen und -streifen. Das Ziehen erfolgt durch eine Reihe gleichm\u00e4\u00dfiger Vorstiche, wobei drei bis vier F\u00e4den auf, ebenso -viele unter die Nadel gebracht werden. Der Stoff wird aber nicht mit dem Daumen angepa\u00dft, sondern hier durch ihn auf die Nadel geschoben: so entstehen dann Falten. Nach sechs Stichen etwa wird die Nadel mit Faden nachgezogen.\nDas Wesentliche ist hierbei nun das Streichen. Nachdem der Faden durch den zu f\u00e4ltelnden Stoff gezogen ist, wird er \u00fcber Zeigefinger der Linken gef\u00fcgt und mittels mittelstarker Nadel durch die Rechte senkrecht zu der Faltenrichtung \u00fcberfahren, um so die Falten durch Streifung anzugleichen.\nAn das N\u00e4hen reiht sich an die ungeheure Mannigfaltigkeit der Durchbrucharbeit. Diese besteht bekanntlich darin, da\u00df F\u00e4den aus dem fertigen Gewebe ausgezogen werden m\u00fcssen und da\u00df die einfachen Stoff\u00e4den verschiedenartig \u00fcbern\u00e4ht werden.\nDer Durchbruch kann nur eine Fadenlage aus dem Gewebe herausholen (punto tirato oder einfacher Durchbruch) oder Schu\u00df- und Kettenf\u00e4den des Gewebes entfernen (punto tagliato oder Doppeldurchbruch). Es ist begreiflich, da\u00df hier die Dominanzfunktion in erster Linie das Auge wird, ferner da\u00df die weibliche Handarbeit dabei vor allem feindynamisch zu operieren hat. Auf die sogenannte, praktisch wichtige Hohlsaumarbeit, welche als markanteste Art des Durchbruches vorkommt, wollen wir im \u00fcbrigen nicht n\u00e4her eingehen, da sie psychologisch keine neuen Funktionsanwendungen bietet. Wichtig ist nur zu betonen, da\u00df Fadenausziehen als Nadelarbeit mit unmittelbar angef\u00fcgtem Vern\u00e4hen und \u00dcbern\u00e4hen eine ungeheuer gro\u00dfe Bedeutung bei der Beurteilung der weiblichen Handleistungen hat. Die kennzeichnend engdimensionierten, minuti\u00f6sen und die Sorgfalt wie Geduld des Arbeitenden beanspruchenden Bewegungsfolgen derartiger Handbet\u00e4tigungen finden sich \u00e4hnlich beim Manne nirgends vor.\nDie besonderen Anwendungen im Stopfen, welche ein Nachbilden des Ur-musters aus den vorhandenen Stoffresten (der L\u00fccke) verlangen, beanspruchen als Dominanz vielfach praktische Intelligenz, ebenso das sogenannte Einsetzen, das\ni) Dillmont: Enzyklop\u00e4die der weiblichen Handarbeiten. D\u00f6rnach i. E. Ohne Jahr; E. Altmann: Methodik des Nadelarbeitsunterrichtes. Leipzig 1917.","page":924},{"file":"p0925.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n925\nhei\u00dft das Ersetzen schadhafter Stellen dnrch ganz neuen Ersatzstoff. Diese Ausbesserarbeiten (Stopfen und Einsetzen) kennzeichnen wiederum die weibliche Handt\u00e4tigkeit als Spezifikum.\nKombinationen von Yorstich und Stopfstich usw. ergeben dann Sonderanwendungen in der T\u00fcllbearbeitung (T\u00fcllgitter, Damaststiche).\nb) Wei\u00dfsticken.\nGemeinsam ist zun\u00e4chst in der Arbeitstechnik die M\u00f6glichkeit, da\u00df entweder der Stoff von einer Wachsleinwandunterlage oder einem sogenannten Stickrahmen straff gespannt gehalten ist oder in freier Handf\u00fchrung benutzt wird. In letzterem Falle wird die zu stickende Stelle glatt \u00fcber den Zeigefinger so gelegt, da\u00df die F\u00e4den gerade hegen, um Verziehen zu vermeiden. Die drei n\u00e4chsten Finger halten den Stoff, der Daumen ruht auf der Arbeitsstelle unterhalb der proximal befindlichen Musterlinien. Stets wird die Stickerei so gehalten, da\u00df die weiteste, \u00e4u\u00dfere Linie einer in zwei Linien verzeichneten Figur der Stickenden zugekehrt ist.\nDie Muster sind heute meist vorgedruckt, so da\u00df Yorzeichnen ebenso fortf\u00e4llt wie eigenes Entwerfen.\nGemeinsam ist ferner \u00fcberall das Prinzip der Serie. Die Hand mu\u00df so exakt arbeiten k\u00f6nnen, da\u00df Reihungen von formal gleichen Mustern in angemessener Form zustande kommen.\nFerner mu\u00df beachtet werden, da\u00df die benutzten Garne nicht gedreht, wie-beim N\u00e4hen, sondern weich, ferner meist st\u00e4rker und endlich auch bunt zu sein pflegen.\nAls wichtigere Stichformen sind zu nennen:\n1.\tLanguettenstich (Schlingstich).\nArbeitsrichtung von links nach rechts, Festhalten des Fadens mit dem linken Daumen unterhalb des vorgezogenen St\u00fcckes. Einf\u00fchren der Nadel von oberhalb des vorgezogenen Fadens, Herausf\u00fchren unterhalb, aber \u00fcber den Arbeits-faden hinaus. Letzterer wird dann angezogen, ohne da\u00df der Stoff sich zusammenzieht\u00bb\n2.\tStielstich.\nMan unterscheidet eine gerade und eine schr\u00e4ge Form.\nBewegungsrichtung von links nach rechts. Beim geraden Stielstich wird die Nadel oberhalb des vorgezogenen Fadens herein, unterhalb desselben herausgef\u00fchrt; beim schr\u00e4gen die Nadel unter ein bis zwei wagerechte F\u00e4den und vier bis sechs senkrechte F\u00e4den gebracht. Der letzte Stich greift dann wieder zur H\u00e4lfte des vorletzten zur\u00fcck.\n3.\tSteppstich.\nStellt den beim N\u00e4hen erw\u00e4hnten Steppstich dar, dicht und klein hintereinandergereiht. Kann zum Kreuzsteppstich erweitert werden, wobei die Nadel wie beim gew\u00f6hnlichen Steppstich eingef\u00fchrt, dann aber unter dem Stoff schr\u00e4ggerichtet nach der entgegengesetzten gleichlaufenden Linie des Musters weitergeleitet und dortselbst wieder nach oben herausgebracht wird. Es bildet sich sa auf der Stoffr\u00fcckseite eine Art Kreuznaht, die einen Untergrund darstellt, der die eigentliche Stickfigur mattiert.\n4.\tKn\u00f6tchenstich.\nZwei nebeneinander und \u00fcber die gleichen Stoff\u00e4den gef\u00fchrte Steppstiche ergeben den einfachen Kn\u00f6tchenstich. Ein gewundener Kn\u00f6tchenstich entsteht, wenn man den zun\u00e4chst befestigten Faden mit dem Daumen in gewisser Entfernung von der Austrittsstelle am Stoff festh\u00e4lt, dann die Nadel zweimal mit dem Faden umwindet, letztere um dreht, so da\u00df sie die punktierte Stellung in Pfeilrichtung der Abbildung trifft. Hier wird die Nadel dann erneut eingef\u00fchrt\u00bb","page":925},{"file":"p0926.txt","language":"de","ocr_de":"\"926\nFritz Griese\n5. Wiek\u00e9lstich.\nJe nach notwendiger Stichl\u00e4nge wird der Faden um die Nadelspitze, nach deren Durchf\u00fchrung durch den Sto\u00df gewunden. Die Windungen h\u00e4lt der Daumen fest, die Nadel wird nebst Fadenrest durchgezogen durch die Wickelungen, dann eingestochen, wo sie urspr\u00fcnglich beim Stich zuerst eingef\u00fchrt ward. Alsdann wird die f\u00fcr den n\u00e4chsten Stich erw\u00fcnschte Stoffstelle aufgesucht und das Man\u00f6ver der Wicklung wiederholt.\nDie Anwendung der genannten Stiche in Plattstich- und Goldstickerei, Stramin und Leinenbearbeitung erweisen manuell wenig funktionelle \u00c4nderungen. Vielfach tritt vor allem in den Vordergrund das stete Abz\u00e4hlen der Maschen. Auch der bekannte Kreuzstich, der hierbei durchweg in mannigfacher Form vorkommt, ist nur eine Modifikation des erw\u00e4hnten Steppstiches.\nc) Stricke n.\nEs ist die \u00e4lteste und ausgeschliffenste Form typisch weiblicher Handarbeit. Wir beschr\u00e4nken uns wiederum nur auf die kennzeichnenden Bewegungsformen der Arbeitshand.\nGrunds\u00e4tzlich wird hinsichtlich der Zusammenarbeit der H\u00e4nde verlangt, da\u00df der Faden \u00fcber die Linke zwischen f\u00fcnftem und viertem Finger von au\u00dfen zum Handinnern geleitet werde, zwischen drittem und zweitem Finger heraus-kommen soll und um letzteren zweimal herumlaufen m\u00fcsse. (Interessanterweise legen Engl\u00e4nder, Franzosen und Italiener den Faden in die Rechte!) Die entstehende Strickarbeit wird gehalten mit Daumen, Mittel- und viertem Finger der Linken, wobei das Ende der Nadel, von der Maschen abgestrickt werden, zwischen Daumen- und Zeigefingerspitzen etwas hervorragen soll. Die Nadelenden werden nur gelinde hervorgeschoben, um die Maschen gleichm\u00e4\u00dfig zu entwickeln. Die H\u00e4nde m\u00fcssen au\u00dfer den Arbeitsbewegungen beim Stricken Nebenbewegungen vermeiden. Die Schlingen oder Maschen werden durch Faden mittels zweier Nadeln erwirkt. Bei kreis- oder zylinderf\u00f6rmigen Gebilden benutzt man vier bis f\u00fcnf Nadeln.\nDie vier Grundformen der Maschenbildung sind diese:\n1. Kreuzanschlag.\nEr kommt in vierfacher Form vor.\na) Mit e i n f a c h e m Fade n.\n\u00c4hnlich der Luftmasche beim H\u00e4keln wird der Faden \u00fcber die Finger gelegt, indessen das Ende desselben, entsprechend der Zahl anzuschlagender Maschen, in der Handinnenfl\u00e4che ruht. Die Nadel aus Stahl, Holz oder Bein (deren Durchmesser der Fadenst\u00e4rke angepa\u00dft ist) wird unten nach oben in die \u00fcber dem Daumen liegende Schlinge, dann von rechts nach links unterhalb des Fadenteiles, der zwischen Zeigefinger und Daumen liegt, gef\u00fchrt. Alsdann wird der Faden durch die \u00fcber dem Daumen liegende Schlinge gebracht, der Daumen herausgezogen, die Schlinge \u00fcber die Nadel gelegt. Bei den folgenden Maschen mu\u00df der Faden so \u00fcber den Daumen geleitet werden, da\u00df das Ende ausw\u00e4rts bleibt. Die Nadel f\u00fchrt man unter den vorn liegenden Faden und vollendet die neue Masche wie eingangs. Aus solchen Elementen entwickeln sich dann die rechts und links gerichteten \u201eMaschen\u201d; aus diesen die Strickmusterformen.\n\u00df ) K r e u z a n s c h 1 a g dreifach.\nEs wird ein dreifacher Faden benutzt und die Nadel durch die beim Wenden entstehende Schlinge gef\u00fchrt. Der einfache Faden l\u00e4uft dann \u00fcber die Hand, der dreifache \u00fcber den Daumen. Es entsteht eine Handstellung, wie in vorhin erw\u00e4hnter Form. Der Fortgang ist im \u00fcbrigen derselbe wie oben.","page":926},{"file":"p0927.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n92T\ny) Doppelter K r e u z a n s c h 1 a g.\nEr kann mit einfachem oder dreifachem Faden zur Ansf\u00fchrnng gelangen.. Hierbei wird, wenn dreifaches Verfahren benntzt wird, der Daumen nicht, wie-eingangs erw\u00e4hnt, ans der Schlinge gezogen, sondern die Nadel ernent durch letztere gef\u00fchrt, der r\u00fcckw\u00e4rts liegende Faden erfa\u00dft, eine zweite Masche anf die Nadel gebracht nnd dann der Danmen ans der Schlinge beseitigt. Es entstehen so Doppelmaschen in enger Nachbarschaft.\nc) Doppelkette nkreuzan schlag.\nDie erste Masche wird wie vorher gebildet, die zweite nimmt das Fadenende nach dem Handinnern, so da\u00df es zwischen Danmen'und Zeigefinger zu liegen kommt.\n2.\tAuf stricken.\nMan macht eine Masche mittels einfachen Krenzanschlages, nimmt Faden mit Nadel in die Linke, eine zweite Nadel in die Eechte. Letztere f\u00fchrt man durch die Schlinge der linken Nadel, wobei der Faden unter die rechte Nadel gelegt und schlingengem\u00e4\u00df durch die Schlinge der Linksnadel gef\u00fchrt wird.\nFig. 161. Doppelter Kreuzanschlag.\nDie so entstandene Masche bringt man auf die Linksnadel, die dann z-wei Schlingen besitzt. Erneut wird die Nadel in die zuletzt gebildete Masche gebracht, wiederum eine Schlinge wie erw\u00e4hnt entwickelt, diese abermals auf die Linksnadel gelegt und so geht das Spiel weiter.\n3.\tAuf schleif en.\nDie dritte Form des Anlegens der Elemente (Maschen) ist das Auf schleif en,. wobei man mit und ohne Doppelknoten arbeiten kann.\nOhne Doppelknoten werden Maschen auf geschleift, indem man \u00fcber die Nadel eine gew\u00f6hnliche Schlinge legt, den Faden wie beim Stricken \u00fcber die Linke laufen l\u00e4\u00dft, ihn jedoch einmal um den Zeigefinger windet, die Nadel von unten nach oben, unter den Faden, der ausw\u00e4rts auf dem Zeigefinger ruht, bringt und darauf letzteren aus der Schlinge zieht. Die Schlinge wird dann rechts auf die Nadel gebracht, der Faden erneut auf den Zeigefinger usw.\nBei Doppelknotenbildung wird die erste Schlinge analog hergestellt, dann aber der Faden entgegengesetzt \u00fcber den Zeigefinger gelegt, so da\u00df die Nadel zur \u00e4u\u00dferen Handfl\u00e4che gerichtet ist. Man bringt sie von unten nach oben unter den nach einw\u00e4rts befindlichen Faden und f\u00fcgt letzteren als Schlinge \u00fcber die Nadel. Einmal wird in der fortlaufenden Maschenbildung die Nadel unter dem vorderen, das andere Mal unter dem r\u00fcckw\u00e4rtigen Faden gef\u00fchrt.\n4.\t\u00d6hrchenanschlag.\nAlan legt zwei Maschen in einfachem Kreuzanschlag an, wendet die Arbeit,, leset den Faden \u00fcber die Nadel, sticht in die erste Masche von rechts nach links,.","page":927},{"file":"p0928.txt","language":"de","ocr_de":"*928\nFritz Giese\nliebt jene aut die rechte Nadel. Die zweite Masche wird abgestrickt und die auf--gehobene dar\u00fcber gezogen. Man setzt die Maschen fort, bis die notwendige Anzahl fertig ist, welche das Grundmuster bedingt.\nAus diesen Strickelementen entwickeln sich dann die eigentlichen ,,Maschen\u201d -als rechte und linke Masche.\nDie rechte Masche gilt als die leichtere und wird daher zu Anfang gelehrt. Man nennt sie auch glatte Masche. Die Nadel rechts wird dabei von unten nach oben unter das vordere Glied der n\u00e4chstliegenden Masche gebracht, der Faden von rechts nach links unter die Nadel geleitet, mit dieser durch die Masche gezogen und letztere von der Linksnadel fallen gemacht.\nIm Gegensatz hierzu die Linksmasche oder verkehrte Masche: Bei ihr liegt. Mer Faden auf der linken Nadel, wird die Rechtsnadel von oben her hinter jener in die Masche der linken Nadel gebracht, der Faden, seinerseits von unten aufw\u00e4rts auf die rechte Nadel gelegt, durch die Masche gezogen und die Masche wiederum von der Linksnadel fallen gelassen.\nAuf die Sonderformen der glatt oder verkehrt \u201everdrehten\u201d Maschen, die Hohl- und die Kn\u00f6pfchenmaschen, wollen wir hier verzichten, da die Arbeitsfolge, aber nicht die Arbeitsweise der Handbet\u00e4tigungen von jenen Grundformen ab weicht.\nDas Gestalten von Strumpfspitzen, Fersen, das Stopfen, das Stricken von Deckenmustern usw. hat ebenfalls f\u00fcr uns keine Bedeutung mehr, da hier wohl Mer Abz\u00e4hlvorgang und die Dominanz der Gestaltauffassung bei der werdenden Arbeit eine Rolle spielen, indessen die manuelle Teilarbeit dieselbe bleibt wie oben.\nd) H\u00e4keln.\nGrunds\u00e4tzlich gewinnt hier die eine Hand st\u00e4rker den Charakter der Hilfshand. indessen die andere aktiver ist. Beim Stricken ist die Autonomie beider H\u00e4nde gr\u00f6\u00dfer. Die H\u00e4kelnadel wird zwischen Daumen und Zeigefinger am Holz, Stahl oder Beingriff gehalten, \u00e4hnlich wie ein Schreibger\u00e4t, und vom rechten Mittelfinger gest\u00fctzt. Die Linke h\u00e4lt zwischen viertem und f\u00fcnftem Finger den Faden f\u00fchrend. Er geht unter dem vierten und dritten hindurch und liegt, nachdem er zweimal um den Zeigefinger gewunden ward, au\u00dfen dem Daumen zu-.gekehrt. Letzteren umrundet er von rechts nach links als Schlinge. Das Fadenende h\u00e4lt dritter und vierter Finger.\nDie Nadel wird eingef\u00fchrt in die Daumenschlinge der Linken. Das H\u00e4kchen der H\u00e4kelnadel ergreift den vom Zeigefinger kommenden Faden, der Daumen zieht sich aus der Schlinge zur\u00fcck und die sich bildende Masche wird so weit zu-.gezogen, da\u00df sich die H\u00e4kelnadel gerade eben durch die Schlinge bringen l\u00e4\u00dft. Daumen und dritter Finger der Linken halten dabei das Fadenende fest. Die weiteren Maschen entstehen durch Fadenfangen mittels H\u00e4kelhaken und Durch--ziehen des ersteren durch die entsprechenden Schlingen.\nSo erwachsen grunds\u00e4tzlich H\u00e4kelarbeiten aus mittels H\u00e4kchen entstehen-Men Schlingen, die wiederum zu Maschen gruppiert werden. Es gibt acht verschiedene deutsche Maschenformen mit diversem Aufbau: die Ketten- oder Luftmasche (siehe obige Beschreibung der Handhaltung), die feste Kettenmasche, die feste Masche, die St\u00e4bchenmasche, die Kn\u00f6pf ehenmasche, die Wickelmasche, Mie B\u00fcschelmasche und die Doppelmasche. Es w\u00fcrde viel zu weit f\u00fchren, wenn wir \u00bbden technologischen Aufbau der Handbewegungsfolgen dieser Maschenarten hier besprechen wollten! Im Prinzip sind nur die Elementenfolgen der Serienhandlung verschieden, die elementaren Handbewegungen an sich die gleichen. Es ist aber wichtig hervorzuheben, da\u00df man fast nirgends so gut den Begriff Serienhandlung gleich eindeutig studieren kann, als in der weiblichen Handarbeit; beispielsweise den Maschenformen der H\u00e4kelei.\ne) Frivolit\u00e4tenarbeit.\nEin v\u00f6llig anderer Typ ist die Handarbeit mit Schiffchen (Frivolit\u00e4ten-.arbeit). Das Gerat \u2014 das Schiffchen \u2014 ist meist etwa 7 cm lang und 2 cm breit. Meine Form nebst Handhabung deutet nachstehende Abbildung an.","page":928},{"file":"p0929.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeit stand\n929\nMan windet einen kleinen Vorrat Garn auf das ans zwei Bl\u00e4ttern bestehende, mit Fadenloch versehene Schiffchen. Das Schiffchen kommt in die Rechte. Das Fadenende zwischen Daumen- und Zeigefinger, der Faden selbst \u00fcber Au\u00dfenseite des dritten und vierten Fingers der Linken. Das Schiffchen wird nach vorn gebr\u00e4cht, mit dem ersten Faden \u00fcberkreuzt, der Schiffchenfaden \u00fcber den kleinen Rechtsfinger leicht gespannt, das Schiffchen mit Zeigefinger und Daumen gehalten.\nF\u00fchrt man das Schiffchen in Richtung der punktierten Linie durch, so soll der etwa 20 cm lange Schiffchenfaden folgen und durchgezogen sein, ohne da\u00df die Linke bewegt wird. Es folgt Position 2.\nDann heben dritter und vierter Linksfinger die nach unten gerichtete Schlinge hoch, sch\u00fcrzen sie zu, indem sie durch Weitdehnung der Faden tunlichst aussp armen. So entsteht der f\u00fcr die Frivolit\u00e4tenarbeit typische Knoten aus Position 3.\nDer Knoten wird also links gebildet und durch einen zweiten erg\u00e4nzt. Dieser zweite Teil wird gewonnen durch (r\u00fcckw\u00e4rtige) Vorw\u00e4rtsbewegung des Schiffchens zwischen Zeige - und Mittelfinger unter den gespannten und zwischen dem Schiffchenfaden hinweg, darauf folgendes strammes Anziehen der Rechten. So entsteht Position 4.\nDer Doppelknoten vollendet sich durch Schlingensch\u00fcrzung der Linken. Alsdann beginnt die Urstellung der H\u00e4nde und wird ein weiterer Knoten gebildet.\nFig. 162. Schiffchen in erster Position.\nDas Arbeiten mit Doppelschiffchen (rechts und links) und das Bilden von Verzierungen (Pikots, \u00d6hrchen usw.) wollen wir wiederum nur erw\u00e4hnen. Obige Positionen der Arbeitshand sind das wesentliche. Ihre Kleindimensionierung, die Feinabstufung der partiellen Dynamik und die Teilbewegungen der Finger wie die Autonomie jeder Hand zeichnen auch diese Arbeit weiblicher Form als spezifisch aus. Sie gilt als eine der schwersten, bei welcher nach vielfachen Beobachtungen angeborenes \u201eHandgeschick\u201d entscheidet.\n/) Netzen.\nIm Anschlu\u00df an das Fischfangnetz hat sich eine Handarbeit entwickelt, die aus knotenverbundenen Schlingen besteht und als Werkzeuge Beinwalzen, Sch\u00fctze (Nadeln mit beidendigem \u00d6hr) usw. benutzt. Die Grundschlinge der Arbeit und die entstehenden Teile werden an einem Kissen befestigt. Um das Bilden der einfachen Masche darzutun, besprechen wir sie nach drei Positionen:\n1.\tNach Anlegen der Schlinge am Kissen wird der Stab links genommen,\nzwischen Daumen und Zeigefinger; die anderen Finger bleiben gestreckt. Der Arbeitsfaden liegt dabei \u00fcber dem Stab, und den inneren Seiten des Fingers 2, 3, 4 abw\u00e4rts gerichtet. Er ward dann hinter dem dritten Finger hinauf gebracht und, nach links gelegt, um mit dem Daumen festgehalten zu werden.\t:\n2.\tDer Faden wird alsdann in zweiter Position hinter 2., 3., 4. und 5. Finger herabgebracht. Die Nadel kommt durch die Schlinge auf die Finger, dann hinter","page":929},{"file":"p0930.txt","language":"de","ocr_de":"930\nFritz Griese\nWalze durcir die Schlinge, an der der Arbeitsfaden angebracht ward. Es entsteht so eine zweite Schlinge, die der linke Kleinfinger h\u00e4lt.\n3. Alsdann wird der Faden der Sch\u00fctze gemach angezogen, die vom Daumen gehaltene Schlinge losgelassen, ferner die Schlinge \u00fcber 2., 3. und 4. Finger langsam nachgezogen, endlich aber auch die Kleinfingerschlinge eingezogen und herab-gelassen. Der Knoten wird dann gesch\u00fcrzt durch Anziehen des Fadens auf Straffheit. So entstehen reihenweise weitere Maschen, die nach Vollendung angesetzter Schlingenzahlen \u2014 immer wieder vom Kissen ausgehend \u2014 fortgebildet werden. Die minuti\u00f6se Beherrschung der Einzelfinger bei dieser Netzarbeit d\u00fcrfte f\u00fcr die Psychologie der Hand das Hauptkennzeichen sein!\ng) Kl\u00f6ppeln.\nBei der Spitzenherstellung spielt das Kl\u00f6ppeln eine Bolle. Ohne die mehr maschinellen Nebeneinrichtungen zu erw\u00e4hnen (Wickelmaschine, Muster brief, PickiernadeL Fadensteller usw.), sei nur auf die Stellung der H\u00e4nde und ihre Bewegung kurz verwiesen.\nFig. 163. Handstellung beim Kl\u00f6ppeln.\nPrinzipiell werden die \u2014 nach ihrer Fadenzahl je Muster vorbestimmten \u2014-Kl\u00f6ppel durch Wechseln, Drehen, Wenden, Flechten, Kreuzen usw. der F\u00e4den zu sogenannten \u201eSchl\u00e4gen\u201d bewegt. Man teilt die Kl\u00f6ppelzahl in eine Doppelgruppe (rechts und links) und pflegt mittels Stecknadeln die Kl\u00f6ppel auf dem Kissen vorzugruppieren. Dieselben Nadeln werden im \u00fcbrigen auch zum losen Fixieren der Muster mitbenutzt. Der Faden setzt am Kl\u00f6ppelkopf an. Die F\u00e4den haben eventuell verschiedene Farbe. Als Bewegungsbeispiel sei die Folge f\u00fcr eine \u201eFlechte\u201d angedeutet :\nAn einer Stecknadel h\u00e4ngen vier Kl\u00f6ppel, zwei werden in je eine Hand genommen. Man legt den rechts befindlichen Kl\u00f6ppel eines jeden Paares \u00fcber den links liegenden desselben, zieht den Faden leicht an. Dann werden die Kl\u00f6ppel mit dem zweiten, dritten und vierten Finger der rechten und linken Hand erfa\u00dft. Es wird der zweite Kl\u00f6ppel mit dem zweiten und dritten Linksfinger \u00fcber den dritten Kl\u00f6ppel gebracht, so da\u00df die zwei in der Mitte liegenden Kl\u00f6ppel gekreuzt sind. Dann wird der vierte Kl\u00f6ppel mit dem zweiten und dritten Kechtsfinger ergriffen, dann der nunmehr als Nr. 2 liegende Kl\u00f6ppel mit dem dritten und vierten Linksfinger und dieser Kl\u00f6ppel \u00fcber Nr. 1 gelegt, der erstgenannte Kl\u00f6ppel \u00fcber Nr. 3. Man nennt das Ergebnis der Fadenbewegung \u201eHalbschlag\u201d. Aus Wiederholungen desselben entstehen Flechten.","page":930},{"file":"p0931.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n931\nNetzschlag, L\u00f6cherschlag und andere Formen entwickeln sich nach \u00e4hnlichen Bewegnngsgrnnds\u00e4tzen der Hand. Man ersieht, da\u00df diese weibliehe Handarbeit durchaus anderen Charakter hat als die Methode des Strickens, H\u00e4kelns oder N\u00e4hens. Sie ist relativ robust.\nJi) Kn\u00fcpfen.\nF\u00fcr Phantasiearbeiten wird das Kn\u00fcpfen benutzt, das wir endlich ebenfalls zur Illustration erw\u00e4hnen m\u00f6chten.\nVielfach ersetzen hier die Finger das H\u00e4keln. Um eine Probe vom Kn\u00fcpfen zu bieten, seien vier Positionen der Hand beim Gewinnen gekn\u00fcpfter Rundschnuren ausgew\u00e4hlt.\nZwei Fadenenden werden verbunden ; der eine wird in die Linke genommen, mit dem rechten Zeigefinger eine Schlinge gezogen, so da\u00df der linke Zeigefinger noch eben durch diese hindurchgef\u00fchrt werden kann. Das Fadenende h\u00e4lt der rechte Kleinfinger. Darauf wird von vorn nach r\u00fcckw\u00e4rts der linke Zeigefinger in die Schlinge gesteckt und hinter den um die Schlinge befindlichen, links gehaltenen Faden gebracht.\nSimultan wird der Knoten nebst Fadenenden nach links gelagert und von der Rechten, durch Zug des rechten Fadens, die Schlinge gesch\u00fcrzt.\nFig. 164. Zweite Position beim Kn\u00fcpfen.\nNun geht die Schnur auf die Rechte \u00fcber und die Linke zieht den Faden fest an. Mithin pendeln beide H\u00e4nde wechselweise hin und her.\nEs lie\u00dfen sich noch weitere Handarbeiten, wie z. B. das alte Tambourieren im Rahmen mittels Spezialnadel, anf\u00fchren. Wir wollen hiermit schlie\u00dfen. Nichts kann so gut den Begriff der klein dimensionierten, Geduld und Ruhe, enges Konzentrationsfeld und Unabh\u00e4ngigkeit der H\u00e4nde ben\u00f6tigenden \u201eHandgeschicklichkeit\u201d darstellen, als das eingehende Studium der Methodik weiblicher Handarbeiten gleich den genannten. Da\u00df hier psychische Verwandtschaft \u2014 weniger in den Dominanzfunktionen als in den rein formalen Handbewegungen \u2014 auch zur Kleinmontage, Ankerwickelei und vielen anderen industriellen Berufshandarbeiten vorliegt, bleibt wohl au\u00dfer allem Zweifel. Man kann auch f\u00fcr Festlegungen von Diagnosen auf Rentenbegutachtung, Arbeitsbehinderungen usw. die Untersuchung derartiger Modelle von kennzeichnend weiblichen Handbet\u00e4tigungen nachhaltig empfehlen! Wissenschaftlich sind leider alle jene uralten Techniken durchaus \u00fcbersehen worden.\nWenn wir heute, gegen\u00fcber dem grunds\u00e4tzlich verschiedenen Gepr\u00e4ge, nach kennzeichnenden Unterschieden der Hand fragen, so liegt viel Positives au\u00dfer \u00fcber die selbstverst\u00e4ndlich ermittelten Entwicklungs- und absoluten Leistungsunterschiede der Geschlechter in der Dynamik, gebenenfalls auch Graphik der Hand, nicht vor. Lipmann1) hat nur das Intervariationsgesetz gefunden,\nx) Lipmann: Psychische Geschlechtsunterschiede. Leipzig 1917.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n61","page":931},{"file":"p0932.txt","language":"de","ocr_de":"932\nFritz G-iese\nwonach das weibliche Geschlecht seltener in den Extrempolen der H\u00f6chst- nnd Mindestleistung zu finden ist, sondern zu durchschnittlicher Angleichung sich zusammenballt, wenn wir Populationen vergleichen. Leider liegen \u00fcber die Arbeitshand spezielle Erfahrungen nicht vor, denn sicherlich d\u00fcrfte dies f\u00fcr die Handarbeit im Sinne der \u201eFeinarbeit\u201d nicht zutreffen, nur wieder dort, wo erhebliche intellektuelle Dominanten die Leistungen steuern. (Daher findet sich die Er au industriell fast nur in der taylorisierten Montage von Kleinteilen, nie beim Gro\u00dfbau oder der selbst\u00e4ndig gegebenen Zusammensetzarbeit.) Methodisch verbleibt ein breites Feld f\u00fcr Vergleichungsuntersuchungen, die nicht davor zur\u00fcckscheuen d\u00fcrfen, auch dem Manne spezifische weibliche Arbeiten zu geben (Stricken, Waschen, K\u00e4hen usw.). Da\u00df endlich das Geschlechtsproblem durch die neuere Sexualpsychologie und Psychologie an sich fraglich wurde, da die Theorie von der Bisexualit\u00e4t jedes Menschen erheblich an Wahrscheinlichkeit gewann1), da\u00df daher die Mehrleistung der Frau in feiner Handarbeit sich vielleicht als blo\u00dfer Erziehungseinflu\u00df aufl\u00f6sen mag, ist nicht ausgeschlossen. Ein Grund mehr, diesen methodischen Weg zu erschlie\u00dfen.\nC. Praxis der Rrbeitshand.\nGegen\u00fcber den theoretischen Anf\u00e4ngen des Studiums zur Arbeitshand steht es mit der Praxis sehr anders.\nEine Gruppe praktisch bedingter Fragen hat n\u00e4mlich eigentlich auf die Theorie bis heute noch gewartet, sich still daneben zu entfalten gesucht und eine F\u00fclle einzelliterarischer Ergebnisse eingebracht, ohne uns in die Lage versetzen zu k\u00f6nnen, damit entscheidende wissenschaftliche Wendungen zu erwirken. Es ist dies der Kreis der P\u00e4dagogik. Die Arbeitshand in der P\u00e4dagogik ist eines der lebhaftest er\u00f6rterten Gebilde. Man darf bedauern, da\u00df die Erziehungswissenschaft in ihrem ehrlichen Streben allzuwenig Unterst\u00fctzung durch die Psychologie gewann.\nEine andere Praxisgruppe ist von seltsamer Pr\u00e4gang: sie besitzt eine ungeheure Erfahrung in der Arbeitshand, denn dort wird die Hand als Mittelpunkt aller Arbeitst\u00e4tigkeit auf gef a\u00dft. Aber hier ist die Hand Geheimnis, und zwar einerseits aus Gr\u00fcnden des Erwerbes, zum anderen, weil diese Kreise durchaus fernstehen wissenschaftlicher Methodik: Es ist das der Kreis der K\u00fcnstler, angefangen bei den Taschenspielern und Kartenkunstschl\u00e4gern her\u00fcber in das Gebiet der Balanzierungspiele, des Jonglierens bis hinauf in die Bereiche manuell bedingter Instrumentalkunst. Die\nx) Hirschfeld: Sexualpathologie. Bonn 1917 ff. ; Giese: Ps. Beitr\u00e4ge. Halle 1916.","page":932},{"file":"p0933.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der. Arbeitshand\nArtistenhand ist eines der ausgezeichnetsten Studienobjekte, aber noch bleibt sie verborgen, mu\u00df man m\u00fchevoll verstreute Verfahren sammeln, gelangt man sogar teilweise niemals an die Quellen, da sie \u00e4ngstlich geh\u00fctete Tradition von K\u00fcnstlerfamilien sind. (So habe ich mich vergeblich bem\u00fcht, \u00fcber das Erlernen der Jonglierk\u00fcnste authentische Unterlagen zu bekommen, obwohl beispielsweise ostasiatische Artisten hier gerade Hervorragendes leisten.) Es wird sich verlohnen, diese Arbeitshand weitaus eingehender als die p\u00e4dagogische Problemstellung zu behandeln, denn dort finden wir besonders aussichtsreiches Neuland.\nEine dritte Praxisgruppe wird vom Leben zur Meisterung gezwungen: getrieben von der Notlage und dem Zwang der Umst\u00e4nde. Kein Warten auf Theorie ist dort m\u00f6glich, der Augenblick entscheidet. Es ist das die Hand in gewerblich-industrieller Anwendung und die Hand im Bereiche der, Pathologie. Wir werden von der Praxis der letzteren ganz besonders viel Gewinn durch die Mitarbeit breiter Kreise von Fachleuten haben, insbesondere der \u00c4rzte und Ingenieure. Demgegen\u00fcber kann die gewerbliche Hand etwas in den Hintergrund tretenr zumal die meisten Beispiele des Textes ihrem Felde entnommen wurden und weil weiterhin der Verfasser in anderem Zusammenh\u00e4nge einschl\u00e4gige Wirtschaftsanwendungen er\u00f6rtert hat1)/\n1. Die Hand in der P\u00e4dagogik.\nDie ins Ungemessene gestiegene Flut der p\u00e4dagogischen Literatur \u00fcber Arbeit und \u00fcber Hand hier zu schildern, ist r\u00e4umlich unm\u00f6glich. Hinzu kommt, da\u00df das didaktische Motiv stark \u00fcberwiegt, w\u00e4hrend die Wissenschaft noch erhofft wird. Wir gliedern daher den Stoff nur nach einigen wenigen methodischen Richtlinien, die uns Ausblick auf bestimmte, gro\u00dfe Felder einer p\u00e4dagogischen Kultur der Hand er\u00f6ffnen.\nP\u00e4dagogik will erzieherischen Zwecken dienen. Die Hand ist daher in ganz besonderer Weise Gegenstand der Betrachtung: sie soll sowohl selber, erzogen werden,, soll aber dar\u00fcber hinaus Einflu\u00df auf die Erziehung des Menschen \u00fcberhaupt gewinnen. Sie verbindet sich mit dem Erziehungsgedanken der ,,Arbeit\u201d, mit der gro\u00dfen Arbeitsschulbewegung an sich, wobei nat\u00fcrlicherweise jene Kreise, die mit Gaudig2) eher in der Arbeitsidee ein geistiges Prinzip der Pers\u00f6nlichkeit erblicken, f\u00fcr die Handprobleme nicht so stark interessiert sind als jene anderen, die wirklich ,,Werkt\u00e4tigkeit\u201d meinen oder von der Knabenhandarbeit\nx) Giese: Methoden der Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.\n2) Gaudig: Die Schule im Dienste der werdenden Pers\u00f6nlichkeit. Leipzig 1910.\n61*","page":933},{"file":"p0934.txt","language":"de","ocr_de":"934\nFritz Diese\nim formalen Sinne ansgingen. M\u00f6gen diese oder jene recht haben: die Stoffverteilung wird hinsichtlich der Hand immer in der letzten Richtung \u00fcberwiegen, und entsprechend bietet die betreffende Literatur auch mehr Anregungen. Wenn wir die Entwicklung methodischer Linien aufsuchen, so sehen wir, da\u00df auch\nFig. 165. Montessorir ahmen f\u00fcr Kinder.\nder Begriff der ,,Arbeitsschule\u201d durchaus abh\u00e4ngt von einer Betonung der Hand; da\u00df Selbstt\u00e4tigkeit erst ein sp\u00e4terer, ins rein Abstrakt-Geistige \u00fcbertragbarer Begriff wird. Arbeit sollte urspr\u00fcnglich Erziehung durch Werkschaffen, d. h. Hand, sein1).\nx) Scheibner u. a.: Zeitschr. \u201eDie Arbeitsschule\u201d (laufend seit 1912). Leipzig; Bchloen: Entwicklung und Aufbau der Arbeitsschule. Berlin 1926; Hermann:","page":934},{"file":"p0935.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n935\nHierbei zeigen sich folgende methodische Leitlinien:\na) Die Arbeitshand als Entwicklungsmitte 1.\nDie Hand als den Geist lockerndes, die Entwicklung vielleicht sogar beschleunigendes Instrument : das ist die Anwendung, welche die Handt\u00e4tigkeit beim Er\u00fchkinde w\u00fcnschen l\u00e4\u00dft und unterstreichend in den Unterrichtsmittelpunkt r\u00fcckt1). Bereits die Fr\u00f6Msche P\u00e4dagogik des Kindergartens hatte die Hand bet\u00e4tigt,\nFig. 166. Turmbauendes Kind.\nHierbei sollen Baniibnngen mit Farben, wie Gr\u00f6\u00dfenzuordnen (\u00e4hnlich wie beim Zylinderversuch) in der Handarbeit vereinigt zur Schulung gelangen.\naber Besch\u00e4ftigungsspiele waren ablenkende Dinge, hier sollte die Hand \u00dcbungs- und Schulungswert f\u00fcr die allgemeine geistige Entwicklung werden, sollte sie auch durch ihre Bet\u00e4tigung den Intellekt, die Aufmerksamkeit, den Willen pflegen und st\u00e4rken. Dieser funktionelle Entwicklungsgedanke ist zuerst in umfassen -\nArbeits- und Produktionsschule. Langensalza 1923; Herget: Sammlung method. Handb\u00fccher im Sinne der schaffenden Arbeit. Prag und Leipzig 1913 ff. ; Scherer: Arbeitsschule und Werksunterricht. Leipzig 1912\u20141913; Weigl: Bildung durch Selbsttun. M\u00fcnchen 1912; Seif art: Bet\u00e4tigung der Hand. Langensalza 1912; Bl\u00e4tter f\u00fcr Knabenhandarbeit. Leipzig.\nx) Giese: Kinderpsychologie. M\u00fcnchen 1922; Pr\u00fcfer, Fr\u00f6bel. Leipzig 1927.","page":935},{"file":"p0936.txt","language":"de","ocr_de":"936\nFritz Griese\nderer Form von Montessori1) durchgesetzt worden. Sie lie\u00df die Kleinkinder und Vorschulpflichtigen, sp\u00e4ter ancli die Sclmlkinder grunds\u00e4tzlich anf psychologischem Fundament und auch \u00fcber den Weg der Hand eine entsprechende Arbeit verrichten.\nBeispiele ihrer durchaus auch an die Alltagshand erinnernden Verfahren sind folgende Proben:\n1.\tSchn\u00fcr- und. Knopfarbeit (an einem besonderen Arbeitsrahmen).\n2.\tArbeiten an Zylindern verschiedener Gr\u00f6\u00dfe; Einpassung in Holzgestelle.\n3.\tW\u00fcrfelbau in verschiedener Gr\u00f6\u00dfe und Farbe.\nFig. 167. Arbeitendes Kind beim Tasten.\n4.\tTastbrett mit verschieden rauher Oberfl\u00e4che, zum Abtasten derselben.\n5.\tr Brett mit verschieden rauhen Papier streif en.\n6.\tBrett mit verschieden rauhem Sandpapier.\n7.\tHolzt\u00e4felclien verschiedenen Gewichtes, zum Abf\u00fchlen und Farben-ordnen.\n8.\tFarbenspulenreihung.\n1) Montessori: Mein Handbuch. Stuttgart, ohne Jahr; Selbstt\u00e4tige Erziehung im fr\u00fchen Kindesalter. Stuttgart 1913; Descoeudres: Erziehungsspiele nach Decroly und Monchamp. Genf 1914; Weyher: Kleinkinderp\u00e4dagogik. Breslau 1917; Kindergarten in the United States. Washington 1914; Tynne: Montessori and her inspires. London 1924; Vorwerk : St\u00e4bchentypen. London 1924. Halle 1922; Gierke-Dorpalen: Papierarbeiten. Leipzig 1923; Droescher: Kleine Besch\u00e4ftigungsb\u00fccher. Leipzig 1923; Muthesius: Handarbeit. Berlin 1917; Handarbeit f\u00fcr Knaben und M\u00e4dchen. (1 bis 11). Leipzig 1910\u20141913; B. Wagner: Spielendes Lernen. Leipzig 1921.","page":936},{"file":"p0937.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n9.\tBretter mit verschiedenen geometrischen Ausschnittfiguren, die einzuf\u00fcgen sind.\nWelche hohen taktilen Anforderungen gestellt werden, beweist der Umstand, da\u00df die Kinder mit verbundenen Augen, wie Blinde abf\u00fchlend, Brettzuordnungen vollziehen m\u00fcssen.\t'\t.\n10.\tSchreib \u00dcbungen durch Nachfahrenlassen von Metallplattenumrissen mit Buntstift (farbig, um Interesse zu wecken).\n11.\tMuskelvorbereitung durch Nachfahrenlassen von Buchstaben aus Sandpapier.\t-\n12.\tNotenlesen durch Einf\u00fcgen wei\u00dfer Pfl\u00f6cke in ein Linienlochbrett.\n13.\tArbeiten auf einem stummen Hammerklavier von zwei Oktaven in Kleinformat, das H\u00e4mmerchen mit den Notennamen hebt.\n14.\tW\u00fcrfelzusammensetzen zwecks Rechnen.\n15.\tKasten mit F\u00e4chern zum Z\u00e4hlen einzulegender St\u00e4bchen.\nMan sieht, was hier die Hand als Arbeitsger\u00e4t bilden soll. Die Eigenart der Methode ist erheblich, \u00fcber ihren Entwicklungs-wert gehen die Meinungen anseinander.\nFig. 168. Sandpapierbuchstabenprobe.\nb) Die Handarbeit als Schulfach.\nFerner wird die Handarbeit als Schulfach eingef\u00fchrt, um durch die Hand eine Konkretisierung von Unterrichtsinhalten [Geographie durch Sandfiguren, Physik durch Herstellung von Pappmodellen und Wellpapparbeiten1) usw.] zu erm\u00f6glichen. In der elementaren Form kommen ziemlich alle dem kindlichen K\u00f6rper anpa\u00dfbaren, ungef\u00e4hrlichen Arbeitswege vor. Beispielsweise :\nFormen und Kneten mit Plastilin,\nSchneiden von Papier mit Figurenerfindung,\nFalten,\nFlechten (in Papier, Bast, Karton, mit Holzst\u00e4ben, Stroh, Perlen), N\u00e4hen,\nKleben,\nWeben2).\n0 Frey: Wellpapparbeiten. Leipzig; Physikalische Sch\u00fcler\u00fcbungen. Leipzig 1910; jff. Pfeiffer: Buch der Bastelk\u00fcnste. Berlin 1925.\n2) Wiest : Besch\u00e4ftigungsbuch. Stuttgart 1921; ferner Grohmann : Technisches und Psychologisches in der Besch\u00e4ftigung. Stuttgart 1899; Springer J.: Aus der Praxis des modernen Elementarunterrichtes. Leipzig 1921; Heywang: Die Arbeitsschulidee in der einklassigen Lernschule. Leipzig 1921 ; Haberfellner : Das schaffende","page":937},{"file":"p0938.txt","language":"de","ocr_de":"938\nFritz Griese\nHierbei werden wiederum alle die Handt\u00e4tigkeiten zur Anwendung gelangen, die im theoretischen Teile Erw\u00e4hnung fanden. Beispielsweise f\u00fchrt zwanglos das Formen in Lehm, Plastilin usw. zum Bollen, Dr\u00fccken, Walzen, Biegen, Klopfen, Schneiden, Gl\u00e4tten, B\u00f6rteln, Stauchen, Streichen oder Aush\u00f6hlen: Eine ungeheure F\u00fclle von Handgriffen und B e wegungsf ormen verbindet sich mit den \u00fcbrigen Methoden der Arbeitsschule! Au\u00dferdem sind alle diese stets komplex gerichtet, denn der Unterricht will mit solchen Proben zugleich das Auge, die Gestaltauffassung, die praktische Intelligenz, die Konzentration, auch in Serienarbeit, und den Ehrgeiz (durch Fertigung von vergleichsm\u00e4\u00dfigen Produkten des einzelnen unter Gruppe) erfassen. Wer die Jahrg\u00e4nge der Sonderzeitschriften mustert1), wird eine ungeheure Menge derartiger Beispiele finden. W\u00e4re die wissenschaftliche Ergr\u00fcndung der Hand bereits schon weiter, w\u00fcrde diese Bewegung vielleicht konzentrierter und zielgem\u00e4\u00dfer verlaufen. Seinig hat von der \u201eredenden Hand\u201d2) gesprochen und damit angedeutet, da\u00df die Arbeitshand in der Schule zugleich Ausdruckshand wird, mindestens Symptom f\u00fcr den beobachtenden Lehrer (s. Tabelle 6 auf S. 939).\nWie die (weiter unten an einem Beispiel dargestellten) Plastiken der Taubstummen und Blinden Symptom zugleich f\u00fcr den geistigen Habitus sind, weil die Intelligenz als Dominanzfunktion, weil die optische und akustische Wahrnehmung die Hand beeinflussen, so ist in der Schule jedwede Handarbeit auch zugleich Ausdruckshandinhalt. Eine ganz besondere Befruchtung hat dann die Bichtung im Sinne der \u201esch\u00f6pferischen Arbeit\u201d des Kindes gefunden. Hier wird durchaus betont die Ausdrucksgebung des Geistes durch die Hand: in der Farbe, der Zeichnung, dem Spiel mit Sand, Wasser, St\u00e4bchen, Papier, Pappe u. dgl. m.3).\nEin anderer Gegensatz bildet sich heraus, indem als Methode der reinen Arbeitshand der Werkstattunterricht gesucht wird.\nArbeiten der M\u00e4dchen. Leipzig 1925; B\u00f6hr: Geistesbildung durch Arbeit. Hamburg 1921; Pabst und Seinig: Aus der Praxis der Arbeitsschule. Osterwieck 1921; Lenzer: Schaffen und Lernen. Leipzig 1921; Wohlrab: Aus der Praxis der Arbeitsschule. Leipzig 1921; B. Seyfert: Die Arbeitskunde. Leipzig 1919.\n0 Die Arbeitsschule. Leipzig 1925, im 39. Jahre; Patzig und Linke: T\u00e4tiger Geist und geschickte Hand. Leipzig 1909; G\u00f6hl: TJnterrichtsbeispiele aus der Arbeitsschule (Sandkasten, Lesen, Schreiben, Malen, Zeichnen, Ausschneiden, Falten, Formen, Bauen usw.). E\u00dflingen und M\u00fcnchen 1925; Schuppe: St\u00e4bchenlegen. M\u00fcnchen und E\u00dflingen 1922.\n2)\tSeinig: Die redende Hand. Leipzig 1920. Denkzeichnen. Leipzig 1921. \u2014 Zeichnen als Sprache. Halle 1914. \u2014 Anweisungen z. werkunterrichtlichen Klassenbetrieb. Halle 1922.\n3)\tBotten: Bericht zur III. Internationalen p\u00e4dagogischen Konferenz. Heidelberg und Glotha 1926.","page":938},{"file":"p0939table6.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n939\nTABELLE 6.\nSeinigs Tabelle \u00fcber das Verh\u00e4ltnis der vier T\u00e4tigkeiten des Werkunterrichtes zueinander.\nPapier-,\nPapp- und Bastelarbeiten\nZeichnen\nund Formarbeiten\n! dienen mehr der Kl\u00e4rung der Form:\nlassen sich deshalb nicht leicht automatisieren ;\ni\nhaben mehr das Au\u00dfere der Dinge, organische Formen und Ger\u00e4te zum Ziel;\nf\u00fcgen sich leicht der Kinderhand der Unterstufe an;\nlassen sich leichter bew\u00e4ltigen;\nveranlassen mehr Formfehler;\nwerden beg\u00fcnstigt durch eine be-!\tsondere Auff assungsgabe f\u00fcr Formen\nbezwecken mehr formale Bildung, finden statt bzw. wiegen vor:\nwo und wenn sich\u2019s um schnellen Ausdruck, Vorbereitung f\u00fcr andere Techniken (Durchschnitte), Formen, Ma\u00dfverh\u00e4ltnisse handelt = Z ;\nwo und wenn sich\u2019s um genaue Darstellung plastischer Formen, Auf-j fassung von Durchschnitten, inneren | Lagerungen handelt \u2014 F.\nmehr zur Kl\u00e4rung des Zweckes von Bewegungen ;\ndie Techniken, Handt\u00e4tigkeiten lassen\nsich leichter automatisieren (Arbeitsteilung) ;\nmehr Maschinen und deren Bewegungen, Darstellung von Innenr\u00e4umen ;\nheischen betreffs der Bezwingung von Stoff mehr Kraft, daher mehr f\u00fcr die Oberstufe geeignet;\nverlangen ein Sicheinf\u00fcgen in den Stoff;\nweniger Form- als ,,Inhaltsfehler\u201d ;\nder Zweck wird nicht erreicht;\nverlangen mehr praktischen Blick, da die Objekte meist leicht fa\u00dfliche geometrische Form haben, erzielen mehr sogenannte praktischeBildung ; wiegen vor :\nwo und wenn sich\u2019s um Bewegung eines K\u00f6rpers im Raume (Unterstufe: Schlitten, Wagen; Oberstufe: Flugschraube) oder der Teile eines Systems gegeneinander handelt\n= P;\nwo und wenn sich\u2019s um Darstellung von Bewegung, Kraft auf Speicherung und deren Ausl\u00f6sung, um Verwandlung von \u201elatenter\u201d in kinetische Energie, um Kraft\u00fcbertragung, handelt = B.\nc) Werkstattunterricht.\nHierbei ist die Anfangsform das sogenannte Basteln, da& beispielsweise dazu dienen soll, den Katurkundeunt erricht durch Selbstherstellung von Modellen und Anschauungsger\u00e4ten zu unterst\u00fctzen. Konkretisierung der Zusammenh\u00e4nge durch Dingbildung.1)\n!) Pfeiffer : Buch der Bastelk\u00fcnste. Berlin 1923; hierzu vgl. Schneider * Der junge Maschinenbauer. Stuttgart 1922; Hausschreinerei. Ebenda, usw. ; Frey: a. a. 0.; Schwalbe-Hahn: Physikalische Freihandversuche. Berlin 1905; 0. Robert: Sammlung \u201eSpiel und Arbeit\u201d. Ravensburg (laufend) u. a. m.","page":0},{"file":"p0940.txt","language":"de","ocr_de":"Fritz Giese\nDie Eichtung f\u00fchrt dann weiter zu einer ausgesprochen handwerklichen Arbeit, in der Amerika immer starke Bevorzugung bot. So wird angeschlossen in der Abfolge der einfachen gewerblichen T\u00e4tigkeit das Schnitzen, Pappen, das Tischlern, die Metallarbeit, gegebenenfalls bis zur Drehbank, daneben Elektromontage und Chemie. \u00dcberall spielt die Hand eine hervorragende Rolle; immer ist sie hier betont Werkzeug des Menschen, das umgekehrt wirken soll auf den Geist. Die Ausdruckshand tritt naturgem\u00e4\u00df im Werkstattunterricht hinter die Arbeitshand.\nDamit verbindet sich endlich eine manuelle Verbesserung der Didaktik.\nd) Zeichnen und Schreiben.\nDie Hand im Zeichnen wie Schreiben wird heute1) in den Vordergrund ger\u00fcckt, da man darnach strebt, beide F\u00e4cher auf eine neue Stufe zu stellen. Teils will man Zeichnen von der Schablonenkopie fortbringen zu einer wiederum ausdrucksgem\u00e4\u00dfen Handt\u00e4tigkeit des Individuums, will durch die frei arbeitende Hand Auffassung und Auge erziehen, auf der anderen Seite das skizzenhafte Festhalten von produktiven Elementen st\u00fctzen. Dazu tritt das geometrisch gerichtete Zeichnen, das wiederum zur intellektuellen Grundlage der Begriffsbildung und zur Exaktheit der Arbeit anleitet, aber in diesem Sinne keine reine Handarbeit mehr dar stellt.\nDas Schreiben soll zu eigenm\u00e4chtiger Duktusgebung des Kindes \u00fcberf\u00fchren, soll \u00fcber St\u00e4bchenlegen und Spiel langsam an eine individuelle und nicht mehr schablonierte Schrift heranleiten; wir k\u00f6nnen unm\u00f6glich mehr tun, als diesen Gedanken einer neuen Unterrichtsmethode der Hand nur zu erw\u00e4hnen. Wer die Hand in der P\u00e4dagogik behandeln wollte, m\u00fc\u00dfte ein eigenes Buch schreiben und w\u00fcrde leider ebenso die wissenschaftlichen Grundlagen schmerzlich vermissen.\ne) Das Hand g eschicklichkeits problem.\nDer Kernpunkt methodischer Fragen aber ist in der Schule das \u2014 ungekl\u00e4rte \u2014 Handgeschicklichkeitsproblem. Denn mit\nx) Kr\u00f6tzsch: Rhythmus und Form in der Kinderzeichnung. Leipzig 1917; S\u00fctterlin: Neuer Leitfaden f\u00fcr den Schreihunterricht. Berlin 1922; Bossier: Vom Schreihunterricht im neuen Geiste. Prag 1915; Kuhlmann: Schreiben im neuen Geiste. M\u00fcnchen 1917; Kunst der Feder. Leipzig 1913; Sehlienkam'p: Kreislauf geistiger F\u00e4higkeiten. Paderborn 1925; Grothmann: Sch\u00f6pferischer Zeichenunterricht. Berlin 1922; Luquet: Les dessins d\u2019un enfant. Paris 1313; Stichler: Psychologie und Methodik des Zeichenunterrichtes. Osterwieck 1913; Bouma: Le langage graphique de l\u2019enfant. Paris 1913; Vogt: Individueller und sch\u00f6pferischer Schreihunterricht. Osterwieck 1922; Lindner: Experimentell-statistische Untersuchung zum besten Schreihunt erricht. Berlin 1920; Berget: Sammlung: \u201eSchaffende Arbeit und Kunst in der Schule\u201d. Prag und Leipzig 1917 ff.; Bund der Kunstgewerbeschulm\u00e4nner: Kunstgewerbe. Berlin 1922.","page":940},{"file":"p0941.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n941\nder Frage derselben steht und f\u00e4llt diese Bichtung. Ist Handgeschick eine Sonderfunktion? Ist sie ein B\u00fcndel sich strukturell gestaltender Elemente? Ist sie allgemeine Begabung? Beeinflu\u00dft sie andere Seiten des Geistes durch \u00dcbungsresonanz und Mit\u00fcbung? Das pathologische Kind, der HilfsSchulz\u00f6gling gibt uns zu denken: denn diese Sch\u00fcler sind tats\u00e4chlich einerseits f\u00fcr Feinarbeit unbrauchbar und doch wieder f\u00fcr mechanische Arbeiten manchmal noch zu verwenden, dem einzigen, wozu sie anlernbar bleiben m\u00f6gen. Die Hilfsschule benutzt daher mit Becht diese Verfahren f\u00fcr ihre Didaktik1). Leider aber ist auch diese Methode nur Faustrecht bedr\u00e4ngter Praxis \u2014 kein wissenschaftliches Fundament. Das Problem der Handgeschicklichkeit ist mehrfach, auch in Korrelationsrechnung, behandelt worden. Eine entscheidende und klare Beziehungsstiftung fand sich leider nicht2). Hier ist daher der Angelpunkt f\u00fcr eine gediegene Unterst\u00fctzung p\u00e4dagogischer Verfahren, die auf schwankendem Boden ihre idealen Ziele zu erringen streben. Man m\u00f6chte hoffen, da\u00df allen den erw\u00e4hnten Bichtungswegen eine umfassende Nachpr\u00fcfung des Handproblems und der Handgeschicklichkeitsfrage zunutze werde.\n2. Die Hand in gewerblicher Arbeit.\nSehr kurz fassen wir uns zur Frage der Berufshand, da wir erstlich fast durchgehend im Text aus diesem Gebiete Beispiele bringen, zweitens weil auch dort die Not, aber nicht die Erkenntnis uns Material gibt und weil endlich drittens der Verfasser an anderem Orte weiteres an Ausf\u00fchrungen geboten hat.\nWir k\u00f6nnen die Arbeitshandtendenzen in allen gewerblichen T\u00e4tigkeiten (wobei wir unter gewerblicher T\u00e4tigkeit auch Bureau-und sonstige Berufs weisen erfassen) wie folgt zusammenfassen3):\nx) Bentz: Heilp\u00e4dagogik auf arb eitunt errichtlicher Grundlage. Halle 1924; Boessel: Psychologie des schriftlichen Ausdruckes f\u00fcr schwache Kinder. Halle 1923; Kiessling: Die Bedingungen der Fehlsamkeit. Leipzig 1925; Wiest: Besch\u00e4ftigungs-buch f\u00fcr Kranke. 1912; Zeitschr. f. Kinderf. Berlin (laufend); Kongre\u00df f\u00fcr Heilp\u00e4dagogik. M\u00fcnchen 1926 (Ber. Berlin) (laufend); Handbuch d. Heilp\u00e4d. 2. (Halle 1928).\n2)\tG. Demeny: M\u00e9canisme et \u00e9ducation des mouvements. Paris 1905. HolUngworth: Correlations of abilities as affectes by practice. Journ. of Educational Psychology. 4. (1913); Perrin: An experimental study of motor ability. Journ. of Exp. Psychol. 4. (1921); Meumann: Vorlesungen. 2. Leipzig 1913; Muscio: Motor capacity. The Brit. Journ. of Psychol. 13. Cambridge 1923; Argelander: Zur Frage der allgemeinen Handgeschicklichkeit. Arbeitsschule. 39. (1925); Geh\u00f6rn: Analyse d. H. (6. Tag. d. Verb. d. prakt. Ps.). Hannover 1928.\n3)\tVgl. Handw\u00f6rterbuch der Arbeitswissenschaft. Halle 1927/28; Sammlung \u201eDie Werkstatt\u201d. Leipzig. 1. bis 67. ff.; Bucerius : Neuerungen in der Technik des Handwerkes. Karlsruhe 1905\u20141913; Sammlung \u201eAm Scheidewege\u201d. Berlin. 1. bis 88. ff.; Datsch: Die Ausbildung f\u00fcr den technischen Beruf. Leipzig 1922; Entwicklungspsychologisch sind auch historisch \u00e4ltere Schilderungen interessant, z. B. J. Perrot: La Pagonotomie. Paris 1769; N. N.: N\u00fctzliche Anweisung","page":941},{"file":"p0942.txt","language":"de","ocr_de":"942\nFritz Giese\nOberstes Gesetz ist das Prinzip der \u00d6konomie, der Rationalisierung im Betriebe. Soweit die Hand dabei als sehr wichtiges Glied des Betriebsganzen eine Bolle spielt, erstrebt man durch vier methodische Wege eine Leistungssteigerung. Keiner dieser Wege verf\u00fcgt heute schon \u00fcber irgendwelche gesetzm\u00e4\u00dfigen Erkenntnisse. Vielmehr handelt es sich auch dort um Faustregeln der Praxis, die mehr oder minder intuitiv und relativisiert angepa\u00dft werden jedem einzelnen Pall. Es versteht sich, da\u00df ein so fein empfindliches und verwickeltes Gebilde, wie ein Betrieb, mit erheblicher Taktik reformiert werden mu\u00df. Leider aber sieht man, da\u00df abermals die Wissenschaft von der Arbeitshand noch fehlt* 1). Dabei ist hinzuzuf\u00fcgen, da\u00df als erheblichster Mangel ein Gegensatz der Methoden des Laboratoriums und der Methoden des realen Betriebes zu verzeichnen ist. Wir finden Laboratoriumsversuche, die leider mannigfach Lebensfremdheit in sich tragen und keine Anwendung in den Betrieben erm\u00f6glichen oder durchkreuzt werden durch ganz andere Einfl\u00fcsse der komplexen Gesamtheit der Erscheinung. Man mu\u00df sich daher auch bei den erw\u00e4hnten vier Wegen von der ausgesprochenen Anf\u00e4ngerschaft dieser Methoden \u00fcberzeugen.\na) Leistungsschulung der Hand.\nDieser Gedanke will die Arbeitshand durch besondere psychologische Methoden trainieren. Hierbei hat man anfangs gemeint, sogar F\u00e4higkeiten allgemein mitschulen, ,,verg\u00fcten\u201d, zu k\u00f6nnen. Dieser Irrtum ist sp\u00e4ter naturgem\u00e4\u00df an sich selbst zerschellt. Daf\u00fcr kann man nun von allgemeinem Leistungstraining reden, ohne darnach zu fragen, ob nur Fertigkeiten oder F\u00e4higkeiten in Betracht stehen. Methodisch geht man so vor, da\u00df man die fragliche Handarbeit in ihre Komponenten zerlegt. Dabei ist oft wiederum ein Ingenieurirrtum der, da\u00df man die in Zeitstudien \u00fcbliche logische Teilung oder die technische Teilung der Maschinenarbeit verwechselt mit den psychologischen Struktur element en. Man findet daher Versager \u00fcberall dort, wo \u00fcber der Teilung in st\u00fcckweise auf gereihte Kleinbewegungen der Hand (die isoliert ge\u00fcbt werden) das Trainieren auf Gesamtimpuls, Dominanten und die anderen komplexen Strukturbildungen ganz \u00fcbersehen worden ist. Hinzu kommt, da\u00df die Trainingsmethode auf einzelne Handt\u00e4tigkeiten unterst\u00fctzt werden kann durch die zunehmende Spezialisierung aller Arbeiten und das Eindringen der Maschine. Damit wird erstens der Angelernte statt des Gelernten st\u00e4ndig\nvon dem Hand Toback. Berlin 1787; Gr\u00fcndliche Anweisung .... Zubereitung aller Schnupf-Tobacke. Berlin 1802; Helwig: Aufgel\u00f6stes Geheimnis des Raucherund Schnupftabacks Fabrikation. Stettin 1805.\n1) Vgl. Brezina und Lebzelter: \u00dcber die Dimensionen d. Hand b. v. Berufen. Arch. f. Hyg. 1923.","page":942},{"file":"p0943.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n943\nun Ziffer st\u00e4rker, zweitens aber anch der Handarbeitsvorgang dauernd spezialisierter. Es kommt so zur ausgesprochenen Griffschulung, und zwar einer Schulung, deren Stoff immer eingeengter ist. Da von der Dauer der Anlernzeit Geld f\u00fcr Unternehmer wie Arbeitnehmer abh\u00e4ngt, sind auf beiden Seiten Schulungen der Hand nur erw\u00fcnscht. Mit kleinen Apparaten, die die praktische Arbeit in ihren wesentlichen Teilen imitieren, die \u2014 also etwa wie im Sport Trockenst\u00e4nde \u2014 die Vor\u00fcbung auf die Wirklichkeit erm\u00f6glichen, beginnt man1). Dabei ist selbstverst\u00e4ndlich, da\u00df methodisch erstlich t\u00e4gliche Leistungskontrolle des \u00dcbungs-ergebnisses vorgef\u00fchrt wird, zweitens da\u00df zur Leistungssteigerung das strikte Arbeiten unter Wettbewerb und Sportgeist, mit anderen Worten, in ,,Gruppendrill\u201d vor sich geht. Ob und inwieweit diese Leistungsschulungsrichtung k\u00fcnftig noch anderer Verfahren sich bedient, ist vorerst nicht zu \u00fcbersehen. Die wirtschaftliche Lage zwingt alle Betriebe, die Schulung zu betreiben. F\u00fcr besondere eingehend geschilderte Teilfragen sei auf die genannten anders-ortigen Ausf\u00fchrungen verwiesen2).\nb) Zeitstudie.\nDie Hand steht im Mittelpunkt der durch Taylor veranla\u00dften Zeitstudie. Da es sich immer um Griffe (siehe oben ,, Griff definition\u201d) handelt und da die Griffe Elemente f\u00fcr die Kalkulation einschlie\u00dflich Lohngebung werden, so ist die Hand hier Mittelpunkt der Darstellung3). Man zerlegt die Arbeitsvorg\u00e4nge in zeitliche Abfolgen von kleinen Griffelementen, deren Ausma\u00dfe meist in 1/100-Minuten-Registrierung bei theoretischer, in 1-Minuten-Teilung bei praktischer Anwendung reguliert werden. Gewisse methodische \u00dcbertreibungen der Kleinzeitmessung mit Kleingriffelementen sind in der Praxis alsbald abgebremst worden. Die Zeitstudie hat so in sehr eigenartiger Weise das Handproblem behandelt. An Stelle der physiologischen Elemente traten physikalische Bestimmungsst\u00fccke, zumal da die Maschine den Ausschlag gab. Und so geht die Zeitstudie vom Objekte \u2014 dem Arbeitsplatz \u2014 aus und ordnet das Subjekt ihm unter, ohne zu fragen oder auch fragen zu d\u00fcrfen, welche isolierbaren Urformen der Arbeitshandt\u00e4tigkeit zugrunde liegen. Die technische Seite des Problems ist daher nicht minder interessant, wie die gewerbliche P\u00e4dagogik der Arbeitshand.\n*) Vgl. Lange: \u00dcber funktionelle Anpassung. Berlin 1917; Lohnen: Einflu\u00df der \u00dcbung auf die Wurfleistung von Kindern. Zeitschr. f. angew. Psychol. 28. (1927); O. Lichter : Untersuchungen an einem Tremometer. Ebenda. 23. (1924); Argeiander: Beitr\u00e4ge zur Psychologie der \u00dcbung. Ebenda. 21. (1923); Kaup: Konstitution und Umwelt im Lehrlingsalter. M\u00fcnchen 1922.\n2)\tGiese: Methoden der Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.\n3)\tMichel: Wie macht man Zeitstudien? Berlin 1920.","page":943},{"file":"p0944.txt","language":"de","ocr_de":"944\nFritz Giese\nc) Bewegungsstudien.\nMethodisch hat nur eine besondere Forschung sich der Hand auch individuell angenommen: die Bewegungsstudie, die mit Mikrophotographie, Film, Zeitlupe, Lichtkurve, Stereoaufnahme auf feststehender Platte, Phasenbildern u. dgl. m. Bewegungen der Arbeitshand f\u00fcr arbeitliche Zwecke \u2014 und in erster Linie wieder eine damit zu verbindende Zeitaufnahme \u2014 festhalten wollte. In der Praxis hat die Bewegungsstudie nicht Fu\u00df fassen k\u00f6nnen. Nur in seltenen F\u00e4llen benutzt man sie, manchmal jetzt eher zur Kennzeichnung der Maschinenbewegung als der Bewegung der Arbeitshand. Da\u00df sie sich nicht einf\u00fchren konnte, liegt, abgesehen von den Gestehungskosten, an der relativen Belanglosigkeit des Wie der Arbeitsgestaltung. Der Unternehmer fragt immer nur nach Leistung und k\u00fcmmert sich nicht um die individuelle Anpassung des Menschen an den vorgeschriebenen Zeitweg, dessen Ausma\u00df aus pauschalen Betriebsbeobachtungen gewonnen war, so da\u00df man mit Becht hinreichende Ber\u00fccksichtigung der Menschen annehmen kann. Ein zweiter Grund war ein Denkfehler, den zumal amerikanische Ingenieure machten: im Anschlu\u00df an die Normungsideen der Maschinenteile, der Fabrikate, hoffte man auch die Handbewegungen vereinheitlichen und so vorschreiben zu k\u00f6nnen. Groteske Beispiele fand die Hoxiekommission in Amerika, als sie taylorisierte Betriebe musterte1). Man sprach \u2014 so Gilbretli2) \u2014 von ,,Einer besten Bewegung\u201d in jedwedem Fall f\u00fcr jedermann. An dieser abwegigen Uniformierung und Generalisierung zerbrach das Verfahren. Der Ingenieur wu\u00dfte nichts von Typus oder Psychologie. Endlich zerlief das Problem durch Einf\u00fchrung der Bandarbeit mit vorgeschriebenem Arbeitstempo und Flie\u00dfform der Fertigung3). Auch die Akkordfrage der Zeitstudie wurde zur\u00fcckgedr\u00e4ngt, wo Einheitszeiten des Arbeitsflusses Zwanglauf der Bet\u00e4tigung erwirkten. Da\u00df im Laboratorium gewisse Vorversuche hinsichtlich Tempo der Flie\u00dftransportmittel angestellt werden, ist nat\u00fcrlicherweise m\u00f6glich, hat aber viel weniger mit manuellen, als allgemein oft im Objektiven ruhenden Fragen zu tun.\nd) Unfallverh\u00fctung.\nNur in einem Fall besch\u00e4ftigt man sieh nach wie vor sehr mit der Hand, und zwar mit ihrer unterbewu\u00dften Steuerung im Sinne der Mitbewegung, der unzweckm\u00e4\u00dfigen Mitbewegung: in\nb Frey. Die wissenschaftliche Betriebsf\u00fchrung. Leipzig 1920.\n2)\tGilbreth: Angewandte Bewegungsstudien. Berlin 1920; siehe auch Bott-. Studies in Industrial Psychology. Toronto 1920 usw.\n3)\tM\u00e4cFbaeli und Kienzle: Flie\u00dfarbeit. Berlin 1926.","page":944},{"file":"p0945.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\nder Unfallverh\u00fctung. Man erstrebt heute R\u00fcckf\u00fchrung der UnfalU Ziffern erstlich durch ein Studium der Bedienungsgriffe selbst und durch Auswertung des oben erw\u00e4hnten Prinzips der Sinnf\u00e4lligkeit von Bewegungen. Zweitens will man aber auch die Hand als solche sch\u00fctzen und bringt so zwangl\u00e4ufige Fixpunkte f\u00fcr ihre Arbeitshaltung an: Punkte, die fortf\u00fchren von der Gefahrenzone der Maschine. So ist die Hand als st\u00f6rendes Element neben der Hand als werkt\u00e4tiger Faktor behandelt. Man darf sagen, da\u00df hier ein neues Gebiet erobert wird, das eine Grenzschicht zwischen Ausdruckshand und Arbeitshand darstellt; denn oft genugist die gef\u00e4hrdete Hand in Unt\u00e4tigkeit Ausdrucksgegenst\u00fcck f\u00fcr die andere, schaffende Extremit\u00e4t. Es kommt zur Zusammenarbeit der H\u00e4nde, was unerw\u00fcnschte Hemmungen des Arbeitsganges infolge Personengef\u00e4hrdung erwirkt. Die doppelte Prophylaxe durch Eichung der Maschinen auf Brauchbarkeit ihrer Bedienungs-elemente gegen\u00fcber der Eigent\u00fcmlichkeit der menschlichen Extremit\u00e4t und die Festlegung der nichtarbeitenden Extremit\u00e4t selber durch ein gewisses Zwangssystem hat Anla\u00df dazu gegeben, die Wissenschaft auf neuartige Probleme zu f\u00fchren. Vorerst ist das Verst\u00e4ndnis daf\u00fcr noch gering. Aber auch die technisch denkenden Kreise haben hierbei die besondere Form psychologischer Methodik gegen\u00fcber der konstruktiven oder rechnerischen kennengelenrt. So d\u00fcrfte sich hieraus alsbald eine Lehre von den beruflichen Mitbewegungen und dem unvermerkten Zusammenspiel der H\u00e4nde ebenso entwickeln wie eine Aufhellung der Mechanisierung von Bedienungsgriffen des Menschen \u00fcberhaupt1).\n3. Die artistische Arbeitshand.\nDie Arbeitshand des Artisten ist von besonders hohem Interesse, da sie den Gedanken der Handgeschicklichkeit hervorragend kultivieren mu\u00df. Als Proben artistischer Handt\u00e4tigkeiten sollen nachstehend in zwei Beispielen Gruppen er\u00f6rtert werden: die Hand in der Taschenspielerei und Spielkunst und die Instrumentenhand f\u00fcr Klavier, Blas- wie Streichger\u00e4te.\na) Arbeitsformen der Taschenspielerhand.\nLeider mu\u00df man sich bei der Darstellung dieses so wichtigen Zweiges echten Taschenspieler- und Jongleurtums bescheiden: denn die Artisten pflegen ihre Methodik zum \u00dcben und die Verfahren der Handgeschicktricks aus begreiflichen Gr\u00fcnden geheim-\nP Bainbridge : The Physiology of muscular exercise. London 1923; Buchner : G-egenbewegung der linken Hand. Langensalza 1913/17; Wilson: The. care of human machinery. London 1921; Bibergeil: Berufs- und Unfallkrankheiten der Bewegungsorgane. Stuttgart 1913; Bichel: Les mouvements inconscients. Parisl886.","page":945},{"file":"p0946.txt","language":"de","ocr_de":"946\nFritz Griese\nzuhalten. Trotz emsigen Nachsuchens in Fachzeitschriften nnd Sonderver \u00d6ffentlichungen erf\u00e4hrt man doch nicht viel mehr als die \u201eNummern\u201d in ihrem Ablauf, aber nicht die Technik ihrer manuellen Grundlage. Es ist bekannt, da\u00df bei parapsychologischen Kontrollproben gerade die Taschenspieler, die man f\u00fcr Entlarvungen von Pseudomedien herbeiholte, auch dort in gewissem Sinne berufliche Geheimnisse wahren mu\u00dften. Hinzu kommt, da\u00df die fortschreitende Spezialisierung im Artistentum den bekannteren Kapazit\u00e4ten bestimmte ,,K\u00fcmmern\u201d zuweist, die, in jahrelanger M\u00fche zur Vollendung gebracht, von den betreffenden oft als Geheimnis mit ins Grab genommen oder im Familienkreise vererbt werden, womit das Geheimnis geh\u00fctet bleibt. Man erfuhr, da\u00df in der Familie Bastelli \u2014 dem gegenw\u00e4rtig international bedeutendsten Jongleur \u2014 seit 240 Jahren (sieben Generationen, die z. B. auch vor Napoleon vorf\u00fchrten) diese Handt\u00e4tigkeit beruflich ausge\u00fcbt wird. Heute trainiert Bastelli t\u00e4glich nur noch f\u00fcnf Stunden; zu manchen Tellertricks usw. brauchte er acht Jahre Training, bis der Erfolg einwandfrei war. (Beispielsweise f\u00fcr das Jonglieren von acht Tellern, wobei nach Angabe von Bastelli das Hochschleudern der zwei letzten am schwersten f\u00e4llt, indessen die drei ersten der rechten Hand noch in der Luft sind.) Ein Ph\u00e4nomen wie Bastelli, bei dem vor allem auch die M\u00f6glichkeit unendlich langsamer, bremsender, unter Umkehrung der Hrehrichtung laufender B\u00e4lle usw. auff\u00e4llt, und ein unbegreifliches Zusammenarbeiten von H\u00e4nden, Mund, Kopf in allen Baumlagen, ist eine Ausnahme. Aber auch die artistische Handleistung anderer bedeutet f\u00fcr die Wissenschaft eine beachtenswerte Problemstellung, die leider noch gar nicht erkannt ist. In Deutschland besteht nur die gro\u00dfe Sammlung von Pro/. Kollmann, welche im Leipziger Psychologischen Institut inventarisiert wurde1). Wer jemals im engen Kreise von Taschenspielern \u2014 ohne erhebliche Vorbereitungen \u2014 bei hellstem Tageslicht in unmittelbarer N\u00e4he und innerhalb weniger Minuten vorgef\u00fchrt bekam, was in der Parapsychologie als Materialisationsph\u00e4nomen usw. bei Bot-beleuchtung und geduldigster Erwartung nebul\u00f6s erschien \u2014 etwa das schwebende Taschentuch, die sich senkende Briefwaage usw. \u2014, der wird nicht nur in verst\u00e4rktem Ma\u00dfe Skepsis gegen\u00fcber jenem Okkulismus gewinnen, sondern zugleich einsehen, warum die Arbeitshand des Artisten einer wissenschaftlichen Untersuchung w\u00fcrdig ist, die zugleich in das breitere Gebiet der Beobachtungspsychologie wie der Typenforschung von Mentalit\u00e4ten her\u00fcberleitet.\nx) Verfasser m\u00f6chte auch an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Kollmann sowie den Herren Frh. Dr. v. Sch\u00fcler, Bruno Lincke (Leipzig), Shelton f\u00fcr ihre liebensw\u00fcrdige Unterst\u00fctzung durch Materialnachweis wie Vorf\u00fchrungen herzlich danken.","page":946},{"file":"p0947.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n947\nMan mu\u00df scheiden die Illusionen, die Jongleurakte und die Manipulationen. Illusionisten arbeiten mit k\u00fcnstlichen Apparaten, welche in mannigfachster, oft sehr geistvoll erdachter Form Wahrnehmungst\u00e4uschungen erzielen lassen. Naturgem\u00e4\u00df geh\u00f6rt dieses Gebiet nicht zu unserem Thema1). Auch dort, wo der Apparat speziell die \u201eHand\u201d nachahmt \u2014 etwa in den Konstruktionen k\u00fcnstlicher Menschen und Automaten2), streift dies nur unser Gebiet.\nAnders liegt es mit Manipulationen und Jonglierakten, die man gelegentlich auch zusammengefa\u00dft Taschenspielkunst nennt, ob schon dies nicht richtig ist. Die Manipulationen sind etwas bekannter, da sie vielfach trick\u00e4hnlich arbeiten, w\u00e4hrend das Jonglieren, wie erw\u00e4hnt, auf jahrelangem Training beruht, im \u00fcbrigen aber verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig durchsichtiger ist und auch nicht nur allein gebunden ist an die Arbeitshand. Eine Psychologie der h\u00f6heren artistischen Fingerfertigkeit ist daher nur spurenhaft zu erschlie\u00dfen.\nNachstehend seien einige methodische Eichtlinien f\u00fcr diesen Sonderzweig angedeutet. Sie sind aus genanntem Grunde weder ersch\u00f6pfend noch systematisch, sondern nur als Illustrations -f\u00e4lle der M\u00f6glichkeiten gedacht.\n1. Prinzip des Geduldspieles.\nDas Geduldspiel gilt vor allem der Erziehung der Hand und Nervenruhe. Hierbei dienen methodisch entweder Kugeln, die auf glatten Fl\u00e4chen einer Schachtel usw. rollen, aber in Vertiefungen zu bringen sind, wobei dann bestimmte Lage der Kugeln zueinander, das Entstehen von fig\u00fcrlichen Anordnungen u. dgl. m. Bedingung bleibt.\nVielfach kann man auch mit Streichh\u00f6lzern \u00e4hnliches Geduld\u00fcben der Hand durchf\u00fchren3).\nHierbei werden unterschieden: a) Zusammensetzspiele aus Streichholzelementen.\nAus sechs Streichh\u00f6lzern werden kleine B\u00f6cke gebildet, die zusammengesetzt Br\u00fccken u. dgl. ergeben.\nStreichh\u00f6lzer werden schr\u00e4g und quer ineinander verflochten, um rechteckige, dreieckige Figuren zu gewinnen. (Anf\u00e4nger \u00fcben vor mit Zahnstochern und Streichh\u00f6lzern.)\n\u00df) Bewegungsspiele mit Streichh\u00f6lzern.\nDie erste Gruppe galt der Montage, diese der Euhe der Hand bei Zuf\u00fcgen von Elementen zu einem Ganzen oder bei Bewegungen mit kleinen Partikeln.\n1)\tYgl. Houdini: The unmasking of Kobert Houdin. 1908.\n2)\tVgl. A. Blind: Les Automates truqu\u00e9s. Gen\u00e8ve et Paris 1927.\n3)\tTromholt: Streichholzspiele. Leipzig 1917; Peters: Streichholzk\u00fcnste. M\u00fclhausen 1900.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n62","page":947},{"file":"p0948.txt","language":"de","ocr_de":"948\nFritz Giese\nol') 9 Streichh\u00f6lzer werden in einer Entfernung, die etwas kleiner als die L\u00e4nge eines Streichholzes ist, voneinander parallel gelegt. Darauf, zur Quadraterg\u00e4nzung, 2 weitere quer. Daran abermals dieselbe Figur, bis ein Prisma vierseitig entsteht.\nGleiches Verfahren f\u00fcr den Bau einer vierseitigen Pyramide. Falls auf Prisma errichtet, entsteht ein Turm usw. \u00c4hnlich kirchenartige Gebilde usw.\n\u00df') Gegeben sind auf dem Tisch 5 Streichh\u00f6lzer, horizontal parallel nacheinander. Nr. 1 proximal, 5 distal. Es soll ge\u00fcbt werden, Nr. 1 mit beiden Daumen, 2 mit Zeigefingern, 3 den Mittelfingern, 4 den Ringfingern, 5 den Kleinfingern aufzuheben. Zuletzt sollen alle 5 H\u00f6lzer zwischen gleichnamigen Fingern der H\u00e4nde gehalten sein. Hand vertikal am Schl\u00fcsse gestellt.\nErschwerung des Versuches durch Belastung jedes Fingerpaares mit mehr als einem Streichholz.\nDie im \u00fcbrigen verkommenden Vexierspiele, Scherzfragen oder behelfsm\u00e4\u00dfigen physikalischen Versuche mit Streichh\u00f6lzern rechnen nat\u00fcrlich nicht hierher. Sie alle erfordern zumeist hohes Handgeschick, zumal die physikalischen Proben, werden jedoch vielfach kombiniert mit Trickleistnngen oder Scheinaufgaben ( D \u00fcpierungsprinzip ).\nIn der angloamerikanischen Literatur volkst\u00fcmlichen Charakters werden Streichholzknnstst\u00fccke manueller Art in Verbindung mit Messer, Schere oder Papier und Pappe mannigfach erw\u00e4hnt. Selbstverst\u00e4ndlich gehen dann diese Aufgaben bereits \u00fcber in die Werkschnl- und Arbeitsschnlerziehnng, allerdings mit dem Unterschiede der artistisch bedingten Sonderleistung.\n2. Prinzip des Zauberkunstst\u00fcckes.\nDie in der Artistik der Hand vorkommenden Zauberkunstst\u00fccke pflegen selten rein manuell vorzugehen. Als Methode wird meist die Pr\u00e4paration der benutzten Gegenst\u00e4nde vorgezogen, in Formen, die dem Laien meist nicht durchsichtig sein k\u00f6nnen. Dazu kommen ausgesprochene Vexier- und D\u00fcpierverfahren, die naturgem\u00e4\u00df hier fortfallen m\u00fcssen. Als Proben der Zauberkunstst\u00fccke von Taschenspielern seien folgende aus der Menge ihresgleichen illustrativ genannt1):\na) Rein manuelle Darstellungsformen.\na') Kratzprinzip: \u201eSich bewegende M\u00fcnze\u201d.\nEin kleines Geldst\u00fcck wird auf die \u00fcber den Tiscb gebreitete Serviette gelegt. An den Seiten des Geldst\u00fcckes der L\u00e4nge nach ein Messer legen, \u00fcber das Geldst\u00fcck auf beide Messer einen Leuchter stellen. Kratzt man auf den Faden der Serviette, distalproximal, wird sich das Geldst\u00fcck unter dem Leuchter hervor n\u00e4hern.\n\u00df') Stechprinzip: ,,Brief in ein H\u00fchnerei bringen\u201d.\nBrief darf nur Breite des kleinen Fingers haben, kann aber lang sein. Mit Federmesser wird das Ei an einem Ende geritzt, der Papier streif en\nx) Pfeiffer: Buch der Kunstst\u00fccke. Berlin 1922; H. Porstes-Gonradi: Universum der Magie. Berlin; ferner ab 1900 Zeitschrift ,,Der Tausendk\u00fcnstler\u201d; Bellaehini: Zauberkabinet. Berlin und Wei\u00dfensee 1902; Willmann: Zauberwelt. 10 Bde. Hamburg; Moderne Wunder. Leipzig 1897; H\u00fcgli: Magische Miniaturen. Z\u00fcrich 1926.","page":948},{"file":"p0949.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\t949\nhindurchgeschoben, die \u00d6ffnung mit in Gummiwasser gel\u00f6schtem Kalk geschlossen.\t;\nY) Schnellen. ,,Geldst\u00fcck in Glas schnellen\u201d.\n\u00dcber Wein- oder Bierglas wird Karton gelegt, darauf die M\u00fcnze. Die Hand soll das Kartonblatt so an der Kante elastisch anschnellen, da\u00df das Kartonst\u00fcck davon, also die M\u00fcnze in das Glas fliegt.\n\u00df) Methoden mit Hilfsmitteln nicht manueller Form.\nc*\") Wachs als Hilfsmittel: \u201eGeld \u201caus Hand verschwinden lassen\u201d.\nAuf Nagel des Mittelfingers ist ein wenig Terpentinwachs angebracht, Geldst\u00fcck wird auf vorgehaltene, ausgestreckte Hand gelegt. Hand so geschlossen, da\u00df Mittelfinger mit Nagel auf Geldst\u00fcck trifft und an ihm kleben bleibt. Bei Hand\u00f6ffnung ist die M\u00fcnze dann \u201everschwunden\u201d.\n\u00df\") B\u00e4rlappsamen als Hilfsmittel: \u201eWasser in Taschentuch tragen\u201d.\nTaschentuch wird vorher mit B\u00e4rlappsamen eingerieben. In das gehaltene Taschentuch wird ein Glas Wasser gesch\u00fcttet. Der Inhalt kann so ohne Versch\u00fctten oder Durchsickern bei geschickter Hand bis in andere R\u00e4ume getragen werden.\nY') Abreiben als Hilfsmittel: \u201eN\u00e4hnadel schwimmen lassen\u201d.\nNadel wird trocken abgerieben und dann mit ruhiger Hand der ganzen L\u00e4nge nach vorsichtig auf die Oberfl\u00e4che einer gef\u00fcllten Wassersch\u00fcssel gelegt. Sie wird dort schwimmen bleiben.\ny) \u00dcbungsmethoden.\nDie Taschenspielerei benutzt bekanntlich auch Hilfsmittel, die komplizierteren Experimenten keine Durchsichtigkeit mehr verleihen sollen. Von fachm\u00e4nnischer Seite wird hierbei emsiges Schulen mit derartigen einfachen Hilfsmitteln gefordert, um die Hand v\u00f6llig einwandfrei und sicher arbeiten zu lassen. Der psychologische Grundcharakter der Hand ist dabei durch Tempo, Drehung, Handwechsel und Kleinstbewegungen dargestellt. Das \u201ePalmieren\u201d (s. u.) und das Tournieren erfa\u00dfter Gegenst\u00e4nde (Karten, aber auch Kugeln usw. !) geh\u00f6rt zu den h\u00f6heren Fertigkeiten der sogenannten \u201eMagischen Kunst\u201d bei Manipulationen.\nAls methodisches Beispiel sei kurz der \u201eBecherversuch\u201d erw\u00e4hnt1).\nGegeben sind drei Messingbecber, unten weit, konisch zulaufend. Jeder Becher hat unten doppelten Rand, so da\u00df, wenn man zwei Becher \u00fcbereinanderst\u00fclpt, noch ein leerer Raum zwischen beiden bleiben kann. Hier hinein sollen Kugeln, N\u00fcsse und andere kleine Gegenst\u00e4nde \u00fcbergewechselt werden (\u201echangieren\u201c). Becherbogen soll inwendig leichte W\u00f6lbung, wie bei Weinflaschen haben, damit die changierten Kugeln dort liegen bleiben k\u00f6nnen.\nAls Zusatz werden ferner muskatnu\u00dfgro\u00dfe, am Licht geschw\u00e4rzte Korkkugeln, mehrere gro\u00dfe B\u00e4lle aus Pappdeckeln gemacht, gef\u00fcllt mit Haar oder Wolle, um ger\u00e4uschlos und leicht zu bleiben.\nx) Bellachini Zauberkabinet. Berlin 1902; ferner Pfeiffer: Buch der Kunstst\u00fccke. Berlin 1922; Suhr: Gro\u00dfes Buch der Zauberkunst. Berlin 1903; Bosco Zauberkabinett. Leipzig 1849; Comte: Handbuch der Taschenspielerkunst. Quedlinburg 1834; Conradi: Der Zauberk\u00fcnstler auf der H\u00f6he der Kunst. Berlin 1908.\n62*","page":949},{"file":"p0950.txt","language":"de","ocr_de":"950\nFritz G-iese\n\u00dcbungsbeispiele f\u00fcr die Hand:\noc3) \u201eVerschwindenlassen der Kugel\u201d aus der Hand.\nSie wird mit Zeigefinger und Daumen in die Rechte genommen, auf Daumenkappe ruhend und mit Spitze des gekr\u00fcmmten Zeigefingers gehalten. Yorschieben des Daumens um ein weniges zum Handteller hinein, Loslassen der Kugel vom Zeigefinger. Leitung der Kugel mittels Daumen \u00fcber Mittelfinger. Einklemmen zwischen Gold- und Mittelfinger. Ebenso ,, Erscheinen-lassen der Kugel\u201d r\u00fcckw\u00e4rts.\nBeim Rollvorgang wird Handfl\u00e4che gegen Zuschauer gehalten oder angeblich auf einen Becher oder unter ihn \u201egelegt\u201d.\n\u00df3) Bei diesem \u201eLegevorgang\u201d wird die Linke etwas ge\u00f6ffnet, als ob man mit der rechten die Kugel hineintun wolle. In Wirklichkeit bleibt diese dauernd rechts, wird aber zwischen die Finger geschoben und von schnell geschlossener Rechten gehalten.\nY3) Beim \u201eHinbringen der Kugel unter einen der Becher\u201d mu\u00df bereits eine Kugel zwischen den Fingern rechts vorhanden sein. Dann wird der Becher am untersten Rande gehoben, um darzutun, da\u00df nichts unter ihm liegt. Beim Wiederniedersetzen desselben wird die Kugel losgelassen, die nun am Rande unter oben erw\u00e4hntem Becher zu liegen kommt. c3) Beim \u201eHineinbringen einer Kugel zwischen zwei Becher\u201d, wird eine Kugel im Becher verborgen ; Becher wird in Rechte genommen, in schr\u00e4ger Richtung \u00fcber Tisch gehalten, Kugel abgefangen, so da\u00df sie am Becherboden herablaufend auf den zweiten Becher gelangt, \u00fcber den der erste simultan rasch gest\u00fclpt wird.\n\u00a33) \u201eChangieren mit B\u00e4llen\u201d. Ball wird rechts in den Handteller gelegt. Hand zusammengedr\u00fcckt, so da\u00df Ball eingeklemmt ist. Becher wird mit derselben Hand gehoben, der Ball aber beim Niedersetzen schnell losgelassen und unter den Becher geschnellt.\nHerr Bruno LincTce (Leipzig) Latte die Freundlichkeit, mir\nfolgende Trainings angab en zu machen, welche sich im n\u00e4heren\nauf die dabei in Betracht stehenden Handfunktionen beziehen:\n\u201eDie Grundbedingung f\u00fcr die Manipulation beim Zaubern ist, da\u00df die Hand vollkommen durchtrainiert wird, d. h. man mu\u00df jeden einzelnen Finger f\u00fcr sich so in der Gewalt haben, da\u00df man selbigen bewegen kann, ohne die anderen Finger mit in Bewegung zu setzen, um auf diese Weise unauff\u00e4llig Gegenst\u00e4nde unter Deckung der Finger zu verbergen. Die Hauptt\u00e4tigkeit der Hand besteht jedoch darin, da\u00df m\u00e4h durch die s\u00e4mtlichen Muskeln im Handteller beliebige Gegenst\u00e4nde derma\u00dfen einklemmen (\u201epalmieren\u201d) bzw. halten kann, ohne da\u00df hierbei die Hand irgendwelche krampfhafte Stellung einnimmt, so da\u00df man bei Ansicht der Hand auf der R\u00fcckseite nicht bemerkt, da\u00df man in Wirklichkeit irgendwelche Gegenst\u00e4nde, wie Billardkugel, M\u00fcnzen, Karten, Blumen usw. h\u00e4lt. Damit man aber auch die Hand im geeigneten Moment von der Innenseite zeigen kann, mu\u00df man seine Finger derma\u00dfen in Gewalt haben, da\u00df man bei einer einfachen Handbewegung bzw. Drehung den Gegenstand pl\u00f6tzlich hinter den Fingern h\u00e4lt, was meist dadurch geschieht, da\u00df man mit Zeigefinger und kleinem Finger die Gegenst\u00e4nde unbemerkt auf dem Handr\u00fccken h\u00e4lt und Ringfinger sowie Mittelfinger als Deckung dient, so da\u00df man auf diese Weise auch die Innenseite der Hand vorzeigen kann und trotzdem die Gegenst\u00e4nde unbemerkt h\u00e4lt.\nEine weitere \u00dcbung ist auch das Werfen, indem man z. B. eine M\u00fcnze aus der rechten Hand in die linke Hand blitzschnell wirft ohne jedoch auf die Finger, zu sehen, sondern auf einen anderen Gegenstand eventuell im selben Moment die leer gewordene Hand nach oben h\u00e4lt und den Blick nach oben richtet, wodurch man die Aufmerksamkeit der Beobachter im geeigneten Moment auf einen anderen Punkt, in diesem Falle nach oben lenkt.\nTraining besteht darin, da\u00df man wirft, jongliert o. dgl. nur nach dem Gef\u00fchl, ohne auf den werfenden Gegenstand oder die Hand zu schauen, damit man bei den Zuschauern stets die Aufmerksamkeit auf einen anderen Gegenstand, auf den man schaut, ablenken kann. Hierin besteht die Hauptsache, also mit den H\u00e4nden zu arbeiten, ohne darauf zu schauen.\u201d","page":950},{"file":"p0951.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n951\nUnd jRondin sagt einmal1):\n\u201eBeim Zaubern k\u00f6nnen alle Finger als gleichwertig betrachtet werden mit R\u00fccksicht auf ihre Geschicklichkeit, wenn auch nicht in bezug auf Gestalt und St\u00e4rke, jeder hat seine Aufgabe zu erledigen und besitzt denselben Grad von W irkungsf \u00e4higkeit.\nVerschiedene Teile der Hand haben ihre speziellen Aufgaben. So ist es mit den als thenar und hypothenar bezeichneten Teilen m\u00f6glich, einen geheimen Griff auszuf\u00fchren, der als \u201epalmieren\u201d bekannt ist, und man m\u00f6chte es kaum glauben, da\u00df man mit Hilfe dieser beiden so harmlos aussehenden muskul\u00f6sen Teile mit einiger \u00dcbung ein neues Greiforgan von \u00e4u\u00dferster Feinheit und Sicherheit zur Ausbildung bringen kann.\u201d\nIn der Zeitlupenaufnahme2) sieht man, wie Karten beispielsweise zwischen den Fingern hindurch \u2014 w\u00e4hrend einer Handdrehung \u2014 von der Handinnenfl\u00e4che zum Handr\u00fccken durchbewegt werden. Ein Artist dr\u00fcckte es so aus, \u201eman mu\u00df lernen, mit beiden Seiten der Finger zu greifen\u201d. Betont wird, da\u00df derartige Hand\u00fcbungen tunlichst in der Kindheit begonnen werden sollten, um bestm\u00f6glichste Ergebnisse zu zeitigen.\nEs ist ersichtlich, da\u00df dergleichen \u00dcbungen eine ungeheure Geschicklichkeit der Hand in kleindimensionalen und kleindynamischen Fertigkeiten erwirken werden. Ein Sondergebiet der Handgeschicklichkeit sind die\n3. Arbeiten der Hand mit Spielkarten (sogenannte Kartenkunstst\u00fccke).\nDie Literatur \u00fcber die Kartenkunstst\u00fccke ist ziemlich gro\u00df, denn das spielerische Arbeiten mit Karten ist von je bei den Menschen beliebt gewesen.\nEs sollen im folgenden nicht Sonderaufgaben oder Tricks er-Av\u00e4hnt sein, sondern nur die Methoden, mit deren Hilfe der K\u00fcnstler seine Arbeitstechnik manuell vorzuschulen pflegt. Die Varianten der Aufgaben gehen dann ins Unendliche. Wir benutzen die Fachausdr\u00fccke der Artistenwelt.\na) Zweib\u00e4ndige Volte.\nAufgabe des sogenannten Volteschlagens ist es, eine oder mehrere Karten eines Spieles unvermerkt in die Mitte oder umgekehrt von der Mitte auf die Deckseiten des Kartenpaketes zu bekommen. Auch das Erscheinenlassen einer Karte als ,,unterste\u201d benutzt die Voltemethode. Sie umfa\u00dft folgende Positionen:\nI.\tKartenspiel in der Linken. Teilung desselben durch Zwischenschieben des Kleinfingers.\nII.\tHerauflegen der Rechten auf das Spiel. Erfassen des unteren Pakets mit Daumen und Mittelfinger derselben Hand.\nAm oberen Paketteil kleiner, Gold- und Mittelfinger der Linken; Zeigefinger inaktiv.\n1)\tB. Houdin: Aus Comment on devient sorcier. In Festgabe des \u201eMagischen Zirkels\u201d. M\u00fcnchen. 13. Hauptversammlung M\u00fcnchen.\n2)\tAufnahme UFA-Kulturfilm.","page":951},{"file":"p0952.txt","language":"de","ocr_de":"952\nFritz Giese\nIII. Das obere, links gehaltene Paket wird schnell und ger\u00e4uschlos unter das untere gebracht (Volte).\nEs wird \u00dcben vor dem Spiegel empfohlen, um jeden Wirknngsfelder zu beobachten.\nDie Weiterbehandlung des voltigierten Pakets kann ergeben:\nVereinigung der Teile zu nmgewechseltem Gesamtpaket;\nTrennung in zwei Pakete, links und rechts;\neinseitige Aufnahme rechts, aber Trennung durch Zeigefinger derselben ; Kreuzlage- der Teile;\nVereinigung in der Linken;\nLagerung der Teile mit den Bildseiten aufeinander.\nDie Praktiker lassen alle diese Varianten in bimanueller Volte \u00fcben.\n\u00df) Einh\u00e4ndige Volte.\nZun\u00e4chst wird stets links ge\u00fcbt. Es ist methodisch aber dasselbe mit der Rechten angeraten. F\u00fcr die Psychologie der Arbeit ist das Bevorzugen der Linken beim einh\u00e4ndigen Volteschlagen sehr interessant. Sie h\u00e4ngt mit dem Tatbestand zusammen, da\u00df das Publikum die arbeitende Rechte an sich sch\u00e4rfer zu beobachten pflegt.\nFig. 169. Funktionsbild bei der einh\u00e4ndigen Volte, Position II, III, IV.\nBemerkenswert ist, da\u00df einh\u00e4ndiges Volteschlagen schon bereits als bessere artistische Leistung gilt.\nPositionsfolgen :\nI.\tAufgreifen des Spieles mit der Linken, Teilung durch Kleinfinger zwischen -schieben in zwei H\u00e4lften.\n(Sollen hierbei eingesammelte Karten zur Verwendung kommen, wird das Spiel f\u00e4cherf\u00f6rmig in der Linken gehalten und das Publikum gebeten, gezogene Karten an beliebiger Stelle in dieses Spiel zur\u00fcckstecken zu wollen. Der Kleinfinger h\u00e4lt dann diese Karte sofort fest und die Volte wird einh\u00e4ndig sogleich geschlagen.)\nII.\tEinklemmen des oberen P\u00e4ckchens zwischen unterem Daumengelenk und Zeigefingerwurzel. Unterer Paketteil ruht auf Vorderteilen des Mittel-, Ring-und Kleinfingers; Fingerspitzen kantw\u00e4rts umgebogen. Zeigefinger bleibt zum Schnellsto\u00df umgebogen gegen Kartenbild.\nIII.\tUnver\u00e4ndertes Festhalten der Fingerspitzen von Mittel-, Ring- und Kleinfinger. Keine Verschiebung der oberen Karte. Gegendr\u00fccken des Zeigefingers gegen Unterkarte, so da\u00df Unterteil vorgedr\u00e4ngt ist und dessen Karten umgedreht sind.\nIV.\tL\u00fcftung des Daumens, Umschlagung des unteren Teiles, Zur\u00fcckbringen aufs Spiel.\nDiese Voltenform steigert sich noch erneut bei Artisten, wenn die Fingerfertigkeit folgendes erm\u00f6glicht:","page":952},{"file":"p0953.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n953\nHalten des Spieles rechts mit Daumen und Zeigefinger an zwei Ecken der L\u00e4ngsseiten; Einschieben des Ringfingers zur Spieltrennung. Klein- und Mittelfinger wird gegen R\u00fccken des hinteren, dem Handteller zugekehrten Kartenst\u00fcckes gelegt. Durch Ausstrecken des Ring-, Mittel- und Kleinfingers und unter Festhalten mit jenen wird letzterw\u00e4hntes auf die Vorderseite des Spieles gebracht.\ny) Filieren der Karten.\nUnvermerktes Changieren eines oder mehrerer Kartenbl\u00e4tter:\nSpiel wird links gehalten, Verschiebung der obersten Karte durch Daumen seitlich nach rechts. Alle anderen Finger sind frei zu lassen. Die zu vertauschende Karte wird rechts zwischen Zeige- und Mittelfinger gehalten. Vereinigung der H\u00e4nde zwanglos, wobei ungeheuer schnell Rechtskarte von den linken Fingern erfa\u00dft und unter das Spiel gemengt wird, w\u00e4hrend die Rechte die seitlich verschobene, vom linken Daumen gehaltene Karte erfa\u00dft. Die Arbeitsleistung wird durch Spielsenkung nach unten erleichtert.\nDie Fingerfertigkeit l\u00e4\u00dft dasselbe auch mit mehreren Karten zu. Eine methodische Abart ist die Chicagomethode, deren Beschreibung wir aber fort-lassen1).\nAls Abart des Filierens ist das Schleifen zu erw\u00e4hnen, wobei ein vorher gezeigtes Kartenblatt mit dem n\u00e4chstfolgenden des Spieles bei der Operation verwechselt wird, ohne da\u00df der Zuschauer es merkt.\n8) Forcieren der Karten.\nDie Kenner betonen, da\u00df das Forcieren nicht von blo\u00dfer \u00dcbnng wie die Yolte abh\u00e4nge, sondern da\u00df die arbeitende Hand dabei eine gewisse individuelle Begabnng in sich tragen m\u00fcsse, wenn der Effekt einwandfrei zustande komme. In Anwendung gelangt in gewissem Sinne das Marbesehe Prinzip von der Gleichf\u00f6rmigkeit des psychischen Geschehens1).\nDie Hand verf\u00e4hrt wie folgt:\nEin Spiel Karten wird von dritter Seite gemischt, bei der R\u00fcckgabe l\u00e4\u00dft der Artist die unterste Karte desselben, nach blitzschneller Besichtigung, mittels A^olte in die Mitte des Spieles kommen. Dort bleibt der kleine Finger im Spiel ruhen. Alsdann werden die Karten horizontal f\u00e4cherf\u00f6rmig ausgebreitet, und zwar so, da\u00df jene Karte \u2014 ein klein wenig vorgerutscht mit der Kante \u2014 verdeckt wie die anderen auf Mitte des F\u00e4cherbogens zu liegen kommt. Suggestible Personen ziehen dann sofort diese k\u00fcnstlich dorthin gebrachte Karte. Die Sonderbewegungen bei Versagen dieses, dem Marbe sehen Prinzip entsprechenden Tricks durch nichtsuggestible Personen wollen wir hier au\u00dfer acht lassen.\ns) Eskamotieren.\nDie Methode bewirkt, da\u00df man ein oder mehrere Karten aus dem Spiel unvermerkt entfernt und in der rechten oder linken Hohlhand verbirgt. Nachher werden diese Sonderkarten durch Auflegen dem Spiel wieder beigegeben.\nManuell wird so verfahren:\nSpiel in der Linken, Daumen auf R\u00fcckseite, Kleinfinger zwischen Spiel und zu eskamotierender Karte. Die anderen Finger umfassen leicht das Spiel. Die Rechte greift \u00fcber den R\u00fccken des Spieles, stemmt den Daumen fest gegen die untere Schmalseite und zieht so die Karten zur\u00fcck, wobei das Spiel zugleich mit den \u00fcbrigen Karten zur\u00fcckgebogen wird. Beim Loslassen schnarren diese\nx) F. W. Conradi: Der moderne Kartenk\u00fcnstler. Dresden 1897; Qerieke: 70 Kartenkunstst\u00fccke. Berlin 1921; Toskana: Mysterien des Kartenspieles. Berlin 1900; H. Hermann: Geheimnisse der Falschspieler. Berlin 1919.\n2) Marbe: Die Gleichf\u00f6rmigkeit in der Welt. Leipzig 1916\u20141919.","page":953},{"file":"p0954.txt","language":"de","ocr_de":"954\nFritz Giese\nvernehmlich in die alte Lage zur\u00fcck. In diesem Augenblick dr\u00fcckt der Kleinfinger der Linken die zu eskamotierende Karte in die hohle Rechte, worauf sie aufgelegt oder, der Abmachung entsprechend, anders beigef\u00fcgt werden kann.\nZ) Kartenauflegen.\nDient dazu, vorher in der Rechten verborgene Karten wieder beizuf\u00fcgen. Haltung wie beim Eskamotieren.\n7]) Abz\u00e4hlen von Karten.\nUmgekehrtes Legen der Karten auf die untere Bildseite des Restes in einer Hand. Es werden die ersten Karten langsam abgez\u00e4hlt, bis die betreffende Wahlkarte kommen mu\u00df. W\u00e4hrend die vorletzte hingelegt wird, ist das Spiel rasch umzudrehen, so da\u00df der Zuschauer die gew\u00e4hlte Karte selbst abnehmen kann.\nfi) Kolorieren von Karten.\nVer\u00e4ndern einer als unterste Karte gezeigten in eine andere; durch. \u00dcber-streichen mit der Rechten.\nZusammenarbeit der H\u00e4nde wie folgt:\nLinks: Daumen an der linken L\u00e4ngsseite des mit Bildseite nach vorn gedrehten Spieles. Die \u00fcbrigen Finger an rechter L\u00e4ngsseite.\nRechts: Ausgestreckt \u00fcber Spiel streichend, wobei mit Daumen gegen Spielr\u00fcckseite gedr\u00fcckt wird. Dies R\u00fcckblatt wird dabei abgezogen und in rechter Hohlhand verborgen. Streicht nun die Rechte das Spiel von oben nach unten, wird im Augenblick die Hohlhandkarte daraufgelegt, worauf oberste Karte ver\u00e4ndert ist.\ni) Kartentausch im Simultanakt (The american strong\ntrie k).\nEine Karte A liegt mit oberer rechter, leicht aufgebogener Kante auf dem Tisch. Sie soll mit B unmittelbar vertauscht werden.\nLinke Hand: ohne Aktion.\nRechts: B wird, Bildseite nach unten, in die Rechte genommen und in der Mitte der rechten L\u00e4ngsseite mit Zeige- und Mittelfinger horizontal gehalten, Zeigefinger auf R\u00fccken der Karte. Man schiebt sie unter 45\u00b0 gegen die erhobene Kante von A mit der nicht gehaltenen L\u00e4ngsseite; angeblich, um A umzuschaufeln, ohne da\u00df Hand sie ber\u00fchrt. Ist so B zur H\u00e4lfte unter A geschoben, legt man den Daumen leicht auf A und zieht A zur Rechten heran. Gleichzeitig wird B vom Mittelfinger umgeworfen, so da\u00df Bildseite nach oben kommt, und A ersetzt ; A wird erfa\u00dft mit Daumen und Zeigefinger; Bild nach unten.\nx) Kartenabziehen.\nHierbei wird, oberste und unterste Karte vertauscht oder eine Karte aus der Spielmitte entfernt und als unterste erscheinend gemacht.\nHandhaltungen:\nLinks: Spiel ruht mit Bildseite nach oben, wie bei bimanueller Volte Position I.\nRechts: Haltung wie bei der bimanuellen Volte II, wobei aber das Spiel nach oben gebogen wird; dadurch ist eine Spannung erzielt. Au\u00dferdem wird mit Mittel- und Ringfinger der Linken auf den Spielr\u00fccken gedr\u00fcckt, das zugleich mit der Daumenwurzel gehalten ist. Die oberste Kante des Spieles ist mithin frei. Wird das Spiel jetzt rechts durchgebogen, so dr\u00fccken Mittel- und Ringfinger der Linken auf die Oberkante, wodurch die erste Karte des Spieles abgezogen und mit jenen Fingern \u00fcber die rechte L\u00e4ngsseite des Spieles gebracht werden kann. Sie wird so die unterste des Spieles. Nachlassen des Druckes, Fortnehmen","page":954},{"file":"p0955.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\t955\nder Reckten vom Spiel, das in fr\u00fchere Lage zur\u00fcckschnellt. Gleichzeitig werden alle linken Finger wieder aufs Spiel gebracht.\nLiegt die Karte in der Spielmitte, mu\u00df die Rechte dasselbe dort etwas l\u00fcften.\nX) Kartenumschlagen.\nGew\u00e4hlte Karte soll oberste Spielkarte werden und zugleich verkehrt herum gelagert sein.\nGezogene Karte wird nach R\u00fcckgabe in Volte gebracht. Sie liegt dann auf Spielr\u00fccken. Spiel in der Linken, wird momentan mit der Rechten verdeckt,, wobei oberste, d. h. gezogene Karte mit dem linken Daumen ein wenig nach rechts verschoben wird. Der kleine Finger greift rechts mit der Spitze unter die obere rechte Kante des verschobenen St\u00fcckes. Mittelfinger linke obere Kante, daneben Zeigefinger; linke untere Kante der Karte Daumen; Ringfinger h\u00e4lt links au\u00dfenkantig das Spiel. Darauf Fallenlassen des Spieles aus 35 cm H\u00f6he, wobei bei durch Luftdruck die lateral verschobene Karte umgedreht und mit Bildseite aufw\u00e4rts oberst zu liegen kommt!\nP-) Carte \u00e9chapp\u00e9e.\nSoll bewirken, da\u00df eine Karte in Spielmitte von anderer Karte unvermerkt bedeckt wird, so da\u00df diese als die erstgenannte in Verwechslung gilt. Hierbei wird die gezogene Karte auf den Spielteil in der Linken gelegt, w\u00e4hrend das andere Spielst\u00fcck unter einem Winkel von 45\u00b0 auf das linke Teilst\u00fcck gelegt ist. Mit den linken Fingern wird sofort die R\u00fcckkarte des rechten Teiles auf den link\u00e7n Spielteil gebracht und der Spielteil dann rechts auf dem Tisch abgelegt.\n3. Muskelf\u00fchlen und unvermerTcte Zeichengebung.\nEine besondere Anwendung fand die Gelenk- und Tast-wahrnehmung der artistischen Arbeitshand in den aufsehenerregenden psendotelepathisehen Versuchen Cumberlands, seit dem bis heute die meisten Artisten manuell scheinbare Gedanken\u00fcbertragung \u00f6ffentlich yorf\u00fchren1).\nHierbei pflegt mit absichtlich beschleunigtem Darbietungstempo \u2014 das dazu dienen soll, die unwillk\u00fcrlichen Mitbewegungen (s. o.) der Versuchsperson wachzurufen \u2014 der Darsteller Bewegungen im Raum, Saal usw. auszuf\u00fchren, um versteckte Gegenst\u00e4nde, Tascheninhalte u. dgl. m., an die die Versuchsperson st\u00e4rk denken mu\u00df und die ohne sein Zutun von der Gruppe als vereinbartes Suchziel gelten, aufzufinden. Er f\u00fchrt scheinbar die Versuchsperson selbst am Arm, der Hand, der Schulter oder sonstwie. Manchmal werden Hand des Versuchsleiters und der Versuchsperson mit Stab oder Kette verbunden. Immer ist der Versuchsleiter darauf eingestellt, unvermerkte Richtungszeichen (Verz\u00f6gerungen, Zeitimpulse) durch diesen Kontakt abzufangen und bei hochentwickeltem artistischen Gelenkgef\u00fchl der Arbeitshand auszuwerten, um das Ziel zu erreichen. Ebenso wird das manuelle Kontaktverfahren benutzt, um Zahlen, Buchstaben, Worte, die aus an die Tafel geschriebenen Werten zu finden sind oder aus\n1) N.N.: Mr. Stuart Cumberland. Leipzig 1884; Conradi: Gedankenlesen. Berlin 1922; Kollmann: Taschenspiel und Okkultismus. Zeitsehr. f. Okk. 1925.","page":955},{"file":"p0956.txt","language":"de","ocr_de":"956\nFritz Giese\nZetteln manuell entdeckbar w\u00e4ren, kombinatorisch zu ermitteln. Es versteht sich von selbst, da\u00df auch die aus den Pfungstschen Pferdebeobachtungen1) her bekanntgewordenen sonstigen mimischen Mitbewegungen der Versuchsperson und der Zuschauer den ge\u00fcbten Artisten auf das richtige Ziel lenken. Wo er aber etwa mit verbundenen oder geschlossenen Augen arbeitet, tritt das manuelle Wahrnehmen von Pichtungskonstanten irgendwelcher Form in erster Linie in den Vordergrund.\nVichts zu tun hat diese Form der Kontakttelepathie oder das scheinbare Gedankenlesen nat\u00fcrlich mit solchen Verfahren, die teils suggestive, teils hypnotische oder andere Methoden benutzen, um Bewu\u00dftseinsinhalte von einem Agenten auf einen Perzipienten unmittelbar zu \u00fcbertragen2).\nAnschlie\u00dfen an jene Formen der Artistik k\u00f6nnte man hier alle Spiele rein manueller Art ohne sportlichen Charakter, wie sie auch von Laien vielfach ge\u00fcbt werden. Sie beruhen dann auf spezialisierter, den Pegeln des ,,Spiels\u201d entsprechender Handgeschicklichkeit. Wir w\u00e4hlen zur Illustrierung dieser M\u00f6glichkeit wiederum nur einen Fall:\n4. Billardspiel.\nEine interessante und von der mechanischen Seite her besonders zug\u00e4ngliche Form artistischer Arbeitshandt\u00e4tigkeit ist das Billardspiel. Auf die physikalischen Bedingungen wird nat\u00fcrlich hier nicht eingegangen. Es kann nur fesseln, die Handhaltungen beim Sto\u00df einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Hierbei ist zu vermerken, da\u00df diese artistische Arbeitshand als Dominanz-funktion zweifellos das Auge mit kombinierender Intelligenz-kalkulation benutzt, da die Bahnbewegungen der drei Kugeln (die spieltechnisch zu neuer Position zu f\u00fchren w\u00e4ren) optisch-gestaltliclr zu beobachten und intellektuell vorzusch\u00e4tzen sind. Der Gestaltauffassung und der Kalkulation pa\u00dft sich erst das Ausma\u00df der bimanuellen Handarbeit an3).\nHierbei hat die Linke eine verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig gleichf\u00f6rmige Aufgabe. Sie bildet den Bock f\u00fcr das zu f\u00fchrende Queue4).\nFreilich pa\u00dft sich die Stellung des Bockes auf dem Billardbande der jeweiligen Sto\u00dfform an. Stets wird die Linke fest auf Billardplatte oder Bande auf gedr\u00fcckt.\nx) B jungst: Das Pferd des Herrn von Osten. Leipzig 1907.\n2)\tHierzu Des soir : Der Okkultismus in Urkunden. 2.; B\u00e4rwald: Die intellektuellen Ph\u00e4nomene. Berlin 1925; Lehmann: Aberglaube und Zauberei. Stuttgart 1925 und die gro\u00dfe parapsvchologisehe Literatur bei Bichel: Grundri\u00df der Parapsychologie. Stuttgart 1924.\n3)\tSchram: Billardspiel als Problem der Mechanik. Wien 1866.\n4)\tWoerz: Billardbuch. Berlin 1925.","page":956},{"file":"p0957.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n957\nDie Rechte umfa\u00dft mit Daumen und Zeigefinger das Queue locker; au\u00dfer bei sogenannten Kopfst\u00f6\u00dfen werden die \u00fcbrigen Finger leicht an den Stab angelegt. Die Zusammenarbeit mit der optischen Wahrnehmung bedingt ein zielgerechtes Queuehalten, ja ein absch\u00e4tzendes Visieren, um die Verl\u00e4ngerung der Queueachse und den zu treffenden Kugelpunkt auf eine Linie zu bringen. Diese Visier\u00fcbungen gelten als besonders wichtig f\u00fcr das Training der Arbeitshand des Billardspielers. Ferner wird bei der T\u00e4tigkeit das Probeschwingen des Queues einige Male vor dem eigentlichen Sto\u00df empfohlen, um bei in Richtung der L\u00e4ngsachse\nFig^ 170. Bockstellung f\u00fcr'das Queue.\nschwingendem Stab die Queuerichtung zu kontrollieren und die Sto\u00df Sicherheit der Wahrnehmung zug\u00e4nglicher zu machen. Hierbei wird optisch das Vor- und Zur\u00fcckweichen der Queuespitze verfolgt. Das Angreifen des Queues erfolgt je nach Stellung der Linken ober- oder unterhalb des Stockschwerpunktes. Da die Linke den Bock etwa 15 bis 18 cm vom Spielball entfernt bildet, diese Distanz bei starken St\u00f6\u00dfen vergr\u00f6\u00dfert, bei schwachen verkleinert, so mu\u00df eine balancierende Mitbewegung der Rechten vorausgesetzt sein. Auch bei starkem Sto\u00df wird allenfalls nur der Oberarm, bei keinem Sto\u00df die Schulter mitbenutzt. Das Kraftma\u00df der Arbeitshand richtet sich nach der optischen Kalkulation. Sie \u00abergibt sich aus den Billardl\u00e4ngen, die je nach Position der B\u00e4lle","page":957},{"file":"p0958.txt","language":"de","ocr_de":"958\nFritz G-iese\nzueinander die Sto\u00dfkraft f\u00fcr eine nnd mehr L\u00e4ngen ben\u00f6tigt. Bekanntlich ist dabei mit dem normalen Billardausma\u00df 2-20 mal 1-10 m (oder international 3*05 mal 1-525 m) zu rechnen. Die Impulsgebung der Arbeitshand hat so abgestuft zu erfolgen, da\u00df Ballvereinigung oder Karambolage wie erstrebt erzielt wird. Jeder zu starke Sto\u00df ergibt falsche Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnisse oder gar ein Versprengen der B\u00e4lle, also ein Hinausfallen aus der Bande. Jeder zu schwache Sto\u00df erm\u00f6glicht das Erzielen der erstrebten Sto\u00dffiguren ebensowenig. Das Sto\u00dfen der Bechten mit dem Queue\nwird ferner gestaffelt nach der Sto\u00dfdurchf\u00fchrung. Einfaches Absto\u00dfen liegt vor, wenn die Queuespitze auf den Sto\u00dfpunkt am Ball einfach vorgeschnellt wird (wobei das Probeschwingen vorweg gegeben sein kann). Langes Absto\u00dfen liegt vor, wenn die Queuespitze bis zu zwei Balldurchmessern noch nachfolgt, wodurch eine Botation des Balles abbremsbar ist, seitliche Drehungen des Balles also auf gehalten sind, so da\u00df die Bichtungsgebung des Sto\u00dfes noch pr\u00e4ziser wird. Kurzes Absto\u00dfen liegt vor, wenn die Stabspitze maximal noch bis zu einem halben Balldurchmesser mitgef\u00fchrt, dann aber sofort ruckweise zur\u00fcckgeschnellt wird. Dieser Sto\u00df hindert Botation gar nicht und ist, da unabh\u00e4ngiger von der Beibung des Stockes in der Bocklinken, am","page":958},{"file":"p0959.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n959\nfreiesten in der Richtungskonstanz. Bock und Queue sollen nach dem Sto\u00df in Ruheposition noch etwas liegenbleiben. Die Hand geht mithin auf die Ausgangsstellung stets zur\u00fcck.\nInternational sind Balldurchmesser von 60 bis 62 mm \u00fcblich. Ein Ball ist wei\u00df, der zweite mit einem Punkt versehen, der dritte rot.\nDie K\u00f6rperhaltung beim Spiel erfordert leichte Rechtsdrehung, so da\u00df man \u00fcber den sogenannten Spielball hinweg zum Treffpunkt sehen kann. Durch Spreizen der Beine, Ausw\u00e4rtsstellen der Fu\u00dfspitzen, Ruhenlassen des K\u00f6rpergewichtes auf vorgestrecktem linken Fu\u00df und Durchdr\u00fccken der Knie wird die Funktion der hier sehr pr\u00e4zise arbeitenden Hand unterst\u00fctzt.\nWie bei dieser spielerischen Form der Handt\u00e4tigkeit als Dominanzfunktion mathematische Denkoperation, bisweilen auch wieder rein optische Wahrnehmungen vorherrschen k\u00f6nnen, wie diesem vorangehenden Kalk\u00fcl erst die Anpassung der Handdynamik folgt, ersieht man aus gel\u00e4ufigen Beispielen der Ballkonstellationen. Die F\u00fclle dieser Konstellationen kann manuell betrachtet nach direkten und indirekten St\u00f6\u00dfen gruppiert werden, da hierbei das Wesen der Sto\u00dffiguren am ehesten gefa\u00dft wird. Bisweilen wird auch nach Art der Treffpunkte oder der Sto\u00dfarten gegliedert.\nHierbei werden St\u00f6\u00dfe gesondert, die im gro\u00dfen und ganzen auf halbem bis viertel Volltreffen des zweiten Balles beruhen. Ferner wird der \u201eSchnitt\u201d als Sto\u00dfmethode genannt, bei dem der Spielball den Ball 2 feiner als mit einem Viertel voll trifft. Beispielsweise kommt der Schnitt beim Spielen in der Ecke des Billards in Betracht. Der Nachl\u00e4ufer ist eine Sto\u00dfform, bei der der Ball 1 in vorl\u00e4ufiger Drehung Ball 2 mehr als halbvoll trifft, so da\u00df der erstere dem zweiten nachzulaufen strebt. Meist wird durch Hochsto\u00df diese Variante erzielt. Gegenst\u00fcck dazu ist als Sto\u00dfart der B\u00fcckl\u00e4ufer. Hierbei wird durch Tiefsto\u00df der Spielball nach Zusammentreffen mit dem zweiten Ball um mehr als 90\u00b0 aus der urspr\u00fcnglichen Richtung abgelenkt. Ist der Abweichungswinkel bei Tief sto\u00df geringer als 90\u00b0, so spricht man von \u201eZiehern\u201d. Der Spielball wird hierbei weniger tief gesto\u00dfen, der Treffpunkt am zweiten Ball liegt seitlicher. Kopfst\u00f6\u00dfe hei\u00dfen solche, bei denen in einer Neigung zu mindestens 45\u00b0 zur Billardtafel der Sto\u00df auf die obere H\u00e4lfte des Spielballes trifft. Das Queue wird hier von der erhobenen Rechten schr\u00e4g von oben balanciert. Die Sonderformen der Begegnungsst\u00f6\u00dfe und der Kontrast\u00f6\u00dfe seien nur dem Namen nach erw\u00e4hnt. Um einen Einblick in die optisch-mathematisch-manuelle Zusammenarbeit zu bieten, sei eine Anf\u00e4nger\u00fcbung kurz erl\u00e4utert.\nBezeichnet man den Ball mit Queue als Spielball, den roten Ball schraffiert, den Ball mit Punkt als zweiten, so ist die Bahnlinie von Nr. 1 ausgezogen, von Nr. 2 punktiert, von Nr. 3 strichpunktiert eingetragen. Ein Sammelkreis gibt die Vereinigungsposition der B\u00e4lle nach erfolgtem Queuesto\u00df an. Das Balltreffen wird durch feinpunktierte Mittelpunktlinien der B\u00e4lle 1 und 2 veranschaulicht. Die Figur d\u00fcrfte an diesem sehr einfachen Fall das Prinzip des Vorganges offenbaren. In vorliegender Position empfiehlt als beste \u2022 Kalkulation Woerz Linkstreffen von Nr. 2 zu einem Drittel. Der Spielball wird dabei mit ziemlich tiefem Rechtseffet, der kurzen Sto\u00df (damit Nr. 2 nicht zuviel Laufkraft gewinnt!) verb\u00fcrgt, ber\u00fchrt. Rechtseffet empfiehlt Woerz, a) da\u00df der Spielball, falls er imSammel-kreis nicht zu direkter Karambolage k\u00e4me, durch die lange Bande aus zur Karambolage gebracht w\u00fcrde; b) um Ball 2 Linkseffet zu bieten, da dieser erst von der langen, dann der kurzen Bande abschlagen mu\u00df, um zur Sammelstelle zu gelangen.","page":959},{"file":"p0960.txt","language":"de","ocr_de":"960\nFritz Griese\nDie F\u00fclle der \u00dcberlegungen d\u00fcrfte dieser Fall bereits hinreichend andeuten, um die Eigenart der Dominanzfunktion beim Billard gen\u00fcgend zu kennzeichnen.\na\tb\tc\nFig. 172. Seitlicher Zieher.\nManuell unendlich gr\u00f6ber als Billard ist das alte Kegelspiel1). Ihm reihen sich \u00e4hnliche Formen volkst\u00fcmlicher Wurf-, Fang-und Greif spiele an (vgl. Sport).\n0 Mothe: Kegelspiel. Zeitz 1879.","page":960},{"file":"p0961.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n961\nb) Die Instrumentenhand.\nF\u00fcr die wissenschaftliche Forschung au\u00dferordentlich wichtig werden ferner alle Methoden, die sich auf die Hand des Instrumentalk\u00fcnstlers beziehen. Auch hier \u2014 mu\u00df man hinzuf\u00fcgen \u2014 hat die allgemeine psychologische Behandlung noch keinesfalls den Baum eingenommen, der dem Gegenst\u00e4nde geb\u00fchrt. Meist findet man in der Literatur oder Praxis daher eine F\u00fclle von mehr oder minder ungesicherten Praktikeranschauungen. Aus der F\u00fclle der Ver\u00f6ffentlichungen wird nachstehend nur ein Bruchteil ber\u00fccksichtigt. Ausgew\u00e4hlt werden als Gegenstand Verweisungen auf die Arbeitshand bei der virtuosen Behandlung von Tasteninstrumenten,. Blas- und Schlagzeug sowie den Streich Werkzeugen1).\n1. Tasteninstrumente.\nIm Vordergrund stehen Verfahren und Untersuchungen, die der sogenannten Klavierhand gelten.\nDas Problem der Klavierhand ist methodisch zweiteilig angegriffen worden. Einerseits hat man sich bem\u00fcht, die psychophysischen Grundlagen der Klavierhand selbst ausfindig zu machen * andrerseits erstrebte man die Gewinnung einer rationellen Klavierhandtechnik. F\u00fcr beides seien in sehr knapper Auswahl Beispiele herangezogen.\na) Grundlagen der Klavierhanderforschung.\nDie Grundlagen der Klavierhandforschung wenden sich meist zwei Problemen zu: der Handhaltung nebst zugeh\u00f6riger Dynamik und dem Fingersatz, also der Bewegungsabfolge der Einzelfinger beim Spiel. Diese Abfolge ist ja nicht unmittelbar mit der Kotenfolge identisch, da wir bei der Anschlaggebung mit Zwischenbewegungen der Finger auf der Klaviatur zu rechnen haben.\nEs versteht sich von selbst, da\u00df methodologisch das Interesse an der Technik erheblicher war, als an der objektiven Darstellung der Vorg\u00e4nge. Hinsichtlich der letzteren kann man trennen nach den M\u00f6glichkeiten :\na') Feststellung der Mechanik auf physiologischer Grundlage;, \u00df') Untersuchungen der Psychophysik der Klavierhand; y') allgemeine Klavierhandbeschreibung; $') Darstellung der komplexen Vorg\u00e4nge beim Klavierspiel. F\u00fcr jede Variante sei eine Probe geboten.\na') Feststellung der 'physiologischen Mechanik.\nHierf\u00fcr kann die Darstellung Ritschls2) herangezogen werden. Seine Studien sind kennzeichnend aus zweierlei Gr\u00fcnden: einmal\nx) Vgl. auch P. Bicher: Physiologie artistique. Paris 1895.\n2) Bitschi: Anschlagsbewegungen beim Klavierspiel. Berlin 1911.","page":961},{"file":"p0962.txt","language":"de","ocr_de":"962\nFritz Giese\nvergleicht er den Anschlags eff ekt unmittelbar mit Druckbewegungen oder Spielbelastungen durch die aus\u00fcbende Hand auf die Tasten, geht er also elementar-zerlegend vor, um die Sachlage zu pr\u00fcfen. Zweitens \u2014 und das ist wichtiger \u2014 benutzt er aus der Pathologie der Hand Erkenntnisse, um die Zusammenh\u00e4nge zu bestimmen.\nEs entspricht der Grundeinstellung Ritschts, da\u00df er mit Hilfe eines Spielapparates die vorliegenden Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnisse, insbesondere die Beteiligung auch der einzelnen Muskeln bei irgendeiner Anschlagsfigur, darstellen und untersuchen will.\nDer Apparat l\u00e4\u00dft sich beliebig in Teilen anwenden, mit Gewichten belasten, mit Gewichtsz\u00fcgen versehen, so da\u00df auch Vorg\u00e4nge, wie das Legato bei Vorderarmrollung oder auch Abstufungen der Spielbelastung sich vorf\u00fchren lassen. Kenn-\nFig. 173. Spielapparat nach Bitschi.\nzeichnend f\u00fcr den methodischen Grundgedanken ist immer die Ableitung eines, aus dem Zusammenhang gerissenen, also beispielsweise dem Gedanken der Phrasierung, des Gesamtimpulses u. a. m. nicht mehr Eechnung tragenden, isolierten Falles.\nKeben der Aufl\u00f6sung aller Anschlagarten durch mechanische Modelle wird die Wirkungsweise der pathologischen Klavierhand-orscheinungen, insbesondere des Klavierspielfingerkrampfes, der Gelenkerkrankung, des Ganglion (\u00dcberbeinerscheinung), der Sehnenscheidenentz\u00fcndung als Muster anomaler mechanischer Spielverh\u00e4ltnisse mit verwendet.\n\u00df') Psychophysik der Klavierhand.\nWar die physiologische Mechanik bereits ein Fall, der unser Gebiet nicht mehr ber\u00fchrt, so ist die \u00e4hnlich elementar-isoliert","page":962},{"file":"p0963table7.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n963\nvorgehende Psychophysik des Klavier Spieles, wie sie beispielsweise Ja\u00ebll1) ansgebildet hat, f\u00fcr die Psychologie der Hand von wesentlicherem Interesse. Ja\u00ebll hat in folgender Methodik den Anschlag beim Klavierspiel psychologisch zu kennzeichnen gesncht :\n<x2) Benutzung des Chronometers nach d\u2019Arsonval.\nDiese Methode dient zugleich der objektspsychotechnischen Eichung verschiedener \u00dcbungsschulen. Ja\u00ebll verweist darauf, da\u00df er gelegentlich \u2014 infolge einer wohl unzweckm\u00e4\u00dfigen \u00dcbungs-technik \u2014 am Chronometer eines Anf\u00e4ngers bessere Beaktions-zeiten fand als beim Ge\u00fcbten.\nGrunds\u00e4tzlich mu\u00df die Versuchsperson so schnell als m\u00f6glich zehn auf Signal erfolgende Bewegungen des rechten Zeigefingers ausf\u00fchren.\nTABELLE 7.\nVergleichst) eispiele\t\tHundertstel Sekunden\nNormale Unge\u00fcbte\t\t.\t140\tim Mittel\nGeistesschwache\t\t.\t300\t\nFalsch \u00dcbende\t\t.\t350\t\nBichtig \u00dcbende\t\t. 100\tauf zehn Anschl\u00e4ge\nHiernach sollte der Einflu\u00df der \u00dcbungsverfahren auf die Motorik der Eichung zur\u00fcckgef\u00fchrt werden.\n\u00df2) Methode der Anschlagsabdr\u00fccke.\nDiese sollte die fehlerhaften Anschlagsformen im Bilde vorf\u00fchren und richtige Formen zur Gegen\u00fcberstellung bringen. Kaeh Ja\u00ebll mu\u00df jedes Klavierspiel statische Aktivit\u00e4t = straffe Haltung mit dynamischer Aktivit\u00e4t = Bewegung der Finger verbinden. (Es sei hinzugef\u00fcgt, da\u00df die Frage der richtigen Methodik bis heute keinesfalls unumstritten blieb.) Die Methode der Anschlagsabdr\u00fccke soll nachweisen, da\u00df bestimmte Verfahren nicht nur die Motorik verlangsamen, sondern auch die takt\u00fce Bef\u00e4higung der Arbeitshand herabsetzen. Dort erweist die Tastenber\u00fchrung mit der Fingerspitze zu geringen Umfang, bringt Daumen und f\u00fcnften Finger in Mi\u00dfproportion oder erhebliche andere Fehler der Anschlagsauspr\u00e4gung. Die Tastlinienf\u00fchrung ist z. B. ungeordnet, so da\u00df der Klang spr\u00f6de, unrhythmisch und unkorrekt erscheint. Eine richtige Koordination der Fingerspitzenabdr\u00fccke zeigt sich beim guten Spieler.\n1) Ja\u00ebll-. Der Anschlag. Leipzig und Paris 1907 ; Le m\u00e9cfianisme du Toucher. Paris 1897: neuestens Pestalozzi: Bewegungsphysiologische Voraussetzungen.\nBerlin 1927.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n63","page":0},{"file":"p0964.txt","language":"de","ocr_de":"964\nFritz Griese\nDie Methode geht so vor, da\u00df sie \u2014 \u00e4hnlich wie die Kriminalistik hei der Ansdrnckshand \u2014 die Finger sanft \u00fcber einen mit Druckerschw\u00e4rze getr\u00e4nkten Tupfballen gleiten l\u00e4\u00dft. Znm bequemen Sammeln von Archivproben legte Jaell auf die zu ber\u00fchrende Klaviaturstelle einen sehr d\u00fcnnen, in die Tasten passenden Pappdeckel. Die Anbringung desselben erfolgte mit Gummischn\u00fcren, nach Ab-nehmen des Klaviaturdeckels und des vorderen \u00e4u\u00dferen Einsatzleistenst\u00fcckes, das sich bei jedem Instrument findet.\nNachstehend die Anschlagabdr\u00fccke eines Spielers.\nJaell empfiehlt f\u00fcr Lernende dauernde \u00dcbungskontrolle dieser Form.\nDer f\u00fcnfte Finger ist bei der Figur (einer Notengruppe der A-Dur-Sonate von Mozart) achtmal in dieser Stelle angeschlagen. Die kaum Orientierung bleibt sicher. Tastlinien des Daumens sind mit denen des dritten Fingers, die des f\u00fcnften mit denen des dritten und vierten in harmonischer \u00dcbereinstimmung, wenn es sich um einen guten Spieler handelt. \u2014 Neuerdings wurde erfolgreich zur Analyse die Zeitlupe benutzt1).\ny2) Pneumatische Druckkontrolle.\nUm festzusteilen, inwieweit die Empfindung des Tastgliedes von bewu\u00dft gegebenen \u201eSpannungen\u201d der komplexen Muskulatur\nFig. 174. Anschlagsabdr\u00fccke.\nder Hand abh\u00e4ngt, um also Anschlagsmodifikationen zur Nachpr\u00fcfung zu bringen, benutzt Jaell den Mareysehen Tambour. Die Versuchsperson hatte die Membran w\u00e4hrend 40/100 Sekunden ohne Muskelspannung, mit einfacher Spannung, mit komplexer Spannung wie bei \u201eArpeggienlokalisation\u201d zu ber\u00fchren. Ferner wurde der Finger auf regionale Verschiedenheit der Empfindung durch Abrollenlassen auf der Membran untersucht. Als Erg\u00e4nzung nahm Jaell auch Untersuchungen mittels der Druckwaage vor. Der Pr\u00fcfling hatte den Zeigefinger in leichtester Form in verschiedenen Faumrichtungen abzurollen. Das Druckgewicht wurde entsprechend abgelesen und bei den Sch\u00fclern verglichen. Der Versuch diente als Kontrolle der vom Mareytambour erhaltenen Kymographionkurven.\nx) So von L. Nouneberg an f\u00fchrenden Pianisten in Paris (Lescheiilzky).","page":964},{"file":"p0965.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n965\n82) Aesthesiometeranalyse.\nZur Bestimmung der taktilen Veranlagung wurde auch ein stumpfes Elfenbeinspitzen\u00e4sthesiometer zwecks Feststellung der absoluten Schwelle benutzt. Applikation erfolgte auf der Fingerbeere des rechten Zeigefingers.\nY1) Allgemeine Klavierhandbeschreibung.\nDie beliebteste Methode der allgemeinen Darstellung der Klavierhand ist die Photographie. Gelegentlich wird auch das R\u00f6ntgenbild verwendet, wie wir bei Er\u00f6rterung der \u00dcbungs-technik nach Galand bemerken werden. Methodisch wird von Tess\u00eanyi1) und anderen die Beschreibung im Bilde nach den Grundpositionen dargelegt, gelegentlich auch bereits das neuerlich in der industriellen Didaktik in den Vordergrund ger\u00fcckte Gegen\u00fcberstellen der Bichtig- und der Falschstellung vorgef\u00fchrt. Bei der Annahme des richtigen und des falschen Momentes sprechen heute noch vielfach sehr subjektive Voraussetzungen mit, die sich nach der jeweils bevorzugten Technik und dem vorschwebenden formalen Spielideal richten.\nRamul2) hat in dieser Form die Arm- und Handstellungen photographisch gegen\u00fcbergestellt, um nach Fingerschlag, Handschlag, Hnterarmschlag, Oberarmschlag senkrechter oder schr\u00e4ger Richtung der Schlagmasse zu trennen. Die vier Schlagarten unterscheiden sich durch die Gr\u00f6\u00dfe der Schlagmasse.\nDie Differenzierung f\u00fchrt bei Bamul zu folgenden Typen der Arbeitshandform :\na2) Fingerschlag erfolgt durch Bewegung im Fingergrundgelenk. Wird angewendet in Verbindung mit dem Armgewicht als Legatospiel und als Finger-staccato, wobei die Finger sofort nach Anschlag momentan von den Tasten zur\u00fcckschnellen.\nDer Daumenschlag wird durch die beiden Fingerglieder und die Mittelhandknochen fixiert, die Bewegung erfolgt an der Vereinigungsstelle mit der Handwurzel.\n\u00df2) Handschlag benutzt als Schlagmasse den Armteil von den Fingerspitzen bis zum Unterarm. Die Gesamthand ist fixiert, Bewegung erfolgt aus dem Handgelenk. Wird verwendet beim Staccatospiel von Doppelgriffen (also Terzen, Sexten, Oktaven), ebenso unter gleichen Bedingungen f\u00fcr Legato, an Stelle des Fingerstaccatos, um die Tonst\u00e4rke zu erh\u00f6hen, aber unter unvermeidlicher Herabsetzung des Tempos.\nY2) Unterarmschlag, Schlagmasse von den Fingerspitzen bis zum Ellenbogen. Bewegung der so fixierten Masse im Ellenbogen.\no2) Oberarmschlag, ganzer Arm von den Fingerspitzen bis zur Schulter, total fixiert, Bewegung im Schultergelenk.\nDie beiden letzten Formen sind nur durch das Kraftausma\u00df ausgezeichnet, wobei der Oberarmschlag naturgem\u00e4\u00df das langsamere Tempo bedingt. Verwendung finden diese Schlagformen beim Auf- und Absetzen der Arme von der Klaviatur, vor und nach einer Pause, vor und nach einem St\u00fcck, beim Arm\u00fcbertragen, als Ersatz des schw\u00e4cheren Handschlages, beim Portamento und Martellatospiel.\n1)\tTess\u00eanyi: Die nat\u00fcrliche Klavierhand. Budapest 1914.\n2)\tBamul : Die psychophysischen Grundlagen der modernen Klaviertechnik. Leipzig 1923.\n63*","page":965},{"file":"p0966.txt","language":"de","ocr_de":"966\nFritz Griese\nAls Beispiel detaillierter Photographie sei auf die Rollbewegungen hingewiesen. Letztere werden noch im \u00dcbungsabschnitt besprochen (s. Fig. 177).\nFig. 175. Falscher Fingerhub nach Tess\u00e9nyi.\nFig. 175 a. Richtiger Fingerhub nach Tess\u00e9nyi.\nEine einzige Methode, die die Grundlagen der Klavierhandbewegungen oder des Fingersatzes1) in seiner Wirkung darstellt,\nx) Vgl. A. Michels en : Der Fingersatz beim Klavierspiel. Leipzig 1896; M\u00fcanliovitch: Die Grundlagen der modernen pianistischen Kunst. Leipzig 1923; Tetzel: Probleme der modernen Klaviertechnik. Leipzig 1916.","page":966},{"file":"p0967.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n967\nist bisher noch nicht ansgepr\u00e4gt worden. Immerhin sind die Unterschiede deutlich; denn schon der Abstand zwischen mechanisch-physiologischer und allgemeinbeschreibender Darstellung ist betr\u00e4chtlich. Hoch komplexer ist die Yorgangsanalyse.\n3') Komplexe Vorgangsanalyse.\nDenn selbstverst\u00e4ndlich mu\u00dfte bei einem so subtilen Vorgang, wie dem virtuosen Klavierspiel, die eigentliche Mechanik nicht den Ausschlag geben. Auch Ja'\u00e8lls Bem\u00fchungen treffen immer nur die Oberfl\u00e4che der Erscheinung. Immerhin hat Ja'\u00e8ll sehr wohl interne, komplexere Vorg\u00e4nge im Bahmen der Ph\u00e4nomenologie des Klavierspieles klar beachtet. Insbesondere erw\u00e4hnt er das Ged\u00e4chtnis, das eine Automatisierung der formalen Bewegungsabl\u00e4ufe bewirkt und so auch die Dynamik des Ganzen auf eine wesentlich andere Stufe stellen kann. In der methodischen Aufreihung der komplexen \u201eDominanzfunktionen\u201d der Klavierhand ist heute wohl Ramul am weitesten schematisch vorgegangen. Hierbei konnte er sich auf wichtige experimentelle Studien Raifs1) st\u00fctzen, der nicht nur die auch aus der Heurologie und Psychiatrie erkannte Beziehung zwischen Intelligenzniveau und Fertigkeit in schnellen Hand- bzw. Fingerbewegungen ermittelt hatte, sondern der neben vielen mehr durch Metronom- und Schlag-tempopr\u00fcfungen (vgl. oben Ja'\u00e8ll) fand, da\u00df das einseitige \u00dcben einer Hand unvermittelt die nichtge\u00fcbte mit\u00fcbt ; da\u00df der emotionale Zustand der Person mit der Fingerfertigkeit korreliert, weil in heiterer Stimmung unerm\u00fcdeter und leichter gespielt wird ; endlich, da\u00df das Tempo der einzelnen Finger relativ angeboren = konstant bleibt, da die \u00dcbung nur im Beseitigen \u00fcberfl\u00fcssiger oder fehlerhafter Bewegungen bei der Zusammenarbeit entsteht, nicht im isolierten Zuwachs der einzelnen Anschlagszahlen. Hinzu kam, da\u00df Raif feststellte, da\u00df die obere Grenze unserer Fingergel\u00e4ufigkeit mit der Unterscheidungsgrenze des Ohres f\u00fcr Tonfolgen zusammenzuh\u00e4ngen scheint. Jede h\u00f6here Tempogebung l\u00e4\u00dft Tonfolgen verwischen; auch in allen klassischen Werken ist das ideale, vorgeschriebene Tempo der Fingergel\u00e4ufigkeit so, da\u00df alle f\u00fcnf Finger pro Sekunde zusammen nicht mehr als zw\u00f6lf Schl\u00e4ge ausf\u00fchren: was pro Finger im Mittel zwei ausmacht, w\u00e4hrend wir akustisch je Sekunde bekanntlich maximal 15 T\u00f6ne auffassen k\u00f6nnen.\nDie isolierte Methodik mechanischer oder psychophysischer Art hat also zweifellos nur relative Bedeutung. Johnen hat die Eingliederung freirhythmischer Bewegungen in die metrische Einheit untersucht.\nx) Raif: \u00dcber Fingerfertigkeit beim Klavierspiel. H. 3 der Stumpf&chen Beitr\u00e4ge zur Akustik. Leipzig 1909\u20141915.","page":967},{"file":"p0968.txt","language":"de","ocr_de":"968\nFritz G-iese\nGraphisch wurden gleichzeitig Atmung* K\u00f6rperbewegung und Muskelspannungen festgehalten. So konnten zugleich fehlerhafte Klaviertechniken ermittelt werden, auch Pianistenberufskrankheiten lie\u00dfen sich erzieherisch beheben, sobald f\u00fcr einen (hierdurch kontrollierbaren) geregelten Bewegungsablauf gesorgt ward. Die einschl\u00e4gigen Registrierungen erfolgten mittels Zugseiles vom Rumpf, ferner durch Pneumographen und pneumatische Oberarmmanschette. Schreibhebel am Mareytambour registrierten mittels Kymographion1). Fixationsorte waren Oberarm und Flanke f\u00fcr die pneumatische, Unterleib f\u00fcr die mechanische Aufnahmevorrichtung. Der Synchronismus beim Spiel lie\u00df sich unschwer ebenso festhalten wie K\u00f6rperpendelungen usw.\nWir er\u00f6rtern nnnmelir die \u00ceJbungstecliniken an einigen Mustern. Ancli Mer sind F\u00fcr und Wider noch rege. Zweifellos ist es teilweise dnrchans Typnsfrage. Leider ist die Musikwissenschaft zu einer entsprechenden Typologie der Person noch nicht gediehen, wird auch das motorische Problem von der neuzeitigen Konstitutionsforschung noch ganz \u00fcbersehen.\n\u00df) \u00dcbungsmethoden. iy/) Breithaupttechnik.\n\u00dcberaus umstritten und befehdet von anderen Fachm\u00e4nnern ist die Klaviertechnik nach Breithaupt. Sie beruht auf folgenden methodischen Gedanken2).\nDie Spieltechnik wird entwicklungsgem\u00e4\u00df durch die \u00dcbungen in Tiefschwung und Hochschwung bestimmt. Tiefschwung ist ein Schwung des Armes mit tief sinkendem Handgelenk, Hochschwung ein Anschlag mit hochgeschwungenem Handgelenk. Auf jeden Tiefschwung folgt als Ausl\u00f6sung Hochschwung und umgekehrt. Das Grundprinzip der Handstellung bei der \u00dcbung ist der St\u00fctzschwung. Die Finger bilden einen Handbock, auf dem der Arm bzw. die Schwunghand steht.\nZweites \u00dcbungsmotiv ist die Folge von Roll\u00fcbungen als weitere Art der Bewegungen. Breithaupt unterscheidet Tief-, Hoch- und Flachrollung, je nach Lage des Handgelenkes. Aus der Handbockstellung wird die Hand mittels seitlicher Unterarmdrehung gekippt (Kipprolle). Der Ellbogen bleibt frei h\u00e4ngen. Rollschwung ist Vereinigung von Rollung mit Drehung. Er dient vor allem der Entfernungs\u00fcberwindung auf der Klaviatur. Kehrschwung ist die kreisende Bewegung f\u00fcr Umkehrungen. Hierbei wird aus der Schulter gearbeitet. Endlich wird auch freier Fingerschwung angeschlossen.\nAlles wird stets erst im engsten Umkreis des Klaviaturraumes ge\u00fcbt. Langsam soll Training durch Kombination verschiedener \u00dcbungsprinzipien, Erweiterung des Aktionsraumes der Hand und der H\u00e4nde, Transponieren usw. empfohlen werden.\nDie Anwendung dieser Trainings leitet Breithaupt folgenderweise ab:\nTiefschwung bei\nEinzelt\u00f6nen mit gesanglichem Charakter, ebensolchen Akkorden, gebundenen Doppelt\u00f6nen, langsamen Tonleitern und Passagen,\nG Johnen-. Neue Wege zur Energetik des Klavierspiels. Amsterdam 1928; auch \u201eIndustrielle Psychotechnik\u201c, 1928.\na) Breithaupt: Handbuch der modernen Methodik. Leipzig 1912; Kuhn: Breithaupttechnik. Leipzig 1921.","page":968},{"file":"p0969.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n969\nOktaveng\u00e4ngen,\nHalbstaccato nnd Nonlegato,\nzur Fesselung \u00fcbergehaltener T\u00f6ne beim homophonen Spiel, zur Weiterf\u00fchrung einzelner Stimmen beim polyphonen Spiel, zu Tanzrhythmusbegleitungen.\nHochschwung kommt in Frage\nbei Einzelt\u00f6nen voll starkem Akzent, bei (Armw\u00fcrf) Akkorden und Oktaven.\n1 3\nm\n. 2 1\ni! i*J* Mbf-r'l\n\u00c4\t2 4\n14 2\n124 L 1 4 2\t1\nV 0 A\n\u20ac\nusw.\nusw. chromatisch aufw\u00e4rts durch alle Dur- und Molltonarten.\nFig. 176. Notenprobe der Breithaupt\u00fcbungen: Rollbewegungen mit Unter- und \u00dcbersetzen bei gebrochenen Akkorden.\nKombination von Hoch- und Tiefschwung wird benutzt bei\nschnelleren Legatoformen kleinwertiger Noten, schnellerem Tonleiterspiel, chromatischen G\u00e4ngen und Figuren,\nDreierformen, Triolen,\narpeggierten Akkorden in fortlaufender Form, zur engeren Akkordbindung.\nRollbewegungen sind benutzbar f\u00fcr\nBegleitungsformen und Figuren f\u00fcr Kipprollen, diatonische Tonfolgen mit Handunter- und \u00dcbersatz, schnelle Tonleitern, schnelle L\u00e4ufe,","page":969},{"file":"p0970.txt","language":"de","ocr_de":"970\nFritz G-iese\nfortlaufende Arpeggien in schnellem Zeitma\u00df, hin und her laufende Formen, Arpeggien, gro\u00dfe und kleine Umkehrungen (als Kreisung), maximale Umkehrung (Kehrschwung),\nSch\u00fcttelungen als Triller, Tremolo, Ornamentik, Begleitungsformen.\nFig. 177. Rollbewegung mit Bild (aus Ramul).\nFreier Fingerschwung dient f\u00fcr\nAktivit\u00e4t des Fingers ohne Armschwung zur Spielgliederung; kann dem gleichen Ziel der klareren G-liederung auch mit Armschwung und mit Rollung zustreben.\nOberarmschiebung f\u00fcr strenges Legato.\nGleitungen zur\nBindung von Einzelt\u00f6nen, Oktaven,\nengeren Bindung von Einzelstimmen im mehrstimmigen Spiel, wiederholbaren Benutzung des gleichen Fingers auf verschiedenen Tasten (Daumenbegleitung usw.).","page":970},{"file":"p0971.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n971\nDas Prinzip geht mithin ans von der Idee der komplexen, einen gewissen Gesamtrhythmus nnd einen Massenschwnng voraussetzenden Auffassung der Klaviertechnik. In diesem Sinne spricht Breithanpt auch vom \u201eSpielk\u00f6rper\u201d. Das Isolierungsprinzip ist der Ganzheitsauffassung gewichen.\nAls beliebig herausgegriffene kombinierte Pigur sei Beispiel Fig. 176 gew\u00e4hlt.\nDiese \u00dcbung wird erst einzeln, dann bimanuell durchgef\u00fchrt ; das Schnecken -zeichen bedeutet Vorschrift der Handrollung, das V Tiefschwung, das A Hochschwung.\n\u00df') Spannungs-Bewegungs-Harmonielehre nach Hasenmayer.\nDieses Verfahren geht aus von der Harmonie zwischen Spannung und Bewegung in der Klaviertechnik1). Als elementare Funktionen werden die beiden Quellen: Ausnutzen des Armgewichtes f\u00fcr den \u201eGesangton\u201d und Aufheben des Armgewichtes (sogenannten Passagenton) angesehen. Beim ersten Fall wird der Gewichtsdruck als unterbrochen angesehen f\u00fcr \u00dcbungen in Portato, Portamento, wobei auch wellenartige Bewegungen (durch Tief-und Hochfederung des Armgelenkes) in Betracht stehen. Konstanter Gewichtsdruck wird f\u00fcr Legato verwendet. Vertikal-, Kreis-, Roll-und Seitenbewegungen fallen in diese Gruppe. Im Passagenton wird die Schwingbewegung der Finger zum Leggierospiel verwendet, w\u00e4hrend Armschwingungen f\u00fcr Staccato und Vibration u. a. benutzt sind.\nY) Die Deppe-Galand-Methodik.\nGrunds\u00e4tzlich von anderem Gesichtspunkt gingen Deppe und Caland2) aus. Deppe forderte die \u201eDisziplin des Gehirns und der H\u00e4nde\u201d sowie den leichten Arm von der Schulter aus getragen. B. Galand ging weiter und forderte die Ausnutzung des gesamten Spielk\u00f6rpers, besonders die zweckentsprechende Ausnutzung der nat\u00fcrlichen Kraftquellen, d. h. der Kumpf- und K\u00fcckenmuskulatur. Hierzu wurde als V o r \u00fc b u n g empfohlen : bei Armhebung nach vorn gleichzeitig das Schulterblatt (um zirka 2 cm) zu senken, was paradox erscheint, da es gew\u00f6hnlich mitgehoben wird; doch wird es durch diese Bewegung m\u00f6glich, die Kumpf- und K\u00fcckenkr\u00e4fte bewu\u00dft heranzuziehen und arbeiten zu lassen. Frau Caland hat zum Nachweis der M\u00f6glichkeit K\u00f6ntgenbilder aufgenommen, von denen nachstehend eine Probe wiedergegeben sei. Die Innervation mu\u00df bewu\u00dft erfolgen und ge\u00fcbt werden und wird sp\u00e4ter beim Spiel automatisch. Sinn ist, die tiefen R\u00fcckenmuskeln (Latissimus dorsi, Trapezius unterer Teil, Pect oralis minor, Serratus ant.\n1)\tHasenmayer: Die Harmonie der Spannung und Bewegung in der Klavier -technik. Leipzig 1917.\n2)\tGaland: Die Deppe sehe Lehre des Klavier spiels. Magdeburg 1921. Galand: Ausnutzung der Kraftquellen. Magdeburg 1922; Anhaltspunkte zur Kontrolle. Magdeburg 1919.","page":971},{"file":"p0972.txt","language":"de","ocr_de":"972\nFritz G-iese\nN o r male Lage des Schulterblattes bei herabh\u00e4ngen-dem Arm in der Ruhelage.\n(, ,D ie Ausnut zun g der Kraftquellen beim Klavierspiel\u201c von E. Caland).\nNHK|\n'< v\nFig. 178.\nVor\u00fcbung zur bewu\u00dften Innervation der Rumxjf- und R\u00fcckenkr\u00e4fte. Armheben ohne und mit Schulterblattsenkung nach E. Caland.","page":972},{"file":"p0973.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n973\n\u2014 also die sogen. Kraftquellen) beim Klavierspiel energetisch auszuwerten. Caland hat ferner eine Reihe von Selbstkontroll- und Sonder\u00fcbungen zur Erh\u00f6hung der Technik angegeben. So Sonder\u00fcbungen, die das Ausdehnen und Zusammenziehen der Hand in Form einer Nu\u00dfschale verlangen und konzentrierte Kraftempfindung in der Handmuschel fordern ( Deppe). Hierdurch sollte die Muskulatur zwischen Mittelhandknochen und in der Hand ge\u00fcbt werden. Deppe-Caland sind so der Typ bewu\u00dfter Muskelinnervation, \u00e4hnlich wie MensendiecJc in der Gymnastik.\n8') Suggestivverfahren.\nAu\u00dferordentlich seltsam muten Verfahren an, die Bitte1) angab. Er spricht von der Gewinnung eines ,, tonmagnetisch en Stromes\u201d und benutzt, um die Vorstellung eines Kraftstromes in der Hand und durch die Hand auf die Tasten im Sch\u00fcler zu erwirken, eine Reihe gymnastischer und Atmungs\u00fcbungen, welche diesen Strom bewu\u00dft werden lassen sollen. Dazu treten spannende, knetende, streifende, schnellende, vibrierende Teil\u00fcbungen. Zweifelsfrei kann Sinn dieser Methode, die angeblich Erfolg gehabt haben soll, nur eine Suggestion auf die Arbeitshand sein. Unter der zweifelhaften Hypothese von dem Vorhandensein eines ,,tonmagnetischen Stromes\u201d im K\u00f6rper wird, vielleicht bei Beeinflussung der Blutzirkulation oder der Aufmerksamkeits-einstellung auf Puls und K\u00f6rpertemperatur, eine m\u00f6glicherweise die Bewegungen der Hand bei psychogen gerichteten Naturen unterst\u00fctzende Suggestion ausge\u00fcbt. Es ist nicht ausgeschlossen, da\u00df gegen\u00fcber der Konstitution sensibler Musiker diese Methode daher Recht beh\u00e4lt.\ns') Methode Ja\u00ebll.\nJa\u00ebll ging entsprechend der Psychophysik seiner allgemeinen Klavierhandstudien auch \u00fcbungstechnisch entsprechend vor. Erstens wurde stete Selbstkontrolle des Sch\u00fclers durch Fingerabdr\u00fccke, Mareykurven usw. in bestimmten Phasen verlangt. Zweitens beruht die Ja\u00f6llmethode auf bestimmten Einheiten der Klaviertechnik, die von anderen Verfahren ab weichen m\u00f6gen. Die Methode ber\u00fccksichtigt:\na2) Isolierte \u00dcbungen der Fingerglieder zur Ausbildung der Muskelspannung. Es werden beispielsweise kreisf\u00f6rmige Gymnastiken durchgef\u00fchrt. Interessanter-weise l\u00e4\u00dft Jaell bei einb\u00e4ndiger Ausf\u00fchrung simultan die andere Hand eine Schreibfeder auf Papier halten. Bei besserer \u00dcbung der gymnastisch arbeitenden Hand macht unwillk\u00fcrlich die freie Hand mit der Feder bogenf\u00f6rmige Mitbewegungen. Bei unge\u00fcbten Personen ersieht man nur gekritzelte Striche.\n\u00df2) Anschlags\u00fcbungen. Ausgehend von verschiedenen Handpositionen werden in Abfolge lange Gleitbewegungen, differenzierte Gleitbewegungen (f\u00fcr\n1) Bitte: Der tonmagnetische Strom in Theorie und Praxis. Freiburg i. B.\n1920; Baer: Ein Blick i. d. Energetik. Ebenda.","page":973},{"file":"p0974.txt","language":"de","ocr_de":"974\nFritz Griese\ngebrochene Akkorde und diatonische Intervalle) sowie Anschlagsdifferenzierungen mit Rollbewegungen ausge\u00fcbt. Alles wird im Takt unter Z\u00e4hlen gedrillt. Rollbewegungen werden f\u00fcr Arpeggien verwendet, spielen ferner bei doppelter Ton-erzeugung derselben Noten durch denselben Finger mit. Auch diese Spezial\u00fcbungen begleitet eine Ru\u00dffingerkontrolle.\nZ/) \u00dcbungsgrunds\u00e4tze nach Bamul.\nDie oben genannte Psychophysik Ramuls f\u00fchrt anch ihn zu gewissen Grundrichtungen der Trainingspartien, denen der Lernende unterstellt wird. Ramul trennt demgem\u00e4\u00df:\na2) Das Gewichtsspiel, das Fingerschlag+Armgewicht (passiv als \u201eSchwere\u201d gedacht) ausnutzt. Dadurch soll formal die Erm\u00fcdung der Einzelfinger herabsetzbar sein, au\u00dferdem erwirkt das Gewichtspiel ein gutes Legato. Durch Versuche an der Federwage wird die passiv (!) ausge\u00fcbte \u201eSchwere\u201d der Masse geteilt nach Oberarmgewicht (Totalarm), Unterarmgewicht (ab Ellenbogen), Hand-und Fingergewicht. Der Sch\u00fcler soll die Gewichtsmasse in Passivit\u00e4t beherrschen, so da\u00df die Waage keinerlei Ausschlagsschwankungen ergibt (man vgl. damit aber Breithau'pt oder Ja\u00eblll).\n\u00df2) Rollbewegungen. Diese Achsdrehungen des Armes in Pronation und Supination werden vom Unterarm aus gesteuert. Beide Drehungsarten werden taktweise nach dem Metronom ge\u00fcbt (M. M. = 60 je Viertel). Die Gleichm\u00e4\u00dfigkeit des Spieles, das Beherrschen der Tonst\u00e4rke in identischer Intensit\u00e4t f\u00fcr alle Finger soll durch Rollungen m\u00f6glich werden. Anwendung erfolgt auf Arpeggien, alle Dreikl\u00e4nge, Dominantseptimakkorde usw.\nY2) Kombinierter Armschwung. Dieses dritte \u00dcbungselement fordert Armbewegung von der Schulter aus, wobei die Finger sozusagen nur als Fortsetzung des Armes aufgefa\u00dft werden (vgl. aber Ja\u00eblll). Vor dem Senken der Finger wird das Handgelenk herabgelassen, mit dem Fingersenken auf die Tasten gehoben, damit die Armmasse mitwirkt. Beim Fingerheben senkt sich das Handgelenk simultan, sofort darauf erhebt es sich. Dieser \u201ekombinierte Armschwung\u201d soll f\u00fcr langsame Zeitma\u00dfe, bei ruhiger Melodie oder bei Betonung von Einzelnoten, Vor- und Doppelschl\u00e4gen Verwendung finden.\nS2) Fortbewegungen der Armmasse. Hier wird getrennt ge\u00fcbt mit und ohne Bete\u00fcigung der Finger. Im ersten Fall k\u00f6nnen der Daumen untergesetzt und die Finger \u00fcber den Daumen gebracht werden. Im zweiten Fall wird das \u00dcbertragen der bogenf\u00f6rmig bewegten Armmasse mit Unterarm- oder Oberarmvermittlung gesondert ge\u00fcbt. Au\u00dferdem wird noch der Armfall und die Druckgebung von Bamul behandelt. Beim Armfall spielt wieder die Theorie der passiven Han\u00fc-einstellung eine gro\u00dfe Rolle. Jede Druckgebung mit vollem Arm aus der Schulter ohne Emporschwingen. Alle Varianten der Druckst\u00e4rke sind zu \u00fcben. Vor allem f\u00fcr Akkordgebung, zur Erlernung der Schlagmassenfixation im Raum, zum Unterscheiden von Klangst\u00e4rken ist diese \u00dcbung gedacht.\ns2) Pedalgebrauch. F\u00fcr die Zusammenarbeit der Klavierhand spielt die Pedalgebung noch eine wesentliche Rolle. Ist die Klavierhand schon an sich ausgezeichnet durch die Simultaneit\u00e4t und Autonomie beider H\u00e4nde, so verwickelt sich der Vorgang noch durch die Beinbewegung, die dann beim Orgelspiel wesentlich st\u00e4rker in den Vordergrund tritt. Bamul \u00fcbt \u2014 unter Metronomsignalen \u2014 auch die Behandlung des Pedals, das ja nicht nur durch Heruntertreten, sondern zeitbestimmtes Liegenlassen (gleichzeitig oder nachzeitig hinsichtlich den gespielten Notenwerten) mitarbeitet.\nEine auc\u00fc nur angen\u00e4herte Darstellung der \u00dcberf\u00fclle von Methoden kann ans Eanmgr\u00fcnden nicht geboten werden. Es galt wie im folgenden nur einige Illustrationsbeispiele zu bieten, die in telegraphischer K\u00fcrze die Sonderheit der Fragestellungen","page":974},{"file":"p0975.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n975\nbei der Klavierband skizzieren nnd eben diese Problematik als wissenschaftliches Thema festhalten sollten1).\ny) Orgel und Harmonium.\nDie Literatur \u00fcber diese Instrumente ist relativ \u00e4rmer an psychologischen Darstellungen, da die Hand einmal durch die meist geruhigere Tempogebung nicht jene artistische Hochwertigkeit voraussetzt wie beim virtuosen Klavierspiel, weil der Kreis der Interessenten geringer ist und weil endlich vor allem die Probleme des Harmoniums und der Orgel viel tiefer in die Musikalit\u00e4t der Sachlage \u2014 Eegistrierkunst \u2014 eindringen, so da\u00df das Handproblem demgegen\u00fcber von sekund\u00e4rer Bedeutung bleiben kann. Die Farbenbeeinflussung im Vortragswerk ist unter anderem von wesentlicherer Bedeutung als die Mechanik der manuellen Arbeit. Technischen Schwierigkeiten oder akustisch ung\u00fcnstigeren Wirkungen der Stimmf\u00fchrung kann der Spieler im \u00fcbrigen hier durch Beherrschung einer guten Manualtechnik am Instrument weitgehend aus dem Wege gehen. Die Arbeit der Hand ist bei diesen Instrumenten au\u00dferdem recht verschieden gerichtet, da wir unter anderem mit komplizierten Apparaten zu tun haben, zumal im Orgelbau die Individualit\u00e4t des Instrumentes unendlich gr\u00f6\u00dfer ist als bei irgendeinem Klavier. Die Orgel ist weniger standardisierbar als jenes. Bei Manualwechsel oder Koppelung, bei Pedalkoppelung und Jalousieschwellung ist dauernde Mitarbeit der Beine w\u00e4hrend der bimanuellen T\u00e4tigkeit vonn\u00f6ten. Auch dort, wo diese Beinarbeit keinesfalls wie bei der primitiveren Harmoniumkonstruktion blo\u00dfe Schwellungsvarianten bedingen oder ein Mittreten voraussetzen soll. Die Handgriffe sind ferner von erheblicher Vielseitigkeit, aber von charakteristischer Betonung auch der maschinellen ,, Griff t\u00e4tigkeit\u201d (gegen\u00fcber dem Klavier), so da\u00df der Unterschied zwischen den Instrumenten erheblich ist. Diese kurzen Bemerkungen m\u00fcssen an dieser Stelle gen\u00fcgen2).\n2. Blas-, Zupf- und Schlaginstrumente.\nAuch diese Gruppe entbehrt noch ganz der psychologischen Vertiefung und es w\u00fcrde Sonderuntersuchungen erfordern, um\n1)\tUnter anderem vgl. ferner D\u00fcnn: Das Geheimnis der Handf\u00fchrung. Leipzig 1914; Gorter: Geschmeidigkeit nnd Kraft. Berlin 1904; Zabludowski: Schreiber- nnd Pianistenkrampf. Leipzig 1901; Unschuld: Die Hand des Pianisten, (ohne Angabe); Pembaur: Die Bildnng der Gymnastik der Finger. Innsbruck, ohne Jahr; Michelson: Der Fingersatz heim Klavierspiel. Leipzig 1896; Milankovitcht Grundlagen der modernen pianistischen Knnst. Leipzig 1923; Scharwenka: Methodik des Klavier spiels. Leipzig 1922; Kreutzer: Das Wesen der Klaviertechnik. Berlin 1923; Tetzel: Problem der modernen Klaviertechnik. Leipzig 1916: Kosnick: Lebenssteigerung. M\u00fcnchen 1927.\n2)\tPudolz: Die Kegistrierkunst. Leipzig 1913; Locher: Die Orgelregister. Bern 1923.","page":975},{"file":"p0976.txt","language":"de","ocr_de":"976\nFritz Griese\neinigerma\u00dfen Klarheit in die Art der Handt\u00e4tigkeit hineinzubringen. Bei den Blasinstrumenten kann man deutlich die Instrumente aussondern, bei denen die T\u00e4tigkeit der Hand von der Bedienung weniger Griffe oder Tasten abh\u00e4ngt. Freilich werden hierbei\n\u2014\tzumal bei den modernen Begleitinstrumenten im Jazzorchester \u2014 auch bimanuelle Bedienungsgriffe beobachtet: das Hin- und Herbewegen der Bohre unter gleichzeitigem Bewegen der anderen Hand und simultanem Blasakt. Alle Blasinstrumente sind ja typisches Beispiel f\u00fcr Zusammenarbeit der H\u00e4nde mit der Lunge, ihrem Bhythmus und dem Beservoirbewu\u00dftsein, das beim Spieler hinsichtlich des Volumens derselben vorausgesetzt werden mu\u00df. Auch die Unabh\u00e4ngigkeit der Zug- oder Sto\u00dfbewegungen der Bohre von irgendeinem akustischen Bhythmus der Musik kann erhebliche Eigenart bedingen.\nEin sehr interessantes Instrument ist vor allen die Fl\u00f6te, da wir hier wiederum auf manuelle Feinarbeit sto\u00dfen1). Sie erl\u00e4utert im \u00fcbrigen ganz besonders auch die Zusammenarbeit der Hand mit der Zunge und der Atmung. Bekanntlich wird der Zungensto\u00df ungef\u00e4hr in gleicher Weise wie der Fingeranschlag beim Klavier ausgewertet und nach einfachem, Doppel- und Tripelsto\u00df unterschieden, je nachdem die Serie der St\u00f6\u00dfe bedingt ist. Der Doppelsto\u00df ist erst in neuerer Zeit allgemeiner \u00fcblich (f\u00fcr l\u00e4ngere Staccatostellen), der Tripelsto\u00df kommt bei Triolen zur Verwendung.\nDie Tonbindung h\u00e4ngt nicht nur ab von der Beherrschung des Ansatzes und der Zunge, sondern auch von der Koordination der Fingerbewegungen. Methodisch wird \u2014 \u00e4hnlich wie bei der Violine und in vollem Gegensatz zum Klavier \u2014 eine feststehende Grifftechnik angeordnet. Als besonders erschwert gilt auch hier\n\u2014\twie beim Klavier \u2014 die Kotwendigkeit, die Finger g\u00e4nzlich unabh\u00e4ngig voneinander ruhen oder bewegen zu k\u00f6nnen. Die Unterrichtsschulen empfehlen daher entsprechende gymnastische Vor\u00fcbungen, die das Bhythmisieren in Heben und Senken und die Innehaltung der Baumlage der Finger gleichzeitig im Auge behalten. Erst langsam werden durchschnittliche Geschwindigkeiten m\u00f6glich; beispielsweise das sukzessive Auf- und Abw\u00e4rtsspielen der drei Oktaven der C-Dur-Tonleiter in zehn Sekunden. Wenn es gelingt, andere Tonarten \u00fcber zwei Oktaven acht- bis zehnmal hintereinander unter einmaliger Atmung in etwa 15 Sekunden zu meistern, so gilt der \u00dcbungsstand als virtuos.\n\u00c4hnliche Grundlagen d\u00fcrften (psychologische Handstudien fehlen auch dort nahezu ganz) Fagott, Oboe usw. besitzen2).\nb Schwedler: Fl\u00f6te und Fl\u00f6tenspiel. Leipzig 1923; Katechismus der Fl\u00f6te. Leipzig 1897.\n2) Hechel : Das Fagott. Biebrich 1899; Altenburg : Klarinette. Heilbronn 1904.","page":976},{"file":"p0977.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n977\nDie Zither als Bei\u00df- oder Zupfger\u00e4t interessiert ebenfalls als artistische bimannelle Leistung einfacherer Form1).\nDer Schildpatt-Zitherring wird an den rechten Daumen gesteckt, wobei der Ballen die Oberleiste nicht ber\u00fchren soll. Bewegt wird nur das erste Daumenglied, zum Anschlag wird ausgeholt in kleinem Schwung. Die Bechte kann nach der Theorie eine dreifache Lage als Position haben:\nSpielart Albertianer: 5. Finger bleibt unbenutzt; er ruht gestreckt auf der Querleiste. Zeigefinger an der 5. Freisaite, Mittelfinger an der 8., Goldfinger an der 16. Saite. Hand ist zur H\u00f6hlung zusammengedr\u00e4ngt. Obiges ergibt die Intonierungsvorbereitung eines Zusammenklanges auf c.\nSpielart M\u00fchlauer: 5. Finger schl\u00e4gt Ba\u00dfsaiten an, von Nr. 16 bis 35, sofern 2. und 3. Finger sich 12 bis 15 Saiten entfernt bet\u00e4tigen m\u00fcssen. Anfangs werden die Finger auf die 1., 2., 4., 5. rote Saite gelegt.\nSpielart Haustein verwendet den Kleinnnger erst von Ba\u00dfsaite Nr. 25 an. Da diese erh\u00f6bt liegt (Anwendung auf die Sonderform der Perfektazither), r\u00fcckt die Hand dem Schalloche zu.\nDie Linke mu\u00df simultan vier Griffe durch Stehen der Finger auf den Saiten vollziehen k\u00f6nnen. Es gibt f\u00fcr die Bechte wie die Linke hierbei vier verschiedene Griff arten.\nDiese relativ einfache Technik wird in Dominanz durch freies Begleiten von Melodief\u00fchrungen und durch meist st\u00e4rkere Ged\u00e4chtnisarbeit ausgezeichnet.\nVerwandt sind die Arbeitstechniken an Laute und Gitarre2), welche neuerdings wieder auf kommen. Origineller ist dort die Erscheinung, da\u00df die Anschlagsst\u00e4rken bei jedem Instrument an verschiedene Grifflokalisation gebunden bleiben, so da\u00df der Spieler die optimalen Stellen erst empirisch ermitteln und behalten mu\u00df.\nInteressant sind endlich die Schlagzeugformen, nicht nur die einfache alte Trommel, sondern auch die komplizierteren Arbeitsformen der Jazzbandmaschine. Hierbei findet st\u00e4ndige, allerdings meist sehr einfach rhythmisierte Fu\u00dfarbeit mit au\u00dferordentlich wechselnder, in ziemlich weiter Baumlage bimanuell vorgenommener Bedienung von Trommeln, Glocken, Schwirrh\u00f6lzern, S\u00e4ge, St\u00e4ben u. dgl. m. statt. Die individuellen M\u00f6glichkeiten-schwanken stark und gehen in eine ausgesprochen akrobatische Artistenhand \u00fcber, wenn die zu bedienenden Ger\u00e4te an Zahl wachsen und in dauerndem Wechsel und Durcheinander, oft nur auf einen einzigen Ton oder Takt, der Kapelle zugeordnet werden m\u00fcssen. Fast nirgendwo werden in gleicher Mannigfaltigkeit gr\u00f6bere, andauernde Abfolgebewegungen der Hand vorausgesetzt. Die bei dieser Musik vorhandene Tempogebung bedingt au\u00dferordentliche Handgewandtheit und -ausdauer.\nQ Thauer: Handbuch des modernen Zitherspieles. Berlin 1921. 2) Sommer: Laute- und Guitarre. Stuttgart 1922.","page":977},{"file":"p0978.txt","language":"de","ocr_de":"978\nFritz Giese\n3. Streichinstrumente.\nDie Literatur \u00fcber die Violine ist ungeheuer mannigfaltig, und man kann verstehen, da\u00df technisch dieses Instrument besonders fesselte, da es ja gegen\u00fcber dem an Quantit\u00e4tsleistung ausgezeichneten Klavier den Nachdruck auf die Qualit\u00e4t der Tonerzeugung legen mu\u00df. Erscheinungen von virtuoser Meisterschaft, wie Paganini, haben zu den merkw\u00fcrdigsten Theorien und Vermutungen gef\u00fchrt. Ebenso ist kennzeichnend die aus der musikalischen Mentalit\u00e4t verst\u00e4ndliche Subjektivit\u00e4t aller Methoden. Es kann sich auch hier wieder nur um einige ganz beliebig heraus-gesuchte Illustrationsf\u00e4lle handeln, die wir kurz gliedern nach dem Problem der Beschreibung der Vorg\u00e4nge und der \u00dcbungstechnik.\na) Ph\u00e4nomenologie.\nBei der Ph\u00e4nomenologie der Violinhand hat das Problem der Bogenf\u00fchrung seine besondere Bedeutung gewonnen. Steinhausen versuchte, die Methode der Bogenf\u00fchrung physiologischpsychologisch zu begr\u00fcnden1). Mit Becht hat er die strikte Trennung des Klavieranschlages von der Bogenf\u00fchrung und der linken Hand auf dem Streichinstrument gefordert. Seine anatomisch-physiologischen Darstellungen zur Pesthaltung des Arbeitsvorganges m\u00f6gen hier au\u00dfer acht gelassen werden. Wichtig ist jedoch das eine, da\u00df er alle noch so feinen Einzelelemente erst dann als richtig gef\u00fchrt ansetzt, wenn sie vom Gehirn aus organisiert als \u201eBewegung\u201d in ihrer Totalit\u00e4t gesteuert oder empfunden werden. Diese Totalit\u00e4tsauffassung der Theorie ist auch in der Darstellung des \u00dcbungsgedankens beachtlich, da er \u00dcbung und Erregung mit einem (von ihm so ausgedr\u00fcckten) \u201eHirnerregungsbilde\u201d in unmittelbare Beziehung setzt. Das Hebeln der Elemente bewirkt keinen realen Erfolg. Wichtig ist ferner bei ph\u00e4nomenologischen Darstellungen die Betonung der Notwendigkeit von Mitbewegungen und Nebenbewegungen. Es ist interessant, da\u00df hierbei Erfahrungen der Neurologie mitherangezogen werden2), die erweisen, da\u00df die mechanische Auswirkung beim virtuosen Spiel ausbleibt, wenn nicht Mit- und Nebenbewegungen (falsche Koordination der Linken im Sinne gleicher Bewegungsfolge, Beduzierung \u00fcberm\u00e4\u00dfiger Muskelanspannung und des Kraftaufwandes bei der Bogenf\u00fchrung als Nebenbewegung usw.) ebenfalls in die \u00dcbungszone fallen. Letzten Endes kann der Spielvorgang bei Violine, Viola, Violoncello und auch Kontraba\u00df nur zur vollendeten Technik gedeihen, wenn alle Bewegungen automatisiert, unterbewu\u00dft verlaufen.\nx) Steinhausen: Die Physiologie der Bogenf\u00fchrung. Leipzig 1916; Die physiologischen Fehler. Leipzig 1913.\n2) Fragstein: Monatsschr. f. Psychol, u. Neurol. 5. 5 (1901).","page":978},{"file":"p0979.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n979\n\u00dcbrigens ist hierbei auch an die Dominanz des Ged\u00e4chtnisses zu denken, das beim virtuosen Spiel Bedingung wird, so da\u00df das Auge in der Zusammenarbeit ausschaltet. Hinsichtlich der Gymnastik ist die Anwendung robuster Gegenst\u00e4nde (St\u00f6cke u. dgl.), wie sie noch Jackson erw\u00e4hnte1), bedenklich, da der Bogen von wesentlich anderem Ger\u00e4techarakter ist. Es mu\u00df interessieren, jenseits der isolierten Er\u00f6rterung der Mechanik und Dynamik der Bogenf\u00fchrung und des Spieles auf die Ergebnisse hinzudeuten, die bei der bogenf\u00fchrenden Hand als einheitliche Gesamtbewegung erschlossen wurden.\nHierbei verweist Steinhausen auf die Trainierung des Muskelgef\u00fchles, das sinngem\u00e4\u00df \u2014 in gemeinsamer Beziehung zum Geh\u00f6r \u2014 folgende Punkte bei der Technik beherrschen soll:\nGeringsten Reibungsgrad der Achsenfigur beim Bogenf\u00fchren,\nLoslassen der Muskelspannung der unteren Partie,\nHerauspr\u00e4gen einer Unterarmrollung bei Doppelspiel und Ausschalten jeder sonstigen selbstt\u00e4tigen Hand- bzw. Fingerwirkung,\nstete Minderung des Pronationsdruckes bei der Arbeit, gleichm\u00e4\u00dfige Beugung und Streckung vom Unterarm aus, unter F\u00fchrung durch die Schulter.\nDie dauernde Korrektur der Arbeitshand erfolgt durch die akustische Kontrolle, da das vorschwebende Klangideal verwirklicht werden mu\u00df. Im Gegensatz etwa zum Klavier wird also hier zweifellos die akustische Dominante besonders oft entscheidend sein: weil die Tonbildungen vom Spielenden unmittelbar herausgestaltet werden m\u00fcssen. Praktisch ergibt sich aus derartigen Darstellungen die Vermeidung blo\u00dfer Handgelenk\u00fcbung und die Betonung der psychologischen Leitlinie beim Spiel.\nGanz besonders mu\u00df die g\u00e4nzliche Verschiedenheit der Arbeitst\u00e4tigkeit rechts wie links sein. Man hat mithin in gewissen Punkten die rechts wie links erscheinungsgem\u00e4\u00df notwendigen Elemente gesondert dargestellt. Koeckert2) trennt daher die rechte und linke Hand auch im einzelnen v\u00f6llig. Hierbei ist die Haltung der Finger von erheblichster Bedeutung und mu\u00df einer gewissen normalisierten Ausgangsstellung zustreben. Koeckert fordert beispielsweise bei der Rechten f\u00fcr eine gute Bogentechnik:\nVerschmelzung von Bogen und Hand zu einem Werkzeug,\nBogenwirkung nicht durch Eigengewicht, sondern Willensimpulsabstufung, Bogen stets im Gleichgewicht balanciert, also sinnentsprechend ergriffen.\nDie Fingerstellung soll erwirken, da\u00df der Daumen leichtgekr\u00fcmmt im Eroschausschnitt so sitzt, da\u00df seine Spitze gegen die Linie des Bing- und Mittelfingers gerichtet ist. Der Zeigefinger wird mit dem zweiten Gliede an die Stange leicht gelehnt, so da\u00df\nb Jackson-. Die Finger- und Handgelenkgymnastik. Leipzig 1866.\n2) Koeckert: Rationelle Violintechnik. Leipzig 1909.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n64","page":979},{"file":"p0980.txt","language":"de","ocr_de":"980\nFritz Griese\nein Winkel von 40 bis 60\u00b0 entsteht. Der Kleinfinger balanciert die Stange, bleibt leicht gekr\u00fcmmt auf ihr. Stoeving1) gibt in gewisser Modifikation die richtige und falsche Bogenhandhaltung ebenso an.\nDa als Dominante die Bogenf\u00fchrung wesentlich betonter ist als der Fingersatz, so wird auch die Winkelstellung des Bogens und seine Saitenbewegung eingehend behandelt. Stets soll zur Saite ein grader Winkel gebildet werden, die Entfernung vom Steg (Strichstelle) mu\u00df konstant bleiben, die Neigung des Bogens bleibt bei den einzelnen Saiten identisch zur Decke des Instrumentes. Weiterhin sind \u00fcbungsf\u00e4hig die beachtlichen Abfolgen der Hand-, Finger-, Vorder- und Oberarmbeteiligung beim Bogenstrich, die (in bei den einzelnen Schulen verschieden bestimmter Weise!) teilweise in Sukzession mitwirken. Die Hand soll meist die Initiative der Bewegung ausdr\u00fccken. Ferner ist auf den Bogenwechsel auf\nFig. 179. Schnallenbewegung bei Bogen Wechsel.\neiner einzelnen Saite mit und ohne Tonunterbrechung hinzuweisen, wobei im Wechsel von Ab- und Aufstrich eine ,,Schnallenbewegung\u201d der Armtotalit\u00e4t einsetzt.\nDie dargestellten Figuren zeigen die Verbindungslinienhaltung, welche Ab- und Aufstrich vereinigen. Nach Abstrich wird rechts ausw\u00e4rts eine leichte Drehung und unten durch der Linksweg begonnen. Bei vollendetem Aufstrich erscheint das umgekehrte Bewegungskurvenbild.\nBesondere Bewegungsformen setzen ferner bei Saiten\u00fcbergang mit Strichwechsel und ohne Bogenwechsel ein. Spezialfragen betreffen den Tonansatz und den Handstrich.\nDie Linke soll in Normalstellung geradlinig den Vorderarm verl\u00e4ngern, so da\u00df die Hand weder gebeugt noch \u00fcberstreckt ist. Der Griff der Geige ber\u00fchrt das erste Zeigefingerglied oberhalb des Wurzelgelenkes; der Daumen ist zur Schnecke zur\u00fcckgehalten. Die Saite soll bei zur\u00fcckgebogenem Zeigefinger in L\u00e4ngsrichtung des Fingers durch die Mitte der Fingerspitze laufen. Daneben liegen die \u00fcbrigen Finger. Die Gesamtentfernung des ersten bis vierten\n1) Stoeving: Die Meisterschaft \u00fcber den Geigenbogen. Leipzig 1922.","page":980},{"file":"p0981.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n981\nFingers soll einer reinen Quart entsprechen. Der Fingerfall in den verschiedenen Lagen kann und wird gewisse Schwierigkeiten bieten, da die Einzelaktion der Finger von 1STatnr nicht immer gleich frei und gleich schnell in Unabh\u00e4ngigkeit von den anderen erfolgt. Es ergeben sich darans anch bestimmte Anweisungen f\u00fcr \u00dcbungstechniken.\n\u00df) \u00dcbungstechniken.\nEberhardt hat (als Beispiel) sehr scharf die psychologische Begr\u00fcndung derartiger \u00dcbungen betont1).\nEr unterscheidet in seinen \u00dcbungen, die alle ausgehen vom innerlich Vorgestellten und der Zuordnung des Mechanischen an diese Vorstellung, folgende Varianten:\na7) Klopfbewegung,\n\u00dfb Gleitbewegung mit Daumen\u00fcbungen.\nyb Seitenbewegung f\u00fcr Doppelgriff und Akkordstellung.\nGe\u00fcbt wird stumm spielend, wobei das Aufsetzen der Finger in drei verschiedenen St\u00e4rkegraden (vom losen Ber\u00fchren bis zu festem Druck) erfolgt. Streck- und Spann\u00fcbungen, Fixations\u00fcbungen der Intervallgriffe, Doppelgriff \u00dcbungen, Terzentonleiter, Oktaven, Triller\u00fcbungen werden systematisch angeschlossen. Die Handhaltungen werden photographisch festgehalten und mittels einfachen NTotenbeispielen die \u00dcbungen durchgef\u00fchrt. Das Bewu\u00dftmachen des Vorganges ist die Eigent\u00fcmlichkeit dieses Verfahrens.\nAuch Sonderaufgaben wurden bestimmten \u00dcbungstechniken unterstellt. So hat Rau2) das Vibrato der linken Hand durch Schwungbewegungen in leichter, rascher Abfolge mit Oberunterarmrollung schulen lassen. Moser trennt3) wiederum rechte und linke Hand in formal verschiedener Technik, eine ungeheure Zahl weiterer Vorschl\u00e4ge macht das Gesamtbild nicht klarer4 * *).\nVielfach ist bis heute das \u201eGeheimnis\u201d Paganinis noch Mittelpunkt der Betrachtungen. Man mu\u00df Interessenten f\u00fcr Einzelheiten auf die genannte Literatur verweisen. Am n\u00e4chsten steht 8. Eberhardt\nb Eberhardt: Mein System des \u00dcbens der Violine. Dresden 1907.\n2)\tBau: Das Vibrato auf der Violine. Leipzig 1922.\n3)\tMoser: Methodik des Violinspieles. Leipzig 1920.\n4)\tJarosy: Die Grundlagen des violinistischen Fingersatzes. Berlin 1921; Diestel: Bewegungsformen der Strichfigur. Berlin 1913; Wie f\u00fchre ich den Bogen\u201c? Berlin 1915; Wassmann: Entdeckungen zur Erleichterung der Violintechnik.\nHeilbronn 1901; Olsen: Die einfachen Naturgesetze. Stockholm 1904; Sass: Das\nGeheimnis auf der Violine. Wien 1907; Burmas: L\u00f6sung des paganinischen Problems. Berlin 1913; Eberhardt: Paganinis Geigenhaltung. Berlin 1921; Virtuose Violintechnik. Berlin 1921; Lehre von der organischen Geigenhaltung. Berlin 1922; Jahn: Grundlagen der nat\u00fcrlichen Bogenf\u00fchrung. Leipzig 1913; Meyer: Geige und Bogen in Hand des Anf\u00e4ngers. Braunschweig 1924; Kross: Wie h\u00e4lt man Violine und Bogen ? Leipzig 1904; Singer: Methodik des Violinspiels. Leipzig 1920;\nDavidsohn: Das Staccato. Danzig 1911.\n64*","page":981},{"file":"p0982.txt","language":"de","ocr_de":"982\nFritz Giese\nden psychologischen Gesamtauffassungen. Die virtuose Zusammenarbeit beruht nach. Eber har dt auf Mitwirkung der Schulter, welche die Geige erfa\u00dft, um als tragender Ruhepunkt allen Bewegungen der H\u00e4nde Sicherheit zu bieten. Die hintere darf die Geige nicht halten. Eberhardt findet demnach eine \u201eorganische75 Haltung des Spielers. Die Schulter spielt in drei Bewegungsformen mit (seitw\u00e4rts, aufw\u00e4rts, vorw\u00e4rts). Arm und Bogen bilden eine Ganzheit. Es entsteht funktionell ein Kreis: Leicht angehobene rechte Schulter tr\u00e4gt den Oberarm schr\u00e4g seitlich \u2014 vorw\u00e4rts am Rumpf; Oberarm, \u00fcber Ellenbogen mit Unterarm fl\u00e4chengem\u00e4\u00df gekoppelt, stellt die Armfl\u00e4che auf die Saite ein. Der Kreis\nFig. 180. Bewegungsaufnakmeii der Bogenliand (aus Eberhardt).\nf\u00fchrt weiter \u00fcber Armfl\u00e4che, Handgelenk, Fingeransatz, Bogen-auf legest eile, Steg, Decke, Zargen, Stimmst\u00fcck, Boden bis zur Geigenauflagestelle der linken Schulter. Die Fig. 180 verdeutlicht die Be'wegungsphasen.\nBeim Violoncello finden wir entweder eine \u00e4hnliche Sachlage der Problematik oder eine gleichsam so vergr\u00f6berte Praktik, da\u00df wiederum die Feinleistung der Hand nicht eine entsprechende Rolle spielt. Der Daumen pflegt sich gegen\u00fcber dem Mittelfinger zu befinden, um so in Lagenwechsel mit den anderen Fingern mitzurutschen. Bei der Quintlage wird der Daumen zur Halsausbuchtung gef\u00fchrt, indessen sich die Hand auf die Zarge st\u00fctzt. Bei der kleinen Sext rutscht der Daumen nach links weiter. Der Handwinkel zu den Saiten soll ungef\u00e4hr einem Rechten sich n\u00e4hern, die Oberglieder von Zeige-, Mittel- und Ringfinger zum Griffbrett einen","page":982},{"file":"p0983.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n983\ngr\u00f6\u00dferen spitzen Winkel darstellen. Beim Bogen\u00fcben wird empfohlen, nicht sogleich die ganze Bogenl\u00e4nge, sondern sogenannte Handstriche \u2014 alles in langsamem Tempo \u2014 einzn\u00fcben1). Die Zusammenarbeit der H\u00e4nde ist zweifellos durch die ge\u00e4nderten Raumma\u00dfe als vergr\u00f6bert anzusehen gegen\u00fcber den Kleinbewegungen auf der Violine. Es wurde bereits wiederholt betont, da\u00df gerade das Beherrschen von Mein dimensionalen Bewegungen ein Charakteristikum der qualitativ gesteigerten manuellen Leistung sei.\nZusammengefa\u00dft kann man heute sagen, da\u00df in der Virtuosentechnik und -erl\u00e4uterung sich die elementare, anatomisch-physiologische Auslegung nebst Training und die komplexe, auf die Gesamtgestalt des Vorganges hinzielende Betrachtung gegen\u00fcberstehen. Letztere pflegt psychologisiert zu sein. Insbesondere besitzen die \u00e4lteren, rein experimentellen Nachweise Jaells und anderer die elementare, ans Mosaikprinzip der Leistungssynthese etwas erinnernde Einstellung recht deutlich, ohne das zu betonen. Als Studiengegenstand ist die gesamte artistisch t\u00e4tige Hand ein au\u00dferordentlich lohnender Fall, und man m\u00f6chte hoffen, da\u00df k\u00fcnftig dieses Gebiet von fachpsychologischer Seite st\u00e4rkere Beachtung f\u00e4nde, so da\u00df sich dementsprechend eine Methodendarstellung systematischer geben l\u00e4\u00dft. Bis jetzt ist das nicht m\u00f6glich.\n4. Die Hand in der K\u00f6rpererziehung.\nEine besondere und vielseitige Form hat die Hand in der K\u00f6rpererziehung gefunden. Es ist selbstverst\u00e4ndlich, da\u00df an dieser Stelle nicht alle Methoden und Anwendungsm\u00f6glichkeiten vorgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen. Vielmehr werden nur etliche heraus-gegriffene Beispiele dar gestellt, die Grundprinzipien darbieten k\u00f6nnen.\nK\u00f6rpererziehung teilt sich heute, soweit sie nicht Anwendung im Sinne der mimisch-darstellerischen Geb\u00e4rde in Tanz oder auf der B\u00fchne sein soll, in drei grundlegend verschiedene Gebiete: Turnen, Gymnastik und Sport. Die inneren begrifflichen Unterschiede und die Differenzierung ihrer formalen wie teleologischen Erscheinungsweise habe ich an anderem Orte gegeben2).\nEs mu\u00df gen\u00fcgen, da\u00df wir uns auf die einfachste Formel festlegen: Turnen als K\u00f6rpererziehung im Sinne \u00e4u\u00dferen Drills, Gymnastik als k\u00f6rperseelisches Verfahren individueller Leibeserziehung ohne k\u00fcnstliche Hilfsmittel, endlich Sport als objektivierte K\u00f6rpert\u00e4tigkeit mit sachlich bedingtem H\u00f6chstleistungsziel.\n1)\tHeumann: Das Violoncellospiel. Leipzig 1920; Schr\u00f6der: Handbuch des Violoncellospieles. Berlin 1920; Winkler: Technik des Geigenspieles. M\u00fcnchen 1923; Klingler: Grundlagen des Violinspieles. Leipzig 1921.\n2)\tGiese: K\u00f6rperseele. M\u00fcnchen 1927; Geist im Sport. M\u00fcnchen 1925.","page":983},{"file":"p0984.txt","language":"de","ocr_de":"984\nFritz Griese\nDa\u00df hierbei die Hand wiederum keine ausschlaggebende Rolle in jedem Ralle spielt, wenn wir die verschiedensten turnerischen, gymnastischen oder sportlichen M\u00f6glichkeiten untersuchen, versteht sich von selber. Aber \u00fcberall wird die Hand irgendwie ber\u00fccksichtigt werden m\u00fcssen; einmal weil sie entscheidend bei der K\u00f6rpert\u00e4tigkeit an sich mitwirken mag, dann weil viele der Richtungen den Blick aufs Praktische nicht au\u00dfer acht lassen. Unter diesem Gesichtspunkt ist dann die Hand in erster Linie Arbeitshand; Ausdruckshand wird sie erst in der b\u00fchnenhaften Mimik und im Tanz. Wir lassen diese letzten M\u00f6glichkeiten in diesem Abschnitt au\u00dfer acht, betonen indessen, da\u00df auch bei Tanz und B\u00fchne eine meist gymnastische Vorbildung als Voraussetzung zu denken ist. Handtraining in solchem Sinne wird auch dort selbstverst\u00e4ndlich sein.\na) Turnerische G r.u ndgedanken.\nSchon das alte Turnen hat die Hand, richtiger gesagt, den Arm, trainingshaft zu erfassen gesucht1). Immer war hier Aufgabe der turnerischen T\u00e4tigkeits\u00fcbungen die, auf Signale (Zurufe mit Vorturner) Strecken, Beugen, Heben und Senken der Arme und \u00e4hnliche hebelnde Bewegungen mehr in Massen durchzuf\u00fchren; das alte Turnen ist kaum im Einzelverfahren denkbar. Die \u00dcbung der Hand ging dahin, willensgem\u00e4\u00dfe Bewegungen auf Zeitsignale hin exakt in Reaktion zu bringen; ethisch gesehen basierte diese Erziehung auf Gehorsam, Drill und m\u00e4nnlicher Ert\u00fcchtigung ; denn schon f\u00fcr das weibliche Geschlecht war dieses Turnen in klassischer Form weniger gut anwendbar.\nReben diesen methodischen Grundgedanken brachte die \u00dcbungsmethodik noch das Prinzip des Ger\u00e4tes mithinein; es wurde am Fremdk\u00f6rper der Leib gedrillt. W\u00e4hrend die Idee des Sporttrainings die ist, am Objekt (dem Fu\u00dfball, dem Diskus, dem Stab) eine Leistung im Rekordsinne zu demonstrieren und die Arbeitsabfolge anzupassen dem gegebenen Ger\u00e4t, diente im Turnen alles Ger\u00e4t der Steigerung muskul\u00e4rer Werte, ohne da\u00df irgendwie die objektive Wertziffer (der Rekord) dabei den Ausschlag gab. So wurde die Hand miterzogen an Ger\u00e4ten, wie dem Rundlauf, der Leiter, dem Barren, dem Pferd und vielem mehr. Sie wurde am Tauziehen kollektiv auf Kommando gedrillt; \u00fcbertragen auf die Praxis hie\u00df das also partielle Funktionsausbildung der Zughand, der Sto\u00dfhand, der Klemmfaust, der Kletterhand usf. Es gab keine unmittelbare andere Anwendung auf die praktische\n1) Hirth-Gasch: Das gesamte Turnwesen. Hof 1893; Euler : Enzyklop\u00e4disches Handbuch. Wien und Leipzig 1895; ferner Giese und Matthias: M\u00e4nnliche K\u00f6rperbildung. M\u00fcnchen 1926; Schulte: Eignungs- und Leistungspr\u00fcfung im Sport. Berlin 1925.","page":984},{"file":"p0985.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n985\nArbeitshand; ja die Turnerhand selbst untersteht keiner anderen spezialisierten Kontrolle wie im Sport. Auch als Arbeitshand bei Turnarbeit ist sie also einzig und allein aufs Endziel, kommando-m\u00e4\u00dfige Eeaktionsweisen, kommandobedingte Dauerkonzentration, Massendrill in Uniformit\u00e4t der SchauarbeitsWirkung, eingestellt. Damit ist aber die Grenze des Turnens bereits angedeutet.\nHeute gibt es dieses einfache Turnen kaum noch irgendwo. Kur wird, aus rein kulturellen Zielen der Pers\u00f6nlichkeitserziehung, die Hand im Turnen so einseitig selten erfa\u00dft. \u00dcberall setzen gymnastische oder sportliche Erg\u00e4nzungen ein, und man kann nur noch begrifflich, weniger eigentlich praktisch, Turnen, Sport und Gymnastik in dieser Weise trennen. Ja, es mu\u00df gesagt werden, da\u00df historisch das alte deutsche Turnen sogar die Aufnahme gymnastischer Erg\u00e4nzungs\u00fcbungen zuerst propagiert hat, wenn auch mit durchaus anderen Kulturzielen als die reine Gymnastik. In der schwedischen Gymnastik, die das alte Stabturnen und andere Dinge mehr alsbald ersetzte, fanden wir die ersten Anf\u00e4nge dazu vor. Im \u00fcbrigen ist hinzuzuf\u00fcgen, da\u00df im Turnen vor allem die m\u00e4nnliche Hand ihren Ausdrucksweg fand; f\u00fcr die M\u00e4dchen bietet es weniger geeignete Handbet\u00e4tigungen1) ; wie stark das Turnen zu m\u00e4nnlicher Energie Wirkung der Leistung am Ger\u00e4t sich entwickeln konnte, zeigen \u00dcberg\u00e4nge, die heute als Training von gymnastischer Seite abgelehnt werden w\u00fcrden.\nZu erw\u00e4hnen ist dabei das System Sandow2), der das Prinzip der ,,Kraft\u201d mittels k\u00fcnstlicher Mittel durchzusetzen sich bem\u00fchte.\nMethodisch wurden dabei entweder Hantel benutzt, die nach Dynamometerprinzip geartet waren (s. o.), also aus zusammenzudr\u00fcckenden starken Federgriffen bestanden. Teils wurde ein Apparat, der an der T\u00fcr befestigt wird und aus auszureckenden Gummischn\u00fcren usw. besteht, verwendet, um nach Kommando Hand und Arm (bzw. allgemeinere K\u00f6rperbewegungen) anzuschlie\u00dfen. In diesem Sinne wurden ,, Symmetrie \u00dcbungen\u201d veranstaltet, um durch die Armbewegungen auch Schultern und Brust auszubauen; stets war der k\u00fcnstliche Apparat und die nicht vorliegende Eekordeinstellung das Ausschlaggebende f\u00fcr das weiter ausgebildete Turnen. Auch in Deutschland hat es derartige Apparate von st\u00e4rker gymnastischem Einschlag gegeben. Ein methodisches Beispiel ist der Autogymnast, der aus einem Doppelgummizug besteht, dessen eines Ende in Steigb\u00fcgeln f\u00fcr die F\u00fc\u00dfe, dessen anderes in Handgriffen besteht, der zugleich durch einen Leibgurt\nx) Dresel: Die Notwendigkeit der Gymnastik. Gymnastik. 1. (1926). 8ippeli Der Turnunterricht und die geistige Leistungsf\u00e4higkeit des Schulkindes. Diss. Erlangen 1923.\n2) E. Sandow: Kraft, und wie man sie erlangt. Berlin 1904; ferner zum ganzen: Bogeng, Geschichte des Sports. Leipzig ab 1925.","page":985},{"file":"p0986.txt","language":"de","ocr_de":"986\nFritz G-iese\nl\u00e4uft, also nicht am fixen Objekt (Wand oder T\u00fcr) angebracht wird1). Auch hier wurden Zug-, Dreh-, Streck- und andere \u00dcbungen der Hand durchgef\u00fchrt, dagegen fehlte die bei Sandow stark durchgef\u00fchrte Handkraftleistung im Sinne der dynamometrischen Druckarbeit der Faust.\nb) Gymnastische \u00dcbungen.\nGymnastisch wurde die Hand erfa\u00dft 1. durch die in der Orthop\u00e4die notwendig werdende Sonder Schulung verbildeter oder verungl\u00fcckter Extremit\u00e4ten. Was heute \u00fcber diese Handschulung zu erw\u00e4hnen w\u00e4re, haben wir a. a. O. ausgef\u00fchrt; 2. wurde die Gymnastik\u00fcbung der Hand eingeleitet durch Gesichtspunkte, die in Skandinavien und Frankreich zuerst, sp\u00e4ter auch in Amerika zum Durchbruch kamen. In Schweden entstand eine Richtung, die grunds\u00e4tzlich ohne Ger\u00e4t und ohne Kommandos arbeitete. Ber\u00fchmt wurde aus diesen Kreisen der D\u00e4ne I. P. M\u00fcller, der in einem gedr\u00e4ngten System auf nat\u00fcrlichem Wege und unter methodischer Anwendung von Wasser f\u00fcr die Hand auch Abreibe-, Frottier- und Streichbewegungen einf\u00fchrte2).\nHierbei w\u00e4re dann der \u00dcbergang zur Massage gewonnen, die die Fremdhand benutzt, um durch Streichen, Kneten, Pressen und Rotieren reorganisierende Wirkungen am K\u00f6rper auf der Haut einzuleiten3). Bei M\u00fcller war es dagegen die eigene Hand, welche diese Bewegungsfolgen ausf\u00fchrte und, unter Anwendung auch von Handt\u00fcchern u. dgl., eine Badetechnik, wie sie in Skandinavien verbreitet ist, mit der rein gymnastischen Methodik verband. Heute hat sich die Gymnastik in ein un\u00fcbersehbares Feld von Varianten zersplittert. Es gibt die verschiedensten Kombinationen, die her\u00fcberleiten bis zu einer ausgesprochenen Ern\u00e4hrungstechnik oder auch Ern\u00e4hrungsmystik und die Hand und System in mannigfachster Form zu verquicken suchen. In Systeme, die dazu die Atmung mit benutzen4) oder die Ern\u00e4hrungsriten verwenden5), kommen vielfach unkontrollierbare Dinge herein, \u00e4hnlich wie wir sie in der autosuggestiven Klavierspieltechnik mit,,tonmagnetischem Strom\u201d bereits oben kennengelernt haben.\nEs versteht sich von selbst, da\u00df wir hier nur drei verschiedene Varianten erw\u00e4hnen wollen, die heute nach jahrzehntelanger Ent-\n*) Autogymnast, Kolberg (Exterikulturwerke), um 1906 ff. ; M. Kloss: HantelMcklein. Leipzig 1881; Moeller: Keulenschwingen. Leipzig 1922.\n2)\tI. P. M\u00fcller: Mein System. Leipzig 1907 ff.\n3)\tKirchberg: Sportmassage. Berlin 1923; Full: Finnische Sportmassage. Charlottenburg 1923.\n4)\tKofler: Kunst des Atmens. Leipzig 1897.\n5)\tHanisJi: Imanuel. Bd. 1/2. Leipzig 1924/25.","page":986},{"file":"p0987.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n987\nwicklung als Bodensatz \u00fcbrigblieb en und methodisch f\u00fcr die Hand von Bedeutung sind. Ich unterscheide sinngem\u00e4\u00df die anatomische Gymnastik, die metrische Gymnastik und die rhythmische Gymnastik.\n1. Anatomisch-funktionelle Gymnastik.\nEs ist das unverg\u00e4ngliche Verdienst der Frau Bess M. Mensen-dieck, da\u00df sie aus dem Wust mystischer, metaphysischer und realer Vorschl\u00e4ge seit Bels arte, Stebbins u. a.1) ein auf reiner Anatomie und Physiologie beruhendes Gymnastikverfahren ausbaute, bei dem die Hand ihre angemessene Bolle spielt2) ; dieses Mensendieck -system, wie es genannt wird, geht aus von der Idee des Statischen. Der K\u00f6rper wird aufgefa\u00dft als ein in relativer Buhelage befindliches System. Dabei wird mittels mathematisch-anatomischer Gesichtspunkte Funktion und Bewegungswirkung aufs genaueste logisiert, mithin auch die Hand methodisch so ge\u00fcbt, da\u00df sie praktisch in engerem Bahmen f\u00fcr Arbeitsleistungen geschult ist. Dabei kann freilich nicht \u00fcbersehen werden, da\u00df hier die Schulung den neuzeitigeren Anforderungen an die Werkhand nicht mehr gerecht werden wird3).\nMensendieck schult beispielsweise die Hand unter folgenden methodischen Gesichtspunkten und Phasen der Bewegung:\na) Seitliche Armbewegungen auf Schulterh\u00f6he.\nAusgangsstellung Arme h\u00e4ngend seitlich, Handr\u00fccken seitlich au\u00dfen, beide Oberarme nach innen gerollt, so da\u00df Handr\u00fccken vorn au\u00dfen stehend, Oberarme bleiben eingerollt und heben die relaxierten Unterarme mit H\u00e4nden auf Schulterh\u00f6he nach vorn, lose herabh\u00e4ngende H\u00e4nde werden ausgestreckt, bis Ober-, Unterarm und Hand in einer Linie gestreckt,\nmit der Handfl\u00e4che werden kleine wagrechte Striche in der Luft gemacht (als ob Luftschicht wie ein Wasserspiegel bis zur Schulterh\u00f6he reiche), allm\u00e4hliche R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung der Hand, ohne eine Drehung des Oberk\u00f6rpers oder\n\u00dcberf\u00fchrung der rechten Hand auf linke Schulter durch Rollen des rechten Oberarmes,\nRelaxierung von Unterarm und Hand,\nQuerf\u00fchrung des Armes \u00fcber Brust.\n\u00df) Armkreuzen.\nRollen der beiden Oberarme einw\u00e4rts,\nErheben beider Arme vor Kreuzen mittels Oberarm.\ny) Armheben gegen K\u00f6rper hin.\nArm seitlich am K\u00f6rper h\u00e4ngend, Handfl\u00e4che zum Gewand,\nHand allein an Handgelenk nach vorn gedreht,\nx) G. Stebbins: Society Gymnastics and Voice Culture. 1885; System of physical Training. Delsarte System of Expression. New York 1902; Giraudet: Mimique, Physiognomie et Gestes (d\u2019apres Del Sarte). Paris 1895.\n2)\tMensendieck: K\u00f6rperkultur der Frau. M\u00fcnchen 1906; Funktionelles Frauenturnen. M\u00fcnchen 1923.\n3)\tGiese: Taylorsystem und Mensendieckgymnastik in Giese-Hagemann, Weibliche K\u00f6rperbildung und Bewegungskunst. M\u00fcnchen 1923.","page":987},{"file":"p0988.txt","language":"de","ocr_de":"988\nFritz Griese\nHandfl\u00e4che au\u00dfen, Zeigefinger zum Boden,\nHand im Handgelenk hochgestellt, Fl\u00e4che zum Oberarm, Unter- und Oberarm gestreckt,\nEllbogen abgenickt gegen das Gesicht, N\u00e4herung der zum Oberarm gerichteten Hand an die Schulter, bis zur Fingerspitzenber\u00fchrung, Ellbogenhebung bis auf Schulterh\u00f6he, Herabfallenlassen der Hand an K\u00f6rperinnenseite (Achselh\u00f6hle) vom Gelenk her, wobei Hand lose im Handgelenk, Fingerspitzen au\u00dfen, bleiben soll, erhobener Ellenbogen dr\u00fcckt schlaff herabh\u00e4ngende Hand nach unten, bis Arm wieder seitlich herabh\u00e4ngt,\nHandhochstellung.\n\u00dcbung da capo.\n3) Erheben und Ausrollen der Zeige hand (Arme im Zeigen).\nBewegungsfolge stets erst Oberarm, dann Unterarm, dann Hand.\nArm seitlich gerade herabh\u00e4ngend, Handinnenfl\u00e4che zum K\u00f6rper, Oberarm einw\u00e4rts gerollt, Handr\u00fccken nach vorn,\nHeben des eingerollten Armes mit Oberarmmuskulatur, Ellbogen seitlich in H\u00f6he, Unterarm und Hand lose nach unten,\nUnterarmstreckung (Energisierung), sobald Oberarm Ellbogen auf Schulterh\u00f6he gezogen, Oberarmspannung belassen,\nOberarm und Unterarm bilden eine Linie,\nHand noch lose, Fl\u00e4che zum K\u00f6rper hin,\nStreckung der Hand, Unterarm und Hand stellen sich auf Kleinfingerkante, Zeigefinger ausgestreckt, Ober-, Unterarm, Hand in einer Linie auf Schulterh\u00f6he.\nz) Armheben nach vorn.\nArme h\u00e4ngend seitlich, Fl\u00e4che zum K\u00f6rper,\nOberarmmuskeln rollen Arm nach innen, Handr\u00fccken automatisch dabei nach vorn. Unterarm und Hand schlaff (relaxiert),\neingerollte Oberarme heben ganzen Arm ohne Hand oder Unterarm-beteiligung bis Schulterh\u00f6he,\nUnterarm und Hand gestreckt.\nSynthetische Gesamt\u00fcbung zu a bis z.\nRechter Arm seitlich h\u00e4ngend,\nEinrollung des Oberarmes, Hand und Unterarm relaxiert,\nOberarm quer \u00fcber Brust, bis relaxierte Hand neben linker Achselh\u00f6hle, Innenfl\u00e4che der relaxierten Hand nach au\u00dfen kehren, Kreisbewegung des Totalarmes nebst Hand rechts auf Schulterh\u00f6he,\nDort Armdrehung bis Handfl\u00e4che nach oben zeigend,\nRelaxierung der Hand vom Gelenk,\nOberarm erhebt gestreckten .Unterarm bei relaxierter Hand bis \u00fcber Kopf, dort Hand mit nach au\u00dfen gekehrter Fl\u00e4che vom Oberarm wieder diagonal nach unten gef\u00fchrt.\nMehrfache Wiederholung.\nMensendieclc hat als Eigent\u00fcmlichkeit die mechanisch gehende Hebel\u00fcbung der Extremit\u00e4ten, ferner die Scheidung nach Relaxierung (Muskelerschlaffung, Abspannung) und Energisierung (Muskelspannung) und die atomisierende Teilung der Bewegungsfolgen in Elementarbewegungen, endlich zweifellos eine durch ebendiese veranla\u00dfte Tempoz\u00f6gerung gegen\u00fcber praktischen Anwendungen aufzuweisen. In diesem letzten Punkt liegt eben das allzu Statische des Verfahrens, in der atomistischen Teilung etwas dem Gedanken des motorischen Gesamtimpulses wie der Serienhandlung nicht Konformes. Geleitet wird sie von relativ traditio-","page":988},{"file":"p0989.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitsband\n989\nnellen Idealen der antiken Plastik und der billigen Knnsteinstellnng der amerikanischen Mentalit\u00e4t.\nGegen\u00fcber diesen grunds\u00e4tzlichen Bedenken, die man hegen kann, ist zu sagen, da\u00df Mensendieck von allen \u00fcbrigen das exakt durchgedachteste und dadurch nachpr\u00fcfbarste System auch im Training geblieben ist. Jede einzelne \u00dcbung wird bis ins kleinste begr\u00fcndet. Alle Fehlerm\u00f6gliehkeiten werden festgehalten; ein ganz besonders wissenschaftlich tiefer Wert liegt dabei in der Beachtung der Gelenke. So soll beim Einrollen des Armes von oben beispielsweise der Sch\u00fcler \u201eGelenkbewu\u00dftsein\u201d erhalten und erstlich an die drei Gelenke in Schulter, Ellenbogen und Hand denken, zweitens die Reihenfolge (daher trainingsgem\u00e4\u00dfe Tempoherabsetzungen) beachten, die ihm den Eindruck der \u201eSchraubenwindungswirkungen\u201c beim Armheben verleihen mag, drittens die Einzelbewegung der Teilgelenke beherrschen lernen, viertens die Koppelung der Konzentration und Willenspsannung bei Muskelteilbewegungen vornehmen u. dgl. m. So wird im Mensendieeksystem jede Anweisung, mindestens theoretisch betrachtet, erl\u00e4utert. Dieser durchgehende Grundsatz macht es heute zu einem der bestm\u00f6glichsten Trainingsverfahren auch der Hand.\nWichtig ist, da\u00df alle Bewegungen stets psychisch, vor allem intellektuell bewu\u00dft sein sollen, da\u00df auch die Gelenkteilbewegungen stets der geistigen Selbstkontrolle unterstellt werden. Weder Drill noch Kommando noch Automatismus der Bewegungen sind in diesem System angebracht.\nDie partielle Aufreihung der Bewegungsfolgen macht es naturgem\u00e4\u00df auch gerade f\u00fcr orthop\u00e4dische Anwendungen sehr brauchbar.\nGymnastisch ist in diesem Zusammenhang f\u00fcr Kleinkinderzwecke auch an die Kippschen Kriech\u00fcbungen zu erinnern, die dann allerdings bereits unmittelbar in die Methode der Orthop\u00e4die \u00fcberleiten k\u00f6nnen, vielfach aber nur dazu dienen, bei j\u00fcngeren Kindern langsam das Gelenk- und Muskelbewu\u00dftsein vorzuschulen, um Mensendieckgymnastik anzuschlie\u00dfen1).\n2. Metrische Gymnastik.\nEs war ein genialer Einfall Daterozes, da\u00df er, ausgehend von kallisthenischen Versuchen der Amerikaner, auf den Gedanken kam, K\u00f6rper, insbesondere Handbewegungen, zu verbinden mit der Erziehung auf musikalische Bef\u00e4higung; auf Taktieren, metrisches Rhythmisieren usf. Allerdings ist zu sagen, da\u00df die\nb Klapp: Kriecb\u00fcbungen. Leipzig 1923; Lochm\u00fcller: Die Klapp&cken Kriecb\u00fcbungen. Leipzig 1925.","page":989},{"file":"p0990.txt","language":"de","ocr_de":"990\nFritz G-iese\nMusikausbildung bei Dateroze immer im Vordergrund stand, umgekehrt, da\u00df \u00fcbertriebene Formen der individuellen Taktierkultur mit Hand und Bein sp\u00e4ter abgeschliffen wurden. Heute l\u00e4\u00dft sich vielfach eine Trennung nach metrischer und plastischer Gymnastik nicht verkennen in den Dalcrozeschulen1).\nJaques-Dater oze entwickelte mit Begleitmusik einen Grundri\u00df von K\u00f6rper\u00fcbungen, bei denen aber zumeist der Schwerpunkt der Erfassung der musikalischen Einheit und der Darstellung der Takte durch K\u00f6rperbewegung blieb. Uns interessieren hier au\u00dfer den sonstigen \u00dcbungsformen (Willens- und Spontaneit\u00e4ts\u00fcbungen, betontes Gehen, Schreiten in Zeitwerten, auch Realisieren genannt, Atem\u00fcbungen, Spielen usf.) vor allem die Taktier\u00fcbungen2).\nDas Taktieren erfolgt im Anschlu\u00df an das Gehen, wobei die Abbewegung mit starker Armmuskelspannung und Handgelenk -energisierung und die Aufbewegung mit Nachlassen dieser Spannungen unterschieden ward.\nHierbei werden alle Taktarten, Taktwechselfolgen, Tempo\u00e4nderungen, Phrasierungsm\u00f6glichkeiten, Einzel- und Gruppen\u00fcbungen, das Nachtaktieren nach gegebenem musikalischen Taktvorbild oder das Improvisieren eines Taktes aus der Hand mit Finden einer zuzuordnenden Melodie kombiniert. Ausdruckshand und Arbeitshand vermischen sich. Vormals galt es als Erziehungs-wert, den Sch\u00fclern das v\u00f6llig verschiedenartige Taktieren mit rechter und linker Hand oder den Beinen beizubringen. F endet3) berichtet von solchen Extremversuchen, bei denen ein Arm auf zwei, der andere auf drei, der Kopf zu vier, die F\u00fc\u00dfe auf f\u00fcnf Takte reagierten. Heute ist das als Erziehungsziel \u00fcberwunden. Die Taktierhand f\u00fchrte vielmehr zu wichtigen Sonder\u00fcbungen f\u00fcr Willens -folgen, aber auch Willenshemmungen (Inhibierungen) der Bewegungen. Ferner erzieht diese Takthandschulung neben den sonstigen Taktfolgen des K\u00f6rpers zu Konzentration, zur Gruppenanpassung, zur F\u00fchrung in der Gruppe (Dirigieren) und vielem mehr. Mittelpunkt bleibt auch jetzt die musikalische Auflockerung der Person durch zugeordnete K\u00f6rperbewegungen. Man kann durchaus nicht sagen, da\u00df die Hand dabei nur Ausdruck sei. Sie ist mitarbeitendes Glied, um das musikalisch-metrische Bewu\u00dftsein zu bilden. Die \u00dcberleitung in die plastische Darstellung f\u00fchrt alsdann zu ausgesprochen darstellenden Methoden, die sich mit Problemen der B\u00fchne und des Tanzes verbinden.\nx) Dalcroze: Rhythmus, Musik und Erziehung. Basel 1921; Thurau-. Die rhythmische Gymnastik in der Schule. Berlin 1915; Feuclel- Thurau: Rhythmik. M\u00fcnchen 1926.\n2)\tJaques-Dalcroze: Le rythme, la musique et l\u2019\u00e9ducation. Paris und Lausanne 1925; M\u00e9thode Jaques-Dateroze. 6 Bde. Ebenda. (Wird noch fortgesetzt.)\n3)\tFeudel- Thurau: Rhythmik. M\u00fcnchen 1926; Die rhythmische Gymnastik in der Schule. Berlin 1915.","page":990},{"file":"p0991.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n991\nFig. 181. Taktierstudie zu vier nach Dalcroze","page":991},{"file":"p0992.txt","language":"de","ocr_de":"992\nFritz G-iese\n3. Rhythmische Gymnastik.\nAus der metrischen Gymnastik hat sich die rhythmische entwickelt. Selbstverst\u00e4ndlich hatte auch Jaques-Dater oze Metron und Rhythmus als verschieden erkannt. Sein System blieb aber stets in erster Linie musikalisch gerichtet. Nunmehr entwickelten sich Richtungen, die jenseits vom musikalischen Bezugssystem zum eigentlich Rhythmischen strebten. Dabei ist der Begriff Rhythmus von vieldeutiger, hier nicht zu er\u00f6rternder F\u00e4rbung1). Es mu\u00df gen\u00fcgen, wenn wir unserem Zusammenhang gem\u00e4\u00df wiederum die verschwommenen Formen popul\u00e4rer Phraseologie auslassen und nur betonen, da\u00df rhythmische Gymnastik mehr sein wollte als blo\u00df metrisches Verhalten. Begriffe wie K\u00f6rperschwung, Ganzheitsbewegung und \u00dcbertragung des Rhythmus auf seelisch bedingte Begriffe, wie Entspannung-Spannung (was psychologisch etwas ganz anderes ist als Relasierung oder Energisierung der Muskeln): alle diese Zusammenh\u00e4nge sind Gegenstand der rhythmischen Gymnastik. Dazu kommt die Betonung des k\u00fcnstlerischen Vorwurfes, der bis zum k\u00fcnstlerischen Tanze reicht. Als Vertreter der Methoden sind hier zu nennen Bode2) und Laban3), die heute als die wesentlichen Begr\u00fcnder einer rhythmisch gerichteten Gymnastik anzusprechen w\u00e4ren.\nRein k\u00fcnstlerisch-allgemein gerichtete Systeme, die ins Kallisthenische gehen (Duncan4) oder mystisch tendierende (Eurhythmie nach Steiner, harmonische Gymnastik und eine Menge anderer volkst\u00fcmlicher Laiensysteme5) fallen selbstverst\u00e4ndlich nicht in das Bereich wissenschaftlichen Interesses.\n1)\tVgl. Giese: Rkythmusbegriff. Kongre\u00dfber. d. Kongr. f. \u00c4sthetik 11. Kunstwissenschaft. Halle. Stuttgart 1927 ; Rhythmus i. Leben und Kunst der V\u00f6lker. Vortrag auf dem I. intern. Kongre\u00df f\u00fcr Rhythmus. Genf 1926. (Ber. 1928); Gestalt und Rhythmus in der gymnastischen K\u00f6rperkultur. Erg. d. ges. Med. Berlin und Wien. 9. (1926); Matthias: Entwicklungsrhythmus und K\u00f6rpererziehung. M\u00fcnchen 1926; Alfr. M\u00fcller: Rhythmische Gymnastik. Jena 1925; Giese: K\u00f6rperseele. M\u00fcnchen 1924; ferner Klages in Ballot und K\u00fcher: K\u00fcnstlerische K\u00f6rperschulung. Breslau 1926.\n2)\tBode: Rhythmus und K\u00f6rpererziehung. Jena 1923; Ausdrucksgymnastik. M\u00fcnchen 1925; Das Lebendige in der Leibeserziehung. M\u00fcnchen 1925; Neue Wege in der Leibeserziehung. M\u00fcnchen 1925.\n3)\tLaban: Des Kindes Gymnastik und Tanz. Oldenburg 1926; Gymnastik und Tanz. Oldenburg 1926.\n4)\tDuncan: Elisabeth-Duncan-Schule. Diederichs, Jena; ferner in Pallat-Hilher: a. a. 0.\n5)\tKallmeyer: K\u00fcnstlerische Gymnastik. Schlachtensee 1910; ferner Pallat-Hilher: a. a. 0.; Winther: K\u00f6rperbiidung als Kunst und Pflicht. M\u00fcnchen 1920; Der rhythmische Mensch. Rudolstadt 1922; Lebendige Form. Karlsruhe 1924; K\u00fcher: Reine Gymnastik. Berlin 1926; Abraham: Sportliche Gymnastik. Leipzig 1923 ; Bialonshi : Aufbauende K\u00f6rperschulung. Berlin 1925 ; Buhh : Grundgymnastik. Leipzig 1925.","page":992},{"file":"p0993.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n993\na) Rhythmische Gymnastik im engeren Sinne: Ansdruckgymnastik.\nWiederum interessiert uns nur die arbeitende Hand und das Trainingsprinzip der Methodik.\nBode bezeichnet sein System auch als Ausdrucksgymnastik. Damit ist die erlebnisgem\u00e4\u00dfe und zugleich subjektivistische Einstellung der arbeitenden Person gemeint. Rhythmus wird als Erlebnis genommen, es findet weder unmittelbare objektive Einstellung auf Zweckanatomie und Hygiene der Bewegungen (wie bei Mensendieck) noch taktisch musikalische Ausgestaltung (wie im System Jaques) statt. Das Erlebnis des rhythmischen Prinzips wird Mittelpunkt. Mit dieser Abtrennung von Metron und Rhythmus ist zwar, wie die Anh\u00e4nger von Jaques betonen, kein eigentlicher Unterschied gepr\u00e4gt, da jede Taktrealisierung in sich Rhythmus berge oder richtiger umgekehrt jede Rhythmisierung gar nicht anders als als Takt gestaltet werden k\u00f6nne. Als k\u00fchler Beobachter kann man hinzuf\u00fcgen, da\u00df sicherlich manche Leute das rhythmische Prinzip nicht anders als verschwommenes, mystisches oder pubert\u00e4thaft bestimmtes Etwas in die K\u00f6rpererziehung hineintragen, ohne da\u00df irgendeine Handhabe f\u00fcr reale Gegebenheiten oder eine Kontrolle existiert.\nWichtig ist, da\u00df Bode in diesem Zusammenhang aus dem Rhythmusgedanken f\u00fcr die Bewegungsformen (der Hand) den Gedanken der unterbewu\u00dften L\u00f6sung mit der Idee der Entspannung und Spannung verbindet. Kr\u00e4fte, wie sie das ungehemmte Kind noch in der Bewegung offenbart, sollen wieder gelockert werden, Hemmungen sollen schwinden. Damit wird erstrebt Wiedergewinnung der formalen nat\u00fcrlichen Atmungsweise bei den Bewegungen, zweitens der psychologisch sehr richtige und wichtige Ganzheitscharakter der Bewegung, stammend aus der Totalit\u00e4t der Person. Damit ist der Trennungsstrich zu den elementar aufbauenden Mensendieck\u00fcbungen wie zum drillhaften Turnen ebenso gezogen wie gegen\u00fcber der Leistungseinstellung im Sport. Es ist interessant, da\u00df selbst die erw\u00e4hnten E\u00e4lle der Fehlleistung, etwa des Schreibkrampfes, von Bode aus der falschen Totaleinstellung der Person abgeleitet werden. Er will daher durch die strukturelle Schulung des Menschen eine \u00d6konomie der psychophysischen Energie erzielen und alles vermeiden, was zu einer Fehlwirtschaftsf\u00fchrung im psychophysischen Haushalt f\u00fchrt. Um nur bei der Hand (Schreibkrampf) zu bleiben, gibt er Entspannungs\u00fcbungen, die die starre Verkrampfung der Hand wie des ganzen Menschen l\u00f6sen w\u00fcrden. Folgende vier Ursachen der mangelnden Entspannungsf\u00e4higkeit werden Grundlage seiner Methode:\na') Zu starke Anspannung der Muskelgruppen, die f\u00fcr die jeweilige Bewegung von nebens\u00e4chlicher Bedeutung sind, w\u00e4hrend","page":993},{"file":"p0994.txt","language":"de","ocr_de":"994\nFritz G-iese\ndie dominierenden Muskeln unangespannt sind (Beispiel: Aushol-schlag des Armes);\n\u00df') zu fr\u00fchzeitige Anspannung der Muskeln bei Bewegungen (Beispiel: die oben erw\u00e4hnte vielf\u00e4ltige Zusammenarbeit der H\u00e4nde in der Werkt\u00e4tigkeit);\ny') zu sp\u00e4te Entspannung der Muskeln nach Arbeitsvollzug (Sto\u00dfbewegung) ;\nFig. 182. \u00dcbnngstyp nach Bode.\nS') unzweckm\u00e4\u00dfige sukzessive Folge der Bewegungen, wenn an einer Bewegung mehrere Muskelpartien beteiligt sind, oder falsche Antriebs Verteilung der Bewegung bei gro\u00dfen K\u00f6rpermuskeln und Extremit\u00e4tenmuskeln (Greifbewegung zum Beispiel).\nSo ruht dieses System auch f\u00fcr die Hand\nauf Totalbewegung,\nauf Zentralangriffspunkten im K\u00f6rper,\nauf spezifischen Schwung\u00fcbungen der ganzen Person,","page":994},{"file":"p0995.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n995\nwobei je nach Konstitution die Gehemmten mehr Entspannungs-, die Schwachen eher Spannungs\u00fcbungen erhalten. Meist wird mit Gong oder Musik die Tempo- und Einsatzfolge reguliert: methodisch ein umgekehrtes Bild als bei Jaques, bei dem die Musik Dominante der Bewegung bleibt. Es ist unm\u00f6glich, hier auf N\u00e4heres einzugehen. Obenstehend ist ein Typ von \u00dcbung, die am ehesten auf unser Gebiet Bezug nimmt, dargestellt. (Fig. 181.)\nEs ist selbstverst\u00e4ndlich, da\u00df bei Bode die \u201eHand\u201d als Organ wegen der Totalit\u00e4t eine elementarere Bolle spielen mu\u00df; ferner da\u00df, wo sie in Betracht steht, niemals jene atomistische Methode nach Mensendieck durchgreift.\n\u00df) T\u00e4nzerische Gymnastik.\nLaban hat alsdann, unabh\u00e4ngig davon, ausgehend von au\u00dferordentlich konglomerativen Unterlagen, eine Gymnastik oder Bewegungslehre entwickelt, deren Krone der Tanz wird. Seine Bewegungslehre hat also andere Ziele als die Ausdrucksgymnastik Bode s.\nBei Laban1) spielt die Hand eine wesentlich st\u00e4rkere Bolle, da sie im k\u00fcnstlerischen Tanz pantomimische Bedeutung gewinnt und weil ihre Grundformen auch in der Choreographie erfa\u00dft werden mu\u00dften. Letztere haben wir gelegentlich der Ausdruckshandbesprechung noch zu erw\u00e4hnen.\nHier soll nur auf den prinzipiellen Aufbau der t\u00e4nzerischen Gymnastik bzw. Bewegungslehre Labans verwiesen werden.\nSeine Methodik der Handschulung umfa\u00dft folgende systematische Grundrichtungen:\nBezogen wird das System auf die drei Komponenten\nK\u00f6rper,\nRaum,\nAusdruck,\nwas dem Endziel dieses Verfahrens, wir d\u00fcrften sagen der Tanz-arbeit, ja entspricht. Nicht der Mensch, wie bei Bode, oder die Musik, wie bei Jaques, oder Hygiene und \u00c4sthetik, wie bei Mensendieck, sondern der Tanz sind das \u00dcbungsziel.\nArm und Hand spielen dabei methodisch folgende instrumentale Bolle: oc1) K\u00f6rperreihe.\na2) Atmungsregulierung:\nArmheben beim Einatmen (Niederknien, Beinstreckung) Armsenkung bei Ausatmen,\nTe\u00fcatmung bei langsamer nach au\u00dfen streichender Armhebung,\nBeugung nach Gegenseite, Einatmung, Armsenkung; K\u00f6rperstreckung, Ausatmung ;\n!) Laban: Welt des T\u00e4nzers. Stuttgart 1920. Nachstehende Einzelheiten (soweit ver\u00f6ffentlicht) bei Laban: Gymnastik und Tanz. Des Kindes Gymnastik und Tanz. Oldenburg 1926.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n65","page":995},{"file":"p0996.txt","language":"de","ocr_de":"996\nFritz G-iese\n\u00df2) Kraftspannung:\nErste Form: Abspannung,\nArme senkrecht heben, locker fallen lassen,\nH\u00e4nde durch Sch\u00fctteln abspannen.\nZweite Form: Anspannung,\nKnien, H\u00e4nde vorn senkrecht am Boden aufst\u00fctzen, Oberk\u00f6rper hohlkreuzig vorschieben, rundr\u00fcckig zur\u00fcckziehen,\nAusgangsstellung als erste Position. Arme senkrecht heben, gradr\u00fcckig beugen bis zur Wagrechten, langsam gespannt auf richten,\nGleiche Ausgangsstellung: Arme gespannt senkrecht heben, Rumpf r\u00fcckw\u00e4rts senken vom Becken aus bei geradem Kreuz;\nH\u00e4nde ballen und krallen abwechselnd.\nY2) Geschmeidigkeit.\nAus sogenannter zweiter Position:\nR\u00fcckw\u00e4rts beugen, bis H\u00e4nde am Boden sind, Wieder auf richten.\nAus erster Position: Vorw\u00e4rts beugen mit gestreckten Knien, bis H\u00e4nde Boden ber\u00fchren.\nBei weiterhin angegebenen Drehspr\u00fcngen, Impnls\u00fcbungen usw. spielt Arm und Hand selbstverst\u00e4ndlich eine erhebliche Eolle.\n\u00df1) Raumreihe.\na2) Gleichgewichts\u00fcbungen:\nEin Bein hochziehen, Arme in H\u00fcfth\u00f6he beugen, zugleich Arme vorstrecken, Oberk\u00f6rper seitw\u00e4rts senken, Bein r\u00fcckw\u00e4rts hinausstrecken,\nGleiche \u00dcbung mit Vorw\u00e4rtsbein und R\u00fcckw\u00e4rtsk\u00f6rper,\nBeinheben seitlich, Arm der Gegenseite, Oberk\u00f6rper gleichgerichtet geneigt,\nDrehungen durch Armschwung (x/2, 1/1, F/2 Drehungen) ;\n\u00df2) Raumorientierung:\nSchwungskalen mit den Armen;\nY2) Metrik:\nBeide Arme weit nach au\u00dfen (r\u00fcckw\u00e4rts) f\u00fchren, abwechselnd und gleichzeitig beidseitig ;\nMit einem Arm stark zur Gegenseite hin\u00fcb erf\u00fchren, abwechselnd und gleichzeitig beidarmig,\nArme bis zum Ellenbogen fest am K\u00f6rper lassen, nur Unterarme aus einer Lage wagrecht vor K\u00f6rper in neue Lage hinter K\u00f6rper schieben. Simultan ein Arm vorn, einer hinten.\nKombination mit Beinen.\nY1) Ausdruckreihe. a2) Rhythmik:\nObige \u00dcbungen in verschiedener Zeiteinteilung:\nLangsam, schnell, mittel,\nkonstant, vielfach wechselnd, allm\u00e4hlich wechselnd. \u00df2) Dynamik;\nObige \u00dcbungen in verschiedener Kraftbetonung:\nStark, mittel, schwach,\nkonstant, vielfach wechselnd, allm\u00e4hlich wechselnd;","page":996},{"file":"p0997.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n997\ny2) Geb\u00e4rde:\nArmbewegungen sch\u00f6pfend kombiniert, mit Bein, weitere Ausdruckformen :\nSch\u00f6pfen,\nStreuen,\nSto\u00df,\nDruck,\nZug,\nSchlag ;\nwechselweiser \u00dcbergang zur pantomimischen Geb\u00e4rde.\nc) Sportliche Hand\u00fcbungen.\nEs ist ausgeschlossen, hier auf einzelne methodische Sportdinge zn verweisen, da die Hand im Sport eine unendlich viel-\nPig. 183. Handsto\u00dfpr\u00fcfer (Illustrationsbeispiel). (Mit elektrischer Registrierung der Sto\u00dfwirkungen.)\nfaltige Rolle spielt. Wir begn\u00fcgen nns daher mit der methodischen Prinzipiendarstellnng, welche f\u00fcr sportliche Anwendnngsweisen kennzeichnend sein mag.\n1. Methodisches Prinzip der Handauslese.\nErstlich pflegt man heute die Hand im Sport, ganz im Sinne einer psychotechnischen Eignungspr\u00fcfung, durch Apparate oder sonstige Behelfsmittel diagnostisch zu kennzeichnen. Habei k\u00f6nnen im gro\u00dfen und ganzen s\u00e4mtliche Ger\u00e4te in Betracht kommen, die in der Psychophysik der Hand wertvolle Hienste leisten. Insbesondere sind Dynamometrie, Ergographie, Tremometrie ein-\n65*","page":997},{"file":"p0998.txt","language":"de","ocr_de":"998\nFritz Griese\ngef\u00fchrtes Pr\u00fcfverfahren, um unter einer Zahl von Sportanw\u00e4rtern die manuell geeigneten zu finden und die mannellen Eigenarten scharf abzngrenzen.\nSchulte1) hat das Verdienst, als erster in weitem Umfange eine reiche Menge von Sportpr\u00fcfapparaten, auch f\u00fcr die Hand, eingef\u00fchrt zn haben. Vielfach wird dabei, entsprechend dem Grundsatz der allgemeinen Eignungspr\u00fcfung, auch ein Ger\u00e4t von erheblicher Wirklichkeitsn\u00e4he angewendet, das zugleich mit einer z\u00e4hlenden oder schreibenden Me\u00dfeinrichtung versehen ist. Im \u00fcbrigen werden dabei alle in der Eignungspr\u00fcfung und Wirtschaftspsychologie \u00fcblichen methodischen Gesichtspunkte beibehalten2).\nGelegentlich wird dann der \u00dcbergang zu sehr komplexen seelischen, f\u00fcr den Sportler wichtigen Eigenschaften \u00fcber den Weg der Hand versucht. So hat Schulte Mutpr\u00fcfungen durch Anfassen hei\u00dfer oder elektrisch geladener Griffe durchgef\u00fchrt u. \u00e4. m.\n2. Methodisches Prinzip der Trainin g shontr olle.\nEin zweiter methodischer Gedanke beruht in der durch apparative oder behelfsm\u00e4\u00dfige Einrichtungen durchgef\u00fchrten Trainingskontrolle bzw. Trainingsunterst\u00fctzung.\nEs wird also das bei der Eertigkeitsschulung der Industrie erw\u00e4hnte Prinzip auch in der K\u00f6rpererziehung durch Sport beibehalten. Der Sport eignet sich hierbei zweifellos besser als die Gymnastik, die weniger kontrollierbare Werte auf weist, zumal wo sie rein rhythmisch gestaltet wird3).\nDie Trainings\u00fcbungen erfolgen entweder allgemein am Phantom, sei es der Sandsack, der Punchingball oder sonst ein Behelfsger\u00e4t.\nDieselben Apparate, welche zur allgemeinen Auslese dienen, werden dann als Trainingskontrollen benutzt, wobei es m\u00f6glich ist, Tageswerte vergleichsweise auf Wochen als Arbeitskurve der Sporthand aufzuzeichnen.\nGrunds\u00e4tzlich ist man ferner bem\u00fcht, wie K\u00fcbler4) darstellt, auch die Me\u00dftechniken zur Sportkontrolle im Training zu verbessern; auch dort, wo gar keine rein psychotechnischen Apparate zur Verwendung kommen.\nSo wird beispielsweise eine Me\u00dftechnik f\u00fcr die Einheitsund Vergleichs werte im Ball, Speer, Diskuswurf, f\u00fcr Kugelwurf,\nx) Schulte: Eignungs- und Leistungspr\u00fcfung im Sport. Berlin 1925. Leistungssteigerung in Turnen, Spiel und Sport. Oldenburg 1927.\n2)\tGiese: Wirtschaftspsychologie. Abderhaldens Handb. 6. Berlin 1927; Handb. d. ps. Eignungspr\u00fcfungen. Halle 1925.\n3)\tGiese: Psychotechnik in der K\u00f6rpererziehung. Bern 1928.\n4)\tKubier : Messung und Wertung der Leistungen im Athletiksport. Bern 1924.","page":998},{"file":"p0999.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n999\nKugelsto\u00dfen, Steinsto\u00dfen entwickelt, wobei bestimmte Normen f\u00fcr die Wurf l\u00e4ngen angesetzt werden. Die L\u00e4ngen werden mittels Stoffme\u00dfband, das bis zu 1 % L\u00e4ngenungenauigkeit (Feuchtigkeits-einfl\u00fcsse usw.) auf weist, in Dezimetern abgelesen. Gelegentlicher Vergleich mit Stahlme\u00dfb\u00e4ndern, die methodisch in der Praxis erheblichere Nachteile besitzen, wird empfohlen. Ferner werden gewisse Ma\u00dfeinheiten als Norm in der Eekordanerkennung festgehalten; beim Speerwurf beispielsweise 80 cm, beim Schleuderball und Diskus 1 m, bei anderen Wurf- und Sto\u00dfarten 30 cm im Mittel. Hinzu treten Fehlerausgleiche, die infolge von Unebenheiten des Platzes und Bodenh\u00e4rteunterschieden wie aus Gr\u00fcnden des R\u00fcck-w\u00e4rtsfallens (etwa des Steines bei Aufprall) zustande kommen. Diese indirekte Leistungskontrolle der Hand h\u00e4ngt also in der Praxis von ungeheuer vielen Imponderabilien ab, so da\u00df der isoliert und abstrakt vorgehende psychologische Apparat in dieser Beziehung als indirekter Wertmesser des Ergebnisses eine erhebliche Rolle spielen kann.\n3* Handstudien im Sport.\nMehr und mehr breitet sich im Sport die analytische Leistungs-studie der Hand aus, und zwar auch auf Gebieten, die unmittelbar die Handwirkung vielleicht nicht erkennen lassen m\u00f6gen. So hat Boehmer f\u00fcr den Reitsport die Zusammenarbeit der Bewegungen eingehender Beobachtung unterzogen und in Anwendung mit dem Unterricht zum Reiten in Beziehung gesetzt1).\nEs gibt Sportformen, in denen die Handbewegung alsdann eigentlicher Mittelpunkt formaler Differenzierung im Sinne des ,, Griffes\u201d und der Griff arten wird. Das hervorragendste Beispiel hierf\u00fcr ist das japanische Jiu Jitsu2). Auch Diskus, Degenfechten, Florett und Boxen kommen handtechnisch nicht entfernt an die f\u00fcr die psychophysische Wirkung des Jiu Jitsu kennzeichnende Auswertung der arbeitenden Extremit\u00e4t heran3).\nx) Boehmer: Die elementaren Naturgesetze der Bewegungen von Mensch und Tier. Berlin 1924; Maxick: Muskelbeherrschung. Leipzig 1914.\n2)\tAndr\u00e9: 100 Coups de Jiu Jitsu. Paris 1907; Takuj: Kunst der Selbstverteidigung. Berlin (ohne Jahr).\n3)\tKrieg: \u00dcbungen im Ziehen, o. O. 1923; Vgl. Presinsky: Lawn Tennis. Leipzig 1907; Bochlke: Fechten. Stuttgart 1924; Oswald: Florettfechten. Stuttgart 1927; siehe Sportb\u00fcchereien der Spezialverlage Grethlein (Leipzig), Stalling (Oldenburg); ferner Boetticher: Der Amateurboxer. Berlin 1924; A. Reichel: Das Schwimmen. Breslau 1897; Meist und Winter: Der Schwimmsport. Berlin 1925; Luedecke: Der Speerwurf. Berlin 1923; Moeller: Keulenschwingen. Leipzig 1922; Sparbier: Leichtathletische \u00dcbungen. Stuttgart 1923; Handbuch der Leibes\u00fcbungen. Berlin (laufend ab 1923) (Herausgeber Diem, Mallwite, Neuendorff); Diem: Taschenbuch der Leibes\u00fcbungen (laufend), ebendort; Beitr\u00e4ge zur Turn-und Sportwissenschaft. Berlin ab 1923.","page":999},{"file":"p1000.txt","language":"de","ocr_de":"1000\nFritz Gdese\nDurch bestimmte Trainingsmethoden \u2014 Kantenh\u00e4rten der Arbeitshand durch systematische Anfschlag\u00fcbnngen auf harte Unterlagen, Dreh- und Aus drehgriff \u00dcbungen, Faustschlu\u00dfanwendung, Zupackverfahren \u2014 wird die Hand in Zusammenarbeit mit dem Bein auf Angriff oder Abwehr eines t\u00e4tlichen Individualangriffes durch einen zweiten Menschen eingedrillt. Hierbei kommen vor allem in Betracht Griffe wie folgende:\nSchl\u00e4ge gegen den Kehlkopf,\nAnpacken des Halses,\nQuerschl\u00e4ge auf alle Partien des Angriffsarmes des Fremden,\nAbwehr von Hieben durch Handkantenschlag auf den Oberarm, Ellenbogen usw.,\nQuerschl\u00e4ge der Hand in die K\u00f6rperseitengegend,\nUmdrehungen der Angriffshand in s\u00e4mtlichen Gelenken, einzelnen Fingern, dem Daumen.\nAusrenken der Gelenke in der Schulter,\nQuergriffe an Rockkragen, \u00fcber Kreuz,\nGriffe von der R\u00fcckseite des K\u00f6rpers \u00fcber die Schulter weg,\nHaltegriffe und Drehbewegungen beim Kampf auf dem Boden,\nUmdrehungen und Biegungen am Hals u. a. m.\nDie Handtechnik benutzt weniger den Faustschlu\u00df, sondern mechanische Hebelwirkungen geschulter Griffe, die Torsionen oder Zertr\u00fcmmerungen der Angriffsarme des anderen erstreben bzw. Schmerzwirkungen in die Angriffspartien des Gegners durch Griffe erzielen. In Beziehung zur Arbeitshand\u00fcbung der Mensen-dieckgymnastik verwertet Jiu Jitsu in ausgezeichneter Weise die dynamischen Wirkungen der Hand, indem das System die Angriffspunkte meist an schwache widerstandslose Stellen legt, fremde Bewegungen durch \u00fcberraschendes Zugreifen einengt, fremde Angriffsenergien der Arme ausnutzt, um dem Angreifer durch dessen Dynamik selbst zu schaden. Als Sonderfall einer sportlichen Methodik beruht das Jiu-Jitsu-Verfahren auf genauester Beobachtung der Hebelleistungen der Arbeitshand.\nd) Ballspiel\u00fcbungen.\nSchon im alten Turnen, der antiken Gymnastik usw. spielt die \u00dcbung der Hand am Ballspiel eine gro\u00dfe Bolle.\nDie grunds\u00e4tzlichen Formen der betreffenden Spielformen sind das Fangen und das Werfen, die organisatorischen Varianten Einzelspiel und Gruppenarbeit. Fangen und Werfen teilen sich nach beidh\u00e4ndiger und einh\u00e4ndiger Arbeit, beim Werfen werden au\u00dferdem Unterschiede in der Ballgr\u00f6\u00dfe wichtig sein.\nMethodisch werden folgende Handarbeitsformen getrennt1):\nl) A. Hermann: Das Ballwerfen und Ballfangen. Berlin 1894.","page":1000},{"file":"p1001.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1001\n1. Wurf arten.\noc) Schwungwurf,\n\u00df) Hebwurf oder sogenannter Schockwurf,\ny) Sto\u00dfwurf,\nS) Schienderwurf.\nDie Turner fa\u00dften hierbei die Armbewegungen, welche die Formen der spielerischen Ballarbeit darstellen, wie folgt zusammen:\nSto\u00df- und Sehwungwurf fordern Beugung des Armes beim Ausholen in der Ausgangsstellung und Armstreckung, um dem Ball eine Anfangsgeschwindigkeit zu verleihen.\nDie zweite Gruppe bedingt Armstreckung bei der Ausgangsstellung und Schwungerteilung mit gestrecktem Arm f\u00fcr die Anfangsgeschwindigkeit (Schock und Schleuderwurf).\nDie erste Gruppe wiederum zeigt vier Varianten:\n<x) Hand des Beugearmes f\u00fchrt Ball etwas hinter Schulter oder Ball wird auf Scheitelh\u00f6he gehoben, dann Sto\u00dfen des Armes zum Wurf (Sto\u00dfen). Bimanuell wird der Ball \u00fcber Kopf gehalten, indes die H\u00e4nde ihn \u201espeichgriffs\u201d erfassen, Yorw\u00e4rtssto\u00df mit Steckruck.\n\u00df') Hand des mit Ellenbogen gehobenen Beugearmes geht mit dem Ball hinter den Kopf (hinter das Ohr; hinterkopfw\u00e4rts). Yorw\u00e4rtsstreckung des Armes mit kr\u00e4ftigem Ruck geradeaus, wodurch Flugrichtung des Balles im Schwungwurf bestimmt ist. Bei Werfen nach Ziel spricht man hier von Kernwurf.\nY) Hand des Streckarmes liegt nach hinten mit Ball in Schulterh\u00f6he, der Streckarm parallel zur Bodenfl\u00e4che. Oberk\u00f6rper dreht sich rechts, linke Schulter vorn heraus. Rasch aufeinanderfolgende Beugungen und Streckungen des Armes vor der Brust vorbei erwirken eine zweite Form des Schwungwurfes, in Richtung vorw\u00e4rts-geradeaus. Wird angewendet als Kernwurf f\u00fcr entferntere Ziele.\nS') Streckarm f\u00fchrt den Ball hinter R\u00fccken (schr\u00e4g nach hinten), so da\u00df Arm zur Bodenfl\u00e4che Winkel von 45\u00b0 bildet, in Parallelebene zur K\u00f6rperl\u00e4ngenachse liegend. Durch rasch aufeinanderfolgende Beugestreckung des Armes wird der Bogen als dritte Schwungwurf form erzielt. Anwendung f\u00fcr Weitziele, auch mit Stein usw.\nDie zweite Gruppe wurde vom Turner wie folgt differenziert:\na\") Schockwurf. Ball h\u00e4lt die Hand mit Kammgriff. Streckarm, in Parallelebene zur K\u00f6rperl\u00e4ngenachse, schwingt nach hinten und l\u00e4\u00dft die Hand beim Vorschwung sich \u00f6ffnen, so da\u00df der Ball davonfliegt. Beim Schockwurf mit Gro\u00dfkugel oder Schwerball wird ein Vorschwung nach vorw\u00e4rts oder vorn bis Kopfh\u00f6he der Hintenbewegung vorangeschickt.\n\u00df') Schleuderwurf. Kammgriffstellung der Hand, Streckarm schwingt in Ebene, die zur L\u00e4ngenachse des K\u00f6rpers etwas mehr als Winkel von 45\u00b0 bildet. Hierbei werden auch besonders ergiebige \u201eAusholformen\u201d angewendet und der Wurf durch zweckentsprechende Beinstellungen und K\u00f6rpermitbewegungen unterst\u00fctzt.\nAlle diese Urformen sind bereits aus den Zeiten Guts-Muths bekannt1) und selbstverst\u00e4ndlich heute durch vielfache sportliche Stileinfl\u00fcsse oder Neuerungen ver\u00e4ndert worden.\nNeben die Wurf formen treten die Fangarten der H\u00e4nde in ihren \u00fcblichen und ebenfalls von fr\u00fcher bekannten Formen.\nx) Guts-Muths: Gymnastik. 1793; Vieth: Monatsschr. f. d. Turnwes., ab 1882 von Euler und Eclcler, Berlin.","page":1001},{"file":"p1002.txt","language":"de","ocr_de":"1002\nFritz G-iese\n2. Fangen.\na) Bimanuelles Fangen, a') Haltung in Gegengriff.\nH\u00e4nde werden mit Wurzeln zusammengelegt, zangenartig ge\u00f6ffnet, eine Hand dorsal deip G-esiclit zugeketirt, in sogenannter \u201eRisthaltung\u201d nach, oben; die zweite entgegengesetzt in \u201eKammhaltung\u201d nach unten. Wechsel der oberen und unteren Hand nach Belieben, mithin strikte Ambidextrie bei allen \u00dcbungen. Die H\u00e4nde m\u00fcssen gesichtsnah gehalten sein, damit das Auge den herauftreffenden Ball zweckentsprechend abpassen kann. (Zusammenarbeit der Hand mit dem Auge!) Anpassung an die Wurfbahn durch entgegenhaltende Armstreckungen. Ebenso entsprechende K\u00f6rperhaltung bei flachbogigem Herannahen oder Bodenn\u00e4he des Balles.\n\u00df') Haltung der Fangh\u00e4nde.\nBimanuelle Tiefstreckhaltung, Zusammenlegen der H\u00e4nde an Kleinfingern, (Kammgriffhaltung) und Beugung zu schwacher H\u00f6hlung. Dient dem Aufhalten des Balles beim Bodenrollen oder bei Prellwurf gegen Boden. Wird mit Knie-und Oberk\u00f6rperbeugung simultan verbunden.\n\u00df) Einh\u00e4ndige Fangarten, a') Bist- oder Auf griff Stellung.\nStarke R\u00fcckbeugung der Hand, seitw\u00e4rts vom Gesicht, meist dazu Armstreckung. Dient dem Ballfang f\u00fcr lotrechten Abfall, Prellwurf oder hochbogigen Heranflug.\n\u00df') Kamm- oder Untergriff.\nHand vor K\u00f6rpermittellinie, meist vorgestreckt; wechselnd benutzt f\u00fcr Prellwurf gegen Boden und lotrechtes Aufspringen des Balles. Entsprechend gehen die \u00dcbungen hiervon aus. Ebenso zum Auffangen flach geschlagener B\u00e4lle anwendbar.\nAns diesen Grundformen, die uralt sind, entstehen alsdann \u00dcbungsreihen zum Ballspiel vielf\u00e4ltigster Form: allein, in Gruppen; frei oder in vorgeschriebenem Tempo, mit und ohne Handwechsel; mit und ohne Musik. Eine besondere Form ist schon der in der alten Gymnastik ge\u00fcbte Zielwurf nach Scheiben usw.1)\ne) Massage.\nEine spezifische Art der auch in der Orthop\u00e4die verwendeten Handanwendung ist die Massage, die im Sinne einer Sportmassage in der K\u00f6rpererziehung ihre besondere Bedeutung hat. Hierbei ist Aufgabe der Handarbeit, neben der allgemeinen dynamischen Einwirkung auf den K\u00f6rper des Massierten vor allem staffelbare Einfl\u00fcsse bestimmten Organsystemen (Haut, Unterhautzellgewebe, Gef\u00e4\u00dfsystem, Herz, Muskulatur, Gelenke, Sehnen und Sehnenscheiden, Kerven) zukommen zu lassen. Therapeutisch wird sie insbesondere bei Bheumatismus, Hexenschu\u00df, Ischias, Muskelrissen, Yerstauchungen, Quetschungen, Gelenkversteifungen, Ent-\n1) Sparbier: Schlagball. Stuttgart 1923; Otto: Handball. Stuttgart 1923; Hermann: Ball\u00fcbungen. Berlin 1894.","page":1002},{"file":"p1003.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\t1003\nZ\u00fcndungen usw. verordnet. Auch f\u00fcr Spitzfu\u00df und Plattfu\u00dfbehandlung kommt sie zur Benutzung. Sie wird so Glied der orthop\u00e4dischen Gymnastik. Gemeinsam mit der Heilgymnastik soll die Massage der Mechanotherapie dienen. Beide Bichtungen spielen praktisch ineinander \u00fcber. W\u00e4hrend die normale Gymnastik stets aktive Bewegungsformen des \u00dcbenden voraussetzt, wird Heilgymnastik (im Sinne der Orthop\u00e4die) auch passive Bewegungen benutzen; mithin solche, bei denen ein Agierender Bewegungen am fremden K\u00f6rper vollzieht. Typus dieser passiven Bewegung ist dann die Massage. Ein K\u00f6rper wird von einem Masseur ,,behandelt\u201d. Hinsichtlich der eigentlichen Orthop\u00e4diegymnastik mu\u00df auf den Abschnitt \u00fcber die Pathologie der Arbeitshand verwiesen werden.\nIn vorliegendem Zusammenhang gilt es, nur die typischen Handbewegungen und Handhaltungen, die Griffe kennenzulernen, welche bei Sportmassage vom Masseur angewendet werden1).\nZu unterscheiden ist, nebenbei bemerkt, die M\u00f6glichkeit der Fremd- von der Selbstmassage. Letztere strebt grunds\u00e4tzlich gleichen Zielen zu, ist aber \u2014 schon aus rein anatomischen Gr\u00fcnden\n\u2014\teher bei der Ausf\u00fchrung der Griffe gymnastisch gerichtet als die Fremdmassage. Sie gilt nur als Zwischen\u00fcbung unter anderen M\u00f6glichkeiten sportlichen Selbsttuns.\nDie Massagegriffe unterstehen in Dominanzfunktion s\u00e4mtlich dem individuellen Einflu\u00df von Bhythmus, Tempo und Takt. Kirchberg verweist ausdr\u00fccklich darauf, da\u00df von diesen \u00fcbergeordneten Faktoren auch die therapeutischen Wirkungen entschieden beeindruckt werden. Wir erkennen hieraus das Wesen der ,,Zusammenarbeit\u201d der H\u00e4nde, die Abh\u00e4ngigkeit der Impulsgebungen vom K\u00f6rperort der Massage (Bauchmassage stets langsam, B\u00fccken stets schnell taktierend), Trennung der Bewegungen in Taktarten (Dreivierteltakt beim gew\u00f6hnlichen Massieren, Viervierteltakt bei Klopfungen und Hackungen). Au\u00dferdem wird der Gesamtimpuls der Bewegungsfolgen als Allegro vivo f\u00fcr B\u00fccken, als Andante beim Bauch vorgeschrieben und eine Serienhandlung\n\u2014\tbeginnend mit Streichungen und Beibungen, \u00fcbergleitend zur eigentlichen Massierarbeit, endend wiederum mit Streichung \u2014 Beibung empfohlen. Die klassische Form der schwedischen Massage teilt ein nach\nStreichungen = Effleurage,\nKneten (Walken) = Petrissage,\nReiben = Friktion,\nKlopfen = Tapotement,\nErsch\u00fctterungen \u2014 Vibration.\nDer Patient ruht entspannt auf einer Unterlage.\nx) Zabludowski: K\u00f6rperh\u00f6he \u00dcbungen und Massage im Dienste des Sportes. Medizin f\u00fcr ahe. 1906; Kirchberg : Sportmassage. Berlin 1924; Huffier : Trait\u00e9 pratique du massage sportif. Paris 1920; Suren: Selbstmassage. Stuttgart 1925.","page":1003},{"file":"p1004.txt","language":"de","ocr_de":"1004\nFritz Giese\nEine Abart ist die finnische Massage, die sich durch gr\u00f6\u00dfere Kraftanwendung beim Kneten und Walken der Muskeln, unter simultanen kreisf\u00f6rmigen, reibenden und dr\u00fcckenden Daumenbewegungen auszeichnet. Auf diese Differenzierungen soll nicht eingegangen werden. F\u00fcr unsere Zwecke ist wichtiger die Griffbeschreibung nach Zablu\u00e4owski-Kirchberg1)\nHandgriffsarten hei Massage.\n1. Intermittierende Dr\u00fcckungen.\nDie Arbeitshand schafft stets breit-fl\u00e4chig. Die Bewegungen sollen nicht als Kneifen, sondern als Dr\u00fccken mit stetem Wechsel der Angriffspunkte vor sich gehen. Beide H\u00e4nde liegen mit weit abgespreizten Daumen dicht nebeneinander und m\u00fcssen mit den Mittelhandknochen-, Daumenballen- und Kleinfingermuskeln auf die Angriffsstellen einen kurzen kr\u00e4ftigen Druck aus\u00fcben. Sinngem\u00e4\u00df\nFig. 184. Dr\u00fcckungen auf der Bauchfl\u00e4che (aus Kirchberg).\nwerden so ganze K\u00f6rperpartien bearbeitet, Variationen der Bewegungsstellung bei der Fu\u00dfsohle oder den Gelenken vorgenommen. Bei letzteren wird zugleich durch Obergriff der einen Hand eine Dehnungsbewegung durch Zug beider H\u00e4nde abgeschlossen und der Zugbewegung eine entgegengesetzte Sto\u00dfbewegung ( Gegeneinanderbewegen der Gelenkenden) angekoppelt. Die Serienhandlung verbindet also Druck, Zug, Sto\u00df. Alle Bewegungen sind ausdr\u00fccklich intermittierende, den Angriffsort stetig im Takt wechselnde.\n2. Klopfungen.\nDas Handgelenk wird v\u00f6llig locker gehalten, die Hand genau in Richtung des Unterarmes gestellt. Die Hand ist nicht ganz zur Faust geschlossen. Spitze des Kleinfingers liegt an der Mitte des vierten, die des vierten bis zum Nagelgliedanfang des dritten, zweiter und dritter Finger ber\u00fchren eben den Daumenballen. Daumen liegt auf dem Zeigefinger oder lose in der Hand. Kleinfingerballen und \u00e4u\u00dferer Rand des Kleinfingers \u00fcben die Klopfungen durch Aufschlagen aus. Alle haben ,,aus dem Handgelenk\u201d zu erfolgen, wozu Training n\u00f6tig wird. Die Intensit\u00e4t der Klopfungen, hat sich anzupassen der Muskelschichtst\u00e4rke, die ber\u00fchrt wird, und mu\u00df um so leichtere Wirkungen ausl\u00f6sen, je d\u00fcnner diese ist. Alle Schl\u00e4ge haben senkrecht auf die Muskelpartie zu erfolgen. Pro Sekunde erfolgen zwei bis sechs Schl\u00e4ge, meist bimanuell wechselnd.\n\u00dc Zablu\u00e4owski: Technik der Massage. Leipzig 1910; M\u00fcller: Lehrbuch der Massage. Bonn 1915.","page":1004},{"file":"p1005.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1005\nStatt der Lockerfaust kann man auch mit den Fingerspitzen arbeiten. Hierbei werden ein- oder beidh\u00e4ndig die Finger halbgebeugt. Die Wirkung soll ausgesprochen federnd sein, um den Sch\u00e4del oder Tiefengegenden um den Magen usw. zu beeinflussen.\n3.\tHachungen.\nMit Ellenseite des Kleinfingers (Ballens) wird aufgeschlagen. Entfernungen der H\u00e4nde etwa 2 bis 3 cm, Innenfl\u00e4chen zueinander parallel gekehrt. Keine Abknickungen nach au\u00dfen oder innen, sondern Stellung in unmittelbarer Verl\u00e4ngerung des Unterarmes. Schlag erfolgt auch hier aus dem Handgelenk. Der kleine Finger steht beim Auftreffen etwa 30\u00b0 vom vierten ab, um die Wucht zu mildern. Abwechselnd hebt sich die eine, f\u00e4llt die andere Hand herab. Beide H\u00e4nde sind also autonom verbunden. Tempo ist sehr rasch zu nehmen.\nFig. 185. Hackbewegungen auf der Herzgegend.\n4.\tKlatschungen.\nHier arbeitet die Hand mit der ganzen Fl\u00e4che, und zwar innen wie au\u00dfen. Handr\u00fcckenklatschungen wirken st\u00e4rker. Die Arbeitshandbewegung erfolgt aus dem Handgelenk und den Fingermittelhandknochen. Bei Innenhandklatschung werden die Finger etwas hohl gehalten, zwecks Luftkissenbildung beim Schlag. Daumen liegt am zweiten Finger.\n5.\tSch\u00fcttelungen, Schleuderungen, Dehnungen.\nSch\u00fcttelungen und Schleuderungen werden am Fremdk\u00f6rper durch direktes Erfassen der Glieder des Patienten erwirkt: interessieren also uns nicht als Form der Handbewegung des Masseurs.\nDehnung erfolgt mit den oben erw\u00e4hnten ruckweisen Zugbewegungen einer Partie, wobei die Arbeitshand an zwei Fixpunkten, die auseinanderliegen (z. B. Hand des Patienten, Schulter des Patienten), Halt fa\u00dft.\n6.\tErsch\u00fctterungen.\nHierbei fassen die Masseure den Patienten an zwei Punkten ah, und setzen (aus Unter- und Oberarm) ihre Extremit\u00e4ten in mehr oder minder feinschl\u00e4gige","page":1005},{"file":"p1006.txt","language":"de","ocr_de":"1006\nFritz Giese\nZitterbewegungen. Letztere \u00fcbertragen sich dann als Vibration auf den Fremdk\u00f6rper. Gleichzeitig soll ein leiser kontinuierlicher Druck der Arbeitshand beim Angriffspunkt beibehalten werden. Auch Ersch\u00fctterungen mit Sch\u00fcttelungen kommen vor. Vibration meint meist die erstere Art der Handwirkung. Diese Funktion der Arbeitshand gilt als schwer, da leicht Krampferm\u00fcdung beim Masseur einsetzt. Sie ist eine der interessantesten Formen der Zitterbewegungs-anwendungen in der Praxis, und zwar der aktiven Zitterbewegungen gegen\u00fcber dem unwillk\u00fcrlichen, pathologischen Tremor. Auch in der Gymnastik spielen, wie erw\u00e4hnt wurde, diese mit der ,,Relaxierung\u201d zusammenh\u00e4ngenden Sch\u00fcttelbewegungen willk\u00fcrlicher Art eine gro\u00dfe Rolle, nur erfolgen sie hier nicht aus dem willk\u00fcrlichen Schlottergelenk, sondern haben eine trommelartige Schlegel\u00fcbertragung zur Voraussetzung. Als Beispiel der Ersch\u00fctterungsbewegung bei sitzender Haltung von Masseur und Massiertem sei folgende Abbildung ausgew\u00e4hlt.\nFig. 186. Ersch\u00fctterung der Herzgegend im Sitzen (aus Kirchberg).\n7. Reibungen\u00bb\nHierbei wechseln die Handhaltungen st\u00e4rker nach der K\u00f6rpergegend. Auf dem R\u00fccken wird beispielsweise eine zickzackf\u00f6rmige Bewegungsfolge der mit den Innenfl\u00e4chen aufgesetzten ersten Glieder des zweiten bis f\u00fcnften Fingers durchgef\u00fchrt. Bewegung erfolgt in L\u00e4ngsrichtung des R\u00fcckens von Kacken bis zu den K\u00e4mmen der Darmbeinschaufeln, bimanuell. Sie sind in der Bewegung von unten nach oben abzul\u00f6sen durch den sogenannten Pl\u00e4ttgriff. Hierbei werden die H\u00e4nde rechtwinklig gegen die Hand im Fingermittelhandgelenk abgeknickt und mit den Seitenfl\u00e4chen der Finger nebeneinandergelegt. Der Daumen der einen Hand soll dabei in die andere hineingesteckt sein, die acht Finger bis zum Fingermittelhandgelenk m\u00fcssen fest und flach auf der Angriffsfl\u00e4che ruhen. So werden die H\u00e4nde kr\u00e4ftig mit Ruck \u00fcber den R\u00fccken zur\u00fcckgef\u00fchrt. Beide Bewegungsformen schlie\u00dfen sich also in Abfolge stets aneinander.\nBei anderen Partien, wie den Beinen, werden die H\u00e4nde in lockerer Gliedumfassung schnell unter starkem Zug von unten nach oben hinweggef\u00fchrt. Ziel der Reibungsgriffe ist nur R\u00f6tung der Haut (Blutw\u00e4rmeherstellung).\nDie Reibungen gehen \u00fcber in Haut- und Knochenverschiebungen, wenn die Arbeitshand \u2014 in geringer Entfernung der Rechten und Linken \u2014 fest aufgesetzt wird, und im Harmonikagriff die darunter liegende Hautpartie zusammen geschoben ist (Faltenbildung).","page":1006},{"file":"p1007.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1007\n8.\tStreichungen (Effleurage).\nDie Hand folgt eng den Konturen der Hautoberfl\u00e4che und wird in Bogen, oder Spiralen von der Peripherie her vorgef\u00fchrt. Bimanuell wird die eine Hand in T\u00e4tigkeit gesetzt, indes die andere beim Anfangspunkt der ersten Posto fa\u00dft, so da\u00df in rhythmischem Takt und Tempo beide H\u00e4nde wechseln. Dies gilt vor allem f\u00fcr Selbstmassage. Zweifellos ist hier der taktile Vorgang bei der Masseurhand sehr wesentlich, da er sich zugleich mit der Bewegungslinie und der Oberfl\u00e4chengestaltung kombiniert.\nFig. 187. R\u00fcckenreibungen (aus Kirchberg).\nFig. 188. Bimanuelle Streichungen \u201eHand \u00fcber Hand\u201c (aus Kirchberg).\n9.\tDrilcTcungen.\nSie dienen der Kleinpartiebearbeitung, wobei durch den festaufzusetzenden Daumen eine geradlinige Streichung vollzogen wird, die sich durch langsames Anschwellen des Druckes bis zum Maximum und langsames Abklingen bis zum Minimum je Streichung auszeichnet. Es handelt sich also um eine ausgesprochene Kraftgriff\u00e4u\u00dferung der Hand, aber reduziert auf ein Minimum des Angriffspunktes mit dem Stemmglied, dem Daumen.\n10.\tKnetungen.\nWir k\u00f6nnen die mannigfaltigen Formen der Massageknetgriffe hier nicht erw\u00e4hnen. Dieser Griff ist der Haupttyp jeder Massage. Je nach der K\u00f6rperpartie wechselt der Griff im einzelnen. Beispielsweise liegen die H\u00e4nde beim R\u00fccken","page":1007},{"file":"p1008.txt","language":"de","ocr_de":"1008\nFritz G-iese\nrechts und links in Anfangsstellung seitlich in gleicher H\u00f6he und bewegen sich dann quer unter starker Druckgebung von unten nach oben nacheinander vorbei. Zur\u00fcckziehung des Armes scharf aus Schultergelenk mit Beugung und Streckung im Ellenbogengelenk, Knetbewegung (wie beim Teig) aus weichem Handgelenk. Es gibt L\u00e4ngs-, Halbkreis- und andere Knetbewegungsformen. Soll der Handdruck verst\u00e4rkt werden, kann die eine Hand auf die andere unterst\u00fctzend gelegt werden, wodurch die Haut unter der Knethand erhebliche Verschiebungen erleidet. Auch Zirkelknetungen der Daumen (gleichzeitig), die stark in die Tiefe gehen, werden angewendet, Kreisknetbewegungen der Fingerspitzen werden auf der Bauchgegend benutzt. Muskelrollungen \u2014 durch Ansetzen der flach ausgestreckten H\u00e4nde an zwei entgegengesetzte Seiten einer Extremit\u00e4t \u2014 werden zu den Knetungen gerechnet. Als Muster sei eine Kreisknetung beim Bauch mit Doppelhand vorgef\u00fchrt.\nAnschlie\u00dfend erw\u00e4hnen mu\u00df man hier die mit Apparaten vergehende Yibrationsmassage (vgl. o. O.), welche elektrisch\nFig. 189. Kreisf\u00f6rmige Knetungen auf dem Bauch mit \u00fcbereinandergelegten\nFingerspitzen (aus Kirchberg).\nbedient ist. Sie hat ebenfalls ihr Interesse, da die Wirkungsweise dieser spezifischen Ersch\u00fctterungen zweifellos mit dem (s. o.) von Katz entdeckten Vibrationssinn des Menschen zum Teil Zusammenh\u00e4ngen d\u00fcrfte1).\nD. Pathologie und Therapie der Rrbeitshand.\nWenn wir bei einer Methodensammlung endlich auch der Pathologie gedenken, so geschieht dies, weil jeder pathologische Fall f\u00fcr die Erkenntnis von heuristischer Bedeutung sein mu\u00df. Der Pathologiefall bietet uns in Vergr\u00f6berung eine Verdeutlichung der Grundlagen beim Normalen, und wie wir in der Psychologie an und f\u00fcr sich aus der pathologischen Kasuistik erhebliche Bereicherung des Wissens im allgemeinen erhielten, ist eben dieser grunds\u00e4tzliche methodische Kniff (wie man sagen d\u00fcrfte) auch f\u00fcr das Studium der Arbeitshand von Hutzen. Bei der Pathologie der Hand werden wir durchaus nicht immer nur an psychische St\u00f6rungen zu denken haben, sondern desgleichen F\u00e4lle organischer Ab-\nb Vgl. Bum in Marie: Lexikon d. ges. Thera^ne. Berlin-Wien 1924.","page":1008},{"file":"p1009.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\n1009\nweichung vom Normalen heranziehen, die uns den psychophysischen Leistungswert ,,Arbeit\u201d beim Individuum in besonders eindringlicher Verschiebung offenbaren. Daher werden im folgenden auch derartige Beispiele mitherangezogen. Neben die Pathologie als methodisches R\u00fcstzeug, das der Lehre vom Gesunden helfen soll, tritt gegenst\u00e4ndlich nat\u00fcrlicherweise auch die Lehre von der Therapie eben jener pathologischen F\u00e4lle. Wir schlie\u00dfen daher in diesem Kapitel in naturnotwendiger Folge die methodischen Prinzipien an, die sich auf die Therapie beziehen, aber immer wiederum den Begriff \u201eArbeit\u201d behandeln. Die Therapie der kausalen Hintergr\u00fcnde f\u00fcr eine Ausfallserscheinung an der Arbeitshand selbst lassen wir dagegen aus, weil das nicht mehr unser Thema ber\u00fchrt. Unabh\u00e4ngig von dieser Therapie besteht das Problem der Arbeitstherapie, die weitere kenntnisbereichernde Einblicke in Zusammenh\u00e4nge der Arbeitshand verhei\u00dfen wird.\n1. Pathologie der Arbeitshand.\nOhne hierbei irgend den Versuch machen zu d\u00fcrfen, organisch und psychogen zu trennen oder sonst irgendeine Systematik vielleicht k\u00fcnstlicher Pr\u00e4gung einzuf\u00fchren, wollen wir F\u00e4lle behandeln, die insgesamt alle zur Materialanreicherung f\u00fcr die Grundlagen einer Lehre von der Arbeitshand ausgewertet werden sollten. Methodologisch finden wir Erkenntnis quellen unter folgender Kasuistik : a) Die Pathologie der Hand bei Stoffwechsel- und anderen Erkrankungen; b) Pathologie der Hand aus Beruf sein Wirkung; c) Psychologie des Amputationsstumpfes; d) Handst\u00f6rungen bei psychischen Erkrankungen mit und ohne organische Grundlage. Diese F\u00e4lle sollen in Auswahl erl\u00e4utert werden.\na) Pathologie der Hand bei Stoffwechsel-\nund anderen All ge meinerkrankungen.\nMethodisch kann man zun\u00e4chst alle Handver\u00e4nderungen feststellen, die einsetzen, wenn die Person durch allgemeine Wirkungen der Stoffwechselst\u00f6rung u. a. m. leidet. Ein Grenzfall ist dann die entwicklungsbedingte Form des Alterns: Wir haben auf diese Alters- und Greisenhand bereits in dem Kapitel \u00fcber die Entwicklung der Hand hingewiesen. Von besonderem Interesse sind die Wirkungen von Gicht, Rheuma u. dgl. auf die arbeitende Extremit\u00e4t. Nicht nur die Deformierung der Hand interessiert dabei, sondern auch die auftretenden Arbeitsbehinderungen. Es entsteht so die methodische M\u00f6glichkeit, eine Arbeitskunde f\u00fcr Gichtische oder Rheumatische aufzustellen, um zugleich einen entsprechenden Hinweis f\u00fcr die Arbeitsform des Gesunden zu erhalten. Am bekanntesten ist die Schwei\u00dfhand geworden, welche \u00fcblicherweise","page":1009},{"file":"p1010.txt","language":"de","ocr_de":"1010\nFritz G-iese\nbestimmte Berufsarbeiten (etwa in der Feinmechanik) ansschaltet1). Eine Sch wei\u00dfhandkunde gibt uns demgem\u00e4\u00df an, inwieweit Trockenheit der Epidermis der Arbeitshand beim gesunden Vertreter verlangt und selbstverst\u00e4ndliche Arbeitsqualit\u00e4t sei. In \u00e4hnlicher Weise erh\u00e4lt man so im indirekten Verfahren aus der Pathologie Hinweise auf den Normalfall.\nFig. 190. Rheumahand.\nVon besonderer Bedeutung f\u00fcr die Pathologie der Arbeitshand sind ferner die Beeintr\u00e4chtigungen, welche aus konstitutionellen Gr\u00fcnden bei einem Individuum eintreten m\u00f6gen. Die in der Praxis\nFig. 191. Terti\u00e4re Lues des Zeigefingers.\nbesonders erhebliche Beeintr\u00e4chtigung ist die luetische und die tuberkul\u00f6se Deformierung des Arbeitsgliedes. Erl\u00e4uternd sei f\u00fcr beides je eine Probe wiedergegeben. Terti\u00e4re Lues des Grundgliedes des Zeigefingers erwirkt diffuse Formgebung, Schwellung, plumpes Aussehen. Taktil entsteht bei der Person Angst vor jeder Ber\u00fchrung.\nx) Hierzu Griese: Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.","page":1010},{"file":"p1011.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeit stand\n1011\nDiese Angst reduziert bei jeder manuellen Arbeit die Leistung, so da\u00df wir wiederum reziprok auf die Unempfindlichkeit der Hand f\u00fcr bestimmte taktile Wahrnehmungen bei gewissen Arbeiten Gesunder schlie\u00dfen m\u00fcssen; vielleicht auch erst auf die Bedeutung der Handber\u00fchrung mit dem Arbeitsmaterial sto\u00dfen.\nDer andere Fall deutet die Schwellung der Linken bei einer 22j\u00e4hrigen Frau an und kann der Praxis die Einflu\u00dfgebung auf zweckm\u00e4\u00dfige Zusammenarbeit der H\u00e4nde (bei Doppelf\u00fchrung) wie auf Dominanz einer Seite des Arbeitsganges zur Kenntnis bringen. Stets mu\u00df man nicht nur den individuellen Fall allein, sondern auch das generelle Moment in derartigen Beispielen erblicken1).\nAnmerken m\u00f6chte man hier, da\u00df vorerst noch eine Forschung, welche die Typologie der Arbeit mit der Konstitution in Verbindung setzt, zu fehlen scheint. Es k\u00f6nnte von Interesse sein, beispielsweise\nFig. 192. Tuberkulose des linken Handgelenkes.\ndie Pathologie des Pyknikers und des leptosomen Typs mit der Motorik der Hand in Beziehung zu bringen. Gewisse Erkenntnisse der Psychiatrie deuten derartige M\u00f6glichkeiten an. Je mehr Konstitution und Charakter in Verbindung gebracht werden, um so fruchtbarer w\u00fcrde auch die Pathologie ausgebeutet werden2).\nb) Pathologie der Hand aus Berufswirkungen.\nMan k\u00f6nnte hier beinahe von Ausdruckshand sprechen, denn wie der gesamte K\u00f6rper umgeformt wird vom Berufe, so untersteht auch die Hand den Einfl\u00fcssen der Berufsarbeit in ungeheurem Ma\u00dfe. Man spricht nicht nur volkst\u00fcmlich von Schusterh\u00e4nden,\n1)\tOehlecker: Tuberkulose der Knocken und Gelenke. Berlin und Wien 1924; Kockerbeck: Therapie des Rheumatismus. Leipzig 1915; Holly: Der akute Gelenkrheumatismus. Berlin 1920; A. Schmidt: Muskelrheumatismus. Bonn 1918; Hastreiter: Die gichtische Anlage. Berlin 1914; Brieger: Physikalische Therapie. Stuttgart 1906.\n2)\tKretschmer: K\u00f6rperbau und Charakter. Berlin 1924; Kraus: Allgemeine und spezielle Pathologie der Person. Leipzig 1919; Coerper: Personelle Beurteilung nach der praktischen Lebenseignung. Lewy-BrugscK Biologie der Person. 4. (Berlin und Wien 1927.)\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n66","page":1011},{"file":"p1012.txt","language":"de","ocr_de":"1012\nFritz G-iese\nScMosserh\u00e4nden usw., die insgesamt Ausdruck der beruflichen Spezialisierung w\u00e4ren1), sondern man gedenkt Mer vor allem der F\u00fclle jener Einfl\u00fcsse, die der Beruf durch Handzerst\u00f6rungen, durch eine Pathologisierung der vormaligen gesunden Hand erwirkte.\nHierbei kann man die mehr schleichende Form der allm\u00e4hlichen Hand -Ver\u00e4nderung durch chemisch-physikalische Wirkungen und die abrupte Berufswirkung durch Unfall voneinander scheiden. Zu chemischen Dauerwirkungen treten nat\u00fcrlich auch physikalische Dauereinfl\u00fcsse. Wir sprechen in diesem Sinne von Deformierung der Extremit\u00e4t. Diese Umwandlungen haben ihre besondere\nFig. 193. Deformationen der Arbeitshand durch allm\u00e4hliche Berufswirkung\n(aus Grotjahn-Kaup.)\nBedeutung f\u00fcr die Geweihehygiene. Gegen\u00fcber dem Normalen stellen sie die Berufssch\u00e4digungen der jeweiligen Arbeit dar, beim Erkrankten sind sie wichtig zur Feststellung der Arbeitsbef\u00e4higung. Die Dauerwirkung von laugigen Materiahen, die Wirkung der Verbrennung, \u00c4tzung usw. erm\u00f6glichen sinngem\u00e4\u00df eine Aufstellung gefahrenfreier und gefahrenvoller Berufe, bedingen au\u00dferdem eine Lehre von der Anpassung an Dauersch\u00e4digungen durch irgendwelche anderen, durch die Person mehr oder minder unvermittelt gefundenen Ausgleiche der langsam sich verschlechternden Arbeitshand.\nl) Jarisch-Matzenauen Die Hautkrankheiten. Wien 1908; EacTcett: Health Maintenance. Chicago 1925; Fing er-Oppenheim: Die Hautatrophien. Wien 1910; Weyli Handbuch der Gewerbekrankheiten. 1. Leipzig; Kober and Hayhurst: Industrial Health. Philadelphia 1924; C.Kauffmann: Unfallmedizin. Stuttgart 1919h. ; Hope: Industrial Hygiene. London 1923; Loewy Julius: Klinik der Berufskrankheiten. Wien 1924; Grotjahn-Kaup: Handbuch der Gewerbehygiene. Leipzig 1912; Handw\u00f6rterbuch der Arbeitswissenschaft (Griese). Halle 1927/28; Brezina und Lebzelter: \u00dcber d. Dimensionen d. Hand b. v. Berufen. Arch. f. Hyg. 1923.","page":1012},{"file":"p1013.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1013\nDie aus Unfall sich entwickelnden Handver\u00e4nderungen haben zu einer Kategorisierung der Arbeitst\u00e4tigkeiten nach Gefahrenberufen und ungef\u00e4hrlichen T\u00e4tigkeiten gef\u00fchrt. Als gef\u00e4hrlich gilt f\u00fcr die Hand neben dem Tiefbau vor allem die holzverarbeitende Industrie. Nachstehend sind Formen der Handverst\u00fcmmelung durch Holzbearbeitungsvorrichtungen bzw. infolge Unvorsichtigkeit der Person abgebildet. Die Zusammenh\u00e4nge mit der Unfallverh\u00fctungspsychologie sind offenbar und wurden an oben erw\u00e4hnter Stelle von mir auseinandergesetzt.\nAuch hier entsteht die wichtige Frage, inwieweit der Verlust von Gliedern der Hand kompensiert werden kann durch Gew\u00f6hnung, durch Umstellung, durch andere zur Dominante werdende Behelfe (Bein, Schulter, Brust usw.).\nEin besonders interessanter Fall einer Handerkrankung anf Berufsgrnndlage war immer der Schreibkrampf (neben dem alkoholischen Tremor, den wir noch weiterhin in anderem Zusammenhang erw\u00e4hnen, da er ja nicht nnr bei Gastwirten, K\u00fcfern nsw. als Berufssch\u00e4dignng auftritt). Er setzt bekanntlich bei manchen\nFig. 194. Handverst\u00fcmmelungen in der Holzverarbeitungsindustrie.\nPersonen ein, die eine ung\u00fcnstige Kr\u00e4fteverteilung bei der manuellen Schreibarbeit aufweisen, in einer Form, die bis zur Schreibunf\u00e4higkeit, zur Unm\u00f6glichkeit das Schreibger\u00e4t zu halten, f\u00fchren kann. Beim Klavier spiel wurde \u00fcbrigens ein \u00e4hnlicher Muskelkrampf erw\u00e4hnt, der bei unzweckm\u00e4\u00dfiger Kr\u00e4fteverteilung der trainierenden Finger zustande kommt.\nDer Schreibkrampf verf\u00fcgt bereits \u00fcber eine ansehnliche Literatur1). Er wurde auch bei Telegraphisten (Morsedienst) gefunden. Die Bezeichnung als funktionelle Insuffizienz der Hand oder als funktionelle Impotenz findet sich bereits bei den \u00e4lteren Autoren. Die hypothetischen Grundlagen der Erscheinung sind verschieden bestimmt worden (Spasmus, Tremor, Paralyse); da\u00df der Vorgang auch rein psychisch bedingt w\u00e4re, scheinen F\u00e4lle der Psychoanalyse nahezulegen. Er w\u00fcrde mithin als psychogenes\nb Hierzu N\u00e4heres bei Vaschide : Essai sur la psychologie de la main. Parisl909.\n66*","page":1013},{"file":"p1014.txt","language":"de","ocr_de":"1014\nFritz Griese\nPh\u00e4nomen, veranla\u00dft durch irgendeinen assoziativen Komplex (\u00e4hnlich, wie beim Stottern) zustande kommen. Selbstverst\u00e4ndlich kann dies nicht f\u00fcr alle F\u00e4lle gelten. Es wird beispielsweise m\u00f6glich werden, den Schreib krampt psychisch zu erkl\u00e4ren, wenn der Patient nur mit dem Bleistift, aber nie mit der Feder arbeiten kann, ohne Krampf in der Hand zu bekommen.\nDie Therapie geht meist neben assoziativen Untersuchungen (im Methodensinn der Psychoanalyse) so vor, da\u00df man besondere Schreibinstrumente konstruiert, die den Krampf unterdr\u00fccken sollen und, wenn nicht einen suggestiven, so vielleicht einen organisch g\u00fcnstigeren Wirkungsgrad ergeben. Man schnallte beispielsweise den Federhalter an zwei um die Finger gemeinsam gef\u00fcgte Riemen oder befestigte ihn an einem Holzklotz, der unter die Hand geschoben wurde (Gazenave und Duchenne). Ferdinand Martin gab dicke, kolben\u00e4hnliche Federhalte. ZabludowsJfci be-\nFig. 195. Schreibkrampfger\u00e4t,\nnutzt Sondermassage (vgl. den Abschnitt \u00fcber K\u00f6rpererziehung). Obenstehend sei abgebildet das Schreibger\u00e4t nach Duchenne (de Boulogne).\nc) Psychologie des Amputationsstumpfes.\nEine besonders interessante methodische Anwendung f\u00fcr die Hand als Organ verdanken wir der Amputiertenpsychologie. Ach und Katz haben darauf verwiesen, da\u00df der Verlust der Hand oder des Armes bestimmte Restsensationen im Amputationsstumpf nach sich ziehen kann.\nHierbei kann zweierlei gemeint sein:\n1. Die M\u00f6glichkeit, da\u00df der Stumpf im Sinne des Phantoms Wahrnehmungen besitzt, die also illusion\u00e4ren Charakters sind und, wie in einem noch vorhandenen Gliede, sogar unter \u00e4hnlicher k\u00f6rperlicher Lokalisation, Schmerzem, Druck und sonstige Sensationen der Hand dem Patienten zutragen. Katz hat darauf hingewiesen, da\u00df Bewegungsillusionen auch an gel\u00e4hmten Gliedern Vorkommen und mithin vermutlich mit Innervationsvorg\u00e4ngen Zusammenh\u00e4ngen. Auch das Problem scheinbarer Mitbewegungen und das Erscheinen des Amputationsgliedes im Traum als Vollglied ist zu nennen. Letzteres w\u00fcrde, nebenbei bemerkt (au\u00dfer der","page":1014},{"file":"p1015.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1015\nnat\u00fcrlichen Reminiszenz des Schreibens, Greifens usw.), auch noch WnnschCharakter des Yerst\u00fcmmelten andenten k\u00f6nnen.\n2. Kann die M\u00f6glichkeit der unmittelbaren Leistung des Stumpfes selbst, also nicht des Phantoms, sondern des realen Stumpfes gemeint sein. Um hier gewisse Klarheit zu schaffen, hat Katz Gewichtsheben mit gesundem und amputiertem Arm, ferner Arbeiten von Sauerbruchoperierten vollziehen lassen. (Dieses letztere erw\u00e4hnen wir nochmals bei der Therapie der Sauerbruchamputierten.) Methodisch wurde die Druckempfindlichkeit der\nFig. 196. Muskeleinzeipr\u00fcfungen bei Sauerbruchampntierteii (aus Katz).\nSt\u00fcmpfe, die Raumschwelle, die Tastlokalisation, die Reaktionsf\u00e4higkeit auf takt\u00fce Reize ebenso untersucht wie die lebensnahen Hubleistungen; insbesondere bei Amputationsst\u00fcmpfen, die einen Ersatz der Kormalhand durch Sauerbruchoperation \u2014 im Sinne des Bewu\u00dftmachens der Aktionen der gesteuerten Prothese \u2014 erstreben. Katz hat so auch die Einzelmuskeln des Stumpfes nachgepr\u00fcft und f\u00fcr die Bedeutung dieser bei der Sauerbruchoperation ja bekanntlich isoliert benutzten und zu W\u00fclsten umstrukturierten Muskeln f\u00fcr die Gewichtsunterschiedsempfindlichkeit, die Hubleistung usw. interessante Ergebnisse ermittelt. Vorstehend sei eine seiner Versuchsanordnungen f\u00fcr Sauerbruchoperierte ab-","page":1015},{"file":"p1016.txt","language":"de","ocr_de":"1016\nFritz Giese\ngebildet. Ein Stativ wurde als Halter f\u00fcr die Achsel errichtet und mit Me\u00dfskala versehen. Eine H\u00fclse mit horizontaler Gewichtsauf legefl\u00e4che verschob sich auf jener vertikal. Man konnte so die Dehnungsform der Muskeln durch angeh\u00e4ngte Gewichte und die Hubh\u00f6he bei Muskelzusammenziehung u. dgl. m. untersuchen1).\nF\u00fcr Trainingsversuche habe ich Sauerbruchoperierte unter anderem am Serienhandlungspr\u00fcfer besch\u00e4ftigt, zumal um die Zusammenarbeit der H\u00e4nde zu steigern (s. o. Fig. 138). Hinsichtlich der Therapie vgl. untenstehende Darstellung.\nd) Handst\u00f6rungen bei organischen und psychischen Erkrankungen.\nEine Keihe von Ph\u00e4nomenen geh\u00f6rt teils in die Gruppe der organisch bedingten, teils die der psychogenen Erscheinungen. In sehr vielen F\u00e4llen \u00fcberlagert sich der organische Kern zu einem psychogenen Komplexsymptom. Es w\u00fcrde die Grenzen des Buches \u00fcberschreiten, wenn wir auf die komplizierten Zusammenh\u00e4nge irgendwie eingingen*, sie m\u00fcssen naturgem\u00e4\u00df gerade den Psychologen dort interessieren, wo das Leibseeleproblem und die Fragestellung des psychophysischen Parallelismus zur Er\u00f6rterung steht. Ist doch medizinisch bis heute nicht einmal eine Entscheidung \u00fcber die prim\u00e4re Wirkung dieser oder jener Komponente gefunden worden. Verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig einfach liegen die Dinge, wo posttraumatische St\u00f6rungen die Hand befallen. Beschwerden nach Handverletzungen (Frakturen, Luxationen) nehmen oft, zumal dort, wo noch gichtisch-rheumatische oder tuberkul\u00f6se Prozesse vermutet werden, einen arbeitshemmenden Charakter im Sinne der aus Minderwertigkeitsgef\u00fchlen erwachsenden Insuffizienzeinstellung des Patienten an. Es geh\u00f6rt zur feineren Psychologie der Arbeits-hand bei alten und anbr\u00fcchigen Personen, diese Beziehungen zwischen tats\u00e4chlichem Trauma und angeschlossenem Zusatz methodisch zu beaehten.\nAuch alle Unfallkrankheiten des Nervensystems durch die Einwirkung isoliert gerichteter \u00e4u\u00dferer Gewalt (Stich, Druck, Quetschung, Durchschneidung) sowie im Anschlu\u00df an Frakturen und Luxationen z\u00e4hlen hierher2). Uns interessieren auch die An\u00e4sthesien der Hand, welche durch derartige Nervenverletzungen im Beruf oder Krieg usw. zustande kamen. Damit freilich befindet man sich bereits mitten im neurologischen Arbeitsfelde. Hinzu\nb Katz: Zur Psychologie des Amputierten und seiner Prothese. Leipzig 1921 ; Ach: Zur Psychologie des Amputierten. Arch. f. d. ges. Psychol. 40. (1920).\n2) W. M\u00fcller: Verletzungen und Krankheiten der oberen Extremit\u00e4ten. Leipzig 1922; Biberqeil; Berufs- und Unfallkrankheiten der Bewegungsorgane. Stuttgart 1913.","page":1016},{"file":"p1017.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1017\ntreten als Grenzwerte die psychiatrischen Befunde. Einige dieser auf die Hand bez\u00fcglichen Erscheinungen m\u00f6chte man erw\u00e4hnen. Sie bereichern unsere Psychologie der Arbeitshand, umgekehrt darf man sagen, da\u00df die Bewertung durch den Facharzt bei derartigen Befunden undenkbar ist, ohne eine entsprechende Anwendung psychologischer Gesichtspunkte gegen\u00fcber dem Arbeitsproze\u00df als solchem. F\u00fcr die Berentung der Patienten ist dieser Gedanke methodisch sehr wichtig!\n1. Beobachtungen bei Hirnverletzten.\nMethodisch hochwertig sind alle Sonderf\u00e4lle von frischen Hirnverletzungen, die uns unmittelbar nicht nur zur Topographie des Zentralorgans, sondern auch zur Praxis des Alltags wichtige Erkenntnisse schenken. Im Kriege ward es m\u00f6glich, eingehende Studien zu betreiben. Diese Forschung zeigte zweigestaltige Wege. Poppelreuter und Giese wandten sich mehr den realen Leistungsver\u00e4nderungen der Hirnverletzten zu, Gelb und Goldstein widmeten sich dem nicht minder wichtigen, theoretisch erheblicheren Problem funktioneller Zusammenh\u00e4nge der psychischen Ganzheit der Person. F\u00fcr beide F\u00e4lle m\u00f6gen hinsichtlich der Hand Beispiele genannt werden.\nPoppelreuter1) und Giese2) haben insbesondere das Arbeitsproblem der Hirnverletzten und mithin auch die Arbeitshandleistung methodisch erfa\u00dft. Die Patienten erhielten die in der Psychotechnik entwickelten Arbeitsproben und sonstigen Tests als Auftrag. Es zeigte sich dabei durchgehend, da\u00df der Hirnverletzte langsamer, eventuell fehlerreicher, vor allem aber unter erheblicheren Schwankungen handarbeitet als der Gesunde. Dies war eine Grunderscheinung, die sich weiterhin nach den Lokalisationszentren der Besch\u00e4digung unterschied. Hier\u00fcber hat Pfeifer3) eingehendes Yergleichsmaterial zusammengestellt. Wichtig wurde dabei hinsichtlich der Arbeitshand die M\u00f6glichkeit, eine scharfe Differentialdiagnose gegen\u00fcber der Hysterie zu entwickeln, um psychogene und organische Besch\u00e4digungen in ihren Wirkungen auseinanderzuhalten, demgem\u00e4\u00df auch die Bentenbegutachtung zu entwickeln und die Entsch\u00e4digungsh\u00f6he des Patienten zu bemessen. Hysterische Personen arbeiteten beispielsweise regelm\u00e4\u00dfig noch lang-\nx) Poppelreuter: Die psychischen Sch\u00e4digungen durch Kopfschu\u00df. 2 Bde. Leipzig 1917.\n2)\tGiese: Zur Untersuchung der praktischen Intelligenz. Zeitschr. f. Neurol, u. Psych. 59. (1920); Das psychologische \u00dcbungszimmer. Ebendort. 58. (1920); Zur Bew\u00e4hrung ps. Gutachten bei Hirnverletzten. Deutsche Psychol. 3. (1921); Handbuch psychotechnischer Eignungspr\u00fcfungen. Halle 1925.\n3)\tB. Pfeifer: Die psychischen St\u00f6rungen nach Kriegsverletzungen des Gehirns. Handbuch der Neurologie von Lewandowslcy. Erg.-Bd. Berlin 1924.","page":1017},{"file":"p1018.txt","language":"de","ocr_de":"1018\nFritz G-iese\nsanier, noch unregelm\u00e4\u00dfiger und zumeist vor allem qualitativ gesenkter als Hirn verletzte echten Grades, deren Temporeduzierung wesentlich auff\u00e4lliger als irgendeine qualitative Absenkung der Handleistung ward. Psychogene fielen durch passive Resistenz und Abbruch der Arbeit \u00fcberall dort auf, wo schwere k\u00f6rperliche Anstrengungen oder zu ausdauernder Kleinarbeit f\u00fchrende Versuche geboten wurden. Beispiele hierf\u00fcr sind zu letzterem ein Tremo-\nFig. 197. Hubarbeit eines Psychogenen (aus Poppelreuter).\nmeter mit 1600 je 5 mm Durchmesser besitzenden L\u00f6chern, die nach dem Metronomtakt MM = 60 je Schlag mittels Kontaktstift zentral zu treffen waren. F\u00fcr K\u00f6rperarbeit, die beim Psychogenen auch Schwindelanf\u00e4lle, renitente K\u00f6rperhaltung u. dgl. provoziert, kann die obenstehend dargestellte Eimerhubprobe nach Poppelreuter (die etwa 25 Pfund Sand oder Wasser benutzt) gelten.\nDie funktionellen Untersuchungen von Gelb und Goldsteinl) f\u00fchrten \u00fcber zu Erkenntnissen auf dem Gebiete der optisch ge-\nb Gelb und Goldstein: Psychologie des optischen Wahrnehmungs- und Erkennungsvorganges. Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psych. 41. (1924); ferner","page":1018},{"file":"p1019.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1019\nst\u00f6rten Bildung eines K\u00f6rperschemas; also des von Schilder1) so bezeichneten individuellen Baumbildes der Person, das das Ich sieb vom eigenen K\u00f6rper ableitet und wonach es auch Bewegungen der Hand vollzieht. Ein Hirnverletzter bei Gelb-Goldstein war beispielsweise nur in der Lage, den Arm zum Kopf zu f\u00fchren, wenn er die Augen \u00f6ffnete, mithin anscheinend die optische Vorstellung unterst\u00fctzte. Er konnte auch Bewegungen zur Kleidung nur vollziehen, wenn die Augen nicht geschlossen wurden. Ebenso vermochte er durch Tastzuckungen am K\u00f6rper sich besser zu orientieren, um ber\u00fchrte Punkte zu lokalisieren usw. Hier zweigen F\u00e4lle von Insuffizienzen ab, die Pich mit Autotopographiest\u00f6rung bezeichnet. K\u00f6rperteile k\u00f6nnen nicht gezeigt und gefunden werden, sie erscheinen den Patienten wie verlorengegangen. Orientierungen mit der Hand an Kopf und B\u00fccken fallen besonders schwer, je mehr sie der nat\u00fcrlichen optischen Wahrnehmung unzug\u00e4nglicher sich erweisen2). Auch hier finden sich dann differentielle Unterschiede zur Hysterie. Erw\u00e4hnenswert sind ferner die Kopfschu\u00dff\u00e4lle mit sogenannter Seelenblindheit, bei denen die manuelle Leistung ebenso mit der optischen oder intellektuellen in interessante Beziehungen tritt, so da\u00df die Methode der Hirnverletzten-pr\u00fcfung zweifellos in jeder Weise erkenntnisgem\u00e4\u00df au\u00dferordentlich gl\u00fccklich genannt werden kann (taktile Agnosie usw.).\n2. Beobachtungen bei Psychogenen.\nBei den Hysterischen und anderen Patienten fallen vor allem die Sensibilit\u00e4tsst\u00f6rungen der Hand als Charakteristikum \u2014 neben oben erw\u00e4hnten arbeitlichen Eigenarten \u2014 auf. Wir finden zumal dort, wo die Hand als Arbeitsger\u00e4t unmittelbar in der Benten-bemessung und in der diagnostischen Bewertung des Leidens der Person zum Ausdruck kommt, eine F\u00fclle kennzeichnender Sonderst\u00f6rungen, die wie alles ab weichen vom organischen Befund. Wohlabgezirkelte Empfindungslosigkeit ,,der Hand\u201d in ihrer Totalit\u00e4t, Schmerzen, die unterbewu\u00dft Vorstellungen der Person, aber nicht objektiven, neurologischen Notwendigkeiten entsprechen, K\u00e4lte der Hand u. dgl. m., stellt sich ein. Psychogen k\u00f6nnen Krampf-zust\u00e4nde der Hand sein, Zittererscheinungen, Versteifungen und L\u00e4hmungen, die therapeutisch oft durch Suggestions- oder psychoanalytisch gerichtete Verfahren erfa\u00dft werden. Hie Hand des\ndieselben: Psychologische Analysen hirnpathologischer F\u00e4lle. Leipzig 1920; Gelb: Die psychologische Bedeutung pathologischer St\u00f6rungen der Kaumwahrnehmung. Psychol. Kongre\u00dfber. (M\u00fcnchen 1925.) Jena 1926.\n1)\tSchilder: Das K\u00f6rperschema. Berlin 1923.\n2)\tPich: \u00dcber St\u00f6rungen der Orientierung am eigenen K\u00f6rper. Berlin 1908; Zur Lehre vom Bewu\u00dftsein des eigenen K\u00f6rpers. Neurol. Zentralbl. 36. (1915); St\u00f6rung der Orientierung am eigenen K\u00f6rper. Ps. Forschung. 1. (1922).","page":1019},{"file":"p1020.txt","language":"de","ocr_de":"1020\nFritz G-iese\nPsychogenen ist in diesem Sinne ein besonders fesselndes Studienobjekt, weil wir nirgendwo wie dort einen Einblick in den psychophysischen Abh\u00e4ngigkeitsgrad der Handt\u00e4tigkeiten erhalten. Yor allem, weil wir Dominanzfunktionen wundervoll ausgepr\u00e4gt vorfinden: beispielsweise die Abh\u00e4ngigkeit von Minderwertigkeits-vorStellungen, Kindheitserinnerungen u. a. m.\n3. Psychiatrisch-neurologische Beobachtungen.\nAus dem Grenzland der Neurologie und Psychiatrie bzw. aus dem Umkreis der letzteren ersehen wir abermals wertvolle Einzelheiten, die uns den Begriff Arbeitshand kennzeichnen helfen. Einige wenige dieser methodischen Sonderf\u00e4lle seien genannt.\na) Handst\u00f6rungen durch Tremor.\nZittern der Hand, mithin Unf\u00e4higkeit zu Arbeitsleistungen, die K\u00fche und Treffsicherheit voraussetzen, findet sich bei Neurasthenie, feinschl\u00e4gig bei Basedow, bei chronischer Alkoholzufuhr oder starkem Nikotingenu\u00df. Differentialdiagnostisch ist dieses Zittern zu trennen von ataktischen und Zittererscheinungen bei paralytischer Demenz. Untersuchungstechnisch orientiert der unmittelbare Befund bei ausgestreckten H\u00e4nden oder die Arbeit am oben beschriebenen Tremometer und Tremographen.\n\u00df) St\u00f6rungen durch Tetanie.\nSymmetrisch auftretende Kr\u00e4mpfe, die zu einer eigent\u00fcmlichen zwanghaften Pf\u00f6tchenstellung der Hand f\u00fchren, sind beispielsweise im Anschlu\u00df an Berufs Wirkungen (Schuster) beobachtbar. Die Hand ist w\u00e4hrend der Krampfdauer unbrauchbar. \u00dcberg\u00e4nge oder Ersatzhandlungen kommen \u00fcbrigens auch bei Psychogenen vor, haben dann nat\u00fcrlich eine andere, im Psychischen ruhende Ursache.\ny) St\u00f6rungen durch Katatonie.\nDer katatonische Symptomkomplex, der ausgesprochene Muskelanspannung von Teilpartien und eine entsprechende starre K\u00f6rperhaltung bewirkt, ist bekanntlich Kennzeichen bestimmter Geisteskrankheiten. Es entstehen so Haltungsstereotypien, die sich ebenfalls auf die Hand beziehen k\u00f6nnen und wiederum Arbeitsunf\u00e4higkeit erwirken (Hebephrenie, Dementia praecox usw.).\n8) St\u00f6rungen durch Ataxie.\nDiese mechanischen Handst\u00f6rungen beruhen auf Koordinationsst\u00f6rung der entsprechenden willk\u00fcrlichen Bewegungen. Ursache ist z. B. Dementia paralytica. Die Bewegungen sind s\u00e4mtlich","page":1020},{"file":"p1021.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1021\nungeordnet, kein Ziel wird erreicht, sowohl Bichtung wie Entfernung werden scheinbar unter- oder \u00fcbersch\u00e4tzt. Jede Bewegung schwankt voll Unruhe der Zielgebung. Zur Diagnose kann man alle die Aufgaben stellen, welche eingangs zur Pr\u00fcfung der Handsicherheit und -ruhe genannt wurden und die weiterhin bei Therapieversuchen der tabischen Ataxie der Hand noch erw\u00e4hnt werden sollen. Bei der Handschrift macht man Unterscheidungen zwischen Ataxie und Zitterform, die sich auch vermischt finden k\u00f6nnen. Zitter-\nFig. 198. Zitterhandschrift.\nhandschriften bilden vertikale und horizontale Striche um, ergeben aber durchaus gleichf\u00f6rmige Buchstabenformen voll Leserlichkeit. Sie kommen vor unter anderem auch bei allgemeiner Erkrankung, im Schw\u00e4chezustand des Alters und bei Depression. Die ataktische Handschrift dagegen ist unleserlich, fahrig, zickzackartig, unruhig\nFig. 199. Ataktische Handschrift.\ngeartet, wie es der Ataxie der Hand entspricht. Vorstehend sind die Zitterhandschrift und die ataktische Handschrift gegen\u00fcbergestellt.\ne) St\u00f6rungen durch Apraxie.\nDiese treten ein bei Hirnverletzungen und Tumoren. Apraxie ist die Unf\u00e4higkeit, zusammengesetzte Bewegungen (etwa das Schreiben) trotz erhaltener Beweglichkeit der Hand auszuf\u00fchren. Alle Handbewegungen k\u00f6nnen sinn- und zielentsprechend nicht ausgef\u00fchrt werden. Vorgemachte Bewegungen werden falsch nachgemacht, es setzen Hantierungsst\u00f6rungen selbst bei einfachsten Alltagshandlungen ein. Der Gebrauch des Handtuches, der B\u00fcrste,","page":1021},{"file":"p1022.txt","language":"de","ocr_de":"1022\nFritz Griese\ndes Federhalters wird nicht gemeistert. Diese organisch bedingte St\u00f6rung ist nicht zu verwechseln mit einheitlichen psychogenen Handhemmungen oder der Ataxie, die nur im TInsicherheitszustand der einmal eingeschlagenen und sonst richtig erstrebten Zielbewegung besteht. F\u00fcr die Theorie von den Dominanzen bei der Arbeitshand ist gerade das Material \u00fcber Apraxie au\u00dferordentlich wertvoll, da sie die Notwendigkeit derartig \u00fcbergeordneter Regulierungen der sogenannten Handarbeit nahelegen mu\u00df. \u00dcbrigens hat LewandowsM1) darauf verwiesen, da\u00df nach den Befunden der Apraxie beim Rechtsh\u00e4nder die linke Hemisph\u00e4re mit in die Praxie der linken Hand eingreift (beim Linkser liegt die Beziehung umgekehrt). Das ist f\u00fcr die Theorie der Rechtsh\u00e4ndigkeit ebenso wichtig wie f\u00fcr die erw\u00e4hnten Fehlschl\u00fcsse hinsichtlich der Korrelation zwischen Gehirnaufbau und Ambidextrie!\n2. Therapie der Arbeitshand.\nDie Heilverfahren f\u00fcr anbr\u00fcchige Arbeitsh\u00e4nde sind in mannigfachster Typologie vorhanden. Wir erw\u00e4hnen kennzeichnende Wege der Methodik.\na) Heilverfahren bei Hirnverletzten.\nDie oben erw\u00e4hnten Ausfallerscheinungen der Handleistung bei Hirnverletzten sind durch Poppelreuter und Giese einer systematischen Trainingstherapie unterzogen worden. Dabei waren zwei Wege gangbar.\nGiese w\u00e4hlte die abstrakt gerichtete, funktionelle Berufsschulung durch Drillmethoden f\u00fcr die ausfallenden seelischen Seiten: Entsprechend wurde mit den in der Psychologie \u00fcblichen Verfahren2) beispielsweise die Konzentration der Handleistung, die Handruhe, die Handkraft, die Serienhandlung, die Leistung bei mechanischen Zusammensetzaufgaben u. a. m. gedrillt und durch Tageskurve die individuelle Leistung nach Quantit\u00e4t und Leistung notiert. Jeder Fall wurde dabei individuell behandelt und gef\u00f6rdert, wie es der Eigenart der Hirnverletzten entsprach.\nx) LewandowsM: Praktische Neurologie. Berlin 1917; Binswanger, Hoche, Schwitze, Siemerling, Westph\u00e4l und Wollenberg: Lehrbuch der Psychiatrie. Jena 1915; Lipmann: Handbuch psychologischer Hilfsmittel der psychiatrischen Diagnostik. Leipzig 1922; K. Singer: Leitfaden der neurologischen Diagnostik. Berlin und Wien 1921; Bonhoeffer : Partielle reine Tastl\u00e4hmung. Monatssehr. f. Psych, u. Neurol. 43. (1918); Gerstmann: Reine taktile Agnosie. Ebendort. 44.; Goldstein-Gelb: Psychologie der taktilen Raum Wahrnehmung. Zeitschr. f. Psychol. 83. (1919); Kleist: Gehirnverletzungen. Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psychol. 16.; Heilig: Kriegsverletzungen des Gehirnes. Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psychol. 33. (1918); Oppenheim: Nervenkrankheiten. 2. Berlin 1923.\n2) Giese: Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927 und a. a. 0.","page":1022},{"file":"p1023.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1023\nDer andere Weg war der von Poppelreuter gemachte Versuch der Werkstattert\u00fcchtigung der Hand. Durch einfache Holzarbeiten u. a. m. wurden die H\u00e4nde der Hirnverletzten an praktische Arbeit gebracht und ebenfalls in Tageskontrollen im \u00dcbungsfortschritt beobachtet. Nachteil dieser letzten Methode war die Fremdheit der Werkstattarbeit f\u00fcr Leute ohne entsprechende Berufsbildung oder T\u00e4tigkeitseinstellung, sowie die erheblichen Materialkosten. Nachteil des abstrakten Verfahrens war die Notwendigkeit, den Patienten den Gedanken der funktionellen \u00dcbung zwecks Destitution der Ausf\u00e4lle klarzumachen, da sie ihnen anfangs nicht recht einleuchten mochte, weil sie lebensfremder erschien. Die Apparate und Arbeitsger\u00e4te zu beschreiben ist nicht notwendig, da sie fast durchweg den in der Wirtschaftspsychologie \u00fcblichen Methoden entsprachen oder unmittelbar praktische T\u00e4tigkeiten darstellten.\nb) Heilverfahren f\u00fcr Sonderf\u00e4lle der Psychiatrie\nund Neurologie.\nPsychiatrische F\u00e4lle der Handst\u00f6rung haben meist keine erhebliche Aussicht auf Beseitigung, wenn nicht das Allgemeinbefinden sich bessert oder eine Zwischenphase der Besserung einsetzt.\nErw\u00e4hnenswert sind die Bem\u00fchungen Frenkels1), die tabische Ataxie durch entsprechende Handdrill\u00fcbungen zu schulen. Seine Bem\u00fchungen sind um so beachtlicher, da sie vor einem viertel Jahrhundert ver\u00f6ffentlicht wurden, als von praktisch gerichteter Psychologie noch gar nicht die Bede war! Neben vielen anderen ausgezeichneten Verfahren, die methodische Originalit\u00e4t verraten, werden f\u00fcr die Hand folgende Sonder\u00fcbungen von Frenkel genannt :\n1.\tHolzrinnen versuch.\nDer Patient mu\u00df mit einem Bleistift in der schmalen Rinne eines lineal\u00e4hnlichen auf dem Tische liegenden Holzklotzes entlang fahren, die auf der spitzen Oberkante des im Querschnitt als Keil ausgebildeten Ger\u00e4tes angebracht ist. Das Modell kann au\u00dferdem in verschiedenste Raumlagen gedreht werden.\n2.\tNummernbrett.\nGegeben ist ein viereckiges Brett mit nummertragenden L\u00f6chern. Auf Nummernzuruf hat der Finger in die jeweilige \u00d6ffnung schnellstens zu greifen. Die Nummernfolge wird, um Kombinationen der Bewegungsabl\u00e4ufe zu erwirken, immer verwickelter geboten.\n3.\tTreff\u00fcbungen.\nEin- und beidh\u00e4ndig sind unter beliebigem Takt und unter Ver\u00e4nderlichkeit der Winkelstellung mit den Fingern die L\u00f6cher zu treffen, hintereinander, durcheinander usw.\nG S. Frenkel H.: Die Behandlung der tabischen Ataxie. Leipzig 1900.","page":1023},{"file":"p1024.txt","language":"de","ocr_de":"1024\nFritz Giese\n4.\tSt\u00f6pselbrett.\nAuf rechteckigem Brett sind horizontal und diagonal L\u00f6cher angebracht, in die passende St\u00f6psel gesteckt werden k\u00f6nnen. Auf Kommando werden die St\u00f6psel heraus- und hereingenommen, gewechselt usw.\n5.\tKugelapparat.\nVerschiedenfarbige F\u00e4den tragen Bleikugeln verschiedener Gr\u00f6\u00dfe. Die Kugeln werden in Schwingung versetzt und m\u00fcssen abgefangen werden. Das Abfangen erfolgt auf Kommando.\nFig. 200. \u00dcbung durch den Billenapparat.\n6.\tAuf schichten von Scheiben.\nBunde Holzscheibchen verschiedenen Umfanges, verschiedener St\u00e4rke und verschiedener Farbe m\u00fcssen get\u00fcrmt werden, auch in Wechselfolgen beliebiger Art. Besonders erschwert ist das ruhige Abschichten der entstandenen T\u00fcrme.\nFig. 201. Treff\u00fcbungen.\n7.\tSchemata nachziehen.\nGeboten werden zickzackf\u00f6rmige, kreisartige und andere Figuren, die mit Bleistift nachgezogen werden sollen. Nachstehend ist Anfangs- und Endleistung gegen\u00fcbergestellt.\nc) Orthop\u00e4dische Therapie.\nDie Klientel der orthop\u00e4dischen Therapie kann auch ans den Zonen der Hirnverletzten nnd gegebenenfalls der Psychiatrie stammen. Im allgemeinen jedoch werden hierbei die breiten Schichten aller der Personen erfa\u00dft, welche angeborene Deformit\u00e4ten","page":1024},{"file":"p1025.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1025\nder Arbeitshand oder erworbene Insuffizienzen anfweisen. Die wichtigste Art der Ilnt\u00fcchtigkeit der Arbeitshand ist dabei die L\u00e4hmnng.\nIn dem Kapitel \u00fcber die Kr\u00fcppelhand sind die Deformit\u00e4ten als angeborene Mi\u00dfbildungen, als entwicklnngsgem\u00e4\u00dfe St\u00f6rungen\nFig. 202. Kugelapparat.\ndes K\u00f6rpers genannt worden. Wenn wir von der oberen Extremit\u00e4t sprechen, so w\u00fcrden wir dabei auch an die Deformit\u00e4ten der Schnltergegend (Schl\u00fcsselbein defekt, Hochstand des Schalter -\nFig. 203. Leistungsfortschritt beim Kreisnachfahren\nblattes, angeborene Luxation der Schulter), Oberarmmi\u00dfbildungen, angeborene Luxationen des Ellenbogengelenkes, Schlotter gelenk desselben, Verbildungen des Vorderarmes, des Handgelenkes, der Einger zu denken haben. Die erworbenen Fehlbildnngen pflegen in den meisten F\u00e4llen paralytischer oder tuberkul\u00f6ser Katur zn sein. Bei den Paralytischen interessieren vor allem wieder die L\u00e4hmungen, die auch bei den Hirnverletzten von gro\u00dfem Belang","page":1025},{"file":"p1026.txt","language":"de","ocr_de":"1026\nFritz Griese\nsind und endlich im Anschlu\u00df an Amputation wegen Unfall- oder Kriegsverletzung eine entscheidende Rolle spielen1).\nWenn man in aller durch unser Thema gebotenen K\u00fcrze eine methodische Richtlinie f\u00fcr die benutzten Heilverfahren sucht, so kann man am ehesten die chirurgische und die medicomechanische Richtung voneinander trennen. Psychologisch interessieren beide nur insoweit, als sie uns bestimmte wichtige Wirkungen der Hemmung der Arbeitshand und der Therapie bei diesen Hemmungen offenbaren, mithin wiederum indirekt zu verstehen geben: erstlich inwieweit Teilelemente der Hand lebensnotwendig f\u00fcr den ungest\u00f6rten Arbeitsgang sind, zweitens inwieweit die Therapie in der Lage ist, auch Ausgleich und Ersatz f\u00fcr normale Befunde zu schaffen.\n1. Chirurgische Therapie.\nDie chirurgische Orthop\u00e4die, wie sie auch genannt wurde, ist nur sehr kurz zu erw\u00e4hnen. Sie hat ihr besonderes Anwendungs-\nFig. 204. Radialisl\u00e4hmung auf paralytischer Grundlage.\ngebiet bei der Beseitigung oder lebensbrauchbaren Umbildung von Deformit\u00e4ten und Insuffizienzen. Die neurogenen Erkrankungen des Bewegungsapparates (L\u00e4hmungen) beanspruchen dabei mehr Aufmerksamkeit, weil sie wiederum bei Rentenbegutachtung der Arbeitshand eine wichtige Prognose stellen.\nZu den Beispielen der operativen Handverbesserung geh\u00f6rt etwa die Trennung zugewachsener, den Griff hemmender Finger und die chirurgische Umbildung von Handresten und Finger -st\u00fcmpfen, die auch beim Prothesenbau, der Prothesenanpassung noch zu erw\u00e4hnen sein wird. Sehr h\u00e4ufig ist die chirurgische Hand-\nx) Hoffa: Orthop\u00e4dische Chirurgie. Stuttgart 1921; Hackelt: Health Maintenance. Chicago 1925; Kober and Hayhurst: Industrial Health. Philadelphia 1924; 6r. Weiss: Physiologie g\u00e9n\u00e9rale du travail musculaire. Paris 1909; Schwalbe: Therapeutische Technik. Leipzig 1923; B. M. Wilson: The care of human machinery. London 1921; Egli: Unf\u00e4lle hei chemischen Arbeiten. Z\u00fcrich 1925; Heymann und Brandenburg: Morbidit\u00e4t und Mortalit\u00e4t. Essen 1920; Badmann: Verletzungen der Bergleute. Sondershausen 1924; Cim: Le travail intellectuel. Paris 1924; Marten: Handbuch der sozialen Hygiene. Berlin 1925; Kanaval: Infections of the hand. Philadelphia 1925.","page":1026},{"file":"p1027.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1027\nbesserung bei Radialisl\u00e4hmung, die der praktischen Beseitigung der Handunbrauchbarkeit dienen soll. Um allerdings entwicklungsgem\u00e4\u00df derartige L\u00e4hmungen nicht zu weit kommen zu lassen, wird vorbeugende Entwicklungsbehandlung empfohlen. Dieser methodische Typ ist im allgemeinen ein anderer als die Nachwirkiings-behandlung bei Amputationen oder die Beseitigung von Folge-\nFig. 205. Hysterische Fingerkontraktur.\nWirkungen durchHirnverletzungen, welche durch medicomechanische Hilfsmittel erfa\u00dft werden.\nUm die bei Radialisl\u00e4hmung sich immer st\u00e4rker entwickelnde Gleichgewichtsst\u00f6rung der Hand durch Umbeugung zu beseitigen,\nFig. 206. Radialisschiene nach Heusner.\nbedient man sich prophylaktisch bei Ertiheingriff auch mechanischer Hilfen. Die Radialisl\u00e4hmung, dargestellt in der obigen Abbildung1), ist psychologisch deshalb interessant, weil wir hysterische Formen der ,,Handl\u00e4hmung\u201d finden, die ausgesprochen abweichend davon sich geb\u00e4rden und sinngem\u00e4\u00df auch keine chirurgische Behandlung oder gleiche mechanische Therapie der Yorbeugung verdienen^).\nDer Operationsersatz oder auch die verh\u00fctende Behandlung einer durch Verletzung oder Intoxikation (Blei) sich entwickelnden\nx) Totei: Trait\u00e9 pratique d\u2019Orthop\u00e9die. Paris 1925; Publy: The advance of orthopaedic surgery. London 1923; Steindler: Textbook of operative orthopedios. New York 1925.\n2) Hof ja: Orthop\u00e4dische Chirurgie. Stuttgart 1921; Mesnard: Attitudes viciaises. Paris 1909.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n67","page":1027},{"file":"p1028.txt","language":"de","ocr_de":"1028\nFritz Griese\nL\u00e4hmung erfolgt durch Schienen, welche aus Armmanschetten und Fingerh\u00fclsen aus Leder bestehen, welche die erkrankten Teile durch Eiemen oder Zugfedern konstant in bestimmte, zur\u00fcckbiegende Eaumlagen zwingen1).\nDie Abbildung zeigt ein Modell nach Heusner. Andere Konstruktionen benutzen Federn mit Winkelgelenken ( Jouques, M\u00eage-vand und Bonnet), Fingerh\u00fclsen mit Federn (V\u00fclaraet) usw.\nFig. 207. Arbeiten mit und ohne St\u00fctze (an der Kurbel).\nAuch Medianus- und Ulnarisl\u00e4hmungen werden in \u00e4hnlicher Form vorbeugend erfa\u00dft.\nDie Behandlung des spastischen, tremorartigen oder paralytischen (au\u00dfer rein psychogenen) Schreibkrampfes wurde oben bereits angedeutet. Neben die Behelfsger\u00e4te treten zudem die\n\u00df Gocht und Debrunner: Orthop\u00e4dische Therapie. Leipzig 1925.","page":1028},{"file":"p1029.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\nVerfahren der Heilmassage. Einen Vergleichs wert \u00fcber die Wirkungen der mannigfachsten Formen von St\u00fctzen bei Badialis-l\u00e4hmnng m\u00f6ge die obige Fig. 207 f\u00fcr H\u00e4mmern, Knrbel-drehen nnd Zeichnen n. a. m. dartnn. Da\u00df die St\u00fctze hohen Wert besitzt, ist deutlich; da\u00df sie als prothesenartiges Behelfsger\u00e4t im Leben st\u00f6rt, bleibt psychologisch verst\u00e4ndlich. Aus diesen psychologischen Gr\u00fcnden werden dadurch St\u00fctzen nicht nur in Vorbengnngsanwendnngen durch operative nnd heilgymnastische Therapie gern abgel\u00f6st. Insbesondere ist die chirurgische Therapie gelegentlich \u00fcberlegen, da sie jene psychischen Hemmungen im Gebrauch eines Behelfsmittels \u2014 Hemmungen, die uns noch bei der Er\u00f6rterung der Prothesen besch\u00e4ftigen werden \u2014 zu umgehen wei\u00df.\n2. Medicomeehanische Therapie.\nDie orthop\u00e4dische Therapie der zweiten Art ist die bekanntere und verbreitetere. Wir erw\u00e4hnen kurz einige Sonderzweige.\na) Heil gymnastische Richtung.\nVon der Gymnastik wurde bei der sportlichen und gymnastischen Handerziehnng bereits gesprochen. Ebenso wurde dort die Besonderheit der Massage erw\u00e4hnt. Wenn wir hier von Heilgymnastik im speziellen Therapiesinne reden, so gilt es, kurz die Grundgedanken der \u00dcbnngsfolgen zusammenzustellen1). F\u00fcr die Hand kommen in Betracht:\n\u00fc) Bewegungen im Schultergelenk:\nArmrollen mit gebeugtem Ellenbogen,\nArmrollen mit gestrecktem Ellenbogen,\nArmdrehen mit gestrecktem Ellenbogen,\nArmheben und -senken aus Seitw\u00e4rtshalten nach unten,\nArmheben und -senken aus Vorw\u00e4rtshalten nach unten,\nArmheben und -senken aus Hochhalten nach vorn,\nArmf\u00fchren,\nArmbeugen und -strecken in Schulter und Ellenbogengelenk.\nHierbei werden diese Bewegungen erstens rein passiv, zweitens mit konzentrischem Widerstand oder drittens mit exzentrischem Widerstand \u2014 nur beim Senken \u2014 verbunden.\n\u00df') Bewegungen im Ellenbogengelenk:\nUnterarmdrehen, passiv oder mit konzentrischem Widerstand, IJnterarmbeugen und -strecken, konzentrischer und exzentrischerwiderstand.\nL Bumm: Handbuch der Massage und Heilgymnastik. Berlin 1907; ferner alles im Abschnitt Sportmassage! Ferner dazu K. M\u00fcller: Medicomechanische Behandlung. Leipzig 1917; Lubinus: Medizinische Gymnastik. Wiesbaden 1917; Lindhard: Den specielle Gymnastikteori. Kobenhavn 1918; Stein: Medicomechanische Behandlung im Felde. Stuttgart 1918; Goodall : Theory and practise of massage. London 1920 ; Smitt: Anleitung zur Behandlung. Leipzig 1918 ;A. M\u00fcller: Lehrbuch der Massage. Berlin 1915; Br\u00fchin: Moderne Massage. Olten 1912; Downing: Principles and practise of osteopathy. Kansas 1923.\n67*","page":1029},{"file":"p1030.txt","language":"de","ocr_de":"1080\nFritz Griese\ny') Handgelenkbewegungen :\nHandrollen,\nHand seitw\u00e4rts f\u00fchren, passiv und mit konzentrischem Widerstand,\nHandbeugen und -strecken, exzentrischer Widerstand beim Beugen; o ' ) Fingergelenkb ewegungen :\nFinger rollen und drehen, spreizen,\nFinger beugen und strecken, passiv und mit konzentrischem Widerstand.\nDer Patient sitzt auf niedrigem Schemel, so da\u00df die Bewegungen auf dem Unterlage bietenden Tisch bequem ausgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen (Schemelh\u00f6he etwa 40 cm vom Boden). F\u00fchrt der Patient die Bewegungen aus und leistet der Bewegungsgeber dagegen Widerstand, so spricht man von konzentrischem Widerstande. Der exzentrische Widerstand bedingt umgekehrte Verhaltungsweise. Passive Bewegung ist eine Bewegung der Extremit\u00e4t durch den Arzt, ohne da\u00df der Patient in ein Bezugssystem dynamischer Art zum Ausf\u00fchrenden (bewu\u00dft) tritt1).\n\u00df) Apparative Wiederert\u00fcchtigung.\nDer Grundgedanke aller Wiederert\u00fcchtigungsverfahren ist die Einf\u00fchrung nachpr\u00fcfbarer Vergleichs werte und daher einer geregelten Fortschrittskontrolle. An Stelle beliebiger und un\u00fcbersehbarer Allgemein\u00fcbungen treten spezifische, differenzierte und auch me\u00dftechnisch zu kennzeichnende.\na') Medikomechanische Einrichtung zur Schulung von Randelementen.\nHierbei w\u00e4ren als Proben zu erw\u00e4hnen:\noc2) Stabversuche. Ein etwa 1 m langer Stab wird in die gesunde Hand genommen und senkrecht nach oben gef\u00fchrt, so da\u00df die auf dem oberen Stabende befindliche kranke Hand zwangsm\u00e4\u00dfig aufw\u00e4rts gehoben ist.\n\u00df2) Seilversuche. Die gesunde Hand zieht ein \u00fcber eine Bolle gef\u00fchrtes Seil nach unten. Statt der Hand kann auch ein Gewicht benutzt werden. Die kranke Hand am anderen Seilende mu\u00df entgegengerichtet folgen.\nY2) Eimerversuche. Heben eines wassergef\u00fcllten Eimers einarmig bis zur Wagrechten.\nDie Verfahren wirken mobilisierend auf das Schultergelenk. Ebenso das folgende.\n82) Drehungen. Der Patient wird wagrecht hingelegt, neben das Lager in dessen H\u00f6he ein Tisch gestellt. Auf diesem eine oben zu schlie\u00dfende horizontal gelagerte H\u00fclse, durch die der Oberarm gesteckt wird. Letzterer wird im Ellenbogen senkrecht nach oben am B\u00fchrenende distal aufw\u00e4rts gehalten. Die Hand erfa\u00dft das Ende einerSchiene, die, \u00fcber den Tisch f\u00fchrend, am anderen Ende ein Gewicht tr\u00e4gt. Hierdurch wird passive Ein- bzw. Ausw\u00e4rtsdrehung der Schulter erwirkt, wobei die Gegenbewegung unter Widerstand\u00fcberwindung zu erfolgen hat.\nEllenbogengelenkmobilisierungen erfolgen etwa durch\ns2) Schwebependel. F\u00fcr gleichm\u00e4\u00dfige Beuge- und Streckbewegung kann man mit Krukenberg ein Schwebependel einrichten2).\nq Bitschi : Leicht und billig herstellbare medikomechanische Einrichtungen. Stuttgart 1915.\n2) Krukenberg : Lehrbuch der mechanischen Heilmethoden. Stuttgart 1896; Weisz: Physikalische Therapie. Berlin 1912; Bolitner: Wesen und Behandlung der Gelenkkrankheiten. Wien 1925; Steinmann: Lehrbuch der funktionellen Behandlung. Ohne Ort 1919.","page":1030},{"file":"p1031.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1031\nDieses h\u00e4ngt einerseits oben an einem Querholz, wird nach unten durch Gewicht gezogen. Die Hand fa\u00dft, in einem Winkel von 30\u00b0 zur Unterlage gerichtet, an einem Griff das Pendel. Die Schwingungen in der wagrechten Ebene entsprechen hinsichtlich ihrer Weite der Lageneinstellung des Oberarmes in oder gegen Richtung des Pendels.\n\u00c72) Manschetteneinrichtung. Um Ober- und Unterarm wird je eine leichte Stoff- oder Heftpflastermanschette mit je einer \u00d6se gelegt. Durch die \u00d6sen doppelter Bindfaden, der in der Verbindung zwischen Ober- und Unterarm, als Hypothenuse gegen\u00fcber der Ellenbogendreieckspitze geknebelt wird. Die Spannung kann je von Fall zu Fall zur Haltungskorrektur ver\u00e4ndert werden.\n7]2) Kugelstabproben. Stab mit je einer Kugel am Ende mn\u00df \u2014 eventuell unter Festschnallung des Oberarmes am K\u00f6rper \u2014 gedreht werden. Er kann auch als Pendel an der Decke befestigt von der Hand erfa\u00dft werden, so da\u00df er wie ein Schwungrad bei Vorderarmdrehungen wirkt.\nFig. 208. Schwebependel.\nAlle Schwebeversuche, insbesondere obiges einfache Pendel, kommen auch f\u00fcr Hand- und Fingerbewegungen in Betracht. Die Vorrichtungen bei Radialis-l\u00e4hmungen wurden bereits genannt.\nt2) Fingerspezial\u00fcbungen.\nHierf\u00fcr stehen alle die bei der tabischen Ataxie erw\u00e4hnten Frenkel sehen Proben zur Verf\u00fcgung. Ferner kommen in Betracht:\na3) Sprossenleitern kleineren Formates, mit verschieden enfernten Querh\u00f6lzern, vertikal an der Wand befestigt. Die Distanzen werden abgegriffen1) zur \u00dcbung von Spannung, An- und Abziehbewegungen, Griffen usw.\n\u00df3) Brettgriff \u00dcbungen. Einfuhren der Finger vertikal in rote L\u00f6cher eines Brettes, Hinabfahren an vorgezeichneten Schlangenlinien.\nAbtasten mit f\u00fcnf Fingern von stufen\u00e4hnlichen Griffiguren, die Handdrehung und Wechsel der Haltung in vertikaler Position verlangen. Je ein Finger ist auf eine Stufe der treppen\u00e4bnlichen Figur zu legen.\n1) Sewell: A System of Hand and Finger Re-Education. London 1917.;\nCarnot: Kin\u00e9sith\u00e9rapie. Paris 1909.","page":1031},{"file":"p1032.txt","language":"de","ocr_de":"1032\nFritz Griese\ny3) Kreisnaclif\u00e4hren. Gegeben sind auf vertikal angebrachtem Brett nebeneinander Gruppen konzentrischer, farbiger Kreise. Bestimmte Farbenkreise diversen Durchmessers sind nachzufahren mit je einem Finger.\nEntsprechend werden auch Bauk\u00e4sten mit Holzkl\u00f6tzen zum Zusammensetzen verwendet.\n\u00df1) Wirklichkeitsnahe Arbeitsformen zur Wiederert\u00fcchtigung.\nIm Gegensatz zur elementaren und mehr isolierten Trainiermethode insuffizienter Arbeitsh\u00e4nde eines Kranken werden auch Ganz- und Totalverfahren von hohem Wirklichkeitsgehalt benutzt. In Angloamerika1) wie in Europa hat man in diesem Sinne im Kriege Lazarett Werkst\u00e4tten eingerichtet, in denen gewisse leichtere und allgemeinverst\u00e4ndliche Arbeiten anerzogen wurden, nicht um produktive Arbeit zu vollziehen, sondern um im Sinne der \u201eBesch\u00e4ftigungstherapie\u201d die Lage zu verbessern, vor allem auch psychische Heilmitwirkungen zu erzielen. Typus solcher Arbeiten ist das Gebiet der bei der Kindererziehung erw\u00e4hnten Methodik: Papparbeit, leichte Bastei- und Schnitzarbeit. Ferner wurde leichte Arbeit in Gew\u00e4chsh\u00e4usern, wurde Modellieren, Weben, Schnitzen, Kerben, ja auch Telegraphieren mit dem Morsetaster ge\u00fcbt. Ohne da\u00df hierf\u00fcr eingehende Darstellungen vonn\u00f6ten sein d\u00fcrften, ist das Prinzip der Wiederert\u00fcchtigung klar. Ebenso sind die oben erw\u00e4hnten Hirnverletzten \u2014 Bestitutions\u00fcbungen heranzuziehen, ferner Verfahren im Sinne der in der Diagnostik eine Bolle spielenden \u201eArbeitsproben\u201d auch zu \u00dcbungszwecken verwendet worden2).\nMan kann endlich mit spezifischen \u00dcbungsvorrichtungen komplexer Art medicomechanische Ziele verfolgen. Nachstehend einige Proben3):\na2) Rollzugeinrichtungen. \u00dcber Rollenzugvorrichtung an der Decke sind zwei Griffe mit Gegengewicht gef\u00fchrt. Sie sind im Tempo zu ziehen.\n\u00df2) \u00dcbungsrad. Ein Wagenrad ohne Felgen, an dem zwei Speichen Handgriffe tragen, ist in Rotation zu setzen. Kranker und gesunder Arm arbeiten miteinander in Zusammenarbeit. Auch die Wirbels\u00e4ule wird stark bet\u00e4tigt. H\u00f6he etwa 145 cm \u00fcber dem Boden vertikal.\ny2) Schulterpendel. Eine vertikale, mit Gegengewicht versehene Latte, hat oben einen Handgriff, unten das Gegengewicht, ist in Mitte mit Querachse an Wand befestigt. Eine Zugfeder ist oben zur Pendelstange gef\u00fchrt, der Handgriff kann in verschiedener Entfernung vom Lattendrehpunkt ins Holz eingesteckt werden. Rhythmische Hin- und Herbewegungen des hochgestreckten Armes unter Nachhilfe des K\u00f6rpers bei beliebig ver\u00e4nderlichen Gewichts Verh\u00e4ltnissen.\n1)\tB. T. Baldwin: Occupational Therapy applied to restoration of function of disabled joints. Washington 1919; Bowen: Applied Anatomy. Philadelphia 1923; Bainbridge: The Physiology of muscular Exercise. London 1923.\n2)\tGiese: Die Arbeitsprobe in der Psychognostik. Zeitschr. f. angew. Psychologie. 23. Leipzig 1924.\n3)\tFassbender: Einfache mediko-mechanische Apparate. Bonn 1917; Stein: Medico-mechanische Behandlung. Stuttgart 1918; K. Muller : Medico-mechanische Behandlung. Leipzig 1917; Bitschi: Leicht und billig verstellbare Einrichtungen. Stuttgart 1915; A. Lang: Lehrbuch der Orthop\u00e4diemechaniker. Berlin 1910; Gyriax: Collected papers on meehanotherapeutics. London 1924.","page":1032},{"file":"p1033.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1033\nB2) S\u00e4geapparat. Eine S\u00e4ge, die statt des Blattes eine d\u00fcnne Lamelle besitzen soll, wird vertikal quer \u00fcber einen Bock mit haltenden Querleisten bin und her gef\u00fchrt. Der Apparat erinnert an den Aktionspr\u00fcfer. Es bat aber eine Gegenfeder, um die Bewegungen der S\u00e4ge zu erschweren.\ns2) Hobelapparat. In einer Kinne eines Tisches l\u00e4uft ein Hobel blind. Er besitzt, wie obige S\u00e4ge, hinten als Widerstand eine starke Spiralfeder. Er wird eine weitere, staffelbare Strecke bin und her gef\u00fchrt.\n\u00a32) Kurbelmascbine. Aus einer alten Futtersebneide- oder Wringmaschine wird das Lager nebst Kurbel benutzt. Dies wird \u2014 ohne besonderen Widerstand \u2014 gedreht, und zwar zu einer und zu zwei Personen, in verschiedener H\u00f6henlage und im Stehen wie im Sitzen.\n\u00c4hnlich werden Fahrr\u00e4der und andere K\u00e4der auch f\u00fcr Pendelungen der Hand und der Finger verwendbar.\nEinige weitere Anwendungen werden bei der Er\u00f6rterung der Prothesenfrage sich vorfinden.\nFig. 209. Versuch am erschlafften Muskel.\n3. Kontrollger\u00e4te f\u00fcr \u00dcbungstherapie.\nDie erw\u00e4hnten Einrichtungen und Dutzende anderer Hilfsmittel werden stets so benutzt, da\u00df der Patient seine Hand t\u00e4glich unter Zusammenstellung irgendwelcher Kombinationen von Apparaten drillt. Alle psychotechnischen und im Einleitungskapitel bei der Handgeschicklichkeit erw\u00e4hnten Vorrichtungen haben ohne weiteres auch Vergleichseinrichtungen, k\u00f6nnen qualitative oder quantitative Gegen\u00fcberstellungen der Leistungen des Patienten erbringen, und zwar Tag f\u00fcr Tag. Ebenso werden alle anderen Verfahren nach Zeitaufwand f\u00fcr eine Gruppe von \u00dcbungen oder nach dem Grundsatz der Ausdauerzeit f\u00fcr eine gesuchte Aufgabe verbucht. Immer mu\u00df dieses Kontrollprinzip voll aufrechterhalten bleiben, soll die Therapie Sinn haben.\nAu\u00dferdem kann man aber das Ergebnis von therapeutischen Verfahren und auch chirurgischen Eingriffen in die Arbeitshand an anderen, zu \u00dcbungen nicht benutzten Vorrichtungen nach-weisen, um so mehr, um nicht den Glauben zu erwecken, da\u00df der","page":1033},{"file":"p1034.txt","language":"de","ocr_de":"1034\nFritz Griese\nPatient wohl die Bedienung des Ger\u00e4tes, aber keine Funktion bei der Restitution trainiert habe.\nFig. 210. Maximal gespannter Muskel am L\u00e4ngenspannungspr\u00fcfer.\nAls Nachweismittel kommen alle eingangs erw\u00e4hnten psycho-technisch gerichteten Apparate auf \u201eHandgesehick\u201d in Betracht, ebenso alle dortigen Tests. Da es sich jedoch zumeist auch um\nFig. 211. Untersuchung der reziproken Innervation.\nisolierte Untersuchungen der Bewegungsf\u00e4higkeit der Extremit\u00e4t nach Therapie handeln kann, werden gern noch Sondervorrichtungen kinematometrischer Form mitverwendet. Einige Beispiele hierzu m\u00f6gen angedeutet sein:","page":1034},{"file":"p1035.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1035\na) Messung von L\u00e4ngenspan nu ngsverh\u00e4ltnissen des\nEinzelmuskels.\nDie Fig. 209 ist f\u00fcr erschlafften und maximal angespannten Muskel (Mus-culus flexor sublimis digiti III dexter) eine Vorrichtung nach v. BecMinghausen1) wiedergegeben. Sie erkl\u00e4rt sich selbst. Bei der Fig. 210 h\u00e4lt die Linke das Mittelfingergrundglied fest und zeigt das Dynamometer die Leistung an. Die Schlinge der Verbindungsschnur geht um das Mittelglied des Mittelfingers. Vorderarm, Mittelhand und Fingerr\u00fccklinien des Versuchsfingers liegen an rechteckigen Kl\u00f6tzchen, wodurch f\u00fcr Rechnungen der Gliedermechanik zugleich die Gelenkwinkel bestimmbar sind.\n\u00df)-Untersuchung der reziproken Innervation.\nDas von Sauerbruch von seinen Kunstarmst\u00fcmpfen hergestellte Sonderger\u00e4t pr\u00fcft die reziproke Innervation2) (Fig. 211).\nFig. 212. Kraftquellenschulungsger\u00e4t.\nHierbei werden zwei Hebel an Antagonisten angebracht (etwa Biceps, Triceps) und direkte Aufschreibung auf ein Doppelmyographion bewirkt. Als reziproke Innervation bezeichnet Sauerbruch den Befund, da\u00df ein sich zusammenziehender Muskel den Antagonisten erschlaffen lassen soll. Das Ger\u00e4t dient also auch zur Theorie der \u201eR\u00fcckg\u00e4ngigmachung, einer Bewegung durch den anderen Muskel\u201d. Als Kommando wird z. B. \u201eHinten55, \u201eVorn55 gerufen. Das Ger\u00e4t wird bei der Amputationsstumpfvorbereitung benutzt, um den Amputationsmuskel von unzweckm\u00e4\u00dfigen Bewegungen zu befreien.\ny) Kraftquellenschulung.\nZur Kontrolle und zugleich \u00dcbung der Kraftwulstentwicklung bei der Sauerbruchhand (s. u.) wird \u00e4hnlich wie beim Ergographen f\u00fcr bewu\u00dfte Innervation bei Krafthub eine entsprechende Vorrichtung verwendet (Fig. 212).\n1)\tv. BecTdingliausen : Gliedermechanik und L\u00e4hmungsprothesen. Berlin 1920.\n2)\tSauerbruch und ten Horn: Die willk\u00fcrlich bewegte k\u00fcnstliche Hand.\nBerlin 1923.","page":1035},{"file":"p1036.txt","language":"de","ocr_de":"1036\nFritz Griese\nS) Formen von speziellen Gelenkpr\u00fcfern.\nIn Abwandlung des robusteren Kinematometers bat man Spezialkonstruktionen zur Diagnose wie \u00dcbungskontrolle einzelner Gelenke (bei bewu\u00dfter Einstellung der Personen auf Winkel oder auf Maximalbewegung) hergestellt.\nNachstehend werden drei Typen der amerikanischen Bauart vorgef\u00fchrt. Der erste dient der Amplitudenmessung f\u00fcr Flexion und Extension der Finger1).\nFig. 213. Gelenkpr\u00fcfer zur Therapiekontrolle.\nSL _ -\nf-' -\nFig. 214. Gelenkpr\u00fcfer zur Therapiekontrolle.\n\nI\nFig. 215. Gelenkpr\u00fcfer zur Therapiekontrolle.\nDie zweite Bauart untersucht und kontrolliert die Handgelenkbewegung. Wie oben wird die Extremit\u00e4t an sich mit Riemen festgelegt und passive bzw. aktive Einstellung der Versuchsperson an Me\u00dfskalen graduiert festgehalten.\nDie dritte Bauart wendet sich der Vorderarmpronation und -supination zu. Der Drehungswinkel ist auf der Kreisscheibe festzuhalten.\n1) B. T. Baldwin: Occupational Therapy. Washington 1919.","page":1036},{"file":"p1037.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1037\nDiese Feinmessungen insgesamt werden selbstverst\u00e4ndlich niemals die reale Wirkungsweise der therapeutisch beeinflu\u00dften Arbeitshand ganz treffen k\u00f6nnen, da wir wiederum eine Zerlegung der Handfunktion in isolierte Elemente vorfinden. Die theoretische Bedeutung derartiger Feststellungen bleibt indessen au\u00dfer allem Zweifel.\nd) Das Prothesenproblem.\nEin au\u00dferordentlich interessanter Gegenstand der Forschung wie Praxis, der zugleich in ungeahnter Weise unsere Kenntnisse vom Wesen der Arbeitshand erweiterte, ist die Fragestellung der Kunsthand. Ihr schlie\u00dft sich an das Sondergebiet des L\u00e4hmungsprothesenbaues, das in vielem bereits oben bei Erw\u00e4hnung der pathologischen Handbefunde gestreift worden ist. Der Prothesenbau hatte die Aufgabe, nach erfolgten Amputationen Kunstersatz f\u00fcr die Hand, den Arm zu beschaffen. Nat\u00fcrlicherweise kam diese durch den Krieg sehr aktuell gewordene Frage auch der Hand der von Geburt Verkr\u00fcppelten sowie den Armlosen und geborenen Einh\u00e4ndern zugute. Wir k\u00f6nnen heute die Darstellung methodisch gliedern in die Schilderung der Prothesenkonstruktion nebst kurz zu streifenden Grundergebnissen; in die Versuche, operativ die Prothese mit dem Organismus unmittelbar als pseudowahrnehmendes Ger\u00e4t zu koppeln (Sauerbruchoperation); in die Sonderfragen, welche sich bei L\u00e4hmungsprothesen einstellten. Alles das kann nur in ungeheurer K\u00fcrze gestreift werden, da die Spezialliteratur B\u00e4nde f\u00fcllt. Uns interessieren dabei die psychologisch betonten Arbeitsfragen, nicht die Technik oder die Gelenkmechanik1).\nAls im und nach dem letzten Kriege von 1914 international das Problem der Ersatzglieder f\u00fcr ein- und beidseitig Voll- und Teilamputierte erstand, entwickelte sich f\u00fcr diese Handersatzformen eine bestimmte Gruppierung der Prothesen, deren methodischer Aufbau ausging von der technischen Untersuchung des Materials und der technischen L\u00f6sung der Aufgaben, welche von der normalen Arbeitshand bew\u00e4ltigt werden m\u00fcssen. Letztere haben wir im Einf\u00fchrungskapitel der Abhandlung geschildert.\nAuf Grund der technischen Materialpr\u00fcfung und der Berufsarbeitsstudie galt es dann, Prothesen einzuf\u00fchren. Hierbei war zu trennen:\n1. Der Sonntags- oder Kunstarm im engeren Sinne.\nSein Ziel war einmal, in Freizeiten benutzt zu werden, zweitens eine m\u00f6glichst unauff\u00e4llige Ersetzung des verlorenen\nx) F. Martin: Verst\u00fcmmelungen und Ersatzglieder. Genf 1924; Schlesinger und andere: Ersatzglieder und Arbeitshilfen. Berlin 1919. Little, Artificial Limbs. London 1922.","page":1037},{"file":"p1038.txt","language":"de","ocr_de":"1038\nFritz Griese\nGliedes zu gestatten. Man spricht daher auch vom Schmuckarm nnd verbindet damit die psychologische Zielsetzung: das Minderwertigkeitsgef\u00fchl des Tr\u00e4gers zu schonen und das Auff\u00e4lligwerden vor der Heugier der Menge zu hindern. Diese sogenannten Ausgehoder Sonntagsarme waren also aus humanit\u00e4ren Gr\u00fcnden, nicht aus praktischen Zwecken konstruiert und bildeten die Au\u00dfenform der K\u00f6rperlichkeit einigerma\u00dfen gut nach. Die Hand wurde offen oder unter Lederhandschuh getragen.\nEs ist interessant, da\u00df die Benutzung der Sonntagsarme mit Abstumpfung gegen Kriegsfolgen nachlie\u00df und da\u00df die Gestaltung der Arbeitsprothese alsbald das wichtigere Problem ward. Vielfach werden die Schmuckarme heute \u00fcberhaupt nicht mehr benutzt. Hinzu kommt, da\u00df die Stumpfanpassung an die Schmuckprothese unvollkommen ist, da diese, selten getragen, den Stumpf Ver\u00e4nderungen nicht folgen kann, also niemals als gewohnheitsm\u00e4\u00dfiges Glied ,,sitzt\u201d.. Sie bleibt Eremdk\u00f6rper und erwirkt so keine Bekanntheitsqualit\u00e4t beim Benutzer. Man darf sagen, da\u00df der aus psychologischen Gr\u00fcnden versuchte Methodenweg des Schmuckes und formalen Ersatzes des verlorenen Gliedes aus ebenso psychologisch gerichteten anderen Gr\u00fcnden gescheitert ist.\n2. Der Arbeitsarm.\nEin grunds\u00e4tzlich entgegengesetzter Methodenweg ist der Arbeitsarm. Hier handelte es sich um Gestellung von technisch einwandfrei gegebenen Prothesen, die ein- und doppelh\u00e4ndige Arbeit betriebst\u00fcchtig erm\u00f6glichen, die also ausgesprochen \u2014 ohne R\u00fccksicht auf \u00c4sthetik \u2014 \u201earbeitsreif\u201c sind. War der \u00fcblichere Schmuckarm z. B. sorgsam und formsch\u00f6n aus Holz gefertigt, die Hand aus Filz mit Celluloidn\u00e4geln versehen, so sind nachstehende Arbeitsarme Maschinenteile. Vielfach sind diese dann so eingerichtet, da\u00df sie abnehmbar und durch Schmuckteilst\u00fccke (etwa Unterarm und Hand) ersetzbar werden. Als ein Erzeugnis dieser Form, deren es dutzende von Arten gibt, sei der Germaniaarm genannt.\nBei derartigen Maschinenteilen mu\u00dfte nun noch die Anpassung an die mannigfaltigen Griffelemente der normalen Hand Schwierigkeiten bereiten. Man ging daher dazu \u00fcber, eine Elementenreihe von Zubeh\u00f6rteilen zu konstruieren, die der Betreffende bei der Arbeit je nach Bedarf ansteckte, einklemmte oder verschraubte, je nachdem es die Arm- oder Handkonstruktion erforderte. Alle Zubeh\u00f6rteile werden entwickelt aus der Betriebsbeobachtung1).\nx) Gocht, Madicke und Schede: K\u00fcnstliche Glieder. Stuttgart 1926; Gocht-Debrunner: Orthop\u00e4dische Therapie. Leipzig 1925; Gocht-. Orthop\u00e4dische Technik. Stuttgart 1917\u20141920.","page":1038},{"file":"p1039.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1039\nFig. 216. Germaniaarm als Schmuck und als Arbeitsarm","page":1039},{"file":"p1040.txt","language":"de","ocr_de":"1040\nFritz Giese\nDiese F\u00fclle von Einzelheiten kann nat\u00fcrlicherweise in der Praxis oft genug zu erheblichen Erschwerungen f\u00fchren. Erst eine eingehende Berufskunde, wie wir sie eingangs der Abhandlung und bei der Wirtschaftspsychologie er\u00f6rterten1), erm\u00f6glicht eine Gegen\u00fcberstellung der f\u00fcr jeden Beruf erforderlichen Arbeitsarme und ihrer Teilst\u00fccke. In der seinerzeit errichteten Pr\u00fcfstelle f\u00fcr Ersatzglieder zu Charlottenburg (geleitet von Schlesinger) wurden Gebrauchswerkzeuge f\u00fcr die wichtigsten Berufe begutachtet und in Zusammenfassungen2) gemeinverst\u00e4ndlich zugeordnet.\nBei der Untersuchung der Berufe zeigte es sich, da\u00df gewisse Berufe auf fallen durch ihre Besonderheit der Beanspruchung. Gegen\u00fcber den Metallindustrieberufen waren die landwirtschaftlichen und die kaufm\u00e4nnischen und geistigen von Besonderheit.\nFig. 217. Ansatzst\u00fccke f\u00fcr den Jagenbergarm.\nF\u00fcr beide Gruppen kommen daher Sonderkonstruktionen in Betracht. Die landwirtschaftliche Arbeit kann n\u00e4mlich die allermeisten Teilt\u00e4tigkeiten reduzieren auf einfache, fast klauen\u00e4hnliche Bedienungsgriffe des Haltens, Packens, Baffens, Schiebens, Tragens usw. Au\u00dferdem sind technisch die Witterungseinfl\u00fcsse von Belang. So wurde in Gestalt der Kellerklauenhand f\u00fcr Landwirte nachstehend praktische Ersatzform gefunden.\nDie \u00e4sthetische Seite wird ganz vernachl\u00e4ssigt, die praktische Wirkung durch Vereinfachung und M\u00f6glichkeit der Selbstreparatur richtigerweise betont3).\nDer geistige und kaufm\u00e4nnisch gerichtete Berufsmensch wiederum ben\u00f6tigte eine Hand, die nicht die robuste Au\u00dfenform der Lederriemen und Metallhaken, sondern gewisse ansprechende\nx) Giese: Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1927.\n2)\tMerkblatt Nr. 1 ff. der Pr\u00fcfstelle f\u00fcr Ersatzglieder. Berlin 1917.\n3)\tM. B\u00f6hm: Der Gliedersatz f\u00fcr den Schwerarbeiter. Wiesbaden und Berlin 1916.","page":1040},{"file":"p1041.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1041\nErscheinung mit den verwickelteren Feingriffen des Bureau-, Laden- und Bucharbeiters verband. Hierzu hat sich, sogar bei Operationsarbeiten amputierter Mediziner, die amerikanische Carneshand und der Carnesarm besonders bew\u00e4hrt1). Die Gebrauchsarme wurden im allgemeinen von der Gesundenseite des Patienten bedient und verschraubt. Bei Doppelamputierten wurde dies bereits recht schwierig, so da\u00df man auf Gebrauchsf\u00e4higkeit mancher Arbeitsarme praktisch verzichten mu\u00dfte oder wenn irgendm\u00f6glich die St\u00fcmpfe chirurgisch behandelte (s. u.). Der Schmuckarm stellte kein Problem. Hier jedoch kam in den Vordergrund die Frage nach der willk\u00fcrlichen Bewegung des Armes und der Hand. Der Carnesarm hat methodisch diese Aufgabe gel\u00f6st, indem au\u00dferordentlich verwickelte Einr\u00fcck- und Schalt Vorrichtungen durch Zugseile bedient werden, die von den Schultern, den Bewegungen des Stumpfrestes, bet\u00e4tigt werden : naturgem\u00e4\u00df technisch verschieden\nF'ig. 218. Kellerhand f\u00fcr Landwirte (aus B\u00f6hm).\ngel\u00f6st bei Unterarm- und Handamputierten, bei beiderseits und Oberarmamputierten oder Leuten mit Exartikulation der Schulter. Eine Bandage \u00fcbertrug die Bewegungen vom K\u00f6rper her, feinste Mechanismen im Innenraum des Armes und der Hand, wie sie nachstehend wie der gegeben, erwirkten Festhalten der Finger, Drehung, Sperrung einer Position oder Aufheben derselben. Eine eingehende Darstellung erm\u00f6glicht die Spezialliteratur (Fig. 219).\nDie praktische Brauchbarkeit erweist, da\u00df gerade auch bei Oberarmamputierten der Carnesarm und die Carneshand nicht nur unauff\u00e4llig, sondern auch in der Doppelhandf\u00fchrung brauchbar sind. Ihre Verwendbarkeit bei bestimmten Berufen folgert aus einer Tabelle wie der nachstehenden, die in Prozenten die Berufszugeh\u00f6rigkeit bisheriger Berufe andeutet. (Siehe Tab. 8, S. 1042.)\nWenn auch diese amerikanische Zusammenstellung nicht ganz unseren Berufsdarstellungen entspricht, so zeigt sie doch die Vielseitigkeit der Anwendung bis her\u00fcber zu den Landarbeitern, die freilich in Amerika unter Umst\u00e4nden wesentliche Unterst\u00fctzung durch Maschinen erfahren (vgl. Fig. 220).\n1) M. Cohn: Meine Erfahrungen mit dem Carnesarm. Berlin 1917.","page":1041},{"file":"p1042table8.txt","language":"de","ocr_de":"1042\nFritz Giese\nTABELLE 8.\nArbeiter...................... 3-1\n\u00c4rzte......................... 0*7\nAustr\u00e4ger .................... 0-14\nB\u00e4cker ....................... 0-9\nBankiers . . ................. 0-4\nBaumeister .................... 014\nBauingenieure................. 0-3\nBergleute..................... 0-28\nBergwerksingenieure . . . .\t0-42\nBremser....................... 0-9\nBrieftr\u00e4ger .........\t0-28\nBr\u00fcckenbauer. . .............. 0-3\nBureauleute................... 2-8\nBuchbinder.................... 0-14\nBuchhalter.................... 2-1\nDestillateure................. 0-14\nDrogisten...................... 014\nDrucker....................... 0-7\nEilboten...................... 0-14\nEisenbahnarbeiter............. 0-3\nEisenbahnbeamte.............IDO\nEink\u00e4ufer..................... 0-6\nElektriker.................... 2-6\nFabrikanten................... 0-28\nFahrstuhlf\u00fchrer............... 0*3\nFilmfabrikanten............... 0*28\nFeuerwehrleute................ 1*3\nFleischer .................... 0*7\nFuhrm\u00e4nner.................... 0*14\nFunkentelegraphisten ....\t0-14\nGerber......................... 014\nGep\u00e4cktr\u00e4ger ................. 0-14\nGeigenbauer................... 0-3\nGlaser ....................... 1*4\nGrundbesitzer................. 0*8\nHaush\u00e4lter.................... 1*1\nHeizer........................ 0*14\nHotelbesitzer................. 0*4\nHolzf\u00e4ller.................... 0*14\nInspektoren................... 1*3\nKanoniere..................... 0*14\nKaufleute . . . .............. 4-0\nKlempner...................... 0-28\nKraftwagenf\u00fchr er............. 0-4\nKohlenh\u00e4ndler................. 0*14\nKontrollbeamte ............... 0-14\nKranarbeiter.................. 0-14\nLagerverwalter................ 0-14\nLandarbeiter..................11*6\nLehrer........................ 1-0\nLithographen.................. 0*3\nMaler........................ 0*7\nMakler........................ 0*14\nMatrosen...................... 0*14\nMaschinenbauer .............. 0*2\nMilchm\u00e4nner................... 0*14\nMotorf\u00fchrer.................. 0*28\nM\u00fchlenbauer.................. 0*28\nM\u00fcller....................... 0*7\nN achtw\u00e4chter................ 0*7\nN\u00e4hmaschinenfabrikanten . .\t0*14\nPolizisten................... 0*14\nPhotographen................. 0*28\nPflegerinnen................. 0*28\nPfarrer...................... 0*25\nPf\u00f6rtner..................... 0*7\nRegierungsbeamte.............. 0*14\nRegierungseichmeister ....\t0*14\nRegierungssekret\u00e4re.......... 0*3\nRechtsanw\u00e4lte................ 0*9\nRichter....................... 0*14\nR\u00f6hrenleiter................. 0*14\nSetzer....................... 0*6\nSeeleute..................... 0*14\nSignalarbeiter............... 0*3\nSieder....................... 0*3\nSchaffner.................... 0*9\nSchmiede..................... 0*4\nSchmelzarbeiter ............. 0*14\nSchriftsetzer................. 0*14\nSchankwirte.................. 0*14\nSchreiber.................... 0*7\nSchuhmacher ................. 0*3\nStudenten, Sch\u00fcler........... 6*4\nStenographen................. 0*14\nSteinsetzer.................. 0*14\nTelegraphisten............... 0*7\nTelephonarbeiter............. 1-1\nTischler...................... 0*14\nVersicherungsbeamte ....\t1-1\nVerk\u00e4ufer ................... 3*4\nViehh\u00e4ndler.................. 0*7\nW agem eist er............... 0*3\nWaschm\u00e4nner................... 0*14\nWalzarbeiter................. 0*4\nWerkmeister.................. 1-0\nW eichensteiler.............. 1-7\nW eichenstellauf seher....... 0*4\nZeichner..................... 0*3\nZeitungsh\u00e4ndler.............. 0*14\nZimmerleute................... 0*9\nZivilingenieure.............. 0*14\nEin Sonderfall der Problematik ist im besonderen immer die Hand gewesen, da man stets versuchte, wenigstens den Daumen oder Teile der Einger verstellbar oder beweglich einzurichten. Die Versuche, welche man einleitete, dieses Problem der Mechanik von Fingerbewegungen k\u00fcnstlich zu l\u00f6sen, seien nachstehend","page":0},{"file":"p1043.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der - Arbeitshand\n1043\ngegen\u00fcbergestellt. Bei der Sauerbruchhand, die in der Darstellung der Typ der von Muskeln (nicht Seilz\u00fcgen und K\u00f6rper- oder Schulterbewegung) in direkte T\u00e4tigkeit gesetzten Hand ist, wird die Gestaltung der Schwerarbeiterklaue geboten. F\u00fcr Kopfarbeiter ist die bewegliche Hand zierlicher (Fig.\u2018 221).\n3. Pr\u00fcfger\u00e4te f\u00fcr Sonderfragen des Prothesenbaues und der Prothesen-\nwirhung.\nDie verwickelten Vorg\u00e4nge der technisch nachzubildenden Arbeitshand ergaben methodisch notwendigerweise einige be-\nSfrtisio\u00e7renji\u00fcc/r ^\t,\nuc/> r* it ben r\u00e2ot Li not\nfiandkSrper \\ WtIJe r/ohU, ~ ) Feder\t\u25a0, I, , , ,\t\\ Zaffnr\u00e4dabjckniit\nPId.tie 1\tZ\u25a0v\u00efjclieng/iec! mit\nBohr\u00f9ri gen S2. 3\nJejJ 1.\n\\ L en Par\ng eg a belter A rualzPg \\\tZenker 2.:\nV ijOp;gelenk\nSperrt et, el Jjdj nJ/edTr\nSeil 1.\n'rebac/ij'e 7- S'ingeri\n'Lenker 2\njjPl\u00e4tte Z.\nFig. 219. Fingerbewegung und Kippgelenk bei Unterarmprothese {Carnes).\nsondere Pr\u00fcfger\u00e4te, welche dem Studium der Sachlage der Arbeit dienten.\na) Differenzierung der Amputationsf ormen.\nUm die Wirkungsweise der Hand-, Unterarm- und Oberarmamputationen kennenzulernen, werden mit der Stereoskopcamera Kreislaufbilder von Bewegungen bei gleicher Arbeit aufgenommen. Diese k\u00f6nnen ebenso im Film Darstellung finden. Das Kreislaufbild benutzt das Verfahren der an den wichtigen K\u00f6rperpunkten aufgesetzten Gl\u00fchlampen, die alsdann ein die Raumlagen festhaltendes stereoskopisches Leuchtlinienbild auf der dauernd ge-\nAb derhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\t68","page":1043},{"file":"p1044.txt","language":"de","ocr_de":"1044\nFritz Giese\n\u00f6ffneten Platte hint erlas sen. Beispiele eines Kreislauf bilde s seien nebeneinander f\u00fcr Schrotmei\u00dfeln in Fig. 222 wieder gegeben1).\nDie Darstellung stellt den Gesunden, den Unterarm- und Oberarmamputierten gegen\u00fcber. Sinnentsprechend kann man f\u00fcr beidarmig oder einh\u00e4ndig Amputierte Bilder gewinnen, die in Film und Lichtkurve2) den Arbeitsvorgang in Einzelelementen\nFig. 220. Carnesarme im Betriebe (aus Martin).\nfesthalten, um so wiederum die technischen Anforderungen und die berufkundlichen Unterlagen der Arbeit zu erkennen.\n\u00df) Ger\u00e4te zur Pr\u00fcfung der Kraftwirkung von K\u00f6rperpartien.\nDa Prothesen, wie etwa der Carnesarm, die Bewegungen der Schulter ausnutzen, um mechanische Sperr- und L\u00f6sungsvorrich-'\n1)\tVgl. Giese: Wirtschaftspsychologie. Berlin und Wien 1926.\n2)\tVgl. Schlesinger: Psychotechnik und Betriebswissenschaft. Leipzig 1920.","page":1044},{"file":"p1045.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1045\ntungen usw. in dem Apparat zur Funktion zn bringen oder \u00fcberhaupt irgendwelche direkten Wirkungen auf den Kunstarm auszu\u00fcben, hat man auch die Dynamik der K\u00f6rperpartien untersucht. So hat Schlesinger dieses Problem des Muskelersatzes am schwebenden Ergographen mit motorgetriebener Aufschreibtrommel studieren lassen1). Beispiele der Wirkung von Umfang und St\u00e4rke bestimmter Bewegungen \u2014 Messung des Achselzuckens oder der Atmung \u2014 zeigt die abgebildete Probe (Fig. 222).\nG\u00f6tz v. Berlichingen.\nGarnes.\nFig. 221. Typen beweglicher Knnsthandfinger.\ny) Direkte Ergographie von Kunstarmen.\nUm ferner unmittelbar die Wirkungsweise von Prothesen fertiger Form zu untersuchen, hat man, zumal bei Operierten mit direkter Muskelwirkung, Pr\u00fcfger\u00e4te wie das nachstehende zur Kraftmessung (Fig. 224) (Schlesinger) verwendet.\nHierbei wird beispielsweise die partielle Fingerschlie\u00dfkraft durch Gewichtsbelastung festgestellt. Auch Drehwinkel des Ger\u00e4tes sind zu ermitteln. Sp\u00e4ter wird der Amputierte selbst eingespannt\n1) Ygl. Schlesinger: Psychotechnik und Betriebswissenschaft. Leipzig 1920.\n68*","page":1045},{"file":"p1046.txt","language":"de","ocr_de":"1046\nFritz Giesc\nmit der Prothese, um denselben Kunstarm nach Operation durch Pr\u00fcfung der neuen Muskelquelle nach Hub-, Weg- und Schlie\u00df -kraft zu eichen: Ausnutzung der technischen M\u00f6glichkeiten durch die physiologischen und psychologischen Wirkungsquellen des Prothesenbenutzers.\nFig. 222. Kreislaufbilder in Stereoskopaufnalime vom Sehrotmei\u00dfeln (H\u00e4mmern.\nschr\u00e4ger Schlag ).\n8) Vergleichsauf nahmen von Beruf sposition en bei Protliesen-\nb enutzung.\nWeiterhin mu\u00df die Prothese im praktischen Verwendungszweck auf ihre Anwendbarkeit bei einzelnen Berufspositionen erfa\u00dft werden. Man photographiert diese Kernarbeiten des Berufes\nFig. 223. Registrier Vorrichtung f\u00fcr Wirkung von K\u00f6rperpartiebewegungen\n(aus Martin).\nund stellt gegen\u00fcber bei Bedarf den Gesunden w\u00fce den Prothesentr\u00e4ger. Derartige Aufnahmen gelten zugleich als Instruktionsbl\u00e4tter f\u00fcr Prothesenbenutzer (Fig. 225).\ne ) Eich Vorrichtung f\u00fcr Schraubendruck.\nUm den gr\u00f6\u00dften durch Anzug mit der Hand erreichbaren Druck beim Schraubenanziehen festzustellen, -wurde eine besondere Pr\u00fcfeinrichtung geschaffen (Schlesinger). Sie diente in ihren Er-","page":1046},{"file":"p1047.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitsband\n1047\nFig. 224. Kunstarmme\u00dfger\u00e4t (aus Tramm).\nFig. 225. Sattlerarbeit in Kunstarmproben.","page":1047},{"file":"p1048.txt","language":"de","ocr_de":"1048\nFritz G-iese\ngebnissen der Dimensionierung von Feststellschrauben bei Prothesen im Handgelenk, Ellenbogenbeugegelenk und ergab Beziehungen zwischen Schraubenkopfdurchmesser und Gewindedurchmesser f\u00fcr die praktische Bedienung durch einen Menschen. Diese Me\u00dfdosenvorrichtung ist konstruktiv aus der Zeichnung (Fig. 220) zu ersehen.\n4. Willk\u00fcrliche direkte Prothesensteuerung und Stumpfvorbereitung.\n\u00c4hnlich wie bei der Kr\u00fcppelhand kann man auch bei den Unfall- und Kriegsverletzten den Nachteil der \u00fcblichen Prothese operativ zu umgehen suchen. Der Nachteil besteht in einer Gegenstandfremdheit der Prothese, da der psychische Kontakt mit den\nFestste//= schraube\nManometer\nFig. 226. Me\u00df dosenpr\u00fcf ger\u00e4t.\nWahrnehmungszentren fehlt, weil sie sozusagen ein toter Gegenstand am lebendigen K\u00f6rper bleibt, oft genug daher alsbald in der Arbeit fortgelassen wurde. Hierbei hat man zwei Wege beschritten.\na) Stumpf\u00fcmbildung zur direkten Arbeitsverwendung\nals Klane.\nMan operiert und pr\u00e4pariert den Arm oder Handrest so, da\u00df er unmittelbar als K\u00f6rperklaue dient, auch willk\u00fcrlich aus pr\u00e4parierten Muskelresten zum \u00d6ffnen oder Schlie\u00dfen, zum Halten oder Loslassen sich eignet. Nachstehend eine Probe der Klaue nach Krukenberg1) (Fig. 227).\nx) Krukenberg : a. a. 0.; Martin: a. a. 0.; B\u00f6hm: Die Lehre von den Ersatzgliedern: Kirschner und Nordmann Die Chirurgie. Berlin und Wien 1926; iStein\u00e4ler: Reconstructive Surgery. New York 1923; Bonnet: Die Hand und ihr Ersatz. Leipzig 1925; Levy: Verlust der H\u00e4nde. Berlin 1916; W. M\u00fcller: Verletzungen und Krankheiten. Leipzig 1922.","page":1048},{"file":"p1049.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1049\n\u00df) Miiskelpr\u00e4paration f\u00fcr Zugwirkung auf Knnstger\u00e4te.\nDie andere M\u00f6glichkeit besteht darin, Muskeln zu W\u00fclsten umzuformen, die mittels Kan\u00fclen, Drahtz\u00fcgen usw. nnmittelbar Kraft auf den Knnstarm \u00fcbertragen. Es entsteht so zweifellos ein Kontaktgef\u00fchl beim Mnskelspiel, eine Beziehung intimerer und willentlicherer Kopplung zwischen dem von der Prothese behandelten Objekt und dem das Muskelspiel, d. h. die Arbeit der Prothese lenkenden Menschen. SauerbrucM Operation, die wir\nFig. 227. Naturzangenhand nach Krukenberg.\nFig. 228. Muskelwulst nach Sauerbruch.\nwiederholt erw\u00e4hnten, ist in diesem Sinne bahnbrechend gewesen. In Fig. 228 sei ein so vorbereiteter Muskelwulst abgebildet1).\nDie Ein\u00fcbung derartiger Leute mit durch Muskelreste direkt bedienten Prothesen ist zumal ein psychologisches Problem. Als Muster der Kunst arms chulung eines Sauerbruchoperierten sei ein Fall wiedergegeben, bei dem am Serienhandlungspr\u00fcfer nach Giese Schulung der Kunsthand in willk\u00fcrlicher Bedienung von typischen Schalterbewegungen usw. im Zusammenspiel mit der gesunden Hand vorgef\u00fchrt ist (s. vorherige Eig. 138).\nx) Sauerbruch: Die willk\u00fcrlich bewegliche k\u00fcnstliche Hand. Berlin 1923.","page":1049},{"file":"p1050.txt","language":"de","ocr_de":"1050\nFritz Giese\n5. Anwendung auf L\u00e4hmungsprothesen.\nDie \u00dcbertragung desselben Gedankens auf L\u00e4hmungen erw\u00e4hnten wir oben bereits. Auch hier finden alle dieselben Prinzipien Anwendung, erinnern die L\u00e4hmungsprothesen vielfach unmittelbar an eigentliche Prothesen. Gelegentlich wird das gel\u00e4hmte Glied auch amputiert, um dann erheblichere Nutz Wirkungen als vor der L\u00e4hmung \u2014 die arbeitlich meist st\u00e4rker hindert als eine praktisch gestaltete Abtrennung des Gliedes \u2014 zu erzielen. Bei den L\u00e4hmungen st\u00f6ren vor allem die Gef\u00fchlswahrnehmungen im Glied. (K\u00e4lte, Taubheit, Unempfindlichkeit gegen\u00fcber Au\u00dfenreizen usw.)\nBig. 229. Bohrmaschine mit Blindem.\nNeben die eigentliche L\u00e4hmungsprothese treten dann noch sonstige Behelfsger\u00e4te f\u00fcr Einarmige und Amputierte, die teilweise am Arbeitsplatz \u2014 etwa durch Pedale, Halter usw. \u2014 die Einhand oder reine Prothesenarbeit unterst\u00fctzen bzw. die Verrichtungen des Alltags, ganz wie bei den Armlosen (die oben bei den Entwicklungsst\u00f6rungen der Kr\u00fcppel erw\u00e4hnt sind) in angemessener Form durch Sondergebrauchsgegenst\u00e4nde erm\u00f6glichen.\n6. Blindenbesch\u00e4ftigung im Betriebe.\nBei allen Versuchen der Wiederert\u00fcchtigung von Besch\u00e4digten waren neben den unmittelbar Handgest\u00f6rten die mittelbar Handgesch\u00e4digten, die Blinden, von besonderem Interesse.","page":1050},{"file":"p1051.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1051\nUnter der Voraussetzung, da\u00df der Blinde gesunde Extremit\u00e4ten besitzt, mu\u00dfte der methodische Weg folgende Bedingungen suchen:\na) Ermittlung brauchbarer Teilarbeiten rein manueller Form, unter Ausschlu\u00df des Auges.\n\u00df) Zurichtung des Arbeitsplatzes unter Ausschlu\u00df der Unfallgef\u00e4hrdung.\ny) Vorbereitung besonderer einfacher Hilfsger\u00e4te, um die gefundene Arbeitsform f\u00fcr den Blinden akkordf\u00e4hig zu machen, damit sein Verdienst normal bleibt.\nBrauchbar waren solche Gebiete, wo die taktile Arbeit eine Bolle spielt. Beispielsweise hat man sogar in der Gro\u00dfindustrie\nFig. 230. Friktionsspindelpresse mit zwangsl\u00e4ufigem Arbeitshandunfallschutz.\nBlinde dauernd beim Pappschachtelfalten, Sortieren von Sicherungsst\u00f6pseln, Schraubeneinziehen, Lehrdornpr\u00fcfen von Gewindeh\u00fclsen u. a. m. besch\u00e4ftigt. Bei einigen Pl\u00e4tzen wurden die Sondereinrichtungen so getroffen, da\u00df optische Wahrnehmungen durch akustische ersetzt sind. Beispiel hierf\u00fcr ist die Pr\u00fcfung von Sicherungsst\u00f6pseln bei Siemens-Schuc\u00fcert, wo jedes Fehlst\u00fcck, das der Arbeiter unterlegt, mittels Glocke elektrisch signalisiert ward.\nAber auch Maschinenarbeit konnte, unter entsprechender Unfallschutzgebung, f\u00fcr Blinde m\u00f6glich sein, sofern der Platz nicht viel Herumlaufen oder starkes Arbeitsst\u00fcckwechseln bedingt, also strikt Serien voraussetzt.","page":1051},{"file":"p1052.txt","language":"de","ocr_de":"1052\nFritz Giese\nDa\u00df sogar Bohrmaschinen n. a. m. bedient werden k\u00f6nnen, zeigt die Probe Big. 229. Hier wird bei der vierspindeligen Maschine die Bohrlehre in eine anf der Tischplatte befindlichen Schablone von Spindel zu Spindel gef\u00fchrt, so da\u00df stets sicherer Anschlag und richtige Bohr st eile der Bohrb\u00fcchse verb\u00fcrgt ist.\nDie \u00fcbliche zwangl\u00e4ufige Handfestlegung seitlich an der Gefahrzone (wie wir sie aus der Unfallverh\u00fctung kennen) wird auch hier mit verst\u00e4rkten Sicherungsma\u00dfnahmen durchgef\u00fchrt. Bei Drehb\u00e4nken werden Schutzgitter angebracht, die unter elektrisch-akustischen Signalen bei St\u00f6rungen stehen. Sogar blinde Amputierte sind an Gewindeschneidemaschinen t\u00e4tig, wobei die\nFig. 231. Arbeitsgruppe an vierspindeliger Bohrmaschine.\nProthese auf einer Bollenunterlage ruht, das Arbeitsst\u00fcck von einem beweglichen Schlitten aufgenommen wird und das Gewinde durch Vor- und B\u00fcckw\u00e4rtsbewegen desselben eingeschnitten ist, w\u00e4hrend die gesunde Linke die Teile zuf\u00fchrt1). Endlich hat man auch hier paarweises Zusammenarbeiten zweier Blinder als Arbeitsgruppe erm\u00f6glicht, also Teilarbeit. Der eine Arbeiter an der vierspindeligen Bohrmaschine legt zehn zu bohrende Teile in die Bohrlehre, der zweite bohrt und senkt sie, indessen der erste die zweite Lehre auff\u00fcllt usw. (Fig. 231).\nIm Fabrikraum selbst werden die Blinden durch Hunde gef\u00fchrt, die tags\u00fcber unter dem Arbeitsplatz des Betreffenden sich aufzuhalten pflegen.\nb Perls: Blindenbesch\u00e4ftigung im Kleinbauwerk der Siemens-Schuckert-Werke. Berlin 1924.","page":1052},{"file":"p1053.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1053\nII. Ausdruckshand.\nBegriff.\nZur psychologischen Charakteristik der oberen Extremit\u00e4ten kann die Beschr\u00e4nkung auf den realen Nutzwert der Hand nicht gen\u00fcgen. Wir stellten daher einleitend die Ausdruckshand der Arbeitshand gegen\u00fcber und betonten, da\u00df die Ausdruckshand, wie ihr Name andeutet, biologisch-seelische Inhalte darstellen, repr\u00e4sentieren soll. Sie wird dadurch keinesfalls zur Passivit\u00e4t gef\u00fchrt und damit der stets aktiven Arbeitshand entgegengestellt. Sie kann in der k\u00fcnstlerischen Gebarung sogar wirtschaftliche Werte erbringen, denn der Schauspieler oder T\u00e4nzer spielt ja unter Gage. Psychologisch ist aber wesentlich dieses Gemeinsame: die Geb\u00e4rde als Ausdrucksbewegung des Ichs. Damit ist die innere Stellungnahme des Betreffenden durchaus anders gerichtet als bei der Ausdruckgebung der Arbeitshand, die sich vielleicht bem\u00fchte, mittels Plastilin oder Wachs ebenfalls etwas zu symbolisieren und darzustellen. Hier war die Hand stets Werkzeug und mu\u00dfte der Stoff \u2014 unter Einrechnung aller Materialgef\u00fchle oder sonstigen subjektiven Bedingungen \u2014 trotzdem das interne Ziel bleiben. H\u00f6chstens h\u00e4tte man ein spielerisches Arbeiten mit Stoff \u2014 etwa das freie Formen, das mutwillig-expressive Tun der Kinder\u2014 als Sonderfall betrachten k\u00f6nnen. Umgekehrt w\u00e4re es eine Ausnahme, in der Ausdruckshand auch die Arbeitshand zu finden. Man w\u00fcrde dem nur unter wirtschaftlichen Erw\u00e4gungen indirekt zustimmen, also etwa den darstellenden K\u00fcnstler als Berufsarbeiter bezeichnen. Bei jeder Form k\u00fcnstlerischer Pr\u00e4gung durch die Hand ist dieser Arbeitswert nur etwas Abstraktes und \u00dcbertragenes. Wenn wir streng psychologisch vorgehen, unterscheidet sich die subjektive Stellungnahme des Ichs eben grunds\u00e4tzlich bei dem Vorgang von der Einstellung auf Werkzeugwert des arbeitenden Gliedes. Es erscheint notwendig, diese innere Unterschiedlichkeit hervorzuheben, da, logisch oder wirtschaftlich betrachtet, Ausdruckshand und Arbeitshand nicht gleich geschieden w\u00e4ren.\nGestaltungsformen der Ausdruckshand.\nDie Ausdruckshand ist in \u00fcberwiegenden F\u00e4llen eine vom psychischen Ich gestaltete Erscheinung.\nAllerdings m\u00fcssen hier zwei grundverschiedene Gestaltungsformen getrennt sein: bewu\u00dfte und unterbewu\u00dfte Ich-wirkung.\nWenn jemand beispielsweise als Taubstummer das Fingeralphabet benutzt, um sich sprachlich zu verst\u00e4ndigen, so haben wir eine Form intellektuell geleiteter Zeichengebung durch die","page":1053},{"file":"p1054.txt","language":"de","ocr_de":"1054\nFritz G-iese\nHand vor uns. Dasselbe gilt bei allen Winkzeichen oder pantomimischen Gesten, deren Ausdruck dahinterliegende Gedanken darstellen soll, oder, richtiger gesagt, deren Ausdrucksgebung etwas Sekund\u00e4res, deren tragender Inhalt ein intellektuelles Bewu\u00dftseinselement ist; nun mu\u00df dieses Bewu\u00dftseinselement wiederum nicht rein intellektuell geartet sein. Es kann auch der Gef\u00fchlssph\u00e4re, dem Willen oder der intuitiven Zone des Geistes zugeh\u00f6ren. Willensgem\u00e4\u00df und dabei voll bewu\u00dft wirkt der Redner, der Agitator mit der Geste. Er schaltet die Ausdruckshand an der ihm passend erscheinenden Stelle ein, um Wort und Sinn durch sie zu bekr\u00e4ftigen oder um durch die Ausdruckshand suggestive Wirkungen auf die Zuh\u00f6rer auszustrahlen. Emotional gestaltet der T\u00e4nzer oder Schauspieler. Beim Schauspieler ist die Hand \u00e4hnlich wie beim Redner bedingt, nur wesentlich weitergehend in Anwendung begriffen und aus Gef\u00fchlst\u00f6nen gelenkt. Beim T\u00e4nzer pflegt zumeist ebenfalls nicht nur die intellektuelle Gestaltung, sondern die unvermittelt-emotionale Geb\u00e4rdung im Vordergr\u00fcnde zu stehen. Hierbei spielen alsdann noch andere Faktoren mithinein, die weiterhin dargestellt werden. Zweifelsfrei handelt es sich um eine Ausdruckshand, die vollbewu\u00dft gesteuert ist, deren D ominanz -funktion dagegen von der des Redners oder Taubstummen oder Blinden wesentlich differenziert sein mu\u00df.\nKeben diesen bewu\u00dften Ausdruckshandgestaltungen gibt Es auch unterbewu\u00dfte. Es soll an diesem Ort nicht auf die inneren Schwierigkeiten des Bewu\u00dftseins- und des Unterbewu\u00dftseinsbegriffes verwiesen werden. Vielleicht kann man hinsichtlich der Hand auch statt Unterbewu\u00dft sein gelegentlich \u2014 wenn auch keinesfalls ausschlie\u00dflich -\u2014 den gel\u00e4ufigeren Terminus ,,hlebenbewu\u00dft sein\u20197 zur Anwendung bringen1). Jedenfalls gibt es eine Ausdruckshand, deren Gestaltungs weise dem Tr\u00e4ger nicht bewu\u00dft ist. Wir k\u00f6nnen wiederum in doppelter Weise diese unterbewu\u00dft gesteuerte Ausdruckshand zu verstehen suchen.\nIhre Gestaltungsform ist bekanntgeworden unter der Formulierung ,,unvermerkte Mitbewegungen\u201d. So hat Sommer vor vielen Jahren bereits auch methodologisch die unvermerkt arbeitende Ausdruckshand bekanntlich mit Hilfe eines Apparates, der die dreidimensionalen Mitbewegungen aufzeichnete (Prinzip der pneumatischen Marey\u00dcbertragung nebst Kymographion) festzuhalten gesucht, obschon man schwanken mag, ob hier noch der wirklich freie Ausdruck bei dem angeschnallten Menschen garantiert bleibt. Immerhin verharrt das Ganze in der Enge des Experimentes2). Auch Schulte hat eine sehr originelle Konstruktion an-\n1)\tGiese: Das au\u00dferpers\u00f6nliche Unbewu\u00dfte. Braunschweig 1925.\n2)\tSommer: Zeitsehr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorgane. 16.","page":1054},{"file":"p1055.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1055\ngedeutet, bei der die auf der pneumatischen Kapsel ruhende Hand, die in einem Kasten unsichtbar bleibt, auf gegebenenfalls im Sprechen vorkommende oder im Zuh\u00f6ren auf tretende Mit-bewegungen registriert wird1) (Fig. 233).\nZweifellos sind diese unvermerkten Mitbewegungen Ausdrucksformen der Hand, die etwas durchaus anderes dar st eilen als die blo\u00df arbeitlich gerichtete Extremit\u00e4t. Erinnert mag hier ferner werden an die Versuche E. Schulzes, die Mimik und die Geste der Kinder beim Betrachten von Bildern photographisch festzuhalten2). Zwar wurde hier das Gesicht meist noch st\u00e4rker der Untersuchung unterzogen, doch kann die Analyse derartiger unvermerkt vorgenommenen Photographien oder Filmaufnahmen\nFig. 232. Sommers, Apparat zur Pr\u00fcfung von Handbewegungen.\ngerade auch hinsichtlich der unterbewu\u00dft beeinflu\u00dften Ausdrucks -hand wertvoll werden. Die neuesten Filme von Kurt Lewin \u00fcber handliche Ausdrucksbewegungen wurden bereits oben erw\u00e4hnt3) (s. Fig. 147). Auch Gh. Buhler hat neuerlich \u00e4hnliche Aufnahmen begonnen.\nWer eingehend die Phasenfolge der Handbewegungen beobachtet, wird bei einem hinreichend drastischen Beizobjekt (etwa einem humorvollen Bilde oder einer tragischen Handlung) zumal den Einflu\u00df auf die Handbewegungen bei den einzelnen Kindern wahrnehmen und die starke Differenzierung der Individuen hinsichtlich unvermerkter Mitbewegungen best\u00e4tigen. Letzten Endes\nx) Schulte: Eignungs- und Leistungspr\u00fcfung im Sport. Berlin 1925.\n2)\tB. Schulze: Aus der Werkstatt der experimentellen P\u00e4dagogik. Leipzig 1913; Unsere Kinder und der Krieg. Leipzig 1917.\n3)\tK. Lewin: Vortrag auf dem lO.Psychologenkongre\u00dfBonn. (Ber. Jena .1928); vgl. Zeitscbr. f. p\u00e4d. Psychologie. 1927/28; Gh. Buhler: ebendort. Kongre\u00dfber. Jena 1928.","page":1055},{"file":"p1056.txt","language":"de","ocr_de":"1056\nFritz G-iese\nmu\u00dfte dies bereits bei der Unfalls chut zgebung in der Industrie ebenfalls eine gro\u00dfe Rolle spielen, wenn die Arbeitshand zugeordnete, unvermerkte Mitbewegungen des Individuums hervorlocken konnte. Aus diesem Grunde hat man die H\u00e4nde in der Industrie zwang-l\u00e4ufig festgelegt, damit sie nicht in die Gefahrzone geraten1). Endlich erinnern wir uns auch der hohen Bedeutung unvermerkter Mitbewegungen bei Tierpr\u00fcfungen. Hie weite Polemik bei der Vorf\u00fchrung intellektuell arbeitender Tiere, insbesondere die Erkl\u00e4rungs-modifikation der Leistungen durch die Pfungst&che Theorie2), mu\u00df teilweise, wenn auch etwa sekund\u00e4r, ebenfalls der Zeichengebung durch die Hand gedenken, obschon dort in verst\u00e4rktem Ausma\u00dfe Auge und Kopf eine erhebliche Rolle spielen. Unvermerkte\nFig. 233. Schultes Handbewegungspr\u00fcfer.\nMitbewegungen der Hand sind ferner \u00fcberall im Okkultismus und der Parapsychologie m\u00f6glich. Wir werden auf diese okkulten Hinge kurz verweisen, wenn wir das Pendeln und die Psychographie erw\u00e4hnen. Hort ist die Ausdruckshand der Grund f\u00fcr viele Ph\u00e4nomene, die hinterher okkult ausgedeutet werden, obschon sie durchaus nat\u00fcrlich durch die Mitbewegungen zustande kommen.\nEin anderes Gebiet schlie\u00dft sich hier als zweites an, n\u00e4mlich die M\u00f6glichkeit der Ausdeutung dieser Bewegung. Man k\u00f6nnte sagen ihrer unterbewu\u00dften Symbolik. Wenn Goethe im Faust dem Mephisto eine ,,unanst\u00e4ndige Geb\u00e4rde55 darstellerisch vorschreibt, so folgt hier der Schauspieler intellektuell der Anordnung, und ist dieses Symbol bewu\u00dft gewollt. Etwas ganz anderes setzt aber ein,\nx) Vgl. Giese: Wirtschaftspsychologie. Abderhaldens Handb. 6. Berlin und Wien 1927.\n2) Pjungst: Das Pferd des Hans von Osten. Leipzig 1908.","page":1056},{"file":"p1057.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\n1057\nwenn wir vom Standpunkt der Psychoanalyse die Symbolik der unterbewu\u00dft vorgenommenen Handbewegungen erschlie\u00dfen; Ausdrucksbewegungen, die teilweise dem Freudschen Gesetz vom Wiederholungszwange folgen1). Hier kommen wir zum Geltungswert der Bewegung f\u00fcr das Ich, also auf das, was der Betreffende, ohne es vielleicht selbst zu wissen, unterbewu\u00dft ,,meint\u201d mit der Geste. Das Bohren in der Hase, den Ohren oder im Munde, das ausdrucksbetonte Spielen am Kopf oder anderen K\u00f6rperstellen, Mitbewegungen am Federhalter oder Bleistift, das Trommeln mit den Fingern auf der Tischplatte, das Hineinbohren der H\u00e4nde in die Taschen, das Kauen an den Hageln, das Hineinfahren in die Haare, das sind Ausdrucksgebarungen, die auch dem Laien durchaus bekannt sind, die f\u00fcr ihn Ausdruckszeichen ganz bestimmter seelischer Bewu\u00dftseinsinhalte werden, ohne da\u00df an die feinere und kompliziertere Symbolik der Psychoanalyse in jedem Falle gedacht werden m\u00fc\u00dfte. Alle solche Bewegungen kommen vielf\u00e4ltig und immer unter- oder nebenbewu\u00dft vor, wie jedermann an essenden, lesenden, denkenden oder scheinbar dekonzentrierten Personen t\u00e4glich beobachten kann. Auch wer die Deutung dieser Bewegungsformen der Ausdruckshand nicht im psychoanalytischen Sinne annimmt, mu\u00df das Vorkommen ebenso zugeben wie den Wiederholungszwang, der sich in diesen Ausdrucksbewegungen der unterbewu\u00dft gesteuerten Hand dartut. Es gibt in diesem Sinne auch eine Pathologie der Ausdruckshand, die vor allem bei Geisteskranken, Heurotikern und anderem mehr von gro\u00dfem Werte ist. Haben wir schon bei der Arbeitshand auf derartig pathologische Befunde mit Bildvorweisung verwiesen, so k\u00f6nnen wir hier erg\u00e4nzend anf\u00fcgen, da\u00df, jenseits von der Renten- und Anbr\u00fcchigen-problematik des arbeitenden Menschen, auch vor\u00fcbergehend ge-stikulatorisch-unterbewu\u00dft sehr interessante Handaus drucks-gebungen Vorkommen. (Erinnert sei auch an die erw\u00e4hnten psychogen erwirkten Krampf Stellungen der Hysteriker, die etwa einer Tetanie \u00e4hnlich sehen, aber ganz andere Hintergr\u00fcnde aufweisen und eben Symptome sind, nicht organische R\u00fcckwirkungen.)\nSo kann man denn in der ersten Gruppe der Gestaltungs-formen der Ausdruckshand diese bewu\u00dften und die unterbewu\u00dften Erscheinungsweisen strikt trennen, um dadurch sehr verschiedenen seelischen Zonen des Ichs durch die Ausdruckshand nahezukommen.\nEs sei gestattet, an die M\u00f6glichkeit, den Begabungsbegriff neben dem der Konstitution heranzuziehen, zu denken. Konstitutionell sind zweifellos alle unterbewu\u00dften Ausdruckshandsteuerungen bedingt, vor allem dort, wo sie zu tick\u00e4hnlichen Zwangshandlungen\n*) Freud: Jenseits des Lustprinzips., Wien 1924; ferner Gesammelte Schriften, zumal 1., 2., 5. ff.","page":1057},{"file":"p1058.txt","language":"de","ocr_de":"1058\nFritz Griese\n\u00fcberleiten oder wo sie, w\u00fce in der Parapsychologie, zu vorschnell mystischen Ausdeutungen der Ph\u00e4nomene f\u00fchren. Die Begabung spielt wiederum eine Polle bei der Darstellungsweise durch den K\u00fcnstler, den Schauspieler oder T\u00e4nzer wie der Geste oratorischer Sichtung. Insbesondere erhellt, da\u00df die Ausdruckshand des Schauspielers oder T\u00e4nzers wegen ihrer intellektuellen Pr\u00e4gung au\u00dferordentlich abh\u00e4ngen mu\u00df vom sogenannten Talent. Methodisch wird man daher die M\u00f6glichkeit haben, aus den kontrastreichen Extremen der sicherlich darstellerisch Unbegabten und der Hoch-begabten in polarer Klarheit die Erscheinungsweisen der bewu\u00dft gesteuerten Ausdruckshand kennenzulernen. Bekanntlich geh\u00f6rt es zu den probaten methodologischen Kniffen, tunlichst durch Extremwerte Zusammenh\u00e4nge aufzuhellen. Hierzu bietet gerade die Ausdruckshand beste M\u00f6glichkeiten.\nAu\u00dfer dieser Eorm von Ausdruckshandgestaltung gibt es noch die indirekte-nichtbewu\u00dfte Form. Mchtbewu\u00dft soll sowohl das normale Bewu\u00dftsein wie die unterbewu\u00dfte Gebarung aus-schlie\u00dfen oder jedenfalls ganz und gar zur\u00fcckdr\u00e4ngen. Wir sagen daher vielleicht klarer, da\u00df diese Ausdruckshand indirekt zustande kommt. Mittelbar, weil sie aus objektiven Befunden her sich symptomatisch bestimmt.\nAuch konstitutionell hat man Ausdrucksgebungen zu finden gesucht, indem man Zeichen f\u00fcr Begabung im Ausdruck der Hand [etwa in der (Fig. 154) geschilderten Capillarenuntersuchung] annahm. Au\u00dferdem wollte das parapsychologische Feld Zeichen in der Hand finden, Ausdrucksformen im Sinne von ,,Schicksals-vorbestimmung\u201d. Derartige merkw\u00fcrdige Behauptungen werden an Unterlagen V as chide s noch zu er\u00f6rtern sein, um das Bild abzurunden. Auf jeden Fall ist diese Hand weder bewu\u00dft noch unterbewu\u00dft beeinflu\u00dft. Sie ist ausdrucksgestaltet etwa durch Konstitution oder angeblich parapsychologische Zusammenh\u00e4nge. Objektive Faktoren, scheinbar au\u00dferhalb des Ichs liegend und von keiner Strukturzone der Bewu\u00dftheit abh\u00e4ngig, machten die Hand zum Ausdrucksfaktor. Ohne die Absicht auf ersch\u00f6pfende Darstellung sollen einige methodische Wege geschildert werden, welche der Ausdruckshand sich zuwenden.\nA. Die k\u00fcnstlerische Ausdruckshand.\nDer k\u00fcnstlerischen Arbeitshand, die wir artistische nannten, steht die expressive Form der Hand gegen\u00fcber.\nAus der F\u00fclle der Erscheinungsweisen sollen nur die beiden methodisch verschieden gerichteten F\u00e4lle, die Hand in der bildenden und der darstellenden Kunst, zur Er\u00f6rterung kommen.","page":1058},{"file":"p1059.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1059\n1. Die Hand in der bildenden Kunst.\nAuf die Sonderheit der Psychologie der Hand in der bildenden Kunst, mithin vor allem Plastik und Malerei, hat bereite Vaschide1) verwiesen. Methodologisch hat die Hand auf diesem Gebiete zwei verschiedene Hanptbereiche ber\u00fchrt: das Problem des Sch\u00f6nheitsideals nnd das Motiv der differenzierten psychologischen Ausdrucks-gebnng im Kunstwerk.\nDer erste Pall greift zur\u00fcck auf die vielen, schon von den Alten beschriebenen Versuche, Proportionen zu finden, die den K\u00f6rper nach bestimmten mathematisch fa\u00dfbaren Formeln aufteilen helfen. Am bekanntesten ist die Hypothese vom goldenen Schnitt geworden. Was die Hand dabei betrifft, so gilt die \u00e4sthetische Betrachtungsweise der Extremit\u00e4t sowohl den Proportionen der Finger zu dem Handteller, der Hand zum Arm usf. Gerade diese Proportionsgedanken der \u00c4sthetik finden in der chiromantischen Typologie ihre okkulte, in der Kriminalistik ihre eminent praktische Auswertung. Ferner hat aber die Proportionslehre auch die Hand zum Einheitsma\u00dfstab f\u00fcr den K\u00f6rper an sich machen wollen. Wie der realere Brite vom Fu\u00df ausging, um Ma\u00dfst\u00e4be zu finden, haben andere die Hand benutzt, um methodische Richtlinien zur Kennzeichnung der ma\u00dfst\u00e4blichen Fixierung des Sch\u00f6nheitsideals zu gewinnen. Hier ist Handl\u00e4nge und Gesichtsl\u00e4nge vielfach in Konkurrenz als Einheit gegeben. Uns interessiert nur die methodische M\u00f6glichkeit, am K\u00f6rper statt nach \u201eFu\u00df\u201d nach Hand messen zu wollen, um immanente Sch\u00f6nheitsgesetze der nat\u00fcrlichen Erscheinungsform des Menschen festzuhalten2).\nEs versteht sich von selbst, da\u00df diese Handmessung als Einheit erhebliche Rasse-, Berufs- und Altersunterschiede offenbaren mu\u00df, wie ja der K\u00f6rper an sich entwicklungsgem\u00e4\u00df sehr auff\u00e4llige Proportionsverschiebungen im Ablauf des Lebens andeutet.\nDer Sch\u00f6nheitskanon erfreut sich keiner Einheitlichkeit. Man kann verstehen, da\u00df Rasse, Zeitepoche und Geschmack eine wesentliche Rolle dabei spielen werden. Die grazilere romanische Rasse l\u00e4\u00dft sich nicht unmittelbar mit den skandinavischen V\u00f6lkern ver-\n1)\tVaschide: Essai sur la psychologie de la main. Paris 1909.\n2)\tZeising: Lehre von den Proportionen des menschlichen K\u00f6rpers. Leipzig 1854; Der goldene Schnitt. Leipzig 1854; Stratz: Sch\u00f6nheit des weiblichen K\u00f6rpers. Stuttgart 1912; Rassensch\u00f6nheit des Weibes. Stuttgart 1911; Der K\u00f6rper des Kindes. Stuttgart 1909; K\u00f6rperformen in Kunst und Leben der Japaner. Stuttgart 1904; Zederbauer: Die Harmonie im Weltall in der Natur und Kunst. Wien 1917; J. Pfl\u00fcger: Die Formensch\u00f6nheit einfacher geometrischer G-ebilde. Stuttgart 1915; G\u00f6ringer: Der goldene Schnitt und seine Beziehung zum menschlichen K\u00f6rper. M\u00fcnchen 1911; B\u00e4uerle: Die Verh\u00e4ltnisse des menschlichen K\u00f6rpers nach dem gold. Schnitt. Leipzig (o. J.).\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n69","page":1059},{"file":"p1060.txt","language":"de","ocr_de":"1060\nFritz G-iese\ngleichen, die gelbe mit der wei\u00dfen, die schwarze mit der wei\u00dfen nicht parallelisieren. Die Sch\u00f6nheitsideale h\u00e4ngen nicht nnr anatomisch vom Skelett ab, sondern dieses aneh von den Lebensgewohnheiten. Die industrielle und die handwerkliche Bev\u00f6lkerung zeigt bereits manchmal andere Handformationen als die landwirtschaftliche, die V\u00f6lker des Gro\u00dfstadtbezirkes einen anderen Typ als die des Gebirges. Zeit epochal ist aber, abgesehen vom Beruf, der Geschmack \u00e4u\u00dferst verschieden. Man kann dieses am ehesten an dem Objekt sehen, das von altersher im Mittelpunkte der kanonischen Kunstlehre stand: der Frau. Uns sind heute Rubenssche. Proportionen undenkbar und un\u00e4sthetisch; es ist ebenso kennzeichnend, da\u00df die Amerikaner der griechischen Venusproportion eine neuzeitlichere gegen\u00fcberstellen wollten. Fettbildung und Aktivit\u00e4t der Hand sind aber neben der rein knochenhaften Formgebung ein wichtiger Ausdrucksfaktor: das zeigten die Mitteilungen \u00fcber die Entwicklung der Handform vom Kind bis zum Greisentum. Wenn daher heute, ob mit oder ohne mathematische Verrechnung, ein Kunstkanon methodisch erstrebt ist, darf er doch keinesfalls diese Belati visierung des Kanons durch Basse, Beruf und Epoche au\u00dfer acht lassen, wobei wir pauschal in Basse auch die Wirkungen von Alter und Geschlecht mit-einrechnen m\u00f6gen1).\nDemgem\u00e4\u00df kann nicht erstaunen, wenn VascMde in Frankreich zum Teil andere Proportionen auch der Finger fand, als sie Stratz und Mantegazza angeben. \u00c4hnliche Differenzen sehen wir auch bei uns seit den Forschungen Winckelmanns. Methodologisch ist der mathematische Kanon bei der Hand nur eine Abstraktion und eine Fiktion, die sogar nicht imstande ist, ein abstraktes Idol allgemeing\u00fcltig zu normen, selbst wenn wir immer in der Psychologie alles Generelle durch Typen differenzieren. Es gibt in diesem Sinne eigentlich keinen \u00e4sthetischen Mittelwert.\nWenden wir uns der Ausdrucksgebung der Hand in der bildenden Kunst zu, so kann auf folgende methodische Gesichtspunkte verwiesen werden. Zun\u00e4chst kommen bei der Betrachtungsweise Unterschiede der Geschlechter in Betracht. Immer hat die Kunst versucht, das Prinzip des M\u00e4nnlichen und des Weiblichen in den zivilisierteren Epochen manuell zu differenzieren2). Diese Differenzierung der Ausdruckshand erfolgte einmal in der Modellierungsart der Gr\u00f6\u00dfen, der Proportionen und der Muskulatur. Die m\u00e4nnliche Hand war in solchem Sinne dimensionierter, muskul\u00e4rer und derber.\nx) Br\u00fccke: Sch\u00f6nheit und Fehler der menschlichen Gestalt. 1890; Winekel-mann: Ges. Werke, u. a. Bd. 4. (Dresden 1811); M\u00fcller-Freienfels: Psychologie der Kunst. Leipzig 1922; weiteres bei Vaschi\u00e4e.\n2) Siehe Wilhelm v. Humboldt: \u00dcber den Geschlechtsunterschied. M\u00e4nnliche und weibliche Form. (Herausgegeben von Giese.) Langensalza und Halle 1917.","page":1060},{"file":"p1061.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1061\nIn Epochen primitiverer Knltnr verwischen sich die Darstellungen in dieser Beziehung, in Zeiten geistiger Leitideen, ja Epochen einer K\u00f6rperferne k\u00f6nnen die H\u00e4nde abermals angeglichen sein. Wichtig ist die indirekte Charakterisierung der Ausdruckshand durch Schmuck. Das nat\u00fcrliche Darstellungsbestreben, durch Binge, Ketten, Spangen die Eigenart der Erauenhand zu betonen, wird fallengelassen bei soziologisch herausgehobenen Pers\u00f6nlichkeiten m\u00e4nnlichen Geschlechtes. Sowohl klerikale wie dynastische Pers\u00f6nlichkeiten weisen als M\u00e4nner eine Angleichung an diese nat\u00fcrliche Symbolisierung der Geschlechter auf.\nWichtiger werden epochale Unterschiede, auf die schon durch die Vergleiche d\u2019Arpentignys hingewiesen wurde1). So sind beispielsweise die \u00e4gyptischen H\u00e4nde relativ zart gewesen, klein, \u00e4hnlich wie die Extremit\u00e4ten der asiatisch-indischen Kunstwelt. Die Vergeistigung der Hand in jenen Kulturen sehen wir ausdrucksgem\u00e4\u00df unter anderem auch am Motiv der vielh\u00e4ndigen Gottheiten. Die Hand ist wirklich Ausdruck eines Motivs. In der antiken Kunst sind vielfach die Betonungen m\u00e4nnlicher Kraft und weiblicher Anmut und Zartheit ausgesprochener Gegensatz zur vorangehenden \u00e4gyptischen Epoche. Im romanischen Stil Europas wird oft das Antlitz wichtigere Ausdrucksform als die spezifische Gestalt der H\u00e4nde. So verweist auch Vaschide auf den Befund, da\u00df vom 10. bis 11. Jahrhundert im katholischen Europa eine gewisse Gleichg\u00fcltigkeit der Handdarstellung Platz greift, wie eine Maskulini-sierung in der Benaissance. Wir haben hier auf Einzelheiten nicht zu verweisen, sondern nur die methodische Idee festzuhalten. Welche ungeheuren Eolgerungen derartige Versuche haben k\u00f6nnen, beweist Lessings Laokoonbetrachtung, die unmittelbar das Problem der Trag\u00f6die erneut seit Aristoteles tangiert2 3). Eine besonders psychologische Fragestellung liegt endlich dann vor, wenn die Darstellung der Hand in der bildenden Kunst nicht nur vom \u00e4sthetischen Ausdrucksgrad der biologischen Form behandelt ist, sondern wenn man Beziehungen zwischen Darstellungsweise der Gestalten und dem Urheber (Bildhauer, Maler) sucht. Methodisch greift diese Er\u00f6rterung dann her\u00fcber in das Problem der Vorstellungswelt des sch\u00f6pferischen Menschen, indem man arbeitshypothetisch annimmt, da\u00df jeder Urheber die Gestalten im Sinne der eigenen Mentalit\u00e4t unterbewu\u00dft zu bilden pflegt. In diesem Sinne hat unter anderen M\u00fcller-Freienfels*) einen motorisch-\n1)\td*Aryentigny : La science de la main. Paris 1865; ferner Vaschide: a. a. 0.; ebenso die Autoren des vorherigen Abschnittes; ferner Volkelt: \u00c4sthetik. 3 Bde. M\u00fcnchen 1911 ff.\n2)\tLessing: Hambnrgische Dramaturgie.\n3)\tM\u00fcller-Freienfels: Psychologie der Kunst. Leipzig 1922; Pers\u00f6nlichkeit und Weltanschauung. Leipzig 1916.\n69*","page":1061},{"file":"p1062.txt","language":"de","ocr_de":"1062\nFritz diese\ndynamischen und einen statischen Typ der Darstellung aufgezeigt. Ersterer pflegt in allen Werken auf die Betonung der Bewegungen der dargestellten Personen Wert zu legen, letzterer ist ausgezeichnet durch eine absolute Buhe der Gruppen- oder Einzeldarstellungen. Selbst bei Grabm\u00e4lern, die vielleicht als Vorwurf statisches Verfahren betonen k\u00f6nnten, finden sich strikt dynamische Verhaltungsweisen, umgekehrt statische Personendarstellungen in F\u00e4llen thematisch gegebener Bewegung. Die Ausdruckshand spielt dabei eine erhebliche Bolle, da sie sinngem\u00e4\u00df in allererster Linie durch ihre Motorik bzw. ihre Statik den intimeren Charakter der Darstellung versinnbildlicht, die unterbewu\u00dften Leitmotive des Autors besonders unvermerkt mitteilt. \u00c4hnlich hat \u00fcbrigens auch Hellpach auf die wesentlich st\u00e4rkere Handmotorik des fr\u00e4nkischen Stammes gegen\u00fcber der alemannisch-schw\u00e4bischen Bev\u00f6lkerung hingewiesen1). Methodisch ist mithin die Analyse der Ausdrucks-hand eines Kunstwerkes auch in Bichtung der individuellen Bedingungen seines Entstehens durch einen Vorstellungstyp verwertbar, wie sie soziologisch oder kollektivpsychologisch die Bindungen der Darstellungen an Epoche und an Volk dartun mu\u00df.\n2. Die Hand in der darstellenden Kunst.\nAls Gegenst\u00fcck soll die Ausdruckshand in der darstellenden Kunst einer ebenso knappen Betrachtung unterzogen werden. Hierbei kommen als Anwendungsgebiete B\u00fchne, Film und Tanz in Betracht. Wiederum werden uns diese Gebiete als methodische Erkenntnis quellen allein zu interessieren haben.\na) Ausdruckshand im B\u00fchnenspiel.\nZun\u00e4chst gibt es eine Anwendung der Ausdruckshand auf der B\u00fchne, die die sogenannte Mimik des Schauspielers erg\u00e4nzen mu\u00df.\nIn diesem Sinne ist die Hand immer schon als Geb\u00e4rde auch dort behandelt worden, wo eigentlich b\u00fchnentechnische Interessen nicht vorliegen2). Wenn wir heute die Methodik f\u00fcr die mimisch einzuordnende Ausdruckshand \u00fcberschauen, so bekommen wir folgende Varianten:\n1. Festlegung einer sogenannten K\u00f6rpersprache.\nEs hat lange Zeit gedauert, bis eine Methodologie der K\u00f6rperzeichen sich durchsetzte. An anderer Stelle dieser Abhandlung wurde auf die neueren Vorg\u00e4nge, die Geb\u00e4rden der H\u00f6renden den ^wecken der Taubstummenausbildung dienstbar zu machen,\nb Hellpach: Das fr\u00e4nkische Gesicht. Heidelberg 1921.\n2) Rudolph: Die Hand. Berlin 1859; Wagner: Die Hand. Berlin und Leipzig 1911 ; Ph. Mantegazza: La Physiognomie et l\u2019expression des sentiments; H. Rudolph: Ausdruck der Gem\u00fctsbewegungen. Dresden 1903; S. Kraup : Mimik und Geb\u00e4rdensprache. Leipzig 1908.","page":1062},{"file":"p1063.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1063\nhingewiesen1). Hier w\u00e4ren anznschlie\u00dfen die von Hughes, Piderit, Giraudet nnd Heller2) erstrebten Bem\u00fchungen, eine mimische Skala der Ausdrucksformen festzuhalten, sei es nur beschreibend, sei es dazu zeichnerisch oder photographisch.\n\u00dcbertragen auf die B\u00fchne, sind hier die eingehenden Typen Karl Michels3) zu erw\u00e4hnen, der rund 721 Bilder der K\u00f6rpersprache bildlich formulierte.\nDabei hat das Verfahren zun\u00e4chst nur normierenden Wert. Man gruppiert die Geb\u00e4rden nach den Ausdrucksweisen der K\u00f6rperpartien; teilt also ein nach Geb\u00e4rden des Kopfes, des Kumpfes, der Beaktionsformen (wie Zusammenfahren, Zucken usw.), erw\u00e4hnt mithin auch die Geb\u00e4rdentechnik der Hand in ihrer formalen\nFig. 234. Komplexe Geb\u00e4rdenbilder mit Rumpfaufnahme in Phasen (aus Michels).\nErscheinungsweise. So werden geballte H\u00e4nde gestuft im Sinne der Drohung, Verachtung, des Zornes, des Hasses, der Wut, des Au\u00dfersichseins dargestellt. So werden Geb\u00e4rden normiert, die durch Bewegen des K\u00f6rpers Ernst oder Heiterkeit ausdr\u00fccken sollen, oder solche, die Beruhigung, Beschwichtigung, Ablehnung, Schilderung erstreben. Die Kehrung der Handfl\u00e4chen nach au\u00dfen oder innen, wirre Geb\u00e4rden, Bewegung der Handfl\u00e4che nach vorn und nach au\u00dfen, der alleinige und gemeinsame Gebrauch beider\n1)\tA. P. Hirsch: Die Geb\u00e4rdensprache des H\u00f6renden. Charlottenburg 1923.\n2)\tH. Hughes: Die Mimik des Menschen. Frankfurt a. M. 1900; Piderit: Mimik und Physiognomik. Detmold 1886 und Neudruck; Giraudet: Mimique, physiognomie et gestes. Paris 1895; Heller: Grundformen der Mimik des Antlitzes. Wien; Krukkenberg: Der Gesichtsausdruck des Menschen. Stuttgart 1920.\n3)\tK. Michel : Sprache des K\u00f6rpers. Leipzig 1921; K\u00f6rpersprache und toter Punkt der Schauspielkunst. Leipzig 1921.","page":1063},{"file":"p1064.txt","language":"de","ocr_de":"1064\nFritz Giese\nH\u00e4nde, das Beugen der Vorderarme, Heben des ganzen Armes: dieses nnd vieles mehr wird der mimischen Wirkung zugeordnet.\nStatt der Photographie kann man, gegebenenfalls daraus ableitend, die Geb\u00e4rden auch zeichnerisch festhalten. Interessanterweise kommt die Graphik \u00fcberhaupt wiederum stark auf, und in manchem dr\u00fcckt sich darin nicht der allgemeine Wunsch nach Abstraktion allein, sondern auch der Wunsch nach Klarheit aus. Mchts gibt so klar das Symptom wieder, als eine schematische Zeichnung1).\nAls Proben dieser methodischen Darstellung seien nachfolgend einige Muster der Geb\u00e4rdenfesthaltung nach Guyer angegeben.\nFig. 235. Beispiele von Geb\u00e4rdenzeichnungen. (\u00dcberredung-Erstaunen-Drohung.)\nMan gewahrt schon auf den Abbildungsbeispielen, wie die Arbeitshand und die Ausdruckshand in ihrer subjektiven Erscheinungsform etwas Grundverschiedenes sind! Kralle, Paust, Streckhand gewinnen in der Ausdrucksform Sprache, bei der Arbeitshand mechanischen Hebelcharakter oder Greif er wert. So ist eine mimische Erscheinung der \u00dcberredung, der Drohung, des Zeigens, des Trinkens, des Erstaunens oder des Hasses noch etwas ganz und gar anderes als die handelnd aktive Greif-, Zuschlag-, Kratz-, Tipphand usf. Die Geb\u00e4rde des Geldgebens und das wirkliche Geben der Arbeitshand bleiben f\u00fcr den Kenner in der Erscheinung immer noch getrennt; die Ausdruckshand ist niemals von der Fiktion des Als-Ob fern.\n1) Guyer: La mimique. Paris 1902; Tikkanen: Zwei Geb\u00e4rden mit dem Zeigefinger. Helsingfors 1913.","page":1064},{"file":"p1065.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arlbeitshand\n1065\nb) Festlegung der psychologischen Skala der\nMimik.\nNeben die Beschreibung nnd Darstellung der Geste tritt methodisch die Systematik nach psychologischem Querschnitt. Man ben\u00f6tigt mit anderen Worten eine Staffelung von psychischen Inhalten, die darstellbar werden in korrelierten Ansdruckshandgeb\u00e4rden. War das erste eine Systematik der innervierten Mechanik, ist dies eine Klassifikation zielgerechter Symbole f\u00fcr Bewu\u00dftseinsinhalte. Es ist begreiflich, da\u00df dabei heute noch eine ziemlich vulg\u00e4re Psychologie hinter der zugeh\u00f6rigen Systematik f\u00fcr Geb\u00e4rden steht. Einmal hat der entsprechende Benutzerkreis keine unmittelbare Beziehung zur Fachwissenschaft, auf der anderen Seite versagt bisher diese Fachwissenschaft v\u00f6llig, wenn der Darsteller Bewu\u00dftseinsinhalte komplexer Form symbolisiert verdeutlichen soll. So ist methodisch eine Systematik verschiedener Ausdrucksformen entstanden, die durchaus abweichen mag von der streng wissenschaftlichen Klassifikation, die aber wertvoll war f\u00fcr das Ordnen der zugeordneten Geb\u00e4rden.\nAls Beispiel kann man eine einfache Aufstellung geben, die etwa Shraup1) dar st eilt:\nEs gibt:\n1. Mimik des W ohlwollens mit den Sonderf\u00e4llen :\nGeschlechtliche Liehe,\nKindes- nnd Elternliebe,\nFreundschaftsliehe,\nAchtung, Verehrung, Bewunderung, Religiosit\u00e4t;\n2. Mimik der Lust, dahei die Sonderf\u00e4lle:\nGute Laune,\nFreude und Entz\u00fccken,\nSchw\u00e4rmerei ;\n3. Mimik des Selbstgef\u00fchles:\npositiv\nW\u00fcrde,\nSelbstbewu\u00dftsein, Mut, Tapferkeit, Eitelkeit ;\nI\tSch\u00fcchternheit,\nVerlegenheit,\nuuuciuiuuAi , Bescheidenheit,\nS Demut,\n{ Unterw\u00fcrfigkeit ;\n4. Mimik der geistigen T\u00e4tigkeit;\nx) Skraup: Mimik und Geb\u00e4rdensprache. Leipzig 1908; Bor\u00e9e: Physio-gnomische Studien. Stuttgart 1899; Beuschert: Geb\u00e4rdensprache. Leipzig 1909; jR\u00f6tscher: Kunst der dramatischen Darstellung. Berlin 1919; Kjerbuell: Die Schauspielkunst. Stuttgart 1925; Winds: Technik der Schauspielkunst. Dresden 1919; Emmel: Das ekstatische Theater. Wien 1924; St\u00fcmcke: Die Frau als Schauspielerin. Leipzig 1919.","page":1065},{"file":"p1066.txt","language":"de","ocr_de":"1066\nFritz Griese\n5.\tMimik des \u00dc b e lw o 11 e n s :\nWiderwillen, Ekel, Ha\u00df, Zorn, Wut, Holm, Geringsch\u00e4tzung, Spott, Verachtung, Eifersucht, Neid, Habsucht;\n6.\tMimik des Leidens:\n\u00dcble Laune, Gedr\u00fccktsein, Schwermut, Sorge, Kummer, Gram, Heue, Schmerz, Verzweiflung, Weinen;\n7.\tMimik des F\u00fcrchtens:\nHilflosigkeit, Mi\u00dftrauen, Argwohn, Verdacht, Angst, Entsetzen, Furcht, Grauen, Schrecken;\n8.\tMimik gemischter Empfindungen:\nMitleid, Teilnahme, Heuchelei, Verstellung, Kriecherei, Pfiffigkeit, List, Verschmitztheit, Schlauheit, Bejahen, Verneinen;\n9.\tMimik k\u00f6rperlicher Zust\u00e4nde:\nHunger, Durst, Frost, Hitze, Atemnot, Sinnesst\u00f6rungen, Taubheit, Blindheit, pathologische Zust\u00e4nde (Kr\u00e4mpfe, Ohnmacht), Wahnsinn, Trunkenheit, Sterben, Tod.\nEbenso kann dem eine Charakterologie der Erscheinungsweise von komplexen Individualit\u00e4ten (Idealist, W\u00fcstling, Affektierter, Schuldbewu\u00dfter usw.) angeschlossen sein.\nJedes dieser Klassifikationselemente ist ferner auf die Anteilnahme der mimischen Ausdruckswege zu untersuchen. Mit anderen Worten ist daher festzustellen, inwieweit methodisch die Hand die Mimik des Gesichtes, des Beines, des K\u00f6rpers usw. erg\u00e4nzt oder entscheidend bestimmt.\nMan kann dies prinzipiell als Verfahren an zwei Beispielen verdeutlichen :\nAusdrucksskalen, des W ohlwollens:\nAusdr\u00fccke der Ann\u00e4herung:\nVorneigen des Kopfes,\nVorneigen des K\u00f6rpers,\nVorneigen der Arme,\nHervortreten der Augen,\nHervortreten der Lippen;\nLiebkosungen mit den H\u00e4nd e n,\nDr\u00fccken der H\u00e4nde,\nUmarmung e n,\nK\u00fcsse;\nAusdr\u00fccke der g\u00fcnstigsten Erscheinung:\nGerade Haltung, leuchtende Augen,\nL\u00e4cheln,\nErr\u00f6ten,\nBewegungen (Hand) der Unterw\u00fcrfigkeit.\nIn solchem Sinne lassen sich auch differenzierte Ausdrucksskalen auf stellen, die den Beteiligungsgrad der Mimik erkennen lassen.\nAusdr\u00fccke des Fernhaltens, der Abwehr und der beabsichtigten ung\u00fcnstigen Erscheinung:\ndas Zustreben\nBer\u00fchrungen","page":1066},{"file":"p1067.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1067\nM usk elbewegungen am K\u00f6rper:\nZur\u00fcckziehen des Kopfes,\n,,\tdes Rumpfes,\nab wehr ende Arme und H \u00e4 n d e,\nZucken und Zittern in den Gliedern und im Rumpfe, drohende B ewegungen, geballte F\u00e4uste,\nStampfen mit den F\u00fc\u00dfen;\nim Antlitz :\nZusammenziehen, Schlie\u00dfen der Augen,\nRunzeln der Brauen,\nAufrei\u00dfen der Augen,\nHeben der Oberlippe, offener Mund,\nZeigen der Z\u00e4hne,\nKnirschen mit den Z\u00e4hnen,\nZusammenbei\u00dfen der Kinnladen,\nZucken mit Lippen und Brauen,\nWeiten und Verengen der Nasenl\u00f6cher;\nGest\u00f6rte Psyche:\nSelbstverletzungen ;\nGest\u00f6rte Atembewegungen :\nKeuchen, Schreien, Lachen, Murren, Schluchzen.\nZirkulationsst\u00f6rungen :\nR\u00f6te, Bl\u00e4sse.\nAusscheidungen :\nTr\u00e4nen, Speichel.\nAuf diesem Wege wird die Handmimik relativisiert und kann je nach dem psychologischen Thema Haupt- oder Nebenbedeutung gewinnen.\nc) Mimische Schulung.\nDie Methoden der mimischen Schulung von Neulingen, soweit es sich hier um die Ausdrucksgeste handelt, besteht zun\u00e4chst darin, dem Sch\u00fcler durch Vorbild auf der B\u00fchne, durch Lekt\u00fcre, Lichtbild usf. die kennzeichnenden Differenzen klar werden zu lassen. Gegen\u00fcber dieser passiven Erkenntnis mu\u00df Schulung auf aktives Ausf\u00fchren einsetzen. Methodisch werden, abgesehen davon, da\u00df diese Studien unter Aufsicht und in Selbstkontrolle vor dem Spiegel stattfinden k\u00f6nnen, folgende M\u00f6glichkeiten gestaffelter Anschulung der Ausdruckshand in Geste vorgeschlagen1 ) :\n1. Vorbereitung durch Turnen und Gymnastik.\na) Turnen.\nKopf- und. Hals\u00fcbungen,\nSchulter heben und senken, kreisen,\nA r m heben, senken, kreisen,\n1) A. Auerbach: Mimik. Berlin 1913 und 1922.","page":1067},{"file":"p1068.txt","language":"de","ocr_de":"1068\nFritz Giese\nFinger strecken, spreizen,\nArme anzielien, absto\u00dfen, nach allen Richtungen,\nHand kreisen,\nRumpf wenden und beugen nach allen Richtungen,\nBein heben und senken, kreisen nach allen Richtungen,\nKniebeugen,\nFu\u00dfkreisen.\n\u00df) Gymnastik.\nFu\u00dfpositionen,\nHaltungspositionen,\nK\u00f6rperlast\u00fcbertragung von einer in andere Position,\nArm Positionen,\nSchulterdrehungen,\nKombination von Arm- und Fu\u00dfpositionen mit Schulterdrehung, Gang\u00fcbungen mit Tempowechsel, Gangarten, Gangzerlegung, Kombination von Gang und A r mbewegungen,\nHalb- und Ganz Wendungen.\n2.\t\u00dcben einfacher Ausdrucksbewegungen.\nWas ?\nWie ?\nJa?\nNein !\nIch!\nEr !\nWillkommen !\nIch begr\u00fc\u00dfe Sie!\nHierher !\nDorthin !\nMir ist so wohl!\nDank Euch, G\u00f6tter!\nDaraus mache ich mir nicht \u201eso\u201d viel!\nErscheine (beschw\u00f6rend) !\nSch\u00e4me Dich! u. a. m.\n3.\tPantomimische \u00dcbungen mit wechselnder Einstellung des Parstellers.\nZum Beispiel:\nA. steht allein auf der B\u00fchne, k\u00e4mpft mit einem Entschlu\u00df, geht auf und ab, scheint endlich eine Entscheidung getroffen zu haben, geht zur T\u00fcr, sch\u00fcttelt den Kopf, kann sich nicht dazu bringen, den Gedanken wirklich auszuf\u00fchren. Er setzt sich, beginnt von neuem nachzusinnen, steht nun mit einem bestimmten Entschlu\u00df auf, geht durch die T\u00fcr ab. (Pause.)\nA. kehrt zur\u00fcck, seine Bitte ist nicht gew\u00e4hrt worden, gebrochen wankt er hinaus.\n\u00dcbungsvariation :\nGleiche \u00dcbung bis zur Pause.\nDann R\u00fcckkehr von A. Die Bitte ist gew\u00e4hrt. A. geht gl\u00fcckstrahlend ab.\n4.\tDialog \u00fcb ungen.\nHierbei wird bereits unter wechselnder Einstellung mit einem Partner gearbeitet.\nA.\t(tritt ein, sieht B.). Wie kommen Sie denn hier herein?\nB.\tVerzeihen Sie, es hat mich jemand hierher gewiesen.\nA.\tWar die T\u00fcr offen ?\nB.\tJa!","page":1068},{"file":"p1069.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\t1069\nA.\tIch werde den Hotelier rufen. Sie haben sich hier eingeschlichen!\nB.\tNein, nein!\nA.\tDoch!\nB.\tWas f\u00e4llt Ihnen den eigentlich ein? Es war ein Irrtum des Zimmerm\u00e4dchens. Ich wollte Herrn M\u00fcller sprechen, da f\u00fchrte es mich hierher.\nA.\tMachen Sie, da\u00df Sie hinauskommen.\nB.\tSie haben kein Recht, mich so anzuschreien, es liegt ein Irrtum vor.\nA.\tIch will annehmen, da\u00df Sie die Wahrheit sagen.\nB.\tDas kann ich Ihnen auch dringend raten (ab).\nDie Variation der \u00dcbung besteht z. B. darin, da\u00df B. einmal die Mimik eines Menschen ohne schlimme Absicht, also auf Grund des Irrtums ansetzt, ein anderes Mal, indem B. mit dem Ausdruck eines Menschen mimt, der sich aus einer unangenehmen Aff\u00e4re ziehen will. Die ganz verschiedene Wirkung auf die Ausdruckshand in beiden Beispielen ist ersichtlich.\nAuf die innere Scheidung in eigentlich mimische und in pantomimische Geb\u00e4rden1) wollen wir an diesem Orte nicht eingehen.\nAls Sonderfall sei nnr noch erw\u00e4hnt\nd) das Schattentheater.\nHierbei wird die Hand benutzt, um auf einem Projektionsschirm bewegte Figuren darzustellen, gelegentlich werden auch Phantome aus Pappe u. dgl. mit verwendet. Soweit die Hand allein mittels Schattenprojektionen silhouettenhaft Gestalten darzustellen hat, ist es Aufgabe des Darstellers, durch unvermitteltes Umdenken der motorischen Handt\u00e4tigkeit in fl\u00e4chenhafte Gebilde der Projektion, eine hinreichende Gewandtheit wie entsprechende Kombinationsgabe zu besitzen.\nIn diesem Sinne bindet sich abermals Arbeitshand und Ausdruckshand. Es mu\u00df gen\u00fcgen, diese Methode des Schattentheaters hier kurz zu nennen2).\nWeitere Varianten finden sich im Puppentheater und der Anwendung der ausdr\u00fcckenden Hand beim alten Kasperltheater. In beiden F\u00e4llen verbindet sich die arbeitende Extremit\u00e4t mit einer inneren Einstellung der Person auf Aus drucks Wirkung am verglichenen Objekt3).\ne) Zeremonielle Kultgeb\u00e4rden.\nZu nennen sind ferner alle Geb\u00e4rdentechniken, die im Kultdienst (zumal rein religi\u00f6ser Form) eine Holle spielen. In der christlichen Kirche sind in diesem Sinne die Geb\u00e4rden f\u00fcr Zwecke der Massen-\nD Robertas : Buch der Pantomime. M\u00fclhausen 1907 ; S\u00e9douard: Pantomimen. Berlin 1922; Baar: Wie stellt man lebende Bilder? M\u00fclhausen 1921.\n2)\tJacob : Schattenspiel (Bibliographie desSchattenspieltheaters). Hagen 1901 ; Geschichte des Schattentheaters. Hannover 1925; Die Erw\u00e4hnungen des Schattentheaters. Berlin 1912; Fulda: Schattenspiele. Rudolstadt 1923.\n3)\tBehm: Buch der Marionetten. Berlin 1905; B\u00fcck: Das Puppentheater. Leipzig 1923/24; Scheuermann: Handbuch der Kasparei. Buchenbach 1924.","page":1069},{"file":"p1070.txt","language":"de","ocr_de":"1070\nFritz Giese\nWirkung des Wortes stets mitherangezogen worden1). Ganz besonders eigenartig gestaltete sich in Indien die Geb\u00e4r dent eehnik. Hier verschmolz die rituelle Geste mit okkult-mystischen Vorstellungen, wie sie auch der Antike2) nicht fremd waren. Die Handbewegungen bedeuten geheimen Sinn und der Priester \u2014 in bewunderungsw\u00fcrdiger Weise ge\u00fcbt im schnellen Abfolgenlassen der Geb\u00e4rden3) \u2014 stellt so eine geheime Handlung durch die Handbewegungen dar. Am bekanntesten wurden die Mudras auf Bali. Die Fig. 236 bietet ein einfaches Beispiel f\u00fcr diesen Kult.\nFig. 236. Mudrageb\u00e4r den.\n/) F i 1 m.\nDie Ausdruckshand im Film unterliegt zur Zeit noch nicht geregelter methodischer Erfassung.\nWichtig ist aber, da\u00df der Film zwei besondere methodische Fragestellungen hinsichtlich der Hand als Ausdruck erbracht\nx) Vgl. Kongre\u00dfbericht des I. Internationalen Kongresses f\u00fcr Rhythmus. Genf 1926. (Ber. 1928.)\n2)\tBolide: Psyche. T\u00fcbingen 1910.\n3)\tKat, de, und de Kleen: Mudras auf Bali. Gotha 1923; ferner UFA-Film, \u201eBali\u201d von Lola Kreuzberg.","page":1070},{"file":"p1071.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1071\nhat. Hierbei ist in erster Linie gerade der Zuschauer Wirkungsmittelpunkt, also die Hand im echtesten Sinne Ausdrucksgebung, da die Sprache fortf\u00e4llt.\nAls Problem ist zu nennen:\na)\tDie M\u00f6glichkeit der \u00dcbersteigerung der Geb\u00e4rdenwirkung durch Massenszenen, und zwar in Dimensionen, die weit \u00fcber die des Theaters hinausgehen;\nb)\tdie M\u00f6glichkeit der Handwirkungsintensivierung durch Nahaufnahme, Gro\u00dfaufnahme und partielle Aufnahme der Person (bzw. der H\u00e4nde);\nc)\tdie M\u00f6glichkeit der zeitlichen Abfolgenstreckung der Handbewegung mittels Zeitlupe.\nAls Beispiel gestischer Wirkung aus den unter a und b genannten Methoden sei umstehend aus dem Ufafilm ,,Dr\u201e Mabuse\u201c eine Handstudie wiedergegeben1).\nEs ist anzunehmen, da\u00df auch f\u00fcr rein wissenschaftliche Zwecke die filmische Ausdruckshand noch wertvolle Ergebnisse zeitigt. Beispielsweise, um differenzierte Motorik der Bassen und der Nationen festzuhalten, um individuelle und kollektive Motorik der Ausdruckshand zu vergleichen oder um die Entwicklungsformen der Ausdruckshand nach Alter, Bildungsschicht sowie das Bezugssystem zum seelischen Inhalt (dem Thema) vorzuweisen2).\n3. Der Tanz.\nDie Hand in der darstellenden Kunst spielt heute endlich noch eine erhebliche Bolle im k\u00fcnstlerischen Ausdruckstanz3).\nHierbei ist, soweit wissenschaftliche Betrachtungsweisen \u00fcberhaupt in Anwendung kamen, an erster Stelle die Methodik B. v. Labans4) zu erw\u00e4hnen.\nDer k\u00fcnstlerische Tanz, den Laban erneut zur Bl\u00fcte brachte, weicht ab von der Ballettechnik der fr\u00fcheren Zeit, die beispielsweise mit K\u00f6rper und Hand wenig ausrichtete, in erster Linie Bein Virtuosentum blieb5). Laban hat, gest\u00fctzt auf die unter der K\u00f6rpererziehung erw\u00e4hnten gymnastischen Methoden, gerade Arm und Hand wieder zum Kernpunkt des Ausdruckes gemacht. Hierbei\nx) Vgl. Moholy-Nagy: Photographie, Film, Malerei, M\u00fcnchen 1925.\n2)\tVgl. K. Lewin: a. a. 0.; \u00e4hnliche Beobachtungen werden f\u00fcr physio-gnomische und andere Zwecke augenblicklich auch an anderen Berufsschichten begonnen.\n3)\tMoreck: Tanz in der Kunst. Stuttgart 1924; Schmieden Tanz und Seele. Leipzig 1925; Luserke: \u00dcber die Tanzkunst. Berlin 1912; Brandenburg : Der moderne Tanz. M\u00fcnchen 1921.\n4)\tLaban: Welt des T\u00e4nzers. Stuttgart 1920; ferner Choreographie. Jena 1926.\n5)\tHierzu vgl. Giese: K\u00f6rperseele. M\u00fcnchen 1927.","page":1071},{"file":"p1072.txt","language":"de","ocr_de":"1072\nFritz Giese\nFig. 237. Filmausdrucksliandstudie.","page":1072},{"file":"p1073.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\n1073\ndiente die Hand nicht nnr der Darstellung des springenden, schwingenden, dem gro\u00dfen Bhythmus unterstellten Menschen, sondern war u. a. auch Mittel zur Darstellung der Groteskbewegung. Die Verbindung zur Pantomime des alten Theaters wurde dabei offenbar. Methodisch interessiert, da\u00df Laban daranging, wiederum diese Handbewegungen \u2014 genau so wie andere Teilbewegungen des tanzenden K\u00f6rpers \u2014 festzuhalten in einer Tanzschrift, die wie die Koten ein f\u00fcr allemal auf Bewegungseinheiten beruhend die Tanzbewegungen schriftlich fixiert und so rekonstruierbar wie kontrollierbar macht. Er nennt das Verfahren Choreographie, kn\u00fcpft also an die vormaligen Versuche der Vergangenheit an1), \u00fcbertr\u00e4gt diese Tanzschriftsymbolik indessen auf die Bewegungsformen der modernen K\u00f6rperbildung und des absolut, gedachten Kunsttanzes. F\u00fcr jede Bewegungseinheit werden Symbole gew\u00e4hlt; auch die Hand hat f\u00fcr Bollen, Drehen, Schwingen ihre Symbole, so da\u00df das Gesamtergebnis ein Portr\u00e4t des Tanzes ist.\nDie Bezugssysteme Labans (Ikosaeder usw.) sind f\u00fcr seine Schwungskalen wissenschaftlich nicht stichhaltig und keinesfalls durchsichtig. Er geht aus von der Physikalit\u00e4t des Stammes. Andere \u2014 wie Vischer2) \u2014 gehen aus vom personalen Bezugssystem und kommen so zu einer Choreographie, die nach Charaktertypen trennt. Die Grundlagen der Choreographie sind zur Zeit in voller Bewegung. Es gibt daneben auch einfache Aufschreibsysteme von Einzelbewegungen, so die notenschrift\u00e4hnliche Bhythmographik nach Desmond3), die neuere Bewegungsschrift von G\u00fcnther4) sowie die hervorragende bei Jaques- Dateroze.\nB. Die Ausdruckshand in der Parapsychologie.\nIn der Methodologie der Parapsychologie spielt die Ausdruckshand eine doppelte Bolle. Teils dient sie dazu, als Instrument zu wirken, um angeblich okkulte Mitteilungen zu erm\u00f6glichen, teils wird sie okkultistisch gedeutet. Zu den ersteren Verfahren rechnet die Psychographie das sogenannte siderische Pendel und teilweise die W\u00fcnschelrute. Zum zweiten die Chiromantik und Chirognomie.\nEs versteht sich von selbst, da\u00df wir hier diese Verfahren vom Standpunkt kritischer Wissenschaft aus darstellen. Sie geh\u00f6ren ohne weiteres als Methoden in den Bahmen der Ausdruckshand.\n1)\tVor allem Navarre: Lettre sur la danse. Petersburg 1804; Feuillet: Chor\u00e9ographie. Paris 1713.\n2)\tVischer: Mitt. d. Jutta-Klamt-Scbule. Berlin 1927.\n3)\tDesmond: Rbytbmograpbik. Leipzig 1919.\n4)\tG\u00fcnther: Rhythmische Grund\u00fcbungen. M\u00fcnchen 1926; vgl. Giese: Gestalt und Rhythmus in der K\u00f6rperkultur. Erg. d. Med. 2. Berlin und Wien 1927. Jaques-Dalcroze: Exercises de plastique anim\u00e9e, I. Bd. (Thevenaz, Artus, Angst). Lausanne 1917.","page":1073},{"file":"p1074.txt","language":"de","ocr_de":"1074\nFritz G-iese\nFig. 238. Handspanming zur Neigung 3 aus der A-Skala.\nFig. 238 a. Handspannung zur Neigung 5 aus der A-Skala.","page":1074},{"file":"p1075.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1075\n1. PsyehograpMe.\nDie Methode der Psychographie will, wie der Name andeutet, Seelensehreibung sein. Bei ihr ist die Hand das Werkzeug, nm ans ihren Ansdrncksgebnngen Erkenntnisse tiefer Form zn erlangen. Man kann die in der Parapsychologie \u00fcblichen Verfahren in doppelter Weise teilen.\nZun\u00e4chst ist zu trennen die Methode nach dem Bewu\u00dftseinszustand der aus\u00fcbenden Person. Psychographie wird nicht nur im normalen, sondern auch im hypnotisierten Zustand vollzogen. In letzterem Falle werden die betreffenden Versuchspersonen durch Eremdhypnose oder Autohypnose in einen mindestens somnolenz\u00e4hnlichen Zustand versetzt; sind sie Sensitive, wird wohl auch in individueller Abstufung Somnambulismus erreicht. Da nach allen Erfahrungen ein gro\u00dfer Prozentsatz der Aus\u00fcbenden stark psychogene Typologie offenbart, so kommen hierbei die von Binet1) in so klassischer Weise zusammengefa\u00dften Erscheinungsweisen einer \u00fcbersteigerten Sinnes Wahrnehmung, einer Verlagerung der Sinneswahrnehmungsfelder und in unserem Ealle auch eine beliebig ver\u00e4nderliche Hautsensibilit\u00e4t in Betracht. Liegt, was ja durchaus nicht immer der Fall sein mu\u00df, kein Betrugsman\u00f6ver und keine gewinnbringende Absicht bei der Versuchsperson vor, so stehen alle von Binet, Janet2 3), Joirez) usw. zuerst in klassischer Form festgestellten Abwandlungen der Person in Frage, also auch Mehrleistungen manuellmotorischer Form, wie sie im allgemeinen sonst nicht zu beobachten sind. Immer aber handelt es sich bei diesen Transponierungen der Sinneswahrnehmung\u00e8n u. dgl. anscheinend um Funktionen, deren Struktur zwar dunkel, deren Inhalt jedoch das intellektuelle Niveau der Anwesenden niemals \u00fcberschreitet. Von h\u00f6hergeordneten Erkenntnissen konnte nirgends etwas beobachtet werden, wohl scheint die M\u00f6glichkeit telepathischer \u00dcbertragung verschwommener Bewu\u00dftseinsinhalte (jenseits jedweder strikten Begriffsformulierung) allerdings nicht ausgeschlossen.\nAndrerseits kann auf jede Ver\u00e4nderung des Bewu\u00dftseins verzichtet werden. Alsdann bleibt der Aus\u00fcbende im Normalzust\u00e4nde wie sonst, nimmt man an, da\u00df unmittelbare andere Einwirkungen auf die Psyche Zustr\u00f6men. Die Versuche mit dem Psychographen werden ferner entweder als Allein- oder als Gruppenexperiment vorgenommen. Am beliebtesten ist die Bildung von Ketten.\nx) Binet: La suggestibilit\u00e9. Paris 1901.\n2)\tJanet: L\u2019automatisme psychologique. Paris 1889.\n3)\tJoire: Trait\u00e9 d\u2019hypnotisme. Paris 1914; au\u00dferdem vor allem Forel: Hypnotismus. Stuttgart 1923.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden, Abt. VI. Teil B/II.\n70","page":1075},{"file":"p1076.txt","language":"de","ocr_de":"1076\nFritz Giese\nDer Psychograph selbst wird in verschiedensten Konstruktionen angegeben, vielfach \u00fcberschreitet er nicht die Art behelfsm\u00e4\u00dfiger Einrichtungen.\nEin an Schn\u00fcren pendelndes Brett, auf das der Arm gelegt wird, oder ein storchschnabel\u00e4hnliches Gebilde, auf das verschiedene Personen lose ihre H\u00e4nde legen, dient als Instrument. In der Begel werden Buchstaben oder Buchstabenzifferbl\u00e4tter mit einer um ihren Mittelpunkt drehbaren, freischwebenden Strohhalmnadel benutzt; in jedem Eall werden in der N\u00e4he oder auf Tastfl\u00e4chen die Hand oder die H\u00e4nde gelegt und eine bestimmte intellektuell formulierte Frage gestellt oder \u00fcberhaupt abgewartet, was geschieht. Begelm\u00e4\u00dfig fangen derartige mit einer Zeigespitze versehene Instrumente an, auf bestimmte Buchstaben des Zifferblattes oder der Arbeitsfl\u00e4che sich hin zu bewegen, so da\u00df man Worte bekommt, deren Sinn als parapsychologische Mitteilung aufgefa\u00dft wird; unmittelbare Fragen werden mit ja oder nein (rechts oder links gerichteter Bewegung z. B.) beantwortet, je nachdem man die Verabredung traf.\nDer Versuch kann auch mit verkehrt auf eine Tischplatte gestelltem Glase gemacht werden, wobei einige Leute leicht die Hand auf die Tischkanten legen und ringsum Buchstaben auf Zettel markiert anbringen. Das Glas wandert dann psychographisch alsbald sinngem\u00e4\u00df, der Versuch kann ferner unmittelbar in sogenanntes Tischr\u00fccken (mit Auftupfen der Beine im Klopf alphabet) \u00fcbergleiten.\nVor allem ist in solchen F\u00e4llen neben anderen Einfl\u00fcssen alles auf Wirkung unvermerkter Mitbewegungen des Einzelnen, der Gruppe zur\u00fcckzuf\u00fchren. Psychograph und Psychometer sind Instrumente der Ausdruckshand.\nDie Sachlage wird noch klarer, wenn man Psychographie ohne jedweden Apparat betreibt und anderweitig sich unterhaltenden Personen etwa einen Bleistift in die Hand gibt, der in Spiegelschrift unter der Tischplatte oder normal auf ihr alsbald mit sehr feinem, oft zittrigem Ductus Worte auf schreibt.\nAuch hier ist von geheimen Kr\u00e4ften niemals die Bede. Bichtig ist nur dies, da\u00df nicht jedermann seine Aufmerksamkeit gut spalten und seine unterbewu\u00dften Schichten leicht simultan neben den oberbewu\u00dften des Gespr\u00e4ches, der Unterhaltung usw., gleich gewandt arbeiten lassen kann. Im \u00fcbrigen entstehen dabei die aus der Assoziationslehre und der Psychoanalyse des Traumes, wie aller nebenbewu\u00dften Handlungen, bekannten \u00c4u\u00dferungen der betreffenden Pers\u00f6nlichkeit. W\u00fcnsche, Nebengedanken, Komplexe und alle sonstigen im Oberbewu\u00dften abgebremsten Inhalte k\u00f6nnen so \u00fcber die schreibende Ausdruckshand an die \u00d6ffentlichkeit treten.","page":1076},{"file":"p1077.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\n1077\n2. Siderisches Pendel.\nWenn irgendetwas dazu dienen kann, mit okkulten Vorstellungen am unzweckm\u00e4\u00dfigen Gegenstand aufzur\u00e4umen, so ist es \u201edas\u201d siderische oder \u201eder\u201d siderische Pendel.\nHierbei soll ein Pendel, bestehend aus d\u00fcnnem (Kokon-) Faden und einem daran geh\u00e4ngten Eing in der Lage sein, \u00fcber Photos, Bilder, H\u00fchnereier oder sonst ein Objekt Antworten zu geben, wenn man es \u00fcber dem Gegenstand einige Zeit schweben l\u00e4\u00dft. Die Antwort dr\u00fcckt sich in kreisf\u00f6rmigen, ellipsoiden, gradlinigen Pendelungen oder pl\u00f6tzlichem Auf h\u00f6ren jeder Pendelbewegung aus. Man hat auch hier Apparate gebaut, um die Hand auszuschalten; es ist aber nicht bekannt geworden, ob sie sicherer arbeiten als die Hand, an der das Pendel zwischen Daumen und Zeigefinger freischwebend angebracht wird; ist diese Hand doch in der Lage, das Geschlecht von Personen, das Alter von Gegenst\u00e4nden, die Aussicht des morgigen Tages oder sonst etwa Beliebiges anzudeuten, indem das Pendel verabredungsgem\u00e4\u00df Wechsel der Pendelung offenbart1).\nCou\u00e9 benutzte2 3) dieses auf ChevreuP) zur\u00fcckgef\u00fchrte Pendel, um seinen Patienten die Macht der Autosuggestion bewu\u00dft zu machen; denn in der Tat schwingt das Pendel stets unvermerkt durch die Ausdruckshand und den zugeordneten K\u00f6rper so gelenkt, wie es der Betreffende erwartet. Bedingung ist nur die autosuggestive Wirkung des Glaubens daran. F\u00fcr die Methodologie ist dieser rein okkultistische Versuch heute daher sehr lehrreich.\nMan kann das freischwebende Pendel, wenn man fest von der M\u00f6glichkeit des Eintreffens der Erwartungsvorstellung \u00fcberzeugt ist, im Mittel innerhalb 30 Sekunden so schwingen sehen, wie man es sich vorsteilt, ohne da\u00df die Hand merklich irgendetwas tut. Es schwingt sinngem\u00e4\u00df proximal, distal oder medial-lateral, es pendelt kreis- oder elipsenf\u00f6rmig, es steht still durch autosuggestive \u2019 Steuerung der Ausdruckshand. Es versagt bei der Physikalit\u00e4t des Vorganges (von irgendwelchen Deutungen sieht man dabei ab), sobald die Autosuggestion durch Zweifel aufgehoben ward. Cou\u00e9 hat sehr richtig erkannt, da\u00df den Menschen nichts so stark von der Wirkung der Autosuggestion \u00fcberzeugen wird als dieser stets wiederholbare Pendel versuch. Baudouin4) gibt weitere, auf Heben schwerer Lasten (Sessel) \u00fcbertragene Suggestionsversuche an. F\u00fcr uns rechnet dies zum Feld der Ausdruckshand. Methodologisch sehen wir hier Ausdruckswirkungen des Seelischen in der Hand-\n1)\tEichet: Parapsychologie. Stuttgart 1925.\n2)\tCou\u00e9,: Selhstbemeisterung. Leipzig 1925.\n3)\tChevreuil: Vgl. Baudouin.\n4)\tBaudouin: Suggestion und Autosuggestion. Dresden 1925.\n70*","page":1077},{"file":"p1078.txt","language":"de","ocr_de":"1078\nFritz Griese\nt\u00e4tigkeit, und zwar einer T\u00e4tigkeit, die wiederum unvermerkte Hilfen zur Gestaltung erstrebt. Wie Beobachtungen und Selbstkontrollen erweisen, benutzen diese Hilfen auch komplexere Unterst\u00fctzungen jenseits vom Arm: so das Wiegen des K\u00f6rpers auf den Fu\u00dfsohlen, die Standbeinverlagerung, das Durchdr\u00fccken des R\u00fcckgrates, das \u00c4ndern der Schulterlage, das unvermerkte Mitpendeln des haltenden K\u00f6rpers usw. Auch hier ordnet sich die Ausdruckshand der Gesamtheit des biologischen Organismus ein. Yon Okkultismus ist keine Bede, aber der Versuch ist \u00e4u\u00dferst instruktiv, da er krasse Wirkungen der unvermerkten Mithilfen jedermann dar st eilt.\nSelbstverst\u00e4ndlich haben wissenschaftlich gerichtete Parapsychologen diese Einfl\u00fcsse erkannt und zu eliminieren gesucht. Am bekanntesten wurde der Versuch Joires, ein sogenanntes Sthenometer unabh\u00e4ngig von irgendwelchen chemisch-physikalischen Einwirkungen durch blo\u00dfe Ann\u00e4herung der H\u00e4nde in Funktion zu setzen. Der Apparat besa\u00df einen \u00fcber einer gradgeteilten Skala horizontal schwebenden Zeiger und war freischwebend unter abschlie\u00dfender Glasglocke auf geh\u00e4ngt. Joires Kontrollversuche ergaben angeblich keine Einwirkungen physikalischer oder sonstiger St\u00f6rungsreize. Kur die Hand brachte ihn in Ann\u00e4herung zum Schwingen, so da\u00df Joire annahm, hiermit ein Instrument zur Veranschaulichung der momentanen nerv\u00f6sen Bewu\u00dftseinslage gefunden zu haben1).\n3. W\u00fcnschelrute.\nErw\u00e4hnen m\u00fcssen wir an dieser Stelle auch noch die W\u00fcnschelrutenfrage, \u00fcber deren Problematik KlincTcowstr\u00f6m2) eine stattliche Bibliographie zusammenstellen konnte. Da das Instrument (als Holz oder Metallgabel bimanuell erfa\u00dft) \u00fcber Wasseradern, gelegentlich aber auch Kohlenvorkommen, Mineralien, bei bestimmt! dazu veranlagten Personen ausschlagen soll, h\u00e4tten wir es mit einer reaktiven Handleistung zu tun, deren Hintergrund entweder erh\u00f6hte Sensibilit\u00e4t bzw. Autosuggestion sein kann, sofern nicht Selb st Orientierung aus anderen Bichtungen erfolgte. Gemeinhin rechnete die W\u00fcnschelrute zu den parapsychologischen Problemen\nx) Joire-, Handbuch des Hypnotismus. Berlin 1908.\n2) Klinckowstr\u00f6m : Bibliographie der W\u00fcnschelrute. Stuttgart ; Die W\u00fcnschelrute als wissenschaftliches Problem. Ebenda. 1922; Kleiner : W\u00fcnschelrutentechnik. Oldisleben 1925; Schriften des Verbandes zur Kl\u00e4rung der W\u00fcnschelrutenfrage. Stuttgart ab 1912; Benedict: Leitfaden der Rutenlehre. Berlin und Wien 1916; Edler v. Graeve: Meine W\u00fcnschelrutent\u00e4tigkeit. G-ernrode (a. H.) 1913; Zeitschr. f. W\u00fcnschelrutenforschung. Hannover ab 1925; siehe auch A. Lehmann: Aberglaube und Zauberei. Stuttgart 1925.","page":1078},{"file":"p1079.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1079\n(Sensitivit\u00e4t der Person; \u201eStrahlungswirkung\u201d der Materie). In letzter Zeit kommen Versuche znr physikalischen Deutung der Erscheinung auf. Endlich haben exakt-systematische Nachpr\u00fcfungen von fachpsychologischer Seite bisher \u00fcberhaupt kein greifbares Ergebnis gezeitigt1) (Henning, Marbe). Dessen ungeachtet wird das Euteng\u00e4ngertum auch offiziell in den Dienst von Beh\u00f6rden und Betrieben gestellt. (Preu\u00dfische geologische Landesanstalt, Bayrisches Ministerium des Innern2) \u2014 allerdings mit sehr fraglichem Erfolg. Abgeschlossen ist die Deutung und die voll beweisf\u00e4hige Kontrolle nicht. Auf keinen Eall wird aber jemals die okkulte Theorie irgendwie Anwendung finden, selbst dann, wenn die noch ausstehende Bew\u00e4hrungskontrolle beachtliche Trefferziffern ergeben sollte. Marbe schl\u00e4gt daher systematische Nachpr\u00fcfungen und Ausbau von Eignungspr\u00fcfungen f\u00fcr Euteng\u00e4nger vor und nimmt \u00e4hnlich wie Chevreu] seinerzeit auch erheblichste Einfl\u00fcsse der Bewegungserwartung des Euteng\u00e4ngers auf das Ausschlagen des Ger\u00e4tes an.\n4. Chiromantie und Chirognomie.\nVaschide hat als erster Wissenschaftler vom fachpsyeho-logischen Standpunkt jene uralte Lehre der Handlesekunst objektiv untersucht3).\nImmer wieder behauptet die Parapsychologie, da\u00df Handform und Charakter, ferner Handform und Schicksal in geheimem Zusammenhang stehen. Was heute wissenschaftlich als vielleicht brauchbar durch die Konstitutionsforschung hinsichtlich der Ausdruckshand gesagt werden kann, zeigt der folgende Abschnitt.\nAuch dann, wenn die Chiromantie recht h\u00e4tte, w\u00fcrde es sich also um eine indirekte Form der Ausdruckshand handeln. Niemand k\u00f6nnte eine Ver\u00e4nderung des gegebenen Befundes wollen oder, au\u00dfer durch rohen Eingriff erwirken. Viele w\u00fcrden ahnungslos ihren Handzeichen gegen\u00fcberstehen. Die Hand ist in solchem Sinne Symptom.\nx) Henning: Zeitschr. f. Psychol. 82. (Leipzig 1919); Marbe: Psychologie der W\u00fcnschelrute. Umschau. Frankfurt a. M. 1922; Eignungspr\u00fcfungen f\u00fcr Ruteng\u00e4nger. Psychotechn. Zeitschr. 2. (M\u00fcnchen 1927); Haschek und jHerzfeld: Ein Beitrag zur physikalischen Erkl\u00e4rung des W\u00fcnschelrutenproblems. Die Naturwissenschaften. 0. (Berlin 1921); Grassberger: Die W\u00fcnschelrute. Berlin undLeipzig 1926; Beyschlag: Mein Standpunkt zur W\u00fcnschelrutenfrage. Zeitschr. f. prakt. Geol. 29. (1921).\n2)\tZur W\u00fcnschelrutenfrage. Die mit Ruteng\u00e4ngern im Dezember 1920 an-gestellten Versuche der Preu\u00df. Geologischen Landesanstalt. Berlin 1921; Bayern, siehe Marbe: Psychot. Zeitschr. 2. (1927).\n3)\tVaschide: Essai sur la Psychologie de la main. Paris 1909; ferner Sehrende-Notzing: Handlesekunst und Wissenschaft. Berlin (ohne Jahr).","page":1079},{"file":"p1080.txt","language":"de","ocr_de":"1080\nFritz Giese\nBevor wir die von Vaschide exakt nachgepr\u00fcften Ergebnisse dieser fragw\u00fcrdigen Methode er\u00f6rtern, mn\u00df knrz ihr methodischer Gang dargestellt sein.\nHierbei interessiert die Wissenschaft die ans der Praxis entstandene Typologie der Ansdrnckshand. Die D e n t n n g der Typen dagegen fesselt nns nicht im geringsten.\nDie Handlesekunst umfa\u00dft teils Chirognomie oder Handformlehre und teils Chiromantie, also Handlinienlehre. Beide Bichtungen haben bestimmte Typologien von Symptomen ausgebaut1).\nMan unterscheidet beispielsweise nach von d\u2019Arpentigny und Desbar olles formulierten Grundtypen:\na)\tElementarhand: Gro\u00dfer breiter Handteller, grobe, dicke, starke Finger, hart anzufassen, Daumen nach au\u00dfen zur\u00fcckgebogen. (Hieraus wird grober, schwerf\u00e4lliger Verstand, auch Faulheit, Derbheit des Wesens und Handarbeitsvorliebe abgeleitet.)\nb)\tDie,,A r beit sh a n d\u201d (main necessaire), als Nutzhand aufgefa\u00dft: Schaufel -und spatelf\u00f6rmig gebildet, gro\u00dfer Daumen, angeblich zugeordnet den Gesch\u00e4ftsleuten, Arbeitsmenschen, Personen mit Aktivit\u00e4t, Energie und Entschlossenheit.\nc)\tArtistische Hand: Schlank, konische Fingerenden, Handteller und Finger gut proportioniert, im ganzen sch\u00f6ne Form, angeblich zugeordnet den k\u00fcnstlerisch t\u00e4tigen Menschen.\nd)\tPraktische Hand : Viereckig und winklig gebildet, Fingergelenke knotig entwickelt, zugeh\u00f6rend dem b\u00fcrgerlichen Durchschnittstyp, dem Beamten usw.\ne)\tPhilosophise he Hand: Breite knotenf\u00f6rmige Finger in Verbindung mit elastischem, breitem, flachem Handteller, Fingerspitzen oval bis konisch, Daumen gro\u00df, zweigete\u00fct im Gelenk. Angeblich die Hand der abstrakt, logisch und metaphysisch gerichteten Personen. Ferner wird behauptet, da\u00df die kleine Handform dieses Typs Hang zur Analyse, die gro\u00dfe zur Synthese mit sich bringe.\n/) Psychische Hand : Sehr selten, sehr sch\u00f6n. Klein, leichte schlanke, etwas gebogene Finger, keine Knoten darin, kleiner zarter Daumen, sympathisch bei der Ber\u00fchrung. Angeblich vorkommend bei Personen mit hoher Intelligenz, Idealismus, auch mystischem Einschlag und allgemeiner Intuition wie Sensibilit\u00e4t.\nSelbstverst\u00e4ndlich nimmt man ancb bei dieser Wissenschaftsrichtung Mischformen an, \u00fcber deren Kombination nichts weiter zn sagen w\u00e4re. Wichtig ist \u2014 nnd das hat Vaschide benutzt, um die objektive G\u00fcltigkeit gewisser Besultate der Chiromantik als m\u00f6glich erscheinen zu lassen \u2014, da\u00df man auch hier die formale Au\u00dfenerseheinung der Hand untersucht. Die Art der Haut (glatt, rissig, spr\u00f6de, weich, warm, rauh, usw.) und die Einwirkungen der Au\u00dfenarbeit auf sie (Eiecke, Spuren des Nikotingenusses, Tremor o. dgl. m.) erg\u00e4nzen das typologische Eormbild durchaus. Hinzu tritt ein Sonderstudium der Einger selbst, die neben der Hand nach bestimmten Typen geteilt werden.\nMan unterscheidet lange schlanke Einger (angeblich Gesundheit, Detailbeobachtung, Diplomatie verratend), lange spatelf\u00f6rmige (Pessimismus, Verschlossenheit, Selbstbewu\u00dftsein), mittelgro\u00dfe gut proportionierte (rasche Auffassung, Harmonie des\nx) Vaschide: Essai sur la Psychologie de la main. Paris 1909; ferner Schrenk-Notzing: Handlesekunst und Wissenschaft. Berlin (ohne Jahr).","page":1080},{"file":"p1081.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1081\nIchs, klares Denken), knrze dicke Finger (Impulsivit\u00e4t, Ungeschick, Inkonsequenz), sehr kurze und dicke (Eigensinn wie Grausamkeit), kurze und viereckige Finger (Aktivit\u00e4t, Treue, Vernunft), kurze und spitze Finger (Z\u00fcgellosigkeit, Egoismus, Labilit\u00e4t des Wesens). Stets arbeiten diese Typen mit der Konstanz der pers\u00f6nlichen Emotionalit\u00e4t, kennen sie also das aus der Psychoanalyse so naheliegende Prinzip der Ambivalenz niemals1). Stets neigen sie dazu, formal extensive Merkmale mit psychischen Intensit\u00e4ten einer Qualit\u00e4t zu verkoppeln, was wiederum vielfach unm\u00f6glich sein mu\u00df.\nWenn man so ganz im Sinne von Cams2) gewissen formalen Merkmalen heute vom rein konstitutionellem Standpunkt gewi\u00df nicht fern stehen will und in diesem Sinne beispielsweise auch Handtypen dem pyknischen oder leptosomen oder athletischen\nFig. 239. Linke Hand von Luther, rechte Zar Nikolaus I. von Ru\u00dfland (Gipsabgu\u00df).\nMenschen mit h\u00f6herer Wahrscheinlichkeit zuzuordnen liebt, so ist die eigentliche Chiromantie, die Handlinienlesekunst f\u00fcr uns zur Zeit \u00fcberhaupt nicht diskutabel. Was hier herausgelesen wird, ist wiederum erkl\u00e4rbar nur aus der allgemeinen gesunden Menschenkenntnis der Deutenden und aus der Nebenzeichenausnutzung, die mit den erw\u00e4hnten beruflichen und konstitutionellen Symptomen eben eng Zusammenh\u00e4ngen.\nDie Chiromantie hat als Methode auch hier wieder das Typenprinzip gew\u00e4hlt, und zwar trennt sie die eigentlichen Linien, also Bunenvertiefungen der Hand von den Erhebungen der Handteile bzw. der Fingerans\u00e4tze. Dabei begeht sie insofern eine merkw\u00fcrdige Inkonsequenz, als man bei den Linien die Vertiefung, also die formale Auspr\u00e4gung, ebenso ausgeb\u00fcdeten Charakter- oder gar Sehieksalsz\u00fcgen zuordnet, w\u00e4hrend die Erhebungen oder \u201eBerge\u201d\nx) Bleuler: Psychiatrie. Berlin 1916.\n2) Cams: Symbo\u00fck der menschlichen Gestalt. (Neudruck) Celle 1925; Cams : Grund und Bedeutung der verschiedenen Formen der Hand. Stuttgart 1846.","page":1081},{"file":"p1082.txt","language":"de","ocr_de":"1082\nFritz Giese\nwiederum als Quantit\u00e4t der Form mit \u201eQualit\u00e4t\u201d korrelieren. Es scheint hier die popul\u00e4re Anschauung mitzusprechen, da\u00df das Leben gleichsam seine Spuren eingr\u00e4bt, da\u00df also die Spur auch k\u00fcnftig das Schicksal des Geschehens bedeute, w\u00e4hrend andrerseits alles quantitativ Entwickelte ebenso qualitatives Ausma\u00df mit sich bringe. Ein Strukturgedanke liegt also \u00fcberhaupt nicht vor.\nAuf die Ausdeutungen gehen wir hier nat\u00fcrlich nicht mehr ein, wir nennen nur die Typen1).\nVon den Linien sind wichtig die den Daumenballen ab-grenzende \u201eLebenslinie\u201d, beginnend zwischen Daumen und Zeigefinger und herunterf\u00fchrend zur Daumenbasis und dem Handgelenk. Die \u201eKopflinie\u201d, welche neben der Lebenslinie beginnt, die Hand \u00fcberquert und im \u00e4u\u00dferen Handkn\u00f6chel endet. Dar\u00fcber liegt die \u201eHerzenslinie\u201d, beginnend an der Gelenkbasis des Kleinfingers und her\u00fcberreichend bis zum Zeigefinger (Monticulus internus); im Halbrund nach oben hin der Yenusring, unterhalb der Articulationen von King und Mittelfinger. Dann die Armbandlinien oder \u201eKascenta\u201d, angeblich das Lebensalter andeutend. Von dort aufsteigend bis zur Basis des Kleinfingers die \u201eLebenslinie\u201d, quer verlaufend schr\u00e4g \u00fcber die Handkante. Ferner die beiden vertikal gerichteten Linien, die \u201eMilchstra\u00dfe\u201d, von der Basis des Kingfingers senkrecht aufw\u00e4rts, und die \u201eSchicksalslinie\u201c, von der Basis des Mittelfingers herauf manchmal bis zur Kascenta. Keben diesen kennzeichnenden Symptomlinien von sehr verschiedener, oft sich widersprechender Bedeutung, beachtet die Chiromantie noch die Erhebungen oder Berge der Handinnenfl\u00e4che.\nDer Daumenballen ergibt in der Erhebung den Venusberg. Die erhobene Ansatzstelle des Zeigefingers hei\u00dft Jupiterberg. Der Mittelfinger wurzelt im Saturnberg. Der Ringfinger im Apollooder Sonnenberg. Der kleine Finger endet im Merkurberg und die Au\u00dfenkante der Hand nennt man Marsberg, der zum Mondberg in der Raseentagegend \u00fcbergeht. Das Dreieck aus Kopflinie, Schicksalslinie und Lebenslinie wird auch Marsdreieck genannt. Was dahinter f\u00fcr popul\u00e4re Theorien stecken, sagt der Karne in jedem Falle. Man verbindet, wie es historisch auch m\u00f6glich war, Astrologie und Chiromantie. Und wie den Planeten und den Gestirnen bestimmte Einfl\u00fcsse auf den Menschen zugeschrieben\nx) Naval: Die Hand als Charakterspiegel. Weimar 1922. \u00c4hnlich gemeinverst\u00e4ndlich v. Kreusch: System der Chirologie; v. Kl\u00f6clder : K\u00f6rperform und Menschenseele; Lomer: Die Sprache der Hand. Historisch ferner Th. Echtermayer : Proben ans einer Abhandlung \u00fcber Namen und symbolische Bedeutung der Finger. Halle 1835; M. G. Griessbaeh: Abhandlung von den Fingern. Leipzig 1756.","page":1082},{"file":"p1083.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\n1083\nwurden1), und wie die Gestirne an sich Charaktere bedeuteten, so bedeuten diese Berge der Hand charakterologisch im Ausdruck \u00e4hnliche Qualit\u00e4ten: Mars, Jupiter, Venus, Mond, Saturn finden sich beispielsweise auch in der Hand erneut vor. Selbst wenn wir heute mit Hellpach die Tats\u00e4chlichkeit der geopsychischen Erscheinungen zugeben, so \u00fcbersteigt diese Behauptung der Astrologie vorerst jedes Ma\u00df kritischer Einsicht in m\u00f6gliche Zusammenh\u00e4nge2). Es verlohnt sich also nicht, diese Behauptungen der Chiromantie, die die Ausdruckshand zur Menschenkunde auswertet, darzustellen oder zu widerlegen. Wir geben nun zum Schlu\u00df eine Tabellenzusammenfassung nach Vaschide, die er durch genaue und wiederholte Kontrollen an Wahrsagerinnen und sonstigen Adepten der Chiromantie gewonnen hat. Er kontrollierte Angabe und Befund der Wirklichkeit, Voraussage oder Angabe der Vergangenheit mit der Bealit\u00e4t, er verglich Charakterangaben und Krankheitsdiagnosen. Bas tabellarische Bild \u2014 in unserer Zusammenfassung zudem prozentual umgerechnet \u2014 ist von eindeutiger Bestimmtheit. Hie Ausdruckshand dient in allen diesen F\u00e4llen der Unterst\u00fctzung allgemeiner menschlicher Beobachtung und versierter Ausdeutung von Kebenzeichen, objektiven Spuren wie konstitutionellen Merkmalen, die der ge\u00fcbte Laie und Mensch mit nat\u00fcrlicher Intuition naturgem\u00e4\u00df vortrefflich zur Synthese f\u00fchren kann. Aber die Ausdruckshand ist niemals dabei das einzige Symptomfeld und sie versagt als Kennzeichen auffallend bei l\u00e4ngeren Zeitstrecken, vorw\u00e4rts wie r\u00fcckw\u00e4rts gerechnet. Wir mu\u00dften auch diese Dinge der Vollst\u00e4ndigkeit halber mit erw\u00e4hnen. (Siehe Tabelle 9, Seite 1084.)\nSo bleibt nichts Parapsychologisches \u00fcbrig, als der Befund tats\u00e4chlich individueller Handlinienbildung und die M\u00f6glichkeit intensiver Ausdeutungen.\nWissenschaftlich finden wir Beziehungen nur zur neueren Konstitutionsforschung, die arteigene Entwicklungsbilder bei der Oapillarenforschung (vgl. Eig. 154, a. a. O.) vorfand, die Vererblichkeit bestimmter Handsymptome erwies3) und nat\u00fcrlich au\u00dferdem allgemeine Korrelationen zum K\u00f6rperbau ermittelte4).\n1)\tHierzu v. Kl\u00f6cJder: Astrologie als Erfahrungswissenschaft. (Sammlung: Metaphysik und Weltanschauung. Herausgeber Driesch und Schinanitz.) Leipzig 1927.\n2)\tHellpach j Die geopsychischen Erscheinungen. Leipzig 1924; Giese : Die kosmischen Einfl\u00fcsse auf die Person. Biologie der Person. (Brugsch-Lewy). 4. (Berlin und Wien 1927).\n3)\tCarri\u00e8re: Erblichkeit und Rasseneigent\u00fcmlichkeit der Finger- und Handlinienmuster. Arch. f. Rasse- u. Gesellschaftsbiol. 16. (M\u00fcnchen 1924.)\n4)\tKretschmer: K\u00f6rperbau und Charakter. Berlin 1925.","page":1083},{"file":"p1084table9.txt","language":"de","ocr_de":"1084\nFritz Giese\nTABELLE 9.\nErgebnisse von Chiromantie nach Vaschide.\n(Vergleichende Untersnchnngen bei verschiedenen Experten nnd\nderen Klientel.)\nMitwirkung physiognomischer Nebenzeichen bei der Angabe betreffend\tPsychische Umst\u00e4nde. Erkennung richtiger F\u00e4lle auf F\u00e4lle \u00fcberhaupt\tErkennung fr\u00fcherer Krankheit. Richtige: allen Angaben\tVorausgesagte Ereignisse. Richtige: allen Angaben\nAlter\t75%\tZweifel 12: 46\tHaut 7:21\tIn einigen Tagen 96: 146\nCharakter\t31%\tAngst 9: 58 Geldsorgen 9: 18\tGeistige 10: 46\tIn 1 Monat 75:114\nTemperament 13%\tMoralisches Bedr\u00fccktsein 25:29\tVerdauung 20:42\tIn 3 Monaten 54: 159\nEigenschaften u. geist. Anlage 56%\tImpulsivit\u00e4t 24:33\tInfektionen 5: 34\tIn 6 Monaten 25: 139\nPers\u00f6nlichkeitssynthese\t85%\tMelancholie 7:41\tGelenk 31: 43\tIn 1 Jahr 16: 114\nder F\u00e4lle\tDepression 9: 13\tKehlkopf 6: 48\tIn 3 Jahren 10: 103\n\tLeidenschaftlich-\tLeber 10: 46\t1 In 3 bis 6 Jahren\n\tkeit 14: 17\tLunge 26: 33\t10: 114 \\>\nC. Ausdruckshand in der Kriminalistik.\nEine sehr interessante Anwendung hat die Ausdruckshand in der Kriminalistik gefunden. War die parapsychologische Ausdeutung im allgemeinen von Fraglichkeit der Begr\u00fcndung erf\u00fcllt oder wurde sie durch Eehldeutungen beeindruckt, liegt es in der Kriminalistik anders. Hier wird im allgemeinen \u00fcberhaupt nicht gedeutet, sondern eine kennzeichnende Typologie der Ausdrucksformen der Hand gesucht. Ob und welche Gr\u00fcnde f\u00fcr diese verschiedensten Varianten in der konstitutionellen Bedingtheit vorliegen, l\u00e4\u00dft sich dabei heute noch nicht \u00fcbersehen. Wir wollen im folgenden drei verschiedene Methoden erw\u00e4hnen, die in diesem Anwendungsgebiet, begrenzt auf den Faktor ,,Hand\u201d, ausgewertet wurden.\n1. Allgemeine Signalementsmethoden.\nHie Kriminalistik kann zun\u00e4chst ausgehen von einer allgemeinen Charakteristik der Person durch die Hand, wobei wiederum zweierlei Anwendungen vorliegen: eine statische und eine dynamische.","page":0},{"file":"p1085.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1085\nIn jedem Falle ist die Hand neben anderen Zeichen, wie sie die Odontometrie, die Kraniographie nsw. zur Verf\u00fcgung stellen, ein Signalements element, um Verbrecher oder sonstige Personen ihrer biologischen Erscheinungsweise nach von anderen Individuen klar abzugrenzen1).\na) Handbeschreibung.\nHierbei wird nach Schneickerts2 3) u. a. Vorschlag die Hand allgemein und ohne Hinzunehmen spezifischer Hilfsmittel definiert. Der signaletische Wert bezieht sich dabei erstens auf die Gesamtgestalt der Hand, ferner auf die spezifische Erscheinungsform der Einger. Bei der Gesamtgestalt wird unterschieden nach derb-schwerf\u00e4lliger, schmal-zarter und gro\u00df-fest-starker Form. Die erste ist kurz, gedrungen, plump, die dritte ist das Mittelst\u00fcck der beiden ersten. Eine vierte Gesamtgestalt erscheint als weich, rund,\nFig. 240. Fingerl\u00e4ngentypen.\nklein und schwach. Man darf hinzuf\u00fcgen, da\u00df diese Charakteristiken noch recht roh sind. Die sch\u00f6nen Studien von Garus4-) haben ein wesentlich tieferes Fundament, ja auch die Typologie der Chiro-mantik zerfasert die Beobachtung besser, wenn nicht die leidige Ausdeutung manches unm\u00f6glich machte. Garus hat bekanntlich die vier Formen elementare, motorische, sensible und seelische Hand getrennt. Vielleicht ist diese Teilung psychologisch tiefer gehend, als die der modernen Kriminalistik. Da\u00df er bereits auf Geschlechtsunterschiede und auf Entwicklungsformen hinweist, wurde von mir in den einschl\u00e4gigen Kapiteln dieses Buches erw\u00e4hnt.\n1)\tSchneickert: Kriminaltechnik. Berlin 1921; Anuschat: Kriminalpolizeiliches Forschen. Berlin 1922; Polzer: Leitfaden f\u00fcr kriminalistische Tatbestandsaufnahmen. M\u00fcnchen 1921; Keese: Lehrbuch f\u00fcr Polizeischulen. Berlin 1925; Schneickert: Erkennungsdienst. Berlin 1918; Littlejohn: Forensic Medicine. London 1925; Smith: Forensic Medicine. London 1925; Strassmann: Gerichtliche und versicherungsrechtliche Medizin. Berlin 1923; Lochte: Gerichts\u00e4rztliche Technik. Wiesbaden 1914.\n2)\tSchneickert: Signalementslehre. M\u00fcnchen 1922.\n3)\tGarus: \u00dcber Grund und Bedeutung der verschiedenen Formen der\nHand. Stuttgart 1846.","page":1085},{"file":"p1086.txt","language":"de","ocr_de":"1086\nFritz Griese\nDie Finger der Ausdruckshand geben bei der statischen Betrachtung Anla\u00df, ihre Form, ihre Proportion und ihre N\u00e4gel zn betrachten. Die Finger k\u00f6nnen gleichm\u00e4\u00dfig entwickelt, spitz zulaufend, mit betonten Kn\u00f6cheln, mit besonders breiten Nagelgliedern versehen sein. So k\u00f6nnen naturgem\u00e4\u00df alle Verkr\u00fcppelungen und Anomalien, die am anderen Orte angedeutet waren, ein Signalement angeben. Ebenso alle akzidentiellen Wirkungen ans Alter und Beruf. Proportional sind die Fingerl\u00e4ngen besonders wichtig. Umstehend sind nach Schneickert drei Typen der Fingerl\u00e4ngen angegeben, wobei als Fixpunkte Zeige- und Bingfinger eine besondere Bolle spielen.\nDie Fingern\u00e4gel werden formal nach gew\u00f6lbten Kuppenn\u00e4geln und Plattn\u00e4geln getrennt. Hierbei k\u00f6nnten wiederum noch feinere Auswertungen der Chirognostik in Anwendung kommen1). Bemerkenswert ist, da\u00df Handarbeit N\u00e4gel verbreitert und abflacht, so da\u00df die erw\u00e4hnten Berufswirknngen unmittelbar mit der Fingercharakteristik Zusammenh\u00e4ngen.\nb) Handdynamik.\nDas motorisch-dynamische Element w\u00fcrden wir mit Geb\u00e4rde bezeichnen. Es ist zun\u00e4chst f\u00fcr jemanden kennzeichnend, ob er zu Geb\u00e4rden neigt oder nicht. Wir wissen, da\u00df die romanischen und \u00f6stlichen V\u00f6lker eher zur Begleitung der Sprache mittels Geb\u00e4rde neigen als andere. Man w\u00fcrde in diesem Sinne von der spontanen Handgeb\u00e4rde sprechen, um sie in Gegensatz etwa zur k\u00fcnstlerisch erstrebten Ausdrucksgeb\u00e4rde (z. B. in Tanz oder Deklamation) zu setzen. Das Geb\u00e4rdenspiel des Menschen erg\u00e4nzt demgem\u00e4\u00df durch sein unvermitteltes Auftreten die Charakterologie der Person durch Gang, Haltung oder Mimik. Hierbei sind Kopf, Schulter, Arm und Hand besonders eng verbunden. Bei der Charakteristik des Geb\u00e4rdenspieles kann ausdr\u00fccklich auch das Fehlen bestimmter Motorik Signalement sein. Das Herabh\u00e4ngenlassen einer Hand beim Sprechen oder Gehen, die Krampfstellung der Hand im Sinne der Tetanie, die L\u00e4hmung aus organischen oder psychogenen Gr\u00fcnden, die unbewegte Form der verschr\u00e4nkten, gefalteten oder sonstwie lokal festgelegten Hand, das alles wird zur signaletischen Personalbeschreibung ausgewertet. Ebenso die Wiederkehr gewohnheitsm\u00e4\u00dfiger und dem Wiederholungs-zwang unterstellter Formen: Knetgeb\u00e4rden, Fingerspielereien, die bis zum Nagel- oder Nagelhautabrei\u00dfen f\u00fchren, Anfassen des Kragenrandes, Manipulationen in Bocktaschen, an den Manschetten, der Krawatte, dem Haar: es ist unm\u00f6glich, die unendliche F\u00fclle derartiger charakteristischer Handbewegungen hier aufzu-\nA) So z. B. Burger: Das Geheimnis der Menschenform. Berlin 1920.","page":1086},{"file":"p1087.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1087\nz\u00e4hlen. Ihre Ausdeutung d\u00fcrfte, nebenbei bemerkt, in erster Linie dnrch psychoanalytische Hilfsmittel m\u00f6glich seih. Vorerst ist noch die Typologie dieser Bewegungen in der Bildung begriffen. Zur Handdynamik k\u00f6nnte man endlich auch den Kraftaufwand oder \u00fcberhaupt alle Hinge nennen, die der allgemeinen psychophysischen Untersuchung \u201e \u00fcblicherweise zug\u00e4nglich sind. Man w\u00fcrde hier Dynamometrie, Ergographie, Tremometrie usw. anwenden. Es versteht sich aber, da\u00df alle diese Symptome nicht so charakteristisch werden wie die eigentlichen Eormen der Ausdruckshand, die hier in Betracht standen. So hat Ottolenghi1) eine funktionelle und psychische Signalementslehre in der Kriminalistik einzuf\u00fchren versucht. Sie war angesichts der Umst\u00e4ndlichkeit der psychologischen Methoden und wegen der \u00dcberlegenheit der anderen Verfahren nicht konkurrenzf\u00e4hig. Selbst Dinge wie T\u00e4towierungen der Hand sind in diesem Sinne zweitrangige signaletische Kennzeichen.\n2. Anthropometrische Verfahren.\nObwohl die Begr\u00fcnder der anthropometrischen Verfahren in der Kriminalistik die Hand ganz und gar nicht auswerten, finden sich heute doch eine Beihe von Versuchen, Methoden f\u00fcr die Ausdruckshandkennzeichnung zu ermitteln.\na) Eigentliche Handmessungen.\nBereits bei Bertillon2), Henry3) u. a. finden wir im anthropometrischen Schema auch Ma\u00dfangaben f\u00fcr die Hand, die nat\u00fcrlich ebenfalls gegen\u00fcber anderen Massen zur\u00fccktreten. Wir k\u00f6nnen ferner erinnern, da\u00df in der modernen Konstitutionsforschung Kretschmer4) ebenfalls zur Typenfestlegung Hand- und Unterarmma\u00dfe verwendet, um daraus die athletische, leptosome oder pyknische Pers\u00f6nlichkeit proportional abzuleiten. Gedenken wir hier in engerem Bahmen des kriminalistischen Ma\u00dfsystems, so pflegt man die Identifizierungen von Personen, um die es sich bei der Kriminalistik in erster Linie handeln wird, aus folgenden Messungen abzuleiten:\nArmspannweite,\nL\u00e4nge des linken Mittelfingers,\nL\u00e4nge des linken kleinen Fingers,\nL\u00e4nge des linken Vorderarmes.\nx) Ottolenghi : Segnalamento deserittivo fnnzionale polizia scientifico und Ottolenghi und L. Gasti: Insegnamento della polizia scientifica. Rom 1904.\n2)\tBertillon: La photographie judiciaire. Paris 1890; Identification anthropom\u00e9trique. Melun 1893; Das antliropometrisclie Signalement. Berlin 1890.\n3)\tHenry: Classification and uses of finger prints. London 1900.\n4)\tKretschmer: K\u00f6rperbau und Charakter. Berlin 1925.","page":1087},{"file":"p1088.txt","language":"de","ocr_de":"1088\nFritz Griese\nHierbei wird mehrfache Messung vorausgesetzt und zur Identifizierung die Einhaltung einer bestimmten Toleranz der Ma\u00dfe angenommen. F\u00fcr obige vier Ma\u00dfe sind theoretisch erlaubt als Fehler 10-0, 0-5, 0-75 und 1-5 mm. Ein grober Fehler der Messung wird angenommen, wenn er Abst\u00e4nde von 20, 1, 2 und 3 mm ergibt. Mchtidentifizierung der Person liegt, vor, wenn die Ma\u00dfunterschiede zwischen einer (etwa aus dem Yerbrecheralbum bekannten) Person A und einer neu gemessenen Person B Abst\u00e4nde von 40, 2, 3 und 6 mm ergeben bei den gleichen Fixpunkten.\nDie Sonderfragestellung der Kriminalistik bedingte das Herausarbeiten besonders kennzeichnender Personalmerkmale und man wird zugeben, da\u00df die angedeuteten Toleranzen bereits eine erhebliche Pr\u00e4zision der Methode voraussetzen. Wegen Umst\u00e4ndlichkeit und Kosten der Me\u00dftechnik hat sich dieses Verfahren dagegen nicht durchsetzen k\u00f6nnen.\nb)\tE\u00f6ntgenphotographie.\nWie bei pathologischen und entwicklungsgeschichtlichen Feststellungen hat man die E\u00f6ntgenphotographie auch in der Kriminalistik angewandt. Dabei ging man aus von den Gedanken, da\u00df das Bertillonsche Me\u00dfverfahren abh\u00e4ngig ist vom Ern\u00e4hrungszustand, so da\u00df Personen durch Fettzunahme oder Abmagerung auch andere Ma\u00dfe, zumal der Extremit\u00e4ten, erbringen, mithin in Identifizierungs-messungen Schwierigkeiten der Feststellung hervorrufen w\u00fcrden. Der E\u00f6ntgenvorschlag stammt daher auch von \u00e4rztlicher Seite (Levinsohn und KronecTcer1) ; durchgef\u00fchrt hat er sich aus Gr\u00fcnden der komplizierteren Aufnahme, der Kosten und der relativen Grobheit der Ma\u00dfeinheiten nicht.\nc)\tVenenmustermethode.\nEs mag gewi\u00df erstaunen, da\u00df die Chiromantie mit ihren Innenhandfl\u00e4chenlinien auf die Kriminalistik diagnostisch keinen Einflu\u00df gewann. Ein anderer Vorschlag, von Tamassia2), die Gestaltung der Venenform zu benutzen, stie\u00df auf starke Kritik. So hat Reindl darauf hingewiesen, da\u00df beispielsweise durch Muskelbewegungen das Venenmuster sich \u00e4ndern kann.\nTamassia typologisierte die Muster nach Bogen, baumartigen Verzweigungen, netzartigen Verzweigungen, Vf\u00f6rmigen Verzweigungen und sonstigen Formen. Au\u00dferdem sollte der Grad der Vorspr\u00fcnge in der Handebene, der diffusen Anschwellungen, der\na) Levinsohn : Beitr\u00e4ge zur Feststellung der Identit\u00e4t. Arch, f. Krim. 2. (1899) ; KronecJcer: Die R\u00f6ntgenaufnahme beider H\u00e4nde. Deutsche Strafrechtsztg. 1. (1914).\n3) Tamassia: Les veines dorsales. Arch, d\u2019anthrop. crim. 1908.; Un nuovo segno di identificazione. Riv. di psicol. applic. 4. Bologna 1908.","page":1088},{"file":"p1089.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1089\nkn\u00f6pf artigen Schwellungen nnd der Kurvenbildungen verwendet werden. Bereits Galton hatte einmal die Benutzung des Venenmusters vorgeschlagen, hatte aber aus naheliegenden Gr\u00fcnden diese Kennzeichnung der Ausdruekshand f\u00fcr forensische Zwecke wieder aufgegeben, um bessere Methoden zu verwerten. Wo dagegen nicht kriminalistische Ziele vorliegen, kann man den Galton sehen Gedanken und so den Tam&ssmschen Vor schlag gewi\u00df mit er w\u00e4hnen1).\nFig. 241. Venenmuster derselben Person, ver\u00e4ndert durch Muskelbewegungen\n(aus Heindl).\n3. Daktyloskopie.\nSiegreich ist allein bis heute ein einziges, das von Berschel, Fauld, dann vor allem durch Galton durchgesetzte Fingerabdruckverfahren oder die Daktyloskopie geworden. Der gro\u00dfe Kampf zwischen der Anthropom\u00e9trie Bertillons und der Daktyloskopie Galtom hat sicherlich zugunsten der Engl\u00e4nder entschieden. Eine eingehende Darstellung des Verfahrens hat Heindl2) geboten. Wir\nx) Galton: Royal Institution. Mai 1888.\n2) Heindl: System und Praxis der Daktyloskopie. Berlin 1922 (darin alle Literaturangaben); ferner Palmer: Navy Department, How to obtain good finger prints. London 1916; Schneiclcert: Der Beweis durch Fingerabdr\u00fccke. Berlin 1923; J\u00f6rgensen: Lehrbuch des Fernidentifizierungsverfahrens. Berlin 1922.","page":1089},{"file":"p1090.txt","language":"de","ocr_de":"1090\nFritz Griese\nerw\u00e4hnen hier nnr ganz knapp das f\u00fcr das Thema Ansdrnckshand Grnnds\u00e4tzliche.\nDer Grundgedanke ist der, da\u00df die Papillarenmuster der menschlichen Hand lebensl\u00e4nglich identisch bleiben nnd individuell grundverschieden sind. Au\u00dfer den Papill\u00e4ren sind auch die Poren nach Zahl und Form gleich konstant und individualisiert, abgesehen nat\u00fcrlich von groben \u00e4u\u00dferen Eingriffen, Amputationen, Unf\u00e4llen, Operationen. Hierbei sind drei verschiedene Gedanken methodisch wichtig: das Herstellen von Fingerabdr\u00fccken, die Tatortfingerschau, die Klassifikationsmethode.\na) Herstellen von Fingerabdr\u00fccken.\nZun\u00e4chst werden die H\u00e4nde vor dem Verfahren ges\u00e4ubert und sorgsam gewaschen. Das ist besonders dort notwendig, wo Handarbeit die formalen Identifikationszeichen verdeckt (\u00d6l, Farbe usw.). Alsdann m\u00fcssen entsprechende Vordrucke bereit und f\u00fcr rechte wie linke K\u00f6rperseite differenziert gehalten sein. Angewendet wird in erster Linie in der direkten Fingerabdruckmethode das Verfahren auf den Daumen, in zweiter Keihe auf die \u00fcbrigen Finger. Man unterscheidet, ohne da\u00df wir hierbei aber auf Einzelheiten eingehen k\u00f6nnen, monodaktyloskopische Verfahren und auch Handballenregistraturen (siehe Reindl). Als Papier f\u00fcr die Unterlage wird tunlichst wei\u00dfes, vollkommen glattes, kanzleibogenstarkes Papier benutzt. Es mu\u00df m\u00f6glichst Adh\u00e4sion besitzen, aber nie por\u00f6s sein, etwa wie L\u00f6schpapier. Die Leimung des Papiers soll Stoffleimung, nicht tierische Oberfl\u00e4chenleimung bieten. Es soll in Durchsicht von gleichm\u00e4\u00dfigem Gef\u00fcge, an der Oberfl\u00e4che ohne Glanz sein. Die Festigkeitsklasse 4 ist g\u00fcnstig. Als Abdrucksfarbe wird Buchdruckerschw\u00e4rze benutzt. Dieselbe ist auf hochpolierter Metallplatte aufzutragen, deren Gr\u00f6\u00dfe etwa 40 x 14 cm betr\u00e4gt. Sie ist bei Kichtgebrauch unter Verschlu\u00df zu halten. Mittels Farbwalze wird sie geschw\u00e4rzt. Jedoch wird stets die Druckerschw\u00e4rze erst auf einer Farbanreibeplatte gewalzt aufgetragen, niemals auf der f\u00fcr die Daktyloskopie verwendeten Platte. Farbanreibeplatte und Metallplatte werden auf einem 1 m hohen Tisch fest montiert, und zwar die Farbplatte hart an der Kante des Tisches, in L\u00e4ngsrichtung.\nDie Aufnahme der Finger erfolgt so, da\u00df jeder Finger zun\u00e4chst eingef\u00e4rbt und alsdann auf dem Vordruckpapier abgedruckt wird. Beides wird nicht mit Aufsetzen, sondern Abrollen der Finger, und zwar stets in Eichtung von der rechten zur linken Kagelkante, erwirkt. Festgehalten wird das letzte Fingerglied. Das Abrollen ist notwendig, da kennzeichnende Papillarformen oft peripher gelagert sind.","page":1090},{"file":"p1091.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1091\nDie Aufnahme der Finger im Vordruck vereinigt alsdann meist die f\u00fcnf Finger auf einem Karteiblatt.\nb) Tatortfingerschan.\nMethodologisch liegt bei der Ansdrnckshand der Fall anders, wenn Fingerspnren an einem Tatort festgelegt werden sollen, wenn also die zn identifizierende Person gar nicht zugegen ist, aber Spuren hinterlie\u00df. Sp\u00e4terhin handelt es sich dann darum, entweder den T\u00e4ter durch die gefundene Spur schneller zu ermitteln, vor allem aber ihn zu identifizieren, wenn er mittels direktem Fingerabdruck diagnostiziert wurde.\nFig. 242. Abrollungsphasen des Fingers (ans Heindl).\nTatortfingerspuren k\u00f6nnen dabei in mannigfachster Form ermittelt sein. Erscheinungsgem\u00e4\u00df kommen sie als plastischer Abdruck, blutige oder farbige Spuren, als latente Spur oder auch indirekt als negative Abdruckzeichen am Tatort vor. Sie k\u00f6nnen auf Stoff, Holz, Metall, Glas oder sonstwo sich vorfinden. Um sie festzuhalten oder auch erst sichtbar zu machen, bedient sich die Kriminalistik einer gro\u00dfen F\u00fclle von M\u00f6glichkeiten, die hier keinesfalls besprochen werden k\u00f6nnen.\nGrunds\u00e4tzlich kann man Fingerspuren mechanisch entwickeln und so sichtbar und vergleichbar machen durch Einstauben mittels Graphitpulver und Abziehen auf Papier, das Brom oder Chlor Silber enth\u00e4lt. Heute wird zum Abziehen ein mit Glycerinleim versehenes Papier benutzt (nach Schneider, Wien), das auf die mit Argentorat eingestaubte Spurenstelle gepre\u00dft wird, so da\u00df die Fingerspuren sich auf der Folie einpr\u00e4gen. Derartige Verfahren\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/'II.\t71","page":1091},{"file":"p1092.txt","language":"de","ocr_de":"1092\nFritz Giese\nsind vor allem auf gebogenen Spurengegenst\u00e4nden, die auch photographisch kein unmittelbar unverzerrtes Abbild geben k\u00f6nnten oder die sich aus lokalen Gr\u00fcnden nicht photographieren lie\u00dfen, sehr wertvoll.\nNeben den mechanischen Verfahren benutzt man chemische, um beispielsweise Fett, Schwei\u00df, Eiwei\u00dfgehalt u. a. m. der Spur zu verwerten.\nEndlich ist dann die photographische Methode das einfachste und sicherste, aber eben nicht \u00fcberall verwendbare Aufnahmeverfahren der Tatortspur.\nc) Klassifikationsverfahren.\nUm direkte oder Tatortspuren aufzunehmen und zu vergleichen, mu\u00df man endlich Klassifikationen der Spuren ansetzen; das gilt ganz besonders f\u00fcr die in der Kriminalistik so notwendige Fernidentifikation, bei der heute Radio und Fernphotographie, um die Jagd nach Verbrechern zu unterst\u00fctzen, als Hilfsmittel der Feststellung in Betracht stehen1).\nFormal werden in gro\u00dfen Karteien die Personalien, das Bild, die K\u00f6rpermasse und die daktyloskopischen Befunde vereinigt aufbewahrt. Um letztere in einzelnen Elementen einwandfrei zu Identifikationen zu benutzen, typisiert man wiederum die Erscheinungsformen der Papillarenbildung. Hierbei gibt es zun\u00e4chst einen beschreibenden und dann einen indizierenden Weg.\nMan typisiert heute nur nach vier Grundformen (Galton nahm noch 60 an) und trennt zun\u00e4chst nach Radialschlingen, Ulnarschlingen, Wirbeln und Bogenbildungen. Sehr wichtig ist au\u00dferdem noch der Deltabegriff, der von Galton wie Henry zur Einf\u00fchrung kam. Delta ist ein dreieckf\u00f6rmiges Gebilde, das neben den bogenf\u00f6rmigen alle Papill\u00e4ren aufweisen, und das durch Gabelung oder pl\u00f6tzliches Auseinanderlaufen einer bzw. zweier Linien entstehen kann. Man unterscheidet hierbei ferner den \u00e4u\u00dferen Terminus (Fixpunkt bei der n\u00e4heren Untersuchung) und einen inneren Terminus, der den Kern einer Musterschlingenform darstellt. Zum Abz\u00e4hlen einzelner Linien und zu minuti\u00f6sen Beobachtungen von Deltab\u00fcdungen verwendet man Vergr\u00f6\u00dferungsgl\u00e4ser, die auf die Fingerabdruckkarteibl\u00e4tter gestellt werden k\u00f6nnen.\nWeiter trennt man im einzelnen auch noch nach Doppelschlingen, Zwillingsschlingen, Taschen- und Tannenmustern, sowie eingeschlossenen Mustern. Die eingangs genannten vier Haupt-\nx) -Schneickert: Anweisung zur Behandlung von Finger ah druckkarten. Berlin 1918.","page":1092},{"file":"p1093.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitskand\n1093\nformen werden in der Galtonschen Terminologie mit R, U, W, A, in der franz\u00f6sischen mit den Buchstaben E, I, O, U abgek\u00fcrzt.\nUm nun auch telegraphisch ohne vorl\u00e4ufige Vorlage des Abzuges arbeiten zn k\u00f6nnen, hat man zur Fernidentifizierung mittels Formeln einen neuen Weg beschritten ( J\u00f6rgensen). Hierbei wird statt obiger Hauptgruppenabk\u00fcrzung noch eine Z\u00e4hlung der Papillarlinien der f\u00fcnf Finger der rechten Hand vorgenommen, ferner ein Fingerabdruck mittels Lupe und Ma\u00dfstab eingehend definiert. Hinzu tritt die Fern\u00fcbertragung bestimmter Merkmale (Karben uws.) durch Symbol. Man kann demgem\u00e4\u00df auch in ausw\u00e4rtigen Karteien alsbald Unbekannte identifizieren. Hie Zahl 43535 bzw. 34646 bedeutet beispielsweise, da\u00df man bei jemandem rechts Typusform 4 am Zeigefinger, 3 am Mittelfinger, 5 am Ringfinger, 3 am Kleinfinger, 5 am Daumen fand, die andere Ziffer gilt der\nPig. 243. Ergebnisse an Mustertypen der Pingerlinien. (Die Deltabildung ist mit Strick markiert.)\ngleichen Fingerfolge der Linken. Ebenso werden Delta- und Terminuswerte durch Ziffern angegeben. Das System benutzt nachher einheitlich zwei Generalformeln f\u00fcr die Wertangabe mehrerer Finger und zwei Einzelfingerformeln, deren eine die Details, die andere besondere Charakteristiken enth\u00e4lt. Eine komplette Formel enth\u00e4lt au\u00dferdem eingehende Angaben \u00fcber die Linienz\u00e4hlung, Doppelschlingenbildung und vieles mehr. Eine fertige Formel hat beispielsweise dann diese Gestalt\n31453\t444\t5/64\t121\t2. 7. 13\t15.\nEs w\u00fcrde weit \u00fcber den Rahmen unseres Themas hinausf\u00fchren, wenn wir mehr als dieses Prinzip hier andeuten wollten, das \u00fcbrigens als Idee auch f\u00fcr die allgemeine Biologie der Person und ihre Kennzeichnung methodisch von Belang sein k\u00f6nnte.\nDamit beschlie\u00dfen wir die Vermerke zur Methodologie der Kriminalistik, die, wie man gesehen hat, durch den ungeheuren Ausbau der Daktyloskopie vor allem die Hand als Ausdruck der\n71*","page":1093},{"file":"p1094.txt","language":"de","ocr_de":"1094\nFritz Griese\nPerson sehr stark verwendet hat. Freilich sind diese Auswertungen keinesfalls mehr psychologischer isatur. Es l\u00e4\u00dft sich aber denken, da\u00df statistische nnd sonstige konstitutionelle Vergleiche aus dem Erfahrungsmaterial der Polizei einmal sehr inhaltsreiche korrelative Beziehungen zwischen Hand und Charakter ermitteln w\u00fcrden. Da\u00df auch die Psychiatrie aus ganz anderem Gesichtspunkte auf \u00e4hnlichem Wege ist, beweisen die Capillarentypologien von W.Jaensch, die wir bei der Er\u00f6rterung der Entwicklungsbefunde bereits erw\u00e4hnten. Jedenfalls stecken in diesen Versuchen au\u00dferordentlich verhei\u00dfungsvolle M\u00f6glichkeiten, die scheinbar von der eigentlichen psychologischen Wissenschaft noch \u00fcbersehen wurden. Und wenn man auch dabei au\u00dfer der Hand sehr viel andere Symptome der Person ber\u00fccksichtigen wird, so steht au\u00dfer Zweifel, da\u00df die Hand hierbei mit an erster Stelle Beachtung verdienen wird.\nD. Graphologie.\nEine ungeheuer starke Anwendung hat die Ausdruckshand in der Graphologie oder Handschriftenkunde erhalten. Wenn aus einer Lehre, die urspr\u00fcnglich in den niederen Zirkeln popul\u00e4ren Aberglaubens lebte, sich eine Wissenschaft entwickelte, so ist dies nicht zum mindesten Verdienst deutscher Forschung, insbesondere Klages\\ Immerhin d\u00fcrfen wir auch heute noch nicht verkennen, da\u00df eine Beihe methodischer Probleme unerf\u00fcllt der L\u00f6sung harrt. Wir werden diese mitzuerw\u00e4hnen haben.\nWenn wir den Begriff Handschriftkunde (der richtiger ist als Handschriftdeutung, die nur ein Teilst\u00fcck des Ganzen darstellt) benutzen, so k\u00f6nnen wir vom Standpunkt des Experimentes, der Analyse und Statistik bis jetzt drei verschiedene Methodenwege erkennen, die im gro\u00dfen und ganzen beschritten worden sind.\n1. Messung des Sehriftdruekes.\nDie Ausdruckshand ist ein Hebel, der unter verschiedenen dynamischen Bedingungen beim Schreibvorgang Druck auf die Papier- oder Schriftfl\u00e4che aus\u00fcbt. Man kann Interesse daran haben, diesen Druck experimentell zu messen und festzuhalten bzw. seine Charakteristik zu erschlie\u00dfen. Kr\u00e4pelin1) hat in sehr einfacher Form derartige Schriftdruckmessungen durchgef\u00fchrt.\nEr benutzt eine Schreibplatte mit mechanischer Hebelubertragung auf ein Kymographion ; aber man kann selbstverst\u00e4ndlich auch in anderer Form vorgehen. Versuchsperson hat auf einer horizontalen Fl\u00e4che mit aufgeheftetem Papier durch den Versuch bestimmte oder freie Worte zu schreiben. Meist werden sogar elementare Buchstaben oder Buchstabenfolgen analysiert. Damit ist dann\n1) Kr\u00e4pelin: Psychologische Arbeiten. Leipzig 1895 ff.; betreffs Marey, vgl. dessen Buch: Graphische Darstellung. Paris 1886.","page":1094},{"file":"p1095.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1095\ndie Bedeutung des Versuches f\u00fcr die Kennzeichnung naturgem\u00e4\u00df herabgesetzt. Unterhalb der Schreibfl\u00e4che hat man auch das Tambourverfahren Mareys verwendet; der Druck der Hand auf die Unterfl\u00e4che wird \u00fcbertragen auf einen zweiten Tambour, der analoge Kurven auf der Ru\u00dffl\u00e4che des Kymographions eintr\u00e4gt.\nDas\u201c Interesse des Verfahrens kann sich nat\u00fcrlich wegen dieser Anordnung im allgemeinen nur auf isolierte Einzelheiten beschr\u00e4nken, weniger dagegen die Abfolge eines ganzen Schriftsatzes komplett aufnehmen. Die Sonderfragestellungen, denen es hinsichtlich der Ausdruckshand im Schriftbild dienen kann, sind etwa folgende:\nFig. 244. Schrift wage nach Kr\u00e4pelin.\na)\tBeobachtung der verschieden starken Druckgebung bei verschiedenen Schrifttypen oder Buchstaben.\nb)\tFeststellung von Erm\u00fcdungswirkungen auf die Schrift druckgebung.\nc)\tVergleich der Antiqua und der Fraktur hinsichtlich Druckgebung und Druck Verteilung.\nd)\tVergleich der m\u00e4nnlichen und weiblichen, der kind lieb en und Erwachsenen-, der Anf\u00e4nger- und Fortgeschrittenenhandschrift irgendeines Systems.\ne)\tPrinzip des Uesamtimpulses, beim Wortschreiben und der Einzeldruck-gebung in einer Wortfolge.\n/) Beziehung zwischen Buchstaben und Interpunktionen, gro\u00dfen und kleinen Buchstabenwerten.\nAls Nachteil haftet auch diesem wie allen experimentellen Verfahren die Sachlage des Versuches an. Niemand ist in seiner Ausdruckshand frei und spontan, wenn er schon durch die \u00e4u\u00dfere Apparatur an die Beobachtung und die Besonderheit der Lage gebunden wird. Niemand ist in diesem auch hinsichtlich der Handschriftkunde voll erfa\u00dft, wenn die Schriftproben verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig raumzeitlich begrenzt werden m\u00fcssen. Immerhin hat das Verfahren seinen Wert und kann weiteren Sonderproblemen Aufschlu\u00df verhei\u00dfen.","page":1095},{"file":"p1096.txt","language":"de","ocr_de":"1096\nFritz G-iese\n2. Messung der Sehriftf\u00fchriing.\nEin anderer Weg ist der, die vorhandenen schriftlichen Unterlagen auszumessen, nm bestimmte Ergebnisse zu gewinnen.\nEine systematische Erforschung der Sch\u00fclerschrift hat in diesem Sinne Schlag1) vorgenommen.\nHierbei kommen andersartige Gesichtspunkte herein. Teleologisch kann das Endziel etwa die Anpassung der Schreibhefte mit ihren vorgedruckten Linienausma\u00dfen an die kindliche Hand sein, mithin eine objektspsychotechnische Fragestellung. So wird f\u00fcr Elementarsch\u00fcler beispielsweise ein Hoppellinienabstand von 2*21 mm und eine Grundstrichgr\u00f6\u00dfe von 4 mm angesetzt. Das ist eine Fiktion und man kann versuchen, die unvermittelte, spontane Einstellung des schreibenden Kindes als Problem vorzunehmen. Eine andere Fiktion ist die anzuschulende Winkellage der Buchstaben zur Horizontalen. Hier ist der Kampf zwischen Schr\u00e4gschrift und Steilschrift seit langem bekannt, zumal man durch Steilschrift Nebenbewegungen des K\u00f6rpers, die unhygienisch sind (Kopfdrehung, K\u00fcckgrat- und Schulterkr\u00fcmmungen) auszuschalten meinte2). Drittens kommen das Problem der sogenannten Bundschrift und ihrer Vorteile, der spontanen Kinderschrift und Erwachsenenschrift ohne Norm3), das Problem des Schreibens nach Takt (mittels Metronom) und manches mehr in Betracht: Dinge, die mit dem gesamten bereits erw\u00e4hnten Schreib-unterricht Zusammenh\u00e4ngen. Um daf\u00fcr Unterlagen zu gewinnen, kann man die unverbildete und niemals f\u00fcr Zwecke des Versuches erst gewonnene Handschriftprobe der Kinder messen.\nFormal ben\u00f6tigt man ein mit guter Millimeterskala versehenes Lineal und einen ebenso gut graduierten Winkelmesser.\nDie funktionell gerichteten Fragestellungen ergeben sich dann methodisch von selber. Man kann ausmessen:\na) Die Grundstriche;\nh) die Ver\u00e4nderung der Schriftgr\u00f6\u00dfe im Schreibablauf (bekanntlich bei Kindern, wie die graphologische Deutung wei\u00df, oft in Vergr\u00f6\u00dferung oder Steigerung bestehend);\nc)\tBuchstabenl\u00e4ngen;\nd)\tProportion zwischen spontaner Ober- und Unterl\u00e4nge, Gro\u00df- und Kleinbuchstaben;\ne)\tspontan gebotener Neigungswinkel. \u00c4nderung desselben im Schreibablauf, \u00c4nderung desselben durch Modifikation des\n1)\tSchlag: P\u00e4dagogische Schriftmessungen. Leipzig 1915.\n2)\tWandscheidt: Lehrgang der Steilschrift. Hannover 1908; ferner weiteres hei Schlag.\n3)\tKuhlmann: Die Kunst der Feder. Leipzig 1913; Soennecken: Das deutsche Schriftwesen. Bonn 1915; Ambros: Die Rundschrift. Wien 1906.","page":1096},{"file":"p1097.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1097\nFederhalters, der Tinte, der Feder, der K\u00f6rperhaltung oder Ersatz durch andere als fl\u00fcssige Schreib mittel ;\n/) Variation der individuellen und Kollektivleistung im Einzelschreiben und Gruppenschreiben;\ng) ferner alle bei Kr\u00e4pelins Schriftdruckmessung erw\u00e4hnten Fragen.\nAls Probe seien zwei Kurven nach Schlag hier wiedergegeben.\nDie Abb\u00fcdung zeigt die von Knaben und M\u00e4dchen erhaltenen Grund-strichl\u00e4ngen bei Benutzung einer Redisfeder. Man sieht deutlich als Ergebnis Yorzngsl\u00e4ngen der Population.\nDie Probe deutet etwas \u00fcber 2500 L\u00e4ngenmessungen an, wobei die Kinder sich nach einem unter 60\u00b0 dargebotenen Neigungswinkelbeispiel zu orientieren hatten. Die individuellen Abweichungen der spontanen Handschrift von dieser\n3 9- 5 6 7 8 9 10 11 12 13 ft 18 16 17 18. 19 mm\nFig. 245. Grundstrichmessungen.\nNorm sind hier f\u00fcr beide Geschlechter gemeinsam nach Zahl der F\u00e4lle eingetragen. \u00c4hnlich kann man die spontanen Abweichungen von der Senkrechten usw. untersuchen.\nDa\u00df das Verfahren in jeder Weise sehr m\u00fchsam ist und da\u00df seine Ergebnisse ver\u00e4ndert werden k\u00f6nnen durch allgemeine Einfl\u00fcsse kultureller Bedingungen, ist klar. Wichtig erscheint es jedoch, um auch gewisse massenstatistische Ergebnisse zu zeitigen, die leider die Graphologie bis heute etwas au\u00dfer acht gelassen hat. Auch ohne Anwendung der Schriftmessung auf Fragen der Didaktik w\u00fcrde es in der Lage sein k\u00f6nnen, uns \u00fcber das Vorkommen von Schrifttypen zu unterrichten und wenn wir alsdann weiterhin die graphologische Erkl\u00e4rung anwenden, w\u00fcrde sogar die Gewinnung einer empirischen Massencharakterologie aus der Handschrift verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig exakt, wenn auch manchmal nur in peripherer Form, denkbar sein. Vor allem w\u00fcrden soziologische Einfl\u00fcsse auf die Ausdruckshand (Alter, Beruf, Milieu) eher gesichert werden, als bei der leicht zu individuell gerichteten und aus Individualismus dem Durchschnittsmenschen weniger gerechtwerdenden Deutung der Handschrift.","page":1097},{"file":"p1098.txt","language":"de","ocr_de":"1098\nFritz Giese\n3. Handschriftanalyse im Sinne der Ansdrucksdeutung.\nObwohl lange vor Klages die Graphologie als Schriftdeutung bestimmte Erkenntnisse gehabt hat, mu\u00df man sagen, da\u00df erst dieser Forscher Deutungen wahrscheinlicher machte. Denn er ging aus von der Handschrift als Ausdrucksbewegung, mithin f\u00fcr unseren Fall als Wirkung der Ausdruckshand.\nDas, was in der Geb\u00e4rde und der Mimik vorliegt, ist eine \u00e4hnliche Erscheinungsform der Ausdruckshand. Die schreibende Arbeitshand wird aber immer dann Ausdruckshand sein, wenn sie von den vorgesehenen Schriftnormen abweicht. Wenn sie also durch eine geb\u00e4rdliche Innervation von dem Einheitstyp der Schrift eigenwillig sich entfernt. Dieser Grundgedanke mu\u00df bei der Klagesschen Interpretation festgehalten werden, denn nur durch ihn wurde seine Methode den \u00e4lteren Verfahren von Michon, Cr\u00e9pieux-Jamin, Meyer, Prey er u. a. \u00fcberlegen1). Klages hat Ausdruck und Gestaltungskraft als \u00c4u\u00dferungsform der Individualit\u00e4t auch f\u00fcr die Handschrift beansprucht. Auf die heute noch schwebenden Probleme werden wir kurz eingehen m\u00fcssen, denn der Fall liegt methodisch schwieriger, als es der an sich einfache Grundgedanke des Verfahrens vermuten l\u00e4\u00dft.\nDie Verankerung der Klagesschen Graphologie in einer die Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft viel allgemeiner mit der Pers\u00f6nlichkeit verschmelzenden Lehre ist hierbei zu betonen, kann jedoch, eben weil vielfach theoretisches Dogma, nicht unbedingt methodologisch bindend sein. Man mu\u00df aber hervorheben, da\u00df Klages\u2019 Methode ausdr\u00fccklich die Gestaltungskraft mit einer bestimmten Ausdrucksbegabung des Menschen in Beziehung setzt und so Schreibbegabung als Zeichen gewisser Bildungsh\u00f6he formuliert, woraus auch die Lehre vom Formniveau folgert, obschon wir niemals verkennen d\u00fcrfen, da\u00df durch technologische Einfl\u00fcsse (Schreibmaschine, Telephon, Badio, Grammophon) \u00fcber kurz oder lang das Schreiben in der Breite der Population zur\u00fcckgedr\u00e4ngt werden mu\u00df ; ferner da\u00df allein die Einf\u00fchrung der Stenographie in breiter Allgemeinheit den nat\u00fcrlichen Schriftvorgang atrophieren l\u00e4\u00dft; endlich, da\u00df der geistig Hochstehende, wenn nicht durch technologische Mittel, so doch durch Symbole, Kormenabk\u00fcrzungen, Stichworte, die z. B. dem Deweyschem Klassifikationssystem folgen, im nat\u00fcrlichen Gebrauch das Schreiben verlernen kann. Der Einflu\u00df auf die Schreibniveauh\u00f6he durch die ge\u00e4nderte\nx) Michon: Syst\u00e8me de Graphologie. Paris 1875; C r \u00e9pieux-J am in : Graphologie. Paris; Leipzig 1906; Langenbruch: Praktische Menschenkenntnis auf Grund der Handschrift. Berlin 1911; Schneidem\u00fchl: Psychologie der Handschrift. Leipzig 1916; Handschriftenbeurteilung. Ebendort. 1918; Becher: Die Graphologie der Kinderschrift. Celle 1926; Prey er: Zur Psychologie des Schreibens. Leipzig 1895; Monatsh. d. D. Graphol. Ges. Leipzig bis 1908.","page":1098},{"file":"p1099.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitsliand\n1099\nKultur und vor allem Zivilisation ist unverkennbar; er ist ent-wieklungsnotwendig wie der Einflu\u00df der Technologie auf die urt\u00fcmlichere Werkhand. Wenn daher Klag es auch Mimik, Physiognomik und alle sonstigen Ausdrucksbewegungen der Individualit\u00e4t dieser Ausdruckshand parallel setzt, so darf man niemals die sehr verschiedene Abbremsung nat\u00fcrlicher Ausdrucksbewegungen durch die Zivilisation verkennen. Es kann umgekehrt eine motorische Steigerung durch eben diese technisch gegebene Zivilisation ein-treten. Der beste Beweis daf\u00fcr ist der Eilm, der die mimischen Ausdrucksbewegungen der breiten Masse zu beherrschen und so zugleich zu standardisieren beginnt. Ganz so einfach, wie man es an Hand einer geistreichen, aber immerhin manchmal lebensfernen Theorie mutma\u00dfen m\u00f6chte, ist die Sachlage bei der Ausdruckshand nicht. Insbesondere hat daher die Lehre vom Eormniveau, mit der vieles bei Klages5 Methode steht und f\u00e4llt, in gewisser Beziehung ihre Einschr\u00e4nkung zu erfahren. Sie bleibt zweifellos g\u00fcltig, solange die Zivilisation das Schreiben an sich als selbstverst\u00e4ndliche Ausdrucksform der Bildung zul\u00e4\u00dft. Aber man kann bezweifeln, ob das heute noch zutrifft. Klages\u2019 Methode ber\u00fccksichtigt nun folgende Elemente der Handschrift, die wir hier ganz kurz nennen, ohne die Absicht zu haben, irgendwelche Methodologie der Graphologie zu bieten. Uns interessiert der Fall nur als Anwendung eines wichtigen charakterologischen Verfahrens auf die Ausdruckshand.\nUnter der weiteren Hypothese, da\u00df unsere schreibende Hand sozusagen mitgeb\u00e4rdet, was sie beim formalen Schreiben denkt, da\u00df das Kebenherdenken und -empfinden sinngem\u00e4\u00df den Handhebel steuert, kann man mutma\u00dfen, da\u00df die so erscheinenden Kormabweichungen der Schrift mimische Symbolik haben.\nWer etwas schenkt, breitet die H\u00e4nde aus; wer abwehrt, schlie\u00dft sie zu sich heran. Wer willensstark ist, ballt die Eaust und dr\u00fcckt formal mit Muskelspannung durch. Wer schlaff und m\u00fcde ist, l\u00e4\u00dft die Hand sinken. Optimistische Stimmung bedingt sicherlich immer Handheben, jede Einstellung auf Schwung (das lehrt auch die K\u00f6rperkultur) kommt in der Ausdruckshand durch Geb\u00e4rden nach oben hin zur Erscheinung. Jedes individuelle Tempo des Menschen im Sprechen, im Denken verbindet sich mit flotten, eiligen Handbewegungen. Jedes individuelle Phlegma, jede Faulheit oder geistige Tr\u00e4gheit koppelt sich unvermittelt mit einer entsprechenden Hemmung der pers\u00f6nlichen Motorik. Ja, die Selbstbeobachtung beim Schreiben mu\u00df in durchgehend allen F\u00e4llen der Grundidee von Klages recht geben: Unsere Hand schreibt oft langsamer als wir denken, sie schreibt als Arbeitshand so langsam, da\u00df die Ausdruckshand sozusagen ungeduldig Korrekturen einf\u00fchrt; sie \u00fcberholt die Arbeitshand durch Zwischengeb\u00e4rden, sie","page":1099},{"file":"p1100.txt","language":"de","ocr_de":"1100\nFritz Griese\nverbindet voll Eile die Buchstaben und Worte, sie ist Grund daf\u00fcr, da\u00df unsere Interpunktionszeichen oder U-Bogen an unrichtiger Stelle zu stehen kommen. Die Ausdruckshand kann auch hemmen, wenn unterbewu\u00dft die Arbeitshand etwas schreibt, was sie nicht schreiben sollte. Sie bremst ab durch Verlangsamung, aber auch durch Schreibfehler. Hier zweigt methodologisch ab jenes interessante Gebiet, das Freud in der Psychoanalyse f\u00fcr Normale so eindeutig und einleuchtend erobert hat1). Die Psychopathologie des Alltagslebens in der Fehlleistung des Schreibvorganges, sie bedeutet bei uns das aus unterbewu\u00dften Motiven dazwischentretende Wirken, ja den Sieg der Ausdruckshand \u00fcber die Arbeitshand. Dieser Fall kann \u00fcbrigens andeuten, inwieweit Ausdrucksund Arbeitshand dauernd miteinander in Verbindung stehen und ineinander \u00fcbergleiten. Auch das, was in der industriellen Arbeit Fehlertrag ist, was als Ausschu\u00dfwert oder Unfall zutage tritt, kann (mu\u00df nicht) dergestalt Wirkung der Ausdruckshand sein. Wenn wir uns eine weiche sentimentale Einstellung denken oder in weicher, lyrisch gerichteter Stimmung sind, werden wir gewahren, wie unwillk\u00fcrlich unsere K\u00f6rperhaltung eine Seitenrichtung, eine gleichsam umkippende Stellung einzunehmen geneigt ist. Wenn wir voll k\u00fchler Vernunft und Objektivit\u00e4t bleiben, werden wir die aufrechte und energisierte K\u00f6rperhaltung der Senkrechten in der Eegel bewahren. Nehmen wir aber einen Federhalter und bem\u00fchen uns, die Buchstaben (wie in Spiegelschrift mittels der Linken) uns ungewohnt nach links \u00fcberkippend zu lagern, so werden wir sofort merken, da\u00df die Federhaltung etwas Erzwungenes, Verkrampftes und Unnat\u00fcrliches f\u00fcr das Individuum sein mu\u00df, sofern es diese Federhalterhaltung nicht bereits als Lieblingshaltung besitzt. Wenn wir ferner unsere eigenen Schriften im Ablauf der Zeiten und der zugeordneten Erlebnisse verfolgen, werden wir finden, da\u00df sie sich als Ausdruck \u00e4nderten, je nachdem unsere subjektive Lage in der jeweiligen Epoche verschieden gerichtet war. Diese und andere einfache Grundlagen der Ausdrucksm\u00f6glichkeit ergeben nachher die graphologische Systematik einer Methode. Dabei hat Klag es noch einen weiteren sehr wichtigen Gedanken entwickelt, der wiederum \u00fcbrigens (ohne da\u00df Klages es wu\u00dfte) seitens der Psychoanalyse bereits auf anderem Gebiete gefunden war und den man mit dieser das Prinzip der \u201eAmbivalenz der Werte\u201d nennen k\u00f6nnte2); dieses besagt mit Bleuler, da\u00df wir niemals in extremen Wertungen die konstante Beibehaltung einer charakterologischen Verhaltungsweise (etwa im Gef\u00fchlsleben) mutma\u00dfen d\u00fcrfen, sondern da\u00df individuell ambivalente Schwankungen von einem Pol zum extremen anderen\n*) Freud: Psychopathologie des Alltagslebens. Wien 1920.\n2) Bleuler: Psychiatrie. Berlin 1921.","page":1100},{"file":"p1101.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1101\nVorkommen. Charakterologisch gibt es keinen guten Menschen, der nicht zugleich auch \u00fcble Oharakterseiten hat, gibt es keinen Sadismus ohne ambivalent gelagerten Masochismus, keinen m\u00e4nnlichen Geist ohne weibliche Z\u00fcge usw. Klages wendet ein \u00e4hnliches Prinzip bei seiner Methode an, wenn er die positive und negative Symptomrichtung eines Kennzeichens betont. Jedes gefundene Symptom kann zweierlei Gesicht haben, es mu\u00df in ein Bezugssystem zum Ganzen gebracht werden. Ein Zeichen f\u00fcr sparsame Linien und Schriftzugf\u00fchrung kann entsprechend Sinn f\u00fcr \u00d6konomie (als Ausdrucksgebung der Person) verraten, kann Geiz sein, kann aber auch \u00c4ngstlichkeit der Selbst\u00e4u\u00dferung bedeuten. Eine dicke Schrift kann gewi\u00df Ausdruck energischer Druckgebung auf die Schreibfl\u00e4che sein, also Willen folgen. Sie kann aber auch Brutalit\u00e4t oder jene Pastosit\u00e4t sein, die mit den genie\u00dferischen und vielleicht im Triebleben exzessiven Naturen sich verbinden mag. Jedes Symptom ist relativ zu beziehen aufs Ganze und wenn wir die Lehre von der Ambivalenz hinzunehmen, k\u00f6nnen wir sagen, jedes Symptom der handschriftlichen Ausdrucksgebung ist auch relativ g\u00fcltig im Konnex der jeweils vorliegenden Individualit\u00e4t.\nDamit kommt methodologisch der Grundsatz einer gewissen Unexaktheit hinein, denn diese graphologische Ausdeutung ist weder me\u00dftechnisch noch sonstwie nachpr\u00fcfbar zu denken. Die Synthese des Ganzen der Person aus den Elementen ihrer Hand-ausdrucksgebung ist gebunden an die Einf\u00fchlungsgabe des kombinierenden Synthetikers. Graphologie ist nicht unbedingt lehrbar wie Anthropom\u00e9trie oder sogenannte Psychotechnik oberfl\u00e4chlicher Eorm. Jede Synthese ben\u00f6tigt eigentlich intuitive Verkn\u00fcpfung zu einem Charakterbild. Es versteht sich von selbst, da\u00df praktisch diese Methode scheitern kann, wenn sie an unbegabte Aus\u00fcbende ger\u00e4t; es versteht sich andrerseits, da\u00df in diesem Tatbestand kein Verdacht auf T\u00e4uschung liegen darf. Denn in der Tat ist jede eigentliche Charakterkunde etwas fast k\u00fcnstlerisch zu Eruierendes. Daher ist auch die Psychoanalyse eine Diagnose, die gewisse Begabung des Ausf\u00fchrenden voraussetzt. Graphologie oder Psychoanalyse sind nicht deshalb irrt\u00fcmlich, weil viele Leute zu unbegabt sind, um sich erfolgreich auf ihren Gebieten zu bet\u00e4tigen, genau so wie Musik und Mathematik recht behalten, obwohl es v\u00f6llig unmusikalische oder unmathematische K\u00f6pfe gibt. Diese Sonderstellung der Graphologie bei der Auswertung der Ausdruckshand ist zu betonen; denn in der Tat sind solche F\u00e4lle in der Wissenschaft verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig auff\u00e4llig.\nFragen wir nach diesen grunds\u00e4tzlichen methodischen Bicht-linien, nach den Einzelelementen, deren Ausdeutung zu kombiniertintuitiver Charaktersynthese f\u00fchren soll, so gibt Klages folgende","page":1101},{"file":"p1102.txt","language":"de","ocr_de":"1102\nFritz G-iese\nAngriffspunkte an: S\u00e4mtliche dieser Elemente gehen zur\u00fcck auf obige These, da\u00df die Schreibhand durch charakterologische Wirkungen im Sinne der Geb\u00e4rde abgelenkt wird1).\nfl) Das Formniveau.\nHierbei wird in genannter Weise der Schreiber strukturell einer Charakterwertung unterzogen und die erw\u00e4hnte Hypothese von der Korrelation zwischen Bildung und Schriftniveau angesetzt. Da\u00df in der Tat die sogenannte ungebildete Schrift auch bestimmte Formationen eines Charakters nach sich zieht, da\u00df sie entwicklungsgem\u00e4\u00df optimale Auspr\u00e4gungen positiver Werte nahezu ausschaltet, bleibt anzuerkennen. Dagegen ist offensichtlich dieser Fall der Bangierung der Schriften nach Niveaus der heikelste Punkt der Klagesschen Methode, obschon er ihr fundamentalster bleibt.\nb)\tGr\u00f6\u00dfe, Weite und Neigungswinkel der\nSchrift.\nDa\u00df die weite, die gro\u00dfe und die bestimmt gewinkelte Geb\u00e4rde sich in der Schrift vorfinden kann, da\u00df kleine, schr\u00e4ge, enge Schriften mithin in fast paralleler Zuordnung einen kleinen, engen, sentimentaleren Charakter nahelegen, als die gro\u00dfe, weite und steile Schrift, entspricht den allgemeinen obigen Bemerkungen zur Ausdrucksgebung an sich.\nc)\tBindungsform und Verbundenheitsgrad.\nDie Klages&che Methode greift das Tempo des Denkens und der denkgewohnten Assoziationen, Perzeptionen und Apperzeptionen auf, um es mit der Geschwindigkeit des Schreibvorganges zu vergleichen. Selbstverst\u00e4ndlich wird ein unsteter, abrupt oder brockenweise denkender Mensch keine flotte, verbundene und durch Buchstabenreduzierung ausgezeichnete Schriftgeb\u00e4rde offenbaren und umgekehrt.\nd)\tReichhaltigkeit und Verteilung der\nBewegung.\nDie Lage zur Horizontalen, die M\u00f6glichkeit der Buchstabenauspr\u00e4gung durch Zusatzschn\u00f6rkel oder Striche, die M\u00f6glichkeit der Buchstabenvereinfachung durch nahezu symbolzeichen\u00e4hnliche Form, die Saloppheit der Durchf\u00fchrung konventioneller Schriftformen bei sonst konventionell gerichtetem Ductus, die Selbstverbesserung der Abweichungen von der Norm, die subjektiv aus Korrektheit immer wieder st\u00f6rend empfunden und im Schrift-\n1) Klages: Handschrift und Charakter. Leipzig 1917; Ausdrueksbevegu ug und Gestaltungskraft. Leipzig 1921; Probleme der Graphologie. Leipzig 1910; Saudek: Graphologie. M\u00fcnchen 1926.","page":1102},{"file":"p1103.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1103\nbild daher st\u00e4ndig in Phasen wiederauftaucht : Das alles sind charaktererologische Erscheinungsweisen der Ausdruckshand, die man schwerlich bezweifeln mag.\ne) Eeibnngsdrnck und Pastosit\u00e4t.\nDie Anwendung der Grundidee der Kr\u00fcpelinschen Schrift -wage mu\u00df hier Druck und Energie, Drucklosigkeit und Willensschw\u00e4che, schmierige und \u00fcberflie\u00dfende Buchstabenformen mit unbeherrschtem und ungez\u00fcgeltem Wesen in Verbindung bringen. Da\u00df der F\u00fcllfederhalter eine peinliche \u00c4nderung der Grundidee von Klages bewirken kann, da er grunds\u00e4tzlich automatischen Fl\u00fcssigkeitsstrom wie Druckerscheinungsweise der Schrift garantiert, sollen wir nicht verkennen. Auch der Bleistift ist daher bereits f\u00fcr graphologische Analysen nicht die zweckm\u00e4\u00dfige Gew\u00e4hr, um eindeutige Proben zu ermitteln.\n/) Schriftleitbild und Anordnung.\nSicherlich mu\u00df methodisch auch die Schriftanordnung auf dem jeweiligen Papier belangvoll sein. Immerhin bleibt bis jetzt noch ganz ungekl\u00e4rt der Einflu\u00df des Papierformates auf die Schriftgr\u00f6\u00dfe und Anordnung. Eine Postkarte wirkt anders auf den Schreiber, als ein Aktenbogen, ja ein Luxusbriefbogen anders auf die Leitbildgebung als ein kariertes Papier oder ein St\u00fcck b\u00fcliges Kanzleipapier. Diese Dinge sollten nicht au\u00dfer acht gelassen sein. Da\u00df im \u00fcbrigen \u00e4sthetische Komponenten der Person, auch Geltungstrieb im Sinne Adlers, psychogene D\u00e4mpfung oder \u00dcbersteigerung der Selbsteinsch\u00e4tzung in diesen Elementen sich offenbaren k\u00f6nnen, w\u00e4re nicht von der Hand zu weisen1).\ng) Sonstige Symptome.\n1.\tDie Wirkung der erlernten Handschrift und ihre ver\u00e4nderte Erscheinung im erworbenen Ductus.\n2.\tDer Einflu\u00df der Gelegenheit auf die Schrifterscheinungs-weise, der Situation, unter der die Proben entstanden sind (Eile der Abreise; dunkle Beleuchtung; Visitenkarte statt Briefbogen oder gar eigens gefertigtes Musterst\u00fcck f\u00fcr ,,Deutungszwecke\u201d.\n3.\tM\u00f6glichkeit verstellter Handschrift2).\n4.\tM\u00f6glichkeit mangelhaften Schreib ger\u00e4t es (Tinte, Feder usw.).\n5.\tEinflu\u00df der Passe und des nationalen Schreib Stils (englische, franz\u00f6sische, russische Handschrift).\n1)\tAdler: Praxis und Theorie der Individualpsychologie. M\u00fcnchen 1923; Wexberg : Handbuch der Individualpsychologie. M\u00fcnchen 1926.\n2)\tSehneickert: Verstellung der Handschrift. Jena 1925; Gerichtliche Schriftvergleichung. Berlin 1918; Bedeutung d. Handschrift. Leipzig 1909.","page":1103},{"file":"p1104.txt","language":"de","ocr_de":"1104\nFritz Giese\nWir wollen diese wenigen methodischen Grundgedanken auch noch in kritischer Form zur Erweiterung f\u00fchren.\nMethodologisch ist zu sagen, da\u00df die J\u00f6u^cssche Hypothese von der Ausdeutung der Handschrift als Geb\u00e4rdenwirkung die Frage noch nicht gel\u00f6st hat, ob tats\u00e4chlich eine Homogenit\u00e4t zwischen Mikro- und Makrogeb\u00e4rde existiert. Das was wir im Sprechen, beim Handeln mit der Hand ausdr\u00fcckend \u201etun\u201d, wird im Schreiben abgebremst auf Ausschl\u00e4ge in Millimetern u n d in zweidimensionalem Ductus ! D\u00fcrfen wir die dreidimensionale Lebensgeb\u00e4rde unmittelbar mit der zweidimensionalen Mikro -geb\u00e4rde vergleichend parallelisieren ? Diese Frage harrt ihrer Untersuchung! Sie kann die Methode der Graphologie noch grundlegend \u00e4ndern, je nach dem sie Ergebnisse hat.\nGanz unklar ist auch noch der Einflu\u00df des Materials auf den Schriftcharakter. Hier k\u00f6nnte seitens der kriminalistischen Forschung in mannigfacher Form Wertvolles erbracht werden. Vorerst haben wir noch keine unbedingten Fehlerquoten f\u00fcr die graphologischen Analysen, denn sie gehen fast restlos in der Praxis ohne Ansehung des Materialeinflusses vor sich. Oben erw\u00e4hntes Muster von der Wirkung des F\u00fcllfederhalters auf die Schriftgeb\u00e4rde ist nur einer von vielen anderen F\u00e4llen, die der methodologischen Untersuchung harren. Man m\u00f6chte hinzuf\u00fcgen, da\u00df die Graphologie in diesem Sinne noch niemals eine Bew\u00e4hrungskontrolle erbracht hat.\nDamit kommt man auf einen weiteren Punkt: n\u00e4mlich die Notwendigkeit, die Methode der Graphologie zu verbinden mit einer Methode der Massenstatistik. Das bedeutet ideell etwas \u00c4hnliches, wie die Erschlie\u00dfung der Vorkommensgesetze menschlicher Charaktere, der Streuung von Spielarten der Schriftf\u00fchrungen. Die Graphologie hat au\u00dferdem praktisch noch die methodische Aufgabe, schnell und auch im Massenversuch anwendbar zu arbeiten, um hunderte von Menschen in geraffter Systematik gleichzeitig zu differenzieren, zu teilen nach einigen wenigen Bl\u00f6cken von qualitativer Differenziertheit, wie es die psycho-technische Eignungspr\u00fcfung bereits auf ihrem Gebiete erfolgreich getan hat. Beides, die Forderung einer praktischen Massenanwendung und eine Gewinnung kollektiver Geltungsregeln, gemahnt noch an einen dritten Punkt, den die Graphologie heute wohl noch nicht immer erkannt hat. Marbes Pegel von der Gleichf\u00f6rmigkeit in der Welt1) beherrscht auch dieses Feld. Es ist m\u00f6glich, da\u00df der Graphologe, selbst dem Gesetz der Gleichf\u00f6rmigkeit unterliegend, zu einer Uniformit\u00e4t der Deutungen ger\u00e4t, die keine Bew\u00e4hrungs-kontrolle mehr aush\u00e4lt, da er dauernd seine Urteile unterbewu\u00dft\n1) Marie: Die Gleichf\u00f6rmigkeit in der Welt. Leipzig 1916.","page":1104},{"file":"p1105.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1105\nangleicht. Es ist ebenso methodisch denkbar, da\u00df diese Gleichf\u00f6rmigkeit die Charakterologie als solche vereinfacht, da der Durchschnittsmensch (nicht das gehobene Talent) die Masse ausmacht und hier erfa\u00dfbar ist in seinem Wesen; alles insgesamt. Forderungen, welche die Graphologie erf\u00fcllen mu\u00df; die der Ausdruckshand eine weitreichende Bedeutung zubilligen werden.\n4. Parallelanwendungen der Handschrift.\nEndlich mu\u00df in diesem Zusammenhang erw\u00e4hnt werden, da\u00df die graphologische Methode noch in vierfacher Form Parallelanwendungen findet, die je nach der Fragestellung entweder als Nachpr\u00fcfung der Richtigkeit der Handschriftkunde oder als Symptompr\u00fcfung f\u00fcr die vier in Betracht kommenden Gebiete aufgefa\u00dft werden k\u00f6nnten. Wir erw\u00e4hnen die vier M\u00f6glichkeiten hier strikt im Sinne der Kontrolle graphologischer Anschauungen.\n\u00ab) Das Verfahren der gestischen Selbstbeobachtung.\nEs besteht darin, da\u00df man die Gesten der Ausdruckshand vormimt und dabei die eigene Gef\u00fchlslage beobachtet. Es wird sich zeigen, da\u00df bestimmte Ausdrucksbewegungen mit bestimmten Bewu\u00dftseinsinhalten sich binden und die Kontrolle wird um so charakteristischer f\u00fcr den Selbstbeobachter sein, je weiter die Gesten Wirkung von seiner habituellen Bewu\u00dftseinslage ab weicht. Von hier, dem Extremfall aus, kann man daher eine Kontrolle durch Selbstbeobachtung einleiten; ebenso durch groteske und komische Geb\u00e4rdenf\u00fchrung.\n&) Das Verfahren der Hypnose.\nHierbei wird die Handschrift hypnotisierter Personen, die im somnambulen oder nur somnolent en Zustand eine Pers\u00f6nlichkeits-\u00e4nderung suggeriert erhalten, auf ihre Ver\u00e4nderung kontrolliert. Wiederholt hat man diesen Gedanken1) praktisch und mit Erfolg durchgef\u00fchrt, auch im Sinne der Nachpr\u00fcfung hypnotischer Bewu\u00dftseinslagen. F\u00fcr die Graphologiekontrolle ist der umgekehrte Weg der einfachere.\nErw\u00e4hnt seien hierbei noch die andersgerichteten Versuche, mit Hilfe von sogenannten hellsehenden Personen durch die Handschrift charakterologische Deutungen zu vollziehen, ohne da\u00df die im verschlossenen Umschlag befindliche Probe gezeigt wird. In der letzten Zeit war ein bekannterer Fall E. Scher mann2).\n1)\tVgl. Forel: Hypnotismus. Stuttgart 1921.\n2)\tO. Fischer : Experimente mit B. Schermann. Berlin und Wien 1924.","page":1105},{"file":"p1106.txt","language":"de","ocr_de":"1106\nFritz Griese\nc) Entwicklungskontrolle der Altersstufen.\nAuf die Nachpr\u00fcfung der Handschrift\u00e4nderungen durch infantile und senile Altersstufen haben wir in beiden Abschnitten, die die Entwicklung der Hand beim Kinde und beim Greise andeuten, hingewiesen. Hier ist daran zu erinnern, da\u00df Kind wie Greis selbstverst\u00e4ndliche Ductus\u00e4nderungen durch ihre konstitutionelle Eigenart erfahren m\u00fcssen, so da\u00df man die Handschriften der normalen Reifen an diesen Extremen standardisieren k\u00f6nnte.\nd) Nachpr\u00fcfung an Geisteskranken.\nDiese M\u00f6glichkeit hat unter anderem K\u00f6ster1) ber\u00fccksichtigt. Die Schrift der an bestimmten Geisteskrankheiten leidenden Personen \u00e4ndert sich gem\u00e4\u00df der Bewu\u00dftseinslage, die Ausdruckshand ist abh\u00e4ngig vom pathologisch umstrukturierten Bewu\u00dftseinsinhalt. Vor allem ist hierbei wertvoll eine Parallelisierung von Handschriften bei gesundem und erkranktem Zustande (vgl. Eig. 156, 198 und 199).\nE. Gestik der Mindersinnigen.\nDie Ausdruckshand als Geste hat vor allem in zwei wichtigen F\u00e4llen bei Mindersinnigen ihre besondere Anwendung gefunden: bei Taubstummen und Blinden.\n1. Die Ausdriickshand bei den Taubstummen.\nDrei methodische Grundgedanken sind zu erw\u00e4hnen, wenn wir hier der Anwendung der Ausdruckshand bei Taubstummen gedenken.\n\u00ab) Mimik der H\u00f6rende n.\nZun\u00e4chst mu\u00df man, um das Problem zu erkennen, methodisch daran denken, da\u00df jenseits von B\u00fchne und Film eine Mimik der H\u00f6renden besteht. Diese Mimik sind Begleitbewegungen mannigfachster Form, die insgesamt keinerlei k\u00fcnstlerische Absichten haben. Man spricht mit Reuschert2 3) und Paul Kirsch4) in diesem Sinne auch von Ausdrucksbewegungen der Yollsinnigen.\nDiese Ausdrucksgeb\u00e4rden der Yollsinnigen k\u00f6nnen wiederum quellengem\u00e4\u00df an zwei Motiven studiert werden: entweder an dem, Avas man entwicklungsgeschichtlich die Bildersprache nennt, die ja hervorgegangen ist aus den Urgeb\u00e4rden und ihrer symbolisieren-\nx) K\u00f6ster: Die Schrift bei Geisteskrankheiten. Leipzig 1903.\n2)\tBeuschert: Die Geb\u00e4rdensprache der Taubstummen. Leipzig 1909.\n3)\tA. P. Hirsch: Die Geb\u00e4rdensprache des H\u00f6renden. Charlottenburg 1923;\nPers\u00f6nliches Erleben im geb\u00e4rdl. Ausdruck. Halle 1926.","page":1106},{"file":"p1107.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1107\nden Bedeutung f\u00fcr die Vorfahren. Man kann mithin methodologisch eine Geb\u00e4rdensprache derVollsinnigen aus ethnologischen Materialien ableiten, wobei dann wiederum Beziehungen zu den beim Linkserproblem und den bei Fragestellungen der Entwicklung der Arbeitshand genannten Stoffen gegeben sind (vgl. oben1).\nZweitens kommen alle jenen unwillk\u00fcrlichen oder absichtlichen Begleit be wegungen in Betracht, die der H\u00f6rende und Normale als Sprachzusatz darzustellen pflegt. Es versteht sich von selbst, da\u00df die Geb\u00e4rdensprache der Taubstummen wiederum von diesen Geb\u00e4rden der H\u00f6renden abweichen kann.\nUm methodisch eine Einteilung der \u00fcblicherweise vorkommenden normalen Geb\u00e4rden zu erm\u00f6glichen, (wobei wir immer nur auf die Ausdruckshand uns beschr\u00e4nken!), kann man mit Hirsch folgende Gesichtspunkte ausbauen:\n1.\tAblaufsformen der Geb\u00e4rden:\na) Vorbereitende Bewegung;\n\u00df) Geb\u00e4rde an sich:\neinleitende Form,\nEndstellung der Geb\u00e4rde,\nabgleitende Bewegung;\ny) Schlu\u00dfbewegung.\nAlles differenziert sieh in der Bhythmik als\nlangsam,\nschnell-gleichm\u00e4\u00dfig,\nruckartig,\ngestuft.\nDabei kann es zur Durchf\u00fchrung einer Vollgeb\u00e4rde oder abgek\u00fcrzt zu einer Andeutungsgeb\u00e4rde kommen.\n2.\tHaltungsformen der Endstellung der Ausdruckshand:\noc) Armstellung:\na') Streckarm:\nschr\u00e4g unten gerichtet = schr\u00e4g,\nwagrecht vorn oder seitlich,\n\u00fcber Wagerechte heraus \u2014 hoher Arm.\n\u00df') Knickarm:\nrechtwinkliger Arm:\nindifferent, Oberarm herabh\u00e4ngend,\nSto\u00dfarm = Oberarm schr\u00e4g nach hinten,\nZugarm = Oberarm schr\u00e4g nach vorn,\nVerteidigungsarm \u2014 Oberarm wagrecht, Unterarm quer vor K\u00f6rper, Schutzarm = ebenso, aber Oberarm noch gehoben, spitzer Arm (Ober- und Unterarm in spitzem Winkel), Beruhigungsarm = Oberarm senkrecht herab, Hand in Halsh\u00f6he, Abwehrarm = Hand in Kopfh\u00f6he, Oberarm gehoben,\nHiebarm \u2014 Oberarm wagrecht, vorn gehoben, Unterarm nach hinten geneigt,\nWurfarm, wagrechter Oberarm seitlich gerichtet.\n1) Wundt: V\u00f6lkerpsychologie. 1. Leipzig 1900.\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\n72","page":1107},{"file":"p1108.txt","language":"de","ocr_de":"1108\nFritz Giese\n\u00df) Handstellungen :\noc') Handschlu\u00dfformen: gestreckt, looker, gespreizt, lockere Faust, feste Faust,\nKratzliand,\nGreif hand, z\u00e4hlende Hand,\nMa\u00dfhand (Daumenzeigefinger in Distanz gestreckt parallel oder winklig gegeben),\nHinweisehand.\n\u00df') Wendungsarten der Handfl\u00e4che:\nAufhaltende Hand (Innenfl\u00e4che nach oben), gedeckte Hand (Handr\u00fccken oben),\nSchneidende Hand (Fingerspitzen senkend, Innenfl\u00e4che zum K\u00f6rper), Querhand (Innenfl\u00e4che links ausw\u00e4rts),\nAbwehrhand (Innenfl\u00e4che vorw\u00e4rts gedreht),\nSpiegelhand (Handfl\u00e4che Gesicht zugekehrt und aufrecht stehend), Ausw\u00e4rtshand (Handfl\u00e4che seitlich ausw\u00e4rts gedreht).\nY) Bimanuelles Geb\u00e4rdenspiel:\nMa\u00dfhand (gegenseitige Handhaltung), zusammengelegte H\u00e4nde (Handfl\u00e4chenber\u00fchrung),\nDachhand (Fingerspitzen dachartig gelegt), gefaltete Hand,\nWerkhand (das ist oben erw\u00e4hnte Arbeitshand).\n3. Bewegungserscheinungen der Ausdruckshand:\na) Armbewegungen : oben unten, vorn hinten, rechts links, zeichnende Armf\u00fchrung.\n\u00df) Handbewegungen:\n\u00d6ffnen,\nSchlie\u00dfen,\nGreifen,\nLoslassen.\ny) Zusammenwirken von Arm und Hand: in steifem Handgelenk, mit beweglichem Handgelenk,\nfliehende Hand (letztere f\u00fchrt Bewegung nach Armstillstand noch weiter).\n8) Bewegungsrichtung des Handzusammenspieles : gleiche Bichtung, entgegengesetzte : zueinander hin, voneinander weg,\nverschiedenartige Biehtungskonstante.\nMan erkennt an diesen f\u00fcr die methodische Festlegung wichtigen Schemata die Verwandtschaft des Problems mit den Grundfragen auch der Arbeitshand.\nDie Geb\u00e4rdenformen kann man ferner nach Hirsch einteilen in freie und unfreie. Bei den freien bekommen wir folgende schematische M\u00f6glichkeiten, welche zwecks Verdeutlichung in kurzen Beispielen ausgew\u00e4hlt werden. Hirsch selbst hat 869 Geb\u00e4rden von H\u00f6renden in dieser Weise bestimmt, so da\u00df die beschreibende","page":1108},{"file":"p1109.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1109\nMethode ungeheuer fruchtbar zur Charakteristik auch der Hand in k\u00fcnstlerisicher Anwendung werden k\u00f6nnte.\nSubjektive Grundlage der Geb\u00e4rde : a) Ans urspr\u00fcnglichen Reflexen entstanden: a7) Wort und Geb\u00e4rdendeutung decken sich.\nBeispiel: K\u00f6rperstelle kratzen = Es juckt da! Augen verdecken = Es blendet, Ich kann es nicht sehen. \u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung ist enger als Wortbedeutung.\nKopf einzieh en, sch\u00fctzende Erwartungsstellung, Armhochhalten = Furcht vor Schmerz, Schlag, Fl\u00fcssigkeit usw. y7) Geb\u00e4rde geht weiter als das Wort.\nZum Beispiel; Ohren zuhalten (mit schmerzhaftem Gesichtsausdruck) = Sei still ! Unangenehmer oder musikalisch falscher Geh\u00f6rseindruck, \u00df) Aus k\u00f6rperlichen Zust\u00e4nden entwickelt:\noc7) Wort und Geb\u00e4rdenbedeutung decken sich.\nMit Hand Luft zuf\u00e4cheln = Mir ist hei\u00df. \u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung enger als Wort.\nReiben am Bein, mit schmerzhaftem Gesichtsausdruck = Schmerz. y7) Geb\u00e4rdenbedeutung weiter als Wort.\nDaumen und Zeigefinger an Kehle, leidendes Gesicht \u2014 Husten, Heiserkeit, Durst.\ny) Aus Gef\u00fchls- und Affektbedeutung entstanden: a7) Wort und Geb\u00e4rdenbedeutung decken sich.\nAugen aufw\u00e4rts gedreht, H\u00e4nde gefaltet = Fr\u00f6mmler; Faust in H\u00fcften, energisches Gesichts = zur Abwehr bereit. \u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung enger als Wort.\nAbwehrendes Handheben mit \u00e4ngstlicher Spannungsmimik = Furcht (vor seelischem Schmerz). y7) Geb\u00e4rdenbedeutung weiter als Wort.\nHerunterfallenlassen der seitlich aufgehaltenen H\u00e4nde, ernste Mimik = Ratlosigkeit, Unzufriedenheit, Widerspruch.\nAuf subjektiver und objektiver Grundlage : a) Wort und Geb\u00e4rdenbedeutung decken sich.\nHandber\u00fchrung eines Gegenstandes = dieses Ding.\nFerner alle Hinweiseformen! \u00df) Geb\u00e4rdenbedeutung enger als Wortbedeutung.\nHinweis mit straff nach vorn gestrecktem Arm = Geh fort ! y) Geb\u00e4rdenbedeutung weiter als Wort.\nHinweise im Sinne der Objektsbezeichnung; Ort oder Zeitangabe bestimmt oder abstrakt gemeint.\nZum Beispiel: Hinweis auf Mund = Mund, sprechen.\nHinweis nach vorn = darum, dazu, deshalb.\nObjektive Grundlagen der Geb\u00e4rden :\noc) Geb\u00e4rde bezeichnet ein Objekt.\noc7) Wort und Geb\u00e4rdenbedeutung decken sich a m eigenen K\u00f6rper, vor dem K\u00f6rper.\nZum Beispiel: Winkelfinger vom Kinn, nach vorn gef\u00fchrt = Spitzbart; Ma\u00dfhand senkrecht, aufw\u00e4rts = Baum ; Auseinanderrucken der F\u00e4uste, = Explosion;\n\u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung ist enger als Wortbedeutung a m K\u00f6rper, vor dem K\u00f6rper.\nZum Beispiel: H\u00e4nde von Brust langsam seitlich abw\u00e4rts = langes herab-fallendes Gewand; offene Spiegelhand am Abwehrarm, in senkrechter Ebene, herunterfahrend = Hindernis vor mir (Mauer, Fels pp). y7) Geb\u00e4rdenbedeutung weiter als Wortbedeutung a m K\u00f6rper, vor dem K\u00f6rper.\n72*","page":1109},{"file":"p1110.txt","language":"de","ocr_de":"1110\nFritz Griese\nZum Beispiel: Zeigefinger Kreisbewegung auf Kopf = Tonsur, Flechte, Loch; gedeckte Hand Bogen rechts herumgef\u00fchrt = Haufen, Berg; Ma\u00dfh\u00e4nde seitlich vom K\u00f6rper heben, parallel laufend nach vorn Vorbringen = Eisenbahn, Weg.\n\u00df) Geb\u00e4rde bezeichnet Eigenschaften des Objektes:\noG) Wort und Geb\u00e4rdenbedeutung decken sich.\nLineare F\u00fchrung zum Kreis, Viereck pp. = Kreis, Viereck; freudiges Reiben von Daumen und Zeigefinger = feink\u00f6rnig. \u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung enger als Wortbedeutung, wobei okkasionaler Bedeutung Rechnung getragen wird.\nHand von Stirn \u00fcber Kopf fahrend = Glatze; Ma\u00dffinger von rechts nach links zusammengehend = spitz. y7) Geb\u00e4rdenbedeutung weiter als die des Wortes.\nFaust ruckend beim Indifferenzarm = stark, fest, tapfer, unbeweglich.\ny)\tGeb\u00e4rde bezeichnet T\u00e4tigkeiten und Zust\u00e4nde:\noG) Wort und Geb\u00e4rdenbedeutung decken sich bei Richtungsgeb\u00e4rden, Nachahmungsgeb\u00e4rden, Zustandsgeb\u00e4rden, \u00fcbertragene Zeichengeb\u00e4rde. Zum Beispiel: Einladende Geb\u00e4rde auf Stuhl = Bitte setzen! Auf-haltende Hand aus Indifferenzlage nach vorn schieben \u2014 nehmen; gedeckte H\u00e4nde aus Indifferenzlage nach unten bewegen = liegen ! Hand muschelf\u00f6rmig hinter Ohr = horchen, lauschen. \u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung ist enger als das Wort.\nMit Fingerspitzen der einen \u00fcber R\u00fccken der anderen Hand fahren \u2014 f\u00fchlen; lockere F\u00e4uste von oben seitlich am Kopf herunterziehen = Hemd anziehen; H\u00e4nde umeinanderreiben = waschen.\nY) Geb\u00e4rdenbedeutung ist weiter als die des Wortes.\nFortwinken = Trage fort! Geh! Bleibe da! Behalte es! Aufh\u00f6ren! Fort mit dem Gedanken!\n5) T\u00e4tigkeitsbezeichnungen, die Dingbenennung (k\u00f6rperlich dargestellt bzw. angedeutet) oder adverbiale Bestimmung vertreten.\nZum Beispiel: Hand spatenf\u00f6rmig gestreckt und bewegt = graben, Spaten; Bewegung des Pinseins beim Rasieren = Einpinseln, Seife, Pinsel; mehrfaches rasches Winken = Komm schnell!\nz)\tScheinbar willk\u00fcrliche Zeichen.\noG) Wort und Geb\u00e4rdenbedeutung decken sich.\nHandhochheben in Schule = Ich wei\u00df es; drei Kreuze in der Luft machen = Gott sei Dank, er ist fort. \u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung ist enger als die des Wortes. y7) Geb\u00e4rdenbedeutung ist weiter als die des Wortes.\nHand geben = Adieu; Hand an Indifferenzarm von oben herunter aufdecken, so da\u00df Handfl\u00e4che sichtbar = Beweis.\n\u00c7) Beziehungen zwischen Objekten:\noG) Wort und Geb\u00e4rdenbedeutung decken sich.\nHinweis vor sich = Ruhe! Rechte Querhand nach rechts = neben. \u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung ist enger als die des Wortes.\nH\u00e4nde in Gegen\u00fcberstellung weit von dem K\u00f6rper seitw\u00e4rts = sehr dick. \u00df7) Geb\u00e4rdenbedeutung weiter als die des Wortes.\nGeballte Faust wagrecht bei Indifferenzarm ruckartig nach rechts = fertig, Schlu\u00df, Ende.\nDie Beihe der kleinen Proben wird angedentet haben, da\u00df man tats\u00e4chlich die ungeheure F\u00fclle der Ausdruckshandbewegung beim h\u00f6renden Sprecher derartig schematisch rubrizieren kann, um Ordnung methodischer Form in das Problem der Geb\u00e4rdensprache Normaler zu bekommen. Hierbei sind \u00fcbrigens die von","page":1110},{"file":"p1111.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1111\nHughes, Krukenberg, u. a. bereits vormals erhobenen Studien mitverwertet1).\nHirsch teilt methodisch die unfreien Geb\u00e4rden ein in:\noc) Hinweise mit Verbindungsworten.\nDa! Dort! Das da! \u00df) Andere Geb\u00e4rdenformen:\nTotale und plastische Geb\u00e4rden:\nFaust auf Kopf = so gro\u00dfes Geschw\u00fcr.\nMa\u00dfgeb\u00e4rden :\nWagrechtes Ma\u00df an Tischkante = so lang bzw. kurz; Fingerbewegungs-richtung = Linie verlief so. . . y) Interjektionsgeb\u00e4rden:\nFinger im Ohr mit Interjektion bububu = donnern.\nDiese unfreien Geb\u00e4rden w\u00fcrden wir auch als unwillk\u00fcrliche Mitbewegung vorfinden k\u00f6nnen, w\u00e4hrend die freien absichtliche oder gewohnte, mit der Mimik des Gesichtes zugleich sich bindende Ausdruckshandformen sind.\nAuf Grund der Beobachtung des Gesunden kann man methodisch f\u00fcr die Verst\u00e4ndigung der Taubstummen ihnen, entsprechende Geb\u00e4rden beibringen. Bekanntlich ist dies ein Ziel, das grunds\u00e4tzlich als Geb\u00e4rdensprache bereits der Abbe de VHp\u00e9e, der Urheber der k\u00fcnstlichen Geb\u00e4rdensprache vor sich sah, das aber der deutschen Lautiermethode, mithin der Absicht, die Taubstummenlautsprache zu lehren, diametral gegen\u00fcberzustehen scheint. Wir haben diese letztere hier nicht mehr zu er\u00f6rtern, sondern wenden uns nun den Methoden der k\u00fcnstlichen Geb\u00e4rdensprache und ihrer Anlernweise zu, wobei wir letzten Punkt noch kurz Streifen werden.\nft) Die k\u00fcnstliche Geb\u00e4rdensprache f\u00fcr\nTaubstumme.\nDiese geht aus von der Buchstabierung der Worte, ist also an sich umst\u00e4ndlicher als die freie Geb\u00e4rdensprache. Letztere bildet das nat\u00fcrlichere und schnellere Verst\u00e4ndigungsmittel der Taubstummen untereinander, jene dagegen f\u00fchrt durch den Anschlu\u00df an die SprachrechtSchreibung und das Schreiben der Normalen \u00fcber zur b\u00fcrgerlichen Existenz. (Da\u00df die Konsequenz dabei das Sprechen der Taubstummen, folgerichtige Vollendung f\u00fcr Verkehr mit Gesunden und Anwendung im Leben w\u00e4re, versteht sich von selbst.) Immerhin sind heute noch beide Methoden der Geb\u00e4rdenhand im Gebrauch. Man erh\u00e4lt also folgende Varianten:\nI. Anwendung der Taub Stummennatur geb\u00e4r den.\nDie H\u00f6rendengeb\u00e4rde und die Taubstummengeb\u00e4rde sind keinesfalls ohne weiteres dieselben. Methodisch unterst\u00fctzt die\n1) Hughes : Mimik der Menschen. Frankfurt 1900; Krukenberg : Der Gesichts* ansdruck des Menschen. Stuttgart 1920.","page":1111},{"file":"p1112.txt","language":"de","ocr_de":"1112\nFritz Giese\nH\u00f6rendengeb\u00e4rde, die wir im ersten Abschnitt besprachen, das gesprochene nnd vernommene Wort oder ist anf Grund einer sonst ungest\u00f6rt verlaufenen Sprachbeherrschung das Mittel, auf Distanzen sich zu verst\u00e4ndigen, wenn das akustische Wahrnehmen momentan erschwert wird. Ebenso ist die Bilderschrift in ihrer Beziehung zur Geb\u00e4rde stets ausgegangen vom Normalen.\nBei der Naturgeb\u00e4rde der Taubstummen dagegen \u00e4ndert sich die Lage einmal durch das an sich geringer entwickelte Sprachgef\u00fchl (daher der Vorteil der Buchstabiermethode mit der Geb\u00e4rde oder gar des Lautierverfahrens), ferner durch das im Dauergebrauch und bei Eile notwendige Abschleifen der Geb\u00e4rdenfolgen. Hierbei spielen (\u00e4hnlich wie manchmal in der Stenographie) auch pers\u00f6nliche, famili\u00e4re oder milieugem\u00e4\u00dfe Sondergeb\u00e4rdenzeichen eine erhebliche Bolle. Der \u00dcbergang zur Bilderschrift und Geb\u00e4rde der Verbrecher (Gaunerzinken1) ist hier naturgegeben und aus der V\u00f6lkerpsychologie bekannt.\nMethodologisch mu\u00df diese konventionelle Geb\u00e4rdensprache den schon von Wundt gegebenen Regeln der Geb\u00e4rdenfolge sich unterstellen2).\nBezeichnet man im Satz mit S das Subjekt, O das Objekt, V das Zeitwort, A das Attribut, Ad adverbiale Bestimmungen, so geb\u00e4rdet der Taubstumme wie die Naturv\u00f6lker in folgender Weise:\nS O V = J\u00e4ger, Hase schie\u00dfen.\nS A O V = Wolf schlecht, Lamm fressen (schlecht = b\u00f6se).\nS V Ad = Knabe schreiben sch\u00f6n.\nS A V Ad = Vogel gelb, h\u00fcpfen Bauer.\nEs mu\u00df dieser konventionellen, aber eben allen Subjektivismen unterstellten Geb\u00e4rde des Taubstummen ein Geb\u00e4rdenkanon unterlegt sein. Es m\u00fcssen Geb\u00e4rden genormt sein. Damit aber kommt man bereits an die Grenze der praktischen Allgemeinverbreitung dieser Methode. Denn genormte Geb\u00e4rden sind in dieser konventionellen Natursprache des Taubstummen unbekannt. Ein Beispiel mag es zeigen! Wir stellen gegen\u00fcber, wie konkret und abstrakt je ein Begriff ganz verschieden in \u00f6rtlichen Methoden geb\u00e4rdet wird: \u201eKuh\u201c wird dargestellt:\nBerlin: Andeuten der H\u00f6rner mit den H\u00e4nden am eigenen Kopf.\nK\u00f6nigsberg: Rechte und linke Hand so, da\u00df Zeigefinger an Stirn sich ber\u00fchren; oder Daumen und Zeigefinger zum 0, drei letzte Finger eingeschlagen, Aufw\u00e4rtsbewegung in Richtung der angedeuteten H\u00f6rner.\n1)\tB. Gross: Sprache, Zeichen und Poesie der Landstra\u00dfe. Schwerin 1919; H. Gross: Handbuch f\u00fcr Untersuchungsrichter. Berlin und Leipzig 1914; Arch, f. Kriminalanthr. 2. (Leipzig); Thiele, Kroon, Berti: Handlexikon f\u00fcr Polizei und Kriminalbeamte. Dresden 1908; Heindl: Der Berufsverbrecher. Berlin 1926.\n2)\tWundt: V\u00f6lkerpsychologie. Abt. Die Sprache. Leipzig 1911.","page":1112},{"file":"p1113.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arb eit sh and\n1113\nC\u00f6slin: Wie Berlin.\nStettin: Rechte beschreibt durch Seitenbewegung Hornform.\nSchleswig: Auf- und Abw\u00e4rtsbewegung geballter F\u00e4uste wie beim Melken. \u00d6ffnen und Schlie\u00dfen dabei.\nEmden: Horn oder Melkbewegung.\nBreslau: Entweder Melken (bei kleinen Taubstummen) oder Horn mit geschlossenen F\u00e4usten. Mit halbge\u00f6ffneten F\u00e4usten, Ochse.\nBraunschweig: Beidh\u00e4ndig H\u00f6rner oder Melkbewegung.. ... ..\nLeipzig: Beidh\u00e4ndig Hornbewegung mittels geballter Faust; bei Ochsen l\u00e4ngere Bewegung.\nM\u00fcnchen: Hornbewegung am Kopf einh\u00e4ndig.\nWien, Graz: Melken und H\u00f6rner.\nLemberg: Melken, eventuell H\u00f6rner.\nBudapest : Zeige- und Mittelfinger beidseitig in Melkstellung, dabei Richtung der H\u00e4nde zur linken K\u00f6rperseite, Linke unter Rechten, Finger parallel, nicht den K\u00f6rper ber\u00fchrend, Distanz der H\u00e4nde 5 cm, dazu Sitzbewegung machen.\nMailand: Beid.seitig Melkbewegung.\nGenua: Ebenso.\nParis: Vereinbarte Geste nicht vorhanden! Ochse wird mit beiden kleinen Fingern durch Hornsymbol und Nachahmung schweren Ganges dargestellt..\nBerchem St. Agathe in Brabant: Hornstellung der H\u00e4nde an Stirnseiten. Daumen auf Stirn.\nGroningen: H\u00f6rner an Stirn, darauf Melkbewegung.\nCouncil Bluffs Iowa (U.S.A.): Y im Handalphabet, Daumenspitzen an die entsprechende Schl\u00e4fenseite, kleine Finger aufw\u00e4rts gestreckt zur Hornandeutung. Drehende Bewegung des Handgelenkes, Umkehrung der Kleinfinger nach oben, um Liegen der Kuh anzudeuten.\nAls Gegenst\u00fcck eine Probe f\u00fcr die Darstellung abstrakter Begriffe:\nDer Begriff \u201eS\u00fcnde\u201d wird beispielsweise symbolisiert dnrcb folgende Ansdrnckshandgeb\u00e2rden :\nBerlin: Faust, mit aufgelegtem Daumen auf vier Fingern, st\u00f6\u00dft ein paarmal kurz hintereinander auf linke Brust (Herz), Handr\u00fccken au\u00dfen. Dasselbe Zeichen ein mal ausgef\u00fchrt = Bosheit. Dasselbe Zeichen, vorn K\u00f6rper streifend = \u00c4rger.\nPrag -Smichow : Geballte Faust zweimal mit Rechter auf linke Brustwarze.\nGroningen: Bei ernster, mi\u00dfbilligender Miene rechten Daumen an Herzgegend sto\u00dfen.\nLund: Hin- und Herfahren der Hand vor dem Leibe, als ob es im Herzen kratze.\nMailand: Sch\u00fctteln der Rechten vor der Stirn.\nBerchem St. Agathe in Brabant: F\u00fcnf Fingerspitzen der Rechten zweimal auf rechte Brustseite schlagen.\nBudapest: Rechte Hand zur Faust, rechter Daumen streicht zweimal rechte H\u00fcfte.\nCouncil Bluffs Iowa (U.S.A.): H\u00e4nde wie ,,G\u201d vor dem K\u00f6rper unter Taillenlinie halten, wobei Finger von entgegengesetzten Seiten zueinander gekehrt. Dann H\u00e4nde kreisf\u00f6rmig ein wenig von Seite fortbewegen. Dann gegeneinander nach vorn werfen, da\u00df Spitzen sich n\u00e4hern, ohne zu ber\u00fchren; das ganze mehrmals.\nMethodisch hat man die F\u00fclle dieser Geb\u00e4rden anch in B\u00fcchern festznhalten gesucht. Da\u00df dabei engste Beziehungen zur Mimik des Menschen aufzuweisen sind, liegt in der Matur der Geb\u00e4rde auch beim H\u00f6renden1); die Geb\u00e4rdenw\u00f6rterb\u00fccher f\u00fcr Taubstumme sind vielfach der Allgemeinheit nur schwer zug\u00e4nglich und hinsichtlich de V Ep\u00e9es Grundgedanken \u00fcberholt.\nx) Literatur bei JReuscJiert: Insbesondere The Bocket of Deaf and Dumb Signe, Cardiff; Rattel Otologische Bibliothek, Paris.","page":1113},{"file":"p1114.txt","language":"de","ocr_de":"1114\nFritz G-iese\n2. Anwendung der k\u00fcnstlichen Buchstabiermethode*\nBereits der Abb\u00e9 de VEp\u00e9e hatte klar erkannt, da\u00df die Geb\u00e4rdenmethode der nat\u00fcrlichen, individuellen Form dem Taubstummen niemals jene gedankliche Erziehung und Begriffspr\u00e4zision\nFig. 246. Fingeralphabet.\nverhei\u00dfen konnte, wie sie der H\u00f6rende durch das Alphabet gewinnt. Es mu\u00dfte also eine methodische Zeichensprache das Endziel werden, das allerdings nicht sofort von dem genialen Franzosen erreicht werden konnte. Sein Ziel war grunds\u00e4tzlich eine Sammlung","page":1114},{"file":"p1115.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1115\nfrei gew\u00e4hlter Zeichen, die zur Wort- und Satzanalyse im Unterricht, also zum Denkschulen der Taubstummen f\u00fchren konnte. Weiterhin mu\u00dfte so die Beziehung zu den Yollsinnigen auch im normal schriftlichen Verkehr, ausgehend vom fixierten Wortbild zum Schriftbild, erleichtert werden, wozu die Naturgeb\u00e4rde nie f\u00fchren kann. Wir k\u00f6nnen hier die Anfangsversuche der franz\u00f6sischen Schule, die eine Anpassung der franz\u00f6sischen Sprache und der Geb\u00e4rde an die Wortanalyse im grammatischen Sinne versuchten, au\u00dfer acht lassen.\nVon ihr aus endete sie in einer Methodik des Fingeralphabets, also einer buchstabierenden Ausdruckshand1).\nObenstehend ist das Fingeralphabet f\u00fcr Taubstumme angedeutet (Fig. 246).\nAls sp\u00e4ter die deutsche von Heiniche veranla\u00dfte Lautiermethode sich ausbreitete, trat die Buchstabiermethode der Ausdruckshand vielfach zur\u00fcck. Aber W. Stern2) betonte anl\u00e4\u00dflich des Taubstummenblindenproblems sehr richtig, da\u00df das Lautieren einen gewissen Abh\u00e4ngigkeitsgrad von der nat\u00fcrlichen Sch\u00fclerbegabung aufweise und da\u00df das polare ,,entweder\u201d Buchstabieren in Geb\u00e4rden ,,oder\u201d Lautieren nicht zu Recht best\u00fcnde; da\u00df wir Zwischenstufen in der individuellen Erziehung ansetzen m\u00fcssen, in denen vielfach die Geb\u00e4rde wichtiger wird als das Lautieren.\n3. Handicontrolle bei der Lautiermethode.\nDie Lautiermethode ber\u00fchrt unser Problem nicht mehr3).\nNur in einem Punkt kommt die Hand-, und zwar hier als Kontrollorgan in Betracht \u2014 n\u00e4mlich bei dem Versuch, die Laut-bildung im Kehlkopf abtasten zu lassen oder die Taktierung und Betonung des Wortes und der Wortfolgen in Selbstkontrolle durch Elektrisierung der Hand durchzuf\u00fchren.\nDas letztere hat Lindner4) in Leipzig versucht, wobei der Lernende den Nachteil monotonen und unrhythmischen Sprechens abstellen sollte, indem er vorgesprochene Musters\u00e4tze (die er zugleich in der Ablesemethode vom Mund apperzipierte) mittels Mikrophons bzw. vom Kehlkopf des Lehrers ab als Elektrisierstr\u00f6me in der Hand in rhythmisiert-taktierten Ganzheitsfolgen am kleinen Finger (Mikrophon) bzw. Zeigefinger (Kehlkopfbewegung) wahrnahm (Ferntasterverfahren).\nDiese Methode sei hier erw\u00e4hnt, ohne da\u00df wir sie n\u00e4her auseinandersetzen.\nx) H\u00e4r\u00e4tner: Deutscher Taubstummenkalender.\n3) W. Stern: Helen Keller. Berlin 1905.\n3)\tHierzu Stern: Differentielle Psychologie. Leipzig 1911.\n4)\tLindner: Der erste Sprachunterricht Taubstummer. P\u00e4d.-psychol. Arb. 1. (Leipzig 1910).","page":1115},{"file":"p1116.txt","language":"de","ocr_de":"1116\nFritz Giese\n2. Die Ausdruckshand bei den Blinden.\na) Handplastiken der Blinden.\nEine besondere Art der Ausdruckshandanwendungen hat sich im methodischen Herstellenlassen von Plastiken (in Plastilin, Lehm usw.) durch Blinde aufzeigen lassen.\nHierbei mu\u00dften die Blinden Gebilde, die sie praktische taktil kennengelernt hatten oder nur abstrakt durch das Wort in ihrem\nFig. 247. Yergleichende Kinderplastiken (Links oben: Blinde).\nBewu\u00dftsein trugen (,,Tempel, Kirche, Schiff\u201d) darstellen durch Knetarbeit1). Die Hand wurde also Ausdruckswert f\u00fcr das innerlich Vorgestellte. Wenn man in Parallele Taubstumme zu der gleichen Aufgabe f\u00fchrte, mu\u00dfte es nicht erstaunen, da\u00df der Blinde insbesondere bei abstrakteren Begriffen benachteiligt blieb. Die Plastik blieb demnach Ausdruck seiner k\u00fcmmerlichen Vorstellungsweise, soweit letztere an optisch-konkrete Dinge stark gebunden ist.\nL Vgl. Ausstellung auf dem III. Deutschen Kongre\u00df f\u00fcr Jugendbildung und Jugendkunde. Breslau 1913. (Ber. Leipzig 1914.)","page":1116},{"file":"p1117.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1117\nb) Tastalphabete.\nAusdruckshand wird ferner in allen sogenannten Tastalpha-beten vorliegen, nur mit dem Unterschied, da\u00df die Geb\u00e4rde weniger gesehen, als gef\u00fchlt werden mu\u00df, wobei der au\u00dferordentlich verfeinerte Tastsinn des Blinden seine erhebliche Ausdeutung erf\u00e4hrt. Ausdruckshand im eigentlichen Sinne liegt vor, wenn das Tastalphabet durch Bewegungen der Hand oder umgekehrt durch\nFig. 248. Tastalpbabet nach Pipetz.\nEmpfangen dieser Handgeb\u00e4rden zur Verwendung kommt. Von einer Ausdruckshand wird man kaum noch sprechen, wenn das Alphabet bereits durch abstrakte objektive Gebilde repr\u00e4sentiert ist. Hier wird man geneigt sein, eher von Arbeitshand zu reden. Wichtig ist dann endlich, noch die Apperzeptions- und Perzeptionsfolge dieser tastenden Arbeitshand kennenzulernen, was wiederum mit Ausdrueksgebung Zusammenh\u00e4ngen mu\u00df. Der Einfachheit halber besprechen wir alle drei Methoden hier gemeinsam, vermerken aber ausdr\u00fccklich, da\u00df eigentlich nur die erste im reinen","page":1117},{"file":"p1118.txt","language":"de","ocr_de":"1118\nFritz Griese\nSinne \u201eAusdruck\u201d sein mag. (Bemerkungen \u00fcber Blinde in der Werkarbeit und ihre gnostische Wahrnehmung mittels Tastsinns vgl. die obigen Abschnitte der Darstellung.)\nDeutsches Alphabet\n\u2022 \u25a0 \u2022 \u2022\t\tm \u2022\t\u2022 \u2022\tm m\t\u2022 \u2022\tm \u2022\t* \u2022\t\u2022 m\n\u2022 \u2022\t* \u2022\t\u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\tm \u25a0\t\u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\tm m\nA B\tC\tD\tE\tE\tG\tH\tI\tJ\nm \u25a0\t\u2022 \u2022\tmm\tmm\tm -\tmm\tm \u2022\tm *\t\u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\n\u2022 \u2022\t- \u2022\t\t\t\t\t\t\t\n\u2022 \u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\tm \u2022\t\u2022 \u2022\tm \u2022\t\u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\tm \u2022\t\u2022 \u2022\nK L\tAd\tN\t0\tP\ta\tR\tA\tT\n\u2022 \u2022 \u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\tmm\tm \u2022\t\t\t\t\u2022 m\t. %\n\t\u2022 \u2022\t- \u2022\t\u2022 \u2022\t\t\t\tm \u2022\tm m\n\t\t\t\t\t\t\t\u2022 \u2022\tm m\nU V\tA\tY\tZ\t\t\t\tAZ\tST\n\u2022 \u2022 \u2022 \u2022\t#\u2022 \u2022\tm m\t- m\t\u2022\t\u2022 \u2022\t\u2022 \u2022 \u2022\tm \u2022\tm - m\n\u2022 * \u2022 \u2022\t\u2022\tm\tm m\tm <\t\u00bb \u2022 (\ti m \u2022\t\u2022 \u2022\t. *\n- \u2022 \u00ab \u2022\t\u2022 \u2022 \u2022\tm \u25a0\tm \u25a0\tm\t\u2022 \u2022\t\u2022 m m\t* m\t\u00ae .\nAU EU\tEl CH SCH \u00dc\t\t\t\t\u00f6\tW AU IE \u00c4\t\t\nmm- \u2022\u2022\tmm\tm m\tm \u2022\tmm\tm m\tm \u2022\t- m\t\u2022 \u2022 \u2022 \u2022\n\u2022 \u2022 * m *\t\u2022 \u2022\t\u2022 m\t\u2022 \u2022\tm -\tmm\tm m\tm \u2022\tmm \u2022 m\n\u2022 m \u2022 *\t\t\t\t\t\t\t\t\u2022 \u2666 \u2022\u2022\n7\t2\t3\th\t5\t6\t7\t8\t9\tA ZihSer-\n\t\t\t\t\t\t\t\tZeichen\nm \u2022\t\u2022 -\tmm\tmm\tm -\tmm\tm m\tm *\t\u2022 m\t- \u00ab\n\u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\t\u2022 m\t\u2022 m\tm \u2022\tm m\t\u2022 t\tm \u2022\t\u2022 \u2022\n/ /\t\u2022\t\u2022\t2\t/\t0\t//\t\tfr\nGedankenstrich u. Apostroph A b teilen gszeichen\nFig. 249. Braillealphabet.\n1. Tastalphabet Pipetz.\nHierbei wird in Verbesserung1) nach Lorms Vorgang die Hand bestrichen oder betupft. An jeder Ortsstelle der H\u00e4nde kommt ein bestimmter Buchstabenwert vor. Die Blinden k\u00f6nnen so Zeichen\n1) Lorm-Landesmann: Tastalphabet. Br\u00fcnn; Riemann: Taubstumm und blind zugleich. Berlin 1916.","page":1118},{"file":"p1119.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1119\nablesen, die Tanbstnmmblinden sieb untereinander entsprechend unterhalten oder belehrt werden. Wir wissen von Helen Keller, welche ungeheure Erlebniswirknng das \u00bbHandtastsystem f\u00fcr sie besa\u00df1).\nDas Muster (Fig. 248) veranschaulicht die Methode grunds\u00e4tzlich.\n2. Brailleschrift.\nAm bekanntesten ist dann die Brailleschrift geworden, die den Tastsinn benutzt, um dem Blinden in erhabenen Punktzusammenstellungen Buchstabenlesen und Buchlesen zu vermitteln. Umgekehrt kann er mit Hilfe von Schreibmaschinen, die Brailletasten haben, auch f\u00fcr Normalsichtige schreiben oder mit Maschinen Brailleschrift fertigen2).\nDie Buchstabenpunktzeichen pflegen als Sechspunktsystem durchgearbeitet zu sein, passen sich als rechteckige Tastfl\u00e4che der\n\n>$-*% SPSr \u2022*-. ; \u2022 \u2022 \u201c.w. ^, Uv \u25a0\n'\"i'A-*\n\u2018sill\n\u00ab ' ' V\nFig. 250. Hand beim Braillelesen.\nFingerspitzentastraumfl\u00e4che gut an, wobei nach Versuchen Hellers die senkrechte Stellung des Rechteckes besonders vorteilhaft (gegen\u00fcber der amerikanischen Brailleschrift mit liegendem Recht-\n1)\tKeller: Geschickte meines Lebens. Stuttgart (ohne Jahr).\n2)\tB\u00fcrklen: Das Tastlesen der Blindenpunktschrift. Leipzig 1917; Strehl: Systematische Darstellung der Brailleschen Vollschrift. Marburg 1921; System. Anleitung zur \u00dcbertragung literarischer Werke. Marburg 1921; Steinberg: Raumwahrnehmung der Blinden. M\u00fcnchen 1920.","page":1119},{"file":"p1120.txt","language":"de","ocr_de":"1120\nFritz G-iese\neck) war. Die Tastpunkte sind halbkugelig und etwa rund 1 mm \u2022\thoch. Konische Punkte sind\nhaltbarer und pr\u00e4gnanter, wie BilrMen betont1) (Fig. 249).\n3. LeseaTct bei Blindenschrift.\nSehr wichtig war das Pro blem, methodisch den Leseakt .-s\tfestzuhalten. Hierzu kann die\na>\n^\tPhotographie an erster Stelle\n*S\tbenutzt werden.\nJj\tDie H\u00e4nde rutschen neben-\n|\teinander her, wird die Zeile ge-\n\u00ae\twechselt, pflegt die linke auf\n^\tdie n\u00e4chste Zeile vorzuspringen,\ng\tindessen die Eechte noch den\n%\tZeilenschlu\u00df der vorherigen\no\tLinie perzipiert (Fig. 250).\n|\tDas Tasten ist jedoch kein\n\u202253 einfacher Gleitvorgang, viel-^\tmehr mu\u00df, \u00e4hnlich wie bei den\n.2\tAugenbewegungen im Leseakt,\nig\tauch die Hand Hin- und Her-\nJj\tbewegungen machen, um Per-\n^\tzeption und Apperzeption zu\ng\tkoppeln. So hatte bereits J aval,\nbb\tHocheisen u. a. auf dieses Hin-\n\u2022 rH\n^\tund Herbewegen der Hand hin-\ngewiesen, hatte Gzermak von Tastzuckungen der Hand gesprochen2).\nB\u00fcrTden kam auf den guten Gedanken, den Lesevorgang der Blindenhand graphisch festzuhalten, indem er einen Tastschreiber auf den Lesefinger setzte, der mittels Bleistift auf unterlegtem Papierstreifen die\n1)\tHeller: Studien zur Blindenpsychologie. Leipzig 1904; B\u00fcrklen: a. a. 0.; v. Gerhardt: Materialien zur Blindenpsychologie. Halle 1917.\n2)\tJaval: Der Blinde und seine Welt. Hamburg und Leipzig 1904; Hocheisen: Der Muskelsinn Blinder. Berlin (ohne Jahr); Gzermak siehe B\u00fcrklen; ferner Wundt: Girundz\u00fcge der physiologischen Psychologie. Leipzig 1910. 6. Aufl.\n\u2022 \u2022\u2022\n\u2022 \u2022\u2022","page":1120},{"file":"p1121.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1121\nBewegungen mitschreibt. Au\u00dferdem kann das Lesetempo oder der Lesefehlergrad ermittelt werden.\nDie so entstellenden Tastlinien k\u00f6nnen in einfachsten F\u00e4llen nahezu geradlinig und glatt verlaufen, und zwar da, wo Tastruhe und Leseeinfachheit verbunden sind. Es entstehen ferner s\u00e4gef\u00f6rmige, m\u00e4anderartige Zuckungstastlinien, sobald der Text Schwierigkeiten macht, bisweilen sind verworrene Typen deutlich erkennbar. Die Tastlinie kann auch den Schwierigkeitsgrad andeuten und so erkennen lassen, ob und wann die Aufgabenstellung erheblich schwerer ward. Die Linien sind dann entsprechend verwickelter (s. Fig. 251).\nUm das Lesen gew\u00f6hnlicher Schrift zu erm\u00f6glichen, hat man mit Ausnutzung der Selenzelle akustische \u00dcbertragung beleuchteter Texte versucht, wobei der Blinde auch mit dem Kopfh\u00f6rer arbeiten kann. Durchschlagende Erfolge sind nicht bekannt geworden1).\n3. Die Hand der TaubstummMinden.\nAusdruckshand und Arbeitshand gehen endlich dauernd ineinander \u00fcber bei den so unendlich bedauerlichen F\u00e4llen Taubstummblinder, deren Problematik noch dadurch wachsen mu\u00df, da\u00df vielfach diese Personen zugleich geistige Minderwertigkeit offenbaren. Das ersch\u00fctternde Bild, das Biemann von seinen Patienten bietet, zeigt, da\u00df man hier nicht mehr die eine oder andere Form der Hand trennen kann, denn jede Verst\u00e4ndigung mit der Au\u00dfenwelt mu\u00df wechselnd geb\u00e4rdlich oder perzeptiv erfolgen, ferner sind in Doppelheit die Fragestellungen der Taubstummenhand und der Blindenhand naturgegeben. Auch die Hand als plastisches Organ wird verwendet, ebenso die Hand als Arbeitsorgan im Sinne der Blindent\u00e4tigkeiten (s. o. Industriearbeit der Blinden). Am klarsten erkennt man die Doppelheit des Handproblems, wenn man sich das Schreibenlernen vor st eilt, das hier taktil wie beim Blinden und lautlos wie beim Taubstummen vor sich gehen mu\u00df, wobei dauernd die Hand t\u00e4tig und f\u00fchlend wahrnehmen soll, gestikuliert und perizipiert. Diese Wahrnehmung i n der Arbeit l\u00e4\u00dft sich mit den \u00fcblichen simultanen Wahrnehmungen der normalen Arbeitshand beim Werkt\u00e4tigsein nicht vergleichen.\nAls Probe sei ein Schreiblernger\u00e4t abgebildet, das Biemann angibt2).\nHierbei werden ausgeschnittene Buchstabenformen nachgef\u00fchlt, wobei in den mittleren B\u00e4umen die Buchstaben ohne, in den \u00fcbrigen die mit L\u00e4ngen dargestellt sind. Beim Schreibenlernen wird \u2014 nachdem der Lernende die Abtastversuche hinter sich\n2) Eies: Blindenlesemaschine. M\u00fcnchen 1916.\n2) Biemann: Taubstumm und blind zugleich. Berlin 1916.","page":1121},{"file":"p1122.txt","language":"de","ocr_de":"1122\nFritz G-iese\nhat \u2014 die Hand am Finger anf der Tischplatte entsprechend gef\u00fchrt, worauf der Sch\u00fcler den Buchstaben liest. Manchmal wird unterst\u00fctzend und im Sinne obiger Pipetzmethode der Buchstabe auch i n die Hand geschrieben. Alsdann folgt endlich die bewu\u00dfte aktive Durchf\u00fchrung des Schreibvorganges durch den Sch\u00fcler. Da zudem alle F\u00e4lle von individueller Schwere sind, versteht sich, da\u00df mehr als diese allgemeinen Prinzipien nicht angedeutet werden k\u00f6nnen. Die Variation des Schreibens von Braille- oder Vormalschrift (manuell direkt oder manuell auf Maschine) l\u00e4\u00dft sich auch hier denken. Wieweit ein selten gl\u00fccklicher Fall von hoher Intelligenz trotz Taubstummblindheit gelangen kann, offenbart Helen Keller, die sogar promovieren durfte. Im allgemeinen ist aber die Arbeits-\nFig. 252. Buchstabenformen f\u00fcr Taubstummblinde.\nwie die Ausdruckshand der Taubstummblinden aus genannten Gr\u00fcnden von erschreckender Primitivit\u00e4t, bedeutet dadurch jedoch wissenschaftlich ein wertvolles Studienmaterial.\nZiele der Synthese.\nWenn wir abschlie\u00dfend die Methodenschau zur Hand \u00fcberblicken, verlohnt sich auch die Frage, welche k\u00fcnftigen wissenschaftlichen Anreicherungen aus einer geregelten Untersuchung derselben zu erwarten sein d\u00fcrften?\nDa\u00df die angewandten Wissenschaftsrichtungen bei der Arbeitshand und Ausdruckshand nicht leer ausgehen werden, versteht sich von selber. Man wird annehmen d\u00fcrfen, da\u00df beispielsweise die Charakterkunde, vor allem in Zusammenhang mit der biologischen Konstitutionsforschung, ihre Erfahrungen erweitern d\u00fcrfte. Man wird auch der spezifischen Anwendung in Sport und","page":1122},{"file":"p1123.txt","language":"de","ocr_de":"Psychologie der Arbeitshand\n1123\nK\u00f6rpererziehung gedenken, um die Bedeutung des Themas zu erkennen. Wichtiger w\u00e4re wohl der Hinweis, da\u00df das Studium der Arbeitshand das alte wirtschaftlich und ideell gerichtete Problem der Trennung von Kopfarbeit und Handarbeit n\u00e4her kl\u00e4ren m\u00f6chte. Schon alle bisherigen anf\u00e4nglichsten Befunde lassen andeuten, da\u00df diese ideologische Scheidung menschlicher Bet\u00e4tigung kaum in gleicher Form aufrechterhalten werden kann. Hie Trennung der menschlichen Kulturt\u00e4tigkeiten in leichte und schwere wird nicht minder durch die Arbeitshandforschung Aufhellungen erfahren. Wenn wir endlich \u00fcbergehen zu soziologischen Anwendungen oder zur P\u00e4dagogik, so bedeutet dort die Handforschung ein Element zur V\u00f6lkerdiagnose und zur Lebensraumforschung sowie ein Hilfsmittel wissenschaftlich fundierter Erziehung der Werdenden.\nAber alle diese angewandten M\u00f6glichkeiten stehen doch nicht allein in Aussicht. Man darf sagen, da\u00df auch die Theorie der Psychologie ihre Interessenahme am Gegenstand bekunden sollte!\nIm Problem der Arbeitshand ruhen Fragen, die heute die theoretische Psychologie rege besch\u00e4ftigen und die durch eine Kenntnisnahme der Untersuchungsverfahren f\u00fcr die Hand vielleicht auch einmal zu besonderen Fragestellungen f\u00fchren, welche durch den neuen Gegenstand entsprechende Belege empfangen.\nIn dem Arbeitshandproblem liegt an sich schon die eigenartige Entwicklung des menschlichen Individuums, dahin ausgepr\u00e4gt, da\u00df - zweifellos die werkt\u00e4tige Extremit\u00e4t in der Lage war, den Menschen auf eine Sonderstellung unter den Lebewesen \u2022zu bringen. Diese merkw\u00fcrdige Losl\u00f6sung des Menschen vom Tierreich durch die Hand, die Hypertrophie der Hand als Organ, ist entwicklungsgeschichtlich sehr beachtlich und kann andere die Intelligenz betreffenden Fragen vielleicht sogar erheblich kl\u00e4ren. Wir m\u00f6chten an die besonderen Beziehungen gemahnen, die zwischen optischer und manueller Entwicklung des menschlichen Lebewesens bestehen. Sicherlich mag das Handproblem f\u00fcr die Entwicklungspsychologie einmal von hervorragendem Werte sein. Liegt doch weiterhin in dieser Trennung des Menschen von der Tierreihe noch das Prinzip der Differenzierung der Hand sogar bis in die Gegenwart, selbst noch bei den Kulturv\u00f6lkern. Die funktionelle Differenzierung des Menschen wird, mit anderen Worten, auf dem Gebiete seiner manuellen Lebensform seinerzeit eine besondere entwicklungswichtige Bedeutung bekommen. Hypertrophie und Differenzierung sind als Grunds\u00e4tze individueller Entwicklung zumal bei der Hand von auffallender Wirkung gewesen.\nEndlich ruht dann des weiteren verborgen das ewige, stets gleich dunkle Problem der Leib-Seele-Beziehungen. Wo immer\nAbderhalden, Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil B/II.\t73","page":1123},{"file":"p1124.txt","language":"de","ocr_de":"1124\nFritz Griese: Psychologie der Arbeitshand\ndie Hand Gegenstand neuerer praktischer Fragestellung wurde, hat man einsehen m\u00fcssen, da\u00df diese Beziehung zweier Ebenen der Pers\u00f6nlichkeit gerade dort nicht durchsichtig ist. Die Ablehnung der Hand als w\u00fcrdigen Forschungsgegenstand in der Psychologie wird sich sp\u00e4ter kaum auffinden. Aber es ist kennzeichnend, da\u00df vormals diese Fragen allzu voreilig theoretischen Eingliederungen, daher auch Werturteilen unterstellt wurden. Das vertr\u00e4gt der Gegenstand \u201eHand\u201d nicht ganz so unvermittelt, als der Fernerstehende vermeint. Man braucht ja nur an die Erscheinung der \u00dcbung und Mit\u00fcbung geistiger Funktionen durch manuelles Training zu erinnern und an Befunde der neuzeitigen Sportmedizin, um die verwickeiteren Hintergr\u00fcnde zu ahnen. Die Darstellung der Elemente und der komplexen Strukturbildungen bei der Arbeitshand h\u00e4ngen ebenfalls mit Auffassungen zusammen, die heute die theoretische Psychologie in ihrer Er\u00f6rterung \u00fcber die Bedeutung der Teile und des Ganzen, des Komplexen und strukturell Gestalt-lichen dauernd, aber auf anderem Gebiete, bewegen. Es wird nicht unvorteilhaft sein, wenn man neben optische und akustische Beispiele auch einmal manuelle zu stellen sucht.\nFreilich, dieses Problem zeigt die kritische Grenze und so die Krisis der Psychologie \u00fcberhaupt. Gelenkmechanik-Physiologie: das waren die anderen M\u00f6glichkeiten einer Problemgestaltung! Auch hier wieder wird die Psychologie sich bescheiden m\u00fcssen und in kommissarischer Forschung mit Schwestergebieten k\u00fcnftig am weitesten gelangen.","page":1124}],"identifier":"lit39661","issued":"1935","language":"de","pages":"805-1124","startpages":"805","title":"Psychologie der Arbeitshand","type":"Book Section"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:27:39.812749+00:00"}