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{"created":"2022-01-31T15:04:19.678690+00:00","id":"lit4158","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Lehmann, Alfred","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 5: 96-156","fulltext":[{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\nVersuch einer experimentellen Best\u00e4tigung der Theorie der Vorstellungsassociationen.\nVon\nDr. phil. Alfred Lehmann\nin Kopenhagen.\nI. Einleitung.\nEs ist sicherlich eine der \u00e4ltesten psychologischen Beobachtungen des Menschengeschlechts, dass eine Vorstellung, deren man ein oder einige Mal sich bewusst gewesen ist, wieder im Bewusstsein auftauchen kann ohne besondere \u00e4u\u00dfere Veranlassung. Schon bei den \u00e4ltesten griechischen Materialisten finden sich Hypothesen \u00fcber die Natur der Vorstellungen, die dieses Ph\u00e4nomen zu erkl\u00e4ren suchen. Und nicht allein hat man schon zu so fr\u00fcher Zeit gewusst, dass Vorstellungen im Bewusstsein wieder auftauchen k\u00f6nnen ohne \u00e4u\u00dfere Veranlassung, man hat wahrscheinlich auch die wesentlichsten Bedingungen gekannt, unter denen eine Reproduction stattfindet, wenigstens finden wir diese hei Aristoteles angegeben.\nDie Selbstbeobachtung ergibt, dass, so oft eine Vorstellung A re-producirt wird, eine andere Vorstellung B, die in irgend einem Verh\u00e4ltnisse zu A steht, auch im Bewusstsein auftritt, indem dieselbe A gleichsam nach sich gezogen hat. Man sagt alsdann von A und B, dass sie in Verbindung mit einander getreten sind, sich associirt haben; und Aristoteles gibt an, dass Vorstellungen sich unter viererlei verschiedenen Verh\u00e4ltnissen associiren k\u00f6nnen, indem sie n\u00e4mlich \u00e4hnlich oder entgegengesetzt, gleichzeitig oder nach ein-","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n97\nander folgend im Bewusstsein auftreten. Diese vier sogenannten Associationsgesetze haben unber\u00fchrt bis auf die neueste Zeit bestanden. Erst nachdem Hume die au\u00dferordentliche Bedeutung der Vorstellungsassociationen f\u00fcr das menschliche Seelenleben nachgewiesen hatte, wurde die Frage wieder aufgenommen. Man kam dann bald zu der Einsicht, dass die vier aristotelischen Gesetze wahrscheinlich gar nicht die Associationsursachen, sondern nur Associations formen bezeichneten. Es l\u00e4sst sich n\u00e4mlich nicht in Abrede stellen, dass eine Vorstellung sich mitunter mit einer andern associirt haben kann, die in einem gewissen Gegensatz zu jener ersteren steht; weil aber die Association eine solche Form hat, deshalb braucht der Gegensatz nicht die eigentliche Ursache der Verbindung zu sein. Und da es sich nun zeigt, dass eine Association zwischen zwei entgegengesetzten Vorstellungen nur stattfindet, wenn die beiden, ungeachtet des zwischen ihnen bestehenden Gegensatzes, doch eine gewisse Aehnlichkeit haben, so hat man die zwei Gruppen, Associationen durch Aehnlichkeit und durch Gegensatz, zusammengefasst zu einer einzigen, und die Aehnlichkeit der Vorstellungen als eine m\u00f6gliche Ursache ihrer Association aufgestellt. Es ist hier also ein inneres Verh\u00e4ltniss, eine Verwandtschaft der Vorstellungen, welche als dieselben an einander kn\u00fcpfend angesehen wird. Im Gegensatz dazu stehen die zwei andern Formen, Gleichzeitigkeit und Succession, hier ist es keine innere Verwandtschaft, sondern ein \u00e4u\u00dferes Ber\u00fchrungsverh\u00e4ltniss, das die Vorstellungen an einander zu kn\u00fcpfen scheint, und man hat daher die Ber\u00fchrung der Vorstellungen als eine andre m\u00f6gliche Ursache ihrer Association aufgestellt. In der modernen Psychologie werden diese beiden Gesetze, das Aehnlichkeits- und das Ber\u00fchrungsgesetz, gew\u00f6hnlich neben einander gestellt, es sind aber doch hin und wieder Versuche gemacht, dieselben auf ein Gesetz zu reduziren, oder vielmehr, eines derselben als das eigentliche Grundgesetz aller Associationen aufzustellen, so dass das andre nur eine abgeleitete Form wird1).\n1) Vergl. hiermit H\u00f6ffding (Psychologie in Umrissen auf Grundlage der Erfahrung. Leipzig 1887), gegen dessen Ansichten, welche mit denjenigen der englischen Psychologen \u00fcbereinstimmen, ich diese Abhandlung gerichtet habe, veil das erw\u00e4hnte Werk meines Wissens die vollst\u00e4ndigste und durchsichtigste Darstellung der hier als Unrichtig zu erweisenden Hypothese gibt.\nWundt, Philos. Studien. V\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nAlfred Lehmann.\nEin solches Bestreben ist vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus vollst\u00e4ndig berechtigt, da es eben die Aufgabe der Wissenschaft ist, allgemeine S\u00e4tze aufzustellen. Wenn man also ohne Zwang eine Mehrzahl von Gesetzen durch ein einziges ersetzen kann, das sie alle umfasst, so muss dies als ein wissenschaftlicher Fortschritt betrachtet werden. Eine Untersuchung, in wie fern das Aehnlich-keits- oder das Ber\u00fchrungsgesetz als Grundgesetz f\u00fcr alle Association angesehen werden kann, wird daher nicht ohne Interesse sein, und diese Frage ist es, deren Beantwortung hier versucht werden soll.\nEhe wir n\u00e4her auf die Sache eingehen, muss der Unterschied zwischen Aehnlichkeits- und Ber\u00fchrungsassociationen erst bestimmt werden. Seien A, B, C ... . durch \u00e4u\u00dfere Beize gegebene Vorstellungen, und seien a, b, c ... . dieselben, reproducirten Vorstellungen. Durch wachsende Indices 1, 2, 3 . . . n wollen wir ferner bezeichnen, dass das Vorkommen einer einzelnen bestimmten Vorstellung im Bewusstsein stets weiter zur\u00fcck in der Zeit liegt. An bezeichnet also eine Sinnesvorstellung, zwischen welcher und dem gegenw\u00e4rtigen Augenblick n\u20141 Sinnes Vorstellungen der n\u00e4mlichen Art liegen; an bezeichnet eine Keproduction von An. Eine reine Aehnlichkeitsassociation findet nun statt, wenn eine durch die Sinne gegebene Vorstellung! sich mit den ihr selbst \u00e4hnlichen Vorstellungen verbindet; das Schema einer solchen wird also das folgende sein: A + (\u00abi + a2 + \u2022\u2022\u2022\u2022 + \u00b0\u00bb) \u2022 Eine reine Ber\u00fchrungsassociation hat man dagegen, wenn eine durch die Sinne gegebene Vorstellung sich mit andern Vorstellungen verbindet, die fr\u00fcher mit derselben gleichzeitig gewesen sind, oder ihr unmittelbar folgten ; das Schema wird hier sein A -f- (\u00f4 + c . ...). Darf man nun 'annehmen, dass eins dieser Gesetze das Grundgesetz aller Association ist?\nAuf dem gew\u00f6hnlichen Wege der Psychologie, durch directe Selbstbeobachtung, l\u00e4sst sich das Problem nicht l\u00f6sen. Denn in dem reifen menschlichen Bewusstsein sind die einzelnen Vorstellungen gew\u00f6hnlich durch so viele Bande, so viele Mittelglieder an einander gekn\u00fcpft, dass der Uebergang von der einen Vorstellung zu der andern vor sich geht, ohne dass es uns m\u00f6glich ist in allen Einzelheiten nachzuweisen, wie derselbe stattgefunden hat. Einige wenige Glieder, einige einzelne Stationen unterwegs k\u00f6nnen wir vielleicht entdecken; aber in einem gegebenen Falle daf\u00fcr einstehen,","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n99\ndass man sie alle gefunden hat, wird schwerlich Jemand, der mit den Schwierigkeiten der Selbstbeobachtung nur einigerma\u00dfen bekannt ist. Ein Beispiel m\u00f6ge dies beleuchten. Wenn man einen Apfel (A) sieht, und dabei an den Baum der Erkenntniss des Guten und B\u00f6sen (b), die Schlange (c), Adam [d) und Eva (e) u. s. w. denkt, ist es alsdann ein Fall von Aehnlichkeits- oder Ber\u00fchrungsassociation, der hier vorliegt ? Beim ersten Anblick scheint es eine reine Ber\u00fchrungsverbindung zu sein ; die Vorstellungen Apfel, Baum der Erkenntniss, Schlange u. s. w. sind von unserer fr\u00fchesten Jugend an h\u00e4ufig gleichzeitig in unserem Bewusstsein gewesen, und wenn nun A wieder vorkommt, zieht es auf Grund der Ber\u00fchrung\n5, c, d, e___nach sich. Auf der andern Seite l\u00e4sst es sich nicht\nleugnen, dass A erst au a2, a3__, Vorstellungen von verschiedenen\nandern Aepfeln erregt haben kann, und von einem dieser Glieder kann der XJebergang zu b, c, d .... gemacht worden sein. Man findet daher auch bei verschiedenen Forschern F\u00e4lle dieser Art als Beispiele bald von Ber\u00fchrungs-, bald von Aehnlichkeitsassociation angewandt, und es wird einleuchten, dass Selbstbeobachtungen die Frage nicht entscheiden k\u00f6nnen. Denn eben so wenig, wie\nman direct wahrnehmen kann, dass A zuerst a2, a3 _______ erregt,\nebenso wenig kann man die M\u00f6glichkeit in Abrede stellen, dass dieses der Fall ist. Eine L\u00f6sung des Problems muss daher auf anderem Wege gesucht werden.\nWir stehen hier vor zwei Gesetzen, deren jedes f\u00fcr sich m\u00f6glicher Weise Anspruch darauf machen kann, Grundgesetz zu sein, allein hinreichend alle erfahrungsgem\u00e4\u00df gegebenen Ph\u00e4nomene erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen. Es wird daher am angemessensten sein, vorerst zu untersuchen, ob wirklich auch jedes der beiden Gesetze s\u00e4mmt-liche Ph\u00e4nomene erkl\u00e4ren kann. Denn sollte es sich herausstellen, dass keins von ihnen dieser Forderung entspricht, so ist das Problem gel\u00f6st; wir sind alsdann gen\u00f6thigt, dieselben als einander gleich stehende anzusehen, so dass jedes derselben f\u00fcr sich eine gewisse Gruppe von Thatsachen umfasst. Wenn hingegen das eine f\u00e4hig ist alle Facta zu erkl\u00e4ren, das andere dagegen nicht, so wird letzteres \u00fcberfl\u00fcssig. Endlich kann es eintreten, dass beide Gesetze gleich gut die Ph\u00e4nomene erkl\u00e4ren; dann m\u00fcsste man sich nach andern Auswegen umsehen.","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nAlfred Lehmann.\nDer letztere Fall scheint hier jedoch nicht vorzuliegen. Denn es ist einleuchtend, dass die Aehnlichkeitsassociation au\u00dfer Stande ist, die Beriihrungsassociation zu erkl\u00e4ren. Halten wir uns an das oben benutzte Beispiel, und nehmen an, dass sich in der That zwischen A und b eine Aehnlichkeitsassociation einschaltet, so dass A erst \u00f6j + \u00ab2 + \u00ab3 + \u2022\u2022\u2022\u2022+ an hervorruft, und dass b durch diese Zwischenglieder hervorgebracht wird; so w\u00fcrde das Schema hier\nwerden: A + [a, +\t+------+ an) + 4 + c +-------- Ist nun der\nUebergang von A zu b durch eine Aehnlichkeitsassociation erkl\u00e4rt\"? Nicht im geringsten; es ist weiter nichts geschehen, als dass das Problem zur\u00fcckgeschoben ist. Wie wird n\u00e4mlich an in den Stand gesetzt, b zu reproduciren? Nur durch Ber\u00fchrung. Wenn niemals zu irgend einem Zeitpunkte die Vorstellungen Apfel (A) und Baum der Erkenntniss [B) gleichzeitig oder unmittelbar nach einander in meinem Bewusstsein gewesen w\u00e4ren, so w\u00fcrde A offenbar al -f- a2 _j_\t. ins Unendliche reproduciren k\u00f6nnen, ohne dass jemals\nVorstellung b folgen w\u00fcrde. Das Aehnlichkeitsgesetz ist demnach g\u00e4nzlich unf\u00e4hig, die Ber\u00fchrungsassociationen zu erkl\u00e4ren. Selbst angenommen, dass eine Vorstellung sich mit andern auf Grund der Aehnlichkeit verbinden kann, so kann man doch nicht die Annahme entbehren, dass auch Gleichzeitigkeit oder Succession Vorstellungen zur Verbindung bringen kann. Die Ber\u00fchrungsassociation ist also eine Thatsache, von der man nicht absehen kann. Wenn ein kleines Kind einige Mal einen Hund A gesehen und ihn bellen, B, geh\u00f6rt hat, so kann das n\u00e4chste Mal, wenn es den Hund sieht, in seinem Bewusstsein das Lautbild Wauwau (4) entstehen. Aber zwischen dem Gesichtsbild Hund (A) und dem Lautbild Wauwau (4) besteht ja durchaus keine Aehnlichkeit, und selbst wenn man nun meint, dass A erst ax + a2 + \u00ab3 + . . . . + an hervorgerufen haben muss, so geschieht die Verbindung an + b doch nur kraft der Gleichzeitigkeit von A und B im Bewusstsein. Mit dem Aehnlichkeitsgesetz als Grundlage aller Association w\u00e4ren wir somit fertig. Es ist m\u00f6glich, dass einer jeden Reproduction von Vorstellungen, die sich im Bewusstsein ber\u00fchrt haben, immer eine Aehnlichkeitsassociation vorangeht, es ist aber unm\u00f6glich, dadurch eine Ber\u00fchrungsassociation wie die zwischen an und b zu erkl\u00e4ren.\nWie stellt sich die Sache nun mit dem Ber\u00fchrungsgesetz'? K\u00f6n-","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n101\nnen wir aus dem Factum, dass Vorstellungen sich associiren k\u00f6nnen, wenn sie gleichzeitig oder unmittelbar nach einander im Bewusstsein gewesen sind, eine Aehnlichkeitsassociation erkl\u00e4ren? Die Analyse eines typischen Beispiels muss hier, so wie oben, hinreichen, die Frage zu entscheiden.\nGesetzt, es w\u00e4re von Napoleon die Rede gewesen, und nehmen wir an, dass man dabei an Alexander den Gro\u00dfen denkt. Es ist die Aehnlichkeit zwischen dem Leben der beiden M\u00e4nner, welche den Namen des einen den des andern reproduciren l\u00e4sst, wird man sagen. Der Name Napoleon (A) erregt die Vorstellung von einem gro\u00dfen Feldherm (b), der viele Schlachten ,(c) gewann, fremde L\u00e4nder [d] eroberte u. s. w. Nun reproducirt b die Reihe 5t-|- b2 + b3 +...-)- bp (fr\u00fchere Vorstellungen von gro\u00dfen Feldherrn), c reproducirt c1-j-c2 + c3 + . . . + cQ (fr\u00fchere Vorstellungen von gewonnenen Schlachten), d ruft dx + d2 -(- c?3 + . . . 4- dr hervor u. s. w., und an diese auf Grund der Aehnlichkeit reproducirten Vorstellungen kn\u00fcpft sich dann w (Alexander) an. Das Schema wird sich etwa so aufstellen lassen :\np + (^1 \u25a0+\u25a0 ^2 + \u2022\u2022\u2022+\u2022 bp) |\n+ (al + 02 \"F \u2022 \u2022 \u2022 + <bi) \\c + (C1 + c2 + \u2022 \u2022 \u2022 H\u201c cq) / W.\n(c? + ((?! + d2 + . . . + dr) f\nBei genauerer Betrachtung scheint indessen die Aehnlichkeit eine ziemlich untergeordnete Rolle in diesem typischen Beispiele zu spielen. Denn es ist, wie oben erw\u00e4hnty nur durch Ber\u00fchrung, dass aa b, c, d, . . . reproducirt, und es ist wiederum nur durch Ber\u00fchrung, dass w durch bp, cq, dr... reproducirt wird. Es sind fortw\u00e4hrend nur Ber\u00fchrungsassociationen, durch welche der Uebergang zu neuen Vorstellungen stattfinden kann, und die Aehnlichkeits-associationen sind darauf beschr\u00e4nkt, als Bindeglieder zu fungiren zwischen den im Augenblick vorhandenen Vorstellungen und denen, die im n\u00e4chsten Moment reproducirt werden. Schon aus diesem Grunde lie\u00dfe sich dar\u00fcber streiten, inwiefern eine Verbindung wie die angef\u00fchrte zwischen Napoleon und Alexander eine Aehnlichkeits-\u00b0der eine Ber\u00fchrungsassociation zu nennen sei, denn wenn die Verbindung analysirt wird, zeigt es sich, dass das Verh\u00e4ltniss sehr com-plicirt ist. Es ist in jedem Fall so weit davon entfernt, dass hier","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nAlfred Lehmann.\neine reine Aehnlichkeitsassociation vorliegt, dass die Ber\u00fchrungsverbindungen vielleicht sogar im Uebergewicht sind. Es soll hier aber nicht \u00fcber Namen gestritten werden; die Frage ist, ob sich die Aehnlicbkeitsassociationen durch Ber\u00fchrungsassociation erkl\u00e4ren lassen. Dass dieses unm\u00f6glich ist, so lange man annimmt, dass zwischen jede Verbindung durch Ber\u00fchrung sich eine reine Aehnlichkeitsassociation einschaltet, bedarf keiner n\u00e4heren Nachweisung. Eine Verbindung von der Form : A + (\u00abi +\t+ . . . + \u00ab\u201e) l\u00e4sst sich\nnicht durch Ber\u00fchrung erkl\u00e4ren, denn A, a{, a2 . . . sind niemals vorher zusammen in unserem Bewusstsein gewesen, und k\u00f6nnen sich also nicht durch Ber\u00fchrung verbunden haben. Indessen muss hiebei erinnert werden, dass es nur eine Annahme, ein Postulat ist, dass solche reine Aehnlichkeitsassociationen wie A -J- (\u00abi + a2 + ... + \u00ab\u201e) existiren. Ihr Dasein kann, wie oben erw\u00e4hnt, nicht durch Beobachtung nachgewiesen werden ; und die Behauptung, dass sie existiren, ist folglich nur dann eine berechtigte Hypothese, wenn dieselbe nothwendig ist, um gewisse Thatsachen zu erkl\u00e4ren. Zur Erkl\u00e4rung solcher Associationen, wie die zwischen Napoleon und Alexander, Avelche die Form von Aehnlichkeitsassociationen haben, ist die reine hypothetische Aehnlichkeitsverhindung dem Anschein nach nicht nothwendig. Es lie\u00dfe sich sehr wohl denken, dass A geradezu durch Ber\u00fchrung b c d -(-...., und diese wieder w hervorriefen, so dass das Schema folgende Form erhielte:\nDamit w\u00fcrden also solche Verbindungen, die in formeller Beziehung Aehnlichkeitsverhindungen sind, sich in Wirklichkeit als Ber\u00fchrungsassociationen erweisen.\nDie Sache steht demnach jetzt so : Insofern man nicht aus einem oder dem andern Grunde gen\u00f6thigt ist, reine Aehnlichkeitsassociationen anzunehmen, so k\u00f6nnen alle factisch vorkommenden Associationen, diese m\u00f6gen nun die Form von Aehnlichkeits- oder Ber\u00fchrungsverbindungen haben, auf Ber\u00fchrungsassociationen zur\u00fcckgef\u00fchrt werden. Folglich wird das Ber\u00fchrungsgesetz das Grundgesetz aller Association sein k\u00f6nnen unter der einen bestimmten Bedingung, dass man nicht hypothetisch reine Aehnlichkeitsverhindungen anzu-","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n103\nnehmen braucht. Ist nun eine solche Annahme nothwendig, oder ist sie nicht nothwendig?\nDiese Frage ist von einer Seite mit einem entschiedenen Nein, von anderer Seite mit einem ebenso entschiedenen Ja beantwortet worden. Die Gegner der Aehnlichkeitshypothese haben ungef\u00e4hr folgenderma\u00dfen raisonnirt: Wenn A und B gleichzeitig im Bewusstsein gewesen sind, so wird A\u2019s nachheriges Eintreten b, eine Reproduction von B, mit sich f\u00fchren. Das Yerh\u00e4ltniss kann analog mit jedem Causalzusammenhang auf physischem Gebiet aufgefasst werden. Wenn z. B. eine Stange Siegellack sich hinl\u00e4nglich nahe an einem Papierstreifen befindet, und die Lackstange alsdann geriehen wird, so fliegt das Papier der Stange zu. Diese Bewegung tritt ein, so oft zwei Bedingungen erf\u00fcllt sind, n\u00e4mlich: dass die Lackstange gerieben wurde, und nicht von dem Papier zu weit entfernt ist. Auf ganz entsprechende Weise kann man sich denken, dass A das Auftauchen von b im Bewusstsein hervorruft, wenn die zwei Bedingungen erf\u00fcllt sind, dass A fr\u00fcher mit B zusammen gewesen ist, und dass A aufs Neue auftaucht. Beide Bedingungen sind nothwendig, aber vereint m\u00fcssen sie hinreichen, die Reproduction von b zu bewirken, und es wird folglich nicht nothwendig, Zwischenglieder, die Reproduction von + <h + \u2022 - \u2022 + an, anzunehmen. Es scheint daher, als oh die ganze Aehnlichkeitshypothese auf einem Fehlschluss beruhen m\u00fcsste. Man geht von der That-sache aus, dass, wenn nicht A, sondern dagegen eine andere Vorstellung, C, im Bewusstsein auftritt, diese alsdann nicht, auf Grund von A\u2019s und B\u2019s fr\u00fcherem Zusammensein, b hervorbringen kann. Hieraus schlie\u00dft man alsdann, dass es die Aehnlichkeit von A mit dem fr\u00fcheren A ist, welche die Reproduction von b verursacht, indem A erst \u00ab! + a2 + .. . + an hervorbringt. Eine solche Schlussfolgerung ist aber nicht berechtigt. Dass G nicht eben so gut, wie A, b hervorbringen kann, ist unmittelbar einleuchtend, denn verschiedene Ursachen (in casu A und C) werden im allgemeinen nicht die n\u00e4mliche Wirkung hervorbringen. Nur wenn die noth-wendige Bedingung, das Auftreten von A, vorliegt, wird auch die Wirkung b eintreten. Wie sonderbar der Schluss ist, den man hier gezogen hat, erhellt am besten, wenn er auf das Beispiel mit der Lackstange \u00fcbertragen wird. Wir wissen, dass die Lackstange das","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nAlfred Lehmann.\nPapier nur anzieht, wenn sie gerieben wird, dagegen nicht, wenn man dieselbe anziindet. Aber hieraus kann doch nicht geschlossen werden, dass es die Aehnlichkeit des jetzigen und der fr\u00fcheren elektrischen Zust\u00e4nde der Lackstange sei, welche die Anziehung des Papiers bewirken, indem die Lackstange erst ihre fr\u00fcheren Zust\u00e4nde reproducirt, und durch diese Zwischenglieder auf das Papier ein-wirkt. Kein Mensch wird die Richtigkeit eines solchen Schlusses einr\u00e4umen, und doch ist es nur ein solcher Schluss, der bei der Aehnlichkeitshypothese gemacht wird.\nGegen diese Betrachtung ist von der andern Seite der Einwand erhoben, man \u00fcbersehe dabei, dass es nicht das aufs Neue auftauchende A ist, welches mit B zusammen war, sondern eine fr\u00fchere A-Vorstellung, n\u00e4mlich An. Nur sofern A diese reproduciren, also an hervorbringen kann, wird es auch, aber indirect durch an als Mittelglied, b hervorbringen k\u00f6nnen. Also ist die Hypothese von der reinen Aehnlichkeitsassociation nothwendig, ohne dieselbe tritt das neue A in gar kein Verh\u00e4ltnis zu b.\nBei der ersten Betrachtung kann dieser Einwand recht verf\u00fchrerisch aussehen, aber in letzter Instanz d\u00fcrfte es sich doch heraussteilen, dass er auf einem vollst\u00e4ndigen Missverst\u00e4ndniss der Bedeutung der angewandten Symbole beruht. Ist eine Vorstellung A zu wiederholten Malen durch \u00e4u\u00dfere Reize entstanden, so haben wir es eingef\u00fchrt, alle diese \u00fcbrigens durchaus gleichartigen Bewusstheitszust\u00e4nde durch Alt A2, A3.... An zu bezeichnen, wo die wachsenden Indices andeuten, dass das Dasein der Vorstellung im Bewusstsein in der Zeit fortw\u00e4hrend weiter zur\u00fcck liegt. Durch die entsprechenden kleinen Buchstaben a,, a2, .... a\u201e bezeichneten wir die n\u00e4mlichen Zust\u00e4nde, nur reproducirt, also zu einem andern Zeitpunkt hervorgebracht, nicht verm\u00f6ge einer \u00e4u\u00dferen Einwirkung, sondern verm\u00f6ge einer Vorstellung. Das Symbol an bezeichnet also einen Zustand, der dem Zustand An genau \u00e4hnlich ist, und von An nur darin abweicht, dass er in einem andern Moment auftritt, und durch eine innere, eine psychische, und nicht durch eine \u00e4u\u00dfere, physische Ursache hervorgerufen ist. Es leuchtet also ein, dass an eben so wenig wie die im Augenblick auftauchende Vorstellung A jemals gleichzeitig mit B im Bewusstsein gewesen ist. An war gleichzeitig mit B, aber an ist ja eben ein Zustand, ganz gewiss","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Wiedererkennen.\n105\n\u00e4hnlich wie An, aber zu einem andern Zeitpunkt. Wie soll man es also verstehen, dass A nur durch Reproduction der fr\u00fcheren A-Vorstellungen (at + \u00df2 + \u2022\u2022\u2022\u2022+ \u00ab\u00ab) i hervorbringen kann, wenn an eben so wenig wie A jemals mit B gleichzeitig gewesen ist. A und an stehen in ganz gleichem Verh\u00e4ltnisse zu B, denn sie bezeichnen den n\u00e4mlichen Zustand in demselben Moment, nur ist A durch Wahrnehmung, an durch ein unbekanntes Wirken von A hervorgebracht. Kann also A nicht h reproduciren, wie sollte denn an dieses verm\u00f6gen ?\nEs will mir nicht anders scheinen, als dass einige merkw\u00fcrdige grobsinnliche Anschauungshilder sich hinter dem ganzen Gedankengang verstecken. Entweder denkt man sich die Vorstellungen als reale Gr\u00f6\u00dfen, glatte Atome, mit Haken ausgestattet, so dass sie sich an einander anheften k\u00f6nnen, wenn sie gleichzeitig im Bewusstsein auftreten, um darauf vereint in einen Winkel zu fallen, wo sie liegen k\u00f6nnen, bis eine andere Vorstellung sie ergreift und sie hervorzieht. In solchem Falle l\u00e4sst es sich wohl sagen, dass eine Vorstellung A nothwendiger Weise durch einige Zwischenglieder sich der Vorstellung an anheften muss, die andererseits an b gekn\u00fcpft ist, um diese letztere zum Vorschein zu bringen.. Oder auch h\u00e4lt man wohl fest, dass die Vorstellungen Bewusstseinszust\u00e4nde sind, aber vergisst dabei, dass die von A reproducirten Vorstellungen + a2 + \u2022 \u2022 \u2022 + \u00dfn) mit A gleichzeitig sind. Man denkt sich daher wahrscheinlich, dass at, \u00ab2, \u00ab3 \u2022 -. an fr\u00fchere Bewusstseinszust\u00e4nde sind, die eben so gut wie wirkliche, reelle Gr\u00f6\u00dfen zu jeder Zeit aufs Neue auftauchen k\u00f6nnen. A ist nach dieser Ansicht ein jetziger Zustand, at der n\u00e4mliche Zustand, nur darin von A verschieden, dass er z. B. gestern statt hatte. Dass a, von A reproducirt wird, will also so viel sagen, dass der jetzige Zustand den gestrigen hervorbringt. Dadurch wird die Sache um nichts besser. Denn ein gewesener Zustand kommt niemals wieder; es kann nachher ein Zustand von genau derselben Art, St\u00e4rke und Ausdehnung des fr\u00fcheren entstehen, aber wie soll man es verstehen, dass ein Zustand, der eben dadurch charakterisirt ist, dass er vor einer gewissen Zeit aufgeh\u00f6rt hat, selbst wieder kommt? Dieser Gedanke ist zun\u00e4chst absurd.\nDie Nothwendigkeit der Aehnlichkeitshyp\u00f6these scheint somit","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nAlfred Lehmann.\ndurchaus illusorisch zu sein, wenn man consequent festh\u00e4lt, was in einer reinen Aehnlichkeitsassociation liegt. Da eine Vorstellung A und eine reproducirte Vorstellung an ganz derselbe Zustand ist und in demselben Moment, nur durch verschiedene Ursachen hervorgerufen, so ist es durchaus unverst\u00e4ndlich, wie der eine dieser Zust\u00e4nde eine Wirkung, die Reproduction von b, sollte hervorrufen k\u00f6nnen, welche der andere nicht hervorbringen k\u00f6nnte. Nur bei rein materiellen oder absurden Ansichten \u00fcber die Vorstellungen scheint die Aehnlichkeitsassociation von Bedeutung zu sein, und da nicht im Ernst die Rede davon sein kann, derartige Anschauungsbilder festzuhalten, so wird es r\u00e4thselhaft, nicht nur welchen Nutzen eine Aehnlichkeitsassociation darbieten kann, sondern auch, wie man sich dieselbe \u00fcberhaupt denken soll. A -f- (aq -{- aq + ....+ an) bedeutet ja n\u00e4mlich nur n -f-1 Wiederholungen von sehr nahe demselben Zustand in demselben Moment. Diese Zust\u00e4nde sind nicht nebengeordnet und selbst\u00e4ndig im Bewusstsein, denn alsdann m\u00fcsste man ja neben dem durch \u00e4u\u00dferen Reiz hervorgebrachten Bild A die n\u00e4mliche Vorstellung n mal wiederholt haben, das hat man aber nicht. Also m\u00fcssen diese n + 1 \u00e4hnlichen Zust\u00e4nde in einen verschmelzen. Das l\u00e4sst sich auch leicht denken; n + 1 gleichzeitige St\u00f6\u00dfe k\u00f6nnen ganz so wie ein einzelner Sto\u00df wirken, dieser muss aber alsdann n + 1 mal so stark sein, wie jeder der einzelnen. So stellt man sich aber die Sache nicht vor nach der Aehnlichkeits-hypothese. Den Zustand A -f- (aq + aq + . . . + an) muss man sich nicht intensiver als A denken, es ist nicht ein Quantit\u00e4ts-, sondern\nein Qualit\u00e4tsunterschied, der durch die Addition von a] + a2 +_________\n-j- an zu A bewirkt wird. Hier stockt der Gedanke wieder; es ist nicht so ohne weiteres einzusehen, wie eine Summe von w + 1 nahezu gleich gro\u00dfen Addenden eine qualitative Ver\u00e4nderung eines Zustandes anstatt einer intensiven hervorbringen kann. Man f\u00fchlt sich in der That versucht zu fragen : Sollte die Annahme einer reinen Aehnlichkeitsassociation nicht eine \u00fcberfl\u00fcssige und obendrein h\u00f6chst unnat\u00fcrliche Hypothese sein\"? Die Anh\u00e4nger der Aehnlichkeitshypo-these w\u00fcrden m\u00f6glicherweise diesen Einwendungen durch die Behauptung auszuweichen suchen, dass alle fr\u00fcheren A-Vorstellungen nicht selbst reproducirt werden, sondern dass sie \u00bbSpuren\u00ab hinterlassen, und vermittelst dieser werde b durch das auf\u2019s Neue auf-","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n107\nkommende A reproducirt. Wenn sich nun aber nicht unter diesem Ausdruck \u00bbSpuren\u00ab \u00e4hnliche handgreifliche oder absurde Ansichten, wie die oben erw\u00e4hnten, verbergen, so dass a1: Oj, . . . . an nur die hinterlassenen Spuren von A anstatt der Vorstellungen selbst bezeichnen, so ist die Aehnlichkeitsassociation im Princip aufgegeben. Denn es ist ganz einleuchtend, dass, wenn A nicht mit B gleichzeitig gewesen, und wenn dadurch nicht irgend etwas vorgegangen ist, welches bewirkt, dass das Wiederaufkommen von A b mit sich f\u00fchrt, so findet keine Reproduction statt. Die Ber\u00fchrungstheorie erfordert eben zwei Bedingungen f\u00fcr eine Reproduction: A muss mit B gleichzeitig gewesen (oder unmittelbar vorausgegangen) sein, und A muss wieder eintreffen. Der Umstand, dass A und B zusammen gewesen sind, muss etwas in der Seele oder dem Gehirn oder beiderseits bewirken, welches erm\u00f6glicht, dass A\u2019s Wiederauftreten b mit sich f\u00fchrt. Man mag dieses unbestimmte Etwas immerhin eine Spur von A nennen, es muss aber alsdann festgehalten werden, dass diese Spur etwas Bleibendes ist, und also nicht selbst wiedererzeugt werden soll, damit b auftauchen kann. Da das Wort \u00bbSpur\u00ab nun einmal eine sehr schwankende Bedeutung hat, wollen wir den Gebrauch desselben am liebsten ganz vermeiden und sagen, dass das Zusammensein von A und B eine Labilit\u00e4t in dem psychophysischen Zustande gerade von solcher Beschaffenheit hervorgerufen hat, dass ein sp\u00e4teres Eintreten des Zustandes A auch den Zustand b herbeif\u00fchrt. Wenn \u00bbSpuren\u00ab auf diese Weise wie functioneile Dispositionen aufgefasst werden, und dies d\u00fcrfte, wie Wundt nachgewiesen hat1), wohl die einzige berechtigte Auffassung sein, so kann auch von keiner reinen Aehnlichkeitsassociation die Rede sein, Das Verh\u00e4ltniss ist nun wieder analog mit unserm Beispiel von der Lackstange. Das Zusammensein von A und B entspricht der Ann\u00e4herung der Lackstange an das Papier; dadurch ist die M\u00f6glichkeit einer sp\u00e4teren St\u00f6rung des Gleichgewichts herbeigebracht, im ersteren Falle im psychophysischen, im anderen Falle im statischelektrischen System. Ein sp\u00e4teres Eintreten von A f\u00fchrt daher b mit, ganz ebenso wie ein Potential von bestimmter Gr\u00f6\u00dfe, welches der Lackstange mitgetheilt wird, die Bewegung des Papierstreifens\n1) Physiologische Psychologie, 2. Aufl. II. S. 204.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nAlfred Lehmann.\nmit sich f\u00fchrt. Und eben so wenig, wie irgend ein Physiker sich denken wird, dass der augenblickliche elektrische Zustand die fr\u00fcheren reproduciren sollte, damit das Papier sich in Bewegung setze, eben so wenig braucht der Psychologe die Reproduction eines fr\u00fcheren A anzunehmen, damit b auftauchen k\u00f6nne.\nDas Resultat dieser Betrachtungen ist also, dass die reine Aehn-lichkeitsassociation nur Bedeutung zu erhalten scheint, wenn man unhaltbare Ansichten \u00fcber die Vorstellungen unterschiebt, und sobald diese entfernt werden, wird dieselbe eine \u00fcberfl\u00fcssige Hypothese, deren es jedenfalls nicht bedarf, um die Ber\u00fchrungsassociationen zu erkl\u00e4ren. Man kann sich sehr wohl denken, dass eine Vorstellung A eine Vorstellung b reproducirt, gleichwie ein jedes andere Glied in einer Ursachenreihe eine gewisse Wirkung hervorbringen kann, sobald nur die \u00fcbrigen Bedingungen (in diesem Falle das fr\u00fchere Zusammensein von A und B) erf\u00fcllt sind. Hieraus folgt aber noch nicht, dass die Aehnlichkeitshypothese aufgegeben werden muss. Wir haben im Bereiche der exacten Wissenschaft eine Hypothese, die wenigstens bis vor ganz wenig Jahren nicht nur eine, sondern mehrere Absurdit\u00e4ten und Gedankenschwierigkeiten in sich begriff, und die nichts desto weniger vorl\u00e4ufig musste fest-gehalten werden, weil sie im Stande war, Ph\u00e4nomene zu erkl\u00e4ren, die ohne dieselbe ganz r\u00e4thselhaft gewesen w\u00e4ren. Auf \u00e4hnliche Weise k\u00f6nnte es sich ja mit der Aehnlichkeitshypothese in der Psychologie verhalten. G\u00e4be es eine Gruppe von Ph\u00e4nomenen, die durch die Aehnlichkeitshypothese eine nat\u00fcrliche und ungezwungene Erkl\u00e4rung f\u00e4nden, welche die reine Ber\u00fchrungstheorie nicht f\u00e4hig w\u00e4re zu geben, so w\u00fcrde dadurch die Aehnlichkeitshypothese innerhalb dieses bestimmten Bereiches berechtigt sein. Aber auch nur innerhalb dieses Bereiches; denn die Geltung derselben auf andere Ph\u00e4nomene auszudehnen, zu deren Verst\u00e4ndniss sie nicht noth wendig ist, w\u00fcrde wissenschaftlich unberechtigt sein, da sie an und f\u00fcr sich undenkbar ist. Nun gibt es indessen ein psychologisches Ph\u00e4nomen , das sich anscheinend leicht mittelst der Aehnlichkeitshypothese erkl\u00e4ren l\u00e4sst, welches fr\u00fchere Forscher indessen nicht vollst\u00e4ndig unter die Ber\u00fchrungstheorie haben einordnen k\u00f6nnen; es ist dieses das Wiedererkennen. Auf diese weisen die Anh\u00e4nger der Aehnlichkeitshypothese daher auch gew\u00f6hnlich hin, wenn man","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n109\nihre Auffassung angreift, und wir m\u00fcssen deshalb das Wiedererkennen als psychologisches Ph\u00e4nomen einer genaueren Untersuchung unterziehen.\nDas Wort Wiedererkennen hat im t\u00e4glichen Lehen zwei verschiedene Bedeutungen. Ein Ausdruck wie folgender: \u00bbich erkenne den Mann wieder\u00ab kann bedeuten, dass ich mir bewusst bin, ihn fr\u00fcher gesehen zu haben, ohne doch angeben zu k\u00f6nnen, unter welchen Umst\u00e4nden dieses geschehen ist. Es kann aber auch bedeuten, dass ich mir bewusst bin, ihn fr\u00fcher gesehen zu haben, und dass ich zugleich etwas mehr von ihm wei\u00df, z. B., unter welchen Verh\u00e4ltnissen ich ihn getroffen habe, wie er hei\u00dft u. s. w. Diese beiden F\u00e4lle sind indessen, psychologisch betrachtet, nicht liebengeordnet; nur im ersteren Falle haben wir einen reinen einfachen Wiedererkennungsact, in dem letztgenannten kommen dagegen zu dem Wiedererkennen weitere Bestimmungen hinzu. Da das Wort nun einmal beide Bedeutungen hat, und da es schwierig sein wird, die Anwendung desselben nur auf den einen von den beiden F\u00e4llen zu beschr\u00e4nken, so wollen wir sondern: 1) das einfache Wiedererkennen einer Vorstellung, worunter die blo\u00dfe Ueberzeugung verstanden wird, dass man fr\u00fcher dieselbe Vorstellung gehabt hat, und nichts weiter, und 2) das Wiedererkennen mit Umst\u00e4nden, worunter die Ueberzeugung verstanden wird, dass man dieselbe Vorstellung fr\u00fcher in Verbindung mit andern Vorstellungen gehabt hat.\nBei der Erkl\u00e4rung dieser Ph\u00e4nomene scheint die Aehnlichkeits-hypothese von vorne herein der Ber\u00fchrungshypothese \u00fcberlegen zu sein. Es ist ein nicht unwesentlicher psychischer Unterschied zwischen einer Vorstellung A, wenn dieselbe zum ersten Male im Bewusstsein auftritt, und wenn sie sp\u00e4ter wieder auftaucht und wieder erkannt wird. Aber worauf beruht dieser Unterschied? Hierauf antwortet die Aehnlichkeitshypothese : Er beruht eben darauf, dass A das erste Mal isolirt steht, aber, sobald es sp\u00e4ter auftaucht, kann es die fr\u00fcheren A-Vorstellungen, a, +\t+ \u2022 \u2022 \u25a0 \u2022 reproduciren,\nund der Umstand, dass alle diese fr\u00fcheren Vorstellungen mit der jetzigen zusammenschmelzen, bewirkt nun eben, dass A sich uns als wiedererkannt darstellt. A + (a, + a2 + \u2022\u25a0\u2022\u2022+ \u00ab\u00bb) ist die wiedererkannte","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nAlfred Lehmann.\nVorstellung. Und wenn an zugleich andre Vorstellungen b, c, d ..., mit denen es fr\u00fcher gleichzeitig gewesen ist, reproducirt, so haben wrir ein Wiedererkennen mit Umst\u00e4nden. Mit wie gro\u00dfen Schwierigkeiten es immerhin verbunden sein kann, zu verstehen, wie eine reine Aehnlichkeitsassociation eigentlich aufzufassen sei, so l\u00e4sst es sich doch nicht leugnen, dass man mittelst derselben eine anscheinend ganz einfache und nat\u00fcrliche Erkl\u00e4rung der Wiedererkennungsph\u00e4nomene gehen kann. \u2014 Wie stellt sich nun die Ber\u00fchrungshypothese diesen Verh\u00e4ltnissen gegen\u00fcber?\nDie Ber\u00fchrungstheorie muss zuv\u00f6rderst eine Grenze zwischen Empfindungen und Vorstellungen ziehen. W\u00e4hrend erstere Bewusstseinszust\u00e4nde sind, die sich nicht in weniger zusammengesetzte Zust\u00e4nde zerlegen lassen, also selbst psychische Elemente sind, so sind letztere mehr oder weniger complicirte Ph\u00e4nomene. Eine durch Sinnenreiz gegebene Vorstellung entsteht schwerlich jemals auf ein Mal in unserem Bewusstsein, es bedarf immer einiger, wenn auch noch so kurzer Zeit, ehe dieselbe fertig dasteht. Bei solchen Vorstellungen, die aus Elementen zusammengesetzt sind, welche in der Zeit einander folgen, ist dieses selbstverst\u00e4ndlich, es gilt aber auch von r\u00e4umlichen Bildern, da wir bei der Beobachtung f\u00fcr gew\u00f6hnlich das Auge \u00fcber das Object laufen lassen m\u00fcssen, so dass die Vorstellung von demselben erst durch eine lieilie successiver Sinnesreize zu Stande kommt. Eine Vorstellung S l\u00e4sst sich also betrachten als aus einer Reihe einzelner Wahrnehmungen bestehend: S = ....................... Sind diese nun ein oder mehrere Mal zusammen im Bewusstsein gewesen, so wird A, wenn es sp\u00e4ter wiederkommt, b, c, d, _______mittelst Ber\u00fchrung reproduciren. Es entsteht\nalsdann eine Erwartung, dass im n\u00e4chsten Moment B, C, D ... selbst Gegenstand des Wahmehmens werden; trifft dieses ein, so dass B dem Erinnerungsbild b gleich gesch\u00e4tzt wird, C =c, D \u2014 d...., so wird das Object wieder erkannt sein. Das Schema wird hier:\nA-\\-^-JrcJrd-\\~\nIl II II\nBCD\nNach dieser Entwicklung wird es leicht verst\u00e4ndlich, warum eine Vorstellung desto leichter wieder erkannt wird, je h\u00e4ufiger sie im Bewusstsein gewesen ist. Desto deutlicher muss man n\u00e4mlich","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkenpen.\nIll\nannehmen, dass die Erinnerungsbilder b, c, d ... werden, und desto sicherer wird man daher auch das Beobachtete (B, C, D,_______) con-\ngruent mit den reproducirten Empfindungen (b, c, d .. ..) sch\u00e4tzen k\u00f6nnen. Bei solchen Vorstellungen, die t\u00e4glich vielleicht sogar zu wiederholten Malen im Bewusstsein auftreten, wird eine einzelne Congruenz zum Wiedererkennen hinreichen; die Sache ist wiedererkannt, sobald man\nA -f- b II\nB\nhat. Es braucht kaum bemerkt zu werden, dass der Umstand, dass wir uns nicht aller dieser Congruenzsch\u00e4tzungen bewusst sind, kein Einwand von Bedeutung gegen die G\u00fcltigkeit der Erkl\u00e4rung ist. Denn das n\u00e4mliche gilt in nicht geringerem Grade von der Erkl\u00e4rung der Aehnlichkeitshypothese; in der wiedererkannten Vorstellung A + (\u00ab! + \u00ab2 + \u2022 \u2022 \u2022 \u2022 + \u00ab\u201e) ist es, wie vorhin gezeigt, unm\u00f6glich,\ndas Dasein von ax + \u00ab2 +______ zu constatiren, und kann man hier\ngleichwohl das Wirken solcher unbewussten Elemente annehmen, so muss dieses auch berechtigt sein unter der Voraussetzung der G\u00fcltigkeit der Ber\u00fchrungstheorie.\nDie Aehnlichkeitshypothese scheint also auch nicht nothwendig zur Erkl\u00e4rung des Wiedererkennens von Vorstellungen, d. i. zusammengesetzten Sinneswahrnehmungen. Die Ber\u00fchrungstheorie kann jedenfalls eine eben so nat\u00fcrliche Erkl\u00e4rung dieses Ph\u00e4nomens geben und noch mehr, ihre Erkl\u00e4rung stimmt weit besser als diejenige der Aehnlichkeitshypothese mit den Erfahrungen, die man dann und wann einernten kann \u00fcber die Weise, wie ein Wiedererkennen zu Stande kommt. Wir k\u00f6nnen dieses durch ein Beispiel veranschaulichen. Wenn man in einer Gegend spaziert, in der man glaubt vorher nicht gewesen zu sein, so kann es Vorkommen, dass alle Umgebungen pl\u00f6tzlich als wohl bekannt erscheinen. \u00bbDas Haus und der H\u00fcgel dort kommt mir vor, als ob ich es wieder erk\u00e4nnte ; dort unten biegt sich der Weg, und unterhalb muss sich eine Br\u00fccke \u00fcber eine kleine Aue befinden\u00ab. Schreitet man weiter vor, sieht man in der That die Br\u00fccke, so ist man dar\u00fcber im Keinen, dass man gleichwohl fr\u00fcher an dieser Stelle gewesen ist. Wie man sieht, kommt das sichere Wiedererkennen hier dadurch zu Stande, dass ein Erinnerungsbild","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nAlfred Lehmann.\n(die Aue und die Br\u00fccke) als congruent mit einer sp\u00e4teren Wahrnehmung gesch\u00e4tzt wird. Es scheint daher \u00fcberwiegende Wahrscheinlichkeit vorzuliegen, dass das vorherige unsichere Wiedererkennen auf \u00e4hnliche Weise vor sich geht. Halb verwischte Erinnerungsbilder vom Hause und vom H\u00fcgel sind durch unmittelbar vorhergegangene Reize reproducirt worden, und indem sie als congruent mit dem wirklich Wahrgenommenen gesch\u00e4tzt werden, entsteht ein unsicheres Wiedererkennen. Indem die Erinnerung darauf vorgreift, was sich sp\u00e4ter zeigen wird, und dieses nun wirklich eintrifft, wird das Wiedererkennen sicher, und wenn schlie\u00dflich die Erinnerung davon, unter welchen Verh\u00e4ltnissen man zuletzt die Gegend sah, pl\u00f6tzlich auftaucht, so hat man ein Wiedererkennen mit Umst\u00e4nden. Ein Schema dieses ganzen Processes w\u00fcrde folgende Form bekommen:\nA + B+....E+f+g + h\nIl II\tII\nF G H+ m + n + .. ..\nvoransgegangene unsicheres Wie- Gewiss- anderweitige Wahrnehmungen\tdererkennen\theit\tUmst\u00e4nde.\nDie von\tder\tBer\u00fchrungstheorie\tgegebene\tErkl\u00e4rung\tdes Wieder-\nerkennens\tder\tzusammengesetzten\tWahrnehmungen\that\tsomit einen\nnicht geringen Grad von Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich, da sie durch die Resultate der Selbstbeobachtung gest\u00fctzt wird, welches nicht ebenso der Fall mit der Aehnlichkeitshypothese ist. Es ist aber noch ein Punkt \u00fcbrig, und dieser wird f\u00fcr die ganze Sache von entscheidender Bedeutung sein. Wie soll man aus der Ber\u00fchrungstheorie das Wiedererkennen einer einzelnen, isolirten Empfindung erkl\u00e4ren? Der Aehnlichkeitshypothese ist die Erkl\u00e4rung anscheinend leicht genug, denn A m\u00f6ge nun zusammengesetzt oder nicht zusammengesetzt sein, so wird A + [ax + a2 + .\u25a0\u2022\u2022 + an) immer eine wiedererkannte Vorstellung oder Empfindung sein. Die Ber\u00fchrungstheorie erfordert aber als nothwendige Bedingung, um ein Wiedererkennen m\u00f6glich zu machen, dass die Vorstellung durch wenigstens zwei successive Wahrnehmungen, A und B, zu Stande komme.\nSteht A isolirt, so wird in dem Schema: A + b b ausfallen, und\nii\nB\nfolglich scheint ein Wiedererkennen unm\u00f6glich zu sein. Hieraus","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n113\nfolgt indessen nicht, dass die Aehnlichkeitshypothese ohne weiteres acceptirt werden kann, denn wir wissen noch nicht, oh das Wiedererkennen einfacher . Empfindungen \u00fcberhaupt m\u00f6glich ist. Die wenigen Beobachtungen in dieser Dichtung, zu denen das t\u00e4gliche Leben Veranlassung gibt, scheinen mehr f\u00fcr die Unm\u00f6glichkeit, als f\u00fcr die M\u00f6glichkeit des Wiedererkennens zu sprechen. Wenn ein\u00e8 Dame mehrere Monate hindurch an einer Stickerei gearbeitet hat, und eine von ihren Farben pl\u00f6tzlich ausgeht, so kann sie nicht in den Laden gehen, und unter den Hunderten von Nuancen diejenige aussuchen, deren sie eben bedarf. Sie muss nothwendiger Weise eine Probe mit sich f\u00fchren, nicht nur um das Auffinden der rechten Nuance zu erleichtern, sondern geradezu um es m\u00f6glich zu machen, weil sie sonst nicht im Stande w\u00e4re die richtige zu erkennen. Die einzige ausf\u00fchrliche Versuchsreihe, die bisher \u00fcber diesen Punkt vorliegt, Wolf e\u2019s Untersuchungen \u00fcber das Wiedererkennen von Tonh\u00f6hen1), zeigt gleichfalls, dass ein einigerma\u00dfen sicheres Wiedererkennen nur unter ganz speciellen Bedingungen m\u00f6glich ist. Die Frage, inwiefern die Aehnlichkeits- oder die Ber\u00fchrungstheorie in ihrer Erkl\u00e4rung des Wiedererkennens Recht hat, muss also durch eine experimentelle Untersuchung entschieden werden, die bezweckt, so vollst\u00e4ndig wie m\u00f6glich die Bedingungen anzugeben, unter denen das Wiedererkennen einfacher Empfindungen m\u00f6glich ist. Diejenige Theorie, die f\u00e4hig ist, die Nothwendigkeit der gefundenen Bedingungen auf die nat\u00fcrlichste Weise zu erkl\u00e4ren, wird die einzige wissenschaftlich berechtigte sein.\nEhe wir zu diesen experimentellen Untersuchungen schreiten, k\u00f6nnte es von Interesse sein zu pr\u00fcfen, ob es sich nicht a priori mittelst der Theorien sollte bestimmen lassen k\u00f6nnen, unter welchen Bedingungen das Wiedererkennen stattfinden kann. Dadurch w\u00fcrde die experimentelle Verification bedeutend erleichtert werden, indem eine Nicht\u00fcbereinstimmung des Versuchsresultates mit einer der Consequenzen, zu welchen die eine oder die andere der Theorien f\u00fchren k\u00f6nnte, sofort einen entscheidenden Beweis gegen die G\u00fcltigkeit der betreffenden Theorie abgeben w\u00fcrde.\nDie Aehnlichkeitshypothese gibt nicht viele Aufschl\u00fcsse dar\u00fcber,\n1) Untersuchungen \u00fcber das Tonged\u00e4chtniss, in Wundt, Philosophische Studien. Bd. Ill S. 534 ff.\nW undt, Philos. Studien. V.\t&","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nAlfred Lehmann.\nwann ein Wiedererkennen stattfinden kann. Sobald A a{ -j-+ . . . + an erzeugt. so ist die Empfindung wiedererkannt, aber wann diese Reproduction vor sich gehen, und unter welchen Verh\u00e4ltnissen dieselbe ausbleiben wird, scheint nicht a priori angegeben werden zu k\u00f6nnen. Nur so viel l\u00e4sst sich sagen, dass, je zahlreicher die reproducirten Empfindungen q,\\, a2, a3 . . . . sind, desto sicherer auch das Wiedererkennen sein muss. Hieraus l\u00e4sst sich also schlie\u00dfen, dass die Uebung, die Wiederholung von bedeutendem Einfluss sein wird, aber \u00fcber diese Consequenz hinaus scheint die Hypothese nichts entscheiden zu k\u00f6nnen.\nGanz anders stellt es sich mit der Ber\u00fchrungstheorie. Zufolge derselben ist das Wiedererkennen einfacher Empfindungen, streng genommen, unm\u00f6glich, und wird nur m\u00f6glich unter zwei bestimmten Bedingungen. 1. Da alles Wiedererkennen vermeintlich auf einer Sch\u00e4tzung der Congruenz zwischen dem wirklich beobachteten und einem Erinnerungsbilde beruhen muss, so wird die isolirte Empfindung A wiedererkannt werden k\u00f6nnen, insofern von einer fr\u00fcheren Wahrnehmung von A noch ein Erinnerungsbild a bestehen kann. Mit diesem \u00ab, das wie eine willk\u00fcrlich hervorgerufene Empfindung aufzufassen ist, die vor dem Auftreten von A zugegen sein kann, und folglich nicht von A reproducirt ist, kann A verglichen werden, und findet man alsdann \u00ab \u2014 A, so ist A wiedererkannt, widrigenfalls ist das Wiedererkennen unm\u00f6glich.\n2. Falls A, da es fr\u00fcher im Bewusstsein war, sich mit irgend einer Vorstellung, einem Namen oder dgl. (B) associirt hat, so wird es bei seinem sp\u00e4teren Eintreffen wiedererkannt werden k\u00f6nnen, sofern es im Stande ist, den Namen b zu reproduciren. In diesem Falle kommt ein wirklicher Wiedererkennungsact nicht zu Stande; denn da der Name nicht auf der Empfindung geschrieben steht, so ist ein Vergleich zwischen dem reproducirten b und einer neuen Empfindung unm\u00f6glich; da wir aber im allgemeinen eine Vorstellung als wiedererkannt betrachten, wenn wir im Stande sind, derselben einen bestimmten Namen zu geben, so muss ein derartiges Ph\u00e4nomen auch ein Wiedererkennen genannt werden. Im Gegensatz zu dem vorigen Falle, wo wir ein wirkliches, einfaches Wiedererkennen hatten, muss dieser Fall als ein Wiedererkennen durch Bestimmung betrachtet werden. Hier kommt also zu den zwei","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Debet Wiedererkennen.\n115\nfr\u00fcheren Arten des Wiedererkennens, dem einfachen Wiedererkennen und dem Wiedererkennen mit Bestimmung oder mit Umst\u00e4nden, eine ganz neue Gruppe hinzu, das Wiedererkennen durch Bestimmung oder das Wiedererkennen der Art, wie man sie auch nennen k\u00f6nnte. Denn in dem Wiedererkennen mit Bestimmung wurde vorausgesetzt, dass ein einfacher Wiedererkennungsact vorhergegangen sei, und die Bestimmung war nur ein Plus, das f\u00fcr den Wiedererkenuungsact selbst durchaus unwesentlich war. In dem Wiedererkennen der Art ist die Bestimmung, der Name, das Ganze; ohne die Reproduction derselben kommt das Wiedererkennen \u00fcberhaupt nicht zu Stande.\nAus den zwei, auf Grundlage der Ber\u00fchrungstheorie aufgestellten Bedingungen f\u00fcr das Wiedererkennen l\u00e4sst sich nun eine ganze Reihe von Consequenzen ableiten, theils \u00fcber die n\u00e4heren Bedingungen, worunter, theils \u00fcber den Grad der Sicherheit, mit welcher das Wiedererkennen stattfindet. Wir k\u00f6nnen deshalb die Ber\u00fchrungstheorie als Ausgangspunkt benutzen, und dieselbe einer experimentellen Pr\u00fcfung unterwerfen, indem wir die Versuche so einrichten, dass sie als Beweis oder als Gegenbeweis f\u00fcr die Consequenzen dienen, die sich aus der Theorie ziehen lassen. Indem wir dabei fortw\u00e4hrend die Versuchsresultate mit der Aehnlichkeitshypothese Zusammenhalten und pr\u00fcfen, ob dieselben sich auch aus dieser erkl\u00e4ren lassen, wird es uns wahrscheinlich gl\u00fccken, die Unhaltbarkeit der einen beider Theorien darzuthun, so dass die andere als die einzige M\u00f6glichkeit dasteht. Eine solche experimentelle Verification wird den Inhalt der zwei folgenden Abschnitte bilden.\nII. Das einfache Wiedererkennen.\nDie von Wolfe vorliegende ausf\u00fchrliche Versuchsreihe \u00fcber das Wiedererkennen von Tonh\u00f6hen ist zun\u00e4chst zu dem Zweck angestellt worden, den Einfluss der Zeit auf die Sicherheit des Wiedererkennens zu bestimmen. Diese Versuche sind daher bei weitem nicht hinreichend, alle die Pr\u00e4gen zu beantworten, die unsre mehr theoretische Aufgabe aufstellt, und es war also erforderlich, eine neue Reihe von Untersuchungen anzustellen, die direct das Augenmerk auf diejenigen Punkte richtet, die uns die wesentlichsten sind. Aus mehreren Gr\u00fcnden zog ich es vor, diese Versuche mit\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nAlfred Lehmann.\nLichtempfindungen durchzuf\u00fchren. Einerseits wurde dadurch eine gegenseitige Supplirung yon Wolfe\u2019s und meinen Versuchen erreicht, so dass sich eine Garantie daf\u00fcr ableiten l\u00e4sst, dass es der Hauptsache nach die n\u00e4mlichen Gesetze sind, die f\u00fcr das Wiedererkennen auf den Gebieten der verschiedenen Sinne herrschen; andererseits konnte ich dadurch erreichen, in gr\u00f6\u00dftm\u00f6glicher Ausdehnung fremde Factoren fern zu halten. Es l\u00e4sst sich n\u00e4mlich nicht ganz in Abrede stellen, dass in den von Wolfe angewandten Appun\u2019schen Tonmessern \u2014 und andre Apparate lassen sich schwierig zu dergleichen Versuchen anwenden \u2014 mitunter ein kleiner Unterschied in der Klangfarbe der einzelnen T\u00f6ne vorkommt, wodurch gewisse T\u00f6ne ver-h\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig leicht vor andern T\u00f6nen wiedererkannt werden. Hiermit soll nicht angedeutet sein, dass Wolfe\u2019s Versuche aus diesem Grunde weniger richtig ausgefallen sind; ich kann in allen seinen Tabellen keine Spur von dem Einfluss solcher Verh\u00e4ltnisse nach-weisen, was vielleicht der au\u00dferordentlich gro\u00dfen Anzahl der von ihm angestellten Versuche zuzuschreiben ist. Da meine Versuche indessen sich \u00fcber sehr verschiedene Verh\u00e4ltnisse verbreiten sollten, und als Folge davon nicht eine gro\u00dfe Anzahl von Einzelversuchen jeder Reihe zufallen konnte, zog ich es vor, mit Lichtreizen zu arbeiten, wobei die st\u00f6renden Factoren sich leichter ausschlie\u00dfen lassen. Flierzu kam nun endlich das entscheidende Moment, dass einige der zu untersuchenden Verh\u00e4ltnisse sich nur auf Sinnesgebieten hersteilen lie\u00dfen, wo mehrere Empfindungen gleichzeitig und von einander relativ unabh\u00e4ngig bestehen k\u00f6nnen, und dadurch war ich so zu sagen gezwungen, mich an Lichtempfindungen zu halten. Um die Sache m\u00f6glichst wenig complicirt zu machen, w\u00e4hlte ich als Lichtreize verschiedene Schattirungen von Grau, mittelst rotirender Scheiben hergestellt.\nDie \u00e4u\u00dfere Anordnung der Versuche war folgende : In dem dunkeln Zimmer wurden zwei mit \u00bbSonnenbrennern\u00ab versehene Petroleumlampen L und L, (siehe nachstehende Figur) in einer H\u00f6he von 130 cm \u00fcber dem Fu\u00dfboden und mit einem Abstand von 47 cm zwischen den Mittellinien der Flammen aufgestellt. Die Lampen waren von schwarzen Kappen umgeben, so dass das Licht von den Beobachtern J und Jn die ihren Platz hinter den Lampen hatten, fern gehalten wurde. Die H\u00f6he der Flammen war constant 4 cm,","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n117\nwobei die Lichtst\u00e4rke jeder der Lampen ungef\u00e4hr 16 Normalkerzen war1). In einem Abstand von 170 cm vom Plan der Lampen standen zwei Rotationsapparate, ft und Rn die durch ein Uhrwerk in Bewegung gesetzt wurden. Der Radius der Scheiben war 10 cm, und die Einrichtung im \u00fcbrigen dieselbe, die ich bei fr\u00fcheren Versuchen angewandt habe2). Die Centra der Scheiben standen 118 cm \u00fcber dem Fu\u00dfboden in der H\u00f6he des Auges des Beobachters, so dass die etwas tiefer liegenden Schlagschatten auf der schwarzen, ca. 2 m entfernten Hinterwand keine st\u00f6renden Contraste hervor-rufen konnten. Eben aus dem Grunde bediente ich mich auch bei allen Versuchen sehr heller Scheiben, die erfahrungsgem\u00e4\u00df nur geringen Contrast mit Schwarz bilden3). Vor den Rotationsapparaten war ein fester schwarzer Schirm n angebracht, der die Apparate vollst\u00e4ndig deckte und nur die Scheiben sichtbar lie\u00df. Dadurch war ein Wiedererkennen mittelst kleiner Abweichungen in der Form der Apparate ausgeschlossen. Endlich waren vor dem festen Schirm zwei andere, bewegliche, S und Sr angebracht, von solcher H\u00f6he, dass sie die Rotationsapparate und die Scheiben deckten ; mittelst einer Handhabe konnte jeder f\u00fcr sich oder beide gleichzeitig vor oder zur\u00fcck gedreht werden, so dass beide Scheiben oder nur eine derselben in jedem beliebigen Moment dem Beobachter sichtbar oder unsichtbar gemacht werden konnte. \u2014 Zur Regulirung der Zeit wurde, wo es sich thun lie\u00df, ein Chronometer mit Springsecunden angewandt; bei sehr kurzen Zeitr\u00e4umen, in denen der Experimentator nicht zu gleicher Zeit die erforderlichen Manipulationen mit den Apparaten machen und den Bewegungen des Zeigers folgen\n1)\tUeber die Regulirung der Lampen siehe meine Abhandlung: Ueber die Anwendung der Methode der mittleren Abstufungen etc. in Philos. Stud. Bd. III pag. 500 f.\n2)\tAngef\u00fchrte Abhandl. S. 499.\n3} Ebenda S. 522.\nJt\n0\n","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nAlfred Lehmann.\nkonnte, wurde ein Metronom Maelzel angewandt, dessen h\u00f6rbare Schl\u00e4ge es erm\u00f6glichten die Secunden zu z\u00e4hlen.\nAls Experimentator fungirte theils mein Bruder, der cand. juris O. L., theils ich selbst, die Beobachter waren die Herrn cand. theol. Klingemann, stud, magist. Clausen, stud. mag. Beckett und cand. phil. P. Larsen. Den s\u00e4mmtlichen Herren, besonders den zwei letztgenannten, die an allen Versuchsreihen theilgenommen haben, bringe ich hiermit meinen Dank f\u00fcr ihre Ausdauer bei diesen Versuchen, die sich eben nicht dadurch ausgezeichnet haben, den Theilnehmern besondere Unterhaltung oder Belehrung zu bieten.\nWenn man eine Empfindung A gehabt hat, und nach dem Verlauf der Zeit t eine andre Empfindung x kommt, von der man entscheiden soll, ob dieselbe A gleich oder davon verschieden ist, so wird eine solche Sch\u00e4tzung (zufolge der Ber\u00fchrungstheorie) nicht m\u00f6glich sein, wenn nicht ein Erinnerungsbild a von A besteht, mit welchem die gegenw\u00e4rtige Empfindung sich vergleichen l\u00e4sst. Da man A isolirt gehabt hat und nicht wei\u00df, in welchem Ver-h\u00e4ltniss x zu A steht, so ist es also unm\u00f6glich, dass man besondere Bestimmungen an A und x gekn\u00fcpft haben kann, verm\u00f6ge deren diese sollten wiedererkannt werden k\u00f6nnen. Man muss daher annehmen, dass unter solchen Verh\u00e4ltnissen der Process vor sich geht, den wir ein einfaches Wiedererkennen genannt haben, und der auf einem Vergleich von x und a beruht. Dass diese Betrachtung Jedem einleu'chtet, der nicht von besonderen theoretischen Voraussetzungen ausgeht, daf\u00fcr haben wir einen Beweis in der oben citirten Abhandlung von Wolfe. Der genannte Verfasser l\u00e4sst sich nur sehr wenig auf theoretische Betrachtungen \u00fcber die Natur des Wiedererkennens ein, bemerkt aber gleichsam im Vor\u00fcbergehen: \u00bbGehen wir n\u00e4her auf das Verfahren beim Vergleichen zweier durch einen Zeitraum getrennter T\u00f6ne ein, so ist klar, dass ohne ein Erinnerungsbild des ersten Tones eine Vergleichung \u00fcberhaupt unm\u00f6glich ist. Dieses Erinnerungsbild ist gewisserma\u00dfen der Ma\u00dfstab, an welchem der zweite oder Vergleichston gemessen wird\u00ab1). Das Resultat, zu dem wir durch unsre\nJ) A. a. O. S. 556.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n119\ntheoretischen und kritischen Betrachtungen gelangt sind, wird von Wolfe, wie man sieht, als geradezu selbstverst\u00e4ndlich aufgestellt, und seine Untersuchung geht wesentlich darauf aus, zu bestimmen, wie das vorausgesetzte Erinnerungsbild mit der Zeit variirt. In seiner ganzen Abhandlung ist mit keinem Worte angedeutet, dass das Wiedererkennen als durch eine Verschmelzung einer Empfindung mit reproducirten Empfindungen derselben Art entstanden gedacht werden k\u00f6nnte ; die Behauptung der Aehnlichkeitshypothese scheint Wolfe gar nicht bekannt zu sein, oder auch findet er es nicht der Miihe werth, dieselbe zu widerlegen. Es ist doch kaum berechtigt, die Sache so leicht zu nehmen, und ich f\u00fchre daher das obige Cit\u00e2t auch nur an, um zu zeigen, dass die Annahme nicht durchaus neu und unerh\u00f6rt ist, dass es sich beim Wiedererkennen von Sinnesempfindungen unter den angef\u00fchrten Bedingungen um eine Vergleichung mit einem Erinnerungshilde handle. Doch soll das Recht zu dieser Annahme nat\u00fcrlicher Weise bewiesen werden, und das kann nur dadurch geschehen, dass die Consequenzen, die aus dev Voraussetzung abgeleitet werden, sich als mit den Versuchsresultaten \u00fcbereinstimmend erweisen. Dieses hat Wolfe denn auch erkannt, und er zeigt daher mehrere Uehereinstimmungen zwischen dem, was sich a priori erwarten l\u00e4sst, und dem erfahrungsm\u00e4\u00dfig Gefundenen. Man kann es daher schon auf Grund seiner Versuche als au\u00dferordentlich wahrscheinlich betrachten, dass eben das, was wir einen einfachen Wiedererkennungsact genannt haben, vor sich geht, wenn die Versuche auf die angegebene Weise angestellt werden. Meine Versuche, zu deren Resultaten wir jetzt \u00fcbergehen werden, dienen, so weit ich sehen kann, nur zur Best\u00e4tigung der Richtigkeit dieser Annahme.\nDie Anordnung der Versuche \u00fcber das einfache Wiedererkennen war nach den erw\u00e4hnten Betrachtungen folgende. Erst wurde eine einzelne Scheibe, die Normalscheibe n, gezeigt, nach Verlauf einer gewissen Zeit t kam dann entweder n oder eine hellere l, oder eine dunklere m zum Vorschein, und die Beobachter hatten danach ihr Urtheil dar\u00fcber aufzuzeichnen, ob die zuletzt gezeigte der ersteren n gleich oder davon verschieden war. Und da man auf dem Gebiete der Lichtempfindungen bekanntlich, wenn man einen Unterschied zwischen zwei Empfindungen beobachtet, zugleich im Stande ist zu","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nAlfred Lehmann.\nentscheiden, in welcher Richtung der Unterschied stattfindet, so konnten die Beobachter also immer entscheiden, inwiefern die zuletzt gezeigte Scheibe ihnen heller oder dunkler als n schien. Nach einer passenden Pause, die der Natur der Sache nach gr\u00f6\u00dfer als t sein musste, wurde n wieder vorgef\u00fchrt, und nach t kam wiederum entweder n, l oder m. Dies wurde 10 Mal wiederholt mit denselben n, l und to, und darauf ging man zu einer andern Reihe \u00fcber, wo n, /und m jedes Mal, bei einigen Versuchen auch t, andere Werthe hatten. Damit der Einfluss der stets wachsenden Uebung keine st\u00f6rende Wirkung auf die Resultate erhielte, arbeitete ich vor dem Anfang jeder einzelnen Versuchsgruppe ein vollst\u00e4ndiges Schema f\u00fcr den Gang derselben aus, so dass s\u00e4mmtliche Variationen von n, l und m oder t an jedem Versuchstage durchgegangen wurden, und dass die Reihenfolge der einzelnen Reihen best\u00e4ndig variirte. Wenn also die Reihen den einen Tag z. B. in der Ordnung 1, 2, 3 .... auf einander gefolgt waren, so wurden sie am n\u00e4chsten Tage in der Ordnung 2, 3, .... 1 genommen, darauf 3, .... 1, 2 u. s. f. Auf diese Weise d\u00fcrfte die Uebung einigerma\u00dfen gleichm\u00e4\u00dfig \u00fcber s\u00e4mmtliche Reihen vertheilt, und der Einfluss der fremden Factoren m\u00f6glichst eliminirt worden sein, und dass dieses in der That erreicht wurde, geht daraus hervor, dass, ungeachtet der geringen Anzahl von Versuchen in jeder Gruppe, doch nur ausnahmsweise Abweichungen von den gefundenen Gesetzen Vorkommen. Denn ein statistisches Material wird im allgemeinen ein Gesetz nur alsdann klar, vom Einfl\u00fcsse zuf\u00e4lliger Factoren befreit, hervortreten lassen, wenn das Material seihst hinl\u00e4nglich umfangreich ist, So dass die Zuf\u00e4lligkeiten dabei eliminirt werden. (Das Gesetz der gro\u00dfen Zahlen.) Wenn also ein Gesetz, trotzdem es auf eine nur geringe Anzahl Versuche gest\u00fctzt ist, dennoch ohne gro\u00dfe Abweichungen auftritt, so muss dieses ein Zeichen sein, dass es bei der Anordnung der \u201cV ersuche gelungen ist, die Einwirkung der Zuf\u00e4lligkeiten zu conr-pensiren.\nBei jedem Wiedererkennungsact gibt es erfahrungsm\u00e4\u00dfig drei Factoren, die einen wesentlichen Einfluss auf die Sicherheit des Wie-dererkennens aus\u00fcben, n\u00e4mlich: 1. die Differenz zwischen und die Anzahl von Empfindungen, unter denen eine einzelne wiedererkannt werden soll. 2. Der Zeitraum zwischen dem letzten Auf-","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkenneii.\n121\ntreten einer Empfindung im Bewusstsein und dem Moment, da das Wiedererkennen vor sich gehen soll. 3. Individuelle Anlagen und Hebung. Wir rvollen nun den Einfluss jedes dieser Factoren f\u00fcr sich untersuchen, und dabei solchergestalt zu Werke gehen, dass wir zuerst entwickeln, was man nach der Ber\u00fchrungstheorie von vorne herein erwarten muss in jedem einzelnen Falle anzutreffen, und darauf untersuchen, ob dies mit den Versuchsresultaten stimmt.\n1. Die Differenz zwischen und die Anzahl von Empfindungen, unter denen eine einzelne wiedererkannt werden soll. Zum Anfang nehmen wir die Verh\u00e4ltnisse so einfach wie m\u00f6glich. Es sei eine Empfindung A gegeben, und nach Verlauf einer so kurzen Zeit, dass es sich annehmen l\u00e4sst, dass noch ein einigerma\u00dfen klares Erinnerungsbild a von A besteht, tauche eine von zwei Empfindungen, A oder B auf, von der es entschieden werden soll, inwiefern dieselbe A gleich oder davon verschieden ist. Es ist einleuchtend, dass, je kleiner die Differenz zwischen A und B, desto schwieriger eine solche Entscheidung werden wird. Denn ein Erinnerungsbild kann, wie die Selbstbeobachtung uns lehrt, nur in \u00e4u\u00dferst kurzer Zeit die Klarheit und Deutlichkeit der urspr\u00fcnglichen Empfindung bewahren, es verwischt sich nach und nach, und je geringer daher der Unterschied zwischen A und B ist, desto schwieriger muss es werden, die Gleichheit oder den Unterschied zwischen dem verwischten Bild a und der neuen Empfindung A oder B zu constatiren. Ist der Unterschied zwischen A und B so gering, dass ein jeder sichere Vergleich mit \u00ab unm\u00f6glich ist, oder mit andern Worten, wird die Sch\u00e4tzung geradezu ein Errathen, so wird die Wahrscheinlichkeit f\u00fcr ein richtiges Resultat '/2 werden. A wird man n\u00e4mlich in dem Falle ebenso oft f\u00fcr a gleich, als davon verschieden, und B ebenso oft f\u00fcr verschieden von B als demselben gleich sch\u00e4tzen. In einer Reihe von p Versuchen wird man in solchem Falle, wenn A und B factisch\ngleich h\u00e4ufig Vorkommen, nur y richtige Sch\u00e4tzungen erwarten\nk\u00f6nnen, und je mehr deshalb die Anzahl der richtigen Sch\u00e4tzungen die H\u00e4lfte der Anzahl von Versuchen \u00fcberschreitet, desto gr\u00f6\u00dfer ist die Sicherheit des Wiedererkennens. Diese Consequenz der Theorie ]st nun in vollem Einklang mit der Erfahrung, wie Tab. I ausweist.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nAlfred Lehmann.\nTab. I.\nAnzahl richtiger Sch\u00e4tzungen in 30 Versuchen. t = 30\".\n\tn =\t180\t180\t180\t180\t180\t180\tSumme\n\ti=\t240\t225\t215\t200\t192\t188\t\nB.\tVH\t14\t15\t13\t14\t6\t10\t72\n\tTH\t15\t15\t14\t15\t11\t8\t78\n\ts\t29\t30\t27\t29\t17\t18\t150\nL.\tVH\t12\t12\t13\t8\t8\t8\t61\n\tTH\t15\t15\t11\t12\t11\t9\t73\n\tS\t27'\t27\t24\t20\t19\t17\t134\nEs wurden zwei Scheiben angewandt, von denen die Normal-scheibe 11 constant war: n = 180\u00b0 wei\u00df -j\u2014 180\u00b0 schwarz , w\u00e4hrend die andere variirte zwischen 1 = 240\u00b0w.\t120\u00b0 schwarz und l = 1 88\u00b0w.\n_|_ i72\u00b0s. F\u00fcr jeden Werth von l wurden 30 Versuche mit jedem der zwei Beobachter B. und L. gemacht. Die Zeit zwischen dem Verschwinden von n und dem folgenden Auftauchen von n oder l wurde constant zu 30\" gesetzt, damit nicht etwaige Nachbilder auf der Netzhaut st\u00f6rend eingreifen sollten; bei der angewandten ziemlich schwachen Beleuchtung haben die Beobachter indessen niemals irgend ein Nachbild wahrgenommen. Die Tabelle gibt die Zahl der richtigen Sch\u00e4tzungen an. In jeder Versuchsreihe sind f\u00fcr jeden Beobachter 3 Zahlen angegeben; die ersten zwei geben die Zahl der richtigen Sch\u00e4tzungen in resp. der ersten und zweiten H\u00e4lfte der Versuche an. Aus diesen erkennt man also den Einfluss der Uebung, von dem wir einstweilen absehen. Es ist dagegen die Summe dieser Zahlen, in der Reihe s angegeben, die uns hier interessirt. Wie man sieht, nimmt die Anzahl der richtigen Sch\u00e4tzungen ab mit abnehmender Differenz zwischen n und l, doch findet sich eine kleine Abweichung zwischen den zwei Beobachtern. F\u00fcr L. nimmt s schon allm\u00e4hlich ab von l\u2014 215; B. dagegen sch\u00e4tzt mit constanter Sicherheit bis 1= 200, hier f\u00e4llt aber seine Sicherheit pl\u00f6tzlich, so dass dieselbe bei den zwei kleinen Differenzen kaum gr\u00f6\u00dfer als L.'s ist. Auf die Ursachen hierzu werden wir sp\u00e4ter beim Besprechen des","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n123\nEinflusses der pers\u00f6nlichen Anlagen auf das Wiedererkennen ein-gehen.\nFerner erweist die Tabelle, dass das Wiedererkennen au\u00dferordentlich unsicher ist bei den zwei kleinsten Differenzen; da im Ganzen 30 Versuche angestellt sind in jeder Reihe, bezeichnen 15 richtige Sch\u00e4tzungen einen reinen Griff in\u2019s Blinde, und die letzten Zahlen heben sich augenscheinlich nicht sehr dar\u00fcber. Die Versuche best\u00e4tigen mithin die theoretischen Erwartungen.\nVom Standpunkte der Aehnlichkeitshypo these lassen sich unsere Versuchsresultate wohl erkl\u00e4ren. Wenn das Wiedererkennen von A durch die Reproduction von \u00abi + \u00ab2 + \u2022\u2022\u2022\u2022+\u2022ar zu Stande kommt, so muss eine Verwechselung muthma\u00dflich dergestalt vor sich gehen, dass A entweder nicht + \u00ab2 + \u2022 \u2022 + an) oder auch\t+ \u2022 \u25a0 \u2022 \u2022\nreproducirt, w\u00e4hrend andererseits B entweder nichts oder auch bisweilen \u00dfi \u2014(\u2014 \u00ab2 + \u2022 \u2022 \u2022 \u2022 anstatt 5] + b2 +. . .. reproducirt. Welches von diesen Verh\u00e4ltnissen vorzugsweise anzunehmen ist, kann kaum mit Sicherheit entschieden werden, nur so viel d\u00fcrfte einleuchtend sein, dass die Wahrscheinlichkeit f\u00fcr eine Reproduction der unrichtigen \u00bbSpuren\u00ab desto gr\u00f6\u00dfer werden wird, je kleiner die Differenz zwischen A und B ist, und damit muss die Hypothese als mit unserem ersten Resultat in Uebereinstimmung gebracht betrachtet werden.\nWir k\u00f6nnen nun einen Schritt weiter Vorgehen, indem wir anstatt zweier mit einander wechselnder Empfindungen deren drei, A, B und C nehmen, w\u00e4hrend die Zeit t als constant gedacht wird. In solchem Fall muss die Sicherheit des Wiedererkennens abnehmen, indem die M\u00f6glichkeit einer Verwechselung nun w\u00e4chst, und das in desto h\u00f6herem Grade, je geringer die Differenz zwischen A, B und O ist; wir setzen voraus, dass C fortw\u00e4hrend um ebenso viel dunkler als A, wie dieses dunkler als B ist. Ist die Differenz so klein geworden, dass zwischen dem verwischten Erinnerungsbild a und der im Augenblick gegebenen Empfindung, also entweder A, B oder C, keine merkbare Differenz mehr constatirt werden kann, so wird die Wahrscheinlichkeit f\u00fcr eine richtige Sch\u00e4tzung, oder mit anderen Worten die Sicherheit des Wiedererkennens, nur i/j f\u00fcr A, und J/2 f\u00fcr B und C sein. Man wird alsdann A gleich a, heller als a, oder dunkler als a sch\u00e4tzen k\u00f6nnen, und","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nAlfred Lehmann,\ndie Wahrscheinlichkeit einer richtigen Sch\u00e4tzung ist folglich Vs \u2022 B dagegen wird entweder gleich a oder heller als \u00ab, aber schwerlich, da es factisch heller als a ist, dunkler als dieses gesch\u00e4tzt werden k\u00f6nnen. Die Chance eines Wiedererkennens von B ist also V21 un<^ das Gleiche gilt, mutatis mutandis, f\u00fcr C. In einer Reihe von Versuchen, wo A factisch Mal vorkommt, B und C je Mal, muss die wahrscheinliche Anzahl der richtigen Sch\u00e4tzungen von A daher ~ werden, von B und C je \u2014-, also im Ganzen ~ + 2 \u2022 ^\t^ P>\nund je mehr die Anzahl der richtigen Sch\u00e4tzungen diese Zahl \u00fcberschreitet, desto gr\u00f6\u00dfer ist die Sicherheit des Wiederer-kennens.\nH\u00e4lt man nun diese Entwickelung mit untenstehender Tab. II zusammen, so zeigt sich unsere theoretische Betrachtung wiederum in Uebereinstimmung mit den Versuchsresultaten. Die Tabelle ist ganz analog mit Tab. I, nur findet sich hier als drittes Glied eine dunkle Scheibe m. die fortw\u00e4hrend um eben so viele Grade dunkler als n ist, wie l heller ist als n. Dies ist nun ganz gewiss nicht ganz richtig, denn damit unter den drei von m, n und l ausgel\u00f6sten Empfindungen dieselbe Differenz stattfinden solle, m\u00fcsste man\n= y (zufolge Weber\u2019s Gesetz) nehmen, aber der kleine Fehler\nin den Empfindungsdifferenzen, die hierdurch hervorgerufen sind, d\u00fcrfte ohne allen Einfluss auf die Versuche sein, da die Beobachter sie kaum bemerkt haben, weil sie niemals die drei Scheiben neben einander sahen. (Siehe die Tab. II S. 125.)\nDie Tabelle zeigt \u00fcbrigens dasselbe Verh\u00e4ltniss wie Tab. I-Die Zahl der richtigen Sch\u00e4tzungen sinkt st\u00e4rker und gleichm\u00e4\u00dfiger, als in Tab. I. Pers\u00f6nliche Differenzen kommen auch hier vor, wor\u00fcber mehr weiter unten. Besonders interessant sind hier die Verh\u00e4ltnisse bei der kleinsten Differenz (\u00bb*\u2014172, I = ISS). Denn nach der obigen Entwickelung 'ist die wahrscheinliche Anzahl der\nrichtigen Sch\u00e4tzungen ^p= 12,5, indem p \u2014 30, aber die gefundene Zahl erweist sich als etwas niedriger, n\u00e4mlich f\u00fcr B. und L-resp. 10 und 11. Dies r\u00fchrt daher, dass eine Verwechselung von in und I. die wir oben f\u00fcr unwahrscheinlich hielten, doch nicht ganz aus-","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n125\nTab. II.\nAnzahl richtiger Sch\u00e4tzungen in 30 Versuchen. t = 30\".\n\tm =\t120\t135\t145\t160\t168\t172\t| Summ e\n\tn =\t180\t180\t180\t180\t180\t180\t\n\tl =\t240\t225\t215\t200\t192\t188\t\nB.\tVH\t15\t15\t11\t8\t8\t3\t60\n\t2' H\t15\t15\t12\t15\t10\t7\t74\n\ts\t30\t30\t23\t23\t18\t10\t134\nL.\tVH\t10\t13\t9\t7\t6\t5\t50\n\t2 ' H\t13\t10\t13\t13\t8\t6\t63\n\ts\t23\t23\t22\t20\t14\t11\t113\ngeschlossen ist bei sehr kleinen Differenzen. H\u00e4ufig kommt sie nicht vor; in s\u00e4mmtlichen 180 Versuchen hat B. nur 6, L. 5 Verwechselungen von l mit m. oder umgekehrt, und diese fallen ausschlie\u00dflich auf die drei kleinsten der angewandten Differenzen, und am h\u00e4ufigsten in die letzte. Wenn aber eine solche Verwechselung m\u00f6glich ist,\nso ist die Chance f\u00fcr richtige Sch\u00e4tzung y, also in 30 Versuchen\n10 richtige. Mit dieser Zahl stimmen, wie man sieht, die Resultate bei der kleinsten Differenz sehr gut.\nAuch mit diesen Resultaten kann die Aehnlichkeitshypothese in Uebereinstimmung gebracht werden durch eine Betrachtung analog mit der oben angestellten.\n2. D er Zeitraum zwischen dem letzten Auftreten einer Empfindung im Bewusstsein und dem Moment, da das Wiedererkennen vor sich gehen soll. Die Zeit, welche zwischen A\u2019s Auftreten im Bewusstsein und M\u2019s oder B\u2019s nachheri-gem Auftauchen verl\u00e4uft, muss f\u00fcr die Sicherheit des Wiedererken-nens von gro\u00dfer Bedeutung sein, weil das Erinnerungsbild a nur sehr kurze Zeit mit ungeschw\u00e4chter Klarheit bestehen kann. Und je nachdem a verwischt wird, muss die Vergleichung zwischen A oder B und a an Zuverl\u00e4ssigkeit abnehmen. Diese theoretischen Erwartungen werden vollst\u00e4ndig von untenstehender Tab. III best\u00e4tigt.","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nAlfred Lehmann.\nDie Tabelle gibt so wie die fr\u00fcheren die Anzahl der richtigen Sch\u00e4tzungen in jedem der 30 Versuche in den einzelnen Versuchsreihen an. In der obersten Reihe sind die angewandten Werthe von n und l angegeben. Hieran muss jedoch eine Bemerkung gekn\u00fcpft werden. Da es sich nicht erwarten lie\u00df, dass der Einfluss der Zeit klar hervortr\u00e8ten k\u00f6nnte, so lange nicht alle fremden Fac-toren ausgeschlossen sind, so m\u00fcssten bei s\u00e4mmtlichen Versuchen dieselben n und I benutzt werden. Dabei w\u00fcrde sich aber die wachsende Uebung in einer Weise geltend machen, die sich durch keine besondere Anordnung compensiren lie\u00dfe. Diese Schwierigkeit zu \u00fcberwinden, sah ich keinen anderen Ausweg als den, l und n sehr wenig variiren zu lassen, jedoch so, dass sie doch immer dieselbe Differenz hatten, die auf 12\u00b0 angesetzt wurde. Dadurch w\u00fcrde der Einfluss der Uebung eliminirt sein, und damit nun die verschiedenen zusammen geh\u00f6renden Werthe von n und l nicht auf das Resultat influiren sollten, wurden diese, so weit m\u00f6glich, in allen Versuchsreihen angewandt. Wenn demnach in den 10 ersten Versuchen bei t \u2014 5\" f\u00fcr n =176, 1= ISS genommen war, so wurden bei den n\u00e4chsten 10 die Werthe w=168, ?=180 u. s. f. genommen, und auf gleiche Weise bei den anderen Werthen von t. Nur f\u00fcr t = 30\" ist diese Methode nicht in Anwendung gebracht, indem daselbst durchweg dieselben Werthe von n und l gebraucht sind. Dies ist wahrscheinlich die Ursache, weshalb die Zahl 21 f\u00fcr den Beobachter L. in dieser Reihe etwas zu hoch ist.\nTab. III.\nAnzahl richtiger Sch\u00e4tzungen in 30 Versuchen.\n\tn = i =\t170 188 5\"\t68 1 180 1 15\"\tso r 92 n 30\"\t2 S4 60\"\t120\"\tSumme\nB.\tVH\t15\t11\t12\t8\t5\t51\n\t2' H\t15\t15\t13\t11\t12\t66\n\ts\t30\t26\t25\t19\t17\t117\nL.\t1' H\t9\t11\t11\t12\t6\t49\n\t2' H\t12\t9\t10\t7\t11\t49\n\ts\t21\t20\t21\t19\t17\t98","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber Wiedererkennen.\n127\nIm Uebrigen zeigt die Tabelle keine einzige Abweichung von dem Gesetz, dass die Sicherheit des Wiedererkennens mit den steifenden Werthen von t sinkt. \u2014 Dasselbe Resultat hat Wolfe f\u00fcr das Wiedererkennen von Tonh\u00f6hen gefunden1). Wenn er au\u00dferdem den Nachweis hat liefern k\u00f6nnen, dass die Sicherheit des Wiedererkennens nicht gleichf\u00f6rmig, sondern wahrscheinlich periodisch mit dem wachsenden t abnimmt, so ist hierin nichts, was gegen unser Resultat streitet, denn eine Periodicit\u00e4t kann nat\u00fcrlicher Weise nur hervortreten, wenn man wie Wolfe die Verh\u00e4ltnisse von Secunde zu Secunde untersucht und nicht, wie wir hier, nur einzelne Werthe von t ausw\u00e4hlt. Da die Frage, ob eine Periodicit\u00e4t sich geltend macht oder nicht, indessen f\u00fcr die hier vorliegende Aufgabe ganz ohne Bedeutung ist, so habe ich keine Zeit auf eine so weitl\u00e4ufige Untersuchung verwenden wollen.\nNur in einem einzelnen Punkte kann ich mit Wolfe nicht ganz einverstanden sein. Seine Versuche zeigen ebenso wie die meinigen, dass das Wiedererkennen nur einigerma\u00dfen sicher ist in ganz kurzer Zeit, ca. 60\" nach dem Aufh\u00f6ren der urspr\u00fcnglichen Empfindung.\nEs ist also offenbar, dass die Deutlichkeit des Erinnerungsbildes sehr schnell abnimmt, da das Wiedererkennen schon nach so kurzer Zeit sehr unsicher wird. Diese gro\u00dfe Klarheit des Erinnerungsbildes in der ersten Zeit nach dem Aufh\u00f6ren der Empfindung hat nach seiner Annahme ihren Grund in einer willk\u00fcrlichen Anstrengung der Aufmerksamkeit, um das Bild festzuhalten; da aber die Aufmerksamkeit erfahrungsm\u00e4\u00dfig nicht sehr lange auf einen Punkt gerichtet sein kann, so versagt sie am Ende. Meine Beobachter haben nun fortw\u00e4hrend behauptet, dass jede Anstrengung in dieser Richtung vergeblich ist und nur dazu f\u00fchrt, dass das Wiedererkennen desto unsicherer wird. Ich bin daher zun\u00e4chst zu der Annahme geneigt, dass hier besteht, was man ein \u00bbcentrales\u00ab Nachbild nennen k\u00f6nnte. Gleichwie ein starker Laut- oder Lichtreiz ein peripherisches Nachbild erzeugt, ebenso darf man wohl annehmen, dass eine jede \u2014 nur nicht allzu schwache \u2014 Bewegung im Sensorium nicht * momentan aufh\u00f6ren kann, sondern eine st\u00e4rkere oder schw\u00e4chere Nachwirkung hinterl\u00e4sst. Diese ist die physiologische Ursache der\n1) A. a. O. S. 552.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"123\nAlfred Lehmann.\nklaren Erinnerungsbilder, und es muss angenommen werden, dass sie desto ungest\u00f6rter verl\u00e4uft, und daher desto l\u00e4nger anh\u00e4lt, je weniger man sich willk\u00fcrlich anstrengt, die Bilder festzuhalten, und je mehr man sich bestrebt, fremde Eindr\u00fccke fern zu halten. Die Bedeutung der Aufmerksamkeit f\u00fcr das Bewahren dieser centralen Nachbilder d\u00fcrfte daher zun\u00e4chst eine rein negative sein. Wenn man alsdann in dem Moment, da das Wiedererkennen vor sich gehen soll, durch willk\u00fcrliche Concentration der Aufmerksamkeit sich die fr\u00fchere Empfindung zu vergegenw\u00e4rtigen sucht, so wird dieses verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig leicht gelingen, so lange ein centrales Nachbild existirt, und das Erinnerungsbild tritt daher klar hervor und erm\u00f6glicht die nothwendige Vergleichung. Wenn hingegen die centralen Nachbilder nach kurzer Zeit verschwunden sind, so wird eine willk\u00fcrliche Keproduction einer fr\u00fcheren Empfindung nur unvollkommene Resultate geben, weshalb auch das Wiedererkennen unsicher wird. \u2014 Da diese Auffassung doch, der Natur der Sache nach, lediglich eine Hypothese ist, die schwerlich eine andere Grundlage hat als die erw\u00e4hnte Bemerkung meiner Beobachter, so kann ich ihr nat\u00fcrlicher Weise keine wesentliche Bedeutung zulegen In der Hauptsache bin ich ganz mit Wolfe einverstanden.\nMit den Resultaten der Untersuchung \u00fcber den Einfluss der Zeit kann die Aehnlichkeitshypothese wohl auch ohne gro\u00dfe Schwierigkeit in Uehereinstimmung gebracht werden. Es muss angenommen werden, dass die Sicherheit, mit der eine Empfindung A die fr\u00fcheren Empfindungen derselben Art, at + \u00ab2 + \u25a0 \u2022 - reproduciren kann, bis zu einem gewissen Grade von der verlaufenden Zeit abh\u00e4ngig ist. Anfangs sinkt sie schnell, um darauf, wenn sie ein gewisses Minimum erreicht hat, sich auf demselben mit beinahe unver\u00e4nderter St\u00e4rke zu erhalten. Wenn man dieses annimmt, und dies ist unzweifelhaft nothwendig, damit die Aehnlichkeitshypothese mit den vorliegenden Thatsachen stimmen kann, so ist dieselbe aber doch dem Tode verfallen ; denn wir werden sp\u00e4ter auf Thatsachen sto\u00dfen, die sich aus der Aehnlichkeitshypothese nur unter der Voraussetzung erkl\u00e4ren lassen, dass die Zeit \u00fcberhaupt keinen Einfluss auf die Reproduction von a\\ + a-2 + \u2022 \u25a0 \u2022 \u2022 hat, so dass die Hypothese auf di eine oder andere Weise mit der Erfahrung in Streit ger\u00e4th.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Lieber Wiedererkennen.\n129\n3. Individuelle Anlagen und Uebung. Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass einige Menschen vorzugsweise die eine Art von Vorstellungen erinnern, andere dagegen eine andere. In dieser Beziehung macht sich besonders ein gro\u00dfer Gegensatz auf so vielen Punkten geltend, dass man danach die Menschen in zwei Gruppen eintheilen k\u00f6nnte: diejenigen, die besonders das durch die Sinne Wahrgenommene, das Anschauliche, und diejenigen, die besonders Abstractionen, Zahlen, Worte, Formeln u. dgl. erinnern. Ob diese speciellen Richtungen des Erinnerungsverm\u00f6gens angeboren oder erworben sind, ob die eine oder die andere Richtung von der gr\u00f6\u00dferen Bedeutung f\u00fcr den Menschen und daher vorzugsweise w\u00fcnschens-werth ist, diese und andere naheliegende Fragen sind von gro\u00dfem Interesse und verdienen gewiss eine weit eingehendere Untersuchung, als ihnen bisher zu Theil geworden ist; aber das ber\u00fchrt unseren Gegenstand nicht. Wir gehen hier davon aus, dass ein solcher Gegensatz existirt, und dass sich, so zu sagen, in jedem gebildeten menschlichen Bewusstsein ein eigenes Gepr\u00e4ge in der einen oder anderen Richtung nachweisen l\u00e4sst. Innerhalb jeder der beiden Gruppen machen sich jedoch noch verschiedene Unterabtheilungen geltend. So lassen sich z. B. nicht alle sinnlich wahrgenommenen Empfindungen mit gleicher Leichtigkeit festhalten; die r\u00e4umlichen Bilder haben in dieser Beziehung unbedingt das Uebergewicht \u00fcber die einfachen Sinnesempfindungen bei allen Menschen. Unter den Sinnesempfindungen stehen sicherlich T\u00f6ne und Farben obenan, aber welchen von diesen beiden der Vorrang geb\u00fchrt, ist gewiss individuell. Musikalische Menschen werden wohl leichter T\u00f6ne als Farben erinnern, unmusikalische dagegen wahrscheinlich umgekehrt. Aehn-liche Unterschiede lassen sich auch nachweisen innerhalb der Gruppe derer, die am leichtesten Abstractionen erinnern. Hier stehen in Worten ausgedr\u00fcckte Gedanken sicherlich obenan bei allen Menschen, in die n\u00e4chste Reihe kommen dann Zahlen, Formeln, Namen u. dgl. Es bedarf kaum der Erw\u00e4hnung, dass kein normaler Mensch so exclusiv angelegt oder entwickelt ist, dass er nicht bis zu einem gewissen Grade im Stande sein sollte, auf allen verschiedenen Gebieten zu erinnern; es kann der Natur der Sache nach nur von Gradunterschieden die Rede sein, von gr\u00f6\u00dferer oder geringerer Leichtigkeit auf dem einen oder dem anderen Gebiete. Ein\nWundt, Philos. Studien. V.\t9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nAlfred Lehmann.\njeder Mensch kann, wie sehr er auch f\u00fcr Erinnerungen des Angeschauten angelegt ist, doch auch Zahlen, Nai\u00fcen u. s. w. erinnern, aber die Unsicherheit der Erinnerung kann freilich mitunter merkw\u00fcrdig gro\u00df sein.\nGehen wir nun davon aus, dass es dergleichen individuelle Anlagen oder Entwickelungen gibt, so m\u00fcssen diese auch Spuren hinterlassen in der Sicherheit, womit das Wiedererkennen einer einfachen Sinnesempfindung vor sich geht, selbst wenn auch die sogenannten centralen Nachbilder eine Rolle beim Wiedererkennen nach Verlauf sehr kurzer Zeitr\u00e4ume spielen sollten. Denn ein Erinnerungsbild, eine reproducirte Vorstellung, ist ein Bewusstseinszustand, welcher ohne \u00e4u\u00dfere Einwirkung k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Zeit, nachdem derselbe Zustand des Bewusstseins zuletzt stattfand, entsteht. Ein centrales Nachbild muss dagegen f\u00fcr einen durch \u00e4u\u00dfere Einwirkung hervorgerufenen Zustand angesehen werden, der noch eine Zeit lang nach dem Aufh\u00f6ren der \u00e4u\u00dferen Einwirkung fortbesteht. Die centralen Nachbilder sind Nachwirkungen des Sturmes, die reproducir-ten Vorstellungen sind neue Wellenbewegungen derselben Art, nur durch andere Ursachen hervorgerufen, nachdem die urspr\u00fcnglichen Wellen sich gelegt haben. Demnach besteht schwerlich ein anderer Unterschied zwischen den beiden Zust\u00e4nden, als dass sie verschiedenen Ursprunges sind, und es steht daher zu erwarten, dass dieselben in der Hauptsache dieselben Gesetze befolgen. Wenn ein Mensch vorzugsweise leicht eine gewisse Art von Vorstellungen erinnert, so ist es auch \u00fcberwiegend wahrscheinlich, dass centrale Nachbilder dieser bestimmten Art von Vorstellungen verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig lange Zeit fortdauern k\u00f6nnen. Je gr\u00f6\u00dfer die Labilit\u00e4t ist, je leichter ein Zustand hervorgerufen wird, desto l\u00e4nger muss er auch, einmal hervorgerufen, sich erhalten k\u00f6nnen. Ein rein physisches Beispiel wird das Verst\u00e4ndniss erleichtern. L\u00e4sst man zwei Kugeln von demselben Gewicht von derselben H\u00f6he herabfallen, die eine in ein Gef\u00e4\u00df mit Wasser, die andere auf einen eisernen Klotz von derselben Form und demselben Volumen wie die Fl\u00fcssigkeit, so wird die Bewegung im Wasser st\u00e4rker werden als diejenige, die in dem eisernen Klotz erzeugt wird, und sie wird l\u00e4nger anhalten. Es ist ein geringerer Widerstand gegen die Bewegung der Molek\u00fcle im Wasser, als in dem festen K\u00f6rper, daher werden die Schwingungs-","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkeimen.\n131\namplituden gr\u00f6\u00dfer und die Bewegung dauert l\u00e4nger, weil eine geringere Menge Bewegungsenergie in andere Energieformen umgesetzt wird. Auf entsprechende Weise muss man annehmen, dass ein Gehirn, welches leicht eine bestimmte Art von Vorstellungen reprodu-cirt, also leicht in Bewegung gesetzt wird, auch in l\u00e4ngerer Zeit die Bewegung fortsetzt, als ein anderes Sensorium, das nur schwer in dieselben Schwingungen versetzt wird. Es ist also in hohem Grade wahrscheinlich, dass die individuellen Eigent\u00fcmlichkeiten, die sich mit R\u00fccksicht auf die Erinnerung geltend machen, auch in den (hypothetischen) centralen Nachbildern wiedergefunden werden k\u00f6nnen und damit auch in unseren Wiedererkennungsversuchen, wo jene muthma\u00dflich eine gewisse Rolle spielen. Die Versuche scheinen wenigstens diese theoretischen Erwartungen zu best\u00e4tigen.\nDer Beobachter B\u25a0 studirt Aesthetik, hat gro\u00dfes Interesse f\u00fcr Kunst und hat Uebung darin, plastische Arbeiten und Gem\u00e4lde in der Erinnerung festzuhalten. L. dagegen ist Mathematiker, hat zwar durch anderthalbj\u00e4hrige Arbeit im Laboratorium, besonders mit optischen Versuchen, eine sehr scharfe Empfindlichkeit f\u00fcr Farbenunterschiede entwickelt, aber er hat keine Uehung oder anderes Interesse daran, diese zu erinnern, als die ihm die Wiedererkennungs-versuche gegeben haben k\u00f6nnen. Es stand daher zu erwarten, dass B. entschieden L. \u00fcberlegen sein m\u00fcsse mit R\u00fccksicht auf das Wiedererkennen von Lichtempfindungen, und alle drei Tabellen best\u00e4tigen dies. Mit ganz einzelnen Ausnahmen hat B. mehr richtige Sch\u00e4tzungen als L. in allen Reihen, und die unter der Ueberschrift \u00bbSumme\u00ab in Tab. I\u2014III angef\u00fchrten Zahlen zeigen, dass B.'s Sicherheit im Ganzen genommen weit gr\u00f6\u00dfer als diejenige L.'s ist. Es verdient jedoch Beachtung, dass B.'s specielle Anlagen nicht viel bedeuten bei den sehr kleinen Empfindungsdifferenzen (l = 192 und l \u2014 188) in Tab. I und II; wir erhalten dabei gleichsam ein Ma\u00df f\u00fcr den Grad von Undeutlichkeit, den das Erinnerungsbild nach dem Verlauf von 30\" hat. Ein \u00e4hnliches Verh\u00e4ltnis mit R\u00fccksicht auf die Zeit geht aus Tab. Ill hervor. Bis zu t = 30\" ist B. entschieden sicherer als L., aber bei den l\u00e4ngeren Zeitr\u00e4umen stehen sie gleich. Wir lernen daraus, dass die Erinnerungsbilder sich bis gegen 60\" verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig deutlicher bei dem Einen als bei dem Anderen halten k\u00f6nnen, aber alsdann abnehmen, ungef\u00e4hr gleich stark ver-","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nAlfred Lehmann.\nwischt, so dass Empfindungen mit geringer Differenz nach dem Verlauf von 60\" sich von dem einen Individuum kaum leichter als von dem anderen unterscheiden lassen, selbst unter der Voraussetzung ungleicher Uebung.\nAls der wesentlichste individuelle Factor, der neben der besonderen (m\u00f6glicher Weise angeborenen) Anlage Einfluss auf die Sicherheit des Wiedererkennens hat, muss die Uebung genannt werden. Wenn das Sensorium mehrmals nach einander in dieselbe Bewegung gesetzt wird, so muss diese immer leichter und leichter vor sich gehen, oder, mit anderen Worten, die Deutlichkeit der Erinnerungsbilder muss gr\u00f6\u00dfer werden, so dass die Sicherheit des Wiedererkennens zunimmt. Auch diese Consequenz der Theorie wird durch die Versuche best\u00e4tigt, wie aus Tab. I\u2014III hervorgeht, wo die unter l' H und 2' H angef\u00fchrten Zahlen die Anzahl der richtigen Sch\u00e4tzungen in resp. der ersten und zweiten H\u00e4lfte der Versuche in jeder Reihe zeigen. Wir beobachten hier einen fortw\u00e4hrenden Fortschritt, indem die letztere H\u00e4lfte mit ganz einzelnen Ausnahmen mehr richtige F\u00e4lle enth\u00e4lt als die erstere. Und dass die Ausnahmen in der Minorit\u00e4t sind, ersieht man aus den Columnen mit der Ueberschrift \u00bbSumme\u00ab, die in allen Tabellen f\u00fcr beide Beobachter Fortschritt durch Uebung zeigt. Nur Tab. III bietet eine Ausnahme dar, indem L. hier gleich viele richtige Sch\u00e4tzungen in beiden H\u00e4lften der Versuche hat. Eine zuf\u00e4llige Indisposition des Beobachters an dem Tage, da die letzten 10 Versuche in jeder Reihe angestellt wurden, kann zum Theil diese Abnormit\u00e4t erkl\u00e4ren.\nVom Standpunkt der Aehnlichkeitshypothese m\u00fcssen nun die n\u00e4mlichen theoretischen Betrachtungen, die wir hier angef\u00fchrt haben, geltend gemacht werden k\u00f6nnen, da dieselbe ja eben das Wiedererkennen auf die Reproduction allein basirt und folglich nicht einmal eines Beweises bedarf, dass dieselben individuellen Eigenth\u00fcm-lichkeiten, die sich mit R\u00fccksicht auf die reproducirten Empfindungen \u00e4u\u00dfern, auch in den centralen Nachbildern wieder gefunden werden k\u00f6nnen.\nEhe wir die Untersuchungen \u00fcber das einfache Wiedererkennen abschlie\u00dfen, wird noch ein Punkt von gro\u00dfem Interesse zu erledigen sein. Das ist die Frage, ob die Normalscheibe w, die sich vor jedem","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber Wiedererkennen.\n133\nVersuche zeigt, h\u00e4ufiger einer Verwechselung unterworfen ist, als die anderen Scheiben l und m, unter denen sie wiedererkannt werden soll. Beide Theorien m\u00fcssen hier ganz bestimmte Erwartungen aufstellen, aber diese stehen unter sich im Streit, so dass gerade dieses Problem im Stande ist, ein entscheidendes Urtheil dar\u00fcber zu f\u00e4llen, welche von den Theorien am besten das erfahrungsm\u00e4\u00dfig Gefundene erkl\u00e4ren kann.\nVom Standpunkte der Aehnlichkeitshypothese muss die Sache sich folgenderma\u00dfen stellen. Je h\u00e4ufiger eine Empfindung sich wiederholt, desto leichter muss sie auch, alles Andere gleich gesetzt, wiedererkannt werden k\u00f6nnen. Der Einfluss der Uehung beruht ja eben darauf, dass die Anzahl der gleichartigen Empfindungen vermehrt wird, wodurch das Wiedererkennen an Sicherheit gewinnt. Wenn man also eine Reihe Versuche in der Art anstellt, wie es hier o-eschehen ist, so muss die Normalscheibe n sich sicherer als l er-kennen lassen, da dieselbe, au\u00dferdem dass sie vor jedem einzelnen Versuch gezeigt wird, wieder zur Beurtheilung ebenso h\u00e4ufig wie l zum Vorschein kommt. In einer Reihe von 30 Versuchen wird n im Ganzen 45 mal, l nur 15 mal gesehen worden sein, und seihst wenn sich hieraus kein quantitatives Resultat ergibt, so darf man doch schlie\u00dfen, dass n h\u00e4ufiger als l wird richtig gesch\u00e4tzt werden.\nVom Standpunkt der Ber\u00fchrungstheorie wird das Verh\u00e4ltniss ein ganz anderes. Hier beruht das Wiedererkennen auf einer Vergleichung mit einem Erinnerungsbilde, das mehr oder weniger verwischt und unklar ist, und auf welches die fortdauernde Wiederholung nur die Wirkung ausge\u00fcht hat, dass es nach Verlauf einer gewissen Zeit nicht ganz so unklar ist, wie es sein w\u00fcrde, wenn die Uebung geringer gewesen w\u00e4re. Die Bedeutung der Wiederholung wird hier nur die sein, dass das Wiedererkennen im Ganzen sicherer wird, es kann aber keinen Einfluss darauf haben, ob n oder l am richtigsten gesch\u00e4tzt wird. Dieses muss dagegen von ganz anderen Verh\u00e4ltnissen abh\u00e4ngig sein, erstlich von der Art der Empfindungen und demn\u00e4chst von den individuellen Anlagen. Bei Gesichtsempfindungen, mit denen wir uns hier ausschlie\u00dflich besch\u00e4ftigen, wird das Verhalten folgendes werden. Bei dem Menschen, bei dem das Erinnerungsbild der Normalscheibe ein klares ist, kann","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nAlfred Lehmann.\nkein Unterschied des Grades von Sicherheit bestehen, womit n und 1 wiedererkannt werden. Wenn n sich zeigt, wird sie durch Vergleichung mit dem Erinnerungshilde als mit diesem gleich aufgefasst werden j wenn l sich zeigt, wird sie als von dem Erinnerungsbilde verschieden aufgefasst, und es liegt nichts vor, was daf\u00fcr spr\u00e4che, dass die eine Sch\u00e4tzung sicherer als die andere vor sich gehen sollte. Eine Verwechselung wird daher wesentlich auf zuf\u00e4lligen Umst\u00e4nden beruhen, und die Wahrscheinlichkeit einer Verwechselung wird also ebenso gro\u00df f\u00fcr l wie f\u00fcr n. Etwas anders stellt sich dagegen die Sache f\u00fcr denjenigen, dem das Erinnerungsbild durchgehends sich unklar zeigt. F\u00fcr ein solches Individuum wird eine Vergleichung zwischen n und dem bestehenden Erinnerungsbilde schwerlich dazu f\u00fchren k\u00f6nnen, dass sie als gleich aufgefasst werden, eben weil das Erinnerungsbild unklar ist. Er wird leicht glauben, dass ein Unterschied besteht zwischen dem Erinnerungsbilde und dem, was er sieht, selbst wenn kein solcher sein sollte, und n wird daher h\u00e4ufig als l oder m gesch\u00e4tzt werden, wenn eine Wahl zwischen zweien vorliegt. Dagegen wird l (und m) schwerlich als dem Erinnerungsbilde gleich aufgefasst werden k\u00f6nnen ; es m\u00fcsste denn ganz zuf\u00e4llig sein, dass dieses im Augenblick der Vergleichung eben Aehnlichkeit mit entweder l oder m h\u00e4tte. Bei sehr unklaren Erinnerungsbildern muss l (und m) also h\u00e4ufiger als n richtig gesch\u00e4tzt werden. Dieses Resultat ist, wie man sieht, gerade das Entgegengesetzte von dem, wozu die Aehnlichkeits-hypothese f\u00fchrte, und wir werden dadurch, auf Grundlage der Versuche, in den Stand gesetzt, ein Urtheil \u00fcber die Theorien zu f\u00e4llen.\nTab. IV.\n\tV\t71V\tXV\tnv \u2014 xv\ns.\t107\t55\t52\t3\nL.\t165\t109\t56\t53\nIn Tab. IV ist eine Uebersicht \u00fcber s\u00e4mmtliche begangene \"V er-wechselungen in den Versuchen gegeben^ deren Hauptresultate in Tab. I\u2014III enthalten sind. Diese umfassen im Ganzen 510 Sch\u00e4tzun-","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n135\ngen jedes der Beobachter und geben somit ein nicht ganz unbedeutendes Material ab. Tab. IV gibt die Resultate f\u00fcr jeden Beobachter. Unter V ist die ganze Anzahl Verwechselungen in 510 Versuchen angegeben; unter nv die Anzahl von F\u00e4llen, wo die Normalscheibe falsch gesch\u00e4tzt; unter xv findet sich die Summe der F\u00e4lle, wo l und m entweder unter sich oder mit n verwechselt worden sind. Die Differenz nv\u2014xv gibt also an, wie viel h\u00e4ufiger n als die beiden anderen Scheiben l und m falsch gesch\u00e4tzt worden sind. Da diese Differenz positiv ist, so ist das Wiedererkennen von n also f\u00fcr beide Beobachter unsicherer, als das Wiedererkennen der anderen. Dieses streitet aber entschieden mit der Aehnlichkeitshypothese, die eben ein verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig sicheres Wiedererkennen von n erfordert. Au\u00dferdem zeigen die Zahlen volle Uebereinstimmung mit den Forderungen der Ber\u00fchrungstheorie. Denn f\u00fcr B., das, wie oben erw\u00e4hnt, verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig deutliche Erinnerungsbilder darbieten muss, ist die Sicherheit des Wiedererkennens ungef\u00e4hr gleich gro\u00df f\u00fcr n und l, m. L. dagegen zeigt so gro\u00dfe Unsicherheit bei der Sch\u00e4tzung von n, dass nahezu doppelt so viele Verwechselungen auf n wie auf l, m fallen. Einen entscheidenderen Beweis f\u00fcr die Unhaltbarkeit der Aehnlichkeitshypothese kann man nicht wohl verlangen.\nIII. Wiedererkennen durch Bestimmung.\nDas Wiedererkennen einfacher Sinnesempfindungen, von dem im t\u00e4glichen Leben die Rede sein kann, ist so gut wie ausschlie\u00dflich ein Wiedererkennen der Art, Wiedererkennen durch Namen oder durch Bestimmung, wie wir vorziehen w\u00fcrden es zu nennen. Wenn wir nur entscheiden k\u00f6nnen, ob eine Farbe blau oder blaugr\u00fcn zu nennen, ob ein Geschmack sauer oder bitter zu nennen, ob ein Geruch Rosen- oder Lavendelduft ist, so sind wir im allgemeinen zufrieden. Das Ph\u00e4nomen ist wiedererkannt, ist in die festen Rahmen unseres Bewusstseins eingeordnet und eines weiteren bedarf es nicht f\u00fcr den Gebrauch des t\u00e4glichen Lebens. Ein Wiedererkennen von der Art, die wir im Vorhergehenden untersucht haben, wo es darauf ankommt zu entscheiden, ob eine im Augenblick gegebene Empfindung vollst\u00e4ndig mit einer, die wir zu einem gewissen fr\u00fcheren Zeitpunkt gehabt haben, \u00fcbereinstimmend ist, wird fast nie er-","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nAlfred Lehmann.\nforderlich, sein, wahrscheinlich weil die Erfahrung uns lehrt, dass ein solches unm\u00f6glich ist nach dem Verlauf so langer Zeit, wie sie im t\u00e4glichen Lehen gew\u00f6hnlich vorkommt. \u2014 Wenn diese ganze Betrachtung richtig ist, wenn es bei jedem allgemeinen Wiedererkennen sich nur um eine Bestimmung des Namens einer Empfindung handelt, \u2014 und dieses ist, wie weiter oben entwickelt, geradezu eine Consequenz der Ber\u00fchrungstheorie \u2014 so m\u00fcssen wir in der Erinnerung nur zwischen so vielen Empfindungen sondern k\u00f6nnen, wie wir Namen f\u00fcr Empfindungen haben. Denkt man sich, dass man eines Tages eine rothe Wand gesehen hat, und dass man nun nach Verlauf einiger Zeit dieselbe Wand sieht, die in der Zwischenzeit mit einer etwas verschiedenen Farbe angestrichen worden ist, so wird man der Theorie nach im allgemeinen den Unterschied nicht entdecken, wenn die neue Farbe nicht so sehr von der urspr\u00fcnglichen ahweicht, dass man sie mit einem anderen Namen bezeichnet. Erinnert man, dass die Wand das erste Mal dunkelroth war, so wird man den Unterschied leicht entdecken, wenn sie das n\u00e4chste Mal z. B. hellroth ist; aber wenn sie fortw\u00e4hrend dunkelroth, nur von einer andern Schattirung ist, so wird der Unterschied der Aufmerksamkeit entgehen, nat\u00fcrlicher Weise doch nur unter der Voraussetzung, dass die urspr\u00fcngliche Farbe sich nicht durch spe-cielle Associationen dem Ged\u00e4chtniss eingepr\u00e4gt hat.\nUm zu pr\u00fcfen, ob diese Consequenz der Ber\u00fchrungstheorie in der That vor dem Richterstuhl der Erfahrung bestehen kann, stellte ich mit der gr\u00f6\u00dften Sorgfalt drei Scalen von Grau dar, die eine f\u00fcnftheilig, eine andere sechstheilig, und eine dritte neuntheilig. In allen drei Scalen bildeten Schwarz und Wei\u00df die \u00e4u\u00dfersten Glieder, und die Zwischenglieder waren so abgestuft, dass zwischen je zwei beliebigen, auf einander folgenden dieselbe Empfindungsdifierenz stattfand. Nennen wir Schwarz 1, das Dunkelgrau, das dem Schwarzen zun\u00e4chst kam, 2 u. s. f., so war also in allen drei Scalen derselbe Unterschied zwischen 1 und 2, wie zwischen 2 und 3, zwischen 3 und 4 u. s. w. Mit diesen wurde nun eine Reihe Versuche angestellt. Eine der Scalen, in welcher die einzelnen Glieder in Nummerordnung zusammengestellt waren, so dass sie einen vollst\u00e4ndig ebenen Uebergang von Schwarz zu Wei\u00df bildeten, wurde betrachtet, und darauf wurden nach Verlauf kurzer Zeit die ein-","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n137\nzelnen Glieder, jedes f\u00fcr sich, in willk\u00fcrlicher Ordnung vorgezeigt. Die Beobachter hatten nun zu entscheiden, welche Nummer in der Reihe jedes der vorgezeigten Glieder hatte. Solche Versuche wurden nach und nach mit allen drei Scalen angestellt und die meisten der regelm\u00e4\u00dfigen Arbeiter im Laboratorium, besonders auch diejenigen, die nicht an andern Wiedererkennungsversuchen Theil genommen hatten, wurden gepr\u00fcft. Nach der Theorie h\u00e4tte man jetzt erwarten m\u00fcssen, dass nur die Glieder der f\u00fcnftheiligen Scala sich mit Sicherheit erkennen lie\u00dfen, weil die Sprache nur f\u00fcnf Benennungen f\u00fcr Schwarz und Wei\u00df und die Ueberg\u00e4nge zwischen diesen hat, n\u00e4mlich au\u00dfer den beiden genannten, noch Dunkelgrau, Neutraloder Mittelgrau und Hellgrau. In eine von diesen f\u00fcnf Rubriken l\u00e4sst sich immer eine Lichtempfindung bringen und zwei Empfindungen, die so sehr von einander abweichen, dass sie mit verschiedenen Namen bezeichnet werden m\u00fcssen, k\u00f6nnen daher nicht leicht verwechselt werden. In der neuntheiligen Scala dagegen f\u00e4llt gerade eine Schattirung zwischen je zwei der Glieder in der f\u00fcnftheiligen, wie folgendes Schema ausweist.\n1\t3\t5\t7\t9\n2\t4\t6\t8\nDie obere Reihe bildet eine f\u00fcnftheilige, beide Reihen zusammen eine neuntheilige Scala. Wenn wir aber nur f\u00fcnf Namen haben, dagegen neun Glieder in der Scala, so ist nur geringe Wahrscheinlichkeit vorhanden f\u00fcr eine richtige Sch\u00e4tzung, indem jedes Glied mit seinen zwei n\u00e4chsten Nachbarn muss verwechselt werden k\u00f6nnen. Gr\u00f6\u00dfere Verwechselungen werden kaum Vorkommen k\u00f6nnen; 2 und 4, 3 und 5 u. s. w. k\u00f6nnen nicht verwechselt werden, dazu ist ihre gegenseitige Differenz zu gro\u00df. Hiernach k\u00f6nnen wir leicht die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Sch\u00e4tzung berechnen F\u00fcr die \u00e4u\u00dferen Glieder 1 und 9 ist die Wahrscheinlichkeit y2, f\u00fcr jedes der andern sieben Glieder y3, unter der Voraussetzung, dass die Chancen gleich gro\u00df sind, eins der Glieder mit jedem der Nachharglieder zu verwechseln und es richtig zu sch\u00e4tzen. In Wirklichkeit muss die Chance f\u00fcr richtige Sch\u00e4tzung doch etwas gr\u00f6\u00dfer werden, weil hei der Versuchsordnung seihst Bedingungen f\u00fcr besondere Associationen gegeben sind. W\u00e4hrend der Beobachter die Scala betrachtet, bestrebt er sich eben Associationen zwischen den einzelnen Empfin-","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nAlfred Lehmann.\nd\u00fcngen und den neun ersten Zahlen der Zahlenreihe zu Wege zu bringen, und selbst wenn es nicht bei einer einzelnen Betrachtung gelingt, so wird doch immer so viel erreicht sein, dass er, wenn er sp\u00e4ter die einzelnen Glieder sieht, etwas gr\u00f6\u00dfere Wahrscheinlichkeit f\u00fcr eine richtige als f\u00fcr eine falsche Sch\u00e4tzung hat. Das Resultat unserer Berechnung kann daher nur das Minimum der richtigen Sch\u00e4tzungen geben. In einer Reihe von neun Versuchen, wo alle die einzelnen Glieder nach einander gezeigt werden, wird man also als Minimum 2 \u2022 l/2 + 7 \u2022 ljz = 3,33 richtige Sch\u00e4tzungen erwarten k\u00f6nnen. F\u00fcr 100 Versuche gibt dies 37 richtige Sch\u00e4tzungen und dieses stimmt, wie Tab. V ausweist, recht gut mit dem durch die Versuche gefundenen.\nTab. V.\n\tB\tA\tr\tX r\n5 theil.\t5\t60\t58\t96,7\n6 theil.\t3\t34\t24\t70,6\n9 theil.\t4\t50\t23\t46,0\nDie Tabelle gibt unter B die Anzahl der Beobachter, unter A die gesammte Anzahl von Versuchen; r ist die Anzahl der richtigen Sch\u00e4tzungen, die des Vergleichs wegen procentisch berechnet ist in der Columne % r. Man sieht, dass die f\u00fcnftheilige Scala so zu sagen vollst\u00e4ndig richtig gesch\u00e4tzt wird; sie hat nur 2 Fehler in 60 Versuchen, und von diesen r\u00fchrt jedenfalls der eine nur von einer Unaufmerksamkeit des Beobachters her. Schon die sechstheilige Scala zeigt eine erstaunliche Unsicherheit, und in der neuntheiligen sind nur 46^ richtige F\u00e4lle. Diese Zahl ist, wie man sieht, nicht sehr viel gr\u00f6\u00dfer als das berechnete Minimum 37^, und ber\u00fccksichtigt man, dass s\u00e4mmtliche Beobachter eine\u00fcebung durch mehrere Semester in psychophysischen Versuchen hatten, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Zahl noch niedriger geworden w\u00e4re, wenn die Probe mit gew\u00f6hnlichen gebildeten, aber in dergleichen Experimenten unge\u00fcbten Menschen angestellt worden w\u00e4re. Man darf also behaupten, dass die Theorie in allem Wesentlichen durch diese Versuche best\u00e4tigt worden ist.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber VViedererkennen.\n139\n-Vom Gesichtspunkt der Aehnlichkeitshypothese ist die ganze hier aufgestellte Betrachtung unhaltbar. Denn zufolge der Aehnlichkeitshypothese wird eine Ber\u00fchrungsassociation wie die zwischen einer Empfindung und dem Namen derselben nur durch eine Aehn-lichkeitsassociation als Zwischenglied stattfinden. Damit eine Empfindung A den Namen h soll reproduciren k\u00f6nnen, muss erst ein Wie der erkennen stattgefunden haben ; A muss \u00abi + \u00ab2 + \u2022 \u2022 \u2022 \u2022 repro-ducirt haben, damit b hervorgebracht werden kann. Es ist also so weit davon entfernt, dass der Name nach der Auffassung der Aehnlichkeitshypothese eine St\u00fctze, geschweige denn eine Grundbedingung des Wiedererkennens sein sollte, dass vielmehr das Wiedererkennen schon stattgefunden haben muss, ehe der Name sich dem Bewusstsein vorstellt. Einen directen Beweis gegen die Richtigkeit dieser Auffassung geben unsere Versuche allerdings nicht, aber die Aehnlichkeitshypothese befindet sich doch vollst\u00e4ndig ohnm\u00e4chtig ihnen gegen\u00fcber. Sie muss die Resultate als Thatsachen nehmen, eine Erkl\u00e4rung, weshalb die Glieder der f\u00fcnftheiligen Scala mit voller Sicherheit wiedererkannt werden, w\u00e4hrend das Wiedererkennen der Glieder der neuntheiligen gerade auf der Grenze des Errathens steht, kann sie nicht geben. Die Ber\u00fchrungstheorie, die eben diese Thatsachen als nothwendige Consequenzen fordert, hat also wiederum hier einen bedeutenden Vorsprung erreicht. Das N\u00e4mliche wird sich im Folgenden erweisen; \u00fcberall, wo die Ber\u00fchrungstheorie bestimmte Erwartungen aufstellt, die von den Versuchen best\u00e4tigt werden, muss die Aehnlichkeitshypothese sich darauf beschr\u00e4nken, die Resultate als Thatsachen zu acceptiren, auf deren Erkl\u00e4rung sie sich nicht einlassen kann. Wir werden uns deshalb nicht weiter mit der Aehnlichkeitshypothese besch\u00e4ftigen, deren Unhaltbarkeit als schon hinl\u00e4nglich bewiesen betrachtet werden muss ; nur wo wir auf das eine oder andere Factum sto\u00dfen, das direct gegen die Consequenzen der Hypothese streitet, wird dieses er\u00f6rtert werden, damit der Gegenbeweis so vollst\u00e4ndig wie m\u00f6glich werden kann.\nGegen die weiter oben aufgestellte Erkl\u00e4rung des Wiedererkennens der f\u00fcnftheiligen Scala ist folgender Einwand gemacht worden. Es ist an und f\u00fcr sich h\u00f6chst unwahrscheinlich, dass wir nur f\u00fcnf Glieder in der Reihe der Lichtempfindungen wiedererkennen k\u00f6nnen , weil wir f\u00fcnf Benennungen haben ; man muss vielmehr an-","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nAlfred Lehmann.\nnehmen, dass das Wiedererkennen der f\u00fcnf Glieder etwas ist, das nun einmal in der Natur des Bewusstseins liegt, und eben deshalb haben wir nur f\u00fcnf Namen. Das Verhalten sollte hiernach gerade das umgekehrte von unserer Annahme sein. Eine solche Erkl\u00e4rung ger\u00e4th indessen in Streit mit einer Menge Thatsachen. Erstlich w\u00fcrde es h\u00f6chst merkw\u00fcrdig sein, dass die Anzahl unserer Farbennamen gerade durch die Anzahl von Empfindungen bestimmt sein sollte, die man in der Erinnerung festhalten kann. Jedes normale Individuum kann doch ungef\u00e4hr 120 Abstufungen zwischen Schwarz und Wei\u00df unterscheiden, und folglich h\u00e4tte man doch ebenso gut 120 wie 5 Namen bilden k\u00f6nnen. Sodann haben die geschichtlichen Untersuchungen \u00fcber die Entwickelung der Farbennamen ergeben, dass man aus der Anzahl Namen, die zu einer gegebenen Zeit Vorkommen , durchaus keinen Schluss auf den Farbensinn der Zeit ziehen kann. Es wird jetzt kaum Jemand mehr glauben, dass die V\u00f6lker des Alterthums nicht haben Blau und Violett auffassen k\u00f6nnen, weil diese Namen nicht bei Homer Vorkommen. Bei Leonardo da Vinci1) findet sich das Wort Orange nicht, und er hat doch die orangenen Farbent\u00f6ne unterscheiden k\u00f6nnen, denn er schreibt: \u00bbund wenn E gelb w\u00e4re, wird sich eine ver\u00e4nderte Farbe zwischen Roth und Gelb herf\u00fcrthun.\u00ab2) Eben Leonardo da Vinci\u2019s Werk zeigt deutlich, wie die Entwickelung der Farbennamen vor sich gegangen ist ; weit entfernt, dass es die Natur des Bewusstseins w\u00e4re, welches die Namen bestimmt hat, ist es vielmehr das praktische Bed\u00fcrfniss, das dazu gef\u00fchrt hat. In dem \u00bbTractat von der Mahlerey\u00ab, einem der ersten Werke, welche die Farben behandeln, finden wir daher noch eine gro\u00dfe Unbeh\u00fclflichkeit in der Benennung derselben. Zusammengesetzte Namen, wie Blaugr\u00fcn, Rothblau und \u00e4hnliche W\u00f6rter kommen nicht vor ; an deren Stelle treten mehr oder weniger ungeschickte Umschreibungen. Auch mit R\u00fccksicht auf die schon bestehenden Namen herrscht Unsicherheit, indem sie noch keine feste Bedeutung erhalten haben. So wird das italieni-\n1)\tIch citire hier nach der \u00e4ltesten deutschen Uebersetzung : Des vortrefflichen Florentinischen Mahlers Leonardo da Vinci h\u00f6chst n\u00fctzlicher Tractat von der Mahlerey. N\u00fcrnberg 1724.\n2)\tAngef. Schrift. S. 71.","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkeimen.\n141\nsehe \u00bbPavonazzo\u00ab bald durch Purpur oder Dunkelblau, bald durch Pfauenblau oder Yiolblau \u00fcbersetzt, so dass alle diese W\u00f6rter also in derselben Bedeutung gebraucht werden. Das Wort Yiolblau findet sich ziemlich h\u00e4ufig, nur an einer einzigen Stelle ist es n\u00e4her durch Violett bezeichnet. Da es sich nun nicht wohl annehmen l\u00e4sst, dass die italienischen Maler nicht ebenso gut wie wir sollten die Farben haben unterscheiden k\u00f6nnen, ist es wohl vielmehr anzunehmen, dass sie kein gro\u00dfes Bed\u00fcrfniss gef\u00fchlt haben, eine No-menclatur zu erfinden, und das ist der Grund des erw\u00e4hnten Wortmangels und der Unbestimmtheit in den Benennungen. Wie das praktische Bed\u00fcrfniss neue Namen erzeugt, davon liegen bekannterma\u00dfen Beispiele bis in die neueste Zeit vor. Newton bestimmte den Namen Indigo f\u00fcr einen gewissen Theil der blauen Strahlen im Spectrum, der nicht genau die Farbe des Indigo hat, und erst Helmholtz hat dem Wort Purpur seine heutige Bedeutung gegeben. Es liegt somit gar kein Grund zu der Annahme vor, dass unsere f\u00fcnf Namen f\u00fcr Lichtempfindungen in dem Unverm\u00f6gen unseres Bewusstseins begr\u00fcndet sein sollten, mehr als f\u00fcnf Glieder zu erinnern; es ist geradezu das t\u00e4gliche Bed\u00fcrfniss, welches heutzutage durch diese f\u00fcnf Namen gedeckt ist. In der Wissenschaft und in den Modenzeitungen, wo dieselben nicht ausreichen, hat man sich ja eben deshalb bestrebt, eine weit ausreichendere Nomenclatur zu bilden.\nEndlich kann es direct durch Versuche bewiesen werden, dass die f\u00fcnf Glieder, die sich normal in der Erinnerung festhalten lassen, keineswegs die \u00e4u\u00dferste Grenze dessen bilden, was man erinnern kann. Unser Erinnerungsverm\u00f6gen scheint vielmehr proportional mit der Anzahl der Farbennamen entwickelt zu werden, und es ist in dieser Beziehung ganz gleichg\u00fcltig, wie die Namen entstehen, es ist nur n\u00f6thig, dass sich eine feste Association bildet zwischen einer Empfindung und irgend einer Bestimmung. W\u00e4hrend ich an der Darstellung der neuntheiligen Scala arbeitete, suchte ich die neun ersten Zahlennamen mit den neun Lichtempfindungen zu associiren, und dieses gelang auch theilweise, wie der folgende Versuch ausweist. Mehrere Tage nachdem ich zuletzt die Scala gesehen hatte, lie\u00df ich einen meiner Mitarbeiter eine Reihe Versuche mit mir auf die oben angegebene Weise anstellen. Von 20 Sch\u00e4tzungen wurden 15 richtig, was 75^ ergibt. Vergleicht man diese Zahl","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nAlfred Lehmarm.\nmit der Tab. V, so siebt man, dass ich die neuntheilige Scala mit gr\u00f6\u00dferer Sicherheit festhalte, als die andern Beobachter die sechs-theilige. Innerhalb einer gewissen Grenze wenigstens scheint es demnach keinem Zweifel zu unterliegen, dass es die Farbennamen oder die Bestimmungen sind, die das Wiedererkennen nach dem Verlauf l\u00e4ngerer Zeit m\u00f6glich machen.\nDa es demzufolge als erwiesen betrachtet werden darf, dass die Annahme eines Wiedererkennens durch Bestimmung keine rein phantastische Hypothese ist, sondern wirklich mit der Erfahrung zu stimmen scheint, wollen wir die Consequenzen derselben unter ganz einfachen Verh\u00e4ltnissen n\u00e4her untersuchen. \u2014 Wenn zwei Lichtempfindungen, A und B, gleichzeitig im Bewusstsein gegeben sind, wodurch der Unterschied zwischen denselben deutlich hervortritt, so wird der Beobachter im Stande sein, ihnen Namen zu geben. Er wird die eine hell und die andere dunkel nennen k\u00f6nnen, und wenn die beiden h\u00e4ufig wieder zusammen kommen, so wird sich eine so feste Association zwischen den Empfindungen und ihren Namen bilden k\u00f6nnen, dass die eine nicht isolirt hervortreten kann, ohne dass der Name sich auch sofort beim Bewusstsein anmeldet. In solchem Falle hat man also ein Wiedererkennen durch Bestimmung. Wenn nun diese Betrachtung richtig ist, so muss dieser eigenth\u00fcmliche Wiedererkennungsact durch Versuche sich pr\u00fcfen lassen, die in allem Wesentlichen mit den obigen \u00fcber das einfache Wiedererkennen \u00fcbereinstimmen, mit dem Unterschied jedoch, dass die beiden Scheiben jetzt sich gleichzeitig neben einander vor jedem Versuch zeigen. Nachdem der Beobachter dadurch in den Stand gesetzt worden ist, sich den Unterschied zwischen denselben einzupr\u00e4gen, und ihnen dadurch Bestimmungen beizulegen, wird einige Zeit nachher die eine isolirt gezeigt, und der Beobachter hat alsdann zu entscheiden, ob es die helle oder dunkle ist. Nach diesem Schema habe ich mehrere Versuchsreihen mit denselben Scheiben, denselben Werthen von t, und zum Theil auch denselben Beobachtern, wie bei dem einfachen Wiedererkennen, angestellt. Hierdurch wurden die Versuche also unter sich vergleichbar, und lassen die Unterschiede zwischen den zwei Arten des Wiedererkennens deutlich hervortreten. \u2014 Bei der Behandlung dieser Versuche werden wir \u00e4hnlich wie fr\u00fcher verfahren, indem wir die Bedeutung der Em-","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n143\npfindungsdifferenzen, der Zeit, und der individuellen Anlagen, jede f\u00fcr sich untersuchen.\n1. Die Differenzen der Empfindungen, welche wiedererkannt werden sollen. Sofern das Wiedererkennen unter der angegebenen Versuchsordnung auf einer Association von Namen beruht, so kann die Differenz der Empfindungen keinen Einfluss auf die Sicherheit des Wiedererkennens haben. Ist der Unterschied zwischen den zwei Scheiben, die wir jetzt m und l nennen wollen, nur gro\u00df genug, um wahrgenommen zu werden, so wird es auch den Beobachtern m\u00f6glich sein, m und l Namen zu geben, und wenn man alsdann die eine sieht, wird auch der Name im Bewusstsein auftauchen, wenn nur die Association hinl\u00e4nglich fest geworden ist. Auf die gr\u00f6\u00dfere oder geringere Festigkeit der Association kann aber die Empfindungsdifferenz keinen Einfluss haben. Eine einzige Abweichung hievon muss jedoch gedacht werden k\u00f6nnen. Wenn n\u00e4mlich der Unterschied der Empfindungen ungef\u00e4hr so gro\u00df ist, dass die zwei Empfindungen, auch ohne gleichzeitig im Bewusstsein gewesen zu sein, gesondert werden k\u00f6nnen, weil sie verschiedenen Abtheilungen der f\u00fcnftheiligen Scala angeh\u00f6ren, so wird eine Verwechselung so gut wie niemals eintreffen k\u00f6nnen, und die Sicherheit des Wiedererkennens wird in solchem Falle gr\u00f6\u00dfer, als bei den kleineren Differenzen sein. Diese Consequenzen der Theorie stimmen, nach Ausweis der Tab. VI, mit der Erfahrung.\nTab. VI.\nAnzahl richtiger Sch\u00e4tzungen in 30 Versuchen. t = 30\".\n\tm =\t180\t180\t180\t180\t180\t180\tSumme\n\ti =\t240\t225\t215\t200\t192\t188\t\nB.\tVH\t14\t15\t10\t11\t12\t13\t75\n\tT H\t14\t14\t11\t12\t7\t12\t70\n\ts\t28\t29\t21\t23\t19\t25\t145\nC.\tVH\t12\t13\t13\t12\t11\t11\t72\n\t2' H\t15\t15\t11\t10\t9\t11\t71\n\ts\t27\t28\t24\t22\t20\t22\t143","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nAlfred Lehmann.\nDie Tabelle ist durchaus \u00fcbereinstimmend mit Tab. I, indem m und l hier dieselben Werthe haben, wie n und l vorhin. Aon den Beobachtern ist B. derselbe, der an den Versuchen \u00fcber das einfache Wiedererkennen theilnahm. F\u00fcr jeden Beobachter sind auch hier drei Reihen Zahlen angegeben, von welchen die zwei ersten die Anzahl richtiger Sch\u00e4tzungen in resp. der ersten und der zweiten H\u00e4lfte der Versuche anzeigen, w\u00e4hrend s die Summe derselben ist. Halten wir uns vorl\u00e4ufig an die Summen, so zeigt es sich, dass die Zahlen hier nur wenig variiren; bei den zwei gr\u00f6\u00dften Differenzen [l \u2014 240 und l = 225) sind die Zahlen etwas gr\u00f6\u00dfer, als bei den \u00fcbrigen, und dieses l\u00e4sst sich auf die oben angef\u00fchrte Weise erkl\u00e4ren. Die \u00fcbrigen Differenzen sind mit ungef\u00e4hr derselben Sicherheit gesch\u00e4tzt, es tritt jedenfalls keine bestimmte Abnahme der Sicherheit mit abnehmender Differenz hervor. Und dass die verschiedenen Resultate, welche die zwei Tabellen aufweisen, sich nicht durch gr\u00f6\u00dfere Uebung erkl\u00e4ren lassen, die unleugbar die gr\u00f6\u00dferen Zahlen in Tab. VI k\u00f6nnte bewirkt haben, das geht daraus hervor, dass diese Versuche \u00fcber das Wiedererkennen durch Bestimmung im Herbst 1886 mit durchaus unge\u00fcbten Leuten angestellt wurden, w\u00e4hrend das einfache Wiedererkennen erst im Herbst 1887 mit Beobachtern untersucht wurde, die auf die ganze fr\u00fcher erworbene Uebung bauen konnten. Sofern die Uebung einen Einfluss ausge\u00fcbt hat, so muss diese also bewirkt haben, dass die Zahlen in der Tab. I zu gro\u00df geworden sind, so dass der Unterschied zwischen den zwei Arten des Wiedererkennens vielmehr verwischt als vergr\u00f6\u00dfert worden ist.\n2. Der Zeitraum zwischen dem letzten Auftreten einer Empfindung im Bewusstsein und dem Moment, wo das Wiedererkennen vor sich gehen soll. Wenn man einmal einen Namen an eine gewisse Empfindung gekn\u00fcpft hat, so wird eine solche Verbindung nur schwierig sich l\u00f6sen lassen. Viel ist nat\u00fcrlicher Weise davon abh\u00e4ngig, wie fest die Association gewordenist; einige Verbindungen k\u00f6nnen so fest sein, dass sie sich noch nach vielen Jahren geltend machen k\u00f6nnen, andere verlieren sich im Laufe der Jahre. Aber innerhalb kurzer Zeitr\u00e4ume kann die Zeit keinen Einfluss haben; ist die Verbindung erst gebildet, so meldet der Name sich, sobald die Empfindung auftaucht. Wir d\u00fcr-","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n145\nfen daher erwarten, dass die Sicherheit des Wiedererkennens bei unsem Versuchen keiner Ver\u00e4nderung in den kurzen Zeiten unterworfen ist, welche die Untersuchungen in Anspruch nehmen k\u00f6nnen. Dass diese Consequenz sich bew\u00e4hrt, geht aus der Tab. VII hervor.\nTab. VII.\nAnzahl richtiger Sch\u00e4tzungen in 30 Versuchen. m = 180, l = 215.\nt =\t\t15\"\t30\"\t60\"\t90\"\t120\"\tSumme\nK.\tr il\t13\t12\t13\t14\t12\t63\n\t2' H\t13\t11\t14\t13\t13\t65\n\ts\t26\t23\t27\t27\t25\t128\nL.\tVH\t11\t14\t12\t14\t12\t63\n\t2 'II\t12\t13\t11\t14\t13\t63\n\tS\t23\t27\t23\t28\t25\t126\nDa die Uebung, wie sp\u00e4ter unten er\u00f6rtert werden wird, keine gro\u00dfe Bedeutung hei diesen Versuchen haben kann, so sind hier fortw\u00e4hrend dieselben zwei Scheiben in allen Versuchsreihen angewandt worden. Die angewandten Zeiten variiren zwischen \u00a3=15 und \u00a3 = 120\". Von den beiden Beobachtern, K. und L., ist L. derselbe, der an den entsprechenden Versuchen \u00fcber das einfache Wiedererkennen Theil nahm. Die Tabelle gibt \u00fcbrigens, ebenso wie die fr\u00fcheren, die Anzahl richtiger Sch\u00e4tzungen in der ersten und zweiten H\u00e4lfte der Versuche in jeder Reihe und die Summe s dieser Zahlen an. Von einer Abnahme in der Sicherheit des Wie-dererkennens ist hier augenscheinlich keine Rede. Bei \u00a3=120 wird ebenso sicher gesch\u00e4tzt, wie hei \u00a3=15. Eine V ergleichung mit Tab. III l\u00e4sst den Unterschied zwischen den zwei Arten des Wiedererkennens deutlich hervortreten. W\u00e4hrend Tab. III regelm\u00e4\u00dfige Abnahme zeigt, hat Tab. VII nur ganz unregelm\u00e4\u00dfige Schwankungen, verursacht durch zuf\u00e4llige Umst\u00e4nde, unzureichende Aufmerksamkeit, unvollst\u00e4ndig compensirte Uebung u. dgl.\nUm einen noch unzweideutigeren Beweis davon zu geben, dass die Zeit keinen Einfluss bei diesen Versuchen aus\u00fcbt, so dass das Mitwirken der Erinnerungsbilder und besonders der centralen Nach-\nWundt, Philos. Studien. V.\t10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nAlfred Lehmann.\nbilder vollends ausgeschlossen ist, stellte ich eine ausf\u00fchrliche Reihe Versuche in der Weise an, dass zwischen die zwei Phasen eines Versuches ein ganz anderer eingeschohen wurde. Es seien l und m zwei zusammen geh\u00f6rende Scheiben, lx und mx zwei andere dergleichen. Der Gang des Versuches war nun der folgende: Erst wurden l und m zusammen gezeigt. Darauf wurden l\\ und mx etwa 20\" sp\u00e4ter zusammen gezeigt. Nach 30\" kamen nun lx oder mx hervor zum Wiedererkennen, und damit war also der eingeschobene Versuch beendigt. Nach Verlauf von im Ganzen 120\", seit l und m gezeigt worden waren, kam l oder m hervor zum Wiedererkennen. Hier ist also ein Versuch mit t = 30\" zwischen die Betrachtung und das Wiedererkennen in einem andern Versuch mit ^ = 120\" eingeschoben. Wenn das Wiedererkennen in diesen Versuchen auf Erinnerungsbildern der Empfindungen selbst beruhte, so h\u00e4tte man erwarten m\u00fcssen, dass diese so gut wie g\u00e4nzlich dadurch verwischt w\u00e4ren, dass die Aufmerksamkeit 120\" hindurch auf ganz andere Empfindungen \\lx und mx) gelenkt worden war, und folglich m\u00fcsste das Wiedererkennen au\u00dferordentlich unsicher sein. Die Erfahrung lehrt indessen, dass das Wiedererkennen beinahe ebenso sicher bei #=120\" mit eingeschobenen Versuchen, wie bei # = 30\" vor sich geht. Dieses erhellt aus Tab. VIII.\nTab. VIII.\nAnzahl richtiger Sch\u00e4tzungen in 40 Versuchen.\n\tt = 30\"\t\t\t\t\t\t#= 120\"\t\t\t\t\t\n\tm =\t225\t180\t215\t180\tS\t225\t180\t215\t180\tS,\t\u2022s+sx\n\ti=\t270\t215\t240\t210\t\t270\t215\t240\t210\t\t\nB.\tl'a\t16\t17\t17\t18\t68\t14\t17\t16\t13\t60\t128\n\t2 'H\t20\t19\t15\t20\t74\t19\t17\t18\t18\t72\t146\n\ts\t36\t36\t32\t38\t142\t33\t34\t34\t31\t132\t274\nC.\tr h\t18\t18\t19\t18\t73\t18\t13\t17\t15\t63\t136\n\t2 'S\t20\t17\t18\t20\t75\t20\t19\t20\t16\t75\t150\n\ts\t38\t35\t37\t38\t148\t38\t32\t37\t31\t138\t286\nL.\tV II\t19\t13\t\t\t32\t17\t16\t\t\t33\t65\n\t2' II\t20\t17\t\t\t37\t20\t18\t\t\t38\t75\n\ts\t39\t30\t\t\t69\t37\t34\t\t\t71\t140","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n147\nIn jeder Versuchsreihe sind hier mit jedem Beobachter 40 Versuche angestellt. Die Tabelle zerf\u00e4llt in zwei Hauptgruppen, t = 30\" und t\u2014 120\". In jeder dieser Gruppen sind dieselben Werthe von l und m angewandt, aber nat\u00fcrlicher Weise so, dass in den eingeschalteten Versuchen (\u00a3 = 30\") niemals dieselben Werthe wie in der Hauptreihe (\u00a3 = 120\") angewandt wurden. Wenn also f\u00fcr \u00a3 = 120'\nZ- B. 1= 270, m \u2014 225 genommen wurde, so wurden in dem eingeschalteten Versuche mit \u00a3=30\" alle andern Werthe f\u00fcr l und m, au\u00dfer dem eben genannten gebraucht. Die Tabelle gibt \u00fcbrigens, ebenso wie die vorhergehenden, drei Reihen Zahlen f\u00fcr jeden Beobachter, n\u00e4mlich die richtigen Sch\u00e4tzungen in der ersten und zweiten H\u00e4lfte der Versuche, und die Summe s dieser Zahlen. In den Columnen S und &\\ finden sich die Summen der richtigen Sch\u00e4tzungen f\u00fcr jeden Beobachter, beziehungsweise in der Gruppe \u00a3 = 30 und \u00a3= 120\", und in der Columne S -f- <Sj findet sich wieder die Summe dieser Zahlen. Fassen wir nun erst die Hauptsummen in den zwei Columnen S und <Sj ins Auge, so zeigt es sich, dass diese nur wenig von einander ab weichen. W\u00e4hrend B. f\u00fcr \u00a3 = 30 (m 160 Versuchen) 142 richtige Sch\u00e4tzungen hat, hat er f\u00fcr \u00a3=120\" deren 132; C. zeigt 148 gegen 138. Aber L. hat merkw\u00fcrdiger Weise mehr richtige (71) bei \u00a3=120\" als bei \u00a3=30\", wo er nur 69 hat. Hieraus darf man gewiss den Schluss ziehen, dass die kleinen Abweichungen zwischen den Resultaten in den zwei Gruppen zun\u00e4chst Zuf\u00e4lligkeiten sind, und es l\u00e4sst sich jedenfalls keine starke oder constante Abnahme der Sicherheit des Wiedererkennens mit der verlaufenden Zeit darthun. Dieses stimmt so sch\u00f6n wie m\u00f6glich mit der Theorie, und scheint anzudeuten, dass das Wiedererkennen unter diesen Verh\u00e4ltnissen nicht auf Erinnerungsbilder basirt ist. Und hierin ist nichts befremdendes. Es wurde weiter oben erw\u00e4hnt, dass es eine noth wendige Bedingung daf\u00fcr, dass ein Erinnerungsbild sich klar erhalten solle, sei, dass alle st\u00f6renden Einwirkungen ausgeschlossen w\u00fcrden, und dieses muss nat\u00fcrlicher Weise seine Geltung haben, ob man annimmt, dass die Erinnerungsbilder in kurzer Zeit durch centrale Nachbilder verst\u00e4rkt werden oder nicht. In voller Uebereinstimmung hiermit finden wir nun, dass die Erinnerungsbilder mehrerer gleichzeitiger Empfindungen nicht das Wiedererkennen der einzelnen Empfindungen st\u00fctzen k\u00f6nnen. Denn\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nAlfred Lehmann.\nindem die Erinnerungsbilder (und unsre hypothetischen centralen Nachbilder) nach Verlauf kurzer Zeit verwischt werden, wird es unm\u00f6glich, durch Concentration der Aufmerksamkeit ein einzelnes derselben klar hervortreten zu lassen, sie laufen zusammen und k\u00f6nnen nicht isolirt werden. Eine Empfindung muss also allein im Bewusstsein gewesen, und alle st\u00f6renden Einwirkungen m\u00fcssen ausgeschlossen gewesen sein, damit das Erinnerungsbild derselben nach einiger Zeit so klar soll hervortreten k\u00f6nnen, dass ein Wiedererkennen dadurch m\u00f6glich w\u00fcrd. Widrigenfalls kann die Empfindung nur durch Associationen, also durch Bestimmung, wiedererkannt werden.\nDer Aehnlichkeitshypothese wird eine Erkl\u00e4rung dieser Versuchsresultate wahrscheinlich sehr schwer fallen; mir ist es wenigstens unm\u00f6glich einzusehen, wie dieselbe sollte vermeiden k\u00f6nnen, sich in Selbstwiderspr\u00fcche zu verwickeln. Bei den Versuchen \u00fcber das einfache Wiedererkennen wurde man, um mit der Erfahrung nicht in Streit zu gerathen, zu der Annahme gen\u00f6thigt, dass die Sicherheit, mit der eine Empfindung A die fr\u00fcheren Empfindungen derselben Art (\u00ab1+02+________) reproducirt, in gewissem Grade von der lau-\nfenden Zeit abh\u00e4ngig sei. Im Anf\u00e4nge muss sie schnell sinken, um darauf, nachdem sie ein gewisses Minimum erreicht hat, sich auf diesem mit fast ungeschw\u00e4chter St\u00e4rke zu erhalten. Bei den hier erw\u00e4hnten Versuchen lehrt die Erfahrung, dass die Zeit keinen Einfluss auf die Sicherheit des Wiedererkennens hat, was, der Aehnlichkeitshypothese gegen\u00fcber, mit andern Worten sagen will, dass die Reproduction von \u00abi + ai + \u2022 \u2022 \u2022 \u2022 nicht an Sicherheit mit der laufenden Zeit verliert. Ganz gewiss sind die Verh\u00e4ltnisse in den zwei F\u00e4llen etwas verschieden; vorher wurde nur eine, jetzt wurden gleichzeitig zwei Scheiben vor jedem Versuch gezeigt, es ist aber nicht leicht einzusehen, wie das gleichzeitige Dasein von zwei Empfindungen bewirken kann, dass die Spuren derselben nicht eben so wohl mit der Zeit sollten verwischt werden, wie wrenn nur eine Empfindung gegeben ist. Dass das Wiedererkennen im Ganzen sicherer werden muss, l\u00e4sst sich leicht dadurch erkl\u00e4ren, dass die zwei Empfindungen jetzt gleich h\u00e4ufig und gleichzeitig Vorkommen, wodurch ihre Unterschiede sich leichter dem Bewusstsein einpr\u00e4gen. A wird daher schwieriger bx + b2 +----, B schwieriger ax + \u00ab2 + \u2014","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Deber Wiedererkennen.\n149\nreproduciren k\u00f6nnen, und eine Verwechselung wird demnach nicht so leicht stattfinden. Aber es kommt, so weit ich sehen kann, durchaus kein Moment in der Hypothese vor, wodurch es sich erkl\u00e4ren lie\u00dfe, dass die Sicherheit des Wiedererkennens nicht eben so gut hei der einen, wie hei der andern Versuchsanordnung mit der Zeit abnehmen muss.\n3. Individuelle Anlagen und Uehung. Es ist oben erw\u00e4hnt, dass es gro\u00dfe individuelle Verschiedenheiten gibt mit R\u00fccksicht auf die Sicherheit, mit der Vorstellungen derselben Art von verschiedenen Menschen erinnert werden. Man k\u00f6nnte leicht hieraus zu schlie\u00dfen geneigt sein, dass hei den hier vorliegenden Versuchen \u00e4hnliche individuelle Differenzen, wie bei den fr\u00fcheren sich zeigen m\u00fcssten. Wir haben es ja hier mit reproducirten Vorstellungen, Namen, zu thun, und eben gegen\u00fcber der Erinnerung von Namen macht die Individualit\u00e4t sich geltend. Ein solcher Schluss d\u00fcrfte aber doch voreilig sein, weil die Verh\u00e4ltnisse bei der angewandten Versuchsanordnung so ganz au\u00dferordentlich einfach sind. Es handelt sich hier nicht darum, eine Reihe von Namen in Verbindung zu setzen mit einer Reihe Empfindungen, zu denen sie nicht in irgend einem n\u00e4heren Verh\u00e4ltniss stehen, so wie es der Fall ist bei dem Studium der Botanik, Zoologie, Chemie und \u00e4hnlicher F\u00e4cher, wo an die Vorstellung von einer gewissen Pflanze, einem bestimmten Thier oder Stoff, ein ganz willk\u00fcrliches Lautbild, der Artname, gekn\u00fcpft werden soll. Solchen Verh\u00e4ltnissen gegen\u00fcber zeigen die verschiedenen Menschen sehr gro\u00dfe Differenzen, sowohl mit R\u00fccksicht auf die Schnelligkeit, mit welcher die Associationen sich bilden, als mit R\u00fccksicht auf die Festigkeit, welche die Verbindung annimmt. Aber bei unsem Versuchen hat es sich fortw\u00e4hrend nur um zwei Empfindungen gehandelt, f\u00fcr deren Unterschiede die t\u00e4gliche Sprache ganz bestimmte Bezeichnungen hat. Unter solchen Verh\u00e4ltnissen muss ein jeder normale Mensch im Stande sein, eine feste Association zwischen den Empfindungen und den resp. Namen derselben zu Wege zu bringen, und weder individuelle Anlagen, Entwickelung, noch Uebung kann einen wesentlichen Einfluss darauf haben. Dass diese Betrachtung richtig ist, erhellt deutlich aus Tab. VI\u2014VIII. Fassen wir erst die individuellen Unterschiede ins Auge, die in den Hauptsummen aller richtigen Sch\u00e4tzungen an den Tag","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nAlfred Lehmann.\ntreten sollten, so sind die Differenzen zwischen diesen g\u00e4nzlich verschwindend. In Tab. VI finden wir f\u00fcr B. und C. beziehungsweise 145 und 143 richtige Sch\u00e4tzungen; in Tab. VIII zeigen dieselben Beobachter beziehungsweise 274 und 286 richtige Sch\u00e4tzungen. Das Verh\u00e4ltniss ist also variabel, bald ist B., bald C. der sicherste. Besonders interessant ist ein Vergleich zwischen B. und L., weil sich f\u00fcr diese zwei hei dem einfachen Wiedererkennen, in Ueberein-stimmung mit der Theorie, ein ausgepr\u00e4gter Unterschied ergab, indem B. (vergl. Tab. IV) in 501 Versuchen nur 107 falsche Sch\u00e4tzungen hatte, w\u00e4hrend L. in derselben Versuchsreihe 165 hatte. Aus Tab. VIII geht nun hervor, dass durchaus kein Unterschied zwischen diesen beiden Beobachtern ist. L. hat zwar nur halb so viele V ersuche, als B.. aber wenn man die richtigen Sch\u00e4tzungen f\u00fcr B. in den Versuchen, woran L. betheiligt war, zusammenz\u00e4hlt, so findet man f\u00fcr B. 139, f\u00fcr L. 140. Hier stehen sie also vollst\u00e4ndig gleich. Dasselbe ist auch der Fall mit L. und K. nach Iah. VII. Individuelle Differenzen scheinen sich also bei diesen Versuchen nicht bemerkbar zu machen.\nAehnlich ist es mit der Uebung. In Tab. VI und VII findet sich unter der Ueberschrift \u00bbSumme\u00ab die gesammte Zahl der richtigen Sch\u00e4tzungen in der ersten und zweiten H\u00e4lfte der Veisuche, und der Unterschied zwischen diesen Zahlen ist augenscheinlich ein g\u00e4nzlich verschwindender. Ja Tab. VI zeigt sogar constant h\u00f6here Zahlen in der ersten, als in der zweiten H\u00e4lfte. Von einer M\u00fcdigkeit oder Schlaffheit kann hier nicht die Hede sein, da jede einzelne Reihe von 30 Versuchen \u00fcber 3 verschiedene Tage vertheilt gewesen ist; vielmehr bin ich geneigt anzunehmen, dass die Leichtigkeit, womit das Wiedererkennen vor sich ging, die Beobachter etwas \u00fcberm\u00fcthig gemacht haben kann, so dass sie am Schl\u00fcsse den Versuchen nicht dieselbe Aufmerksamkeit, wie am Anf\u00e4nge geschenkt haben. Dieses scheint damit zu stimmen, dass dieselben zwei Beobachter unter den schwierigeren Verh\u00e4ltnissen mit eingeschalteten Versuchen (vergl. Tab. VIII) einen, wenn auch gelingen, doch con-stanten Fortschritt durch Uebung zeigen. Hier hat das Wiederer-kennen fortw\u00e4hrend volle Aufmerksamkeit erfordert, und es ist daher keine Veranlassung da gewesen, die Sache oberfl\u00e4chlich zu nehmen.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n151\nUm den Unterschied zwischen der Bedeutung der individuellen Anlagen und der Uebung in den zwei verschiedenen Wiedererkennungsarten deutlich hervorzuheben, habe ich die Resultate der s\u00e4mmt-lichen Versuche in der Tab. IX zusammengestellt.\nTab. IX.\n\t\teinfaches Wiedererkennen.\t\t\tWiedererk. durch Bestimm.\t\t\n\t\tA\tr\t% r\tA\tr\t& r\nB.\tVH\t255\t183\t71,6\t250\t203\t81,2\n\t2 ' H\t255\t218\t85,5\t250\t216\t86,4\nL.\tV H\t255\t160\t62,7\t155\t128\t82,6\n\t2' H\t255\t185\t72,6\t155\t138\t89,0\nC.\tVH\t\t\t\t250\t208\t83,2\n\t2 \u2019 H\t\t\t\t250\t221\t88,4\nK.\tV H\t\t\t\t75\t63\t84,0\n\t2 ' H\t\t\t\t75\t65\t86,7\nDie Tabelle zerf\u00e4llt in zwei Hauptabtheilungen : das einfache Wiedererkennen und Wieder erkennen durch Bestimmung. In jeder Abtheilung ist unter A die Versuchsanzahl in beziehungsweise der ersten und zweiten H\u00e4lfte der Versuche f\u00fcr jeden Beobachter angegeben. Unter r findet sich die Anzahl richtiger Sch\u00e4tzungen, welche zur Vergleichung procentisch in der Columne % r angegeben ist. Betrachtet man nun erst das Wiedererkennen durch Bestimmung, so zeigt es sich, dass alle Beobachter, ungeachtet der h\u00f6chst verschiedenen Anzahl der Versuche, an denen sie Theil genommen haben, beinahe gleich sch\u00e4tzen, und die Uebung hat f\u00fcr sie alle ungef\u00e4hr denselben Einfluss gehabt, einen geringen Fortschritt in der Sicherheit. Es verdient bemerkt zu werden, dass B. und C., die an denselben Versuchen Theil genommen haben, auch genau denselben Fortschritt durch die Uebung, n\u00e4mlich 5,2#, ausweisen. Ganz anders ist das Verh\u00e4ltniss bei dem einfachen Wiedererkennen. Die Versuche hier\u00fcber sind zwar nur mit 2 Beobachtern ausgef\u00fchrt, aber die Resultate derselben sind auch hinreichend, um einen sehr gro\u00dfen individuellen Unterschied festzustellen so wie einen verh\u00e4lt-","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nAlfred Lehmann.\nnissm\u00e4\u00dfig bedeutenden Einfluss der Uebung. B. erreicht einen Fortschritt von 71,6 ^ zu 85,5^, also 13,9^\u201d, w\u00e4hrend er bei den andern Versuchen nur 5,2 % gewinnt. F\u00fcr L. stellt sich das Verh\u00e4ltnis zwar nicht so g\u00fcnstig, indem er nur 9,9^ gegen 6,4 % gewinnt, aber auch hier f\u00e4llt der Unterschied in die Augen.\nIV. Resultate und Folgerungen aus denselben.\nWir wollen, ehe wir weiter schreiten, einen R\u00fcckblick auf unsre obigen Untersuchungen werfen, um zu sehen, wie weit diese uns gef\u00fchrt haben.\nEs wurde durch eine kritische Betrachtung der Aehnlichkeits-hypothese gezeigt, dass diese, wenn man consequent festh\u00e4lt, was in derselben liegt, zur Erkl\u00e4rung der Associationsph\u00e4nomene durchaus \u00fcberfl\u00fcssig ist. Sie erh\u00e4lt nur eine Bedeutung, wenn man die Vorstellungen als unverg\u00e4ngliche Gr\u00f6\u00dfen auffassen will, die auf ganz \u00e4u\u00dfere Art sich an einander heften, im Bewusstsein steigen und sinken. Wenn man dagegen festh\u00e4lt, dass die Vorstellungen Zust\u00e4nde sind, so f\u00fchrt die Annahme einer reinen Aehnlichkeitsasso-ciation mit Nothwendigkeit zu ganz absurden Ansichten \u00fcber die Vorstellungen und die Vorstellungsverbindungen. Daraus folgt, dass die Aehnlichkeitshypothese nur berechtigt ist, insofern dieselbe unumg\u00e4nglich nothwendig ist zur Erkl\u00e4rung irgend eines Ph\u00e4nome-nes, das ohne dieselbe durchaus nicht verst\u00e4ndlich w\u00e4re. Ein solches Ph\u00e4nomen schien im Wiedererkennen einfacher Empfindungen vorzuliegen , die sich anscheinend sehr leicht nach der Aehnlichkeitshypothese erkl\u00e4ren lassen. Vom Standpunkte der Ber\u00fchrungstheorie aus konnte man sich dagegen ein solches Wiedererkennen nur unter zwei Voraussetzungen m\u00f6glich denken, n\u00e4mlich entweder in so fern von einer fr\u00fcheren Empfindung ein Erinnerungsbild best\u00e4nde, mit welchem die sp\u00e4ter auftretende Empfindung sich vergleichen lie\u00dfe, oder insofern sich an die Sinnesempfindung associativ ein Name, eine Bestimmung gekn\u00fcpft h\u00e4tte, welche hei dem nachherigen Auftauchen der Empfindung reproducirt werden k\u00f6nnte. Es musste daher zum Gegenstand einer experimentellen Pr\u00fcfung gemacht werden, ob die Consequenzen, die sich aus diesen theoretischen Behauptungen ziehen lie\u00dfen, wirklich mit den factischen Verh\u00e4ltnissen im Einklang st\u00e4nden.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkennen.\n153\nVon der Annahme eines Wiedererkennens mittelst eines Erinnerungsbildes ausgehend, musste man erwarten, dass sowohl die Differenz wie die Anzahl der Empfindungen, unter denen eine einzelne wiedererkannt werden sollte, Einfluss auf die Sicherheit des Wiedererkennens haben m\u00fcsse, so zwar, dass diese desto geringer w\u00fcrde, je kleiner die Differenz, und je gr\u00f6\u00dfer die Anzahl der Empfindungen w\u00fcrde. Ferner m\u00fcsste der Zeitraum zwischen dem letzten Auftreten im Bewusstsein und dem Moment, da dieselbe wiedererkannt werden solle, von Bedeutung sein, so dass die Sicherheit des Wiedererkennens desto geringer w\u00fcrde, je l\u00e4nger der Zeitraum w\u00e4re. Demn\u00e4chst m\u00fcssten auch die pers\u00f6nliche Entwickelung und Uebung bewirken, dass ein gro\u00dfer Unterschied des Wiedererkennens hei verschiedenen Individuen, und bei demselben Individuum zu verschiedenen Uehungsstadien vorhanden sei. Alle diese theoretischen Erwartungen wurden von der Erfahrung best\u00e4tigt, so dass die Ber\u00fchrungstheorie sich vollkommen im Stande erwies, den Forderungen zu gen\u00fcgen, die an eine wissenschaftliche Theorie gestellt werden m\u00fcssen. Zudem ergaben die Versuche, dass \u00fcber eine Zeitdauer von ca. 60 hinaus kein Erinnerungsbild so deutlich bestehen kann, dass ein einigerma\u00dfen sicheres Wiedererkennen darauf gebaut werden kann.\nVon der Annahme eines Wiedererkennens durch Bestimmung ausgehend, musste man erwarten, dass unter allgemeinen Verh\u00e4ltnissen in der. Erinnerung mit voller Sicherheit sich nur zwischen den Gliedern einer f\u00fcnftheiligen Scala von Lichtempfindungen unterscheiden lasse, und schon in einer neuntheiligen Scala m\u00fcsse die Sicherheit bis gegen\trichtiger Sch\u00e4tzungen sinken. Wenn es\nsich dagegen nur darum handelte, zwischen zwei bestimmten Empfindungen zu sondern, stand es zu erwarten, dass weder die Differenz zwischen diesen, die laufende Zeit, pers\u00f6nliche Anlagen, noch Uebung von irgend einem wesentlichen Einfluss auf die Sicherheit des Wiedererkennens seien. Diese theoretischen Erwartungen erwiesen sich gleichfalls durch die Versuchsresultate best\u00e4tigt. \u2014 Mehr als die beiden genannten Formen des Wiedererkennens scheinen thats\u00e4chlich nicht vorzukommen, indem jedes wirklich stattfindende Wiedererkennen zu einer der beiden Formen zu rechnen sein muss.\nDa die Ber\u00fchrungstheorie somit durchweg im Stande ist, die Wiedererkennungsph\u00e4nomene zu erkl\u00e4ren, w\u00e4hrend die Aehnlich-","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nAlfred Lehmann.\nkeitshypothese nicht allein diese nicht zu erkl\u00e4ren vermag, sondern sogar an einzelnen Punkten mit der Erfahrung in Streit kommt, so hat die Aehnlichkeitshypothese damit jede \u25a0wissenschaftliche Berechtigung eingeb\u00fc\u00dft. Die n\u00e4chste Consequenz hievon ist, dass der Aehnlichkeitsassociation nur eine rein formelle Bedeutung zugelegt werden kann. Aus praktischen R\u00fccksichten wird man wohl die Eintheilung in innere (Aehnlichkeits-) und \u00e4u\u00dfere (Ber\u00fchrungs-) Associationen bewahren, wie W undt es gethan hat, es muss aber alsdann bestimmt festgehalten werden, dass die Aehnlichkeits-verbindungen nur Associationsformen sind. Wundt hat strenge genommen dieses nur angedeutet, indem er sagt : \u00bbEs l\u00e4sst sich daher die \u00e4u\u00dfere Association ebenso als eine Vorstufe der inneren betrachten, wie diese letztere ihrerseits die apperceptiven Verbindungen vorbereitet\u00ab.1) Meines Wissens hat in der neueren Zeit nur Kroman festgehalten: \u00bbAehnlichkeit kann niemals Associationsursache sein, und es wird daher eine Aufgabe f\u00fcr die AVissenschaft sein, \u00fcberall, wo eine formelle Aehnlichkeitsverbindung von besonderem Interesse vorkommt, zu zeigen, wie dieselbe urspr\u00fcnglich durch Ber\u00fchrung gebildet ist\u00ab.2)\nEine andere und sicherlich die wesentlichste Consequenz unseres Resultates ist die, dass man sich nun eine cons\u00e9quente und durchgef\u00fchrte Ansicht der eigentlichen Natur der Association bilden kann. In seinem bekannten Werke: \u00bbDer philosophische Kriticismus\u00ab hat Riehl klar er\u00f6rtert, dass die Aehnlichkeitsassociation dem Anschein nach gegen die ganze moderne Auffassung des Verh\u00e4ltnisses zwischen Geist und K\u00f6rper, die monistische 'Iheorie, streitet. Er sagt hier\u00fcber: \u00bbEine Anomalie zu dem Gesetz der Correspondenz des Innern und Aeu\u00dfern in dem eben er\u00f6rterten Sinne liegt in der Thatsache vor, dass sich die psychischen Erscheinungen nicht blo\u00df nach Gleichzeitigkeit und Folge, sondern auch nach innerer Verwandtschaft oder Aehnlichkeit verbinden. W\u00e4hrend wir ohne Schwierigkeit f\u00fcr die \u00e4u\u00dfere Association derselben in allgemeinen Eigenschaften des Mechanismus der nerv\u00f6sen Substanz die entsprechenden objectiven That-sachen nachweisen k\u00f6nnen, sofern dieser Mechanismus \u00fcberall zur Zusammenordnung der Bewegung und deren Ein\u00fcbung durch Wie-\n1)\tPhysiologische Psychologie II. S. 305.\n2)\tKroman: T\u00e4nke- og Sj\u00e4lel\u00e4re, Kopenh. 1882. S. 100.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Wiedererkenneii.\n155\nderliolung f\u00fchrt, ist f\u00fcr die Association durch innere Verwandtschaft an eine mechanische Repr\u00e4sentation nicht zu denken\u00ab.1) Riehl nennt daher die Aehnlichkeitsverbindungen psychische Associationen im Gegensatz zu den Ber\u00fchrungsverbindungen, die physiologisch erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen. Und um \u00fcber die besagte Anomalie hinweg zu kommen, nimmt er seine Zuflucht zur \u00bb Einheitsfunction des Bewusstseins\u00ab. Von dieser soll die psychische Association eine Wirkung sein.2) Meines Erachtens ist diese Erkl\u00e4rung nicht sehr befriedigend, weil sie in der That zu weit ist; sie umfasst ebenso gut die Ber\u00fchrungs- wie die Aehnlichkeitsassociation. Wenn nir nicht so viel von der Natur des Nervensystems w\u00fcssten, dass wir im Stande w\u00e4ren die Ber\u00fchrungsverbindungen physiologisch zu erkl\u00e4ren, so w\u00fcrde offenbar nichts uns hindern, auch dieselben zu der Emheits-function des Bewusstseins zu rechnen. Alle Verbindung zwischen Vorstellungen kann doch in letzter Instanz als Resultat einer zusammenkn\u00fcpfenden Wirksamkeit aufgefasst werden, und es scheint mir daher eine h\u00f6chst bedenkliche Sache, zwei so verwandte \u00ef h\u00e4-nomene, wie die inneren und \u00e4u\u00dferen Associationen, von einander zu trennen und f\u00fcr jede von ihnen ganz verschiedene Erkl\u00e4rungen zu geben. Wenn das eine Ph\u00e4nomen eine Wirkung des Einheitsstrebens des Bewusstseins ist, weshalb ist denn das andere nicht auch eine solche Wirkung? Und wenn man eine physiologische Erkl\u00e4rung f\u00fcr das eine fordert, so scheint eine solche mit Billigkeit auch f\u00fcr das andere gefordert werden zu k\u00f6nnen. Es ist indessen, wie Riehl deutlich eingesehen hat, unm\u00f6glich, die physiologische Erkl\u00e4rung durchzuf\u00fchren, und deshalb nimmt er seine Zuflucht zu der Einheitsfunction, die ungl\u00fccklicher Weise nur den Uebelstand darbietet, so weit zu sein, dass sie alles erkl\u00e4ren kann, womit man auf keine andere Weise fertig werden kann. Es muss daher gewiss auch in theoretischer Beziehung als ein Fortschritt betrachtet werden, dass man die Aehnlichkeitsassociationen als Formen betrachten kann, deren Ursache in der Ber\u00fchrung zu suchen ist. Dadurch wird eine physiologische Erkl\u00e4rung der Associationsph\u00e4nomene consequent durchf\u00fchrbar.\nWie eine solche Erkl\u00e4rung sich auf bekannte Facta hauen lasst,\n1)\tII. Bd. 2 S. 214.\n2)\tSiehe n\u00e4here\u00e4 hier\u00fcber am angef\u00fchrten Ort S. 215.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nAlfred Lehmann. Ueber Wiedererkennen.\nhat Wundt schon nachgewiesen. ') Gleichwie eine fortw\u00e4hrende Verbindung eines Sinnesreizes und einer Muskelbewegung allm\u00e4hlich bewirkt, dass die Nervenleitung und der Muskel in ihrem inneren Bau sich so ver\u00e4ndern, dass die Bewegung sich erleichtert, und zuletzt durchaus mechanisch vor sich geht, so darf man auch annehmen, dass gleichzeitige Bewegungen im Sensorium gewisse bleibende Ver\u00e4nderungen herbeif\u00fchren. Man kann sich, wie weiter oben erw\u00e4hnt, denken, dass diese Ver\u00e4nderungen aus einer Labilit\u00e4t, einem ver\u00e4nderlichen Gleichgewichtszustand in dem betreffenden Centrum besteht, welches bewirkt, dass eine der fr\u00fcheren Bewegungen nicht aufs Neue entstehen kann, ohne dass eine oder mehrere andere auch eintreten, gerade wie eine der untersten Kugeln in einer Kugelpyramide nicht herausgezogen werden kann, ohne dass mehrere oder vielleicht alle anderen sich in bestimmte Bewegungen setzen. Durch eine solche Betrachtung entgeht man der gewiss nicht ungew\u00f6hnlichen, aber ungeschickten Auffassung, dass jede Vorstellung an einen bestimmten Nervenfaden oder Ganglion gebunden ist, und dass die Association darauf beruht, dass neue F\u00e4den oder Ganglien mit einander in leitende Verbindung treten. Ansichten dieser Art sind gar zu anschaulich, als dass man sie als mit der Wirklichkeit \u00fcbereinstimmend betrachten darf. Gr\u00f6\u00dfere Wahrscheinlichkeit d\u00fcrfte die Auffassung haben, zufolge welcher jede Vorstellung an eine bestimmte chemisch-elektrische Bewegung in irgend einem Centrum gekn\u00fcpft ist. Und eine Association zwischen den Vorstellungen findet alsdann statt, wenn zwei oder mehrere Vorstellungen durch ihr gleichzeitiges oder successives Auftreten im Bewusstsein eine solche Labilit\u00e4t in den betreffenden Centren hervorgerufen haben, dass die eine Bewegung nicht entstehen kann ohne die andern mit sich zu f\u00fchren, insofern diese nicht durch andere gleichzeitige Einwirkungen gehemmt werden.\nWeiter als zu dergleichen unsicheren Andeutungen darf man sich bei dem gegenw\u00e4rtigen Standpunkt der Gehirnphysiologie kaum wagen.\n1) Physiol. Psychol. IL S. 204.","page":156}],"identifier":"lit4158","issued":"1889","language":"de","pages":"96-156","startpages":"96","title":"Ueber Wiedererkennen","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:04:19.678696+00:00"}