Open Access
{"created":"2022-01-31T14:19:28.938974+00:00","id":"lit4173","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Leumann, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 5: 618-631","fulltext":[{"file":"p0618.txt","language":"de","ocr_de":"Die Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltniss zu Blutumlauf und Athmung.\nVon\nProf. Dr. Ernst Lenmann\nin Stra\u00dfburg i. E.\nMit 1 Holzschnitt.\nMit diesem Titel erlaubt sich ein Laie die Aufmerksamkeit der Forscher auf ein Beziehungsgebiet zu lenken, welches anscheinend mit Unrecht in den psychometrischen Arbeiten bisher vollst\u00e4ndig vernachl\u00e4ssigt worden ist. Die Missachtung des angedeuteten Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnisses ist um so auffallender, als schon die blo\u00dfe Beobachtung der Temperamente und Altersstufen dasselbe l\u00e4ngst als etwas Unzweifelhaftes und geradezu Selbstverst\u00e4ndliches hat bemerken lassen. Der physiologischen Psychologie liegt es aber noch ob, die allgemeine und wenig pr\u00e4cisirte Einsicht zu einer systematischen und die Causalit\u00e4t der Erscheinungen ermittelnden Erkenntnis zu erheben, vorab also den Umfang und die Grenzen des Einflusses festzustellen, den die fortw\u00e4hrende Besp\u00fclung und Erneuerung des Gehirns durch das Blut und die periodische Reinigung des letzteren seitens der Lungen sowie der durch die Athmung erfolgende Druck auf das Gehirn auf die Th\u00e4tigkeit dieses Organs aus\u00fcbt.\nVon vornherein ist klar, dass nach beiden Richtungen hin der Einfluss einerseits chemischer, anderseits physikalischer oder mechanischer Art sein kann. W\u00e4hrend der erstere im allgemeinen schwerer zu ergr\u00fcnden sein wird und auf alle F\u00e4lle in der naturwissenschaftlichen Psychologie neben der etwas einseitig be-","page":618},{"file":"p0619.txt","language":"de","ocr_de":"Die Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltnis zu Blutumlauf und Athmung. 619\ntonten Physiologie der Nerven die vollwerthige Beiziehung derjenigen des Blutes erheischt), sind die mechanischen Folgen des Blutkreislaufs und der Athmungsth\u00e4tigkeit leichter wahrzunehmen.\n^Vas zun\u00e4chst die Puls- und Athmungs - Schwankungen innerhalb desselben Individuums anbetrifft, so ist bekannt, dass nach andauernd schnellem Laufen, wenn es etwa dazu kommt, dass die Schl\u00e4fe pochen und die Brust sich lebhaft hebt und senkt, die fh\u00e4tigkeit des Sprechens wie des Vorstellens in hastiger und stockender Weise vor sich geht. Derselbe Erfolg tritt ein bei sonstigen Ueberanstrengungen der Muskeln, z. B. wenn beim Schwimmen das Ufer kaum erreicht wird, und ferner namentlich auch bei denjenigen Gleichgewichtsst\u00f6rungen des Gem\u00fcths, die wir als Affecte bezeichnen1). Im Weiteren mag ferner hier auch noch an den st\u00fcrmischen Verlauf der Vorstellungen bei Fieberphantasien erinnert werden. Umgekehrt zeigt sich bei N\u00fcchternheit und Schl\u00e4frigkeit eine Erm\u00e4\u00dfigung der Pulsfrequenz und der in der Regel genau um das Vierfache geringeren Athmungsh\u00e4ufigkeit ; dass gleichzeitig damit auch die psychischen Vorg\u00e4nge sich verlangsamen, wird einerseits durch die Bedeutungsentwicklung des Wortes \u00bbn\u00fcchtern\u00ab angedeutet, insofern als die der N\u00fcchternheit fremde Theil-nahme an der Umgebung stets eine gewisse Lebhaftigkeit der Empfindung voraussetzt; anderseits muss man wohl auch, so lange es noch nicht m\u00f6glich geworden sein wird, die Schnelligkeit in der Aufeinanderfolge der Traumbilder zu messen, annehmen, dass dieselben in eben dem Ma\u00dfe sich langsamer einstellen als die Vorstellungen des wachen Tr\u00e4umers, wie Puls und Athem im Schlaf ihre Intervalle verz\u00f6gern.\nIn derselben Weise d\u00fcrfen nun auch Puls- und Athem-Diffe-renzen zwischen verschiedenen Personen nicht \u00fcbersehen werden, ja sie verdienen ebenso wie die zeitlichen Schwankungen beim Individuum besonders dann eine sorgf\u00e4ltige Beachtung, wenn es\n1) An einem Mittag vor Tisch stieg bei G. L. (s. weiter unten) im Verlauf von f\u00fcnf Minuten bei einem Anfangspuls von 80\u201481, als die in der Zeitung gelesenen Einzelheiten \u00fcber den Mord des Decans F\u00f6rderer in der Erinnerung wieder auftauchten, der Puls sofort auf 86 und erm\u00e4\u00dfigte sich, als die aufregenden Vorstellungen absichtlich ferngehalten wurden, wieder auf 82.","page":619},{"file":"p0620.txt","language":"de","ocr_de":"620\nErnst Leumann.\nsich um die statistische Feststellung der Dauer irgend eines psychischen Vorganges handelt. Oder meint man durch noch so genaue ZeitmessungsVorrichtungen, die sogar den tausendsten Theil einer Secunde der Wahrnehmung erschlie\u00dfen, irgend ein zufriedenstellendes Ergehniss ermitteln zu k\u00f6nnen, wenn man dabei die Mitwirkung so bedeutsamer Factoren wie der Blutcirculation und Athmung, die nicht blos Tausendstel, sondern Hundertstel und Zehntel einer Secunde in Zusatz oder in Wegfall bringen k\u00f6nnen, au\u00dfer Acht l\u00e4sst? Zwar wird sich durch Zuziehung sehr zahlreicher Versuchspersonen von verschiedenstem Alter und Temperament der Wirkungsbereich jener Factoren wie anderer allf\u00e4llig zwischentretender Bedingungen bis zu einem gewissen Grade aus den statistischen Mittelwerthen fernhalten lassen ; allein \u2014 abgesehen davon, dass in der Begel nur ein Einziger an sich experimentirt oder h\u00f6chstens ein Paar im engern und weitern Sinne des Wortes unter wesentlich gleichen \u00e4u\u00dfern Bedingungen gemeinschaftlich psychophysische Messungen anstellen1 *) \u2014 erfordert schon eine gewisse Oekonomie des Vorgehens, dass auf alle F\u00e4lle jene Bedingung nicht vernachl\u00e4ssigt werde, welche vorz\u00fcglich in der Pathologie zur stereotypen Norm geworden ist: die peinlich genaue Darlegung des Befundes, in der Psychometrie also au\u00dfer einer allgemeinen k\u00f6rperlichen und geistigen Charakterisirung der Versuchsperson die Feststellung der an derselben zu Anfang der Versuche gemachten und im Verlauf mehrfach erneuerten Beobachtungen allgemein pathologischer Art. Dass nur die exacte Erf\u00fcllung dieser Bedingung nicht blos einen gesicherten Mittelwerth viel schneller finden l\u00e4sst, sondern auch die thats\u00e4chlichen Werthe noch weiter zur Ermittelung nebenhin wirkender Momente wissenschaftlich dienstbar und fruchtbar macht, braucht kaum hervorgehoben zu werden.\nUm nun gleich ein Feld zu nennen, auf welchem muthma\u00dflich dem sorgf\u00e4ltigen Beobachter des Innenlebens Blut- und Athem-bewegung als eine bestimmende Gr\u00f6\u00dfe sich ergeben wird, machen wir darauf aufmerksam, dass der Mensch in Puls und At hem\n1) Man vergleiche hierzu auch Wundt\u2019s Warnung vor der Zuziehung von\nallen m\u00f6glichen beliebig aufgegriffenen Versuchspersonen : Grundz\u00fcge der physio-\nlogischen Psychologie II3, 299.","page":620},{"file":"p0621.txt","language":"de","ocr_de":"Die Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltnis zu Blutumlauf und Athmnng.\t621\nangeborene Zeitmesser besitzt. In der Einleitung zu dem lehrreichen Aufsatz \u00fcber \u00bbdie Messung ' psychischer Vorg\u00e4nge\u00ab1) \u00fcbergeht es Prof. Wundt, von jener Bedeutung des Pulses und Athems zu sprechen, und doch darf wohl vermuthet werden, dass dieselbe, auch was den Puls betrifft, sich nicht blos geltend macht, wenn uns in der Erregung das Pochen der Blutwallung unmittelbar bewusst wird, sondern auch, wenn dasselbe bei mehr oder weniger normaler St\u00e4rke nicht in\u2019s Bewusstsein zu treten vermag und wie die Functionen der meisten Organe nur im Verborgenen auf den Verlauf der seelischen Vorg\u00e4nge einwirkt. Zudem nimmt ein empfindliches oder leidendes Gehirn leicht den periodischen Druck auch der normalen Athemz\u00fcge und Pulsschl\u00e4ge wahr.\nDie ge\u00e4u\u00dferte Vermuthung muss sich vor allem dadurch bewahrheiten, dass die im Gehirn erfolgende Aufnahme, Wiedergabe und Erzeugung von Intervallen die Wirksamkeit jener innerlichen Zeitmesser verr\u00e4th. Von der ersten der drei Verhaltungsweisen des Subjectes, die sich als Sch\u00e4tzung \u00e4u\u00dfert, unterscheidet sich die zweite, die als Nachahmung erscheint, nur durch den Zutritt einer Reaction, die entweder vermittelst der Sprachorgane oder eines andern willk\u00fcrlich bewegungsf\u00e4higen Gliedes, z. B. durch Schlie\u00dfen der Augenlider oder Tippen mit einem Pinger, vollzogen werden kann. Bei der dritten Art des Verhaltens wird man in erster Linie an die Rhythmik von Musik und Poesie, des Tanzes und anderer Bewegungen denken ; es gibt indessen noch eine viel unmittelbarere Art, Intervalle zu erzeugen, die nicht wie jene bis zu einem gewissen Grade der Willk\u00fcr unterliegt. Intervalle werden n\u00e4mlich geschaffen in aller Empfindungsth\u00e4tigkeit, insofern als die Sinneseindr\u00fccke periodisch an Deutlichkeit zu- und abnehmen. Man nennt die Augenblicke der Zunahme die Spannung und diejenigen der Abnahme die Entspannung der Aufmerksamkeit. Diese Periodicit\u00e4t hat man, wie in Wundt\u2019s grundlegendem Werke2) ausgef\u00fchrt ist, namentlich bei den Empfindungen mit geringster Wahrnehmbarkeit am klarsten nachweisen k\u00f6nnen, indem diese w\u00e4hrend der Entspannungszeit\n1)\tEssays, 1885, p. 154 ff.\n2)\tGrundz. der phys. Psych. II3, 254 f.","page":621},{"file":"p0622.txt","language":"de","ocr_de":"622\nErnst Lenmann.\ng\u00e4nzlich aus dem Bewusstsein heraustreten, so dass trotz der that-s\u00e4chlich ununterbrochen andauernden Wirksamkeit der Eindr\u00fccke diese sich dem Bewusstsein als scheinbar regelm\u00e4\u00dfig unterbrochene darstellen. Dieser Thatsache mag Jeder inne werden, der etwa sein Augenmerk zuf\u00e4llig auf einen kaum mehr sichtbaren Stern hinlenkt, oder der auf ein aus der Ferne fast unmerklich her-klingendes Gel\u00e4ute horcht. Bei so schwachen Sinneseindr\u00fccken wird der Aufmerksame stets f\u00fcr Augenblicke an deren Dasein zweifeln, weil die Empfindung fortw\u00e4hrend entsteht und wieder erlischt. Die Periode einer diesen Wechsel bedingenden Spannung und Entspannung der Aufmerksamkeit dauert nun nach den Versuchen von N. Lange1) bei elektrischen Hautempfindungen 2,5\u20143S bei Lichtempfindungen .... 3\u20143,4s bei Geh\u00f6rsempfindungen .... 3,5\u20144 5 Wenn Wundt seinerseits aus andern Erfahrungen2) eine Minimaldauer von 0,4s und eine Maximaldauer von 8S erschlie\u00dft, so wird man sich die ihn dazu verleitenden Thatsachen wohl eher so zurecht legen, dass im g\u00fcnstigsten Falle von rhythmischen Eindr\u00fccken fast alle w\u00e4hrend einer ganzen Aufmerksamkeitsperiode erfolgenden zusammengefasst, sehr leicht aber verschiedene einzelne unter sich innerhalb derselben Spannung und Entspannung vereinigt werden k\u00f6nnen, wie denn auch Wundt bei Besprechung anderer Vorg\u00e4nge3) eine Zertheilung des Auffassungsactes anzunehmen ge-n\u00f6thigt ist; und man wird sich vorzustellen haben, dass nur gegen das Ende einer Entspannung und zu Anfang einer Spannung das Bewusstsein an Eindrucksf\u00e4higkeit sehr verliert, nicht aber, dass eine rein positive Spannung mit einer rein negativen Entspannung wechselt. Anstatt sich sonach, wie Wundt, Spannungswellen von so schwankender L\u00e4nge zu construiren, wird man gerade die in Fig. 195 (S. 252) seines Werkes experimentell erhaltene Curve als die einzige typische Auffassungswelle ansehen, die pl\u00f6tzlich steigt und in vier Stufen f\u00e4llt, also in wiederholter Form folgendes Aussehen darbietet (S. 623), wenn aus leicht begreiflichen Gr\u00fcnden die f\u00fcr ungeradzahlige Reihen erhaltene (im Text durch eine unter-\n1)\ta. a. O. S. 255. (Philos. Studien IV, 390 ff.)\n2)\ta. a. O. S. 254.\n3)\ta. a. O. S. 256 Mitte.","page":622},{"file":"p0623.txt","language":"de","ocr_de":"Die Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltniss zu Blutumlauf und Athmung.\n623\nbrochene Linie angedeutete) Abart gew\u00e4hlt und nach der Angabe, dass sie jenseits der Grenzen von 4S nahezu v\u00f6llig sinke, erg\u00e4nzt wird.\nUeher die Versuchsperson selber und \u00fcber deren Verhalten bei der Pr\u00fcfung der einzelnen Sinnesempfindungen liegen nun, was eben zu bedauern ist, nicht die geringsten Feststellungen vor, und demnach muss es einstweilen zweifelhaft bleiben, ob hinter jenen Zeiten 2,5\u20143S, 3\u20143,4s, 3,5\u20144S sich nicht einfach Schwankungen der Athmung und Bluthewegung verbergen, wonach im Durchschnitt\nbei den Tastversuchen ^ his 52, also 24\u201420,\n2,0\t3 7\t9\nbei den Lichtversuchen ~ bis also 20\u201418\n\u00f6\t0,4'\nbei den Tonversuchen || his also 17 \u2014 15 Athemz\u00fcge\nin der Minute vorauszusetzen w\u00e4ren (w\u00e4hrend den etwa viermal zahlreicheren Stufen der Curve die Pulsschl\u00e4ge entsprechen w\u00fcrden).1) Dass die Aufmerksamkeit je nach dem Sinnesgebiet, dem sie sich zuwendet, auf Respiration wie Puls verschieden wirkt, d\u00fcrfte sich durch Versuche bewahrheiten lassen, indem wenigstens die Neigung, beim Lauschen die Athemz\u00fcge zu verlangsamen, bekannt sein d\u00fcrfte2). Zudem steht es vollkommen im Einklang mit\n1)\tDanach w\u00e4re also zu vermuthen, dass die Curven bei Personen mit ver-h\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig langsamem oder schnellem Athem nicht blos einen gr\u00f6\u00dferen oder geringeren Umfang zeigten, sondern auch mehr oder weniger Stufen aufwiesen. Bei E. v. B. (s. weiterhin) kommt immer nur auf je f\u00fcnf Pulsschl\u00e4ge ein Athem-zug, was die Folge einer anscheinend auf Kosten des Herzens, das nicht v\u00f6llig gesund ist, au\u00dfergew\u00f6hnlich gut entwickelten Lunge zu sein scheint. Noch willkommener f\u00fcr Versuche nach der angedeuteten Richtung m\u00fcsste eine Abnormit\u00e4t sein, wie die von P. J. (1860, Kind von Vetter und Base; seit 1888 Privatdocent f\u00fcr semitische Sprachen an der Universit\u00e4t Stra\u00dfhurg) an sich beobachtete: nur 7\u20148 Athemz\u00fcge bei 87 Pulsschl\u00e4gen.\n2)\tDem Schreiber dieser Zeilen ist es vor Jahren einmal vorgekommen, dass ein \u00e4lterer Freund aus seinem Geburtsorte heim Anh\u00f6ren eines Musikst\u00fcckes auf einige Zeit zu athmen g\u00e4nzlich verga\u00df und schlie\u00dflich pl\u00f6tzlich sich wieder auf seine erste Lebenspflicht zu besinnen anfing.","page":623},{"file":"p0624.txt","language":"de","ocr_de":"624\nErnst Leumann.\nunserer Vermutliung, wenn bei gleichzeitiger Besch\u00e4ftigung verschiedener Sinnesorgane, wor\u00fcber Wundt\u2019s Er\u00f6rterungen S. 255 nachzusehen sind, von den durch N. Lange gefundenen Intervallen nur eines, und zwar anscheinend in der Begel das l\u00e4ngere, auf-tritt: gleichzeitig ist eben nur eine und dieselbe Athmungsschnellig-keit m\u00f6glich.\nDass \u00fcbrigens nebenbei den Schwankungen der Erregbarkeit verschiedener Sinnesnerven jede Beeinflussung der hier in Rede stehenden Erscheinungen v\u00f6llig abzusprechen sei, wollen wir nat\u00fcrlich nicht behaupten und nehmen an, dass auch Wundt\u2019s Kritik der Auffassung von Urbantschitsch1), welcher bei \u00e4hnlichen Beobachtungen in anscheinend einseitiger Weise blos die Wirksamkeit des jeweiligen Nervenzustandes erkennen wollte, in nicht g\u00e4nzlich verneinendem Sinne aufgefasst sein will.\nDoch wenden wir uns zur Rhythmik! Dieselbe steht der eben besprochenen mehr passiven Verhaltungsweise des Subjectes als active Aeu\u00dferung gegen\u00fcber. Durch irgend ein Organ wird sie vermittelt, und es steht deshalb zu erwarten, dass sie \u2014 von willk\u00fcrlichen Beschleunigungen und Verz\u00f6gerungen wird hier nat\u00fcrlich g\u00e4nzlich abgesehen \u2014 durch die physischen Bedingungen jener Vermittelung wesentlich mithedingt wird. Wenn z. B. hei verschiedenen Personen Athmungs- und Puls-Frequenz sich zum Normalschritt und zur Normalscandirung eines jambischen oder troch\u00e4ischen Gedichtes sich in folgenden Zahlen verhalten :\n\tPuls und Athem\t\t\t\tDoppel-\tTroch\u00e4en-\t\n\tVorm.\t\tNachm.\t\tSchritte\tScandirung\tPersonalien\nE. v. B.\t\t\t81\t16\t60\t1113 bei 77 p.\tGeb. 1859. Historiker und\n\t\t\t\t\t\tlldObei 83 p.\tGermanist. Seit 1882 Lehrer an der Neuen Realschule zu Stra\u00dfburg.\nG. L.\t82\t\t86\t26\t55\t126\tGeb. 1862. 1877\u20141881 an der Hochschule f\u00fcr Musik in Berlin. Seit 1886 Frau von E. L.\nE. L.\t63\t\t66\t22\t51\t120\tGeb. 1859. Seit 1884 Prof, extr. f\u00fcr Sanskrit in Stra\u00dfb.\n1) a. a. O. S. 257.","page":624},{"file":"p0625.txt","language":"de","ocr_de":"625\nDie Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltniss zu Blutumlauf und Athmung.\nso ist nat\u00fcrlich f\u00fcr den Schritt von jedenfalls wesentlichstem Einfluss die L\u00e4nge der Beine, und fernerhin zeigt schon eine Ver-gleichung der Normalscandirung daktylischer oder anap\u00e4stischer Yerszeilen mit jener von jambischen oder troch\u00e4ischen, dass die Bedingungen des Organs, in diesem Fall also die Articulationsf\u00e4hig-keit, von besonderer Wichtigkeit sind. Ein im Hexameter geschriebenes Gedicht n\u00e4mlich liest sich in normaler Weise nat\u00fcrlich nicht mit 120 \u2014 130 Hebungen in der Minute, sondern E. L. erzielt beispielsweise in Griechisch deren 102, in Latein nur 100, in Deutsch wegen des Consonanten-Reichthums vielleicht noch weniger. Das normale Lesen von Homer scheint also im Tempo des individuellen Normalschrittes zu erfolgen.\nEin Deutschlehrer untersucht vielleicht, in welcher Weise Schulkinder beim Vortrag von Gedichten in der Schnelligkeit durch ihren Puls bedingt sind. Einige vorl\u00e4ufige, in Klasse 2 V \u201c (Octava) des Protestantischen Gymnasiums in Stra\u00dfburg angestellte Ermittelungen \u2014 Zeit und Gelegenheit waren sehr bemessen \u2014 haben mir Folgendes ergeben : Beim Gesammtvortrag werden in der Minute im Mittel nur 80 jambische oder troch\u00e4ische Versf\u00fc\u00dfe gesprochen; dagegen beim Einzelvortrag erhebt sich die Zahl apf 100\u2014130. Dabei wird von der Gesammtheit durchaus regelm\u00e4\u00dfig, von Einzelnen nicht immer, der katalektische Zeilenschluss durch eine Pause zum vollen Rhythmus erg\u00e4nzt, sodass eine Verszeile von der Form ^ w w w ebensowohl wie etwa das Schema - w\tw - bei regelm\u00e4\u00dfiger\nWiederkehr f\u00fcr den Rhythmus mit vier vollen und gleichwerthigen F\u00fc\u00dfen anzusetzen ist. Der mittlere Puls zeigte selbst am Schluss der Unterrichtsstunde die ziemlich hohe Ziffer von etwa 90 Schl\u00e4gen und die Beziehungen desselben zur Vortragsgeschwindigkeit waren unverkennbar; ein Sch\u00fcler Jacobi z. B. hatte Pulsh\u00f6he 85 bei 107 Versf\u00fc\u00dfen, bei einem anderen, namens Pries, ergab sich das Verh\u00e4ltniss 98:129. Im \u00fcbrigen liefert nat\u00fcrlich das gedankenloseste Hersagen f\u00fcr die vorliegenden Untersuchungen die g\u00fcnstigsten Bedingungen, wennschon sogar beim verst\u00e4ndnisvollen Vortrag der Puls jede Sinneswandlung wahrscheinlich mitmachen wird und auch da besondere Beobachtungen herausfordert. Von wesentlicher Bedeutung ist dann aber auch der Consonantismus, der f\u00fcr die einzelnen hierin etwa gerade besonders verschiedenen Strophen desselben","page":625},{"file":"p0626.txt","language":"de","ocr_de":"626\nErnst Leumann.\nGedichtes sehr merkliche Zeitabweichungen bedingen kann. Schlie\u00dflich zeigen sich eine Reihe von nicht zu \u00fcbersehenden Nebenbedingungen, die im allgemeinen auch dem \u00fcber Gesangsvortr\u00e4ge ahurtheilenden Preisrichter als Gefahren und Schw\u00e4chen bekannt sind; z. B. mag der Anfangsrhythmus zu schnell oder zu langsam gew\u00e4hlt sein, so dass er auf die Dauer nicht heibehalten werden kann ; anderseits m\u00f6gen im Verlauf eines regelm\u00e4\u00dfigen Fortgangs Beschleunigungen oder Verschleppungen Vorkommen; auch ' die Tonh\u00f6he zeigt gelegentlich Schwankungen. Dass ferner au\u00dfer sonstigen Dispositionen \u00e4u\u00dferlicher und innerlicher Art, zu welch letzteren z. B. die Freude am Inhalt und der -Grad von Unbefangenheit heim Vortrag geh\u00f6ren, namentlich auch die Treue des Ged\u00e4chtnisses wegen der Sicherheit, die sie verleiht, von Einfluss ist, steht ebenfalls fest.\nIm \u00fcbrigen war es mir m\u00f6glich, selbst hei einer und derselben Person schon mittelst einer einzigen Versuchsreihe, die sich vom Nachmittag mit einer Unterbrechung in den Abend hineinzog, die Abh\u00e4ngigkeit des normalen Lesens metrischer Composition von der Pulsfrequenz nachzuweisen. Es wurde hierzu ein Sonett gew\u00e4hlt, obschon freilich das normalste und allgemeinste Lied das aus vierf\u00fc\u00dfigen Zeilen bestehende ist '), dessen Zeilen der Athmung und dessen F\u00fc\u00dfe der Pulsation entsprechen. Anstatt den Puls w\u00e4hrend des Lesens zu f\u00fchlen, was vielleicht empfehlenswerther ist, beschr\u00e4nkte ich mich darauf, denselben zwischen verschiedenen Lesungen nachzusehen. Die so hei G. L. erhaltenen Zahlen sind\n1) Dies weiter auszuf\u00fchren bleibt der \u00bbexperimentellen Aesthetik\u00ab \u00fcberlassen. Das indopersische oder wahrscheinlich schon indogermanische Ur-Metrum besteht aus viermal vier Troch\u00e4en. Aus demselben und dem entsprechenden jambischen Gegenst\u00fcck sind anscheinend durch Katalexis die Nibelungenstrophe und au\u00dferdem durch engere Verkettung der nur noch in der C\u00e4sur gegliederten beiden Versviertel-Paare der (Doppel-) Hexameter hervorgegangen. In der neueren Rhythmik beachte man die Volks- und Kinder-Lieder : \u00bbGuter Mond du gehst so stille\u00ab, \u00bbWei\u00dft du wie viel Sterne stehen\u00ab etc. Nat\u00fcrlich w\u00e4ren Bem\u00fchungen, wie sie Fechner der Ermittelung normaler Figuren und Formen entgegengebracht hat, auch der Rhythmik in allen ihren Erscheinungsarten zuzuwenden ; l\u00e4sst sich deren Abh\u00e4ngigkeit von organischen Bedingungen des Menschen aufdecken, so ist auch mit Bezug auf das Gefallen an Symmetrie und Aehnlichem -wahrscheinlich, dass es durch die Physiologie seine Begr\u00fcndung finden werde.","page":626},{"file":"p0627.txt","language":"de","ocr_de":"627\nDie Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltniss zu Blutumlauf und Athmung.\nim folgenden in Cursivziffem zwischen die Zeiten, die eine Lesung jeweils erforderte, an den entsprechenden Stellen eingef\u00fcgt.\n40. 85. 39. 38,5. 40. 82. 40. 40. 82,5. 40. 81. 80. 39,5. 39,5.\n40,5. 84. 84. 41. 78. 80. 83. 41,5. 41,5. 40,5. 84. 82. Unterbrechung. 88. 38,5. 83. 39. 86. 38,5. 39. 39.\nBerechnet man aus den Messungen vor der Unterbrechung und aus denjenigen nach derselben die Mittelzeiten, welche zum normalen Aussprechen eines der 84 Versf\u00fc\u00dfe erforderlich sind, und die Intervalle der Pulswellen, so erh\u00e4lt man das nahezu arithmetische Verh\u00e4ltniss\n40,1 . 38^8 _ 60\t60\n84 \u2022 84\t82|- : 85|\noder\n40,1 : 38,8 = 85$ : 821\nDie rhythmischen Intervalle beim Scandiren verhalten sich also wie die Pulsintervalle. Dass aber das Verh\u00e4ltniss sich nicht nach dem einer einfachen arithmetischen Proportion gestaltet, ist leicht festzustellen; so wurde auch beim Schritt von E. L. bemerkt, dass mit dessen Beschleunigung um die H\u00e4lfte (auf etwa 76\u201477 Doppelschritte in der Minute) die Pulsh\u00f6he sich schon verdoppelt hatte.\nW\u00fcrden noch andere rhythmische Th\u00e4tigkeiten, wie etwa das Weben oder Dreschen, in Vergleich gezogen werden, so d\u00fcrfte sich auch da wieder bei verschiedenen Versuchspersonen nicht eine unmittelbare, dagegen wohl eine mittelbare Abh\u00e4ngigkeit des Tempo von der Athmungs- und Puls-H\u00e4ufigkeit der beobachteten Leute heraussteilen.\nIst es nun freilich eine rein physiologische Aufgabe, zu ermitteln, wie viele Durchschnittsathmungen in der Regel erforderlich sind, um neben der fortw\u00e4hrenden Erhaltung des K\u00f6rpers eine periodische Anstrengung von subjectiv-minimaler Gr\u00f6\u00dfe jeweils eben noch ausl\u00f6sen zu k\u00f6nnen, so ber\u00fchrt es doch die Psychologie sofort, wenn der Antheil, den das Gehirn an jener Arbeit nimmt, oder wenn im Besondern irgend eine Anstrengung des Gehirns oder auch der Sprachwerkzeuge in\u2019s Auge gefasst wird. Man wird da finden,\nWundt, Philos. Studien. V.\t40","page":627},{"file":"p0628.txt","language":"de","ocr_de":"628\nErnst Leumann.\ndass wir einen Rhythmus selbst in solchen F\u00e4llen verrathen, die im allgemeinen mit demselben nichts zu thun zu haben scheinen. Also wenn das Ged\u00e4chtniss aufgefordert wird, eine Reihe zusammengeh\u00f6riger Vorstellungen zu erwecken \u2014 etwa m\u00e4nnliche Eigennamen, Baumsorten, St\u00e4dtenamen \u2014 so stellen sich die anf\u00e4nglichen Worte\n\u2014\tdie unter sich associativ ganz eng verbundenen ausgenommen \u2014 in der Regel ungef\u00e4hr mit den Pulswellen ein, w\u00e4hrend die folgenden hei der wachsenden Schwierigkeit des Auffindens mehr und mehr einen und mehrere Pulsschl\u00e4ge leer verstreichen lassen, aber trotzdem noch meist wieder mit solchen Zusammentreffen. Es ist dabei \u00fcbrigens zur Ausscheidung der specifischen Articulations-bedingungen w\u00fcnschenswerth, dass die Vorstellungsreihe m\u00f6glichst durch einsilbige Worte vertreten sei. Wenn es sich um solche handelt, wird im allgemeinen wohl das Gehirn bei der Erneuerung der Vorstellungen dem Munde ohne St\u00f6rung ebenso voraneilen, wie beim lauten Lesen das Auge. Um indessen den Einfluss der Articulation g\u00e4nzlich fernzuhalten, ist es n\u00f6thig, eine Reihe von Vorstellungen zu erneuern, ohne sie auszusprechen oder auch nur die zugeh\u00f6rigen Worte, falls welche vorhanden sein sollten, zu denken. Es m\u00f6gen f\u00fcr diesen Zweck alle Vorstellungsgebiete verwendet werden, die man extensiv vorzustellen gew\u00f6hnt oder f\u00e4hig ist, also beliebige Reihen gewisser Zeit- oder Raum- oder Ton-Punkte, darunter etwa verschiedene Orte eines Weges, einer Stadt, eines Zimmers, eines Hauses, oder die Fortf\u00fchrung eines kleineren Intervalls durch eine Summe von Octaven hindurch. Aber auch auf vieles Andere mag die Vergegenw\u00e4rtigung dieser Art ausgedehnt werden und wird ein erheblich g\u00fcnstigeres Ergehniss liefern, als wenn stets die Bezeichnungen gesprochen werden m\u00fcssen, da diese\n\u2014\tbesonders wenn es Eigennamen sind \u2014 bekanntlich oft sich hartn\u00e4ckig der Reproduction entziehen oder wenigstens so erhebliche Verlangsamungen veranlassen, dass die Feststellung eines rhythmischen Verlaufs der Vorstellungserneuerungen nicht weiter m\u00f6glich ist.\nDie Erweckung von Vorstellungsreihen wird von der fortlaufenden Associationsth\u00e4tigkeit nicht sehr verschieden sein. Wie mi ersten Fall es als ein wegen der au\u00dfergew\u00f6hnlichen K\u00fcrze der Namen besonders g\u00fcnstiges Beispiel gelten kann, die Buchstaben","page":628},{"file":"p0629.txt","language":"de","ocr_de":"Die Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltniss zu Blutumlauf und Athmung. 629\ndes Alphabets vom Ende ab oder in gemischter Reihenfolge aufzuz\u00e4hlen, so hat Cat teil bei Associationsversuchen die Aufgabe gew\u00e4hlt, zu einem Monat den unmittelbar vorangehenden aufzufinden, und gefunden, dass dazu 0,7 bis 0,8s erforderlich seien1). Innerhalb dieser n\u00e4mlichen Wer the schwanken \u00fcberhaupt die Zeiten, welche sich in Catteil\u2019s und andern Versuchen f\u00fcr die Bildung von Associationen verschiedener Art \u2014 die gewohnheitsm\u00e4\u00dfigen ausgenommen \u2014 ergeben haben. Es ist dabei vorl\u00e4ufig nur auf die Menge und Leichtigkeit, sowie auf den logischen Charakter der associativen Beziehungen geachtet worden, w\u00e4hrend die physiologischen Bedingungen der Versuchspersonen doch auch hier sich geltend machen d\u00fcrften. Nicht blos augenblickliche Pulsmessungen, sondern auch die gleichm\u00e4\u00dfige Verwendung von Ank\u00fcndigungszeichen unter gelegentlicher Aenderung des Intervalls2) w\u00fcrden wahrscheinlich Licht in die Sache bringen. Oder soll die gew\u00f6hnliche Association zum Unterschied von den kaum noch in\u2019s Ged\u00e4chtnis zur\u00fcckzurufenden Vorstellungen ungef\u00e4hr wie der m\u00e4\u00dfig starke Sinneseindruck, der nicht die oben besprochene Eigenschaft des kaum Merkbaren zeigt, von der Ankunft der Pulswellen unabh\u00e4ngig und blos durch deren Intervalle bedingt sein? Sollten also die Associationszeiten, welche bei vier von Wundt3) genannten Personen verzeichnet sind (0,752 0,723 0,874 0,706) einfach \u2014 um von Nebenbedingungen, die durch die Associationen selber gegeben sind, abzusehen \u2014 Pulszeiten sein?\nWie oben gesagt, muss sich au\u00dfer in der Schaffung von Intervallen auch in der Aufnahme und Wiedergabe solcher die allf\u00e4llige Anwesenheit innerlicher Zeitmesser erweisen. Die Wiedergabe brauchen wir als blo\u00dfe durch organische Nebenverh\u00e4ltnisse beeinflusste Abart der Aufnahme nicht weiter zu ber\u00fccksichtigen. Was nun die letztere betrifft, so findet man auch \u00fcber sie in Wundt\u2019s vortrefflichen Grundz\u00fcgen reichliche Belehrung. Unter der Benennung \u00bbZeitsinn\u00ab, die von Vierordt \u00fcbernommen wird, werden daselbst4) die Erfahrungen zusammengestellt, welche ergeben\n1)\ta. a. O. 317. (Philos. Studien IV, 242 ff.)\n2)\tVgl. a. a. O. S. 2S8.\n3)\ta. a. O. S. 314.\n4)\t348 ff.\n42*","page":629},{"file":"p0630.txt","language":"de","ocr_de":"630\nErnst Leumanu.\nhaben, dass ein etwa 0,75s dauerndes Intervall in der unmittelbar darauf folgenden Erneuerung am richtigsten aufgefasst wird, gewisserma\u00dfen also als physiologische Normalzeit erscheint, w\u00e4hrend k\u00fcrzere Zeiten \u00fcbersch\u00e4tzt und l\u00e4ngere untersch\u00e4tzt werden, doch so, dass bei den letztem um das Vielfache der Normalzeit herum jeweils der Sch\u00e4tzungsfehler sich wieder wesentlich verringert. Es sind die Versuche von Kollert, Estel und Mehner, welche diese h\u00f6chst bedeutsamen Ergebnisse erzielt haben. Bei den darauf bez\u00fcglichen Darlegungen vermisst man nun freilich umsomehr wieder irgendwelche \u00bbPersonalien\u00ab, namentlich Angaben \u00fcber die Pulsation der Beobachteten \u2014 bei den sieben von Kollert zugezogenen hielt sich die Normalzeit \u00fcbereinstimmend zwischen 0,7 und 0,8* \u2014, als zwei andere Forscher, Vierordt und Glass, zu g\u00e4nzlich verschiedenen Zeitermittelungen gelangt sind, welche allf\u00e4llig darauf hinweisen, dass bei gewissen Personen \u2014 mit schwachem Puls? \u2014 nicht das Herz, sondern die Lunge bei der Zeitsch\u00e4tzung den Ausschlag gibt.\nVielleicht wird, da wir uns zum Abschluss hinneigen, mit R\u00fccksicht auf die begrenzte Natur der bisherigen Aufstellungen eingewendet, dass der im Titel gew\u00e4hlte Ausdruck Seelenth\u00e4tig-keit etwas zu umfassender Art sei. Hierauf sei geantwortet, dass sich in der eingeschlagenen Richtung noch viel weiter gehende Fragen aufwerfen und durch Untersuchungen zu Ergebnissen ausreifen lassen. Es ist zum Beispiel die Pulsh\u00f6he von ma\u00dfgebendem Einfluss auf Receptivit\u00e4t und Productivit\u00e4t. Zu besonnenen Ergr\u00fcndungen und zum blo\u00dfen k\u00fcnstlerischen Empfinden ist ein weit niedrigerer Puls erforderlich als zu zusammenfassenden Darstellungen und zur sch\u00f6pferischen Gestaltung. Leuten, die unter gew\u00f6hnlichen Verh\u00e4ltnissen nie an\u2019s Dichten denken, gelingt in besonderen Augenblicken der Erregtheit eine ganz gute poetische Leistung. Die unter den Fachm\u00e4nnern aller Wissenschaftsgebiete mehr oder weniger zu Tage tretende Gegnerschaft zwischen den ruhigen, wesentlich kritisch veranlagten, Einzelforschern und den die Genauigkeit durch weiteren Blick ersetzenden Gesammtdarstellern, zwischen Kleinigkeitskr\u00e4mern und Combinationss\u00fcchtigen, l\u00e4sst sich bis zu einem gewissen Grade auf die Unvertr\u00e4glichkeit der Wirkungen gr\u00f6\u00dferer Pulsunterschiede zur\u00fcckf\u00fchren. Welche Puls-","page":630},{"file":"p0631.txt","language":"de","ocr_de":"Die Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltniss zu Blutumlauf und Athmung. 631\nh\u00f6hen sind f\u00fcr die einzelnen geistigen Th\u00e4tigkeiten die nothwen-digen und welches sind innerhalb dieser die g\u00fcnstigsten Vorbedingungen?\nM\u00f6gen die vorstehenden Ausf\u00fchrungen nur als eine unter ganz anders gearteten Arbeiten leichthin entworfene Skizze hingenommen werden, die nur deshalb niedergeschrieben wurde, weil sie vielleicht in der Psychometrie den pers\u00f6nlichen Bedingungen eine gr\u00f6\u00dfere Beachtung zuzuwenden und demgem\u00e4\u00df zur Auffindung neuer Thatsachen anzuleiten im Stande ist.","page":631}],"identifier":"lit4173","issued":"1889","language":"de","pages":"618-631","startpages":"618","title":"Die Seelenth\u00e4tigkeit in ihrem Verh\u00e4ltniss zu Blutumlauf und Athmung","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:19:28.938980+00:00"}