Open Access
{"created":"2022-01-31T14:31:40.710030+00:00","id":"lit4142","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Cattell, James McKeen","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 2: 635-650","fulltext":[{"file":"p0635.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben.\nVon\nJames McKeen Catteil.\nMit einem Holzschnitt.\nDie bisherigen Versuchsmethoden zur Messung der Zeitdauer psychischer Vorg\u00e4nge bringen zwei Schwierigkeiten mit sich, welche die Genauigkeit und \u00fcberhaupt den Werth der erhaltenen Resultate beeintr\u00e4chtigen. Die erste Schwierigkeit liegt in den benutzten Apparaten. Diese erzeugen den Reiz selten in vollst\u00e4ndig befriedigender Weise, messen die Zeiten selten mit v\u00f6lliger Genauigkeit und m\u00fcssen so fein gearbeitet und andererseits so complicirt sein, dass es viel Zeit und Arbeit erfordert, sie aufzustellen, anzuwenden und in Ordnung zu halten. Die Experimentatoren haben meist die Erfahrung gemacht, dass sie den gr\u00f6\u00dften Theil ihrer Zeit auf die Apparate verwenden mussten. Die zweite Schwierigkeit liegt darin, dass die gefundenen Zeiten der Dauer eines k\u00fcnstlichen Vorganges entsprechen, nicht eines psychischen Vorganges, wie er im wirklichen Leben vorkommt. Durch die angewandten Methoden wird n\u00e4mlich die Versuchsperson in einen abnormalen Zustand versetzt, besonders was Aufmerksamkeit, Erm\u00fcdung und Uebung angeht, und die Versuchsanordnung hat es oft mit sich gebracht, dass die gefundenen Zeiten entweder zu kurz waren, weil nicht der ganze psychische Vorgang gemessen wurde, oder zu lang, weil noch ein anderer Factor darin enthalten war. Bedenkt man also diese Mange lder Apparate und die K\u00fcnstlichkeit und Ungenauigkeit der Versuchsmethoden, so steht zu bef\u00fcrchten, dass die Resultate, welche der Psycholog in seinem Laboratorium erh\u00e4lt, nicht die Zeit liefern, welche der Mensch in Wirklichkeit zu einem Wahmeh-","page":635},{"file":"p0636.txt","language":"de","ocr_de":"636\nJames M'Keen Catteil.\nmungs-, Willens-und Denkprocess\u2019braucht. Wundt hat viel dazu beigetragen, diese Schwierigkeiten zu \u00fcberwinden, indem er einerseits die llegistrir Vorrichtungen vereinfachte und verbesserte, andererseits die Bedingungen bei den Experimenten denen im wirklichen Leben n\u00e4her brachte. Dennoch erschien es mir nicht \u00fcberfl\u00fcssig, eine Anzahl von Versuchen anzustellen, welche \u00fcberhaupt keinen compli-cirten Apparat erfordern und welche die Zeit bestimmen wollen, die wir gew\u00f6hnlich dazu brauchen, um W\u00f6rter und Buchstaben zu erkennen und auszusprechen.\nNachdem der Eindruck, welcher von einem gedruckten Buchstaben hervorgerufen wird, ins Bewusstsein gelangt ist, bedarf es einer gewissen Zeit, um zu entscheiden, ob \u00fcberhaupt ein Buchstabe da ist, einer weiteren Zeit, um zu erkennen, welcher Buchstabe da ist. Ferner bedarf es einer gewissen Zeit, um die Bewegung der Sprachor-gane zu finden, welche dem Schriftzeichen entspricht. Das sind, um Wundt\u2019s Terminologie zu gebrauchen, Unterscheidungs- undWahl-zeiten. Auf die verschiedenen physiologischen und psychophysischen Factoren, welche die gemessene Zeit zusammensetzen, kann ich in dieser Arbeit, die nur einen Theil einer ausgedehnteren Untersuchung enth\u00e4lt, nicht n\u00e4her eingehen, ich gedenke sie aber in dem n\u00e4chsten Hefte dieser Studien im Anschluss an andere Versuche genauer zu betrachten.\nI.\nDie Experimente, welche ich zuerst zu beschreiben habe, wurden angestellt mit H\u00fclfe eines Kymographen, wie derselbe zu physiologischen Zwecken gebraucht zu werden pflegt. Derselbe besteht im wesentlichen aus einem rotirenden Cylinder, welcher durch ein Uhrwerk in Bewegung gesetzt wird, und dessen Schnelligkeit beliebig regulirt werden kann. Anfangs benutzte ich eine Stimmgabel, welche auf der berussten Umh\u00fcllung des Cylinders schrieb. um die Umdrehungsgeschwindigkeit desselben zu bestimmen ; indessen fand sich die Umdrehungsgeschwindigkeit vollst\u00e4ndig constant, und bestimmte ich sie daher nachher nur noch mit H\u00fclfe eines Chronoskops. Der Cylinder des benutzten Kymographen hatte 50 cm Umfang und war mit wei\u00dfem Papier bedeckt, auf welchem in Abst\u00e4nden von 1 cm Buchstaben aufgeklebt waren. Diese Buchstaben waren aus Snellen\u2019s","page":636},{"file":"p0637.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcebet die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben. 637\nSchriftproben genommen, und waren die kleinen Buchstaben (lateinische) von der Gr\u00f6\u00dfe D = 1,75. Der Cylinder war f\u00fcr die Versuchsperson durch einen schwarzen Schirm verdeckt, in dem sich eine Spalte von 1 cm H\u00f6he und von regulirbarer Breite befand. Die Axe des Cylinders stand senkrecht, die Rotation erfolgte in der Richtung des Uhrzeigers. Fixirte die Versuchsperson durch die Spalte hindurch die Oberfl\u00e4che des Cylinders, so gingen die Buchstaben durch ihr Gesichtsfeld. War die Spalte 1 cm breit, so war immer ein Buchstabe zu sehen, verschwand er, so trat ein anderer in das Gesichtsfeld ein ; war die Spalte 2 cm breit, so waren immer zwei Buchstaben zu gleicher Zeit sichtbar u. s. w. Nehmen wir die Spalte schm\u00e4ler als 1 cm, so geht ein Buchstabe vor dem Gesichtsfelde vor\u00fcber, und nach einer Zwischenpause, w\u00e4hrend welcher kein Buchstabe sichtbar ist, ein zweiter u. s. w. Die Versuchsmethode warsehr einfach: Die Spalte wurde z. B. 1 cm breit gemacht und der Cylinder in Rotation versetzt. Die Versuchsperson fixirte durch die Spalte hindurch die Oberfl\u00e4che des Cylinders und las die Buchstaben, welche zun\u00e4chst mit m\u00e4\u00dfiger Geschwindigkeit durch das Gesichtsfeld gingen, laut vor. Dann wurde die Geschwindigkeit allm\u00e4hlich gesteigert und die Maximalgeschwindigkeit bestimmt, bei welcher die Versuchsperson noch 30 \u2014 40 Buchstaben hintereinander richtig1) vorlesen konnte. Da nun die Umdrehungsgeschwindigkeit des Cylinders bekannt war, so war damit die Zeit bestimmt, welche die Versuchsperson brauchte, um jeden einzelnen Buchstaben zu erkennen und auszusprechen. Diese Zeit ist in der beigegebenen Tabelle f\u00fcr 9 Personen (Universit\u00e4tsdo-centen und Studenten) und f\u00fcr verschiedene Breite der Spalte gegeben. Als Zeiteinheit ist dabei 0,001\" gew\u00e4hlt, 200 bedeutet also z. B.\n0,2 = y \u2022 Ferner gebe ich die Curven f\u00fcr die Mittelwerthe, sowie f\u00fcr\nH. T. und J. O. Die Abscissen sind proportional der Breite der Spalte , die Ordinaten proportional der Zeit.\n1) Ich hatte eine Liste der Buchstaben in der Hand, so dass ich wusste, wann ein Buchstabe ausgelassen oder verlesen war.","page":637},{"file":"p0638.txt","language":"de","ocr_de":"63S\nJames McKeeu Cattell.\nTabelle I.\nBreite der Spalte in mm\t1\t2,5\t5\t10\t20\t30\t40\t50\t60\t\t10\nJ. J.\t420\t360\t245\t210\t190\t170\t150\t145\t145\t\t260\nJ. C.\t400\t312\t274\t228\t200\t178\t166\t160\t160\t\t252\nJ. D.\t738\t370\t274\t208\t196\t184\t178\t166\t166\t\t240\nJ. B.\t400\t320\t260\t220\t200\t185\t180\t175\t175\t\t220\nE. H.\t600\t342\t274\t260\t240\t228\t214\t214\t214\t\t342\nG. H.\t534\t354\t312\t252\t240\t228\t224\t224\t224\t\t\u2014\nM. T.\t564\t480\t364\t292\t252\t228\t224\t224\t224\t\t370\nA. Y.\t418\t300\t274\t252\t224\t204\t204\t204\t204\t\t248\nH. T.\t418\t364\t352\t312\t282\t274\t274\t274\t274\t\t332\nMittelwerth :\t499\t356\t292\t248\t225\t209\t202\t198\t198\t\t283\nDie Tabelle l\u00e4sst erkennen, dass bis zu einem gewissen Punkte, welcher in der Tafel durch eine st\u00e4rkere Verticallinie angedeutet ist, mit einer Verbreiterung der Spalte eine Verk\u00fcrzung der zum Vorlesen eines Buchstaben erforderlichen Zeit verbunden ist, und die Curven zeigen, dass die Beziehung zwischen jenen beiden Ver\u00e4nderlichen eine einfache ist.","page":638},{"file":"p0639.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben. 63&\nWenn die Spalte 1 cm breit war, so war jeder Buchstabe ebenso lange Zeit (y4\") im Gesichtsfelde, als man dazu brauchte, ihn vorzulesen ; es ist das aber nicht die ganze Zeit, welche erforderlich ist, um einen einzelnen Buchstaben f\u00fcr sich zu erkennen und auszusprechen. Experimente r), durch welche ich diese Zeit zu bestimmen gesucht habe, ergeben, dass dieselbe ungef\u00e4hr t/10\" l\u00e4nger ist. Dieses Resultat ist nicht \u00fcberraschend. In den hier beschriebenen Versuchen \u00fcberdecken sich zum Theil die Vorg\u00e4nge der Apperception und der Wahl. W\u00e4hrend der eine Buchstabe ausgesprochen wird, wird bereits der folgende appercipirt. Der zweite Theil dieser Arbeit wird dies Verhalten noch weiter illustriren. Die Zeit, welche man braucht, um den Buchstaben zu erkennen, betr\u00e4gt ungef\u00e4hr i/i\", die Zeit, welche man braucht, um ihn auszusprechen, ungef\u00e4hr yl0\". W\u00e4hrend der Viertelsecunde also, welche man zum Erkennen eines Buchstabens braucht, wird der vorhergehende ausgesprochen. Das Aussprechen ist ein vollst\u00e4ndig automatischer Vorgang, dasselbe gilt h\u00e4ufig auch vom Erkennen. Wenn man laut liest, bedarf es keiner bewussten Willenserregung, um die Lautzeichen zu finden , welche den Schriftzeichen entsprechen, und wir k\u00f6nnen sogar richtig vorlesen, ohne zu wissen, was wir lesen. Ist die Spalte im Schirme 2 cm breit, sind also zugleich zwei Buchstaben zu sehen, so verschwindet nicht nur die Zeit des Aussprechens, sondern es wird auch die Erkennungszeit f\u00fcr den einzelnen Buchstaben um y40\" k\u00fcrzer. Das hei\u00dft, w\u00e4hrend man einen Buchstaben appercipirt, macht man sich bereits fertig oder beginnt sogar schon den n\u00e4chstfolgenden zu appercipiren, so dass die dazu erforderliche Zeit verk\u00fcrzt wird. Ist die Spalte 3 cm breit, sind also\n3\tBuchstaben zugleich im Gesichtsfeld, so wird die Zeit f\u00fcr den einzelnen Buchstaben noch weiter um y60\" verk\u00fcrzt, aber diese Verk\u00fcrzung, welche der dritte hinzugekommene Buchstabe veranlasst, ist nicht so betr\u00e4chtlich als diejenige, welche der zweite verursachte, als er zum ersten hinzu trat. Hieraus ergibt sich der oben gezeichnete regelm\u00e4\u00dfige Verlauf der Curven. Bei zweien von den 9 Versuchspersonen trat keine weitere Verk\u00fcrzung ein, als vier Buchstaben zugleich im Gesichtsfelde waren, bei den \u00fcbrigen betrug dieselbe y400\". F\u00fcr\n4\tvon den letzteren wurde die Zeit noch weiter verk\u00fcrzt (wenn auch\n1) Ich denke dieselben in dem n\u00e4chsten Hefte der Studien zu beschreiben. Wundt, Philos. Studien. II.\t42","page":639},{"file":"p0640.txt","language":"de","ocr_de":"640\nJames McKeen Cattell.\nnur um V200\u201d) > wenn noch ein f\u00fcnfter Buchstabe gleichzeitig mitzusehen war. Waren 6 oder mehr Buchstaben zugleich sichtbar , so trat bei keiner der Versuchspersonen eine weitere Verk\u00fcrzung ein. Diese Versuche zeigen, dass neben der Vorstellung, welche sich im Blickpunkt des Bewusstseins befindet, bei einigen Versuchspersonen noch\n2\t, bei anderen 3 , bei anderen 4 im Blickfeld des Bewusstseins vorhanden waren.\nMachen wir dagegen die Spalte im Schirm schm\u00e4ler als 1 cm, so k\u00f6nnen die Processe, einen Buchstaben auszusprechen und den zun\u00e4chst auszusprechenden zu erkennen, nicht mehr so gut simultan stattfinden. Der Buchstabe ist nicht so lange sichtbar, bis er apper-cipirt ist, deshalb muss, so lange er sichtbar ist, die Aufmerksamkeit mehr als in den obigen F\u00e4llen ausschlie\u00dflich darauf gerichtet sein, ihn zu erkennen, und je k\u00fcrzere Zeit er sichtbar ist, desto mehr werden Apperception und Aussprechen zu successiven Vorg\u00e4ngen werden. Als die Spalte 1 mm breit, der Buchstabe also nur Yto der Zeit sichtbar war, welche zu seiner Apperception und Aussprache erforderlich ist, wurde er zuerst appercipirt und nachher ausgesprochen, es ist sogar wahrscheinlich, dass au\u00dferdem noch entweder die \u00c4pper-ceptionszeit oder die Zeit des Aussprechens oder beide etwas vergr\u00f6\u00dfert wurden. Die Genauigkeit der oben in den Tabellen gegebenen Zahlen erkennt man daraus, dass die Buchstaben in der angegebenen Zeit erkannt und ausgesprochen w'erden konnten, dass dies aber nicht mehr der Fall war, wenn f\u00fcr jeden Buchstaben Y000\u201d weniger zur Verf\u00fcgung stand.\nDie letzte Columne der Tabelle gibt die Geschwindigkeit an, mit welcher die Buchstaben oder schwarze viereckige Papierst\u00fcckchen\n3\tmm im Quadrat, die an Stelle der Buchstaben aufgeklebt waren, bei 1 cm Spaltbreite einzeln genommen gez\u00e4hlt wrerden konnten.1) Es ergibt sich daraus, dass es im allgemeinen l\u00e4ngere Zeit erfordert, die Buchstaben zu z\u00e4hlen als sie vorzulesen. Ich habe gefunden, dass, wenn die Spalte verbreitert wurde, nur geringe Verk\u00fcrzung, wenn sie verl\u00e4ngert wurde, nur geringe Verl\u00e4ngerung derZeit des Z\u00e4hlenszu bemerken war; in beiden F\u00e4llen betrug die Aenderung ungef\u00e4hr Yso\u201d; etwas mehr oder weniger bei verschiedenen Individuen. Die Buch-\n1) Die Zeitbestimmung beim Z\u00e4hlen war schwieriger als beim Vorlesen, die Resultate weniger constant.","page":640},{"file":"p0641.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben. 641\nstaben oder Punkte konnten\tschneller gez\u00e4hlt werden, wenn man\t\nGruppen von 2, noch schneller, wenn man F\u00fcr J. C. ergaben sich folgende Zeiten :\t\tGruppen von 3 bildete.\n\tSpaltbreite.\tGemessene Zeit.\nEinzeln gez\u00e4hlt\t1 cm\t252\nIn Gruppen von 2\t1 cm\t188\nIn Gruppen von 3\t2 cm\t134\nDer Rhythmus vor\u00fcbergehender Buchstaben oder Punkte l\u00e4sst sich schneller auffassen und registriren, als man sie z\u00e4hlen kann.\nII.\nIn der zweiten Serie von Versuchen, die ich zu beschreiben habe, war der Apparat noch einfacher, und die gemessenen Vorg\u00e4nge n\u00e4hern sich noch mehr denen des wirklichen Lehens. Es handelt sich um eine Bestimmung der Zeit, die man dazu braucht, Buchstaben und W\u00f6rter laut zu lesen und weiter Farben und Bilder von Gegenst\u00e4nden laut zu benennen. Zur Zeitmessung diente ein Taschen-chronoskop, welches in Bewegung versetzt wurde, sobald die Versuchsperson zu lesen begann, und angehalten, sobald sie fertig war. Das in Bewegung setzen und anhalten erfolgte in jedem Falle um eine kurze Zeit (die Reactionszeit auf den Schalleindruck) sp\u00e4ter als der zu registrirende Vorgang und naturgem\u00e4\u00df nicht genau instantan. Indessen l\u00e4uft das Chronoskop, wenn es einmal in Bewegung ist, au\u00dferordentlich genau, und da wir bei unseren Reihen die Zeitdauer von 100 oder 500 gleichartigen geistigen Processen auf einmal messen, so wird der Fehler, wenn wir die Zeit f\u00fcr den einzelnen Vorgang berechnen, mindestens so klein als bei irgend einer chronographischen Methode, bei welcher man die Dauer jedes einzelnen Vorgangs besonders misst. Man k\u00f6nnte vielleicht ein wenden, dass ich bei diesen, wie bei den zuvor beschriebenen Versuchen, nicht die Dauer jedes einzelnen geistigen Processes messe, sondern nur die Zeit, welche bei einer gr\u00f6\u00dferen Zahl gleichartiger Vorg\u00e4nge vergeht, und daraus die Zeit f\u00fcr den einzelnen Process berechne, das ist ja aber gerade die Methode, die man zur Bestimmung psychophysischer Zeiten stets anwendet. Diese Zeiten sind nicht constant, wie die meisten physikalischen Zeiten, sondern haben eine normale Variation. Aus diesem Grunde (und um den Fehler der Registrirvorrichtung zu eliminiren)\n42*","page":641},{"file":"p0642.txt","language":"de","ocr_de":"642\nJames McKeen Cattell.\nmuss man eine gro\u00dfe Zahl von Versuchen anstellen und aus diesen das Mittel nehmen, genau dasselbe, was ich in den hier beschriebenen Versuchen gethan habe.\nDer Zweck der zun\u00e4chst zu beschreibenden Versuche war, die Zeit zu bestimmen, welche man dazu braucht, um Buchstaben und W\u00f6rter zu erkennen und auszusprechen, erstens wenn die Buchstaben W\u00f6rter, die W\u00f6rter S\u00e4tze bilden, zweitens wenn das nicht der Fall ist. Um die erste Aufgabe zu l\u00f6sen, w\u00e4hlte ich Abschnitte aus 6 verschiedenen Schriftstellern, welche in einer der 6 den Versuchspersonen bekannteren Sprachen : Englisch , Deutsch, Franz\u00f6sisch, Italienisch, Lateinisch, Griechisch geschrieben haben. Die gew\u00e4hlten Abschnitte waren die folgenden:\nEnglisch : Swift\u2019s Gulliver\u2019s Travels. A voyage to Liliput. Chapt. VI. Deutsch:\tGoethe\u2019s Egmont: Egmonts Monolog im Kerker. V. Act,\n2. Scene.\nFranz\u00f6sisch: Rousseau\u2019s Emile. Livre I.\nItalienisch: Boccaccio\u2019s Decameron. Novella I.\nLateinisch: Tacitus\u2019 Vita Agricolae. Cap. I.\nGriechisch: Plato\u2019s Apologia. Cap. I.\nIn jedem Falle waren die ersten 100 und die ersten 500 W\u00f6rter und ebenso die ersten 100 und die ersten 500 Buchstaben des Abschnittes zu lesen. W\u00f6rter und Buchstaben wurden m\u00f6glichst schnell, die W\u00f6rter auch normal gelesen. Um W\u00f6rter zu erhalten, die keine S\u00e4tze, und Buchstaben, die keine W\u00f6rter bildeten, lasen wir dieselben W\u00f6rter und Buchstaben auch r\u00fcckw\u00e4rts. Bei einiger Uebung tr\u00e4gt die ver\u00e4nderte Richtung des Lesens an sich nur wenig zur Vergr\u00f6\u00dferung der Zeiten bei, indessen habe ich auch besondere Listen mit je 100 englischen und deutschen W\u00f6rtern und Buchstaben drucken lassen. Die W\u00f6rter waren vielgebrauchte einsilbige Hauptw\u00f6rter, gedruckt wie auf einer gew\u00f6hnlichen Druckseite. Die erste Reihe der Buchstaben bestand aus den 100 ersten Buchstaben jener W\u00f6rter, aber in umgekehrter Reihenfolge und mit kleinen lateinischen resp. deutschen Lettern gedruckt in solchen Abst\u00e4nden, dass auf einer Linie von 12 cm L\u00e4nge 20 Buchstaben standen. Die zweite Reihe von Buchstaben war mit gro\u00dfen lateinischen resp. deutschen Lettern gedruckt und enthielt ebenfalls in umgekehrter Reihenfolge die 100","page":642},{"file":"p0643.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben. 643\nersten Buchstaben des oben angegebenen englischen resp. deutschen Abschnittes.\nDie gefundenen Zeiten sind in den beigef\u00fcgten Tabellen enthalten. Dabei ist wieder 1/iooo,/ als Zeiteinheit gew\u00e4hlt, und die Zahlen geben die Zeit an, welche im Mittel dazu erforderlich ist, jeden einzelnen Buchstaben oder jedes einzelne Wort zu erkennen und auszusprechen. Wenn nicht mit m\u00f6glichster Schnelligkeit, sondern normal gelesen worden ist, so ist das in den Tabellen besonders angegeben.\nTabelle II.\nSprache\tEnglisch\tDeutsch\tFranz\u00f6sisch\tItalienisch\tLateinisch\tGriechisch\tMittel\nB.\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t344\t196\t308\t502\t418\t496\t377\n500\t407\t209\t356\t514\t428\t453\t395\n100\t- normal\t482\t292\t364\t524\t534\t574\t462\n500\t513\t336\t443\t580\t590\t591\t509\n100\t- r\u00fcckw.\t504\t370\t434\t499\t476\t504\t465\n500\t677\t414\t438\t498\t517\t483\t505\n100 Buchst. (W. b.)\t340\t258\t202\t249\t300\t298\t275\n500\t-\t344\t292\t234\t235\t320\t300\t288\n100\t- r\u00fcckw.\t338\t388\t276\t294\t354\t384\t339\n500\t-\t370\t398\t292\t302\t375\t371\t351\nC.\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t138\t250\t167\t327\t434\t484\t300\n500\t143\t297\t196\t293\t406\t391\t288\n100\t- normal\t240\t330\t218\t380\t666\t552\t398\n500\t250\t401\t292\t461\t638\t633\t446\n100\t- r\u00fcckw.\t288\t380\t300\t334\t432\t507\t374\n500\t292\t356\t305\t319\t423\t444\t357\n100 Buchst. (W. b.)\t102\t110\t118\t136\t124\t186\t129\n500\t115\t121\t116\t143\t131\t174\t133\n100\t-\tr\u00fcckw.\t264\t290\t248\t252\t286\t324\t277\n500\t-\t288\t310\t273\t289\t329\t306\t299","page":643},{"file":"p0644.txt","language":"de","ocr_de":"644\nJames M\u00b0Keeu Cattell.\nTabelle III.\nVersuchsperson\t\tCi\tJ. R.\tMrs. 8.\tMiss H.\tMittel\tF. P.\tP. P.\tC. L.\tFri. K.\tPu\t| Mittel\nListe englischer W\u00f6rter und Buchstaben.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t352\t331\t332\t380\t296\t338\t534\t396\t568\t298\t410\t441\nr\u00fcckw\u00e4rts\t382\t329\t376\t352\t308\t349\t480\t341\t528\t331\t398\t416\n100 Buchst. (W. b.)\t152\t218\t177\t138\t142\t166\t342\t222\t398\t220\t354\t307\nr\u00fcckw\u00e4rts\t420\t444\t362\t463\t302\t398\t368\t348\t474\t386\t432\t402\n100 kleine Buchst.\t318\t236\t249\t312\t212\t266\t258\t246\t436\t210\t286\t287\n100 gro\u00dfe\t348\t222\t231\t279\t216\t259\t256\t261\t353\t228\t304\t280\nListe deutscher W\u00f6rter und Buchstaben.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t447\t422\t46S\t656\t389\t476\t364\t322\t444\t266\t304\t340\nr\u00fcckw\u00e4rts\t414\t396\t441\t596\t369\t443\t417\t351\t420\t284\t366\t368\n100 Buchst. (W. b.)\t212\t244\t212\t236\t186\t218\t318\t'204\t348\t209\t326\t281\nr\u00fcckw\u00e4rts\t468\t349\t361\t442\t316\t387\t362\t364\t441\t321\t346\t367\n100 kleine Buchst.\t378\t248\t269\t340\t251\t297\t288\t240\t321\t214\t260\t265\n100 gro\u00dfe\t547\t456\t576\t732\t580\t578\t297\t317\t357\t244\t290\t301\nSwift\u2019s Gullivers Travels.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t179\t178\t178\t186\t179\t180\t392\t222\t416\t178\t231\t288\n500\t193\t184\t211\t221\t167\t195\t410\t228\t460\t194\t226\t304\n100\t-\tnormal\t252\t252\t256\t236\t230\t245\t360\t256\t379\t262\t280\t307\n500\t268\t259\t287\t293\t243\t270\t404\t278\t661\t275\t298\t383\n100\t- r\u00fcckw.\t394\t356\t398\t520\t368\t407\t565\t394\t660\t310\t406\t467\n500\t418\t366\t431\t463\t362\t408\t530\t386\t622\t352\t433\t465\n100 Buchst. (W. b.)\t174\t206\t186\t226\t149\t188\t297\t248\t372\t214\t268\t280\n500\t176\t206\t190\t155\t171\t180\t312\t233\t382\t223\t308\t292\n100\t-\tr\u00fcckw.\t379\t320\t313\t398\t283\t339\t363\t322\t450\t320\t394\t370\n500\t408\t357\t349\t398\t306\t364\t422\t367\t432\t368\t449\t408\nGoethe\u2019s Egmont.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t324\t450\t494\t726\t484\t496\t190\t180\t304\t190\t224\t218\n500\t409\t445\t536\t806\t343\t508\t196\t200\t286\t194\t206\t216\n100\t- normal\t430\t480\t614\t649\t422\t519\t292\t255\t302\t249\t332\t286\n500\t487\t494\t601\t768\t442\t558\t331\t266\t341\t322\t374\t327\n100\t- r\u00fcckw.\t461\t424\t579\t666\t440\t514\t377\t302\t454\t273\t366\t354\n500\t459\t456\t611\t782\t439\t549\t420\t355\t474\t338\t397\t397\n100 Buchst. (W. b.)\t180\t246\t191\t236\t186\t208\t280\t171\t329\t164\t274\t244\n500\t203\t229\t190\t278\t168\t214\t262\t193\t321\t176\t261\t243\n100\t-\tr\u00fcckw.\t384\t324\t306\t454\t304\t354\t362\t318\t439\t304\t256\t336\n500\t406\t334\t357\t398\t318\t363\t386\t343\t436\t315\t387\t373","page":644},{"file":"p0645.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben. 645\nTabelle IV.\nDatum\t23. X.\t1. XI.\t4. XI.\t12. XI.\t5. XII.\t11. XII.\t4. I.\t9.1.\t12. I.\t12. I.\trQJ S \u00e4\n\t\t\t\tB.\t\t\t\t\t\t\t\nListe englischer W\u00f6rter und Buchstaben.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t484\t530\t458\t436\t428\t380\t434\t418\t412\t422\t440\nr\u00fcckw\u00e4rts\t482\t472\t448\t450\t451\t411\t502\t476\t460\t451\t460\n100 Buchst. (W. b.)\t254\t238\t210\t169\t186\t186\t194\t182\t179\t164\t196\nr\u00fcckw\u00e4rts\t312\t292\t266\t250\t249\t247\t264\t228\t249\t229\t259\n100 kleine Buchst.\t288\t288\t264\t298\t254\t249\t239\t230\t247\t233\t259\n100 gro\u00dfe\t296\t308\t286\t298\t269\t260\t265\t251\t281\t279\t279\nListe deutscher W\u00f6rter und Buchstaben.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t342\t336\t316\t306\t286\t289\t322\t279\t304\t289\t307\nr\u00fcckw\u00e4rts\t398\t396\t376\t368\t362\t350\t414\t361\t380\t386\t379\n100 Buchst. (W. b.)\t256\t242\t214\t202\t208\t186\t195\t188\t200\t174\t206\nr\u00fcckw\u00e4rts\t366\t316\t297\t271\t282\t264\t274\t246\t278\t248\t284\n100 kleine Buchst.\t290\t306\t261\t245\t278\t258\t264\t254\t267\t251\t267\n100 gro\u00dfe\t344\t326\t336\t317\t323\t346\t384\t306\t334\t314\t333\nC. Liste englischer W\u00f6rter und Buchstaben.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t262\t246\t274\t260\t247\t240\t276\t237\t246\t264\t255\nr\u00fcckw\u00e4rts\t312\t286\t316\t320\t292\t276\t304\t298\t304\t325\t303\n100 Buchst. (W. b.)\t102\t94\t98\t96\t84\t79\t83\t76\t84\t98\t89\nr\u00fcckw\u00e4rts\t278\t266\t250\t264\t250\t219\t212\t214\t212\t220\t239\n100 kleine Buchst.\t254\t242\t234\t258\t224\t205\t212\t206\t195\t206\t224\n100 gro\u00dfe\t246\t240\t242\t221\t224\t200\t217\t212\t208\t228\t224\nListe deutscher W\u00f6rter und Buchstaben.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t298\t296\t282\t311\t272\t260\t296\t260\t274\t274\t282\nr\u00fcckw\u00e4rts\t324\t328\t336\t356\t306\t307\t336\t314\t302\t321\t323\n100 Buchst. (W. b.)\t110\t110\t100\t99\t93\t90\t93\t94\t87\t86\t96\nr\u00fcckw\u00e4rts\t304\t284\t282\t304\t277\t250\t264\t246\t224\t243\t268\n100 kleine Buchst.\t264\t270\t274\t272\t239\t224\t267\t247\t255\t262\t257\n100 gro\u00dfe\t412\t450\t436\t462\t419\t414\t426\t421\t388\t444\t427","page":645},{"file":"p0646.txt","language":"de","ocr_de":"646\nJames McKeen Cattell.\nTabelle V.\nDatum\t30. X.\t12. XI.\t3. XII.\t15. XII.\t4.1.\tMittel\t31. X.\t3. XL\tHH X\t23. XII.\t4. I.\tMittel\n\tSwift\u2019s\t\tGulliver\u2019s\t\tTravels\t\tGoethe\u2019s Egmont\t\t\t\t\t\nB.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t312\t274\t306\t282\t279\t291\t186\t192\t182\t184\t174\t184\n500\t349\t307\t323\t331\t334\t329\t206\t205\t204\t205\t191\t202\n100\t- normal\t428\t402\t443\t439\t408\t424\t310\t312\t324\t316\t318\t316\n500\t487\t465\t463\t453\t457\t465\t352\t347\t346\t373\t352\t354\n100\t- r\u00fcckw.\t416\t388\t409\t412\t419\t409\t324\t318\t316\t317\t291\t313\n500\t457\t432\t425\t435\t446\t439\t369\t348\t347\t340\t318\t344\n100 Buchst. (W. b.)\t268\t232\t241\t219\t208\t234\t218\t200\t194\t186\t172\t194\n500\t260\t255\t216\t243\t236\t242\t250\t240\t226\t222\t212\t230\n100\t- r\u00fcckw.\t306\t292\t299\t271\t255\t285\t364\t316\t290\t276\t272\t304\n500\t330\t319\t304\t314\t307\t315\t336\t331\t299\t300\t291\t311\nC.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 W\u00f6rter\t132\t122\t133\t127\t109\t125\t220\t198\t185\t170\t159\t188\n500\t141\t126\t140\t134\t130\t134\t254\t217\t214\t209\t192\t217\n100\t- normal\t226\t234\t238\t234\t232\t233\t312\t338\t298\t307\t308\t313\n500\t238\t235\t249\t252\t251\t245\t375\t399\t332\t371\t332\t362\n100\t- r\u00fcckw.\t264\t262\t240\t247\t250\t253\t324\t300\t325\t286\t286\t304\n500\t287\t286\t282\t267\t262\t277\t331\t318\t316\t310\t320\t319\n100 Buchst. (W. b.)\t100\t82\t77\t84\t87\t86\t112\t100\t94\t93\t80\t96\n500\t103\t95\t89\t94\t92\t95\t111\t103\t104\t102\t99\t104\n100\t- r\u00fcckw.\t252\t268\t227\t217\t202\t233\t280\t256\t274\t246\t236\t25S\n500\t272\t274\t259\t251\t262\t264\t279\t286\t301\t247\t259\t274\nEine genauere Betrachtung der Tabellen ergibt folgende That-sachen : das Maximum der Schnelligkeit, mit welcher man Buchstaben , die W\u00f6rter bilden, und W\u00f6rter, die S\u00e4tze bilden, lesen kann, \u00e4ndert sich gleichsinnig mit der Kenntniss der betreffenden Sprache und des betreffenden Abschnittes. F\u00fcr B. (Dr. G. O. Berger, Deutscher) ergibt sich als mittlere Zeit, welche zum Lesen jedes einzelnen Wortes in dem deutschen Abschnitte gebraucht wird, aus 100 W\u00f6rtern 184, aus 500 W\u00f6rtern 202, im englischen Abschnitte resp. 291, und 329, und die f\u00fcr andere Sprachen gefundenen Resultate messen ebenfalls seine Bekanntschaft mit diesen Sprachen.l) Dasselbe gilt f\u00fcr\n1) Diese einfache Methode, die Bekanntschaft Jemandes mit einer Sprache zu constatiren, k\u00f6nnte vielleicht bei Schulpr\u00fcfungen verwandt werden.","page":646},{"file":"p0647.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben. 647\nC. (den Verfasser selbst, Vereinigte Staaten, also Englisch sprechend) und f\u00fcr die \u00fcbrigen Personen, welche an den Versuchen theilnahmen. Von diesen sprachen die 5 in Tab. V zuerst angef\u00fchrten als Muttersprache Englisch, die 5 letzten Deutsch. Das Verh\u00e4ltniss der Schnelligkeiten, mit welchen die W\u00f6rter in den beiden Sprachen gelesen werden, gibt den Grad der Vertrautheit mit der fremden Sprache an. Z. B. ist Fri. K. fast so vertraut mit dem Englischen wie mit dem Deutschen, Mrs. S. kennt nur wenig Deutsch. F\u00fcr Buchstaben, welche W\u00f6rter bilden, gilt dasselbe Gesetz, wenngleich ungenauere Kennt-niss der betreffenden Sprache nicht in dem hohen Grade die Zeiten verl\u00e4ngert, wie im Falle der W\u00f6rter, welche S\u00e4tze bilden. Das Gleiche gilt, wenn wir den Abschnitt mit normaler Geschwindigkeit vorlesen. Die Versuchsperson bildet sich ein, dass sie die fremde Sprache ebenso schnell lese, wie ihre eigne, in Wirklichkeit ist die Geschwindigkeit eine bestimmte Function der Kenntniss der betreffenden Sprache. Dies erkl\u00e4rt die bekannte Thatsache, dass es uns scheint, als spr\u00e4chen Fremde viel schneller als wir.\nNehmen wir W\u00f6rter, die keine S\u00e4tze, und Buchstaben, die keine W\u00f6rter bilden, so wird die zum Lesen erforderliche Zeit ungef\u00e4hr verdoppelt. Z. B. las C. die ersten 100 W\u00f6rter des englischen Abschnittes mit einer Geschwindigkeit von 125 pro Wort, dieselben 100 W\u00f6rter r\u00fcckw\u00e4rts mit der Geschwindigkeit 253 und die 100 einsilbigen englischen Hauptw\u00f6rter der Liste mit der Geschwindigkeit 255. F.inp Betrachtung der Tabellen (obwohl dieselben pers\u00f6nliche Unterschiede aufweisen), best\u00e4tigt diese Behauptung sowohl bei W\u00f6rtern als bei Buchstaben. Man erkennt au\u00dferdem, dass die Zeit des Erkennens und Aussprechens f\u00fcr Buchstaben ein wenig, aber nicht betr\u00e4chtlich k\u00fcrzer ist, als f\u00fcr W\u00f6rter. Z. B. ist C.\u2019s Zeit f\u00fcr englische W\u00f6rter 253 und 255, f\u00fcr kleine lateinische Buchstaben in den drei angef\u00fchrten Reihen resp. 233, 238, 224, f\u00fcr gro\u00dfe lateinische Buchstaben 224, kleine deutsche 258 und 257, gro\u00dfe deutsche 427. Es ergibt sich hieraus, dass C. f\u00fcr kleine und f\u00fcr gro\u00dfe lateinische Buchstaben genau dieselbe Zeit erh\u00e4lt, eine etwas gr\u00f6\u00dfere f\u00fcr kleine deutsche und eine bedeutend gr\u00f6\u00dfere f\u00fcr gro\u00dfe deutsche Buchstaben. Die Zeit f\u00fcr letztere war auch f\u00fcr die Deutschen lang. Die Differenz zwischen den Zahlen 224, 224 und 233, 238 gibt an, wie viel weniger Zeit C. brauchte, um, wie man es gew\u00f6hnt ist, von links nach rechts und von oben nach","page":647},{"file":"p0648.txt","language":"de","ocr_de":"648\nJames McKeen Cattell.\nunten, als um in entgegengesetzter Richtung zu lesen, wo in beiden F\u00e4llen dieselben Buchstaben und in derselben Reihenfolge zu lesen waren.\nDurch bereits erw\u00e4hnte, hier nicht beschriebene Experimente habe ich gefunden, dass die Zeit, welche man braucht, um ein einzelnes Wort oder einen einzelnen Buchstaben zu erkennen und auszusprechen, betr\u00e4chtlich l\u00e4nger ist, als die hier angegebenen Zeiten. Das erkl\u00e4rt sich, wie bereits oben angegeben, dadurch, dass bei den hier beschriebenen Versuchen die Zeiten, welche zum Erkennen, und welche zum Aussprechen eines Wortes oder eines Buchstabens gebraucht werden, sich theilweise \u00fcberdecken in der Weise, dass die Erkennungszeit verk\u00fcrzt und die Aussprechzeit ganz eliminirt wird. Es wird n\u00e4mlich der Buchstabe (oder das Wort) automatisch ausgesprochen, w\u00e4hrend der folgende bereits appercipirt wird. Bilden die Buchstaben W\u00f6rter und die W\u00f6rter S\u00e4tze, so werden die Zeiten ganz auffallend verk\u00fcrzt. Die W\u00f6rter und Buchstaben werden n\u00e4mlich nicht einzeln einer nach dem andern appercipirt, sondern mit einem geistigen Process gleich eine ganze Gruppe. Die Geschwindigkeit, mit der man sie gelesen hat, war also nur beschr\u00e4nkt durch die Maximalschnelligkeit der Aussprache.\nJe weniger eine Sprache bekannt ist, desto kleiner wird der Unterschied zwischen den Schnelligkeiten, mit denen man einen Abschnitt vor- und r\u00fcckw\u00e4rts liest. Im Italienischen und Griechischen wurden die Versuchspersonen, als sie den Abschnitt zum ersten Male und m\u00f6glichst schnell lasen, wenig unterst\u00fctzt durch den Sinn, und die Zeit f\u00fcr Vorw\u00e4rtslesen war fast so lang als f\u00fcr R\u00fcckw\u00e4rtslesen. In den Tabellen II und III sind die Resultate angegeben, welche wir erhielten, als die Abschnitte zum ersten Male gelesen wurden ; beim zweiten Male wurden die Zeiten k\u00fcrzer und regelm\u00e4\u00dfiger. Den Einfluss der Uebung und der Bekanntschaft mit dem Abschnitt erkennt man aus den Tabellen IV und V, welche die Resultate zehnmaligen Lesens desselben Abschnittes enthalten, den der Erm\u00fcdung daraus, dass fast in allen F\u00e4llen, wo 500 Buchstaben oder W\u00f6rter gelesen wurden, der hieraus gefundene Mittelwerth gr\u00f6\u00dfer war als der aus nur 100 geistigen Processen derselben Art gewonnene. Tabelle III zeigt, dass das weibliche Geschlecht etwas schneller gelesen hat als das m\u00e4nnliche, dagegen stellt sich f\u00fcr die beiden Nationalit\u00e4ten kein be-","page":648},{"file":"p0649.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben. 649\nmerkenswerther Unterschied heraus, nur zum Buchstabiren von W\u00f6rtern gebrauchen die Deutschen bedeutend l\u00e4ngere Zeit als die Englisch sprechenden. Vielleicht ist es nicht nur eine zuf\u00e4llige Ueberein-stimmung, dass man, wenn man einen Abschnitt aus einem Buche mit normaler Schnelligkeit (mit welcher die Schnelligkeit des Sprechens und ich glaube auch die des gew\u00f6hnlichen Denkens \u00fcbereinstimmt) , und wenn man W\u00f6rter m\u00f6glichst schnell liest, die keine S\u00e4tze bilden, in beiden F\u00e4llen ungef\u00e4hr dieselbe Geschwindigkeit erh\u00e4lt. Ich brauche nicht auf die weiteren Folgerungen aufmerksam zu machen, die jeder Leser allein aus den obigen Tabellen ziehen kann, ich f\u00fcge denselben jedoch noch kurz hinzu, dass, um W\u00f6rter einzeln zu z\u00e4hlen, B. 343 , C. 253 brauchte, und dass diese Zeiten mit den f\u00fcr das Lesen von W\u00f6rtern, die keine S\u00e4tze bilden, gefundenen \u00fcbereinstimmen. Im Uebrigen m\u00f6ge man diese, sowie die \u00fcbrigen im II. Theile angef\u00fchrten Zahlen mit den entsprechenden des I. Theiles vergleichen.\nNach derselben Methode, welche wir im Vorigen auf W\u00f6rter und Buchstaben angewandt haben, wurde die Zeit bestimmt, welche man braucht, um Farben und Bilder zu erkennen und zu benennen. Von Farben w\u00e4hlten wir folgende 10: roth, blau, gr\u00fcn, gelb, orange, violett, rosa, schwarz, grau, braun, und klebten von jeder Farbe 10 Vierecke, 3 mm im Quadrat, in zuf\u00e4lliger Reihenfolge je 1 cm von einander und je 10 in einer Zeile auf. Drehte man die Karte, so wurde die Reihenfolge der Farben ge\u00e4ndert. In gleicher Weise zeichneten wir 100 Bilder von 26 gew\u00f6hnlichen Gegenst\u00e4nden, Hand, Baum, Schiff u. s. w. auf. Die Bilder waren ungef\u00e4hr 1 cm gro\u00df, je 10 auf einer Zeile von 15 cm L\u00e4nge. Die Reihenfolge der Bilder konnte ebenfalls ge\u00e4ndert werden. Die Bilder wurden englisch und deutsch benannt. Die Resultate dieser Versuche sind in der folgenden Tabelle enthalten.","page":649},{"file":"p0650.txt","language":"de","ocr_de":"650 James McKeen Cattell. Ueber d. Zeit d. Erkennung u. Benennung von Schriftzeichen etc.\nTabelle YI.\n\t1.\t2.\t3.\t4.\t5.\t6.\t7.\t8.\t9.\t10.\tMittel\nB.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 Farben\t551\t520\t524\t548\t524\t519\t541\t518\t513\t497\t526\n100 Bilder deutsch\t534\t522\t501\t539\t486\t484\t482\t490\t449\t526\t501\n100\t- englisch\t638\t602\t600\t596\t622\t584\t534\t550\t528\t546\t580\nC.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n100 Farben\t654\t662\t760\t634\t648\t587\t654\t648\t586\t544\t638\n100 Bilder englisch\t623\t586\t626\t717\t545\t523\t574\t558\t556\t568\t588\n100\t- deutsch\t597\t604\t626\t600\t670\t637\t597\t587\t598\t626\t614\nEs fallt sofort auf, dass die Zeit, welche man braucht, um eine Farbe oder ein Bild zu erkennen und zu benennen, l\u00e4nger (ungef\u00e4hr doppelt so lang) ist, als f\u00fcr Buchstaben oder W\u00f6rter. Die Experimente, welche ich in dieser Arbeit bereits mehrfach herangezogen habe, ergeben, dass die Zeit, welche erforderlich ist, um eine Farbe oder ein Bild zu erkennen, k\u00fcrzer ist, als um ein Wort oder einen Buchstaben zu erkennen. Die Zeit also, welche man braucht, um eine Farbe oder ein Bild zu erkennen und zu benennen, wird lang gemacht durch die Schwierigkeit, den richtigen Namen zu finden, nicht weil das Erkennen des Objects schwieriger w\u00e4re. Wir sind so daran gew\u00f6hnt, W\u00f6rter und Buchstaben zu lesen, dass hierbei die Association zwischen der Vorstellung und ihrem Namen vollst\u00e4ndig automatisch erfolgt ; dagegen zeigen diese Experimente, dass diese Association f\u00fcr Farben und Bilder nicht so eng ist. B. brauchte, um die Bilder statt deutsch englisch zu benennen, 7 9 l\u00e4nger, die entsprechende Zeit f\u00fcr C. ist 26. Es empfiehlt sich, diese und analoge Versuche hei der Untersuchung der Aphasie anzuwenden.\nZum Schluss f\u00fchre ich ausdr\u00fccklich an, dass von den gemessenen Zeiten keine einzige wiederholt oder in den Mittelzahlen vernachl\u00e4ssigt ist, die aber, welche die M\u00f6glichkeit, die Dauer geistiger Pro-cesse zu messen, anzweifeln, mache ich auf die gro\u00dfe Regelm\u00e4\u00dfigkeit der gefundenen Zeiten aufmerksam, welche kaum geringer ist als bei gewissen physikalischen Beobachtungen.","page":650}],"identifier":"lit4142","issued":"1885","language":"de","pages":"635-650","startpages":"635","title":"Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bildern und Farben","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:31:40.710036+00:00"}