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{"created":"2022-01-31T14:21:50.976159+00:00","id":"lit4154","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Luft, Eduard","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 4: 511-540","fulltext":[{"file":"p0511.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\nVon\nEduard Luft.\nBei der fundamentalen Stellung, die dem Weber\u2019sehen Gesetze von Anfang an im Tongebiete angewiesen wurde, musste es von h\u00f6chster Wichtigkeit erscheinen, dieses Gebiet hinsichtlich der G\u00fcltigkeit des psychophysischen Gesetzes einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen und hierbei besonders die Fechner\u2019sche Fundamentalformel\ndi=Kd-f]\nzu erproben, ln der Formel bedeutet bekanntlich d\u00df einen unendlich kleinen Reizzuwachs zum urspr\u00fcnglichen Reize \u00df, K eine Constante und di die dem Reizzuwachs entsprechende Empfindungs\u00e4nderung. In anderen Sinnesgebieten war man zur Pr\u00fcfung des genannten Gesetzes zumeist nicht von der logarithmischen Integralform desselben\ni=K log nat ~\n(unter b die Integrationsconstante verstanden) ausgegangen, \u00e8ondern hatte die Verification der erstgenannten Formel versucht. Dass dahinzielende Versuche im Tongebiet ziemlich lange auf sich warten lie\u00dfen, hatte zum gro\u00dfen Theile seinen Grund darin, dass die unmittelbar vorliegende Thatsache, nach welcher wir die Tonintervalle nicht nach absoluten, sondern nach relativen Unterschieden der Schwingungszahlen abmessen, eine Gew\u00e4hr f\u00fcr die G\u00fcltigkeit\n1) Fechner, Elemente der Psychophysik II, pag. 10.","page":511},{"file":"p0512.txt","language":"de","ocr_de":"512\nEduard Luft.\ndes Weber\u2019schen Gesetzes zu geben schien. Und so nahm Fechner bei Begr\u00fcndung der Psychophysik das Gesetz auf dem Gebiete der Tonqualit\u00e4ten als bewiesen an, wenn er sagt1): \u00bbInzwischen bedarf es zur Best\u00e4tigung des Gesetzes in dieser Hinsicht, d. h. vermittelst der Pr\u00fcfung der eben merklichen Unterschiede, nicht erst besonderer Versuche, da es eine einfache und so zu sagen notorische Aussage des musikalischen Geh\u00f6rs ist, dass gleichen Verh\u00e4ltnissen der Schwingungszahlen eine als gleich gro\u00df empfundene Tondifferenz entspricht, so dass man das Gesetz hier directer als sonst irgendwo und zwar auch f\u00fcr gro\u00dfe Unterschiede erwiesen halten kann.\u00ab Der andere Grund einer unbedingten Annahme der G\u00fcltigkeit des Gesetzes f\u00fcr das Tongebiet lag in der einfachen Erfahrungstatsache, dass f\u00fcr hohe T\u00f6ne die Unterschiedsschwellen viel gr\u00f6\u00dfer sind als in den niederen Tonlagen. Was nun zuerst diesen Punkt anlangt, so ist die darin ausgesprochene Beobachtung durchaus noch nicht beweiskr\u00e4ftig genug f\u00fcr die G\u00fcltigkeit des Web er\u2019schen Gesetzes, denn wenn auch wirklich mit zunehmender H\u00f6he der T\u00f6ne die Unterschiedsschwellen wachsen, so braucht doch dieses Wachsthum noch nicht nach dem Web er\u2019sehen Gesetze zu erfolgen. In gleicher Weise ist auch nicht die F\u00e4higkeit, zwei T\u00f6ne in den verschiedenen Tonlagen nach Intervallen zu sch\u00e4tzen, f\u00fcr das Web er\u2019sehe Gesetz zu verwerten, denn als vollst\u00e4ndig ausreichender Grund derselben l\u00e4sst sich die Gemeinsamkeit begleitender Obert\u00f6ne und das harmonische Verh\u00e4ltniss zu den erzeugten Combinationst\u00f6nen ansehen. Wenn hierbei eingewandt werden m\u00f6chte, au\u00dfer diesem Factor k\u00f6nnte immer noch der andere bestehen, dass wir in unserm Bewusstsein ein unmittelbares Ma\u00df f\u00fcr Tonintervalle haben, welches dem Weber\u2019sehen Gesetze folge, so ist die Existenz dieses Factors wegen mangelnder Versuche doch nicht als erwiesen anzusehen.\nWar hier die G\u00fcltigkeit des Gesetzes f\u00fcr beliebige endliche Unterschiede einigerma\u00dfen in Frage gestellt, so geschah dies in noch viel h\u00f6herem Ma\u00dfe f\u00fcr eben merkliche Unterschiede durch die von Prey er2) im Jahre 1875 ausgef\u00fchrten Versuche, wobei\n1)\tFechner, Elemente I, pag. 182.\n2)\tPrey er, Ueber die Grenzen der Tonwahrnehmung.","page":512},{"file":"p0513.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Untersohiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n513\nderselbe auch \u00e4hnliche, fr\u00fcher von Delezenne, Seeheck und Anderen gewonnene Resultate benutzte.\nPrey er bediente sich zu seinen sehr eingehenden und sorgf\u00e4ltigen Untersuchungen eines nach seinen Angaben verfertigten Tondifferenzapparates, n\u00e4mlich einer Reihe abgestufter Metallzungen,\nbei welcher sich die einzelnen T\u00f6ne um ~ Schwingung unterschieden. Ein gr\u00f6\u00dferer Blasebalg f\u00fcllte ein Luftreservoir, von dem aus durch Herausziehen kleiner Schieber die einzelnen Zungen in Schwingungen versetzt wurden. Die Versuchsperson hatte nun die Punkte obiger Tonreihe zu bestimmen, bei welchen jedesmal ein Unterschied zweier nach einander angeschlagener T\u00f6ne bemerkbar war. Auf diese Weise fand Prey er f\u00fcr seine Person bei 500 Schwingungen einen bestimmt bemerkbaren Unterschied, sobald die T\u00f6ne um 0,4 oder 0,3 Schwingungen differirten, w\u00e4hrend bei 1000 Schwingungen sich 0,5 oder 0,6 als \u00e4u\u00dferste Unterschiedsgrenzen ergaben. Bei seinem Mitarbeiter Appunn, der eine vielj\u00e4hrige Uebung des Geh\u00f6rs besa\u00df, zeigte sich ebenfalls, dass derselbe bei 1000 und 1000,5 noch bestimmt einen Unterschied con-statirte, bei 1000 und 1000,25 und ebenso 500 und 500,2 Schwingungen jedoch kein unbedingt sicheres Urtheil mehr abzugeben im Stande war. Daher nahm Prey er an, dass im Durchschnitt bei 500 0,3 und bei 1000 0,5 Schwingungen als absoluter eben merklicher Unterschied anzusehen seien, und stellte dieses Resultat mit den fr\u00fcher von Delezenne und Seebeck f\u00fcr Tonh\u00f6hen von 120 und 440 Schwingungen gefundenen Daten zu folgender Tabelle zusammen :\nSchwingungszahl\tAbsol. Unterschieds-empfindlichkeit 1\tEben merkl. Differenz\tRelative UnterscMeds-empfinldiclikeit n\nn\t-=4\td\t* = \u00a5\n120\t2,39\t0,418\t287\n440\t2,75\t0,363\t1212\n500\t3,33\t0,300\t1666\n1000\t2,00\t0,500\t2000\nGest\u00fctzt auf diese Versuche\t\tstellte Prey er\tdie S\u00e4tze auf: Die\nabsolute Unterschiedsempfindlichkeit n\u00e4hert sich im Allgemeinen in den verschiedenen Tonlagen der Constanz. Im Besondem ergeben die angef\u00fchrten Zahlen, dass die absolute Unterschieds-","page":513},{"file":"p0514.txt","language":"de","ocr_de":"514\nEduard Luft.\nempfindlichkeit in der Tonlage n = 440 Schwingungen am gr\u00f6\u00dften ist und nach beiden Seiten innerhalb des beobachteten Tongebiets um ein weniges abnimmt. In den h\u00f6heren Tonlagen sowohl wie in den tieferen nimmt die absolute Unterschiedsempfindlichkeit sehr schnell ab, so dass z. B. bei einer Tonh\u00f6he von 16 000\u201420 000 Schwingungen selbst von den Ge\u00fcbtesten Unterschiede von 1000 Schwingungen nicht mehr wahrgenommen werden. Die relative Untersphiedsempfindlichkeit nimmt dagegen innerhalb des beobachteten Tongebietes best\u00e4ndig zu. Aus allem diesen musste folgen, dass das Weber\u2019sche Gesetz, wonach die relative Unterschiedsempfindlichkeit constant w\u00e4re, innerhalb des Tonbereiches von 120\u20141000 Schwingungen vollst\u00e4ndig ung\u00fcltig sei.\nDoch sind diese Versuche Pr eye r\u2019s nicht in allen St\u00fccken einwurfsfrei. So gibt Fechner1) vorz\u00fcglich Folgendes dabei zu bedenken: \u00bbDie Best\u00e4tigungen des Weber\u2019schen Gesetzes f\u00fcr die Abh\u00e4ngigkeit der St\u00e4rke der Licht- und Schallempfindung von der Schwingungsweite a sind im Allgemeinen bei Constanz der Schwingungszahl n gefunden. Es lie\u00dfe darnach sich auch denken, dass die Best\u00e4tigung des Gesetzes f\u00fcr die Abh\u00e4ngigkeit der Tonh\u00f6hen und der Farbenempfindung von der Schwingungszahl n umgekehrt nur bei entsprechender Constanz der Schwingungsweite a zu finden w\u00e4re, f\u00fcr welche Constanz die Preyer\u2019schen Versuche keine Gew\u00e4hr bieten\u00ab. Aus diesem Grunde scheinen Fechner die Pr eyer\u2019schen Versuche f\u00fcr oder gegen die G\u00fcltigkeit des Weber\u2019schen Gesetzes bei gleich erhaltener Amplitude und ver\u00e4nderlicher Schwingungszahl n nicht beweiskr\u00e4ftig zu sein. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich der hier gemachte Vorwurf eben so gut den Versuchen \u00fcber Empfindungen der Schallintensit\u00e4ten, f\u00fcr welche ja das Weber\u2019sche Gesetz als g\u00fcltig erwiesen wurde, machen l\u00e4sst. Denn wenn es richtig ist, dass die Intensit\u00e4t eines Schalles eine Function der lebendigen Kraft, also von a2\u00ab2 ist, so wird zwar bei ver\u00e4ndertem n sich auch die Intensit\u00e4t etwas ver\u00e4ndern, umgekehrt ist aber a priori nicht zu entscheiden, ob sich bei ver\u00e4nderter Intensit\u00e4t mit der lebendigen Kraft nicht allein a sondern auch n \u00e4ndert. Und in der That scheinen mannigfache Beobachtungen darauf hin-\n1) Fechner, Revision der Hauptpunkte der Psychophysik S. 173.","page":514},{"file":"p0515.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n515\nzudeuten. L\u00e4sst man, wie es zur Verification des Web ersehen Gesetzes auf dem Gebiete der Schallintensit\u00e4ten1) geschah, eine Kugel auf eine harte Unterlage fallen, so nimmt mit vergr\u00f6\u00dferter Fallh\u00f6he nicht allein die Intensit\u00e4t des erzeugten Fallger\u00e4usches zu, sondern dasselbe scheint auch in seiner Qualit\u00e4t sich zu ver\u00e4ndern und zwar zu erh\u00f6hen. Der Grund dieser Erscheinung liegt darin, -dass in Folge der gesteigerten Bewegung der Theilchen die h\u00f6heren Partialt\u00f6ne mitklingen. Noch gr\u00f6\u00dfer ist selbstverst\u00e4ndlich die Verschiedenheit der Schallqualit\u00e4t bei Anwendung von Kugeln verschiedenen Gewichts. Ist diese qualitative Aenderung bei der Schallintensit\u00e4t aber irrelevant f\u00fcr die Frage, ob unsere Empfindung dem Web er\u2019sehen Gesetze folgt oder nicht, so ist wohl anzunehmen, dass auch etwaige geringe Schwankungen der Intensit\u00e4t bei Pr\u00fcfung der Schallqualit\u00e4t das Resultat nicht merklich beeinflussen. Immerhin d\u00fcrfte es sich empfehlen, nach dem Vorschl\u00e4ge Fechner\u2019s Versuche mit m\u00f6glichst einfachen T\u00f6nen zur L\u00f6sung der Frage vorzunehmen, ob die Empfindungsunterschiede, welche bestimmten geringen H\u00f6henunterschieden der T\u00f6ne entsprechen, bei variabler Intensit\u00e4t derselben constant sind. Trotzdem hat sich auch im letzteren Falle das Weber\u2019sche Gesetz im Allgemeinen best\u00e4tigt gefunden. Andererseits ist auch noch Folgendes zu beachten: Das Weber\u2019sche Gesetz soll seinem ganzen psychophysischen Charakter nach die Beziehung zwischen der Empfindung und dem \u00e4u\u00dferen Reize oder wenigstens einer Seite des letzteren ausdr\u00fccken. Handelt es sich also darum, die Aenderung der Empfindung bei Ver\u00e4nderung von nur einer Eigenschaft eines Reizes, z. B. der H\u00f6he des Tones, zu erforschen, so wird es weniger darauf ankommen, dass die physikalischen Bedingungen der sonstigen Eigenschaften des Reizes, z. B. der Intensit\u00e4t constant sind, als dass die subjectiven Wirkungen derselben, also ihre Empfindungseffecte unver\u00e4ndert bleiben. Dieser Bedingung konnte aber wenigstens bei dem Preyer\u2019schen Tondifferenzapparate gen\u00fcgt werden , da dort schon im voraus darauf Bedacht genommen wurde, dass die verschieden hohen T\u00f6ne hinsichtlich ihrer Intensit\u00e4t f\u00fcr die Empfindung vollst\u00e4ndig gleich waren.\n1) Vergl. Tischer: Ueber Unterscheidung von Schallst\u00e4rken. Philos. Stud. I, S. 4 u. 5. Starke: Die Messung von Schallst\u00e4rken. Philos. Stud. III. S. 264.","page":515},{"file":"p0516.txt","language":"de","ocr_de":"516\nEduard Luft.\nWenn daher durch den eben erw\u00e4hnten Einwurf die Beweiskraft der Prey er\u2019sehen Versuche kaum ersch\u00fcttert wird, so doch ungleich mehr durch die folgenden weiteren Bedenken'). Die Zusammenstellung ganz verschiedener, wenn auch musikalisch ge\u00fcbter Beobachter, von denen jeder nur eine resp. zwei Tonlagen (Dele-zenne T\u00f6ne von 120, Seebeck solche von 440 und Preyer T\u00f6ne von 500 und 1000 Schwingungen) untersuchte, gibt uns keine Gew\u00e4hr f\u00fcr ein gleiches Unterscheidungsverm\u00f6gen der genannten Beobachter. Ebenso war die Fragestellung bei den einzelnen eine sehr verschiedene. So sagte Seebeck1 2) mit Bezug auf seine Mitarbeiter, dass dieselben bei einer Schwingungsdifferenz von 0,363 Schwingungen niemals im Unklaren waren, welcher von beiden T\u00f6nen der h\u00f6here war, w\u00e4hrend Preyer nur den Punkt bestimmte, bei welchem in allen Urtheilen die T\u00f6ne als verschieden empfunden wurden. Dass dabei eine Anzahl Urtheile mit unterlaufen konnte, bei welchen der thats\u00e4chlich tiefere Ton f\u00fcr den h\u00f6heren und umgekehrt gehalten wurde, ist wohl anzunehmen, wie denn auch Preyer eine erheblich h\u00f6here Schwingungsdifferenz erhielt, sobald er bei den einzelnen Sch\u00e4tzungen eine Entscheidung dar\u00fcber verlangte, welcher Ton der h\u00f6here sei. Ferner m\u00f6chte wohl auch an den Preyer\u2019schen Versuchen auszustellen sein, dass sie bei dem Mangel einer streng durchgef\u00fchrten Methode ein Ma\u00df f\u00fcr die Unterschiedsempfindlichkeit lieferten, welches mit den auf anderem Wege gefundenen nicht wohl vergleichbar ist. Ueberdies sind die einzelnen Versuche mit ganz verschiedenen Instrumenten ausgef\u00fchrt worden, bei Delezenne mit Saiten, bei Seebeck mit Stimmgabeln, bei Preyer mit Metallzungen, sodass auch die verschiedene Klangfarbe der einzelnen Instrumente auf die Unterscheidbarkeit der T\u00f6ne von Einfluss sein konnte.\nDie Frage \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr T\u00f6ne wurde weiterhin durch Stumpf3) aufgenommen. W\u00e4hrend aber Preyer seine Versuche an musikalisch besonders Ge\u00fcbten anstellte, f\u00fchrte Stumpf seine Beobachtungen an v\u00f6llig Unmusikalischen aus. Zu\n1)\tYergl. Wundt, Physiol. Psychologie 2. AufL S. 398. M\u00fcller, Zur Grundlegung der Psychophysik S. 291.\n2)\tPoggendorf\u2019s Annalen 1846, Bd. 68, S. 462.\n3)\tStumpf, Tonpsychologie, S. 313ff.","page":516},{"file":"p0517.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n517\ndiesem Zwecke schlug er theils auf dem Clavier theils auf der Orgel in drei verschiedenen Regionen (F{\u2014F, g\u2014gl, \u00df\u2014\u00df) successiv je zwei T\u00f6ne an, die entweder eine Quinte, gro\u00dfe oder kleine Terz, gro\u00dfe oder kleine Secunde von einander entfernt waren, und lie\u00df die Versuchspersonen ein Urtheil dar\u00fcber abgeben, welcher Ton der h\u00f6here sei. Dabei zeigte sich aus dem Verh\u00e4ltniss der richtigen zur Gesammtheit der abgegebenen Urtheile die \u00fcberraschende That-sache, dass die Zuverl\u00e4ssigkeit Unmusikalischer im Beurtheilen zweier T\u00f6ne seihst hei gr\u00f6\u00dferen Distanzen doch eine geringe ist, und zwar ergab sich das Verh\u00e4ltniss 3:4, d. h. auf 4 abgegebene Urtheile kamen 3 richtige.\u201c Dies Verh\u00e4ltniss scheint zugleich f\u00fcr einen gr\u00f6sseren Theil der Menschen zutreffend zu sein, als man von vorne herein anzunehmen geneigt w\u00e4re ; denn die zu obigen Versuchen verwendeten Personen nahm Stumpf ohne l\u00e4ngeres Suchen aus seinem Zuh\u00f6rerkreise.\nJedoch erscheint es nicht zweckm\u00e4\u00dfig, die Urtheile \u00fcber ganz verschiedene Distanzen zusammenzuwerfen, wie Stumpf es gethan hat, da sich doch in Bezug auf die den einzelnen Intervallen entsprechenden Urtheile nicht unbetr\u00e4chtliche Unterschiede zeigen. Und wenn Stumpf im weitern Verlaufe die gefundenen Zuverl\u00e4ssigkeits-werthe der einzelnen Tondifferenzen als direct abh\u00e4ngig von der Unterschiedsempfindlichkeit ansieht, so musste nat\u00fcrlich einer gr\u00f6sseren Tondistanz eine gr\u00f6\u00dfere Unterschiedsempfindlickeit entsprechen, und ein Zusammenwerfen der einzelnen Zuverl\u00e4ssigkeitswerthe um so weniger statthaft sein. Ueberdies sind auch f\u00fcr die einzelnen Distanzen nicht gleich viel Versuche vorhanden, so dass vor Allem die Quinte, deren Zahlen am meisten von den andern abweichen, mit doppelt so viel Versuchen bedacht ist, als die \u00fcbrigen Intervalle. Wenn aber eine Abstufung in Bezug auf die Anzahl der Versuche f\u00fcr die einzelnen Distanzen gemacht werden soll, so m\u00fcsste dies doch wenigstens irgendwie begr\u00fcndet werden. Insbesondere aber kann der Zuverl\u00e4ssigkeits werth 3:4 nicht mit dem von Prey er gefundenen 3:5 verglichen werden, indem Prey er in den hierher geh\u00f6rigen Versuchen1) nur Tondifferenzen untersuchte, die eben sicher als verschieden erkannt wurden, also ein f\u00fcr die Empfindung einheitliches Ma\u00df zu Grunde legte.\n1} Prey er, Die Grenzen der Tonwahrnehmung. S. 37.","page":517},{"file":"p0518.txt","language":"de","ocr_de":"518\nEduard Luft.\nStumpf sucht ferner die geringe Unterscheidungsf\u00e4higkeit Unmusikalischer dadurch zu erkl\u00e4ren, dass bei ihnen die Differenzirung der Geh\u00f6rsfasem im Geh\u00f6rorgan eine geringere sei, als hei den musikalisch Gebildeten. Doch steht dem entgegen, dass die Zuver-l\u00e4ssigkeitswerthe hei einer 2., 3. und 4. Versuchsreihe immer gr\u00f6\u00dfer wurden, was sich mit der gemachten Annahme schwer in Einklang bringen l\u00e4sst. Viel mehr Wahrscheinlichkeit hat der zweite Grund, den Stumpf auch anf\u00fchrt, dass n\u00e4mlich die mangelhafte Uebung im Auffassen der T\u00f6ne, die Unf\u00e4higkeit einer vollkommenen Concentration der Aufmerksamkeit Tonempfindungen gegen\u00fcber hei den betreffenden Personen die Ursache sei.\nDas Hauptergebnis der Stumpf\u2019schen Versuche aber liegt in den verschiedenen Zuverl\u00e4ssigkeitswerthen in den einzelnen Tonregionen, und zwar stellt sich heraus, dass die Zuverl\u00e4ssigkeit bei den tieferen Regionen am geringsten ist, dann in ziemlich starkem Ma\u00dfe steigt, in der Gegend des c2 ein Maximum erreicht und nach oben hin bis c4 oder c5 wieder ein wenig abnimmt. Stumpf sucht dies daraus zu erkl\u00e4ren, dass die Zuverl\u00e4ssigkeitswerthe f\u00fcr die einzelnen Regionen in gewisser Weise von der relativen Unterschiedsempfindlichkeit abh\u00e4ngig seien, daher umgekehrt aus obigen Versuchen ein Urtheil sich bilden lasse \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit der Versuchspersonen in den verschiedenen Tonlagen. Es w\u00fcrde also auch die Unterschiedsempfindlichkeit von den tieferen Regionen zu den mittleren zunehmen, analog den obigen Zuverl\u00e4ssigkeitswerthen. Doch auch dar\u00fcber hinaus f\u00e4nde nach seinem Daf\u00fcrhalten noch eine Zunahme der Unterschiedsempfindlichkeit bis ungef\u00e4hr c3 statt. Und wenn dies Maximum nicht mit demjenigen obiger Zuverl\u00e4ssigkeitswerthe \u00fcber einstimme, so liege dies daran, dass das Maximum der letzteren durch die vorhandene gr\u00f6\u00dfere Uebung der Individuen im Beurtheilen der mittleren Tonlagen (c2) etwas nach der Mitte heruntergedr\u00fcckt werde.\nVorausgesetzt aber, dass wirklich die Unterscheidungsf\u00e4higkeit im Auffassen endlicher Tondinstanzen in einem gewissen Abh\u00e4n-gigkeitsverh\u00e4ltniss, z. B. in Proportionalit\u00e4t zur relativen Unterschiedsempfindlichkeit, also zum Quotienten aus der eben merklichen Reiz\u00e4nderung in die Reizgr\u00f6\u00dfe steht, so wird doch gerade bei Unmusikalischen dieses Verh\u00e4ltniss durch einseitige Uebung in","page":518},{"file":"p0519.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n519\ngewissen Tonregionen, vor allem in den mittleren, verschoben und verwischt. Dass in den mittleren Tonlagen die Zuverl\u00e4ssigkeits-werthe am gr\u00f6\u00dften waren, ist nicht zu verwundern. Wird doch das im allt\u00e4glichen Leben hei weitem am h\u00e4ufigste Vorkommen von T\u00f6nen der mittleren Region auch dem Unmusikalischen zu einer gewissen Sicherheit in der Sch\u00e4tzung dieser T\u00f6ne verhelfen. Wenn ferner auch in den h\u00f6her gelegenen Regionen die H\u00f6he der Zuverl\u00e4ssigkeitswerthe nur wenig abnimmt, so hat dies ebenfalls nichts Befremdendes, denn bis c3 reicht der Kindergesang und gerade dieser ist f\u00fcr den Einzelnen eine Quelle mannigfacher Uebung. Zugleich wird besonders die im Kindesalter empfangene Schulung f\u00fcr die Sinnesth\u00e4tigkeit des Individuums auch f\u00fcr sp\u00e4tere Zeiten von hervorragendem Einfluss sein. Bei den h\u00f6heren Tonlagen c4\u2014c5 kommt noch ein weiterer subjectiver Factor in Betracht. Es ist dies die in Folge der Resonanz im Geh\u00f6rapparat hervorragende Empfindungsst\u00e4rke dieser T\u00f6ne, die eine verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig genaue Unterscheidung zul\u00e4sst. Die T\u00f6ne aber \u00fcber c5 hinaus kommen im allgemeinen so selten vor und sind f\u00fcr gew\u00f6hnlich so wenig intensiv, dass das Ohr kaum Gelegenheit zur Uebung in diesen Tonlagen findet.\nWelche Bedeutung aber im vorliegenden Falle die Uebung f\u00fcr die einzelnen Versuchspersonen hatte, zeigen die immer gr\u00f6\u00dfer werdenden Zuverl\u00e4ssigkeitswerthe in den verschiedenen zeitlich auf einander folgenden Versuchsreihen. Die vorliegenden Versuche werden daher weniger einen Schluss auf die relative Unterschiedsempfindlichkeit als auf die vorhandene Uebung des betreffenden Individuums in den verschiedenen Tonregionen gestatten. Des Weiteren folgt aber auch, dass zur L\u00f6sung der Frage : Wie \u00e4ndert sich die Unterschiedsempfindlichkeit mit zunehmender Tonh\u00f6he, die Versuche an ganz Unmusikalischen kein gen\u00fcgend sicheres Resultat ergeben, dass es sich vielmehr empfiehlt, die Versuche an Personen anzustellen, die zwar nicht hervorragend musikalisch geschult, jedoch in der Apperception von Geh\u00f6rseindr\u00fccken so weit vorbereitet sind, dass eine etwa vorhandene einseitige Uebung in den einzelnen Tonlagen sich in nicht allzu langer Zeit durch die Versuche selbst ausgleicht.\nNach dem Vorangegangenen musste es w\u00fcnschenswerth erschei-Wundt, Philos. Studien. IV.\t34","page":519},{"file":"p0520.txt","language":"de","ocr_de":"520\nEduard Luft.\nnen als Erg\u00e4nzung zu obigen Daten neue Versuche anzustellen, bei welchen die erw\u00e4hnten M\u00e4ngel m\u00f6glichst abgestellt und neue thunlichst vermieden wurden. Zu diesem Zwecke wurde im Jahre 1884\u201486 auf Veranlassung des Herrn Prof. Wundt und unter der dankenswerthen Unterst\u00fctzung des Herrn Dr. v. Tchisch und einiger anderer Mitglieder des psycho-physischen Seminars vom Verfasser dieses ein gr\u00f6\u00dferes Tonbereich einer eingehenden Untersuchung unterworfen. Zur Erzeugung der T\u00f6ne wurde eine Reihe von Stimmgabeln auf abgestimmten Resonanzr\u00e4umen benutzt, da diese vor anderen Tonquellen den Vorzug haben, m\u00f6glichst einfache, wenigstens f\u00fcr die unmittelbare Empfindung einfache T\u00f6ne zu geben, obgleich nach weiteren Versuchen Preyer\u2019s die Existenz gewisser Obert\u00f6ne auch hier nicht au\u00dfer Frage gestellt ist1). Die benutzten Gabeln hatten die Schwingungszahlen 64, 128, 256, 512, 1024 und 2048 und stammten zum Theil von G. Appunn in Hanau, zum Theil (64, 1024 und 2048) aus der hiesigen Adiaphonfabrik von Fischer und Fritzsch. Die niedrigste der Gabeln war verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig klein und hatte ziemlich d\u00fcnne Schenkel, war aber durch Bleist\u00fccke, die an den Enden festgel\u00f6thet waren, auf die erw\u00e4hnte Tiefe gebracht worden. Die tieferen T\u00f6ne mittelst solcher Gabeln zu erzeugen, war durchaus nicht von Nachtheil auf die Wirkung des Tones derselben. Im Gegentheil war derselbe ein \u00fcberaus voller und kr\u00e4ftiger. Die Erregung der Gabeln von 64, 128 und 256 Schwingungen geschah durch Anschlag mit einem mit Kautschuk gepolsterten Hammer, bei den Gabeln von 512 Schwingungen durch Anstreichen mit einem Violinbogen und bei den \u00fcbrigen wiederum durch Anschl\u00e4gen mit kleinen mit Filz belegten H\u00e4mmerchen, wie\n\u2022 1) Preyer, Akustische Untersuchungen S. 44. Das Vorhandensein von Obert\u00f6nen wurde hier durch das Mitschwingen genau abgestimmter und \u00e4u\u00dferst empfindlicher Gabeln constatirt. Doch ist dieses Mitschwingen noch kein Beweis f\u00fcr das Vorhandensein von Obert\u00f6nen. Es scheint im Gegentheil sehr wohl denkbar, dass die abgestimmten Gabeln auch durch T\u00f6ne in Schwingungen versetzt wurden, deren Schwingungszahlen zu denjenigen der Gabeln in einem einfachen Verh\u00e4ltniss standen. Wenigstens brachte Verf. dieses z. B. Gabeln von 2048 Schwingungen, deren Schenkel sich zwischen Elektromagneten befanden, sofort ohne besonderen Anschlag zum T\u00f6nen, wenn er in den Stromkreis eine Helmholtz\u2019sche Unterbrechungsgabel von 512 Schwingungen einschaltete. Die kleine Gabel erhielt also hier immer erst bei der vierten Schwingung einen erneuten Ansto\u00df. Vergl. Phys. Psych. 2. Aufl. S. 409.","page":520},{"file":"p0521.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\t521\nsolche in Klavieren verwendet werden. Die eine von zwei zusammengeh\u00f6rigen Gabeln gleicher Tonlage trug zwei gleich gro\u00dfe Gewichte, die, mit einer Feder oder Schraube versehen, auf den Gabelarmen \u00fcber einer Millimetertheilung hin und her verschoben werden konnten, so dass dadurch eine beliebig abgestufte Erh\u00f6hung oder Vertiefung des Tones bis zu mehreren Schwingungen zu erm\u00f6glichen war. An den Gabeln von 1024 und 2048 Schwingungen waren an Stelle der Laufgewichte kleine ca. 30 mg schwere Aluminiumringe aufgesetzt, die sich mit Reihung auf den Schenkeln hin und her bewegen lie\u00dfen. Um hei den gr\u00f6\u00dferen Gabeln m\u00f6glichst wenig durch das Anschlagsger\u00e4usch gest\u00f6rt zu sein, wurde erst nach dem Anschl\u00e4gen die Gabel mit dem Resonanzraum in Verbindung gebracht. Zu diesem Zwecke befand sich hei jeder der Gabeln von 128, 256 und 512 Schwingungen auf einem gleichen Gestelle mit derselben in entsprechender H\u00f6he eine Resonanzr\u00f6hre aus Pappe, die auf dem Gestelle hin und her geschoben und so der Gabel beliebig nahe gebracht werden konnte. Damit ferner die Resonanz der R\u00f6hre eine m\u00f6glichst vollkommene wurde, bestand die letztere aus zwei in einander verschiebbaren Theilen, die es erm\u00f6glichten, die R\u00f6hre genau auf den betreffenden Ton abzustimmen. An der der Gabel zugekehrten Seite war eine Klappe angebracht, die sich ger\u00e4uschlos \u00f6ffnen und schlie\u00dfen lie\u00df. Die Einrichtung der Apparate stimmte im wesentlichen mit der von Helmholtz1) angegebenen \u00fcberein. Da bei den Gabeln von 64 Schwingungen die Luft der \u00fcber 1 m langen Resonanzr\u00f6hren nur sehr schwer in Schwingungen zu versetzen war, so vertraten hier die Stellen der R\u00f6hren entsprechend gro\u00dfe Resonanzk\u00e4sten, auf welche die Gabeln nach dem Anschl\u00e4gen aufgesetzt wurden. Diejenigen von 1024 und 2048 Schwingungen, bei denen wegen der kurzen Schwingungsdauer ein nachtr\u00e4gliches Aufsetzen auf einen Resonanzboden nicht wohl ang\u00e4ngig war, waren mit den entsprechenden K\u00e4stchen fest verbunden.\nDie Versuchsanordnung war nun folgende: W\u00e4hrend der Beobachter in einer Entfernung von 2\u20143 m mit dem R\u00fccken gegen die Apparate gekehrt sa\u00df, schlug der die Stimmgabeln Bedienende\n1) Helmholtz, Tonempfindungen 1. Aufl. S. 184.\n34*","page":521},{"file":"p0522.txt","language":"de","ocr_de":"522\nEduard Luft.\ndieselben kurz an und \u00f6ffnete nacheinander die betreffenden Resonanzr\u00f6hren , indem er Sorge trug, dass sowohl die St\u00e4rke als auch die Zwischenzeit zweier aufeinander folgender T\u00f6ne dieselbe blieb. Bei den Gabeln von 64 Schwingungen wurden nach schnellem beiderseitigem Anschlag dieselben nacheinander auf den Resonanzboden aufgesetzt. Die Gabeln von 1024 und 2048 Schwingungen dagegen wurden \u00fcberhaupt nur nach einander angeschlagen, was auch ohne St\u00f6rung f\u00fcr den Beobachter geschehen konnte, da das Anschl\u00e4gen mit den kleinen Filzh\u00e4mmerchen nur sehr wenig Nebenger\u00e4usch verursachte. Dass man die Gabeln nicht ausklingen lie\u00df, sondern sie zu rechter Zeit d\u00e4mpfte, um eine gegenseitige St\u00f6rung der T\u00f6ne zu vermeiden, braucht nicht erst erw\u00e4hnt zu werden. Sofort nach jeder Beobachtung gab die Versuchsperson ihr Urtheil ab, respective notirte dies hinter die Zahl des betreffenden Einzelversuchs.\nWas ferner die Versuchsmethode anlangt, so wurde die von Herrn Prof. Wundt eingef\u00fchrte, auf einer Erweiterung der Methode des eben merklichen Unterschieds beruhende Methode der Minimal\u00e4nderungen angewandt, welche sich darauf gr\u00fcndet, dass nicht allein der Punkt des eben merklichen Unterschieds, sondern auch die Stelle gesucht wird, wo beide anf\u00e4nglich verschiedenen T\u00f6ne durch allm\u00e4hliche Abstufung des einen f\u00fcr die Empfindung des Beobachters wieder gleich werden. Zu diesem Zwecke ging der Experimentator von dem im Anf\u00e4nge bestimmten Gleichheitspunkte (Nullpunkte) aus und verschob die Laufgewichte der einen Gabel in beliebigen, w\u00e4hrend einer Versuchsreihe jedoch gleich gro\u00dfen und dem Beobachter nat\u00fcrlich unbekannten Schritten, w\u00e4hrend die andere Gabel in ihrem Tone constant blieb. Der Beobachter, der vor dem Versuche dar\u00fcber unterrichtet worden war, welcher Ton der Zeit nach im Verlaufe der Versuchsreihe eine Erh\u00f6hung resp. Vertiefung erfahren sollte, gab nach Schluss der Versuchsreihe an, bei welchem Theilversuche ein Unterschied beider geh\u00f6rter T\u00f6ne constatirt werden konnte. Die Anzahl der einzelnen Stufen bis zu einem eben merklichen Unterschiede betrug gew\u00f6hnlich 4\u20148, da sie wegen der nicht immer gleichen Gr\u00f6\u00dfe der einzelnen Schritte und wegen der verschiedenen Dimensionen der Gabeln, ebenso wie in Folge der individuellen Schwankungen der Disposition des Beobach-","page":522},{"file":"p0523.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfmdlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n523\nters nat\u00fcrlich etwas variiren musste. Darauf wurden, um bei Bestimmung des Punktes f\u00fcr Gleichheit der T\u00f6ne eine analoge Zahl von Theilversuchen zu erhalten, vor dem Zur\u00fcckgehen die Gewichte noch etwas \u00fcber den Punkt des eben merklichen Unterschiedes hinaus verschoben und nun dasselbe Verfahren wieder r\u00fcckw\u00e4rts bis zu dem Punkte, wo die T\u00f6ne eben gleich erschienen, eingeschlagen. Im weiteren Verlaufe des Versuchs geschah dann das Verschieben der Gewichte nach der anderen Seite bis zum eben merklichen Unterschiede und wieder zur\u00fcck.\nDieses eben beschriebene Verfahren bot den Vortheil, dass der Beobachter eine ganze Reihe ann\u00e4hernd gleich abgestufter T\u00f6ne erhielt, von dem Tonpaare vollst\u00e4ndigster Gleichheit bis zu denen vollster Verschiedenheit, wodurch es ihm verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig leicht werden musste, den Punkt des Grenz\u00fcbergangs einigerma\u00dfen genau zu bestimmen. Um nun ein etwa vorhandenes ungleichm\u00e4\u00dfiges Verhalten unseres Bewusstseins bei anf\u00e4nglich gleichen und dann verschiedenen Reizen zu constatiren, gegen\u00fcber solchen, die von der Verschiedenheit zur Gleichheit \u00fcbergehen, wurde nicht allein der Ebenmerklichkeitspunkt, sondern auch der Untermerklichkeitspunkt (Gleichheitspunkt) gesucht. Dadurch ferner, dass man die Gewichte nicht nur nach der einen Seite, sondern auch nach der andern vom Nullpunkt aus verschob, wurden etwa vorhandene Unterschiede in der Zeitlage beider T\u00f6ne eliminirt. Denn angenommen, es w\u00fcrde z. B. der zweite Ton immer h\u00f6her gesch\u00e4tzt, als er in Wirklichkeit ist, so m\u00fcssten bei dem Versuche, bei welchem der zweite Ton durch das Verschieben der Gewichte eine Vertiefung erf\u00e4hrt, die Gewichte zu weit verschoben und also die Unterschiedsschwelle zu gro\u00df werden. Wenn nun aber bei einem darauf folgenden Versuche die Gewichte auch nach der anderen Seite verschoben werden, so w\u00fcrde in diesem Falle die Unterschiedsschwelle ebensoviel zu klein werden, als sie vorher zu gro\u00df geworden war. Das Mittel aus beiden Werthen w\u00fcrde also die richtige Zahl ergeben. Damit auch die Reihenfolge der Gabeln ohne Einfluss auf das Endresultat war, wurden diese bei den verschiedenen Versuchen ebenfalls variirt.\nBezeichnet man nun die Richtung von dem Gleichheits-(Null-) punkte der Gabeln nach beiden Seiten hin mit v (vorw\u00e4rts), die entgegengesetzte Richtung mit r (r\u00fcckw\u00e4rts), ferner diejenige von","page":523},{"file":"p0524.txt","language":"de","ocr_de":"524\nEduard Luft.\ndem Stiele der Gabel nach den Enden der Arme hin mit o und die umgekehrte mit u, so zerfiel ein Gesammtversuch in 4 Einzelversuche und ergab 4 Punkte bezeichnet mit\nvo ro vu ru\nwobei v0 und vu die Punkte der eben merklich verschiedenen T\u00f6ne, r0 und ru aber die Punkte bezeichneten, bei welchen die T\u00f6ne wieder gleich gesch\u00e4tzt wurden. Zum Schl\u00fcsse der Versuche wurde f\u00fcr diese einzelnen Punkte, die von dem Beobachter nur durch die Nummer des betreffenden Theilversuchs bezeichnet worden waren, die wirkliche Verschiedenheit der T\u00f6ne vermittelst der Schwebungen bestimmt. Eine Ausnahme davon machten nur die Versuche mit den Gabeln von 1024 und 2048 Schwingungen, bei welchen wegen der Kleinheit der Gabeln und der Leichtigkeit der Gewichte der vorher angegebene Punkt sich nachtr\u00e4glich kaum wiederfinden lie\u00df, so dass hier unmittelbar nach Constatirung der Verschiedenheit resp. Gleichheit der T\u00f6ne von Seiten des Experimentators die Z\u00e4hlung der Schwebungen vorgenommen wurde. Es versteht sich von selbst, dass nach jedem Versuche eine erneute Bestimmung des Nullpunktes stattfand. Bezeichnen wir nun noch die Gabel ohne Gewichte als die Normalgabel (N), diejenige mit Gewichten dagegen als Vergleichsgabel (V) und mag NV andeuten, dass zuerst die Normalgabel und dann die Vergleichsgabel erklang, so erhielt der Verf. f\u00fcr seine Person (L.) folgende Einzelwerthe f\u00fcr den Ton n\u201464 :\nn = 64\nHierbei bedeuten die einzelnen Zahlen die Unterschiede der T\u00f6ne in Schwingungen w\u00e4hrend einer Secunde. Bezeichnen wir nun die Tonh\u00f6he, bei welcher sich Unterschied und Gleichheit fand,","page":524},{"file":"p0525.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber die UnterscMedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n525\nmit K und. h\", die urspr\u00fcngliche Tonh\u00f6he mit h, so findet sich die Unterschiedsschwelle durch die Formel\nh \u2014 .ft'und ebenso nach der andern S\u00e7ite Ju \u2014 h ----h\nJo\nNun ist h! = h \u2014 v0, h\" \u2014 h r0, h =h-\\-vu h\nru + vu .\n2\n\u2019- + ru, also\n. ,\t^ _ v0 + r0 A\nist o 2\t; ^ ^\nDaher folgt aus obigen Werthen sofort folgende neue Tabelle:\nn = 64\nNV\t\tVN\t\n4,\t\tJo\tJ\u00ab\n0,210\t0,200\t0,195\t0,205\n0,150\t0,135\t0,190\t0,130\n0,100\t0,190\t0,135\t0,165\n*0,180\t0,140\t0,150\t0,140\n0,180\t0,180\t0,100\t0,190\n0,150\t0,065\t0,165\t0,085\n0,100\t0,155\t0,155\t0,150\n0,130\t0,110\t0,130\t0,110\nDaran reihen sich f\u00fcr die verschiedenen Tonlagen unter Weglassung der Tabelle der Eohversuche folgende weiteren :\nn = 128\nNV\t\tVN\t\nJo\tJn\tJo\tJ\u00ab\n0,175\t0,125\t0,165\t0,145\n0,170\t0,100\t0,240\t0,180\n0,180\t0,125\t0,125\t0,135\n0,090\t0,125\t0,190\t0,180\n0,060\t0,205\t0,200\t0,170\n0,165\t0,190\t0,165\t0,240\n0,080\t0,080\t0,250\t0,230\n0,065\t0,145\t0,265\t0,115\n0,140\t0,155\t0,285\t0,145\n0,160\t0,055\t0,190\t0,145\nn \u2014 256\nNV\t\tVN\t\nJo\tJu\tJo\tJu\n0,300\t0,335\t0,425\t0,300\n0,200\t0,270\t0,175\t0,300\n0,150\t0,200\t0,275\t0,370\n0,150\t0,175\t0,250\t0,300\n0,150\t0,135\t0,250\t0,370\n0,190\t0,195\t0,150\t0,260\n0,190\t0,235\t0,150\t0,260\n0,150\t0,235\t0,080\t0,235\nBetrachten wir zuerst die Tabelle der Eohversuche, so f\u00e4llt vor Allem eine ziemlich gro\u00dfe Verschiedenheit der Werthe der Columnen v0 und vu von denjenigen der Columnen r0 und ru auf, und zwar zeigen die ersteren, welche die Differenzen angeben, hei denen die","page":525},{"file":"p0526.txt","language":"de","ocr_de":"526\nEduard Luft.\nn = 512\nn = 1024\nNV\t\tVN\t\nJ0\tJu\tJ0\tJ\u00ab\n0,200\t0,360\t0,250\t0,270'\n0,235\t0,280\t0,200\t0,280\n0,275\t0,180\t0,250\t0,200\n0,200\t0,300\t0,260\t0,280\n0,270\t0,170\t0,125\t0,280\n0,270\t0,280\t0,300\t0,170\n0,230\t0,300\t0,125\t0,350\n0,275\t0,280\t0,210\t0,370\nNV\t\tVN\t\nJo\tJ\u00ab\tJo\tJu\n0,100\t0,200\t0,480\t0,155\n0,065\t0,265\t0,260\t0,135\n0,160\t0,050\t0,345\t0,115\n0,180\t0,185\t0,320\t0,070\n0,180\t0,140\t0,455\t0,105\n0,180\t0,105\t0,400\t0,170\n0,340\t0,480\t0,205\t0,370\n0,260\t0,100\t0,170\t0,220\n\u00bb = 2048\nNV\t\tVN\t\nJo\tJu\tJo\tJu\n0,400\t0,005\t0,290\t0,355\n0,250\t0,215\t0,445\t0,815\n0,120\t0,285\t0,340\t0,210\n0,215\t0,250\t0,270\t0,160\n0,420\t0,410\t0,525\t0,275\n0,475\t0,365\t0,875\t0,475\n0,710\t0,610\t0,310\t0,240\n0,200 0,310\t0,540 0,135\t0,230\t0,550\nT\u00f6ne als verschieden empfunden wurden, im Durchschnitt erheblich gr\u00f6\u00dfere Werthe als die letzteren, welche die Punkte subjectiver Gleichheit enthalten. Dieser Umstand h\u00e4ngt eng zusammen mit der Methode der Minimal\u00e4nderungen, wonach erst eine Anzahl uns qualitativ gleich erscheinender Partialversuche vorausgehen muss, bis wir zu dem entscheidenden Versuche gelangen, bei welchem ein Unterschied zu constatiren ist, und umgekehrt erst mehrere vorhergehende Versuche mit objectiv verschiedenen und auch subjectiv als verschieden empfundenen T\u00f6nen gemacht werden, um schlie\u00dflich auf den Punkt subjectiver Gleichheit zu kommen. Es geschah sogar bei einigen Versuchen, dass beim Uebergang von der Verschiedenheit zur Gleichheit der objective Nullpunkt \u00fcberschritten wurde und die beiden T\u00f6ne als gleich gesch\u00e4tzt wurden, obgleich sie schon eine wenn auch geringe Verschiedenheit im entgegengesetzten Sinne aufwiesen. Unser Bewusstsein scheint eben geneigt.","page":526},{"file":"p0527.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n527\nauf einander folgende qualitativ unmerklicli verschiedene Eindr\u00fccke einander zu assimiliren und also mit einer gewissen Tr\u00e4gheit an den einmal empfangenen Empfindungen festzuhalten. Hierher \u00abeh\u00f6ren auch die Ph\u00e4nomene der Nachwirkungen, wenn dieselben auch zum gro\u00dfen Theil dadurch bedingt sind, dass mit dem Aufh\u00f6ren eines Sinnesreizes die physiologischen Wirkungen auf die einzelnen Organe nicht sofort erl\u00f6schen. So glauben wir z. B. einen, wenn auch schwachen, aber doch l\u00e4nger andauernden und dann verklingenden Ton noch kurze Zeit weiter zu h\u00f6ren, obgleich die physiologische Nachwirkung dabei nur unbedeutend sein kann. Hier sucht auch das Bewusstsein kleine, zuf\u00e4llig vorhandene Empfindungen mit den vorhergegangenen in Verbindung zu bringen und sie diesen \u00e4hnlich zu machen.\nFerner weisen die einzelnen Zahlen einer Columne nicht unbetr\u00e4chtliche Unterschiede auf. Doch erscheinen diese in einem wesentlich anderen Lichte, wenn man daran denkt, dass die einzelnen Gr\u00f6\u00dfen nur Bruchtheile einer Schwingung bedeuten, dass sie also selbst einen sehr kleinen Werth ausmachen im Verh\u00e4ltniss zu der Schwingungszahl des Tones, f\u00fcr den sie gefunden sind. Ebenso l\u00e4sst sich von vornherein annehmen, dass die nicht immer gleiche Disposition des Beobachters bei den einzelnen Versuchen von gewissem Einfluss sein musste, ein Einfluss, der sich nat\u00fcrlich nicht eliminiren lie\u00df.\nNehmen wir jetzt die Werthe der z/0, die sich nur durch die Aufeinanderfolge der Gabeln unterscheiden, zusammen und nennen den Mittelwerth I)0 und den entsprechenden Mittelwerth der Ju. DU1 so ergibt sich folgende neue Tabelle:\n\tn = 64\tn = 128\t\u00bb = 256\t\u00bb = 512\tn = 1024\tn = 2048\nA\t0,151\t0,168\t0,202\t0,230\t0,256\t0,376\nA\t0,147\t0,150\t0,261\t0,272\t0,179\t0,347\nund ebenso erhalten wir als Tabelle der mittleren Variationen V0 u. Vu.\t\t\t\t\t\t\n\t\u00bb = 64\t\u00bb = 128\t\u00ab= 256\t\u00bb = 512\tn = 1024\tn = 2048\nV0\t0,027\t0,047\t0,061\t0,040\t0,101\t0,144\nVu\t0,032\t0,035\t0,052\t0,046\t0,081\t0,158\nDie entsprechenden Mittelwerthe D0 und Du weichen oft in","page":527},{"file":"p0528.txt","language":"de","ocr_de":"528\nEduard Luft.\nnicht ganz unerheblicher Weise von einander ab. Am wenigsten ist dies der Fall f\u00fcr n \u2014 64, am erheblichsten f\u00fcr n = 1024 mit.0,08 Differenz. Dann folgen die Zahlen f\u00fcr n = 256 und n \u2014 512, aber im andern Sinne als die vorhergehenden. Da sich kein gen\u00fcgender Grund f\u00fcr dieses gegens\u00e4tzliche Verhalten finden l\u00e4sst, so ist anzunehmen, dass diese Unterschiede nur aus Zuf\u00e4lligkeiten resultiren und in der Unvollkommenheit der Apparate etc. ihren Grund haben k\u00f6nnen, so dass wir je 2 entsprechende D0 und Du zusammennehmen und den Mittelwerth mit D bezeichnen. Dann erhalten wir f\u00fcr\nn \u2014 64\tn = 128 n \u2014 256 n = 512 n = 1024 n = 2048\nD | \u2018 0,149\t0,159\t0,232\t0,251\t0,218\t0,362\nDie Unterschiedsschwellen zeigen ein langsames Anwachsen von den T\u00f6nen 64 bis zu denen von 512 Schwingungen, darauf eine kleine Abnahme, um bei dem Ton von 2048 Schwingungen sofort um ein Bedeutendes wieder zu steigen. Doch ist diese Zunahme von einer Octave zur andern, mit Ausnahme der letzten, \u00e4u\u00dferst gering, kann wenigstens durchaus nicht mit der nach dem Weber\u2019schen Gesetze geforderten in Vergleich gebracht werden. Denn nehmen wir z. B. an, die Unterschiedsschwelle betr\u00fcge f\u00fcr den Ton n= 64 0,15 Schwingungen, so w\u00fcrde sich nach dem genannten Gesetze f\u00fcr die anderen Octaven folgende Tabelle ergeben:\nn = 64 n = 128 n = 256\t\u00bb = 512 n == 1024 n = 2048\n0,15\t0,3\t0,6\t1,2\t2,4\t4,8\nEin Vergleich beider Beihen zeigt zur Gen\u00fcge die Unm\u00f6glichkeit einer auch nur ann\u00e4hernden Uebereinstimmung. Die Werthe der Unterschiedsschwellen lassen im Gegentheil innerhalb des Intervalls von 64\u20141024 Schwingungen eine so geringe Abweichung von einander erkennen, dass wir sie eher als constant ansehen k\u00f6nnen. Noch mehr ist die Abweichung vom Weber\u2019schen Gesetze ersichtlich, wenn wir f\u00fcr die einzelnen Tonlagen die Werthe der absoluten\nund relativen Unterschiedsempfindlichkeit bilden, also jj- und , wo D die Unterschiedsschwelle und R den zugeh\u00f6rigen Beiz bedeutet.\nn\u2014 64\tn = 128\tn \u2014 256\tn \u2014 512\tn = 1024\tn \u2014 2048\n6,711\t6,289\t4,310\t3,984\t4,587\t2,762\n#\t430\t805\t1103\t2040\t4697\t5657","page":528},{"file":"p0529.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Dnterschiedsempfmdliehkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n529\nDie Zahlen der ersten Reihe mit Ausnahme der letzten schwanken nicht allzusehr um einen gewissen Durchschnittswerth (ungef\u00e4hr 5), diejenigen der 2. Reihe dagegen nehmen mit wachsender Schwingungszahl in ganz au\u00dferordentlichem Ma\u00dfe zu, w\u00e4hrend sie doch nach dem Weber\u2019schen Gesetze constant bleiben m\u00fcssten. Daraus aber ist folgender Schluss zu ziehen: Auf das Gebiet der Tonqualit\u00e4ten findet innerhalb der untersuchten Region von 64\u20141024 Schwingungen das psychophysische Gesetz, wonach relativen Reizunterschieden absoluteEmpfindungsunterschiede entsprechen und also die relative Unterschiedsempfindlichkeit constant sein muss, keine Anwendung. Die Unterschiedsschwellen n\u00e4hern sich im Gegentheil innerhalb des genannten Intervalls der constanten Durchschnittsgr\u00f6\u00dfe von 0,2 Schwingungen.\nDer Ton von 2048 Schwingungen zeigt dagegen schon eine verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig gro\u00dfe Unterschiedsschwelle, was mit der Erfahrung \u00fcbereinstimmt, dass jenseits dieses Tones die eben merklichen Unterschiede mit zunehmender Schwingungszahl wachsen, um in den h\u00f6chsten Tonlagen in ganz au\u00dferordentlichem Ma\u00dfe zu steigen. Dass sich die T\u00f6ne unter 64 Schwingungen \u00e4hnlich verhalten, werden wir sp\u00e4ter sehen. Die relative Unterschiedsempfindlichkeit w\u00e4chst mit zunehmender Schwingungszahl, ' und zwar erfolgt die Zunahme der ersteren zuerst schnell, verringert sich dann etwas, um darauf in gleich hohem Ma\u00dfe wie vorher zu steigen und zum Schluss bei den T\u00f6nen von 1024\u20142048 Schwingungen sich wieder zu verlangsamen. Weshalb in der Region des c bis c' ein langsameres Wachsen der relativen Unterschiedsempfindlichkeit stattfindet, ist aus den Versuchen nicht klar zu erkennen. Sollte f\u00fcr diese Tonlage unser Bewusstsein eine wenn auch nur geringere F\u00e4higkeit haben, die T\u00f6ne zu unterscheiden? Oder hat der genannte Umstand seinen Grund in einem etwaigen Mangel der Versuchstechnik? Die Schwierigkeit einer Entscheidung liegt ehen in den Versuchen selbst; denn bei den psychophysischen Versuchen lassen sich nicht immer, wie dies bei den physikalischen in so hohem Grade der Fall ist, alle vorhandenen Bedingungen in Rechnung ziehen und beliebig neue einf\u00fchren. M\u00f6glicherweise mag auch der Umstand von Einfluss","page":529},{"file":"p0530.txt","language":"de","ocr_de":"530\nEduard Luft.\ngewesen sein, dass die Gabeln von 512 Schwingungen im Gegensatz zu den anderen durch Streichen mit einem Violinbogen erregt worden sind.\nDagegen scheint die m\u00e4\u00dfige Zunahme der relativen Unter-schiedsempfindlichkeit in den h\u00f6heren Tonlagen von 1024 und 2048 Schwingungen wirklich darauf hinzudeuten, dass hier die Unterschiedsempfindlichkeit einem bestimmten Maximum zustrebt. Das Verhalten derselben jenseits der genannten Kegion ist bis jetzt noch keiner genaueren Untersuchung unterworfen worden. Wahrscheinlich ist, dass nach oben zu, jenseits c5, die relative Unterschiedsempfindlichkeit sehr schnell abnimmt1).\nBei Bildung der mittleren Variationen erhielten wir f\u00fcr\nn = 64 n = 128 n = 256 n = 512\t\u00bb = 1024 \u00ab = 2048\nV0\t0,027\t0,047\t0,061\t0,040\t0,101\t0,144\nVu\t0,032\t0,035\t0,052\t0,046\t0,081\t0,158\nDiese Werthe nehmen im allgemeinen mit steigendem \u00ab zu, im Anfang jedoch nur in geringerem Ma\u00dfe. Auff\u00e4llig sind die verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig gro\u00dfen Zahlen f\u00fcr n\u2014 1024 und noch mehr f\u00fcr \u00ab = 2048. Doch mag dies, wie die Versuche zeigten, daran liegen, dass diese hohen T\u00f6ne verm\u00f6ge ihres scharfen und durchdringenden Charakters auf unser Ohr viel leichter erm\u00fcdend wirken als die tiefer gelegenen. Aus obigen Werthen der mittleren Variationen folgt also, dass die Sicherheit, mit der wir die gefundenenen Schwin-gungsdifferenzen in den untersuchten Tonregionen als eben merklich erkennen, bei den T\u00f6nen von 64\u2014512 Schwingungen mit steigender Schwingungszahl ziemlich constant ist, oder sich wenigstens nur in geringem Grade vermindert. Sie nimmt dagegen in st\u00e4rkerem Grade ab bei den darauf folgenden T\u00f6nen von 1024 und 2048 Schwingungen. Diese Verhalten finden wir auch im allgemeinen in einer Zusammenstellung der gr\u00f6\u00dften Werthe der Unterschiedsschwellen best\u00e4tigt, die sich bei den einzelnen Versuchen ergaben. Es fanden sich f\u00fcr\nn = 64\tn = 128\t\u00ab = 256\t\u00bb = 512\t\u00bb = 1024\tn = 2048\n0,21\t0,285\t0,425\t0,37 '\t0,48\t0,875\nAuch hier nehmen die Werthe mit einer Ausnahme zu, besonders stark aber in den h\u00f6heren Tonlagen.\n1) Prey er, Ueber die Grenzen der Tonwahrnehmung S. 36.","page":530},{"file":"p0531.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Uuterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\t531\nVergleichen wir jetzt die gefundenen Resultate mit den Preyer-schen so finden wir, dass sie im Gro\u00dfen und Ganzen eine Best\u00e4tigung derselben sind. Auch Preyer hatte ja eine ann\u00e4hernde Constanz der Unterschiedsschwellen erhalten. Allerdings zeigte sich in dessen Versuchen bei dem Tone von 500 Schwingungen der kleinste Werth des eben merklichen Unterschieds, der dann nach beiden Seiten hin zunahm. Doch ist diese Zunahme nach der Seite der tieferen T\u00f6ne hin so gering, dass sie eben so gut in der Verschiedenheit der Beobachter, der Methode, der angewandten Tonquellen u. s. w. ihren Grund haben kann und daher eine Constanz des eben merklichen Unterschieds anzunehmen, wohl nicht unberechtigt ist. Auffallend mag es erscheinen, dass die obigen von uns gefundenen Werthe um ein Bedeutendes kleiner sind als diejenigen von Preyer, Seebeck etc. Doch liegt dies vor allem an der Verschiedenheit der bei den Versuchen angewandten Fragestellung. Seebeck bestimmte den Punkt, bei welchem nicht nur die Verschiedenheit der T\u00f6ne, sondern auch das Verh\u00e4ltniss derselben zu einander erkannt, also zugleich die Frage: \u00bbWelcher Ton ist h\u00f6her\"?\u00ab entschieden wurde. Diese letzte Forderung musste die Unterschiedsschwellen um ein Bedeutendes gr\u00f6\u00dfer machen. Da Preyer ferner die Differenz zu ermitteln suchte, bei welcher die T\u00f6ne bei jedem Versuche als verschieden erkannt wurden, so musste er die ersteren gen\u00fcgend verschieden von einander nehmen, um auch alle zweifelhaften Urtheile daraus zum Verschwinden zu bringen. Die dabei gefundene Schwingungsdifferenz kann aber nicht mit der unsrigen \u00fcbereinstimmen, denn diese letztere ist nicht allein das Mittel aller Werthe, bei welchen die T\u00f6ne eben verschieden waren, sondern zugleich auch derjenigen, bei welchen die T\u00f6ne wieder als gleich erkannt wurden. Ferner musste das Einschalten von Vexir-versuchen, wie es Preyer that, den Beobachter in gewissem Grade in seinem Urtheil befangen machen und ihn vor allem zur Vorsicht gegen\u00fcber zu kleinen Tondifferenzen mahnen. Doch liegt das Wesentliche der beiden Untersuchungen nicht in dem Ergebniss der absoluten Zahlen, sondern in dem Verh\u00e4ltniss derselben zu einander in den verschiedenen Tonlagen. Denn die absoluten Zahlen werden sich ohnehin um Bedeutendes \u00e4ndern, sowohl bei den ver-","page":531},{"file":"p0532.txt","language":"de","ocr_de":"532\nEduard Luft.\nschiedenen Individuen als auch in den verschiedenen Stadien der Uebung eines Beobachters.\nDer au\u00dferordentliche Einfluss der Uebung machte sich sehr deutlich w\u00e4hrend des Verlaufs dieser Untersuchung bemerkbar. Es war daher n\u00f6thig, die einzelnen Octaven einer zweimaligen, ja eine sogar einer dreimaligen Pr\u00fcfung zu unterziehen, bis man hoffen konnte, den aus der einseitigen Bevorzugung einzelner Octaven sich ergebenden Fehler zu eliminiren. Dabei geschah die Wiederholung der Versuche einer bestimmten Octave nicht sofort, sondern es wurden dazwischen erst die anderen Octaven oder wenigstens der gr\u00f6\u00dfere Theil derselben in Angriff genommen. Die Versuche gliederten sich daher in mehrere Gruppen. Die Zusammenstellung derselben f\u00fcr L zugleich mit denjenigen f\u00fcr Dr. v. Tchisch (T.j ergibt folgende Tabelle.\nL.\tT.\nSchwingungs- zahl\t\tD0\tDu\tVo\tv\u201e\tD\tD0\tDu\tVo\tVu\tD\nI.{ 128\t\t0,822\t0,878\t0,331\t0,411\t08,50\t\t\t\t\t\n\t64\t0,448\t0,397\t0,093\t0,116\t0,423\t\t\t\t\t\n\t128\t0,291\t0,308\t0,051\t0,083\t0,300\t0,505\t0,753\t0,136\t0,128\t0,629\nII.\t256\t0,339\t0,480\t0,070\t0,089\t0,410\t0,319\t0,359\t0,125\t0,150\t0,339\n\t512\t0,355\t0,368\t0,161\t0,136\t0,362\t0,372\t0,277\t0,129\t0,130\t0,325\n\t1024\t0,249\t0,192\t0,064\t0,092\t0,221\t\t\t\t\t\n\t64\t0,151\t0,147\t0,027\t0,032\t0,149\t0,459\t0,406\t0,108\t0,135\t0,433\n\t128\t0,168\t0,150\t0,047\t0,035\t0,159\t0,300\t0,366\t0,075\t0,084\t0,333\nIIL \u00ab\t256\t0,202\t0,261\t0,061\t0,052\t0,232\t0,196\t0,261\t0,056\t0,052\t0,229\n\t512\t0,230\t0,272\t0,040\t0,046\t0,251\t0,219\t0,247\t0,039\t0,056\t0,233\n\t1024\t0,256\t0,179\t0,101\t0,081\t0,218\t0,202\t0,201\t0,073\t0,096\t0,202\n\t2048\t0,376\t0,347\t0,144\t0,158\t0,362\t\t\t\t\t\nZuerst zeigt sich, dass die Unterschiedsschwellen, sowohl die einzelnen Werthe der Da und Du als auch deren Mittelwerthe, von Gruppe zu Gruppe durchg\u00e4ngig kleiner werden, und zwar ist dies bei beiden Beobachtern der Fall. Eine kleine Ausnahme findet sich f\u00fcr n = 1024, bei welchem eine geringe Aenderung der Unterschiedsschwelle im entgegengesetzten Sinne wahrzunehmen ist. Doch erstreckt sich dieser nur auf die Hundertel, ist also zu vernachl\u00e4ssigen. Wenn damit bewiesen ist, dass mit zunehmender Uebung sich auch die Unterscheidungsf\u00e4higkeit f\u00fcr die einzelnen Tonlagen","page":532},{"file":"p0533.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\t533\nau\u00dferordentlich steigert, so geht andererseits auch damit eine zunehmende Sicherheit in Appercipiren von Tonh\u00f6hen parallel, wie sich aus den einzelnen Werthen der mittleren Variationen ergibt Auch diese nehmen von der zweiten zur dritten Gruppe in den entsprechenden Zahlen, einzelne Ausnahmen abgerechnet, ganz merklich ab.\nUngleich aber ist das Verhalten der einzelnen Tonlagen. Die gr\u00f6\u00dfte Abnahme der Unterschiedsschwellen von einer Gruppe zur anderen ist bei den tieferen T\u00f6nen, also bei denen mit 128 und 64 Schwingungen bemerkbar. Hier springt die betreffende Unterschiedsschwelle in den einzelnen Stadien von 0,85 auf 0,3, um schlie\u00dflich den sehr kleinen Werth 0,159 anzunehmen. Ebenso ist bei dem Tone n= 64 der Sprung von 0,423 auf 0,149 ein sehr bedeutender. Hier ist recht deutlich zu erkennen, dass eine anf\u00e4nglich geringere Unterscheidungsf\u00e4higkeit f\u00fcr die tieferen Tonlagen nur in einer geringeren Uebung gegen\u00fcber den im t\u00e4glichen Leben mehr beg\u00fcnstigten T\u00f6nen mittlerer Region ihren Grund hat. In unserem Falle kam f\u00fcr die Octave von 128 Schwingungen noch hinzu, dass dieselbe \u00fcberhaupt zuerst untersucht wurde, und dass die in langen Resonanzr\u00f6hren erzeugten T\u00f6ne wegen ihres dumpfen Toncharakters nur au\u00dferordentlich schwer ein Erfassen und Behalten der Tonh\u00f6he im Ged\u00e4chtniss zulie\u00dfen.\nGanz anders verhalten sich die h\u00f6heren T\u00f6ne, also besonders die Tonregion von 1024 Schwingungen. Hier ist von einer Gruppe zur anderen fast gar keine Zunahme der Unterschiedsempfindlichkeit vorhanden, eine Thatsache, deren Grund darin zu suchen ist, dass diese T\u00f6ne wegen ihrer gr\u00f6\u00dferen Empfindungsst\u00e4rke durch das Bewusstsein von Anfang an sch\u00e4rfer und dauernder appercipirt werden.\nUeberblickt man die Tabelle, so macht sich die Tendenz bemerkbar, dass hei anf\u00e4nglich ziemlich gro\u00dfen Differenzen der Unterschiedsschwellen f\u00fcr die einzelnen Tonregionen sich diese Unterschiede mit zunehmender Uebung des Beobachters verringern und die Schwellenwerthe in asymptotischer Ann\u00e4herung einem constanten Werthe zusteuem.\nVergleicht man noch die fr\u00fcher nicht mit ber\u00fccksichtigten Werthe des Beobachters Tchisch mit einander, so zeigen sie ein analoges Verhalten ; doch sind die einzelnen Differenzen der Schwel-","page":533},{"file":"p0534.txt","language":"de","ocr_de":"534\nEduard Luft.\nlenwerthe f\u00fcr die verschiedenen Tonlagen auch in der letzten Gruppe noch ziemlich gro\u00df, was daraus resultirt, dass die betreffenden Oc-taven von T. nur einer einmaligen Pr\u00fcfung unterzogen worden waren. Dies ist auch der Grund, weshalb diese Versuche bei der vorangegangenen Besprechung weggelassen wurden.\nIm \u00fcbrigen aber lassen die entsprechenden Werthe beider Beobachter bei gleich oft wiederholter Pr\u00fcfung der einzelnen Oc-taven nicht allzu gro\u00dfe Verschiedenheiten bemerken. Die Vorbedingungen f\u00fcr die Apperception von T\u00f6nen m\u00f6gen bei Beiden auch ann\u00e4hernd gleich gewesen sein, da sich L. fr\u00fcher etwas mit Musik und Gesang besch\u00e4ftigt hatte und T. als Arzt in der Bestimmung kleiner Geh\u00f6rsunterschiede besonders ge\u00fcbt war. Im allgemeinen ist zwar die Unterscheidungsf\u00e4higkeit von T\u00f6nen bei den verschiedenen Individuen eine sehr verschiedene, wie schon die Erscheinungen des t\u00e4glichen Leben zeigen, doch sind diese Verschiedenheiten weniger in der verschiedenen Beanlagung als vielmehr in dem h\u00f6heren oder geringeren Ma\u00dfe der vorhandenen Uebung begr\u00fcndet.\nIst so die Uebung von ziemlichem Einfluss auf die Versuchsresultate gewesen, so war es nicht minder die eintretende Erm\u00fcdung der Versuchspersonen, auf welche R\u00fccksicht zu nehmen war. Es konnten daher nur mit Einschaltung angemessener Pausen und selten l\u00e4nger als 1 Stunde Versuche angestellt werden, um durch angestrengte und anhaltende Aufmerksamkeit einigerma\u00dfen genaue Resultate zu erhalten. Vorz\u00fcglich galt dies bei den h\u00f6heren Oc-taven, die wegen ihrer gro\u00dfen Empfindungsst\u00e4rke auf das Ohr ganz besonders erm\u00fcdend einwirkten.\nSchlie\u00dflich mag noch des Umstandes gedacht sein, dass es sehr darauf ankam, bei den einzelnen Versuchen die beiden T\u00f6ne genau gleich stark zu machen, da sich bei den Beobachtern die durchg\u00e4ngige Neigung zeigte, den st\u00e4rkeren Ton auch f\u00fcr den qualitativ h\u00f6heren zu sch\u00e4tzen.\nKurz vor Abschluss dieser Arbeit wurden auch noch Gabeln von 32 Schwingungen der Sch\u00e4tzung unterworfen. Dieselben stammten aus der hiesigen Adiaphonfabrik und waren, gleich den Gabeln von 64 Schwingungen, durch Bleist\u00fccke, die an den Enden der Schenkel angel\u00f6thet waren, auf die erw\u00e4hnte au\u00dferordentliche Tiefe","page":534},{"file":"p0535.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00fcnterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n535\ngebracht worden. Zur Resonanz diente ein an der Aufsatzstelle mit Tuch \u00fcberzogener Resonanzkasten von ca. 2 m L\u00e4nge, 70 cm Breite und 50 cm H\u00f6he. Der durch denselben verst\u00e4rkte Ton unserer Gabel war sehr deutlich zu vernehmen und bei richtigem Aufsetzen derselben auf den Kasten frei von jedem Nebenger\u00e4usch. Auf das Ohr wirkten diese tiefen T\u00f6ne weniger erregend und in geringerem Grade erm\u00fcdend, als die fr\u00fcher untersuchten hohen T\u00f6ne. Bei den einzelnen Versuchen wurden die Gabeln kurz angeschlagen und in entsprechenden Zwischenzeiten auf den Resonanzboden gesetzt.\nAus 7 Versuchsreihen, die nach der Methode der Minimal\u00e4nderungen gemacht wurden, ergab sich f\u00fcr L. als Mittelwerth der \"Unterschiedsschwellen 0,44 Schwingungen. Um aber vor T\u00e4uschungen sicher zu sein, wie solche bei der schweren Apperception von dergleichen tiefen T\u00f6nen durch das Geh\u00f6r sehr leicht Vorkommen k\u00f6nnen, wurde noch vermittelst der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle die Grenze bestimmt, f\u00fcr welche alle Urtheile auf die Frage \u00bbwelcher Ton ist h\u00f6her\u00ab richtig waren. Es ergaben sich folgende Zahlen:\nUnterschied in Schwingungen\trichtig\tzweifel- haft\tfalsch\tgleich\tGesammt- zahl\n0,66\t17\t7\ti\t\u2014\t25\n0,50\t16\t6\t3\t\u2014\t25\n0,40\t5\t3\t8\t9\t25\nd. h. : es wurde im ersten Falle bei einer Schwingungsdifferenz von 0,66 Schwingungen bei 25 Urtheilen in 17 F\u00e4llen richtig und in 1 Falle falsch gesch\u00e4tzt. In 7 F\u00e4llen war der Beobachter zweifelhaft. Bei der Differenz von 0,5 Schwingungen hatten die richtigen Urtheile um 1 ab-, die falschen um 2 zugenommen. Dagegen finden sich bei der Schwingungsdifferenz von 0,4 Schwingungen nur noch 5 richtige gegen\u00fcber 8 falschen Urtheilen. Auch zeigt sich eine gro\u00dfe Anzahl (9) von Gleichheitsurtheilen, Ziehen wir die zweifelhaften Urtheile nicht mit in R\u00fccksicht, da sie sachgem\u00e4\u00dfer Weise besonders in Rechnung gebracht werden m\u00fcssten, so ergeben sich bei einer Schwingungsdifferenz von 0,66 Schwingungen auf die Frage \u00bbwelcher Ton h\u00f6her\u00ab bei 18 Urtheilen 17 rieh-\nW un dt, Philos. Studien. IY.\t35","page":535},{"file":"p0536.txt","language":"de","ocr_de":"536\nEduard Luft.\ntige, so dass unzweifelhaft ist, dass die vermittelst der Methode der Minimal\u00e4nderungen zu findende Unterschiedsschwelle nicht gr\u00f6\u00dfer als 0,66 Schwingungen sein kann. Ebenso l\u00e4sst aber die geringe Anzahl der richtigen Urtheile der 3. Reihe den Schluss zu, dass die Schwelle auch nicht kleiner als 0,4 Schwingungen ist. Und so d\u00fcrfte der gefundene Werth 0,44 f\u00fcr den Beobachter L. der Wahrheit nahe kommen. F\u00fcr einige andere nicht ge\u00fcbte Personen war die Unterscheidungsf\u00e4higkeit nat\u00fcrlich bedeutend geringer. Aus alledem aber folgt, dass die Unterschiedsschwelle, die sich in den mittleren Tonlagen in fast constanten Werthen bewegt, in den der Grenze der H\u00f6rbarkeit nahe liegenden tieferen Tonstufen sehr schnell w\u00e4chst.\nUm auch noch einen Einblick in die Aenderung der Unterscheidungsf\u00e4higkeit hei Aenderung der H\u00f6henunterschiede zweier T\u00f6ne zu gewinnen, wurden zwischen der II. und III. Gruppe obiger Versuche (S. 532) noch einige weitere Versuche nach der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle unternommen, vorl\u00e4ufig nur mit den Gabeln von 64 Schwingungen. Zu diesem Zwecke wurden die Gabeln um ein weniges gegen einander verstimmt und darauf in einer dem Beobachter unbekannten Reihenfolge angeschlagen, worauf dieser sein Urtheil \u00fcber die gemachte Beobachtung abgab. Au\u00dferdem wurden noch Vexirversuche mit eingeschaltet, die in dem zweimaligen Gebrauche ein und derselben Gabel bestanden. Erw\u00e4hnt sei auch noch, dass die Stimmgabelt\u00f6ne immer am Ausklingen verhindert wurden, um die dabei auftretenden qualitativen Ver\u00e4nderungen zu vermeiden. Es fanden sich f\u00fcr die beiden Beobachter L. und T. folgende Werthe:\n\t\tVerschiedene T\u00f6ne\t\t\t\t\tGleiche T\u00f6ne\t\t\t\nUnterschied in Schwingungen\tH\u00f6herer Ton\trichtig\tfalsch\tgleich\tzweifel- haft\tGesammt- zahl\tgleich\tver- schieden\tGesammt- zahl\t\n(\tV\t40\t3\t6\tl\t50\tl\t4\t5\t1\n0,30 {\t>)\t39\t11\t\u2014\t\u2014\t50\tl\t4\t5\tL.\n1\t\u201d\t29\t21\t\u2014\t\u2014\u2022\t50\t\u2014\t5\t5\t\n\tV\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n0,30 {\t)}\t22\t24\t4\t\u2014\t50\t3\t2\t5\t\n1\tV\t36\t13\t1\t\u2014\t50\t2\t3\t5\t","page":536},{"file":"p0537.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\t537\nHier enth\u00e4lt die erste Columne den Unterschied beider Gabeln in Bruchtheilen einer Schwingung, die zweite gibt an, welche Gabel die h\u00f6here war, oh die Vergleichsgabel (V) oder Normalgabel (N). Die n\u00e4chsten f\u00fcnf Columnen beziehen sich auf die wirklich verschiedenen T\u00f6ne und enthalten die Angabe dar\u00fcber, wie viel von je 50 Versuchen richtig, falsch und gleich gesch\u00e4tzt wurden oder in welchen F\u00e4llen das Urtheil ein zweifelhaftes war. Die letzten vier Columnen geben die analogen Daten f\u00fcr die wirklich gleichen T\u00f6ne (Vexirversuche).\nAus obiger Tabelle folgt mit Hinweglassung der wenigen Versuche mit wirklich gleichen T\u00f6nen, ebenso des einen Versuchs, der ein zweifelhaftes Urtheil ergab, und mit gleichm\u00e4\u00dfiger Vertheilung der Gleichheitsf\u00e4lle unter die richtigen und falschen:\nrichtig\tfalsch\tGesammtzahl\nf\u00fcr L.\t111\t38\t149\nf\u00fcr T.\t60,5\t39,5\t100\nBei einer Differenz von 0,3 Schwingungen wurde also die \u00fcberwiegende Mehrzahl der Versuche richtig gesch\u00e4tzt. F\u00fcr kleinere H\u00f6henunterschiede als 0,3 wurden folgende Zahlen gefunden:\n\t\tVerschiedene T\u00f6ne\t\t\t\t\t\tGleiche T\u00f6ne\t\t\t\nUnterschied in Schwingungen\tH\u00f6herer Ton\trichtig\t\tfalsch\tgleich\tzweifel- haft\tGesammt- zahl\tgleich\tver- schieden\tGesammt- zahl\t\n0,28\tV\t95\t93\t86 74\t50\t2\t400\t26\t14\t40\t\n0,27\tN\t52\t43\t28 43\t27\t7\t200\t2\t18\t20\t\n0,26\tN\t41\t43\t13 21\t30\t2\t150\t5\t10\t15\tL.\n0,25\tN\t22\t37\t29 24\t35\t3\t150\t6\t9\t15\t\n0,22\tV\t36\t67\t86 54\t54\t3\t300\t12\t18\t30\t\n0,28\tV\t100\t134\t91 69\t6\t\t400\t22\t18\t40\t\n0,27\tN\t55\t59\t40 30\t16\t\t200\t12\t8\t20\t\n0,26\tN\t47\t50\t21 21\t11\t\t150\t5\t10\t15\tT.\n0,25\tN\t42\t42\t29 33\t4\t\t150\t6\t9\t15\t\n0,22\tV\t61\t95\t76 58\t10\t\t300\t13\t17\t30\t\nHierbei sind mehrere Columnen noch einmal gegliedert und zwar zeigen in derjenigen der richtigen Urtheile die zuerst stehenden Zahlen an, wie oft bei den hierher geh\u00f6rigen Versuchen der erste Ton h\u00f6her war. Ebenso lassen in der Verticalreihe der falschen Urtheile die Zahlen an erster Stelle erkennen, wie viel Mal\n35*","page":537},{"file":"p0538.txt","language":"de","ocr_de":"538\nEduard Luft.\nbei den hier in Frage kommenden Versuchen der zuerst angegebene Ton der -wirklich h\u00f6here war. Diese Gliederung war deshalb noch eingef\u00fchrt worden, um einen etwaigen Einfluss der Zeitlage zu con-statiren, wie er ja bei den Empfindungen der Schallintensit\u00e4ten thats\u00e4chlich auftritt. Dort wird die zweite von zwei objectiv gleichen Schallintensit\u00e4ten immer als die st\u00e4rkere gesch\u00e4tzt. Findet nun auf dem Gebiete der Tonqualit\u00e4ten etwas Analoges statt, sch\u00e4tzt man also den zweiten von zwei gleichen T\u00f6nen h\u00f6her, so wird bei unseren nur sehr wenig von einander verschiedenen T\u00f6nen das Ur-theil h\u00e4ufiger ein richtiges sein, wenn der zweite Ton thats\u00e4chlich h\u00f6her ist, als umgekehrt, da doch in diesem Falle die aus der Reihenfolge der T\u00f6ne sich ergebende Verschiedenheit beider Empfindungen sich zu der aus der wirklichen Verschiedenheit der T\u00f6ne folgenden addiren w\u00fcrde. Dementsprechend d\u00fcrften auch die meisten falschen Urtheile Vorkommen, wenn der zweite Ton thats\u00e4chlich tiefer ist, da in diesem Falle der aus der Zeitlage der T\u00f6ne folgende subjective Factor auf die Verschiedenheit der beiden Tonempfindungen vermindernd wirkte. Darnach m\u00fcssten in der Columne der richtigen Urtheile die an zweiter Stelle stehenden Zahlen, in der Columne der falschen Urtheile dagegen die an erster Stelle stehenden Zahlen die gr\u00f6\u00dferen im allgemeinen sein.\nIn der Tabelle f\u00fcr L. findet sich f\u00fcr den Unterschied von 0,28 Schwingungen in der Columne der richtigen Urtheile eine nahezu gleiche Anzahl beider F\u00e4lle, in derjenigen der falschen Urtheile dagegen zeigt sich eine kleine Verschiedenheit der Urtheile in dem oben angenommenen Sinne. F\u00fcr die Differenz 0,27 und 0,26 w\u00fcrde sich die Annahme nicht best\u00e4tigen, dagegen bei 0,25 und in hervorragendem Ma\u00dfe bei dem Unterschiede 0,22. Analoges zeigt sich bei den Versuchen von T. mit dem einzigen Unterschiede, dass die Urtheile im wesentlichen noch mehr f\u00fcr die gemachte Annahme sprechen, ausgenommen die Zahlen der falschen Urtheile f\u00fcr die Differenz 0,25, bei welchen die zweite Zahl die gr\u00f6\u00dfere ist. Allerdings sind die einzelnen Zahlen oft nur unbedeutend von einander verschieden oder wohl auch gleich. Besonders auff\u00e4llig aber sind auch hier wiederum die gro\u00dfen Verschiedenheiten der einzelnen Zahlen je einer Columne f\u00fcr die Differenz 0,22 als dem geringsten Unterschied in dem der Annahme entsprechenden Sinne. Wenn","page":538},{"file":"p0539.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\t539\ndaher die Zahl obiger Versuche \u00fcberhaupt zur L\u00f6sung der Frage ausreicht, ob die Zeitlage der T\u00f6ne f\u00fcr die Empfindung hinsichtlich der Tonqualit\u00e4t irgendwie von Einfluss ist, so w\u00fcrde aus Vorliegendem der Schluss zu ziehen sein, dass wir im allgemeinen geneigt sind, hei zwei objectiv gleichen Reizen den zweiten f\u00fcr den h\u00f6heren zu halten. Doch w\u00fcrde in unserem Falle die aus der Zeitlage beider T\u00f6ne resultirende Empfindungs\u00e4nderung nur eine \u00e4u\u00dferst geringe sein. Eine Erkl\u00e4rung dieses Ph\u00e4nomens l\u00e4sst sich darin finden, dass von zwei gleich hohen T\u00f6nen der intensivere h\u00f6her gesch\u00e4tzt wird \u2018). Es ergibt sich daher dieser Einfluss der Zeitlage unmittelbar aus dem Einfluss der letzteren auf die Intensit\u00e4t der Empfindung. Uebrigens scheinen einzelne Beobachtungen von Stumpf1 2) mit dem obigen Ergebniss nicht \u00fcbereinzustimmen. Stumpf suchte 15 Darmsaiten gleich zu stimmen und zwar so, dass er immer die vorhergehende zum Ausgangspunkt f\u00fcr die nachfolgende nahm und fand, dass die letzte im Vergleich zu der ersten um ca. V8 Ton zu hoch war. Daraus w\u00fcrde sich im Gegentheil eine Tiefersch\u00e4tzung des zweiten Tones ergeben. Demnach sind noch weitere Beobachtungen zur Entscheidung dieser Frage w\u00fcn-schenswerth.\nBezeichnen wir jetzt mit r die richtigen, mit m die Gesammt-zahl der in Betracht kommenden F\u00e4lle und bilden den Quotienten\nT\n\u2014, indem wir die zweifelhaften F\u00e4lle, sowie die Versuche mit den m\nwirklich gleichen T\u00f6nen weglassen und die Gleichheitsf\u00e4lle unter den richtigen und falschen gleichm\u00e4\u00dfig vertheilen, so findet sich f\u00fcr\n\tL.\tT.\nScbwingungsdifferenz\tr m\tr m\n0,28\t0,54\t0,59\n0,27\t0,56\t0,61\n0,26\t0,67\t0,68\n0,25\t0,52\t0,57\n0,22\t0,44\t0,54\nDiese Zahlen geben ein ziemlich deutliches Bild f\u00fcr die Abnahme der Zahl der richtigen Urtheile hei Verringerung des H\u00f6hen-\n1)\tVergl. pag. 534.\n2)\tStumpf, Tonpsychologie pag. 303.","page":539},{"file":"p0540.txt","language":"de","ocr_de":"540\tEd. Luft. Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n-Unterschieds beider T\u00f6ne. Doch findet noch bei dem Unterschied von 0,26 Schwingungen eine kleine Erh\u00f6hung der Zahlen statt, die jedenfalls nur mehr zuf\u00e4lliger Natur ist. Die Werthe f\u00fcr T. zeigen im allgemeinen ein g\u00fcnstigeres Verh\u00e4ltniss der richtigen Urtheile zur Gesammtzahl. Welches Verh\u00e4ltniss nun aber dem nach der Methode der Minimal\u00e4nderungen gefundenen Schwellenwerthe entspricht, l\u00e4sst sich schwer entscheiden, da sowohl die Principien der beiden Methoden als auch die bei der Anwendung dieser Methoden auftretenden subjectiven Bedingungen der Versuchspersonen viel zu verschiedenartig sind, als dass a priori f\u00fcr einen durch das eine Verfahren gefundenen Schwellenwerth ein bestimmtes Verh\u00e4ltniss der richtigen Urtheile zur Gesammtzahl aller angenommen werden kann. Immerhin m\u00fcsste eine systematische Durchf\u00fchrung der Versuche vermittelst der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle unter Annahme eines f\u00fcr alle Tonstufen gleichen Verh\u00e4ltnisses der richtigen zur Gesammtzahl der Urtheile auch auf diesem Wege den gew\u00fcnschten Aufschluss \u00fcber die G\u00fcltigkeit des Weber\u2019schen Gesetzes f\u00fcr Tonqualit\u00e4ten geben. Um aber diese Frage nach allen Seiten hin einer endg\u00fcltigen L\u00f6sung entgegenzuf\u00fchren, w\u00e4re es w\u00fcnschens-werth, die Untersuchung auch auf beliebige endliche und gr\u00f6\u00dfere Tondistanzen auszudehnen.","page":540}],"identifier":"lit4154","issued":"1888","language":"de","pages":"511-540","startpages":"511","title":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:21:50.976165+00:00"}