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{"created":"2022-01-31T12:48:36.521225+00:00","id":"lit39671","links":{},"metadata":{"alternative":"Die Wissenschaft: Sammlung naturwissenschaftlicher und mathematischer Monographien","contributors":[{"name":"Bernstein, Julius","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn","fulltext":[{"file":"a0001.txt","language":"de","ocr_de":"Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig\n\\A/ic corner'ha ff Samrnlun9 naturwissenschaftlicher L-MC VV loocl loL.1 lall u. mathematischer Monographien\nNeueste B\u00e4nde:\n40.\tHeft. Schmidt, Ingenieur Fr., Die Leuchtgaserzeugung u. die moderne Gasbeleuchtung (Pre\u00dfgasbeleuchtung usw.). Mit 63 Abbild. 1911. Ji 2,50, in Lnwdbd. Ji 3,20.\n41.\tHeft. Lodge, Sir Oliver, Der Welt\u00e4ther, \u00fcbersetzt von\nHilde Barkhausen. Mit 17 Textabbildungen und einer Tafel. 1911.\tJi 3,-, in Lnwdbd. Jft 3,60.\n42.\tHeft. Lampa, Prof. Dr. Otto, Wechselstromversuche. Mit 54 Abbild. 1911. Jf, 5,\u2014, in Lnwdbd. Ji 5,80.\n43.\tHeft. Markau, Dr. K., Die Telephonie ohne Draht. Mit 103 Abbild. 1912. Ji 4,50, in Lnwdbd. JI 5,20.\n44.\tHeft. Bernstein, Julius, Elektrobiologie. Die Lehre von den elektrischen Vorg\u00e4ngen im Organismus auf moderner Grundlage dargestellt. Mit 62 Abbildungen. 1912.\nJi 6,\u2014, in Lnwdbd. Jt 6,80.\n45.\tHeft. Pohl, Dr. Robert, Die Physik der R\u00f6ntgen-\nstrahlen. Mit 72 Abbildungen im Text und auf einer Tafel. 1912.\tJi 5,-, in Lnwdbd. Ji 5,80.\nDemn\u00e4chst werden erscheinen:\nPhysikalische Grundlagen der Elektrotechnik. Von F. Martens (2 Bde.).\nDas Leuchten der Gase und D\u00e4mpfe. Von Professor Dr. H. Konen.\nMimikry. Von Prof. Dr. Jacobi.\nDie Arbeitsbiene. Von Prof. Dr. von Buttel-Reepen.\nEin vollst\u00e4ndiges Verzeichnis der Sammlung mit Inhaltsangabe der ::\teinzelnen B\u00e4nde befindet sich am Schlu\u00df dieses Buches ::","page":0},{"file":"a0003.txt","language":"de","ocr_de":"DIE WISSENSCHAFT\nSAMMLUNG\nNATURWISSENSCHAFTLICHER UND MATHEMATISCHER MONOGRAPHIEN\nVIER l XI) TI ER ZIG ST E 8 HEFT\nELEKTROBIOLOGIE\nDIE LEHRE VON DEN ELEKTRISCHEN VORG\u00c4NGEN IM ORGANISMUS AUF MODERNER GRUNDLAGE DARGESTELLT VON\nJULIUS BERNSTEIN\nMIT 62 ABBILDUNGEN IM TEXT\nBRAUNSCHWEIG\nDRUCK UND VERLAG VON ERIEDR. VIEWEG & SOHN\n19 12","page":0},{"file":"a0004.txt","language":"de","ocr_de":"ELEKTROBIOLOGIE\nDIE LEHRE VON DEN\nELEKTRISCHEN VORG\u00c4NGEN IM ORGANISMUS AUF MODERNER GRUNDLAGE DARGESTELLT\nTON\nJULIUS BERNSTEIN\nO. \u00d6. PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSIT\u00c4T HALLE A. S.\nMIT 62 ABBILDUNGEN IM TEXT\nBRAUNSCHWEIG\nDRUCK UND VERLAG VON ERIEDR. VIEWEG A SOHN\n19 12","page":0},{"file":"a0005.txt","language":"de","ocr_de":"Alle Rechte,\nnamentlich dasjenige der \u00dcbersetzung- in fremde Sprachen, Vorbehalten.\nCopyright, 1912, by Friedr. Yieweg & Sohn, Braunschweig, Germany.","page":0},{"file":"a0006introduction.txt","language":"de","ocr_de":"VORWORT.\nIndem ich dieses Buch der \u00d6ffentlichkeit \u00fcbergebe, m\u00f6chte ich \u00fcber den Inhalt desselben und die Darstellung des darin behandelten Stoffes einiges vorausschicken. Bereits im Jahre 1904 wurde ich aufgefordert, f\u00fcr die Sammlung, in welcher dieses Buch erscheint, ein Werk \u00fcber \u201edie Bioelektrizit\u00e4t nach modernen Anschauungen\u201c zu schreiben. Wenn ich jetzt erst dieser Aufforderung Gen\u00fcge leiste, so m\u00f6chte ich zu meiner Rechtfertigung das Horazische \u201eNonum prematur in annum\u201c f\u00fcr mich in Anspruch nehmen. Nachdem ich im Jahre 1902 durch Aufstellung der \u201eMembrantheorie der bioelektrischen Str\u00f6me\u201c dazu beigetragen hatte, einer neuen Richtung in der Elektrophysiologie freie Bahn zu schaffen, bedurfte es zur Festigung dieser Theorie und Weiterentwickelung derselben noch vieler Spezialuntersuchungen, mit denen ich und meine Sch\u00fcler in den letzten zehn Jahren besch\u00e4ftigt waren. Dazu kam, da\u00df sehr bald das Interesse f\u00fcr die elektrophysiologische Forschung durch Ausbildung der graphischen Untersuchungsmethoden mit Hilfe des Kapillarelektrometers und des Saitengalvanometers einen neuen Aufschwung nahm. So war in dieser Zeit in dem Gebiete der Elektrophysiologie vieles in best\u00e4ndigem Flu\u00df, und erst jetzt ist ein Zeitpunkt eingetreten, in welchem ein vorl\u00e4ufiger Abschlu\u00df dieses Gebietes m\u00f6glich erscheint.","page":0},{"file":"a0007.txt","language":"de","ocr_de":"VI\nDieses Buch soll nun haupts\u00e4chlich die Aufgabe erf\u00fcllen, weiteren Kreisen der f\u00fcr physiologische Forschung sich interessierenden Leser, wie dem Mediziner, dem Physiker, Chemiker, Techniker und allen naturwissenschaftlich Gebildeten die Grundlagen der modernen Lehre von der Bioelektrizit\u00e4t zur Kenntnis zu bringen. Au\u00dferdem aber hat die stetige experimentelle Arbeit, mit der ich bis in die letzte Zeit zur Ausarbeitung dieser Lehre besch\u00e4ftigt war, es mit sich gebracht, da\u00df in diesem Buche auch eine Reihe neuer Tatsachen und daraus geschlossener Folgerungen zum ersten Male ver\u00f6ffentlicht werden. Daher hoffe ich, da\u00df auch meine Fachkollegen diesem Buche ihr Interesse zuwenden werden.\nDie Begr\u00fcndung des Titels dieses Buches als-\u201eElektrobiologie\u201c, welche gegen\u00fcber dem bisher \u00fcblichen Ausdruck \u201eElektrophysiologie\u201c einen erweiterten Begriff dieses Gebietes der Biologie bezeichnen soll, wird man am Schl\u00fcsse des Buches in der \u201eZusammenfassung und Schlu\u00dfbetrachtung\u201c finden.\nHalle a. S., im August 1912.\nJulius Bernstein.","page":0},{"file":"a0008contents.txt","language":"de","ocr_de":"INHALTSVERZEICHNIS.\nSeite\nVorwort.............................................. V\nInhaltsverzeichnis...................................VII\nErstes Kapitel.\nHistorisches und Einleitung................ 1\nGalvani, Volta, Zuckung ohne Metalle. Al. v. Humboldt, Nobili, Matteucci, Emil du Bois-Beymond, Elektroden. Muskelstrom. Der verletzte und unverletzte Muskel. Tetanus und negative Schwankung. Sekund\u00e4re Zuckung und Tetanus. Nervenstrom. Negative Schwankung desselben. Heizleitung und doppelsinniges Leitungsverm\u00f6gen der Nerven. Molekulartheorie von du Bois-Beymond. Alterationstheorie von L. Hermann.\nZweites Kapitel.\nTheorie der elektrischen Ketten.............. 21\nTheorie von W. Gibbs und H. v. Helmholtz. Ereie Energie und Temperaturkoeffizient derselben. Temperaturkoeffizient der elektromotorischen Kraft der Ketten. Voltasche Ketten und Konzentrationsketten. Wanderung der Ionen. Nernstsche Theorie der Konzentrationsketten. Elektromotorische Kraft derselben. Phasengrenzkr\u00e4fte nach Nernst und Biesenfeld.\nDrittes Kapitel.\nElektrische Torg\u00e4nge in Nerven und Muskeln in ihrer Beziehung zur Erregung, Beizleitung und Kontraktion . .\t39\nHeizleitung und negative Schwankung. Untersuchungen mit dem Differentialrheotom von J. Bernstein. Die Beizwelle des Nerven und des Muskels. Beizwelle und Kontraktionswelle des Muskels. Versuche mit dem Kapillarelektrometer und dem Saitengalvanometer. Beizwelle und Aktionsstr\u00f6me. Elektrische und mechanische Prozesse im Muskel, ihre Beziehung zu den chemischen Prozessen. Physiko-chemische Theorien des Muskels. Tetanus, Beizfrequenz. Nat\u00fcrliche Kontraktion.","page":0},{"file":"a0009.txt","language":"de","ocr_de":"y ni\nViertes Kapitel.\nSeite\nFortsetzung und elektrische Vorg\u00e4nge in anderen Organen .\t74\nAktionsstr\u00f6me und Reizwelle des Nerven. Absolute Gr\u00f6\u00dfe derselben. Reizwellen der Nerven im lebenden K\u00f6rper. Elektrische Reaktion der Zentralorgane. Aktionsstr\u00f6me des Herzens.\nDas Elektrokardiogramm. Glatte Muskelfasern und ihre elektrischen Eigenschaften. Die Str\u00f6me der Netzhaut, Lichtreaktion derselben.\nF\u00fcnftes Kapitel.\nDie Membrantheorie.................. 87\nSemipermeable Membranen nach Pfeffer, elektrische Eigenschaften derselben nach W. Ostwald. Versuche von Oker-Blom, Untersuchungen von J. Bernstein \u00fcber das Verhalten des Muskelstromes zur absoluten Temperatur. Die elektrische Membrantheorie. Das Membranpotential hat seinen Sitz am L\u00e4ngsschnitt. Pr\u00e4existenz und Alteration. Versuche von H\u00f6her \u00fcber Einwirkung von Elektrolyten. Verhalten des Nervenstromes zur absoluten Temperatur und Membranpotential des Nerven. Die negative Schwankung und die Aktionsstr\u00f6me nach der Membrantheorie.. Wahrer Wert des Membranpotentials.\nSechstes Kapitel.\nDie elektrischen Organe.................108\nBau der elektrischen Organe. Richtung und zeitlicher Verlauf des Schlages. Kraft desselben. Temperaturkoeffizient der Kraft. Das elektrische Organ, eine Konzentrationskette. Anwendung der Membrantheorie. Thermodynamische Untersuchung des Organs von Bernstein und Tschermak. Chemische Zusammensetzung.\nSiebentes Kapitel.\nInnere Polarisation und elektrische Reizung ... 130\nElektrotonus und innere Polarisation der Nerven und Muskeln. Kernleiter nach L. Hermann. Membranpolarisation. Gesetz der polaren Erregung des Kat- und Anelektrotonus nach der Membrantheorie. Energetische Auffassung der Reizbarkeit und physiologischen Leistung. Gesetz der elektrischen Reizung. Formeln von duBois-Reymond, Hoorweg, G. Weiss, Nernst. Allgemeinere Formel, Deutung nach der Membrantheorie.","page":0},{"file":"a0010.txt","language":"de","ocr_de":"XX\nAchtes Kapitel.\nSeite\nHaut- und Dr\u00fcsenstr\u00f6me. Ihre Bedeutung f\u00fcr die Sekretion und Resorption. Die Elektroosmose. Elektroosmotische\nMembrantheorie.....................151\nStr\u00f6me der Frosehhaut und anderer H\u00e4ute. Die Sekretionszelle. Negative und positive Schwankung hei der Beizung. Deutung nach der Membrantheorie. Die Resorptionszellen der \u00e4u\u00dferen Haut und der Sehleimh\u00e4ute des Darmes. Die physikalische Elektroosmose. Elektroosmotische Membrantheorie der Sekretion und Besorption. Elektroosmotische Eigenschaft semipermeabler Membranen.\nNeuntes Kapitel.\nUrspr\u00fcngliche physiologische Bedeutung des Membranpotentials der Zellen. Die Wasserbindung in den Zellen.\nGenese der elektrischen Eigenschaften der Organe.\nDie Pilanzenstr\u00f6me..................165\nDie Wasserbindung in den Zellen durch osmotischen Druck und durch das Membranpotential. Versuche \u00fcber die Verdunstung lebender und toter Membranen und Organe; Versuche an der Froschhaut, an Pflanzenbl\u00e4ttern, an Muskeln.\nDie lebende Zelle bindet d'as Wasser st\u00e4rker als die tote. Erkl\u00e4rung nach der elektroosmotischen Membrantheorie. Die bioelektrischen Str\u00f6me und die Reizbewegungen an Pflanzen.\nZehntes Kapitel.\nDie Elektrokinese...................181\nVerhalten der Kolloide im Potentialgef\u00e4lle. Theorie der Ausf\u00e4llungen und Gerinnungen derselben. Die Suspensionskolloide und hydrophilen Kolloide. Das Verhalten von suspendierten Zellen im Potentialgef\u00e4lle. Die Bewegung der Kernf\u00e4den bei der Zellteilung (Karyokinese) als Elektrokinese.\nZusammenfassung\tund Schlu\u00dfbetrachtung.................196\nAnhang.....................................................206\nSach- und Namenregister....................................213","page":0},{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"Erstes Kapitel.\nHistorisches und Einleitung'.\nNachdem Galvani im Jahre 1786 beobachtet hatte, da\u00df Zuckungen in den Muskeln auftreten, wenn man dieselben oder ihre Nerven mit einem Bogen zweier Metalle, z. B. aus Zink und Kupfer, ber\u00fchrt, glaubte man eine Zeitlang damit das Vorhandensein einer tierischen Elektrizit\u00e4t entdeckt zu haben, die in diesen Organen als Lebenskraft wirke. Bei Gelegenheit eines Gewitters stieg er auf die Terrasse seines Hauses in Bologna, um den Einflu\u00df der atmosph\u00e4rischen Elektrizit\u00e4t auf tierische Organe zu untersuchen, und hing an dem eisernen Gitter der Terrasse mit einem Metallhaken frisch pr\u00e4parierte Froschschenkel auf. Die bei zuf\u00e4lligen Ber\u00fchrungen der Schenkel mit beiden Metallen auftretenden Zuckungen waren der denkw\u00fcrdige Ausgangspunkt einer-gro\u00dfen Reihe von Untersuchungen, welche zu den bekannten Entdeckungen Voltas f\u00fchrten. Obgleich dieser \u00fcberzeugend nachwies, da\u00df jene Zuckungen nicht die Folge einer Muskel- und Nervenelektrizit\u00e4t seien, sondern durch den Strom entstehen, den die Metalle mit den Organen als feuchten Leitern erzeugen, so hielt Galvani doch an seiner \u00dcberzeugung fest. Aber auch die von ihm beobachteten Zuckungen, welche bei Anlegung eines Bogens aus ein und demselben Metall entstehen k\u00f6nnen, erkl\u00e4rte Volta ebenfalls durch die Ungleichartigkeiten desselben Metalles an den ber\u00fchrten Stellen, was sich auch sp\u00e4terhin vollkommen best\u00e4tigte. Nichtsdestoweniger fand Galvani bei seinen rastlosen Bem\u00fchungen, seine Theorie zu st\u00fctzen, einen merkw\u00fcrdigen Versuch, die \u201eZuckung ohne Metalle\u201c, welche allerdings, wie sich erst sp\u00e4ter, namentlich durch die Untersuchungen du Bois-Reymonds herausstellte, ein wirklicher Beweis f\u00fcr das Vor-\nBernstein, Elektrobiologie.\ti","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nhandensein eines physiologischen Stromes des Muskels gewesen ist. Wenn man n\u00e4mlich den Nerven eines Froschschenkels, Nervus ischiadicus, auf die Hinterfl\u00e4che des Wadenmuskels, Musen lus gastrocnemius, so auffallen l\u00e4\u00dft, da\u00df er Bauch und untere Sehne desselben, die Achillessehne, in gr\u00f6\u00dferer Ausdehnung pl\u00f6tzlich ber\u00fchrt, so entsteht h\u00e4ufig eine Zuckung des Muskels. Sie ist nicht die Folge einer mechanischen Ersch\u00fctterung des Nerven beim Auffallen, denn sie entsteht nicht beim Auffallen des Nerven auf eine andere harte Unterlage, z. B. eine Glasplatte1). Der Strom des Muskels ergie\u00dft sich vielmehr in dem Moment der Ber\u00fchrung durch den Nerven und erzeugt so eine Reizung desselben. Doch nicht immer tritt dieser Erfolg ein. Es ist dies, wie wir sehen werden, wesentlich vom Zustande des Muskels abh\u00e4ngig. Dagegen treten Zuckungen konstant auf, wenn man, wie Alex. v. Humboldt sah, den Nerven eines Schenkels an die Oberfl\u00e4che und den Querschnitt eines lebenden Muskels anlegt, ebenfalls ein Beweis f\u00fcr das Vorhandensein eines bioelektrischen Stromes. Gal van i stellte sich vor, da\u00df der Muskel und Nerv sich wie eine geladene Leidener Flasche verhielte, da\u00df die Oberfl\u00e4che des Muskels mit der einen, das Innere desselben mit der anderen Elektrizit\u00e4t geladen seien, und da\u00df der Nerv, der in das Innere eintritt, gleichsam den Konduktor bilde. Nachdem Nobili bald nach der Erfindung des Multiplikators durch Schweigger und Poggendorff denselben durch Anwendung des astatischen Nadelpaares empfindlicher gemacht hatte, beobachtete er an den enth\u00e4uteten unteren Gliedma\u00dfen des eben get\u00f6teten Frosches einen von den Zehen nach der Wirbels\u00e4ule flie\u00dfenden Strom, den er den Froschstrom nannte, und dann zeigte Matt eue ci, da\u00df auch der einzelne frische Muskel einen Strom erzeugt, wenn man seine Oberfl\u00e4che mit einem Querschnitt verbindet. Er behauptete, da\u00df die Oberfl\u00e4che eines Muskels positive, das ganze Innere desselben negative Spannung bes\u00e4\u00dfe. Aber erst durch die ausgezeichneten und umfassenden Untersuchungen Emil du Bois-Reym onds2) ist das Gesetz des Muskelstromes festgestellt worden.\n1)\tBeim Auffallen auf eine Metallplatte k\u00f6nnen Zuckungen durch Ungleichartigkeiten der ber\u00fchrten Metalloberfl\u00e4che auftreten.\n2)\tUntersuchungen \u00fcber tierische Elektrizit\u00e4t, I. Bd. 1848; II, 1, 1849, II, 2, 1884.","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"3\t\u2014\nLange Zeit war die Ableitung der Str\u00f6me von den tierischen Organen eine unvollkommene, weil polarisierbare. Man tauchte Platinelektroden in konzentrierte CI Na - L\u00f6sung und brachte zwischen die Organe und CINa-L\u00f6sung indifferente Fl\u00fcssigkeiten, wie Eiereiwei\u00df, welche die Organe nicht angriffen. Die Ungleichartigkeit und Polarisierbarkeit derselben stellten aber der Untersuchung viele Schwierigkeiten entgegen, da schwache Str\u00f6me durch Polarisation der Platinplatten aufgehoben werden. Erst sp\u00e4ter konstruierte du Bois-Reymond die jetzt gebr\u00e4uchlichen unpolari-sierbaren Elektroden, welche aus amalgamiertem Zink in kon-\nFig. 1.\nUnpolarisierbare Elektroden von E. du Bois-Reymond.\nzentrierter Zn S04-L\u00f6sung und physiologischer CINa-L\u00f6sung, 0,6 bis 0,8 Proz., welche die Organe nicht angreift, zusammengesetzt sind. Fig. 1 gibt die gebr\u00e4uchliche Form derselben wieder. Sie bestehen aus zwei platten R\u00f6hrchen, welche unten mit einer Tonspitze aus reinem Modellierton geschlossen werden, der mit physiologischer Kochsalzl\u00f6sung getr\u00e4nkt ist. In die R\u00f6hrchen wird die ZnS04-L\u00f6sung eingef\u00fcllt, in welche die Zinkelektroden eintauchen. Diese Elektroden sind unpolarisierbar, da sie in bezug auf das Kation Zn+ + umkehrbar sind. Zn wandert von der Anode zur Kathode und scheidet sich in letzterer ab, w\u00e4hrend S04 nach der Anode wandert und dort Zn aufl\u00f6st. Es \u00e4ndern sich nur die Konzentrationen der Zn-L\u00f6sungen an den Elektroden durch die verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig schwachen Str\u00f6me in sehr geringem\n1*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nMa\u00dfe, und diese wird durch den entgegengesetzten gleich starken Strom wieder r\u00fcckg\u00e4ngig gemacht.\nSp\u00e4ter sind auch die von Helmholtz und Ostwald zu physikalischen Zwecken angegebenen Quecksilber-Kalomelelektroden in Gebrauch genommen worden. Dieselben bestehen aus der Kombination von Quecksilber, welches mit Kalomelpulver, Hg2012, bestreut wird, wor\u00fcber die L\u00f6sung eines Alkalichlorids geschichtet wird nach dem Schema:\n-\u25a0 \u2022 \u2022 Hg\u00e4, Hg2-Hg2Cl.2-Hg2Cl2-Na2Cl2-Na2Cl2-Hg2Cl2-Hg2Cl2-Hg2, Hg2\u25a0 \u2022 \u25a0 + -h-\nGeht der Strom in der Richtung des Pfeiles hindurch, so erkennt man, da\u00df sich an der Anode, nach welcher Cl2 wandert, Hg2 Cl2 bildet, und an der Kathode, nach welcher Na2 wandert, sich Hg2 und Hg2Cl2 ausscheidet. Hgg Cl2 wirkt als Depolarisator. Diese Elektroden sind daher unpolarisierbar und in bezug auf das Anion (Cl\u2014) umkehrbar. Fig. 2 zeigt die von Oker-Blom zu physiologischen Zwecken angegebene Form der Hg-Kalo m elelektroden.\nMan benutzt bei beiden Elektroden arten zur Verbindung mit den Organen die physiologische CINa- L\u00f6sung, weil diese die Organe nicht angreift, da sie denselben osmotischen Druck wie die Fl\u00fcssigkeiten der Organismen, das Blut, die Lymphe und Gewebss\u00e4fte besitzt, und weil in diesen das CINa nebst geringen Mengen anderer Salze in nahezu derselben Konzentration jBTKalomel, CXNa physiologische\tist. In U.6F ph.yS10l0glSC116n\nQuecksilber-Kalomel-Elektroden. nach Oker-Blom.\nClNa-L\u00f6sung, P Pinsel zur Ableitung.\nKochsalzl\u00f6sung bleiben daher die Nerven und Muskeln lange Zeit in lebendem Zustande gut reizbar und funktionsf\u00e4hig. Die geringen Potentialdifferenzen zwischen Zinkl\u00f6sung oder Hg2Cl2- und ClNa-L\u00f6sung heben sich auf beiden Seiten auf, und die Gewebsfl\u00fcssigkeiten, mit denen die Organe imbibiert und befeuchtet sind, k\u00f6nnen an beiden Elektroden mit der physiologischen Kochsalzl\u00f6sung in bezug auf die in ihnen enthaltenen Elektrolyte als gleich angesehen werden.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"5\nDas yonE. du Bois-Reymond gefundene Gesetz des Muskel-Stromes kann nur an einem regelm\u00e4\u00dfig gestalteten Muskel, der aus gleich langen parallelen Fasern besteht, festgestellt werden. Begrenzt man denselben durch zwei k\u00fcnstliche Querschnitte, indem man die meist unregelm\u00e4\u00dfig gestalteten Sehnenenden mit dem Messer abtrennt, wie Fig. 3 zeigt, so erh\u00e4lt man folgendes Resultat: Die L\u00e4ngsoberfl\u00e4che des Muskels, welche man den \u201enat\u00fcrlichen L\u00e4ngsschnitt\u201c nennt, zeigt positive, und der k\u00fcnstliche Querschnitt zeigt negative Spannung, oder der L\u00e4ngsschnitt ist der positive, der Querschnitt der negative Pol des Muskels, den wir als eine physiologische Kette betrachten k\u00f6nnen. Der abgeleitete Strom flie\u00dft, wie die Fig. 3 zeigt, in einem abgeleiteten Galvanometerkreise von dem L\u00e4ngsschnitt L zum Querschnitt Q, und in dem Muskel selbst vom Querschnitt zum L\u00e4ngsschnitt. Man hat diesen Strom somit auch zweckm\u00e4\u00dfig den \u201eL\u00e4ngsquerschnittstrom\u201c \u2018) genannt. Da zur Erzeugung dieses Stromes eine Verletzung der Muskelfasern in ihrer Kontinuit\u00e4t erforderlich ist, so hat man die durch Verletzung entstehenden Str\u00f6me auch allgemein \u201eL\u00e4sionsstr\u00f6me\u201c genannt. Man findet daher, da\u00df eine durch Quetschung, \u00c4tzung oder st\u00e4rkere Erhitzung abget\u00f6tete Stelle des Muskels sich negativ gegen die lebende Partie desselben verh\u00e4lt, und zwar im allgemeinen ebenso stark, wie der k\u00fcnstliche Querschnitt gegen den L\u00e4ngsschnitt. Man\nMuskelstr\u00f6me zwischen L\u00e4ngsschnitt und Querschnitt.\n') L. Hermann hat sich in seinen ersten Arbeiten \u00fcber diesen Gegenstand des Ausdruckes \u201eDemarkationsstrom\u201c bedient, hat ihn aber sp\u00e4ter zugunsten des obigen fallen lassen. Auch ich mu\u00df ihn verwerfen , da in ihm schon die Voraussetzung einer Theorie liegt. Demarkation bedeutet bekanntlich in der Pathologie den Proze\u00df der Abgrenzung des lebenden vom toten Gewebe beim Vorg\u00e4nge der Heilung (s. weiter unten Theorie).","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nkann statt mit dem Messer auch durch Erw\u00e4rmen auf 45 bis 50\u00b0 einen sogenannten \u201eW\u00e4rmequerschnitt\u201c an dem Muskel anbringen.\nUntersucht man den regelm\u00e4\u00dfigen, mit zwei k\u00fcnstlichen senkrechten Querschnitten begrenzten Muskel genauer, indem man verschiedene Punkte des nat\u00fcrlichen L\u00e4ngsschnittes und k\u00fcnstlichen Querschnittes ableitet, so findet man, da\u00df jede beliebige Stelle des L\u00e4ngsschnittes und Querschnittes einen Strom liefert, aber von ungleicher Kraft. Die gr\u00f6\u00dfte Potentialdifferenz herrscht zwischen den Mittelpunkten des L\u00e4ngsschnittes und dem Mittelpunkt des (kreisf\u00f6rmig gedachten) Querschnittes; dieselbe betr\u00e4gt bei frischen, kr\u00e4ftigen Froschmuskeln 0,04 bis\nFig. 4.\n0,08 Volt. Von diesen Stellen aus nehmen nach beiden Seiten die Potentialdifferen-zen ab. Daraus folgt, da\u00df auch Punkte des L\u00e4ngsschnittes und solche des Querschnittes schw\u00e4chere Str\u00f6me geben m\u00fcssen, wie Fig. 4 zeigt. Legt man senkrecht durch die Mitte des Muskels eine Ebene AA, den\n\u201e\u00c4quator\u201c, so sind alle dem \u00c4quator n\u00e4heren Punkte positiv gegen die entfernteren, zwei symmetrisch zum \u00c4quator gelegene Punkte dagegen geben keinen Strom. Ebenso zeigen gr\u00f6\u00dfere Querschnitte schwache Str\u00f6me, indem die dem Mittelpunkt n\u00e4heren Stellen negativ gegen entferntere sind.\nNicht nur der nat\u00fcrliche, sondern auch der k\u00fcnstliche L\u00e4ngsschnitt, den man durch L\u00e4ngsspaltung eines Muskels erh\u00e4lt, zeigt gegen den k\u00fcnstlichen Querschnitt dieselbe Potentialdifferenz. Zerfasert man einen Muskel in m\u00f6glichst d\u00fcnne lange B\u00fcndel von Muskelfasern, so zeigen auch diese dieselben Eigenschaften , abgesehen davon, da\u00df bei dieser Pr\u00e4paration leicht Verletzungen auftreten k\u00f6nnen. W\u00e4re es daher m\u00f6glich, eine einzelne Muskelfaser in unverletztem, lebendem Zustande zu pr\u00e4parieren, so unterl\u00e4ge es hiernach keinem Zweifel, da\u00df auch diese","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"7\neinen Strom in demselben Sinne geben w\u00fcrde. Hiermit war von du Bois-Reymond die Matteuccische Ansicht, da\u00df das ganze Innere des Muskels negativ gegen die Oberfl\u00e4che w\u00e4re, widerlegt. Die Str\u00f6me des ganzen Muskels setzen sich aus denen der einzelnen Muskelfasern zusammen. Die Potentiale des ganzen Muskels sind aber denen der einzelnen Fasern gleich, wenn diese alle sich in gleichem Zustande befinden. Die Kette des ganzen Muskels besteht aus den nebeneinander geschalteten Elementen der einzelnen Fasern, vergleichbar einer Kette, deren positiven und negativen Pole miteinander leitend verbunden sind.\nMg. 5.\nK\nb\nMessung der elektromotorischen Kraft durch Kompensation.\nDa die einzelnen Fasern und Faserb\u00fcndel von leitenden indifferenten Geweben (Bindegeweben und Gef\u00e4\u00dfen) mehr oder weniger umh\u00fcllt sind, so m\u00fcssen nach Anlegung des Querschnittes innere Str\u00f6me entstehen, deren Intensit\u00e4t wegen des geringen Widerstandes in den kurzen Strecken unmittelbar am Querschnitt gr\u00f6\u00dfer sein mu\u00df, als die des abgeleiteten Stromes in dem angelegten Galvanometerkreis. Daraus folgt, da\u00df die wirkliche Potentialdifferenz zwischen L\u00e4ngs- und Querschnitt gr\u00f6\u00dfer sein mu\u00df als die gemessene.\nDie elektromotorische Kraft des abgeleiteten Stromes mi\u00dft man mit Hilfe der bekannten Poggendorff-du Bois-Reymond-schen Kompensationsmethode, indem man von einer bekannten Kette durch einen Rheochordwiderstand einen Zweigstrom von gleicher St\u00e4rke abnimmt und ihn in entgegengesetzter Richtung durch Muskel und Galvanometer leitet, wie es Fig. 5 zeigt. Von der","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nKette K geht die Hauptleitung durch den Rheochorddraht ab und ein Nebenstrom von den Punkten a und dem Schleifkontakt C durch das Galvanometer g in den Muskel M. Hat der Muskelstrom von der Richtung des Pfeiles m dieselbe Kraft, wie der Kompensationsstrom von der entgegengesetzten Richtung p, so steht das Galvanometer auf Null. Die Potentialdifferenz e des Muskels ist gleich der der Punkte a und c. Ist der Widerstand der Leitung KabE = W, der von ac = w, die Kraft von E = JE, so ist\nMan kann ferner sich zur Bestimmung der Potentialdifferenzen auch zweckm\u00e4\u00dfig eines Elektrometers bedienen, eines Thomson-schen Quadrantelektrometers oder eines Kapillarelektrometers von hinreichender Empfindlichkeit.\nDer unverletzte Muskel, von einem eben get\u00f6teten Tiere sorgf\u00e4ltig mit seinen beiden Endsehnen pr\u00e4pariert, zeigt entweder nur schwache Str\u00f6me oder ist unter gewissen Umst\u00e4nden fast stromlos, du Bois-Reymond nannte die Sehne des Muskels seinen nat\u00fcrlichen Querschnitt, da hier die Substanz der Fasern direkt mit Sehnenfasern verbunden ist. Man findet, da\u00df, wenn der unverletzte Muskel einen Strom besitzt, dann regelm\u00e4\u00dfig die Sehne sich negativ gegen den L\u00e4ngsschnitt verh\u00e4lt, aber dieser Strom ist bei weitem schw\u00e4cher als der vom k\u00fcnstlichen Querschnitt abgeleitete. Wenn man die Sehne fortschneidet oder dieselbe vollst\u00e4ndig durch \u00c4tzung oder Hitze abt\u00f6tet, so kommt der st\u00e4rkere L\u00e4ngsquerschnittstrom zum Vorschein. L\u00e4\u00dft man den unverletzten Muskel l\u00e4ngere Zeit liegen, so verst\u00e4rkt sich allm\u00e4hlich der L\u00e4ngsschnittsehnenstrom, du Bois-Reymond beobachtete, da\u00df unversehrte Muskeln eines l\u00e4ngere Zeit auf 0\u00b0 abgek\u00fchlten Frosches ganz stromlos sind. L. Hermann wies nach, da\u00df auch mit gr\u00f6\u00dfter Schonung vom lebenden Tier entnommene Muskeln nahezu stromlos erscheinen, wenn man sie von L\u00e4ngsschnitt und Sehne ableitet. Es ergibt sich hieraus, da\u00df die unverletzte Muskelfaser, wenn sie sich in ihrer ganzen Ausdehnung bis zum Sehnenende in gleichem physiologischen Zustande befindet, an allen Punkten gleiches elektrisches Potential besitzt, also nach au\u00dfen stromlos erscheinen mu\u00df. Sobald sich aber der physio-","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"9\nlogische Zustand an irgend einer Stelle \u00e4ndert, so entwickeln sich Potentialdifferenzen. Es erkl\u00e4rt sich daraus, da\u00df der Muskel eines stark abgek\u00fchlten Tieres regelm\u00e4\u00dfig stromlos ist, weil bei der niederen Temperatur der Stoffwechsel aller Organe stark herabgesetzt wird und infolgedessen im Muskel der physiologische Zustand sich im ganzen Organ fast vollst\u00e4ndig ausgleicht. Im normal ern\u00e4hrten Tiere bei h\u00f6herer Temperatur ist aber eine solche Gleichheit des Zustandes fast niemals vollst\u00e4ndig in allen Teilen eines Muskels vorhanden, und daher sehen wir fast regelm\u00e4\u00dfig schwache Potentialdifferenzen auch beim lebenden Tiere nach Fortnahme der Haut1) und Ableitung der Muskeln von L\u00e4ngsoberfl\u00e4che und Sehnenenden auftreten, oder auch an anderen Punkten. Da man diese schwachen Str\u00f6me eines oft unregelm\u00e4\u00dfigen und unverletzten Muskels, die h\u00e4ufig auf zuf\u00e4lligen geringen L\u00e4sionen, wie Quetschung, Druck usw. beruhen k\u00f6nnen, bei weiteren Fragen vernachl\u00e4ssigen kann, so wollen wir uns die unverletzte Muskelfaser im idealen Zustande einer gleichf\u00f6rmigen Beschaffenheit in ihrer ganzen Ausdehnung als stromlos vorstellen, wie das aus den Untersuchungen von L. Hermann zu folgern ist. Die Frage nach der Ursache der L\u00e4sionsstr\u00f6me wollen wir vorl\u00e4ufig noch unentschieden lassen. Man kann indessen die Bedingung ihres Auftretens in folgender Weise formulieren: Sobald auf irgend eine Weise durch einen indifferenten Leiter das Innere einer Faser mit der Oberfl\u00e4che derselben in Verbindung gesetzt wird, so entsteht ein Strom in angegebener Richtung. Dieser indifferente Leiter kann aus abget\u00f6teter Muskelsubstanz, Sehnensubstanz, Gewebsfl\u00fcssigkeit und Elektrodenfl\u00fcssigkeit (physiologische Kochsalzl\u00f6sung) usw. bestehen.\nL. Hermann formulierte diese Bedingung, indem er sagte, da\u00df der L\u00e4ngsquerschnittstrom durch den Kontakt toter bzw. absterbender und lebender Muskelsubstanz entstehe. Indessen in dieser Formulierung liegt schon eine theoretische Behauptung, n\u00e4mlich die, da\u00df das Kontaktpotential zwischen lebender und toter bzw. absterbender Muskelsubstanz die Ursache des Stromes sei. Die weitere Er\u00f6rterung dieser Fragen wollen wir in einem sp\u00e4teren Kapitel vornehmen.\n') Die Haut mu\u00df entfernt werden, da sie selbst elektromotorisch wirkt (s. weiter unten).","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nVon Wichtigkeit ist noch die Feststellung, da\u00df ein v\u00f6llig abget\u00f6teter Muskel stromlos ist, da\u00df also die elektromotorische Eigenschaft der Muskeln zu den Lebenseigen sch\u00e4ften geh\u00f6rt. Ist der Muskel nach dem Tode unerregbar geworden und schlie\u00dflich der Totenstarre verfallen, welche bekanntlich mit einer eingreifenden chemischen Ver\u00e4nderung verkn\u00fcpft ist, so ist der L\u00e4ngsquerschnittstrom verschwunden. Dies tritt beim Erhitzen auf 45 bis 50'1 sehr schnell ein, beim zeitlichen spontanen Absterben langsam.\nMannigfache Ab\u00e4nderungen erleidet das Auftreten von Str\u00f6men an unregelm\u00e4\u00dfig gestalteten Muskeln, z. B. am Musculus gastrocnemius (Wadenmuskel) des Frosches, welcher in Fig. 6 im frontalen L\u00e4ngsschnitt dargestellt ist. Man sieht, da\u00df sich eine obere platte Sehne in das Innere des Muskelbauches tief einsenkt, von der die Muskelfasern doppelt federf\u00f6rmig entspringen , und da\u00df \u00fcber die untere H\u00e4lfte des Muskels die Achillessehne sich in einer sehnigen Haut ausbreitet, an welcher sich die Muskelfasern ansetzen. Eine durch alle Muskelfasern senkrecht gelegte Fl\u00e4che gibt den sogenannten physiologischen Querschnitt qqq an, welchem bekanntlich die Muskelkraft proportional ist. In der oberen H\u00e4lfte des Muskels liegt nur der L\u00e4ngsschnitt der Fasern frei, in der unteren dagegen haupts\u00e4chlich Sehnenenden derselben als sogenannter nat\u00fcrlicher Querschnitt. Leitet man daher von der Achillessehnenausbreitung und der oberen H\u00e4lfte des Muskels ab, so erh\u00e4lt man h\u00e4ufig einen merklichen, im Muskel von unten nach oben flie\u00dfenden Strom, namentlich in der w\u00e4rmeren Jahreszeit. Der obere nat\u00fcrliche Querschnitt kommt wegen seiner Lage im Inneren nicht zur Wirkung. Da eine gro\u00dfe Zahl von Muskeln der unteren Extremit\u00e4ten \u00e4hnlichen Bau haben, so erkl\u00e4rt sich daraus der von Nobili beobachtete, von den Zehen nach der Wirbels\u00e4ule gerichtete Frosch- -str\u00f6m. Es erkl\u00e4rt sich daraus die Galvanische Zuckung ohne Metalle, welche auftritt, wenn man den Nerv, ischiadicus auf die R\u00fcckseite des Wadenmuskels fallen l\u00e4\u00dft, da in diesem Moment der Strom desselben durch den Nerven flie\u00dft, wenn er Bauch und Sehnenspiegel ber\u00fchrt. In derselben W\"eise erkl\u00e4ren sich\nVig. 6.\nBau des Musculus gastrocn. v. Frosch. qqg physiologischer Querschnitt.","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"11\ndie von Alex. v. Humboldt beobachteten Zuckungen bei Ber\u00fchrung eines Schenkelnervs mit L\u00e4ngsschnitt und k\u00fcnstlichem Querschnitt eines anderen Muskels. Auch zwei Punkte des Sehnenspiegels geben meist einen aufsteigenden Strom im M. gastrocn., weil an einem schr\u00e4gen k\u00fcnstlichen Querschnitt Potentialdifferenzen auftreten, die sich durch die treppenf\u00f6rmige Aneinanderlagerung der Fasern am Querschnitt erkl\u00e4ren. Es hat kein besonderes Interesse, die Erscheinungen der Stromentstehung an verschiedenen unregelm\u00e4\u00dfig gebauten Muskeln zu verfolgen. Innerhalb des lebenden K\u00f6rpers unter normalen Bedingungen der Ern\u00e4hrung der Muskeln treten derartige Str\u00f6me, solange der Zustand in allen Fasern in ihrer ganzen Ausdehnung als gleichf\u00f6rmig angesehen werden kann, \u00fcberhaupt nicht auf.\nVon hohem Interesse war es nun, zu untersuchen, wie sich der Muskelstrom bei der T\u00e4tigkeit des Muskels verh\u00e4lt. Man kann den isolierten lebenden Muskel bekanntlich k\u00fcnstlich reizen, am besten, indem man durch ihn oder durch seinen Nerven elektrische Str\u00f6me, entweder Induktionsstr\u00f6me oder unterbrochene konstante Str\u00f6me in schneller Folge hindurchleitet. Es entsteht dann eine anhaltende Kontraktion des Muskels, welche man Tetanus (Krampf) nennt. du Bois-Beymond entdeckte, da\u00df der Muskelstrom w\u00e4hrend des Tetanus abnimmt. Er nannte diesen Vorgang \u201edie negative Schwankung\u201c des Muskelstromes. Mit empfindlichen Galvanometern konnte man auch bei einem einzelnen Heizstrom eine schwache negative Schwankung nach-weisen von offenbar sehr kurzer Dauer, woraus folgte, da\u00df die Gesamtschwankung im Tetanus sich aus einer mit den Reizen isochronen Reihe von Einzelschwankungen zusammensetzt, wobei der Strom in schneller Folge ab- und aufsteigt. In Fig. 7 sieht man die Anordnung eines solchen Versuches am Muse, gastrocn. und Nerv, ischiad. des Frosches. Der Muskel m wird von seiner R\u00fcckseite mit den Elektroden r zum Galvanometer G abgeleitet. Zeigt der Muskel keinen merklichen Strom, so t\u00f6tet man die Sehnenschicht (durch \u00c4tzung mit verd\u00fcnnter Karbols\u00e4ure, Alkohol oder mit hei\u00dfem Stab) ab. Man beobachtet nun die Ablenkung durch den Strom des ruhenden Muskels \u2014 \u201eRuhestrom\u201c. Vorher ist der Nerv n auf die Elektroden der sekund\u00e4ren Spule S eines Schlitteninduktoriums gelegt, durch dessen prim\u00e4re Spule P mit Hilfe des Wagnerschen Hammers die unterbrochenen Str\u00f6me","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\neines Elementes B geleitet werden. Ist der als Kurzschlu\u00df dienende Schl\u00fcssel S geschlossen, so gehen die Induktionsstr\u00f6me nicht durch den Nerven. \u00d6ffnet man den Schl\u00fcssel, wie Fig. 7 zeigt, so sieht man, da\u00df gleichzeitig mit der tetanischen Kontraktion des Muskels die Ablenkung vom Galvanometer erheblich abnimmt und w\u00e4hrend des ganzen Tetanus vermindert bleibt. Erst mit der Erm\u00fcdung des Muskels nimmt gleichm\u00e4\u00dfig St\u00e4rke der Kontraktion und Gr\u00f6\u00dfe der negativen Schwankung ab. Wiederholt man den Versuch mit einzelnen Ruhepausen, so beobachtet man, da\u00df der Muskel sich\nMg. 7.\nNegative Schwankung des Muskelstromes.\nm Muscul. gastrocnemius von Sehne und L\u00e4ngsschnitt abgeleitet, n Nerv, rr unpolarisierbare Elektroden, G G-alvanometer, S Schl\u00fcssel, B Batterie, P prim\u00e4re, S sekund\u00e4re Spule.\ndurch K\u00fche wieder erholt, sowohl betreffs der Kontraktion, wie der negativen Schwankung, aber durch schnelle Wiederholung der Reizung macht sich an beiden Prozessen sehr bald die Erm\u00fcdung bemerkbar, und man sieht bei vorher stark entwickeltem Ruhestrom, da\u00df derselbe allm\u00e4hlich abnimmt, schneller als durch zeitliches Absterben in der Ruhe. Auch hei direkter Reizung des Muskels erh\u00e4lt man dasselbe Resultat, nur mu\u00df bei elektrischer Reizung verh\u00fctet werden, da\u00df die Reizstr\u00f6me in das Galvanometer gelangen. Zu diesem Zwecke bedient man sich eines m\u00f6glichst langen und d\u00fcnnen Muskels, aus parallelen langen Fasern zusammengesetzt, z. B. des Muse, sartorius (Schneidermuskel), vom Oberschenkel des Frosches, reizt ihn an einem Ende und leitet vom anderen Ende den L\u00e4ngsquerschnittstrom ab. Dieser Muskel","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"13\noder auch der Muse, adductor, longus am Oberschenkel ist wegen seines regelm\u00e4\u00dfigen Baues aus langen durchgehenden parallelen Fasern haupts\u00e4chlich zu genaueren Untersuchungen benutzt worden.\nDer Muskelstrom und die negative Schwankung desselben sind also mit der Lebenseigenschaft und Lebenst\u00e4tigkeit eng verkn\u00fcpfte elektrische Erscheinungen. Ihre weitere Erforschung l\u00e4\u00dft daher erwarten, da\u00df sie zu Aufschl\u00fcssen \u00fcber den Zusammenhang der Lebensprozesse im Muskel und anderen Organen f\u00fchren wird.\ndu Bois-Reymond hat bewiesen, da\u00df die negative Schwankung nicht durch Form Ver\u00e4nderung des Muskels bei der Kontraktion hervorgerufen wird ; denn wenn man den Muskel durch Fixierung seiner Sehnenenden an der Verk\u00fcrzung verhindert, so tritt sie ebenfalls auf. Die Verk\u00fcrzung und Verdickung des Muskels bei ungehinderter Zusammenziehung m\u00fc\u00dfte \u00fcberdies wegen Verminderung des Leitungswiderstandes den entgegengesetzten Erfolg haben, wenn der spezifische Widerstand des Muskels derselbe bleibt. Nach dem Ohmschen Gesetz ist bekanntlich die Stromst\u00e4rke gleich der elektromotorischen Kraft dividiert durch den Widerstand. Es k\u00f6nnte daher eine Verminderung des Stromes bei der Reizung durch Vermehrung des spezifischen Widerstandes herbeigef\u00fchrt werden. Dies ist aber nicht der Fall. Die negative Schwankung wird vielmehr durch eine Abnahme der elektromotorischen Kraft des Muskelstromes hervorgerufen. Dies zeigte du Bois- Reymond, indem er den Muskelstrom durch einen gleich starken entgegengesetzten Strom kompensierte und beobachtete, da\u00df bei der Reizung der Ausschlag des Galvanometers im Sinne des Kompensationsstromes eintrat. Da beide Str\u00f6me denselben Widerstand haben, so folgt daraus, da\u00df die Kraft des Muskelstromes sich vermindert.\nVon du Bois-Reymond ist ferner nachgewiesen worden, da\u00df die negative Schwankung im Tetanus in einer schnellen Folge kurzer Einzelschwankungen besteht. Dies l\u00e4\u00dft sich aus dem sekund\u00e4ren Tetanus schlie\u00dfen, den man beobachtet, wenn man den Nerven eines Nervmuskelpr\u00e4parates in bestimmter Weise einem anderen Muskel anlegt, wie es Fig. 8 zeigt. Letzterer, der pi\u2019im\u00e4re Muskel, wird von seinem Nerven aus gereizt, und sobald er sich kontrahiert, kontrahiert sich auch der sekund\u00e4re Muskel.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14 \u2014\nDiese Erscheinung ist erst von du Bois-Reymond richtig gedeutet worden. Der sekund\u00e4re Nerv mu\u00df dem prim\u00e4ren Muskel so anliegen, da\u00df er denselben m\u00f6glichst in der L\u00e4ngsrichtung der Fasern, am besten den L\u00e4ngsschnitt und die Sehne oder beim verletzten Muskel den L\u00e4ngsschnitt und Querschnitt ber\u00fchrt. In diesem Falle bildet er einen Leitungsweg f\u00fcr Schleifen der Ruhestr\u00f6me und der entstehenden Stromesschwankungen, und da bekanntlich der Nerv haupts\u00e4chlich auf Stromesschwankungen reagiert, so wird er dadurch gereizt. Schon eine einzelne prim\u00e4re Zuckung hat eine sekund\u00e4re zur Folge, wie zuerst Matteucci beobachtete. du Bois-Reymond zeigte aber, da\u00df auch ein sekund\u00e4rer Tetanus auftritt, der so lange anh\u00e4lt wie der prim\u00e4re, und da\u00df es Stromesschwankungen sind, die ihn hervorrufen. Legt man den sekund\u00e4ren Nerven quer \u00fcber die obere oder untere Sehne des prim\u00e4ren Muskels, so bleiben die sekund\u00e4ren Kontrak-\nFig. 8.\nSekund\u00e4re Zuckung und sekund\u00e4rer Tetanus.\ntionen aus, ein Beweis daf\u00fcr, da\u00df nicht etwa Reizstr\u00f6me, aus dem prim\u00e4ren Nerven nach dem sekund\u00e4ren hingeleitet, die Ursache der Erscheinung sind. Auch der quer \u00fcber den Muskel gelegte Nerv reagiert nicht, oder in gewissen F\u00e4llen nur schwach, was sich aus unregelm\u00e4\u00dfigem Bau des Muskels oder ungleichf\u00f6rmiger Aktion seiner Fasern erkl\u00e4ren l\u00e4\u00dft.\nEbenso wie die negative Schwankung auch bei nicht elektrischer, bei mechanischer oder chemischer Reizung auftritt, so lassen sich auch bei dieser Reizungsart sekund\u00e4re Wirklingen beobachten. Zum Zwecke der rhythmischen mechanischen Reizung des Nerven hat Heidenhain einen Tetanomotor konstruiert, welcher aus einem Elfenbeinh\u00e4mmerchen besteht, der an einem Hebel befestigt ist, welcher nach Art des Wagnerschen Hammers in schnelle Schwingungen versetzt wird und der einen darunter gelagerten Nerven eines Muskels rhythmisch reizt, so da\u00df Tetanus entsteht. Auch dieser hat negative Schwankung und sekund\u00e4ren Tetanus zur Folge. Weniger deutlich ist dies hei chemischer Reizung des Nerven, weil hierbei keine so deutliche Rhythmik auftritt.","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"15\nEbenso wie am Muskel fand du Bois-Reymond auch am Nerven, wenn man den L\u00e4ngsschnitt desselben (nat\u00fcrliche L\u00e4ngsoberfl\u00e4che) mit einem k\u00fcnstlichen Querschnitt verbindet, einen Strom vor, welcher dieselbe Richtung hat wie im Muskel. Jeder k\u00fcnstliche Querschnitt verh\u00e4lt sich negativ gegen den L\u00e4ngsschnitt, auch gegen einen k\u00fcnstlichen, durch L\u00e4ngsteilung hergestellten. Es folgt daraus, da\u00df auch jeder einzelnen Nervenfaser, aus denen die Nervenst\u00e4mme zusammengesetzt sind, dieselbe Eigenschaft zukommt. Die Nervenfasern, welche bekanntlich zum gr\u00f6\u00dften Teile im Gehirn und R\u00fcckenmark aus Nervenzellen als Forts\u00e4tze derselben entspringen und in ihrer ganzen L\u00e4nge die K\u00f6rperteile kontinuierlich durchziehen, bis sie als motorische in den Muskeln oder als sensible und sensorische in den empfindenden Organen, namentlich der Haut und den Sinnesorganen, endigen, besitzen in ihrem Verlauf kein abgeschlossenes isolierbares nat\u00fcrliches Ende, wie die Muskelfasern an den Sehnen, also keinen sogenannten nat\u00fcrlichen Querschnitt1).\nDie Kraft des Nervenstromes, welchen man zum Galvanometer ableitet, betr\u00e4gt etwa 0,02 Volt, doch mu\u00df man annehmen, da\u00df die inneren Str\u00f6me viel st\u00e4rker sind, da die Nervenfaserb\u00fcndel von ziemlich ansehnlichen Bindegewebsh\u00fcllen umschlossen werden, durch die ein merklicher Teil des L\u00e4ngsquerschnittstromes abgeleitet wird. Den wahren Wert der Kraft des Nervenstromes kennt man daher nicht, w\u00e4hrend die des inneren Muskelstromes nach einer Sch\u00e4tzung von L. Hermann nicht viel gr\u00f6\u00dfer ist als 0,08 Volt. An allen Nerven des K\u00f6rpers der verschiedenartigsten Funktion ist das Gesetz des Nervenstromes dasselbe, und es ist dabei auch gleichg\u00fcltig, ob man einen nach der Peripherie oder dem Zentrum hin gerichteten Querschnitt ableitet. Ein von zwei k\u00fcnstlichen Querschnitten begrenztes und aus gleich langen Fasern zusammengesetztes St\u00fcck eines Nerven verh\u00e4lt sich nach beiden Richtungen hin elektrisch gleichartig. Es zeigt ebenso wie der Muskel auch schwache Str\u00f6me des L\u00e4ngsquerschnittes, indem ein dem \u00c4quator n\u00e4herer Punkt sich positiv gegen einen entfernteren,\n*) An der Peripherie verbinden sich die feinsten Nervenfasern in verschiedener Art mit anderen Grewebselementen, z. B. mit Sinneszellen. An der Netzhaut z. B. erscheinen auch PotentialdifEerenzen und elektrische Prozesse (s. unten). Man k\u00f6nnte sie als einen nat\u00fcrlichen Querschnitt des Nervus opticus ansehen.","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\ndem Querschnitt n\u00e4heren Punkt verh\u00e4lt. Der Strom verschwindet, wenn der Nerv auf irgend eine Weise abget\u00f6tet wird, sei es durch Hitze oder chemische Reagenzien, oder Zerquetschung; er geh\u00f6rt also zu den Lebenseigenschaften desselben. Beim spontanen Absterben des Nerven au\u00dferhalb des K\u00f6rpers sinkt der Strom des Nerven allm\u00e4hlich herab. Indessen ist von Engelmann nachgewiesen worden, da\u00df unter g\u00fcnstigen Bedingungen (Verh\u00fctung der Austrocknung in feuchter Kammer und nicht zu hohe Lufttemperatur) der Strom auf Null absinken kann, ohne da\u00df der Nerv abgestorben ist. Ein frischer Querschnitt in der N\u00e4he des alten stellt den L\u00e4ngsquerschnittstrom wieder her. Dies sieht man am Muskel niemals und ist nach Engel mann darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, da\u00df die Fasern aller peripheren Nerven aus Teilst\u00fccken zusammengesetzt sind, welche der Histologe Ran vier zuerst demonstriert hat und die etwa 0,5 mm lang sind. Ihre Grenzen markieren sich durch eine Einschn\u00fcrung des Nervenmarks und Neurolems, welche den Achsenzylinder der Faser umh\u00fcllen. Jedes Teilst\u00fcck besitzt den Wert einer in ihrer Funktion zum Teil selbst\u00e4ndigen Zelle, und solche der L\u00e4nge nach aneinandergereihten Zellen, wie sie sie durch Wachstum bei der Entwickelung entstehen, bilden die ganze Nervenfaser. Ist ein solches Teilst\u00fcck verletzt, so stirbt es infolge dieses Eingriffes im Verlauf einiger Stunden ab. Aber der Proze\u00df des Absterbens macht, unter g\u00fcnstigen Bedingungen, an dem n\u00e4chsten Ranvierschen Schn\u00fcrring zun\u00e4chst Halt. Alsdann verh\u00e4lt sich die Faser an diesem Schn\u00fcrring wie eine daselbst nat\u00fcrlich geschlossene Zelle, welche immer stromlos ist. Erst allm\u00e4hlich stirbt bei Mangel der Ern\u00e4hrung der Nerv in toto ab. Ganz anders ist der Vorgang an einer verletzten Muskelfaser. Von der Verletzung aus breitet sich der Absterbeproze\u00df bis an das Ende der Faser aus, denn die ganze Faser ist als eine einzige langgestreckte Zelle anzusehen. Der Strom sinkt allm\u00e4hlich ab, aber niemals verst\u00e4rkt er sich wieder bei einer neuen Verletzung '). Wir werden auf diese wichtigen Tatsachen bei der Theorie der bioelektrischen Str\u00f6me nochmals\n*) Nur wenn die Muskelfasern durch Sehnengewebe unterbrochen sind (Inscriptiones tendineae, z. B. an den Bauchmuskeln), macht an dieser Stelle der Absterbeproze\u00df Halt. Ein neuer Querschnitt daselbst ruft den gesunkenen Strom wieder hervor. \u00c4hnlich ist es bei glatter Muskulatur und dem Herzmuskel (s. weiter unten).","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014\t17\nzur\u00fcckgreifen. Es sei noch hinzugef\u00fcgt, da\u00df Engelmann auch das elektrische Verhalten der verletzten Nerven und Muskeln im lebenden K\u00f6rper untersucht hat. Unter g\u00fcnstigen Bedingungen der Ern\u00e4hrung tritt sehr bald auch am Muskel eine Abgrenzung unter Verschwinden des L\u00e4ngsquerschnittstromes ein. Diesen Vorgang, den man als Beginn des mit komplizierten Wachstumsprozessen verkn\u00fcpften Heilungsvorganges anzusehen hat, kann man als \u201eDemarkation\u201c bezeichnen (s. oben). Die Demarkation nach der Verletzung ruft also nicht den Strom hervor, sondern im Gegenteil, sie bringt ihn zum Verschwinden.\nDer L\u00e4ngsquerschnittstrom derNerven zeigt ebenso wie der des Muskels bei jeder Art der Reizung eine negative Schwankung, die ebenfalls auf einer Verminderung der elektromotorischen Kraft desselben beruht. Bei elektrischer Reizung mu\u00df daf\u00fcr gesorgt sein, da\u00df die Reizstr\u00f6me nicht zum Galvanometer durch Stromschleifen gelangen. Man leitet einen m\u00f6glichst langen Nerven an einem Ende vom L\u00e4ngsund Querschnitt ab und legt ihn am anderen Ende \u00fcber die Elektroden des Reizstromes. Am besten verwendet man hierzu wiederum die Wechselstr\u00f6me der sekund\u00e4ren Spule eines Schlitteninduktoriums von m\u00e4\u00dfiger St\u00e4rke. Da diese in ihrer Wirkung auf ein Galvanometer sich aufhehen, so k\u00f6nnen sie nicht so leicht zu t\u00e4uschenden Ablenkungen Veranlassung gehen. Man \u00fcberzeugt sich davon, wenn man den Nerven an einer Stelle zwischen den ableitenden und erregenden Elektroden durchschneidet und wieder aneinanderlegt, oder ihn mit feuchtem Faden unterbindet oder auch v\u00f6llig durchquetscht. Hierdurch wird jede Leitung der Erregung aufgehoben. Dasselbe Verfahren mu\u00df man auch bei direkter Muskelerregung (s. oben) anwenden, wo es wegen des gr\u00f6\u00dferen Querschnittes leichter zu Stromschleifen kommen kann, als hei dem verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig d\u00fcnneren Nerven. Auch unterbrochene konstante Str\u00f6me lassen sich zur Reizung benutzen, doch tut man in diesem Falle gut, Wechselstr\u00f6me zu w\u00e4hlen, da Str\u00f6me von konstanter Richtung noch eine andere \u00c4nderung infolge der inneren Polarisation hervorrufen, die hei der einen Richtung die negative Schwankung verst\u00e4rken, bei der anderen dagegen schw\u00e4chen und dadurch den Sinn der Ablenkung umkehren k\u00f6nnen (s. weiter unten). Auch bei tetanischer Reizung mit Induktionsstr\u00f6men ist es geraten, sich bei genaueren Messungen nicht des gew\u00f6hnlichen Bernstein, Elektrobiologie.\t9","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nWagnerschen Hammers zu bedienen, sondern der Helmholtz-schen Modifikation desselben, welche bewirkt, da\u00df \u00d6ffnungs- und Schlie\u00dfungsinduktionsstr\u00f6me ann\u00e4hernd gleiche Dauer und Intensit\u00e4t annehmen *). Auch auf einzelne Induktionsschl\u00e4ge reagiert der Nervenstrom mit einer an empfindlichen Instrumenten wahrnehmbaren negativen Schwankung (s. unten). Die mechanische und chemische Reizung bewirken, wenn auch viel schw\u00e4chere, aber doch deutliche Schwankungen in derselben Richtung. Man erkennt also daraus, da\u00df der Zustand der T\u00e4tigkeit des Nerven, den man an motorischen Nerven durch Muskelkontraktion, an den sensibeln Nerven im lebenden K\u00f6rper durch Empfindungen wahrnimmt, am isolierten Nerven immer mit einer negativen Schwankung des Nervenstromes verkn\u00fcpft ist. Da sie bei jeder Art der Erregung eintritt, ist sie ein Zeichen des Erregungsprozesses. Man kann daher durch dieselbe auch die Fortleitung des Erregungsprozesses in den Nerven erkennen. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend hat du Bois-Reymond, dem wir die Kenntnis der bisher angef\u00fchrten Tatsachen verdanken, auch untersucht, wie sich die Nerven verschiedener Funktion darin verhalten und nach welchen Richtungen sie den Erregungsproze\u00df leiten. Man hat lange geglaubt, da\u00df die motorischen Nerven, -welche w\u00e4hrend des Lebens immer nur von den Nervenzentren zu den Muskeln Impulse leiten, auch nur in dieser zentrifugalen Richtung leiten k\u00f6nnten, und da\u00df umgekehrt alle sensibeln Sinnesnerven, welche w\u00e4hrend des Lebens von den empfindlichen Organen und den Sinnesorganen zu den Zentren leiten, auch nur in zentripetaler Richtung leiten k\u00f6nnten. Zum ersten Male zeigte du Bois-Rey mon d durch das Experiment, da\u00df dem nicht so sei. Er fand an rein motorischen Nerven, da\u00df, wenn man das zentrale Ende derselben zum Galvanometer ableitet und ihr peripheres Ende reizt, sie ebenso gut wie bei umgekehrter Anordnung negative Schwankung geben, und auch, wenn man rein sensible Nerven am zentralen Ende reizt und das periphere Ende mit dem Galvanometer verbindet, dieselbe Erscheinung eintritt. Solche Versuche lassen sich gut mit den vorderen und hinteren Wurzeln der R\u00fccken-\n*) Bekanntlich hat der \u00d6fEnnngsinduktionsschlag einer sekund\u00e4ren Spule eine gr\u00f6\u00dfere Intensit\u00e4t, aber geringere Dauer als der Schlie\u00dfungsinduktionsschlag.","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"19\nmarksnerven anstellen, von denen die ersteren nur motorische, die letzteren nur sensible Fasern enthalten, ferner am Nerv, opticus (Sehnerv) und Nerv, olfactorius (Geruchsnerv), welche reine Sinnesnerven sind, und am Nerv, oculomotorius (Augenmuskelnerv), welcher rein motorisch ist. Die Nerven besitzen also ein doppelsinniges Leitungsverm\u00f6gen. Da\u00df sie w\u00e4hrend des Lebens nur in einem Sinne leiten, entweder zentrifugal oder zentripetal, hat seinen Grund nur darin, da\u00df die ersteren pur im Gehirn und K\u00fcckenmark, die letzteren nur in den peripheren Organen ihreKeize aufnehmen. Ob die Nervenfasern verschiedener Funktion in jeder Beziehung einander gleichwertig sind, wollen wir an diesem Orte nicht weiter verfolgen. Jedenfalls unterscheiden sie sich auch histologisch und chemisch nicht wesentlich voneinander, und in ihren bisher bekannten physikalisch - physiologischen Eigenschaften zeigen sie keine Verschiedenheiten. Der Erregungsproze\u00df in ihnen wird daher, wie man hieraus schlie\u00dfen kann, nicht wesentlich verschiedener Natur sein.\nDie elektrischen Ver\u00e4nderungen bei der Reizung der von allen Organen isolierten Nerven sind bis jetzt die einzigen Erkennungszeichen der T\u00e4tigkeit. Man hat ihre Funktion verglichen mit der Rolle, welche die Telegraphendr\u00e4hte spielen, und sich vorgestellt, da\u00df sie wie diese Nachrichten vom Gehirn zu Organen und von diesen zum Gehirn f\u00fchrten. Indessen ist dieser Vergleich unhaltbar, und es mu\u00df ausdr\u00fccklich hervorgehoben werden, da\u00df beide Vorg\u00e4nge total verschiedener Natur sind. Die elektrischen Vorg\u00e4nge in den Nerven bestehen nicht, wie in den Telegraphendr\u00e4hten, in der Fortleitung eines elektrischen Stromes nach der einen oder anderen Richtung, sondern beruhen auf einer physiologischen Zustands\u00e4nderung, welche, mit chemischen und\u2019physikalischen Prozessen verkn\u00fcpft, sich von einem Ende zum anderen fortpflanzt. Helmholtz hat ermittelt, da\u00df die Geschwindigkeit der Reizleitung in motorischen Froschnerven etwa 26 bis 30 m in der Sekunde betr\u00e4gt, w\u00e4hrend die Geschwindigkeit der Elektrizit\u00e4t gleich der Lichtgeschwindigkeit zu setzen ist. Zur Leitung eines Stromes bed\u00fcrfte es auch einer R\u00fcckleitung, w\u00e4hrend der vom K\u00f6rper isolierte Nerv allein physiologisch leitet. In fr\u00fcheren Zeiten der Naturphilosophie glaubte man, da\u00df die Nerven mit Lebenskr\u00e4ften besonderer Art begabt seien, und da\u00df es ein geheimnisvolles Fluidum g\u00e4be, welches in ihnen auf- und ab-\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nflie\u00dfe1). Die Untersuchungen von Helmholtz und du Bois-Reymond haben haupts\u00e4chlich dazu beigetragen, diesen Aberglauben zu zerst\u00f6ren.\ndu Bois-Reymond stellte zur Erkl\u00e4rung der Muskel- und Nervenstr\u00f6me und ihrer Ver\u00e4nderungen bei der Reizung die Hypothese auf, da\u00df die Muskel- und Nervenfasern elektromotorische Molekeln enthalten, welche er als Sinnbild der Verteilung elektrischer Spannungen in den kleinsten Teilchen der lebenden Substanz der Fasern betrachtete. Er dachte sie sich in der L\u00e4ngsrichtung der Fasern in Reihen so angeordnet, da\u00df sie ihre positiven Spannungen dem L\u00e4ngsschnitt, ihre negativen den Querschnitten zuwenden. Diese Hypothese setzte also eine Pr\u00e4existenz der elektrischen Potentiale in kleinsten Elementen der Fasern voraus. Er deutete hiernach das Vorhandensein eines L\u00e4ngsquerschnittstromes und auch das h\u00e4ufige Auftreten von L\u00e4ngsschnittsehnenstr\u00f6men. Die negative Schwankung erkl\u00e4rte er durch Abnahme dieser elektromotorischen Kr\u00e4fte bei der T\u00e4tigkeit, wobei man an einen Verbrauch derselben denken konnte.\nDieser Pr\u00e4existenztheorie gegen\u00fcber stellte L. Hermann im Jahre 1867 eine sogenannte Alterationstheorie auf. Das Auftreten eines L\u00e4ngsquerschnittstromes deutete er durch Entstehung eines Kontaktpotentials zwischen der abgestorbenen oder absterbenden Substanz der Faser am k\u00fcnstlichen Querschnitt und der lebenden Substanz am L\u00e4ngsschnitt. Wir wollen auf die so entstandene Streitfrage zwischen Pr\u00e4existenz und Alteration an dieser Stelle noch nicht eingehen, sondern, wie schon oben bemerkt, nur die Bedingung f\u00fcr die Entstehung eines L\u00e4ngsquerschnittstromes dahin formulieren, da\u00df hierzu die Blo\u00dflegung des Faserinhaltes durch eine Verletzung erforderlich ist.\nl) Die in neuerer Zeit von v. \u00dcxk\u00fcll ge\u00e4u\u00dferte Anschauung, nach welcher der Vorgang im Nerven wiederum mit dem Flie\u00dfen eines Fluidums in K\u00f6hren verglichen wurde, entbehrt jeder tats\u00e4chlichen Grundlage und erscheint mir nicht einmal als Arbeitshypothese zul\u00e4ssig.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"21\nZweites Kapitel.\nTheorie der elektrischen Ketten.\nVon gro\u00dfer Bedeutung f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis der elektrischen Ketten wurden die hervorragenden theoretischen Studien von W.Gibbs und v.Helmholtz auf dem Gebiete der Thermodynamik in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Hierzu gesellten sich die grundlegenden experimentellen Forschungen von v. Helmholtz \u00fcber die Entstehung von Konzentrationsstr\u00f6men und die bald darauf folgenden Untersuchungen von Nernst \u00fcber die Kr\u00e4fte der Konzentrationsketten im Lichte der neueren Ionentheorie von Arrhenius und Ostwald.\nDiese ausgezeichneten Forschungen mu\u00dften sehr bald eine Einwirkung auf die weitere Entwickelung der bioelektrischen Untersuchungen aus\u00fcben. Bevor wir auf dieses Thema n\u00e4her eingehen, sollen die wesentlichsten physikalischen Grundlagen, welche zum Verst\u00e4ndnis desselben notwendig sind, zun\u00e4chst gegeben werden.\nW. Gibbs1) und v. Helmholtz2) hatten unabh\u00e4ngig voneinander ein wichtiges Prinzip der Energielehre von der allgemeinsten Bedeutung f\u00fcr alle Naturvorg\u00e4nge aus den beiden Haupts\u00e4tzen der mechanischen W\u00e4rmetheorie mathematisch hergeleitet. Dieses gilt f\u00fcr alle umkehrbaren, isothermen Prozesse, d. h. f\u00fcr solche, bei denen eine Energieumwandiung auch in der umgekehrten Richtung ohne einen Verlust an Energie stattfinden kann, und bei denen die Temperatur, sei es durch W\u00e4rmezufuhr oder -abfuhr, konstant erhalten wird. Ein solcher Vorgang ist bekanntlich im Carnotschen Kreisproze\u00df enthalten, bei welchem W\u00e4rme im Zylinder einer Dampfmaschine in Arbeit verwandelt wird. Dieser Proze\u00df kann auch umgekehrt ausgef\u00fchrt werden,\n') Transactions of the Connecticut Academy III, 1876 \u20141878 (s. Ostwald, Elektrochemie, S. 992), und Thermodynamische Studien. Deutsch von Ostwald 1892.\n2) Zur Thermodynamik chemischer Vorg\u00e4nge. Ges. Abhandl. 2, 979 (1882).","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nindem man die geleistete Arbeit dazu -verwendet, um den Dampf im Zylinder zu komprimieren und wieder in den anf\u00e4nglichen Zustand zur\u00fcckzuf\u00fchren. Hierbei wird gerade soviel W\u00e4rmeenergie wieder gewonnen, als zur Arbeitsleistung verbraucht war. Bekannt ist es nun, da\u00df bei einem solchen thermischen Kreisproze\u00df nicht die ganze dem Dampf zugeleitete W\u00e4rme in mechanische Arbeit verwandelt werden kann, sondern nur ein bestimmter Bruchteil derselben, den man bei einer Maschine den \u201e\u00f6konomischen Koeffizienten\u201c genannt hat und der von den absoluten Temperaturen abh\u00e4ngt, bei denen die Umwandlungen geschehen. Ist \u00c7i die dem Dampf des Zylinders w\u00e4hrend der Arbeitsleistung zugef\u00fchrte W\u00e4rmemenge und Q2 diejenige, welche er nach geleisteter Arbeit am Ende des Kreisprozesses, d. h. wenn der Kolben wieder in die anf\u00e4ngliche Lage zur\u00fcckgekehrt ist, besitzt, so ist\nQ\\ ~~ Qi\n\u2014 Qi die in Arbeit verwandelte W\u00e4rmemenge und\nQi\nder \u00f6konomische Koeffizient. Beim Heben des Kolbens, w\u00e4hrend der Leistung \u00e4u\u00dferer Arbeit, mu\u00df die absolute h\u00f6here Temperatur 1\\ konstant erhalten werden, und nach gespeicherter Arbeit beim Herabgehen des Kolbens in die Anfangslage mu\u00df die niedere Temperatur Ts konstant erhalten werden. Dann ist nach einem bekannten Satze von Clausius der \u00f6konomische Koeffizient:\nE =\nQi - Q2\nQi\nDieser Teil der in Arbeit verwandelbaren W\u00e4rmeenergie ist von Helmholtz als \u201efreie Energie\u201c bezeichnet worden gegen\u00fcber der Gesamtenergie des Systems, welche bei dem stattfindenden Proze\u00df in Aktion tritt. Man kann sich zur Erkl\u00e4rung dieses Verhaltens vom Standpunkte der kinetischen Gastheorie aus die Vorstellung machen, da\u00df die W\u00e4rmeenergie in einer \u201eungeordneten\u201c Bewegung der Molek\u00fcle und Atome bestehe, d. h. da\u00df die Bewegungen und Schwingungen derselben nach allen m\u00f6glichen Dimensionen des Baumes erfolgen, da\u00df aber zur Erzeugung mechanischer Arbeit nur in bestimmten Richtungen geordnete Bewegungen verwendbar sind, wie z. B. zur Hebung von Lasten gegen die Schwere. Dieser Begriff der freien Energie l\u00e4\u00dft sich aber auch auf andere Energieformen \u00fcbertragen, so da\u00df man bei einer Energieumwandlung in einem System von K\u00f6rpern die freie","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"23\nEnergie, welche sich in Arbeit umsetzen kann, von der gesamten in Aktion tretenden Energie des Systems unterscheiden kann. Es ergibt nun die weitere Betrachtung, da\u00df die freie Energie eines Systems sich mit der absoluten Temperatur \u00e4ndern mu\u00df, und diese \u00c4nderung nennt man den Temperaturkoeffizienten einer bestimmten freien Energieform. Derselbe kann mit steigender Temperatur zunehmen oder abnehmen, und es hat hiernach die in Betracht kommende Energieform einen positiven oder negativen Temperaturkoeffizienten.\nNennt man die Gesamtenergie eines Systems, welche in einem umkehrbaren isothermen Proze\u00df in Aktion tritt, TI, und die hierbei auftretende freie Energie F, die absolute Temperatur,\nd F\nbei welcher der Proze\u00df erfolgt, T, so ist der Bruch \u2014- der Tem-\n& J\nperaturkoeffizient der betreffenden Energieform, und die mathematische Behandlung des Problems ergibt die von Helmholtz entwickelte Formel:\nf=it\u00b1tS.........................(i)\nEs l\u00e4\u00dft sich das in dieser Formel gegebene Prinzip folgenderma\u00dfen in Worten ausdr\u00fccken:\n\u201eWenn in einem System durch einen umkehrbaren isothermen Proze\u00df eine Um Wandlung von Energie stattfindet, so ist die freie Energie gleich der gesamten in Aktion tretenden Energie des Systems plus oder minus einer Gr\u00f6\u00dfe, welche gleich dem Produkt aus der absoluten Temperatur und dem positiven oder negativen Temperaturkoeffizienten der freien Energie bei dieser Temperatur.\u201c\nDa dieser Temperaturkoeffizient ein positiver oder negativer sein kann, so entsteht im letzteren Falle die freie Energie aus einem Teil der Gesamtenergie, im ersteren Falle dagegen, in welchem die freie Energie gr\u00f6\u00dfer ist als die in Aktion tretende Energie des Systems, mu\u00df Energie von au\u00dfen zugef\u00fchrt werden, z. B. in Form von W\u00e4rme. Es kann daher auch der einfache Fall eintreten, da\u00df der Temperaturkoeffizient der freien Energie Null ist; dann verwandelt sich die gesamte Energie des Systems in freie Energie. Das letztere tritt z. B. ein bei der Bewegung","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nder Himmelsk\u00f6rper gegeneinander oder beim schwingenden Pendel (abgesehen von der Reibung), da der Temperaturkoeffizient der Gravitationsenergie als Null angenommen werden kann.\nEs kommt nun f\u00fcr unsere Zwecke darauf an, dieses Prinzip auf die elektrischen Ketten anzuwenden. Die elektrische Energie, welche dieselben durch den Strom erzeugen und welche in einem Kreise von m\u00f6glichst geringem Widerstande, abgesehen von der geringen Temperaturerh\u00f6hung der Leitungen, durch eine elektrodynamische Maschine fast vollst\u00e4ndig in mechanische Arbeit umgesetzt werden k\u00f6nnte, kann in diesem theoretisch gedachten Falle gleich der freien Energie gesetzt werden, welche in dem System der zu einem Kreise geschlossenen Kette entstehen w\u00fcrde. Die so erzeugte elektrische Energie, welche in der Zeiteinheit entsteht, ist nach bekannten Gesetzen der Elektrizit\u00e4tslehre gleich dem Produkt von elektromotorischer Kraft und Stromst\u00e4rke zu setzen, und w\u00e4hlen wir als Stromst\u00e4rke die Einheit derselben im elektromagnetischen Ma\u00dfe aus, so k\u00f6nnen wir statt der elektrischen Energie auch die elektromotorische Kraft in die gegebene Formel einsetzen und wollen dieselbe mit E bezeichnen. Nennen wir nun ferner die in der Zeiteinheit in Aktion tretende Gesamtenergie der Kette U, so k\u00f6nnen wir unter gewissen Bedingungen f\u00fcr alle Ketten die Formel auf stellen:\nE\nU\u00b1 T\ndE\nclT\n(2)\nDiese Bedingung besteht darin, da\u00df der Proze\u00df ein umkehrbarer ist und isotherm abl\u00e4uft.\nBei der Anwendung dieser Formel m\u00fcssen die Werte von E und U in Ma\u00dfeinheiten derselben Energieform ausgedr\u00fcckt sein, z. B. in W\u00e4rmeeinheiten, in mechanischen Ma\u00dfen oder am besten in elektrischen Ma\u00dfen [Joule *) = J].\nDie Ketten, welche im folgenden in Betracht zu ziehen sind, sind die bekannten Galvanischen, oder richtiger Voltaschen, und die Konzentrationsketten. In den ersteren tritt bekanntlich chemische Energie in Aktion, in den letzteren fehlt diese Energieform, insofern in ihnen keine chemischen Ver\u00e4nderungen, sondern nur\n') 1 J = 239,1 cal = IO10 Erg, s. Ostwald, Grundri\u00df der allgemeinen Chemie 1899, S. 88.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"25\nKonzentrations\u00e4ndorungen der schon darin enthaltenen chemischen K\u00f6rper stattfinden.\nMit Berechnung der Kraft Volt a scher Elemente aus der W\u00e4rmet\u00f6nung des chemischen Prozesses hatte man sich schon lange besch\u00e4ftigt. F\u00fcr das Daniellsche Element, in welchem sich beim Stromdurchgang an der Zinkelektrode Zink aufl\u00f6st unter Bildung von ZnS 04, und an der Kupferelektrode Kupfer aus CuS04 niederschl\u00e4gt, stimmte der Wert f\u00fcr die in der Zeiteinheit erzeugte elektrische Energie mit der verbrauchten chemischen Energie recht gut \u00fcberein, und man erhielt demnach einen ann\u00e4hernd richtigen Wert f\u00fcr die elektromotorische Kraft derselben, wie zuerst W. Thomson fand. Indessen best\u00e4tigte sich diese Berechnung hei anderen Ketten nicht.\nNach obiger Formel (2) haben wir nun bei Voltaschen Ketten die in Aktion tretende chemische Energie mit der Gr\u00f6\u00dfe U zu bezeichnen.\nDer Temperaturkoeffizient derselben, \u2014, ist der Messung\nzug\u00e4nglich. Man findet , da\u00df derselbe in Ketten verschiedener Zusammensetzung positiv oder negativ sein kann. Ketten, deren Kraft mit der steigenden Temperatur abnimmt, erw\u00e4rmen sich bei Stromerzeugung; Ketten dagegen, deren Kraft sich mit steigender Temperatur erh\u00f6ht, k\u00fchlen sich hei der Stromerzeugung ab. Die ersteren kann man exotherme, die letzteren endotherme Voltasche Ketten nennen. Eine Kette, deren Temperaturkoeffizient nahezu Null ist, ist nun die Daniellsche, und daraus erkl\u00e4rt es sich, da\u00df f\u00fcr dieselbe die Formel (2) \u00fcbergeht in JE = U, d. h. da\u00df die elektrische Energie derselben durch die chemische Energie des Prozesses nahezu vollst\u00e4ndig gedeckt wird. In Ketten dagegen mit negativem Temperaturkoeffizienten entsteht durch den chemischen Proze\u00df bei der Strombildung mehr W\u00e4rme, als sich in elektrische Energie umsetzt, sie erw\u00e4rmen sich daher. Zu diesen geh\u00f6ren eine Anzahl bekannter Elemente, wie das Grovesche, Bunsen-sche u. a. *), welche demnach exotherme Ketten sind.\n') Das Daniellsche Element, mit CuSO, und ZnS04 gef\u00fcllt, ist als vollkommen umkehrbar anzusehen , d. h. wenn man den von ihm erzeugten Strom in umgekehrter Richtung durchleitet, so wird es durch dieselbe zugeleitete Elektrizit\u00e4tsmenge wieder in den anf\u00e4nglichen Zustand zur\u00fcckgebracht. Dies gilt f\u00fcr andere gebr\u00e4uchliche Elemente nicht.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nSehr merkw\u00fcrdig ist es nun, da\u00df sieh auch Voltasche Ketten konstruieren lassen, welche sich bei der Strombildung abk\u00fcblen. Es sind yon Jahn1) \u00fcber die Thermodynamik der Voltaschen Ketten eingehende Untersuchungen angestellt worden, in denen sich die Folgerungen aus der angef\u00fchrten Theorie der Ketten gut best\u00e4tigt haben. Zu den endothermen umkehrbaren Ketten geh\u00f6rt nach den Untersuchungen von Jahn z. B. eine solche, welche aus einer Kupferelektrode in Kupferacetat- und einer Bleielektrode in Bleiacetatl\u00f6sung besteht nach dem Schema:\nCu | Cu Ac. | Pb Ac. | Pb.\nDer Pfeil gibt die Richtung des Stromes vom Blei durch die Fl\u00fcssigkeiten zum Kupfer an ; Pb l\u00f6st sich auf und Cu wird ausgeschieden, wenn die Kette Strom liefert. Die chemische Energie der Kette reicht aber nicht aus, um alle erzeugte elektrische Energie zu decken. Die Kette k\u00fchlt sich also bei Stromschlu\u00df ab, oder wenn sie isotherm arbeiten soll, so mu\u00df man ihr W\u00e4rme zuf\u00fchren. In solchen Ketten wird daher W\u00e4rmevorrat der Kette selbst oder von au\u00dfen aufgenommene W\u00e4rmeenergie zugleich mit der Umsetzung der chemischen Energie derselben in elektrische Energie umgewandelt. Die Messungen ergaben in dem angef\u00fchrten Beispiel folgendes: Die chemische Energie der Kette ist gleich der Differenz der Verbindungsw\u00e4rmen beider Metalle mit der Essigs\u00e4ure, f\u00fcr 1 g-Mol. derselben gleich 16,523 g-cal. Die Kraft dieses Elementes wurde bei 20\u00b0 zu 0,47643 Volt gemessen und mu\u00df f\u00fcr den Strom 1 mit 46,12 zur Umrechnung in W\u00e4rmeenergie multipliziert werden. Man erh\u00e4lt f\u00fcr die elektrische Energie des Elementes demnach den Wert 46,12 x 0,476 43 = 21,96 g-cal. Es m\u00fcssen also 21,96 \u2014 16,523 g-cal aus dem W\u00e4rmevorrat desselben genommen bzw. bei isothermem Verlauf des Prozesses von au\u00dfen zugef\u00fchrt werden. Die Gleichung (2) ergibt f\u00fcr 20\u00b0:\nE =\n16,523\n46,12\n(273 + 20)\ndE\ndT\ndE\nworaus sich - = 4,32.10-4 berechnet.\nd T\n= 0,47643,\nIm Versuch wurde\n) Wied. Ann. 28, 21 u. 491.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"27\nf\u00fcr den Temperaturkoeffizienten der Wert 3,85.10 ~4 gefunden. Noch besser stimmt die Rechnung mit der Beobachtung bei der Kette :\nPb | Pb S 04 [ Cu S 041 Cu.\nDer Strom geht in derselben vom Pb zum Cu. Die Ver-bindungsw\u00e4nne Pb, S04 ist 73,80, diejenige von Cu, S04 ist 55,96, die Differenz also 17,84. Die Kette besitzt bei 20\u00b0 eine Kraft von 0,61 Yolt, ihr Temperaturkoeffizient ist gleich 7,7.IO-4. Die Gleichung (2) ergibt also f\u00fcr diesen Fall:\n17 84\nE \u2014 \u2014+ 293.7,7. IO\u201c4 = 0,6115 Volt.\n46,12\nDie der elektrischen Energie \u00e4quivalente W\u00e4rmemenge 0,61 X 46,12 = 28,3 ist also viel gr\u00f6\u00dfer als die chemische, 17,84, und die Differenz gleich 10,29 mu\u00df demnach aus einem W\u00e4rmevorrat entnommen werden.\nIn diesen Beispielen ist der chemische Proze\u00df ein exothermer, aber er reicht nicht aus, die elektrische Energie zu liefern. Die Kette arbeitet im ganzen daher endotherm.\nSchon vor diesen Untersuchungen Jahns war von F. Braun4) eine Kette konstruiert worden, in welcher der chemische Proze\u00df im ganzen ein endothermer ist. Sie besteht aus Cadmium und Eisen in ihren Sulfaten nach dem Schema:\nCd [ Cd S 04 | Fe S 04 | Fe.\nDer Strom flie\u00dft in dieser Kette vom Cadmium zum Eisen, Cadmium geht in L\u00f6sung und Eisen wird abgeschieden. Die L\u00f6sungsw\u00e4rme des Cadmiums ist 179,6 und die von Eisen 186,4. In diesem Falle absorbiert der chemische Proze\u00df 7,4 W\u00e4rmeeinheiten, und trotzdem wird elektrische Energie erzeugt, die ausschlie\u00dflich aus dem W\u00e4rmevorrat des Systems und der Umgebung genommen wird.\nEs existiert also, wie aus diesen Beispielen folgt, in der Volt a-schen Kette ein sehr wechselndes Verh\u00e4ltnis zwischen chemischer und elektrischer Energie, das aber durch die Formel (2) voll-\n) Wied. Ann. 5, 16 u. 17.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 28 \u2014\nst\u00e4ndig dargestellt werden kann. In dem letzteren Falle der\ndJt]\nCdFe-Kette ist U negativ, positiv, und da die Kette bei 20\u00b0\nCl J-\netwa 0,1 Volt Kraft besa\u00df, so w\u00fcrde die Gleichung (2) lauten:\nworaus\n0,1\ndE\ndT\n40,12 '\t96 Al\u201d\n+ 8,889.10~4\nfolgen w\u00fcrde.\nEs werden in diesem Falle 0,1.46,12 = 12,012 W\u00e4rmemengen aus dem Vorrat des Systems entnommen, um den chemischen und elektrischen Proze\u00df zu unterhalten.\nIn den angef\u00fchrten Versuchen von Jahn wurde die Kette in ein Bunsensches Eiskalorimeter gesetzt und die abgegebene oder aufgenommene W\u00e4rme w\u00e4hrend der Stromerzeugung gemessen. F\u00fchrt man die elektrische Energie durch eine Leitung nach au\u00dfen, was durch gro\u00dfe Widerst\u00e4nde im Verh\u00e4ltnis zum Widerstand der Kette fast vollst\u00e4ndig geschehen kann, so kann man sie nach bekannten Methoden messen. In diesem Falle ist die positive oder negative chemische W\u00e4rme der Kette U gleich der \u00e4u\u00dferen Stromw\u00e4rme W plus der an das Kalorimeter abgegebenen W\u00e4rme G, welche positiv oder negativ sein kann. Also :\n\u00b1u = w\u00b1 c.\nSind U und C positiv, also U \u2014 W-\\- C, so ist die Kette eine exotherme, die sich erw\u00e4rmt; ist U positiv und C gleich Null, also TJ \u2014 C wie beim Daniell, so ist die Kette eine exotherme mit konstanter Temperatur. Ist U positiv und C negativ und ist W C, so ist die Kette eine endotherme mit exothermem, chemischem Proze\u00df. Ist U negativ und C negativ, so mu\u00df G ~J> W sein, wenn die Kette Strom liefern soll, da \u2014 U = W\u2014 C wird. Die Kette ist eine endotherme mit endothermem, chemischem Proze\u00df.\nEine befriedigende anschauliche theoretische Vorstellung von dem inneren Zusammenhang zwischen chemischer Affinit\u00e4t und elektrischer Kraft der Atome, die in Aktion treten, ist bisher f\u00fcr den hier stattfindenden energetischen Proze\u00df noch nicht gegeben worden. Doch ist es Nernst1) gelungen, von den gleich\n') Siehe Nernst, Theoretische Chemie, 1900.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"29\nzu behandelnden Konzentrationsketten ausgehend, eine umfassende Theorie aller elektrischen Ketten aufzustellen, die auf den Gesetzen der Osmose und der lonenlehre beruht.\nWir gelangen nun zu denjenigen Ketten, in welchen im ganzen gar keine chemische \u00c4nderung stattfindet, in denen also U z= 0 ist. Das sind die von Helmholtz zuerst erfundenen Konzentrationsketten. Die einfachste Form derselben besteht aus zwei gleichen Metallelektroden, welche in einer konzentrierten und verd\u00fcnnten L\u00f6sung dieses Metalles stehen, die durch einen mit dieser L\u00f6sung gef\u00fcllten Heber verbunden sind; z. B. Zinkelektroden in Zinksulfat nach dem Schema:\nZn | ZnS04 | Zn SO, | Zn.\nkonz. vei\u2019d.\nDer Strom flie\u00dft bei Verbindung der Zinkelektroden in der Richtung des Pfeiles von der verd\u00fcnnten zur konzentrierten L\u00f6sung. An der Elektrode der verd\u00fcnnten L\u00f6sung l\u00f6st sich Zink auf und an der Elektrode der konzentrierten L\u00f6sung scheidet sich ein gleiches \u00c4quivalent Zink ab, so da\u00df die chemische Energie der Kette gleich Null ist. Es gilt also f\u00fcr eine solche Kette die Gleichung:\nE =\nT d2V dT\n(3)\nEs ist klar, da\u00df der Temperaturkoeffizient einer Konzentrationskette ein positiver sein mu\u00df und da\u00df die elektromotorische Kraft derselben proportional der absoluten Temperatur steigt.\nIn der Konzentrationskette der angegebenen Art kommen drei Kontaktpotentiale zur Wirkung: erstens die der Elektroden gegen die L\u00f6sungen und zweitens das der L\u00f6sungen gegeneinander. Das letztere ist das Wesentliche in einer solchen Kette. Man kann aber auch Konzentrationsketten herstellen, in welchen nur die Kontaktpotentiale der L\u00f6sungen in Betracht kommen, w\u00e4hrend sich die Elektrodenpotentiale als gleich und entgegengesetzt aufheben. Solche Ketten sind von Nernst konstruiert und untersucht worden.\nDie Potentialdifferenz zwischen zwei L\u00f6sungen eines Elektrolyten verschiedener Konzentration l\u00e4\u00dft sich auf verschiedene","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nWeise theoretisch ableiten, v. Helmholtz hat f\u00fcr die erw\u00e4hnte Kette mit Zink in Zinksulfat auf thermodynamischem Wege die Kraft berechnet, indem er den Dampfdruck der verd\u00fcnnten und konzentrierten L\u00f6sung hierzu verwendete, und hieraus die W\u00e4rmemenge erhielt, welche n\u00f6tig ist, um das auf 1 Mol. Salz der ver-d\u00fcnnteren L\u00f6sung kommende Wasser in die konzentriertere L\u00f6sung \u00fcberzuf\u00fchren. Hierbei denkt man sich so gro\u00dfe Mengen der L\u00f6sungen, da\u00df sich die Konzentrationen dabei nicht merklich \u00e4ndern. Der Dampfdruck einer L\u00f6sung nimmt bekanntlich bei zunehmender Konzentration ab. Es ist also Arbeit erforderlich, um ihn zu vermindern. Diese aus der Verdampfungsw\u00e4rme zu berechnende Arbeit ist gleich der elektrischen Energie, welche denselben Ausgleich der Konzentrationen zwischen den beiden L\u00f6sungen hervorbringen w\u00fcrde, und dividiert man diese durch die dem Faradayschen Gesetz entsprechende Elektrizit\u00e4tsmenge, welche zur Elektrolyse von 1 Mol. des Elektrolyten erforderlich ist, so erh\u00e4lt man die elektromotorische Kraft der Kette. Anschaulicher ist die Theorie von Nernst *), welche von dem osmotischen Druck der L\u00f6sungen und der Beweglichkeit der Ionen der Elektrolyte ausgeht. Man denke sich einen Diffusionszylinder der L\u00f6sung eines Elektrolyten, an dessen einem Ende die Konzentration eine h\u00f6here ist als am anderen, so werden infolge der Diffusion die Molek\u00fcle des Elektrolyten sich vom Orte h\u00f6herer nach denen niederer Konzentration bewegen. Nehmen wir nun den einfacheren Fall an, da\u00df es sich, nur um solche Konzentrationen handelt, bei denen alle Molek\u00fcle in ihre Ionen dissoziiert sind, so wissen wir aus dem Verhalten der Ionen bei der Elektrolyse, da\u00df sie eine verschiedene Beweglichkeit besitzen. Infolgedessen wird entweder das positive oder das negative Ion eines Molek\u00fcls das Bestreben haben, dem anderen bei der Diffusion vorauszueilen. Da aber die Ionen sich innerhalb der L\u00f6sung auch in dem dissoziierten Molek\u00fcl nicht voneinander trennen k\u00f6nnen, so wird bei dieser Bewegung die Geschwindigkeit des einen Ions verz\u00f6gert, die des anderen beschleunigt und ebenso die Geschwindigkeiten, mit denen sich die elektrischen Ladungen der Ionen bewegen. Es mu\u00df daher eine elektrische Potentialdifferenz entstehen, welche aus\n*) Elektromotorische Wirksamkeit der Ionen. Zeitschr. f. physik. Chem. 4, 129 (1889).","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"31\nder Beschleunigung der Bewegung des einen und der Verz\u00f6gerung der Bewegung des anderen Ions erfolgt. Ist die Beweglichkeit des positiven Ions, des Kations, eine gr\u00f6\u00dfere als die des negativen, des Anions, so nimmt das verd\u00fcnnte Ende des Diffusionszylinders positive, das konzentriertere Ende desselben negative Spannung an. Ist dagegen die Beweglichkeit des negativen Ions, des Anions, eine gr\u00f6\u00dfere als die des positiven, des Kations, so ist es umgekehrt.\nIn Fig. 9 ist die Wanderung der Ionen in einem elektrischen Strom nach Ostwald dargestellt.\nFig. 9.\nx\no o o o o\to o o\toooo\u00f6\to o o\nv\t\t\t\n\u2014*\u2014*\u2014'O\to o o\to o o o o\to o o\n\t\t\tu\ny\nWanderung der Ionen.\nIn der Fig. 9 stellen die schwarzen und wei\u00dfen K\u00fcgelchen die beiden Ionen eines Molek\u00fcls (oder besser \u00c4quivalents, das hier dem Molek\u00fcl gleichgesetzt sein m\u00f6ge) dar, in a vor der Durchleitung des Stromes, in b w\u00e4hrend der Durchleitung bei der Elektrolyse. In a sind die beiden Ionen, welche \u00fcbereinander stehen, zu einem Molek\u00fcl verbunden, aber nach Clausius und Arrhenius in bereits dissoziiertem Zustande. Die xy- Ebene teilt die L\u00f6sung in zwei gleiche, gleichkonzentrierte H\u00e4lften; die punktierten Striche stellen die Elektroden des Stromes dar. In b sieht man die Wanderungen der beiden Ionen nach den Elektroden. Ihre Geschwindigkeiten sind nicht gleich, sondern meist recht verschieden, was zuerst von Hittorf (1853) nachgewiesen worden ist. In dem gedachten Bilde wandern die wei\u00dfen K\u00fcgelchen, welche die Anionen darstellen m\u00f6gen, schneller als die schwarzen, welche Kationen bedeuten, denn w\u00e4hrend bis zu dem gedachten Zeitpunkt vom Anfang der Elektrolyse vier wei\u00dfe die Mittellinie xy durchwandert haben, haben sich nach der anderen Richtung nur zwei schwarze hindurchbewegt, v ist daher die Verschiebung der Anionen, u diejenige der Kationen. Man erkennt","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\naber, da\u00df an den beiden Elektroden gleichviel Ionen, n\u00e4mlich 4 -|- 2 = 6 freigeworden sind, wie es das Far a day sehe Gesetz verlangt. Dagegen mu\u00df infolge der verschieden schnellen Ionenbewegung die Konzentration der beiden L\u00f6sungsh\u00e4lften verschieden geworden sein. Von dem Salz sind rechts zwei, links vier \u00c4quivalente durch Elektrolyse verschwunden. Diese Verluste verhalten sich also wie die Wanderungsgeschwindigkeiten (Beweglichkeiten) der beiden Ionen.\nNennt man die Beweglichkeiten des Kations u und die des Anions \u00ab, so erh\u00e4lt man durch die oben angegebenen elektrolytischen Versuche das Verh\u00e4ltnis von u: v, also auch die Werte\n\u2014Y\u2014 und \u2014y\u2014> welche man die Hittorfschen Wanderungs-\nu -+- v u v\noder \u00dcberf\u00fchrungszahlen der Ionen genannt hat. Stellt man sich eine L\u00f6sung eines Elektrolyten von 1 cm L\u00e4nge und 1 cm3 Querschnitt vor und leitet durch diesen einen Strom von 1 Volt, so kann man aus der Leitf\u00e4higkeit der L\u00f6sung die Stromst\u00e4rke in Ampere berechnen, und findet daraus, wieviel Gramm\u00e4quivalente sich in einer Sekunde an den Endfl\u00e4chen des Kubikzentimeters abscheiden m\u00fc\u00dften. Man wei\u00df nun, da\u00df die Leitung der Elektrizit\u00e4t in der L\u00f6sung eines Elektrolyten nur durch die Bewegung der Ionen geschieht. Man kann daher die Leitf\u00e4higkeit einer L\u00f6sung X = u -f- v setzen, wenn alle Molek\u00fcle in ihre Ionen dissoziiert sind, was bei einer sehr verd\u00fcnnten L\u00f6sung der Fall ist. Dr\u00fcckt man X in bekannten Einheiten aus, wenn 1 g \u00c4quivalent in 1 Liter Fl\u00fcssigkeit gel\u00f6st ist, so erh\u00e4lt man auch die entsprechenden Werte f\u00fcr u und v. Es sind nach Kohlrausch die Werte f\u00fcr u und v bei einer Zahl von Ionen folgende:\nu . 107 (Kationen)\t\tv . 107 (Anionen)\t\nH\t\t300\tOH\t\t165\nK\t\t60\tCI\t\t63\nNa\t\t41\tBr\t\t62\nLi\t\t33\tJ\t\t62\nNH4\t\t60\tNOs\t\t58\nAg\t\t52\tcio3\t\t52\nVs Ca\t Va Mg\t\t(46)\tCHOs\t\t44\n\t(46)\t02h3o2\t\t33\n% Zn\t\t(46)\t7*so4\t\t(66)\nV2 Cu\t\t(48)\t\t","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"33\nPig. 10.\n\u00a90\t\u00a90\nHCl\tHCl\nMan ersieht hieraus, da\u00df unter den Kationen das H-Ion (H+) die gr\u00f6\u00dfte Beweglichkeit besitzt, unter den Anionen das Hydroxyl-ion (OH-). Kalium- und Chlorionen besitzen ungef\u00e4hr die gleiche Beweglichkeit. Eine gesetzliche Beziehung der Ionenbeweglichkeiten zu anderen Konstanten der Atome und Molek\u00fcle der Elektrolyte ist nicht ermittelt, nur deutet die gro\u00dfe Beweglichkeit des H-Ions darauf hin, da\u00df die Geschwindigkeit der Molek\u00fcle im Gaszustand und die Beibung in dem L\u00f6sungsmittel zu den Variablen der gesuchten Funktion geh\u00f6ren werden.\nKehren wir nun zu der Betrachtung eines Diffusionszylinders wieder zur\u00fcck, wie er durch Fig. 10 dargestellt ist, dessen Ende G die st\u00e4rkere, c die schw\u00e4chere Konzentration eines Elektrolyten enthalten m\u00f6ge, z. B. Salzs\u00e4ure, C1H. Stellen wir uns vor, da\u00df die dissoziierten Molek\u00fcle H+ Cl\u2014 in der Richtung des Pfeiles sich bewegen, so hat das positive Ion H+ infolge seiner gr\u00f6\u00dferen Beweglichkeit\ndas Bestreben, dem nega- +c\t\u00a90\t\u00a9\u00a9\t0 \u2014\ntiven Ion 01\u2014 bei der Difiusion Voranzueilen.\tDiffusionszylinder und Diffusionspotential.\nDa aber die beiden Ionen durch die chemische Affinit\u00e4t der Atome CI und H miteinander verbunden sind, so k\u00f6nnen sie sich nicht trennen, und das schnellere H+-Ion schleppt das langsamere Cl\u2014-Ion hinter sich her, wie es in der Fig. 10 bildlich wiedergegeben ist. Diese Vorstellung, die nur als Anschauungsbild gelten soll, versinnlicht die Entstehung einer elektrischen Spannung an den Enden des Diffusionszylinders, in dem die positiven Ionen sich dem verd\u00fcnnten, die negativen dem konzentrierten Ende desselben zuwenden. Es tritt ein Diffusionspoten.tial auf. Bei nicht dissoziierten Molek\u00fclen eines Elektrolyten oder hei Molek\u00fclen eines Nicht-elektrolyten w\u00fcrde eine derartige Ordnung der Lage derselben in einem Diffusionszylinder nicht eintreten. Es wird also gewisserma\u00dfen bei der Diffusion und Osmose eines dissoziierten elektrolytischen Molek\u00fcls eine ungeordnete Bewegung in eine geordnete umgesetzt. Rein energetisch betrachtet ist es W\u00e4rmeenergie, welche sich bei diesem Vorg\u00e4nge in elektrische verwandelt; denn bei jeder Diffusion oder Osmose wird W\u00e4rme absorbiert, und in vorliegendem Falle erscheint ein Teil dieser W\u00e4rme als elektrische Energie. Ungeordnete W\u00e4rmebewegung wird in eine geordnete Bernstein, Elektrobiologie.\tg","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nBewegung umgesetzt. Die Potentialspannung an den Enden des Diffusionszylinders kann aber nicht ohne weiteres allein zur Stromerzeugung verwendet werden. Schlie\u00dft man den Diffusionszylinder selbst zum Kreise, so hat man gleiche und entgegengesetzte Spannungen, die sich aufheben. Oder taucht man in die Enden desselben Metallelektroden, so gesellen sich zum Potential des Zylinders die Elektrodenpotentiale hinzu, so da\u00df man das erstere nicht an sich feststellen kann. Es bedarf daher eines Kunstgriffes, um eine reine Konzentrationskette zusammenzustellen, deren Kraft nur von dem Potential des Diffusionszylinders herr\u00fchrt, also eine rein osmotische Fl\u00fcssigkeitskette. Eine solche hat Nernst z. B. in folgender Weise zusammengesetzt, nach dem Schema:\n0,1 KCl I 0,01 KCl I 0,01 HCl I 0,1 HCl | 0,1 KCl.\nIn dieser Kombination herrscht die Potentialdifferenz 0,01 HCl | 0,1 HCl vor, denn die Differenz 0,01 KCl | 0,01 HCl ist gleich und entgegengesetzt der von, 0,1 HCl [0,1 KCl, da es nicht auf die absolute Konzentrationsdifferenz, sondern auf das Verh\u00e4ltnis der Konzentrationen zueinander ankommt, und die Differenz 0,1 KCl 10,01 KCl kann man nahezu als Null annehmen , weil die Ionenbeweglichkeiten von K+ und Cl\u2014 (siehe Tabelle) nahezu dieselben sind. Die Konzentrationen, welche angegeben sind, sollen molekulare bedeuten. Um einen Strom von dieser Kette abzuleiten, k\u00f6nnte man zwei unver\u00e4nderliche Metallelektroden, z. B. aus Platin in die Endglieder eintauchen, deren Potentiale sich aufheben w\u00fcrden. Da solche aber polarisierbar sind, so ist es zweckm\u00e4\u00dfiger, sich hierzu unpolarisierbarer Elektroden zu bedienen, am besten in diesem Falle der Quecksilber-Kalomelelektroden, welche mit 0,1 KCl gef\u00fcllt werden (siehe oben S. 4).\nDie Kechnung, welche Nernst auf Grund seiner osmotischen Theorie der Konzentrationsketten ausgef\u00fchrt hat, hat f\u00fcr die Potentialdifferenz zwischen zwei L\u00f6sungen desselben Elektrolyten von verschiedener Konzentration folgendes Resultat ergeben. Beschr\u00e4nkt man die Betrachtung auf verd\u00fcnnte L\u00f6sungen, in denen alle Molek\u00fcle als dissoziiert angenommen werden k\u00f6nnen, setzt man statt der molekularen Konzentrationen der L\u00f6sungen die osmotischen Drucke derselben p1 und p2 (bekanntlich sind , die","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"35\nosmotischen Drucke den molekularen Konzentrationen der L\u00f6sungen proportional), ist die absolute Temperatur der L\u00f6sungen T und K eine Konstante, so ist die Potentialdifferenz zwischen den beiden L\u00f6sungen :\n% = K- T.^ log not \u2014..................(4)\nHierin bezeichnen u und v die Beweglichkeiten des Kations und des Anions und die Konstante K ist bei der Berechnung der Potentiale in Volts gleich 8,60. IO-6 zu setzen. Bedient man sich ferner des gew\u00f6hnlichen Logarithmus statt des nat\u00fcrlichen, so, hat man den Wert durch 0,4343 zu dividieren, und man erh\u00e4lt hiernach:\nQi __ D\tV)\n% = 0,000198 \u2022 T------Zoo\u2014Volt. ... (5)\n#4-\u00ab ft\nSetzen wir p^+>p2 und ist w+>v, so ist 7t positiv und der Strom geht von der konzentrierten L\u00f6sung 1 zur verd\u00fcnnteren 2. Ist dagegen v \u00a3> u, so hat der Strom die umgekehrte Richtung. Die Valenz der Ionen sei gleich. Zieht man in der angegebenen Konzentrationskette (S. 34) von Nernst auch die Potentialdifferenz zwischen 0,1 KCl | 0,01 KCl in Betracht, und nennen wir die Beweglichkeiten in dem einen Elektrolyten (C1H) u\\ und v1 und in dem anderen (KCl) w2 und %, so erhalten wir bei einer so zusammengesetzten Kette f\u00fcr die elektromotorische Kraft:\nE = K-T-\n/% \u2014 Vl Vri + \u00bbi\ntt2 -f- v2\nlog na t \u2014\n(6)\nda in beiden Elektrolyten px und p2 denselben Wert haben. Bei den oben erw\u00e4hnten Konzentrationsketten, in welchen die metallischen Elektroden in die beiden ungleich konzentrierten L\u00f6sungen eines Salzes desselben Metalles tauchen, wie Zn in ZnS04-L\u00f6sung, kommen noch die Kontaktpotentiale der Elektroden in Betracht, und man erh\u00e4lt nach Nernst die Gleichung:\nEk = K- T-\n2v\tPi\n----log not \u2014\nu+v\tp2\n\u25a0 (7)\nIn diesem Falle bestehen die Elektroden aus dem Kation des Elektrolyten und sind in bezug auf das Kation umkehrbar. Man erh\u00e4lt in bezug auf das Anion des Elektrolyten umkehrbare Elek-\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\ntroden, wenn das Anion sich in einer festen schwer l\u00f6slichen Verbindung auf der Oberfl\u00e4che einer Metallelektrode befindet, z. B. bei den oben beschriebenen Quecksilber-Kalomelelektroden gegen verschieden konzentrierte L\u00f6sungen eines Chlorides. Die Kraft einer solchen Kette ist:\nEa \"(S\u00e4- K- T\u2014Jognat\u2014.................(8)\nw + v\tPi\nAlle Konzentrationsketten sind, wie man leicht einsieht, umkehrbare, d. h. durch den entgegengesetzten Strom von derselben Intensit\u00e4t k\u00f6nnen sie wieder in den anf\u00e4nglichen Zustand zur\u00fcckgebracht werden. Man erkennt auch aus den Gleichungen (4) bis (8), da\u00df die Kraft dieser Ketten der absoluten Temperatur proportional sein mu\u00df, wenn man die \u00fcbrigen Gr\u00f6\u00dfen au\u00dfer T konstant setzt. Indessen sind die Beweglichkeiten der Ionen eines Elektrolyten in einer L\u00f6sung keineswegs absolut konstant bei wechselnder Temperatur, doch ist ihr Temperaturkoeffizient nur ein verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig geringer, und f\u00fcr bisher untersuchte Ionen ein nicht sehr verschiedener. W\u00e4re er f\u00fcr alle Ionen ein gleicher, so w\u00fcrden die Werte der Formeln (4) bis (8) dieselben bleiben, da in ihnen nur die Verh\u00e4ltnisse von u:V Vorkommen. Nach Versuchen von Fr. Kohlrausch') sind die Temperaturkoeffizienten f\u00fcr Beweglichkeiten Na+, Cl~ und II 1 folgende: Beweglichkeiten bei 18\u00b0 C: \u00abNa== 43,55,\t\u00ab01= 65,44, \u00abH = 318,\nTemperaturkoeffizienten: \u00abNa = 0,0244, \u00abcl= 0,0210,\t=\t0,0153.\nMan sieht, da\u00df diese Koeffizienten f\u00fcr die genannten Ionen ann\u00e4hernd gleich 0,02 sind. Bei genaueren Berechnungen kann man sie allerdings nicht vernachl\u00e4ssigen. Es ist daher von Interesse zu berechnen, wie weit die Kraft solcher Ketten von der Proportionalit\u00e4t mit der absoluten Temperatur abweicht, da wir auch im folgenden davon Gebrauch machen werden. Eine von Nernst (1. c.) untersuchte und berechnete Kette aus NaCl, von den Konzentrationen 0,125 und 0,0125 g \u00c4q. pro Liter mit Hg-Kalomelelektrode abgeleitet, ergibt, nach der Formel:\nE \u2014 0,860 T log nat \u2014 \u202210\u20144 Volt\nuAr'O\tp2\n') \u00dcber die Temperaturkoeffizienten der Ionen im Wasser usw. Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1902, S. 572, 29. Mai.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"37\nberechnet, f\u00fcr 18\u00b0 C den Wert 0,046 Volt, und f\u00fcr 32\u00b0 C den Wert 0,0491 Volt, w\u00e4hrend nach Annahme der Proportionalit\u00e4t mit T sich 0,0484 ergehen w\u00fcrde. Die Abweichung betr\u00e4gt in diesem Falle etwa 1,43 Proz.\nF\u00fcr eine Kette von C1H, aus 0,1 und 0,01 g \u00c4q. zusammengesetzt, erhielt man hei 18\u00b0 C den Wert Els = 0,0956 und bei 32\u00b0 C ES2 = 0,09895. Im Falle der Proportionalit\u00e4t erhielt man Ei2 \u2014 0,1002, also ist die Abweichung etwa \u20141,23 Proz.\nMan sieht, da\u00df diese Abweichungen verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig gering sind. Von Interesse ist nun auch der Fall, da\u00df zwei L\u00f6sungen verschiedener Elektrolyte miteinander in Ber\u00fchrung stehen, der von Planck theoretisch behandelt ist. Nimmt man der Einfachheit halber zwei L\u00f6sungen von gleicher molekularer Konzentration an, nennt die Beweglichkeiten der Ionen des einen Elektrolyten u, und vx, die des anderen w2 und v2, so ist die Potentialdifferenz zwischen beiden L\u00f6sungen :\nn = 0,000198. T. log -1 V* Volt*),\n% ! L\noder f\u00fcr 18\u00b0 C (T = 273 + 18 = 291):\nn = 0,0577 log\ty0lt.\nu2 -f- r,\nAuch diese Potentiale steigen daher proportional mit der absoluten Temperatur (abgesehen von der \u00c4nderung der Ionenbeweglichkeiten). Ferner sind von Nernst und Riesenfeld* 2) Potentialdifferenzen an der Grenzfl\u00e4che zweier L\u00f6sungsmittel nachgewiesen worden, in denen ein Elektrolyt gel\u00f6st ist. Wenn man z. B. in ein U-Rohr unten Phenol und in beide Schenkel oben Wasser einf\u00fcllt, in welchem ein Elektrolyt gel\u00f6st ist, so verteilt sich derselbe in bestimmtem Verh\u00e4ltnis auf die beiden L\u00f6sungsmittel. Bei Durchleitung eines Stromes treten an den beiden Grenzfl\u00e4chen Elektrolysen auf, die man z. B. bei L\u00f6sung\n*) Bei vollkommener Dissoziation der Molek\u00fcle und gleicher Valenz ihrer Ionen.\n2) Nernst und Biesenfeld, \u00dcber elektrolytische Erscheinungen an der Grenzfl\u00e4che zweier L\u00f6sungsmittel, Ann. d. Physik (4) 8, 600; E. H. Biesenfeld, Konzentrationsketten mit nicht mischbaren Fl\u00fcssigkeiten, daselbst, S. 616, 1902.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nvon K J3 an den Grenzfl\u00e4chen durch Farben\u00e4nderungen erkennen kann. Es geht daraus hervor, da\u00df an den Trennungsfl\u00e4chen der L\u00f6sungsmittel ein Potentialsprung existiert. Der Elektrolyt verteilt sich auf die beiden L\u00f6sungsmittel in einem Verh\u00e4ltnis, das durch den Teilungskoeffizienten ausgedr\u00fcckt wird. Nernst nimmt an, da\u00df nicht blo\u00df die Molek\u00fcle des Elektrolyten, sondern auch die Ionen desselben einen besonderen voneinander verschiedenen Teilungskoeffizienten besitzen. ln dem einfachsten Falle eines bin\u00e4ren Elektrolyten, der sich auf zwei L\u00f6sungsmittel L1 und _L2 verteilt, sind daher drei Teilungskoeffizienten zu unterscheiden, Je f\u00fcr die nicht dissoziierten Molek\u00fcle, \u00c4+ f\u00fcr die positiven und Jc~~ f\u00fcr die negativen Ionen. Sind &+ und \u00c4r~ verschieden gro\u00df, so ist die Zahl der positiven und negativen Ionen in jedem der beiden L\u00f6sungsmittel eine verschiedene, und da im Inneren jedes L\u00f6sungsmittels keine freie Elektrizit\u00e4t sein kann, so entsteht an der Trennungsfl\u00e4che derselben eine Doppelschicht, d. h. eine Potentialdifferenz zwischen den beiden L\u00f6sungsmitteln (Phasen).\nWenn c+ und c~ die Konzentrationen der Kat- und Anionen in Li und y+, y~ die in Z2 sind, in- und m2 die Wertigkeiten derselben, und B die Gaskonstante bedeutet, so ist nach Nernst diese Potentialdifferenz :\n%\nII V\nk+.y+ log nat \u2014(\u2014 a\tr.+\nMT 7\tk-.y-\n----log nat \u2014\u2014\nRiesenfeld hat Konzentrationsketten mit nicht mischbaren Fl\u00fcssigkeiten, z. B. Phenol und Wasser, in denen Halogensalze gel\u00f6st waren, zusammengesetzt, deren Strom sich aus den angegebenen Grenzkr\u00e4ften erkl\u00e4rt. Da man zwei nicht (oder nur wenig) mischbare Fl\u00fcssigkeiten als zwei verschiedene Phasen an-sehen kann, so hat man diese elektrischen Potentiale auch Phasen-grenzkr\u00e4fte genannt.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"39\nDrittes Kapitel.\nElektrische Vorg\u00e4nge in Nerven lind Muskeln in ihrer Beziehung zur Erregung, Reizleitung und Kontraktion.\nDie in dem ersten Kapitel berichteten Tatsachen geben, abgesehen von einigen noch sp\u00e4ter zu behandelnden Erscheinungen 1), im gro\u00dfen und ganzen den Stand der Elektrophysiologie in dem Zeitpunkte an, als ich im Jahre 1866 mir die Frage vorlegte, mit welcher Geschwindigkeit der durch die negative Schwankung wahrnehmbare Proze\u00df der Zustands\u00e4nderung im Nerven sich fortpflanze2). Wenn dieser Vorgang in seiner Ursache gleichbedeutend ist mit dem im Nerven bei Eeizung oder nat\u00fcrlicher T\u00e4tigkeit fortgeleiteten Impulse, welcher im Muskel die Kontraktion, in den Zentren die Empfindung ausl\u00f6st, so mu\u00df diese Geschwindigkeit mit derjenigen \u00fcbereinstimmen, welche Helmholtz, wie oben angef\u00fchrt, f\u00fcr die Nervenerregung gefunden hatte. Ein solches Resultat mu\u00dfte nicht nur ein Kriterium f\u00fcr die Bedeutung der elektrischen Prozesse in den Organen ergeben, sondern mu\u00dfte auch Aufschlu\u00df gew\u00e4hren \u00fcber die Form, in welcher die Erregungsimpulse in den Nerven und Muskeln .ablaufen, wor\u00fcber wir aus der blo\u00dfen Beobachtung der Muskelzuckungen oder der subjektiven Empfindungen bei Nervenreizung nichts Bestimmtes erfahren k\u00f6nnen. Die Erwartungen sind nicht\n*) Insbesondere die Polarisationen in Nerven und Muskeln, der sogenannte Elektrotonus.\n!) Erste vorl\u00e4ufige Mitteilung: ,,Die Portpflanzungsgeschwindigkeit der negativen Schwankung im Nerven, Zentralblatt f\u00fcr die medizinischen Wissenschaften 1866, S. 597. \u2014 \u00dcber den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung des Nervenstromes, Monatsber. d. Berl. Akad. 1867, S. 72. \u2014 \u00dcber den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung des Muskelstromes, daselbst, S. 440. -\u2014 \u00dcber den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung, Pfl\u00fcg. Arch. 1, 179\u2014207 (1868). \u2014 \u00dcber den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsysteme. Heidelberg 1871.\t240 S.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nget\u00e4uscht worden. Es wurde in diesen Untersuchungen gefunden, erstens, da\u00df die elektrische Zustands\u00e4nderung in den Nerven sich mit derselben Geschwindigkeit fortpflanzt wie der Erregungsproze\u00df, zweitens, da\u00df jeder einzelne Impuls, an der elektrischen Ver\u00e4nderung gemessen, einen wellenf\u00f6rmigen Verlauf von gewisser Dauer besitzt. Diesen durch einen momentanen Reiz hervorgerufenen, wellenartig sich fortpflanzenden Proze\u00df habe ich die \u201e Reizwelle\u201c *) genannt.\nDie Methode der Untersuchung war im Prinzip folgende: Ein m\u00f6glichst langer Nerv oder Muskel wird an einem Ende durch Induktionsstr\u00f6me gereizt, welche durch einen m\u00f6glichst momentanen Kontakt des prim\u00e4ren Kreises eines Induktoriums entstehen. Am anderen Ende wird der L\u00e4ngsquerschnittstrom abgeleitet, um zum Galvanometer gef\u00fchrt zu werden. Dieser Kreis ist aber nicht dauernd geschlossen, sondern wird nur in bestimmbaren Zeitintervallen nach der Reizung auf kurze Zeitdauer geschlossen. Der L\u00e4ngsquerschnittstrom in der Ruhe sei vollst\u00e4ndig kompensiert. Schlie\u00dfung und \u00d6ffnung des Kreises wird also keine Ablenkung des Galvanometers verursachen. Findet aber eine momentane Reizung statt und bald darauf ein kurzer Schlu\u00df des Galvanometerkreises, so wird eine Ablenkung im Sinne der negativen Schwankung erscheinen, wenn sich in dem Zeitintervall zwischen Reizung und Nervenstromschlu\u00df die Reizwelle bis zur abgeleiteten Stelle fortgepflanzt hat. Vergr\u00f6\u00dfert man dieses Intervall, so wird sie sich zuerst verst\u00e4rken und dann bis zum Verschwinden wieder abnehmen, sobald die ganze Reizwelle die abgeleitete Stelle, und zwar, wie sich ergab, den abgeleiteten L\u00e4ngsschnittpunkt, \u00fcberschritten hat. Versuche ganz derselben Art sind dann auch mit dem Muskel vorgenommen worden, wozu man einen m\u00f6glichst langen, parallelfaserigen Muskel, Z. B. den Muse, sartorius des Frosches, benutzen kann, nur mu\u00df man in diesem Falle die motorischen Nerven desselben durch vorherige\n*) Diese Welle ist auch von einigen \u201eErregungswelle\u201c genannt worden. Indessen ist meines Erachtens der Begriff der Erregung weiter zu fassen und auch noch auf andere Vorg\u00e4nge als die elektrischen, z. B. auf die Kontraktion, auszudehnen. Andere haben diese Welle auch \u201eNegativit\u00e4ts welle\u201c genannt (wegen der Bichtung des Potentials), doch halte ich diesen Ausdruck nicht f\u00fcr exakt.","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"41\nKurare-Vergiftung]) des Tieres l\u00e4hmen, damit sich die Erregung und Keizwelle nur durch die Muskelfasern fortpflanzt und nicht auf dem Wege der motorischen Nerven.\nIn Fig. 11 ist der benutzte Apparat, das Rheotom (oder Diffe rentialrheotom), von oben gesehen, abgehildet und in Fig. 12 mit der Versuchsanordnung schematisch dargestellt. Da die nach einer einzelnen Reize erfolgenden Galvanometerausschl\u00e4ge sehr klein sin und daher eine genauere Beobachtung des zeitlichen Ablaufes, ins\nFig.11.\nDifferentialrheotom von Bernstein.\nbesondere die Bestimmung des Anfangspunktes nicht zulassen, so finden die Reizungen und Stromableitungen periodisch etwa f\u00fcnf- bis zehnmal in der Sekunde statt. Das Rheotom besteht aus einem um die Achse a rotierenden Rade, an dessen Peripherie etwa diametral gegen\u00fcber zwei isolierte Kontakte angebracht sind. Der eine derselben, der Reizkontakt p, ist eine harte Stahlspitze, welche unter etwa 45\u00b0 schr\u00e4g nach unten gerichtet ist und \u00fcber einen Metalldraht d streift, um den prim\u00e4ren Strom eines Induktoriums momentan zu schlie\u00dfen. Dieser Draht d befindet sich auf einem\n') Das Kurare, amerikanisches Pfeilgift, l\u00e4hmt die motorischen Nervenendigungen in den Muskeln, so. da\u00df Ner.venreizung keine Kontraktion bewirkt, w\u00e4hrend direkte Muskelreizung normalen Erfolg hat.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nSchieber S, der sich durch einen Messingarm um die ganze Peripherie der Grundscheibe Cr drehen l\u00e4\u00dft und durch eine senkrecht stehende Mikrometerschraube hoch und niedrig gestellt werden kann, um den Momentankontakt bei der Rotation des Eades in der Eichtung des Pfeiles einzustellen. Eine zweite horizontal liegende Mikrometerschraube erlaubt eine feinere Verschiebung des Kontaktes, den man auf einer Teilung der Grundscheibe ablesen kann. Dem Eeizkontakt gegen\u00fcber stehen, isoliert voneinander, zwei besonderen drehbaren Messingarmen aufgesetzt, zwei l\u00e4ngliche Quecksilbergef\u00e4\u00dfe Q Q. In das Quecksilber tauchen m\u00f6glichst oberfl\u00e4chlich zwei messerartig gesch\u00e4rfte, amalgamierte Kupferspitzen p1 und j)2, welche vom Eade isoliert, aber miteinander leitend verbunden sind. Durch diese wird der Galvanometerkreis l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit periodisch geschlossen, solange die Spitzen PxP% \u00fcber die Quecksilberoberfl\u00e4che streifen. Diese Schlie\u00dfungszeit kann beliebig variiert werden, indem man die Quecksilbergef\u00e4\u00dfe gegeneinander verschiebt. Sind die Kupferspitzen p1p2 amalgamiert und leicht die Hg - Oberfl\u00e4che streifend eingestellt, so sind die Momente der Schlie\u00dfung und \u00d6ffnung in den Hg - Gef\u00e4\u00dfen bei der Eotation sehr konstant, ohne da\u00df das Quecksilber dabei in merkliche Bewegung versetzt wird. Man bestimmt w\u00e4hrend der konstanten Rotation diese Momente, indem man durch den Reizkontakt p d und den Schlie\u00dfkontakt p>iQQp2 den Strom eines Elementes zum Galvanometer leitet und diejenige Stellung des Schiebers an der Teilung abliest, bei welcher die Ablenkung eben erscheint und bei der sie aufh\u00f6rt. Hat man diese Punkte bestimmt, aus denen man auch die Schlie\u00dfungszeit erh\u00e4lt, so kann man sich \u00fcberzeugen, da\u00df dieselben am Schlu\u00df einer Beobachtungsreihe mit ausreichender Genauigkeit dieselben geblieben sind1). Auch sind die so erhaltenen Ablenkungen w\u00e4hrend der Eotation durchaus konstant.\nFig. 12 gibt die Anordnung eines solchen Versuches schematisch wieder. Vom L\u00e4ngs- und Querschnitt Iq ist ein langer Nerv (z. B. Nerv, ischiad. des Frosches) oder langer Muskel (z. B. M. sartorius) zum Galvanometer M durch den Schlie\u00dfkontakt\n!i Ich hebe diesen Umstand besonders hervor, da L. Hermann sich veranla\u00dft sah, wegen angeblich unsicheren Kontaktes im Quecksilber stattdessen harte Schleifkontakte zwischen Kupferb\u00e4nken und Drahtb\u00fcrsten anzuwenden.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"43\nViQ QP2 periodisch abgeleitet. Auch diese Ablenkung mu\u00df bei gut eingestelltem Kontakt eine konstant bleibende sein, aber es ist zweckm\u00e4\u00dfig, den Nerven- oder Muskelstrom mit Hilfe eines Rheochordstromes (s. oben S. 7) zu kompensieren, damit die Nerven und Muskeln nicht durch ihre Eigenstr\u00f6me gereizt werden. Am anderen Ende des Nerven oder Muskels befinden sich die Reizelektroden rr, welche unter Vorlegung eines Kurzschl\u00fcssels L mit der sekund\u00e4ren Spule S eines Induktoriums verbunden sind.\nFig. 12.\nAnordnung eines Eheotom Versuches, ss Beiz welle, cc Kontraktions welle.\nDer Strom der prim\u00e4ren Spule Pr wird durch den Reizkontakt p d geleitet, indem der Strom in der Achse a zu einer kreisf\u00f6rmigen Quecksilberrinne geht, in welche ein Draht i? eintaucht, der zur Spitze p f\u00fchrt.\nDer Versuch wird in der Weise ausgef\u00fchrt,, da\u00df man den Schieber mit dem Reizkontakt pd zuerst auf den Moment der \u00d6ffnung des Schlie\u00dfkontaktes pxQ Qp% einstellt, wie es die Fig. 12 angibt. Dies ist der an der Teilung abgelesene Nullpunkt. Man reizt, indem man den Kurzschl\u00fcssel L \u00f6ffnet. Ist das Rheotom auf den Nullpunkt eingestellt, so mu\u00df das Rad desselben nahezu","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\neine ganze Umdrehung machen, bis wieder eine Schlie\u00dfung des Galvanometerkreises erfolgt. In dieser Zeit, 1/'6 bis 1/10\u201d, ist im Nerven und meist auch im Muskel (abgesehen von schwachen Nachwirkungen, s. unten) der ganze Proze\u00df der Stromesschwankungen abgelaufen. In solchem Falle tritt daher keine \u00c4nderung am Galvanometer ein. Verschiebt man aber den Reizkontakt in der Richtung nach dlt so vergeht zwischen Reizmoment und darauf folgender \u00d6ffnung des Galvanometerkreises eine bestimmte Zeit, und wenn in dieser sich die Reizwelle bis zur abgeleiteten Stelle li\u00a3 fortgepflanzt hat, so wird am Galvanometer eine Ablenkung im Sinne einer negativen Schwankung eintreten. Verschiebt man daher den Reizkontakt allm\u00e4hlich in dieser\nm s s\nZeitlicher Verlauf der negativen Schwankung.\nRichtung, so findet man ein Zeitintervall, nach welchem die negative Schwankung eben merklich beginnt, bei weiterer Verschiebung zu einem Maximum anw\u00e4chst und dann bei fortgesetzter Verschiebung des Reizkontaktes weiter auf nahezu Null absinkt. Je kleiner die Schlie\u00dfungszeit ist, desto genauer werden die erfolgenden Ablenkungen die ganze Kurve der Reizwelle wiedergeben, welche \u00fcber den L\u00e4ngsschnittpunkt l abl\u00e4uft. \u25a0 Fig. 13 gibt den zeitlichen Ablauf zweier aufeinander folgender Schwankungen mn e des Ruhestromes von der H\u00f6he h auf der Zeitabszisse 0 0 aufgetragen wieder. Die Zeitpunkte 0 sind die Momente der Reizung. Die Zeit vom Momente 0 bis zum Beginn m der negativen Schwankung ist die Zeit der Fortpflanzung der Reiz welle von der gereizten Stelle rr bis zum abgeleiteten L\u00e4ngsschnittpunkte ?. Die hieraus berechnete Geschwindigkeit der Reizwelle stimmt, wie schon oben bemerkt, mit der durch Muskelzuckung gemessenen Geschwindigkeit der Erregung vollst\u00e4ndig \u00fcberein. Man erkennt an der negativen Schwankung aber auch den ganzen Ablauf des Erregungsprozesses. Stellen wir die mit der elektrischen Ver-","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"45\n.\u00e4nderung zusammenfallende Zustands\u00e4nderung als Kurve dar, die wir in einem bestimmten Zeitpunkte nur auf die L\u00e4nge eines Nerven oder Muskels aufgetragen denken, so erhalten wir die Form der Reizwelle, wie sie \u00fcber die Fasern abl\u00e4uft. In Fig. 13 ist das Rheotom so eingestellt gedacht, da\u00df die Sehlie\u00dfungszeit, zwischen SS fallend, mit dem Maximum der Schwankung zusammenf\u00e4llt. Das auf das Galvanometer wirkende Stromintegral (h.t) ist als schraffiertes Fl\u00e4chenst\u00fcck gezeichnet. Denken wir uns dieses statt des Reizkontaktes \u00fcber die ganze Kurve verschoben, so erhalten wir die verschiedenen Ablenkungen des Versuches *). Man erkennt aus den Figuren, da\u00df der aufsteigende Teil der Reizwelle bis zum Maximum steiler ist, als der absinkende. Man sieht leicht ein, da\u00df man aus diesen Messungen nicht nur die Geschwindigkeit der Reizwelle erhalten kann, sondern auch ihre Dauer. Diese Dauer ergibt uns also einen Aufschlu\u00df \u00fcber die Schnelligkeit, mit welcher der Erregungsproze\u00df in den Organen nach einem Momentenreiz steigt, wie lange er andauert und wie geschwind er wieder in den Ruhezustand \u00fcbergeht.\nBisher ist immer nur von der negativen Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes die Rede gewesen. Aber schon du Bois-Reymond hat an Nerven untersucht, wie sich der Vorgang bei der Reizung verh\u00e4lt, wenn man ihn von zwei Punkten seines L\u00e4ngsschnittes ableitet. Er fand, da\u00df bei Ableitung zweier zum \u00c4quator symmetrischer Stellen (s. oben S. 6 u. 15), welche keinen Ruhestrom geben, auch bei der Reizung keine Wirkung am Galvanometer auftritt, da\u00df dagegen andere Stellen, welche mehr oder weniger elektromotorisch wirken, auch eine der Gr\u00f6\u00dfe des Ruhestromes entsprechende negative Schwankung geben. Sp\u00e4tere Versuche, welche ich am unverletzten langen, parallelfaserigen und kurare-sierten Muskel anstellte, ergaben ein \u00e4hnliches, wenn auch, wie man bald einsehen wird, nicht ganz gleiches Resultat. Versuche, welche ich mit Hilfe des Rheotoms zuerst an solchen Muskeln ausf\u00fchrte, zeigten, da\u00df bei Ableitung zweier L\u00e4ngsschnittpunkte,\n1) Es wurde an dem Rheotom der Reizkontakt beweglich, der Schlie\u00dfkontakt dagegen fest angebracht, weil die Verschiebung des letzteren merkliche \u00c4nderungen der Schlie\u00dfungszeit durch kleine Abweichungen der Grundplatte des Rheotoms von der Horizontalebene herbeif\u00fchren w\u00fcrde.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nwelche keinen oder einen m\u00f6glichst schwachen Strom gehen und weit genug voneinander entfernt waren, zwei kurzdauernde einander entgegengesetzte Str\u00f6me entstehen, welche hei dauerndem Galvanometerschlu\u00df sich ganz oder teilweise aufheben. In Fig. 14 ist der Vorgang der sich fortpflanzenden Reizwelle des in rr gereizten Muskels dargestellt und die damit verbundenen Stromschwankungen. Sind die beiden Stellen und ?2 durch das Rlieotom zum Galvanometer geleitet, so beobachtet man zuerst einen kurz dauernden Strom in der Richtung der Pfeile 1 und dann schnell darauf einen solchen in der Richtung der Pfeile 2.\nFig. 14.\nFortpflanzung der Reiz welle.\nDas hei\u00dft, zuerst wird die Stelle negativ gegen die Stelle l2, und dann die Stelle Za negativ gegen die Stelle Die Versuche ergeben also, wie die Figur es darstellt, da\u00df jede Stelle des Muskels, welche sich inner halb der fortschreitenden Reizwelle, also in Erregung befindet, sich negativ gegen eine ruhende Stelle verh\u00e4lt. Man kann diesen Vorgang auf die negative Schwankung zweier entgegengesetzt gerichteter L\u00e4ngsquerschnittstr\u00f6me zur\u00fcckf\u00fchren, indem man sich die beiden Muskelelemente 1 und 2 abgeleitet denkt. Wenn die Reizwelle in 1 anlangt, tritt negative Schwankung des Elementes 1 ein, und daher \u00fcberwiegt der Ruhestrom von Element 2 in der Richtung des Pfeiles 1, wenn die Reizwelle aber \u00fcber Element 2 steht, so erleidet dieses negative Schwankung und es \u00fcberwiegt der Ruhestrom des Elementes 1 in der Richtung des Pfeiles $. Es treten also zwei Phasen einer Stromschwankung ein. Man hat diese Str\u00f6me nach Hermajnn auch die doppelphasigen Aktions-","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"47\nstr\u00f6me genannt, und diese Bezeichnung auch auf die negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes angewendet, den man als einphasigen Aktionsstrom bezeichnet hat. Es ist aber einleuchtend, da\u00df beide Vorg\u00e4nge auf denselben Ursachen beruhen, und da\u00df die negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes der einfachere Vorgang ist, auf welchen die doppelphasigen Aktionsstr\u00f6me eines unverletzten Muskels zur\u00fcckgef\u00fchrt werden m\u00fcssen. Was die Messung des Ablaufes dieser Str\u00f6me anbetrifft, so kann nur die der negativen Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes (also des einphasigen Aktionsstromes) ein zuverl\u00e4ssiges Bild geben, weil bei Ableitung eines unverletzten Muskels die beiden Ableitungsstellen oft einander so nahe liegen, da\u00df die beiden einander entgegengesetzten Phasen mehr oder weniger miteinander interferieren werden. Auch bei Ableitung eines unverletzten Muskels von L\u00e4ngsschnitt und Sehne, der einen schwachen oder keinen Ruhestrom liefert, z. B. des Musculus gastrocn. (Frosch), erh\u00e4lt man auf Nervenreizung einen doppelphasigen Aktionsstrom, indem zuerst der L\u00e4ngsschnitt gegen die Sehne und dann die Sehne gegen den L\u00e4ngsschnitt negativ wird *). Dies erkl\u00e4rt sich sehr einfach daraus, da\u00df die Nervenfasern etwa in der Mitte der Muskelfasern eintreten , hier demnach die Reizwelle anhebt und sich nach dem Achillessehnenende fortpflanzt. Da aber die Fasern dieses Muskels sehr kurz sind, so ist die erste Phase noch nicht beendet, wenn die zweite bereits anf\u00e4ngt. Man ersieht hieraus, da\u00df man an unregelm\u00e4\u00dfig gestalteten, unverletzten Muskeln, bei denen die Nerveneintrittsstellen nicht selten \u00fcber weite Strecken verteilt sind, keine eindeutigen Resultate erhalten wird und gewisse prinzipielle Fragen an ihnen nicht l\u00f6sen kann. Aus diesem Grunde habe ich mich bei weiteren Untersuchungen und Messungen eines m\u00f6glichst langfaserigen regelm\u00e4\u00dfigen, kuraresierten Muskels bedient, der an einem Ende direkt gereizt wurde. Am Muskel ergab sich die f\u00fcr die Theorie wichtige Tatsache, da\u00df die negative Schwankung selbst bei der st\u00e4rksten Reizung des L\u00e4ngsquerschnittstromes im Maximum nur bis Null sinken kann, ihn aber nicht umkehrt, wie es die Kurve mne in Fig. 87 zeigt.\nWie am Nerven l\u00e4\u00dft sich auch am Muskel die Geschwindigkeit messen, mit welcher sich die Reizwelle fortpflanzt, ebenso ihr\n*) Sigm. Mayer, Archiv f. Anatomie u. Physiol. 1868, S. 655.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nganzer Ablauf und ihre Dauer. Hierbei tritt uns die wichtige Frage entgegen, wie sich der elektrische Proze\u00df zur Kontraktion des Muskels verh\u00e4lt. Schon aus \u00e4lteren Versuchen von Helmholtz \u00fcber die Zeitmomente der prim\u00e4ren und sekund\u00e4ren Zuckung konnte man schlie\u00dfen, da\u00df die negative Schwankung schneller auftritt als die Zuckung des prim\u00e4ren Muskels. Man wei\u00df aus den Helmholtzsehen Untersuchungen \u00fcber den zeitlichen Verlauf der Muskelzuckung, die mit Hilfe der Pouillet-schen Zeitmessungsmethode oder mit dem Myographion angestellt wurden, da\u00df die Zuckung nicht sofort im Momente des Eeizes beginnt, sondern erst nach einem \u201eStadium der latenten Reizung\u201c, das im Froschmuskel unter gew\u00f6hnlichen Bedingungen der Arbeitsleistung etwa bis zu 0,01\u201d reicht1). Die ganze Zuckung dauert beim Froschmuskel etwa x/6\u201d. Weitere Versuche, welche von J. Bernstein (1. c.) angestellt wurden, ergaben an langen, parallelfaserigen und kuraresierten Muskeln, da\u00df bei Reizung an einem Ende (wie in Fig. 11) die sich \u00fcber den Muskel fortpflanzende Kontraktion eine Geschwindigkeit von etwa 3 m in der Sekunde besitzt. Da sie an jeder Stelle demnach in verschiedenen Zeitpunkten anhebt, das Maximum erreicht und wieder sinkt, so l\u00e4uft sie als Kontraktionswelle \u00fcber die ganze L\u00e4nge der Fasern ab. In der Fig. 12 ist durch die Kurven cc die Verdickung eines sehr lang gedachten Muskels (abgesehen von der gleichzeitigen Verk\u00fcrzung) dargestellt, und zwar f\u00fcr den Zeitmoment, in welchem die schraffiert angegebene Reizwelle ss eben den L\u00e4ngsschnittpunkt l erreicht2). An der Reizstelle rr entstehen beide durch den Induktionsschlag, die Reizwelle momentan ohne wirkliches Latenzstadium, die Kontraktionswelle aber erst nach etwa 1/100\". Die Reizwelle pflanzt sich nun mit derselben Geschwindigkeit von 3m in fort wie die Kontraktions welle; sie eilt daher der Kontraktion sw eile voraus und mu\u00df in jedem Querschnittelement der Muskelfaser fr\u00fcher erscheinen als der Beginn der Kontraktion. Der gr\u00f6\u00dfte Teil\n') Mit feineren Hilfsmitteln photographischer Aufzeichnung beobachtet, kann dieser Zeitraum bis auf etwa 0,004\u201d reduziert werden.\n2) Das schematische Bild gibt die wirklichen Verh\u00e4ltnisse der Wellenl\u00e4nge nicht genau wieder. Die Kontraktionswelle ist sehr viel l\u00e4nger als die Reizwelle. Ihre L\u00e4nge betr\u00e4gt im Froschmu\u00e0kel etwa 300 mm.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"49\nder Reizwelle (negative Schwankung, Phase) in jedem einzelnen Muskelelement vollzieht sich daher im Stadium der latenten Reizung.\nMan wird aus dieser Tatsache schlie\u00dfen d\u00fcrfen, da\u00df der gesamte Erregungsproze\u00df in dem Muskel, welcher die Kontraktion bedingt, kein einheitlicher ist, da die elektrischen und mechanischen Ver\u00e4nderungen desselben zeitlich nicht zusammenfallen. Beiden Vorg\u00e4ngen, den elektrischen wie mechanischen, liegen unbedingt chemische Prozesse zugrunde, die in der Muskelsubstanz ablaufen. Wir wissen mit Bestimmtheit, da\u00df bei der Muskelt\u00e4tigkeit eine st\u00e4rkere Spaltung und Oxydation von organischen Verbindungen in dem Muskel eintritt, als dies in der Ruhe geschieht, und da\u00df der Muskel bei der T\u00e4tigkeit mehr Sauei\u2019stoff verbraucht und unter den Verbrennungsprodukten haupts\u00e4chlich mehr Kohlens\u00e4ure liefert als in der Ruhe. Auch die W\u00e4rmeerzeugung im Muskel, die bei der Arbeitsleistung eintritt, ist ein Beweis daf\u00fcr, da\u00df bei der Reizung chemische Energie umgesetzt wird. Wir werden daher sagen d\u00fcrfen, da\u00df der gesamte chemische Proze\u00df bei der Kontraktion in zwei Teilprozesse zerf\u00e4llt. Der erste f\u00e4llt mit der elektrischen Ver\u00e4nderung, der zweite mit der mechanischen Ver\u00e4nderung der Muskelfaser zeitlich zusammen. Der erste f\u00e4llt zum gro\u00dfen Teil in das Stadium der Latenz und mu\u00df bis zu einem gewissen Grade vorgeschritten sein, damit der zweite zugleich mit der Kontraktion erfolgen kann. Welcher Art der erste Teilproze\u00df ist, m\u00f6ge zun\u00e4chst unbestimmt bleiben; da\u00df der zweite im wesentlichen in einer oxydativen Spaltung organischer Verbindungen besteht, kann wohl als sicher angesehen werden. Weiteres hier\u00fcber wollen wir sp\u00e4ter behandeln.\nDiese elektrischen Ver\u00e4nderungen der Muskeln und Nerven in ihrer Beziehung zum Ablauf der Erregung und T\u00e4tigkeit sind nun in den letzten Jahrzehnten auch mit Hilfe von elektrischen Instrumenten beobachtet worden, welche schnellen Stromesschwankungen mit gro\u00dfer Schnelligkeit folgen und daher die Anwendung des Rheotoms zum Teil ersetzen k\u00f6nnen. Zu diesen geh\u00f6rt erstens das von dem Physiker Lippmann erfundene Kapillarelektrometer und zweitens das von dem Physiologen Einthoven konstruierte Saitengalvanometer1). Beide Instru-\n*) Beschreibung dieser Instrumente siehe im Anhang. Bernstein, Elektrobiologie.\n4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nmente folgen schnellen Stromesoszillationen bis zu einer gewissen Grenze, und man kann nach bekannten Methoden diese Bewegungen auf einem rotierenden Zylinder photographisch verzeichnen. Man darf aber bei solchen Untersuchungen niemals au\u00dfer acht lassen, da\u00df die erhaltenen photographischen Kurven keineswegs bei schnelleren Schwankungen die wirklichen Stromeskurven sind, und da\u00df man diese erst berechnen mu\u00df, soweit es m\u00f6glich ist. Nach dieser Methode hat man im allgemeinen die mit dem Rheotom erhaltenen Resultate best\u00e4tigt. Eine gro\u00dfe Zahl von Versuchen sind von verschiedenen Beobachtern \u00fcber den Ablauf der Aktionsstr\u00f6me besonders an unverletzten Muskeln gemacht worden. Da hat man an einigen Muskeln, wie am M. gastrocn. des Frosches, f\u00fcr den doppelphasigen Aktionsstrom bei Nerven-reizung eine photographische Kurve erhalten, an noch 'unregelm\u00e4\u00dfiger gestalteten Muskeln, wie z. B. am Triceps fern oris oder Gracilis, kann man noch kompliziertere Kurven, auch dreiphasige erhalten. Aber es ist klar, da\u00df solche Versuche gar keinen prinzipiellen Wert haben k\u00f6nnen, wenn es sich um die Fragen handelt: wie lange dauert an jeder Stelle einer Muskelfaser die elektrische Reizwelle, und in welchem Zeitverh\u00e4ltnis steht sie zur Kontraktionswelle? Es ist klar, da\u00df man an unregelm\u00e4\u00dfig gestalteten Muskeln, noch dazu an solchen, mit mehreren Sehnen, wie der Triceps femoris, oder Zwischensehnen, wie der M. gracilis, deren Muskelfasern die verschiedensten L\u00e4ngen haben und an denen die Eintrittsstellen der Nervenfasern sich \u00fcber weite und voneinander getrennte Strecken der Muskeln verbreiten, keine klaren und ma\u00dfgebenden Resultate erhalten kann, und da\u00df diese auch je nach der Art der Ableitung mannigfach schwanken m\u00fcssen. Wenn man an zwei Stellen eines unverletzten Muskels ableitet, so ist ferner zu ber\u00fccksichtigen, da\u00df, wenn die Ableitungsstellen einander nahe liegen, die beiden Phasen der Aktionsstr\u00f6me mehr oder weniger miteinander interferieren m\u00fcssen. Es wird daher ein klares und eindeutiges Resultat nur erhalten werden, wenn man sich erstens eines m\u00f6glichst langen parallelfaserigen Muskels bedient, und wenn man zweitens zurVermeidung aller Interferenzen an einem Ende des Muskels die negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes, d. h. des einphasigen Aktionsstromes verzeichnet. Soll nun mit dem Ablauf dieses Stromes der Ablauf der Kontraktionswelle verglichen werden, so darf man nicht, wie es meist geschehen ist,","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"51\ndie Zuckungskurve der Verk\u00fcrzung des ganzen Muskels gleichzeitig myographisch aufnehmen, sondern nur den Ablauf der Kontraktion an der abgeleiteten L \u00e4 n g s s ch nit t s t e Ile ; denn wir wollen ja durch den Versuch feststellen, in welchen Zeitmomenten die Reizwelle und die Kontraktionswelle von der Reizstelle des Muskels aus an dem abgeleiteten L\u00e4ngsschnittpunkte anlangt, wann beide Wellen an dieser Stelle ihren H\u00f6hepunkt erreichen und wann sie daselbst abgelaufen sind. Wenn wir aber die Verk\u00fcrzungskurve des ganzen Muskels auf zeichnen, so ist einleuchtend, da\u00df diese in allen ihren Teilen fr\u00fcher beginnen mu\u00df als die Kontraktionswelle am abgeleiteten L\u00e4ngsschnittpunkt, da sie mit der Kontraktion der gereizten Stelle zugleich anhebt. Infolge der Vernachl\u00e4ssigung dieses Umstandes hatte man noch dazu an dem unregelm\u00e4\u00dfig gebauten M. gastrocn. Resultate erhalten, welche mit denen der Rheotomversuche nicht stimmten und in denen die Aktionsstr\u00f6me weit in den Verlauf der Muskelzuckung hineinreichten.\nVonBernsteinundTschermak1) wurde daher die Kapillarelektrometerkurve der negativen Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes und die Kontraktionswelle der abgeleiteten L\u00e4ngsschnittstelle an einem langen parallelfaserigen Muskel (M. adductor des Frosches) in folgender Weise aufgenommen. Man denke sich diesen Muskel, wie in Fig. 11, von l und q abgeleitet, horizontal auf einer festen Unterlage gelagert. Anstatt zum Rheotom f\u00fchrt die Leitung von l und q zum Kapillarelektrometer. \u00dcber die abgeleitete L\u00e4ngsschnittstelle l ist ein schmales durchfeuchtetes Leinwandband gelegt, welches unten an einen leichten, wenig belasteten Hebel angreift, der bei der Verdickung des Muskels an dieser Stelle sich hebt und daher auf einem rotierenden Zylinder die Verdickungskurve der Stelle I, d. h. den Ablauf der Kontraktionswelle \u00fcber die Stelle l zeichnen w\u00fcrde. Diese Zeichnung geschieht nun in diesem Falle photographisch dadurch, da\u00df der Hebel an den Spalt gestellt wird, auf welchen das Bild der Kapillare entworfen ist. Gehen die Lichtstrahlen durch diesen Spalt hindurch, so zeichnen sie auf der photographischen Platte den Schatten des\nl) \u00dcber die Beziehung der negativen Schwankung des Muskelstromes zur Arbeitsleistung des Muskels. Pfl\u00fcgers Arch. f. d. ges. Physiol. 89, 289\u2014331 (1902).\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\ndeckenden Hebelpunktes auf, der, wenn er sich hebt, bei der Bewegung der Platte die Kurve der Kontraktionswelle zeichnet. Ebenso zeichnet der Meniskus der Kapillare bei derselben Heizung die Elektrometerkurve der Reizwelle. Die Bedingungen des Versuches fallen nun mit denen des Rheotomversuches zusammen, und es hat sich auch eine befriedigende \u00dcbereinstimmung ergeben.\nIn Fig. 15 ist das photographische Bild (ein Positiv des Originalnegativs) eines solchen Versuches am Muse, adductor femoris des Frosches wiedergegeben. Der Muskel ist etwa in seiner Mitte vom L\u00e4ngsschnitt und am unteren Ende vom k\u00fcnstlichen\nFig. 15.\nBeiz welle und Kontraktionswelle des Muskels. nes Kapillarelektrometerkurve, ngt berechnete Kurve der negativen Schwankung (schematisch), abc Kontraktionswelle.\n(thermischen) Querschnitt abgeleitet, der Ruhestrom ist kompensiert (s. oben S. 7). Die Bewegung des Meniskus infolge einer negativen Schwankung bei Einzelreiz (Offnungsinduktionsschlag) ist, im Bilde nach oben gerichtet, durch die Kurve nes angegeben, welche von links nach rechts zu lesen ist. Sie entspricht der \u00fcber die abgeleitete Stelle sich fortpflanzenden Reizwelle. Der Ablauf der Kontraktionswelle (Verdickungskurve) an der abgeleiteten L\u00e4ngsschnittstelle wird durch die Kurve abc gegeben, welche der Schatten des Myographionhebels vor dem Spalt zeichnet (im Projektionsbilde sind alle Bewegungen, welche in Wirklichkeit nach unten gerichtet waren, nach oben gewendet). Die Schwingungen einer vor dem Spalt schwingenden, horizontal liegenden Federlamelle (elektromagnetisch durch einen akustischen Unterbrecher in Bewegung erhalten) geben die Zeit an; jede ganze Periode bedeutet Vioo Sek. Man erkennt deutlich, da\u00df die Elektro-","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"53\nmeterkurve nes der Zuckungskurve abc vorausgellt. Der Beginn der Elektrometerkurve liegt ungef\u00e4hr Yioo Sek. vor dem in diesem Falle merklichen Beginn der Zuckungskurve. Der Gipfel der ersteren liegt weit vor dem der letzteren, und ebenso verhalten sich die allm\u00e4hlicher ablaufenden Enden beider Kurven zueinander. Die Elektrometerkurve nes ist aber keineswegs die wirkliche Kurve der negativen Schwankung, vielmehr mu\u00df dieselbe durch Rechnung (s. S. 50 und Anhang) gefunden werden; dieselbe ist auf Grund von Berechnungen spezieller Versuche schematisiert in die Figur als Kurve n g t eingetragen. Nun erkennt man mit gro\u00dfer Deutlichkeit, da\u00df der Gipfel g der negativen Schwankung schon erreicht ist, bevor die Kontraktionswelle' an der abgeleiteten Stelle merklich anhebt. Der aufsteigende Teil der Reizwelle liegt f\u00fcr jedes Muskelelement zum allergr\u00f6\u00dften Teil innerhalb des Stadiums der latenten Reizung. Der abfallende Teil der Reizwelle reicht zeitlich mehr oder weniger weit in den Ablauf der Kontraktionswelle hinein, Binkt viel langsamer ab als der aufsteigende und hat kein scharf zu bestimmendes Ende. Meist ist im Maximum der Kontraktion die Reizwelle schon stark abgesunken. Die Gestalt der Reizwelle ist aus der Figur der Kurve ngt ersichtlich. Sie steigt schnell konvex nach oben gerichtet zum Maximum auf, sinkt zuerst schnell nach oben konvex ab und dann durch einen Wendepunkt gehend konkav nach oben gerichtet allm\u00e4hlich zur Abszisse ab. Nimmt man f\u00fcr die Dauer der Kontraktionswelle nach Fig. 15 etwa 0,12 Sek. an, so w\u00fcrde, abgesehen von dem allm\u00e4hlich ablaufenden Ende, die Dauer der ganzen Reizwelle auf etwa 0,06 Sek. berechnet werden k\u00f6nnen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, da\u00df in dem vom lebenden K\u00f6rper getrennten, nicht mehr normal ern\u00e4hrten und durch einen Querschnitt verletzten Muskel die Schnelligkeit aller Erregungsprozesse verlangsamt sein mu\u00df. Die Dauer der Reizwelle wird also unter ganz normalen Bedingungen wohl eine viel geringere sein, als man sie in dem Experiment am herausgeschnittenen verletzten Muskel findet1). Es l\u00e4\u00dft sich aus vielen Beobachtungen schlie\u00dfen, da\u00df im absterbenden Muskel eine viel l\u00e4ngere Nachwirkung jeder\n') In den oben beschriebenen Bheotomversuchen konnte nur der h\u00f6here Teil der Beizwelle gemessen werden, der etwa 0,004\" betrug, da bei repetierender 5- bis 10maliger Beizung in der Sekunde eine Summierung der abfallenden Teile der Welle eintritt.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nReizung eintritt als im normalen, was sich an der schnelleren Erm\u00fcdung bemerkbar macht. Der Verlauf der Reizwelle und der Kontraktionswelle ist daher ein gutes Zeichen f\u00fcr den Zustand des Muskels. Je besser der Muskel ern\u00e4hrt wird, um so schneller kehrt er nach jeder Reizung in den normalen Ruhezustand wieder zur\u00fcck, und dies erkennt man an der schneller ablaufenden Reizwelle und Kontraktionswelle. Da\u00df die Reizwelle in einem normal ern\u00e4hrten, unverletzten Muskel, innerhalb des lebenden K\u00f6rpers, eine viel geringere Dauer besitzt, da\u00df namentlich der abfallende Teil viel schneller auf Null sinkt als in dem obigen Falle, daf\u00fcr sprechen mancherlei Beobachtungen. Erstens kann man auch an dem unverletzten Muskel einen schnelleren Ablauf der beiden Phasen des Aktionsstromes beobachten und dann scheinen auch innerhalb des lebenden K\u00f6rpers diese Vorg\u00e4nge noch schneller und in k\u00fcrzerer Zeit abzulaufen. Aber es ist klar, da\u00df solche Messungen nur dann ein genaueres Resultat geben k\u00f6nnen, wenn die beiden Ableitungsstellen der Muskeln so weit voneinander entfernt liegen, da\u00df die Reizwelle an der ersten Stelle, die sie passiert, schon vollst\u00e4ndig abgelaufen ist, bevor sie die zweite erreicht. Das ist aber bei den kurzen Froschmuskeln, die meist zu solchen Versuchen verwendet worden sind, durchaus nicht der Fall, auch wenn wir die l\u00e4ngsten Muskeln dazu ausw\u00e4hlen. Dazu kommt noch, da\u00df Versuche, in denen die Reizung vom Nerven aus geschieht, f\u00fcr eine genauere Messung untauglich sind, da in den meisten Muskeln die Fasern sich \u00fcber ein so gro\u00dfes Gebiet des Muskels erstrecken, da\u00df die Reizwellen in den verschiedenen Muskelfasern an weit voneinander entfernten Stellen anheben und daher keineswegs zu gleicher Zeit an den Elektrodenstellen anlangen. Es ist schon aus den ersten Rheotom-versuchen von mir der Schlu\u00df gezogen worden, da\u00df bei Nerven-reizung in jeder Muskelfaser die Reizwelle an der Eintrittsstelle der Nervenfaser beginnen mu\u00df, um sich von dort nach beiden Seiten hin ebenso wie die Kontraktionswelle fortzupflanzen. Das, was wir also in diesem Falle beobachten, ist nichts anderes als eine Kombination von Aktionsstr\u00f6men, welche in verschiedenen Fasern ungleichzeitig erfolgen, sich zum Teil summieren oder auch subtrahieren k\u00f6nnen. Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich in meinen ersten Rheotomversuchen es vorgezogen, die prinzipiellen Fragen, um die es sich zun\u00e4chst handelte, nicht mit","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"55\nAnwendung der Nervenreizung, sondern durch direkte Muskelreizung, und zwar um alle Nervenwirkung auszuschlie\u00dfen, an kuraresierten Muskeln anzustellen. Von diesem Gesichtspunkte aus mu\u00df man auch alle Resultate beurteilen, welche sp\u00e4ter mit dem Rheotom und in neuerer Zeit mit dem Kapillarelektrometer und Saitengalvanometer bei Reizung vom Nerven aus erhalten worden sind. Da findet man dann meist, selbst an dem kurzfaserigen Muse, gastroen. vom Frosch, einen doppelphasigen Aktionsstrom\nFig. 16.\nEinphasiger Aktionsstrom des Musculus sartorius vom Frosch. a Ableitung von der Reizstelle,\nb Ableitung von einem 20mm entfernten Punkt (nach Garten).\nbei Nervenreizung vor. Aus Rheotomversuchen am Muse, gastroen. des Frosches vom Jahre 1867 bei Reizung seines Nerven (35 mm Reizstelle vom Muskel entfernt) konnte ich folgende Werte erhalten1). In einer Zeit von 5 d (1 d \u2014 1 10ii\u201e Sek.) begann die erste Phase. Diese Zeit wird von der Fortpflanzung der Nervenerregung bis zu den Nervenendigungen im Muskel eingenommen, und hinzuaddiert sich noch eine Erregungszeit der Nervenendorgane von etwa 1/son Sek. Diese Phase erreichte in etwa 2,5 d vom Beginn ihr Maximum, dann trat im Zeitpunkt 6,5 d die zweite, entgegengesetzte Phase auf und erreichte zur Zeit 7,5 d bereits ihr Maximum, um dann langsamer abzufallen.\nl) Die Erregungszeit der Nervenendorgane in den Muskeln, du Bois\u2019 Arch. 1882, S. 344.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\n\u00c4hnliche Werte 1,1 bis 1,5 6 f\u00fcr die Anstiegszeit der ersten Phase am direkt gereizten Froschmuskel fand L. Hermann mit Hilfe eines Fallrheotoms J). Ebenso fand Garten2) hierf\u00fcr 1,6 \u25a0pjg 17\tbis 2,0 6 an dem ein-\nphasigen Aktionsstrom des Muse, sartorius des Frosches mit Hilfe des Kapillarelektro meters an der direkt gereizten Stelle. Mit der Fortpflanzung auf 20 mm nahm diese Zeit auf 2,4 bis 3,2 6 zu. Hiernach scheint die Reizwelle bei der Fortpflanzung ihre Gestalt zu \u00e4ndern, wie es die von Garten angegebene Fig. 16 zeigt.\nMit Hilfe des Saitengalvanometers hat Garten ferner am Muse, gastroen. des lebenden Kaninchens den einphasigen Aktionsstrom (negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes) bei Reizung vom Nerven aus aufgenommen, wie Fig. 17 zeigt. Die gestrichelte Kurve zeigt in roher Ann\u00e4herung (leider ist eine genauere Analyse der Saitengalvanometerkurven noch nicht gefunden) den wirklichen Verlauf des Stromes. Die Anstiegszeit betr\u00e4gt etwa 2 6, und der Abfall nimmt, abgesehen\nEinphasiger Aktionsstrom (negative Schwankung) vom Musculus gastrocnemius des Kaninchens. Die ausgezogene Linie stellt die gezeichnete, die gestrichelte die berechnete Kurve dar (nach Garten, Beitr\u00e4ge zur Kenntnis des Erregungsvorganges der Nerven und Muskel des Warmbl\u00fcters , Zeitschr. f.\nBiolog. 52, 1909).\n') Pfl\u00fcgers Arch. 15, 233 (1877).\n!) Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss. 26, 1901.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"57\nvon dem allm\u00e4hlich ablaufenden Ende, etwa dieselbe Zeit in Anspruch. Die ganze Dauer des Hauptteiles zu 4 bis 5 6 angenommen, ist also au\u00dferordentlich kurz.\nDas letztere Resultat best\u00e4tigt den schon aus meinen \u00e4lteren Versuchen aufgestellten Satz, der viel bestritten worden ist, da\u00df die Reizwelle (negative Schwankung = einphasiger Aktionsstrom) an jeder Muskelstelle in ihrem Hauptteile bereits abgelaufen ist, bevor eine merkliche Zusammenziehung eintritt; denn die latente Reizung an jeder Muskelstelle ist mindestens zu 4 6 anzunehmen. Bis jetzt sind leider Versuche, in denen Reizwelle (Aktionsstrom) und Kontraktionswelle von derselben Muskelstelle verzeichnet wurden (wie oben), an lebenden Warmbl\u00fctern noch nicht angestellt worden.\nAuch an Muskeln des lebenden Menschen hat man die doppel-phasigen Aktionsstr\u00f6me nachweisen k\u00f6nnen. L. Hermann beobachtete (1878) mit Hilfe des Rheotoms bei Reizung des Nerv, medianus am Oberarm an den Beugemuskeln der Hand und der Finger am Unterarm bei Ableitung von zwei Stellen der Haut daselbst einen doppelphasigen Strom, der haupts\u00e4chlich von den genannten Muskeln herr\u00fchren mu\u00dfte. In neuerer Zeit haben Piper1) und Garten2) solche Versuche mit Hilfe des Saitengalvanometers angestellt und bei gen\u00fcgender Entfernung der beiden Ableitungsstellen voneinander meist einen doppelphasigen Strom erhalten, wie Fig. 18 zeigt. Es ist klar, da\u00df man von verschieden gelegenen Ableitungsstellen verschiedene Kurven erhalten wird, da\u00df aber auch bei weit voneinander gelegenen Ableitungen keine einfachen Resultate, welche zur Messung des Verlaufes geeignet w\u00e4ren, erscheinen k\u00f6nnen, da die betreffenden Muskeln sehr unregelm\u00e4\u00dfig gestaltet sind, ihre Muskelfasern sehr verschiedene L\u00e4nge besitzen und die Ausbreitungs- und Eintrittsstellen der Nervenfasern sich \u00fcber weite Strecken ausdehnen. Daraus erkl\u00e4rt es sich wohl, da\u00df die Anstiegszeiten und der Verlauf beider Phasen sich \u00fcber einen gr\u00f6\u00dferen Zeitraum erstrecken, als die am Gastrocn. des Kaninchens (Fig. 17) gemessenen Kurven.\nH Verlauf und Theorie des Elektromyogrammes der Unterarmflexoren. Pfl\u00fcgers Arch. 129, 1909.\n2) Beitr\u00e4ge zur Kenntnis des Erregungsvorganges der Nerven und Muskeln des Warmbl\u00fcters. Zeitschr. f. Biologie 52, 1909.","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nWir haben es hier mit einer Kombination mehrerer zeitlich aufeinander folgender Reizwellen zu tun, welche \u00fcber die zur Wirkung kommenden Muskelfasern von verschiedenen Muskelstellen aus ablaufen. Der gr\u00f6\u00dfte Teil derselben l\u00e4uft dicht hintereinander von der proximalen (dem Ellenbogen n\u00e4heren) zur distalen Ableitungsstelle und daher kombinieren sie sich zu einem zwei-phasigen Gesamtstrom. Aus dieser Galvanometerkurve mu\u00dfte\nFig. 18.\n1\tReizung\n/148\nDoppelphasiger Aktionsstrom von. den Unterarmflexoren des Menschen. Beizung des Nerv, medianus 8 cm oberhalb des Ellenbogens durch einen \u00d6ffnungsschlag (Garten).\nfreilich erst die wirkliche Stromeskurve konstruiert werden. Aber auch an der Galvanometerkurve erkennt man schon, da\u00df der Anstieg der ersten Phase geringer als etwa 0,00 7\" (Vus\") sein mu\u00df, also kleiner als das gew\u00f6hnliche Latenzstadium der Kontraktion (0,01\"). Es w\u00e4re daher wohl von Interesse, auch bei einem solchen Versuch gleichzeitig an den beiden Ableitungsstellen die Kontraktionswelle photographisch (wie oben S. 52) zu verzeichnen. L. Hermann suchte auch in seinem Versuche die","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"59\nFortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizwellen zu messen und berechnete den freilich nicht genau zu bestimmenden Wert derselben zu 10 bis 13 m. Bernstein und Steiner hatten f\u00fcr die Geschwindigkeit der Kontraktionswellen am lebenden Kaninchen 6 bis 10 m gefunden. Beide Werte d\u00fcrften wohl bei gleichzeitigen Messungen beider Vorg\u00e4nge zusammenfallen.\nUm die vorliegende Frage rein zu l\u00f6sen, w\u00e4re es also notwendig, da\u00df man von einem m\u00f6glichst langen, unverletzten parallelfaserigen Muskel eines lebenden Tieres, welches, um alle Nerven-wirkungen auszuschlie\u00dfen, kuraresiert ist, zwei Stellen ableitet, die so weit voneinander entfernt sind, da\u00df nachweislich die elektrische Reizwelle vollst\u00e4ndig von der ersten Stelle abgelaufen ist, bevor sie an der zweiten beginnt, wenn man diesen Muskel an einem Ende durch einen einzelnen Induktionsschlag gereizt hat. Zugleich m\u00fc\u00dfte man an beiden abgeleiteten Stellen die Kontrak-tionswellen aufzeichnen. Diese Aufgabe ist bisher noch nicht gel\u00f6st. Aber auch aus den bisherigen Ergebnissen l\u00e4\u00dft sich mit Deutlichkeit ersehen, da\u00df Reizwelle und Kontraktionswelle gesonderte Vorg\u00e4nge sind, und da\u00df die Reizwelle mindestens mit ihrem ansteigenden Teil und wahrscheinlich auch mit dem Anfang des absteigenden Teiles der Kontraktionswelle in dem mechanischen Latenzstadium derselben voranschreitet.\nDer gesamte Erregungsproze\u00df zerf\u00e4llt daher im Muskel in zwei Teilprozesse. Die elektrische Zustands\u00e4nderung tritt in jedem Muskelelement zuerst ein, und erst wenn sie ihren H\u00f6hepunkt erreicht hat, f\u00e4ngt die mechanische Zustands\u00e4nderung der Kontraktion an, sich merklich zu entwickeln. Es ist ja m\u00f6glich, da\u00df das letztere auch schon in einer f\u00fcr unsere Hilfsmittel noch nicht wahrnehmbaren Weise anhebt, wenn die elektrische Zustands\u00e4nderung im Steigen begriffen ist. Wie dem aber auch sein mag, da die Maxima der elektrischen und mechanischen Zustands\u00e4nderung, der Reizwelle und Kontraktionswelle, in jedem Muskelelement zeitlich um mindestens 1/10 Sek. auseinander liegen, so k\u00f6nnen beide Vorg\u00e4nge in ihren Ursachen nicht ganz zusammenfallen, wenn sie auch miteinander in einem wesentlichen Zusammenh\u00e4nge stehen. Da auch in den Nerven (s. unten) die elektrischen Prozesse bei der Erregung in \u00e4hnlicher Weise ablaufen wie im Muskel, ohne da\u00df damit eine mechanische Zustands\u00e4nderung wie die der Kontraktion verkn\u00fcpft ist, so hat man nicht ohne Grund","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nvermutet (Engelmann), da\u00df die elektrischen Prozesse im Muskel an eine andere Substanz gekn\u00fcpft seien als die Kontraktionsprozesse. Von letzteren wissen wir, da\u00df sie wesentlich der kontraktilen Substanz der Muskelfibrillen angeh\u00f6ren, welche in dem Sarkoplasma, einer protoplasmatischen Substanz, eingebettet liegen. Ob aber eine solche Trennung sich durchf\u00fchren l\u00e4\u00dft, mu\u00df noch unentschieden bleiben.\n\u00dcber die Beziehung des elektrischen zum mechanischen Proze\u00df im Muskel sind mehrfache Untersuchungen angestellt worden. Beide Vorg\u00e4nge verhalten sich der Reizst\u00e4rke gegen\u00fcber \u00e4hnlich, indem sie mit ihrer Zunahme bis zu einem Maximum wachsen. Man hat aber auch gepr\u00fcft, wie sich dieselben bei gleichbleibender Reizst\u00e4rke mit zunehmender Belastung \u00e4ndern. Von der Arbeitsleistung des Muskels ist es schon lange bekannt, da\u00df dieselbe mit zunehmender Belastung cet. par. erheblich w\u00e4chst, woraus man schlie\u00dfen mu\u00df, da\u00df mit der zunehmenden Spannung bzw. Dehnung des Muskels die ausgel\u00f6sten chemischen Energiemengen, welche sich in Arbeit und W\u00e4rme umsetzen, bis zu einer gewissen Grenze zunehmen. Wir haben es hier offenbar mit einer sehr zweckm\u00e4\u00dfigen Einrichtung eines physiko - chemischen Systems im lebenden Organ zu tun, wodurch sich der Muskel den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, in zweckentsprechenderWeise anpa\u00dft. Es war daher von Interesse, auch zu beobachten, wie sich der elektrische Proze\u00df im Muskel unter diesen Umst\u00e4nden verh\u00e4lt. Versuche hier\u00fcber m\u00fcssen so angestellt werden, da\u00df bei einer Einzelzuckung des Muskels der ganze Ablauf der elektrischen und mechanischen Ver\u00e4nderung beobachtet wird. Da man aber, wie schon oben auseinandergesetzt, bei Ableitung des unverletzten Muskels an zwei Stellen wegen des geringen Abstandes derselben voneinander bisher niemals infolge der Interferenzen der Reizwellen ein reines Resultat erhalten konnte, so ist man gen\u00f6tigt, die negative Schwankung (einphasiger Aktionsstrom) des vom verletzten Muskel abgeleiteten L\u00e4ngsquerschnittstromes zu pr\u00fcfen. Aber auch in diesem Falle w\u00fcrde man einen Fehler begehen, wollte man die Zuckung des ganzen Muskels mit der \u00fcber den abgeleiteten L\u00e4ngsschnittpunkt (s. oben) ablaufenden Reizwelle vergleichen, vielmehr mu\u00df man, wie es im Versuch (s. Fig. 15, S. 52) geschehen ist, nur die \u00fcber die abgeleitete L\u00e4ngsschnittstelle ablaufende Kontraktionswelle allein aufzeicbnen.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"61\nUnter diesen Bedingungen sind von Jensen1) mit dem Rheotom und Galvanometer und sp\u00e4ter von Tsehermak2) mit dem Kapillarelektrometer Versuche angestellt worden.\nMan hat nach Fick die Zuckung des Muskels, bei welcher er ein Gewicht hebt, die isotonische Zuckung genannt, da seine. Spannung w\u00e4hrend der Kontraktion nahezu dieselbe bleibt, dagegen diejenige Zuckung, bei welcher seine Enden befestigt sind, so da\u00df er bei der Kontraktion dieselbe L\u00e4nge behalten mu\u00df, die isometrische. Es ergibt sich nun bei der isotonischen Zuckung, da\u00df mit zunehmender Belastung die Schnelligkeit des Anstieges und Gipfelh\u00f6he der negativen Schwankung bis zu einer gewissen Grenze steigt und dann auch beim Abfall verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig schneller sinkt. In der Fig. 19 sind nach Tschermak die Elektrometerkurven der negativen Schwankung bei verschiedener Belastung in ein Koordinatensystem eingetragen. Man ersieht daraus, da\u00df (Ub unbelastet, d. h. nur mit dem leichten Schreibhebel) mit zunehmender Belastung die Kurven an H\u00f6he wachsen, und da\u00df bei 200 g ein Maximum eintrat. Die r\u00f6mischen Zahlen geben die Reihenfolge der Beobachtungen an; durch die Abwechslung zwischen belastetem und unbelastetem Zustand kann man einigerma\u00dfen den Einflu\u00df der Zeit und der Erm\u00fcdung ausschlie\u00dfen 3). Die berechneten Kurven der negativen Schwankung best\u00e4tigen dieses Resultat Was, die Lage der Maxima anbetrifft, so liegen sie entweder noch im Latenzstadium oder fallen in den\n*) \u00dcber das Verh\u00e4ltnis der mechanischen und elektrischen Vorg\u00e4nge im erregten Muskel. Pfl\u00fcgers Arch. 77, 107 (1899).\n\u00e4) \u00dcber die Beziehung der negativen Schwankung des Muskelstromes zur Arbeitsleistung des Muskels. Pfl\u00fcgers Arch. 89, 289 (1902).\n3) Die Form der Kurven zeigt mancherlei Abweichungen von der normalen. Es r\u00fchrt dies daher', da\u00df die Muskeln (musculi adductor, magnus et longus vom Oberschenkel des Frosches) nicht direkt, sondern vom Nerven aus gereizt wurden, weil direkte Beizung immer ein Einbrechen des Beizstromes in das Elektrometer zur Folge hatte. Es war also den oben aufgestellten exakteren Bedingungen des Versuches noch nicht ganz Gen\u00fcge geschehen. Die Nerven breiten sich \u00fcber 2 cm weite Strecken aus, und daher haben wir auch hier eine Kombination von Beiz- und Kontraktionswellen. Die berechneten Kurven zeigen daher oft mehrere Maxima. Nichtsdestoweniger sind die Versuche zur Entscheidung der vorgelegten Frage \u00fcber das Verh\u00e4ltnis der Beiz- und Kontraktionswellen gut geeignet, da beide Wellen in den untersuchten Muskelabschnitten \u00f6rtlich genau zusammenfallen.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nBeginn der Kontraktionswelle; eine Versp\u00e4tung derselben mit zunehmender H\u00f6he ist nicht nachzuweisen. Der steiler abfallende Teil der Reizwelle liegt meist im aufsteigenden Teil der Kontraktionswelle, das langsamer abfallende Ende erreicht oft das Ende der letzteren. Nicht selten sinkt die Ordinatenh\u00f6ke im abfallenden\nKg. 19.\nEh. Str.\nBelastet (isotonisoh) Unbelastet (isotonisoh) Eheoohordstrom\n10\t20\t30\t40\t50\t60\t70\t80\t90 100 110 120 0 =\nTausendstel Sekunden\nNegative Schwankung des Muskels bei isotonischer Zuckung und verschiedener Belastung. Ub unbelastet, Rh. Str. Rheochordstrom zur Eichung (Tschermak).\nEnde der Reizwellon bei Belastung unter die des unbelasteten Muskels. Tschermak sagt: \u201eDie negative Schwankung im Belastungszustande des Muskels zeigt demnach im aufsteigenden Teil und in der Gipfelregion Erh\u00f6hung, im absteigenden Teil daneben die Tendenz zur Erniedrigung, welche sich in relativ geringer Erh\u00f6hung, in Indifferenz, ja selbst in direkter Erniedri-","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"63\ngung zeigen kann.\u201c Dies ist der empirische Ausdruck der beobachteten Tatsache. Suchen wir uns diese durch eine Hypothese zu deuten, so k\u00f6nnte man sagen, da\u00df w\u00e4hrend des aufsteigenden Teiles der Reizwelle eine Substanz entsteht, welche w\u00e4hrend des absteigenden Teiles infolge der mechanischen Leistung des Muskels verbraucht wird. Von dieser Substanz entsteht durch den Reiz um so mehr, je gr\u00f6\u00dfer die Spannung des Muskels bei der Reizung ist. Um so mehr wird dann auch von dieser Substanz w\u00e4hrend der Arbeitsleistung, beim Heben der Gewichte im aufsteigenden Teil der Kontraktion verbraucht. Die Gegenwart dieser Substanz erzeugt die Potentialdifferenz zwischen erregter und ruhender Stelle des Muskels. Aus dieser Annahme w\u00fcrd\u00ea es sich erkl\u00e4ren, da\u00df die Reizwelle um so schneller absinkt, je h\u00f6her sie aufgestiegen ist, so da\u00df die Wellenl\u00e4ngen nicht mit der H\u00f6he zunehmen, sondern nahezu dieselben bleiben. Aber es kann sich der chemische Proze\u00df im Muskel bei der Kontraktion nicht allein auf denjenigen beschr\u00e4nken, der mit der Reizwelle verkn\u00fcpft ist, sondern es mu\u00df nachweislich die Menge der ausgel\u00f6sten chemischen Energie noch von einem anderen Umstande abh\u00e4ngig sein. Dies folgt aus dem Verhalten der isometrischen Zuckung gegen\u00fcber der isotonischen, worauf Fick zuerst hingewiesen hat. Bei der isometrischen Zuckung, bei welcher der Muskel im einfachsten Falle in seiner nat\u00fcrlichen L\u00e4nge, also ohne Spannung in der Ruhe an seinen Enden fixiert ist, w\u00e4chst die Spannung erst w\u00e4hrend der Zuckung, und man findet durch Messung der Temperatur desselben mit Hilfe von feinen Thermos\u00e4ulen, da\u00df in solchem Falle weit mehr W\u00e4rme in demselben erzeugt wird, als bei der freien isotonischen Zuckung des unbelasteten bzw. schwach belasteten Muskels entsteht. Der chemische Umsatz mu\u00df also bei der isometrischen Zuckung in hohem Ma\u00dfe sich verst\u00e4rken, und dies mu\u00df eine Folge der wachsenden Spannung sein, welcher der Muskel bei dieser Zuckung unterliegt. Nun wird aber, wie wir jetzt wissen, die chemische Energiemenge, welche der Reizwelle entspricht, schon im Stadium der Latenz, in welcher die Spannung noch nicht oder nicht merklich zunimmt, ausgel\u00f6st, und wenn dies der Fall ist, so w\u00e4re es daraus allein nicht zu erkl\u00e4ren, woher der chemische Umsatz bei der isometrischen Zuckung so sehr viel gr\u00f6\u00dfer ist als hei der isotonischen unter gleicher Anfangsspannung (Spannung des Muskels vor der Reizung).","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nMan hat nun daher, um dieser Frage n\u00e4her zu treten, auch den Ablauf der negativen Schwankung bei isometrischer Zuckung mit dem bei isotonischer Zuckung verglichen. Schon in \u00e4lteren Rheotomversuchen hatte Lamansky gesehen, da\u00df das Maximum der negativen Schwankungskurve bei der isometrischen Zuckung sich von der bei der isotonischen Zuckung nicht unterscheidet, was sich darauf zur\u00fcckfuhren l\u00e4\u00dft, da\u00df beidemal der Vorgang bei\n5 10 15 20 25 30 35 40 45 50\n100 <r =\nTausendstel Sekunden\nVerlauf der negativen Schwankung des Muskels bei isotonischer und isometrischer Zuckung (Tschermak).\nderselben Spannung des Muskels ausgel\u00f6st wird und sein Maximum noch im Stadium der Latenz erreicht. Nun mu\u00dfte aber der abfallende Teil der Kurve, welcher mit der Zuckung zusammenf\u00e4llt, genauer untersucht werden, und da ergab sich aus den ziemlich \u00fcbereinstimmenden Versuchen von Schenck, Jensen und aus denen, welche Tschermak bei partieller Isotonie und Isometrie mit Hilfe des Kapillarelektrometers anstellte, da\u00df bei der isometrischen Zuckung die Kurve schneller abf\u00e4llt als bei der isotonischen. In Fig. 20 sind die berechneten Kurven der negativen Schwankung f\u00fcr ein Beispiel der Versuche Tschermaks wiedergegeben.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"65\nEs fragt sich nun, wie alle diese Resultate in ihrem Zusammenh\u00e4nge zu deuten seien. Man k\u00f6nnte versuchen, durch die obige Annahme, da\u00df bei dem elektrischen Proze\u00df eine Substanz entsteht, welche w\u00e4hrend der Kontraktion verbraucht wird, auch den Unterschied des chemischen Umsatzes hei Isotonie und Isometrie zu erkl\u00e4ren. Das schnellere Absinken der Kurve in der Isometrie w\u00fcrde dann bedeuten, da\u00df mehr von dieser Substanz verbraucht wurde. Indessen k\u00f6nnen wir uns mit einer solchen Deutung nicht begn\u00fcgen, ohne auf die Tatsachen einzugehen, welche wir \u00fcber den chemischen Proze\u00df bei der Muskelt\u00e4tigkeit bereits kennen. Wir wissen, da\u00df bei der Muskelarbeit Kohlehydrate (Zucker, Glykogen) verbrannt werden und da\u00df dabei mehr Sauerstoff im Muskel verbraucht wird als in der Ruhe. Man ist geneigt, die Entstehung von Arbeit und W\u00e4rme im Muskel bei der T\u00e4tigkeit wesentlich aus der Verbrennung von Kohlehydraten zu erkl\u00e4ren. Man wei\u00df ferner, da\u00df im Muskel hei der Kontraktion mehr C 02 entsteht als in der Ruhe und da\u00df sich auch dabei eine gewisse Menge von Milchs\u00e4ure bildet. Da Milchs\u00e4ure aus Kohlehydraten durch Spaltung z. B. bei der Milchs\u00e4ureg\u00e4rung in der Milch (C6H1206 = 2G3H603) entstehen kann, so ist auch die\nZucker\tMilchs\u00e4ure\nAnsicht ausgesprochen worden, da\u00df der chemische Proze\u00df bei der Kontraktion darin best\u00e4nde, da\u00df sich zuerst Milchs\u00e4ure bilde und da\u00df diese dann der Oxydation unt\u00e8rliege. Fick hat daher die Ansicht ausgesprochen, da\u00df beim elektrischen Proze\u00df in der Latenz die Gegenwart der Milchs\u00e4ure die Ursache der entstehenden Potentiale sei und da\u00df diese daher hei der Kontraktion durch Oxydation der Milchs\u00e4ure schnell abn\u00e4hmen. Aus einer solchen Annahme w\u00fcrde sich wohl das elektrische Verhalten des Muskels bei Isotonie mit wachsender Belastung erkl\u00e4ren lassen. Die Menge der entstehenden Milchs\u00e4ure w\u00e4chst mit der Anfangsspannung, und mit der vermehrten Arbeit w\u00e4chst auch die Schnelligkeit der Oxydation. Weniger gut l\u00e4\u00dft sich mit dieser Ansicht das Verhalten des Muskels bei Isometrie vereinigen. Es m\u00fc\u00dfte hierbei z. B. beim unbelasteten Muskel dieselbe Milchs\u00e4uremenge entstehen wie bei Isotonie, d. h. die Maxima der entstehenden Potentiale m\u00fc\u00dften in beiden F\u00e4llen dieselben sein, und dann m\u00fc\u00dften die Potentiale bei Isometrie schneller auf Null absinken als bei Isotonie, was ja auch der Versuch best\u00e4tigt hat.\nBernstein, Elektrobiologie.\t5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nAber die Folge m\u00fc\u00dfte sein, da\u00df der isometrisch zuckende Muskel am Ende einer l\u00e4ngeren Reihe von Zuckungen weniger Milchs\u00e4ure enthielte als der isotonisch zuckende. Dies stimmt aber nicht mit der anderweitigen Beobachtung \u00fcberein, da\u00df nach Heidenhain die S\u00e4urebildung im Muskel mit der Arbeitsleistung zunimmt.\nEine etwas andere Vorstellung von diesem Vorgang ist von mir gegeben worden. Der Oxydationsproze\u00df in der lebenden Substanz kann nur dadurch zustande kommen, da\u00df der molekulare Sauerstoff, welcher aufgenommen wird, in den aktiven atomaren Sauerstoff zerf\u00e4llt, denn bei der Temperatur der Organismen, auch der warmbl\u00fctigen, kann der molekulare Sauerstoff die organischen Verbindungen, wie Eiwei\u00df, Kohlehydrate und Fett, nicht oxydieren. Auf welche Weise die Aktivierung des Sauerstoffs geschieht, ob durch Einwirkung von oxydierenden Fermenten, sogenannten Oxydasen, oder auf andere Art, wei\u00df man nicht und mag hier uner\u00f6rtert bleiben. Bei der T\u00e4tigkeit der Organe, insbesondere der Muskeln, mu\u00df demnach infolge der Reizung auch eine gr\u00f6\u00dfere Menge aktivierten Sauerstoffs entstehen, als in der Ruhe sich best\u00e4ndig bildet. Auch wenn man voraussetzt, da\u00df infolge der Reizung zuerst Milchs\u00e4ure entstehe, so w\u00e4re doch zur Oxydation derselben aktiver Sauerstoff erforderlich. Also mu\u00df auch durch die Einwirkung des Reizes die Bildung des aktiven Sauerstoffs beschleunigt werden. Es w\u00fcrde daher schon dieser Vorgang, die Aktivierung des Sauerstoffs in der lebenden Muskelsubstanz, gen\u00fcgen, um die Potential\u00e4nderungen zu deuten, wenn man sich zun\u00e4chst vorstellt, da\u00df lebende Substanz, welche mehr aktiven Sauerstoff enth\u00e4lt, gegen diejenige, welche weniger enth\u00e4lt, elektronegative Spannung zeigt. Wie dies zu erkl\u00e4ren ist, soll bei der Theorie der bioelektrischen Potentiale weiter behandelt werden. Die H\u00f6he der Reizwelle an einer abgeleiteten Muskelstelle w\u00e4re hiernach ein Ma\u00df f\u00fcr die Konzentration des aktiven Sauerstoffs in der Muskelsubstanz. In der Latenz steigt diese Konzentration sehr schnell zum Maximum an und mit zunehmender Kontraktion, dem Wachsen der Arbeit oder Spannung, nimmt dieselbe dementsprechend durch Verbrauch des Sauerstoffs ab. So ist es zu verstehen, da\u00df die Reizwelle im aufsteigenden Teil der Kontraktionswelle am st\u00e4rksten sinkt, da\u00df sie aber auch mit dem letzten Ende noch in den absteigenden Teil hineinreichen kann, da auch in","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"67\ndiesem noch Verbrennungsprozesse stattfinden. Ob bei dieser Oxydation zuerst eine Spaltung der Kohlehydrate in Milchs\u00e4ure (oder andere S\u00e4uren, wie Fetts\u00e4ure usw.) stattfindet, bevor die vollst\u00e4ndige Oxydation zu C02 und Wasser erfolgt, mag dahingestellt bleiben. So viel steht fest, da\u00df die Muskelarbeit des Menschen und der h\u00f6heren Tiere nicht durch Spaltung des organischen Brennmaterials der Muskeln allein geleistet werden kann, da mindestens y6 der gesamten im lebenden K\u00f6rper umgesetzten Energiemenge der aufgenommenen Nahrung in mechanische Arbeit der Muskeln verwandelt werden kann und die Spaltungen der organischen Stoffe ohne Oxydation viel zu geringe Energiemengen liefern 1). Aus der gegebenen Hypothese folgt nicht nur, da\u00df bei Isotonie mit zunehmender Belastung die Beizwelle h\u00f6her ansteigt und in der Kontraktion mit wachsender Arbeit schneller sinkt, sondern auch, da\u00df bei Isometrie mit zunehmender Spannung die Reizwelle schneller absinkt als hei Isotonie. Was die Bildung der S\u00e4uren (Milchs\u00e4ure usw.) anbetrifft, so findet dieselbe nach Ansicht von Hoppe-Seyler \u00fcberhaupt nur hei Sauerstoffmangel im ausgeschnittenen Muskel, nicht aber bei gen\u00fcgender Sauerstoffzufuhr innerhalb des lebenden K\u00f6rpers statt. Nur nach anhaltenden tetani-schen Kontraktionen oder langdauernden Reihen von Zuckungen ist die S\u00e4urehildung \u00fcberhaupt erst chemisch nachweisbar. In solchem Falle ist aber immer ein Mangel an Sauerstoff eingetreten, und dies mag auch im lebenden K\u00f6rper, trotz beschleunigter Atmung, bei sehr starker und erm\u00fcdender Muskelarbeit mehr oder weniger der Fall sein, nachweislich auch bei Kr\u00e4mpfen, wie im Strychninkrampf.\nWenn man hiernach daran festhalten wollte, da\u00df schon in der Latenz eine Spaltung in S\u00e4uren stattf\u00e4nde, welche hei der Kontraktion verbrennen, so k\u00e4me man zu der widersprechenden Folgerung, da\u00df bei isotonischer Zuckung mehr S\u00e4ure \u00fcbrig bliebe als bei der isometrischen, da die gebildete S\u00e4uremenge schon in der Latenz im Maximum der Reizwelle gegeben w\u00e4re. Denkt man sich dagegen, ,da\u00df in der Latenz das Maximum der Reizwelle proportional der Konzentration des aktiven 0 sei, so w\u00fcrde daraus nur folgen, da\u00df bei der isometrischen Zuckung mehr\n*) Siehe Bernstein, Zur Thermodynamik der Muskelkontraktion, Pfl\u00fcgers Arch. 122, 159 (1908).\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\ndavon verbraucht w\u00fcrde, als bei der isotonischen. Dies w\u00fcrde zu keinem Widerspruch f\u00fchren; denn der nach der Zuckung \u00fcbrig gebliebene aktive 0 w\u00fcrde sich in molekularen 02 zur\u00fcckverwandeln k\u00f6nnen nach dem bekannten Schema: 2 0\t02 x). Die\n\u00fcbrig gebliebene fixe S\u00e4ure dagegen k\u00f6nnte nicht etwa dazu dienen, wiederum Molek\u00fcle von Kohlehydraten oder gar kompliziertere Molek\u00fcle zu erzeugen, sondern w\u00fcrde durch Anh\u00e4ufung die Reiz-barkeit herabsetzen. Wir wissen aber, da\u00df eine Reihe isometrischer Zuckungen bei gleicher Anfangsspannung und gleichem Reize die Reizbarkeit weit mehr angreift, als eine Reibe isotonischer, w\u00e4hrend es nach der S\u00e4uretheorie umgekehrt sein m\u00fc\u00dfte. Nach der 0-Theorie w\u00fcrde also nach der Reizung in beiden Arten von Zuckungen zwar dieselbe 0-Menge disponibel sein, aber bei der isometrischen w\u00fcrde mehr davon verbraucht und somit auch mehr Brennmaterial verbrannt werden, als bei der isotonischen. Ob hierbei erst eine Spaltung in S\u00e4uren vorausgeht, oder ob die Bildung der S\u00e4uren nur bei O-Mangel erfolgt, oder ob sie auch bei gen\u00fcgendem 0-Vorrat als Nebenreaktion auftritt, mag dahingestellt sein.\nNun sei noch erw\u00e4hnt, da\u00df man der Reizwelle auch noch eine andere Bedeutung zugeschrieben hat. L. Hermann hat die Ansicht ausgesprochen, da\u00df der Aktionsstrom der Reizwelle an jeder Stelle des Muskels oder Nerven, bzw. ihrer Fasern, selbst wiederum als Reiz f\u00fcr die benachbarten Stellen diene, so da\u00df die Fortpflanzung der Erregung in der Muskel- und Nervenfaser auf einer solchen elektrischen Selbstreizung beruhen w\u00fcrde, die in \u00e4hnlicher Weise erfolge, wie die Reizung bei sekund\u00e4rer Zuckung (s. oben S. 14). Wenn nun auch die M\u00f6glichkeit einer solchen Wirkung zugegeben werden kann, so erscheint sie von vornherein nicht gerade durchaus notwendig, da die Fortleitung eines chemischen Prozesses, aus welchem der Erregungs- und Kontraktionsvorgang doch zweifellos besteht, auch ohne eine solche erfolgen kann, wie wir dies bei chemischen Prozessen in einer zusammenh\u00e4ngenden Masse, besonders bei Explosionsprozessen, vielfach sehen. Doch wie dem auch sein m\u00f6ge, jedenfalls geht aus obigen Tatsachen hervor, da\u00df der Reizwelle eine andere\n') Es k\u00f6nnte der Vorgang der 0-Aktivierung noch auf andere Weise stattfinden, z. B. aus HO- Molek\u00fclen, welche sich von einem komplizierten Molek\u00fcl (Eiwei\u00df oder Oxydase) abspalten nach der Gleichung 2. HO H20 -j- 0.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"69\nwichtige Bedeutung f\u00fcr den gesamten Erregungs- und Kontraktionsproze\u00df zukommt, und da\u00df sie als Zeichen eines chemischen Prozesses anzusehen ist, der dem chemischen Proze\u00df der Kontraktion unbedingt vorausgehen mu\u00df.\nAuch den zeitlichen Ablauf der Reizwellen bei Dauerkontraktionen des Muskels durch Reize gewisser Frequenz oder verschiedener Qualit\u00e4t und schlie\u00dflich auch bei willk\u00fcrlichen Erregungen kann man mit Hilfe der beschriebenen Methoden genauer untersuchen. Es ist bekannt, da\u00df schnell aufeinanderfolgende Reize, z. B. Induktionsstr\u00f6me eines Induktoriums, eine kontinuierliche Dauerkontraktion, Tetanus, hervorrufen, wenn sie mit der hinreichenden Schnelligkeit, beim Frosch etwa 10 bis 15mal, beim S\u00e4ugetier etwa 15 bis 20 mal in der Sekunde folgen. Diese Frequenz richtet sich wesentlich nach der Dauer der Einzelzuckung durch Einzelreize. Je l\u00e4nger die Zuckung dauert, um so geringer ist die Frequenz, welche schon einen kontinuierlichen Tetanus hervorbringt. Wenn das Intervall zwischen den aufeinanderfolgenden Reizen etwa gleich der Yerk\u00fcrzungsdauer ist, so wird der Muskel zwischen je zwei Reizen nicht merklich erschlaffen; die Kontraktionswellen summieren sich dann, und es w\u00e4chst die Hubh\u00f6he des Muskels im Tetanus zu einem h\u00f6heren Maximum an, als die einfache Zuckung erreicht. Etwas anders verhalten sich dabei die Reizwellen. Dieselben verschmelzen nicht, selbst bei sehr frequenter Reizung, zu einem station\u00e4ren Betrage, sondern bewahren eine diskontinuierliche Form. Dies hatte sich ja schon aus der Beobachtung des sekund\u00e4ren Tetanus ergeben und wurde auch mit Hilfe des Telephons Q, welches man mit dem Muskel verband, selbst bis zu mehreren hundert Schwankungen in der Sekunde festgestellt. Da aber die Dauer der Reizwelle im Muskel eine gewisse L\u00e4nge hat, so m\u00fcssen auch bei frequenter Reizung Summationen derselben eintreten. Dies l\u00e4\u00dft sich schon aus \u00e4lteren Rheotomversuchen mit sehr schneller Rotation schlie\u00dfen und hat sich auch in sp\u00e4teren Versuchen mit dem Kapillarelektrometer deutlich gezeigt. Bei schnell aufeinanderfolgenden Reizen setzen sich die Elektrometerkurven der negativen Schwankungen (einphasiger Aktionsstr\u00f6me) so aufeinander\nl) Bernstein und Sch\u00f6nlein, Sitzungsber. d. Naturf. Gesellschaft zu Halle, 8. Mai 1881.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nauf, da\u00df sehr bald ein h\u00f6heres Maximum erreicht wird, auf dessen H\u00f6he sich aber noch Wellen, entsprechend der Reizzahl, aufsetzen (Burdon-Sanderson !). In Fig. 21 ist nach Versuchen von Tschermak1 2) eine Kapillarelektrometerkurve bei tetanischer Reizung des Nerven von dem Adduktor des Frosches abgebildet,\nFig. 21.\nIsotonischer Tetanus des M, adductor des Frosches.\nObere Kurve negative Schwankungen am Kapillarelektrometer, mittlere Kurve Kontraktion, untere Kurve Zeit in 0,1\" (nach Tschermak),\nund zwar bei lokaler isqtonischer Belastung und Ableitung der belasteten Stelle. Die obere Kurve gibt die Stromschwankungen (nach oben gerichtet) an, die zweite die Kontraktion (nach unten gerichtet), und die untere die Zeit in 0,1 Sek. Man erkennt, da\u00df, bevor das Ende einer Reizwelle erreicht ist, schon die\nFig. 22.\ni\tr\ti\ti-----------r\nIsometrischer Tetanus desselben Muskels, Kurven ebenso wie in Fig. 21.\nn\u00e4chste einsetzt und daher zu einem h\u00f6heren Betrage ansteigt. Im Vergleich hiermit sehen wir in Fig. 22 die Kurve hei isometrischem Tetanus von demselben Muskel. Auch hier tritt eine Summation ein, die aber ein deutlich geringeres Maximum gibt, als der isotonische Tetanus. Es best\u00e4tigt sich hierdurch eine schon von duBois-Reymond gemachte Beobachtung, da\u00df der isometrische Tetanus eine geringere Gesamtschwankung\n1)\tThe electrical response to Stimulation of muscle and its relation to the mechanical response. Journal of Physiology, Yol. XVIII, p. 117 (1895).\n2)\t1. c., S. 61, Anm. 2.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"71\nin negativer Richtung gibt, als die freie Zusammenziehung (isotonische). Die Erkl\u00e4rung hierf\u00fcr folgt aus dem Vorhergehenden. Beim isometrischen Tetanus ist der Stoffumsatz, also auch der SauerstoSverbrauch ein viel gr\u00f6\u00dferer, als beim Tetanus des unbelasteten (oder wenig belasteten), sich frei zusammenziehenden Muskels. Dies geht unmittelbar aus der viel st\u00e4rkeren W\u00e4rme-entwickelung im ersteren Falle hervor, was schon von Heidenhain und Fick sowohl f\u00fcr Zuckung wie f\u00fcr Tetanus bewiesen worden ist. Der st\u00e4rkere O-Verbrauch beim isometrischen Tetanus bedingt daher ein schnelleres Absinken der Reizwellen als beim isotonischen und eine geringere Summation derselben. Dagegen mu\u00df sich im isometrischen Tetanus unstreitig mehr S\u00e4ure bilden und anh\u00e4ufen als im isotonischen, und wenn diese die Ursache der negativen Schwankung w\u00e4re, so m\u00fc\u00dfte der Erfolg der umgekehrte sein.\nWie der Ablauf der Reizwellen sich gestaltet, wenn bei k\u00fcnstlicher Reizung des Nerven oder Muskels die Frequenz der Reize immer mehr zunimmt, ist durch Beobachtung mit den neueren graphischen Instrumenten noch nicht festgestellt. Voraussichtlich werden diese einer h\u00f6heren Frequenz der Reizung nicht mehr hinreichend folgen k\u00f6nnen. Wie weit Nerven und Muskeln selbst auf h\u00f6here Reizfrequenz noch reagieren, soll an dieser Stelle noch nicht er\u00f6rtert werden.\nAuf anderem Wege kann man erfahren, wie sich der mechanische Zustand des kontrahierten Muskels bei verschiedener Reizfrequenz gestaltet. Er ist hierbei niemals ein ganz kontinuierlicher, obgleich man mit graphischen Hilfsmitteln keine Schwankungen der L\u00e4nge und Dicke wahrnehmen kann. Dagegen nimmt man mit dem Geh\u00f6r an dem kontrahierten Muskel einen Ton (bzw. Ger\u00e4usch) wahr, den Muskelton, dessen Schwingungszahl mit der Reizzahl in der Sekunde genau \u00fcbereinstimmt, wie zuerst Helmholtz gezeigt hat. Es gelingt mit Hilfe eines elektrischen Unterbrechers (akustischer Stromunterbrecher von Bernstein), T\u00f6ne bis gegen 1000 Schwingungen in dem Muskel zu erzeugen \u2019). Auch unter diesen Bedingungen ist also der mechanische Zustand im Muskel ein diskontinuierlicher und regelm\u00e4\u00dfig periodischer. Da jeder Reiz einen chemischen Proze\u00df ausl\u00f6st, der unmittelbar von mechanischen Wirkungen gefolgt ist, so hat man diese Vorg\u00e4nge nicht\nJ) Pfl\u00fcgers Arch. 11, 191 (1875).","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nohne Berechtigung mit Explosionen verglichen, die periodisch folgen und so einen Ton erzeugen. Wie sich nun diese akustisch wahrnehmbaren Schwingungen der Muskelsubstanz zu den elektrischen Wellen verhalten, ist eine ' weitere Aufgabe der Untersuchung. Wenn man, wie oben schon erw\u00e4hnt, die elek-x trischen Wellen mit einem v Telephon wahrnimmt, und zu-5 gleich den Muskelton direkt mit dem Ohre h\u00f6rt, so stimmen\nH\n\u25a0\u25a0\u00a7 die beiden T\u00f6ne vollst\u00e4ndig | \u00fcberein 1). Wie aber die zeit-g liehe Lage der Wellen zuein-'3 ander sich gestaltet, l\u00e4\u00dft sich a auf diese Weise nicht ent-S scheiden.\n'S Die mechanischen und elek-j= trischen Ver\u00e4nderungen des I Muskels bei der willk\u00fcrlichen S oder reflektorischen Kontrak-L tion sind ebenfalls der Unter-o suchung unterworfen worden. | Helmholtz hatte an den 3 Muskeln des Menschen bei will-\u00a7 k\u00fcrlicher Kontraktion das Mus-\nO\n5 kelger\u00e4usch genauer untersucht und durch Auflegung mitschwingender Federn eine Periode von 16 bis 20 St\u00f6\u00dfen in der Sekunde gefunden, die\n\u2019\u2022) Bernstein, Untersuchungen aus dem Physiologischen Institut zu Halle, Heft II, S. 183 (1890).","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"73\nin unserem Ohre einen Oberton von etwa 32 bis 40 Schwingungen erregen. Hieraus folgte, da\u00df die zentralen motorischen Elemente des Gehirns und R\u00fcckenmarks keine kontinuierliche, sondern eine intermittierende periodische Erregung unserer Nerven erzeugen. Es war daher zu erwarten, da\u00df man auch periodische Aktionsstr\u00f6me bei willk\u00fcrlicher Kontraktion erkennen w\u00fcrde. Das ist auch in der Tat der Fall in Versuchen, welche in neuerer Zeit von Piper und Garten an den menschlichen Vorderarmmuskeln- mit dem Saitengalvanometer angestellt sind. Doch stimmen die Beobachtungen nicht ganz \u00fcberein. Piper will etwa 50 Erregungen in einer Sekunde gefunden haben. In Fig. 23 sind die von Garten1) an den Flexoren des Unterarmes erhaltenen Kurven abgebildet. Man sieht, da\u00df die Kurve eine h\u00f6chst unregelm\u00e4\u00dfige ist, aus gro\u00dfen und kleinen Wellen zusammengesetzt. Die Ursache hierf\u00fcr liegt wahrscheinlich darin, da\u00df bei der willk\u00fcrlichen Innervation die Impulse keineswegs isochron den Nervenfasern zugeleitet werden, und daher die Reizwellen in den Muskelfasern nicht isochron ablaufen. Deshalb werden mannigfache Summationen und Differenzen auftreten, abgesehen von dem Einflu\u00df der schon oben bei k\u00fcnstlicher (isochroner) Reizung der Nerven erw\u00e4hnten Ausbreitungen der Nerveneintrittsstellen. Es ist daher erkl\u00e4rlich, da\u00df man scheinbar eine gr\u00f6\u00dfere Zahl von Weilen vorfindet, als dem nat\u00fcrlichen Muskelton entspricht, denn bei letzterem kann die Ungleichzeitigkeit der Erregungen keine \u00c4nderung der Tonh\u00f6he herbeif\u00fchren. Die Frage der Periode des willk\u00fcrlichen Impulses kann also durch die elektrische Untersuchung nicht entschieden werden. \u00c4hnlich mu\u00df es sich auch bei reflektorischen Kontraktionen verhalten, die man an Tieren, namentlich im Strychnintetanus, untersucht hat. W\u00e4hrend der Muskelton im Strychnintetanus mit dem nat\u00fcrlichen Muskelton \u00fcbereinstimmt, zeigen die Kurven des Kapillarelektrometers viele kleine unregelm\u00e4\u00dfige Schwankungen, welche auf h\u00f6here langsamere Wellenaufgesetzt sind (Buchanan). Dittler gibt an, da\u00df bei der nat\u00fcrlichen Innervation des Zwerchfelles beim Atmen am Kaninchen rhythmische Aktionsstromschwankungen erscheinen, welche eine Periode von 60 bis 70 in der Sekunde zeigen. Doch kann man auch hier denselben Einwand erheben. Selbstverst\u00e4ndlich k\u00f6nnte\n) Hand buch der vergleichenden Physiologie (Winterstein) 3,119.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nauch die Periode der zentralen Erregung mannigfachen Schwankungen unterliegen. Man hat schlie\u00dflich auch hei direkter mechanischer Reizung des Muskels und bei Reizung der Nerven durch Schlie\u00dfung eines konstanten Stromes (Schlie\u00dfungstetanus) periodische Erregungen am Muskel beobachtet und diese als Folge eines eigenen Rhythmus des Muskels gedeutet (Garten u. andere).\nViertes Kapitel.\nFortsetzung\u2019 und elektrische Vorg\u00e4nge in anderen Organen.\nAuch am Nerven hat man mit den graphischen Instrumenten die Reizwellen aufzeichnen k\u00f6nnen. Gotch und Burch1)\nFig. 24 a.\nEinphasiger Aktionsetrom you 4 nebeneinander gelegten Nerven des Frosches (L\u00e4ngs-quer Schnittableitung), 18\u00b0C nach Garten (Handb. der vergl. Physiol. Ill, S. 137).\nhaben mit dem Kapillarelektrometer den einphasigen und zwei-phasigen Aktionsstrom photographiert. Auch mit dem Saitengalvanometer sind Kurven dieser Str\u00f6me erhalten worden, die\n\u2019) Proe. of the Koy. Soc. 68, 310 (1898).","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"75\naber bis jetzt noch nicht genauer analysiert werden konnten. In Fig. 24a ist nach Garten der einphasige Aktionsstrom des Froschnerven bei 18\u00b0 C und in Fig. 24 c der bei 32\u00b0 C abgebildet. Die punktierte Kurve gibt uns eine ungef\u00e4hre Berechnung des wirklichen Verlaufes, aus welcher folgt, da\u00df die Zeit des Aufstiegs der Welle nicht gr\u00f6\u00dfer als 0,55 6 ist. Nimmt man finden absteigenden Teil derselben (abgesehen von dem langsam ablaufenden Ende) etwa dieselbe Zeit an, so erh\u00e4lt man f\u00fcr die Dauer der Keizwelle etwas \u00fcber 16. Dieser Wert ist nicht viel gr\u00f6\u00dfer als der, welcher in den von mir zuerst mit dem Rheotom (siehe oben) angestellten Versuchen gefunden worden ist (etwa 0,8 6 im Maximum).\nIn Fig. 24 b ist der zweiphasige Aktionsstrom dargestellt mit der zugeh\u00f6rigen korrigierten Kurve. Hier war die Anstiegszeit dei ersten D0ppeiphasiger Aktionsstrom Ton 4 Nerven des Frosches, Phase gr\u00f6\u00dfer, etwa 1,2 6.\tAbleitungsstrecke 22 mm.\nDa\u00df, wie es den Anschein in diesem Falle hatte, die Reizwelle bei der Fortpflanzung niedriger und l\u00e4nger wird, ist f\u00fcr den normalen Zustand nicht wahrscheinlich. Genauere Versuche \u00fcber diesen Gegenstand sind noch zu erwarten. Dauer und Geschwindigkeit der R,eizwelle h\u00e4ngt entschieden von der Temperatur ab, was schon aus den Helm-holtzschen Versuchen \u00fcber den Einflu\u00df der Temperatur auf die Geschwindigkeit der Nervenerregung zu folgern ist. K\u00e4lte vermindert diese Geschwindigkeit betr\u00e4chtlich; sie mu\u00df daher auch die Dauer der Reizwelle verl\u00e4ngern. Rheotomversuche von L. Hermann hatten dies best\u00e4tigt; neuere Messungen hier\u00fcber fehlen noch. Auch am Warmbl\u00fcternerv sind einige Versuche mit dem Saitengalvanometer angestellt worden. In Fig. 25 ist der einphasige Aktionsstrom (negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes) des ausgeschnittenen Nerv, ischiadic, des Hundes bei 36\u00b0 nach einem Versuch von Garten abgebildet.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nDie Anstiegszeit der berechneten Welle betr\u00e4gt etwa 0,7 6; die ganze Dauer (abgesehen vom Endteil) sch\u00e4tze ich zu etwa 3 6. F\u00fcr einen gleichen Versuch am Nerv, ischiad. des Kaninchens gibt Garten f\u00fcr die Anstiegszeit 0,5 d an, f\u00fcr die Gesamtdauer (mit dem sehr allm\u00e4hlich abfallenden Endteil) 7 d. An den Nerven des Murmeltieres hat Cremer bei einer Temperatur von 10\u00b0G eine viel l\u00e4ngere Dauer der Welle gefunden (zu etwa 12 d, aber nicht analysiert), was sich durch die niedere Temperatur hinreichend erkl\u00e4rt. Es w\u00e4re w\u00fcnschenswert, diese Versuche an\nNerven zu wiederholen, welche mit ihren zentralen Enden noch mit dem lebenden K\u00f6rper in Verbindung stehen und daher sich in nahezu normalem Ern\u00e4hrungszust\u00e4nde befinden w\u00fcrden. Vermutlich w\u00fcrde die Reizwelle im lebenden K\u00f6rper von k\u00fcrzerer Dauer sein.\nWas die absolute Grobe der negativen Einphasiger Aktionsstrom you 4 EroschnerYen, 32\u00b0 C. Schwankung des Nerven\nanbetrifft, so hatten die von mir angestellten Rheotomversuche bereits im Gegens\u00e4tze zum Muskel ergeben, da\u00df die maximale Kraft viel gr\u00f6\u00dfer werden kann, als die des L\u00e4ngsquerschnittstromes. Genauere Messungen dieser Art sind mit dem Saitengalvanometer noch nicht angestellt worden. Nach einem Versuch (Fig. 25) von Garten ist das Maximum der Welle \u00fcber 3 Millidaniell, w\u00e4hrend f\u00fcr die Kraft des L\u00e4ngsquerschnittstromes beim Warmbl\u00fcter nur 2 bis 3 Millidaniell angegeben wurden. Genauere Versuche dieser Art fehlen noch. Vor allem mu\u00df hierbei zu gleicher Zeit an denselben Nerven die Kraft des L\u00e4ngsquerschnittstromes mit der der negativen Schwankung verglichen werden.\nAuf die Bedeutung dieses Verh\u00e4ltnisses f\u00fcr die Theorie kommen wir, weiter unten zur\u00fcck.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"77\nNicht in allen Nerven der Wirbeltiere und wirbellosen Tiere, wie in verschiedenen Muskeln derselben ist der zeitliche Ablauf und die Dauer der Reizwellen gleich. Vielmehr sehen wir, da\u00df dieselben in gewissen Nerven auch h\u00f6herer Tiere sehr viel langsamer verlaufen, wie in den Nervenst\u00e4mmen der Extremit\u00e4ten oder anderer K\u00f6rperteile, in denen vornehmlich die motorischen Fasern der Skelettmuskeln und sensible Fasern der Haut vertreten sind. \u00dcber die Heizleitung in reinen Sinnesnerven wu\u00dfte man bisher nichts. Aus den elektrischen Untersuchungen am Riechnerven der Fische (Hecht) haben wir erfahren, da\u00df in ihm die Reizleitung eine sehr langsame ist.\nDie Fasern dieses Nerven besitzen keine Markh\u00fclle, im Gegensatz zu den meisten Gehirn - und R\u00fcckenmarksnerven. Sie sind auf einer niederen Entwickelungsstufe des Nervensystems stehen geblieben und dies scheint sich auch in einem viel langsameren Ablauf der Erregungsprozesse zu dokumentieren. Bei der embryonalen Entwickelung der Nervenfasern, die aus den Nervenzellen her vor wachsen, sind dieselben zuerst marklos, sp\u00e4ter erst entwickelt sich die Markscheide, die den Achsenzylinder umh\u00fcllt. Man fand am Riechnerven des Hechtes eine Geschwindigkeit von 16 bis 24 cm bei 20\u00b0 C und eine Dauer der Reizwelle von 0,4 Sekunden, mit einer Anstiegszeit von mehreren hundertstel Sekunden (Nicolai, Garten). Ganz \u00e4hnlich verhalten sich die marklosen Nerven niederer wirbelloser Tiere, so die Nerven von Muscheln (Anodonta, Flu\u00dfmuschel) mit einer Geschwindigkeit von nur 10 bis 22 mm (Garten), w\u00e4hrend die Nerven von Cephalo-poden (Octopus), Tiere, die sich lebhafter bewegen, eine geringere Dauer der Reizwelle von 8 bis 20 \u00f6 zeigen (Fuchs, Boruttau).\nIhg. 25.\nEinphasiger Aktionsstrom von 2 Nerv, ischiadici des Hundes, 36\u00b0 C.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nAuch an h\u00f6heren Tieren gibt es marklose Nerven mit tr\u00e4ger, langdauernder und langsam fortschreitender Reizwelle. Dies zeigen z. B. die Versuche von Garten an den Milznerven des Pferdes. Der Anstieg dauert etwa\tder Abstieg noch l\u00e4nger,\ndie Leitungsgeschwindigkeit war etwa 46 cm bei 32 bis 36\u00b0 C. Aber im ganzen ist die Natur des Prozesses in allen Nerven dieselbe, prinzipielle Unterschiede sind nicht hervorgetreten. Von Einflu\u00df auf die Dauer der Reizwelle ist dagegen die Art der Reizung. Bisher war immer als Reiz der fast momentan wirkende Induktionsschlag vorausgesetzt; die Dauer der Reizwelle ist von der Dauer dieser Schl\u00e4ge nicht abh\u00e4ngig. Eine l\u00e4nger dauernde Reizwelle beobachtet man dagegen bei der Schlie\u00dfung eines konstanten Stromes im hi erven. Dies konnte schon mit Hilfe des Rheotomversuches festgestellt werden (Bernstein 2). Leitet man an der Kathodenseite des zugeleiteten Stromes vom Nerven einen L\u00e4ngsquerschnittstrom ab, so findet man beim Schlie\u00dfen des Stromes eine starke, negative Schwankungswelle, kathodische Schlie\u00dfungswelle, vor. Dieselbe entspricht deutlich der starken Reizung, welche beim Schlie\u00dfen eines Stromes im Nerven (auch im Muskel) an der Kathode ein-tritt und sich an der starken Schlie\u00dfungszuckung eines an der Kathodenseite mit dem Nerven verbundenen Muskels zu erkennen gibt (s. unten Zuckungsgesetz). Diese negative Schwankungswelle kombiniert sich aber mit einem langsameren, ansteigenden Polarisationsstrom (katelektrotonischer Strom s. unten), der sich mit abnehmender St\u00e4rke in der extrapolaren Strecke auf Seite der Kathode ausbreitet. An der Anode des erregenden polarisierenden Stromes entsteht beim Schlie\u00dfen keine Reizwelle, entsprechend dem Gesetz der polaren Erregung (s. unten). Dagegen tritt bei der \u00d6ffnung des konstanten Stromes an der Anode eine Reiz welle auf, nicht aber an der Kathode, in guter \u00dcbereinstimmung mit dem Gesetz der polaren Erregung. Leitet man an der Anodenseite des Nerven einen L\u00e4ngsquerschnittstrom ab, so bemerkt man beim Schlie\u00dfen des mittelstarken, erregenden, kon-\n') Auch diese sind hei gew\u00f6hnlichen Induktorien keineswegs als absolut momentan anzusehen. Die Schlie\u00dfungsinduktionsschl\u00e4ge dauern mehrere tausendstel Sekunden, die \u00d6ffnungsschl\u00e4ge sind erheblich k\u00fcrzer.\n~) \u00dcber das Entstehen und Verschwinden der elektrotonischen Str\u00f6me im Nerven und die damit verbundenen Erregungsschwankungen des Nervenstromes. du Bois\u2019 Archiv 1886, S. 197\u2014250.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"79\nstanten Stromes eine Reizwelle, welche an der Kathode entstanden und sich bis zur abgeleiteten Stelle \u00fcber die Anode des konstanten Stromes fortgepflanzt hat, entsprechend der Schlie\u00dfungszuckung des mittelstarken aufsteigenden Stromes. Es entsteht aber auch zugleich der an der Anode sich ausbreitende anelektrotonische Strom im Nerven (s. unten 7. Kap.), welcher in positiver Richtung flie\u00dft. Ist der polarisierende Strom ein starker, so hemmt die Anode desselben die Fortleitung der Reizwelle, die negative Schwankung f\u00e4llt aus, und es bleibt nur die nun st\u00e4rkere positive Ablenkung durch den anelektrotonischen Strom \u00fcbrig. Bei der \u00d6ffnung des Stromes\nKg. 26.\nSchlie\u00dfungs- und \u00d6ffnungs welle am Kaninchennerven hei Reizung mit konstantem Strom. S Schlie\u00dfung, 0 \u00d6ffnung des Stromes (Absz. 1 Skalenteil = Iff; Ord. 1 Skalenteil = 374 Mikrovolt). (Nach Einthoven, Verh. d. Ges. d. Naturf. 1911, S. 92.)\nist an der Anodenseite des Nerven eine Reizwelle nachweisbar, wenn die abgeleitete Strecke in gr\u00f6\u00dferer Entfernung von der polarisierten liegt (damit der anelektrotonische Strom nicht zu stark ist). An der Kathodenseite, des Nerven ist die Reizwello, welche beim \u00d6ffnen des Stromes an der Anode entsteht, auch nachweisbar, solange der Strom mittelstark ist, w\u00e4hrend sie bei starkem Strom sich nicht \u00fcber die Kathode fortpflanzen kann (entsprechend dem Zuckungsgesetz : Ruhe des Muskels bei \u00d6ffnung des starken, absteigenden Stromes im Nerven).\nSystematische Versuche \u00fcber diesen Gegenstand sind bisher mit dem Saitengalvanometer noch nicht angestellt. Einige Kurven sind bei Schlie\u00dfung und \u00d6ffnung eines konstanten Stromes erhalten worden, so von Einthoven in obenstehender Fig. 26. Der Nerv vom Kaninchen war an der Anodenseite des konstanten Stromes abgeleitet, in 30mm Entfernung von der Anode. Der","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nStrom (obgleich 10 Volt) ist in diesem Falle als mittelstark bis stark anzusehen, denn die Schlie\u00dfungswelle ist kleiner als die \u00d6ffnungswelle. Die wahre Gestalt und Dauer der Reizwellen ist nicht berechnet. Die untere Kurve gibt an den Punkten S und 0 die Momente der Schlie\u00dfung und \u00d6ffnung des konstanten Stromes an. F\u00fcr die \u00d6ffnungswelle, von der Anode ausgehend, wird sich eine Geschwindigkeit von etwa 30 m berechnen lassen. Die Schlie\u00dfungswelle, von der Kathode ausgehend (Reizstrecke nur 1mm), scheint an der Anode eine betr\u00e4chtliche Verz\u00f6gerung zu erleiden, entsprechend der schon von v. Bezold nacbgewiesenen\nFig. 27.\nv Reiz wellen (Aktionsstr\u00f6me) vom peripheren Stumpfe des Nerv, vagus des Hundes.\nP Atemkurve, Erhebung Einatmung, Senkung Ausatmung, c Pulskurve der Arteria carotis (Absz. 1 Skalenteil = 0,2\"; Ord. 1 Skalenteil = 2,7 Mikrovolt). (Nach Einthoven,\nebenda, S. 93.)\nVerlangsamung der Reizleitung durch den Anelektrotonus. Ein schwacher anelektrotonischer Strom macht sich an der abgeleiteten Strecke durch schwache Senkung der Kurve zwischen den beiden Reizwellen bemerkbar.\nVon besonderem Interesse sind auch Beobachtungen \u00fcber nat\u00fcrliche Reizwellen des Nerven im lebenden K\u00f6rper. Einthoven hat am peripheren Stumpf des Nerv, vagus hei Tieren Wellen beobachtet, wie sie in Fig. 27 wiedergegeben sind. Dieser Nerv versorgt mit einer Anzahl von \u00c4sten Lunge und Herz. Die Lnngen\u00e4ste werden durch die Ausdehnungen der Lunge bei der Atmung rhythmisch gereizt. Bei jeder Aufblasung der Lunge sieht man daher an einem Galvanometer eine negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes an dem vom durchschnittenen Nerven abgeleiteten peripheren Stumpfe eintreten (Lewandowski).","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"81\nEinthoven hat diese Schwankungen mit dem Saitengalvanometer aufgezeichnet. Man sieht, da\u00df bei jeder Einatmung des Tieres, welche durch Hebung der Kurve p angegeben wird, eine Hebung der Galvanometerkurve eintritt, welche eine negative Schwankung bedeutet. Au\u00dferdem sieht man, da\u00df die gr\u00f6\u00dferen Atmungswellen dieser Kurve noch eine' Zahl kleinerer Wellen tragen, welche mit den Schwankungen der Pulskurve der Arteria carotis am Halse isochron sind. Einthoven erkl\u00e4rt sie aus der Heizung eines sensibeln Herznervens, des Nervus depressor, im Stamme des Nervus vagus, welcher nach Untersuchungen von Tschermak und K\u00f6ster bei jedem Pulsschlag an seinen peripheren Enden durch Dehnung der Aorta am Herzen gereizt wird. Beim Kaninchen kann man beide Nerven\u00e4ste trennen und erh\u00e4lt dann entweder nur die Atem- oder die Pulsschwankungen.\nWeitere Beobachtungen \u00fcber nat\u00fcrliche Reizwellen der Nerven sind bisher noch nicht ausgef\u00fchrt. Doch ergeben sich hier mannigfache Aufgaben der Untersuchung. Ein gutes Objekt hierzu w\u00fcrde der wichtigste Atemnerv, der Zwerchfellnerv sein, dessen rhythmische Erregungen sich am zentralen Stumpf deutlich zeigen w\u00fcrden. Hierbei wird aber der Umstand zu beachten sein, da\u00df eine streng isochrone Erregung aller Fasern des Nerven keineswegs zu erwarten ist, da die Aktion der Nervenzellen im Zentrum erst innerhalb eines gewissen Zeitraumes abl\u00e4uft. Die Reizwellen werden daher nicht in allen Fasern koinzidieren, und ihre Zahl wird gr\u00f6\u00dfer erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist. Diese Bemerkung bezieht sich auch auf alle motorischen Nerven, wenn sie willk\u00fcrlich oder reflektorisch in Aktion gesetzt werden, wie schon oben bei den willk\u00fcrlichen Muskelkontraktionen erw\u00e4hnt ist1).\nAuch auf die Zentralorgane des Nervensystems l\u00e4\u00dft sich die elektrische Untersuchungsmethode ausdehnen. Namentlich sind von Gotch 2) und Horsley mit dem Kapillarelektrometer\nl) Dittler fand am Zwerchfellmuskel hei der Atmung periodische Aktionsstr\u00f6me von 60 bis 70 in der Sekunde. Dieselben blieben aber auch w\u00e4hrend der Apnoe (Aufh\u00f6ren der Atembewegungen bei k\u00fcnstlicher Atmung) bestehen.\ns) On the mamalian nervous system, its functions and their localisation, determinated by an electrical method. Philosoph. Transaction 1891.\nBernstein, Elektrobiologie.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nVersuche hier\u00fcber an warmbl\u00fctigen Tieren angestellt worden. Alle Nervenfaserstr\u00e4nge im R\u00fcckenmark und Gehirn gehen einen L\u00e4ngsquerschnittstrom hei Verletzung, an welchem sieh bei Reizungen negative Schwankungen zeigen. Es l\u00e4\u00dft sich nach dieser Methode der Verlauf der Nervenbahnen in den Zentren verfolgen. Neuere Untersuchungen in dieser Richtung mit dem Saitengalvanometer fehlen noch.\nEin wichtiges Objekt im Gebiete des Nerven- und Muskelsystems bietet f\u00fcr diese Untersuchungsmethode das Herz. Das Herz ist bekanntlich ein Hohlmuskel von kompliziertem Bau, der zur Erhaltung der Blutzirkulation dient. Er kann nicht willk\u00fcrlich beeinflu\u00dft werden, sondern pulsiert rhythmisch infolge automatischer Erregung. Die Muskelfasern des Herzens unterscheiden sich in ihrem Bau und ihrer Fimktion wesentlich von denen der Skelettmuskeln. Sie ziehen sich viel langsamer zusammen als diese und bestehen aus kleineu, l\u00e4nglichen, mit ihren Ausl\u00e4ufern untereinander verbundenen Zellen mit quergestreiftem, kontraktilem Inhalt.\nEine Pulsation des Herzmuskels ist als eine Kontraktionswolle anzusehen, die \u00fcber den Muskel in bestimmter Richtung fortschreitet. Sie beginnt unter nat\u00fcrlichen Verh\u00e4ltnissen an der Einm\u00fcndungsstelle der Venen in die Vorkammern, wo das Blut aus dem K\u00f6rper in die rechte Vorkammer und aus den Lungen in die linke Vorkammer einstr\u00f6mt. Von hier aus pflanzt sie sich auf die Vorkammern fort, und von dort geht sie nach einem bestimmten Rhythmus auf die Kammern \u00fcber.\nMan kann an der abgesclniittenen, stillstehenden Kammer des Froschherzens leicht mit dem Galvanometer einen Strom vom Querschnitt und'der Oberfl\u00e4che (L\u00e4ngsschnitt) ableiten und bei jeder Reizung (z. B. durch Nadelstich) eine die Pulsation begleitende negative Schwankung wahrnehmen. Entsprechend der langsameren Kontraktion nimmt auch die negative Schwankung einen l\u00e4ngeren Zeitraum in Anspruch als bei dem Skelettmuskel. Versuche mit Hilfe des Rheotoms (R. Marchand 1878) haben gezeigt, da\u00df auch im Herzmuskel die Stromschwankung fr\u00fcher abl\u00e4uft als die Pulsation, innerhalb einiger zehntel Sekunden. Das Verh\u00e4ltnis der elektrischen und mechanischen Vorg\u00e4nge ist also ein ganz \u00e4hnliches wie in dem Skelettmuskel, die Pulsation erhebt sich erst w\u00e4hrend des abfallenden Teiles der negativen","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"83\nSchwankung zu ihrem Maximum und dauert heim Froschherzen oft 1 bis 2 Sekunden. An dem ausgeschnittenen unverletzten, spontan pulsierenden Froschherzen kann man mit gew\u00f6hnlichen Galvanometern, wegen ihrer Tr\u00e4gheit, keine regelm\u00e4\u00dfigen Ausschl\u00e4ge wahrnehmen, wenn man von Vorkammern und Kammern ableitet. Dagegen konnte man mit Hilfe des Kapillarelektrometers den Ablauf der den Reizwellen entsprechenden Aktionsstr\u00f6me beobachten (Marey, Gotch und Burch, Waller). Im allgemeinen best\u00e4tigt sich der am Skelettmuskel festgestellte Satz, da\u00df alle in Erregung befindlichen Teile der Muskulatur eines Organs sich elektro-negativ gegen die ruhenden Teile derselben verhalten. Bei der normalen Pulsation in dem Rhythmus, Vorkammer\u2014Kammer, entsteht daher zuerst ein Strom in der Richtung, Vorkammer \u2014*-Kammer, und dann ein Strom, Kammer \u2014> Vorkammer. Doch ist die Kurve der Herzstr\u00f6me, wie namentlich neuere Versuche mit dem Saitengalvanometer gezeigt haben, durch den verwickelten Bau der Herzmuskulatur in mannigfacher Weise kompliziert. Waller konnte bereits mit dem Kapillarelektrometer auch die Aktionsstr\u00f6me des menschlichen Herzens durch Ableitung auf der K\u00f6rperoberfl\u00e4che nachweisen. Mit dem empfindlichen Saitengalvanometer hat Einthoven diese Str\u00f6me genauer photographisch aufgenommen, wovon Fig. 28 ein Beispiel zeigt. Die Kurve EPQ BST ist das sogenannte Elektrokardiogramm einer Pulsation, die obere Kurve CB zeigt die gleichartig aufgenommene Pulskurve der Halsschlagader (Art. carotis), die nur wenig sp\u00e4ter als die Kammerpulsation erscheint. Es folgt hieraus, da\u00df die Reizwellen des Herzens den Pulsationen um etwa 0,2 Sekunden vorausgehen. Die erste Erhebung P ist auf die Pulsation der Vorkammer zu beziehen, QBS auf den Anfang und T auf das Ende der Kammerpulsationen. Die Deutung dieser einzelnen Stromschwankungen ist eine sehr schwierige. Man hat dabei von dem Satze auszugehen, da\u00df jede erregte Partie sich elektronegativ gegen unerregte Teile verh\u00e4lt. Aber bei der Reizleitung durch die Faserb\u00fcndel der Vorkammern und Kammern kommt es zu einer mannigfachen Interferenz der Str\u00f6me, da die Reizwelle einer erregten Partie keineswegs ganz abgelanfen ist, wenn in den benachbarten und aufeinanderfolgenden Partien die Reizwellen beginnen. Aus dem verwickelten Bau der Herzmuskulatur beim Menschen und h\u00f6heren Tieren hat man versucht, das Elektro-\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nkardiogramm zu entziffern (Nicolai). Weitere genauere Unter-Buchungen an blo\u00dfgelegten Herzen von Tieren und Ableitung einzelner Faserb\u00fcndel werden vielleicht bessere Aufkl\u00e4rung in dieser Richtung schaffen. Inzwischen hat man rein empirisch die verschiedenen Formen des Elektrokardiogramms unter physiologischen und pathologischen Bedingungen aufgenommen und so eine elektrodiagnostische Methode zur Untersuchung der Herzkrankheiten gewonnen. Abweichungen vom normalen Elektrokardiogramm werden sich naturgem\u00e4\u00df ergeben m\u00fcssen, wenn die Reizleitung in den Faserb\u00fcndeln des Herzens eine gest\u00f6rte, irgend-\nFig. 28.\n---------->\nG Pulskurve der Arteria carotis, E Elektrokardiogramm des Menschen. (Nach Einthoven, Yerh. d. Ges. d. Naturf. 1911, S. 99.)\nwie zeitlich oder \u00f6rtlich ver\u00e4nderte ist, was durch organische Erkrankungen der Herzmuskulatur, wie der Klappen des. Herzens bedingt sein, kann. Ein Eingehen auf dieses spezielle Thema kann hier nicht Platz finden.\nNoch langsamer als an den Fasern des Herzmuskels verlaufen alle Erregungsprozesse an den glatten Muskelfasern, welche sich in inneren Organen, in der Muskulatur des Darmkanals, der Blutgef\u00e4\u00dfe, in den Harn- und Geschlechtsorganen usw. vorfinden. Ihre Zusammenziehung ist langsam und tr\u00e4ge, und oft sieht man auch langdauernde, sogenannte tonische Zusammenziehungen auf-treten. Sie bewirken auf diese Weise die peristaltischen Bewegungen des Magens und Darms, des Harnleiters usw., wie die tonischen Zusammenziehungen der Blutgef\u00e4\u00dfe und den Tonus der","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"85\nSchlie\u00dfmuskeln der Blase und des Mastdarms usw. Die spindelf\u00f6rmigen Muskelzellen sind in Schichten neben- und hintereinander so angeordnet, da\u00df sie in den r\u00f6hrenf\u00f6rmigen Organen (Darm, Gef\u00e4\u00dfe) ringf\u00f6rmig und zum Teil longitudinal gelagert sind. Wahrscheinlich sind sie durch Forts\u00e4tze miteinander verbunden, wodurch sich die Erregung \u00fcbertr\u00e4gt, doch enthalten sie meist viel Nervenzellen und Nervengeflechte, wodurch sich ihre Keaktion mannigfach kompliziert.\nEin gutes Objekt der Untersuchung bietet der mittlere Teil des Froschmagens, der im wesentlichen aus ringf\u00f6rmigen Fasern zusammengesetzt ist. Der L\u00e4ngsquerschnittstrom desselben ist viel schw\u00e4cher als der des Skelettmuskels, betr\u00e4gt etwa zwischen 0,004 bis 0,01 D., und nimmt schnell an St\u00e4rke ab (Engelmann); das erkl\u00e4rt sich aus dem Absterben der kurzen Faserzellen am Querschnitt.\nEine genauere Untersuchung der negativen Schwankung und der Aktionsstr\u00f6me solcher glatten Muskelfasern ist bis jetzt noch nicht ausgef\u00fchrt worden. Es ist anzunehmen, da\u00df die elektrischen Prozesse in ihnen auch viel langsamer ablaufen als bei den Skelettmuskeln, aber auch den Zusammenziehungen vorausgehen werden. Dagegen hat man in neuerer Zeit mit dem Saitengalvanometer hei tonischen Zusammenziehungen solcher Muskeln (M. retractor penis des Hundes) rhythmische elektrische Wellen festgestellt (v. Br\u00fccke), von denen in 10\" etwa zwei ablaufen. Am Harnleiter des Kaninchens sind hei mechanischer Heizung langsam ablaufende zweiphasische Str\u00f6me von einigen Sekunden Dauer gezeichnet worden. Der Verlauf ist etwa 1000 mal langsamer als am Skelettmuskel.\nBei niederen wirbellosen Tieren kommen glatte Muskelfasern der verschiedensten Formen vor, an denen man auch Str\u00f6me beobachtet hat. Die Schlie\u00dfmuskeln der Muschelschalen bieten hierzu ein gutes Objekt. An diesen lie\u00df sich ein L\u00e4ngsquerschnittstrom nachweisen (Bernstein). An Muskeln eines Eingelwurmes (Sipunculus) konnte auch bei Nervenerregung negative Schwankung nachgewiesen werden (Fuchs). Da die Muskeln wirbelloser Tiere auch \u00dcberg\u00e4nge zu quergestreiften zeigen, so werden sich hier vermutlich mannigfache Verschiedenheiten in dem elektrischen und mechanischen Verhalten dar bieten.\nAuch an der Netzhaut des Auges hat man Str\u00f6me und Schwankungsstr\u00f6me bei Belichtung desselben beobachtet (Holm-","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\ngren, Mc Kendrik). Die Netzhaut besteht aus drei Neuronen1). Das erste au\u00dfen gelegene beginnt mit den lichtempfindlichen St\u00e4bchen und Zapfen und reicht bis zur \u00e4u\u00dferen K\u00f6rnerzellenschicht mit ihren Fasern, das mittlere besteht aus der inneren K\u00f6rnerzellenschicht und ihren Forts\u00e4tzen, und das dritte innen gelegene aus den Ganglienzellen der Netzhaut, ihren Forts\u00e4tzen und den Fasern des Sehnerven. Wenn ein Ruhestrom vorhanden ist, so geht er immer von der St\u00e4bchen- und Zapfenschicht zur Sehnervenfaserschicht, und da beim Wirbeltierauge erstere au\u00dfen und letztere innen liegt, von au\u00dfen nach innen, am ganzen Auge von hinten nach vorn.\nKg. 29.\n------>\nPhoto elektrische Reaktion eines isolierten Eroscbauges.\n|i;Bei l\\ wird das Auge etwa 0,3\" lang beleuchtet. A, B, C Reaktion der 3 Substanzen (Absz. 1 Skalenteil = 0,5\" ; Ord. 1 Skalenteil = 10 Mikrovolt). (Nach Einthoven.)\nAm h\u00f6her entwickelten Auge gewisser wirbelloser Tiere (Tintenfische), dessen Schichten umgekehrt liegen, geht auch der Strom umgekehrt. \u00c4ltere Beobachter (du Bois-Reymond, Holmgren, K\u00fchne und Steiner) haben mit dem Galvanometer Schwankungen bei Belichtung auftreten sehen. In neuerer Zeit haben Garten und v. Br\u00fccke2) und Einthoven3) Versuche dar\u00fcber mit dem\nL) Das ganze Nervensystem ist aus \u201eNeuronen\u201c zusammengesetzt. Ein Neuron besteht aus einer Nervenzelle mit allen ihren Forts\u00e4tzen, von denen einer oder mehrere zu l\u00e4ngeren Nervenfasern auswaehsen. Diese Fasern enden mit einem \u201eEndb\u00e4umchen\u201c, durch welches sie sich mit Zellen verschiedener Organe (Muskeln, Dr\u00fcsen usw.) oder anderen Nervenzellen in den Zentren des Nervensystems verbinden.\n2)\tHandb. d. vergl. Physiol., Bd. III, 2, S. 163 u. ff.\n3)\tVerband 1. d. Gesellseh. deutsch. Naturf. 1911, S. 84- u. ff.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"87\nSaiten galvanometer angestellt. Die Dichtung von der St\u00e4bchen- und Zapfenschicht nach der Nervenfaserschicht soll die positive hei\u00dfen. Es erfolgt bei Belichtung zuerst eine kleine, sehr kurze negative, dann eine st\u00e4rkere, l\u00e4ngere positive Schwankung, die zwei Maxima zeigt, wie Fig. 29 nach Einthoven angibt, dann aber bald absinkt. Bei der Verdunkelung tritt ebenfalls eine positive Schwankung auf. Der Buhestrom ist wohl daraus zu erkl\u00e4ren, da\u00df die Netzhaut von der St\u00e4bchen- und Zapfenschicht aus abstirbt und da\u00df demnach diese als Querschnitt gegen die L\u00e4ngsschnitte der Nervenfasern wirkt. Die Lichtreaktion will Einthoven aus einer Reaktion dreier Substanzen erkl\u00e4ren, die ungleichzeitig agieren. Es ist vielleicht richtiger, dieselbe auf die drei Neurone der Netzhaut zu beziehen, die nacheinander in Aktion geraten, und deren Phasen miteinander mannigfach interferieren k\u00f6nnten. Es sind zur Erkl\u00e4rung dieser Vorg\u00e4nge noch weitere Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand erforderlich, und es l\u00e4ge zun\u00e4chst die einfachere Aufgabe vor, die negative Schwankung des Sehnerven bei Belichtung des Auges zu verzeichnen 1j.\nF\u00fcnftes Kapitel.\nDie Membrantheorie.\nEs ist klar, da\u00df man die bioelektrischen Ketten nach denselben Prinzipien untersuchen mu\u00dfte, nach denen man die physikalischen Ketten erforscht hatte. Bis dahin glaubte man wohl, da\u00df es sich in den lebenden Organen um eine Entstehung elektrischer Energie besonderer Art handle, die in der toten Natur nicht vorkomme. Vor allem fehlen in den Organen alle Leiter erster Klasse, die Metalle, die gegen Fl\u00fcssigkeiten hohe Kontakt-\nl) Einen \u00e4hnlichen Versuch hat schon du Bois-Reymond, aber infolge der Unempfindlichkeit seines Multiplikators mit keinem deutlichen Erfolge, am Sehnerven und Auge der Schildkr\u00f6te angestellt (Untersuch., Bd. II, 2, S. 522).","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\npotentiale erzeugen und zur Umsetzung chemischer Energie in elektrische dienen. Man konnte daher nur an sogenannte Fl\u00fcssigkeitsketten denken. Aber es gl\u00fcckte lange Zeit nicht, solche herzustellen, welche \u00e4hnliche Wirkungen gaben. Nachdem die oben berichteten Untersuchungen von v. Helmholtz und Gibbs angestellt waren, nachdem die Ionentheorie von Arrhenius, Ostwald und Nernst ausgebildet war, war ein neuer Weg der Forschung auf diesem Gebiete geebnet. Den ersten Ansto\u00df in dieser Richtung gaben Versuche von Ostwald1) an semipermeablen Membranen. Der Botaniker Pfeffer hatte gezeigt, da\u00df die von M. Traube zuerst hergestellte Niederschlagsmembran aus Ferrocyankupfer, welche bei Ber\u00fchrung von CuS04- und FeCy6K4-L\u00f6sung entsteht! nicht f\u00fcr alle Molek\u00fcle gleich durchl\u00e4ssig ist. Dieselbe l\u00e4\u00dft z. B. Molek\u00fcle des Rohrzuckers nicht durch, wie es auch bei der Plasmamembran der lebenden Pilanzenzellen der Fall ist. Sie zeigt sich undurchg\u00e4ngig gegen die Molek\u00fcle des CuS04 und des FeCy6K4. Ostwald fand nun, da\u00df diese Undurchl\u00e4ssigkeit f\u00fcr die Molek\u00fcle der Elektrolyts in vielen .F\u00e4llen darauf beruht, da\u00df das eine oder andere Ion derselben von der Membran nicht durchgelassen wird. Er stellte folgenden Versuch an: Ein O-Rohr wird mit Fe Cy6K4- L\u00f6sung gef\u00fcllt, unten beiderseits mit Pergamentpapier verschlossen und in zwei mit CuS04-L\u00f6sung gef\u00fcllte Gl\u00e4ser gestellt, in welche Cu-Elektroden eintauchen. Auf der Scheidewand bildet sich nun eine Niederschlagsmembran aus Ferrocyankupfer. Die Kombination ist an sich stromlos, da sie ganz symmetrisch gebaut ist. Leitet man aber einen Strom hindurch, so bemerkt man, da\u00df er stark sinkt und da\u00df nach \u00d6ffnung desselben ein entgegengesetzter Polarisationsstrom auftritt. Der Sitz dieser Polarisationen kann nur an den Niederschlagsmembranen sich befinden. Die Erkl\u00e4rung hierf\u00fcr ist nach Ostwald folgende :\nFeCy6K4\n+ S 04Cu 0u2 FeCy6 + -\nIn dem beifolgenden Schema bedeuten die senkrechten Striche die Scheidew\u00e4nde, innerhalb deren die L\u00f6sung von FeCy6K4 sich\nl) Elektrische Eigenschaften halhdurchl\u00e4ssiger Scheidew\u00e4nde. Zeitschr. f. physik. Ghem. 6, 71 (1890).\nK4 SO., Cu \u2014 (S04)2","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"89\nbefindet. Gebt der Strom in der Richtung des.Pfeiles, so wandern die Cu-Ionen von links nach rechts, werden aber an der Scheide* wand nicht durchgelassen; ebenso bleiben die FeCy6-Ionen an der anderen Seite der Scheidewand stecken. Sie polarisieren daher diese Scheidewand gerade so, wie die an einer Metallplatte abgelagerten Ionen eines Elektrolyten in entgegengesetzter Richtung. Dagegen treten die K4-Ionen durch die rechte Scheidewand hindurch und verbinden sich dort mit den dahin gef\u00fchrten S04-Ionen, die an sich auch nicht durchgelassen werden. Nach \u00e4lteren Versuchen von.Traube werden n\u00e4mlich CIK-Molek\u00fcle durch diese Membran durchgelassen, nicht aber K2 S 04-Molek\u00fcle. Dies kann nur daher r\u00fchren, da\u00df die S04-Ionen nicht durchtreten k\u00f6nnen.\nOstwald betrachtete daher die halbdurchl\u00e4ssigen Scheidew\u00e4nde solcher Art gewisserma\u00dfen als Ionensiebe. Er schlo\u00df daraus weiter, da\u00df solche halbdurchl\u00e4ssigen Scheidew\u00e4nde der Sitz von PotentialdifEerenzen werden m\u00fcssen, wenn ein Elektrolyt durch Osmose hindurchgetrieben und eines der beiden Ionen darin zur\u00fcckgehalten wird. Wenn z. B. auf der einen Seite einer Ferrocyankupfermembran sich Fe Cy6K4-L\u00f6sung befindet, auf der anderen Seite Wasser, so werden die K4-Ionen hindurch zu diffundieren streben, w\u00e4hrend die FeCy6-Ionen zur\u00fcckgehalten werden. Dadurch mu\u00df eine elektrostatische Kraft entstehen, die so weit anw\u00e4chst, bis sie dem osmotischen Drucke das Gleichgewicht h\u00e4lt. Hierdurch m\u00fcssen gr\u00f6\u00dfere Potentialdifferenzen entstehen als in gew\u00f6hnlichen Fl\u00fcssigkeitszellen, in denen die Bewegung der Ionen nicht gehemmt wird.' Ostwald sprach daher in dieser Arbeit die Vermutung aus, \u201eda\u00df nicht nur die Str\u00f6me in Muskeln und Nerven, sondern auch namentlich die r\u00e4tselhaften Wirkungen der elektrischen Fische durch die hier er\u00f6rterten Eigenschaften der halbdurchl\u00e4ssigen Membranen ihre Erkl\u00e4rung finden werden\u201c.\nDiese Anregung ist \u00fcber ein Jahrzehnt lang unbeachtet geblieben, bis im Jahre 1901 und 1902 zwei Arbeiten erschienen, in denen der Ostwaldsche Gedanke einer osmotischen Ursache der tierisch - elektrischen Str\u00f6me aufgenommen wurde. Oker-Blom1) setzte nach dem Beispiel von Nernst Fl\u00fcssigkeitsketten\nl) Tierische S\u00e4fte und Gewehe in physikalisch - chemischer Beziehung. II. Mitteilung. Die elektromotorischen Erscheinungen am ruhenden Eroschmuskel. Pfl\u00fcgers Archiv 84, 191 (1901),","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nzusammen, in denen ein Elektrolyt nach beiden Seiten mit ungleichen Ionengeschwindigkeiten diffundiert, z. B. :\n0,1 KOI | HoO | 0,1 HCl | 1,0 Mannit | 0,1 KCl.\nDiese Kombination gibt einen Strom in der Richtung des Pfeiles, weil die Ionengeschwindigkeiten der HCl im Wasser gr\u00f6\u00dfer sind, als in der Mannitl\u00f6sung. Oker-Blom nahm daher an, da\u00df sich am Querschnitt des Muskels ein Elektrolyt bildet,\nwie es die Hermannsche Alterationstheorie voraussetzt, und da\u00df dieser mit verschiedenen Ionengeschwindigkeiten in die angrenzende Fl\u00fcssigkeit und in die Muskelsubstanz diffundiert. Indessen verursachen Nichtleiter, wie Mannit und andere (Glycerin, Zuckerarten), nach Arrhenius bis zu lOProz., nur geringe \u00c4nderungen der Ionenheweglichkeiten. \u00c4hnlich wirkte auch Gelatinezusatz.\nGleichzeitig unternahm ich !) die Untersuchung des Muskelstromes nach thermodynamischen Gesichtspunkten, wie sie oben Kapitel 2 auseinandergesetzt sind. Es mu\u00dfte zun\u00e4chst entschieden werden, zu welcher Art von Ketten die bioelektrischen geh\u00f6ren, und das konnte nur dadurch geschehen, da\u00df man ihren Temperaturkoeffizienten bestimmte und das Verh\u00e4ltnis der elektromotorischen Kraft zur Temperatur genau feststellte. Schon von L. Hermann war beobachtet worden, da\u00df diese Kraft mit der Temperatur steigt, aber es bedurfte nun einer genaueren Beobachtung dieses Verh\u00e4ltnisses. Wenn wir es im Muskel mit einer\n*) J. Bernstein, Untersuchungen zur Thermodynamik der hioelek-trischen Str\u00f6me. I. Pfl\u00fcgers Archiv 92, 521 (1902.)\nFig. 30.\nVersuch \u00fcber den Einflu\u00df der Temperatur auf die Kraft des Muskel Stromes.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"91\nKonzentrationskette zu tun haben, so m\u00fc\u00dfte sich nach der Theorie nicht nur ein positiver Temperaturkoeffizient ergeben, sondern es m\u00fc\u00dfte sich dann heraussteilen, da\u00df die elektromotorischen Kr\u00e4fte den absoluten Temperaturen ann\u00e4hernd proportional wachsen, vorausgesetzt, da\u00df mit wechselnder Temperatur keine wesentliche \u00c4nderung in der Zusammensetzung dieser Kette eintritt. Zur Untersuchung diente die in Fig. 30 abgebildete Einrichtung. In dem Glasgef\u00e4\u00dfe G G lag der Muskel unter \u00d6l den mit 0,6 proz. CINa-L\u00f6sung getr\u00e4nkten Elektrodenst\u00e4ben EE aus gebranntem Ton mit L\u00e4ngs- und Querschnitt an; ein Thermometer T gab die Temperatur an, welche durch ein Wasserbad variiert wurde. Die Versuche ergaben, da\u00df zwischen den Temperaturen 0 bis 32\u00b0C die elektromotorischen Kr\u00e4fte den absoluten Temperaturen ann\u00e4hernd proportional sind, und zwar mit einer Genauigkeit, wie sie bei dem leicht ver\u00e4nderlichen Zustande eines lebenden Organes nicht besser erwartet werden kann. Zwischen den Grenzen 0 und 20\u00b0 C fallen die berechneten Werte etwas niedriger aus als die beobachteten; zwischen den Grenzen 18 bis 32\u00b0 C ist das Umgekehrte der Fall, wie folgende Tabellen zeigen:\nNr.\t\tT,\tIn Kompensatorgraden\t\t\tAbweichung Proz.\n\t\t\tE1\tJ| beobachtet\tE, berechnet\t\n1\t276,7\t290,5\t459,65\t498,1\t482,57\t+ 3,22\n2\t281,25\t290,93\t285,27\t311,2\t295,04\t+ 5,14\n3\t280,37\t292,61\t449,60\t483,98\t469,24\t+ 3,14\n4a\t278,8\t292,8\t441,57\t482,40\t463,74\t-P 4>2\n4\u00fc\t276,00\t292,92\t406,75\t435,85\t431,71\t4- 0,94\n5\t292,49\t303,37\t502,17\t514,29\t520,84\t\u2014 1,27\n6\t292,04\t304,01\t450,45\t467,66\t468,96\t\u2014 0,28\nHierin bedeuten T1 und 7', die absoluten Temperaturen, zwischen denen m\u00f6glichst schnell gewechselt wurde; Ex und _E2 die beobachteten Kr\u00e4fte in Kompensatorgraden und E% ber. die nach der Proportion Tx: T2 = Ex ; berechnete Kraft.\nNoch bessere \u00dcbereinstimmung mit dieser Proportion wurde erzielt, wenn nicht zwischen zwei differenten Temperaturen gewechselt wurde, sondern eine allm\u00e4hliche Erw\u00e4rmung und Abk\u00fchlung stattfand, und wenn zugleich die mit der Zeit auch bei","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nkonstanter Temperatur abnehmende Kraft in Rechnung gezogen wurde, wie z.B. folgender Versuch zeigt:\nNr.\tT\tE beobachtet\tE berechnet\t\t\n1\t289,5\t655,54\t_\t\t\n2\t287,5\t647,30\t649,30\t\t\n3\t285,5\t640,50\t641,11\t\tDer Bei-echnung\n4\t283,5\t631,87\t\t\twurden die Nummern\n5\t279,5\t623,70\t625,54\t\t1, 4, 7\n6\t279,5\t615,07\t617,89\t\tzugrunde gelegt.\n7\t277,3\t608,00\t\u2014\t\t\nBedenkt man, da\u00df au\u00dfer mit der Zeit auch durch die Einwirkung der abnorm hohen oder niederen Temperatur noch eine nicht kontrollierbare \u00c4nderung in der Konstitution des Muskels eintreten kann, so wird man die \u00dcbereinstimmung der beobachteten und berechneten Werte f\u00fcr ausreichend halten, um zu beweisen, da\u00df der Muskelstrom ein Konzentrationsstrom ist. Dazu kommt aber noch, da\u00df auch die Ionenbeweglichkeiten nicht ganz unabh\u00e4ngig von der Temperatur sind, und da\u00df sogar in einer physikalischen Konzentrationskette sich Abweichungen von der Formel durch verschiedene Temperaturkoeffizienten der Ionenbeweglichkeiten ergeben m\u00fcssen.\nDie hiernach von mir aufgestellte Membrantheorie1) der bioelektrischen Str\u00f6me beruht auf folgender Grundlage:\nNachdem von Pf eff er gezeigt war, da\u00df die Plasmamembranen der Pflanzenzellen als semipermeable anzusehen sind und sich diese Eigenschaft auch an den tierischen Zellen, wie Blutzellen, Muskelzellen usw., best\u00e4tigt hatte, wurde es sehr wahrscheinlich, da\u00df sie sich nicht nur den Molek\u00fclen der gel\u00f6sten K\u00f6rper, sondern auch den Ionen der Elektrolyten gegen\u00fcber als semipermeabel verhalten und auf diese Weise Potentialdifferenzen erzeugen. Der Ostwaldschen Vermutung konnte daher in der Membrantheorie eine greifbare Gestalt gegeben werden, indem man die unter der \u00e4u\u00dferen H\u00fclle der Muskelfasern (Sarkolemma) und den Nervenfasern (Neurolemma) liegende Plasmaschicht als eine solche Membran\n') 1. c., S. 542.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"93\nansieht, wobei dahingestellt bleiben kann, ob auch jeder Fibrille der Faser eine solche Schicht zukommt. Dasselbe Bild pa\u00dft auch f\u00fcr die Konstitution aller Zellen im allgemeinen. Im Inneren der Plasmaschichten befinden sich Fl\u00fcssigkeiten, in denen Elektro-lyte und Nie h telektroiy te gel\u00f6st sind. Verletzt man an einer Stelle die Zellwand, legt man an Muskel- oder Nervenfaser einen Querschnitt an, so nimmt man an dieser Stelle die semipermeable Plasmamembran fort und die gel\u00f6sten Substanzen k\u00f6nnen hier frei nach au\u00dfen diffundieren. Fig. 31 gibt ein schematisches Bild\nFig. 31.\nijf\t\u00b0i\t: 02\n02\nSchema einer Faser mit Plasmamembran, rechts verletzt.\ndieses Verhaltens. Die schraffierte H\u00fclle stellt die semipermeable Membran der Faser vor, an dem k\u00fcnstlichen Querschnittende ist sie fortgenommen. Befindet sich im Inneren der Faser ein Elektrolyt von der st\u00e4rkeren Konzentration cx und au\u00dfen in der umgebenden Fl\u00fcssigkeit von der schw\u00e4cheren Konzentration c2, so\nFig. 32 a.\n+ + + + + 4- + + + + + + + + + + + ++ + +\n:::::::::::::::: :>)+b\n*t +\t+\t+ + +\t+ + +\nUnverletzte Faser mit elektrischer Doppelschicht, stromlos.\nentstehen zwei Potentiale, ein Membranpotential an der Oberfl\u00e4che der Membran und ein einfaches freies Diffusionspotential an dem Querschnitt, die einander entgegengesetzt gerichtet sind, von denen aber das erstere viel st\u00e4rker ist als das letztere. Denkt man sich n\u00e4mlich, da\u00df, \u00e4hnlich wie bei der Ferrocyankupf er-membran gegen\u00fcber dem (FeCy6)K4, das positive Ion von der Plasmamembran durchgelassen und das negative Ion zur\u00fcckgehalten wird, so entsteht an der Oberfl\u00e4che der Faser eine Polarisation, wie sie Fig. 32 a darstellt, indem die positiven Ionen nach au\u00dfen zu wandern streben, aber von den negativen Ionen im Inneren festgehalten werden. Solange die Faser unverletzt ist, besteht bei gleichartiger Beschaffenheit \u00fcberall dasselbe","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nPotential, d. h. der unverletzte Muskel ist unter dieser Bedingung stromlos, und auch seine Selmenenden besitzen dasselbe Potential. Wird ein Querschnitt angelegt (Fig. 32 b), so entsteht in der \u00e4u\u00dferen umgebenden Fl\u00fcssigkeit jeder Faser, die in der Figur durch die \u00e4u\u00dferen Konturen angedeutet ist, ein Strom in der Richtung der Pfeile, von dem ein Zweigstrom nach au\u00dfen abgeleitet werden kann.\nGeht man von der einfachsten Annahme aus, da\u00df es sich nur um einen Elektrolyten handelt, welcher in der Muskelfaser in gr\u00f6\u00dferer Konzentration enthalten ist als in der Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit, so liegt es nahe, z. B. an die Kaliumsalze des Muskels zu denken.\nFig. 32 b.\nVerletzte Faser mit elektrischer Doppelschicht, L\u00e4ngstpierschniUstrom.\nMan wei\u00df seit langer Zeit, da\u00df der Muskel reich an Kaliumsalzen ist, w\u00e4hrend in der Blutfl\u00fcssigkeit und in den aus ihr stammenden Gewebsfl\u00fcssigkeiten nur sehr geringe Mengen von Kaliumsalzen Vorkommen. Die semipermeable Membran der Muskelfasern ist also f\u00fcr die im Inneren befindlichen Kaliumsalze schwer durchl\u00e4ssig und verhindert auf diese Weise den DifEusionsaustausch dieser Salze gegen die Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit und das Blut, was f\u00fcr die Funktion des Muskels zweifellos von gewisser Bedeutung ist1). Folgt man nun der Ostwaldschen Anschauung, da\u00df die semipermeablen Membranen sich wie lonensiebe verhalten, so kann dies daran liegen, da\u00df zwar die Kaliumionen dieser Salze durch die Membran hindurchgehen k\u00f6nnen, da\u00df dagegen ihre Anionen zur\u00fcckgehalten werden. Nun ist der gr\u00f6\u00dfte Teil des Kaliums in der Muskelsubstanz an Phosphors\u00e4ure gebunden, so da\u00df die M\u00f6glichkeit vorliegt, da\u00df das Kaliumphosphat K2HP04 dasjenige Elektrolyt ist, dessen positive Ionen (K2H)'+ + und negative Ionen (P04) das Membran-\n*) Ganz \u00e4hnlich verhalten sich auch die roten Blutk\u00f6rperchen der meisten Tiere, welche kaliumreicher sind als das Blutserum.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"95\npotential erzeugen. Wendet man zur Berechnung des Membranpotentials unter solchen Annahmen die Nernstschen Formeln an, so mu\u00df man von dem Ausdruck (4) (S. 35) ausgehen:\nn = K.T U, Vlog nat \u2014 \u25a0 v! + v * p2\nHierin sind u\u2019 und v\u2018 die Beweglichkeiten der Ionen in der\nPi\nMembran. F\u00fcr \u2014 k\u00f6nnen wir auch das Verh\u00e4ltnis der mole-c\nkularen Konzentrationen \u2014 setzen. Nehmen wir nun an, da\u00df die\nc2\nBeweglichkeit des Anions v1 in der Membran gleich Null ist, so erhalten wir f\u00fcr das Membranpotential den Ausdruck:\njcm = K. T.lognat \u2014.....................(9)\nC2\nDieses Membranpotential k\u00f6nnen wir aber nicht direkt beobachten, sondern nur die Kraft des L\u00e4ngsquerschnittstromes messen. Es zieht sich also vom Membranpotential das Difiusions-potential am Querschnitt ab und setzt man dieses ebenfalls nach Formel (4) :\n7\t%l \u2014\u2014 V\tC-\n7td = K.T \u2014:\u2014 log nat \u2014,\nU + V\tc2\nso erh\u00e4lt man f\u00fcr die elektromotorische Kraft d\u00e9s Muskelstromes:\n/\tu \u2014 v\\\tc,\nE \u2014\t\u2014 itd = K.T 1------;\u2014: ) log nat \u2014\nV\tK+V\tc2\noder\nE \u2014 K.T^\u2014lognat\u2014..............(9a) i)\nU \u2014j\u201c V\tCg\nDie Membrantheorie setzt die Pr\u00e4existenz eines Potentials an der Oberfl\u00e4che der Fasern voraus und erkl\u00e4rt dies durch das\n') Man kann nun auch von der Annahme ausgehen, da\u00df das wirksame Elektrolyt sich in der Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit befindet, und da\u00df die Membran f\u00fcr das Kation (positive Ion) desselben nahezu undurchg\u00e4ngig sei, w\u00e4hrend sie das Anion (negative Ion) durchlie\u00dfe. Ein solcher Elektrolyt k\u00f6nnte ein Natriumsalz, z. B. das CINa, sein, da man wei\u00df, da\u00df Natriumsalze im Muskel in viel geringerer Konzentration enthalten sind, als im Blute. Eine solche Annahme ist von Galeotti gemacht worden. Man w\u00fcrde nat\u00fcrlich zu denselben Formeln gelangen. Ferner kann man annehmen, da\u00df es sich um einen Elektrolyten (1) im Inneren und einen zweiten (2) au\u00dfen handle (C rem er), und dann h\u00e4tte man auf","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\t\u2014!\nVorhandensein von Elektrolyten zu beiden Seiten der Membran. Sie ist daher, im Gegens\u00e4tze zu der Hermannschen Alterationstheorie, als eine Pr\u00e4existenztheorie anzusehen. Nach der Alterationstheorie m\u00fc\u00dfte man nach unseren jetzigen Kenntnissen \u00fcber die El\u00fcssigkeitsketten die Entstehung eines Elektrolyten am k\u00fcnstlichen Querschnitt an nehmen, wie es auch von Oker-Blom (s. oben) geschehen ist. Nach der Alterationstheorie w\u00fcrde der Potentialsprung sich am Querschnitte befinden, nach der Membrantheorie dagegen befindet sich der st\u00e4rkere Potentialsprung (jrm) am L\u00e4ngsschnitt1). Da\u00df das letztere wirklich der Fall ist, l\u00e4\u00dft sich nun durch das Experiment erweisen. Wenn man einem unverletzten Muskel (Fig. 33 a) in der einen H\u00e4lfte die. Temperatur 7), in der anderen die Temperatur T2 erteilt, so entsteht eine Potentialdifferenz zwischen diesen beiden Teilen des Muskels, bei welcher der w\u00e4rmere Teil positiv gegen den k\u00e4lteren wird. Ist T2 )> 7), so entsteht ein Thermostrom im Sinne der Pfeile. Dieser Strom l\u00e4\u00dft sich nur durch das Vorhandensein eines Membranpotentials erkl\u00e4ren, das proportional der absoluten Temperatur steigt. Die Konzentrationen c, und c2 in Formel (9) kann man als konstant ansehen, so da\u00df man 7lml = const T-\u00b1 und\nGrund der Berechnungen nach Planck bei gleicher Konzentration derselben die Formel :\t,\t,\t,\nn = K. T log nat } Vf \u00ab2 + \u00ab1\nf\u00fcr das Membranpotential zu setzen. Sind r', und u'2 beliebig klein, so kann die Kraft beliebig gro\u00df werden. Schlie\u00dflich hat man die Membran nicht nach Ostwald als Sieb, sondern als zweites mit Wasser nicht (oder wenig) mischbares L\u00f6sungsmittel angesehen und die Theorie der Phasengrenzkr\u00e4fte (s. oben S. 37) darauf angewendet (Haber und Klemenziewicz). Indessen l\u00e4\u00dft sich durch eine solche Annahme der Membrantheorie eine brauchbare, mit den Tatsachen \u00fcbereinstimmende Gestalt bisher nicht geben (s. H\u00f6her, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. 3. Aufl., T911, 8.482 u. 483). Wir werden daher im weiteren von der bisher gemachten Annahme zun\u00e4chst ausgehen.\n') Man hat geglaubt, diese Streitfrage durch Schnittversuche am Muskel mit Hilfe eines Rheotoms (Hermann) oder des Kapillarelektrometers (Garten) entscheiden zu k\u00f6nnen. Versuche von Bernstein und Tschermak durch Schnitt mit einem leitenden Knochenzahn haben aber gezeigt, da\u00df diese Methode nicht beweisend ist, und da\u00df der Strom schon mindestens 1 a nach Anlegung des Querschnittes maximal vorhanden ist.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"97\t\u2014\n3\u00a3ot2 = const T2 setzen kann, und erh\u00e4lt f\u00fcr den Thermostrom des Muskels: Et = const (T2 \u2014 2\\). In der Tat sind diese Str\u00f6me den Temperaturdifferenzen nahezu proportional. Wenn man ferner\nFig. 33 a. T2\t1\tTr\t\n4- + + + + ++ + -i\t- + + + + + + + + + + + +\nA+(C\tj\tPQ 4- . fi\u00ef .....\n^+ + + + + + + 1\th + + -f + + + + + + + +\"r\n\t\nThermostrom der unverletzten Muskelfaser.\nden L\u00e4ngsquerschnittstrom eines Muskels mi\u00dft und der L\u00e4ngsschnitth\u00e4lfte und Querschnitth\u00e4lfte verschiedene Temperaturen gibt, wie Fig. 33b angibt, so ist die Kraft des Stromes nur von der Temperatur der L\u00e4ngsschnitth\u00e4lfte abh\u00e4ngig, nicht aber von der der Querschnitth\u00e4lfte. Erw\u00e4rmung der L\u00e4ngsschnitth\u00e4lfte B steigert, Abk\u00fchlung vermindert die Kraft proportional der absoluten Temperatur. Erw\u00e4rmung und Abk\u00fchlung der Querschnitth\u00e4lften hat dagegen nahezu gar keine Einwirkung auf die Kraft.\nFig. 33 b.\nThermostrom der verletzten Muskelfaser.\nDaraus folgt unmittelbar, da\u00df der wesentliche Potentialsprung der Stromkraft nicht am Querschnitt liegt, wie es die Alterationstbeorie annahm, sondern am.L\u00e4ngsschnitt, wie es die Membrantheorie fordert1).\nl) Die Tatsache, da\u00df w\u00e4rmere Stellen des Muskels positiv gegen k\u00e4ltere sind, ist zuerst von L. Hermann gefunden worden, ebenso auch da\u00df Temperatur\u00e4nderungen des Querschnittes keinen Einflu\u00df haben. Von Bernstein [Pfl\u00fcgers Archiv 131, 589 (1910)] ist gezeigt worden, da\u00df diese Thermostr\u00f6me dem Gesetz der absoluten Temperatur folgen und sieb aus der Membrantheorie erkl\u00e4ren.\nBernstein, Elektrobiologie.\ty","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nDas Difiusionspotential 7id am Querschnitt ist also verschwindend klein gegen\u00fcber dem Membranpotential 7tm am L\u00e4ngsschnitt, was sich daraus erkl\u00e4rt, da\u00df die Beweglichkeiten u und V nicht sehr verschieden voneinander sind. Man kann daher f\u00fcr Berechnungen der elektromotorischen Kraft dieselbe praktisch dem Membranpotential\n7im = K. T lognat \u2014\nC2\ngleichsetzen, oder f\u00fcr 18\u00b0 0 und gew\u00f6hnliche Logarithmen :\n7tm = 0,0575 log \u2014....................(10)\nC2\nEs fragt sich, ob f\u00fcr irgend ein Elektrolyt des Muskels\ndieses Verh\u00e4ltnis der Konzentrationen \u2014 innerhalb und au\u00dferhalb\nC2\nder Faser gen\u00fcgt, um die Kraft des Muskelstromes zu ergeben. Man hat dies von verschiedenen Seiten bezweifelt, weil die Konzentrationen, die in den Geweben Vorkommen, nicht sehr gro\u00df sind. Indessen kommt es nicht auf die absoluten Werte, sondern auf das Verh\u00e4ltnis der Konzentrationen an. W\u00e4hlt man das schon oben erw\u00e4hnte K2HP04 als Beispiel eines solchen Elektrolyten, nimmt nach Lehmann im Muskelfleisch 5,2 Prom. K20 an und rechnet alles K im Muskel nahezu auf dieses Salz, nimmt dagegen in der Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit wie im Blutserum etwa 0,26 Prom. K20 (Abderhalden), ebenfalls auf dasselbe Salz gerechnet, an, so erh\u00e4lt man f\u00fcr 7tm einen Wert von nicht weniger als 68 Millivolt, der der Kraft des Muskelstromes vollst\u00e4ndig gen\u00fcgt (wenn man bedenkt, da\u00df ein gr\u00f6\u00dferer Teil des K im Serum an CI gebunden ist als im Muskel).\nNach Betrachtungen von H\u00f6her1) k\u00f6nnte man nun den wirksamen Elektrolyten finden, wenn man den Muskel in die L\u00f6sung eines solchen br\u00e4chte und dadurch die Konzentration desselben in der Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit erh\u00f6hte. Dann m\u00fc\u00dfte die Stromkraft abnehmen bzw. sich sogar umkehren. In der Tat werden Muskeln, welche mit einer 1,35proz. L\u00f6sung von K2HP04 behandelt sind, stromlos und zeigen sogar einen umgekehrten Strom von allerdings nur 1 bis 2 Millivolt (Overton). Das letztere erkl\u00e4rt sich\n) Pfl\u00fcgers Archiv 106, 607 (1905).","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"99\naber leicht daraus, da\u00df sie bei Zunahme der Konzentration der Kaliuml\u00f6sungen bald g\u00e4nzlich absterben, wobei die Membran f\u00fcr alle Ionen vollst\u00e4ndig permeabel wird. Durch Auswaschen in physiologischer CINa-L\u00f6sung erholt sich der Muskel und zeigt wieder starken regul\u00e4ren Strom. Der Versuch ist hiernach zwar kein direkter Beweis f\u00fcr die gemachte Voraussetzung, aber spricht doch in gewissem Grade daf\u00fcr.\nAuch wenn man in der Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit als wirksamen Elektrolyten das CINa annimmt, gelangt man zu Werten der Kraft von \u00e4hnlicher Gr\u00f6\u00dfenordnung. Da die Muskelfaser nur geringe Mengen von Na-Salzen enth\u00e4lt, so kann dies sehr wohl darauf beruhen, da\u00df ihre Plasmamembranen f\u00fcr Na-Ionen schwer durchg\u00e4ngig sind. Nehmen wir f\u00fcr den NaCl-Gehalt der Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit Cj den des Blutserums zu 0,42 Proz. an und f\u00fcr die Muskelfaser c2 den des Rindfleisches (nach Lehmann) zu 0,04 bis 0,09 Proz. (was sicherlich viel zu hoch ist), so erh\u00e4lt man bei Anwendung der Formel\nE = 0,0575\tlog ^\nu + v y c2\nden Wert von 31 bis 47 Millivolt (u = 43,5 und v = 65,5). Schlie\u00dflich k\u00f6nnte man beide Elektrolyte, K2HP04 innen und CINa au\u00dfen, als wirksam ansehen, was durch Addition sehr viel h\u00f6here Werte ergeben w\u00fcrde *).\nDiese Berechnungen sind selbstverst\u00e4ndlich kein direkter Beweis, da\u00df die genannten Elektrolyte die wirksamen sind, doch zeigen sie die M\u00f6glichkeit eines solchen Verhaltens. Indessen wird man noch an manche andere M\u00f6glichkeiten denken m\u00fcssen, z. B. an Alkaliverbindungen der Eiwei\u00dfe im Protoplasma der Zellen, welche man als Elektrolyte ansehen kann, von denen das leichter bewegliche Kation ausgesendet wird, w\u00e4hrend das schwer bewegliche Anion nicht durch die Plasmamembran hindurchtritt. Endlich\n') Bei Annahme zweier Elektrolyte, die durch die Membran getrennt sind, k\u00f6nnte man die Formel\n, ,\t,\tUi \u201c(\u2014 Va\nn =t= KT .log nat -\u2014,\u2014-u2 + \u00ab2\nan wenden, welche Crem er f\u00fcr ausreichend h\u00e4lt (Handbuch d. Physiologie von Nagel, 1909, S. 875). Sie-gilt aber nur, wenn die Konzentration beider Elektrolyte gleich und f\u00fcr jeden Elektrolyten auf der anderen Seite Null ist.\n7 *","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nm\u00f6ge auch nur hypothetisch daran zu denken sein, da\u00df der von au\u00dfen durch die Plasmamembran best\u00e4ndig eindringende Sauerstoff 02 hierbei in seine Ionen 0- und 0+ zerf\u00e4llt, von denen vielleicht 0\u201c eine gr\u00f6\u00dfere Beweglichkeit besitzt als 0+. Infolge der lebhaften Oxydation in den lebenden Zellen mu\u00df das Konzentrationsgef\u00e4lle des Sauerstoffs von au\u00dfen nach innen ein sehr bedeutendes sein. Obgleich nach den \u00e4lteren Versuchen von du Bois-Keymond der Muskelstrom im luftleeren Kaum bestehen bleibt, so ist es doch fraglich, inwieweit derselbe vom \u00e4u\u00dferen Sauerstoff druck abh\u00e4ngig ist. Neuere Versuche hier\u00fcber fehlen noch.\nVon H\u00f6her ist die Einwirkung verschiedener Salzl\u00f6sungen auf die Muskelstr\u00f6me nach der Membrantheorie erkl\u00e4rt worden. Biedermann hatte gefunden, da\u00df, wenn man eine Strecke eines unversehrten Froschmuskels in eine Kaliumsalzl\u00f6sung taucht, diese gegen die \u00fcbrigen Stellen negativ wird, d. h. es entsteht ein Strom wie von L\u00e4ngs- und Querschnitt. Wenn die Einwirkung nicht zu lange gedauert hat, kann der Strom durch Auswaschen des Muskels in einer physiologischen CINa-L\u00f6sung wieder verschwinden. H\u00f6her hat eine gr\u00f6\u00dfere Reihe von Alkalisalzen daraufhin untersucht und hat beobachtet, da\u00df einige in demselben Sinne wirken wie die Kaliumsalze, da\u00df es aber auch andere gibt, welche in umgekehrtem Sinne wirken, so da\u00df die eingetauchte Stelle positiv gegen die anderen Stellen wird. Es ist dies wesentlich von dem Kation abh\u00e4ngig, aber auch die Anionen haben einen Einflu\u00df darauf. Man kann diese Salze nach einer bestimmten Reihe ihrer Kationen und Anionen in folgender Tabelle\nAnionen\tK\tRb\tNH,\tCs\tNa\tLi\tBa\tSr\tCa\tMg\nTartrat . .\t\t\t\t\t\t\u2014\t\t\t\t_\t\t\t\t\nS04 . . . .\t\t\t\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\t'\t\t\t\t4-\nHPO\u201e . . .\t\t\t\t\t\u2014.\t\t\t\t\t\nCH3COO .\t\t\t\t\t\u2014\t\u2014\t\t\t\t\nCI\t\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t4\t+\t4-\t4-\t4-\t4\t4\nBr\t\t\t\t\u2014\t4\t+\t4\t\t\t\t\nJ\t\t\u2014\t\u2014\t\t4\t4\t4\t4\t4-\t\t4\nN03. . . .\t\t\t__\t\t4\t+\t4-\t4-\t\t4\nSCN. . . .\t\u2014\t\t\u00a3\t\t44\t44\t41\t\t\t44","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"101\nordnen, in welcher ein Minuszeichen bedeutet, da\u00df die eingetauchte Stelle negativ, ein Pluszeichen, da\u00df sie positiv wird, und ein Plus-Minuszeichen, da\u00df sie neutral bleibt. Die Zahl der Zeichen entspricht der Stromkraft. Die Konzentration dieser L\u00f6sungen war immer \u00e4quimolekular und dem Muskel isotonisch.\nH\u00f6her1) erkl\u00e4rt diese verschiedenartigen Wirkungen der Salze auf den Muskel daraus, da\u00df diejenigen, welche die behandelten Stellen negativ (\u2014) machen, die Plasmamembran lockern, d. h. permeabler machen, da\u00df aber diejenigen, welche jene Stellen positiv (-)-) machen, die Plasmamembran verdichten, d. h. impermeabler machen, w\u00e4hrend alle diejenigen, welche keine Einwirkung (+) haben, die Plasmamembran nicht ver\u00e4ndern. Over ton hatte gefunden, da\u00df Muskeln in einer 7 proz. Rohrzuckerl\u00f6sung, welche sich zum Muskel isotonisch verh\u00e4lt, ihre Erregbarkeit bald verlieren, da\u00df sie aber in gewissen Salzl\u00f6sungen, wie CINa und anderen, wiederkehrt, in anderen, wie Kaliumsalzen, dagegen nicht. H\u00f6her bemerkt nun, da\u00df die Reihe dieser Salze, nach Kat- und Anionen geordnet, mit der obigen Tabelle gut \u00fcbereinstimmt. \u201eAlle Salze, welche einen regul\u00e4ren Ruhestrom erzeugen, welche also die ber\u00fchrte Muskelpartie negativ machen, heben die Erregbarkeit rasch auf, w\u00e4hrend alle Salze, welche den stromlosen Zustand des unverletzten Muskels konservieren oder einen kontr\u00e4ren Ruhestrom erzeugen, dem in Rohrzuckerl\u00f6sung unerregbar gewordenen Muskel die Erregbarkeit f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit wiedergeben k\u00f6nnen.\u201c\nDie Tatsache, da\u00df es Salzl\u00f6sungen gibt, welche die Kraft des Muskelstromes erh\u00f6hen und zugleich die Erregbarkeit steigern, ist eine gute St\u00fctze f\u00fcr die Membrantheorie, denn sie kann wohl durch nichts anderes als durch eine Ver\u00e4nderung der Membran erkl\u00e4rt werden, welche das Membranpotential erh\u00f6ht. Betrachtet man die Tabelle (S. 100), so zeichnet sich unter den Kationen dieser Salze besonders das Mg, Na und Li, unter den Anionen besonders das SCN aus. Es kommt sowohl auf die Kat- wie auf die Anionen der Salze hierbei an. Aber auch unter der Einwirkung dieser Salze befindet sich der Muskel nicht in einem normalen Zustand, denn bei l\u00e4ngerer Einwirkung stirbt er darin schneller ab als in einer CINa-L\u00f6sung.\n*) Physikal. Chemie der Zellen und Gewebe, 3. Aufl., S. 412.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nEs mu\u00df bei dieser Gelegenheit die von Overtoil aufgestellte Lipoidtheorie der Zellmembranen erw\u00e4hnt werden, nach welcher das Plasma der lebenden Zellen von einer Lipoidschicht eingeh\u00fcllt sein soll, welche aus fettartigen Substanzen, wie Cholesterin, Lecithin usw., bestehen. Dies ist von Over ton besonders daraus geschlossen worden, da\u00df lipoidl\u00f6sliche K\u00f6rper, wie einwertige Alkohole, Aldehyde und \u00c4ther, rasch in die Zellen eindringen, w\u00e4hrend andere, welche Fette nicht l\u00f6sen, wie der dreiwertige Alkohol, Glycerin, ferner Zuckerarten usw., obwohl sie in Wasser gut l\u00f6slich sind, nur sehr langsam oder gar nicht eindringen. Die Lipoidtheorie und die elektrische Membrantheorie haben sieb beide fast zu gleicher Zeit auf Grund verschiedener Untersuchungen unabh\u00e4ngig voneinander entwickelt. Es kann aber nicht daran gedacht werden, die elektrische Membran mit einer Lipoidmembran zu identifizieren, vielmehr mu\u00df erstere wesentlich aus Bestandteilen des lebenden Plasmas zusammengesetzt sein. Da auch aus anderen Gr\u00fcnden Einw\u00e4nde gegen die urspr\u00fcngliche Overtonsche Lipoidtheorie erhoben worden sind und von vielen angenommeu wird, da\u00df die Plasmah\u00fcllen nicht nur aus Lipoiden, sondern auch aus Proteinen bestehen, so ist es wohl denkbar, dieselbe so zu modifizieren, da\u00df sie sich mit der elektrischen Membrantheorie vereinigt, und da\u00df sich aus ihr die osmotischen und elektrischen Erscheinungen an den Zellen gemeinsam erkl\u00e4ren. Poch kann hier auf diesen Gegenstand1) nicht n\u00e4her eingegangen werden.\nEbenso wie auf den Muskel l\u00e4\u00dft sich die Mem brant he orie auch auf die Nervei} anwenden. Die Kraft des Nervenstromes steigt ebenfalls mit der Temperatur und in den Grenzen von 9 bis 18\u00b0 C, wenn man das Absterben mit der Zeit ber\u00fccksichtigt, nahezu proportional der absoluten Temperatur, wie Tabelle B zeigt, Dagegen ist bei h\u00f6herer Temperatur bis 32\u00b0 C . die Abweichung von diesem Verh\u00e4ltnis eine gr\u00f6\u00dfere als beim Muskel, und zwar bleibt die Kraft hinter der berechneten erheblich zur\u00fcck, so da\u00df meist bei 15 bis 18\u00b0 C ein Maximum der Kraft auftritt. Es l\u00e4\u00dft sich aber sehr wahrscheinlich machen, da\u00df diese Abweichung bei h\u00f6herer Temperatur haupts\u00e4chlich auf eine Zunahme der Permeabilit\u00e4t der Membran mit steigender Temperatur\n*) Siehe hier\u00fcber H\u00f6her, Physikal. Chemie der Zellen und Gewebe, 3. Anfl., S. 192 u. 488.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"103\nzur\u00fcckzufiihren ist. Wenn man unter dieser Annahme eine Berechnung1) ausf\u00fchrt, so kann man aus drei durch Messung erhaltenen Werten f\u00fcr die Kraft die \u00fcbrigen nach den gegebenen Formeln berechnen und erh\u00e4lt eine gen\u00fcgende \u00dcbereinstimmung mit dem Gesetz der Proportionalit\u00e4t der Kraft mit der absoluten Temperatur, wie Tabelle A zeigt.\nTabelle A.\tTabelle B.\nNr.\tT\tKompensatorgrade\t\tNr.\tT\tKompensatorgrade\t\n\t\tE Mittel beob.\tE ber.\t\t\tE korr. Mittel beob.\tE ber,\n1\t289,35\t782,63\t\t\t1\t291,4\t433,67\t\u2014\n2\t291,10\t767,29\t768,7\t2\t298,25\t430,7\t429,97\n3\t293\t771,37\t772,15\t3\t288\t428,5\t427,79\n4\t295\t766,23\t765,85\t4\t286\t423,67\t424,08\n5\t297\t757,95\t759,23\t5\t284\t420,67\t420,16\n6\t299\t752,78\t\u2014\t6\t283\t418,03\t\u2014\n7\t301\t744,83\t744,76\t7\t282\t415,22\t415,62\n8\t302,5\t745,38\t738,9\t8\t281\t408,59\t\u2014\n9\t305\t731,20\t728,56\t9\t280\t399,64\t410,35\n10\t307\t723,95\t719,85\t10\t279\t395,00\t\u2014\n11\t309\t712,00\t\u2014\t11\t278\t391,41\t402,69\nMan k\u00f6nnte auch meinen, da\u00df mit wechselnder Temperatur eine \u00c4nderung in der Konzentration der Elektrolyts in der Faser eintr\u00e4te; doch ist dies sehr unwahrscheinlich, da die \u00c4nderungen der Kraft mit wechselnder Temperatur immer reversibel sind und ein so schnelles Verschwinden entstandener Elektrolytmengen nicht m\u00f6glich ist.\nAuch an den Nerven kann man Thermostr\u00f6me beobachten, wenn man von zwei m\u00f6glichst gleichen L\u00e4ngsschnittstellen ableitet und eine Stelle erw\u00e4rmt oder abk\u00fchlt. Von Verzar 2) sind dieselben\n*) Zugrunde gelegt wurde die Formel\nunter der Annahme, da\u00df v'\u2014 \u00df. T2 ist, wo \u00df eine Konstante bedeutet. Je gr\u00f6\u00dfer # wird, um so mehr w\u00e4chst die Permeabilit\u00e4t der Membran. 2) Pfl\u00fcgers Archiv 143, 252 (1911).","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nin letzter Zeit genauer untersucht worden. Zwischen 0 bis 20\u00b0 C ist die w\u00e4rmere Stelle immer positiv gegen die k\u00e4ltere. Bei hohen Temperaturen treten unregelm\u00e4\u00dfige Resultate auf, die wahrscheinlich durch Sch\u00e4digung des Nerven entstehen. Bei Ableitung eines L\u00e4ngsquerschnittstromes kann man durch Erw\u00e4rmen oder Abk\u00fchlen des L\u00e4ngsschnittes allein den Strom verst\u00e4rken oder schw\u00e4chen. Aber im Gegensatz zum Muskel kann man auch beim partiellen Erw\u00e4rmen oder Abk\u00fchlen des Querschnittes eine \u00c4nderung der Kraft hervorrufen, und zwar beim Erw\u00e4rmen eine Schw\u00e4chung, beim Abk\u00fchlen eine Verst\u00e4rkung, doch sind diese \u00c4nderungen nicht so stark wie diejenigen, welche bei Temperatur\u00e4nderungen des L\u00e4ngsschnittes erfolgen.\nDiese Beobachtungen lassen sich auch im Sinne der Membrantheorie gut deuten. Die \u00c4nderungen der Kraft bei Temperatur\u00e4nderungen des L\u00e4ngsschnittes erkl\u00e4ren sich ebenso wie beim Muskel (s. oben S. 96) durch Steigen des Membranpotentials proportional mit der absoluten Temperatur. Im Gegensatz zum Muskel mu\u00df man aber annehmen, da\u00df auch der k\u00fcnstliche Querschnitt des Nerven, entsprechend seiner besonderen Struktur, sich sehr schnell mit einer wirksamen Membran abgrenzt, die ebenso reagiert wie die L\u00e4ngsschnittmembran. Man m\u00f6chte vermuten, da\u00df die Ran vier sehen Einschn\u00fcrungen (s. oben S. 16) diese Quermembran bilden. Die Kraft des L\u00e4ngsquerschnittstromes setzt sich dann aus zwei einander entgegenwirkenden Membranpotentialen zusammen. Temperaturerh\u00f6hung am Querschnitt mu\u00df daher die Kraft des Stromes schw\u00e4chen, Erniedrigung sie verst\u00e4rken. Man kann diese thermische Wirkung des Querschnittes daher nicht im Sinne einer Alterationstheorie auslegen, da es nach dieser sich umgekehrt verhalten m\u00fc\u00dfte. Diese Auffassung stimmt mit der Erkl\u00e4rung der E n g e lm a n n sehen Versuche (s. oben S. 16) \u00fcber die Ver\u00e4nderungen der Kraft des Nerven-stromes wohl \u00fcberein. Ist der Strom mit der Zeit auf Null gesunken, so ist das Potential der Quermembran dem (inzwischen auch verminderten) Potential der L\u00e4ngsmembran gleich geworden.\nDie Erkl\u00e4rung der negativen Schwankung des Muskel-und Nervenstromes ergibt sich nach der Membrantheorie daraus, da\u00df die Membran als Teil der lebenden Substanz der Zellen an den chemischen Ver\u00e4nderungen teilnimmt, welche bei der Reizung vor sich gehen. Diese Ver\u00e4nderungen bestehen in Spaltungs-","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"105\nund Oxydationsprozessen der organischen Bestandteile, wobei 02 verbraucht und C02 produziert wird. In derselben Richtung verlaufen auch die chemischen Prozesse beim Absterben der Organe, und es kann bei abnorm starker Reizung der Erregungsproze\u00df direkt in den des Absterbens \u00fcbergehen, w\u00e4hrend bei normaler Reizung eine Restitution erfolgt. Auf die \u00dcbereinstimmung der chemischen Ver\u00e4nderungen des Muskels bei der Heizung und beim Absterben ist namentlich durch die \u00e4lteren Arbeiten von L. Hermann hingewiesen worden. Nun wissen wir, da\u00df beim Absterben der Fasern die abgestorbene Strecke sich negativ gegen die lebende verh\u00e4lt, im Sinne der Membrantheorie, weil die Membran f\u00fcr gewisse Ionen der Elektrolyte permeabler wird. Daraus werden wir folgern d\u00fcrfen, da\u00df auch bei der Reizung der Organe durch die chemische Ver\u00e4nderung die Permeabilit\u00e4t der Membran f\u00fcr diese Ionen zunimmt, und da\u00df daher die erregte Strecke negativ gegen die unerregte wird. Mit anderen Worten, das Membranpotential nimmt bei der Reizung ab, um so mehr, je st\u00e4rker die Reizung ist. Nach dem Schema von Fig. 32 kann man sich vorstellen, da\u00df die negativen Ionen der Innenseite sich mit den positiven der Au\u00dfenseite der Membran vereinigen. Diese Ver\u00e4nderung der lebenden Substanz pflanzt sich in der Faser wellenf\u00f6rmig fort und hat an jeder Stelle eine gewisse Dauer, und so entsteht die elektrische Reizwelle, wie wir sie unter verschiedenen Bedingungen der Ableitung beobachten.\nEine Konsequenz dieser Theorie w\u00fcrde nun sein, da\u00df die negative Schwankung eine maximale Grenze erreichen m\u00fc\u00dfte, welche durch die St\u00e4rke des Membranpotentials gegeben w\u00e4re, und da\u00df dieses bei der Reizung sich nicht umkehren k\u00f6nnte. In der Tat scheint dies nach den Rheotomversuchen Bernsteins am Muskel der Fall zu sein. In diesen Versuchen wurde das Rheotom (s. oben S. 43) auf das Maximum der negativen Schwankung eingestellt -und beobachtet, da\u00df auch bei st\u00e4rkster Reizung die Ablenkung nicht unter die Abszissenlinie herabging. In sp\u00e4teren Versuchen von Burdon-Sandefson und Gotch1) mit Hilfe des Kapillarelektrometers schien es, da\u00df am unverletzten Muskel die erste Phase des Aktionsstromes eine gr\u00f6\u00dfere Kraft bis zu etwa 0,1 Volt erreichen k\u00f6nne, als man sie am L\u00e4ngsquerschnittstrom\n) Journ. of Physiol. 12, 1892.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\n(max. = 0,080) beobachtet. Indessen li\u00e2t man zu bedenken, da\u00df der letztere sehr bald an Kraft abnimmt, namentlich wenn man den Muskel partiell durch Hitze abt\u00f6tet (W\u00e4rmequerschnitt), wie es in diesen Versuchen geschah. Ferner ist ja auch nach der Membrantheorie die Kraft dieses Stromes die Differenz zwischen dem Membranpotential und dem Diffusionspotential am Querschnitt (s. oben S. 95). Was aber wohl das Wesentliche ist, so mu\u00df nach Anlegung eines Querschnittes die urspr\u00fcngliche Kraft des Stromes sehr schnell durch innere Polarisation sinken (s. unten Kapitel \u00fcber innere Polarisation). Die wahre Kraft des L\u00e4ngsquerschnittstromes w\u00fcrde man daher nur finden, wenn man sie in den ersten Momenten nach Anlegen des Querschnittes messen k\u00f6nnte. Die Schnittversuche, welche von Tschermak und Bernstein angestellt worden sind (s. oben S. 96. Anm. 1), sprechen in der Tat daf\u00fcr, da\u00df die Kurve der Kraft in den ersten tausendstel Sekunden in einer logarithmischen Form stark absinkt.\nDaraus wird man schlie\u00dfen d\u00fcrfen, da\u00df man den wahren Wert des Membranpotentials nur vom unverletzten Muskel durch die maximale Kraft der ersten Phase des Aktionsstromes (vorausgesetzt, da\u00df die zweite Phase noch nicht interferiert) erf\u00e4hrt. In maximo kann dieses Potential nur auf Null sinken, zur Annahme einer Umkehr desselben liegt keine Veranlassung vor i). Es best\u00e4tigt sich somit, da\u00df die negative Schwankung des L\u00e4ngsquerschnittstromes in der Tat der elementare Vorgang ist und da\u00df die Aktionsstr\u00f6me eben nichts anderes sind als die Kombination der negativen Schwankungen aller sukzessiv in Erregung geratenden Querschnittelemente der Faser.\nGanz dieselben Betrachtungen k\u00f6nnen wir auf die negative Schwankung des Nervenstromes und die Aktionsstr\u00f6me desselben \u00fcbertragen. Am Nerven war bereits durch die Bheotom-versuclie von Bernstein festgestellt, da\u00df die Kurve der\n') Die Versuche von Burdon-Sanderson und Gotch (Journ. of Physiol. 12, 1891) \u00fcber diesen Gegenstand sind aus obigen Gr\u00fcnden meines Erachtens nicht entscheidend. Sie fanden sogar am M. sartorius f\u00fcr den L\u00e4ngsquerschnittstrom 29 und f\u00fcr den Aktionsstrom nur 25 M. D. Der am M. gastrocn. gefundene Aktionsstrom von 84 M.D. wird h\u00e4ufig vom L\u00e4ngsquerschnittstrom erreicht. Auch die sp\u00e4teren Resultate von Burdon-Sanderson (Journ. of Physiol. 23, 1898) \u00fcber die Kraft der negativen Schwankung lassen sich nach obigem hinreichend erkl\u00e4ren.","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"107\nnegativen Schwankung weit unter die Abszissenlinie des Stromes herabsinken kann. Dies ist auch im wesentlichen daraus zu erkl\u00e4ren, da\u00df der wahre Wert der Kraft des Nerven Stromes sehr viel h\u00f6her ist als wenige Minuten nach Anlegung des Querschnittes, weil dieselbe durch innere Polarisation sehr schnell absinkt. Dazu gesellt sich aber noch der von Engelmann entdeckte Vorgang (s. oben S. 16), da\u00df die Nervenfaser zun\u00e4chst vom Querschnitt aus nur bis au den n\u00e4chsten Ean vier sehen Schn\u00fcrring abstirbt, und da\u00df damit die manifeste Kraft des Stromes allm\u00e4hlich in eine latente \u00fcbergeht. Dies erkl\u00e4rt sich nun nach den oben erw\u00e4hnten Thermoversuchen am Nerven sehr gut aus der Annahme, da\u00df die Kan vier sehen Segmente der Nervenfasern von Quermembranen begrenzt sind, welche ebenso elektromotorisch wirken wie die L\u00e4ngsmembran. Der L\u00e4ngsquerschnittstrom mu\u00df also von Beginn an viel schw\u00e4cher erscheinen als die monophasische Schwankung. Schlie\u00dflich mu\u00df sogar, wenn das Potential der Quermembran zur Wirkung kommt, sich an die erste negative Phase der Schwankung eine zweite positive anschlie\u00dfen. Diese m\u00fc\u00dfte am deutlichsten an einem noch gut erregbaren Nerven mit latenter Kraft auftreten, was bis jetzt experimentell noch nicht gepr\u00fcft worden ist1).\n\u2018) Von E. Hering ist eine langsam eintretende positive Schwankung des Nervenstromes nach tetanischer Reizung beobachtet worden, und von ihm als Zeichen einer nach der Reizung einsetzender Assimilierung gedeutet worden. Nach Einzelreizungen konnte sie am Nerv, ischiad. nicht festgestellt werden. Dagegen hat Garten dieselbe an dem langsamer reagierenden Nerv, olfact. nach Einzelreizen gesehen. Auch an diesem Nerven findet man nach Anlegung des Querschnittes ein kontinuierliches Sinken des Stromes und Wiedersteigen desselben durch einen neuen Querschnitt vor. Es k\u00f6nnte auch dieses auf Entstehen einer Quermembran beruhen, obgleich diese Rasern keine Ranvier-schen Einschn\u00fcrungen zeigen. Es bedarf daher weiterer Versuche \u00fcber diesen Gegenstand.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nSechstes Kapitel.\nDie elektrischen Organe.\nDie wunderbare F\u00e4higkeit der Zitterfisehe, elektrische Schl\u00e4ge zu erteilen, ist schon seit alter Zeit bekannt. Dieselben bedienen sich dieses Mittels als Schutz und Waffe gegen die Angriffe anderer Tiere. Es gibt haupts\u00e4chlich drei Arten solcher Fische, erstens den Zitterrochen, Torpedo, welcher im Mittelmeer vorkommt, zweitens den Zitterwels, Malapterurus, welcher sich in den Fl\u00fcssen Nordafrikas vorfindet, und drittens den Zitteraal, Gymnotus electricus, welcher in den Fl\u00fcssen der tropischen Zonen Afrikas und S\u00fcdamerikas lebt. Da\u00df der Schlag des letzteren nach den \u00e4lteren Berichten von HumKoldt Pferde zu t\u00f6ten vermag, hat sich zwar nicht best\u00e4tigt, doch sind die Schl\u00e4ge desselben au\u00dferordentlich kr\u00e4ftig.\nDiese Tiere besitzen elektrische Organe, welche durch Nerven versorgt und ebenso wie die Muskeln willk\u00fcrlich in T\u00e4tigkeit versetzt werden. Beim Zitterrochen liegen diese Organe zu beiden Seiten des Kopfes (s. Fig. 34 a) von den beiden Seitenflossen begrenzt, etwa handtellergro\u00df und platt, die ganze Dicke des K\u00f6rpers einnehmend, und werden von vier starken Nerven versehen, welche aus dem elektrischen Lappen des Gehirns stammen. Das Organ ist aus sechsseitigen S\u00e4ulen zusammengesetzt, welche, wie man auf dem Querschnitt Fig. 34b sieht, senkrecht zur L\u00e4ngsrichtung des K\u00f6rpers dicht nebeneinander stehen. Diese zerfallen wieder der Quere nach in eine gro\u00dfe Zahl von Scheiben, welche durch Querw\u00e4nde voneinander geschieden sind. Die Nerven\u00e4ste dringen zwischen den S\u00e4ulen \u00fcberall ein und die Fasern derselben treten in die Querw\u00e4nde ein, um sich mit einer Seite der Scheiben zu verbinden. Diese Seite ist beim Zitterrochen durchgehends die Bauchseite. Sie wird, wie die Untersuchung gelehrt hat, beim Schlage negativ (s. Fig. 34 b).\nBeim Zitterwels umgibt das elektrische Organ mantelartig den mittleren Teil des K\u00f6rpers (s. Fig. 35). Es besteht ebenfalls aus","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"109\nS\u00e4ulen, welche aber longitudinal gelagert sind und ebenfalls in viele Querscheiben zerfallen, durch deren Scheidew\u00e4nde die Nervenfasern eintreten. Beim Schlage wird das Kopfende des Organs negativ.\nFig. 34 a.\nZitterrochen (Torpedo marmorata).\nB\u00fcckenfl\u00e4che, die elektrischen Organe 0 mit ihren Nerven, das Gehirn und R\u00fcckenmark freigelegt (nach Pritsch, Die elektrischen Fische, Abt. II, 1890).\nDas Organ des Zitteraals (Fig. 36 au. b) liegt am Schwanzende. Die S\u00e4ulen desselben sind ebenfalls longitudinal gerichtet","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"Fig. 34 b.\nno\nund von \u00e4hnliche!- Struktur. Beim Schlage wird das Schwanzende des Organs negativ. Es ist nachgewiesen, da\u00df die Nervenfasern an die Schwanzseite der Querscheiben herantreten. Beim Zitterwels dagegen ist die Art der Nervenverbin-^\tdung noch nicht sicher festgestellt. Sehr\neigent\u00fcmlich ist es, da\u00df der Nerv des Zitterwelses aus einer einzigen dicken Nervenfaser mit vielen H\u00fcllen besteht, die sich im Organ in au\u00dferordentlich viele d\u00fcnne Fasern aufl\u00f6st.\nDie Querscheiben der S\u00e4ulen, welche durch Bindegewehsw\u00e4nde voneinander getrennt sind, hat man als Zellen anzusehen, welche beim Embryo aus denselben Zellen hervorgehen, aus denen sich die quergestreiften Muskelfasern entwickeln. Man hat bei einem Rochen (Raja) die direkte Umbildung quergestreifter Zellen in die des elektrischen Organs beobachtet. Man kann daher die Elemente des Organs als \u201eelektrische Zellen\u201c bezeichnen. Dieselben bestehen (Fig. 37) aus einer Nervenplatte, in welcher sich die Nervenfasern aufl\u00f6sen, und aus einer dieselbe deckenden Gallertplatte, welche aus einer gallertigen Masse zusammengesetzt ist. Die Gallertplatte bildet zottenartige Forts\u00e4tze, in welche sich die Nervenplatte einsenkt. Diese Zotten sind von einem feinen St\u00e4bchensaum begrenzt. Auf der anderen Seite besitzt die Gallertplatte auch warzenartige Forts\u00e4tze, aber ohne einen St\u00e4bchensaum.\nMan war anfangs geneigt, das elektrische Organ mit einer Voltaschen S\u00e4ule zu vergleichen, aber E. du Bois-Reymond hatte schon gezeigt, da\u00df das Organ in der Ruhe keinen oder einen nur sehr schwachen konstanten Strom besitzt. Es entstehen vielmehr bei der Reizung des Organs oder der seiner Nerven kurzdauernde Str\u00f6me von betr\u00e4cht-\n.9","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Fig. 35.\nH if, oo Hautschwarte mit elektrischem Orpan, N elektrischer Nerv, r r Aste desselben, Ml Seitenmuskel,\nMr Bauchmuskel.\nZitterwels (Malapte-rurus) naehBilharz.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nlicher Spannung, aber nicht etwa Wechselstr\u00f6me, wie die eines Induktoriums mit Unterbrecher, sondern Str\u00f6me in bestimmter Richtung, wie sich dies schon mit Galvanometer und chemischer Zersetzung von Jodkaliumst\u00e4rke zu erkennen gab. Marey konnte\nFig. 36 a.\nDer Zitteraal (G-ymnotus electricus) nach Biedermann, Blektrophysiologie 1895.\nan einem Telephon die Schl\u00e4ge h\u00f6ren und aufzeichnen ; aber erst von Schoenlein1) sind genauere Versuche an dem Organ von Torpedo mit dem Rheotom und einem Telephonhebel angestellt worden.\nNach diesen Versuchen erreicht der Strom schnell in 2 bis 3 d sein Maximum und ist in 6 bis 8 d fast abgelaufen. Bei der\nFig.36 b.\nZitteraal, L\u00e4ngsschnitt (nach Biedermann, ebenda).\nNervenreizung beobachtet man ebenso wie beim Muskel eine Latenz von 3 bis 4 6, ebenso auch bei direkter Reizung eine etwas k\u00fcrzere. Im \u00fcbrigen scheint Dauer und Verlauf je nach der Art der Reizung mit Induktionsschlag oder konstantem Strom\n) Zeitschr. f. Biologie 33, 1896.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"113\netwas verschieden auszufallen. Die willk\u00fcrlichen und reflektorischen Entladungen bestehen immer aus einer Reihe von Schl\u00e4gen,\nFig. 37.\nos ro p\tho va\tp\thg os\nPsch Hsch\tZsch\tSt\nBau des elektrischen Organs vom Zitteraal nach. Ballowitz.\nQuerschnitt zweier Platten. V vorn, H hinten. P G-allertplatte. Zsch Zottenschicht, St St\u00e4bchensaum derselben. Msch Mittelschicht. Psch Papillen schic ht.\nVG- u. HG vordere und hintere Grenzschicht, zwischen diesen die Nervenendigungen (Nervenplatte), welche in die Zottenschicht eintreten.\ndie mit gro\u00dfer Geschwindigkeit, etwa 100 bis 150 in der Sekunde, aufeinander folgen k\u00f6nnen.\nIn neuerer Zeit haben Crem er mit einem Saitenelektrometer und Garten mit einem Saitengalvanometer die Kurve eines Schlages am Torpedo aufgenommen: letztere zeigt Eig. 38. Garten\nBernstein, Elektrobiologie.\tg","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nFig. 38.\nSchlagkurve vom Zitterrochen, Reizung des Nerven mit absteigendem konstanten Strom. (Garten, Handb. d. vergl. Physiol. III.)","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"115\nberechnet f\u00fcr den Anstieg 3 6 und f\u00fcr die ganze Dauer mit langsamem Abfall 20 6 ; doch war die Temperatur nur 10 bis 11\u00b0 C. Die Reizung geschah durch Schlie\u00dfung eines konstanten Stromes im Nerven. Jedoch fehlen noch genauere Messungen hier\u00fcber. Es geht aus den bisherigen Beobachtungen schon hervor, da\u00df der Verlauf des Schlages ganz den Charakter einer negativen Schwankung oder einer Phase des Aktionsstromes vom Muskel besitzt. Der gro\u00dfe Unterschied vom Verhalten des unverletzten Muskels besteht aber darin, da\u00df niemals eine Doppelphase auf-tritt, sondern der Strom nur einphasig ist.\nVon Schoenlein ist bereits die Kraft des Schlages bei Torpedo mit dem Rheotom durch Kompensation gemessen worden. Es wurde eine Kette von verschiedener Kraft in entgegengesetzter Richtung in den Kreis eingeschaltet und das Rheotom auf das Maximum des Schlages eingestellt. Es ergab sich, da\u00df die Kraft des Schlages etwa gleich 31 Daniell war. Daraus konnte man die Kraft des einzelnen Elementes der S\u00e4ulen des Organs, also der einzelnen elektrischen Zelle berechnen, wenn man die Kraft des Schlages durch die mittlere Zahl der hintereinander geschichteten Zellen dividierte. Es fand sich, da\u00df die Kraft eines Elementes etwa von der Gr\u00f6\u00dfenordnung des Muskelstromes bzw. seiner negativen Schwankung ist, eine bemerkenswerte Tatsache, die f\u00fcr die Theorie von Bedeutung ist.\nVon Cremer sind am lebenden Torpedo reflektorische rhythmische Entladungen mit einem Saitenelektrometer aufgenommen worden, welche in einem Intervall von 5 6 dicht aufeinander folgten, also einem Tetanus entsprechen. Auch bei Reizung des Nerven mit konstantem Strom kann ein solcher Tetanus auftreten (Garten). Bei langdauernder Reizung tritt ebenso wie am Muskel bald Erm\u00fcdung ein. Auch am lebenden Tiere beobachtet man nach l\u00e4ngerer starker T\u00e4tigkeit Ersch\u00f6pfung. Es wird erz\u00e4hlt, da\u00df die Indianer, um Zitterwelse zu fangen, Pferde in den Flu\u00df treiben und dann die ersch\u00f6pften Fische leicht fangen k\u00f6nnen.\nDie bisherigen Untersuchungen am Zitterwels und Zitteraal haben zu ganz \u00e4hnlichen Ergebnissen gef\u00fchrt, wie die am Torpedo, doch konnte man bisher die Versuche noch nicht systematisch durchf\u00fchren, du Bois-Reymond beobachtete an Zitterwelsen, welche jahrelang in einem erw\u00e4rmten Bassin gehalten wurden,\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nden Verlauf der Schl\u00e4ge. C. Sachs1) unternahm 1876/77 zur Untersuchung der Zitteraale eine Expedition nach dem Amazonenstrom. Die gr\u00f6\u00dfere St\u00e4rke des Schlages der Zitteraale und Welse erkl\u00e4rt sich zur Gen\u00fcge aus der gr\u00f6\u00dferen Zahl der hintereinander geschalteten Elemente des sehr langen Organs. An herausgeschnittenen St\u00fccken desselben sind freilich die Schl\u00e4ge sehr viel schw\u00e4cher. Die unverletzten Organe mit ihren Nerven lassen sich nicht so gut isolieren wie am Torpedo, auch sterben sie, da es Organe tropischer Tiere sind, sehr viel schneller ab, als die\nFig. 39.\nV\n20\t30......40 a\n5 10\nKeflexentladung vom Zitterwels nach Crem er (aus Garten, Handb. d. vergl. Physiol.).\ndes Torpedos. In neuerer Zeit hat Cremer mit dem Saitenelektrometer Schl\u00e4ge des lebenden Zitterwelses aufgenommen, wie Fig. 39 zeigt. Eine Berechnung l\u00e4\u00dft darauf schlie\u00dfen, da\u00df die Kraft des ganzen Organs heim Zitterwels etwa 450 Volt betr\u00e4gt. Die Dauer eines Schlages betrug etwa 2,8 \u00f6.\nGeht man nun auf die Frage ein, welche Art von Kette das elektrische Organ bildet, so mu\u00df man nach unseren jetzigen Kenntnissen \u00fcber die Thermodynamik zun\u00e4chst pr\u00fcfen, welchen Temperaturkoeffizienten der Schlag des Organs besitzt, und dann, welche Temperatur\u00e4nderungen in dem Organ bei der T\u00e4tigkeit auftreten.\nSolche Untersuchungen unternahmen Bernstein und Tschermak2) an dem elektrischen Organ vom Torpedo. Die\n\u2019) Beschrieben nach dessen Tode von du Bois-Beymond 1881.\ns) \u00dcber das thermische Verhalten des elektrischen Organs von Torpedo. Sitzung*lier. d. Ilerl. Akad. d. \"Wiss. 1904, S. 301\u2014313. \u2014 \u00dcber die Natur der Kette des elektrischen Organs heim Torpedo. Pfl\u00fcgers Arch. 112, 439\u2014521 (1906).","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"117\nVersuche \u00fcber den Einflu\u00df der Temperatur auf die Kraft des Schlages konnten zu einem ganz entscheidenden Resultat nicht f\u00fchren. Das Organ verh\u00e4lt sich in dieser Beziehung \u00e4hnlich wie der Nerv, dessen Ruhestrom bei 18\u00b0 C etwa ein Maximum aufweist, der aber doch, wie die genauere Analyse zeigte (s. oben S. 102), sich als Konzentrationsstrom zu erkennen gab. In den Grenzen von 3 bis 18\u00b0 C konnte auch am elektrischen Organ nachgewiesen werden, da\u00df der Temperaturkoeffizient des Schlagstromes ein positiver ist und da\u00df die Kraft des letzteren der absoluten Temperatur ann\u00e4hernd proportional steigt.\nMan mu\u00df in allen Ketten lebender Organe zwei Temperaturkoeffizienten unterscheiden, den physikalischen, welcher die Voraussetzung involviert, da\u00df die Konstitution der Kette bei wechselnder Temperatur konstant bleibt, und mindestens einen physiologischen Temperaturkoeffizient, welcher von den physikochemischen \u00c4nderungen bei wechselnder Temperatur abh\u00e4ngig ist. Der letztere kann positiv oder negativ sein, und da er sich oft aus mehreren Koeffizienten zusammensetzt, aus einem positiven in einen negativen Umschlagen oder umgekehrt. Dadurch kann der physikalische Koeffizient mehr oder weniger verdeckt werden.\nBeim elektrischen Organ m\u00fcssen wir daher einen physiologischen Temperaturkoeffizienten annehmen, welcher die Kraft des Schlages von etwa 18\u00b0 0 ab erheblich verringert. Gehen wir von der Membrantheorie aus, so k\u00f6nnen wir uns diese Wirkung und die Ver\u00e4nderung der Membran der elektrischen Zellen, welche dieselbe mit steigender Temperatur erleidet, wohl erkl\u00e4ren. Bis 18\u00b0 G sind indes diese Ver\u00e4nderungen nicht so bedeutend, um den physikalischen Temperaturkoeffizienten zu maskieren, wie folgende Tabelle zeigt:\nNr.\tT\tE beob.\tE ber.\n1\t276\t185,0\t\t\n2\t279\t188,75\t187,0\n3\t282\t192,0\t189,0\n4\t285\t194,5\t191,0\n5\t288\t197,0\t193,0\n6\t291\t197,25\t195,0","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nT bedeutet wiederum die absolute Temperatur, E die beobachteten und berechneten Ausschl\u00e4ge des Galvanometers. Die letzteren w\u00fcrden den elektromotorischen Kr\u00e4ften proportional sein, wenn der Verlauf der Schl\u00e4ge in einander ganz \u00e4hnlichen Kurven erfolgte, was allerdings nicht genau der Fall ist. Es ist vielmehr anzunehmen, da\u00df bei niederer Temperatur die Dauer des Schlages zunimmt. Dieser Fehler w\u00fcrde aher zugunsten des obigen Resultates sprechen, da mit zunehmender Temperatur die effektiven Kr\u00e4fte x) kleiner sein m\u00fc\u00dften als die beobachteten.\nGenauere Resultate w\u00fcrde man nun mit den graphischen Elektrometern erhalten, vorausgesetzt, da\u00df man die Kurven gut analysieren k\u00f6nnte. Leider liegen hier\u00fcber nur einige Versuche von Garten2) (und Koike) vor, welche am lebenden Zitterwels bei 16 und 34\u00b0 C angestellt sind. Bei 16\u00b0C ergab sich eine Kraft von 68 Volt, bei 34\u00b0 C eine Kraft von 37,5 Volt. Es ergab sich also auch hier \u00fcber mittlere Temperatur von etwa 18\u00b0 G bis \u00fcber 30\u00b0 C hinaus eine erhebliche Abnahme der Kraft, wie in den Versuchen von Bernstein und Tschermak an dem isolierten Organ vom Torpedo. Versuche, in denen die Temperatur zwischen 0 und 18\u00b0C schwankte, sind noch nicht ver\u00f6ffentlicht. Versuche am lebenden Tiere werden sich aber zur Entscheidung der vorliegenden Frage nicht gut eignen, da der Temperatur Wechsel noch anderweitige un\u00fcbersehbare Einfl\u00fcsse auf das lebende Tier haben mu\u00df, welche auf das Organ einwirken werden. Erfolgt der Temperaturwechsel innerhalb l\u00e4ngerer Zeitr\u00e4ume, so werden Anpassungen des Tieres an die verschiedenen Temperaturen ein-treten, welche den Ern\u00e4hrungszustand der Organe ver\u00e4ndern. Nur Versuche am isolierten Organ mit schnell wechselnden Temperaturen k\u00f6nnen entscheidende Resultate liefern.\nDie Temperatur hat im allgemeinen einen \u00e4hnlichen physiologischen Einflu\u00df auf die Reizbarkeit der elektrischen Organe wie auf Nerven und Muskeln. Die Reizbarkeit steigt von 0U bis zu\n*) Bei kurzdauernden Str\u00f6men sind die Ausschl\u00e4ge des Galvano-\nmeters A = 1c Ai dt \u2014 k. \u00eelt1) wo die Gesamtdauer, -ip die effektive\n\u00f4\ti.\t,\t.\nStromintensit\u00e4t und eL = \u2014 die effektive Kraft ist.\n2) Handb. d. vergl. Physiol. 3, 200.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014\t119\t\u2014\neiner mittleren Temperatur von etwa 18\u00b0 C und nimmt dann bei weiterer Steigerung ab.\nEs gibt aber noch einen anderen Weg, die Natur der Kette des elektrischen Organs zu ermitteln. Bernstein und Tschermak untersuchten, welche Temperatur\u00e4nderungen das Organ bei seiner T\u00e4tigkeit erleidet. Wir erinnern uns (s. oben S. 25, 29), da\u00df Konzentrationsketten sich bei der Stromerzeugung abk\u00fchlen, und da\u00df die Stromenergie aus der W\u00e4rme der Umgebung entnommen wird, da\u00df dagegen chemische Ketten, wie die galvanischen, sich meistens dabei erw\u00e4rmen, bzw. wie die Daniellsche nahezu konstante Temperatur behalten, und da\u00df bei diesen die ganze bzw. ein gro\u00dfer Teil der Stromenergie aus der chemischen Energie entsteht.\nGehen wir von der obigen Formel (2) aus:\nE -\nQ+T-\ndE\ndT\u2019\nin welcher E die Kraft, lute Temperatur bedeutet, so kann der Temperaturkoeffizient\ndie chemische W\u00e4rme und T die abso-\ndJS dT\ndm\ngr\u00f6\u00dfer oder kleiner als Null sein. Ist Q^>E, so ist - negativ,\ndE\t\u2122 ^\nwenn Q<^E ist, so ist - positiv, und wenn Q = E ist, so ist dE\t\u2122 ^\n\u2014\u2014 \u2014 0. Wenn nun ferner Q \u2014 0 ist, wie in den Kon-d J-\tdE\nzentrationsketten, so ist E = T\u2022\tDie Ketten, bei denen\nd T\nQ^> E ist, haben wir exotherme Ketten genannt ; sie erzeugen bei der T\u00e4tigkeit au\u00dfer der elektrischen Energie noch W\u00e4rme, welche nach au\u00dfen abgegeben wird; sie erw\u00e4rmen sich. Diejenigen, hei denen Q<^E ist, haben wir endotherme genannt; sie k\u00fchlen sich ah und nehmen W\u00e4rme aus der Umgehung auf. Einen Aufschlu\u00df \u00fcber die Natur der Kette erh\u00e4lt man daher, wenn man nach den Methoden von Braun, Jahn und anderen (siehe oben S. 28) eine thermodynamische Untersuchung mit ihr vornimmt. Man setzt die Kette in ein Kalorimeter, mi\u00dft die W\u00e4rmemenge, welche dieselbe in einer gewissen Zeit w\u00e4hrend der Stromerzeugung an das Kalorimeter abgibt oder aus demselben aufnimmt, und man mi\u00dft ferner die elektrische Energie, welche die Kette in einem nach au\u00dfen geleiteten Stromkreis erzeugt. Ist dann Q die chemische Strom-","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nw\u00e4rme der Kette, C die W\u00e4rme, welche an das Kalorimeter abgegeben oder von ihm aufgenommen wurde, und Se die im \u00e4u\u00dferen Stromkreis durch die elektrische Energie gewonnene W\u00e4rme, so k\u00f6nnen wir f\u00fcr alle F\u00e4lle die Gleichung*) aufstellen :\nQ = G+ Se.......................(11)\nIst G positiv, so ist die Kette eine galvanische, exotherme, ist G negativ, so ist die Kette eine endotherme. Ist in letzterem Falle G Se 0, so ist sie eine Konzentrationskette 1 2).\nWenden wir diese Betrachtung auf das elektrische Organ an, so haben wir zu bedenken, da\u00df dasselbe in ruhendem Zustande gar keine elektromotorische Kraft zeigt, da\u00df es sich also anders verh\u00e4lt, wie eine ungeschlossene physikalische Kette. Erst wenn eine Reizung stattfindet, verwandelt es sich in eine stromgebende Kette. Diese Umwandlung kann nur dadurch geschehen, da\u00df eine \u00c4nderung in der chemischen Konstitution eintritt, und diese mu\u00df mit einer W\u00e4rmet\u00f6nung verbunden sein. Au\u00dfer der chemischen Stromw\u00e4rme Q m\u00fcssen wir in solchem Falle daher eine \u201eUmwandlungsw\u00e4rme\u201c U annehmen, und die Gleichung f\u00fcr das Organ wird also lauten :\nu+ Q = C+Se.......................(12)\nEine derartige Umwandlung k\u00f6nnte in einer Kette in verschiedenartiger Weise erfolgen. Denken wir uns z. B. ein galvanisches Element, in welchem statt der Tonzelle ein Glasgef\u00e4\u00df eingesetzt ist, so w\u00fcrde es keinen Strom liefern; wenn aber durch einen chemischen Proze\u00df sich das Glas in einen por\u00f6sen K\u00f6rper verwandelte, so w\u00fcrde ein Strom entstehen. Allerdings m\u00fc\u00dften wir auch wieder eine R\u00fcckverwandlung annehmen, und in diesem Falle w\u00fcrde die R\u00fcckverwandlung gerade so viel W\u00e4rme (positiv oder negativ) erfordern als die Verwandlung, und U w\u00fcrde fortfallen. Oder denke man sich eine Konzentrationszelle, in welcher zuerst die Konzentration auf beiden Seiten dieselbe, also die Kraft gleich Null sei, und nun entstehe durch einen chemischen Proze\u00df auf einer Seite ein \u00dcberschu\u00df eines Elektrolyten, so entsteht ein Strom, der so lange dauert, bis dieser \u00dcberschu\u00df wieder auf irgend eine Weise beseitigt ist. Da es sich in einem lebenden\n1)\tNach Formel S. 28 mit ver\u00e4nderter Bezeichnung.\n2)\tEs gibt auch galvanische, endotherme Ketten, w,enn G negativ und C -j- Se positiv ist (s. S. 28).","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"121\nOrgan wohl nur um ein organisches Elektrolyt handeln kann, das durch Spaltung und Oxydation entsteht, so m\u00fc\u00dfte dabei merkliche W\u00e4rme gebildet werden, wie dies im Muskel bei der Kontraktion der Fall ist. Dies w\u00e4re eine an die Alterationstheorie sich anschlie\u00dfende Vorstellung. Die R\u00fcckverwandlung w\u00fcrde aber viel weniger W\u00e4rmeenergie absorbieren, als entstehen w\u00fcrde, wie dies auch beim Muskel der Fall ist, denn die elektrolytischen Produkte k\u00f6nnten nicht wieder zur Restitution der Zellsubstanz verwendet werden. In solchem Falle h\u00e4tten wir im elektrischen Organ bei der T\u00e4tigkeit eine merkliche W\u00e4rmebildung zu erwarten.\nGehen wir nun zur Anwendung der Membrantheorie \u00fcber, welche sich bei der Erkl\u00e4rung der Muskel- und Nervenstr\u00f6me und ihrer T\u00e4tigkeitsschwankungen hinreichend bew\u00e4hrt hat. Wir stellen uns nach dieser vor, da\u00df die elektrische Zelle auf beiden Seiten von einer semiper-meabeln Plasmamembran umh\u00fcllt ist und da\u00df sie mit der L\u00f6sung eines Elektrolyten geladen sei. Dieser Elektrolytbeh\u00e4lter sei die Gallertplatte, an welche sich auf einer Seite die Nervenplatte anlegt (s. Fig. 37).\nIn Fig. 40 sei nach dem mikroskopischen Bilde von Fig. 37 die elektrische Zelle schematisch dargestellt. Cr sei die Gallertplatte, welche von einer Plasmamembran umh\u00fcllt ist. An eine Seite derselben legt sich die Nervenplatte WAf an, welche durch Aufl\u00f6sung der Faser F in feine Endigungen entsteht. Nehmen wir an, da\u00df die Plasmamembran auf beiden Seiten f\u00fcr das Kation durchl\u00e4ssig, f\u00fcr das Anion aber nicht oder schwer durchl\u00e4ssig\nist, wie es die -)-- und--Zeichen angeben, so ist die Zelle in\nder Ruhe stromlos. Findet aber eine Reizung vom Nerven aus statt, so wird die Nervenseite der Plasmamembran auch f\u00fcr das Anion permeabel, die elektrische Doppelschicht der Nervenseite\nFig. 40.\n+ + + + + + + + + +\nr----------------------------------------------------\\\nT\u00e4tigkeit\nSchema der elektrischen Zelle.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nverschwindet und die andere Seite erzeugt einen Strom in der Eichtung des Pfeiles, wie ihn das Organ gibt.\nEs m\u00fc\u00dfte nun diesem Strom ein entgegengesetzter folgen, wie es bei den Aktionsstr\u00f6men des unverletzten Muskels der Fall ist, wenn sich die Eeizung auf die entgegengesetzte Seite der Membran fortpflanzte. Aber entweder ist die Eeizleitung durch die Seitenw\u00e4nde 1) (S S) unterbrochen, oder die Membran ist auf der distalen Seite \u00fcberhaupt nicht reizbar. In der Tat zeigt die Nervenseite der Membran (siebe Fig. 37), als Zottenschicht bezeichnet, eine St\u00e4bchenstruktur, w\u00e4hrend diese auf der anderen Seite, in der Papillenschicht, fehlt. Die Mittelschicht, welche aus der eigentlichen Gallertschicht besteht, enth\u00e4lt wahrscheinlich kein reizbares und reizleitendes Plasma und bildet wohl haupts\u00e4chlich den Elektrolytbeh\u00e4lter.\nDie Umwandlung, welche beim Schlage erfolgt, besteht hiernach in der Ver\u00e4nderung der Plasmamembran, wie bei der negativen Schwankung der Muskel- und Nervenstr\u00f6me. Die W\u00e4rmet\u00f6nung dieses Prozesses braucht daher nur eine geringe zu sein, wie dies auch am Muskel und Nerven der Fall ist. Die Umwandlungsw\u00e4rme TJ w\u00e4re also nach der Membrantheorie nur eine kleine, und die chemische Stromw\u00e4rme Q w\u00fcrde Null sein, da der Elektrolyt schon als vorhanden angenommen wird.\nDie angestellten Versuche best\u00e4tigten diese Voraussetzungen. Die Methode der Untersuchungen war folgende. Zur Messung der W\u00e4rmemenge, welche beim Schlage in dem Organ entsteht, konnte ein Eiskalorimeter, wie bei den physikalischen Versuchen von Jahn, nicht angewendet werden, da die Abk\u00fchlung auf 0\u00b0 dem Organ zu sch\u00e4dlich gewesen w\u00e4re. Es wurde daher die auch bisher f\u00fcr den Muskel gebrauchte thermoelektrische Methode benutzt, indem die isolierten Organe in einen w\u00e4rmedichten Beh\u00e4lter (Pappkasten von doppelten mit Schafwolle ausgef\u00fcllten W\u00e4nden) gelegt wurden und durch Anlegen einer empfindlichen Thermos\u00e4ule (meist die Heidenhainsche l\u00d6gliedrige Wismut-Antimons\u00e4ule) die Temperatur\u00e4nderung mit einem empfindlichen Thermogalvanometer gemessen wurde. Dadurch konnte aus der Masse des Organs und seiner spezifischen W\u00e4rme (im Mittel 0,8694)\n') Ihre Beschaffenheit ist his jetzt mikroskopisch nicht speziell \u25a0beschrieben.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"123\t\u2014\ndie entsprechende W\u00e4rmemenge berechnet werden. Mit Hilfe eines Sekundenpendels wurde das Organ von seinen Nerven aus durch Induktionsstr\u00f6me 1 Sekunde lang tetanisch gereizt. Die W\u00e4rmeenergie der entstehenden Schl\u00e4ge wurde mit einem eigens konstruierten Luftthermometer bzw. -kalorimeter gemessen. Dasselbe besteht nach dem Muster des Ei e\u00df sehen elektrischen Luftthermometers, wie Fig. 41 angibt, aus einer Kapillarr\u00f6hre t (0,61 mm Durchmesser), welche auf der einen Seite in ein Gef\u00e4\u00df g, auf der anderen in die elektrische Birne B mit Kohlenfaden \u00fcbergeht. Wird Gef\u00e4\u00df und R\u00f6hre mit Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllt (alkoholische Methylenblaul\u00f6sung), der Hahn a geschlossen und werden die Str\u00f6me der Organe w\u00e4hrend 1 Sekunde durch den Kohlenfaden geleitet, so erh\u00e4lt man vom elektrischen Organ oft Ausschl\u00e4ge der Fl\u00fcssigkeitss\u00e4ule bis \u00fcber 100 mm. Das In-\nstrument wurde mit\tLuftthermometer\tzur\tMessung der Stromw\u00e4rme\ndes Schlages (Bernstein und Tschermak).\nSekundenstr\u00f6men bekannter Intensit\u00e4t nach der Formel f\u00fcr die Strom w\u00e4rme q = 0,2394fi.iv empirisch graduiert, und so konnte die \u00e4u\u00dfere Stromenergie Se der Schl\u00e4ge der Organe berechnet werden '). Die Anordnung der Versuche ist in Fig. 42 schematisch wiedergegeben. 0 ist der Kasten, in welchem die Organe eingeschlossen sind. Sie werden von beiden Seiten, oben und unten, mit unpolari-\n0 In sp\u00e4teren Versuchen wird man gut tun, genaue Kalorimeter zu benutzen, f\u00fcr die \u00e4u\u00dfere Stromenergie ein Eiskalorimeter ; f\u00fcr die Organe aber m\u00fc\u00dfte ein Kalorimeter nach dem Prinzip des Eiskalori-meters f\u00fcr mittlere Temperaturen erst erfunden werden (alle bisherigen Wasser- oder Luftkalorimeter sind nicht genau genug). Dann k\u00f6nnte man die Beizung periodisch bis zur Ersch\u00f6pfung fortsetzen und w\u00fcrde im ganzen gr\u00f6\u00dfere W\u00e4rmewerte gewinnen.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nAnordnung der Thermo versuche am elektrischen Organ (Bernstein und Tschermak).\nsierbaren Elektroden aus Zinkplatten, Zinksulfat und Kochsalzb\u00e4uschen zum Schl\u00fcssel \u00c6 und von da zum Luftthermometer L Th abgeleitet. Die durch eine L\u00fccke der oberen Elektrode aufgesetzte Ther-mos\u00e4ule f\u00fchrt durch den Rheostaten W zum Galvanometer G. Durch eine Kompensationskette C mit Rheochord kann etwaige Ungleichheit der Thermos\u00e4ule auf Null kompensiert werden. F und Sk sind Fernrohr und Skala. Die Reizung derNer ven geschah durch den Schlittenapparat S, von dessen sekund\u00e4rer Spule die Leitung zu dem Sekundenpendel M und zu den Reizelektroden aus Platin in 0 f\u00fchrt. Die Ablenkungen des Galvanometers wurden nach Skalenteilen auf einem Kymographen K mit dem Tastschl\u00fcssel I durch ein Signal Deprez Mt markiert. Zugleich wurde die Reizdauer durch Signal Mb von einem damit isochronen Kontakt M aus und die Zeit in Sekunden durch Mz verzeichnet. Ein","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"125\nBeobachter sa\u00df am Fernrohr, der andere am Luftthermometer. Ein Skalenteil Ablenkung am Galvanometer bedeutete 1/ioooo\u00b0C. Eine feine Gummihaut sch\u00fctzte die Thermos\u00e4ule vor dem Einbrechen des Organstromes, da die Lackierung nicht ausreichte und sonst arge T\u00e4uschungen entstehen k\u00f6nnen.\nMan konnte nun die Versuchsart in dreierlei Weise variieren. Erstens, indem man mit Arbeitsleistung nach au\u00dfen die Schl\u00e4ge des Organs durch das Luftthermometer leitet. Diese Art entspricht einer Arbeitsleistung des Muskels durch Hebung von Gewichten, welche gehoben bleiben (Arbeitssammlung). Zweitens k\u00f6nnen wir den Schl\u00fcssel iSx als Kurzschlu\u00df benutzen, so da\u00df fast keine Arbeitsenergie beim Schlage nach au\u00dfen geleitet wird und der Strom nur im Organ kreist. Wir w\u00fcrden diese Art mit der isometrischen Kontraktion des Muskels vergleichen k\u00f6nnen, bei welcher er keine \u00e4u\u00dfere mechanische Arbeit leistet. Wir k\u00f6nnen drittens diesen Fall noch dadurch variieren, da\u00df wir das Organ beim Schlage m\u00f6glichst isolieren, so da\u00df kein oder nur ein schwacher Strom (durch innere Abgleichungen) zustande kommt.\nIm ersten Falle haben wir die Gleichung:\nV + Q = G + Se,\nim zweiten Falle die Gleichung:\nU+Q = G\nund im dritten Falle die Gleichung:\n\u00fc = G.\nEs ist zu beachten, da\u00df Q die Stromw\u00e4rme bedeutet, welche aus dem chemischen Proze\u00df infolge Schlie\u00dfung einer Kette entsteht. Sie f\u00e4llt also in letzterem Falle aus, und es bleibt nur die Umwandlungsw\u00e4rme U \u00fcbrig.\nDie Versuche ergaben nun, da\u00df ganz im Gegens\u00e4tze zum Muskel \u00fcberhaupt nur sehr geringe T\u00e9mperaturerh\u00f4hungen im elektrischen Organ entstehen. Dieselben erreichen trotz betr\u00e4chtlicher Leistung meist nicht 2/1000 bis 4/iooo\u00b0(l. In einer gr\u00f6\u00dferen Zahl von Beobachtungen lie\u00df sich sogar eine deutliche Abk\u00fchl ung des Organs nachweisen. Hierdurch war es festgestellt, da\u00df dasOrgan wie eine endotherme Kette arbeitet. Zur Erzeugung der Stromenergie wird zun\u00e4chst die Umwandlungsw\u00e4rme U Verwendet, und wenn diese nicht ausreicht, so wird W\u00e4rme des Organs bzw. der Umgebung in elektrische Energie","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\numgesetzt. Ein Wert f\u00fcr eine chemische Stromw\u00e4rme Q l\u00e4\u00dft sich nicht erweisen. Dies ist aber der untr\u00fcgliche Beweis daf\u00fcr, da\u00df das elektrische Organ eine Konzen trat ionskette ist *).\nFolgende Tabelle zeigt einige Beispiele f\u00fcr die Abk\u00fchlungen des Organs in Galvanometerausschl\u00e4gen, welche bei Zuleitung der Schl\u00e4ge zum Luftthermometer beobachtet wurden:\nNr.\tGalvanometer- ausschlag\tLuftthermomet er-ausschlag\tDifferenz von Organ warme und innerer Stromw\u00e4rme a\u2014Si\n1\t\u2014 1,0 Sek.\t3,16 mm\t\u2014 0,0217 g-Cal\n2\t- 4,2\t\u201e\t92,21 \u201e\t\u2014 0,2548\t\u201e\n. 3\t-2,2 \u201e\t1,05 \u201e\t\u2014 0,0387\t\u201e\n4\t\u2014 0,3\t\u201e\t2,09 \u201e\t\u2014 0,0100 \u201e\n5\t\u2014 0,1 \u201e\t0,25 \u201e\t\u2014 0,0029\t\u201e\nMan sieht, da\u00df mit der St\u00e4rke der Schl\u00e4ge die Abk\u00fchlung des Organs zunimmt. In Nr. 2 ist bei der sehr kr\u00e4ftigen Entladung die Abk\u00fchlung am st\u00e4rksten gewesen. Gleich nach dieser Beobachtung wurde eine Beizung unter Kurzschlu\u00df im Schl\u00fcssel Sx vorgenommen, wobei die ganze elektrische Stromenergie das Organ erw\u00e4rmte und eine Galvanometerablenkung -f-14,2 Sek.= 0,0015\u00b0C entstand. Die Bubrik G\u2014Si gibt die W\u00e4rmemenge an, welche das Organ aufgenommen hat, also den Grad der Endothermie. Hierbei ist von der Kalorimeterw\u00e4rme C die innere Joulesche Stromw\u00e4rme Si abgezogen, welche beim Durchstr\u00f6men des Organs entsteht. Es kommt auch manchmal vor, da\u00df negative und positive Ausschl\u00e4ge des Galvanometers miteinander wechseln, und zwar gehen die negativen (Abk\u00fchlung) den positiven (Erw\u00e4rmung) meistens voraus. Die Umwandlungsw\u00e4rme ist dann anfangs zu\n') Es ist mir unverst\u00e4ndlich, wie Garten (Verhandl. d. deutsch. Naturf. Ges. 1911, I, S. 171) diese Abk\u00fchlungen beim Schlage des Organs als Folge einer Assimilation deuten kann. Eine Assimilation kann doch erst nach einer vorangegangenen Dissimilation einsetzen und erfolgt viel langsamer als diese. Die Erw\u00e4rmung durch Dissimilation mu\u00df daher zuerst immer \u00fcberwiegen. Selbst beim Muskel, der doch einen viel st\u00e4rkeren Stoffwechsel hat als das elektrische Organ, kann man bisher eine Abk\u00fchlung durch Assimilation nach der Beizung nicht nachweisen.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014\t127\t\u2014\nklein, um die elektrische Energie, die mit gro\u00dfer Kraft einsetzt, zu decken.\nDie starke Endothermie des elektrischen Organs ist ein in der Physiologie des tierischen Organismus bisher einzig dastehendes Faktum. Reduzieren wir in dem obigen Falle Nr. 2, in welchem die Organe 280 g wogen, ihre Gr\u00f6\u00dfe auf 100 g, so erhalten wir einen Wert von 0,093 g-Cal in 1 Sekunde. Vergleichen wir diesen mit der Endothermie der chlorophyllhaltigen Pflanze bei der Photosynthese !), so erh\u00e4lt man f\u00fcr 1 qcm Blatt von Helianthus annuus von 0,02 g Gewicht 0,0033 g-cal/Min. und f\u00fcr 100 g 0,275 g-cal/Sek., etwa nur dreimal gr\u00f6\u00dfer als f\u00fcr das elektrische Organ. In diesem Falle ist es strahlende Energie der Sonne, welche sich in chemische Energie umsetzt, das elektrische Organ dagegen verwandelt ungeordnete W\u00e4rmebewegung vermittelst osmotischer Kraft unter Verbrauch von Elektrolyt in elektrische Energie.\nEs wurde in vielen Versuchen zwischen \u00e4u\u00dferer Arbeit im Luftthermometer und Kurzschlu\u00df, zwischen Arbeit und Isolation der Organe, und zwischen Kurzschlu\u00df und Isolation abgewechselt. Es ergab sich, da\u00df bei Kurzschlu\u00df und Isolation niemals Abk\u00fchlungen des Organs auftreten. Dies folgt aus den Formeln U -)- Q \u2014 C und U = C. Bei Kurzschlu\u00df bleibt die Joulesche Stromw\u00e4rme im Organ, und bei Isolation entsteht sie nicht. Da aber auch ein Unterschied zwischen Kurzschlu\u00df und Isolation in der Erw\u00e4rmung nicht hervortrat, so stimmen die Resultate sehr gut mit der Annahme, da\u00df Q \u00fcberhaupt Null ist. Wir k\u00f6nnen daher die obigen Formeln reduzieren auf erstens bei \u00e4u\u00dferer Arbeit:\nU= C+ Sc,\nzweitens bei Kurzschlu\u00df :\nUk = Gh,\ndrittens bei Isolation:\nUi = Ci.\nOb Uk immer mit 17, unter gleichen Bedingungen \u00fcberein stimmt, ist fraglich. Es k\u00f6nnte durch den Schlag selbst Uk gr\u00f6\u00dfer werden als Z7*.\nWie alle Organe, unterliegt auch das elektrische in hohem Grade der Erm\u00fcdung. Dazu gesellt sich beim Versuch am iso-\nl) Horace T. Brown, s. Naturw. Rdsc\u00fc. 1895, S. 354.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nlierten Organ das Absterben desselben mit der Zeit. Dadurch werden die Versuche in ihrer Ausf\u00fchrung m\u00fchsam und man mu\u00df sie in gro\u00dfer Zahl, wie es geschah, vornehmen. In Fig. 43 sind die Ausschl\u00e4ge des Galvanometers und Luftthermometers mit der Zeit als Abszisse in Kurven dargestellt. Man sieht, da\u00df die erste\nFig. 43.\n90' Zeit\nKurve GG Kr W\u00e4rmungen des Organs; Kurve L Th Energie der Schl\u00e4ge, am Luftthermometer gemessen, bei den Beobachtungen ; J3i bis Bx Zeitabszisse in Minuten (Bernstein und Tschermak).\nReizung bei 0' die st\u00e4rksten Schl\u00e4ge gab, aber nur geringe Erw\u00e4rmung im Organ, die zweite nach 8* schon geringere Schl\u00e4ge, aber viel gr\u00f6\u00dfere Erw\u00e4rmung. Dann nahmen Erw\u00e4rmung und Schlagenergie kontinuierlich bis zu Ende nach 70 Minuten ab.\nDie Erm\u00fcdung wird durch zweierlei Vorg\u00e4nge herbeigef\u00fchrt, erstens durch den Verlust an Elektrolyt, da w\u00e4hrend des Schlages eine gewisse Menge desselben durch die Membran der Nervenseite nach au\u00dfen tritt, und zweitens durch Ver\u00e4nderung der Membran,","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"129\t\u2014\nin welcher die Umwandlung erfolgt; denn diese erleidet wie jede plasmatische Masse durch erh\u00f6hten Stoffwechsel eine Herabsetzung der Reizbarkeit. Nach st\u00e4rkerer T\u00e4tigkeit bleibt ein Reststrom des Organs zur\u00fcck, der erst allm\u00e4hlich schwindet, was schon du Bois-Reymond am Zitterwels beobachtet hatte. Derselbe erkl\u00e4rt sich aus dem Erm\u00fcdungszustand der Membran, die einen Rest von Permeabilit\u00e4t zur\u00fcckbeh\u00e4lt. Wahrscheinlich erholt sich zun\u00e4chst die Membran durch Vorg\u00e4nge der Ern\u00e4hrung. Langsamer erfolgt vermutlich der Ersatz des Elektrolyten, denn die lebenden Fische sind nach starker Reizung stundenlang ersch\u00f6pft. Au\u00dferdem nehmen wohl auch die Nervenzentren und die Nervenplatte, weniger die Nervenst\u00e4mme, an der Erm\u00fcdung teil.\nAuf welche Weise der Ersatz des Elektrolyten erfolgt, bedarf besonderer Erforschung. Da\u00df die Osmose hierzu nicht ausreicht, ist klar, da die Konzentration in der elektrischen Zelle eine gr\u00f6\u00dfere werden mu\u00df als au\u00dfen. Wenn man daher, wie f\u00fcr Muskel und Nerv, die Salze als wirksame Elektrolyte ansieht, so m\u00fc\u00dfte man vermuten, da\u00df diese in einer organischen Bindung durch Assimilation in die elektrische Zelle hineingelangen und darin dann frei werden. Die bisherigen chemischen Untersuchungen des Organs geben noch wenig Anhaltspunkte hierf\u00fcr. Aber sehr bemerkenswert scheint es mir, da\u00df das elektrische Organ das wasserreichste der Wirbeltiere ist. Th. Weyl1) gibt an, da\u00df es im Mittel bei Torpedo 88,82 Proz. Wasser enth\u00e4lt. Ich vermute, da\u00df dieser hohe Wassergehalt der Gallertplatte, dem Elektrolytbeh\u00e4lter zukommt. Trotzdem ist der Aschegehalt des frischen Organs ein ziemlich hoher, etwa 1,67 Proz., was daf\u00fcr spricht, da\u00df die Salze eine besondere Rolle spielen. Unter diesen zeichnen sich Chloride und Phosphate durch gr\u00f6\u00dfere Menge aus. Weyl fand in der Asche 12,4 bis 17,8 Proz. P205 und 21,38 bis 35,1 Proz. 01, und auffallenderweise einen viel h\u00f6heren Na- als K-Gehalt vor, was er auf den Reichtum des Meerwassers an Na-Salzen schiebt. Er gibt ferner an, da\u00df das l\u00e4ngere Zeit durch elektrische Str\u00f6me direkt gereizte Organ eine meist nur geringe Vermehrung der l\u00f6slichen P2Ofl zeigte2). Dies k\u00f6nnte wohl die\n*) Zeitschr. f. physiol. Chem. 7, 543 (1883).\n*) Du Bois-Reymond, Arch. f. Physiol. 1884, S. 319. \u2014 Carl Sachs (1. c.) gibt an, da\u00df heim Absterben und bei l\u00e4ngerer Reizung der Organe des Zitteraals eine saure Reaktion auftrat.\nBernstein, Elektrobiologie.\n9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nFolge des Stoffwechsels der organischen Phosphatide (Lecithine, Nukleine) des Organs sein. Dagegen ist der Aschegehalt der ruhenden Organe gr\u00f6\u00dfer als der der gereizten ; ferner ist der Alkoholextrakt der gereizten Organe geringer als der der ruhenden, w\u00e4hrend es sich beim Muskel nach Helmholtz umgekehrt verh\u00e4lt. Leider stehen neuere Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand nicht zu Gebote. Angaben \u00fcber die Chemie der elektrischen Organe der S\u00fc\u00dfwasserfische fehlen g\u00e4nzlich.\nAus diesen Untersuchungen kann man \u00fcber die Natur der wirksamen Elektrolyte in der Konzentrationskette des elektrischen Organs noch nichts Sicheres entnehmen. Aber man d\u00fcrfte die Vermutung aussprechen, da\u00df die Phosphate und vielleicht die Glyzerinphosphors\u00e4ure, welche bei der Spaltung der Lecithine entsteht, solche Elektrolyte seien. Milchs\u00e4ure konnte Weyl in dem elektrischen Organ nicht nachweisen. Man wird auch zwischen dem Stoffwechsel der Nervenplatte und dem der Gallertplatte wohl zu unterscheiden haben.\nMan hat vielfach die Frage diskutiert, ob die Elemente des Organs als Derivate von Muskelfasern oder als Nervenendapparate anzusehen sind. Da sie aus gleichartigen homologen Embryonalzellen entstehen und die kontraktile Substanz bei der Entwickelung entweder gar nicht entsteht oder sich r\u00fcckbildet, so er\u00fcbrigt sich diese Fragestellung. Durch Kurare lassen sich die Nervenenden der elektrischen Organe nicht so schnell l\u00e4hmen wie die der Muskeln; erst gro\u00dfe Dosen wirken (Steiner). Durch Strychnin kann man von den Zentren aus Tetanus der Organe herbeif\u00fchren.\nSiebentes Kapitel.\nInnere Polarisation und elektrische Heizung.\nDie wichtigsten Erscheinungen der inneren Polarisation an Nerven und Muskeln sind schon von du Bois-Rey mond gefunden worden. Er nannte den Zustand, in welchen der Nerv dux-ch einen konstanten Strom versetzt wird, \u201eElektrotonus\u201c. Sp\u00e4ter","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"131\nfand er auch, da\u00df eine innere Polarisation eintritt, welche der gew\u00f6hnlichen Polarisation \u00e4hnlich ist, glaubte aber, da\u00df beide Vorg\u00e4nge verschieden seien. Das ist nicht der Fall. Mateucci und L. Hermann erkl\u00e4rten vielmehr den Elektrotonus als eine Folge der inneren Polarisation.\nDie innere Polarisation ist nach Versuchen von L. Hermann am st\u00e4rksten, wenn man den konstanten Strom quer durch Muskeln oder Nerven leitet. Man konstatiert in diesem Falle, da\u00df unmittelbar nach der \u00d6ffnung dieses Stromes ein entgegengesetzter Polarisationsstrom auftritt, der sehr schnell auf Null absinkt. Der Ablauf dieser Depolarisation l\u00e4\u00dft sich mit dem Rheotom gut beobachten (Bernstein). In get\u00f6teten Organen ist diese Polarisation nicht vorhanden. Dieselbe entsteht in jeder einzelnen Faser an der Anoden- und Kathodenseite derselben, und ihre Gesamtkraft nimmt daher cet. par. mit der Zahl der querdurch str\u00f6mten Fasern zu.\nAn einem Nerven beobachtet man daher auch bei longitudinaler Durch-leitung eines konstanten Stromes durch eine Strecke desselben, da\u00df an der Anode und Kathode eine innere Polarisation auftritt. Die \u00e4u\u00dfere Polarisation mu\u00df durch unpolarisierbare Elektroden (s. oben S. 3 u. 4) vermieden werden. Seien in Fig. 44 A und K die Elektroden, so entsteht nicht nur in der intrapolaren Strecke innere Polarisation, sondern sie breitet sich auch auf eine gewisse Entfernung in \u00abdie extrapolare Strecke hin aus. Die aufgetragene Kurve gibt die St\u00e4rke dieser Polarisation an, in A die der anodischen, in K die der kathodischen Polarisation. Leitet man von ll auf beiden Seiten ab, so erh\u00e4lt man Str\u00f6me in der Richtung von e, welche im Nerven dieselbe Richtung wie der polarisierende Strom haben. Diesen Zustand nannte du Bois Elektrotonus, die extrapolaren Str\u00f6me die elektrotonischen Str\u00f6me. Es ist klar, da\u00df sich diese elektrotonischen Str\u00f6me mit den Nervenstr\u00f6men\nFig. 44.\t+\nInnere Polarisation des Nerven und elektrotonische Str\u00f6me.\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nkombinieren werden. Leitet man auf beiden Seiten von L\u00e4ngsund Querschnitt ab, so verst\u00e4rkt sich der Strom auf der Anodenseite, auf der Kathodenseite wird er geschw\u00e4cht, oder umgekehrt. Unterbindung oder Abt\u00f6tung des Nerven an einer Stelle hebt die Ausbreitung dieser Polarisation \u00fcber dieselbe auf.\nL. H ermann verglich die Nervenfaser mit einem sogenannten Kernleitermodell. Ein Platindraht ist durch eine an beiden Enden zugekorkte Glasr\u00f6hre gezogen, welche mit verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure gef\u00fcllt ist und mehrere Seitenr\u00f6hren besitzt, durch die man Str\u00f6me zuleiten und ableiten kann. Leitet man durch eine Strecke einen polarisierenden Strom, so kann man extrapolare Str\u00f6me ableiten infolge der inneren Polarisation, welche an der Oberfl\u00e4che des Platindrahtes entsteht. Diese Str\u00f6me haben die gleiche Richtung im Kernleiter, wie der polarisierende und verhalten sich\nPig. 45.\nPolarisation des Kernleiters.\nwie die elektrotonischen Str\u00f6me des Nerven. In Fig. 45 sieht man, wie sich der polarisierende Strom an den Elektroden A und K in der Fl\u00fcssigkeit in F\u00e4den ausbreitet, um zum Kernleiter LL zu gelangen. Im Nerven bilden die H\u00fcllen und Bindegewebselemente gute Leiter f\u00fcr diese Stromf\u00e4den; im Muskel breiten sich diese Str\u00f6me nicht so weit aus, da die H\u00fcllen gegen die Fasermassen weniger entwickelt sind. Es handelt sich nicht um gew\u00f6hnliche Stromzweige k\u00f6rperlicher Leiter, denn sie haben auch auf der den Elektroden gegen\u00fcberliegenden Seite des Nerven dieselbe Richtung und h\u00f6ren auf nach Durchtrennung des Nerven und Aneinanderlegen der Querschnitte. Mit der St\u00e4rke des polarisierenden Stromes wachsen die inneren Polarisationen und breiten sich weiter aus. Die anodische Polarisation ist im Nerven eine st\u00e4rkere als die kathodische, Unterschiede, welche auch bei der physikalischen Polarisation auftreten.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"133\nWir sind nun imstande, die innere Polarisation nach der Membrantheorie zu deuten und weitere Folgerungen daraus zu gewinnen.\nEs sei in Fig. 46 BB eine Faser mit der semipermeablen und einer elektrischen Doppelschicht bekleideten Membran. Werden die Elektroden des polarisierenden Stromes in A und K angelegt, go wandern die Ionen der Elektrolyte innerhalb und au\u00dferhalb der Faser zur Membran und verhalten sich dort gegen die schon vorhandenen Ionen in verschiedener Weise. Im Bereich der Anode A addieren sich die negativen Ionen des inneren Elektro-\nFig. 46.\t\t\\\n+ + + -+- + +\t+ +.+.. -f- + + ,'++ + + +\t+ + + X .\n+\t+\t-t- P\t_ \u00b1\t\u00b1\t\u00b1\t+ + 4-\t\t + + + - \u2014\t\t\t - - - -D\nD ++'\u25a0+ + + +\t+ + +;t-'+-P + + -j--j--}-\t+ i + \u00b1 \u00b1 + \u00a3\n\t%/\tk\t\u2019 +\nPolarisation an der Plasmamembran.\nlyten zu den schon vorhandenen, da sie nicht durchtreten k\u00f6nnen und erh\u00f6hen durch Polarisation das Membranpotential. Im Bereich der Kathode verbinden sich die positiven Ionen des inneren Elektrolyten mit den vorhandenen negativen und vermindern daher das Membranpotential daselbst. Der \u00e4u\u00dfere Elektrolyt sendet seine positiven Ionen gegen die Membran im Bereich der Anode, und von diesen k\u00f6nnen wir annehmen, da\u00df sie ebenfalls von der Membran nicht durchgelassen werden, sondern sich zu den vorhandenen addieren und das Membranpotential erh\u00f6hen. Diese Ionen bestehen ja (s. oben S. 99) wohl haupts\u00e4chlich aus Na-Ionen, von denen wir wissen, da\u00df sie in den Fasern fast g\u00e4nzlich fehlen. Die negativen Ionen des \u00e4u\u00dferen Elektrolyten wandern aber zur Membran im Bereich der Kathode, verbinden sich daseihst mit den vorhandenen positiven Ionen und vermindern","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\ndemnach das Membranpotential. Die - und-----------Zeichen der\nFigur geben dieses Verhalten schematisch an.\nDas Resultat der inneren Polarisation des Nerven besteht also darin, da\u00df das Membranpotential an der Anode verst\u00e4rkt, an der Kathode geschw\u00e4cht wird. Die \u00fcber die Achse der Faser konstruierte Kurve gibt die St\u00e4rke und Ausbreitung dieser Ver\u00e4nderung wieder. Alle einzelnen Erscheinungen dieses Vorganges verhalten sich so, wie sie am Nerven und Kernleiter beschrieben sind. Die Polarisation an der Kathode kann sich bei starkem Strom schlie\u00dflich auch umkehren.\nDie elektrotonischen Str\u00f6me des Nerven verhalten sich nun bei der Reizung des Nerven ganz ebenso, wie die Str\u00f6me des ruhenden Nerven. Sie erleiden dabei eine negative Schwankung (Bernstein). Am deutlichsten l\u00e4\u00dft sich dies beobachten, wenn\nman (Fig. 47) zwei symmetrische L\u00e4ngsschnittpunkte 11 ableitet, auf der einen Seite den Nerven in pp polarisiert und ihn auf der anderen Seite in rr reizt. Im unpolarisierten Zustande bewirkt die Reizung bei geschlossenem Kreise von ll keine Ablenkung, da sich die Reizwelle ohne Dekrement fortpflanzt und die entgegengesetzten Phasen sich daher aufheben. Polarisiert man aber den Nerven in pp, so entstehen elektrotonische Str\u00f6me zwischen ll in der Richtung a oder k, und bei der Reizung eine negative Schwankung derselben. Dies erkl\u00e4rt sich nun nach der Membrantheorie in folgender Weise. Bei der Reizung wird die Membran permeabler, und es sinkt das Membranpotential durch Vereinigung der Ionen. Im Bereich der Anode, des h\u00f6heren Membranpotentials, ist die negative Schwankung daher st\u00e4rker, im Bereich der Kathode dagegen schw\u00e4cher. Wenn sich die Reizwelle von p nach ll fortpflanzt, so w\u00e4chst sie, wenn sie sich der Anode n\u00e4hert, und sie nimmt ab, wenn sie sich der Kathode n\u00e4hert. Es mu\u00df aber hinzugef\u00fcgt werden, da\u00df bei diesem Versuch die Reizung eine starke sein mu\u00df, damit, wie wir bald sehen werden, die \u00c4nderungen der Reizbarkeit an der Anode und Kathode keinen Einflu\u00df auf das Resultat aus\u00fcben. Versuche, welche mit dem Rheotom ausgef\u00fchrt\nFig. 47.\n\t\ta\u2014>-\t^\t\n1\t\t\t\t|\n\t\t1\\\t-'-k /I r\t\\\t/\t1\t?\t)\nNegative Schwankung der elektrotonischen Str\u00f6me.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"135\nwurden (L. Hermann), sprechen f\u00fcr unsere Deutung. Untersuchungen hier\u00fcber mit dem Kapillarelektrometer lassen sich ebenso deuten (Gotch und Burch). Weitere Versuche in dieser Richtung sind w\u00fcnschenswert.\nMan hat den Zustand, welcher bei Durchstr\u00f6mung der Nerven und Muskeln an der Anode entsteht, mit Anelektrotonus und den an der Kathode mit Katelektrotonus bezeichnet. Schon von Pfl\u00fcger ist das Entstehen und Verschwinden dieser Zust\u00e4nde als Ursache der elektrischen Reizung bei Schlie\u00dfung und \u00d6ffnung des Stromes angesehen worden. Er stellte auf Grund seiner Untersuchungen das allgemein best\u00e4tigte Gesetz der polaren Erregung auf. Dasselbe lautet: \u201eBeim Schlie\u00dfen des Stromes findet die Erregung an der Kathode statt, beim \u00d6ffnen desselben an der Anode.\u201c Dieses Gesetz l\u00e4\u00dft sich nun aus der Membrantheorie deuten. Gehen wir davon aus, da\u00df bei der Erregung eine Zustands\u00e4nderung der Plasmamembran eintritt, infolge deren sie permeabler wird und die Ionen der Doppelschicht sich miteinander vereinigen, so tritt ein solcher Proze\u00df beim Schlie\u00dfen des polarisierenden Stromes an der Kathode ein, nicht aber an der Anode. An der Kathode vereinigen sich die Ionen der Doppelschicht mit denen der Elektrolyse, und es erfolgt dadurch eine Zustands\u00e4nderung der Plasmamembran, welche mit Erregung identisch ist. Das sehr labile Gleichgewicht der Membranteilchen wird durch die Verminderung der Doppelschicht gest\u00f6rt, wie dies durch Reizung anderer Art geschieht.- An der Anode dagegen erh\u00f6ht sich die Kraft der Doppelschicht, und dies hat die entgegengesetzte Wirkung. Das Gleichgewicht der Membranteilchen wird ein stabileres, also tritt keine Erregung ein. Man kann auch nach der H\u00f6berschen Hypothese (s. oben S. 101) sagen, an der Kathode finde eine Lockerung, an der Anode eine Verdichtung der Membranteilchen statt. Doch m\u00fcssen wir uns damit einen chemischen Proze\u00df verbunden denken, welcher bei der Erregung in Spaltung und Oxydation besteht. Diesen eigentlichen chemischen Erregungsproze\u00df m\u00fcssen wir von dem elektrochemischen der Ionen wohl unterscheiden, obwohl sie beide urs\u00e4chlich und zeitlich sich gegenseitig bedingen; denn daran m\u00fcssen wir festhalten, da\u00df die elektrischen Prozesse nicht der Erregungsvorgang selbst sind, sondern nur das Zeichen f\u00fcr denselben.","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nBei der \u00d6ffnung des Stromes findet nun eine innere Depolarisation statt. Das an der Anode gestiegene Membranpotential sinkt, und das an der Kathode verminderte steigt. An der Anode findet Vereinigung von Ionen der Doppelschicht statt, und dieser Vorgang ersch\u00fcttert die Membranteilchen, an denen die Ionen haften. An der Anode tritt daher Erregung ein. An der Kathode hingegen werden die Membranteilchen, indem sich die Doppelschicht vermehrt, wieder in den stabileren Zustand versetzt, also kann hier keine Erregung stattfinden.\nNicht nur das Gesetz der polaren Erregung, sondern auch die Ver\u00e4nderungen der Reizbarkeit im An- und Katelektro-tonus lassen sich aus der Membrantheorie herleiten. Nach den\nFig.48.\nK\n\u00c4nderungen der Reizbarkeit im An- und Katelektrotonus.\nForschungen von Pfl\u00fcger tritt im Bereich der Anode eine Herabsetzung, im Bereich der Kathode eine Erh\u00f6hung der Reizbarkeit ein. Dies folgt schon unmittelbar aus den obigen Darlegungen. Im Bereich der Anode sind die Membranteilchen durch Erh\u00f6hung des Membranpotentials in einen stabileren Zustand versetzt, und da eine jede Reizung in einer Ausl\u00f6sung potentieller Energie besteht, so bedarf es nun eines st\u00e4rkeren Reizes daselbst, um Erregung hervorzubringen; die Reizbarkeit ist vermindert, die Reizschwelle ist erh\u00f6ht. Das Umgekehrte ist w\u00e4hrend der Polarisation an der Kathode der Fall. Die Membranteilchen sind in einen labileren Zustand versetzt; die Reizbarkeit mu\u00df also erh\u00f6ht, die Reizschwelle mu\u00df vermindert sein. Diese Erscheinungen beobachtet man bekanntlich am besten an einem Nervmuskelpr\u00e4parat","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"137\n(s. Fig. 48), indem man durch eine Nervenstrecke pp einen konstanten Strom leitet. 1st der Strom zentrifugal (absteigend) nach dem Muskel m zu gerichtet, so gibt die Kurve cAKc' die \u00c4nderung der Reizbarkeit an. Die erh\u00f6hte Reizbarkeit im Katelektro-tonus geht in der intrapolaren Strecke pp durch einen Indifferenz-punkt i in die verminderte Reizbarkeit des Anelektrotonus \u00fcber. Beide Zust\u00e4nde dehnen sich in den extrapolaren Strecken so weit aus, als die Ver\u00e4nderung des Membranpotentials reicht.\nMan kann die Reizbarkeit in rr mit elektrischem Reiz, Induktionsstrom oder Schlie\u00dfen und Offnen eines konstanten Stromes, oder auch mit chemischem Reiz durch einen Tropfen konzentrierter CINa-L\u00f6sung pr\u00fcfen und erh\u00e4lt dasselbe Resultat.\nDenken wir uns den Muskel m' auf der anderen Seite, so ist der polarisierende Strom in pp zentripetal (aufsteigend) gerichtet, und in r'r' konstatiert man herabgesetzte Reizbarkeit und h\u00f6here Reizschwelle bei Anwendung irgend welchen Reizes.\nF\u00fcr gew\u00f6hnlich ist w\u00e4hrend der Stromdauer an Kaltbl\u00fcternerven keine Erregung zu konstatieren. Dagegen sieht man am kuraresierten Muskel, da\u00df an der Kathode eine best\u00e4ndige schwache Kontraktion vorhanden ist, die sich an die Schlie\u00dfungszuckung anschlie\u00dft. \u00dcberhaupt l\u00e4\u00dft sich an einem langen kuraresierten Muskel (Muse, sartorius) das Gesetz der polaren Erregung direkt beobachten. Bei der Schlie\u00dfung des Stromes zuckt nur die Kathodenh\u00e4lfte des in der Mitte fixierten Muskels, bei der \u00d6ffnung nur die Anodenh\u00e4lfte. Die Reizleitung zur anderen H\u00e4lfte wird durch Herabsetzung der Reizbarkeit gehemmt. Nicht selten tritt auch bei Polarisation eines Nerven Dauererregung auf, wenn derselbe sehr reizbar ist, h\u00e4ufig auch bei Warmbl\u00fctern erven. Dieser Zustand erkl\u00e4rt sich sehr wohl daraus, da\u00df auch w\u00e4hrend der Stromdauer im Bereich der Kathode die Vereinigung von Ionen nicht ganz auf h\u00f6rt. Da die Membran permeabler geworden ist, so gehen Ionen der Elektrolyte schneller hindurch als in un-polarisiertem Zustande und begegnen denen der Elektrolyse. Der im Moment der Schlie\u00dfung in gr\u00f6\u00dferer Intensit\u00e4t einsetzende Vorgang der Vereinigung von Ionen in der Doppelschicht setzt sich also w\u00e4hrend des Stromes in schw\u00e4cherem Ma\u00dfe fort und kann in einer Dauererregung zum Vorschein kommen. Nicht so im Bereich der Anode. Hier h\u00e4ufen sich vielmehr die Ionen in der Doppelschicht der Membran an, ohne sich zu vereinigen. Die","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nMembran wird undurchl\u00e4ssiger als im unpolarisierten Zustand. W\u00e4hrend der Stromdauer kann hier eine Erregung nicht stattfinden. Dagegen sieht man nicht selten, da\u00df beim \u00d6ffnen des Stromes die Zuckung in einen Tetanus \u00fcbergeht, den Ritterschen \u00d6ffnungstetanus. Derselbe erkl\u00e4rt sich aus der l\u00e4ngeren Dauer der hierbei erfolgenden Depolarisation, nachdem sich eine gr\u00f6\u00dfere Menge von Ionen angeh\u00e4uft hat.\nAuch die Umkehr der Erregbarkeiten, welche Pfl\u00fcger nach dem Anelektrotonus und Katelektrotonus festgestellt, hat, l\u00e4\u00dft sich als Folge der Theorie deuten. Unmittelbar nach der \u00d6ffnung des polarisierenden Stromes beobachtet man im Bereich der Anode eine erh\u00f6hte Reizbarkeit, im Bereich der Kathode eine verminderte Reizbarkeit, die bald in die gew\u00f6hnliche \u00fcbergeht. An der Anode versetzt die Vereinigung der Ionen die Membranteilchen in einen labileren Zustand, an der Kathode werden dieselben durch Ansammlung der Ionen in einen stabileren Zustand versetzt. W\u00e4hrend der Stromdauer haben sich in den Membranteilchen an der Anode chemische Energien angeh\u00e4uft, welche nach der \u00d6ffnung leicht ausl\u00f6sbar sind, w\u00e4hrend an der Kathode die Membranteilchen best\u00e4ndig chemische Energien auch w\u00e4hrend der Stromdauer ausgegeben haben, so da\u00df der Rest derselben schwerer ausl\u00f6sbar geworden ist.\nEs stimmen diese Erkl\u00e4rungen mit der allgemeineren von Pfl\u00fcger gegebenen Vorstellung wohl \u00fcberein, nach welcher er in den Molek\u00fclen der reizbaren Substanz zwei einander entgegengesetzte Kr\u00e4fte voraussetzt, eine Molekularspannung und eine Molekularhemmung, und im Anelektrotonus eine Verst\u00e4rkung, im Katelektrotonus eine Schw\u00e4chung der Hemmung annimmt. W\u00e4hrend der Stromdauer h\u00e4ufen sich daher Molekularspannungen durch den Stoffwechsel an der Anode an, an der Kathode sinken sie auf ein geringeres Ma\u00df herab. Daher beim Schlie\u00dfen die Erregung an der Kathode, beim \u00d6ffnen an der Anode, und daher auch die Umkehrung der Reizbarkeiten nach der \u00d6ffnung des Stromes; denn es \u00fcberwiegt alsdann eine gewisse Zeit an der Anode die Molekularspannung, an der Kathode die Molekularhemmung bis zur Wiederherstellung des normalen Gleichgewichtes.\nIn \u00dcbereinstimmung mit diesen Vorstellungen hat E. Hering den Satz aufgestellt: Im Katelektrotonus herrscht die Dissimilie-rung der lebenden Substanz vor, im Anelektrotonus die Assimi-","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"139\nliervmg. Nach der \u00d6ffnung des Stromes tritt der umgekehrte Zustand auf, wie dies auch allgemein! beim Wechsel von Erregung und Ruhe der Fall ist. Wenn diese Vorstellungen richtig sind, dann m\u00fc\u00dfte am Muskel nachzuweisen sein, da\u00df an der Kathode eine W\u00e4rmeproduktion stattfindet, an der Anode keine oder nur eine geringe, eher sogar eine W\u00e4rmeabsorption. Versuche dieser Art, unter Ber\u00fccksichtigung der Jouleschen Stromw\u00e4rme, sind noch nicht ausgef\u00fchrt.\nVon diesen Vorstellungen ausgehend, hat man sich zu denken, da\u00df in einer reizbaren Substanz die hervorgebrachte Leistung L cet. par. im wesentlichen von drei Variablen abh\u00e4ngig sein mu\u00df, erstens von der in ihr vorhandenen potentiellen Energie P, welche durch den Reiz ausl\u00f6sbar ist, zweitens von der Gr\u00f6\u00dfe des Reizes r und drittens von dem Grade der Ausl\u00f6sbarkeit, was wir Reizbarkeit nennen, und diese wollen wir durch den reziproken Wert der Reizschwelle b ausdr\u00fccken. Es ist dann also die Leistung L eine gewisse Funktion von P und r und b, welche Null werden mu\u00df, wenn P oder r \u2014 b gleich Null wird. Wir k\u00f6nnen daher dieser Funktion die allgemeine Form geben:\nL \u2014 (r\u2014b).P. f[{r \u2014 b),P].............(13)\nDas einfachste mechanische Beispiel hierf\u00fcr ist ein Wasserreservoir, welches unten durch einen Hahn verschlossen ist. Wird derselbe ge\u00f6ffnet, so str\u00f6mt Wasser aus, d. h. potentielle Energie der Wassers\u00e4ule wird in kinetische umgesetzt. Der Hahn kann leicht oder schwer drehbar, also die ausl\u00f6sende Kraft bei derselben Leistung eine kleinere oder gr\u00f6\u00dfere sein. Die Leistung wird aber Null sein, wenn die Druckh\u00f6he Null geworden oder der Hahn gar nicht mehr drehbar ist. Ein Beispiel f\u00fcr chemische Energie bieten die explosiven Substanzen, deren potentielle Energie durch geringe ausl\u00f6sende Kr\u00e4fte in kinetische um gesetzt werden kann. Durch gewisse Einwirkungen kann ihre Empfindlichkeit, d. h. Reizbarkeit, erh\u00f6ht, durch andere herabgesetzt werden.\nVon diesen Gesichtspunkten ausgehend, m\u00fcssen wir noch einmal auf die negative Schwankung des polarisierten Nerven in Beziehung zur Reizbarkeit im An- und Katelektrotonus zur\u00fcckkommen. Die verminderte Reizbarkeit im Anelektrotonus scheint dem erh\u00f6hten Membranpotential und der verst\u00e4rkten Reiz welle in diesem Zustande zu widersprechen, ebenso die erh\u00f6hte Reizbarkeit","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nim Katelektrotonus dem verminderten Membranpotential und der geschw\u00e4chten Reizwelle. Dem ist aber nicht so. Auch f\u00fcr die negative Schwankung ist im Anelektrotonus die Reizbarkeit eine geringere (Reizschwelle eine h\u00f6here) und im Katelektrotonus die Reizbarkeit eine h\u00f6here (Reizschwelle eine geringere). Wenn man aber im Anelektrotonus die Reizst\u00e4rke vermehrt, so kann man nicht nur am Muskel des Nerven eine ungeschw\u00e4chte, sondern unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden sogar eine verst\u00e4rkte Zuckung erhalten (Bernstein), entsprechend der verst\u00e4rkten Reizwelle. Wenn man im Katelektrotonus die Reizst\u00e4rke vermehrt, so findet man, namentlich nach l\u00e4ngerer Polarisation, eine geschw\u00e4chte Maximalzuckung am Muskel vor, entsprechend der verminderten Reizwelle. Um dies zu beobachten, mu\u00df man, wie in Fig. 47, die Reizelektroden rr und r'r' nahe an die polarisierenden pp heranbringen und mit st\u00e4rkeren Str\u00f6men reizen. Denkt man sich bei dieser Anordnung an Stelle der Muskeln den Nerven an den Enden zum Galvanometer abgeleitet, so erh\u00e4lt man beim Aufsuchen der Reizschwelle f\u00fcr die negative Schwankung im Katelektrotonus erh\u00f6hte, im Anelektrotonus verminderte Reizbarkeit. Bei Verst\u00e4rkung der Reizstr\u00f6me in rr jedoch erscheint im Anelektrotonus die verst\u00e4rkte, im Katelektrotonus die geschw\u00e4chte negative Schwankung (Reizwelle). Es geht dies aus der Formel (13) klar hervor. Im Anelektrotonus wird b und P vermehrt, statt b setzen wir ba und P\u201e statt P. Also erhalten wir.\nLa \u2014 (r \u2014 ba) . Pa \u25a0 /\u2018\u00dff \u2014 '/.,), P\u201eJ.\nDie Leistung ist Null, wenn r=ba wird, also wird bei schwachen Reizen an der Grenze der Reizschwelle ba und zwischen b und ba die Leistung La kleiner als L. Werden aber die Reize so stark, da\u00df ba gegen r verschwindet, so \u00fcberwiegt der Einflu\u00df von Pa \u00c7> P, und La wird gr\u00f6\u00dfer als L. Im Katelektrotonus setzen wir als Reizschwelle bk <( b und als Energie i\\ <\"' P und erhalten :\nLu - (r-bk).Pkf[(r-bk),Pkl Bei schwachen Reizen ist Lk )> L, weil (r \u2014 bk) (r \u2014 b) ist, bei st\u00e4rkerem Reize, wenn bk und b gegen r verschwinden, wird Lk < L, weil Pk<P ist.\nDas Gesetz der elektrischen Reizung ist oft zum Gegenstand der Untersuchung und Er\u00f6rterung gemacht worden. Zuerst hat du Bois-Reymond ein solches Gesetz aufgestellt,","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"141\nwelches lautet: \u201eNicht der absolute Wert der Stromdichtigkeit in jedem Augenblick ist es, auf den der Bewegungsnerv mit Zuckung des zugeh\u00f6rigen Muskels antwortet, sondern die Ver\u00e4nderung dieses Wertes von einem Augenblick zum anderen, und zwar ist die Anregung zur Bewegung, die diesen Ver\u00e4nderungen folgt, um so bedeutender, je schneller sie bei gleicher Gr\u00f6\u00dfe vor sich gingen, oder je gr\u00f6\u00dfer sie in der Zeiteinheit waren.\u201c\nDem du Boisschen Gesetz liegt die Beobachtung zugrunde, da\u00df im allgemeinen ein konstanter Strom w\u00e4hrend seiner Dauer nicht reizt, und da\u00df Erregungen nicht nur beim Schlie\u00dfen und \u00d6ffnen, sondern auch bei schnellen Schwankungen der Strom-\nStromst\u00e4rke\\ \u25a0.\nst\u00e4rke bzw. der Stromdichte ( Stromdichte\nQuerschnitt /\npositiver oder negativer Richtung auftreten.\nJe schneller man die Stromst\u00e4rke (setzen wir den Querschnitt als konstant bleibend voraus) sich \u00e4ndern l\u00e4\u00dft, desto st\u00e4rker ist die Reizung. Dies kann man mit einem Schwankungsrheochord beobachten, bei welchem man den Schleifkontakt (s. Fig. 5, S. 7) sich schnell bewegen l\u00e4\u00dft.\nDas du Bois sehe Gesetz ist aber nur in gewisser Ann\u00e4herung richtig. Es ist richtig, da\u00df die Schwankung der Stromst\u00e4rke die einflu\u00dfreichste Variable ist; aber schon Pfl\u00fcger hat eingewendet, da\u00df auch die konstant bleibende Stromst\u00e4rke nicht nur die Erregbarkeit ver\u00e4ndert, sondern auch an der Kathode Erregungen ausl\u00f6sen kann. Also die absolute Stromst\u00e4rke mu\u00df auch einen Einflu\u00df auf die Gr\u00f6\u00dfe der Erregung haben. A. Fick hat ferner gezeigt, da\u00df auch die Dauer des Stromes einen Einflu\u00df besitzt. Er zeigte, da\u00df bei kurz dauerndem konstanten Strom die Erregung mit zunehmender Dauer bis zu einer gewissen Grenze w\u00e4chst.\nEs kann also die Gr\u00f6\u00dfe der Erregung nicht blo\u00df eine Funktion der Stromschwankung sein, welche wir durch den Differential-\nd %\nquotienten der Stromst\u00e4rke nach der Zeit \u2014 ausdr\u00fccken, sondern\nCvv\nes m\u00fcssen auch die absoluten Werte von | und von t als Variable angenommen werden. Allgemein ausgedr\u00fcckt w\u00fcrde dieses Gesetz lauten, wenn fj die Erregung zur Zeit t ist:\ndrj\ndt\n(14)","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nEs ist d rj der Zuwachs der Erregung zur Zeit t in der Zeit dt. Also w\u00fcrde die Gesamterregung von Zeit 0 bis tj sein:\n\u00abi\n(15)\no\nWir wollen zun\u00e4chst zeigen, da\u00df der Proze\u00df der elektrischen Heizung nach der Membrantheorie mit dieser Formel in \u00dcbereinstimmung steht. Die innere Polarisation ist ja nach dieser Theorie auch die Ursache der elektrischen Reizung. So lange die Stromst\u00e4rke i schwankt, \u00e4ndert sich das Membranpotential an der Anode und Kathode, so lange mu\u00df bei Zunahme von i an der K\u00e4thode, bei Abnahme von i an der Anode Erregung statt-\nclt\nfinden. Aber auch wenn i konstant geworden und \u2014 Null ist,\ndt\nbleibt an der Kathode, wie oben gezeigt, eine Dauererregnng durch schw\u00e4chere Ionenvereinigung bestehen. Und endlich steigt die innere Polarisation nicht momentan zum Maximum, sondern erst innerhalb einer gewissen Zeit, strenge genommen, erst nach unendlicher Zeit, wie bei jeder physikalischen Polarisation. Es geht hieraus deutlich hervor, da\u00df die Erregung in erster Linie von den Stromschwankungen abh\u00e4ngig sein mu\u00df, in viel geringerem Ma\u00dfe von der absoluten Stromst\u00e4rke und von der Dauer des Stromes. Man hat daher nach du Bois geglaubt, die beiden letzteren Variablen vernachl\u00e4ssigen zu k\u00f6nnen und die Erregung\nDiese Annahme kann aber nicht zu ganz richtigen Resultaten f\u00fchren.\nEs mu\u00df bei weiterer Behandlung dieses Gegenstandes zun\u00e4chst die Grundfrage er\u00f6rtert werden, welche bei Versuchen zu beobachtende Gr\u00f6\u00dfe wir als Zuwachs- oder Elementarerregung d >] und welche wir demnach als Gesamterregung rj in dem Zeitmoment t zu messen haben. Diese Frage ist bisher nicht befriedigend behandelt worden. In allen Versuchen dieser Art ist bisher nur die Muskelzuckung als Reagens der Nerven- oder Muskelreizung benutzt worden. Aber es ist klar, da\u00df diese kein proportionales Ma\u00df f\u00fcr die Muskelerregung, noch weniger f\u00fcr die Nervenerregung ist. Vom Muskel wissen wir, da\u00df die gesamte","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"143\nin ihm durch den Reiz ausgel\u00f6ste Energie nur zum Teil als Arbeit erscheint, zum anderen Teil als W\u00e4rme. Als Ma\u00df Mr die gesamte Erregung 7] vom Moment Null bis zur Zeit t kann aber nur die gesamte in ihm freigewordene Energie angesehen werden, die wir durch Arbeits- und W\u00e4rmemessung finden. Die Elementarerregung dr] ist hiernach der Zuwachs an Energie, welche in jedem Zeitteilchen dt ausgel\u00f6st wird. Versuche dieser Art fehlen bis jetzt g\u00e4nzlich und lie\u00dfen sich nur am Muskel ausf\u00fchren. Wenn man also Str\u00f6me verschiedener St\u00e4rke, Schnelligkeit der Schwankung, und Zeitdauer auf Nerv und Muskel hat einwirken lassen und die schlie\u00dfliche H\u00f6he der Muskelzuckung als Ma\u00df der Erregung betrachtet hat, so kann dieses Ma\u00df nicht als richtig angesehen werden.\nMessende Versuche, welche \u00fcber diesen Gegenstand bisher angestellt sind, beschr\u00e4nken sich darauf, den elektrischen Minimalreiz zu finden, welcher eben eine Erregung ausl\u00f6st, die sogenannte Reizschwelle, bei verschiedener Art der Reizung. Hoorweg1) hat sich der Kondensatorentladung bedient, deren Verlauf man genau kennt, und untersucht, wie gro\u00df das Potential bei verschiedener Kapazit\u00e4t des Kondensators sein mu\u00df, um die Reizschwelle zu erreichen. Wenn P das Potential, R den Widerstand des Kreises und C die Kapazit\u00e4t bedeutet, so findet er die Formel:\nb\np = a. R + \u2014\nC\na und b sind zwei Konstanten, die aus zwei Beobachtungen gefunden werden. Die Kapazit\u00e4t eines Kondensators, z. B. einer Leidener Flasche usw., ist bekanntlich diejenige Elektrizit\u00e4tsmenge, welche sich beim Potential Eins auf den Belegungen befindet, und zwar w\u00e4chst sie proportional der Oberfl\u00e4che der Belegungen und umgekehrt proportional dem Abstand der Belegungen von-\nQ\neinander. Ist also Q die Elektrizit\u00e4tsmenge, so ist C = \u2014 \u25a0 Die\nFormel von Hoorweg gibt also an, da\u00df die Potentialspannung P f\u00fcr die Reizschwelle um so kleiner wird, je gr\u00f6\u00dfer die Kapazit\u00e4t ist, bei gleichbleibendem Widerstand R, da\u00df sie dagegen bei gleich-\n') Siehe Pfl\u00fcgers Archiv 1892\u20141901, bes. Bd. 52, 71, 87.","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nbleibender Kapazit\u00e4t C mit dem Widerstand B w\u00e4chst, aber in\nbeiden F\u00e4llen nicht proportional. Da JP \u2014 ist, so erh\u00e4lt man\n0\nauch die Beziehung:\nb\nG\n^7 \u2014 aB -j-\n, oder: Q = a.C.B-\\-b,\nd. h. bei gleichbleibendem Widerstand des Kreises nimmt die zur Minimalreizung notwendige Elektrizit\u00e4tsmenge Q mit zunehmender Kapazit\u00e4t zu, aber auch nicht proportional, da eine zu addierende Konstante b noch hinzutritt.\nEine \u00e4hnliche einfache Formel f\u00fcr die elektrische Reizschwelle bei Reizung mit kurz dauernden konstanten Str\u00f6men ist auch von Georg Weiss1) aufgestellt worden. Diese Str\u00f6me wurden mit einem Schu\u00dfapparat hergestellt, durch den die Leitung geschlossen und schnell unterbrochen werden konnte. Er gelangt zu der Beziehung: Q = a -(- bt, worin a und b zwei Konstanten sind. Da in diesem Falle Q, die Elektrizit\u00e4tsmenge, gleich Intensit\u00e4t i mal Zeit ist, so ist auch:\n(16)\nDas hei\u00dft also, die Intensit\u00e4t der Reizschwelle mu\u00df um so gr\u00f6\u00dfer sein, je kleiner die Dauer t des Stromes ist, oder sie wird kleiner mit zunehmender Dauer. Bleibt der Strom geschlossen, ist t = oo, so wird 4 = b. F\u00fcr kleine Zeiten gibt auch diese Formel ann\u00e4hernd mit der Beobachtung stimmende Resultate, wie die von Ho or weg. Es stimmt die Formel von Weiss auch gut zu den \u00e4lteren Versuchen von A. Fick, die oben (S. 141) erw\u00e4hnt sind.\nDiese Untersuchungen gingen nicht von den inneren Prozessen aus, welche der Strom in den Organen direkt hervorruft, wie wir es in den obigen Betrachtungen vom Standpunkt der Membrantheorie getan haben. Dagegen ist von Nernst2) auf Grund von Versuchen mit sehr frequenten Wechselstr\u00f6men von Wechselstromma'schinen eine Theorie der elektrischen Reizung aufgestellt worden, welche von der Betrachtung der Elektrolyse in den Organen ausgeht. Er gelangt hieraus f\u00fcr Wechselstr\u00f6me\n1)\tArchiv, italien, d. biologie 35.\n2)\tSitzungsber. d. Berl. Akad. 26, 524 (1908); Pfl\u00fcgers Arch. 122, 293 (1908).","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"145\nvon der Schwingungszahl m und der Amplitude der Intensit\u00e4t i zu dem einfachen Gesetz, da\u00df bei der Reizschwelle die Beziehung besteht :\n-L = Konst....................(17)\ny m\nDiese Versuche sind an Empfindungsnerven der Haut des Menschen und auch an motorischen Froschnerven angestellt worden. Folgende Tabelle zeigt ein solches Experiment. (Pfl\u00fcgers Arch. 123, 293, 1908.)\nm\ti beob.\ti ber.\tDifferenz Proz.\t\n\t\t\t\ti/\\m . 103\n105\t0,81\t0,78\t\u2014 4,2\t78\n136\t0,88\t0,92\t+ 4,6\t75\n785\t2,16\t2,21\t+ 2,3\t77\n960\t2,41\t2,47\t+ 2,9\t77\n2230\t3,85\t3,73\t\u2014 3,1\t81\nMittel: t = 0,079 ]/m.\nNernst geht von der Ansicht aus, da\u00df die Membranen der Nerven und Muskeln nicht, wie Ostwald annahm, Ionensiebe darstellen, sondern da\u00df sie gegen\u00fcber der Gewebsfl\u00fcssigkeit ein zweites L\u00f6sungsmittel bilden und sich also so verhalten, wie es Nernst und Riesenfeld (s. oben S. 37) an zwei miteinander nicht mischbaren L\u00f6sungsmitteln, in denen sich ein Elektrolyt verteilt, beobachtet hatten, wenn durch die Ber\u00fchrungsfl\u00e4che ein elektrischer Strom geleitet wird. In diesem Palle tritt nicht wie an der Ostwaldschen seroipermeablen Membran eine Abscheidung von Ionen ein, sondern nur eine Konzentrations\u00e4nderung des Elektrolyten. Diese Konzentrations\u00e4nderung sieht Nernst als die Ursache der Erregung an und setzt dieselbe der Gr\u00f6\u00dfe der Erregung proportional. Der Konzentrations\u00e4nderung durch Elektrolyse wirkt aber die Diffusion entgegen, und aus einer aus diesen Voraussetzungen aufgestellten Differentialgleichung f\u00fcr die \u00c4nderung der Konzentration an einer Ber\u00fchrungsfl\u00e4che in jedem kleinsten Zeitteilchen und der Annahme eines Schwellenwertes der Konzentrations\u00e4nderung f\u00fcr die Reizschwelle entwickelt er obige Formel f\u00fcr den Schwellenwert von i bei verschiedener Schwingungszahl m der Wechselstr\u00f6me.\nBernstein, Elektrobiologie.\nio","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nDie Nernstsche Theorie reicht indessen nicht aus, um zu einer allgemeinen L\u00f6sung des Problems der elektrischen Reizung zu f\u00fchren, wie es durch die obige Formel (15) (S. 142) aufgestellt worden ist. Sie gibt keine Erkl\u00e4rung f\u00fcr das Gesetz der polaren Erregung, da\u00df die Erregung beim Schlie\u00dfen an der Kathode und beim \u00d6ffnen an der Anode eintritt, und das liegt daran, da\u00df sie keine bestimmte Voraussetzungen \u00fcber den Ort der inneren Elektroden an den Nerven- und Muskelfasern macht, welche der Struktur derselben entsprechen. Sie nimmt nur eine Anode an der einen Grenze der beiden L\u00f6sungsmittel und eine Kathode an der anderen Grenze an und identifiziert somit die Nerven - und Muskelfasern schematisch mit einem U-Rohr, dessen Mitte etwa mit Phenol und dessen beide Enden mit Wasser gef\u00fcllt sind. Nach dieser Vorstellung h\u00e4tte man die Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit als das eine (Phase 1) und den ganzen Inhalt der Fasern als das andere L\u00f6sungsmittel (Phase 2) anzusehen. Diese gen\u00fcgt aber keineswegs, um die Erscheinungen der Eigenstr\u00f6me zu erkl\u00e4ren und den Zusammenhang derselben mit der elektrischen Reizbarkeit zu deuten. Vielmehr gingen wir von der wohlbegr\u00fcndeten Vorstellung einer semipermeabeln Plasmamembran an der Oberfl\u00e4che der Fasern aus, deren beide Oberfl\u00e4chen sowohl im Bereiche der \u00e4u\u00dferen Anode wie im Bereiche der \u00e4u\u00dferen Kathode Elektroden bilden, und die schon im unpolarisierten Zustande verm\u00f6ge der Osmose eine elektrische Doppelschicht besitzt. Wollte man die Nernstsche Theorie auf diese Struktur der Fasern und Zellen anwenden, so w\u00fcrden die Konzentrations\u00e4nderungen, wenn man die Membran nicht als Diaphragma, sondern als L\u00f6sungsmittel (Phase) behandelt, an beiden Oberfl\u00e4chen entgegengesetzt und gleich ausfallen und sich demnach in ihrer Wirkung auf das Plasma aufheben t).\nIndessen kann man die Nernstschen Formeln recht gut auf die Membrantheorie \u00fcbertragen. Man braucht nur statt Konzen trations\u00e4nderun g des Elektrolyten \u00c4nderung des Membranpotentials durch die innere Polarisation zu setzen und gelangt\nl) In \u00e4hnlicher Weise zeigt auch Crem er (siehe Handhuch der Physiologie von Nagel, Bd. IV, S. 875), da\u00df die beiden Phasengrenzkr\u00e4fte an diesen Oberfl\u00e4chen sich aufheben und zur Erkl\u00e4rung des Eigenstromes nur die osmotische PotentialdifEerenz \u00fcbrig bleibt.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"147\ndann zu ganz demselben Ergebnis 1). Aus diesen Gr\u00fcnden haben wir in der ganzen theoretischen Darstellung an der Ostwald-schen Hypothese festgehalten, nach welcher die organischen Membranen Diaphragmen f\u00fcr die Molek\u00fcle und Ionen der Elektro-lyte bilden, gegen\u00fcber der Nernstschen Hypothese, nach welcher sie L\u00f6sungsmittel (Phasen) sind. Wie sich die Sache in Wirklichkeit verh\u00e4lt, soll damit nicht entschieden werden; denn es besteht auch die M\u00f6glichkeit, da\u00df sich die lebenden organischen Membranen teils als Diaphragmen, teils als L\u00f6sungsmittel verhalten. Die Overtonsche Lipoidmembran w\u00fcrde nur als L\u00f6sungsmittel anzuseheu sein, doch auf diese konnten wir, wie oben gezeigt, die elektrische Membrantheorie nicht beziehen. Die Plasmamembran hingegen ist von uns. als reines Diaphragma behandelt worden. Doch ist es hiernach nicht ausgeschlossen, da\u00df ihre Teilchen zugleich Elektrolyten und Nichtelektrolyten gegen\u00fcber als L\u00f6sungsmittel zu betrachten sind, wie dies wahrscheinlich bei jeder Kolloidsubstanz der Fall ist.\nWie schon oben bemerkt, beziehen sich alle bisherigen Untersuchungen dieser Art nur auf die Ermittelung der Reizschwelle, d. h. also auf den Fall, in welchem die Erregung rj = 0 wird. Dadurch kann nat\u00fcrlich eine L\u00f6sung der aufgestellten Funktion von 7} in Formel (15) nicht herbeigef\u00fchrt werden. Denken wir die Integration dieser Formel gel\u00f6st, und wir erhielten das Resultat: 7j = cp (i, t) , so stellt diese Gleichung bekanntlich eine Fl\u00e4che im Raum in dem Koordinatensystem rj, i, t dar. Die angestellten Versuche geben uns aber nur den Fall, in welchem cp (*', t) = 0 ist, d. h. in welchem die Erregung bei den Reizschwellen von i und t eben Null wird. Wir finden also von dieser gesuchten Fl\u00e4che nur die Kurve, in welcher dieselbe die t<-Ebene schneidet. Um dies deutlich zu machen, sei in Fig. 49 das System der Koordinaten t, rj, i dargestellt, und in der it-Ebene wollen wir die f\u00fcr kurzdauernde konstante Str\u00f6me\nann\u00e4hernd g\u00fcltige Formel\nG. Weiss:\t6 oder\nt\nt(i \u2014 b) = a\u201c f\u00fcr die Reizschwelle in der Kurve ACD wiedergeben. Diese Kurve hat die Form einer gleichseitigen Hyperbel,\n*) Eine weitere Ausf\u00fchrung dieses Gegenstandes will ich mir in einer speziellen Abhandlung Vorbehalten. Der Autor.\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nwelche um das St\u00fcck b auf der \u00ab-Ordinate nach oben verschoben ist. Die Konstante b ist die Reizschwelle f\u00fcr i, wenn die Dauer t sehr gro\u00df, = oo ist. Die Kurve f\u00e4llt steil aus dem Unendlichen von i ah und schlie\u00dft sich asymptotisch dem Werte b an. F\u00fcr alle diese zusammengeh\u00f6rigen Werte von i und t ist also die Erregung rj gleich Null. Denken wir uns nun f\u00fcr einen endlichen Wert von rj einen Punkt 38* in der Fl\u00e4che rj = cp (i, t) mit den bestimmten Koordinaten rj1 % und nehmen wir an, da\u00df f\u00fcr die Stromkurve, mit welcher wir reizen, in dem Zeit-\npunkte t -f- dt der Punkt Ml' dieser Fl\u00e4che erreicht wird, so konstruieren wir auf und in der r;f-Ebene die zu M und Jf' geh\u00f6rigen Koordinaten, wie die Figur zeigt. Projizieren wir dann MM1 auf die i f-Ebene, so erhalten wir auf diese Weise den Wert\ndi .\ndt\nin dieser Ebene, welcher zu dem Punkte M geh\u00f6rt. Wir er-\nhalten ferner durch Projektion der Punkte und \u00bb?2 auf rj den zur Zeit t hinzukommenden Zuwachs drj. Die Form der Kurve in der \u00abt-Ebene f\u00fcr die Reizschwelle ist nach den Formeln von Cr. Weiss, Hoorweg, Nernst und anderen eine verschiedene. Die Form der zugeh\u00f6rigen Fl\u00e4che rj = cp (i, t) ist in allen F\u00e4llen","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"149\t\u2014\nnoch ganz unbestimmt; wir wissen von ihr nur, da\u00df sie die i (-Ebene in der betreffenden Kurve schneidet. Eine \u00e4hnliche Konstruktion lie\u00dfe sich f\u00fcr die Hoorwegsche und Nernstsche Formel ausf\u00fchren.\nBei der weiteren Ausf\u00fchrung der Formel (15) haben wir nach der Membrantheorie aber statt der Stromst\u00e4rke i (bzw. Stromdichte) das Membranpotential /' zu setzen, und haben daher noch die Abh\u00e4ngigkeit des P von i mit der Zeit zu ber\u00fccksichtigen.\nEs waren auch schon Untersuchungen \u00fcber die Wirkung sehr frequenter unterbrochener Str\u00f6me und Wechselstr\u00f6me angestellt worden. Mit den gew\u00f6hnlichen Unterbrechern konnte man nur bis zu etwa 4000 bis 6000 Schwingungen in der Sekunde gelangen. Bernstein1) fand, da\u00df bei der Reizschwelle der Str\u00f6me an dem Nerv-Muskelpr\u00e4parat nur im Beginn der Reizung eine Zuckung auftritt, die \u201eAnfangszuckung\u201c. Bei weiterer Verst\u00e4rkung der Str\u00f6me gesellt sich Tetanus hinzu. Die Anfangszuckung erscheint, sobald die Frequenz der Str\u00f6me etwa die Zahl 300 in der Sekunde \u00fcberschritten hat. Diese Erscheinung erkl\u00e4rt sich wohl am besten aus der Dauer der Reizwelle im Muskel. Erst nach etwa 1/3oo Sekunde ist der Muskel nach einem Reiz nahezu in den anf\u00e4nglichen Zustand zur\u00fcckgekehrt und f\u00fcr denselben Reiz wieder gleich empf\u00e4nglich (Refraktionsperiode nach Marey). Folgen sich die Reize schneller, so wirken die nachfolgenden schw\u00e4cher oder schlie\u00dflich gar nicht. Sp\u00e4ter hat man mit Hilfe der Tesla-Apparate sehr hochfrequente Wechselstr\u00f6me benutzt und gefunden, da\u00df dieselben \u00fcberhaupt nicht mehr, weder auf Nerv und Muskeln noch auf den lebenden menschlichen K\u00f6rper erregend einwirken. Es hat dies wohl zum Teil einen rein physikalischen Grund, da die hochfrequenten Stromweilen mit zunehmender Schwingungszahl immer weniger in die Tiefe der Leiter eindringen und immer mehr an der Oberfl\u00e4che derselben verlaufen. Bei Wechselstr\u00f6men k\u00f6nnte dies aber nach der Nernstschen und der Membrantheorie noch darin seinen Grund haben, da\u00df die Polarisations- und Konzentrations\u00e4nderungen in den Organen nicht mehr schnell genug den Stromwechseln folgen k\u00f6nnen. F\u00fcr gleichsinnige Stromwellen w\u00fcrde dies aber nicht\n') 1. c. Untersuchungen 1871.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014\t150\t\u2014\ngelten, sondern sie m\u00fc\u00dften sich zur Wirkung eines konstanten Stromes addieren.\nSchlie\u00dflich haben wir noch den Einflu\u00df der Winkelrichtung in Betracht zu ziehen, in welcher die elektrischen Str\u00f6me durch die Muskel- und Nervenfasern geleitet werden. Man hat gefunden, da\u00df cet. par. das Maximum der Wirkung bei longitudinaler, das Minimum bei senkrechter Durchstr\u00f6mung eintritt, und da\u00df die Wirkung dem Kosinus des Bichtungswinkels ann\u00e4hernd proportional ist *). Am besten l\u00e4\u00dft sich diese Untersuchung an dem kuraresierten M. sartorius ausf\u00fchren, der in einen rechteckigen, mit 0,6 Proz. CINa-L\u00f6sung gef\u00fcllten Trog getaucht wird, durch welchen parallele Stromf\u00e4den geleitet werden. Ein von zwei k\u00fcnstlichen Querschnitten begrenztes Mittelst\u00fcck dieses Muskels, m\u00f6glichst gerade gestreckt, reagiert in jeder beliebigen Winkelrichtung gegen die Stromf\u00e4den, selbst auf starke Str\u00f6me, gar nicht.-\nDaraus habe ich schon fr\u00fcher gefolgert, da\u00df die innere Polarisation, welche die Ursache der Erregung ist, nicht an der Oberfl\u00e4che der Fasern stattfinden kann, sondern vielmehr an der Oberfl\u00e4che der erregbaren Fibrillen oder noch feinerer Elemente derselben. Vom Standpunkte der Membrantheorie aus wird man daher die polarisierbare Membran den Fibrillen der Muskel- und Nervenfasern zuerteilen m\u00fcssen. Die Unwirksamkeit paralleler Stromf\u00e4den im obigen Versuche erkl\u00e4rt sich dann daraus, da\u00df anodische und kathodische Polarisationen in jeder beliebigen Lage des Muskels an zwei gegen\u00fcber gelegenen Stellen der Fibrillen gleich stark sind und sich daher gegenseitig in ihrer Wirkung auf heben.\n') Leicher, Unters, a. d. physiol. Inst, zu Halle, HeftI, S. 1, 1888. Bernstein, ebenda S. 27; Naturw. Bdsch. 1888, III, S. 353.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"151\nAchtes Kapitel.\nHaut- und Dr\u00fcsen str\u00f6me.\nIhre Bedeutung f\u00fcr die Sekretion und Resorption. Die Eiektroosmose. Elektroosmotische Membrantheorie.\nDa\u00df auch tierische H\u00e4ute, auf denen eine Sekretion stattfindet, einen Strom erzeugen, wenn man sie von beiden Fl\u00e4chen ahleitet, ist zuerst von E. du Bois-Reymond an der Froschhaut beobachtet worden (1857). Man findet die \u00e4u\u00dfere Fl\u00e4che, also die sezernierende Oberfl\u00e4che, negativ, die innere Fl\u00e4che dagegen positiv, wenn man mit unpolarisierharen Kochsalzelektroden untersucht. Die Kraft schwankt etwa zwischen 40 bis 90 Millivolt (Engelmann). Zerst\u00f6rt man die Haut durch Hitze, oder behandelt sie mit Chloroformd\u00e4mpfen, so verschwindet der Strom. \"Man hat die gew\u00f6hnliche Richtung dieses Stromes von au\u00dfen nach innen auch die \u201eeinsteigende\u201c genannt (L. Hermann).\nSolche Str\u00f6me beobachtet man auch an den sezernierenden Schleimh\u00e4uten des Magens und Darmkanals (Rosenthal), und sie besitzen auch hier eine einsteigende Richtung, d. h. sie sind von der sezernierenden freien \u00e4u\u00dferen Fl\u00e4che nach der inneren hin gerichtet. Die sezernierende Fl\u00e4che ist also immer die negative. Diese Str\u00f6me sind bei vielen Tieren, sowohl hei niederen Wirbeltieren, Amphibien und Fischen, wie bei h\u00f6heren Warmbl\u00fctern, an der \u00e4u\u00dferen Haut und den Schleimh\u00e4uten derselben festgestellt. In den meisten dieser H\u00e4ute finden sich Dr\u00fcsen verschiedener Form eingelagert und regelm\u00e4\u00dfig angeordnet, meist in Schlauch-, R\u00f6hrenoder Flaschenform dicht nebeneinander gestellt. Man hat daher die elektrische Kraft haupts\u00e4chlich diesen Dr\u00fcsen und ihren Zellen zugeschrieben. Aber auch an H\u00e4uten, welche keine solche Dr\u00fcsenformen enthalten, wie die Haut der Aale, zeigt sich ein solcher Strom (Hermann). Man mu\u00df daher den Sitz der elektrischen Kraft nicht nur in die eigentlichen Dr\u00fcsenzellen, sondern auch in die Epithelzellen verlegen, welche diese H\u00e4ute auf der \u00e4u\u00dferen Fl\u00e4che bedecken. Dies ist auch histogenetisch insofern berechtigt, als ja bei der Entwickelung die Dr\u00fcsenzellen aus den Epithelzellen","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nnach Einst\u00fclpung der \u00e4u\u00dferen Hautfl\u00e4che hervorgehen. Auch die Epithelzellen zeigen mehr oder weniger die Funktion der Sekretion ; sie scheiden besonders Schleim ab oder erleiden gewisse chemische Ver\u00e4nderungen, wie die Verhornung in der Epidermis der h\u00f6heren Wirbeltiere. In Fig. 50 a sieht man eine solche Haut schematisch dargestellt, besetzt mit sezernierenden Epithelzellen; in Fig. 50 b ist die Einst\u00fclpung derselben zur Bildung verschiedener Dr\u00fcsenformen verdeutlicht, welche verschiedene 1 ormen, einfache H\u00f6hrchen und Bl\u00e4schen und durch Teilung der G\u00e4nge zusammengesetzte r\u00f6hren-und bl\u00e4schenf\u00f6rmige Dr\u00fcsen von gr\u00f6\u00dferem Umfang, wie die Speicheldr\u00fcsen, Pankreas usw. entstehen l\u00e4\u00dft.\nFig. 50 a u. b.\n, IWlIllllllllilBllllllliii\nP t ~r +\t+ T -\t+\t+\t+\t+\na) Haut mit Sekretionszellen (Schema), b) Einfache Dr\u00fcsenf ormen.\nAlle sezernierenden Zellen sind an der angewachsenen (inneren) Seite von einer durch deutliche Kontur erkennbaren Membran begrenzt, an der freien sezernierenden (\u00e4u\u00dferen) Seite dagegen erscheinen sie mehr oder weniger offen, .indem hier das aus dem Protoplasma hervorgehende Sekret sich nach au\u00dfen hin entleert. Wir k\u00f6nnen daher auf so beschaffene Zellen die Membrantheorie anwenden und uns vorstellen, da\u00df sie an der inneren Fl\u00e4che von einer semipermeabeln Plasmamembran eingeh\u00fcllt sind, da\u00df aber an der \u00e4u\u00dferen Fl\u00e4che diese Membran durch den chemischen Proze\u00df der Sekretion mehr oder weniger zerst\u00f6rt wird.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"153\nJe nach dem Zustande der K\u00fche und T\u00e4tigkeit zeigen auch diese Zellen verschiedenartige Formen 1). Nehmen wir nun nach Analogie der Muskelzellen auch f\u00fcr diese Zellen an, da\u00df die Membran f\u00fcr die positiven Ionen eines Elektrolyten durchg\u00e4ngig, f\u00fcr die negativen desselben aber undurchg\u00e4ngig ist, so sind die Haut-und Dr\u00fcsenstr\u00f6me damit gedeutet. Es ist daher auch untersucht worden, wie sich die Kraft dieser Str\u00f6me zur absoluten Temperatur verh\u00e4lt. Lesser2) fand, da\u00df an der Froschhaut nur in den Grenzen von 10 bis 18\u00b0 C die Kraft der absoluten Temperatur ann\u00e4hernd proportional steigt; bei h\u00f6heren Temperaturen dagegen steigt die Kraft viel st\u00e4rker, als dem Verh\u00e4ltnis zur absoluten Temperatur entspricht, und bei sehr niederen Temperaturen sinkt sie st\u00e4rker. Dieses Verhalten kann man aber nicht als Einwand gegen die Annahme einer Konzentrationskette in den Dr\u00fcsenzellen benutzen. Es erkl\u00e4rt sich diese Abweichung vom Temperaturgesetz sehr wohl aus der Empfindlichkeit der Plasmamembran gegen zu hohe und zu niedere Temperatur, wie dies auch am Muskel und Nerv, wenn auch in viel geringerem Ma\u00dfe bemerklich war, so da\u00df nur bei mittlerer Temperatur das Gesetz zum Vorschein kommt. Die gr\u00f6\u00dfere Empfindlichkeit des Protoplasmas dieser Zellen gegen \u00c4nderungen der Temperatur h\u00e4ngt wohl damit zusammen, da\u00df ihre Funktion ja wesentlich in der Urzeugung chemischer Produkte besteht, worauf die Temperatur einen so hohen Einflu\u00df besitzt, da nach dem van\u2019t Hoffschen Gesetz sich diese Prozesse von 10 zu 10\u00b0 C um das Zwei- bis Dreifache beschleunigen.\nFerner sind viele Versuche \u00fcber die Einwirkung der Nervenerregung an der Froschhaut angestellt worden. \u00c4ltere Versuche (R\u00f6ber) ergaben eine negative Schwankung des Hautstromes bei Reizung der Hautnerven. Sp\u00e4tere Versuche dagegen wiesen nach, da\u00df dieser negativen h\u00e4ufig eine positive Schwankung folgt (Engelmann, Hermann u. a.). Wenn der einsteigende Ruhestrom stark ist, so tritt bei der Reizung eine gr\u00f6\u00dfere negative Schwankung ein, wenn derselbe aber schwach ist, so erfolgt eine gr\u00f6\u00dfere positive Schwankung. An der Haut der Pfote von Katzen,\nD Man unterscheidet h\u00e4ufig an diesen Zellen zwei Schichten, eine innere (angewachsene Seite) protoplasmatische oder homogene, in welcher der Zellkern liegt, und eine \u00e4u\u00dfere (freie Seite) mehr k\u00f6rnige oder schleimige, welche das Sekret bildet.\ns) Habilitationsschrift, Halle 1906; Pfl\u00fcgers Arch. 116 (1907).","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nwelche bei Nervenerregung Schwei\u00dfsekretion erkennen l\u00e4\u00dft, haben Hermann und Luchsinger nur positive Schwankung des Stromes beobachtet.\nEine Verst\u00e4rkung des einsteigenden Stromes, die positive Schwankung, w\u00fcrden wir bei der Sekretion in folgender Weise erkl\u00e4ren k\u00f6nnen. W\u00e4hrend der K\u00fche wirkt die Membran der Au\u00dfenseite der der Innenseite entgegen, bei der T\u00e4tigkeit aber wird durch den chemischen Proze\u00df die Membran der Au\u00dfenseite zerst\u00f6rt, und nun kommt die Kraft der Innenseite zur st\u00e4rkeren Geltung, um so st\u00e4rker, je schw\u00e4cher der Ruhestrom war. Die negative Schwankung dagegen ist im Zusammenhang mit der Sekretion schwer zu deuten, man m\u00fc\u00dfte denn annehmen, da\u00df die Permeabilit\u00e4t der Membran der Innenseite f\u00fcr das Anion (-------Ion) zunimmt.\nEine ganz andere Deutung der negativen Schwankung bei der Heizung ist folgende. Ich habe beobachtet, da\u00df, wenn man die Froschhaut \u00fcber ein offenes Glasrohr spannt, dasselbe mit physiologischer Kochsalzl\u00f6sung f\u00fcllt, in ein Gef\u00e4\u00df mit dieser L\u00f6sung taucht und von beiden zum Galvanometer leitet, ein Streichen der \u00e4u\u00dferen Hautfl\u00e4che mit einem feinen Haarpinsel immer eine negative Schwankung des Hautstromes hervorruft. Dieselbe tritt nicht ein, wenn man die innere Fl\u00e4che streicht. Es ist klar, da\u00df es sich bei dieser schwachen Reizung um Empfindungs-bzw. Tastnervenorgane handelt und nicht um Sekretionszellen. Bei der Reizung der Hautnerven werden aber auch die Fasern dieser Empfindungsnerven gereizt, und es ist also m\u00f6glich, da\u00df die negative Schwankung des Hautstromes, die auch immer der positiven vorausgeht, nur auf Reaktion der Endigung dieser Nerven in der Haut beruht. Ist der Sekretionsstrom schon von vornherein stark, so kommt diese negative Schwankung besser zum Vorschein.\nIn neuerer Zeit hat Orbelli bei Garten !) auch die Froschhautstr\u00f6me mit dem Saitengalvanometer aufgenommen. Er findet beim Eintauchen der Haut in destilliertes Wasser einen schwachen Ruhestrom und starke positive Schwankung, beim Eintauchen in 0,6 proz. CI Na-L\u00f6sung einen starken Ruhestrom und negative Schwankung vor.\nWas die Schleimhaut des Darmkanals anbetrifft, so hat man, wie ich meine, bei der weiteren Untersuchung ihrer Str\u00f6me fol-\n) Siehe Garten, Handb. d. vergl. Physiol. 3, 156.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"155\t\u2014\ngende wesentliche Tatsache zu beachten. Die Zellen derselben, welche die Oberfl\u00e4che auskleiden, sind ihrer Funktion nach keineswegs, wie die der Dr\u00fcsen der Schleimhaut, nur als sekretorische anzusehen, sondern die Mehrzahl derselben, besonders die Epitbel-zellen des D\u00fcnndarms und seiner Zotten, sind als Resorptions-zellen zu betrachten. W\u00e4hrend bei den sekretorischen Zellen der Fl\u00fcssigkeitsstrom von innen nach au\u00dfen gerichtet ist, geht derselbe bei den Resorptionszellen w\u00e4hrend ihrer T\u00e4tigkeit von au\u00dfen nach innen. In welchem Zusammenhang nun auch dieser Fl\u00fcssigkeitsstrom mit den elektrischen Erscheinungen dieser H\u00e4ute stehen mag, es ist hiernach doch wahrscheinlich, da\u00df auch die Resorptionszellen ein elektrisches Potential besitzen, welches dem der Sekretionszellen entgegengesetzt sein kann. Diese Hypothese ist vielleicht geeignet, manche verworrene und sich widersprechende\nFig. 51.\nHaut mit Resorptionszellen (Schema).\nResultate in den bisher angestellten Versuchen zu kl\u00e4ren. Auch die \u00e4u\u00dfere Haut der nackten Amphibien ist nicht nur als sekretorische, sondern auch als resorbierende anzusehen. An ihr beobachtet man auch eine Umkehr des Stromes bei Erw\u00e4rmen auf 50\u00b0 C (Bach und Oehler). Ferner hat Orbelli nach Eintauchen der Froschhaut in destilliertes Wasser oder sehr verd\u00fcnnte Kochsalzl\u00f6sungen einen umgekehrten (aussteigenden) Strom beobachtet. In dem letzteren Falle wird vielleicht eine Wasserresorption infolge von Osmose angeregt und dadurch der Strom der Resorptionszellen verst\u00e4rkt. Es m\u00fc\u00dften zur Entscheidung der vorliegenden Frage H\u00e4ute untersucht werden, welche nur resorbierende, aber keine sezernierende Funktion bes\u00e4\u00dfen. Es scheint aber schwierig, geeignete Objekte hierzu zu finden. Um der gemachten Hypothese eine anschauliche Unterlage zu geben, sei in Fig. 51 eine resorbierende Haut, mit Zellen bedeckt, schematisch dargestellt. Von den Epithelzellen des D\u00fcnndarms wissen wir, da\u00df sie der Resorption dienen und die Spaltungsprodukte der Fette und Eiwei\u00dfk\u00f6rper, wie die Kohlehydrate durch ihren Zellenleib in die Lymphe und Blutbahn bef\u00f6rdern. Die Spaltungs-","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nProdukte der Fette werden in diesen Zellen wieder zu Fett in feinen Fetttr\u00f6pfchen vereinigt, welche in die Gewebsliicken hinein ausgeschieden und von dort der Lymphbahn zugef\u00fchrt werden. Die \u00e4u\u00dfere Fl\u00e4che dieser Zellen, welche von einer festen gestrichelten Membran bedeckt ist, l\u00e4\u00dft nur gel\u00f6ste Substanzen eintreten , die innere Fl\u00e4che dagegen verh\u00e4lt sich \u00e4hnlich wie eine \u00e4u\u00dfere der Sekretionszellen. Es liegt daher die M\u00f6glichkeit vor, da\u00df diese Zellen eine semipermeable Membran besitzen, deren \u00e4u\u00dferer Teil elektromotorisch wirkt, da\u00df dagegen ihr innerer Teil bei der T\u00e4tigkeit durch Abscheidung von Substanzen mehr oder weniger an elektromotorischer Kraft verliert. Dadurch w\u00fcrde ein aussteigender Strom entstehen.\nIn den Sekretions- und Resorptionszellen gehen mannigfache chemische Prozesse vor sich, durch welche verschiedenartige Sekretbestandtede und Zellprodukte gebildet werden. Neben diesen chemischen Prozessen gehen aber osmotische Prozesse vor sich, welche die Aufgabe haben, Wasser von der einen Seite nach der anderen zu treiben, aus dem Blute und den S\u00e4ften abzuscheiden und in das Blut und die S\u00e4fte aufzunehmen. Man hat sich vielfach mit der Frage nach denKr\u00e4ften der Wasserbewegung bei diesen Vorg\u00e4ngen besch\u00e4ftigt. Nach den bisherigen Untersuchungen scheint es nicht m\u00f6glisch, diese Wasserbewegung allein aus den Gesetzen der Diffusion und denen des osmotischen Druckes zu erkl\u00e4ren, obgleich diese Kr\u00e4fte von entschiedener Bedeutung hierbei sind. Man findet sehr h\u00e4ufig, da\u00df der osmotische Druck der Sekrete, des Harns, der Galle, des Speichels usw., niedriger sein kann, als der des Blutes, und da\u00df die Filtrationskraft des Blutdruckes nicht ausreicht, um diesen Unterschied zu erkl\u00e4ren. Andererseits hat man auch beobachtet, da\u00df aus dem Darm Fl\u00fcssigkeiten resorbiert werden, welche den gleichen oder sogar h\u00f6heren osmotischen Druck besitzen als das Blut. Wenn auch manche dieser Vorg\u00e4nge bei der Kompliziertheit der Bedingungen im lebenden Organismus sich aus osmotischen Gesetzen erkl\u00e4ren k\u00f6nnten, so hat man doch noch an andere Kr\u00e4fte gedacht, welche die Wasserbewegung in den Zellen beherrschen k\u00f6nnten. Lehnt man hier Kr\u00e4fte vitaler Natur von vornherein ab, so bleibt wohl nichts anderes \u00fcbrig, als elektrische zu Hilfe zu nehmen 1).\n') Siehe Bern stein, Lehrt), d. Phys., 3. Auft. 1910, S. 161, 200 ff., 706.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"157\nEs ist daher in diesem Sinne von gro\u00dfem Interesse, die Erscheinungen der Elektroosmose zu betrachten. Von Gr. Wiedemann ist dieselbe mit Hilfe des in Eig. 52 abgebildeten Apparates genauer untersucht worden. Ein unten geschlossener Tonzylinder a ist oben mit einer Glocke und Rohr d mit Seitenrohr e versehen. Eine Elektrode c ist luftdicht in den Zylinder eingesetzt, eine zweite i befindet sich in dem \u00e4u\u00dferen Gef\u00e4\u00df h. F\u00fcllt man den Apparat mit Fl\u00fcssigkeit, so kann man durch einen Strom von k nach f die Fl\u00fcssigkeit durch die Tonzelle hindurchtreiben und in l sammeln. Der Versuch kann mit verschiedenen Fl\u00fcssigkeiten vorgenommen werden, z. B. mit Wasser und Platinelektroden oder mit Cu S 04-L\u00f6sung und Cu-Elektroden. Es ergeben sich folgende Gesetze:\n\u201eDie Menge der in gleichen Zeiten durch die Tonwand \u00fcbergef\u00fchrten Fl\u00fcssigkeit ist der Intensit\u00e4t des Stromes proportional und unter sonst gleichen Bedingungen von der Oberfl\u00e4che und Dicke der Tonwand unabh\u00e4ngig.\u201c Wenn man an das Seitenrohr e ein Quecksilbennanometer anschlie\u00dft, so kann man die Kr\u00e4fte messen, welche durch Elektroosmose entstehen. Wiede mann fand: \u201eDie Druckh\u00f6hen, bis zu welchen die Fl\u00fcssigkeiten durch den galvanischen Strom ansteigen, sind der Intensit\u00e4t des Stromes direkt, der freien Oberfl\u00e4che des Tonzylinders umgekehrt proportional.\u201c\nEs ist ferner von Quincke gezeigt worden, da\u00df sich der Vorgang auch umkehren l\u00e4\u00dft, d. h. wenn man durch por\u00f6se Scheidew\u00e4nde Fl\u00fcssigkeit durch Druck hindurchpre\u00dft, so entstehen dadurch Str\u00f6me, welche man Str\u00f6mungsstr\u00f6 m e genannt hat. Endlich hat man auch beobachtet, da\u00df fein verteilte Partikelchen, Schwefel, Kohle usw., sich in einer Fl\u00fcssigkeit durch den Strom\nFig. 52.\nApparat von G. Wiedemann zur Elektroosmose.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nnach der Anode oder Kathode hin bewegen. Diese Erscheinungen,\nwelche man auch an Kolloidpartikelchen , Zellen und einzelligen Organismen (Bakterien usw.) wahrgenommen hat, hat man mit dem Namen Elektrokinese (Freundlich) bezeichnet.\nAlle diese Vorg\u00e4nge haben eine gemeinsame Ursache. Von Helmholtz ist zuerst eine Theorie der Elektroosmose gegeben worden. Diese Theorie geht von der Vorstellung aus, da\u00df ein Kontaktpotential zwischen den Wasserteilchen und der Wandung der Diaphragmaporen oder eines Rohres entsteht. Dieses Kontaktpotential kann man jetzt als ein Adsorptionspotential anseben, indem man annimmt, da\u00df H+- und OH\u201c-Ionen in verschieden starkem Grade adsorbiert werden (Freundlich). Die Wasserteilehen in der Wandschicht werden dadurch positiv geladen, und wenn ein Strom hindurchgeleitet wird, so werden sie mit der positiven Elektrizit\u00e4t in der Richtung des Stromes mitgenommen. Infolge der inneren Reibung der Fl\u00fcssigkeit werden die benachbarten inneren Schichten der Fl\u00fcssigkeit mitbewegt, und in engen R\u00f6hren und den Kapillaren eines Diaphragmas erstreckt sich, diese Mitbewegung daher auf den ganzen Querschnitt derselben. Die Kraft, mit welcher diese Elektroosmose vor sich geht, ist propox--tional dem Potentialsprung \u00a3 an der Grenze der Fl\u00fcssigkeit und der festen Substanz des Diaphragmas, proportional dem Potentialgef\u00e4lle Hdes zugeloiteten Stromes im Diaphragma und proportional der Dielektrizit\u00e4tskonstante D der Fl\u00fcssigkeit, dagegen umgekehrt proportional der inneren Reibungskonstante 7] der Fl\u00fcssigkeit. Die von Perrin Q etwas vereinfachte Helmholtzsche Formel f\u00fcr die in der Zeiteinheit durch Osmose \u00fcbergef\u00fchrte Fl\u00fcssigkeitsmenge v ist hei dem Querschnitt q:\nq.E.H.D\nv == \u2014-------\n4tt .7/\n(18)\nDieselbe Theorie erkl\u00e4rt auch die Entstehung eines Str\u00f6mungsstromes beim Hindurchpressen von Fl\u00fcssigkeit durch ein Diaphragma.\nEbenso ergibt sich aus ihr die Erscheinung der Elektrokinese. Es entsteht ein Kontaktpotential zwischen den suspendierten Partikelchen und dem Wasser, und wenn nun das Wasser\n) Siehe Freundlich, Kapillarchemie 1909, S. 222.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"159\nin der einen Richtung bewegt wird, so werden die Partikelchen in der entgegengesetzten Richtung getrieben. Daher wandern dieselben in den meisten Fl\u00fcssigkeiten zur Anode, w\u00e4hrend das Wasser zur Kathode wandert. Die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Teilchen bewegen, ist innerhalb gewisser Grenzen nahezu unabh\u00e4ngig von ihrer Gr\u00f6\u00dfe und wird durch die Formel ausgedr\u00fcckt:\nu\ne.H.D 4 7t .1]\n(19)\nDie Potentialspannung \u00a3 an der Grenze von Wasser und fester Substanz kann mehrere Zentivolt betragen. Die Geschwindigkeit u der suspendierten Teilchen betr\u00e4gt bei einem Potentialgef\u00e4lle H von 1 Volt auf 1cm etwa 20 bis 40.10\u201c16 cm in der Sekunde.\nVon gro\u00dfem Einflu\u00df auf die Potentialdifferenz zwischen Wasser und fester Substanz ist nun die Gegenwart von Elektrolyten schon in kleinen Mengen. Durch ein Diaphragma von Karborund (Kohlefilter) geht Wasser zur Kathode, und diese kathodische Bewegung wird durch Zusatz von Alkali beschleunigt , dagegen durch Zusatz von S\u00e4ure verz\u00f6gert und schlie\u00dflich umgekehrt (Perrin). Zuerst ist die feste Substanz des Diaphragmas negativ gegenWasser, und diese Ladung wird durch Alkali, und zwar durch die OH -Ionen desselben erh\u00f6ht, dagegen durch S\u00e4ure, und zwar durch die H+-Ionen derselben vermindert und umgekehrt. Durch ein Diaphragma von Chromchlorid geht Wasser zur Anode, da es sich gegen die feste Substanz negativ verh\u00e4lt. Zusatz von Alkali hemmt und Zusatz von S\u00e4ure beschleunigt hier diese Elektroosmose. Perrin hat auch die Wirkung von Salzen untersucht. Bei einem Diaphragma aus Chromchlorid, welches positiv gegen Wasser oder sehr verd\u00fcnnte HCl-L\u00f6sung ist, tritt eine Entladung durch Zusatz von Br K, MgS04 und K8Fe(CN)6 ein, und zwar durch die Anionen Br\u201c, S04= und Fe(CN)e= in wachsendem Ma\u00dfe mit ihrer zunehmenden Wertigkeit, w\u00e4hrend die Kationen wenig Einflu\u00df haben. Die zur Anode \u00fcbergef\u00fchrte Fl\u00fcssigkeitsmenge vermindert sich in diesem Falle zunehmend in sehr betr\u00e4chtlichem Grade. Bei einer negativen Diaphragmasubstanz verh\u00e4lt es sich umgekehrt.\nVersuchen wir nun diese Kenntnisse auf die Vorg\u00e4nge der Sekretion bzw. Resorption anzuwenden, so bat man schon seit l\u00e4ngerer Zeit daran gedacht, da\u00df die Sekretfl\u00fcssigkeit durch elek-","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nFig. 53.\nW\n\u00a9\nfrische Kr\u00e4fte neben denen der Filtration und Osmose bewegt werde. In der Tat hat der oben beschriebene Wiedemann sehe Versuch \u00e4u\u00dferlich gro\u00dfe \u00c4hnlichkeit mit einem Sekretionsversuch an einer Dr\u00fcse, z. B. der Speicheldr\u00fcse, wenn man eine Kan\u00fcle in ihren Ausf\u00fchrungsgang einlegt und den Sekretionsnerven, z. B. den Nervus lingualis, reizt. Es tropft dann in beschleunigtem Ma\u00dfe der Speichel aus dem Speichelgang ab. Bisher gelang es aber nicht, eine befriedigende Theorie einer Elektroosmose bei der Sekretion aufzustellen, denn mau ging immer dabei von der Vorstellung aus, da\u00df die an den H\u00e4uten und Dr\u00fcsen beobachteten Str\u00f6me es seien, welche die treibende Kraft g\u00e4ben. Diese Str\u00f6me sind aber erstens so schwach, da\u00df sie gar keine merkliche Wirkung aus\u00fcben k\u00f6nnten, und dann m\u00fc\u00dfte ein solcher Strom, wenn er vorhanden w\u00e4re, doch in der Haut selbst eine R\u00fcckleitung haben, in welcher die zu bewegende Fl\u00fcssigkeit wieder r\u00fcckw\u00e4rts getrieben w\u00fcrde. Ein solcher geschlossener Leitungsstrom ist aber offenbar gar nicht vorhanden; denn stellen wir uns, wie in Fig. 50, eine kontinuierliche Fl\u00e4che von dicht aneinander stehenden Sekretionszellen ann\u00e4hernd gleicher Kraft vor, so haben wir es hier mit einer ungeschlossenen elektrischen Doppelschicht zu tun. In dieser kann also ein Leitungsstrom nicht zustande kommen.\nDie auf Grund dieser Betrachtung von mir aufgestellte Theorie der Elektroosmose in den Sekretionszellenist nun folgende:\nEs sei in Fig. 53 a die positive und b die negative Fl\u00e4che der Membran und w ein Wassermolek\u00fcl in der N\u00e4he der positiven Fl\u00e4che, welches gegen die Substanz der Membran positive Spannung angenommen hat. Dieses Molek\u00fcl wird daher von der positiven Fl\u00e4che a abgesto\u00dfen, von der negativen b angezogen und so durch die treibende Kraft des Potentialgef\u00e4lles durch die Membran hindurchgetrieben werden. Die negative Elektrizit\u00e4tsmenge der Membranteilchen, welche von der Ladung gegen die Wassermolek\u00fcle herr\u00fchrt, wird an die positive Ladung in a abgegeben, und die positive Elektrizit\u00e4t der Wassermolek\u00fcle wird an die negative in b gebunden, so da\u00df die Wasser-\nSchema zur elektroosmotischen Membrantheorie von Bernstein.","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"161\nmolek\u00fcle elektrisch neutral aus der Membran heraustreten; d. h. es wird durch Konvektion positive Elektrizit\u00e4t von der Seite a nach der Seite b bef\u00f6rdert. Indem Wassermolek\u00fcle in derselben Richtung nachstr\u00f6men, entsteht dadurch eine Elektroosmose. Jede Sekretionszelle kann auf diese Weise Wasser aus der inneren Seite, d. h. aus der Gewebsfl\u00fcssigkeit in ihr Inneres und von da nach au\u00dfen hin bef\u00f6rdern.\nNach dieser Theorie also ist es nicht ein Leitungsstrom, sondern ein Konvektionsstrom, durch welchen au\u00dfer durch die Kr\u00e4fte der Osmose und Filtration die Sekretion des Wassers in den Sekretionszellen unterhalten wird. Ebenso kann auch bei der Resorption eine Wasserbewegung in den Resorptionszellen in der entgegengesetzten Richtung von au\u00dfen nach innen in das Gewebe geschehen. Die Potentiale, welche hierzu erforderlich sind, brauchen keineswegs so gro\u00dfe zu sein, wie wir sie in den Experimenten \u00fcber Elektroosmose anwenden m\u00fcssen, es kommt vielmehr haupts\u00e4chlich, wie die Formel (19) lehrt, auf das Potentialgef\u00e4lle H an, und dieses ist trotz des geringen Potential wertes \u00a3 in der Plasmamembran ein au\u00dferordentlich gro\u00dfes, weil die Dicke der Membran eine au\u00dferordentlich kleine ist. Der entsprechende Konvektionsstrom hat. die umgekehrte Richtung wie die abgeleiteten Str\u00f6me. Mit dieser Theorie ist die gro\u00dfe Schwierigkeit gehoben, welche sich bisher der Annahme solcher elektrischen Triebkr\u00e4fte bei der Sekretion und Resorption entgegenstellte.\nMan wird vom energetischen Gesichtspunkte aus sofort die Frage auf werfen, welche Energiequelle die hierzu n\u00f6tige elektrische Energie liefere. Da die Elektroosmose des Wassers elektrische Energie verbraucht und diese aus der osmotischen Energie des Elektrolyten bezieht, welcher die Doppelschicht erzeugt, so mu\u00df dieselbe aus der Osmose des Elektrolyten best\u00e4ndig ersetzt werden, und dies geschieht bekanntlich unter Verbrauch von W\u00e4rme. Dieser Proze\u00df ist also als ein endothermer anzusehen. Die Energiequelle ist W\u00e4rme des lebenden Gewebes, des Blutes und der chemischen Prozesse, welche mit der Sekretion verbunden sind. Die Sekretionszellen erzeugen so viel W\u00e4rme im \u00dcberschu\u00df, da\u00df sie wohl haupts\u00e4chlich die zur Elektroosmose n\u00f6tige W\u00e4rmemenge, allein liefern.\nBernstein, Elektrobiologie.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nDa bei diesem Vorg\u00e4nge das Potential der Membran durch Verbrauch von Energie zun\u00e4chst abnehmen wird, so erkl\u00e4rt sich daraus vielleicht die initiale negative Schwankung der Dr\u00fcsenstr\u00f6me, die h\u00e4ufig auftritt. Die darauf folgende oft sehr starke positive Schwankung w\u00fcrde aus der st\u00e4rkeren Zerst\u00f6rung der \u00e4u\u00dferen sezernierenden Membranseite der Zellen folgen, welche mit den inneren chemischen Prozessen verkn\u00fcpft ist. Indem wir dieselben Eigenschaften auch den Resorptionszellen zuerteilen, so k\u00f6nnen wir elektrische Differenzen in ihnen in derselben Weise annehmen, aber in umgekehrter Richtung, und so kann an H\u00e4uten, wie an der Schleimhaut des Darmkanals, die elektrische Reaktion bei der Sekretion und Resorption sich in mannigfacher Weise komplizieren. Hierzu kommt noch, da\u00df auch die chemische Reaktion des Sekretes einen Einflu\u00df auf Richtung und St\u00e4rke des Dr\u00fcsenstromes haben wird. Fortgesetzte Untersuchungen von diesem Gesichtspunkte aus d\u00fcrften, wie ich vermute, geeignet sein, in diesem Gebiete zu weiteren Resultaten zu f\u00fchren.\nUm diese elektroosmotische Membrantheorie, wie ich dieselbe nennen m\u00f6chte, durch Versuche zu st\u00fctzen, wurden folgende Versuche angestellt. Wenn es richtig ist, da\u00df eine semipermeable Membran, welche eine elektrische Doppelschicht erzeugt, imstande ist, Wasser von der einen nach der anderen Seite hindurchzutreiben, so mu\u00df sich dies auch an k\u00fcnstlichen semi-permeabeln Membranen, z. B. an der Pf eff ersehen Ferrocyan-kupfermembran, nachweisen lassen. Es wurden daher an Tonzellen, welche nach der Pfeffer sehen Methode mit einer solchen Membran versehen waren, Versuche dieser Art angestellt3). Nachdem auf der Innenfl\u00e4che einer kleinen Tonzelle die Membran nach den Angaben von Pfeffer hergestellt war, wurde sie innen mit einer 0,5 proz. L\u00f6sung von K4FeCy6 gef\u00fcllt, mit einem offenen U-f\u00f6rmigen d\u00fcnnen Manometerrohr durch einen Stopfen dicht verbunden und in eine 0,85 bis 0,825 proz. L\u00f6sung von CuS04 hineingestellt. Die Cu S04-L\u00f6sung hatte einen um ein geringes h\u00f6heren osmotischen Druck als die K4 FeCy6-L\u00f6sung, so da\u00df verm\u00f6ge der Diffusion Wasser von innen nach au\u00dfen hatte wandern m\u00fcssen. Der\n*) Diese V ersuche sind zum Teil gemeinsam mit Fr\u00e4ulein Elisabeth Kr\u00f6sing in den Jahren 1905/06 im physiologischen Institut in Halle a. S. ausgef\u00fchrt worden. Dieselben sollen demn\u00e4chst ausf\u00fchrlicher ver\u00f6ffentlicht werden.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"163\nosmotische Druck wurde nach der Gefrierpunktsmethode bestimmt. Nichtsdestoweniger war in dem Manometer der Tonzelle sehr bald eine deutliche Drucksteigerung zu beobachten, wie folgende Beispiele zeigen:\nVersuch 1.\nDatum\tZeit\tTemp. oo\tDruck mm L\u00f6sung\tBemerkungen\n14. M\u00e4rz 1906\t10b 18 N.\t16,9\t\u2014 0,5\tDurchmesser des Manometers\n\t\t\t\t- - 1,7 mm.\n\t10 40\t16,8\t\u2014 0,28\t\n15. M\u00e4rz 1906\t7 33 V.\t14,8\t+ 7,8\t\n\t7 45\t15,5\t+ 8,1\t\n\t10 02\t19,5\t+ 11,0\t\n\t11 08\t20,8\t+ 12,65\t\n\t5 00 N.\t20,15\t+ 17,45\t\n17. M\u00e4rz 1906\t8 00 V.\t19,15\t+ 16,45\t\n\t10 17\t19,3\t+ 16,6\tAbk\u00fchlung der Zelle.\n\t10 32\t4,0\t+ 14,6\tGefrierpunktserniedrigung (J)\n\t\t\t\tin Skalenteilen des Thermo-\n\t\t\t\tmeters nach dem Versuch.\n\t10 50\t0,0\t+ 12,6\t0nSO4-L\u00f6sung, J as 9,7.\n\t\t\t\tK4J?eCy \u201e-L\u00f6sung, J = 9,1.\nVersuch 2.\nDatum\tZeit\tTemp.\tDruck\tBemerkungen\n\t\t\u00abC\tmm L\u00f6sung\t\ni 4. M\u00e4rz 1906\tlh00N.\t18,2\t- 0,7\tManometer 1,7 mm weit.\n\t2 04\t18,2\t+ 1,7\t\n\t3 45\t18,9\t+ 5,9\t\n\t8 30\t17,2\t+ 17,2\t\n\t10 40\t16,8\t+ 20,4\t\n15. Marz 1906\t7 33 V.\t14,8\t+ 27,3\t\n\t10 57\t3,8\t+ 24,7\tAbk\u00fchlung.\n\t12 07 N.\t1,2\t+ 23,4\t\n\t12 52\t0,0\t+ 22,2\t0,825 proz. CuS04, J = 10,4. 0,5 proz. K4FeCy6, J = 8,9.\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nDiese Versuche zeigen ein deutliches Steigen der Fl\u00fcssigkeit auf der Seite der K4 Fe Cy6-L\u00f6sung , trotzdem diese einen etwas geringeren osmotischen Druck besitzt als die Kupferl\u00f6sung. Dies konnte also nur die Folge einer Potentialdifferenz an beiden Seiten der Membran sein. Das Kaliumion auf der Au\u00dfenseite und das nicht durchgelassene FeCy6-Ion auf der Innenseite der Membran erzeugen ein starkes Potentialgef\u00e4lle in derselben, welches die Wassermolek\u00fcle von au\u00dfen in die Zelle hineintreibt. Da der osmotische Druck der L\u00f6sungen bei 0\u00b0 bestimmt wird und der der K4 Fe Cy6-L\u00f6sung sich vielleicht bei mittlerer Temperatur etwas st\u00e4rker erh\u00f6hen k\u00f6nnte als der der Kupferl\u00f6sung, so wurde die Zelle auch auf 0\u00b0 abgek\u00fchlt. Hierbei sank zwar der Druck im Manometer, vornehmlich infolge der Volumabnahme, weniger durch Abnahme des Potentials, aber er blieb noch hoch genug stehen.\nEin noch viel h\u00f6herer Druck konnte auf der Innenseite der Zelle beobachtet werden, wenn man vorher eine st\u00e4rkere Membran nach den Angaben von Pfeffer mit 3 proz. L\u00f6sungen beiderseits erzeugt hatte. Nachdem diese mehrere Tage vorbereitet war, wurde sie innen mit 0,4 proz. K4 Fe Cy6-L\u00f6sung mehrfach gesp\u00fclt und in eine mehrfach erneuerte 0,825 proz. CuS04-L\u00f6sung hineingestellt. Der osmotische Druck der ersteren ist merklich geringer als der der letzteren.\nVersuch 3.\nDatum\tZeit\tTemp. 00\tDruck mm L\u00f6sung\tBemerkungen\nl.Dez. 1906\t12h 10N.\t21,5\t30\tJed. Tag wurden die L\u00f6sungen\n\t\t\t\terneuert.\n2. Dez. 1906\t12\t\u2014\t> 340 !\tDie Fl\u00fcssigkeit tropft \u00fcber\n\t\t\t\tdem Manometerrohr aus.\n8. Dez. 1906\t11\t19,0\t\u2014\tAbk\u00fchlung.\n\t12\t1,5\t>340\t\n\t1 10\t0,0\t>340\t\nDurch diese Versuche ist also eine neue elektroosmotische (oder kataphoretische) Eigenschaft semipermeabler Membranen festgestellt. Auch wenn wir nicht der 0stwaldsehen,","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"165\nsondern der Nernst-Riesenfeldschen Anschauung \u00fcber das Verhalten einer solchen Membran als Phase bzw. L\u00f6sungsmittel (s. oben S. 37) folgen, so werden wir darauf dieselbe Betrachtung anwenden und einer solchen Membran eine Wasser bef\u00f6rdernde Kraft zuerteilen d\u00fcrfen.\nNeuntes Kapitel.\nUrspr\u00fcngliche physiologische Bedeutung des Menibranpotentials der Zellen.\nDie Wasserbindung in den Zellen. Genese der elektrischen Eigenschaften der Organe. Die Pllanzenstr\u00f6me.\nEine unmittelbare Konsequenz der elektroosmotischen Membrantheorie f\u00fchrte mich zu der Frage der Wasserbindung in den Zellen, welche mit der der Wasserbewegung im engsten Zusammenh\u00e4nge steht. Man hat bisher allgemein angenommen, da\u00df die Bindung des freien Wassers, d. h. des nicht chemisch gebundenen, in den Zellen durch den osmotischen Druck und durch Quellung kolloider Substanzen erfolge. Wenn es aber richtig ist, da\u00df, wie im vorigen Kapitel bewiesen, semipermeahle Membranen und demnach die Plasmamembranen Wasser von der einen nach der anderen Seite treiben k\u00f6nnen, so mu\u00df auch der Wassergehalt und die Wasserhindung der Zellen von dem Potential ihrer Plasmamembran beeinflu\u00dft werden. Wir haben die Wasserbewegung zuerst an den Sekretions- und Resorptionszellen betrachtet, welche an einer Seite mehr oder weniger als offene anzusehen sind. Aber auch an anderen, allseitig von der Plasma-membran umschlossenen Zellen mu\u00df hiernach die Wirkung des Membranpotentials in demselben Sinne zur Geltung kommen. Nehmen wir in ihnen zun\u00e4chst, wie in den Muskel- und Nerven-elementen, ein Membranpotential an, welches Wassermolek\u00fcle von au\u00dfen nach innen f\u00f6rdert, so mu\u00df die wasserbindende Kraft der","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nlebenden Zelle nicht allein vom osmotischen Druck, sondern auch von dem Membranpotential abh\u00e4ngig sein. Nennen wir den osmotischen Druck au\u00dferhalb der Zelle pa und innerhalb p; und die vom Membranpotential abh\u00e4ngige Kraft 7t, so m\u00fc\u00dfte im Zustande des Gleichgewichtes p.i -j- 7t \u2014 pa sein.\nWenn diese Voraussetzung richtig ist, so m\u00fc\u00dfte die wasserbindende Kraft der lebenden Zellen und Gewebe gr\u00f6\u00dfer sein als die der toten, und wenn wir dies beweisen k\u00f6nnen, so erhebt sich die Frage, welche Bedeutung diese Eigenschaft f\u00fcr das Leben der Zellen und Organismen \u00fcberhaupt besitze.\nEs leuchtet von vornherein ein, da\u00df eine solche F\u00e4higkeit, Wasser st\u00e4rker zu binden und festzuhalten als tote K\u00f6rper, f\u00fcr alle Organismen, welche an der Luft lebend der Verdunstung ausgesetzt sind, von gro\u00dfem Vorteil sein, aber auch f\u00fcr das Leben im Wasser und f\u00fcr das Zellenleben in den Gewebss\u00e4ften von Bedeutung werden mu\u00df. Hierin w\u00e4re dann, wie ich meine, die eigentliche und urspr\u00fcngliche Bedeutung des Membranpotentials der Zellen zu suchen. Gehen wir auf eine phylogenetische und histogenetische Betrachtung ein, so h\u00e4tten wir uns vorzustellen, da\u00df diese Eigenschaft unter den Einwirkungen der Umgebung durch Anpassung und im Kampfe ums Dasein allm\u00e4hlich erworben wurde, zuerst bei einzelligen Organismen, und dann sich auf die mehrzelligen in verschiedenem Grade unter Differenzierung der Zellen \u00fcbertragen und weiter ausgebildet habe. So mag es bei der Entstehung der Sekretionszellen und Kesorptionszellen zu der wassertreibenden Wirkung des Membranpotentials gekommen sein, wie ja so h\u00e4ufig in der Natur mit dem Formwechsel der Zellen dieselben Kr\u00e4fte einem Funktionswechsel dienen. So w\u00fcrden sich dann bei Entwickelung der Muskel- und Nervenzellen und -fasern die uns nun bekannten Beziehungen ihres Membranpotentials zum Vorg\u00e4nge der Erregung, der Reizleitung und der Kontraktion hergestellt haben. Die an diesen Elementen vornehmlich studierten elektrischen Vorg\u00e4nge, welche wir bisher nur als Zeichen innerer Prozesse aufgefa\u00dft haben, k\u00f6nnen doch f\u00fcglich nicht eine solche Bedeutung allein besitzen, sondern bed\u00fcrfen einer allgemeineren Deutung in ihrer Beziehung zum Zellenleben, welche wir hiermit gefunden zu haben glauben. Die von ihnen ableitbaren elektrischen Str\u00f6me besitzen, wie wir l\u00e4ngst wissen, gar keinen besonderen physiologischen","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"167\nWert. Aber schlie\u00dflich hat die Natur gewisserma\u00dfen die Gelegenheit benutzt, durch Funktionswechsel aus diesen Elementen Organe zu schaffen, deren Elektrizit\u00e4tsproduktion einen betr\u00e4chtlichen Energiewert nach au\u00dfen hin besitzt \u2014 die elektrischen Organe. Noch eine andere Beziehung elektrokinetischer Art werden wir dem Membranpotential im Zellenleben zuzuschreiben haben. Somit h\u00e4tten wir den elektrischen Eigenschaften in den Organismen eine allgemeinere biologische Grundlage gegeben, welche den Titel dieses Buches \u201eElektrobiologie\u201c rechtfertigen m\u00f6ge. Dieser Gedanke soll in den Schlu\u00dfbetrachtungen (s. unten) weiter ausgef\u00fchrt werden.\nGehen wir nun zu den Beweisen f\u00fcr diese Theorie \u00fcber. Zuerst w\u00e4hlte ich zur Untersuchung solche Gewebe, welche w\u00e4hrend des Lebens der Wasserverdunstung ausgesetzt sind. Ich stellte daher Versuche an der Froschhaut an, welche ein sehr geeignetes Objekt hierzu ist und au\u00dferdem elektrische Potentialdifferenzen besitzt. Wenn es richtig ist, da\u00df die lebenden Zellen das Wasser fester binden als tote, so mu\u00df in dem toten Gewebe die Verdunstung unter gleichen Bedingungen, d. h. bei gleicher Temperatur und gleichem Wassergehalt der Luft schneller vor sich gehen als an dem lebenden. Es war notwendig, hierzu zwei Hautst\u00fccke von m\u00f6glichst gleicher Beschaffenheit, den symmetrischen Stellen des K\u00f6rpers entnommen und von gleicher Oberfl\u00e4che zu gleicher Zeit an demselben Orte miteinander zu vergleichen, das eine lebend (frisch, \u00fcberlebend), das andere auf irgend eine Weise abget\u00f6tet. Die Abt\u00f6tung wurde meistens durch Erw\u00e4rmen auf 45 bis 50\u00b0 C in einem kleinen abgeschlossenen R\u00f6hrchen vorgenommen.\nZuerst w\u00e4hlte ich eine Methode, welche von dem bekannten Liebigschen Versuche \u00fcber die Imbibitionskraft von Membranen ausging. Wenn man eine Membran \u00fcber das trichterf\u00f6rmig gestaltete obere Ende eines langen Rohres bindet, das Ganze mit Wasser f\u00fcllt und das untere Ende des Rohres in eine Schale mit Hg einst\u00fclpt, so sieht man infolge der Verdunstung desWassers auf der Membran das Hg in dem Rohre allm\u00e4hlich bis zu einer gewissen H\u00f6he steigen. Diese H\u00f6he gibt die Imbibitionskraft der Membran an.\nWenn nun an der lebenden Membran die Verdunstung langsamer erfolgt als an der toten, so mu\u00df eine Differenz im Steigen der Hg-S\u00e4ule in diesem Versuche zu beobachten sein. Es wurden in diesen Versuchen, um sie schneller zu beenden, Kapillarr\u00f6hren","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nverwendet und mit zwei gleich gro\u00dfen Trichtergef\u00e4\u00dfen verbunden. Folgendes Beispiel aus einer Reihe solcher Versuche zeigt einen sehr deutlichen Unterschied beider Membranen:\nVersuch (21. M\u00e4rz 1907).\nNr.\tZeit\tHg - Stand\t\tTemp. \u00b0C\tBemerkungen\n\t\tLeb. Haut\tTute Haut\t\t\n1\t9h 58 V.\t0\t0\t\t\n2\t11 58\t0\t0\t\tMit 0,6proz. ClNa-L\u00f6sung\n\t\t\t\t17\tgef\u00fcllt.\n3\tlh N.\t7\t10\t\tR\u00fcckenhaut, Au\u00dfenfl\u00e4che\n\t2\t23\t52\t18\tau\u00dfen.\n\t4\t85\t160\t20\t\n\t6\t180\t285\t20\t\n\t8\t258\t347\t18\t\n\t10\t307\t375\t16\t\n\t8h V.\t.401\t400\t15\t\nEine gr\u00f6\u00dfere Zahl von Versuchen ergab dasselbe Resultat, und es war gleichg\u00fcltig, ob die Au\u00dfen- oder Innenseite der Haut au\u00dfen war. Statt der Abt\u00f6tung durch Erw\u00e4rmen wurde auch Trocknung der Haut vorgenommen und die trockene Haut dann in 0,6proz. CI Na-L\u00f6sung gelegt. Das Resultat war dasselbe. Man ersieht hieraus, da\u00df alle Zellen der Haut, nicht nur die der Epidermis, sondern auch die der Cutis, im lebenden Zustande das Wasser gegen Verdunstung st\u00e4rker festhalten, als die des toten Gewebes. Es konnte an der Haut zu gleicher Zeit die elektromotorische Kraft gemessen werden, indem man der Kochsalzl\u00f6sung etwas Kalomel zusetzte und vom Hg der Schale und mit einer Hg-Kalomelelektrode von der Hautfl\u00e4che ableitete. Die tote Haut war entweder stromlos oder schwach umgekehrt wirksam; der Strom der lebenden Haut nahm langsam ab.\nDas Maximum der Hg-H\u00f6he war nach l\u00e4ngerer Zeit, meist 24 Stunden, in beiden F\u00e4llen nahezu gleich, nachdem die lebende Haut abgestorbeu war.\nEs wurden alsdann weitere Untersuchungen *) \u00fcber diesen Gegenstand mit Hilfe der Wage angestellt, indem zwei gleich gro\u00dfe\n*) Diese Versuche wurden in den Jahren 1908 bis 1910 zum Teil gemeinsam mit cand. med. W. Lindemann ausgef\u00fchrt. Aueh diese sollen noch ausf\u00fchrlicher ver\u00f6ffentlicht werden.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"169\nHautst\u00fccke, von denen das eine abget\u00f6tet, das andere lebend war, auf beiden Seiten der Wage aufgeh\u00e4ngt wurden und die durch Verdunstung entstehende Gewichtsdifferenz nach \u00c4quilibrierung an der Skala der Wage bzw. durch Gewichtszusatz gemessen wurde. Um genau gleich gro\u00dfe St\u00fccke zu erhalten, wurde zuerst eine Stahlstanze von 2x3 qcm benutzt und die Hautst\u00fccke an Kokonf\u00e4den an zwei Ecken des St\u00fcckes auf geh\u00e4ngt. Sp\u00e4ter wurde eine kreisf\u00f6rmige Stanze von 2 cm Durchmesser konstruiert, welche, nahe dem scharf en Rande innen mit feinen Widerh\u00e4kchen versehen war, die das auf Kork ausgestanzte St\u00fcck festhielten. Zwei gleiche Stanzen wurden an beiden Seiten der Wage mit toter und lebender Membran aufgeh\u00e4ngt.\nIch f\u00fchre aus diesen Versuchen einige Beispiele an. In fast allen Versuchen zeigte sich eine deutliche Gewichtsdifferenz, welche angab, wieviel Wasser an der Oberfl\u00e4che der toten Membran mehr verdunstete als an der lebenden. Verglich man zwei lebende oder zwei tote Membranen in dieser Weise miteinander, so erhielt man nur sehr kleine und wechselnde Differenzen. Die Membranen wurden vor der Aufh\u00e4ngung zwischen Flie\u00dfpapier gleichm\u00e4\u00dfig abgetrocknet. In den Tabellen ist die Zeit, die Gewichtsdifferenz der Membranen, die auf 1 qcm berechnete Gewichtsdifferenz und die aus letzterer durch Wasserverdunstung gebundene W\u00e4rmemenge in g-cal angegeben. Diese W\u00e4rmemenge ist der Energiemenge \u00e4quivalent, mit welcher die lebenden Zellen der Membran gegen\u00fcber den toten das Wasser binden.\nVersuch 1.\nStunden\tmg\tAuf\tqcm\tBemerkungen\n\t\tmg\tg-cal\t\ni\t29,9\t2,57\t1,50\tFroschhaut 2,5 X 3,7 qcm.\n2\t57,8\t6,25\t3,65\t\n3\t82,4\t8,91\t5,21\t\n\t\tVersuch 2.\t\t\n1\t16,8\t2,79\t1,64\tFroschhaut 2X3 qcm.\n2\t33,6\t5,60\t3,26\t(Stanze).\n3\t39,0\t6,5\t3,8\t","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nDie beiden Fl\u00e4chen der Froschhaut unterschieden sich hierin nicht wesentlich, denn das Resultat war dasselbe, wenn man auf jede Seite der Wage zwei aufeinander gelegte H\u00e4ute aufhing, die einmal mit den inneren, das andere Mal mit den \u00e4u\u00dferen Fl\u00e4chen sich deckten. Es geht daraus hervor, da\u00df es sich hierbei nicht blo\u00df um eine besondere Eigenschaft der Epidermiszellen handelt, sondern da\u00df auch die Zellen der Cutis diese Eigenschaft besitzen.\nEs lag nahe, au Pflanzenbl\u00e4ttern einige solche Versuche anzustellen. Dazu eigneten sich die Bl\u00e4tter des Flieders (Syringa vulg.) sehr gut, indem zu beiden Seiten der Mittelrippe symmetrische St\u00fccke ausgestanzt wurden, wie folgendes Beispiel zeigt.\nVersuch 1.\nStunden\tmg\tAuf 1 qcm\t\tBemerkungen\n\t\tmg\tg-cal\t\ni\t25,96\t4,33\t2,55\tPliederblatt 2X3 qcm\n2\t31,68\t5,28\t3,10\t(Stanze).\n425\t44,78\t7,47\t4,39\t\nDieses Verhalten best\u00e4tigte sich in mehreren Versuchen. Man sieht, da\u00df das Pflanzengewebe sich ganz ebenso verh\u00e4lt, wie das der Froschhaut. F\u00fcr die Pflanze ist aber diese Eigenschaft, der Verdunstung und Austrocknung im lebenden Zustande st\u00e4rker zu widerstehen als im toten, von ganz besonderer Bedeutung1).\n*) In der botanischen Literatur fand ich \u00fcber \u00e4hnliche Versuche folgendes vor: Hugo v. Mohl (Botan. Ztg. 1847) verglich die Vertrocknung lebender und durch Hitze, Gifte oder Prost get\u00f6teter Pflanzen fWarm-hauspflanzen mit dicken Bl\u00e4ttern). Er bestimmte den Gewichtsverlust in Prozenten des urspr\u00fcnglichen Gewichtes und erhielt folgende Werte :\n\t1. bis 5. Tag\t6. bis 10. Tag\t\n\tProz.\tProz.\t\nMittel \u2022 \u2022 \u2022 j\t11,4\t8,3\tLebend Erfroren\n1\tj\t20,1\t13,7\t\nN\u00e4geli (Sitz.-Ber. d. bayer. Akademie 1861) untersuchte die Vertrocknung lebender und durch Erost abget\u00f6teter \u00c4pfel und Kartoffeln. Gefrorene Kartoffeln wurden in 117 Tagen, nicht gefrorene in 330 Tagen lufttrocken. Die Vorg\u00e4nge bei \u00c4pfeln wurden durch P\u00e4ulnis, hei Kartoffeln durch Keimung gest\u00f6rt.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"171\nAls Schutz gegen Verdunstung dienen bei Pflanzen freilich in hohem Grade die \u00e4u\u00dferen Schichten der Epidermis, die Cuticula und die Wachshaut, und es bed\u00fcrfte spezieller Untersuchungen, wie diese sich etwa beim Absterben \u00e4ndern (s. Pfeffer, Pflanzenphysiologie, 1897, Bd. I, S. 216 ff.).\nVornehmliches Interesse wird nun bei diesem Gegenst\u00e4nde das Muskelgewebe in Anspruch nehmen in Beziehung zu seinen elektrischen Eigenschaften. Es stellten sich aber der Untersuchung anfangs erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Zwei gleiche Muskeln, M. gastrocnemius oder sartorius, hatten im lebenden und toten Zustande infolge der Starreverk\u00fcrzung zu ungleiche Obeifl\u00e4chen, um miteinander verglichen werden zu k\u00f6nnen und gaben deshalb schwankende Resultate. Es wurden daher schlie\u00dflich d\u00fcnne glatte Muskeln als Membranen, und zwar von den Bauchmuskeln des Frosches der hierzu sehr geeignete Muse, abdominis transversus und obliquus (s. Ecker, Anatomie des Frosches) benutzt und auf die oben beschriebenen kreisf\u00f6rmigen Stanzen gespannt. Die Abt\u00f6tung durfte wegen dgr Starre Verk\u00fcrzung, um Schrumpfung zu vermeiden, erst nach der Aufspannung im Ring gemacht werden. Statt der Erw\u00e4rmung, wobei selbst in kleinen geschlossenen Gef\u00e4\u00dfen leicht merklicher Wasser Verlust auftreten k\u00f6nnte, bediente ich mich der Chloroformierung in einem kleinen gedeckten Petrisch\u00e4lchen, w\u00e4hrend der lebende Muskel unterdessen in einem gleichen aufbewahrt wurde. 10 Minuten Einwirkung von wenig in einem Uhrsch\u00e4lchen hineingebrachtem Chloroform reichten aus. Bis zur Aufh\u00e4ngung in derWage und dem Beginn der Messung war jeder Geruch nach Chloroform geschwunden. Zwei lebende Muskelmembranen zeigten w\u00e4hrend mehrerer Stunden nur ganz verschwindende Gewichtsdifferenzen. Beispiele sind in umstehender Tabelle angef\u00fchrt.\nIn allen Versuchen verdunstete von der lebenden Muskelmembran in der ersten halben Stunde weniger Wasser als von der toten. Man kann annehmen, da\u00df in dieser Zeit auch der d\u00fcnne lebende Muskel schon fast abgestorben war. Daraus erkl\u00e4rt sich, da\u00df die beobachteten Differenzen hier kleiner sind als bei der Froschhaut, welche stundenlang \u00fcberlebt. Vergleicht man aber die Werte f\u00fcr die erste halbe Stunde miteinander, so ist der Unterschied sehr viel geringer, etwa nur die H\u00e4lfte. Aus dem schnellen Absterben des d\u00fcnnen der Verdunstung ausgesetzten","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172 \u2014\nMuskels erkl\u00e4rt es sich auch, da\u00df, wenn, man die Beobachtung weiter fortsetzt, die Differenzen zwischen beiden Muskeln oft sp\u00e4terhin abnehmen und zuweilen sich umkehren, indem nun die Verdunstung an dem zuletzt abgestorbenen Muskel schneller vor sich geht. Zuweilen w\u00e4chst dann auch wieder die Differenz in dem ersteren Sinne. Aber da\u00df in der ersten Zeit der lebende Muskel das Wasser l\u00e4nger und st\u00e4rker festh\u00e4lt als der tote, ist in allen Versuchen konstant.\nVersuch 1.\nZeit Mm.\tmg\t1 qcm\t\tT OC\tBemerkungen\n\t\tmg\tg-cal\t\t\n0\t0\t0\t0\t\tKreisf\u00f6rmige Stanze,\n2\t1,0\t0,1747\t0,1021\t\tFl\u00e4che = 5,725 qcm\n7\t2,5\t0,4366\t0,2553\t\tMuskelmembranen.\n10\t3,0\t0,5240\t0,3064\t\t\n15\t3,25\t0,5878\t0,3320\t13,5\t\n24\t3,50\t0,6114\t0,3574\t\t\n\t\t\tVersuch 2.\t\t\n0\t0\t0\t0\t\tEbenso.\n10\t0,96\t0,1677\t0,0981\t\t\n15\t1,44\t0,2516\t0,1471\t\t\n20\t1,44\t0,2516\t0,1471\t19\t\n27\t3,36\t0,5870\t0,3431\t\t\nVersuch 3.\n0\t0\t0\t0\t\n3\t1,68\t0,2234\t0,1716\t\n5\t2,16\t0,3773\t0,2206\t\n8\t2,64\t0,4611\t0,2696\t\n13\t2,88\t0,5030\t0,2941\t\n18\t3,36\t0,5869\t0,3431\t\n23\t3,36\t0,5869\t0,3431\t\n28\t3,60\t0,6287\t0,3676\t21\n33\t3,84\t0,6707\t0,3921\t\nEbenso.\nVersuche an anderen Geweben und Organen habe ich noch nicht ausgef\u00fchrt. Die gr\u00f6\u00dfte Schwierigkeit bietet immer hierbei die Herstellung gleicher Oberfl\u00e4chen, die bei kleiner Masse durch-","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"173\naus erforderlich ist. Man k\u00f6nnte aber versuchen, grobe und volumin\u00f6se Massen miteinander zu vergleichen, wobei die ungleiche Oberfl\u00e4che keinen so gro\u00dfen Fehler bedingen w\u00fcrde.\nDie angestellten Versuche geben aber -schon den Beweis daf\u00fcr, da\u00df die lebende Zelle die fundamentale Eigenschaft besitzt, verm\u00f6ge einer ihr zukommenden Kraft das Wasser st\u00e4rker zu binden als die tote. Es fragt sich, welche der uns bekannten Kr\u00e4fte hierf\u00fcr in Anspruch zu nehmen ist. Es ist klar, da\u00df der osmotische Druck diese Kraft nicht sein kann. Die Konzentration en der anorganischen wie der organischen Substanzen, welche sich in L\u00f6sung befinden, k\u00f6nnen beim Absterben in der Zelle nicht geringer werden, im Gegenteil, es m\u00fc\u00dfte die Konzentration der organischen durch Spaltung .und Oxydationen gr\u00f6\u00dfer werden1). Es k\u00e4me ferner die Quellung in Betracht, und man k\u00f6nnte meinen, da\u00df die Kraft, mit welcher das lebende Protoplasma das Wasser durch Quellung binde, gr\u00f6\u00dfer sei als die des toten. \u00dcberlegt man aber, welcher Anteil des Wassers es ist, der in der ersten Zeit verdunstet, so ist es nicht das durch Quellung in dem Protoplasma und dessen Gebilden gebundene, sondern das Wasser des Paraplasmas, das fl\u00fcssige L\u00f6sungswasser der Salze und organischen Substanzen, welches mit der Zwischenfl\u00fcssigkeit der Zellen, der Gewebsfl\u00fcssigkeit, in direktem Austausch steht. Es liegt auch kein Grund zur Annahme vor, da\u00df die Kraft der Quellung beim Absterben in den Zellen eine geringere w\u00fcrde, denn wir wissen, da\u00df dabei Gerinnungen eintreten, da\u00df sich dabei Sole in Gele verwandeln, und es m\u00fc\u00dfte dadurch die Wasserbind\u00fcng durch Quellung sogar eine st\u00e4rkere werden. Kurzum wir k\u00f6nnen die beobachteten Erscheinungen nicht durch \u00c4nderungen der Quellung erkl\u00e4ren. Dagegen haben wir oben eine elektroosmotische Kraft kennen gelernt, welche semipermeabeln Membranen zukommt und imstande ist, Wasser von der einen nach der anderen Seite zu treiben und dasselbe hierdurch in der Zelle festzuhalten.\n*) Man k\u00f6nnte daran denken, da\u00df Gewichtsunterschiede zwischen totem und lebendem Gewebe auch durch Ausscheidung von C02 bedingt w\u00fcrden, aber das m\u00fc\u00dfte umgekehrt beim tierischen Gewebe eine gr\u00f6\u00dfere Gewichtsabnahme des lebenden ergeben. Beim gr\u00fcnen Pflanzengewebe k\u00f6nnte durch Assimilation hingegen eine Zunahme an Gewicht herbeigef\u00fchrt werden, doch sind beide Werte in der Beobachtungszeit zu gering, als da\u00df sie gegen den Wasserverlust in Betracht k\u00e4men.","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nEs erscheint lins daher als eine berechtigte Hypothese, durch diese Kraft das Verhalten der lebenden Zelle gegen\u00fcber der toten in Beziehung zur Wasserhindun g zu deuten, zumal sich dadurch eine gro\u00dfe Reihe yon Zellprozessen unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt zusammenfassen l\u00e4\u00dft.\nNach der elektroosmotischen Membrantheorie regelt jede Zelle ihren Wassergehalt nicht nur verm\u00f6ge des osmotischen Druckes in ihrem Inneren, sondern auch wesentlich durch die Wirkung des Potentialgef\u00e4lles ihrer Plasmamembran. Diese Kraft ist bei der Sekretion und Resorption und bei der gesamten Wasserbewegung zwischen den Fl\u00fcssigkeiten des K\u00f6rpers und den verschiedenen Organzellen t\u00e4tig, und so werden sich voraussichtlich die mannigfachen Vorg\u00e4nge dieser Art, welche wir bis jetzt durch die Kr\u00e4fte der gew\u00f6hnlichen Filtration und Diffusion nicht erkl\u00e4ren k\u00f6nnen, deuten lassen. Ich erw\u00e4hne nur die Absonderung eines sehr verd\u00fcnnten Harnes, der einen viel geringeren osmotischen Druck besitzt als das Blut und einen betr\u00e4chtlichen Energieaufwand erfordert. Auf diesen Gegenstand weiter einzugehen, ist hier nicht der Ort. Dagegen wollen wir hier die osmotischen Bewegungserscheinungen an Pflanzen anschlie\u00dfen, deren Deutung sich jetzt unmittelbar ergibt.\nAn gewissen Pflanzen, z. B. an der Sinnpflanze, Mimosa pudica, und an der Fliegenfalle, Dionaea muscipula, beobachtet man bekanntlich auffallende Reiz be wegungenJ). Bei Ber\u00fchrung und Ersch\u00fctterung der Bl\u00e4tter dieser Pflanzen oder anderweitiger Reizung treten diese Bewegungen ein, welche im allgemeinen darin bestehen, da\u00df sich die gegen\u00fcberstehenden Bl\u00e4tter oder Blatth\u00e4lften mit ihren oberen Fl\u00e4chen Zusammenlegen und gr\u00f6\u00dfere wie kleinere Blattstiele sich senken. In Fig. 54 ist ein Zweig der Mimosa pudica abgebildet, auf der Seite A in ruhender, auf der Seite B in gereizter Stellung. Am Ursprung der gro\u00dfen und kleinen Blattstiele befinden sich Gelenke, welche die Bewegungen verursachen. Diese Gelenke bestehen aus zwei Gelenkw\u00fclsten, welche sich gegen\u00fcberstehen, der eine derselben nimmt an Volumen ab, w\u00e4hrend der andere sich vergr\u00f6\u00dfert, wodurch der Blattstiel\n') Siehe Pfeffer, Pflanzenphysiologie, 1904, Bd. II, S. 433, Abschnitt III.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"175\nnach einer Richtung bewegt wird. Diese W\u00fclste bestehen aus saftreichen Zellen, deren F\u00fcllungsgrad, Turgor, sich schnell ver-\nFig. 54.\n\u00a3\nMimosa pudica (Sinnpfianze).\nBlatt A in ruhender, B in gereizter Stellung, p das prim\u00e4re Gelenk, s die sekund\u00e4ren Gelenke an der Basis der Fiederstrahlen (nach Pfeffer, Pflanzenphysiologie II, 1909).\n\u00e4ndern kann. Es tritt bei der Reizung Wasser aus ihnen aus, sie ziehen sich zusammen und das Wasser flie\u00dft in interzellulare R\u00e4ume und Gef\u00e4\u00dfe hinein, welche zum Teil lufthaltig sind. Bei","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nder R\u00fcckkehr zur Ruhestellung kehrt das Wasser auf demselben Wege in die Zellen zur\u00fcck, deren Turgor wieder zunimmt. In dem Gelenk p des Hauptstieles nimmt der untere Wulst an Volumen ab, der obere nimmt etwas zu, indem Wasser in dessen Interz dlularraum eintritt.\nGanz ebenso ist der Mechanismus der Bewegung bei der Dionaea muscipula, deren Blatt in Fig. 55 abgebildet ist. Das\nFig. 55.\nBlatt von Dionaea muscipula (Bliegenfalle).\nA offen im ruhenden Zustande, B geschlossen im gereizten Zustande, ein Ohrwurm gefangen (nach Pfeffer, ebenda).\nBlatt besteht aus zwei H\u00e4lften, welche sich gegeneinander wie die Schalen einer Muschel in dem Gelenk an der Mittelrippe bewegen k\u00f6nnen. In A sehen wir das ge\u00f6ffnete Blatt in ruhendem Zustande, in B das gereizte geschlossene Blatt, in welchem ein Ohrwurm gefangen ist. Auf der inneren Fl\u00e4che des Blattes stehen drei Reizhaare, welche, in dem Gewebe eingepflanzt, durch Beugung eine Reizleitung in dem Gewebe ausl\u00f6sen. Die reizbaren saftigen Zellen sind namentlich in den Schichten der Innenseite gelagert, l\u00e4ngs der Querrippen des Blattes. In der Ruhe h\u00e4lt die Turgorspannung dieses Gewebes der elastischen Spannung des Gewebes an der Au\u00dfenseite das Gleichgewicht. Bei der Reizung erlangt letztere das \u00dcbergewicht, wodurch das Blatt sich schlie\u00dft. Es sind ferner auf der Innenfl\u00e4che Dr\u00fcsen vorhanden, welche einen dem Magensaft \u00e4hnlichen Verdauungssaft absondern, der durch ein Ferment Eiwei\u00dfe aufl\u00f6st, welche der Pflanze (fleisch-","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"177\nfressende Pflanze) zur Nahrung dienen. Ebenso findet auch bei Mimosa eine Reizleitung durch die Stiele statt, durch welche sich, \u00e4hnlich wie in den Nerven der Tiere, der Reiz und die Reizbewegung ausbreitet.\nGanz \u00e4hnlich verh\u00e4lt sich der Vorgang an den Staubf\u00e4den gewisser Bl\u00fcten, tz. B. von Berberitze (Berberis vulgaris) und Bl\u00fcten der Cynareen (Artischocke, Cynara scolymus). Bei diesen treten Kr\u00fcmmungen und Verk\u00fcrzungen bis zu 10 bis 30 Proz. der L\u00e4nge bei mechanischer Reizung auf, welche in der Natur durch Insekten geschieht, wobei sich die Staubbeutel dem Stempel n\u00e4hern. Hier verk\u00fcrzen sich die Zellen in der L\u00e4ngsrichtung durch Wasseraustritt, welcher in die Gef\u00e4\u00dfb\u00fcndel hinein stattfindet (Pfeffer). Der Vorgang ist \u00e4u\u00dferlich den Muskelkontraktionen \u00e4hnlich, doch innerlich dadurch verschieden, da\u00df das Volumen der Zellen abnimmt, w\u00e4hrend das der Muskelzelle konstant bleibt.\nEs erhebt sich nun die Frage, durch welche Kraft die Wasserbewegung bei diesem Vorg\u00e4nge geschieht. Das ist bisher g\u00e4nzlich r\u00e4tselhaft geblieben x). Durch die gew\u00f6hnliche Osmose l\u00e4\u00dft sich diese Wasserausscheidung und Wiederaufnahme nicht verst\u00e4ndlich machen, denn wie sollte in so kurzer Zeit der osmotische Druck in den Zellen sich so erheblich verkleinern und wieder vergr\u00f6\u00dfern, wie es hierzu n\u00f6tig w\u00e4re. Einen chemischen Proze\u00df in dem Zellsaft oder Protoplasma, der sich auf die darin befindlichen Salze und Kohlehydrate erstrecken m\u00fc\u00dfte, zu diesem Zwecke anzunehmen, ist nicht denkbar. Es m\u00fc\u00dfte ein solcher sein, der ihre Molek\u00fcle durch chemische Bindung unwirksam machte. Dagegen kennt man schon seit l\u00e4ngerer Zeit die elektrischen Potential-\u00e4nderungen in diesen die Bewegung hervorbringenden Pflanzengeweben. Besonders an der Dionaea muscipula sind Untersuchungen dieser Art von Burdon-Sanderson 2) angestellt worden, welche ergeben haben, da\u00df auch hier in \u00dcbereinstimmung mit den tierischen Geweben die gereizten Teile des Gewebes negative Spannung gegen die ruhenden annehmen. Ungef\u00e4hr\n*) Siehe Pfeffer, Pflanzenphysiologie I, S. 252.\n!) On the elektromotive properties of the leaf of Dionaea in excited and unexcited states. Philosophical Transactions of the Royal Society of London 1882 und 1888. (Vol. 179 B, p. 417\u2014449.)\nBernstein, Elektrobiologie.\t12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\n0,04 Sek. nach Einwirkung eines elektrischen Induktionsschlages beginnt die elektrische Reaktion des Blattes, w\u00e4hrend die Bewegung desselben erst nach 1 Sek. einsetzt und 5 bis 6 Sek. dauert. Diese Reaktion stimmt im Prinzip mit der des Muskels vollst\u00e4ndig \u00fcberein. Die Versuche wurden mit Hilfe des Rheotoms und sp\u00e4ter des Kapillarelektrometers ausgef\u00fchrt, dessen Kurven photographisch aufgenommen wurden. Man kann die Protoplasten der reizbaren Zellen, welche durch F\u00e4den (Syndesmien) miteinander verbunden sind, als eine zusammenh\u00e4ngende Protoplasmamasse ansehen, in welcher sich die Bewegung fortpflanzt. Bringen wir nun die Membrantheorie auch hier zur Anwendung, so besitzt jede Zelle ein Membranpotential, welches eine gewisse Wassermenge in derselben festh\u00e4lt. Sinkt dieses Membranpotential bei der Reizung, so wird die erregte Stelle, wie heiderNerven-undMuskelfaser, negativ gegen die ruhende Stelle des Gewebes, und die Folge ist nun ein Austritt des Wassers aus den Zellen in die angrenzenden R\u00e4ume. Diese Wasserbewegung bedarf einer gewissen Zeit, und daher tritt die merkliche Bewegung an der Pflanze viel sp\u00e4ter auf als die elektrische Potentialschwankling.\nDer Hauptversuch von Burdon-Sanderson ist folgender. In Fig. 56 ist die Anordnung desselben schematisch abgebildet. Das ge\u00f6ffnete Blatt der Dionaea ist im Querschnitt dargestellt. Dasselbe ist von jeder Blatth\u00e4lfte zum Galvanometer bzw. zum Kapillarelektrometer abgeleitet. Auf der einen Seite wird an der abgeleiteten Stelle aus der sekund\u00e4ren Spule ein Induktionsschlag zugef\u00fchrt. In der Ruhe ist nur ein schwacher oder gar kein Strom von den symmetrischen Stellen vorhanden. Nach der Reizung wird erst die gereizte Stelle negativ gegen die andere, dann nach einiger Zeit der Fortleitung auf die andere Blatth\u00e4lfte diese Stelle negativ gegen die erste. In Fig. 57 sind die Kurven des Kapillarelektrometers hei der Reizung auf der einen und auf der anderen Seite wiedergegeben. Der Versuch l\u00e4uft im Prinzip ganz ebenso ab wie der bei Ableitung eines Muskels oder Nerven von zwei\nFig. 56.\nVersuch von Burdon-Sanderson am Blatt von Dionaea muscipula.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014\t179\nL\u00e4ngsschnittpunkten nach Beizung mit einem Schlage (s. S. 46). Die Reizleitung in dem reizbaren Gewebe von Zelle zu Zelle findet mit einer verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig geringen Geschwindigkeit statt, welche etwa 200 mm in der Sekunde betr\u00e4gt.\nMan hatte fr\u00fcher wohl daran gedacht, da\u00df diese Str\u00f6me bei Reizbewegungen erst die Folge derWasserverschiebung sein k\u00f6nnten, da bekanntlich nach den Versuchen von Quincke durch Filtration von Wasser durch Diaphragmen und Kapillaren sogenannte Str\u00f6mungstr\u00f6me entstehen (s. oben S. 157). Aber obige Versuche haben bewiesen, da\u00df dies nicht der Fall sein kann, da die Str\u00f6me viel fr\u00fcher auftreten als die Wasserverschiebung und Reizbewegung. Letztere beginnt erst nach 1 Sek., w\u00e4hrend die erste Phase des Aktionsstromes schon 0,04 Sek. nach der Reizung anhebt. Die\nFig. 57.\nKurvendes Kapillarelektrometers im Versuch von Burdon-Sanderson am Blatt der Dionaea. a Reizung auf der einen, 6 auf der anderen Seite, zweipkasige Aktionsstr\u00f6me.\nWasserbewegung kann also erst die Folge derPotential-\u00e4nderungen sein.\nAuch Ruhestr\u00f6me sind an Pflanzen beobachtet worden. Zuerst hat L. Hermann solche Str\u00f6me an verletzten gr\u00fcnen Pflanzenstengeln und Pilzstielen nachgewiesen, deren Querschnitt negativ gegen die L\u00e4ngsoberfl\u00e4che ist. Dieses Verhalten erkl\u00e4rt sich ebenso wie die L\u00e4ngsquerschnittstr\u00f6me der Muskeln und Nerven durch Verletzung der longitudinal geordneten Zellreihen. An unverletzten Pflanzen treten zwischen verschiedenen Teilen schwache Potential-differenzen auf, die ebenso zu deuten sind wie die schwachen Str\u00f6me unverletzter Muskeln. Das Membranpotential ist eben nicht an allen Stellen des zusammenh\u00e4ngenden Zellkomplexes das gleiche. Eine sehr betr\u00e4chtliche Potentialdifferenz bis zu 0,lDaniell ist dagegen an keimenden Pfl\u00e4nzchen (Erbsen, Bohnen) gefunden\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nworden, wenn man von den Wurzeln oder den jungen Bl\u00e4ttchen und den Keimbl\u00e4ttern (Kotyledonen) ableitet (L. Hermann, M\u00fcller-Hettlingen). Die Kotyledonen verhalten sich dabei positiv gegen die \u00fcbrigen Teile.\nEs bedarf weiterer Untersuchungen \u00fcber den Sitz und die Bedeutung dieser Potentialdifferenz. Bemerkenswert ist die Beobachtung, da\u00df, wenn man auf die abgeleitete Wurzelstelle einen Tropfen Wasser bringt, eine starke negative Schwankung1 bis zu 0,04 Daniell eintritt (M\u00fcller-Hettlingen). Dies scheint darauf hinzudeuten, da\u00df die elektrischen Potentiale hier mit der Wasserresorption in den Wurzeln in Beziehung stehen.\nMan wird gegen eine elektroosmotische Kraft der Zellmembranen einwenden, da\u00df man bisher geglaubt hat, in den bekannten Beobachtungen \u00fcber Plasmolyse der Zellen nur mit dem gew\u00f6hnlichen osmotischen Druck derselben zu tun zu haben, und da\u00df bei beginnender Plasmolyse der osmotische Druck der angewendeten Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit gleich dem der Zellfl\u00fcssigkeit sei. Nach unserer Theorie kommt aber zu dem letzteren noch die Kraft des Membranpotentials, hinzu. Es ist (s. S. 166) pi-\\-ic \u2014 pa im Falle des Gleichgewichts. In den bisherigen Versuchen ist es aber nicht m\u00f6glich, die Kraft n von pi zu sondern, und man mi\u00dft durch pa die Summe beider. Es bleibt hiernach selbstverst\u00e4ndlich auch der Satz bestehen, da\u00df alle L\u00f6sungen, welche eben Plasmolyse bewirken, isosmotisch sind. Es k\u00f6nnte auch der Fall gedacht werden, da\u00df zr einen negativen Wert annehme, wenn sich unter Einwirkung gewisser Elektrolyte das Membranpotential umkehrte. Man k\u00f6nnte ferner gegen die elektroosmotische Membrantheorie den Einwand erheben, da\u00df auch an der Muskel-und Nervenfaser bei der Erregung ein Austritt von Wasser stattfinden m\u00fc\u00dfte, w\u00e4hrend man annimmt, da\u00df bei der Kontraktion die Muskelfaser ihr Volumen konstant h\u00e4lt. Indessen die schnellen Potentialschwankungen an den quergestreiften Muskeln und den Nerven k\u00f6nnen einen merkbaren Wasserwechsel nicht herbeif\u00fchren, da sie zu kurze Zeit andauern, bevor noch eine merkliche Wasserbewegung eintreten k\u00f6nnte.\nDa\u00df bei der Kontraktion durch Oxydation Wasser gebildet wird, welches zur Abscheidung gelangen m\u00fc\u00dfte, unterliegt wohl keinem Zweifel. Die Verminderung des Membranpotentials durch vorangegangene Reizung und Erm\u00fcdung w\u00fcrde hierf\u00fcr g\u00fcnstig","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"181\nsein. An sehr langsam reagierenden glatten Muskelfasern k\u00f6nnte auch schon im Verlauf der Potentialschwankling und w\u00e4hrend der Kontraktion eine Wasserausscheidung m\u00f6glicherweise beginnen.\nZehntes Kapitel.\nDie Elektrokinese.\nVerhalten der Kolloide und Zellen im elektrischen Potentialgef\u00e4lle. Die Bewegung der Kernf\u00e4den bei der Zellteilung (Karyokinese) als Elektrokinese.\nWir haben schon oben die Erscheinung der Elektrokinese erw\u00e4hnt (S. 158), welche darin besteht, da\u00df kleine in einer Fl\u00fcssigkeit suspendierte Partikelchen durch den Strom in der Richtung nach der Anode oder der Kathode hin bewegt werden. Diese Vorg\u00e4nge sind physiologisch deshalb von besonderem Interesse, weil man sie nicht nur an toten Partikelchen, wie Kohle, Kaolin, Schwefel, Mastix, St\u00e4rkek\u00f6rnchen usw., ferner an kolloidalen Suspensionen von Metallen und Metalloxyden, sondern auch an organischen Kolloidl\u00f6sungen und schlie\u00dflich an lebenden Zellen, Bakterien, einzelligen Organismen und Zellen h\u00f6herer Organismen beobachtet hat. Endlich findet man auch an mehrzelligen niederen Organismen und Larven von Amphibien und jungen Fischen eine durch den galvanischen Strom hervorgerufene Richtung der Bewegungen vor, welche man Galvanotropismus oder Galvanotaxis genannt hat.\nDie Ursache der Bewegung aller jener K\u00f6rperchen in einem Potentialgef\u00e4lle ist auf ihre elektrische Ladung gegen die Fl\u00fcssigkeit zur\u00fcckzuf\u00fchren, wie schon oben gedeutet. Diese elektrische Ladung kann man bei fester Phase der Partikelchen als Folge eines Adsorptionspotentials auffassen, oder, da es ja auch feste L\u00f6sungen gibt, als die Folge eines Diffusionspotentials. Die letztere Anschauung erscheint namentlich hei solchen suspendierten Teilchen, welche mehr oder weniger Wassermolek\u00fcle binden, wie den Teilchen der Kolloide, sehr plausibel. Bei den Zellen d\u00fcrfen wir, dieser","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182 \u2014\nAnschauung folgend, das osmotische Membranpotential, mit dem wir bisher operiert haben, auch konsequenterweise als die Ursache ihrer elektrischen Ladung ansehen.\nNach der Theorie von Helmholtz l\u00e4\u00dft sich in der Formel von Perrin (S. 159) die Geschwindigkeit it, mit der sich die Teilchen bewegen, berechnen:\ne.H.D\nu =----------,\n4 31 .fj\nworin \u00a3 die Ladung oder das Potential der Teilchen, H das Potentialgef\u00e4lle des zugeleiteten Stromes, D die Dielektrizit\u00e4tskonstante und f) die innere Reibung der Fl\u00fcssigkeit ist. Es kommt, wie man hieraus erkennt und worauf wir schon bei der Elektroosmose hingewiesen haben, wesentlich auf die St\u00e4rke des Potentialgef\u00e4lles 11 an, so da\u00df auch bei kleinen Werten von s betr\u00e4chtliche Wirkungen dadurch erzielt werden k\u00f6nnen.\nDie Kolloide kann man in die Suspensionskolloide und in die hydrophilen Kolloide einteilen J).\nAnorganische Suspensionskolloide sind z. B. die durch gewisse chemische Reaktionen dargestellten Hydroxyde und Sulfide von Schwermetallen, wie Fe(OH)3, Al(OH)3, As2S3, Sb2S3 usw., deren Teilchen als \u201edisperse Phase\u201c in dem Wasser als \u201eDispersionsmittel\u201c schweben. Sie verhalten sich alle \u00e4hnlich den Kohlesuspensionen oder den feinen Suspensionen von edlen Metallen, Gold, Silber, Platin, welche man durch Zerst\u00e4ubung von Elektroden dieser Metalle in Fl\u00fcssigkeiten durch elektrische Schl\u00e4ge als kolloidale Metall\u00f6sungen herstellt (Bredig).\nDie hydrophilen Kolloide sind die eigentlichen Kolloide, von denen die Benennung Kolloid, von Colla (Leim), hergenommen ist. Es sind dies haups\u00e4chlieh die organischen Kolloide : Eiwei\u00dfk\u00f6rper, Leimsubstanzen, Gummi, St\u00e4rke, Lecithine usw., wichtige Bestandteile des Protoplasmas. Aber auch unorganische Kolloide dieser Art gibt es, wie die L\u00f6sungen der Kiesels\u00e4ure. Ihre Teilchen, welche in der Fl\u00fcssigkeit schweben, sind nicht als feste Phase anzusehen, sondern sie enthalten seihst das Dispersionsmittel, das\nl) Siehe hier\u00fcber bei H\u00f6her, Physikal. Chem. d. Zelle u. Gewebe, S. 324.","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014\t183\t\u2014\nWasser. Man kann sie als komplexe Molek\u00fcle betrachten, welche Wassermolek\u00fcle binden.\nln einem Potentialgef\u00e4lle bewegen sich nun die Teilchen der Suspensionskolloide wie der hydrophilen Kolloide je nach ihrer Ladung nach der einen oder anderen Elektrode. Ihre Wanderungsgeschwindigkeit in einem Gef\u00e4lle von 1 Volt auf 1 cm schwankt zwischen 10 bis 40.1Q~8 cm/sec\u20141 und ist daher von derselben Gr\u00f6\u00dfenordnung wie die der meisten Ionen (Na+ = 46.10\u20146, Cl\u2014 = 68.10\u20145). Die Richtung der Bewegung ist von der chemischen Natur des Kolloids abh\u00e4ngig. Die kolloiden Metallhydroxyde von Eisen, Silber, Aluminium, Chrom usw. wandern zur Kathode, ebenso auch kolloide basische Farbstoffe. Dagegen wandern S\u00e4uren, wie Kiesels\u00e4ure, Zinns\u00e4ure, Gerbs\u00e4ure, Mastix, auch S\u00e4urefarbstoffe, zur Anode. Die basischen Stoffe sind also positiv, die sauren dagegen negativ geladen. Die positive Ladung der Basen kann man daraus ableiten, da\u00df aus ihnen ihre negativen HO--Ionen In das Dispersionsmittel hinein dissoziieren, die negative Ladung der S\u00e4uren dagegen daraus, da\u00df dies mit ihren positiven H ! -Ionen geschieht. Auch ist es wahrscheinlich, da\u00df von ihrer Darstellung her bei den Basen geringe Reste von Alkalien, bei den S\u00e4urekolloiden geringe Reste von angewendeten S\u00e4uren den Partikelchen anhaften, welche dieseLadungen verst\u00e4rken.\nWenn man nun zu den Suspensionskolloiden gewisse Elektro-lyte hinzusetzt, welche ihre Ladungen vermindern und schlie\u00dflich umkehren, so vermindert sich zuerst auch die Wanderungsgeschwindigkeit der Partikelchen, es tritt dann ein \u201eisoelektrischer\u201c Zustand ein, bei dem die Geschwindigkeit Null wird, und hei weiterem Zusatz kehrt sich die Bewegung um. In dem isoelektrischen Punkte treten dann Ausf\u00e4llungen, Flockungen der Kolloide auf. Auf dieser Tatsache beruht die elektrische Theorie der Gerinnung und Ausflockung der Kolloide von Hardy. Alle diese Erscheinungen nimmt man auch au den hydrophilen Kolloiden, z. B. den Eiwei\u00dfl\u00f6sungen, wahr. Dies ist von Michaelis und Ron a an dem denaturierten Eiwei\u00df (durch Dialyse salzfrei dargestelltes Eiwei\u00df) durch Zusatz sehr verd\u00fcnnter S\u00e4ure genauer gemessen worden. Bei einer Konzentration von [H+] = 0,3. 10\u20145 (g Ion in 1 Liter) wird dieses Eiwei\u00df isoelektrisch und f\u00e4llt aus.\nl) Siehe H\u00f6her, 1. c., S. 326.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nMan kann daher den Zustand der Suspension in einem Dispersionsmittel, den man auch kurz \u201eSol\u201c genannt hat, sich daraus erkl\u00e4ren, da\u00df die Partikelchen sich verm\u00f6ge ihrer gleichen elektrischen Ladungen gegenseitig absto\u00dfen und dadurch schwebend erhalten (Bredig). Sobald sie aber in dem isoelektrischen Punkt neutral geworden sind, ballen sie sich zu gr\u00f6\u00dferen Aggregaten, Flocken und F\u00e4den' zusammen, indem die Adh\u00e4sionskr\u00e4fte in Wirkung treten, und schlie\u00dflich k\u00f6nnen sie durch diese Aggregierung ein zusammenh\u00e4ngendes Netzwerk von F\u00e4den bilden, welches in den L\u00fccken die Fl\u00fcssigkeit einschlie\u00dft. Diesen letzteren Vorgang nennt man Gelatinierung und Gerinnung, den man am ausgesprochensten bei den Leiml\u00f6sungen, Albuminl\u00f6sungen und am Blute beobachtet. Die geronnene Masse hat man \u201eGel\u201c genannt. An den Suspensionen beobachtet man bekanntlich die Brownsche Molekularbewegung, welche man aus den W\u00e4rmeschwingungen der Fl\u00fcssigkeitsteilchen erkl\u00e4rt hat. Mit Hilfe des Ultramikroskops kann man die kleinsten Teilchen, Mikronen und Submikronen, und ihre Bewegungen beobachten. Werden sie bei der beginnenden F\u00e4llung gr\u00f6\u00dfer, so h\u00f6ren diese Bewegungen auf.\nAuch durch Zusatz von Salzen werden h\u00e4ufig Kolloide aus ihren L\u00f6sungen ausgef\u00e4llt. Dieser Vorgang erkl\u00e4rt sich ebenfalls aus der Neutralisation ihrer elektrischen Ladungen. Die Ionen der Salze diffundieren mit verschiedener Geschwindigkeit in die Kolloidpartikelcben hinein oder werden in verschiedener Menge von ihnen gel\u00f6st (verschiedener Teilungskoeffizient der Ionen oder verschiedener Adsorptionskoeffizient derselben).\nWerden nun die positiven Kolloide von den Anionen, die negativen Kolloide von den Kationen der zugesetzten Elektrolyte neutralisiert, so tritt Ausflockung ein. Diese Voraussetzung best\u00e4tigt sich dadurch, da\u00df ceteris paribus die F\u00e4llungskraft der wirksamen Ionen von ihrer chemischen Wertigkeit abh\u00e4ngt, d. h. von der Anzahl der elektrischen Einheiten, mit denen sie geladen sind (Hardy). Von Freundlich ist ferner nachgewiesen worden, da\u00df neben der Wertigkeit der Ionen die Adsorbierbarkeit derselben einen positiven Einflu\u00df auf die F\u00e4llungskraft aus\u00fcbt. Daraus erkl\u00e4rt es sich, da\u00df unter den einwertigen Ionen besonders die H+-, Ag+-und OH-'-Ionen sich durch F\u00e4llungskraft auszeichnen, da sie eine gro\u00dfe Adsorptionskonstante besitzen. Gut adsorbierbare Ionen k\u00f6nnen schon bei geringer Konzentration den isoelektrisohen Zu-","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"185\nstand und damit Ausf\u00e4llung der Kolloide herbeif\u00fchren. Daher findet man bei gewissen organischen Ionen, z. B. denen des Anilinchlorids, Strychnin-, Morphinchlorids und der Fuchsinverbindungen, starkes F\u00e4llungsverm\u00f6gen vor.\nAn den hydrophilen Kolloiden, z. B. den L\u00f6sungen der Eiwei\u00dfk\u00f6rper, beobachtet man ganz \u00e4hnliche Erscheinungen wie an den Suspensionskolloiden. Die suspendierten Teilchen mu\u00df man sich bei ihnen aber als Molek\u00fcle von gro\u00dfem Volumen und Gewicht, mit Wassermolek\u00fclen vereinigt vorstellen. Die Aufnahme von Ionen der Elektrolyte geschieht in diesen wahrscheinlich weniger durch Adsorption als vielmehr durch Osmose und L\u00f6sung nach gewissen Teilungsverh\u00e4ltnissen. Man konstatiert an den Eiwei\u00dfl\u00f6sungen ebenfalls eine Wanderung der Teilchen nach den Elektroden im Potentialgef\u00e4lle, und zwar wandern dieselben in einer sauren L\u00f6sung zur Kathode, in einer alkalischen L\u00f6sung zur Anode. In der ersteren nehmen die Eiwei\u00dfmolek\u00fcle einen elektropositiven, in der letzteren einen negativen Charakter an. Man denkt sich, da\u00df in der sauren L\u00f6sung die H+-Ionen schneller in das Kolloidmolek\u00fcl eindringen und sich unter gr\u00f6\u00dferem Teilungskoeffizienten darin l\u00f6sen, als die zugeh\u00f6rigen Anionen, und dadurch demselben positive Spannung verleihen, und da\u00df in der alkalischen L\u00f6sung die 0H\u2014-Ionen diese Rolle spielen und den Molek\u00fclen negative Spannung geben. In ganz neutralen Eiwei\u00dfl\u00f6sungen findet keine merkliche Wanderung der Molek\u00fcle statt, auch nicht bei Zusatz von Neutralsalzen der Alkalien (Pauli). Die Ionen derselben werden nicht in merklich verschiedener Menge von den Eiwei\u00dfmolek\u00fclen aufgenommen. Dadurch unterscheiden sich die hydrophilen Kolloide von den Suspensionskolloiden.\nVon Bedeutung f\u00fcr die Theorie der Kolloide ist auch die Tatsache, da\u00df der Zusatz von Nichtelektrolyten, wie Alkoholen, \u00c4ther, Zucker, Glyzerin usw., keinen Einflu\u00df auf die Elektrokinese und die F\u00e4llbarkeit der Kolloide aus\u00fcbt (abgesehen davon, da\u00df Alkohole die Eiwei\u00dfk\u00f6rper \u00fcberhaupt nicht l\u00f6sen).\nWir k\u00f6nnen hier auf die vielen Einzelheiten der physikalischen Chemie der Kolloide nicht n\u00e4her eingehen und verweisen auf die schon oben genannten Werke von H\u00f6her, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, und auf Freundlich, Kapillarchemie, sowie auf P. Eona, Allgemeine Chemie der Eiwei\u00dfk\u00f6rper (Handb-d. Biochemie von Oppenheimer 1908).","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nVon besonderem Interesse f\u00fcr den hier zu behandelnden Gegenstand ist indessen das Verhalten lebender Zellen in Suspensionsmitteln. Solche Beobachtungen hat man an sogenannten Zellsuspensionen angestellt, zu deren Herstellung man namentlich Bakterien und Blutzellen verwendet hat. Diese Zellen wandern unter normalen Bedingungen meist zur Anode, d. h. sie besitzen in der Suspensionsfl\u00fcssigkeit, die gew\u00f6hnlich aus physiologischer CINa-L\u00f6sung besteht, eine negative Ladung. Dies ist durch Versuche an verschiedenen Bakterien (Beckhold u. a.), an Blutk\u00f6rperchen und Hefezellen (H\u00f6her) und auch an Spermatozoen (Lillie) gezeigt worden.\nDieses Verhalten erkl\u00e4rt sich nun befriedigend aus der Membrantheorie, die wir ja auf alle lebenden Zellen zu \u00fcbertragen haben. Von den in ihnen enthaltenen Elektrolyten wird das Kation in st\u00e4rkerem Grade nach au\u00dfen abdissoziiert als das Anion, welches die Zelle negativ ladet. H\u00f6her hat gefunden, da\u00df die gew\u00f6hnlich negativ geladenen Blutk\u00f6rperchen durch kleine Mengen in Verbindungen zugesetzter H+, Ag+, Cu+ + oder Fe+ + +-Ionen umgeladen werden k\u00f6nnen und nun zur Kathode wandern. Ebenso kann man die Zellsuspensionen ausf\u00e4llen durch Zusatz von Elektrolyten, durch welche die Zellen isoelektrisch gemacht werden. Die Zellen senken sich und ballen sich zusammen, ein Vorgang, den man Agglutinierung genannt hat. So kann Bacterium coli (Darmbakterie) durch bestimmte Konzentration von Eisenchlorid ausgef\u00e4llt werden. Aber auch positive Suspensionskolloide, wie Fe(OH3), (\u2019r(OH).i, k\u00f6nnen, in Suspensionen zugesetzt, eine Sedimentierung der Bakterien bewirken.\nAuch an anderen einzelligen Organismen, den Protozoen, hat man galvanotropische Bewegungen beobachtet, z. B. an den Infusorien. Da aber diese mit Gei\u00dfeln und Flimmerhaaren versehen sind und au\u00dferdem differenzierte Teile, wie Mundspalte, Afterspalte usw., besitzen, so erscheint die Wirkung des galvanischen Stromes schon nicht mehr in ihrer ganzen Peripherie als gleichartig nach allen Richtungen hin. Nichtsdestoweniger bewegen sie sich in dem elektrischen Felde nach dem einen oder anderen Pole hin. Besonders an Param\u00e4cien, welche an ihrer ganzen Oberfl\u00e4che mit Flimmerhaaren bedeckt sind, hat man solche Beobachtungen gemacht. Coehn und Barrat (1905) erkl\u00e4ren diese Bewegungen durch Ladungen, welche diese Zellen gegen die umgebende","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"187\nFl\u00fcssigkeit dadurch annehmen, da\u00df ihre H\u00fclle f\u00fcr Anionen (Gl) durchl\u00e4ssiger sei als f\u00fcr Kationen (Na). In verd\u00fcnnten Salzl\u00f6sungen oder Wasser nehmen sie daher positive Ladung an und wandern zur Kathode, in L\u00f6sungen dagegen, welche konzentrierter sind als die tierischen Fl\u00fcssigkeiten, laden sie sich durch Aufnahme von Anionen negativ und wandern daher, wie der Versuch zeigt, zur Anode. Bei einer Grenzkonzentration zwischen 0,01 und 0,1 n-ClNa- oder Bicarbonatl\u00f6sung verhalten sie sich neutral. In Zuckerl\u00f6sungen von gleichem osmotischen Druck wie die Salzl\u00f6sungen wandern sie dagegen immer zur Kathode. Bancroft (1905/06) hingegen sucht die galvanotropischen Bewegungen dieser Organismen auf Reizungen der Flimmerhaare zur\u00fcckzuf\u00fchren, indem er gem\u00e4\u00df dem Pfl\u00fcger sehen Gesetz von der polaren Erregung eine st\u00e4rkere Reizung an der Kathode annimmt. Vielleicht kommen bei diesen Zellen beide Ursachen in Betracht.\nNoch komplizierter gestalten sich jedenfalls die galvanotropischen Bewegungen an Metazoen, den mehrzelligen Organismen, besonders denen von h\u00f6herer Entwickelungsform. Hier haben wir es mit Wirkungen auf die Nervenenden der Haut und bei den Wirbeltieren auch auf die Gleichgewichtsorgane im Ohrlabyrinth zu tun, wodurch komplizierte Reflexaktionen ausgel\u00f6st werden. L. Hermann beobachtete, da\u00df Froschlarven sich im galvanischen Strome mit dem Kopfende nach der Anode einstellen. Dies geschieht auch nach der K\u00f6pfung durch Einwirkung des Stromes auf das R\u00fcckenmark. \u00c4hnlich verhalten sich Fischembryonen.\nUnter den Entwickelungsprozessen ist es der Vorgang der Zell- und Kernteilung, welcher bekanntlich die Grundlage aller Formbildung bei den Organismen ist, den wir hier in den Kreis unserer Betrachtungen einbeziehen wollen. Man hat schon seit l\u00e4ngerer Zeit vermutet, da\u00df bei diesem elektrische Kr\u00e4fte eine Rolle spielen; doch sind bis jetzt nur unbestimmte und vage Anschauungen hier\u00fcber ausgesprochen worden. Bei dem gegenw\u00e4rtigen Stande der elektrischen Theorien \u00fcber die Kolloide, die Zellplasmamembranen und nach der von uns durchgef\u00fchrten elektroosmotischen Membrantheorie lassen sich nun Gesichtspunkte gewinnen, welche, wie mir scheint, zu einer befriedigenden Theorie der Kernf\u00e4denbewegung, der sogenannten Karyokinese, f\u00fchren k\u00f6nnen. Wir wollen im folgenden eine solche Theorie entwickeln, nach welcher die Karyokinese als eine Elektrokinese aufzufassen ist.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nMan ist wohl von allgemein entwickelungsmechanischem Standpunkt aus berechtigt anzunehmen, da\u00df die Vorg\u00e4nge der Zellteilung, welche in so \u00fcbereinstimmender typischer Weise bei jeder Entwickelung von den niedrigsten bis zu den h\u00f6chsten Organismen wiederkehren, noch auf verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig einfachen Komponenten pkysiko-chemischer Natur beruhen. Je komplizierter indes die Organismen sich ausbilden, um so mehr Komponenten dieser Art treten in den Molekularkomplex der lebenden Zellsubstanzen' ein, so da\u00df ihre Zergliederung immer schwieriger wird. F\u00fcr die Karyokinese hat man nun deshalb die Mitwirkung elektrischer oder magnetischer Kr\u00e4fte vermutet, weil dabei im Inneren\nA\tB Kg. 58. C\tJD\nSchema der Kernteilung, A Kernspindel mit \u00c4quatorialplatte; B, Cr B Teilung der Kernschleifen und Bewegung derselben nach den beiden in den Polen der Kernspindel befindlichen Centrosomen.\ndes Protoplasmas gewisse Strablungsfiguren auftreten, welche lebhaft an bekannte elektrische und magnetische Kraftlinien erinnern. Es seien zur Orientierung \u00fcber die zu betrachtenden V\u00f6rg\u00e4nge der Kernteilung der Eizelle die wesentlichen Erscheinungen derselben hier kurz angegeben und durch einige Figuren erl\u00e4utert. Bei der Befruchtung dringt das Spermatozoon in die Eizelle ein, der Kopf, als Kern desselben, vereinigt sich mit dem Eikern, der Faden desselben l\u00f6st sich auf, w\u00e4hrend sich aus dem Mittelst\u00fcck ein kleines K\u00f6rperchen, das Centrosoma, formt, welches dem neuen Eikern anliegt. Dieses teilt sich nun in zwei Controsomen, welche auseinanderr\u00fccken und die Pole einer Strahlungsfigur bilden, die man die Kernspindel genannt hat. In den Fig. 58 sieht man diese Strahlungsfigur w\u00e4hrend der einzelnen Stadien der Kernteilung in der Mitte der Eimasse gezeichnet. Zwischen den Polen der Kernspindel liegt der Eikern. Dieser besteht anfangs aus einem ungeordneten Kn\u00e4uel von F\u00e4den, den Kernf\u00e4den","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"189\noder Chromatosomen, welche sich mit Farbstoffen stark f\u00e4rben. Dieselben ordnen sich nach der Vereinigung des Ei- und Spermakernes in einzelnen gleich langen St\u00fccken in der \u00c4quatorial-platte, Fig. 58 A, an, und jeder Kernfaden spaltet sich der L\u00e4nge nach in zwei F\u00e4den. Nun beginnt die Wanderung derselben, indem die eine H\u00e4lfte auf den Kurven der Kernspindel nach dem einen, die andere H\u00e4lfte nach dem anderen Centrosoma in Gestalt einer haarnadelf\u00f6rmigen Schleife hinr\u00fcckt, wie es die Fig. 58 A bis D angeben. Jeder urspr\u00fcngliche Kernfaden zerf\u00e4llt in zwei, von denen einer nach der einen, der andere nach der anderen Richtung fortbewegt wird. Sind diese Kernf\u00e4den an den Polen der Kernspindel angelangt, so ordnen sie sich dort um das Centrosoma derselben sternf\u00f6rmig an und vereinigen sich hier kn\u00e4uelartig zu dem neuen Kern der beiden Tochterzellen, w\u00e4hrend das Protoplasma der Eizelle sich ebenfalls in zwei H\u00e4lften teilt.\nDie Kernf\u00e4den, welche sich in dem Eikern befinden nnd geteilt haben, sind nun nach unserer Ansicht Gebilde, welche innerhalb des Plasmas, in dem sie liegen, ebenfalls elektrische Spannung annehmen. Man darf dieselben wohl als organisierte Gebilde komplizierter Struktur, vergleichbar den Fibrillen der Muskel- und Nervenfaser und zusammengesetzt aus mannigfachen Kolloiden im Gelzustande, ansehen. Man darf ferner voraussetzen, da\u00df Kat- und Anionen der Elektrolyts des Plasmas von ihnen in verschiedenem Grade aufgenommen werden, sei es durch Osmose oder Adsorption, oder da\u00df in ihrem Inneren befindliche Ionen in verschiedenem Grade nach au\u00dfen in das Plasma abdissoziiert werden. Infolgedessen m\u00fcssen sie eine elektrische Spannung gegen das umgehende Plasma erhalten, \u00e4hnlich wie es bei der Nerven- und Muskelfaser, bei Zellen in der Ern\u00e4hrungsfl\u00fcssigkeit oder hei den Kolloidpartikelchen in einer Fl\u00fcssigkeit der Fall ist. Nach der Membrantheorie dringt das positive Ion eines Elektrolyten des Plasmas schneller, das negative dagegen sehr viel langsamer durch die semipermeable Membran der Zelle nach au\u00dfen. Erteilen wir auch den Kernf\u00e4den der Eizelle eine solche semipermeable Membran von \u00e4hnlicher Beschaffenheit und nehmen auch an, da\u00df das negative Ion des Plasmaelektrolyten schwer oder gar nicht, dagegen das positive Ion desselben leicht eindringen kann, so w\u00fcrden die Kernf\u00e4den gegen das Plasma positive Spannung annehmen. Es steht nat\u00fcrlich auch der Voraussetzung nichts im Wege, da\u00df die Kern-","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nfaden einen besonderen Elektrolyten enthalten, dessen negatives Ion mit viel gr\u00f6\u00dferer Geschwindigkeit nach au\u00dfen diffundiert als das positive. Derselbe k\u00f6nnte seiner chemischen Natur nach zu den Basen geh\u00f6ren, da deren 0H\u2014 -Ion die gr\u00f6\u00dfere Wanderungsgeschwindigkeit besitzt, w\u00e4hrend wir f\u00fcr das Zellplasma als wirksamen Elektrolyten eine S\u00e4ure oder ein saures Salz (z. B. K2HP04) vermutet haben.\nEs kann nun ferner wohl als sicher angenommen werden, da\u00df wir den eindringenden Spermakern und ganz besonders das sich vom Spermatozoon absondernde Centrosoma bei der Befruchtung und Zellteilung als ein Zentrum lebhafter chemischer Aktion betrachten k\u00f6nnen. Es liegt nicht fern, dieses nach unseren heutigen Kenntnissen als ein gewisse Fermente enthaltendes K\u00f6rperchen besonderer Art anzusehen, welches geeignet ist, in dem umgebenden Protoplasma Spaltungs- und Oxydationsprozesse zu veranlassen. Durch die Vereinigung des Ei- und Spermakernes werden dagegen, wie es scheint, Prozesse mehr entgegengesetzter Natur, d. h. Assimilations- und Wachstumsprozesse angeregt, welche ebenfalls durch gewisse Fermente anderer Art im Spermakern hervorgerufen sein m\u00f6gen und sich durch die Spaltung der Kernf\u00e4den kundgeben.\nDas Auseinanderr\u00fccken der beiden durch Teilung entstandenen Centrosomen mag schon ein Vorgang elektrokinetischer Natur sein. Wir denken uns zu diesem Ende, da\u00df sich die beiden Centrosomen wie zwei Kolloidk\u00f6rperchen gleicher elektrischer Ladung verhalten und sich gegenseitig absto\u00dfen. Eine solche Ladung kann dadurch entstehen, da\u00df sie Ionen der Elektrolyte des Plasmas in verschiedenem Grade l\u00f6sen oder adsorbieren. Nachdem sie nun ihre Lage zu beiden Seiten des Eikernes eingenommen haben, bilden sie jedej-seits in dem Plasma ein Zentrum eines osmotischen Druckgef\u00e4lles, in welchem sich nach allen Richtungen hin die Molek\u00fcle und Ionen der entstehenden Spaltungs- und Oxydationsprodukte bewegen. Zu diesen k\u00f6nnen wir die Aminos\u00e4uren, welche aus der Spaltung der Eiwei\u00dfe hervorgehen, ferner die Fetts\u00e4uren aus der Spaltung der Fette und Kohlehydrate und endlich die entstehende Kohlens\u00e4ure rechnen. Das Druckgef\u00e4lle mu\u00df sich so gestalten, wie es die entstehenden Strahlungsfiguren angeben. Zwei Maxima desselben liegen in den beiden Centrosomen, zwischen ihnen liegt ein Minimum in dem die \u00c4quatorialplatte bildenden Eikern, und nach der Peripiherie der Eizelle hin f\u00e4llt der osmotische Druck","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"191\nnach allen Richtungen hin ebenfalls ab. In einem solchen osmotischen Druckgef\u00e4lle von K\u00f6rpern, welche als S\u00e4uren mehr oder weniger stark elektrolytisch dissoziiert sind, entsteht nun bekanntlich wie in einem Diffusionszylinder eines Elektrolyten (s. S. 33, Fig. 10) ein elektrisches Potentialgef\u00e4lle, welches ganz denselben Kurvenverlauf besitzt wie das osmotische. Betrachten wir die entstehenden S\u00e4uren als die wirksamen Elektrolyte, so wandern ihre H+ -Kationen schneller als ihre Anionen, und die Centrosomen nehmen ein Maximum negativer Spannung an, welches nach der \u00c4quatorialplatte und nach der Peripherie in Gestalt der Strahlungsfigur abf\u00e4llt. . Man kann daher in der \u00fcblichen Bezeichnung der Potentiallehre die \u00c4quatorialplatte des Eikernes und die Zellperipherie als Senken und die beiden Centrosomen als Quellen eines negativ elektrischen Potentialfeldes bezeichnen.\nSind nun die elektrischen Ladungen zwischen Centrosomen, Plasma und Kernf\u00e4den in der angenommenen Weise verteilt, so mu\u00df eine elektrokinetische Bewegung der letzteren in der Weise stattfinden, da\u00df sie, wie es der Fall ist, auf den Kurven der Kernspindel, welche das osmotische und elektrischePotentialgef\u00e4lle angeben, von der \u00c4quatorialplatte nach den Centrosomen hin vorw\u00e4rts r\u00fccken. Es ist in dem Ei nicht etwa ein Leitungsstrom als Ursache dieser Bewegung vorhanden, sondern es entsteht in demselben ein Konvektionsstrom, indem die Kernf\u00e4den positive Elektrizit\u00e4t von der \u00c4quatorialplatte nach den Centrosomen transportieren.\nFig. 59 soll ein Bild dieser Bewegung infolge der Verteilung der elektrischen Spannungen geben. In den beiden Centrosomen herrsche das Maximum des osmotischen Druckes und der Elektrolytkonzentration C, in der \u00c4quatorialplatte dagegen sei dieser Wert c. Nach CC ist daher der negative und nach ccc der positive Pol des entstehenden Konvektionstromes zu verlegen, wie die Zeichen angehen. Die Kernf\u00e4den, in der Mitte ihres Weges befindlich, dargestellt, werden verm\u00f6ge ihrer positiven Ladung nach CG hingetrieben. Sie geben die negative Ladung der betreffenden Anionen an die positive Elektrizit\u00e4t der \u00c4quatorialplatte ab und leiten ihre positive Elektrizit\u00e4t der negativen der Centrosomen zu.\nWir k\u00f6nnen noch folgendes zugunsten dieser Theorie anf\u00fchren. Die schleifen- oder haarnadelf\u00f6rmige Gestalt der Kern-","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nf\u00e4den und das Vorangehen der Umbiegestelle bei der Bewegung ist, soviel ich wei\u00df, bis jetzt noch keiner mechanischen Betrachtung unterzogen worden. Aus dieser Tatsache geht aber klar hervor, da\u00df die bewegende Kraft in ihrer Mitte am gr\u00f6\u00dften sein mu\u00df und nach den beiden Enden hin abnimmt.\nBewegen wir einen biegsamen Faden in einer Fl\u00fcssigkeit, indem wir ihn in seiner Mitte mit einem Stabe vorw\u00e4rts f\u00fchren, so nimmt er bekanntlich infolge der Beibung eine solche Schleifenform an.\nDie Kraft der elektrokinetischen Bewegung ist nun aber nach Formel (19) (S. 159) ebenfalls wie die Geschwindigkeit proportional der Ladung \u00a3, da die Beschleunigung in jedem Moment\nFig. 59.\nElektrokinese der Kernf\u00e4den im Potentialgef\u00e4lle.\ndurch die Reibung aufgehoben wird. Diese Ladung wird aber in den Kernf\u00e4den ein Maximum in ihrer Mitte haben, \u00e4hnlich wie an Nerven- und Muskelfasern die st\u00e4rkste positive Spannung in ihrer Mitte (\u00c4quator s. S. 6) herrscht; denn wir k\u00f6nnen ihre Membran und Substanz an den nat\u00fcrlichen Querschnittsenden in st\u00e4rkerer Ver\u00e4nderung begriffen ansehen, wodurch die Gr\u00f6\u00dfe \u00a3 von der Mitte nach den Enden hin abnimmt. Diese Unterschiede brauchen nur sehr gering zu sein, wie wir sie an den unverletzten Muskeln gew\u00f6hnlich vorfinden, (s. S. 9)1).\n*) Um der aufgestellten Theorie eine experimentelle St\u00fctze zu gehen, habe ich den Plan, feine kurze Nervenf\u00e4den in einer geeigneten Fl\u00fcssigkeit (Serum, Eiwei\u00dfkochsalzl\u00f6sung) zu suspendieren und in ein starkes Potentialgef\u00e4lle zu bringen. Nach der Membrantheorie w\u00e4re","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"193\nDieser Proze\u00df der Kernteilung wiederholt sich bei den weiteren Zellteilungen w\u00e4hrend der Entwickelung sowohl als auch beim Wachsen der Gewebe in analoger Weise. Es sei noch bemerkt, da\u00df sich auch schon beim Einr\u00fccken des Spermakernes und nach Vereinigung desselben mit dem Eikern von diesen aus eine radi\u00e4re Strahlung entwickelt, welche bis an die Peripherie der Eizelle hinreicht.\nEs soll nun hier keineswegs eine vollst\u00e4ndige Theorie der Kern- und Zellteilung gegeben werden. Es sollen vielmehr gewisse Vorbedingungen f\u00fcr den Vorgang der Karyokinese, d. h. der Bewegung der durch Teilung gebildeten Kernf\u00e4den nach den beiden Centrosomen, als zun\u00e4chst unerkl\u00e4rte Zellprozesse vorausgesetzt werden, und es soll nur versucht werden, diesen Bewegungsvorgang als eine Elektrokinese zu deuten.\nAuch schon in der \u00c4quatorialplatte stellen sich die Kernf\u00e4den (s. Fig. 58 A), in Schleifenform geordnet, in der \u00c4quatorialebene ein. Das ist darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, da\u00df auch von der \u00c4quatorialplatte aus Potentiallinien nach der Peripherie der Zelle hinziehen, welche in der \u00c4quatorialebene das st\u00e4rkste Gef\u00e4lle haben. Daher ordnen sich die Kernf\u00e4den in dieser Ebene nach dem Mittelpunkt derselben gerichtet an, und nachdem sie sich geteilt und durch gleichartige Ladung paarweise gegenseitig abgesto\u00dfen haben, wenden sie sich den nach den Centrosomen hin gerichteten Potentiallinien zu.\nEbenso haben wir die in dem Protoplasma des Eies und in der Kernspindel auftretende Strahlung, welche aus Beihen von K\u00f6rnchen besteht und uns den Verlauf der Potentialkurven sichtbar angibt, als eine Folge des Potentialgef\u00e4lles anzusehen. Diese K\u00f6rnchen, aus kleineren oder gr\u00f6\u00dferen Aggregaten von Kolloidpartikelchen bestehend, werden ebenfalls eine elektrische Spannung gegen die Plasmafl\u00fcssigkeit annehmen, und wenn sie auch bei zu geringer Ladung und erheblicher Reibung nicht merklich bewegt werden, so erhalten sie doch infolge dieser Wirkung eine gerichtete Anordnung in den Potentialkurven des osmotischen und elektrischen Druckgef\u00e4lles. Vielleicht bewegen sich die einen von ihnen nach der Anode, die anderen nach der Kathode, wodurch ein scheinbarer Stillstand eintritt.\nzu erwarten, da\u00df sie sich nach der Anode hin bewegten, vielleicht auch in Schleifenform. Die feinen Nerven\u00e4stchen der R\u00fcckenhaut des Frosches w\u00fcrden sich zu diesem Versuch gut eignen.\nBernstein, Elektrobiologie.\nIS","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nDie Kraft und Geschwindigkeit, mit welcher die Fortf\u00fchrung der Kernf\u00e4den erfolgt, ist nach Formel (18) und (19) wesentlich von dem Potentialgef\u00e4lle H abh\u00e4ngig. Dasselbe mu\u00df aber auch in diesem Falle selbst bei verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig geringen Werten der Potentialdifferenz zwischen Centrosomen und \u00c4quatorialplatte wegen der geringen Entfernung beider voneinander ein betr\u00e4chtliches sein. Ebenso braucht die Ladung \u00a3 der Kernf\u00e4den keine gro\u00dfe zu sein. Beide Gr\u00f6\u00dfen k\u00f6nnen innerhalb derjenigen Grenzen liegen, welche wir sonst an Zellen beobachten. Wenn wir daher f\u00fcr diese Potentiale die Werte des Membranpotentials der Muskeln oder Dr\u00fcsen von 0,08 bis 0,1 Volt annehmen, und bei einigen Eiern die Entfernung der \u00c4quatorialplatte von den Centrosomen messen, so h\u00e4tten wir in der Formel\na.H.D\nU = \u2014;------\n4 % rj\nZahlenwerte f\u00fcr H. und \u00a3 gewonnen, und wenn wir f\u00fcr die Dielektrizit\u00e4tskonstante D und innere Reibung 7] gewisse Werte als angen\u00e4herte einsetzen, so w\u00fcrden wir f\u00fcr u einen Wert erhalten, den wir mit der beobachteten Geschwindigkeit der Kernf\u00e4den vergleichen k\u00f6nnten.\nEine genauere Berechnung dieser Art l\u00e4\u00dft sich vorl\u00e4ufig aus Mangel an Daten \u00fcber die Entfernung der Centrosomen voneinander im Beginn der Kernteilung und \u00fcber die Geschwindigkeit der Kernf\u00e4den nicht ausf\u00fchren. Doch m\u00f6chte ich nicht unterlassen, aus einigen in der Literatur gefundenen Angaben dar\u00fcber eine ungef\u00e4hre Berechnung anzustellen. F\u00fcr die Zeit von der Befruchtung bis zur Vereinigung des Spermakernes mit dem Eikern am Seeigelei finde ich bei 0. Hertwig1) einen Wert von 15 Minuten angegeben, ferner f\u00fcr die Zeit von der Befruchtung* bis zum Beginn der ersten Teilung (bzw. bis zum Hantelstadium des Kernes) in zwei F\u00e4llen 75 Minuten. Ziehen wir also von. letzterer Zeit die 15 Minuten f\u00fcr die Vereinigung der Kerne ab, so wollen wir f\u00fcr die Zeit, in welcher sich die Kernf\u00e4den von der \u00c4quatorialplatte nach den beiden Centrosomen bewegen, 60 Minuten annehmen. F\u00fcr den Abstand der beiden Centrosomen von der \u00c4quatorialplatte m\u00f6chte ich nur sch\u00e4tzungsweise \u2014 denn ich\n') Untersuchungen z. Morphol. u. Physiol, der Zelle 1887, Heft 5, S. 45 u. 83.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"195\nhabe in der Literatur bisher keine Messungen \u00fcber diese Gr\u00f6\u00dfe finden k\u00f6nnen \u2014 0,01 cm ansetzen, und icb glaube, da\u00df selbst in gro\u00dfen Eiern von Wirbeltieren diese Entfernung \u00fcber einen \u00e4hnlichen Wert nicht wesentlich hinausgehen wird. Nach diesen Annahmen w\u00fcrde die Geschwindigkeit der Kernf\u00e4den hei der Karyo-kinese etwa 3.10\u201c6 cm/sec'1 betragen.\nUm nun nach der Formel\ne.H.D U = sy \u00ab _\n4 %. )j\neine Berechnung anstellen zu k\u00f6nnen, wollen wir f\u00fcr die Ladung. 6 der Kernf\u00e4den 0,1 Volt annehmen; in mechanischem Ma\u00dfe ausgedr\u00fcckt w\u00e4re demnach\n\u00a3 = 3Mcml/2'gl/!'sec_1'\nDas Potentialgef\u00e4lle H in absolutem Ma\u00dfe w\u00e4re hiernach gleich\n1\n3000.0,01\ncm\u201c1/2g1/2 sec\u201c'.\nF\u00fcr die Dielektrizit\u00e4tskonstante D des Eiprotoplasmas k\u00f6nnen wir leider einen Wert nicht angeben; aber es wird erlaubt sein, statt derselben diejenige des Wassers gleich 80 anzunehmen.\nSetzt man endlich f\u00fcr die Reibungskonstante 7j einen Wert, welcher etwa zehnmal gr\u00f6\u00dfer genommen werden mag als der, welchen H\u00fcrthle f\u00fcr das Blut gleich 5 gefunden hat, so w\u00e4re in diesem Falle\n= 50 cm\u201c1. g. sec\u201c1.\nMan erh\u00e4lt hiernach:\nu = 1,5.10\u201c6 cm . sec\u201c1.\nDie \u00dcbereinstimmung des beobachteten und elektrokinetisch berechneten Wertes der Geschwindigkeit der Kernf\u00e4den bei der Karyokinese ist der Gr\u00f6\u00dfenordnung nach eine so befriedigende, da\u00df man in dieser eine gute St\u00fctze der aufgestellten Theorie erblicken darf. Die angenommenen Werte f\u00fcr die Dielektrizit\u00e4tskonstante und die innere Reibung des Eiplasmas k\u00f6nnten vielleicht als sehr willk\u00fcrlich erscheinen ; sie haben aber auf das Resultat keinen sehr gro\u00dfen Einflu\u00df, denn selbst wenn man sie\n*) Siehe Landolt u. B\u00f6rnstein, Tabellen usw.\ndillu .\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nzwischen 1 und den oben angenommenen Werten beliebig variieren lie\u00dfe, so w\u00fcrden die berechneten Geschwindigkeiten doch nur zwischen den Grenzen von 18.10-7 und 7.10~5 cm . sec-1 schwanken.\nDie wesentliche Bedeutung dieses Resultates besteht eben darin, da\u00df die Geschwindigkeit der Kernf\u00e4den der Gr\u00f6\u00dfenordnung nach den Geschwindigkeiten, welche die Kolloide in einem Potentialgef\u00e4lle von derselben Gr\u00f6\u00dfe zeigen w\u00fcrden, sehr nahe steht. Letztere Geschwindigkeiten (s. S. 183) hat man in einem Potentialgef\u00e4lle von 1 Volt pro Zentimeter zu etwa 10 bis 40.10\u20145 cm/sec\u20141 gefunden, also w\u00fcrde sie in einem Potentialgef\u00e4lle von 0,1 Volt pro 0,01 cm, wie wir es in der Eizelle angenommen haben, 1 bis 4.10\u201c3 cm . sec-1 betragen. Da\u00df die gefundenen und berechneten Geschwindigkeiten der Kernf\u00e4den etwa um das Zehnfache kleiner (1,5 und 3 . 10\u20146 cm/sec\u2014x) erscheinen, kann auf Rechnung der starken inneren Reibung im Ei gesetzt werden.\nSoweit w\u00e4re es gelungen, einen in allen Eizellen von den niedrigsten bis zu den h\u00f6chsten Organismen der Tier- und Pflanzenwelt in typischer Weise wiederkehrenden Proze\u00df in der Kern- und Zellteilung auf eine physiko - chemische Basis zu stellen. Schon oben ist betont, da\u00df dies freilich nur ein Teil des Gesamtprozesses ist, welchen die Zellteilung darstellt. Dieser Teil bezieht sich nur auf die Bewegung der Kernf\u00e4den von dem Orte ihrer Bildung, der Aquatorialplatte, welche aus den vereinigten Ei- und Spermakernen hervorgeht, nach den Centrosomen, die sich in gewisser Entfernung von derselben zu beiden Seiten eingestellt haben, auf dem Wege der Kernspindelstrahlen. Alle \u00fcbrigen vorausgehenden wie nachfolgenden Vorg\u00e4nge im Kern wie in der ganzen Eizelle harren weiterer Erkl\u00e4rung in physiko-chemischer Richtung. Doch scheint mir f\u00fcr eine solche Forschung das erhaltene Resultat nicht ohne Bedeutung.\nZusammenfassung und Sehlu\u00dfbetraehtung.\nWerfen wir einen R\u00fcckblick auf das gesamte, in den vorangegangenen Kapiteln behandelte Gebiet, so m\u00fcssen wir nach den gewonnenen Resultaten dem ganzen Stoff eine andere Anordnung geben als diejenige, in welcher wir schrittweise vorgegangen sind.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"197\nNach ihrer historischen Entwickelung mu\u00dfte die Untersuchung von den elektrischen Str\u00f6men der Muskeln und Nerven ausgehen. Nachdem aber die physiko - chemische Forschung im Gebiete der Elektroosmose und Elektrokinese zu den elektrischen Eigenschaften der Kolloide und denen der in Fl\u00fcssigkeiten suspendierten Zellen vorgeschritten war, und nachdem sich durch Aufstellung einer Membrantheorie der Zellen alle behandelten Erscheinungen unter gemeinsame Gesichtspunkte zusammenfassen lie\u00dfen, erscheint es nunmehr gerechtfertigt, auch in der Darstellung des ganzen Gebietes nach physiko-chemischen Prinzipien und auch nach biologischen Prinzipien vom Einfacheren zum Komplizierteren vorzugehen.\nStellt man sich auf den Standpunkt einer Entwickelungslehre, welche den \u00dcbergang von der leblosen zur lebenden Natur zu ergr\u00fcnden sucht, so wird man geneigt sein, den Ursprung der bioelebtrischen Erscheinungen in den elektrischen Eigenschaften der Kolloide zu suchen, die ja einen wesentlichen Bestandteil der lebenden Substanz der Organismen bilden.\nDie elektrischen Eigenschaften der Kolloide spielen bekanntlich in dem gro\u00dfen Gebiete der Kolloidchemie eine wesentliche Rolle. Wie im letzten Kapitel berichtet, laden sich bei Gegenwart von Elektrolyten die Kolloidmolek\u00fcle und ihre Komplexe (Snbmikronen, Mikronen) in ihren Suspensionsfl\u00fcssigkeiten elektrisch, entweder positiv oder negativ, indem sie entweder positive oder negative Ionen st\u00e4rker binden, sei es durch Diffusion oder Adsorption derselben. Infolgedessen wandern die Kolloidmolek\u00fcle und -partikelchen in einem Potentialgef\u00e4lle zur Anode oder Kathode des zugeleiteten Stromes; es tritt eine Elektrokinese auf. Die F\u00e4llungen, Ausflockungen und Gelatinierungen von Kolloidl\u00f6sungen hat man auf die elektrischen Ladungen der Molek\u00fcle zur\u00fcckgef\u00fchrt, indem man gezeigt hat, da\u00df sie bei diesen Vorg\u00e4ngen elektrisch neutral werden (isoelektrischer Punkt s. S. 183).\nDie Erscheinungen der Elektrokinese haben sich nun auch an vielen niederen einzelligen Mikroorganismen nachweisen lassen und ebenso an freien Zellen h\u00f6herer Organismen (s. S. 186). Man mu\u00df daraus schlie\u00dfen, da\u00df diese Zellen sich ebenfalls in einer Fl\u00fcssigkeit, in der sie suspendiert sind, elektrisch laden, indem sie die An- und Kationen der in der Fl\u00fcssigkeit oder in ihrem Inneren enthaltenen Elektrolyte in verschieden starkem Grade durch Diffusion oder Adsorption binden. Es ist daher sehr wahr-","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nscheinlich, da\u00df die elektrischen Eigenschaften der Kolloide, aus denen die lebende Substanz der Zellen haupts\u00e4chlich zusammengesetzt ist, auch die Ursache dieses merkw\u00fcrdigen Verhaltens der Zellen im elektrischen Potentialgef\u00e4lle sind.\nDie bekannten Untersuchungen \u00fcber den osmotischen Druck haben nun zu der \u00dcberzeugung gef\u00fchrt, da\u00df die lebenden Zellen mit einer semipermeabeln Plasmamembran ausgestattet sind, welche den Ein- und Austritt von Molek\u00fclen und Ionen verschiedener gel\u00f6ster Stoffe und des Wassers reguliert. Da diese Plasmamembran im wesentlichen aus kolloiden K\u00f6rpern zusammengesetzt ist, so ist anzunehmen, da\u00df ihre Eigenschaften auf denen der Kolloide beruhen. Wir k\u00f6nnen allerdings bis jetzt nicht angeben, welche Konstitution diese Membranen im lebenden Zustande der Zellen haben und wie sie sich von den toten Membranen und den Kolloidk\u00f6rpern in ihrer Konstitution unterscheiden. Aber die Beobachtung hat ergeben, da\u00df man sie als Diaphragmen ansehen darf, welche gewisse Molek\u00fcle und Ionen von Elektrolyten durchtreten lassen, andere dagegen nicht (s. S. 88).\nDie bioelektrischen Erscheinungen k\u00f6nnen daher auf das Vorhandensein einer Plasmamembran der Zellen zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, welche f\u00fcr die Anionen und Kationen der Elektrolyte im Inneren der Zellen oder in der Au\u00dfenfl\u00fcssigkeit verschiedene Permeabilit\u00e4t, oder verschiedenes Adsorptions- bzw. L\u00f6sungsverm\u00f6gen besitzt. Diese Annahme bildet die Grundlage der von uns ausf\u00fchrlich dargestellten Membrantheorie (s. 5. Kap.).\nVom genetischen Standpunkte aus darf man sich daher vor-Btellen, da\u00df die Entstehung elektrischer Eigenschaften mit der Bildung organisierter lebender Substanz aus dem leblosen Material bereits begonnen hat. Inwieweit sich solche Eigenschaften an formloser lebender Masse, wie z. B. an den Plasmodien der Schleimpilze, werden nachweisen lassen, mag der Untersuchung noch Vorbehalten bleiben. Die in Zellen geformte lebende Substanz hat diese Eigenschaften zu h\u00f6herer Entwickelung gef\u00fchrt, und so sehen wir, da\u00df mit der Differenzierung der Zellen bei h\u00f6herer Entwickelung der Organismen die elektrischen Eigenschaften der Zellen und Organe immer deutlicher in ihrer Beziehung zu den Funktionen derselben zum Vorschein kommen. Das elektrische Potential einer Plasmamembran erzeugt daher in Zellen verschiedener Funktion entsprechende Wirkungen.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"199\nDie Grundbedeutung des Membranpotentials der Zellen haben wir nun (s. 9. Kap.) darin gefunden, da\u00df es neben dem osmotischen Druck des Zellinhaltes den Wassergehalt der Zelle reguliert.\nEs ist eine fundamentale Eigenschaft der lebenden Gewebe, soweit wir sie bisher haben untersuchen k\u00f6nnen (\u00e4u\u00dfere Haut, Muskel, Pflanzenbl\u00e4tter), also auch ihrer Zellen, da\u00df sie das in der Zellfl\u00fcssigkeit befindliche Wasser fester binden als im toten Zustande, und diese Eigenschaft haben wir verm\u00f6ge der Elektro-osmose aus dem Membranpotential der Zellen hergeleitet.\nDa man annehmen darf, da\u00df sich die ersten einzelligen Organismen in dem Mperwasser gebildet haben, welches einen hohen osmotischen Druck infolge seines Salzgehaltes besitzt, so mu\u00df die Wirkung des Membranpotentials bei diesen von vornherein eine gro\u00dfe Bedeutung f\u00fcr die Stoffwechselvorg\u00e4nge gewonnen haben. Diese Eigenschaft der Zellmembranen hat sich bei der phylogenetischen Entwickelung der Organismen weiter vererbt und mannigfaltig modifiziert. Die Semipermeabilit\u00e4t der Zellmembranen, verm\u00f6ge deren sie je nach ihrer Konstitution eine gleichsam ausw\u00e4hlende Durchl\u00e4ssigkeit und Undurchl\u00e4ssigkeit f\u00fcr gewisse Molek\u00fcle von Nichtelektrolyten, Elektrolyten und deren Ionen erhalten, wird neben dem Membranpotential einen gro\u00dfen Einflu\u00df auf die inneren chemischen Prozesse des Stoffwechsels und den damit verkn\u00fcpften Energiewechsel aus\u00fcben m\u00fcssen. Da\u00df daher auch bei der Weiterentwickelung der Organismen des Tier- und Pflanzenreiches in dem s\u00fc\u00dfen Wasser der Erdoberfl\u00e4che und auf dem Lande das urspr\u00fcnglich im Meerwasser entstandene Membranpotential der Zellen eine wesentliche Rolle im Leben derselben und der Organe spielt, wird einleuchten.\nBei den einfachsten mehrzelligen Organismen, bei denen noch keine Differenzierung der Zellen erfolgt ist, kann auch das Membranpotential keine weitere Bedeutung als die der Wasserregulierung gewonnen haben. Sobald aber eine Differenzierung der Zellen und damit auch eine Arbeitsteilung in ihrer Funktion eingetreten ist, wird damit auch eine Ursache f\u00fcr die Ab\u00e4nderung ihrer elektrischen Beschaffenheit gegeben sein. Bei den einfachsten tierischen Metazoen (mehrzellige Tiere) finden wir bekanntlich in der Gastrula-form eine Scheidung in die zwei Keimbl\u00e4tter, das Ektoderm und Entoderm, vor, deren Zellen verschiedene Funktion besitzen. Auf","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\ndieser Entwickelungsstufe sind in dem Entoderm zuerst Sekretionszellen entstanden, welche Sekrete zum Zwecke der Verdauung erzeugt haben, und daher darf man sich auch vorstellen, da\u00df bei dieser Differenzierung in bezug auf Form und Funktion die Plasmamembran sich gewandelt hat. Wir haben oben (8. Kapitel) die Sekretionszellen als solche Zellen angesehen, bei denen durch die chemischen Ver\u00e4nderungen im Inneren die Plasmahaut an der \u00e4u\u00dferen sezernierenden Seite bei der Sekretion zerst\u00f6rt wird. Infolgedessen erzeugen sie eine Potentialdifferenz zwischen der \u00e4u\u00dferen und inneren Fl\u00e4che einer sezernierenden Haut (Schleimhaut oder \u00e4u\u00dferer Haut). Das Membranpotential der inneren Seite der Zell en erzeugt nach der oben aufgestellten Theorie eine Wasser treibende Kraft, welche bei der Sekreti on zur Wirkung kommt.\nEbenso m\u00f6gen auch bei der Entwickelung niederster Metazoen Resorptionszellen in dem Entoderm entstanden sein, bei deren T\u00e4tigkeit auch das Membranpotential zur F\u00f6rderung des Fl\u00fcssigkeitsstromes in die Gewebe beizutragen begonnen hatte, und die sich bei weiterer h\u00f6herer Entwickelung der Organisation in die spezifischen Resorptionszellen der Darmschleimhaut und ihrer Zotten umgebildet haben. F\u00fcr diese Zellen haben wir nach der aufgestellten Theorie das Membraopotential der \u00e4u\u00dferen resorbierenden Seite derselben als Quelle einer Wasser treibenden Kraft vermutet.\nWas wir hier von den Zellen der tierischen Organismen in bezug auf die Bedeutung des Membranpotentials gesagt haben, k\u00f6nnen wir auch auf die Zellen der pflanzlichen Organismen \u00fcbertragen. Die einzelligen Pflanz en, zu denen man die Bakterien rechnet, sind den Protozoen in ihren wesentlichen physiologischen Eigenschaften gleich. An diesen sind ja namentlich die Erscheinungen der Elektrokinese festgestellt worden. Sie besitzen also nach unserer Theorie ein Membranpotential. Die physiologische Bedeutung desselben werden wir nach unserer Auffassung auch in der Regulierung des Wassergehaltes zu suchen haben. Die Festhaltung von Wasser in den Keimen und Sporen von Pilzen auch im lufttrockenen Zustande scheint mir f\u00fcr die Erhaltung der Keimf\u00e4higkeit von besonderer Wichtigkeit zu sein. Bei den aus der phylogenetischen Entwickelungsreihe hervorgegangenen mehrzelligen Pflanzen ist das Membranpotential der Zellen bei","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"201\nder Differenzierung derselben und ihrer Funktionen zu \u00e4hnlicher\nBedeutung gelangt wie hei den tierischen Organismen. Es ist mir freilich noch nicht m\u00f6glich, nach den gegebenen Tatsachen \u00fcber die Wasserbewegung in den Pflanzen diese Bedeutung im allgemeinen und speziellen an den verschiedenen Pflanzenorganen nachzuweisen. Hierzu w\u00e4ren besondere Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand erforderlich. Indessen sind ja bekanntlich die entwickelteren Pflanzen auch mit Dr\u00fcsen ausgestattet, welche Wasser, Zucker und sogar Yerdauungsferinente (s. Dionaea, S. 176) ausscheiden. Das wichtigste Eesorptionsorgan der h\u00f6heren Pflanze, die Wurzel, hat aber die Aufgabe, das Wasser aus dem Boden aufzusaugen und den \u00fcbrigen Organen zuzutreiben. Es ist bisher noch nicht gelungen, die Vorg\u00e4nge der Wasserbewegung in der Pflanze aus den Gesetzen des osmotischen Druckes und der Kapillarit\u00e4t allein zu erkl\u00e4ren (s. Pfeffer, Pflanzenphysiologie I, Kap. VI), wie man dies eine Zeitlang geglaubt hatte. Da liegt es sehr nahe, zu vermuten, da\u00df es elektrische Potentiale sind, welche sich zu der osmotischen Energie hinzugesellen, um das Wasser bis in die Spitzen der h\u00f6chsten B\u00e4ume zu treiben. Die Untersuchungen \u00fcber das Bluten der Pflanzen, das besonders stark im Fr\u00fchjahr beim Anschneiden der St\u00e4mme und \u00c4ste ein-tritt, haben ergeben, da\u00df von den Wurzeln ein positiver Druck erzeugt wird, der beim Weinstock eine H\u00f6he von \u00fcber einer Atmosph\u00e4re erreichen kann. Da der ausflie\u00dfende Saft nur eine geringe Konzentration besitzt, so gen\u00fcgt osmotische Energie nicht zur Erkl\u00e4rung dieses Wasserstromes. Es er\u00f6ffnen sich daher von den oben ausgesprochenen Anschauungen aus neue Gesichtspunkte f\u00fcr weitere Untersuchungen in diesem Gebiete der Pflanzenphysiologie.\nEinen ganz speziellen Fall der Wasserbewegung bei den Pflanzen haben wir aber bereits in den Kreis unserer Betrachtung gezogen und aus der Membrantheorie zu erkl\u00e4ren gesucht. Das ist der Vorgang, welcher bei den Eeizbe wegungen der Pflanzen stattfindet (s. oben 9. Kap., S. 174 ff.). Hierbei tritt aus den reizbaren Zellen Wasser in abf\u00fchrende Gef\u00e4\u00dfe aus, wodurch sie sich zusammenziehen und die Bewegung verursachen. Infolge der Abnahme des Membranpotentials der gereizten Zellen geht nach unserer TheorieWasser des Zellinhaltes durch die Membran nach au\u00dfen und wird bei der E\u00fcckkehr zur","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nRuhe durch das sich wieder vermehrende Membran-potential in die Zellen zur\u00fcckbefordert.\nWir haben nun ferner einen Vorgang in den Kreis unserer Betrachtungen gezogen, welcher sich an dem Kern der Zellen abspielt: das ist die Bewegung der Kernf\u00e4den bei der Kernteilung, welche der Zellteilung vorausgeht. Da\u00df in entwickelungs-mechanischem Sinne der Zellkern als ein aus dem Protoplasma entstandenes Produkt anzusehen ist, kann wohl kaum zweifelhaft sein ; denn wenn es auch nicht gelungen ist, in der jetzigen Lehewelt kernlose Zellen nachzuweisen, so ist doch vorauszusetzen, da\u00df formlose lebende Materie bzw. Zellen ohne Kerne einst vorhanden gewesen sind. Erst bei der weiteren phylogenetischen Entwickelung hat sich, wie es scheint, das Verm\u00f6gen der Vererbung in dem entstandenen Kern konzentriert, und so betrachtet man ja allgemein die Kerne der Generationszellen als die Tr\u00e4ger der erblichen Eigenschaften der Organismen. Die erblichen Eigenschaften sind, wie man annimmt, haupts\u00e4chlich in den aus der Kernmasse sich differenzierenden Kernf\u00e4den enthalten, welche bei der Kernteilung sich teilen und in die Tochterkerne eintreten. So kompliziert und verschiedenartig daher auch diese Kernf\u00e4den zusammengesetzt sein m\u00f6gen, um so komplizierter je h\u00f6her entwickelt der aus der Eizelle hervorgehende Organismus ist, der Vorgang der Bewegung der Kernf\u00e4den, die Karyokinese, geht von den niedersten bis zu den h\u00f6chsten Organismen in derselben typischen Weise vor sich. Es ist daher sehr wahrscheinlich, da\u00df er auf einem physiko-chemischen Proze\u00df einfacherer Natur beruht, welcher von den zuerst entstandenen kernhaltigen Zellen bei der Teilung erworben wurde, sich f\u00fcr die Weiterentwickelung als n\u00fctzlich erwiesen und sich daher weiter vererbt hat. Um diesen Vorgang zu erkl\u00e4ren, haben wir (s. 10. Kap.) angenommen, da\u00df die Kernf\u00e4den, mit einer semipermeabeln Membran ausgestattet, verm\u00f6ge eines Membranpotentials eine elektrische Ladung gegen die Kern- und Zellfl\u00fcssigkeit annehmen und da\u00df sie in einem durch Osmose entstandenen Potentialgef\u00e4lle von ihrem urspr\u00fcnglichen Orte im alten Eikern (\u00c4quatorialplatte) nach den Orten der Tochterkerne, wo sich die Centrosomen befinden, hingetrieben werden. Der Vorgang ist nach dieser Auffassung eine Elektro-kinese.","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"203\nErst nachdem wir dargelegt haben, welche Bedeutung das Membranpotential der Zellen und ihrer Kerngebilde im Leben der Organismen gewonnen hat, werden wir verstehen k\u00f6nnen, in welcher Weise sich diese fr\u00fch erworbene und weiter vererbte Eigenschaft der Zellen bei der Differenzierung des Muskel- und Nervengewebes mit den Funktionen derselben verkn\u00fcpft hat. An diesen Geweben sind die elektrischen Eigenschaften der tierischen Organe zuerst entdeckt worden, und in experimenteller Hinsicht mu\u00dften daher die an ihnen angestellten Untersuchungen auch in diesem Buche als Ausgangspunkt der Darstellung gew\u00e4hlt werden. An den sehr langgestreckten Muskelzellen, den Muskelfasern, und den langen Forts\u00e4tzen der Nervenzellen, den Nervenfasern, konnte vermittelst der oben behandelten Forschungen (1. bis 5. Kap.) die Grundlage der Membrantheorie gewonnen und das Vorhandensein eines elektrischen Membranpotentials abgeleitet werden.\nEs ist in den oben beschriebenen Untersuchungen (s. 9. Kap.) gezeigt worden, da\u00df die urspr\u00fcngliche Bedeutung des elektroosmotischen Membranpotentials, welche in der Regulierung des Wassergehaltes der Zelle gefunden wurde, auch f\u00fcr die Muskelzelle gilt. Wir werden annehmen d\u00fcrfen, da\u00df diese Bedeutung auch dem Membranpotential der Nervenzelle und ihren Fasern zukommt. Indessen die Beziehungen dieser Membranpotentiale zu den Funktionen des Muskel- und Nervensystems sind engere und kompliziertere geworden. An den Nerven und Muskeln k\u00f6nnen wir durch die elektrische Untersuchung die Erregung und Reizleitung am genauesten beobachten. Die Erregung gibt sich an jeder Stelle derselben durch Abnahme des Membran p> otentials zu erkennen, indem diese Stelle gegen eine ruhende negative Spannung annimmt, wodurch die \u201eAktionsstr\u00f6me\u201c entstehen. Man ist daher imstande, die Reizleitung in diesen Organen mit Hilfe der angegebenen Instrumente zu verfolgen, ihre Geschwindigkeit und Dauer zu messen und festzustellen, da\u00df der Reizzustand sich nach jedem Momentanreiz wellenf\u00f6rmig ausbreitet, ein Vorgang, den wir Reizwelle genannt hatten. Dieselbe kann langsamer oder schneller ablaufen, am langsamsten an den glatten Muskeln niederer wirbelloser Tiere und an ihren Nerven, am schnellsten an den quergestreiften Muskeln und Nerven der h\u00f6heren Wirbeltiere. Die elektrische","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nZustands\u00e4nderung, die Reizwelle, geht in den Muskelfasern immer der Kontraktionswelle voraus; sie bedeutet daher das erste Stadium der Gesamterregung des Muskels, welches das zweite, die Kontraktion, vorbereitet. Weiche Beziehungen zwischen diesen beiden Yorg\u00e4ngen obwalten, haben wir oben (3. Kap.) ausf\u00fchrlich er\u00f6rtert. In den Nervenfasern hat man neben der elektrischen Zustands\u00e4nderung bisher keinen anderen Proze\u00df bei der T\u00e4tigkeit nach weisen k\u00f6nnen, der sich als Folge hinzugesellte. Doch da\u00df chemische Prozesse dabei auftreten, m\u00f6chte ich als sicher ansehen.\nWir haben es oben (s. 7. Kap.) aus den Erscheinungen der inneren Polarisation und elektrischen Reizung wahrscheinlich zu machen gesucht, da\u00df nicht nur die ganzen Muskel-und Nervenfasern mit einer semipermeablen Plasmah\u00fclle begabt sind, sondern da\u00df eine solche Membran auch den Fibrillen derselben zukommt. Die Fibrillen der Muskelfasern sind nun, wie wir wissen, diejenigen Gebilde, an denen sich der Kontraktionsproze\u00df vollzieht. Daher m\u00f6chte ich an dieser Stelle noch kurz auf eine neuere Theorie hinweisen, welche man zur Erkl\u00e4rung dieses Prozesses aufgestellt hat. Es ist sehr wahrscheinlich geworden, da\u00df die Protoplasmabewegungen, wie man sie z. B. an Am\u00f6ben beobachtet, durch \u00c4nderungen der Oberfl\u00e4chenspannung hervorgebracht werden (G. Quincke). Es ist daher auch versucht worden, die Muskelkontraktion durch dieselbe Energieform zu erkl\u00e4ren, unter der Annahme, da\u00df bei der Kontraktion eine Zunahme der Oberfl\u00e4chenspannung an der Oberfl\u00e4che der Fibrillen stattfindet1). Auf diesen Gegenstand kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden und ich verweise auf die unten angegebenen Schriften. Aber es sei doch noch hervorgehoben, da\u00df nach den gemachten Annahmen die elektrischen und mechanischen Prozesse sich beide an der gedachten semipermeablen Membran der Fibrillen abspielen w\u00fcrden.\nSchlie\u00dflich ist es in der lebenden Natur zur Entstehung eines Organes gekommen, das elektrische Str\u00f6me von erheblicher St\u00e4rke zu produzieren imstande ist. Die Natur hat, sozusagen, die Gelegenheit benutzt, um mit Hilfe des schon seit Urzeiten vor-\n') Bernstein, Die Energie des Muskels als Oberfl\u00e4chenenergie. Pfl\u00fcgers Arch. 85, 271\u2014312. \u2014 Die Kr\u00e4fte der Bewegung in der lebenden Substanz. Eriedr. Vieweg & Sohn 1902.\t28 S.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"205\nhandenen Membranpotentials der embryonalen Zellen ein elektrisches Organ als Schutz - und AngriffswaSe zu konstruieren. Jede elektrische Zelle desselben besitzt keine gr\u00f6\u00dfere Kraft als die quergestreifte Muskelzelle, aber verm\u00f6ge der Entwickelung beim Wachstum haben sich die plattenf\u00f6rmigen elektrischen Zellen in gro\u00dfer Zahl zu S\u00e4ulen aneinandergereiht und geben daher, je nach ihrer Zahl, bei der Reizung durch Abnahme des Membranpotentials auf der Seite des Nervenfasereintrittes (Nervenendplatte) einen mehr oder weniger kr\u00e4ftigen Schlag, wie eine vielgliedrige galvanische Batterie (s. 6. Kap. S. 188).\nMuskeln, Nerven und elektrische Organe sind bisher haupts\u00e4chlich diejenigen Objekte gewesen, an denen die elektrophysio-logische Untersuchung die wichtigsten Resultate der Lehre von der Bioelektrizit\u00e4t gewonnen hat. Es wird weiterer Forschungen in diesem Gebiete noch an anderen und namentlich auch an pflanzlichen Organen bed\u00fcrfen, um die Elektrobiologie im allgemeinen Sinne weiter auszubauen, deren Grundlagen zu geben in diesem Buche an gestrebt worden ist.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"Anhang\nDie zur Untersuchung der hioelektrischen Str\u00f6me in neuerer Zeit haupts\u00e4chlich benutzten Instrumente sind erstens das K a p i 11 a r e 1 e k t r o -meter und zweitens das Saitengalvanometer. Sie sind deshalb hierzu besonders geeignet; weil sie die schnellen Schwankungen solcher Str\u00f6me bis zu einer gewissen Grenze gut anzugeben verm\u00f6gen. Sie haben daher das Rheotom (s. S. 41) in diesen Untersuchungen zum gro\u00dfen Teil verdr\u00e4ngt; doch mu\u00df man bei vielen Aufgaben im Auge behalten, da\u00df sie nicht wie das Rheotom den zeitlichen Ablauf der Str\u00f6me unmittelbar geben, sondern da\u00df die erhaltene Stromeskurve erst einer Analyse durch Rechnung bedarf. F\u00fcr die Untersuchung aller spontan ablaufenden bioelektrischen Str\u00f6me, wie z. B. derjenigen des Herzens usw., auf welche das Rheotom nicht eingestellt werden kann, sind sie aber unentbehrlich geworden.\nDas Kapillarelektrometer, von dem Physiker G. Lippmann erfunden, ist ein in der Physik und physikalischen Chemie schon lange zur Messung schwacher elektromotorischer Kr\u00e4fte benutztes Instrument. Es bestellt im wesentlichen aus einem mit Hg gef\u00fcllten Glasrohre, welches unten in eine offene Kapillarspitze ausl\u00e4uft, so da\u00df bei etwa 70 cm Hg-Druck, das Hg in der Kapillare einen Meniskus bildet. Das senkrecht stehende Rohr wird in ein mit verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure gef\u00fclltes Gef\u00e4\u00df gesetzt, an dessen Boden sich eine Quecksilberschicht befindet. Das Glasrohr wird mit einem Druckapparat und einem Manometer verbunden. Durch Erh\u00f6hung des Druckes treibt man aus der Kapillarspitze die Luft aus und f\u00fcllt den Raum derselben ebenfalls mit der Fl\u00fcssigkeit an. Das Quecksilber der R\u00f6hre und das des Gef\u00e4\u00dfes wird mit den Enden einer Kette durch einen Platindraht verbunden. Geht ein Strom durch das Elektrometer hindurch, so bewegt sieb der Meniskus in der Kapillare nach oben, wenn er die Kathode, und nach unten, wenn er die Anode des Stromes bildet.\nIn der Fig. 60 sind die wesentlichen Teile des Kapillarelektrometers in der von Lippmann beschriebenen Form abgebildet. B ist das mit der verd\u00fcnnten Schwefels\u00e4ure ( V, H2 S 04 und % H2 0) gef\u00fcllte Gef\u00e4\u00df, in welches die R\u00f6hre A eintaucht. Der Schlauch, welcher diese R\u00f6hre mit dem Manometer verbindet, besitzt ein erweitertes St\u00fcck, das durch die Schraube V komprimiert werden kann, um den Druck zu erh\u00f6hen. Statt dessen kann man auch ein Hg-Druckgef\u00e4\u00df mit dem Schlauch","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"207\ndurch ein T-Bohr verbinden, um durch Heben und Senken des ersteren den Druck zu variieren. Der Apparat ist zu physiologischen Zwecken mannigfach abge\u00e4ndert worden.\nDa es sich nur um geringe Verschiebungen des Meniskus handelt, so beobachtet man diese mit Hilfe des Mikroskops M. Zur Aufzeichnung von Kurven werden diese Verschiebungen projiziert und photographiert.\nKapillarelektrometer von L i p p m a n n.\nDie Verschiebung des Meniskus beruht bekanntlich darauf, da\u00df eine Polarisation zwischen Hg und der Fl\u00fcssigkeit stattfindet. Es besteht nach der Erkl\u00e4rung von v. Helmholtz ein Kontaktpotential zwischen Quecksilber und verd\u00fcnnter S\u00e4ure, wodurch sich an der Grenze eine elektrische Doppelschicht bildet. Das Quecksilber ladet sich positiv und die S\u00e4ure negativ. Die Oberfl\u00e4chenspannung des Quecksilbermeniskus, deren Kraft dem Druck entgegen nach oben gerichtet ist, wird durch diese elektrische Doppelschicht vermindert, weil in jeder Schicht die Absto\u00dfung der positiven wie auch der negativen Teilchen gegeneinander die Oberfl\u00e4che zu vergr\u00f6\u00dfern strebt. Geht nun ein Strom in der Bichtung hindurch, da\u00df der Meniskus Kathode wird, so verringern die positiven Ionen des Elektrolyten, die sich an der Quecksilberoberfl\u00e4che","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nabscheiden, die Ladungen der Doppelschicht, die Oberfl\u00e4chenspannung des Meniskus nimmt zu, und er bewegt sich infolgedessen um ein St\u00fcck nach oben. Las Umgekehrte mu\u00df der Lall sein, wenn der Meniskus zur Anode des Stromes wird.\nLer durch die Oberfl\u00e4chenspannung a zwischen Quecksilber und Fl\u00fcssigkeit erzeugte, nach oben gerichtete Kapillardruck ist nach den Gesetzen der Kapillarit\u00e4t gleich 2\u00ab/r, wenn r der Kadius der K\u00f6hre ist. Dieser h\u00e4lt dem Druck p der Quecksilbers\u00e4ule, der durch das Manometer angegeben wird, das Gleichgewicht. Wird \u00ab gr\u00f6\u00dfer und hat sich der Meniskus nach oben bewegt, so kann man durch Steigerung des Druekes im Manometer denselben wieder auf den Nullpunkt zur\u00fcckbringen. Diese Drucksteigerung ist dann proportional der elektromotorischen Kraft des zugeleiteten Stromes. Hat die Kapillare eine konische Gestalt, so stellt sich das Gleichgewicht nach Zuleitung eines Stromes schnell dadurch ein, da\u00df der Kadius r bei der Verschiebung sich vergr\u00f6\u00dfert oder verkleinert. Wird a gr\u00f6\u00dfer, so r\u00fcckt der Meniskus nach oben, und da hierbei auch r gr\u00f6\u00dfer wird, so herrscht Gleichgewicht, sobald p wieder gleich 2 a/r geworden ist. Umgekehrt wird r kleiner, wenn a kleiner wird und der Meniskus sich nach unten bewegt. Innerhalb gewisser kleiner Potentialdifferenzen der zugef\u00fchrten Str\u00f6me sind die Verschiebungen des Meniskus denselben nahezu proportional. Kurze konische Kapillaren reagieren daher auf Stromesschwankungen schnell und sind f\u00fcr physiologische Zwecke am besten geeignet. Bei einer Potentialdifferenz von 0,95 Volt erreicht der Meniskus das Maximum der Verschiebung nach oben und kehrt bei weiterer Erh\u00f6hung derselben wieder nach dem Nullpunkt zur\u00fcck. Daraus folgt, da\u00df das Kontaktpotential zwischen Hg und der verd\u00fcnnten Schwefels\u00e4ure 0,95 Volt betr\u00e4gt. Die zugeleiteten Str\u00f6me d\u00fcrfen diese Kraft nicht viel \u00fcberschreiten, weil dann elektrolytische Abscheidungen auf treten. Die Bewegung ist eine vollkommen aperiodische, d. h. es treten keine Eigenschwankungen um den Buhepunkt ein.\nDie Projektion und photographische Aufzeichnung geschieht nach bekannten optischen Methoden. Das Bild der Kapillare wird auf einen Schirm entworfen, welcher einen senkrechten feinen Spalt besitzt. Der Meniskus wird auf eine Stelle des Spaltes scharf eingestellt, so da\u00df ein Teil des Spaltes durch das Hg der Kapillare gedeckt ist, w\u00e4hrend durch den anderen Teil das Licht frei hindurchgeht. Bringt man dicht hinter dem Spalt einen um eine senkrechte Achse rotierenden Zylinder an, welcher mit photographischem Papier oder Film \u00fcberzogen ist, so wird die Bewegung des Meniskus auf demselben als Kurve aufgezeichnet. Schirm und Zylinder m\u00fcssen lichtdicht verbunden sein. Statt dessen hat man auch eine photographische Platte, mit einem Pendel (Burdon-Sanderson) oder einem Fallapparat (Garten) verbunden, hinter dem Schirm vorbeibewegt. Mit Vorteil kann man auch mit Hilfe eines rotierenden Spiegels das durch eine gro\u00dfe Linse entworfene Bild des Spaltes auf eine photographische Platte einer Kamera werfen und das Bild des Meniskus \u00fcber dieselbe fortbewegen (Bern-","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"209\nstein n. Tschermak). Nach letzterer Methode ist die Mg. 15 (S. 52) erhalten worden. Zugleich lassen sich Bewegungen der untersuchten Organe (Muskeln usw.) durch vor den Spalt gestellte Hebel verzeichnen. Die Zeitschreibung geschieht durch Aufzeichnung von Federschwingungen; Beizmomente und andere Einwirkungen auf die Organe werden durch Signale vor dem Spalt angegeben.\nNach Berechnungen von Burch und von Einthoven verf\u00e4hrt man bei der Analyse der Kapillarelektrometerkurven folgenderma\u00dfen : Aus den Ordinaten der gezeichneten Kurve y kann man die wirklichen Ordinaten der Stromeskurve ydurch Rechnung finden, wenn man eine Konstante c bestimmt hat, welche die Schnelligkeit ausdr\u00fcckt, mit der der Meniskus den Stromesschwankungen folgt, und wenn man die Geschwindigkeit mi\u00dft, mit welcher die gezeichnete Kurve in dem Zeitmoment t steigt oder sinkt, in welchem sie die Ordinate yb erreicht.^\nUm die Konstante c zu finden, mu\u00df man eine Eichungskurve durch Schlie\u00dfen eines konstanten Stromes (unter 0,95 Yolt) aufnehmen. Diese steigt in einer logarithmischen Form, erst schnell, dann langsamer , konvex nach oben gerichtet, zu einem Maximum an, das y' hei\u00dfen m\u00f6ge. Dann hat man f\u00fcr c die Formel:\nt.loge\n1\n\u2014 log (\u00ab/' \u2014 y)\nc log y'\n(e ist die Basis der nat\u00fcrlichen Logarithmen, log e = 0,4343). Aus mehreren Werten von y mu\u00df man einen Mittelwert von c berechnen.\nDie Geschwindigkeit, mit welcher die Elektrometerkurve steigt oder f\u00e4llt, wird durch den Differentialquotienten derselben, dy/dt, ausgedr\u00fcckt.\nF\u00fcr die Ordinaten der zu berechnenden Kurve hat man dann die Formel :\nDie f\u00fcr jeden Zeitpunkt zu berechnende Ordinate ist also gleich der beobachteten Ordinate f\u00fcr diesen Zeitpunkt plus oder minus einer Gr\u00f6\u00dfe, welche gleich dem reziproken Werte der Eichungskonstante c mal dem positiven oder negativen Werte von dy/dt zur Zeit t ist. In dem aufsteigenden Teil der Elektrometerkurve ist dy/dt positiv, in dem absteigenden Teil derselben dagegen negativ. In dem ersteren Teil l\u00e4uft die berechnete Kurve h\u00f6her, in letzterem tiefer als die Elektrometerkurve. Im Maximum der letzteren, wo dy/dt = 0 ist, schneidet sie dieselbe (s. Fig. 15).\nDas Saitengalvanometer, von Einthoven1) konstruiert, beruht auf dem Prinzip des Deprez-d\u2019Arsonvalschen Spulengalvano-\n\u2018) Ann. d. Phys. (4) 12, 1059 (1903). Onderzoekingen gedaan in het physiolog. Laborat., Leiden 1907.\t155 S.\nBernstein, Elektrobiologie.","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nmeters. Statt der drehbaren Spule befindet sich im Magnetfelde eine feine leitende Saite, entweder ein versilberter Quarzfaden oder sehr feiner Platindraht, durch welche der zu messende Strom geleitet wird. Gehen die Magnetkraftlinien durch die an beiden Enden befestigte Saite senkrecht hindurch, so erleidet sie bei Durchleitung eines Stromes eine gegen erstere senkrecht gerichtete Ablenkung. Diese wird mit Hilfe eines Mikroskops beobachtet oder zur Aufzeichnung auf einen Spalt eines Schirmes, senkrecht gegen denselben gerichtet, projiziert,\nEig. 61.\nSaitengalvanometer von Einthoven (nach Konstruktion Edelmann).\nso da\u00df die Bewegungen der Saite in derselben Weise, wie oben beschrieben, photographisch registriert werden k\u00f6nnen.\nIn der Fig. 61 ist das von Edelmann hergestellte Saitengalvanometer abgebildet. Es besteht aus einem hufeisenf\u00f6rmigen Elektromagneten, dessen Pole mit den zwei schneidenf\u00f6rmigen Polschuhen P belegt sind. Zwischen diesen befindet sich der Fadentr\u00e4ger, der in Fig. 62 besonders abgebildet ist. Die Saite oder der Faden wird zwischen den Stiften lih befestigt. Diese sind durch Mikrometerschrauben verschiebbar , um die Saite richtig einzustellen. Der Fadentr\u00e4ger wird mit seiner Grundplatte' C (Fig. 62) in einen Schlitten des Gestelles eingeschoben. Die Saite wird in die Mitte des schmalen Spaltes zwischen","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"211\nden Polen eingestellt. Polschuhe und Elektromagnetkerne sind durchbohrt, um ein Beleuchtungsrohr C (Big. 61) und einen Mikroskoptubus It einzuschieben. Dem Faden kann durch die Mikrometersehraube bei k (Fig. 62) eine bestimmte Spannung gegeben werden. Die L\u00e4nge der F\u00e4den f\u00fcr schnell schwankende Str\u00f6me wechselt zwischen 32 und 87 mm. Bei gewisser L\u00e4nge, Dicke, Elastizit\u00e4t und Spannung der Saite kann die Bewegung derselben nahezu aperiodisch gemacht werden. Die Schlu\u00dfplatten A (Fig. 61) dienen dazu, um nach Einsetzung des Fadentr\u00e4gers den Baum, in dem sich der Faden befindet, dicht abzuschlie\u00dfen.\nAus der gezeichneten Kurve die wirkliche zu berechnen, ist beim Saitengalvanometer viel schwieriger als beim Kapillarelektrometer, da die Bewegung der Saite eine elastische ist. Auch kann diese Bewegung nicht so aperiodisch gemacht werden wie die des Hg-Meniskus, und daher treten oft Eigenschwingungen der Saite auf. Dagegen reagiert die Saite schneller als der Hg-Meniskus und gibt daher Kurven, welche den wirklichen n\u00e4her kommen, wie z. B. die doppelphasigen Aktionsstr\u00f6me. F\u00fcr langsame elektrische Schwankungen mu\u00df die Saite schw\u00e4cher, f\u00fcr schnelle st\u00e4rker gespannt werden.\nEinthoven hat eine Formel entwickelt, nach welcher die Analyse der gezeichneten Kurven zur Berechnung der wirklichen Kurven ausgef\u00fchrt werden soll.\nIn dieser Formel kommt nicht nur die Steilheit (erster DifEerentialquotient) der gezeichneten Kurve vor, sondern auch die \u00c4nderung dieser Steilheit (zweiter\nDifferentialquotient) in jedem Zeitmoment. Au\u00dferdem ist mit Milte einer Eichungskurve f\u00fcr jede dieser Gr\u00f6\u00dfen eine besondere Konstante zu berechnen. Die Messungen, welche hierzu erforderlich sind, sind daher schwieriger und weniger zuverl\u00e4ssig als diejenigen, welche an einer Kapillarelektrometerkurve vorzunehmen sind. Man wird demnach gut tun, bei Untersuchungen, die eine genauere Analyse erfordern, vorl\u00e4ufig das Kapillarelektrometer zu benutzen. Auch kann f\u00fcr mancherlei Untersuchungen das Rheotom immer noch mit Vorteil gebraucht werden, da es ohne weitere Analyse den zeitlichen Verlauf der Str\u00f6me unmittelbar ergibt.\nDas Saitengalvanometer ist ein Amperemeter, w\u00e4hrend das Kapillarelektrometer ein Voltmeter ist. Es hat also letzterem gegen\u00fcber den Nachteil, da\u00df man mit ihm nicht elektromotorische Kr\u00e4fte direkt messen kann und da\u00df \u00c4nderungen der Widerst\u00e4nde im Kreise, die bei vielen physiologischen Vorg\u00e4ngen eintreten k\u00f6nnen, einen Einflu\u00df auf das\nFig. 62. n\nFadentr\u00e4ger Saitengalv anometer s.\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nResultat haben. Yon Cremer1) ist daher ein Saitenelektrometer konstruiert worden, in welchem die Saite zwischen zwei Polplatten ausgespannt ist. Man verbindet die Pole der Kette mit den beiden Polplatten und ladet die Saite mit einem hohen konstanten Potential. Dieses Instrument hat freilich nicht die gro\u00dfe Empfindlichkeit des Saitengalvanometers, doch ist es zur Untersuchung st\u00e4rkerer Str\u00f6me wie der der elektrischen Organe gut geeignet (s. Eig. 39, S. 116) und bei sehr gro\u00dfen \"Widerst\u00e4nden dem Saitengalvanometer \u00fcberlegen. Cremer2) hat ferner in den Kreis des Saitengalvanometers zur Aufnahme des Elektrokardiogramms einen Kondensator eingeschaltet, welcher den Vorteil gew\u00e4hrt, da\u00df Ungleichartigkeiten der auf die Haut aufgesetzten Elektroden und der abgeleiteten Hautstellen keine Ablenkungen geben, w\u00e4hrend alle Potentialschwankungen, wie die des pulsierenden Herzens, schnell und infolge st\u00e4rkerer D\u00e4mpfung aperiodisch verzeichnet werden.\nIn letzter Zeit hat man auch sogenannte Oszillographen nach dem Prinzip des Saitengalvanometers konstruiert. Statt der Saite befindet sich bei jenen eine feine gabelf\u00f6rmige Schlinge im Magnetfelde, welche sich wie eine Drehspule um ihre L\u00e4ngsachse dreht und mit einem Spiegelchen zur Reflexion eines photographisch zeichnenden Lichtstrahles versehen ist.\nYon Bernstein ist der Vorschlag gemacht worden, den Kathodenstrahl als Indikator f\u00fcr die Oszillationen der bioelektrischen Str\u00f6me zu benutzen, da dieser mit absoluter Genauigkeit den Stromesschwankungen folgen w\u00fcrde. Es ist aber bis jetzt nicht gelungen, Versuche in dieser Richtung mit Erfolg auszuf\u00fchren.\n*) M\u00fcnch, med. Wochensc.hr. 1907, Nr. 11.\n2) Zeitschr. f. Biol. 47, 137.","page":212},{"file":"p0213index.txt","language":"de","ocr_de":"NAMEN- UND SACHREGISTER\nAbderhalden 98.\nAktionsstr\u00f6me 47.\nAlterationstheorie 20, Anfangszuckung 149.\nArrhenius 21, 88.\nBernstein 41, 48, 51, 71, 85, 96, 118, 131, 134.\nBiedermann 100.\ndu Bois-Reymond 1 u. ff., 18, 45, 86, 110, 140.\nBoruttau 77.\nBraun 27, 119. v. Br\u00fccke 85, 86.\nBuchanan 73.\nBurch 74, 83, 135. Burden-Sanderson 70, 105, 177.\nClausius 31.\nCremer 95, 99, 113, 115, 146.\nDemarkationsstrom 5, 17. Differentialrheotom 41. Diffusionszylinder, -potential 33. Dionaea muscipula 176; Str\u00f6me 178. Ditler 73, 81.\nDoppelschicht, elektrische 38. Dr\u00fcsenstr\u00f6me 151.\nEinthoven 49, 79, 81, 83, 86. Elektrisches Organ 108; Bau desselben 110, 113; Schlag desselben 113 u. ff.; Theorie des Schlages 121; thermisches Verhalten desselben 116 u. ff.\nElektroden, unpolarisierbare 3, 4.\nElektrokardiogramm 83. Elektrokinese 158, 181. Elektromotorische Kraft des Muskelstromes 6; Messung 7. Elektroosmose 157.\nElektrotonisehe Str\u00f6me 131. Elektrotonus 130; Kat-, An- 135. Energie, freie 23; elektrische 26. Engelmann 16, 60, 85, 107, 153. Erregung, elektrische 135; Gesetz-derselben 140, 148; Einflu\u00df der Winkelrichtung des Stromes 150. Erregungswelle 40.\nFick 65, 71, 141.\nFreundlich 158.\nEuchs 77, 85.\nCraleotti 95.\nGalvani 1 ; Zuckung ohne Metalle 10. Garten 56, 57, 73, 86, 113. Gelatinierung, Gerinnung 184.\nGibbs 21, 88.\nGotch 74, 81, 105, 135.\n.Haber 96.\nHautstr\u00f6me 151.\nHeidenhain 14, 71, 121.\nHelmholtz 3, 4, 19, 21, 29, 48, 158. Hering 107, 138.\nHermann 8, 15, 20, 42, 56, 68, 97, 105, 131, 153, 180.\nHerzstr\u00f6me s. Muskelstrom.\nHittorf 31, 32.\nH\u00f6her 96, 98, 100, 101. van \u2019t Hoff 153.","page":0},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nHolmgren 86.\nHoorwtg 143.\nHoppe -Seyler 67.\nHorsley 81.\nHumboldt, Alex. v. 2, 11, 108.\nIonen, Wanderung der 31, 32.\nJahn 26, 119.\nJensen 61, 64.\nKapillarelektrometer 206.\nMc Kendrik 86.\nKernf\u00e4den (Chromatosomen) 188; Geschwindigkeit derselben 194.\nKernleitermodell 132.\nKernteilung (Karyokinese) 187.\nKetten, elektrische 21; exotherme, endotherme 26 ; Konzentration\u00ab-29; galvanische 24; osmotische Eliissigkeits- 34.\nKolloide, Verhalten im Potentialgef\u00e4lle 182.\nKontraktionswelle 48, 52.\nK\u00f6ster 81,\nK\u00fchne 86.\nliamansky 64.\nLesser 153.\nLewandowski 80.\nLipoidtheorie 102.\nLippmann 49.\nLuchsinger 154.\nLuftthermometer, elektrisches 123.\nMarchand 82.\nMarey 83, 112, 149.\nMatteucci 2, 7, 14.\nMembranen, semipermeable 88 ; elektrische Eigenschaften der*. 89, 162.\nMembranpotential 95, 105, 178.\nMembrantheorie 87; elektroosmotische 162.\nMimosa pudica 175.\nMolekularspannung, -hemmung (Pfl\u00fcger) 138.\nMiiller-Hettlingen 180.\nMuskel, quergestreifter Skelett- 5; Bau des M. gastrocn. des Frosches 10; chemische Prozesse im Muskel 65 u. ff.\nMuskelfaser, quergestreifte 7 ; glatte 84.\nMuskelstrom, des Herzens 82. Muskelton 71.\nNernst 21, 28, 34, 35, 144.\nNerven, Reizwelle des 74; doppelsinniges Leitungsverm\u00f6gen 19. Nervenstrom 15.\nNetzhaut 85; -str\u00f6me 86.\nNeuron 86.\nNicolai 77, 84.\nOker-Blom 4, 89.\nOrbelli 155.\nOstwald 3, 4, 21, 88, 144.\nOverton 98, 101, 147.\nPerrin 158, 159.\nPfeffer 88, 92.\nPfl\u00fcger 135, 136.\nPhasengrenzkr\u00e4fte 38.\nPiper 57, 73.\nPlanck 96.\nPolarisation, innere der Muskeln und Nerven 131.\nPotential, Adsorptions- 158; Diffusions- 33.\nPr\u00e4existenztheorie 96.\nQuincke 157, 199.\nRanvier 16, 104.\nReizbarkeit,Ver\u00e4nderungen der \u2014 im Elektrotonus 136.\nReizbewegungen an Pflanzen 174. Reizung, latente 53.\nReizwelle des Muskels 40; der Nerven 52.\nResorption, Resorptionszellen 155. Rheotom s. Differentialrheotom. Riesenfeld 37, 145.\nR\u00f6ber 153.\nRosenthal 151.\nSachs 116.\nSaitengalvanometer 210.\nSchenck 64.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"215\nScli\u00f6nlein 69, 112.\nSchwankung, negative 11 ; d. Muskel-stromes 12; des Nervenstromes 17, 104; der elektrotonischen Str\u00f6me 134.\nSekretion, Sekretionszellen 152.\nSteiner 59, 86, 130.\nTemperaturkoeffizient der freien Energie 23.\nTetanus 11 ; sekund\u00e4rer 13 ; Bitterscher \u00d6ffnungs- 138.\nThermostrom des Muskels 96; des Nerven 103.\nThomson 25.\nTorpedo 108.\nTraube, M. 88.\nTsehermak 51, 64, 70, 81, 96, 118. Uexk\u00fcll, v. 20.\nVerz\u00e4r 103.\nWaller 83.\nWasserbindung in den Zellen 165. Weiss 144.\nWeyi 129.\nWiedemann 157, 160.","page":215}],"identifier":"lit39671","issued":"1912","language":"de","pages":"215","startpages":"215","title":"Elektrobiologie: Die Lehre von den elektrischen Vorg\u00e4ngen im Organismus auf moderner Grundlage dargestellt","type":"Book"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:48:36.521231+00:00"}