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{"created":"2022-01-31T12:38:48.822822+00:00","id":"lit42","links":{},"metadata":{"contributors":[{"name":"Eckhard, Conrad","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Giessen: Verlag von Emil Roth","fulltext":[{"file":"a0003.txt","language":"de","ocr_de":"-r\n\n\n","page":0},{"file":"a0005.txt","language":"de","ocr_de":"Experimentalphysiologie\ndes\nNervensyste\nVon\nDr. 0. Eckhard,\nProfessor der Anatomie und Physiologie in Giessen.\nGiessen 1867.\nVerlag von Emil Roth.","page":0},{"file":"a0007.txt","language":"de","ocr_de":"Vorrede.\nSeit dem Erscheinen meiner \u201eGrundz\u00fcge der Physiologie des Nervensystems\u201c hat das darin abgehandelte Gebiet der Physiologie so merkbare Fortschritte gemacht, dass jenes Buch durchaus nicht mehr den gegenw\u00e4rtigen Zustand der Nervenphysiologie repr\u00e4sentirt. Ich habe es daher zeitgem\u00e4ss umgearbeitet und \u00fcbergebe es jetzt dem Publicum mit dem Titel einer \u201eExperimentalphysiologie des Nervensystems\u201c. Bei der Ausarbeitung desselben habe ich einen bestimmt abgegrenzten Leserkreis vor Augen gehabt, bestehend in Studirenden der Medicin, welche die VorbereitungsWissenschaften hinter sich haben und in practischen Aerzten, welchen die wissenschaftliche Erkenntniss des menschlichen Organismus hoch genug steht, um auch noch nach vollendeten Studien sich an den Fortschritten jener mit Ernst zu betheiligen. Ich schrieb also weder f\u00fcr den Fachmann, welcher selbstverst\u00e4ndlich eines solchen Buchs nicht bedarf, noch f\u00fcr Solche, welche nur soviel von der Physiologie in ihr Ged\u00e4chtniss aufzunehmen w\u00fcnschen, als nothwendig ist, um allenfalls durch die Pr\u00fcfung zu kommen und denen eine tiefere Besch\u00e4ftigung damit kein Vergn\u00fcgen macht. Hiernach hatte ich also die Wahl des Stoffes und die Methode der Darstellung zu bemessen.\nDie Materie anlangend, so setzte ich mir vor, alle wesentlichen Punkte der experimentellen Nervenphysiologie insoweit vorzuf\u00fchren, dass der Leser dadurch bef\u00e4higt w\u00fcrde, ihren weitern Entwickelungen zu","page":0},{"file":"a0008.txt","language":"de","ocr_de":"IV\nfolgen. Bei der Abfassung meiner Grundz\u00fcge war ich entschieden in den Fehler verfallen, dass ich den speciellen Theil zu sehr vernachl\u00e4ssigt hatte. Die Mangelhaftigkeit der zu jener Zeit auf diesem Gebiete herrschenden Methoden hatte mich dazu verf\u00fchrt. Ich habe jetzt, wo auch hier bessere Untersuchungsweisen eingedrungen sind, den fr\u00fchem Fehler gut zu machen versucht. Sollte man dennoch das Eine oder Andere vermissen, so suche man dahinter keine andere Absicht, als die, nur das bereits gesicherte Material abzuhandeln und von demjenigen, \u00fcber welches die Verhandlungen noch im Gange sind, nur das auszuw\u00e4hlen, welches durch bisher dar\u00fcber gepflogene Discussionen oder daran gekn\u00fcpfte Erwartungen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.\nWas die Methode der Darstellung betrifft, so habe ich im Allgemeinen nach K\u00fcrze, Pr\u00e4cision und Kritik gestrebt. Ich bin ein Feind aller \u00fcberfl\u00fcssigen L\u00e4nge und einer Ausdrucksweise, welche, obschon geschmeidig und angenehm, sich damit befriedigt, nur n\u00e4herungsweise das Rechte zu treffen ; denn die Erfahrung hat mich gelehrt, dass solche Darstellungen den Leser nicht in eine anstrengende Spannung, sondern in eine Art Tr\u00e4umerei versetzen, in welcher kein klarer Begriff mehr aufkommt. Auch verlangen die vielfachen Vorbereitungen zum physiologischen Studium und die Art der Besch\u00e4ftigung des Arztes practisch diese K\u00fcrze und Bestimmtheit. Auf die Kritik der Thatsachen habe ich besonderen Werth gelegt. Ungezogenheiten, wie sie leider noch vielfach in unserer Literatur Vorkommen, habe ich dabei vermieden, weil es mir weder eine w\u00fcrdige noch schwere Aufgabe scheint, auf dem hohen Ross die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich kenne nur diejenige Kritik, welche aufrichtig die Erkenntniss f\u00f6rdern will ; in ihre sorgsame Pflege setze ich aber auch das Ziel, welchem der Arzt vor vielen Andern vorzugsweise zustreben soll; die Vielgestaltigkeit und die Complicirtheit der Erscheinungen, die ihm nahe treten, sind nur durch freies, selbstst\u00e4ndiges, kritisches Urtheil zu bezwingen.\nDie Anordnung und Darstellung des Materials im Speciellen anlangend, so habe ich, wie in den Grundz\u00fcgen, zuerst eine physikalische Einleitung gegeben, welche das f\u00fcr den Nervenphysiologcn Nothwen-digste der Electricit\u00e4tslehre enth\u00e4lt. Ich weiss wohl, dass die darin enthaltenen Kenntnisse vollkommner aus den A orlesungen und Lehr-","page":0},{"file":"a0009.txt","language":"de","ocr_de":"V\nb\u00fcchern \u00fcber Physik erworben werden k\u00f6nnen; leider aber ist noch bei der grossen Mehrzahl der Mediciner der Drang nach physikalischem Wissen so wenig intensiv ausgebildet, dass es noth wendig erscheint, sie auf das wichtigste Material, dessen sie bed\u00fcrfen, besonders aufmerksam zu machen und es ihnen zusammenzustellen, ja sogar in der Form nach m\u00f6glichst einfacher Darstellung zu streben. Der Grund davon liegt wesentlich darin, dass noch an so vielen Orten dem Mediciner die beschreibenden Naturwissenschaften in unverantwortlicher Weise aufgeb\u00fcrdet werden, welche nicht allein die Zeit rauben, sondern auch den Sinn ersticken f\u00fcr Naturbetrachtungen, welche Wenig oder gar Nichts mit der Art gemein haben, in welcher sich der Physiker der Natur gegen\u00fcber stellt. So kommt es, dass manche Abschnitte der Einleitung, wie z. B. die Theorie des astatischen Systems innerhalb und ausserhalb des Multiplicators, die Induction u. a. nicht in dem Gewand erscheinen, welches man bei besserer und allgemeinerer Vorbildung der vorausgesetzten Leser w\u00fcrde anlegen k\u00f6nnen. Man muss sich indess zeitweilig accomodiren; die Zeit wird hoffentlich nicht mehr fern sein, wo man auf dem bereits in Preussen betretenen Wege allgemeiner fortfahren wird, das naturhistorische Wissen des Mediciners auf ein encyclop\u00e4disches zu beschr\u00e4nken und daf\u00fcr mit aller Energie die mathematischen, physikalischen und chemischen Studien zu f\u00f6rdern, welche intellectuell den Menschen tief in seinem innern Wesen ergreifen, materiell dem Mediciner die wahrhaft n\u00fctzlichen Grundlagen seines Studiums verschaffen und durch beide Beziehungen ihn bef\u00e4higen, dem prunkenden Ballast der beschreibenden Naturwissenschaften muthig zu entsagen und im Geiste einer \u00e4cht physikalischen Denkungsart sein Object zu erforschen und zu behandlen. In der Nervenphysilc habe ich nur diejenigen Eigenschaften des Nervensystems vorgetragen, welche sich durch die Untersuchung einzelner Nerventheile ausser allem Zusammenhang mit andern Gebilden ergeben. Etwas willk\u00fchrlich habe ich also die ganze Lehre von der Nervenreizung, welche sowohl durch ihre Methode, als ihren Zusammenhang mit den physikalischen Erscheinungen der Nerven in dies Gebiet gezogen werden kann, in den dritten Abschnitt, die Nervenphysiologie, verwiesen. Ueber die einzelne Zergliederung beider Abschnitte giebt das Inhaltsverzeichniss Auskunft. Ob in dem Buche das erstrebte Ziel","page":0},{"file":"a0010.txt","language":"de","ocr_de":"YI\ndurchleuchtet und n\u00e4herungsweise erreicht worden ist, m\u00f6gen Diejenigen entscheiden, welchen ein Urtheil dar\u00fcber zusteht.\nTrotzdem, dass ich die Geschichte der einzelnen Lehren bis zur Gegenwart fortzuf\u00fchren bem\u00fcht war, sind doch durch w\u00e4hrend des Drucks erschienene Abhandlungen in dieser Beziehung einige L\u00fccken entstanden. Ich kann im Interesse des Fortschritts der Erkenntniss nur w\u00fcnschen, dass sich diese Unvollkommenheit in m\u00f6glichst kurzer Zeit recht auffallend auspr\u00e4ge.\nGiessen, im October 1866.\nC. Eckhard.","page":0},{"file":"a0011.txt","language":"de","ocr_de":"Inhalt.\nErster Abschnitt.\nDie Lehre von der Electricit\u00e4t als Vorbereitung zum Studium der Physiologie des Nervensystems.\nSeite\nGrundbegriffe, Eigenschaften der offenen S\u00e4ule\t...\t1\nDie geschlossene Kette .......\t2\nRheochord und seine Anwendung bei electrophysiologischen Versuchen .\t.\t.\t.\t.\t.\t.\t.\tH\nWirkungen des galvanischen Stromes im Allgemeinen und Ablenkung der Magnetnadel durch denselben im Besondern\t.\t15\nMultiplicator mit astatischem Nadelpaare ....\t19\nElectrogalvanometer .......\t24\nUebergangswiderstand und galvanische Polarisation ...\t26\nUnpolarisirbare Electroden ......\t30\nInnere Polarisation feuchter Leiter .\t.\t.\t.\t.\t31\nSeound\u00e4rer Widerstand\t......\t32\nInduction, Unterschiede des Oeflfnungs - und Schliessungsstromes der\nVolta\u2019schen Induction\t.....\t35\nMittel, beide Str\u00f6me gleichm\u00e4ssig zu machen\t...\t37\nSpannungserscheinungen an offnen Inductionsspiralen\t.\t.\t38","page":0},{"file":"a0012.txt","language":"de","ocr_de":"VIII\nSeite\nMagnetoinduction\t.......\t39\nInductionaap parat nach duBois-Reymond\t.\t.\t.\t40\nSchl\u00fcssel\t........\t42\nHelmholtz\u2019sche Vorrichtung zur Erzielung gleichm\u00e4ssig verlaufender Inductionsstr\u00f6me\t.....\t42\nRotationsmaschine .......\t43\nZweiter Abschnitt.\nNervenphysik.\nChemische Eigenschaften der Nervensubstanz\t...\t47\nDie electrisc.hen Eigenschaften der ruhenden Nerven\t.\t.\t49\nTheorie des Nervenstromes ......\t53\nBemerkung von Helmholtz dar\u00fcber\t....\t56\nElectrotonus ........\t58\nSecund\u00e4r electrotonischer 'Zustand .....\t63\nTheorie des electrotonischen Zustandes\t....\t63\nDie Eigenschaften der tetanisirten Nerven ....\t65\nDritter Abschnitt.\nNervenphysiologie.\nDie vom Nervensystem abh\u00e4ngigen Erscheinungen des thierischen\nK\u00f6rpers im Allgemeinen\t.....\t69\nDie Irritabilit\u00e4tslehre\t.\t.\t.\t.\t.\t.\t71\nStellung der Nerven zu den Vorg\u00e4ngen der Ern\u00e4hrung und\nAbsonderung .......\t79\nPlan zur Untersuchung \u00fcber das Wesen des Innervationsvorganges\t.......\t84\nElectrische Reizung der motorischen Nerven\t...\t86\nMittel zur Tetanisirung der Nerven auf electrischem Wege. Apparat von Halske. Acustischer Tetanus .\t.\t.\t104","page":0},{"file":"a0013.txt","language":"de","ocr_de":"IX -\nSeite\nUnipolare Inductionszuckungeu\t.....\t107\nSecund\u00e4re Zuckungen vom Nerven aus\t.\t.\t.\t.\t111\nMechanische Reizung der motorischen Nerven. Tetanomotor\t.\t114\nChemische Reizung der motorischen Nerven\t.\t.\t.\t116\nThermische Reizung der motorischen Nerven\t.\t.\t.\t119\nDie Reizung der Sinnesnerven\t.....\t122\nUeher die Richtungen, nach denen der Innervationsvorgang fortgepflanzt wird .......\t128\nWesen des Innervationsvorganges .....\t130\nDie Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Innervationsvorganges\t.\t134\nSeelische Functionen des Gehirns .....\t145\nDie durch dasselbe vermittelten Empfindungen und Bewegungen .\t148.\nDas Gehirn als Centrum der Athemb ewegungen .\t.\t.\t161\nEinfl\u00fcsse des Gehirns auf andere Processe .\t.\t.\t.\t164\nPhysiologie der Augenmuskelnerven .\t.\t.\t.\t.\t167\nEmpfindende und bewegende Elemente des Trigeminus .\t.\t171\nEinfluss des Trigeminus auf die Absonderung der Thr\u00e4nen und des\nSpeichels\t.\t.\t.\t.\t.\t.\t.\t172\nEinfluss des Trigeminus auf die Bewegungen der Pupille .\t.\t173\nGeschmacksfunction des Trigeminus. Physiologie der Chorda\ntympani\t.......\t177\nEinflus des Trigeminus auf die Ern\u00e4hrung ....\t182\nReflectorische Beziehung des Ramus lingualis Trigemini zur Spei-\nchelsecretion\t.......\t185\nPhysiologie des Nervus facialis und Nervus glossopharyngeus\t.\t186\nDie motorischen Wirkungen des Nervus vagus\t.\t.\t.\t191\nDie sensitiven Elemente desselben .....\t192\nDie Regulirung der Herzbewegung durch den Nervus vagus. Physiologie des gesammten Herznervensystems\t.\t.\t.\t193\nReflectorische Beziehung des Nervus vagus zum Centrum der Athem-\nbewegungen\t.......\t233\nStellung des Vagus zu den Ern\u00e4hrungserscheinungen in der Lunge\t236\nAngebliche Beziehung des Vagus zur Secretion in der Unterkieferdr\u00fcse\t.......\t237\nEinfluss des Vagus auf die Magensaftsecretion und die Verdauung .\t237\nBeziehung des Vagus zu den Gef\u00fchlen des Hungers und Durstes .\t240\nDer Ramus auricularis Vagi ......\t241\nPhysiologie des Nervus hypoglossus und Nervus accessorius\t.\t242","page":0},{"file":"a0014.txt","language":"de","ocr_de":"X -\nSeite\nLeitungsgesetze des R\u00fcckenmarks\t.....\t244\nPsychische Th\u00e4tigkeiten desselben\t.....\t252\nTonus desselben\t.\t.\t.\t.\t\u2022\t\u2022\t\u2022\t254\nBewegungen des Lymphherzen\t.....\t259\nReflexerscheinungen .\t.\t.\t\u25a0\t.\t\u2022\t\u2022\t261\nHemmungsmechanismen des Gehirns\t.....\t269\nDie einzelnen Reflexerscheinungen des Gehirns\t.\t.\t.\t273\nDie einzelnen Reflexerscheinungen des R\u00fcckenmarks\t.\t.\t275\nPhysiologie der einzelnen R\u00fcckenmarksnerven\t.\t.\t.\t277\nPhysiologie des Sympathicus ......\t289","page":0},{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"Erster Abschnitt.\nDie Lehre von der Eleetri cit\u00e2t als Vorbereitung zum Studium der Physiologie des Nervensystems.\n\u00a7\u2022 1.\nGrundbegriffe, Eigenschaften der offenen S\u00e4ule.\nDie Nerven Wirkungen sind wesentlich electrischer Natur, und zu ihrer Erzeugung behufs experimenteller Studien \u00fcber dieselben erweist sich erfahrungsgem\u00e4ss die Electricit\u00e4t als das beste Mittel. Daher ist es n\u00f6thig, dass Derjenige, welcher sich dem Studium der Nervenphysiologie mit Erfolg zu widmen gedenkt, sich mit den Lehren der Electricit\u00e4t, zum mindesten nach denjenigen Beziehungen hin, in welchen sie in diesem Abschnitt der Physiologie in Anwendung kommen, bekannt mache. Insbesondere sind es die Erscheinungen des Galvanismus, Electro-magnetismus und der Induction, mit denen man vertraut sein muss, und zwar sehr oft in einer Weise, die weder durch die gew\u00f6hnlichen Vortr\u00e4ge \u00fcber Electricit\u00e4t, noch dahin einschlagende Lehrb\u00fccher rein physikalischen Inhalts befriedigt werden kann, da es sehr oft auf ganz specielle S\u00e4tze ankommt, die rein physikalischen Darstellungen ferner hegen. Diese Lehren sollen daher hier in ihren Hauptz\u00fcgen und insbesondere so dargestellt werden, wie sie zu einem erfolgreichen Studium der Nervenphysiologie f\u00f6rderlich sind. Wenn dabei oft zu elementaren Begriffen zur\u00fcckgegangen wird, so geschieht dies nur, um f\u00fcr die Darstellung einen Ausgangspunkt zu gewinnen und ihr einen gewissen Zu-, sammenhang zu verschaffen.\nEckhard, Nervenphysiologie. n\t|","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nWenn zwei heterogene K\u00f6rper mit einander in Ber\u00fchrung gebracht werden, so nehmen sie von einander verschiedene, electrische Zust\u00e4nde an. Am fr\u00fchesten hat man dies zwar bei der Ber\u00fchrung zweier verschiedener Metalle beobachtet, allein die Nebenumst\u00e4nde, unter denen die dahin geh\u00f6rigen Versuche nur anzustellen sind, haben Veranlassung zu den mannigfachsten Bedenken gegeben, und zur Zeit ist weder ein sicher entscheidender Versuch f\u00fcr, noch gegen die Lehre von der Electricit\u00e4tserzeugung durch den reinen Contact verschiedener Metalle bekannt *). Zweifelloser lassen sich die verschiedenen electrischen Zust\u00e4nde bei der Ber\u00fchrung von einem Metall und einer Fl\u00fcssigkeit nach-weisen. Finden sich z. B. eine Zinkplatte und eine ebenso grosse Schicht von Wasser, Salpeters\u00e4ure, Schwefels\u00e4ure oder Zinkvitrioll\u00f6sung, die etwra in einem St\u00fcck Tuch aufgesogen zu denken sind, in Ber\u00fchrung, so wird das Metall negativ, die Fl\u00fcssigkeit positiv und zwar f\u00fcr jede Combination verschieden stark electrisch. Ersetzt man das Zink durch Platin, so wird dieses in den angef\u00fchrten Fl\u00fcssigkeiten, mit Ausnahme des Wassers, positiv. Die Ursache dieser aus der Ber\u00fchrung der heterogenen K\u00f6rper entspringenden Electricit\u00e4ten schreibt man der sogenannten electromotorischen Kraft zu. Die Dichtigkeiten der ausgeschiedenen Electricit\u00e4tsme'ngen h\u00e4ngen von den relativen Gr\u00f6ssen der sich ber\u00fchrenden Theile ab, auf denen sie sich verbreiten k\u00f6nnen. Sind z. B. die Oberfl\u00e4chen von Metall und Fl\u00fcssigkeit von gleicher Ausdehnung, so sind die electrischen Dichten der einander entgegengesetzten Electri-cit\u00e4tcn gleich gross. F\u00fcr jede besondere Combination eines gewissen Metalls und einer bestimmten Fl\u00fcssigkeit ist die Differenz in den eleetri-schen Dichten eine bestimmte, characteristische, unab\u00e4nderliche Gr\u00f6sse, die man mit dem Namen der Spannungsdifferenz belegt. Man definirt demgem\u00e4ss die electromotorische Kraft als diejenige Kraft, welche bei dem Contact heterogener K\u00f6rper Electricit\u00e4ten einer bestimmten Spannungsdifferenz ausscheidet. Eine einfache Combination von zwei heterogenen K\u00f6rpern heist ein einfacher Electromotor. Nennt man die Spannung der freien positiven Electricit\u00e4t eines solchen -f S und die der negativen \u2014 S, so dr\u00fcckt sich die Spannungsdifferenz des einfachen Electromotors durch + S \u2014 (\u2014 S) = 2 S = C aus. Ein solcher Electromotor hat nun die h\u00f6chst wichtige Eigenschaft, dass er unter-allen Umst\u00e4nden seinen constanten Spannungsunterschied behauptet. Es\n*) Wer das Bed\u00fcrfnis f\u00fchlt, sich im Einzelnen \u00fcber diesen Punkt, sowie \u00fcber die hier vorgetragenen Lehren weiter, als f\u00fcr physiologische Zwecke unumg\u00e4nglich nothwendig ist, zu unterrichten, dem ist als Ausgangspunkt zu empfehlen: Wiedemanii. Die Lehre vom Galvanismus. I. II. a. b. Braunschweig 1861 \u2014 1863.","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"3\nf\u00fchrt zu einigen weiteren in der Physik gebr\u00e4uchlichen. Ausdr\u00fccken f\u00fcr die Eigenschaften einfacher Elecktroiuotoren, sich dies an Beispielen klar zu machen.\nWir setzen erstens einen einfachen Elecktromotor z. B. Z | H 0 *) voraus, bei welchem die Oberfl\u00e4chen seiner beiden Bestandtheile gleich gross sind und nehmen an, es werde einem derselben, z. B. dem Zink, eine gewisse Menge negativer Electricit\u00e4t mitgetheilt. Was geschieht? Da sich, entsprechend einer von Coulomb gemachten Erfahrung, mit-getheilte Electricit\u00e4t auf einem System heterogener K\u00f6rper so vertheilt, als best\u00fcnde jenes aus einem einzigen, gleichartigen Stoff, so wird sich die mitgetheilte Menge negativer Electricit\u00e4t gleichm\u00e4ssig auf der Zink-und Wasseroberfl\u00e4che verbreiten, die Dichte der negativen Electricit\u00e4t des Zinks vermehren, dagegen die positive des Wassers je nach den Umst\u00e4nden theilweise oder g\u00e4nzlich vernichten, so dass hier positive Electricit\u00e4t verminderter Spannung oder die Spannung Null oder eine gewisse Spannung negativer Electricit\u00e4t auftreten kann. Aehnliches findet statt, wenn man dem Systeme positive Electricit\u00e4t mittheilt. Aber durch die electro motorische Kraft wird der constante Spannungsunterschied der Electricit\u00e4ten der beiden Elemente des Electromotors festgehalten. Unbek\u00fcmmert um die Art der beiden Electricit\u00e4ten ist er stets = 2 S, so dass, wenn man mit a die ver\u00e4nderte Spannung auf jedem der Elemente des Electromotors bezeichnet, man stets HO\tZ\n(+ S \u2014 a) \u2014 (\u2014 S \u2014 a) = + 2 S\nf\u00fcr jeden Werth und jedes Vorzeichen f\u00fcr a hat. Mittheilung also von verschiedener Electricit\u00e4t und in verschiedener Menge an das System eines einfachen Electromotors tilgt nicht dessen constanten Spannungsunterschied.\nWir denken uns zweitens, dass die Zinkplatte mit einer an Oberfl\u00e4che n mal so grossen Wasserschicht in Ber\u00fchrung sei. Dann wird die Dichte der auf der Zinkplatte vorhandenen negativen Electricit\u00e4t n mal so gross sein, als die der positiven auf dem Wasser. Nennt man letztere x, so ist erstere n x und es muss sein:\n\u2022\tx \u2014 (\u2014 n x) = 2 S.\n2 S\nHieraus ergiebt sich x =\tals Ausdruck f\u00fcr die electrische\nDichte auf der Wasserschicht. Wird die letztere unendlich gross gedacht, was man als identisch damit ansehen kann, dass man sie in\n'*) Electromotorische Combinationen pflegt man h\u00e4ufig so zu bezeichnen, zwischen ihre Elemente einen senkrechten Strich stellt.\n1 *\ndass man","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"- 4 -\nleitende Verbindung mit der Erdoberfl\u00e4che setzt oder, wie man sagt, ableitend ber\u00fchrt, so besagt der Ausdruck\nx = 2_S = o\n00 \u2019\ndass f\u00fcr diesen Fall die electrische Dichte auf dem positiven Elemente = Null ist. Da aber auch f\u00fcr diesen Fall das Gesetz der constanten electrischen Differenz gewahrt werden muss, so folgt, dass alsdann die Spannung auf der negativen Zinkplatte = 2 S sein wird. Man dr\u00fcckt dies in der Physik gew\u00f6hnlich so aus: Wird ein Element des einfachen Electromotors ableitend ber\u00fchrt, so wird dadurch an ihm die Spannung = Null, am anderen doppelt so gross, als wenn bei gleicher Gr\u00f6sse der Elemente keine ableitende Ber\u00fchrung statt gefunden h\u00e4tte.\nAuch bei der Ber\u00fchrung zweier verschiedener Metalle beobachtet man, wie bereits erw\u00e4hnt wurde, die Ausscheidung von Electricit\u00e4ten von constantem Spannungsunterschied. Da aber bei ihrer Demonstration nachweislich mit der Hand oder sonstwie befeuchtete Fl\u00e4chen wirklich Vorkommen, oder von strengen Kritikern als, z. B. durch die feuchte Luft, vorkommend gedacht werden k\u00f6nnen, so kann es bis jetzt nicht als \u00fcber jeden Zweifel bewiesen angesehen werden, dass der blosse Contact von zwei.verschiedenen Metallen allein electromotorisch wirksam sei. Stellt man aber die Versuche f\u00fcr verschiedene Metallcombinationen stets in derselben Weise an, so findet man, dass sich die Metalle, nebst einigen Oxyden und Schwefelmetallen, in eine gewisse Reibe ordnen lassen, deren Glieder die Eigenschaft haben, dass jedes folgende, mit all seinen Vorg\u00e4ngern ber\u00fchrt, positiv electrisch wird und dies in um so h\u00f6herem Grade, je weiter es von einem derselben absteht. Diese Reibe heisst die Spannungsreihe. Volta, der Entdecker derselben, hat die folgende Aufeinanderfolge aufgestellt, welche von sp\u00e4tem Forschern im Wesentlichen best\u00e4tigt worden ist:\n\u2014 Braunstein, Kohle, Gold , Silber, Kupfer, Eisen, Zinn, Blei, Zink. +\nDie Spannungsreihe gewinnt einen besonderen Werth durch den Umstand, dass man durch electrometrische Messungen die Thatsache erkannt hat, dass die durch den Contact zweier Glieder der Spannungsreihe erzeugte Differenz der Spannung gleich ist der Summe der Spannung sunterschiede aller Zwischenglieder, woraus unmittelbar folgt, dass die electrische Differenz einer Combination beliebig vieler Metalle gleich ist der electrischen Differenz der Endeglieder.\nDas Wasser und \u00fcberhaupt alle Fl\u00fcssigkeiten lassen sich nicht in die Spannungsreihe einfiigen. So wird z. B. Wasser in Ber\u00fchrung mit Zink positiv ; es m\u00fcsste also in der obigen Reihe diesem nachfolgen und","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"5\nin Ber\u00fchrung mit den vor dem Zink stehenden K\u00f6rpern, z. B. dem Kupfer, st\u00e4rker positiv werden, wovon aber die Erfahrung das Gegentheil lehrt. Die in die Spannungsreihe geh\u00f6rigen K\u00f6rper hat man Leiter erster, die ausserhalb derselben stehenden Leiter zweiter Klasse genannt. Ausser den beiden bisher erw\u00e4hnten Combinationen sind noch folgende als Electromotoren bekannt und zum Tlieil ausf\u00fchrlich studirt worden, n\u00e4mlich: zwei Metalle und eine Fl\u00fcssigkeit, zwei Fl\u00fcssigkeiten und ein Metall, zwei Fl\u00fcssigkeiten und zwei Metalle, Metalle und Gase.\nDie Spannungen aller dieser verschiedenen, einfachen Electromotoren sind sehr gering, wesshalb man erstere durch Aneinanderf\u00fcgen mehrerer derselben Art zu vermehren sucht. Wir w\u00e4hlen als ein Beispiel die Wiederholung einer Zinkkupfercombination. Auf den ersten Blick sieht man jedoch ein, dass dies nicht in der Weise ausgef\u00fchrt werden kann, dass man die genannte Combination mehrmals auf einander folgend in demselben Sinn so ohne Weiteres auf einander legt; denn in\nZ | Cu Z ! Cu. z. B. w\u00fcrde die wirksame Ber\u00fchrungsstelle bei 1 der ersten Combination durch die neu entstehende bei 2 als in umgekehrtem Sinn wirkend wieder aufgehoben werden und nur die eine bei 3 \u00fcbrig bleiben. Eine solche Aufeinanderfolge sich gegenseitig destruirender Ber\u00fchrungsstellen vermeidet man durch Einschaltung feuchter Schichten, also von Leitern zweiter Klasse, oder nicht in die Spannungsreihe geh\u00f6riger K\u00f6rper. Solche Vorrichtungen nennt man zusammengesetzte S\u00e4ulen. Die beistehende Zeichnung veranschaulicht den Vor-\ngang in einer solchen. Wir haben zwei Zinkkupferplatten, getrennt von einander durch die Fl\u00fcssigkeitsschicht F. Zufolge der Ber\u00fchrung bei 1 wird, entsprechend der electrischen Differenz Zn | Cu auf dem Zink positive, auf dem Kupfer negative Electricit\u00e4t ausgeschieden, welche letztere sich ungehindert \u00fcber den \u00fcbrigen Theil des Systems nach rechts hin ausbreitet. Durch die Ber\u00fchrung bei 2 wird das Kupfer negativ, die Fl\u00fcssigkeitsschicht positiv. Da sich die hier erzeugte negative Electricit\u00e4t des Kupfers ungehindert \u00fcber das mit ihm verbundene Zink ausbreitet, so wird die Spannung der positiven Electricit\u00e4t auf letzterem abnehmen. Dasselbe wird mit der der negativen Electricit\u00e4t auf dem rechts von 2 befindlichen Theile des Systems der Fall sein, indem sich \u00fcber denselben gleichfalls unbehindert die in der Fl\u00fcssigkeit durch das Kupfer erregte positive Electricit\u00e4t verbreitet. Die bei 3 wirkende, electromotorische Kraft hat zur Folge, dass das Zink negativ, aber in h\u00f6herem Grade, als vorher das Kupfer, und die Fl\u00fcssig-","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nkeitsschicht entsprechend gross positiv wird. Folglich nimmt jetzt die Spannung der positiven Electricit\u00e4t auf dem Zink der ersten Zinkkupferplatte wieder zu und zwar um mehr, als sie in Folge der bei 2 wirkenden electromotorischen Kraft abgenommen hatte. Ein Gleiches gilt f\u00fcr die der bis zum Kupfer der zweiten Zinkkupferplatte verbreiteten negativen Electricit\u00e4t. Endlich erhalten die an den Enden oder den so genannten Polen des ganzen Systems hervortretenden Spannungen noch einen entsprechenden Zuwachs durch die Ber\u00fchrungsstelle bis 4. F\u00e4hrt man so fort, zwischen je zwei Zinkkupferplatten eine fl\u00fcssige Schicht einzuschalten, so tritt fortw\u00e4hrend eine entsprechende Vergr\u00f6sserung der Spannungen an den Polen auf.\n\u00a7. 2.\nDie geschlossene Kette, Begriff der Stromst\u00e4rke, Leitungswiderstand, Ohmsches Gesetz, Spannungserscheinungen der geschlossenen Kette, Rheochord und seine Anwendung hei electrophysiologischen Versuchen.\nIn der offnen S\u00e4ule finden sich die Electricit\u00e4ten in Ruhe. Verbindet man ihre Pole durch irgend einen Leiter, so gleichen sich durch diesen die gespannten Electricit\u00e4ten aus. Man nennt diese Ausgleichung den galvanischen Strom. Bei dem aus zwei Metallen bestehenden einfachen Electromotor kann, wenn nicht Temperaturunterschiede der Ber\u00fchrungsstellen hinzu kommen, der Schliessungsbogen nicht rein metallisch sein *); denn in einer Folge von der Spannungsreihe angeh\u00f6rigen K\u00f6rpern, die zum Kreise geschlossen sind, zerst\u00f6ren sich die Wirkungen der Ber\u00fchrungsstellen gegenseitig.\nBei den mittelst Metallen und Fl\u00fcssigkeiten gebildeten S\u00e4ulen dagegen reicht ein einfaches Drahtst\u00fcck aus; doch erinnere man sich stets, um sich nicht \u00fcber die Anzahl der wirksamer, electromotorischen Com-binationen zu t\u00e4uschen, dass jedes Zinkkupferpaar oder eine ihm analoge Combination nur in Verbindung mit einer feuchten Schicht ein wirksames Glied der Kette ausmacht und dass folglich die Anzahl der wirksamen Elemente mit der Anzahl der eingeschalteten Fl\u00fcssigkeitsschichten \u00fcbereinstimmt. Wollte man also z. B. die auf S. 5 gezeichnete zusammen-\n\u2022) Dies hindert nat\u00fcrlich nicht, mit einem Bogen zweier verschiedener Metalle Nervenreizungen auszuf\u00fchren, da, wenn ein Nerv die Pole eines einfachen metallischen Electromotors verbindet, er selbst eine feuchte, nicht der Spannungsreihe angeh\u00f6rige Schicht bildet. Bekanntlich haben die ersten Galvanisten fast ausschliesslich sich zu Nervenreizungen solcher einfacher Electromotoren bedient.","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"7\ngesetzte, offene S\u00e4ule mit einem Kupferdraht zur Kette schliessen, so w\u00fcrde man doch nur eine einelementige geschlossene Kette erhalten; denn es w\u00fcrden sich die beiden Ber\u00fchrungsstellen hei 4 und die neu zu bildende gegenseitig zerst\u00f6ren.\nIn der geschlossenen Kette nun gleichen sich die beiden gespannten Electri ci t\u00e4ten fortiv\u00e4hrend aus, indem die electromotorische Kraft con-tinuirlich th\u00e4tig ist und in dem Masse, als sich die Spannungen aus-bleichen, in einem fort neue Electricit\u00e4ten erzeugt. Man stellt sich diesen Vorgang der Ausgleichung unter dem Bilde des gegenseitig in einander Ueberfliessens beider Electricit\u00e4ten vor und ist \u00fcbereingekommen, durch die Angabe, nach welcher Seite hin die positive Electricit\u00e4t fliessend gedacht wird, die sogenannte Richtung des galvanischen Stroms zu bezeichnen.\nDer galvanische Strom \u00fcbt, wie sp\u00e4ter noch ausf\u00fchrlich besprochen werden soll, gewisse Wirkungen aus. Jo gr\u00f6sser wir dieselben ausfallen sehen, desto st\u00e4rkere Str\u00f6me setzen wir voraus und benutzen also jene zur Messung der Stromst\u00e4rke oder Stromesintensit\u00e4t. Unter zweckm\u00e4ssiger Verwendung jener Wirkungen ist nun \u00fcber den Str\u00f6mungsvorgang in der Kette ermittelt worden: 1) dass er an allen Stellen der L\u00e4nge seiner Leitung, m\u00f6ge sie aus Fl\u00fcssigkeiten oder Metallen bestehen, gleich-gross ist ; 2) dass seine Gr\u00f6sse unter sonst gleichen Lmst\u00e4nden von der Beschaffenheit des zu durchlaufenden Weges abh\u00e4ngig ist', 3) dass er bei gleicher Beschaffenheit des Weges der electromotorischen Kraft proportional ist. Indem man bei gleicher electromotoi ischei Kt aft die Wirkungen des Stromes je nach der Natur der Leitung gr\u00f6sser oder geringer ausfallen sieht, schreibt man der letzteren einen geringeren oder gr\u00f6sseren Leitungswiderstand zu. Ueber die Art, wie derselbe entsteht, sind die Vorstellungen noch nicht ganz klar. Einige Forscher denken ihn sich analog dem, welchen in R\u00f6hren str\u00f6mende Fl\u00fcssigkeiten erleiden, andere sehen ihn als ein Resultat der Wechselwirkung an, welche die beiden str\u00f6menden Electricit\u00e4ten auf einander aus\u00fcben. Die Erfahrung hat \u00fcber ihn Folgendes festgestellt: 1. Bei gleichem Querschnitt und gleichem Material ist er der L\u00e4nge proportional. 2. Bei gleicher L\u00e4nge und gleichem Material ist er dem Querschnitt umgekehrt proportional. 3. Bei gleicher' L\u00e4nge und gleichem Querschnitt ist er von den molecul\u00e4ren-Eigenschaften des Materials abh\u00e4ngig. Diesen letzteren Einfluss bezeichnet man als den spedfischen Leitungswiderstand. F\u00fcr den experi-mentirenden Physiologen ist es nicht unwichtig, sich einige der gr\u00f6beren Verschiedenheiten zwischen den Leitungswiderst\u00e4nden der h\u00e4ufig in Anwendung kommenden Materialien zu merken und namentlich auf den Umstand zu achten, dass alle Fl\u00fcssigkeiten und mit solchen durchtr\u00e4nkte","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nSubstanzen, wie namentlich die pflanzlichen und thierischen Gewebe, meist einen Millionen mal gr\u00f6sseren galvanischen Leitungswiderstand bieten, als die Metalle. Zu diesem Zweck ist die folgende kleine Tabelle\nzusammengestellt worden :\nKupfer.............................=\t1\nSilber.............................=\t0,954\nEisen..............................=\t6,4\nNeusilber......................=\t11,8 bis 13,3\nConcentrirte Kochsalzl\u00f6sung . . ==\t6515000\n\u201e Kupfervitrioll\u00f6sung =\t10963600.\nDie drei bis dahin erw\u00e4hnten, auf den Leitungswiderstand bez\u00fcglichen S\u00e4tze lassen sich, wenn der gesammte Widerstand durch W, die L\u00e4nge durch 1, der Querschnitt durch q, der specifische Leitungswiderstand durch s bezeichnet wird, in die eine Formel\nW = -q\nzusammenfassen.\n4. Weiter ist der Leitungswiderstand eine Function der Temperatur. Bei den Metallen nimmt er mit wachsender Temperatur zu, bei den Fl\u00fcssigkeiten dagegen ab. 5. Endlich erweist er sich auch noch abh\u00e4ngig von der Form des Leiters, so dass dasselbe Volum eines Leiters, bei gleicher L\u00e4nge und gleichem mittleren Querschnitt in verschiedene Formen gebracht, einen verschiedenen Leitungswiderstand erzeugt.\nDie vorher erw\u00e4hnte Abh\u00e4ngigkeit der Stromst\u00e4rke von der electro-rnotorischen Kraft und dem Leitungswiderstand, welche sich durch die einfache Formel\nworin S die Stromst\u00e4rke, E die electromotorische Kraft, L den Leitungswiderstand bedeutet, ausdr\u00fccken l\u00e4sst, nennt man das Ohmsche Gesetz, nach seinem Entdecker Ohm so genannt, der es im Jahre 1827 in einer so wichtig gewordenen Schrift: \u201edie galvanische Kette\u201c, zuerst bekannt machte.\nMit dem Begriffe der Stromesst\u00e4rke oder Stromesintensit\u00e4t muss man den der Stromdichte nicht verwechseln. Da in der geschlossenen Kette an jedem ihrer Punkte die von ihr ausge\u00fcbten Wirkungen gleich sind, also auch durch jeden beliebig gew\u00e4hlten Querschnitt in der Zeiteinheit dieselbe Electricit\u00e4tsmenge fliesst, so muss je nach der verschiedenen Gr\u00f6sse der Querschnitte an verschiedenen Stellen des Stromleiters die dieselben passirende Electricit\u00e4tsmenge mehr oder weniger dicht zu-sammengedr\u00e4ngt sein. Je kleiner also der Querschnitt, desto dichter in","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"9\nihm die sich durch denselben bewegende Electricit\u00e4tsmenge. Man pflegt daher durch\nd = \u2014 q\ndie Stromdichte zu bezeichnen, wenn s die Stromst\u00e4rke und q die Gr\u00f6sse des ins Auge gefassten Querschnittes bedeuten.\nMit Hilfe des Ohm sehen Gesetzes lassen sich die folgenden beiden wichtigen Beziehungen zwischen Stromst\u00e4rke, Leitungswiderstand und electromotorischer Kraft einsehen. Von ihnen macht der experimenti-rende Nervenphysiolog t\u00e4glichen Gebrauch.\n1. Bietet der in die Kette eingeschaltete Schliessungsbogen einen sehr grossen Widerstand im Vergleich zu dem der ersteren selbst, wie es durchg\u00e4ngig bei neurologischen und thierisch electrischen Versuchen \u00fcberhaupt, wegen des grossen Widerstandes der thierischen Theile, der Fall ist, so erh\u00e4lt man eine Vergr\u00f6sserung der Stromst\u00e4rke nur durch eine Vermehrung der Anzahl der electromotorischen Elemente. Denn zufolge des Ohm sehen Gesetzes hat man, wenn der Leitungswiderstand des Schliessungsbogens durch X und der eines Elementes durch L bezeichnet wird,\nF\u00fcgt man n Elemente hinter einander zusammen, so erh\u00e4lt man\n8 =\nn E\nnL+1\u2019\nworaus ersichtlich, dass, wenn n L gegen X als verschwindend angesehen werden kann, gem\u00e4ss\nQ II E\nb== T-\neine mit der Anzahl der Elemente proportionale Zunahme der Stromst\u00e4rke erreicht wird. Ist dagegen der Leitungswiderstand des Schliessungsbogens im Vergleich zu dem der Kette sehr klein, so dass X als nahe zu verschwindend gegen n L erscheint, so wird nach\nq __ n E _ E\n\u00f6 iT\u00a3r+\u201cx 17\nmit der Zunahme der Anzahl der Elemente keine Zunahme der Stromst\u00e4rke entstehen.\n2. ln diesem Falle kann aber eine Verst\u00e4rkung des Stromes durch eine Vergr\u00f6sserung der Elemente erhalten werden. Denn dann wird der Widerstand L durch n malige Vergr\u00f6sserung eines Elementes in den\nWiderstand L; = \u2014 umgewandelt, und die Formel S \u2014\t= n E\nn \u00b0\t-\tL + a. L\nn","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nE\tE\nbesagt, dass auf diese Weise die Stromst\u00e4rke S = j\u2014^\twelche\ndem n mal kleinern Electromotor zukommt, nahezu n mal gr\u00f6sser geworden sei.\nPr\u00fcft man den Schliessungsbogen der galvanischen Kette an verschiedenen Stellen mit feinen electroscopischen Werkzeugen, so findet man, dass auf demselben freie Spannungselectricit\u00e4t nach einem bestimmten Gesetze angeh\u00e4uft ist. Besteht der Schliessungsbogen aus einem \u00fcberall gleichbeschaffenen Leiter, so ergiebt sich f\u00fcr dessen Mitte ein Indifferenzpunkt mit der Spannung Null, von welchem aus nach dem positiven und negativen Pol hin auf gleiche Strecken der Leitung um gleich viel zunehmende Spannungen positiver und negativer Electricit\u00e4t gefunden werden. Ist der Kreis aus Leitern von verschiedenen Widerst\u00e4nden zusammengesetzt, so nehmen die Spannungen so oft um gleich viel zu, als die Widerst\u00e4nde um gleich viel wachsen. Schliesst man eine und dieselbe Kette durch B\u00f6gen von verschiedenem specifischem Leitungswiderstande, so f\u00e4llt auf gleiche Strecken in beiden B\u00f6gen der Spannungsunterschied umgekehrt proportional dem Gesammtwiderstand der Kette aus. Verbindet man endlich durch denselben Schliessungsdraht die Pole von Ketten verschiedener electromotorischer Kraft, so findet man auf gleichen Strecken den electromotorischen Kr\u00e4ften proportionale Spannungsunterschiede. Ohm, welcher in seinem schon erw\u00e4hnten Buche \u00fcber die galvanische Kette diese S\u00e4tze zuerst aufgestellt hat, nahm an, dass die auf der Oberfl\u00e4che des Leiters bestehenden Spannungsunterschiede an einem bestimmten Orte an jedem Punkte des daselbst angelegten Querschnittes vorhanden w\u00e4ren und dass die durch denselben fliessende Electricit\u00e4ts-menge den Spannungsdifferenzen entspreche, welche auf beiden Seiten, gleichfalls durch die ganze Dicke des Leitungsdrahtes, herrschen und suchte eben hierin die Triebkraft des Stromes f\u00fcr alle Stellen der Leitung. Dies widerspricht jedoch den Erfahrungen, welche man anderweitig \u00fcber die Vertheilung der Electricit\u00e4t auf der Oberfl\u00e4che eines Leiters, sobald ein station\u00e4rer Zustand jener eingetreten ist, gemacht hat, die dahin ausfallen, dass alsdann im Innern des Leiters keine freie Electricit\u00e4t vorhanden ist. Von diesen ausgehend hat Kirchhoff eine andere Theorie des electrischen Stromes entwickelt, zufolge deren die Triebkraft desselben nur in der Electricit\u00e4t zu suchen ist, welche sich frei auf der Oberfl\u00e4che des Leiters befindet. Wer sich n\u00e4hern Aufschluss \u00fcber diese Theorie verschaffen will und hinl\u00e4ngliche, mathematische Vorbildung besitzt, um es zu k\u00f6nnen, findet sie in Poggendorff\u2019s Annalen Bd. 78. S. 506 auseinandergesetzt.","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"11\nWenn die Schliessung einer galvanischen Kette durch mehrere Leitungen zu derselben Zeit geschieht, so theilt sich der Strom in denselben nach Massgabe der Widerst\u00e4nde, welche sich seiner Bewegung entgegensetzen. Hierauf gr\u00fcndet sich das von du Bois-Reymond auf ein zuei\u2019st von Poggendorff angegebenes Schema hin erfundenen Kheochord *). Dasselbe hat f\u00fcr Physiologen den Zweck, electrischc Str\u00f6me in ihrer Einwirkung auf thierische Theile zu irgend welchem Zweck bez\u00fcglich ihrer St\u00e4rke innerhalb sehr weiter Grenzen abzustufen. Wegen des ungemein grossen Widerstandes, den die Nerven bieten, reicht man dazu nat\u00fcrlich mit einer einfachen Einschaltung von d\u00fcnnen, langen Drahtmassen in den Stromkreis nicht aus. Zwar hat man versucht **), die nothwendigen starken Widerst\u00e4nde durch lange Fl\u00fcssigkeitss\u00e4ulen von verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig geringem Querschnitt herzustellen; es haben aber derartige feuchte Itheostaten bei den Physiologen keinen An klang gefunden. F\u00fcr den mit den Grunds\u00e4tzen der Electricit\u00e4tslehre Vertrauten liegen in der That auch die Fehlerquellen, welche derartige Einrichtungen mit sich f\u00fchren, auf der Hand. Dieselben sind f\u00fcr die Harless\u2019sche Vorrichtung von du Bois-Revmond ***) zusaxnmen-gestellt worden.\nUm nun genauer auf das Rhcochord des letzteren selbst n\u00e4her einzugehen, so beruht dasselbe auf dem Princip, eine Kette durch 2 Bahnen zu schliessen, von denen die eine mittelst besonderer Vorrichtungen mit einem ver\u00e4nderlichen Widerstand veisehen wird, was zur Folge hat, dass, entsprechend der Anwendung eines gr\u00f6sseren oder geringeren Theils desselben, die Stromst\u00e4rke in der anderen entsprechend wechselt. Das Instrument ist in der beistehenden Figur (f. S.) abgebildet. Man denke sich einen umgest\u00fcrzten Kasten von circa 1200\"\u2122 L\u00e4nge, 180\"\"\" Breite und 50mm H\u00f6he. Auf der dann dem Beobachter zugekehrten Seite des Bodens finden sich zwei, etwa je lm lange, d\u00fcnne Platindr\u00e4hte p p' ausgespannt. An dem unteren Ende U des Instrumentes gehen sie \u00fcber einen gemeinsamen Steg s s' von Stahl und sind jenseits desselben mittelst zweier Schrauben i i' befestigt. Am oberen Ende 0 steht der Draht p' mit der doppelt durchbohrten Schraubenklemme A, welche auf dem Messingst\u00fcck m festsitzt, in leitender Verbindung, w\u00e4hrend p zu dem von dem\n*) Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen zu physiologischen Zwecken. Aus den Abh. der k. Academie d. Wissenschaften zu Berlin. 1862. S. 123.\n**) Harless, Molekulare Vorg\u00e4nge in der Nervensubstanz. Abhandlungen der k. bayer. Academie d. Wissensch. 1858. IL Cl. VIII. Bd. II. Abth.\n***) Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen zu physiologischen Zwecken. Aus den Abh. der k. Acad. d. Wissensch. zu Berlin. 1862. S. 119,","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"vorigen isolirten Messingst\u00fcck m1 gellt. Parallel mit dem letzteren und gleichfalls von einander isolirt, tr\u00e4gt; der Apparat ebenfalls am obern Ende noch die Messingst\u00fccke m2, m3 . . . m6. Das letztere tr\u00e4gt zwei doppelt durchbohrte Schraubenklemmen B und B1, von denen jedoch nur eine f\u00fcr den gew\u00f6hnlichen Gebrauch bestimmt ist, w\u00e4hrend die andere benutzt wird, wenn das Rheochord noch anderen, besonderen Zwecken dienen soll. Die beiden Platindr\u00e4hte p p' gehen durch zwei mit Quecksilber gef\u00fcllte Stahl-cylinder c c', von denen ein jeder an dem breiten Ende mit einem fein durchbohrten Kork verschlossen, am anderen, abgerundeten Ende mit einer sehr feinen Oeffnung versehen ist, aus welcher das Quecksilber jedoch nur erst dann aus-fliesst, wenn man auf den Kork dr\u00fcckt. Beide Cylinder sind auf einen Schlitten S von Messing auf-gel\u00f6thet, welcher l\u00e4ngs einer Scale C verschoben werden kann. Schlitten, Cylinder und Platindr\u00e4hte sind von oben her durch eine, hier nicht gezeichnete, L\u00e4ngsleiste gesch\u00fctzt.","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Von den Messingst\u00fccken sind von in1 an bis zu m6 je zwei durch messingene St\u00f6psel leitend verbindbar, welche in der Figur zwischen je zwei Messingst\u00fccken m1 m2, m2, m3 etc. im Querschnitt sichtbar sind. Endlich sind an der dem Beobachter abgekehrten Seite des Bodens des Kastens (der Boden selbst ist nicht gezeichnet) noch Neusilberdr\u00e4hte in folgender Weise ausgespannt. Der erste beginnt an dem Messingst\u00fcck m1, geht um das Elfenbeinscheibchen a herum und endigt am Messingst\u00fcck m2. Er hat denselben Widerstand wie die beiden Platindr\u00e4hte p p', wenn der Schlitten am unteren Ende U steht. Der zweite, welcher denselben Widerstand, wie der vorige besitzt, nimmt seinen Anfang am Messingst\u00fcck m2, geht um das Elfenbeinscheibchen \u00df herum, und endigt am Messingst\u00fcck m3. Der dritte hat den doppelten Widerstand der beiden Platindr\u00e4hte bei der angegebenen Stellung des Schlittens und geht vom Messingst\u00fcck m3 um das Elfenbeinscheibchen y und endigt am St\u00fcck m4. Der vierte der Widerstandsdr\u00e4hte betr\u00e4gt das F\u00fcnffache der schon mehrfach erw\u00e4hnten Dr\u00e4hte und geht vom St\u00fcck m4 in der gezeichneten Weise zu m5. Der letzte bietet den zehnfachen Widerstand mit einem Verlauf, der unmittelbar aus der Zeichnung klar ist. Damit bei den Verbindungen der Messingst\u00fccke durch die metallenen St\u00f6psel kein Irrthum unterlaufe, sind letztere an Schn\u00fcren befestigt und mit den Zahlen 1, 1,2, 5, 10 versehen, welche die durch sie einzuf\u00fchrenden Widerst\u00e4nde bedeuten. Der Gebrauch des Rheochords ist nun einfach folgender : Der eine, z. B. positive, Pol der Kette ist mit der Schraubenklemme B' verkn\u00fcpft. Von hier f\u00fchrt der eine kurze, fast widerstandslose Weg durch die mittelst der Messingst\u00f6psel verkn\u00fcpften Messingst\u00fccke direct zum negativen Pole in der Schraubenklemme A, wenn der Schlitten auf dem Nullpunkt der Theilung steht, so dass die abgerundeten Enden der Cylinder leitend den Messingst\u00fccken m und m1 anliegen. Ausserdem f\u00fchrt von B1 aus ein anderer Weg, der durch den Bogen D gegeben ist, und in welchen man an beliebiger Stelle, etwa bei T, die dem Strom auszusetzenden thierischen Theile einschaltet, je nach Bed\u00fcrfniss mit oder ohne eine, die Polarisation beseitigende Vorrichtung. W7ie in der Zeichnung die Widerst\u00e4nde des Rheochords angeordnet sind, ist im Kreis D nur ein unmerklicher Strom vorhanden, vorausgesetzt nat\u00fcrlich, dass die Kette nicht von \u00fcberm\u00e4ssiger electromotorischer Kraft ist. Bei der Entfernung des Schlittens gegen das Ende U hin w\u00e4chst die Stromst\u00e4rke in D, indem durch Einschaltung der Widerstandsdr\u00e4hte p p' in die andere Strombahn daselbst die Stromst\u00e4rke verringert wird. Mit Hilfe der beschriebenen Einrichtungen kann man den Widerstand ein bis zwanzig mal so gross machen, als den, welchen die beiden Platindr\u00e4hte bilden und ausserdem noch beliebige Bruchtheile, die durch Ver-","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nSchiebung des Schlittens herzustellen sind, einf\u00fchren. Sollte z. B. der sechsfache Widerstand von dem, welchen die Platindr\u00e4hte bilden, verlangt werden, so w\u00fcrde einfach der St\u00f6psel 5 auszuziehen und der Schlitten an das untere Ende der Scale zu r\u00fccken sein. Dann w\u00fcrde die eine Stromabtheilung von B1 direct durch die, keinen erheblichen Widerstand bietenden, Messingst\u00fccke m6, m5, dann durch den, einen f\u00fcnffachen Widerstand bietenden Draht, welcher zwischen den Messingst\u00fccken m5 und m4 ausgespannt ist, und schliesslich von m4 durch m3, m2, m1 und durch p' p nach m und A gehen.\nViel complicirter gestalten sich die Str\u00f6mungsvorg\u00e4nge, wenn beliebig viele, lineare Leiter in beliebiger Weise mit einander verkn\u00fcpft sind, und weitere, besondere Schwierigkeiten bieten die F\u00e4lle dar, in welchen k\u00f6rperliche Leiter und eine beliebige Anzahl und beliebig vertheilte electromotorische Kr\u00e4fte vorhanden sind. Aber f\u00fcr den Physiologen sind gerade die letzteren von besonderer Bedeutung, da die ISlerven und Muskeln k\u00f6rperliche Leiter mit in ihrem Innern vorhandenen electro-motorischen Kr\u00e4ften darstellen. F\u00fcr die Behandlung von F\u00e4llen der letzteren Art ist von Helmholtz *) eine Anzahl von S\u00e4tzen gefunden worden, die f\u00fcr uns von besonderem Werthe sind. Wir theilen den Inhalt einiger derselben mit und \u00fcberlassen es dem Leser, die Beweisf\u00fchrung derselben in der unten citirten Abhandlung nachzulesen. Diese sind :\n1.\tDas Gesetz von der Superposition der electrischen Str\u00f6me. Dies sagt aus, dass in einem beliebigen System von Leitern, in welchem an verschiedenen Stellen electromotorische Kr\u00e4fte Vorkommen, die Spannung an einem beliebigen Punkte. gleich ist der algebraischen Summe derjenigen Spannnungen, welche eine jede einzelne electromotorische Kraft unabh\u00e4ngig von den anderen an jenem Punkte hervorbringen w\u00fcrde. Die Stromintensit\u00e4t, welche in einer bestimmten Richtung herrscht, kann man in drei zu einander rechtwinkliche Componenten zerlegen; unser Gesetz sagt dann noch weiter aus, dass in dem unterstellten Falle die Intensit\u00e4ten der drei rechtwinklichen Componenten jedesmal der Summe der entsprechenden Componenten gleich sind, welche den einzelnen electromotorischen Kr\u00e4ften angeh\u00f6ren.\n2.\tDas Princip von der electrischen Oberfl\u00e4che. Es heisst: F\u00fcr jeden Leiter A, in dessen Innerem electromotorische Ki\u2019\u00e4fte beliebig vertheilt sind, l\u00e4sst sich eine bestimmte Vertheilung electromotorischer\n*) H. Helmholtz. Ueber einige Gesetze der Vertheilung electrischer Str\u00f6me in k\u00f6rperlichen Leitern, mit Anwendung auf die electrisch thierischen Versuche. Poggen-dorff\u2019s Annalen Bd. 89. S. 211 und 353.","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"15\nKr\u00e4fte in seiner Oberfl\u00e4che angeben, welche in jedem angelegten Leiter B dieselben abgeleiteten Str\u00f6me, wie die im Innern von A vertheilten Kr\u00e4fte hervorbringen w\u00fcrde.\n\u00a7\u2022 3.\nWirkungen des galvanischen Stroms im Allgemeinen und Ablenkung der Magnetnadel durch denselben im Besonderen, Multiplicator mit astatischer Nadel, Electrogalvanometer.\nDie Wirkungen, welche der galvanische Strom aus\u00fcbt, sind mehrfach: er lenkt eine in seiner N\u00e4he aufgestellte Magnetnadel oder einen frei beiveglichen, von demselben oder einem anderen Strome durchflossenen Leiter ab; magnetisirt weiches Eisen und Stahl, falls er in isolirten Windungen um beide herum l\u00e4uft; erw\u00e4rmt alle und zersetzt die fl\u00fcssigen Leiter, unter gewissen Bedingungen f\u00fchrt er die letzteren auch mechanisch fort; in geschlossenen und offenen, zu Spiralen aufgewickelten Drahtmassen erzeugt er Strom- und Spannimgserscheinungen (Induction); um durchsichtige K\u00f6rper herumlaufend, \u00e4ndert er den Durchgang des Lichtes durch dieselben ab, was an einer Drehung der Polarisationsebene erkannt wird; endlich \u00fcbt er besondere Einfl\u00fcsse auf lebendige Nerven und Muskeln aus, wenn er durch dieselben hindurchgef\u00fchrt wird, physiologische Wirkungen. Die zuletzt angef\u00fchrten Effecte werden sp\u00e4ter in der eigentlichen Nervenphysiologic beschrieben werden ; von den anderen heben wir nur diejenigen und diese insoweit hervor, als dieselben f\u00fcr den Nerven-physiologen von Werth sind. Wir beginnen mit der Einwirkung des Stromes auf eine in seiner N\u00e4he befindliche Magnetnadel. Als Fundamentalsatz dieses Gebietes gilt folgender: Der Druck, tvelchen der electrische Strom auf die Magnetnadel aus\u00fcbt, geschieht immer senkrecht gegen die electramagnetische Wirkungsebene. Letztere ist eine Ebene, welche man sich durch einen Pol der Nadel und zwei Punkte des geradlinig an demselben vorbeilaufenden Stromleiters gelegt denkt. So lange daher der ablenkenden Kraft des Stromes keine andere Kraft entgegen wirkt, muss sich eine Magnetnadel, wenn ein Strom parallel ober- oder unterhalb derselben verl\u00e4uft, senkrecht auf die Richtung desselben stellen, wie dies z. B. in der That der Fall ist mit einer Magnetnadel, welche dadurch, dass ihre Schwingungsebene senkrecht auf der Inclinationsebcne des Ortes steht, der erdmagnetischen Kraft entzogen ist. Durch Anwendung dieses Grundsatzes kann man sich leicht eine Vorstellung \u00fcber die Wirkungsgr\u00f6sse des Stromes f\u00fcr jede beliebige Lage des Stromleiters zur Magnetnadel machen. Es sei in der bei","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16 -\nstehenden Figur d der Nordpol der Nadel, f d eine Linie ihrer Schwin-gungsebene, a ein Punkt der geraden, senkrecht gegen die Ebene des\nPapiers angelegten Strombahn ; dann ist a d eine Linie in der electromagnetisehen W irkungs-ebene, welche mit der Schwingungsebene der Nadel den Winkel c bildet; mithin geschieht der Druck auf d in der auf a d senkrechten Richtung d b. Die Gr\u00f6sse J dieser Kraft l\u00e4sst sich aber in b e und d e zerlegen, von denen erstere im St\u00fctzpunkt der Nadel verloren geht und nur die horizontale Composante d e = J . sin c zur Wirksamkeit gelangt; d. h. die ablenkende Kraft des Stromes ist proportional dem Sinus des Winkels zwischen der Schwingungsebene der Nadel und der electromagnetisehen Wirkungsebene des Stromes. Ist c = 90\u00b0, d. h., steht die electromagnetische Wirkungsebene senkrecht auf der Schwingungsebene, so ist sin c = 1 und d e = J erh\u00e4lt sein Maximum; ist dagegen c = 0, d. h. lauft der Stromleiter in gleicher H\u00f6he mit der Nadel parallel mit ihr, so ist auch die ablenkende Kraft des Stromes gleich Null. Diese Betrachtungen enthalten den Grund daf\u00fcr, dass in allen galvanometrischen Messwerkzeugen der Strom in einer zur Horizontalebene senkrechten Bahn gef\u00fchrt ist; denn es ist am leichtesten eine Magnetnadel ohne bedeutende Widerst\u00e4nde in horizontaler Richtung Schw\u00fcngen zu lassen.\nDas vorerw\u00e4hnte Gesetz sagt durchaus Nichts aus \u00fcber die Richtung, nach welcher hin sich der eine oder andere Pol der Nadel bewegt. Aber auch diese ist erfahrungsm\u00e4ssig bestimmt. Man hat daf\u00fcr verschiedene Ausdr\u00fccke gew\u00e4hlt. Der f\u00fcr unsere Zwecke passendste, wenn auch vielleicht gerade nicht wissenschaftlichste, ist dieser: Man denke sich im positiven Strom schwimmend, den Kopf voran, die Nadel im Auge, so wird der Nordpol stets nach links abgelenkt.\nDas Multiplicatorgewinde. Ist r b Fig. 4 eine Magnetnadel und wird ein Stromleiter ober- und unterhalb derselben hergebogen, so wirken beide Drahttheile in demselben Sinn ablenkend auf die Nadel ein. Hat z. B. der Strom die vom Pfeil angedeutete Richtung, so wird sich der Nordpol b senkrecht vor die Ebene des Papiers zu stellen streben. Mit der Anzahl der um die Nadel gelegten Windungen vermehrt sich die Gr\u00f6sse ihrer Ablenkung, nat\u00fcrlich nicht","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"- 1?\ngenau proportional, weil die einzelnen Windungen sich in immer andern Lagen und Entfernungen von der Nadel befinden. Jedes Instrument, in welchem auf diese Weise die Wirkung des Stromes vergr\u00f6ssert dargestellt wird, gleichgillig, welches seine weitere Einrichtung behufs etwaiger, besonderer Zwecke sei, heisst Multiplicator. Dieser ist mithin f\u00fcr den galvanischen Strom etwa dasselbe, was das Microscop dem Auge f\u00fcr sehr kleine Gegenst\u00e4nde ist. Ein jedes galvanometrische Instrument wird daher je nach dem besonderen Zwecke, dem es dienen soll, einen Multiplicator von einer geringeren oder gr\u00f6sseren Windungsanzahl besitzen k\u00f6nnen.\nJe nach der Besonderheit nun der zu untersuchenden Str\u00f6me m\u00fcssen die Multiplicatoren verschiedene Einrichtungen besitzen : sie m\u00fcssen entweder' nur einige Windungen eines kurzen, dicken, oder sehr viele eines langen, d\u00fcnnen Drahtes haben. In dieser Beziehung ist aber vor allen Dingen festzuhalten, dass in galvanischen Ketten von grossem WiderstandMultiplicatoren mit langem, d\u00fcnnem, dagegen in solche von geringem Widerstand solche mit kurzem, dickem Draht einzuschalten sind. Diese Hegel ergiebt sich aus folgender Ueberlegung. Nehmen wir an, man habe eine Kette, deren grosser Leitungswiderstand\ngleich sei einem xmtr langen und \u2014 dicken Draht. F\u00fcgt man in\ndieselbe noch einen eben so langen und dicken Draht, so wird zwar die\nfr\u00fchere Stromst\u00e4rke S = \u2014 auf die H\u00e4lfte, n\u00e4mlich S \u2014 \u2014 reducirt-\nallein es lassen sich mit diesem Drahtst\u00fcck sehr viele Windungen, wenn 1\nz. \u00df. eine Windung ^ Meter betr\u00e4gt, mx solcher machen. W\u00fcrde\n1mm\nman anstatt des \u2014 dicken Drahtes einen 1 Meter Langen und lmm dicken Draht angewandt haben, so w\u00fcrde allerdings die fr\u00fchere Stromst\u00e4rke S = \u2014 nach S = \u2014fast gar keine Abnahme erlitten\nx + \u2014 n\nhaben; allein man kann mit diesem Draht auch nur m Windungen machen. Die Wirkungen auf die Nadel werden daher dargestellt:\nm k\nim ersten Fall durch:\n2 x\nim zweiten Fall durch :\nm k x\nworaus ersichtlich, dass die 'Wirkung im letzten Fall um eben so viel kleiner ist als im ersten, als x an Gr\u00f6sse die Zahl 2 \u00fcbertrifft, d. h. vollkommen unbedeutend dagegen. Durch eine \u00e4hnliche Betrachtung l\u00e4sst sich auch der andere Theil der oben angef\u00fchrten Hegel einsehen.\n2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"- 18\nBeide Arten von Multiplicatorgewinden finden in der Physiologie Anwendung; die mit kurzem, dickem Draht \u2014 Thermomultiplicator \u2014 bei der Darstellung von Temperaturdifi'erenzen verschiedener K\u00f6rperstellen und der W\u00e4rmeentwickelung bei der Muskelaction, die mit langem, d\u00fcnnem Draht bei all denjenigen Versuchen, welche erfordern, dass die einen sehr grossen Widerstand bietenden Gewebetbeile des thierischen K\u00f6rpers mit in den Kreis der Kette eingeschaltet werden.\nDa, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, in der Nervenphysiologie es sich wesentlich um die Untersuchung sehr schwacher, an der \u00fcberaus schlecht leitenden Nervcnsubstanz auftretender Str\u00f6me handelt, so hat man sich bem\u00fcht, die Leistungsf\u00e4higkeit multiplicatorischer Vorrichtungen bis aufs Aeusserste zu treiben. Ausser der zu Gebote stehenden Vermehrung der Drahtwindungen, welche wegen des ungemein grossen Widerstandes der feuchten, d\u00fcnnen Nerven bis zu weiten Grenzen getrieben werden kann, hat man die Anwendung eines in zwei Methoden auslaufenden Grundsatzes verfolgt, dessen practische Ausf\u00fchrung zur Construction zweier f\u00fcr die Nervenphysik wichtiger Instrumente gef\u00fchrt hat, n\u00e4mlich des Multiplicators mit Doppelnadel und des sogenannten Electrogalvano-meters. Der Grundsatz von welchem dabei auszugehen ist, liegt in dem Umstand, dass die Magnetnadel eines electromagnetischen Werkzeugs sich stets unter dem Einfluss zweier, entgegengesetzter Kr\u00e4fte, der des Stromes und des Erdmagnetismus, befindet, und dass man der ersteren ein relatives Uebergewicht verschaffen kann, wenn man die letztere verkleinert. Eins der Mittel, dies zu thun, k\u00f6nnte darin bestehen, die Nadel in einer Ebene schwingen zu lassen, welche nahezu senkrecht auf der Inclinationsebenc des Ortes st\u00fcnde, weil auf eine solche Nadel der Erdmagnetismus fast gar keine Wirkung mehr aus\u00fcbt, wenn es m\u00f6glich w\u00e4re, f\u00fcr eine solche Einrichtung eine hinl\u00e4nglich feine, keine der ablenkenden Kraft des Stromes besondere Widerst\u00e4nde bietende Aufh\u00e4ngungsart zu beschaffen, abgesehen von manchen anderen Unbequemlichkeiten, welche ein derartiger Apparat bieten w\u00fcrde. Man hat daher nach einander zu zwei anderen Mitteln gegriffen. Diese ergeben sich einfach aus folgenden Bemerkungen. Die Empfindlichkeit einer Magnetnadel wird durch die Gr\u00f6sse des Ablenkungswinkels gemessen, den ein electrischer Strom hervorbringt. Da nun die Stromkraft S auf den Magnetismus m der Nadel und der Erdmagnetismus T auf denselben Magnetismus m wirkt, so wird die Gr\u00f6sse der ablenkenden Kraft des\nStromes durch\t~ dargestellt. Hieraus ist ersichtlich, dass die-\nselbe vom Nadelmagnetismus unabh\u00e4ngig ist. Man kann nun f\u00fcr diesen Fall der Anwendung einer einfachen Magnetnadel die ablenkende Kraft","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"des Stromes durch eine Verminderung von T vergrossern Und zwar dadurch, dass man in der Richtung des magnetischen Meridians einen Magnetstab, Hilfsmagneten, anbringt, der mit seinen Polen umgekehrt hegt, als der ideelle Stab, durch welchen man sich die erdmagnetische Kraft repr\u00e4sentirt denken kann. Dann greift die Stromkraft am ge-sammten Magnetismus der Nadel an, w\u00e4hrend die erdmagnetische Kraft durch jenen Stab beliebig verringert werden kann, indem derselbe die Magnetnadel aus dem Meridian entfernt, wohin sie der Erdmagnetismus zu drehen strebt. Dieses Princip ist f\u00fcr die Spiegelboussole ausgebildet worden, d. h. ein Multiplicatorgewinde, dessen Magnetstab einen Spiegel tr\u00e4gt, in welchem sich eine Scale spiegelt und dessen Ablenkung mit Hilfe eines Fermohrs an dieser beobachtet wird. Andererseits kann man ein solches System von Magnetismus hersteilen, dass die einander entgegengesetzten Kr\u00e4fte des Stromes und des Erdmagnetismus auf ungleiche Magnetismen desselben einwirken. Dann ist der Magnetismus des Systems augenscheinlich nicht mehr gleichgiltig f\u00fcr die Gr\u00f6sse der Ablenkung, und es kann durch eine passende Wahl der von der Stromkraft und dem Erdmagnetismus anzugreifenden Nadelmagnetismen eine Vergr\u00f6sse-rung der Ablenkung erzielt werden. Diese Deberlegung hat zur Erfindung des astatischen Nadelpaares gef\u00fchrt. In der Nervenphysiologie ist das Multiplicatorgewinde mit letzterem vor der Spiegelboussole in Anwendung gekommen. Es soll daher auch zuerst vom\nMultiplicator mit astatischem Nadelpaar die Rede sein. Die Doppelnadel bestellt aus zwei Nadeln von nahezu gleicher magnetischer Beschaffenheit, durch ein m\u00f6glichst leichtes Mittelst\u00fcck in einem gewissen Abstand so \u00fcber einander befestigt, dass entgegengesetzte Pole \u00fcber einander zu liegen kommen. So besch\u00e4ftigt der Magnetismus der einen Nadel den der andern, und der Erdmagnetismus findet als Angriffspunkte nur noch den Rest des Magnetismus vor, welcher wegen der nie herzustellenden, absoluten, magnetischen Gleichheit der Nadeln sich ohne Besch\u00e4ftigung sieht. Da die Lage der Nadeln des astatischen Systems zu den Windungen des Multiplicators so wie in bei-steliender Figur ist, so ergibt sich unter Zuziehung der Regel S. 16, dass auf die untere Nadel die untere und obere Windungsh\u00e4lfte in gleichem Sinn, \u00fcberdies auf die obere aber noch die Differenz der Wirkungen beider Windungsh\u00e4lften in demselben Sinne drehend einwirkt. Es wird demnach f\u00fcr I einen Multiplicator mit astatischem Nadel-\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"system, wenn wir die auf den Magnetismus m der unteren Nadel wirkende Stromkraft durch S, die auf den Magnetismus m' der oberen Nadel wirkende Stromkraft durch S', den Erdmagnetismus durch T bezeichnen, die Gr\u00f6sse der Ablenkung durch den Werth\nS m -f- S' m'\nT (m \u2014 m')\ngemessen. Die G\u00fcte des Systems im Multiplicator w\u00e4chst also mit der Abnahme des Unterschiedes der Nadelmagnetismen, ist aber zugleich mitbedingt durch die absoluten Magnetismen beider Nadeln.\nZu einem genauem Yerst\u00e4ndniss des Multiplicators mit astatischer Doppelnadel wird es gut sein, vorerst die wesentlichsten Eigenschaften des astatischen Systems ausserhalb des Multiplicatorgewindes zu betrachten. Die Erfahrung lehrt von ihm, dass es nicht in jeder ihm ertheilten Lage im Gleichgewicht ist, sondern dass es sich, eine hinl\u00e4nglich feine Auf h\u00e4ngungsart vorausgesetzt, unter einem geivissen Winkel gegen den Meridian stellt, in welche Stellung es immer, wenn es daraus entfernt wird, unter einer Anzahl langsamer Schwingungen zur\u00fcckkehrt. Diese Bemerkung gilt aber nur, wohl verstanden, von einem astatischen System, wie wir es herzustellen verm\u00f6gen und nicht von einem absolut astatischen, welches nur f\u00fcr die Idee existirt. Man nennt die Abweichung der Gleichgewichtslage eines astatischen Systems aus der Ebene des magnetischen Meridians seine freiwillige Ablenkung. Der Grund derselben liegt zum gr\u00f6ssten Theil in dem nie vollkommenen Parallelismus der Nadeln ; ihre Gr\u00f6sse wird mitbedingt durch den Unterschied der Gr\u00f6sse der magnetischen Kr\u00e4fte beider Nadeln, d. h. durch deren Astasie. Dies einzusehen, bed\u00fcrfen wir folgender Vorbemerkung. F\u00fcr eine jede Magnetnadel kann man sich statt des auf ihrer einen H\u00e4lfte \u00fcberall verbreiteten freien Nordmagnetismus und des auf ihrer anderen H\u00e4lfte \u00fcberall verbreiteten freien S\u00fcdmagnetismus auf jeder H\u00e4lfte eine gewisse Menge Magnetismus m an irgend einem beliebigen, von dem Drehpunkt um die L\u00e4nge 1 entfernten Punkt concentrirt denken, welche, vom Erdmagnetismus afficirt, dieselbe Bewegung der Nadel zur Folge haben w\u00fcrde, welche in der That stattfindet. Denken wir uns, eine solche Magnetnadel befinde sich in einer zum magnetischen Meridian senkrechten Richtung, so wirken der Nord- und S\u00fcdmagnetismus der Erde auf sie in demselben Sinn drehend ein. Nennt man die magnetische Erdkraft T, so wird die Wirkung auf die H\u00e4lfte der Nadel durch T m 1 ausgedr\u00fcckt, f\u00fcr die andere H\u00e4lfte der Nadel ist sie eben so gross, und das ganze von der Erde auf die Nadel ausge\u00fcbte Drehungsmoment ist T 2 m 1. Das Product 2 m 1 = M nennt man das magnetische Moment der Nadel ; der vorige Ausdruck wird daher T M. Dies ist dg.s gr\u00f6sste Drehungs-","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"21\nmoment, welches der Erdmagnetismus auf die Nadel aus\u00fcbt; denn in jeder andern Lage der Nadel zum Meridian, wie z. B. in der r' b', greift die Kraft P, welche\nin der mit dem magnetischen Meridian B R parallelen Richtung f o wirkt, nicht mehr mit demHebel-i:rm 1 = c f, wie in dem Fall, wenn F b' senkrecht auf dem Meridian steht, sondern mit dem kurzem c i = X an, und es wird jetzt das Drehungsmoment um soviel kleiner sein wie T M, als X kleiner ist als 1. Dies berechnet sich daher nach der Proportion\n1 : X = T M : x ;\nMan ersieht hieraus, dass das von der Erde auf jede Magnetnadel ausge\u00fcbte Drehungsmoment proportional ist dem Sinus des Ablenkungswinkels, und in seinem Ausdruck als Constante das magnetische Moment der Nadel hat.\nStellen nun r b und r' b' die unter dem Winkel a mit einander verbundenen Nadeln eines astatischen Systems dar, so ist das auf F 1h ausge\u00fcbte Drehungsmoment, wenn ihr magnetisches Moment M ist, \u2014 TM sin F c B und das der Nadel b r', wenn ihr magnetisches Moment = M', = T M' sin b c B. Soll Gleichgewicht bestehen, so muss sein:\nT M sin r' c B = T M' sin b c B oder M sin F c B = M' sin b c B. Nennt man den Winkel F c B = \u00df, b c F == a, so l\u00e4sst die Gleichung M sin \u00df = M' sin (\u00df + a) ersehen, wie die Gleichgewichtslage des Systems, d. i. die Gr\u00f6sse des Winkels \u00df, vo?i den magnetischen Momenten M und M\u2018 der beiden Nadeln, so wie von dem Winkel a, den sie mit einander bilden, abh\u00e4'hgt. Ist M = M' d. h. sind beide Nadeln absolut gleich magnetisch, so geht die Gleichgewichtsbedingung \u00fcber in\nsin \u00df \u2014 sin (\u00df + a).\nDies tritt dann ein, wenn \u00df = 90\u00b0 \u2014 */2 a un^ \u00df + a \u2014 90\u00b0 + f/2 a isb d. h. wenn, wie in der Figur der folgenden Seite, die den Winkel a halbirende Linie senkrecht auf dem Meridian steht.","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nUm sich von der Gr\u00f6sse der Astasie eines Nadelsystems Kennt-niss zu verschaffen, dient gew\u00f6hnlich die Beobachtung seiner Schwin-gungsdauer. Die Schwingungs-zahl einer gegebenen Magnetnadel h\u00e4ngt ab : von der Gr\u00f6sse des Erdmagnetismus am Beobachtungsort, dem Tr\u00e4gheitsmoment und dem magnetischen Moment der Nadel ; es wird also eine Magnetnadel bei gleichem Tr\u00e4gheitsmoment innerhalb einer gegebenen Zeit um so mehr Schwingungen machen, einen je st\u00e4rkern Magnetismus sie tr\u00e4gt, daher das astatische System um so weniger, je geringer der Unterschied der Magnetismen seiner Nadeln ist, d. h. je gr\u00f6sser seme Astasie. Nat\u00fcrlich kann die blosse Beobachtung der Schwingungsdauer keinen Vergleich zwischen verschiedenen astatischen Systemen gestatten , sondern nur \u00fcber den jeweiligen Grad der Astasie eines und desselben Systems Auskunft geben *).\nWir setzen jetzt eine hinl\u00e4nglich astatische Nadel voraus und h\u00e4ngen sie in den Multiplicator. Bleibt die Gr\u00f6sse der freiwilligen Ablenkung dieselbe, so stellt man leicht die drehbaren Windungen des Multiplicators parallel mit der Nadel, d. h. diese auf die Nulllinie der Theilung ein. In den allermeisten F\u00e4llen aber tritt eine Ablenkung durch die Drahtmassen des Multiplicators auf, indem die Nadel in Folge des Eisengehaltes des Drahtes und h\u00f6chst wahrscheinlich auch oft wegen eines solchen der gr\u00fcnen Seide, welche zum Ueberspinnen des Drahtes benutzt wird, innerhalb des Gewindes einen andern Winkel mit dem Meridian macht, als ausserhalb. Im Allgemeinen nun giebt es f\u00fcr eine solche Nadel drei Gleichgewichtslagen: eine labile auf der Mittellinie und zwei stabile in der N\u00e4he der beiden Diagonalen des Gewindes, welche letzteren um so weiter von der Nulllinie entfernt liegen, je astatischer das System ist. Die Nothwendigkeit des Bestehens einer labilen Gleichgewichtslage auf der Nulllinie sieht man sofort ein, wenn man \u00fcberlegt, dass bei der geringsten Ablenkung der Nadel von dem Nullpunkt sie in s\u00e4rnmtlichen Eisenmolek\u00fclen derjenigen Windungsh\u00e4lfte, welcher sie gen\u00e4hert ist, einen st\u00e4rkern Magnetismus inducirt, als in der ihr ferner gelegenen, dass also ihre Ablenkung auch nach dieser Seite hin sich vergr\u00f6ssern\n*) Zur Theorie der astatischen Nadel vergleiche man : du Bois-Eeymond, Untersuch, \u00fcberthierischeElectricit\u00e4t, Bd.I, S.165 und P o ggen dorff\u2019s Annalen, Bd. CXII,S.54.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"23\nwird und keine Kraft vorhanden ist, welche sie nach der Nulllinie zur\u00fcckf\u00fchrt. Um dagegen sich von dem Vorhandensein der bezeichneten stabilen Gleichgewichtslagen Rechenschaft zu geben, bedarf es eines genauen Eingehens auf die Gesetze, nach welchen die Wirkungen beider Kr\u00e4fte, denen die Nadel im Multiplicator ausgesetzt ist, n\u00e4mlich dem Erdmagnetismus und dem Magnetismus in den Eisenmolek\u00fclen des Drahtes, dessen Vertheilung aber bei jeder Stellung der Nadel zum Gewinde eine andere ist, erfolgen. Der Anf\u00e4nger mag, da ein genaueres Eingehen auf diesen Punkt nicht mit K\u00fcrze geschehen kann, die gemachte Angabe als das Resultat einer gr\u00fcndlichen Betrachtung hinnehmen, aber nicht unterlassen, den betreffenden Abschnitt bei du Bois-Reymond zu studiren, das Beste, was die physikalische Literatur \u00fcber diesen Gegenstand aufzuweisen hat *).\nDie Mittel, deren man sich bedient hat, um dennoch solche Multi-plicatoren bi\u2019auchbar zu machen, sind verschiedenartig. Gew\u00f6hnlich bedient man sich jetzt eines Verfahrens, welches den Namen der Compensation f\u00fchrt. Es gr\u00fcndet sich auf die Einsicht, dass die genannten Gleichgewichtslagen des astatischen Systems dadurch zu Stande kommen , dass die auf dasselbe innerhalb des Multiplieatorgewindes wirkende Kr\u00e4fte in eine besondere Collision ge-rathen und besteht darin, dass man mittelst eines Magneten -\u2014\nBerichtigungsstab oder Compensationsmagnet genannt \u2014 dem astatischen System so viel von seiner Kraft raubt, dass die anziehenden Kr\u00e4fte der Drahtmassen der Kraft des Erd-magnetismus^gegen\u00fcber eben unwirksam werden.\n-*) Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t, Bd. I, S. 175 ff.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nJeder Multiplica tor vertr\u00e4gt daher nur ein gewisses Mass der Astasie, was man mit Nobili die Leistungsf\u00e4higkeit desselben nennt. Das N\u00e4here hier\u00fcber sehe man am angef\u00fchrten Orte. Die vorstehende Figur zeigt ein Specimen eines Multiplicators mit Doppelnadel f\u00fcr thierisch- electrisclic Versuche, die Zeichen darin haben folgende Bedeutungen: a a ist der Rahmen, auf welchen der Draht gewickelt ist; m ist eine Schraubenvorrichtung, welche die Doppelnadel mittelst des Fadens f tr\u00e4gt und somit dessen gew\u00fcnschte Hebung und Senkung erlaubt; b ist eine in der Mitte des Rahmens eingesetzte Glaslamelle, durch welche hindurch man sich \u00fcber den Stand der unteren Nadel unterrichten kann; e ist die Theilung; o die den Compensator tragende Vorrichtung; 1, 2, 3, 4 sind Schraubenklemmen, welche dazu dienen, je nach Bed\u00fcrfnis die s\u00e4mmtlichen Windungen des Multiplicators oder nur ihre H\u00e4lfte in Anwendung zu setzen; in der Zeichnung sind 2 und 3 mittelst des Drahtst\u00fcckes n verbunden; f\u00fcr diesen Fall geht ein durch die Dr\u00e4hte a und a\u2018 in den Multiplicator ein- und austretender Strom durch s\u00e4mmtliche Multiplicatorwindungen von der einfachen Dicke des Drahtes.\nDie Bpiegelboussole, das Electrogalvanometer. Das Princip, auf welchem dieses Instrument beruht, wurde bereits oben, S. 19 auseinandergesetzt. Obschon dasselbe schon vom zweiten Jahrzehend unseres Jahrhunderts \u2019 an hei verschiedenen Gelegenheiten in Anwendungen gekommen ist und bereits Poggendorff und Weber den ausgedehntesten Gebrauch davon gemacht haben, so ist es doch auf das Gebiet der Physiologie erst verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr sp\u00e4t verpflanzt worden. Meyerstein und Meissner *) haben es f\u00fcr physiologische Zwecke zur Grundlage der folgenden Form der Bpiegelboussole genommen, welche sie in der derselben von ihnen ertheilten Einrichtung Electrogalvanometer nennen. Die nachstehende Figur zeigt das Instrument in perspectivischer Zeichnung. In ihr bedeutet A eine starke, mit drei Stellschrauben versehene Holzplatte, von deren Rand sich an einer Stelle die S\u00e4ule B erhebt, welche den schwingenden Magneten und den Hilfsmagneten tr\u00e4gt. In die Platte sind ferner zwei Messingstreifen mit Klemmschrauben, von denen nur eine C sichtbar ist, eingef\u00fcgt, welche die Zuleitungsdr\u00e4hte aufnehmen. Am anderen Ende eines jeden Messingstreifens findet sich ein aufw\u00e4rts gerichteter Messingvorsprung a, welcher in einem Einschnitte einen Messingzapfen i aufnimmt, mit dessen Hilfe einerseits das Multiplicator-gewinde D getragen, andererseits zugleich die Verbindung des strom-f\u00fchrenden Messingstreifen mit den Enden des Multiplicatordrahtes her-\n*) Zeitschrift f\u00fcr rationelle Mediein von Henle und Pfeuffer. III. Reihe. XI. Bd-S. 19 und P oggen d o rff\u2019s Annalen, IV. Reihe. XXIV. Bd. S. 132.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"25\ngestellt wird. Beim Aufstellen des Instrumentes richtet man das Holzgestell so, dass die Verbindungslinie der beiden Zapfenlager rechtwinklig auf dem Meridian steht, also die Windungen des Multiplicators und der Magnet im Meridian selbst stehen. Weiter bedeutet b einen B\u00fcgel, welcher an seinem unteren, in das Multiplicatorgewinde horizontal hineinragenden und darum in der Zeichnung nicht sichtbaren Arm den ringf\u00f6rmigen Magneten m und an seinem obern d den Spiegel S tr\u00e4gt.\nLetzterer kann in verschiedenem Azimuthe am Arme d gedreht und festgestellt werden, wie es gerade die Bed\u00fcrfnisse des Beobachtungslocales erheischen. Der Magnet ist ringf\u00f6rmig, wie es die kleinere Figur daneben zeigt, oder elliptisch, eine Form, welche zuerst Weber angegeben und den folgenden Sinn hat.\nDas Multiplicatorgewinde ist n\u00e4mlich von einer Kupferh\u00fclse umgeben, in welcher durch den schwingenden Magneten Str\u00f6me inducirt werden, die ihrerseits d\u00e4mpfend auf die Bewegung der Magnetnadel zur\u00fcckwirken, so dass unter ihrem Einfluss eine schwingende Magnetnadel viel rascher ihre Gleichgewichtslage einnimmt, als ohne einen solchen D\u00e4mpfer. Bei einem ringf\u00f6rmigen Magneten nun sind die mittleren, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig unwirksameren Theile entfernt, und es wirkt dadurch ein solcher Magnet im Verh\u00e4ltniss zu seiner Masse besonders kr\u00e4ftig. Der Hilfsmagnet ist in einen gr\u00f6sseren und kleineren gespalten. Jeder von ihnen liegt in einem Holzk\u00e4stchen,","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nM und M' und zwar so, dass der Schwerpunkt jedesmal \u00fcber den Auf-h\u00e4ngepunct der Nadel zu liegen kommt. Beide sind an einem Prisma, P, das eine Scala tr\u00e4gt, in verticaler Richtung verschieb- und feststellbar. Das Prisma selbst ist \u00fcberdies um seine verticale Axe drehbar. Mit Hilfe dieser Vorrichtungen kann man dem ringf\u00f6rmigen Magneten des Multiplicatorgewindes jeden nur w\u00fcnschenswerthen Grad von Astasie geben und denselben zu gleicher Zeit auch seine Gleichgewichtslage im magnetischen Meridian nehmen lassen. Die st\u00e4rkere oder geringere Einwirkung der Hilfsmagnete auf den Ringmagnet entfaltet man durch deren verticale Verschiebung am Prisma P; wohingegen die Einstellung derselben in den Meridian theils durch die gr\u00f6bere drehende Bewegung des Prismas P um seine verticale Axe, theils durch eine feinere Drehung des unteren kleineren Hilfsmagneten in seinem K\u00e4stchen (und dies ist eben der Sinn der Zerlegung des Hilfsmagneten in einen oberen st\u00e4rkeren und unteren kleineren) bewerkstelligt wird. Die Ablenkungen werden mit Fernrohr und Scale beobachtet. Ueber diesen letzteren Punkt k\u00f6nnen wir hier keine weitere Anleitung geben. Man muss sich die dazu nothwendigen Regeln durch Arbeit in dem Laboratorium eines in dieser Angelegenheit erfahrenen Physikers oder Physiologen aneignen, oder mit Benutzung der Arbeiten von Poggendorff*) und Gauss**) sich selbst mit ihnen vertraut zu machen suchen.\n\u00a7\u25a0 4.\nVon den Erscheinungen, wenn der galvanische Strom Fl\u00fcssigkeiten durchsetzt. Uebergangswiderstand, galvanische Polarisation, Vermeidung derselben, constante Ketten, innere Polarisation feuchter Leiter, secund\u00e4rer Widerstand.\nKein, auch nicht der schw\u00e4chste, galvanische Strom kann eine Strecke eines fl\u00fcssigen Leiters durchziehen, ohne dass dieser dabei zersetzt wird. Dies giebt sich auf die Weise kund, dass an den in die Fl\u00fcssigkeit eintauchenden Polen der Kette Zersetzungsproducte ausgeschieden werden. Die Zersetzung selbst wird Electrolyse und der zu zersetzende K\u00f6rper Electrolyt genannt, w\u00e4hrend die in die Fl\u00fcssigkeit eintauchenden Pole Electroden heissen, von welchen man die die positive Electricit\u00e4t tragende Anode, die andere Kathode nennt. F\u00fcr die an den Electroden auftretenden Zersetzungsproducte ist der Name Jonen in\n*) Poggendorff\u2019s Annalen, Bd. VII, S. 121.\n**) G\u00f6ttinger gelehrte Anzeigen. 1833. Nr. 205\u2014207.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"27\nGebrauch, welche je nachdem sie an der Anode oder Kathode erscheinen, als Anionen und Kationen unterschieden werden. Je nach der Natur der Electrolyte und der Electroden treten nun aber in einem solchen Stromkreis sehr verschiedene Erscheinungen auf.\n1. Sind die Electroden und die an ihnen ausgeschiedenen Zer-setzungsproducte der Art, dass sich an ersteren dauernd fremde Stoffe ablagern, so wird durch die Adh\u00e4sion letzterer an jenen eine Aenderung der urspr\u00fcnglichen Stromst\u00e4rke bewirkt und zwar auf die doppelte Weise, dass entweder beide Jonen, oder, wie gew\u00f6hnlich, nur eine, durch besondere Leistungsg\u00fcte oder Widerstand, verglichen mit dem bereits im Kreise vorhandenen Widerstand, die urspr\u00fcngliche Stromst\u00e4rke \u00e4ndern, oder dass jener Contact der Sitz einer neuen, besonders f\u00fchlbaren, electromotorischen Kraft wird. Nat\u00fcrlich kann auch Beides zugleich Vorkommen, in der Regel wirken aber die Jonen vorzugsweise nur auf die eine oder andere Weise. Die erstere Wirkung wird Vebergangsioiderstand, die letztere galvanische Polarisation genannt. Als ein Beispiel von Uebergangswiderstand diene das schlecht leitende Kupferoxyd, welches sich an der positiven Electrode abscheidet, wenn man Schwefels\u00e4ure zwischen Kupferelectroden zersetzt. Erh\u00f6ht der Uebergangswiderstand den bereits in der Kette vorhandenen, so heisst er positiv, wenn das Gegentheil stattfindet, negativ. Was die galvanische Polarisation anlangt, so werden, da ihre Ursache eine Combination verschiedener Electromotoren darstellt, ihre Eigenth\u00fcmlichkeiten von all denjenigen Umst\u00e4nden abh\u00e4ngen, welche von Einfluss auf die electromotorischen Kr\u00e4fte sind, also namentlich von der Natur der Electroden, den ausgeschiedenen Zersetzungsprod\u00f9cten, sowie weiterhin auch von der Temperatur. In der Regel hat der durch die Polarisation erzeugte Strom die umgekehrte Richtung von dem, der die Zersetzung herbeif\u00fchrte. Bei der Anwendung von eisernen Electroden in verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure hat man nach l\u00e4ngerem Schluss der Kette den Polarisationsstrom im Sinne des prim\u00e4ren laufend beobachtet; ebenso beim amalgamirten Zink in Brunnenwasser und beim Kupfer in Kupfervitrioll\u00f6sung unter Anwendung von prim\u00e4ren Str\u00f6men geringer Intensit\u00e4t. Man bezeichnet die letztere Polarisation als positive, gegen\u00fcber der gew\u00f6hnlichen, welche man die negative nennt. Man stellt sich den Hergang dieser Zersetzung nach einer zuerst von Grotthuss gegebenen Theorie folgendermassen vor. Man denkt sich ein jedes Fl\u00fcssigkeitsmolek\u00fcl aus zwei Theilen, einem electronegativen und einem electropositiven zusammengesetzt. Ist nun, etwa so, wie es die umstehende Figur andeutet, die positive Electricit\u00e4t in dem positiven Pole bis an dessen Ende vorgedrungen, so werden die denselben unmittelbar ber\u00fchrenden Fl\u00fcssigkeitstheilchen in","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\neine solche Stellung gebracht, dass ihre negativen Bestandteile sich dem positiven Pol als die entgegengesetzte Electricit\u00e4t tragend, zukehren, w\u00e4hrend sich\nihre positiven nach der entgegengesetzten Seite wenden, die n\u00e4chsten Fl\u00fcssigkeitsmolek\u00fcle zu gleicher Stellung zwingen und so fort bis an das andere Ende der Fl\u00fcssigkeit, wo die positiven Bestandteile der dem negativen Pole zun\u00e4chst anliegenden Fl\u00fcssigkeitstheilchen von dessen Electricit\u00e4t angezogen werden und sich hier, gleich den negativen Bestandteilen an dem positiven Pole, ausscheiden, indessen sich auf der ganzen Strecke zwischen den beiden Polen die an einander grenzenden negativen und positiven Bestandteile zu Fl\u00fcssigkeitstheilchen vereinigen. Dieser Process der Zersetzung und Wiedervereinigung findet so lange statt, als die Kette geschlossen ist, was an der fortdauernden Ausscheidung der Zersetzungsproducte an den Polen erkannt wird. Daher ist es dann auch zur Vervollst\u00e4ndigung der eben auseinandergesetzten Vorstellung n\u00f6tig, sich zu denken, dass fortw\u00e4hrend die einzelnen Fl\u00fcssigkeitstheilchen w\u00e4hrend der geschlossenen Kette in Bewegung sind und dass das gezeichnete Schema nur eine f\u00fcr einen Augenblick bestehende Anordnung der Theilchen darstellt. So lange die prim\u00e4re Kette geschlossen ist, bet\u00e4tigt sich die Polarisation dadurch, dass sie den Strom der ersteren schw\u00e4cht. Sobald aber das den Strom liefernde Element ausgeschlossen ist und die polarisirten Electroden durch einen Bogen zum Kreis geschlossen werden, wird er, da die Zersetzungsproducte noch eine Zeit lang an den Electroden haften, mit Hilfe eines Multiplicators rein zur Anschauung gebracht. Dies Verfahren ist besonders desshalb zu empfehlen, weil man sich dadurch von der Existenz der Polarisation auch f\u00fcr die F\u00e4lle \u00fcberzeugt, in denen zu Folge sein-schwacher Str\u00f6me die Zersetzungsproducte dem Auge nicht sichtbar sind. Erl\u00e4utern wir an einem Beispiel im Einzelnen die Entstehung und Richtung des Polarisationsstromes. Wir w\u00e4hlen dazu den Fall, dass Platinelectroden in reines Wasser tauchen. An der positiven Electrode scheidet sich der negative Sauerstoff, an der negativen der positive Wasserstoff aus. Platin wird in Ber\u00fchrung mit Sauerstoff positiv, die aus dieser Contactstelle entspringende positive Electricit\u00e4t fliesst daher in einer dem Laufe des urspr\u00fcnglichen Stromes entgegengesetzten Richtung ab. Wasserstoff wird in Ber\u00fchrung mit Platin positiv und es nimmt daher der aus dieser Ber\u00fchrungsstelle hervorgehende Strom eben dieselbe Richtung, so dass also die Adh\u00e4sion beider\nDCCCCC\n+ - + - + - + - + - + -","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"29\nGasarten an den Platinelectroden Wirkungen erzeugt, welche beide den urspr\u00fcnglichen Strom abschw\u00e4chen. In manchen F\u00e4llen sind die an den Electroden ausgeschiedenen Zersetzungsproducte die Folge secund\u00e4rer Zersetzungen. Tauchen z. B. Platinelectroden in eine Kochsalzl\u00f6sung, so wird an der positiven Chlor, an der negativen Wasserstoff ausgeschieden, letzterer desslialb, weil das an der negativen Electrode freiwerdende Natrium sich augenblicklich auf Kosten des Wassers unter Entbindung von Wasserstoff oxydirt.\nDie Gr\u00f6sse der Polarisation ist, wie schon erw\u00e4hnt, ausser von der Natur der in Ber\u00fchrung befindlichen K\u00f6rper noch abh\u00e4ngig von der Stromst\u00e4rke und der Temperatur: von der Stromst\u00e4rke so, dass sie mit der Zunahme derselben zwar ebenfalls w\u00e4chst, aber in einem geringem Grade und zwar dies um so mehr, eine je gr\u00f6ssere absolute St\u00e4rke die Str\u00f6me haben; von der Temperatur dergestalt, dass sie mit Erh\u00f6hung derselben nahezu proportional abnimmt.\n2. Sind dagegen Fl\u00fcssigkeit und Electroden so gew\u00e4hlt, dass an letztem sich keine heterogenen Stoffe abscheiden, so fallen damit die Bedingungen der Polarisation fort. Die gew\u00f6hnlichste Art, dieselbe fortzuschaffen, besteht darin, dass man die metallischen Electroden in eine Aufl\u00f6sung eines Salzes desselben Metalles tauchen l\u00e4sst. Alsdann scheidet sich an der negativen Electrode das Metall der Salzl\u00f6sung, an der positiven die S\u00e4ure aus, welche daselbst mit einem Theil der Electrode neues Salz bildet. Sonach sind beide Electroden immer rein metallisch : die negative, weil sich an ihr fortw\u00e4hrend neues Metall niederschl\u00e4gt, die positive, weil an ihr immer neue Metalltheilchen durch L\u00f6sung anderer blossgelegt werden.\nDie Betrachtungen \u00fcber die Art und Weise, die Polarisation in einer im Kreis der Kette befindlichen Zersetzungszelle zu vermeiden, haben zu der wichtigen Erfindung der sogenannten constanten Ketten Veranlassung gegeben. Wie man sich n\u00e4mlich aus \u00a7. 2 erinnert, ist ein galvanischer Strom ohne Fl\u00fcssigkeit gar nicht herstellbar. Man sieht aber auch jetzt ein, dass wenn die zur Bildung eines einen Strom liefernden Elementes benutzten Stoffe Polarisation zu Stande kommen lassen, gar bald eine Schw\u00e4chung und Unbest\u00e4ndigkeit des Stromes eintreten wird. Einer jeden constanten Kette liegt daher das Princip zu Grunde, auf irgend eine Weise die Polarisation zu vermeiden. Von den gangbarsten, der Daniel Ischen, Grov e\u2019schen und Bunse n\u2019schen w\u00e4hlen wir die erstere zu einer genauem Beschreibung. Sie besteht, wie umstehende Fig. zeigt, aus einem Glasgef\u00e4sse E mit Kupfervitrioll\u00f6sung, in dieser steht eine mit einer L\u00f6sung von schwefelsaurem Zink gef\u00fcllte, por\u00f6se Thonzelle C, in letztere L\u00f6sung taucht das Zink einer","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"3\u00d4\nKupferstreifen der negative Pol.\nZmkkupfereoinbination und in die Kupfervitrioll\u00f6sung eine Kupferplatte D. Nicht geschlossen ist S ihr positiver, S' ihr negativer Pol. Das Resultat\ns\u00e4mmtlicher in dieser Vorrichtung vorkommender electromotorischer Ber\u00fchrungsstellen ist, wie man aus mancherlei Beobachtungen weiss* dass die positive Electricit\u00e4t ihren Weg vom Zink durch die Zinkvitriol -, die Kupfervitrioll\u00f6sung zu dem einzelnen Kupferstreifen , dem Schliessungsbogen zum Zink zur\u00fcck nimmt. Innerhalb des Elementes ist also das Zink der positive, der in der Kupfervitrioll\u00f6sung befindliche An letzterem scheidet sich daher metallisches Kupfer aus und andrerseits l\u00f6st die am Zink ausgeschiedene Schwefels\u00e4ure einen Theil desselben unter Bildung von l\u00f6slichem schwefelsaurem Zink auf. Von der Daniell\u2019schen Kette hat Buff eine dem Physiologen zu empfehlende Ab\u00e4nderung gegeben *), welche der M\u00fche der \u00f6fteren Zusammensetzung und Auseinandernalime \u00fcberhebt.\nDer Gedanke, die Polarisation dadurch fortzuschaffen, dass man die Electroden von demselben Metall nimmt, von welchem ein Salz zur Zersetzung kommt, ist noch weiter verfolgt worden. F\u00fcr gewisse Untersuchungen n\u00e4mlich, deren Bedeutung erst sp\u00e4ter klar werden wird, ist es n\u00f6thig, vollkommen wipolarisirbare Electroden anzuwenden, und es entsteht daher die Frage, wie weit quantitativ die Polarisation auf die angegebene Weise wegzuschaffen sei. Man hat nun nach einander Kupferelectroden in schwefelsaurer Kupferoxydl\u00f6sung, Silberelectroden in Cyansilberkaliuml\u00f6sung etc. untersucht. Alle erwiesen sich jedoch f\u00fcr die Zwecke des Physiologen unbrauchbar, indem bei ihnen immer noch ein gewisses Maass von Polarisation bestehen blieb. Es gelang jedoch endlich Regnauld **) und Matteucci ***) durch Anwendung von Zinkelectroden in einer L\u00f6sung von schwefelsaurem Zinkoxvd auch diesen Rest von Polarisation zu verdr\u00e4ngen. Noch genauer hat du Bois-Reymond ****) diese Combination untersucht und dabei folgende\n#) Annalen der Chemie und Pharmacie, von Liebig und Wohler, Bd. LXXXV, S. 4.\n**) Comptes rendus, 15. Mai 1854. tome XXXVIII, pag. 891.\n***) Comptes rendus, 28. Juillet 1856. tome XLIII.\n****) Monatsberichte der Berliner Academie, 30. Juni 1859.","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"31\nResultate gefunden. Chemisch reines Zink in ges\u00e4ttigter schwefelsaurer Zinkoxydl\u00f6sung zeigt bei Str\u00f6men von der Ordnung des Muskelstromes schwach negative Polarisation. Dagegen erweist sich dasselbe Metall, selbst das unreine, k\u00e4ufliche, nachdem es zuvor mit Quecksilber verquickt worden ist *), in derselben Metallsalzl\u00f6sung, selbst an den empfindlichsten Multiplicatoren, vollkommen frei von aller Polarisation. Ueber die wahre Ursache dieses sonderbaren, f\u00fcr den Physiologen so gl\u00fccklichen Verhaltens, ist man noch im Unklaren.\nGerade so, wie an der Grenze metallischer Electroden und Fl\u00fcssigkeiten Polarisation auftritt, hat man auch eine solche an der Ber\u00fchrungsstelle verschiedener Electrolyte und im Innern feuchter Gebilde \u00fcberhaupt beobachtet. Die letztere wird die innere Polarisation feuchter Leiter genannt. Die Entdeckung und die n\u00e4here Untersuchung beider Polarisationsarten verdankt man du Bois-Reymon d **). In der Combination : Kochsaisl\u00f6sung, Schwefels\u00e4ure und in anderen \u00e4hnlichen, in welchen nur die Schwefels\u00e4ure der Reihe nach durch Chlorwasserstoffs\u00e4ure, Salpeters\u00e4ure, Ammoniak und ges\u00e4ttigte Salpeterl\u00f6sung vertreten war, wurde negative, wenn dagegen in dem obigen Schema die Schwefels\u00e4ure durch Kalihydratl\u00f6sung, oder destillirtes Wasser, oder H\u00fchner-eiweiss ersetzt worden war, positive Polarisation beobachtet. Offenbar hat diese Art von Polarisation ihren Grund in den Zersetzungserscheinungen, die sich im Kreise der S\u00e4ule an den Ber\u00fchrungsstellen der ungleichartigen Electrolyte einstellen m\u00fcssen. -\u2014 Der Nachweiss der Polarisation an der Grenze feuchter Leiter erfordert feine Multiplicatoren und ihre Erzeugung selbst vielgliedrige Ketten, d. i. starke Str\u00f6me. Die innere Polarisation feuchter Leiter tritt nur dann auf, wenn dieselben nicht durch und durch homogen, sondern feuchten por\u00f6sen K\u00f6rpern vergleichbar sind. Ihre Untersuchung setzt immer die Anwendung besonderer Kunstgriffe voraus, da sie sich mit der Polarisation an der Grenze ungleichartiger Electrolyte mischt und davon der Sonderung bedarf. Ihre einigermassen befriedigende Darlegung verlangt dieselben Bedingungen, welche auch f\u00fcr die vorherige Polarisation als nothwendig bezeichnet wurden. Bisher ist dieselbe beobachtet worden : an mit Wasser getr\u00e4nkter Kreide, Bimsstein, Hydrophan und anderen \u00e4hnlichen, por\u00f6sen K\u00f6rpern, ferner an geronnenem Eiweiss, Faserstoff, Seife, organisirten,\n*) Diese Verquickung geschieht schnell und sicher mittelst des folgenden, von Berjot angegebenen Verfahrens. Man lost 200 Grm. Quecksilber in 1000#Grm. warmen K\u00f6nigswassers. Nach vollendeter Aufl\u00f6sung f\u00fcgt man noch 1000 Grm. Salzs\u00e4ure hinzu. Die Verquickung selbst vollzieht man durch einfaches Eintauchen der Zinkplatten in diese Fl\u00fcssigkeit und nachheriges Absp\u00fclen mit destillirtem Wasser.\n**) Monatsberichte der Berliner Academie, 17. Juli 1856,4. August 1856, 3. Januar 1859.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\npflanzlichen Geweben, wie St\u00fccken von Stengeln oder Blattstielen und verschiedenen Holzarten. Als Ursache der inneren Polarisation feuchter Leiter nimmt man an, dass die festeren Theilchen jener schlechten Leiter gleichsam als metall\u00e4hnliche Zwischenpl\u00e4ttchen wirken, an denen sich bei dem Durchgang des Stromes die Zersetzungsproducte der vollkommen fl\u00fcssigen Electrolyte, welche in den R\u00e4umen zwischen jenen enthalten sind, ausscheiden und auf diese Weise \u00fcberall neue Sitze electro-motorischer Kr\u00e4fte erzeugt werden. Ein mit Messingfeilsp\u00e4nen vermischter Leim, zu einem Cylinder erstarrt, welcher in der That auch innere Polarisation zeigt, ist geeignet diese Vorstellung zu fixiren.\nDie Fl\u00fcssigkeiten, welche von electrischen Str\u00f6men durchflossen werden, sind aber noch in einer anderen Beziehung von Interesse. Es ist dem Nervenphysiologen n\u00fctzlich, auch davon Kenntniss zu nehmen. Die Grundthatsache dieses Gebietes von Erscheinungen ist die, dass wenn eine hl\u00fcssigkeit, die von einem electrischen Strome durchzogen wird, durch eine por\u00f6se Scheidewand in zwei Theile geschieden ist, Ueber-f\u00fchrung von Fl\u00fcssigkeit aus der dem positiven Pole der S\u00e4ule zugeh\u00f6rigen Zellenabtheilung in die dem negativen zugeh\u00f6rige stattfindet, so dass nach einiger Zeit in der letzteren die Fl\u00fcssigkeit immer h\u00f6her, als in der ersteren steht. Diese \u00fcberf\u00fchrende Wirkung des Stromes, f\u00fcr welche du Bois den Namen der Jcataphorischen zu gebrauchen vorgeschlagen hat, zeigt sich um so deutlicher, je schlechter die Fl\u00fcssigkeit leitet. Sie ist der Stromst\u00e4rke proportional. Am gr\u00fcndlichsten ist dieselbe von Wiede mann*) studirt worden. Auf dieser Thatsache beruhen h\u00f6chst wahrscheinlich, wenn nicht ganz, so doch theilweise, zwei Ph\u00e4nomene, die mit dem Namen des inneren und \u00e4usseren secund\u00e4ren Widerstandes belegt werden. Mit dem letzteren, als dem f\u00fcr uns wichtigeren Ph\u00e4ncfc men, hat es die folgende Bewandtniss. Schaltet man in den Kreis mehrerer, constanter Elemente ungleichartige Electrolyte ein, also z. B. zwischen B\u00e4usche, welche sich aus schwefelsaurer Kupferoxydi\u00f6sung enthaltenden Zuleitungsgef\u00e4ssen erheben, in welche die kupfernen Electroden der Kette tauchen, ein Prisma von Eiweiss, so beobachtet man, dass der Strom der Kette nach einigen Unregelm\u00e4ssigkeiten, welche dem ersten Schl\u00fcsse folgen, allm\u00e4hlich so betr\u00e4chtlich an St\u00e4rke abnimmt, dass nach kurzer Zeit kaum noch ein Zehntel der urspr\u00fcnglichen Stromst\u00e4rke \u00fcbrig ist, eine Erscheinung, welche sich in ihrer Gr\u00f6sse aus der inneren Polarisation feuchter Leiter durchaus nicht allein erkl\u00e4ren l\u00e4sst. Kehrt man durch eine WTippe den Gang des Stromes in der genannten Electrolytenreihe um, so w\u00e4chst der Strom wieder langsam an, erreicht ein Maximum\n*) Poggendorff\u2019s Annalen, Bd. LXXXVII.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"und sinkt dann wieder wie vorher ab. Demn\u00e4chstigcs, erneutes Umlegen f\u00fchrt in umgekehrter Richtung zu denselben Erscheinungen. Das langsame Anwachsen des Stromes' nach Umkehr desselben ist aus der Existenz der inneren Polarisation vollends unbegreiflich. Man wird vielmehr auf einet! durch den Strom erzeugten Widerstand als Ursache jener Erscheinungen gef\u00fchrt. Schaltet man andere, feuchte, por\u00f6se K\u00f6rper ein, anstatt eines Eiweissprisma\u2019s, wie z. B. St\u00fccke von verschiedenen frischen Pflanzen, Knorpeln und Muskeln , so beobachtet man an ihnen ein \u00e4hnliches Verhalten, so dass die beschriebene Erscheinung feuchten, por\u00f6sen K\u00f6rpern sehr ausgebreitet zukommt. Es ist wichtig zu bemerken, dass beim Eiweiss und mehr oder weniger auch bei den anderen erw\u00e4hnten K\u00f6rpern das Ende derselben, wo der Strom eintritt, ein anderes Aussehen gewinnt, sobald der Strom deutlich zu sinken beginnt, als das, an welchem der Strom austritt. Ersteres ist n\u00e4mlich bei Anwendung von Kupfervitrioll\u00f6sung als Zuleitungsfl\u00fcssigkeit durch seine ganze Masse hindurch auf eine gr\u00f6ssere Strecke blau gef\u00e4rbt, an einer Stelle, nahe der Grundfl\u00e4che eingeschn\u00fcrt und hart, hornartig, Eigenschaften, welche am Austrittsende nicht Vorkommen. Dagegen zeichnet sich dies durch eine kegelf\u00f6rmige Anschwellung aus. Durch Abschneiden des letzteren oder Theilung des Eiweissprisma\u2019s in zwei H\u00e4lften \u00fcberzeugt man sich, dass der gr\u00f6sste Theil des Widerstandes an demjenigen Ende entwickelt ist, wo der positive Strom eintritt. Diess ist es eben nun, was man den \u00e4usseren secund\u00e4ren Widerstand nennt. Bei verschiedenen Zuleitungsfl\u00fcssigkeiten bildet er sich sehr verschieden stark aus; im Eiweissprisma bei Kochsalzl\u00f6sung als Zuleitungsfl\u00fcssigkeit verschwindet er fast vollst\u00e4ndig. Man kann sich die Entstehung desselben folgendermassen vorstellen. Der positive Sttom treibt in Folge seiner katapliorischen Wirkungen in der oben als Typus gew\u00e4hlten Electrolytenreihe Kupfervitrioll\u00f6sung in das Eiweissprisma, den Saft aus diesem in das andere mit Kupfervitrioll\u00f6sung gef\u00fcllte Zuleitungsgef\u00e4ss. Da nun aber die \u00fcberf\u00fchrende Wirkung des Stromes um so f\u00fchlbarer wird, je schlechter die Fl\u00fcssigkeit leitet, so wird aus dem Eiweissprisma oder dem dasselbe ersetzenden Gewebe mehr Saft ausgetrieben, als Kupfervitrioll\u00f6sung am positiven Ende nachr\u00fcckt. Daher hier Einschn\u00fcrung, w\u00e4hrend am Austrittsende, wo mehr Gewebssaft ankommt, als Salzl\u00f6sung dasselbe verl\u00e4sst, eine kugelf\u00f6rmige Anschwellung beobachtet wird. Dem entsprechend muss die wasserarme Stelle am Eintrittsende des Prisma\u2019s der Sitz eines besonderen, eben des \u00e4usseren secund\u00e4ren Widerstandes werden. Doch reicht diese Erkl\u00e4rung f\u00fcr andere eleetrolytische Combinationen nicht aus, indem es Fl\u00fcssigkeiten giebt, die besser als Kupfervitrioll\u00f6sung leiten und bei denen kein secund\u00e4rer Widerstand vorkommt, wohl aber die Schrumpfung des Eckhard, Nervenphysiologie.\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nEiweissprisma\u2019s. Ebenso kann es sich umgekehrt ereignen, dass starker secund\u00e4rer Widerstand ohne Einschrumpfung des Eiweisses auftritt. F\u00fcr jeden einzelnen Fall ist demgem\u00e4ss ein besonderes Studium der Ursachen des \u00e4usseren secund\u00e4ren Widerstandes vorzunehmen und unter ihnen sind in erster Linie die kataphorischen Wirkungen des Stromes in der Weise, wie dies vorher angedeutet wurde, nicht unbeachtet zu lassen. Auch dann, wenn der Strom durch metallische Electroden zu Eiweiss oder Muskeln gef\u00fchrt wird, tritt am Eintrittsende secund\u00e4rer \u00e4usserer Widerstand auf, der sich wie vorher durch bedeutende Schw\u00e4chung des urspr\u00fcnglichen Stromes kenntlich macht. F\u00fchren z. B. Platinelectroden den Strom zu einem Eiweisscylinder, so beobachtet man auch hier eine Schw\u00e4chung des Stromes, zu deren Erkl\u00e4rung gleichfalls die Polarisation nicht ausreicht, indem nicht allein Abschneiden des Eintrittsendes eine ungleich gr\u00f6ssere Hebung der Stromst\u00e4rke erzeugt, als wenn man das Austrittsende entfernt, sondern auch Entfernung des negativen Poles, an welchem sich bekanntlich der Wasserstoff entwickelt und Anlegen an einer anderen Stelle keine Ver\u00e4nderung in der geschw\u00e4chten Stromst\u00e4rke hervorbringt, w\u00e4hrend eine \u00e4hnliche Deplacirung der positiven Electrode die Stromst\u00e4rke betr\u00e4chtlicher hebt. Handelte es sich um die bekannten Polarisationswirkungen, so m\u00fcsste das Umgekehrte stattfinden. \u2014 Bei vielen feuchten Leitern kommt ohne Zweifel in Folge des Durchstr\u00f6mt-werdens von Electricit\u00e4t ein \u00e4hnlicher Widerstand, der sogenannte innere secund\u00e4re, auf jedem Querschnitt des Leiters vor. Wir haben indess keine besondere Veranlassung, uns mit ihm zu besch\u00e4ftigen, da f\u00fcr die Nerven und Muskeln, als diejenigen Gebilde, auf welche der Physiologe vorzugsweise auf l\u00e4ngere Zeit constante Str\u00f6me wirken l\u00e4sst, eine besondere Untersuchung ergeben hat, dass sie von der Ausbildung dieser Art des Widerstandes v\u00f6llig frei sind. - Aus dem Vorigen ersieht man nun aber, dass, wenn es sich darum handelt, Muskeln und Nerven con-stanten Str\u00f6men auszusetzen, der Vortheil, den man durch die Anwendung unpolarisirbarer Electroden gewonnen hat, durch die Existenz des \u00e4usseren secund\u00e4ren Widerstandes, dessen jene Theile bekanntlich f\u00e4hig sind, verloren zu gehen droht. Es l\u00e4sst sich jedoch eine Anordnung treffen, die aus dieser Verlegenheit heraushilft. Man schaltet n\u00e4mlich zwischen die thierischen Theile und die B\u00e4usche, welche sich aus der die unpolarisirbaren Electroden, d. i. verquicktes Zink, enthaltende Fl\u00fcssigkeit, d. i. Zinkvitrioll\u00f6sung, erheben, einen mit Kochsalz getr\u00e4nkten und mit einem Eiweissh\u00e4utchen bekleideten Zwischenbausch ein, welcher nach der S. 33 gemachten Bemerkung in Ber\u00fchrung mit Eiweiss oder thierischen Theilen keinen \u00e4usseren secund\u00e4ren Widerstand erzeugt. Wenn in Zukunft bei einem bestimmten Versuche von unpolarisirbaren","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 35 \u2014\nElectroden die Rede ist, so ist, wenn Nichts Besonderes bemerkt wird; immer eine derartige Vorrichtung vorauszusetzen.\n\u00a7. 5.\nLehre von der Induction, Inductionsapparate.\n1) Erregung des Magnetismus in weichem Eisen durch den galvanischen Strom. Jedes St\u00fcck weichen Eisens wird, wenn es unter passenden Bedingungen dem Einfluss eines galvanischen Stromes ausgesetzt wird, so lange magnetisch, als der Strom andauert. Gew\u00f6hnlich l\u00e4sst man den Strom durch die Windungen einer Drahtrolle laufen, in deren H\u00f6hlung ein Eisenkern eingeschoben ist. Die Polarit\u00e4t eines auf diese Weise magnetisch gemachten Eisenkerns, eines Electromagneten, l\u00e4sst sich immer leicht nach folgender Regel bestimmen : dasjenige Ende, welches, mit seinem Querschnitt dem Beobachter zugekehrt, vom positiven Strom in der Richtung wie der Zeiger einer Uhr umkreist erscheint, ist der S\u00fcdpol. Die St\u00e4rke des. erzeugten Magnetismus ist von der Dicke des Stabes, der Stromst\u00e4rke und der Anzahl der magnetisirenden Windungen abh\u00e4ngig. Bei dem n\u00e4heren Studium dieser Abh\u00e4ngigkeit hat sich ergeben, dass der Magnetismus f\u00fcr jeden Stab ein Maximum hat und dass nur innerhalb gewisser Grenzen derselbe der Stromst\u00e4rke proportional gesetzt werden kann. Am weitesten fallen diese Grenzen bei der Anwendung dicker St\u00e4be und verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schwacher Str\u00f6me aus.\n2) Wirkungen des Stromes auf benachbarte Drahtkreise. Voltainduc-tion. Die hierher geh\u00f6rigen Erscheinungen werden am vollkommensten beobachtet, wenn der in sich geschlossene Drahtkreis , welcher der Wirkung eines Stromes ausgesetzt werden soll, und welchen man den secun-d\u00e4ren Kreis nennt, aus einem sehr langen, \u00fcberall wohl isolirten Drahte besteht, der auf eine Rolle aufgewunden ist, und wenn gleichzeitig auch der Schliessungsbogen der galvanischen Kette eine \u00e4hnliche Drahtrolle darstellt. Beide Rollen werden einander so gegen\u00fcbergestellt, dass ihre Axen in einander fallen. Schaltet man in den secund\u00e4ren Kreis ein galvanometrisches Messwerkzeug, so zeigt dies in demselben so oft einen Strom an, als der Strom der nachbarlichen Rolle, der inducirende Kreis, eine Aenderung erleidet. Den Vorgang der Stromerzeugung im secund\u00e4ren Kreis nennt man Volta-Induction oder electrodynamische Vertheilung. Ueber die Richtung der inducirten Str\u00f6me sind folgende Gesetze zu merken. Beim Schluss des inducirenden Stromes, oder allgemeiner, bei jeder positiven Schwankung desselben, so wie bei jeder gegenseitigen N\u00e4herung beider Kreise hat der inducirte Strom die entgegengesetzte\n.\t3 *","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nRichtung des ersteren; beim Offnen dagegen, allgemeiner bei jeder negativen Schwankung, so wie bei jeder gegenseitigen Entfernung hat er gleiche Richtung mit jenem. So lange aber der Strom auf constanter H\u00f6he verweilt und dabei beide Kreise in einer bestimmten Entfernung verbleiben, findet keine Stromentwickelung im secund\u00e4ren Kreise statt. Eine \u00e4hnliche Induction beobachtet man auch an der Rolle, welche den Schliessungsbogen der Kette bildet, indem jede einzelne Windung auf die \u00fcbrigen inducirend wirkt ; aber nur der der Oeffhung der Kette entsprechende Inductionsstrom l\u00e4sst sich leicht nachweisen, indem man durch Einschalten einer Drahtrolle in einen Stromkreis beim Oeffnen der Kette Funken und starke Ersch\u00fctterungen des eingeschalteten, menschlichen K\u00f6rpers hervorbringen kann, von welchen beiden ohne Zuhilfenahme der Drahtrolle wenig oder gar Nichts beobachtet wird. Man nennt diesen in der prim\u00e4ren Kette selbst mittelst einer Drahtrolle beim Oeffnen erzeugten Strom den Extrastrom oder auch wohl Endgegenstrom. F\u00fcr die Physiologie ist es bez\u00fcglich der Volta-Induction noch von Interesse, zu wissen, dass beide, der Schliessung und Oeffhung der inducirenden Kette entsprechende, Inductionsstr\u00f6me nicht von gleicher Beschaffenheit sind. Zwar gleichen sich in beiden gleiche Electricit\u00e4tsmengen ab und ist demgem\u00e4ss ihre galvanometrische und electrolytische Wirkung gleich, aber diese Abgleichung geschieht f\u00fcr den Oeffnungsstrom in k\u00fcrzerer\nZeit. Die beistehende Figur versinnlicht im Allgemeinen den Verlauf beider Inductionsstr\u00f6me. Die schattirten Fl\u00e4chenr\u00e4ume, welche die Mengen der in Circulation gesetzten Electricit\u00e4ten bezeichnen sollen, sind in beiden F\u00e4llen gleich. Wie man aber an den sie begrenzenden Curven sieht, welche die Intensit\u00e4ten der Inductionsstr\u00f6me in den verschiedenen Augenblicken darstellen, ist der zeitliche Verlauf sehr verschieden. Die obere Fl\u00e4che geh\u00f6rt der Oeffnung, die untere der Schliessung an. Ohne mathematische Behandlung des Gegenstandes lassen sich nicht gut ihre Unterschiede bis ins Einzelne darlegen. Dagegen sieht man die gr\u00f6beren Z\u00fcge leicht durch folgende Betrachtung ein. Wenn die prim\u00e4re Rolle geschlossen wird, entwickelt sich in den Windungen derselben ein Extrastrom, welcher durch seine dem Ketten-str\u00f6m entgegengesetzte Richtung die Ausbildung des letzteren zu seiner vollen S\u00e4rke verz\u00f6gert, so dass die inducirende Wirkung desselben,","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"37\nwelche er .auf die Nebenrolle aus\u00fcbt, nicht im ersten Moment seines Schlusses in voller St\u00e4rke hereinbricht; der inducirende Strom kann daher nur erst allm\u00e4hlich sein Maximum erreichen. W\u00e4hrend dieser Zeit entwickelt er selbst noch Extrastr\u00f6me in seiner eigenen Bahn, welche noch mehr verz\u00f6gernd auf seine Ausbildung einwirken. Anders ist es mit dem der Oeffnung der Kette zukommenden Inductionsstrom. Bei ihr kann sich in der prim\u00e4ren Rolle kein Extrastrom bilden, veil der Schluss dazu fehlt; es sinkt also der Kettenstrom, ohne irgend wie dabei verhindert zu sein, ganz pl\u00f6tzlich von seiner Intensit\u00e4t auf Null zur\u00fcck, und seine Inductionswirkung erreicht gleich im Anfang ihr Maximum. Da aber auch hier in der secund\u00e4ren Rolle durch den Inductions-strom ein Extrastrom von entgegengesetzter Richtung entsteht, so wird durch diesen der erstere im zweiten Theil seines Verlaufes etwas verz\u00f6gert, so dass er nur allm\u00e4hlich abnehmen kann; es wird also im Allgemeinen der Verlauf beider Induetionsstr\u00f6me so geschehen, wie es die Eigur veranschaulicht. \u2014\u2014 Dieser Eigenschaft der durch Volta-Induction erzeugten Str\u00f6me hat man bei Anwendung derselben zu physiologischen Zwecken stets eingedenk zu sein, da die physiologische Wirkung wesentlich von der Zeit abh\u00e4ngt, innerhalb deren eine gegebene Electricit\u00e4ts-menge sich abgleicht und als ferner der Unterschied beider Str\u00f6me in dieser Beziehung sehr betr\u00e4chtlich ist. Man kann sich davon schon durch einen sehr einfachen Versuch \u00fcberzeugen. Verkn\u00fcpft man n\u00e4mlich die Enden der secund\u00e4ren Spirale mit metallenen Handhaben , zwischen welche man den eigenen K\u00f6rper einsclialtet, so empfindet man bei demselben gegenseitigen Abstand der Rollen bei der Schliessung einen schw\u00e4cheren Schlag, als beim Oeffnen; letzterer kann schon fast unertr\u00e4glich sein, w\u00e4hrend der erstere kaum empfunden wird, oder doch noch bequem zu ertragen ist. F\u00fcr gewisse, sp\u00e4ter zu erw\u00e4hnende Versuche gewinnt der Unterschied der beiden Induetionsstr\u00f6me eine solche Bedeutung, dass aus der Nichtbeachtung desselben schwere Verirrungen bez\u00fcglich der Beurtheilung fundamentaler rhatsachen entstehen k\u00f6nnen. Es ist desshalb von Wichtigkeit, sich nach Mitteln umzusehen, beide Induetionsstr\u00f6me von nahezu gleichem zeitlichen Verlauf herzurichten. Man kann diess auf einem doppelten WTege mehr oder weniger vollkommen erreichen. Der erste besteht darin, dass man die veiz\u00f6gemde Wirkung des heim Schl\u00fcsse der Kette sich bildenden Extrastromes dadurch vermindert, dass man der prim\u00e4ren Spirale nur eine gelinge Anzahl von Windungen ertheilt, der andere in der Einschaltung einer Nebenschliessung zur prim\u00e4ren Spirale. Es bedeutet dann n\u00e4mlich Untei-brechung der letzteren eine positive, sonst dem Schl\u00fcsse entsprechende Schwankung, Herstellung derselben dagegen eine negative, sonst der","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nOeffnung der prim\u00e4ren Kette entsprechende. Leicht sieht man ein, dass nun auch der bei der negativen Schwankung des prim\u00e4ren Stromes sich bildende Extrastrom, da die Leitung durch die Nebenschliessung geschlossen ist, zur wirklichen Ausbildung kommt und daher auch jetzt, wie bei der positiven Schwankung, durch ihn die Inductionswirkung verz\u00f6gert wird. Inductionsvor-richtungen, nach diesen Ue-berlegungen gebaut, arbeiten nicht mehr nach dem oberen, sondern nahezu nach dem unteren Schema der nebenstehenden Zeichnung. Weitere Betrachtungen \u00fcber die Gleichm\u00e4ssigkeit beider In-ductionsstr\u00f6me hat du Bois-Reymond angestellt *).\nBisher wurde vorausgesetzt, dass der secund\u00e4re Kreis geschlossen sei. Aber auch in dem Fall, dass er offen ist, findet in ihm Electricit\u00e4ts-entwickelung statt. An dem einen Ende findet sich freie positive, am andern freie negative Electricit\u00e4t vor, welche beim Schliessen und Oeff-nen des inducirenden Kreises ihr Zeichen wechseln. Die Anordnung jener ist stets so, dass wenn der Kreis geschlossen w\u00e4re, ein Strom nach den vorher angegebenen Regeln zu Stande kommen w\u00fcrde. Der Nachweis dieser Spannungen an offenen Inductionsspiralen kann auf doppelte Weise gef\u00fchrt werden : auf physiologischem und physikalischem Wege. Die erste besteht darin, dass man Nerv-Muskelpr\u00e4parate mit den isolirten Enden der Inductionsspirale verkn\u00fcpft und dieselben ableitend ber\u00fchrt, wobei Zuckungen entstehen. Im Capitel \u00fcber die unipolaren Inductions-zuckungen wird ein N\u00e4heres dar\u00fcber angegeben werden. Der physikalische Nachweis setzt schon etwas kr\u00e4ftigere Apparate voraus und wird durch die Erzeugung von Funken gef\u00fchrt, die an den Enden der In-ductionsrollen auftreten. Diese Inductionsfunken haben alle Eigenschaften der durch die Electrisirmaschine erzeugten, und in neuerer Zeit wird daher die letztere in vielen F\u00e4llen durch Inductionsapparate ersetzt. Die Entdeckung der unipolaren Spannungen \u00fcberhaupt ist so ziemlich zu derselben Zeit auf dem Gebiete der Physiologie und Physik geschehen. Doch sind die hierher geh\u00f6rigen physiologischen Erscheinungen fr\u00fcher publicirt worden.\n*) Monatsberichte der Berliner Academie, 1862, S. 372.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"39 -\n3) Wirkung von Magneten auf in sich geschlossene oder offene Draht-Jcreise \u2014 Magnetoinduction. Um die hierher geh\u00f6rigen und sogleich anzuf\u00fchrenden Erscheinungen leicht auffassen und dem Ged\u00e4chtniss einpr\u00e4gen zu k\u00f6nnen, bringen wir, wie es \u00fcblich ist, dieselben in Zusammenhang mit der Theorie des Magnetismus, wie sie Ampere gegeben. Dieser n\u00e4mlich r\u00e4th, sich alle Molecule eines Magneten von parallelen Str\u00f6men umkreist zu denken, und zwar so, dass, wenn man den Querschnitt eines S\u00fcdpols dem Auge zuwendet, hier sich die Str\u00f6me von links nach rechts, wie der Zeiger einer Uhr bewegen, w\u00e4hrend am Nordpol, diesen ebenso betrachtet, sie die entgegengesetzte Richtung verfolgen.\nMagnete verm\u00f6gen nun unter zweierlei Umst\u00e4nden in nachbarlichen Drahtkreisen electrische Str\u00f6me zu erzeugen : erstens, wenn beide gegen einander bewegt werden, zweitens, wenn in einem Eisenst\u00fcck Magnetismus erregt oder zum Verschwinden gebracht wird. Diese Art der Elec-tricit\u00e4tserregung nennt man Magnetoinduction. In allen F\u00e4llen ist es nun leicht, die Richtung der inducirten Str\u00f6me zu bestimmen. Werden Magnet und Drahtkreis gegen einander bewegt, so hat der Strom im letzteren die entgegengesetzte Richtung von den magnetischen Str\u00f6men, welche dem Pole zukommen, gegen welchen die Bewegung geschieht; denn dann induciren die magnetischen Str\u00f6me wie bei der Volta-Induc-tion ihnen entgegengesetzt gerichtete. Werden Magnet und Drahtkreis von einander entfernt, so sind die in letzterem inducirten Str\u00f6me mit den magnetischen gleichgerichtet. Erzeugung des Magnetismus hat f\u00fcr die Inductionserscheinungen denselben Effect wie N\u00e4herung und Verschwinden denselben wie Entfernung. Dem Gesagten gem\u00e4ss, wdrd man sich also nie in der Bestimmung der Richtung der durch Magnete inducirten Str\u00f6me irren k\u00f6nnen, wenn man sich Ampere\u2019s Theorie des Magnetismus vergegenw\u00e4rtigt, mithin in Gedanken an die Stelle des betreffenden Magnetpols seine Str\u00f6me setzt und dann die f\u00fcr die Volta-Induction geltenden Gesetze in Anwendung bringt.\nSind die Drahtkreise offen, so treten unter allen Umst\u00e4nden an ihren Enden, gleichwie bei der Volta\u2019schen Induction, Spannungserscheinungen auf, welche, wenn jene geschlossen w\u00e4ren, Str\u00f6me nach den vorher angegebenen Regeln zu Stande bringen w\u00fcrden.\nDie bisherigen Mittheilungen \u00fcber Induction werden gen\u00fcgen, die in der Nervenphysiologie h\u00e4ufig gebrauchten Inductionsapparate zu verstehen. Wir beschreiben zwei derselben ausf\u00fchrlich ; jeder repr\u00e4sentirt eine besondere Gattung :\na) Inductionsapparat nach du Bois-Reymond. Er ist eine Ab\u00e4nderung des N eff\u2019sehen Apparates und gr\u00fcndet sich auf die Induction","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\ndurch den electrischen Strom und auf den durch letzteren bewirkten Magnetismus eines Eisenkerns. Folgende Figur stellt diesen Apparat dar.\nEr wird am leichtesten verst\u00e4ndlich werden, wenn wir uns denselben im Gang denken und das Spiel der Theile im Einzelnen verfolgen. Als Electricit\u00e4tsquelle dient eine constante (hier nicht gezeichnete) Kette; ihr negativer Pol sei mit der Messingschraube q verkn\u00fcpft, ihr positiver f\u00fchre zu der Messings\u00e4ule c und sei in deren unterstem Ende, bei b, eingeklemmt. Dann nimmt der Strom unter folgenden Wirkungen folgenden Verlauf. Er steigt in c auf und tritt auf die am oberen Ende eingeklemmte Feder a, welche in der gezeichneten Lage an die metallische Schraube g st\u00f6sst und daher den Strom zu dieser selbst leitet ; von g tritt er auf ein ihr als Mutter dienendes Messingst\u00fcck und von da in den Draht der Rolle 0; nachdem er diesen in seiner ganzen L\u00e4nge durchlaufen hat, nehmen wir ihn bei i, der unmittelbaren Fortsetzung des Drahtes der Rolle, wieder auf ; da i in einer Fuge des Rretes mit o in Verbindung ist, tritt der Strom bei o in den \u00fcbersponnenen Draht,","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"41\nmit welchem die Eisens\u00e4ule t umwickelt ist ; bei n tritt er in den Draht der ebenso beschaffenen S\u00e4ule t' und durch p, welcher mit q in metallischer Verbindung ist, zum negativen Pol der Kette zur\u00fcck. Die beiden Eisens\u00e4ulcn sind an ihren F\u00fcssen durch ein Querst\u00fcck von Eisen in Verbindung, stellen'also, so lange der Strom in dem sie umwickelnden Drahte kreist, einen Hufeisenmagneten vor, welcher den am Ende der Feder a befindlichen, kleinen eisernen Anker e anzieht. Dadurch aber wird die Kette bei g ge\u00f6ffnet, der Hufeisenmagnet verliert damit seinen Magnetismus, l\u00e4sst den Anker fahren und die Feder schnellt gegen g, um von Neuem die Kette zu schliessen. Auf diese Weise also wird die Kette fortw\u00e4hrend geschlossen und ge\u00f6ffnet und damit werden unterbrochene Str\u00f6me von entgegengesetzter Richtung in der Rolle B inducirt, deren man sich dann zu den jedesmaligen Zwecken bedient. Die Rolle B ist auf einem Brete bis \u00fcber C verschiebbar, wodurch Inductionsstr\u00f6me von verschiedener St\u00e4rke gewonnen werden k\u00f6nnen. Neben dem Geleise, auf welchem die Rolle verschiebbar ist, kann man, um die Abstufungen der Inductionsstr\u00f6me pr\u00e4ciser ausf\u00fchren zu k\u00f6nnen, eine Scale anbringen, und Wer es w\u00fcnscht, mit demselben Apparate auch die allerschw\u00e4chsten Inductionsstr\u00f6me zu erzeugen, die \u00fcberhaupt noch f\u00e4hig sind, Muskelzuckungen auszul\u00f6sen, kann das Geleise verl\u00e4ngern und die unbequeme L\u00e4nge aus zwei durch ein Charnier verbundene H\u00e4lften zusammensetzen lassen, von denen man die hintere unter die vordere zur\u00fcckklappen kann. Die Rolle C enth\u00e4lt in ihrer H\u00f6hlung eine Menge wohl gefirnisster Eisendr\u00e4hte f, deren Bedeutung folgende ist. Wenn der Hauptstrom der Rolle C verschwindet, verschwindet auch zugleich der indu-cirte Magnetismus der Eisenst\u00e4be. Es wirken mithin inducirend auf die Rolle B der verschwindende Hauptstrom und der verschwindende Magnetismus und zwar beide in demselben Sinn. Daher muss der der Oeffnung entsprechende Inductionsstrom bedeutend verst\u00e4rkt werden. Es sind aber von einander isolirte Dr\u00e4hte und kein massiver Eisencylinder gew\u00e4hlt, weil der verschwindende Hauptstrom zugleich in dem Eisen Str\u00f6me erzeugt, welche das Verschwinden des Magnetismus und folglich seine Inductionswirkung auf B hindern, in von einander wohl isolirten Dr\u00e4hten aber die Bildung solcher Str\u00f6me weit weniger als in einem einzigen Eisenkern stattfindet. Bei der Anwendung dieses Inductionsapparates behufs der Reizung von Nerven ist es bequem, eine Vorrichtung zu haben, mit deren Hilfe man zu jeder beliebigen Zeit die Str\u00f6me des in Arbeit begriffenen Apparates den Nerven zuf\u00fchren oder ihren Lauf dahin abschneiden kann. Unvollkommen erreicht man dies durch Schluss und Unterbrechung der prim\u00e4ren Kette. Dies hat aber seine Uebelst\u00e4nde, indem beim Schluss der Kette die Feder zumeist eines ersten Anstosses","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nbedarf. Eine von du Bois und H a 1 sk e unter dem Namen des Schl\u00fcssels angegebene, kleine Vorrichtung leistet dabei die verlangten Dienste. Dieselbe ist dem auf S. 40 beschriebenen und gezeichneten Inductions-apparat beigef\u00fcgt und besteht aus folgenden Theilen. Auf einer iso-lirenden Platte sind zwei Doppelklemmen z z angebracht. Ein mit Hilfe eines Elfenbeingriffes H bewegliches Messingst\u00fcck m kann beide Messingklemmen leitend verbinden oder trennen. Von den Enden des Inductions-kreises ist das eine s in der einen Oeflhung der Doppelklemme z, das andere r analog in der zweiten aufgenommen. In die andere Oeffnung je einer Klemme wird je ein Drath p geklemmt. Diese f\u00fchren den zu reizenden Theilen die Inductionsstr\u00f6me zu, wenn beide Klemmen durch gehobene Stellung von m von einander getrennt sind. Ist m gesenkt, wie es die Figur zeigt, so sind beide Klemmen metallisch verbunden\nund die Inductionsstr\u00f6me sind metallisch geschlossen, ohne l\u00e4nger die thierischen Theile zu treffen. \u2014 Sollen die Inductionsstr\u00f6me den gleich-massigen Verlauf annehmen, welchen das untere Schema der Figur S. 38 darstellt, so wendet man die folgende, von Helmholtz angegebene, Vorrichtung an, welche auf das Princip gegr\u00fcndet ist, durch Anlegung einer Nebenschliessung zur Hauptrolle des prim\u00e4ren Stromkreises dem bei dem Eintritt der negativen Schwankung sich bildenden Extrastrom Gelegenheit zum Schluss zu geben, so dass durch ihn, wie bei der positiven Schwankung, die inducirende Wirkung verz\u00f6gert wird. In der\nbeistehenden Figur bedeutet S die Kette, deren positiver Pol zu der S\u00e4ule a f\u00fchrt, welche die schwingende Feder b tr\u00e4gt. Von a f\u00fchrt eine Drahtverbindung c zu dem einen Ende der inducirenden Rolle R. Das andere Draht -ende derselben f\u00fchrt zu den Windungen des die Feder beherrschenden Electro-magneten E. Das Ende y dieser Windungen ist mit der Messings\u00e4ule d in Verbindung, von wo der Weg zum negativen Pole der Kette zur\u00fcckf\u00fchrt. Die S\u00e4ule d ist aber mit","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"43\neiner Schraube k versehen, welche einen Platinstift i tr\u00e4gt, gegen welchen ein der Feder b angel\u00f6thetes Platinpl\u00e4ttchen schl\u00e4gt. So oft dies geschieht, wird zu der eben verfolgten Hauptleitung die Nebenleitung geschlossen, welche aus den S\u00e4ulen a und d und dem hinteren Theile der Feder b besteht. F bedeutet eine andere Schraube mit Stift, gegen welchen die Feder b schl\u00e4gt, wenn sie den Electromagneten E verl\u00e4sst b) Magnetoinductionsapparat, Eotationsmaschine, auch Saxtonsche Maschine, nach ihrem ersten Erfinder. Dieser bloss auf Magnetoinduction beruhende Apparat wird in seinen Haupttheilen durch folgende Figur\ndargestellt, eine Einrichtung, welche ihr St obrer gegeben. Er besteht aus folgenden Theilen : o ist ein aus mehreren Lamellen bestehender, guter Stahlmagnet; seinen vorderen Enden gegen\u00fcber findet sich ein Hufeisen von weichem Eisen, Inductor genannt, dessen querer Theil in der Figur mit i bezeichnet ist. Die auf i senkrecht stehenden Arme desselben sind mit Holzspulen s s' \u00fcberzogen und diese mit feinem, gut \u00fcbersponnenem Draht umwickelt. Beide Drahtrollen sind so angeordnet, dass ihre Str\u00f6me, in derselben Richtung laufend, einander unterst\u00fctzen. Das Hufeisen ist auf einer Axe d befestigt, welche durch die Kurbel b in Rotation versetzt wird. Untersuchen wir jetzt, was geschieht, w\u00e4hrend das Hufeisen eine ganze Umdrehung vollendet. Gesetzt, die beiden Rollen ss1 stehen ruhig so, dass ihre gerade Yerbindungslinie mit der der beiden Pole des Magneten o zusammenf\u00e4llt. Dann ist zwar in dem Hufeisen aus w'eichem Eisen der st\u00e4rkste Magnetismus entwickelt, aber da eine Stromerzeugung in dem Draht nur beim Entstehen und Verschwinden von Magnetismus stattfindet, ist f\u00fcr diesen Augenblick die Stromst\u00e4rke noch Null. W\u00e4hrend der ersten halben Umdrehung entfernt sich ein jeder Eisenkern von dem Magnetpol, vor dem er ruhig stand und bewegt sich gegen den anderen; damit verschwindet zuerst der in ihm inducirt gewesene Magnetismus und alsdann wird der entgegengesetzte in ihm rege. Da aber das Verschwinden eines Magnetismus und das Erregen des entgegengesetzten Str\u00f6me in derselben Richtung entwickelt, so folgt, dass der w\u00e4hrend der ersten halben Umdre-","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nhung in dem Drahtgewinde eines Eisenkerns entstehende Strom seine Richtung nicht \u00e4ndert. Da der andere Eisenkern w\u00e4hrend der genannten Zeit entgegengesetzte magnetische Zust\u00e4nde annimmt, so inducirt er auch in dem ihm zugeh\u00f6rigen Drahtgewinde einen Strom entgegengesetzter Richtung, der jedoch dadurch, dass man die Windungen beider Drahtrollen zweckm\u00e4ssig verkn\u00fcpft, in dieselbe Richtung gef\u00fchrt wird. Bei der zweiten halben Umdrehung liefern beide Rollen einen Strom in entgegengesetzter Richtung. Eine ganze Umdrehung giebt also zwei entgegengesetzt gerichtete Str\u00f6me. Ein jeder von ihnen schwillt allm\u00e4hlich an, erreicht sein Maximum und sinkt auf Null zur\u00fcck; der Apparat erzeugt demgem\u00e4ss eine Reihe von Strom wellen. Diese kommen im Allgemeinen jedesmal auf ihr Maximum, wenn die die Rollen verbindende Gerade senkrecht auf der Linie steht, welche die beiden Magnetpole mit einander verbindet, auf ihr Minimum dagegen, wenn die erstere mit der letzteren zusammenf\u00e4llt ; denn die Mengen der in gleichen Zeittheilchen verschwindenden und entstehenden Magnetismen , von welchem Umstand die St\u00e4rke der Inductionsstr\u00f6me abh\u00e4ngt, fallen in der ersteren Stellung am gr\u00f6ssten, in der letzteren am kleinsten aus. Indess verr\u00fccken sich die Maxima und Minima der Stromwellen mit der Drehungsgeschwindigkeit der Eisenkerne, so dass sie niemals genau an den bezeichnten Stellen liegen. Dies kommt haupts\u00e4chlich daher, dass die in den Drahtgewinden inducirten Str\u00f6me die volle Ausbildung der Magnetismen in den Eisenkernen verhindern, wie sie ohne Drehung in jeder Stellung derselben stattfinden w\u00fcrden. Es kommt also hier eine \u00e4hnliche R\u00fcckwirkung der Inductionsstr\u00f6me auf die erzeugende Ursache vor, wie sie oben S. 37 f\u00fcr die Voltainduction beobachtet wurde.\nEin wesentlicher Theil des Apparates ist noch der Commutator. Von\nihm gibt nebenstehende Figur eine deutlichere Ansicht. Er hat den Zweck, die im Draht bei einer einmaligen Umdrehung des Inductors in ihrer Richtung wechselnden Str\u00f6me in gleichgerichtete zu verwandeln. Er besteht aus zwei hohlen, \u00fcber einander geschobenen Messingeylindern , welche beide sorgf\u00e4ltig von einander isolirt sind. Der erstere sitzt unmittelbar auf der Axe auf und tr\u00e4gt an seinem Ende die halbringf\u00f6rmigen Stahlk\u00e4mme c c, der zweite die \u00e4hnlichen c' cf. Die von den Inductionsrollen kommenden Dr\u00e4hte sind an zwei Stifte angel\u00f6thet, von denen der eine e' zum einen, der andere e'","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"45\nzuin andern Messingeylinder f\u00fchrt. An dem Kasten, in welchem, der ganze Apparat eingeschlossen ist, sind zwei Stahlfedern g g (siehe Fig. S. 43) angeschraubt, welche den Strom von den Stahlk\u00e4mmen aufnehmen und zu den Dr\u00e4hten ff' f\u00fchren Eine jeder dieser Federn ist, wie aus der Figur S. 44 zu ersehen, gespalten und je ein Theil derselben ist bestimmt, auf je einem Kamm je eines Cylinders zu schleifen und zwar so, dass w\u00e4hrend der einen halben Umdrehung der eine Theil der Feder mit einem Kamm der \u00e4usseren, w\u00e4hrend der anderen halben Umdrehung der andere mit einem Kamm des inneren Cylinders in metallischer \\ er-bindnng ist. Ueberdies ist aus der gegenseitigen Stellung der K\u00e4mme beider Cylinder ersichtlich, dass, wenn ein Theil der einen Feder auf einem Kamm des \u00e4usseren Cylinders schleift, jedesmal ein Theil der anderen auf einem Kamm des inneren aufliegt und umgekehrt. Hieraus folgt, dass, wenn der zu e und e' sich begebende Strom in seiner Richtung unver\u00e4nderlich w\u00e4re, man w\u00e4hrend einer ganzen Umdrehung von den Federn g g Str\u00f6me in umgekehrter Richtung erhalten w\u00fcrde. Ist aber der Commutator so auf der Axe befestigt, dass in demselben Augenblicke, wo der Strom in den Dr\u00e4hten e e' seine Richtung kehrt, d. h. wenn die Inductionsrollen gerade vor den Magnetpolen stehen, auch andere Federtheile auf anderen K\u00e4mmen schleifen, so wird der Strom in ff' immer dieselbe Richtung beibehalten. In der That gibt man f\u00fcr gew\u00f6hnlich dem Commutator auf der Axe diese Stellung. Endlich muss noch einer f\u00fcr den Physiologen wichtigen Einrichtung dieses Apparates gedacht werden. Es wurde n\u00e4mlich vorhin erw\u00e4hnt, dass zu derselben Zeit, in welcher der Strom seine Richtung wechselt, jedesmal eine jede Feder mit einem unmittelbar vorher von ihr nicht ber\u00fchrten Kamm in Verbindung komme. Man sieht aber, dass die K\u00e4mme des einen Cylinders die des anderen um Einiges \u00fcberragen; die Folge davon ist, dass, wenn der eine Theil einer Feder von Ne\u00fcem auf einen Kamm tritt, der andere derselben den seinigen noch nicht verlassen hat. So lange dies stattfindet, tritt der Strom von einem Kamm durch die Feder sogleich zum anderen, so dass, wenn w\u00e4hrend dieser Zeit zwischen f f' ein grosser Widerstand, z. B. der menschliche K\u00f6rper oder ein Nerv, eingeschaltet ist, derselbe nur eine schlecht leitende Nebenschliessung bildet. Sobald aber jene Feder v\u00f6llig von ihrem Kamm abtritt, entsteht durch das theil weise Verschwinden des vorher starken Stromes ein kr\u00e4ftiger Extracurrent, welcher dann verm\u00f6ge seiner grossen Spannung den schlecht leitenden Widerstand durchf\u00e4hrt. Auf der Bildung dieses Stromes beruht eigentlich die bedeutende physiologische Wirkung dieser Apparate.\nDa bei der eben beschriebenen Maschine kein Stromwechsel stattfindet, Jiat man bisweilen n\u00f6thig, zu untersuchen, welcher von den","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 46 \u2014\nDr\u00e4hten f f' die positive Electricit\u00e4t liefert. Dies kann freilich durch Verfolgung des Vorgangs an der Maschine geschehen, allein dies ist immer zeitraubend und erfordert Achtsamkeit. Man thut daher besser und untersucht dies mit Hilfe der Electrolyse. Zu dem Ende verkn\u00fcpft man ff' mit Platindr\u00e4hten und setzt diese mit einem St\u00fcck Jodkaliumpapier oder Jodkaliumst\u00e4rkebrei in Verbindung, die positive Electrode zeichnet sich sofort durch ihre F\u00e4rbung aus.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Nach diesen einleitenden Betrachtungen wenden wir uns jetzt unserem eigentlichen Gegenst\u00e4nde zu. Wir zerfallen uns denselben behufs \u00fcbersichtlicherer Betrachtung in zwei Abschnitte. In dem ersten, der Nervenphysik, sollen einzelne Nerventheile ausser allem Zusammenhang mit anderen Theilen des thierischen K\u00f6rpers auf ihre physikalischen Eigenschaften mit den Hilfsmitteln der Chemie und Physik gepr\u00fcft werden, w\u00e4hrend in dem zweiten, der eigentlichen Nervenphysiologie, die Nerven im Zusammenhang unter sich und mit den verschiedenen Organen, zu denen sie sich begeben, untersucht werden sollen.\nZweiter Abschnitt.\nNervenphysik.\n\u00a7\u2022 6.\nChemische Eigenschaften der Nervensubstanz.\nUeber die chemischen Eigenschaften der Nervensubstanz weiss man \u00e4usserst wenig. Zwar sind Analysen derselben genug vorhanden und die mikrochemischen Reactionen der mikroscopischen Elemente des Nervensystems sind von einzelnen Histologen bis in die Minutissima studirt worden , aber Beides ist in gar keine oder nur \u00e4usserst d\u00fcrftige Beziehung zu den Leistungen des Nervensystems gebracht worden, so dass unseren weiteren Betrachtungen kein wesentlicher Nachtheil daraus erwachsen w\u00fcrde, wenn wir gar keine Mittheilungen \u00fcber diesen Punkt machten. Nur die Absicht, die das Nervensystem betreffenden Thatsachen m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig mitzutheilen, veranlasst uns zu folgenden Bemerkungen.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nWas zun\u00e4chst die Reaction der feuchten Nervensubstanz anlangt, so ist ihr Studium wesentlich desshalb betrieben worden, weil man zu einigen interessanten Ergebnissen \u00fcber dieselbe Eigenschaft des mit dem Nerven in so enger Beziehung stehenden Muskels gelangt war. Von ihm war, namentlich durch die Bem\u00fchungen von du B o is - R ey m o n d, bekannt geworden, dass der sie durchdringende Saft im ruhenden Zustand derselben neutral, dagegen im th\u00e4tigen sauer reagire, sowie dass die nach dem Tode beginnende Zersetzung auf ihren ersten Stadien gleichfalls eine S\u00e4ure producire. Diese Erfahrungen haben Funke*) veranlasst, auch die Reactionen einzelner Theile des Nervensystems zu studiren. Zufolge seiner Untersuchungen besteht in dem fraglichen Punkte vollkommene Uebereinstimmung zwischen Nerv und Muskel. Von Nerven-theilen hat Funke das Gehirn, R\u00fcckenmark und auch gr\u00f6ssere Nerven-st\u00e4mme untersucht. In einer ersten Versuchsreihe wurden diese Theile einem Thier entnommen, da\u00ab mit Curara, d. i. einer Substanz get\u00f6det worden war, die das Thier in keine Kr\u00e4mpfe, nicht in Erregungen des Nervensystems versetzt; in einer zweiten dagegen wurde das Curara durch Strychnin substituirt, ein Gift, bei dessen Darreichung die Thiere unter den entgegengesetzten Symptomen zu Grunde gehen. Im ersten Falle reagirten die genannten Nerventheile neutral, im zweiten sauer. Was die Analysen von' Nerventheilen anlangt, so hat man bisher vorzugsweise solche des Gehirns ausgef\u00fchrt, keine aber hat in irgend eine Beziehung-zur Hirnth\u00e4tigkeit gebracht werden k\u00f6nnen, selbst ihr Einfluss auf unsere Kenntnisse \u00fcber den Stoffwechsel in den verschiedenen Geweben ist gering. Mit Ucbergehung der \u00e4lteren Analysen von Couerbe, Vauquelin, Denis etc. heben wir aus den neueren Untersuchungen folgende Thatsachen heraus. In dem Wasserauszug des menschlichen Gehirns gelang es M\u00fcller**) folgende K\u00f6rper nachzuweisen : Cholcstearin, Kreatin, Milchs\u00e4ure, Ameisens\u00e4ure; in dem analogen Auszug des Ochsenhirns wurde gefunden : ein dem Leucin \u00e4hnlicher K\u00f6rper oder gar dieses selbst, Ameisens\u00e4ure, Milchs\u00e4ure, Harns\u00e4ure und Inosit. Lorenz***) hat im Ochsenhirn noch Xanthin und Hypoxanthin nachgewiesen. Uebrigens war ein Theil dieser K\u00f6rper, so namentlich Ameisens\u00e4ure und Milchs\u00e4ure, schon fr\u00fcher durch Bibraf) als Hirnbestandtheile\n*) Ueber die Reaction der Nervensubstanz. Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie, herausg. von Reichert und dubois- Reymond, Jahrg. 1859, S. 835.\n**) Ueber die chemischen Bestandteile des Gehirns. Erlangen 1857.\n***) Ueber die chemische Zusammensetzung des Gehirns. Chur 1859.\nf) Vergleichende Untersuchungen \u00fcber das Gehirn der Menschen und der Wirbeltiere.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"49\nnachgewiesen worden. Noch fr\u00fchere Forscher, wie z. \u00df. From y*j, reden von zwei anderen S\u00e4uren, welche dem Gehirn eigenth\u00fcmlich sein sollen. Sie gingen bisher unter dem Namen der Cerebrins\u00e4ure und Oleophosphor-s\u00e4ure; die Angaben aber \u00fcber ihre Eigenschaften sind oft so widersprechend , dass es scheint, als ob jene K\u00f6rper nicht reine chemische Individuen gewesen w\u00e4ren. Eine neuere, von Liebreich**) gef\u00fchrte Untersuchung verspricht, zum mindesten theilweise, Aufkl\u00e4rung dar\u00fcber. Derselbe hat n\u00e4mlich aus dem zerriebenen Gehirn, nachdem dasselbe wiederholt mit Wasser und Aether ausgezogen worden war, mittelst Alkohol von 85\u00b0 bei 45\u00b0 einen von ihm Protagon genannten K\u00f6rper dargestellt, welcher phosphorhaltig ist und beim Kochen mit Baryt sich in Glycerinphosphors\u00e4ure, fette S\u00e4uren und in eine neue Basis, das Neurin, zerlegt. Auch von diesen besseren chemischen Angaben sind bis jetzt nur sehr wenige mit Nervenleistungen in Zusammenhang gebracht worden, und, selbst wo es geschah, sind nur Bez\u00fcge untergeordneten Ranges ber\u00fchrt worden.\n\u00a7\u2022 7.\nDie electrischen Eigenschaften der ruhenden Nerven.\nVon den physikalischen Eigenschaften interessiren uns nur die electrischen , da andere, wie z. B. die auf die Coh\u00e4sion und Elasticit\u00e4t bez\u00fcglichen, bisher in gar keinen Zusammenhang mit -den physiologischen Leistungen der Nerven zu bringen waren.\nDie vorz\u00fcglichsten Mittel zu dieser Untersuchung sind der Multiplikator mit langem, d\u00fcnnem Draht und astatischer Nadel und die Spiegel-boussole. Wegen des ungemein grossen Widerstandes, welchen die Nerven bieten, ist diese Wahl in Uebereinstimmung mit den auf S. 17 gemachten Bemerkungen geboten. Die Erfahrung hat \u00fcberdies gelehrt, dass, wenn ein Multiplicator f\u00fcr alle in dies Gebiet einschlagende Versuche vollkommen brauchbar sein soll, er nicht leicht unter 12 \u2014 16000 Windungen eines 0,15mm dicken Drahtes besitzen darf. Rathsamer is.' es jedoch, die Zahl der Windungen in beiden Instrumenten noch gr\u00f6sser zu nehmen; man hat demgem\u00e4ss Multiplicatorgewinde von 24000 und mehr Windungen f\u00fcr diese Zwecke gebaut. Bevor wir an die Untersuchungen selbst gehen, haben wir uns zuvor noch zu fragen, ob wir wohl zweckm\u00e4ssiger den Multiplicator mit Doppelnadel oder die Spizgelboussole in der S. 25 beschriebenen Gestalt w\u00e4hlen sollen. Hier\u00fcber ist etwa Folgen-\n*) Annalen der Chemie und Pharmacie XL, S. 69.\n**) Annalen der Chemie und Pharmacie CXXXIV, S. 29. Eckhard, Kervenphyaiologie.","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"des zu sagen. Jedes Instrument hat seine besonderen Vortheile, doch liegt f\u00fcr weitere Forschungen im Gebiete der Electrophysiologie das Uebergewicht unzweifelhaft auf Seiten der Spiegelboussole. Erstlich bedarf sie keiner besonderen Graduirung, wie der Multiplicator, wenn es sich um messende Versuche handelt. Die Ablenkungen folgen ein f\u00fcr allemal einfach ohne weitere Vorbereitungen dem Tangentengesetz, w\u00e4hrend der Multiplicator einer zeitraubenden Graduirung bedarf, die ihrerseits mit der Astasie des Nadelpaares und der L\u00e4nge des Fadens, die sich fortw\u00e4hrend in Folge der elastischen Nachwirkung ver\u00e4ndert, wieder sehr verg\u00e4nglich ist. Zweitens kommt die Magnetnadel zufolge der grossen D\u00e4mpfung rasch zur Ruhe und erlaubt daher die im Nerven vor sich gehenden electromotorischen Ver\u00e4nderungen sicherer zu verfolgen. F\u00fcr den Unterricht dagegen mag sich mehr der Multiplicator mit Doppelnadel empfehlen; denn er verlangt zu seiner Aufstellung weniger umfangreiche R\u00e4umlichkeiten, erlaubt, die Versuche mehreren Personen zu gleicher Zeit vorzulegen und erleichtert dem Anf\u00e4nger die Uebersicht \u00fcber die anzustellenden Experimente, indem dieser beim Einschalten des Nerven in den Multiplicatorkreis diesen in seiner ganzen Ausdehnung leichter \u00fcberblickt und die Wirkungen so zu sagen directer beobachtet. Die Einschaltung der Nerven in den Multiplicatorkreis darf nicht so geschehen, dass jene unmittelbar mit den metallischen Enden dieses in Ber\u00fchrung gebracht werden; denn verschiedene Punkte auch der scheinbar reinsten Metalloberfl\u00e4che sind fast niemals electromotorisch gleich, und man w\u00fcrde daher bei jener Art des Einschaltens nie dar\u00fcber sicher sein, ob ein beobachteter Strom seinen Ursprung electrischen Kr\u00e4ften im Nerven oder nur dem Umstand verdanke, dass man zwei electromotorisch verschiedene Stellen der Multiplicatorenden mittelst eines feuchten Leiters, des Nerven n\u00e4mlich, zum Kreise geschlossen habe. Dieser Unsicherheit auszuweichen, bedient man sich der folgenden Vorrichtungen. Die eine derselben, deren sich du Bois-Reymond urspr\u00fcnglich bediente, ist jetzt verlassen. Wegen des historischen Interesses aber, welches sich an dieselbe kn\u00fcpft und wegen des weiteren Umstandes, dass gewisse Theile derselben in die zweite, hernach zu beschreibende Methode \u00fcbergegangen sind, mag sie hier eine Stelle finden. Die Enden des Multi-plicatordrahtes werden mit zwei Platinblechen verkn\u00fcpft, welche aus einem St\u00fcck geschnitten und nach Ausgl\u00fchen und Behandlung mit Kali und Salpeters\u00e4ure mit destillirtem Wasser sorgf\u00e4ltig abgewaschen worden sind. Sie tauchen in Gef\u00e4sse mit filtrirter, concentrirter Kochsalzl\u00f6sung, aus welcher sich zwei B\u00e4usche von Fliesspapier erheben. Durch einen dritten Bausch schliesst man den Kreis und l\u00e4sst sich dessen etwaige Ungleichartigkeiten ausgleichen. Zur Vorsicht \u00fcberzeugt man sich noch","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"- 51 -\nunmittelbar vor Anstellung eines Versuchs, dass Oeffnen und Schliessen des Kreises mit Hilfe des Schliessungsbausches keinen wesentlichen Einfluss auf die Stellung der Nadel aus\u00fcbt. Ist dies geschehen, so \u00fcberkleidet man einen jeden der beiden B\u00e4usche mit einem St\u00fcck aufgeweichter und in Eiweiss getr\u00e4nkter Blase, oder, was noch besser ist, mit vierseitigen St\u00fcckchen von Modellirthon *), welche man mit einer 1\u20142procentigen Kochsalzl\u00f6sung, welche die thierischen Theile verh\u00e4lt-nissm\u00e4ssig wenig angreift, getr\u00e4nkt hat. Erst jetzt schaltet man zwischen diesen den Nerven ein und entfernt hierauf den Schliessungsbausch. Die erste Ausweichung der Nadel steht bei dieser Art, den Strom des Nerven dem Multiplicator zuzuleiton, in keinem Verh\u00e4ltniss zu der sp\u00e4ter erfolgenden, constanten Ablenkung, welche betr\u00e4chtlich kleiner ausf\u00e4llt, als man jener zufolge h\u00e4tte erwarten sollen. Der Grund davon ist* dass sich theils der auf die B\u00e4usche aufgelegte Nerv ver\u00e4ndert, theils aber und vor allen Dingen die beiden Platinbleche sich polarisiren. Der letztere Nachtheil schl\u00e4gt indess zu dem Vortheil um, dass nach Entfernung des Nerven aus dem Kreis und Schluss durch den Bausch man an der jetzt zu beobachtenden Richtung des Polarisationsstromes eine Controlle \u00fcber die Richtung des vorherigen Nervenstroms erh\u00e4lt. Mit der Entdeckung unpolarisirbarer Electroden durch Regnauld**) ist indess diese Versuchsweise zur\u00fcckgedr\u00e4ngt worden. Man ersetzt jetzt die Kochsalzl\u00f6sung der Zuleitungsgef\u00e4sse durch eine L\u00f6sung von schwefelsaurem Zinkoxyd und die Platinelectroden durch solche von Zink, welche mit Berjot\u2019scher Fl\u00fcssigkeit verquickt sind. Die Einschaltung der Nerven geschieht wie fr\u00fcher zwischen Thonschildchen der beschriebenen Art. Die auf S. 52 stehende Vorrichtung stellt das Schema eines Versuchs dar, den Nerven auf seine electromotorischen Eigenschaften zu untersuchen. In ihr bedeutet M den Multiplicator, welcher mittelst zweier Dr\u00e4hte mit der Zuleitungsvorrichtung verkn\u00fcpft ist ; a a sind wohl isolirte, auf den Unterlagen B befestigte Stative, welche ihrerseits auf einem Brete A stehen ; d d sind Gef\u00e4sse aus Porcellan oder Glas, welche mit einer L\u00f6sung von schwefelsaurem Zinkoxyd gef\u00fcllt sind, in welche die an den horizontalen Armen bb befestigten, mit \u00dferjot\u2019scher Fl\u00fcssig-keit verquickten Zinkplatten cc tauchen; aus der schwefelsauren Zinkoxydl\u00f6sung erheben sich die B\u00e4usche ee, zwischen welchen der Nerven m der vorher erw\u00e4hnten Weise eingeschaltet ist; die Thonschildchen oder die diese ersetzenden Kochsalzb\u00e4usche sind nicht gezeichnet.\n*) ix> Bois-Raymond, Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen, eiectrophysiologischen Zwecken. Berlin 1863, S. 92 ff.\n**) Siehe oben S. 30.\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nIch ersuche den Leser, nach dieser kurzen Mittheilung der Grunds\u00e4tze, nach denen jeder Multiplicatorversuch auszuf\u00fchren ist, das Ausf\u00fchrlichere bei du Bois nachzulesen *).\nIndem nun der Nerv in verschiedener Weise in den Multiplicator-kreis eingeschaltet wird, ergeben sich folgende Thatsachen :\na)\tWird ein St\u00fcck eines lebendigen Nerven, sei er ein motorischer oder sepsibler, so in den Kreis eines Multiplicators eingeschaltet, dass einerseits ein Punkt des auf die L\u00e4ngsaxe des Nerven senkrecht gef\u00fchrten Querschnittes, andererseits ein Punkt der nat\u00fcrlichen Oberfl\u00e4che, des nat\u00fcrlichen L\u00e4ngenschnittes., aufliegt, so kreist im Multiplicator ein Strom, der von dem letzteren Punkte durch den Multiplicatordraht zum erst genannten geht.\nb)\tWird ein Nervenst\u00fcck mit zwei Punkten des nat\u00fcrlichen L\u00e4ngsschnittes , von denen der eine dem geometrisch mittleren Querschnitt n\u00e4her liegt, als der andere, in den Multiplicatorkreis aufgenommen, so erh\u00e4lt man ebenwohl einen, obgleich viel schw\u00e4cheren Strom, der vom ersteren Punkt durch den Multiplicator zum letzteren geht. Hierbei ist es vollkommen gleiehgiltig, ob die beiden Punkte auf einer oder verschiedenen Seiten vom geometrisch mittleren Querschnitt liegen.\nc)\tJeder k\u00fcnstlich angelegte Querschnitt des Hirns oder R\u00fcckenmarks verh\u00e4lt sich negativ gegen die positive Oberfl\u00e4che der Hirn R\u00fcckenmarksaxe.\nd)\tEin Unterschied zwischen motorischen und sensibeln Fasern ist nicht aufgefunden worden, und ebenso hat sich zwischen grauer und weisser Hirnsubstanz keine electromotorische Verschiedenheit ergeben.\nUntersuchungen \u00fcber tbierische Electricit\u00e4t. Bd. I, S. 203.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"53\ne)\tDie St\u00e4rke der Str\u00f6me anlangend, hat man gefunden, dass die Nadel ann\u00e4hernd oder vollst\u00e4ndig in Buhe bleibt, wenn man symmetrisch zum mittleren Querschnitt*) gelegene Punkte, auflegt, dass sie dagegen allm\u00e4hlich w\u00e4chst, wenn man bei gleich bleibender Entfernung der B\u00e4usche, sogenannter gleicher Spannweite, immer mehr vom electromo-torischen Aequator weg nach dem Querschnitt r\u00fcckt, oder wenn man, bei ver\u00e4nderlicher Spannweite, mit dem einen Bausch sich immer mehr dem Querschnitt n\u00e4hert, w\u00e4hrend der andere unverr\u00fcckt bleibt, wobei die Str\u00f6me, wenn sie von entgegengesetzten Seiten des electromotorischen Aequators gewonnen werden, die entgegengesetzte Richtung im Multipli-cator befolgen. Das Maximum der Wirkung wird erhalten, wenn der eine Bausch den electromotorischen Aequator, der andere einen Querschnitt ber\u00fchrt.\nf)\tTheilt man einen Nerven der Quere nach, so wiederholt jedes einzelne St\u00fcck dieselben Gesetze und dies stellt sich bei weiterer Theilung so lange ein, als die Geschicklichkeit des Experimentators und die G\u00fcte der Vorrichtungen eine vorwurfsfreie Anstellung der Experimente erlauben. Auch wenn man die Nerven der L\u00e4nge nach spaltet, tritt keine Abweichung von den erw\u00e4hnten Gesetzen ein.\nUm dieses eigent\u00fcmliche, electrische Verhalten des Nerven und ebenso das des Muskels, welches bis hieher auf\u2019s Genaueste mit dem des Nerven \u00fcbereinstimmt, zu erkl\u00e4ren, hat man verschiedene Hypothesen aufzustellen versucht. Man ist einstweilen bei der Annahme stehen geblieben, dass der Nerv aus einer unbestimmten Menge \u00fcberall mit einer feuchten Schicht umgebener, peripolarer Molekeln bestehe, welche s\u00e4mmtlich aus einer positiven Aequatorial- und zwei negativen Polarzonen zusammengesetzt und deren die letzteren verbindende Axen s\u00e4mmtlich der L\u00e4ng saxe des Nerven parallel gerichtet seien. Man ist zu dieser Annahme durch den folgenden Gedankengang gef\u00fchrt worden. In Erinnerung daran, dass es Ampere gelungen ist, auf die \u00e4hnliche Wahrnehmung hin, dass ein in \"beliebig viele St\u00fccke zerbrochener Magnet eben so viele kleine Magnete liefert, die einzelnen magnetischen Erscheinungen eines Stabes aus der Annahme abzuleiten, es sei derselbe aus einer unendlich grossen Anzahl von Molekularmagneten zusammengesetzt, meinte man, m\u00fcsse, da ja auch jedes kleinste Nervenst\u00fcckchen noch nach den Gesetzen des ganzen electromotorisch wirkt, es m\u00f6glich sein, die electrischen Erschei-\n*) Der ideelle Querschnitt des Nerven, um welchen, wie sich aus dieser und den folgenden Angaben ergiebt, die electromotorischen Kr\u00e4fte symmetrisch angeordnet sind, heisst der electromotorische Aequator; er f\u00e4llt nicht genau mit dem geometrisch mittleren Querschnitt zusammen.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nnungen des letzteren abzuleiten, wenn man annehme, dass er aus Nerven-molek\u00fclen bestehe, von denen in der fraglichen Beziehung ein jedes die Erscheinungen des Ganzen wiederhole. Demgem\u00e4ss handelte es sich nun darum : erstens, ein Molek\u00fcl zu erdenken, welches s\u00e4mmtliche Stromerscheinungen des Nerven zeigt, und zweitens, zu zeigen, dass, wenn man viele eines solchen in einer bestimmten Weise combinirt, ein so construises Ganze dieselben Eigenschaften beobachten l\u00e4sst. Der ersten Anforderung gen\u00fcgt nun zwar nicht ein den Erscheinungen des ganzen Nerven nachgebildetes Molek\u00fcl mit einer mittleren positiven und zweien negativen Endzonen, etwa einem Cylinder, oder einer Kugel vergleichbar, dessen Basen aus Kupfer und dessen Mantel aus Zink besteht; denn von einem solchen l\u00e4sst sich zwar ein Strom vom L\u00e4ngsschnitt durch den Bogen zum Querschnitt ableiten, aber keine Str\u00f6me zwischen verschiedenen Punkten des L\u00e4ngs- oder Querschnittes. Aber wenn man ein solches Molek\u00fcl sich in eine feuchte Schicht von \u00fcberall gleicher Dicke gebettet denkt, dann leistet es, was wir von ihm verlangen. Dies sieht\nman durch Betrachtung der beistehenden Figur ein, welche ein solches Molek\u00fcl in der Art repr\u00e4sentirt, dass A A die negativen, b kupfernen Basen, D D den positiven, zinkernen Mantel, die schwarz gehaltene Umgebung die dasselbe einh\u00fcllende Fl\u00fcssigkeitsschicht bezeichnet. Ge-r> m\u00e4ss derselben findet Folgendes statt. Von einem jeden Punkte o' d'. .. i c e des Zinks geht ein Strom durch die Fl\u00fcssigkeit in der Richtung der Pfeile zum Kupfer. Die St\u00e4rke der verschiedenen Str\u00f6me h\u00e4ngt von der L\u00e4nge ihrer Wege ab, je gr\u00f6sser diese, desto schw\u00e4cher jene. Es werden daher die von der Mitte des Zinkmantels ausgehenden und in der Mitte der Kupferfl\u00e4chen eintretenden Str\u00f6me am schw\u00e4chsten sein. Die die Str\u00f6me andeutenden krummen Linien, wie a' a, d' d, o' o, i i' u. s. w. heissen Str\u00f6-mungscurven. Nun wissen wir aber, dass in jeder durch einen \u00fcberall gleich beschaffenen Bogen geschlossenen Kette in der Mitte des Schliessungsbogens sich Electricit\u00e4t von der Spannung Null vorfindet, dass letztere","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"55\nnach beiden Seiten hin allm\u00e4hlich zunimmt und dass diese Spannungen bei gleicher electromotorischer Kraft um so gr\u00f6sser ausfallen, je gr\u00f6sser die Widerst\u00e4nde der Kette sind. Wir m\u00fcssen uns daher auf einem jeden Punkte der zahllosen Str\u00f6mungscurven Electricit\u00e4t von einer Spannung denken, wie sie der L\u00e4nge des Stromweges und der Entfernung von dem electromotorischen Ber\u00fchrungspunkt entspricht. Verbinden wir dann in Gedanken auf allen Str\u00f6mungscurven jedesmal die Punkte gleicher Spannung, so erhalten wir eine Reihe von Curven, wie z. B. die von der Ecke s ausgehenden und bei dem Punkte s' eintret\u00e8nden, welche die Str\u00f6mungscurven im Allgemeinen rechtwinklich schneiden ; man nennt sie isoelectrische Curven. Sie sind besonders in beistehender Figur, in welcher A die Zink-,\nD die Kupferzone bedeutet, dargestellt. Man sieht nun, dass man von einer solchen Vorrichtung dieselben Str\u00f6me, wie von einem Nerven und Muskel ableiten kann, wie dies in der That auch von du Bois-Reymondan einem besonders zu diesem Zwecke construirten Apparate geschehen ist. Bei Anlegung des leitenden, den Multiplicator enthaltenden Bogens, wie in der Stellung B, wird ein Strom von der Zinkfl\u00e4che (L\u00e4ngsschnitt) durch den Bogen zur Kupferfl\u00e4che (Querschnitt) gehen ; denn welche besondere Lage man auch den Fusspunkten des Bogens in dieser Stellung anweisen mag, immerhin verbinden sie Punkte entgegengesetzter Spannung, und es muss daher ein Strom in der angegebenen Richtung zu Stande kommen. Bei der Stellung C des Bogens muss eben wohl ein Strom entstehen und zwar von dem dem mittleren Querschnitte des Cylinders n\u00e4her gelegenen Punkte durch den Bogen zu dem jenem ferner liegenden. Zwar sind nicht zwei Punkte, welche der Art nach verschiedene Electricit\u00e4ten tragen, aber doch immerhin solche von verschiedener und zwar solcher Spannung in Verbindung gesetzt, dass der dem mittleren Querschnitt n\u00e4here Fusspunkt des Bogens auf einem Punkte st\u00e4rkerer Spannung ruht, als der demselben fernere und somit die Ausgleichung in der bezeichneten Weise vor sich gehen muss. Man","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nsieht ferner ein, dass, wenn man in unserem Schema zwei ungleich weit von dem Mittelpunkt \u00fcber der Kupferfl\u00e4che liegende Punkte durch einen leitenden Bogen mit einander in Verbindung setzen w\u00fcrde, in letzterem ein Strom von dem der Peripherie n\u00e4her gelegenen Punkte zu dem ihr ferner liegenden gefunden werden w\u00fcrde; denn Punkte geringerer negativer Spannung sind als positiv gegen die st\u00e4rkerer negativer Spannung zu betrachten. Wegen der Kleinheit des Querschnittes am Nerven sind die dieser Anordnung entsprechenden Str\u00f6me zwar an letzterem nicht, wohl aber an dem gr\u00f6sseren Querschnitt des Muskels nachgewiesen worden; man setzt sie aber, da das electromotorische Verhalten ruhender Nerven mit dem ruhender Muskeln \u00fcbereinstimmt, auch hier voraus. Dass diese Str\u00f6mungsvorg\u00e4nge nicht leere Spoculationen sind, wie der Uneingeweihte leicht glauben m\u00f6chte, ergiebt sich daraus, dass, wenn man sich einen Cylinder anfertigen l\u00e4sst, welcher aus einem Mantel von Zink besteht und dessen Grundfl\u00e4chen Kupfer sind und einen solchen in ein mit verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure gef\u00fclltes, hinl\u00e4nglich grosses Gef\u00e4ss legt, so dass es \u00fcberall nahezu gleichm\u00e4ssig von Fl\u00fcssigkeit umsp\u00fclt wird, man mittelst mit einem Multiplicator in Verbindung stehender Platindr\u00e4hte, welche man in Glasr\u00f6hren einschliesst, so dass sie an einem Ende derselben gleichsam nur punktf\u00f6rmig hervorragen, von der feuchten Schicht genau die beschriebenen Str\u00f6me ableiten kann, sobald man ihnen die erw\u00e4hnten Stellungen giebt.\nWir haben aber jetzt nun noch weiter zu fragen, ob, wenn wir derartige Molek\u00fcle uns in der S. 53 angedeuteten Ordnung vereinigt denken, das Ganze bei Anlegung eines Bogens in derselben Weise wirksam ist. Der Urheber dieser Hypothese bejahte diese Frage und zwar mit R\u00fccksicht auf eingehende Betrachtungen \u00fcber die Str\u00f6mungsvorg\u00e4nge eines solchen Molekelhaufens, best\u00e4rkt darin durch Beobachtungen, welche er an der Theorie nachgebildeten Modellen anstellte, und welche mit den theoretischen Ableitungen befriedigend \u00fcbereinzustimmen schienen. Dabei blieb jedoch einige Dunkelheit \u00fcber die Entstehung der Str\u00f6me an L\u00e4ngsschnitt und Querschnitt allein. Nach der Entdeckung des Princips von der electrischen Oberfl\u00e4che durch Helmholtz wurde von letzterem besonders einsichtlich gezeigt, dass in der That die zuletzt genannten Str\u00f6me, sowie auch der Umstand, dass die von den Muskeln und Nerven abgeleiteten Str\u00f6me nach du Bois mit der Dicke derselben zunehmen sollen, nicht mit der alleinigen Annahme, dass der Nerv aus peri-polaren Molekeln, so geordnet, wie oben beschrieben, bestehe, vertr\u00e4glich sei. Nach diesem Principe n\u00e4mlich l\u00e4sst sich f\u00fcr einen Leiter, in dessen Innerem electromotorische Kr\u00e4fte irgendwie vertheilt sind, eine Anordnung von Spannungen auf der Oberfl\u00e4che finden, unter deren Wirkung","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"57\nsich in einem angelegten Leiter Str\u00f6me ganz so ergiessen. wie sie es thun w\u00fcrden, wenn statt ihrer der urspr\u00fcngliche Leiter zur Ableitung benutzt w\u00fcrde.\nSobald also f\u00fcr einen solchen die electromo-torische Oberfl\u00e4che gefunden ist, sind die Gesetze, denen die abgeleiteten Str\u00f6me folgen, leicht anzugeben. Legen wir nun, wie es die beistehende Figur andeutet, zwei peripolare Molekel 1 u. 2 so, dass sie mit ihren negativen Zonen aneinanderstossen, so wird sich die W irk-samkeit der letzteren als in entgegengesetztem Sinne wirkend aufheben, und wenn wir in derselben Reibe fortfahren, neue Molekeln zuzuf\u00fcgen, so wird zwischen jedem neuen Paar von Molek\u00fclen immer dasselbe stattfinden, so dass also schliesslich nur noch die beiden \u00e4ussersten, oben und unten gelegenen, negativen Zonen, sowie die positiven aller Molekeln \u00fcbrig bleiben. Legen wir weiter an das oberste Molek\u00fcl in horizontaler Reihe ein zweites 3, so dass beide mit ihren positiven Zonen an einander stossen, so werden sich auch deren Wirkungen daselbst aufheben und wenn wir dem zweiten ein drittes u. s. w. zuf\u00fcgen, so bleiben schliesslich nur die positiven Spannungen der \u00e4ussersten Molek\u00fcle an der Oberfl\u00e4che \u00fcbrig Wird an das zweite Molek\u00fcl der senkrechten Reihe eine zweite, mit 4 anfangende Horizontalreihe gef\u00fcgt und so fortgefahren bis zum letzten der ersten, so wird ein solcher Molekelhaufen oben und unten, wir nennen diese Begrenzung seine Querschnitte, negative und an seinen Seiten, d. i seinem L\u00e4ngsschnitt, eine positive Spannung zeigen, welche den Mittelwerth der positiven Spannungen der einzelnen Molek\u00fcle darstellen wird. Auf diese Weise haben wir die elec-trische Oberfl\u00e4che dieser Molekularanordnung gefunden. So wird demnach, falls wir mit du Bois-Reymond uns den Nerven aus peripolaren Molekeln in der oben angegebenen Weise angeordnet denken, auch die electrische Oberfl\u00e4che der Nerven beschaffen sein. Legen wir an sie einen Bogen an, der L\u00e4ngs- und Querschnitt mit einander in Verbindung setzt, so wird in diesem ein Strom vom ersteren zum letzteren fliessen. Unsere Hypothese bew\u00e4hrt sich also f\u00fcr diese Anordnung. Da aber auf dem L\u00e4ngsschnitt aus den einzelnen positiven, und auf dem Querschnitt aus den einzelnen negativen je eine mittlere positive, resp. negative Spannung entstehen muss, so fehlen hier die Ursachen f\u00fcr Str\u00f6me in einem Bogen, den man zwischen verschiedenen Punkten des L\u00e4ngs- oder Querschnittes anlegt. Auch kann, wie schon oben bemerkt wurde, die Dicke des Nerven Nichts zur Verst\u00e4rkung des Stromes zwischen L\u00e4ngs- und Querschnitt beitragen, da sich die Wirkungen der inneren Molek\u00fcle","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\ngegenseitig zerst\u00f6ren. Indess hat doch du Bois-Reymond den Versuch gemacht, die am Nerven gewonnenen Erfahrungen mit den Folgerungen der Theorie in Einklang zu bringen. Wir wollen jedoch hidden Gegenstand dem Leser zum weiteren Selbststudium \u00fcbergeben, indem wir ihm noch das wesentliche Hilfsmittel an die Hand geben, von wo aus er dasselbe beginnen muss. Ist n\u00e4mlich Alles so, wie es aus dem Gesetz von der electrischen Oberfl\u00e4che abgeleitet worden ist, so muss dann weiter, wenn die Oberfl\u00e4che der \u00e4usserst gelegenen Molek\u00fcle mit einer Schicht unwirksamer, aber leitender Substanz \u00fcberzogen ist oder sich an frischen Querschnitten rasch bildet, durch diese hin ein Strom vom L\u00e4ngs- zum Querschnitt entstehen und bei der Anlage eines Bogens an diese Strombahn, sei es auf dem L\u00e4ngs- sei es auf dem Querschnitt, sich ein Zweigstrom ergiessen. Ueber ihre Richtungen und St\u00e4rken wolle man die von du Bois-Reymond*) dar\u00fcber angestellten Betrachtungen durchgehen. Aus der Thatsache, dass das kleinste St\u00fcckchen eines Nerven, welches noch zu handhaben ist, gesetzm\u00e4ssige Str\u00f6me giebt, folgt noch die freilich ganz \u00fcberfl\u00fcssige Bemerkung, dass man sich jeden Nerven im Zustande einer geschlossenen Kette zu denken hat; denn jedes electromotorisch wirksame St\u00fcck desselben findet in der feuchten Masse seiner Nachbarn Gelegenheit zur Ausgleichung \u25a0seiner electrischen Spannungen. Hieraus ergiebt sich dann endlich auch, dass die an den Nerven im Multiplicatorkreise beobachteten Str\u00f6me abgeleitete sind und uns also gar keine Vorstellung von der Summe der in einem Nerven vorhandenen, electromotorischen Kr\u00e4fte geben.\nQuantitative Bestimmungen \u00fcber die Nerven und Muskelstr\u00f6me waren bis zur Entdeckung unpolarisirbarer Electroden unm\u00f6glich. Jetzt, wo dieses Hinderniss beseitigt ist, hat auch dieses Gebiet in Angriff genommen werden k\u00f6nnen nnd stehen Publikationen dar\u00fcber in naher Aussicht.\n\u00a7\u25a0 8-\nDer Electrotonus.\nWir gelangen jetzt zu denjenigen electrischen Erscheinungen des Nerven, welche beobachtet werden, wenn derselbe irgend welchen besonderen, \u00e4usseren Einwirkungen ausgesetzt wird. Wir machen den Anfang mit denen, welche sich ergeben, wenn der Nerv an irgend einer Stelle seines Verlaufs in den Kreis einer constanten Kette genommen\n*) du Bois-Reymond: Ueber das Gesetz des Muskeistromes mit besonderer Ber\u00fccksichtigung des M. gastrocnemius des Frosches. Archiv i\u00fcr Anatomie und Physiologie von Reichert und du Bois-Reymond. 1863. S. 521.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"59\nwird. Den eigenth\u00fcmlichen, electrischen Zustand, in welchen der Nerv durch diese Einwirkung verf\u00e4llt und in welchem er w\u00e4hrend der ganzen Dauer des Geschlossenseins der Kette beharrt, hat man mit dem Namen des Electrotonus desselben belegt. Wir bemerken dabei, dass zur Zeit seiner Entdeckung keine physiologische Erscheinung bekannt war, welche auf seine Existenz hindeutete, und dass man seine Auffindung nur einer \u00fcberm\u00e4ssigen Vorsicht des Entdeckers verdankt. Diese letztere stellte sich bei folgender Ueberlegung ein. Man wusste bereits, dass ein motorischer Nerv im Allgemeinen einem constanten, galvanischen Strom gegen\u00fcber sich in der Art verh\u00e4lt, dass nur Schwankungen des letzteren den die Zuckungen des Muskels erregenden Vorgang im Nerven erzeugen (siehe \u00a7. 12), dagegen die constante Fortdauer des Stromes dieser Art Nichts bewirkt, den Muskel vollkommen in Ruhe l\u00e4sst. Mit Wahrscheinlichkeit schliesst man aus diesem Verhalten, dass, wenn ein Nerv an einer Stelle von einem constanten Strom durchflossen wird, auf seinem Reste nur dann, wenn \u00fcberhaupt, Ver\u00e4nderungen seines electrischen Verhaltens zur Beobachtung kommen werden, wenn jener gewissen Schwankungen unterworfen ist, und dass, so lange solche nicht Vorkommen, scheinbar auch kein Grund f\u00fcr die Annahme vorhanden ist, dass die electrischen Zust\u00e4nde der Nerven sich \u00e4ndern. Indess sagte sich der Entdecker, dass die eben entwickelte Wahrscheinlichkeit auf einem so schl\u00fcpfrigen Gebiete, wie das der thierischen Electricit\u00e4t, doch der besonderen Pr\u00fcfung werth sei. Sie ergab, dass, entgegen der Vermuthung, der Nerv doch eine Aenderung seines electrischen Verhaltens unter den angegebenen Bedingungen erfuhr. Das Wesen aber des electrotonischen Zustandes besteht nun genauer darin, dass der Nerv unter Beibehaltung seines urspr\u00fcnglichen, electromotorischen Wirkungsgesetzes auf allen, also auch auf den nicht unmittelbar von dem constanten Strom betroffenen, Punkten seiner L\u00e4nge electromotorisch zu wirken anf\u00e4ngt, und zwar im Sinne des erregenden Stromes selber; so dass also, wenn man sich zwei beliebige Punkte des Nerven durch einen leitenden Bogen verbunden denkt, sich in Folge dieses Zustandes in dem Nervenst\u00fcck, welches von jenen zwei Punkten eingeschlossen wird und dem Bogen ein Strom bewegt, der jenes in derselben Richtung durchfliesst, wie der Strom der constanten Kette dasjenige Nervenst\u00fcck, welches in ihren Kreis eingeschaltet ist. Geht also z. B. in der beistehenden, chematischen Zeichnung der Strom der Kette k durch das Nerven- h st\u00fcck b d im Sinne des Pfeiles, so\nk","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nd \u2014d'\t\t\nP\t\t\nwird der ganze Nerv h dergestalt electrisch, dass, wenn die zwei beliebig gew\u00e4hlten Punkte om durch den Schliessungsbogen t mit einander verbunden werden, in diesem und dem Nervenst\u00fcck o m ein Strom kreist, welcher, wie der Pfeil andeutet, dieselbe Richtung im Nerven hat, wie der der Kette k in dem von ihr durchflossenen Nervenst\u00fcck. Da die Richtung des Stromes torn dadurch gegeben ist, dass m positiv und n negativ ist, so dr\u00fcckt man wohl auch das Wesen des Electrotonus so aus, dass man sagt, es bestehe darin, dass jeder Punkt, hier o, des Nerven sich negativ verhalte gegen jeden im Sinne des erregenden Stromes vor, hier m, ihm gelegenen. Hieraus l\u00e4sst sich jetzt imVoraus bestimmen, welches die Erscheinungen sein werden, wenn ein in den Multiplicatorkreis eingeschalteter Nerv in den electrotonischen Zustand versetzt wird*).\nk\tEs sei der Nerv g i in den\nMultiplicator mittelst der Punkte g und h eingeschaltet; so wird der urspr\u00fcngliche Nervenstrom seinenWeg durch den Multiplicator in der Richtung des Pfeiles d nehmen und eine bestimmte Nadelablenkung erzeugen. Jetzt werde das St\u00fcck s o in die constante Kette k so genommen, wie die beigef\u00fcgten Zeichen angeben. Der ganze Nerv verf\u00e4llt mit dem Schluss der Kette in electrotonischen Zustand und nach den obigen Regeln findet man, dass in demselben Schliessungsbogen t, in welchem der urspr\u00fcngliche Nervenstrom in dem Sinne des Pfeiles d fliesst, ausserdem noch ein Strom, hervorgerufen durch den electrotonischen Zustand, im Sinne des Pfeiles d' fliessen und jenen verst\u00e4rken muss. Durch eine ganz \u00e4hnliche Ueber-legung findet man, dass in einer Anordnung, wie in beistehender Figur,\nder urspr\u00fcngliche Nervenstrom eine Abnahme erleiden muss. Ebenso ist ersichtlich, dass, wenn man beide Enden eines Nerven, je eines in einen besonderen Multiplicator einschaltet, und in der Mitte zwischen beiden die constante Kette anbringt, an dem einen Ende Zunahme, am anderen Abnahme des. vorher vom Nerven abgeleiteten Stromes erfolgen\n*) Ich bemerke, dass diese Multiplicatorversuche es jedoch erst waren, welche zu dem obigen Ausdruck des Wesens des Electrotonus gef\u00fchrt haben. Sie sind daher hier als Beweis jenes anzusehen.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"61\nwird. Dieser \u00e4usserst wichtige, aber umst\u00e4ndliche und schwierige Versuch ist in der That von du Bois-Reymond ausgef\u00fchrt worden. Von einer Zu- oder Abnahme des Nervenstroms durch den Electrotonus kann nat\u00fcrlich dann keine Rede sein, wenn zwei symmetrisch zum electromotorischen Aequator gelegene Stellen auf die Multiplicatorb\u00e4usche aufgelegt sind, weil diese an und f\u00fcr sich keinen Strom gehen; man beobachtet alsdann rein den Strom des Electrotonus.\nOhne f\u00fcr jeden einzelnen Fall zur Vorherbestimmung der im Multi-plicatorkreis \u2018 zu gew\u00e4rtigenden Wirkungen die fr\u00fcheren Ueberlegungen durchzumachen, findet man leicht den Erfolg stets durch folgende Regel bestimmt : Laufen der Strom der constanten Kette in seinem und der von dem Nerven abgeleitete gleichwohl in seinem St\u00fcck in gleichem Sinn, so erleidet der urspr\u00fcngliche Nervenstrom einen Zuw achs, laufen beide in entgegengesetztem Sinne, so eine Abnahme. Diese Erscheinungsweise des electrotonischen Zustandes an in den Multiplicator ein-.geschalteten Nerven h\u00e4lt man durch folgende, in die Nervenphysik eingef\u00fchrte Ausdr\u00fccke fest. Die zwischen den Electroden der Kette befindliche Strecke des Nerven heisst die erregte, die in den Multiplicator eingeschaltete die abgeleitete; erh\u00e4lt der Nervenstrom Zuwachs, so sagt man, der Nerv befinde sich in der positiven Phase, oder die erregende Kette sei zu dieser geschlossen, findet Abnahme statt, so das Umgekehrte.\nFolgende Einzelheiten. des Electrotonus bed\u00fcrfen noch der Erw\u00e4hnung. Die Gr\u00f6sse desselben ist abh\u00e4ngig von den Lebenseigenschaften des Nerven, von der L\u00e4nge der erregten Strecke, von der Dichte des diese durchziehenden Stromes und von der Schiefe der Richtung, in welcher die Electroden gegen die L\u00e4ngsaxe des Nerven angesetzt sind, indem er mit der Zunahme all dieser Umst\u00e4nde ebenfalls w\u00e4chst. Ueber-dies ist die Gr\u00f6sse des Stromzuwachses im Electrotonus nicht auf allen Punkten der L\u00e4nge des Nerven gleich gross, sie ist am gr\u00f6ssten in der N\u00e4he *) der Electroden und nimmt von da an allm\u00e4lich ab, jedoch nicht so, dass, wenn men sich immer um gleich lange St\u00fccke von den Elec-troden entfernt, auch die Abnahme in der Gr\u00f6sse des Electrotonus stets um gleich viel geschieht; sondern so, dass er auf gleiche L\u00e4ngen in der N\u00e4he der Electroden mehr, als in gr\u00f6sserer Entfernung von denselben und zuletzt fast gar nicht mehr abnimmt. Stellen daher, in der\n*) Oder besser zwischen den Electroden. Der Beweis daf\u00fcr kann freilich nicht direct geliefert werden. Man findet dies wahrscheinlich der Theorie des Electrotonus zu Folge.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nbeistehenden Figur, die senkrechten Linien rechts von der Mitte die Gr\u00f6ssen des Zuwachses f\u00fcr gleiche Strecken und die links von der Mitte errichteten Senkrechten die Gr\u00f6ssen der Abnahmen f\u00fcr ebenfalls gleiche Strecken vor, so ist die die Enden der Senkrechten verbindende Linie die Curve, nach welcher die Gr\u00f6sse des Electrotonus sich richtet *). Zu dieser Einsicht ist man dadurch gelangt, dass man, sobald der Nervenstrom im Multiplica-tor abgeleitet war, mit gleichweit von einander abstehenden Electroden sich immer mehr der abgeleiteten Strecke n\u00e4herte oder von ihr entfernte. An todten Nerven und anderen feuchten Leitern wird er qar nicht Beobachtet.\nMan k\u00f6nnte versucht sein, zu glauben, dass die in Folge des electro-tonischen Zustandes ver\u00e4nderte Nadelablenkung von in den Multiplicator einbrechenden Stromesschleifen der erregenden Kette herr\u00fchre. Dies ist indess nicht der Fall. Die Physiker wissen schon seit l\u00e4ngerer Zeit, dass, wenn zwei in si\u00f6h geschlossene, neben einander verlaufende Stromkreise durch einen schlechten Leiter von geringem Querschnitt mit einander verbunden werden, keine Spur von Strom aus dem einen Kreis in den anderen \u00fcbergeht. Direct kann man sich indess hier davon dadurch \u00fcberzeugen, dass, sobald der Nerv zwischen dem einen Multiplicator-bausch und der vorderen Electrode durchschnitten ist und die Schnittenden wieder feucht zusammengef\u00fcgt sind, wodurch der Nerv seine Leitungsf\u00e4higkeit f\u00fcr den Strom nicht einb\u00fcsst, keine Aenderung mehr in dem Stand der Nadel beim Schluss der erregenden Kette beobachtet wird. Gleichzeitig erfahren wir hierdurch, dass der Electrotonus in irgend einer nahen Beziehung zum Innervationsvorgang stehen muss, da die Fortpflanzung beider durch Durchschneiden gehemmt wird, doch sind sie selbstverst\u00e4ndlich nicht identisch; denn wir werden sp\u00e4ter (\u00a7. 12) sehen, dass nur der Ein- und Austritt eines Nerven in und aus dem electrotonischen Zustand das die Zuckung des Muskels, also auch den Innervationsvorgang, bedingende Moment ist.\n**) Die Ordinaten sind von der Mitte aus auf beiden Seiten gleich gross genommen, obgleich eine genauere Untersuchung ergeben hat, dass eine Differenz zu Gunsten der positiven Phase besteht.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"63\nF\u00fcr die Folge ist es wichtig, noch auf zwei hierher geh\u00f6rige That-saehen aufmerksam zu machen. Die erste betrifft die Erscheinungen des electro tonisch en Zustandes, wenn der Nerv gleichzeitig zweien con-stanten Str\u00f6men ausgesetzt wird. Wir betrachten hier jedoch nur den besonderen Fall, wo beide erregende Str\u00f6me sich auf einer und derselben Seite der abgeleiteten Strecke befinden und nennen hierbei die dieser zun\u00e4chst liegende erregte, die erste, die entfernter von ihr liegende die zweite erregte Strecke. Man beobachtet nun, dass bei gleicher und gr\u00f6sserer Dichte des Stromes in der zweiten, erregten Strecke sich beide Phasen derselben durch beide Phasen der ersten erregten Strecke hindurch fortpflanzen, dass aber bei gr\u00f6sserer Dichte des Stromes in der ersten erregten Strecke die Phasen der zweiten erregten durch jene hindurch nicht beobachtet werden und dass selbst nach Oeffnung der Kette der ersten erregten Strecke dieselben noch ausbleiben, gleich als ob der Nerv durch den st\u00e4rkeren Strom f\u00fcr die Phasen der zweiten erregten Strecke undurchg\u00e4nglich gemacht w\u00e4re. Die zweite ist der sogenannte secund\u00e4r electrotonische Zustand. Denkt man sich n\u00e4mlich den Nerven a b in beistehender Figur durch die Kette k in electrotonischen Zustand versetzt , so werden, wenn man sich auf der ganzen L\u00e4nge des Nerven \u00fcberall zwei\nPunkte durch einen Bogen verbunden denkt, Str\u00f6me entstehen, wie der bei c. Liegt nun dem Nerven a b ein zweiter a' b' an, so bildet dieser selbst f\u00fcr jene zahllosen Str\u00f6mchen den Schliessungsbogen ; sie alle aber durchziehen ihn dann in der Richtung des Pfeiles c, also in entgegengesetzter Richtung, in welcher der Nerv a b durchzogen wird. Das Resultat der Wirkung s\u00e4mmtlicher Str\u00f6mchen ist, dass der Nerv a' b' secund\u00e4r in electrotonischen Zustand verf\u00e4llt. Auch ergiebt sich, dass die am Ende a' desselben Nerven beobachtete Phase die umgekehrte, complement\u00e4re, von der sein muss, als wenn er direct von dem Strome der Kette in der bezeichneten Richtung durchzogen worden w\u00e4re.\nTheorie des electrotonischen Zustandes. Um die Kr\u00e4fte, welche im electrotonischen Zustand entwickelt werden, entstehen zu sehen, muss \u00dfian sich die einzelnen Nervenmolekel nach dem Bilde der Volta\u2019schen S\u00e4ule angeordnet denken. Mit den Elementen einer solchen verglichene Molekeln k\u00f6nnen aber nur noch zwei Zonen, eine positive und eine negative, besitzen, m\u00fcssen folglich dipolar sein. Man sagt daher, dass im, electrotonischen Zustand dipolare Nervenmolekeln s\u00e4ulenartig ange-","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64 \u2014\nordnet seien. Man findet diese Hypothese in Uebereinstimmung mit der Theorie \u00fcber die Anordnung der Theilchen eines feuchten Leiters, durch welchen ein Strom zieht. Zwischen den Electroden n\u00e4mlich werden s\u00e4mmtliche Nervenmolek\u00fcle so geordnet werden , dass sie ihre negativen Elemente der positiven und ihre positiven der negativen Electrode zukehren. Zu dem Ende aber m\u00fcssen die zur Erkl\u00e4rung des- ruhenden Nervenstromes. vorausgesetzten, peripolaren Molekeln eine Zerf\u00e4llung erleiden. Die einfachste Vorstellung in dieser Beziehung ist die, dass man annimmt, jede peripolare Molekel sei aus zwei mit ihren positiven Zonen aneinander stossenden, dipolaren Molekeln zusammengesetzt, in welche sie beim Schluss der Kette sich zerlege. Dass aber eine solche Zerlegung und Anordnung auch jenseits der beiden Electroden stattfindet, ist zun\u00e4chst eine Annahme, die zwar in der Physik keine weiteren Ana-logieen hat*), welche aber aber auch nicht gegen die Gesetze der Anziehung leicht beweglicher, electrischer Molek\u00fcle anst\u00f6sst. Die nebenstehende Figur schematisirt diese Anordnung; die untere Reihe stellt die peripolaren Molekeln dar, mit deren Hilfe wir den ruhenden Nervenstrom erkl\u00e4ren, punktirte Linien durch die Mitten der positiven Zonen deuten ihr Bestehen aus dipolaren Molekeln an, in welche vollst\u00e4ndig zerfallen sie durch die obere Reihe dargestellt sind. In der That nun erl\u00e4utert diese Vorstellungsweise alle Erscheinungen des electrotonischen Zustandes. Sie macht verst\u00e4ndlich : wie an beiden Enden eines in der Mitte vom Strom durchflossenen Nerven entgegengesetzte Phasen zum Vorschein kommen, was der Leser ohne weitere Erl\u00e4uterung einsehen wird; wie die verschiedene Ausbildung des electrotonischen Zustandes von der Stromdichte abh\u00e4ngig ist, je st\u00e4rker n\u00e4mlich diese, desto vollst\u00e4ndiger die Zerf\u00e4llung der peripolaren Molekeln in dipolare; wie sie mit der Entfernung von den Electroden abnehme, jedes Molek\u00fcl hat sein n\u00e4chst nachbarliches zu richten und findet dabei in ihm einen gewissen Widerstand, so dass es dasselbe nicht so stark zu richten vermag, als es selbst gerichtet wurde; und dass er fehle, wenn der Strom senkrecht auf die L\u00e4ngsaxe des Nerven gerichtet ist, indem in diesem Fall, wie eine einfache Zeichnung ergiebt, die\n*) Wenn man nicht etwa dahin z\u00e4hlen will, dass eine verh\u00e4ltnissm\u00e4sig kurze, von einem Strom durchflossene Rolle, \u00fcber einen langen Stab weichen Eisens gezogen, diesen bis an seine Enden zum Electromagneten macht.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"65\nausserhalb des Stromkreises den Electroden zun\u00e4chst liegenden Theilchen unter dem Einfluss entgegengesetzter Kr\u00e4fte stehen.\n\u00a7\u2022 9.\nDie Eigenschaften des tetunisirten Nerven.\nMan versteht unter einem tetanisirten Nerven einen solchen, welcher auf irgend einer Strecke seines Verlaufs von einem fortw\u00e4hrend unterbrochenen Strom, sei es immer in gleichem, sei es in verschiedenem Sinne, durchflossen wird, oder welcher auch, anstatt diesem, chemischen, mechanischen, oder thermischen Einfl\u00fcssen ausgesetzt wird. Die Bezeichnung tetanisirter Nerv verdankt der Thatsache ihre Entstehung, dass ein mit einem auf die eben angegebene Art behandelten Nerven verbundener Muskel nicht eine einfache Zuckung, sondern viele, rasch auf einander folgende derselben, welche zu einer l\u00e4ngere Zeit andauernden Contraction verschmelzen, darbietet, sich in Tetanus befindet. Hat man nun einen Nerven mit einem St\u00fcck in den Multiplicatorkreis eingeschaltet und wird sein Rest dann auf electrischem Wege tetanisirt, so h\u00e4ngen die Erscheinungen, welche man an dem vom Nerven abgeleiteten Strom beobachtet, wesentlich von der Art des Tetanisirens ab. Sind die tetanisirenden Str\u00f6me gleich gerichtet und wird die Unterbrechung einfach durch Oeffnen und Schliessen einer Hydrokette, ein Verfahren, welches eben nicht sonderlich geeignet ist, Str\u00f6me von \u00e4usserst kurzer Dauer herzustellen, hervorgebracht; so treten stets nur die Phasen des electrotonischen Zustandes auf, es ist gerade so, als ob der Nerv von einem constanten Strom dauernd durchzogen w\u00fcrde. Tetanisirt man durch gleichgerichtete, nur h\u00f6chst fl\u00fcchtig auftretende Str\u00f6me, wie sie sich von Magnetelectromotoren oder voltaelectrischen Inductionsvorrichtungen gewinnen lassen ; so erscheinen bald beide Phasen im richtigen Sinne, die positive jedoch zumeist schw\u00e4cher, bald erscheint nur eine Abnahme des abgeleiteten Nerven-stromes. Wird endlich der Nerv auf die Weise tetanisirt, dass er von abwechselnd gerichteten Str\u00f6men einer Hydrokette, welche man mittelst des PoggendorfFschen Inversors, einer Vorrichtung, welche umkehrt und zugleich unterbricht, oder eines Volta-Inductionsapparates *) herstellen kann ; so gewahrt man zumeist eine Schw\u00e4chung des Nervenstromes. Diese Erfahrung nun ist besonders beachtenswert!] ; denn man sollte unter diesen Umst\u00e4nden gar keine Wirkung oder h\u00f6chstens eine Zunahme erwarten, indem man \u00fcberlegt, dass die fortw\u00e4hrend erregten electrotonischen Zust\u00e4nde, als einander entgegengesetzt, oder mit \u00fcberwiegender\n*) Wie z. B. der S. 40 beschriebene.\nEckhard, Nervenphysiologie.\n5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\npositiver Phase sich aufheben oder eine Zunahme des abgeleiteten Nerven-stromes m\u00fcssten erscheinen lassen. Dieses unerwartete Resultat f\u00fchrt daher zu der Annahme, dass die Erregung des electro tonischen Zustandes durch irgend welche Stromesrichtung noch begleitet sein m\u00fcsse von einem besonderen Vorgang im Nerven, welcher in einer negativen Schwankung des Nervenstromes bestehe und nur desshalb so schwer zur Anschauung zu bringen sei, weil er \u00fcberall von dem sich einmischenden Electrotonus verdeckt werde. Man wird vollends in dieser Annahme sicher, wenn man erf\u00e4hrt, dass an sehr empfindlichen Multiplicatoren bei chemischer, mechanischer und thermischer Reizung des Nerven gleichfalls die genannte Wahrnehmung gemacht wird. Beobachtungen der letzteren Art sind f\u00fcr uns in doppelter Beziehung wichtig. Einmal n\u00e4mlich zeigen sie uns, dass unter all den Umst\u00e4nden, unter welchen wir von Nerven versorgte Organe, wie Muskeln, Dr\u00fcsen u. s. w. in Th\u00e4tigkeit verfallen sehen, auch die negative Schwankung des Nervenstromes auftritt, wodurch wir zu der Meinung hingef\u00fchrt werden, dass derjenige Vorgang im Nerven, welcher die Organe zu ihrer Th\u00e4tigkeit anregt, unzertrennlich mit der beschriebenen, electrischen Ver\u00e4nderung im Nerven einherschreite. Sodann aber wird jene Erfahrung noch insofern von Bedeutung, als durch sie die Beweiskraft der vorher durchgemachten Ueberlegungen f\u00fcr die Existenz einer negativen Schwankung auch bei electrischer Reizung erh\u00f6ht wird. Unter Umst\u00e4nden ist die Macht einer solchen Ueber-zeugung nicht werthlos, da es sich ereignen kann, und es hat sich wirklich ereignet *), dass bei der Behandlung des Nerven mit inducirten Wechselstr\u00f6men nicht eine negative, sondern eine positive Zunahme des urspr\u00fcnglichen Nervenstromes beobachtet wird. Der Grund eines etwaigen Verhaltens der Art ist leicht einzusehen; er liegt darin, dass in solchen F\u00e4llen die Wechselstr\u00f6me der benutzten Volta-InductionsVorrichtungen nicht von gleicher physiologischer Bedeutung sind, indem (siehe oben S. 38) die der Schliessung der prim\u00e4ren Kette entsprechenden Str\u00f6me s\u00e4mmtlioh von gr\u00f6sserer Dauer sind, als diejenigen, welche der Oeffnung zukommen und in Folge davon die den ersteren zugeh\u00f6rige Phase des electrotonischen Zustandes das Uebergewicht erh\u00e4lt, welches bei einer bestimmten Lage des Nerven als positiver Zuwachs seines urspr\u00fcnglichen Stromes auftreten kann. Dass diese Ueberlegung richtig ist, ergiebt sich aus dem Umstand, dass, je mehr man die WTechselstr\u00f6me der Volta\u2019schen Inductionsvorrichtungen von gleicher physiologischer Wirkung herzustellen sucht, desto seltener solche Erscheinungen werden und einer deutlichen negativen Schwankung w\u00e4hrend des Tetanus Platz\n*) Moleschott\u2019s Untersuchungen, Bd. VII\u00ce, S. 1.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"machen. In dieser Beziehung ist der oben S. 42 beschriebene Zusatz zu dem von uns als Repr\u00e4sentant gew\u00e4hlten Inductionsapparat von besonderem Werth.\nDie negative Schwankung des Nervenstromes zeigt sich gleich dem Electrotonus von mancherlei Umst\u00e4nden abh\u00e4ngig; sie nimmt zu mit der Leistungsf\u00e4higkeit des Nerven, der Stromdichte, der L\u00e4nge der erregten Strecke und der Neigung der Electroden gegen die L\u00e4ngsaxe des Nerven. Durch Durchschneiden wird ihre Fortpflanzung gehemmt.\nVergleicht man die electrischen Eigenschaften des Muskels und des Nerven mit einander, so findet man, dass beide im ruhenden Zustand nach einem und demselben Gesetz wirken, dass auch, w\u00e4hrend sich beide im Tetanus befinden, die von ihnen abgeleiteten Str\u00f6me eine negative Schwankung erleiden. F\u00fcr den Muskelstrom ist \u00fcberdies erwiesen, dass diese Abnahme seiner electromotorischen Kr\u00e4fte im Tetanus unterbrochener Art ist. Man darf dies wegen der Identit\u00e4t des Gesetzes, nach welchem Muskel und Nerv ihre ruhenden Str\u00f6me entwickeln, mit grosser Wahrscheinlichkeit auch f\u00fcr den Nerven voraussetzen. Darin aber gehen Muskel und Ncrv auseinander, dass der letztere electrotonischen Zustand zeigt, welcher jenem allem Anschein nach gar nicht oder doch nur in \u00e4usserst geringem Grade zukommt.\nAusser den Ver\u00e4nderungen der electrischen Eigenschaften des teta-nisirten Nerven sind nur noch mit einiger Sicherheit solche seiner chemischen Reaction bekannt. Dieselben wurden bereits S. 48 angef\u00fchrt. In neuerer Zeit *) ist auch behauptet worden, offenbar in Bezug auf das analoge Verhalten des tetanisirten Muskels, dass im gereizten Nerven sich die Temperatur erh\u00f6he. Bis jetzt aber ist \u00fcber die Methode, welche bei der Auffindung dieser Thatsache angewandt worden ist, Nichts publient worden, und man ist daher vorerst ausser Stande, sich ein Urtlieil \u00fcber diese Angabe zu bilden.\n*J Ann. univers. CXC, p. 465.","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"Dritter Abschnitt.\nN ervenphysiologie.\nWir sehen die Nerven von gewissen, nerv\u00f6sen Theilen ihren Ursprung nehmen und dann in verschiedene Organe : zu den Muskeln, Dr\u00fcsen, Sinnesorganen u. s. w. dringen. Es wird daher, da man voraussetzen darf, dass die Nerven f\u00fcr die Gewebe, zu welchen sie dringen, eine gewisse Bedeutung haben, die erste Aufgabe der Nervenphysiologie sein, dass sie die Erscheinungen des Organismus im Allgemeinen kennen lehre, welche sich als abh\u00e4ngig von dem Nervensystem erweisen. Nach dieser mehr vorbereitenden Auseinandersetzung muss sie dann aber vor allen Dingen diese Vorg\u00e4nge, insofern sie den Nerven betreffen, weiter zu zergliedern suchen. Bei diesem Versuche wird sie sich bewusst bleiben m\u00fcssen, dass hier ihre Aufgabe in eine doppelte zerf\u00e4llt: dar-znlegen, welche Vorg\u00e4nge sich in den Nerven als solchen, w\u00e4hrend die ihnen zugeh\u00f6rigen Organe sich in ihren Th\u00e4tigkeiten befinden, vollziehen; sodann die Kr\u00e4fte und das Eigenth\u00fcmliche ihrer Wirkungsweise aufzufassen , welche an die Ursprungsst\u00e4tten der Nerven, die sogenannten Centralorgane, gekn\u00fcpft erscheinen. Hierzu kommt dann noch die mehr practischen Bed\u00fcrfnissen entsprungene Aufgabe, einzelne Nerven insofern zu betrachten, als sie gewisse Regionen des K\u00f6rpers innerviren. Der Darstellung k\u00f6nnen zwar an dem einen oder anderen Orte gewisse Unbequemlichkeiten erwachsen, wenn sie diese Punkte immer scharf aus einander halten will; doch werden sie hoffentlich von den Vortheilen \u00fcberwogen werden, welche eine jede, leicht \u00fcbersichtliche Anordn\u00fcng des Stoffes bietet. Wir nehmen daher folgenden Gang :","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"69\nI.\tDarstellung der Erscheinungen des Thierk\u00f6rpers, welche ganz oder zum Theil von dem Nervensystem abh\u00e4ngen.\nII.\tUntersuchung der dabei in dem Nerven stattfindenden Vorg\u00e4nge.\nIII.\tPhysiologie der Centralorgane und ihrer Nerven im Einzelnen.\n\u00a7. 10.\nDie von dem Nervensystem abh\u00e4ngigen Erscheinungen des\nthierischen K\u00f6rpers im Allgemeinen.\n\\\nDie von dem Nervensystem abh\u00e4ngigen Erscheinungen sind sehr verschiedener und mannigfacher Art. Leider sind sie zur Zeit nicht s\u00e4mmtlich mit den Mitteln angreifbar, deren sich die gesunde Naturforschung bedient, oder wenn dieselben anwendbar sind, haben sie nicht \u00fcberall eine gleiche Tragweite, sie erschlossen oft nur Facta untergeordneten Ranges und versagen bald ihren weiteren Dienst. Erscheinungen des Nervenlebens von dieser Art sollen daher in diesem Buch, das ein Lehrbuch der Experimentalphysiologie des Nervensystems sein will, zur\u00fcckgedr\u00e4ngt werden, gegen\u00fcber denjenigen, die sich wirklich dem Experiment f\u00fcgen. Zu der ersteren Art z\u00e4hlen die rein psychischen Erscheinungen und zum Theil auch diejenigen, welche als Empfindungen und willk\u00fcrliche Bewegungen bekannt sind, indem von letzteren die dem Gehirn dabei zukommenden Th\u00e4tigkeiten so gut wie vollkommen verborgen sind. Doch lassen sich von den beiden zuletzt genannten Functionen des Nervensystems gewisse Z\u00fcge auf dem Wege des Experimentes ausmitteln und ihre Betrachtung wird also einen Theil des Inhaltes der folgenden Abschnitte ausmachen. Hieran schliessen sich andere Gruppen von Bewegungen, die gleichfalls von den Central Organen ausgehen, nur mit dem Unterschied, dass ihre Entstehung nicht mit Bewusstsein geschieht, sondern zu Folge eines daselbst localisirten, meist gleichfalls unbekannten Mechanismus ausgef\u00fchrt wird. Und endlich finden wir noch vielfach die Vorg\u00e4nge der Secretion und Ern\u00e4hrung unter die Herrschaft des Nervensystems gestellt. Der Antheil, welcher bei all diesen Vorg\u00e4ngen den Centralorganen zukommt, ist bis jetzt nur sehr unvollkommen zu bestimmen, wie sich sp\u00e4ter aus einer besonderen Betrachtung der Physiologie dieser Theile ergeben wird, wohl aber lassen sich die Th\u00e4tigkeiten der Organe, zu welchen die Nerven dringen, in ihren Beziehungen zu diesen selbst vielfach durch das Experiment feststellen. Mit R\u00fccksicht auf diesen Punkt wollen wir hier noch etwas bei den Beivegungen, Secretionen und Ern\u00e4hrungen verweilen und zwar haupts\u00e4chlich um des Zweckes willen, dabei gewisse Fragen mehr allgemeineren Inhalts zu absolviren.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nWas zun\u00e4chst die Bewegungen des thierischen K\u00f6rpers anlangt, so versteht es sich von selbst, dass sich darunter eine grosse Menge findet, die mit dem Nervensysteme nachweislich Nichts zu schaffen hat, wie z. B. die Flimmerbewegung; andere h\u00e4ngen so augenscheinlich von seinen Einfl\u00fcssen ab, dass dar\u00fcber kein Zweifel obwalten kann, wie z. B. die Contraction willk\u00fcrlicher Muskeln; f\u00fcr noch andere endlich kann es zweifelhaft sein, wie sie aufzufassen sind, wie etwa gewisse Bewegungen des Darmes und Herzens. Hier, wo wir uns mit Nervenphysiologie besch\u00e4ftigen, f\u00e4llt die erste Art von Bewegungen f\u00fcr uns fort. Von den beiden anderen betrachten wir zun\u00e4chst die der quergestreiften Skeletmuskeln und solcher glatter Muskelfasern, von denen wir wissen, dass sie dem Einfl\u00fcsse des Nervensystems gehorchen. Bei ihrem Studium aber haben sich im Laufe der Zeit zwei Fragen aufgeworfen, die wir hier n\u00e4her behandeln m\u00fcssen. Die erste ist die : Ob bei ihnen auf Reizung ihrer Nerven die Muskeln unter allen Umst\u00e4nden, wie es allerdings in der Mehrzahl der F\u00e4lle stattfindet, in den verk\u00fcrzten Zustand \u00fcbergehen, oder ob es nicht auch F\u00e4lle giebt, bei denen Verl\u00e4ngerung unter denselben Umst\u00e4nden eintreten kann. Diese Frage ist durch folgende Erfahrungen veranlasst w\u2019orden Bei gewissen Nervenerregungen sieht man muskul\u00f6se Gebilde wirklich in einen Zustand der Erschlaffung \u00fcbergehen, so bei der Erregung des N. vagus das Herz in Diastole Stillstehen, unfer gewissen Umst\u00e4nden bei Reizungen des N. splachnicus die bewegten Ged\u00e4rme sich zur Ruhe begeben, ohne dass eine ihrer Muskelgruppen sich in dauernder Zusammenziehung befindet. Bei anderen Nervenerregungen sieht man Erscheinungen auftreten, welche sich auf eine sehr einfache Weise durch die Annahme erkl\u00e4ren lassen, dass gewisse Muskelgruppen in Erschlaffung gerathen seien. Hierher geh\u00f6ren : die gr\u00f6ssere Menge von Blut, welche unter dem Einfluss von Nerven das m\u00e4nnliche Glied w\u00e4hrend seiner Erection durchfliesst, oder die Unterkieferdr\u00fcse w\u00e4hrend ihrer Absonderung bei Reizung der Chorda tympani durchsetzt, das Anschwellen der ven\u00f6sen Gef\u00e4sse des Kopfes, welches nach Durchschneiden des Halstheils des Grenzstranges beobachtet wird. Alle diese und \u00e4hnliche Erfahrungen sind aber bis jetzt nicht so weif mit Sicherheit zu zergliedern, dass sie den in Rede stehenden Einfluss der Nerven auf die Muskeln beweisen. Was im Speciellen die Versuche bez\u00fcglich des Herzens und der Ged\u00e4rme betrifft, so liegen in der Substanz dieser Theile noch nerv\u00f6se Apparate, deren Mitwirkung bei den beschriebenen Versuchen bereits h\u00f6chst wahrscheinlich gemacht ist, so dass hier von einer directen Wirkung der gereizten Nerven auf die Muskelfasern mit Bestimmtheit gar keine Rede sein kann. Die zweile Reihe aber der angef\u00fchrten Versuche umfassen so wenig Einzel-","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"71\nheiten der Vorg\u00e4nge, dass man \u00fcber die Art ihres Zustandekommens sich zur Zeit noch eine ganze Reihe gleichberechtigter Vorstellungen machen kann. So w\u00e4re es z. B. m\u00f6glich, dass jene Gef\u00e4sserweiterungen auf contractile Elemente zur\u00fcckf\u00fchrbar w\u00e4ren, die zufolge einer bestimmten r\u00e4umlichen Anordnung bei ihrer Zusammenziehung den beobachteten Erfolg haben k\u00f6nnen.\nDie zweite bei dieser Gelegenheit zur Sprache gekommene und weit wichtigere Frage ist die, ob die unter dem Einfluss des Nervensystems stehenden Muskelmassen auch an und f\u00fcr sich, ohne jegliche Mitwirkung jenes, eine Contractilit\u00e4t besitzen. Diese Frage ist namentlich seit Haller, einem im vorigen Jahrhundert lebenden Physiologen, vielfach ventilirt worden, wesshalb man sie auch, da dieser sich f\u00fcr das Bestehen einer besonderen Reizbarkeit der Muskelsubstanz erkl\u00e4rte, als die Frage nach der Existenz der Haller\u2019sehen Irritabilit\u00e4t bezeichnet.\nVergegenw\u00e4rtigen wir uns zun\u00e4chst den Standpunkt, bis zu welchem die Anatomie unsere Vorstellungen \u00fcber die gegenseitige, r\u00e4umliche Beziehung, in welcher die Nerven- und Muskelsubstanz in einem Muskel zu denken sind, fixirt hat. Die Angelegenheit ist noch nicht endgiltig entschieden : lautet hier, wie an so vielen anderen Orten der Nerven-physiologie, die Antwort. Zur Zeit, wo der Verf. diese Zeilen niederschreibt, sind seit den letzten 6\u20148 Jahren, in denen die mikroscopische Anatomie sich wieder mit besonderem Fleisse dem in Rede stehenden Gegenstand zugewandt hat, nicht weniger denn circa 40 Abhandlungen dar\u00fcber erschienen, ohne dieser Sache einen Abschluss gegeben zu haben. In folgender Weise gehen die Ansichten auseinander. Einige, unter ihnen besonders K\u00fchne, lassen das Neurilem der Nervenfaser in das Sarcolemma der Muskelfaser, den Inhalt jener in den dieser \u00fcbergehen und zwar in der Form, dass im Inneren des Muskelrohrs sich kernartige Gebilde vorf\u00e4nden, mit welchen der als Axencylinder bezeichnete Theil des Nervenprimitivrohrs in unmittelbarem Zusammenh\u00e4nge stehe. Im Einzelnen haben K\u00fchne\u2019s Vorstellungen kleine Ver\u00e4nderungen erfahren, die jedoch an Ort und Stelle f\u00fcr uns wenig wichtig sind. Zuerst *) stellte er sich die Nervenendigungen etwa so vor, wie es die zweite der drei auf S. 72 stehenden Figuren andeutet. Der Nerv n tritt auf das Muskelprimitivb\u00fcndel s; am Sarcolemma h\u00f6ren Neurilem und Markscheide auf, der Axencylinder tritt in das Muskelb\u00fcndel und setzt sich in kernartige Gebilde, die Nervenendknospen k k fort. Sp\u00e4ter **) liess er\n*) K\u00fchne: ('eher die peripherischen Endorgane des motorischen Nerven. Leipzig 1860.\n**) K\u00fchne : Ueber die Endigung der Nerven in den Muskeln. Virchow\u2019s Archiv \u00dcd. XXVII und : Zur Lehre von den Endplatten dev Nervenh\u00fcgel; daselbst Bd. XXXIV, S. 412.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nden Axencylinder unterhalb des Sarcolemma sich in eine Art H\u00fcgel oder Platte \u2014 Nervenh\u00fcgel \u2014 verbreitern, der aus fein granulirter Masse und darin enthaltenen Kernen bestehen soll, etwa so, wie-es die erste Figur in einer Fl\u00e4chenansicht darstellt. Andere geben ein Eindringen der Nervenfasern in das Innere des Muskelcylinders nicht zu, behaupten aber nach ihren Untersuchungen ein verschiedenes Verhalten der Nerven ausserhalb. Der englische Histologe Beale *) nimmt gar keine freien Enden der Nerven in den Muskeln an; nach ihm bilden die Nerven geschlossene Kreise, die durch Centralorgane und Gewebe hindurchziehen und an beiden Orten sich mit Ganglienzellen belegen, von denen nur diejenigen, welche den Nerven w\u00e4hrend ihres Durchgangs durch die Gewebe zukommen, meist kleiner sind und gew\u00f6hnlich mit dem Namen der Kerne der pheripherischen Nervenfasern belegt werden. Die dritte der obenstehenden Zeichnungen zeigt nach ihm ein Muskel-primitivb\u00fcndel 700 mal vergr\u00f6ssert; n- sind die auftretenden Nervenfasern, r ihre feineren, blassen Verzweigungen, k ihre Kerne, c ist ein\n*) In mehreren Abhandlungen, z. B. in ; an anatomical controversy, in seinen ; Archives of medicine, vo). IV, p. 163.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"73\nCapillargef\u00e4ss. Krause *) dagegen l\u00e4sst die Nerven auf dem Sarco-lemma in einer aus Bindegewebe und K\u00f6rnern bestehenden Platte, seiner sogenannten motorischen Endplatte, ihr Ende erreichen. Ebenso ist in neuerer Zeit bei niederen Theilen ein Verhalten der Nerven zum Muskelprimitivb\u00fcndel bekannt geworden, welches sich hier anreiht. Es hat n\u00e4mlich Greeff**) bei den Tardigraden beobachtet, wie eine Nervenfaser bei ihrem Auftritt auf eine Muskelfaser sich in einem schon von Doy\u00e8re gekannten H\u00fcgel verbreitert, der dann an der Stelle seiner Auflagerung sich, die Muskelfaser umfassend, verbreitert und von hier aus noch weitere k\u00f6rnige Forts\u00e4tze schickt, die auf der Oberfl\u00e4che der Muskelfaser hinlaufen und zum Theil von Neuem anschwellen. Freilich ist hier die Anwesenheit eines Sarcolemma\u2019s nicht bewiesen, auf welchem jene Ausbreitung des Nerven geschehe. Mit Beziehung auf diese Ergebnisse der anatomischen Untersuchung wird man wohl die Frage nach dem Bestehen einer besonderen Muskelirritabilit\u00e4t zur Zeit noch f\u00fcr verfr\u00fcht halten m\u00fcssen; da man \u00e9igentlich noch nicht weiss, ob sie \u00fcberhaupt in der bisher \u00fcblichen Form aufgeworfen werden hann, ob sie also berechtigt ist oder nicht. Denkbar w\u00e4re ja, dass die sich contrahirende Substanz ein inniges Gemisch sei von dem, was wir Muskelfaser nennen und dem, was nach K\u00fchne's Vorstellung mit dem eingedrungenen Nerven im Zusammenh\u00e4nge ist, so dass also gar keine vom Nerven anatomisch unabh\u00e4ngige, sich contrahirende Substanz existire. Wir wollen aber jetzt hiervon absehen und uns mit der Art und Weise befassen, in welcher die Physiologie diese Frage in Angriff genommen hat. Wir stellen zuerst diejenigen Untersuchungen und Reflexionen zusammen, durch welche die Irritabilit\u00e4tslehre vertheidigt wird, resp. bewiesen werden soll. Man zieht hierher zuerst eine Reihe von Thatsachen, deren Gesammtcharacter darin besteht, dass unter gewissen Umst\u00e4nden man von den Nerven aus keine Zuckung\u00e9n mehr erregen kann, w\u00e4hrend die Reizung des Muskels selbst zu solchen f\u00fchrt. Derartigen Erfahrungen begegnet man, wenn man die Muskeln unmittelbar vor ihrem g\u00e4nzlichen Absterben, oder auf bestimmten Stadien der Aethernarkose, oder durch gewisse chemische Reagentien oder nach der Vergiftung von Thieren mit Curara reizt. Auf die beiden letzteren Erscheinungen wollen wir etwas n\u00e4her e\u2019.igehen, da ihre Besprechung zur Kenntnissnahme mancher interessanter Facta f\u00fchrt. In einem der folgenden Paragraphen werden\n*) In verschiedenen Abhandlungen von He nie\u2019s Zeitschrift; z. B. 3. Reihe, Bd. XXI.\n**) Greeff: Ueber das Nervensystem der B\u00e4rthierchen, in Schultze\u2019s Archiv f\u00fcr mikroscopische Anatomie. I. Bd., S. 101.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nwir ausf\u00fchrlich das Verhalten der Muskelnerven gegen\u00fcber den chemischen Reizen besprechen, namentlich in der Art, dass wir daselbst angeben, welche einzelnen, chemischen K\u00f6rper bei der Application auf den Nerven Zuckungen im Muskel ausl\u00f6sen und welche nicht. Der Leser kann an dieser Stelle im Voraus davon Kenntniss nehmen. Wenn man nun in \u00e4hnlicher Weise diejenigen Reizmittel zusammenstellt, welche auf den frisch angelegten Querschnitt eines langen Muskels applicirt, diesen zu Zuckungen veranlassen, so f\u00fchrt eine Vergleichung beider Reihen von Reizmitteln zu folgenden Erfahrungen *) :\n1.\tEs giebt chemische Reizmittel, welche f\u00fcr Nerv und Muskel ungef\u00e4hr gleicher Concentration bed\u00fcrfen, um Zuckungen zu erregen. Hierher geh\u00f6ren die L\u00f6sungen der fixen Alkalien.\n2.\tDagegen finden wir andere, welche bei ihrer Anwendung auf die Muskelsubstanz schon bei viel geringeren Ooncentrationsgraden wirksam sind, als bei solcher auf den Nerven. Dahin z\u00e4hlen die L\u00f6sungen der meisten anorganischen S\u00e4uren und vieler Metallsalze.\n3.\tWeiter giebt es Reizmittel, welche nur f\u00fcr Nerv oder nur f\u00fcr Muskel sich wirksam erweisen. So erregt z. B. die L\u00f6sung des kaustischen Ammoniaks, auf den Nerven angewandt, keine Zuckung, wohl aber, wenn sie den Muskel trifft. Concentrirte Milchs\u00e4ure ist in beiden Arten der Anwendung erfolglos. Wendet man sie in mittlerer Verd\u00fcnnung an, so wird sie Reizmittel sowohl f\u00fcr Nerv als f\u00fcr Muskel, und wird sie schliesslich im ganz verd\u00fcnnten Zustand benutzt, so ist sie nur noch Reizmittel f\u00fcr die Muskelsubstanz.\nAus den unter 2 und 3 mitgetheilten Thatsachen schliesst man, dass die Muskelsubstanz an und f\u00fcr sich irritabel sei; denn, sagt man, w\u00e4re sie es nur unter Beihilfe der Nerven, so k\u00f6nnte ein und dieselbe L\u00f6sung keinen so verschiedenen Effect bei beiden Arten der Anwendung haben. Beweisend ist diese Art der Ueberlegung nicht. Abgesehen von der schon S. 73 gemachten Bemerkung \u00fcber die Unvollkommenheit unserer Vorstellung \u00fcber die Zusammensetzung der sich contrahirenden Substanz, w\u00e4re schon denkbar, dass der Nerv an verschiedenen Stellen seines Verlaufes, des in- und extramuskul\u00e4ren, einen verschiedenen Grad der Reizbarkeit bes\u00e4sse. Man findet in einer solchen Annahme nichts Absurdes, da nachgewiesen, dass sogar die extra muskul\u00e4re Strecke nicht auf allen Punkten die gleiche Reizbarkeit besitzt und vollends innerhalb des Centralorganes gegen\u00fcber ihrem peripherischen Verlauf mancherlei Besonderheiten bietet.\n*) K\u00fchne. Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven und ihre Bedeutung f\u00fcr die Irritabilit\u00e4tsfrage. Yerhandl. der s\u00e4chs. Gesellschaft. 1860.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"75\nDie aus den Erscheinungen der Curaravergiftung entnommenen Beweise f\u00fcr das Bestehen der H a 11 e r \u2019sehen Irritabilit\u00e4t sind in folgenden Betrachtungen enthalten. Diese haben ihren Ausgangspunkt von dem durch Bernard*) entdeckten Factum genommen, dass kurz nach dem ohne Krampferscheinungen erfolgenden Tode eines mit Curara vergifteten Thieres alle peripherischen Muskelnerven sich gegen jede Art von Reizung reactionslos verhalten, w\u00e4hrend, wenn dieselben auf die Muskeln selbst einwirken, sie hier Zuckungen ausl\u00f6sen. In dieser einfachen Form ausgesprochen ist diese Thatsache von allen sp\u00e4teren Forschern**), welche sich mit demselben Gegenstand befasst haben, best\u00e4tigt worden. Bernard behauptet sogar, dass die Zuckungen solcher Muskeln kr\u00e4ftiger seien, als die von niclitvergifteten Thieren. Durch weitere Untersuchungen von Rosenthal, K\u00f6lliker und Pelikan ist diese Behauptung jedoch nicht best\u00e4tigt worden, sondern es haben sich im Gegentheil bisweilen Zeichen davon gefunden, dass solche Muskeln weniger reizbar seien. Im Interesse der Irritabilit\u00e4tsfrage ist vorerst jedoch kein besonderer Werth auf die endgiltige Entscheidung dieses von Bernard angeregten Zusatzes zu legen, da jetzt noch nicht abzusehen ist, wie \u00fcber die wahre Ursache einer etwaigen geringeren Reizbarkeit zu entscheiden w\u00e4re; ob n\u00e4mlich dieselbe nur einfache Folge des Wegfalls der Reizung der in der Muskelsubstanz sich verbreitenden Nerven in Folge ihrer L\u00e4hmung durch das Curara ist, oder ob letzteres auch auf die Muskelsubstanz selbst l\u00e4hmend gewirkt habe. Aus den mitgetheilten Erfahrungen ist man nun gleichfalls geneigt, auf das Bestehen einer selbstst\u00e4ndigen Irritabilit\u00e4t des Muskels zu scliliessen. Aber auch diesem Schluss stehen nicht zu \u00fcbersehende Bedenklichkeiten entgegen. Von ihnen ist die folgende die bedeutsamste. Es ist n\u00e4mlich eine Erfahrung, dass die Nervenst\u00e4mme an Curaravergiftung gestorbener Thiere noch alle diejenigen electrischen Eigenschaften beibehalten, von denen wir in hohem Grade Grund haben, zu'glauben, dass sie mit dem Innervationsvorgange in der engsten Verkn\u00fcpfung stehen. Es sind dies die Erscheinungen, die uns bereits als Strom des ruhenden Nerven, negative Schwankung des Nervenstromes und Electrotonus bekannt sind. Den Nachweis f\u00fcr diese Behauptung hat besonders Funke ***) gef\u00fchrt, wobei ich mir die Bemerkung erlaube,\n*) Bernard, Le\u00e7ons de physiologie. Paris 1855. 18me et 19n,r Le\u00e7.\n**) K\u00f6lliker, in den W\u00fcrzburger Verhandlungen, 12. u. 27. Febr. 1858; Pelikan, in Virchow\u2019s Archiv, XI; v. Wittich: exper. quaed. de Halleri doctrina etc., Regiem. 1857; Rosenthal, in Moleschott\u2019s Untersuchungen, Bd. III; Heidenkain, im Archiv f\u00fcr physiologische Heilkunde, 1857.\n***) Beitr\u00e4ge zur Kenntniss der Wirkung des Urari und einiger anderer Gifte. Berichte der math.-phys. Classe der s\u00e4chs. Gesellsch. der Wissenschaften in Leipzig, 1859, 2.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\ndass ich alle wesentlichen Angaben dieses Forschers best\u00e4tigen kann. Einen Theil dieser Thatsachen kannte ich schon vor Funke\u2019s Publica-tion, habe jedoch davon niemals mehr als privaten Gebrauch gemacht. Man kann nun zwar diesen Einwand weniger bedeutsam erscheinen lassen, indem man darauf aufmerksam macht, dass die Wirkung des Curara sich h\u00f6chst wahrscheinlich nur auf die intramuskul\u00e4re Strecke der Nerven beziehe. In der That, es liegen Erscheinungen vor, welche diese Ver-muthung zulassen. Dahin z\u00e4hlen die Erfahrungen \u00fcber das Zuckungsgesetz *), welches die electrische Reizung der mit Curara vergifteten Muskeln beherrscht und ferner \u00fcber die Ver\u00e4nderungen in der Fortpflanzungsgeschwindigkeit **) des Innervationsvorganges, welche unter denselben Umst\u00e4nden beobachtet wird. In \u00a7.12 werden wir sehen, wie die Muskelzuckung bei electrischer Reizung ihrer Nerven in ihrer St\u00e4rke unter anderen durch die Richtung des Stromes bedingt ist und dass da.s in dieser Beziehung im Allgemeinen geltende Gesetz. unter dem Namen des Ritte r-N o b i 1 i\u2019schen Zuckungsgesetzes geht. Wird nun ein Muskel eines mit Curara vergifteten Frosches der electrischen Reizung ausgesetzt, so zeigt sich, dass er diesem Gesetze nicht unterthan ist. Diese Erfahrung wird um so bedeutungsvoller, als auch ein gesunder Muskel bei derselben Art der Reizung sich jener Regel entzogen zeigt, sobald die intramuskul\u00e4ren Nervenzweige nicht mitgereizt werden. WTir werden sp\u00e4ter ein Verfahren kennen lernen, durch welches es m\u00f6glich wird, die letzteren von der Reizung auszuschliessen. In beiden F\u00e4llen ist n\u00e4mlich die Schliessungszuckung die st\u00e4rkere und zwar ganz unabh\u00e4ngig von der Richtung, in welcher der galvanische Strom den Muskel durchzieht, und in dem Maasse, als man das Experiment so einrichtet, dass auch die intramuskul\u00e4ren Nervenzweige Erregungen erfahren, gewinnt die Stromesrichtung Einfluss auf die St\u00e4rke der Zuckung. Was die Ver\u00e4nderungen der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Innervationsvorganges in den motorischen Nerven von mit Curara vergifteten Thi\u00e9ren anlangt, so ist durch v. Bezold\u2019s Untersuchungen dar\u00fcber Folgendes bekannt geworden. Schon verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kurze Zeit nach der ersten Einwirkung des Giftes tritt eine Verz\u00f6gerung jenes Vorganges ein, und zwar besonders f\u00fchlbar auf den intramuskul\u00e4ren Nervenstrecken. Mit fortschreitender Vergiftung nimmt jene immer mehr und mehr zu und ist zu derselben Zeit mit einer Abnahme der Erregbarkeit verbunden. Die Nervenst\u00e4mme leiden dabei sehr wenig, so dass erst unter dem Einfluss\n*) Heidenhain, Archiv f\u00fcr physiologische Heilkunde. 1857.\n**) v. Bezold, Monatsberichte der Berliner Academie, 14. Nov. 1859.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"77\nsehr starker Gaben die beschriebene Wirkung auch an ihnen merklich -wird. Die Verminderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit kann bis auf ein F\u00fcnftel der normalen Gr\u00f6sse sinken. Endlich ist noch der Umstand zu erw\u00e4hnen, dass bei directer Erregung des Muskels der zeitliche Verlauf des Zuckungsvorganges durch die Einwirkung des Pfeilgiftes nicht ver\u00e4ndert wird, wohl aber erleidet derselbe eine Vei z\u00f6gerung bis um das Doppelte, wenn die Reizung den Nerven selbst trifft. Giebt man nun auch diesen Erfahrungen und Erw\u00e4gungen williges Geh\u00f6r, so kann man doch mit ihrer Hilfe nicht die Thatsachen g\u00e4nzlich unwirksam machen, welche die vollkommene electrische Leistungsf\u00e4higkeit der Nervenst\u00e4mme bei Curara-vergiftung betreffen und auf diese Weise die Irritabilit\u00e4tsfrage endgiltig erledigen wollen. Mag es immerhin sein, dass der mit Curara vergiftete Muskel bei Reizung seiner Substanz gerade so wie der auf andere Weise dem Nerveneinfluss entzogene Muskel unter denselben Bedingungen nicht dem allgemeinen Zuckungsgesetze folgt; so kann doch aus diesen Erfahrungen die andere M\u00f6glichkeit nicht zur\u00fcckgewiesen werden, dass der Nerv seine Erregungszust\u00e4nde erst durch eine Kette von Zwischengliedern auf die eigentliche, contractile Substanz \u00fcbertrage und dass in beiden F\u00e4llen die Th\u00e4tigkeit des einen oder anderen in Wegfall komme, bei welcher Annahme es freilich der Willk\u00fcr \u00fcberlassen bleibt, wie man die Glieder jenseits der oder des zerst\u00f6rten bis zur eigentlichen, contrahirbaren Substanz nennen will. Mag auch immerhin die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Innervations Vorganges auf der intramuskul\u00e4ren Strecke verlangsamt werden; es l\u00e4sst sich nicht beweisen, dass dies in einer continuirlichen Fortsetzung der ein tretenden Nervenfaser stattfindet ; es kann der Grund davon ebenso in einer Herabsetzung der Beweglichkeit einer Reihe von Zwischengliedern gesucht werden.\nDiesen Erfahrungen liesse sich noch eine dritte Reihe zuf\u00fcgen. Wir meinen die am embryonalen Herzen gewonnenen. Diesen zufolge weiss man, dass an demselben Oontractionen Vorkommen, zu einer Zeit, wo man weder Nerven in demselben beobachtet, noch von ausserhalb desselben entspringenden und zu ihm gehenden Nerven auf dasselbe gewirkt werden kann. Allein, abgesehen davon, dass zu dieser Zeit noch keine quergestreiften Elemente zu beobachten sind und also dieses Gebilde eigentlich nicht hierher geh\u00f6rt, wenigstens nicht auf diesem Stadium seiner Entwickelung; so nimmt das Herz unter den quergestreiften Muskeln eine so exceptionelle Stellung ein, dass aus seinem Verhalten nicht so unmittelbar auf das der letzteren geschlossen werden kann.\nEbenso schwach sind auf der anderen Seite die Gr\u00fcnde gegen die Hai 1er\u2019sehe Irritabilit\u00e4tslehre. Auf dem Gebiete strenger Beweise bedeutet es in der That wenig, wenn man erstens hier darauf hinweist,","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\ndass bei gewissen Missbildungen, denen eine Anzahl von Gruppen willk\u00fcrlicher Muskeln fehlte, auch die entsprechenden Nervenbahnen und das ihnen zugeh\u00f6rige St\u00fcck des R\u00fcckenmarkes defect oder gar nicht vorhanden sind*) Ein solches Vorkommen kann man ebenso gut lediglich auf den trivialen Umstand beziehen, dass sich die Centralorgane in ihrer Einwirkung auf die Muskeln der peripherischen Nerven bedienen, was nicht ausschliesst, dass die Muskeln eine besondere Reizbarkeit besitzen, obschon in den beschriebenen F\u00e4llen es sehr auffallend ist, dass die Bildung der Muskelfaser gleichsam abh\u00e4ngig von der der Nervenfaser erscheint. Nicht minder unzul\u00e4nglich ist zweitens die folgende Betrachtung, die von mir herr\u00fchrt. Nachdem ich, wie in \u00a7. 12 auseinandergesetzt werden wird, gefunden hatte, dass man die Einwirkung gewisser Reize auf den Nerven dadurch unwirksam machen kann, dass man w\u00e4hrend ihrer Application auf den Nerven einen constanten galvanischen Strom durch den Nerven leitet und zwar in einer Richtung, die durch die Stelle des Reizes gegen\u00fcber der vom Strom durchflossenen Strecke bestimmt wird, also beispielsweise am besten aufsteigend **), wenn der Reiz unterhalb der durchstr\u00f6mten Strecke angebracht wird, dachte ich mit Hilfe dieser Erfahrung den Beweis gegen die Irritabilit\u00e4t in folgender Weise zu f\u00fchren. Wenn, so meinte ich, man durch den Nerven dicht vor seinem Eintritt in den Muskel einen constanten aufsteigenden Strom schickt, so setzt dies die Erregbarkeit der intramuskul\u00e4ren Nervenzweige herab und wenn man jenen hinl\u00e4nglich stark nimmt, kann bei gewissen, schwachen Reizen, welche man auf den Muskel wirken l\u00e4sst, gar keine Zuckung mehr zu Stande kommen, wenn die Muskelsubstanz an und f\u00fcr sich nicht irritabel ist, w\u00e4hrend bei Anwendung derselben > Reize bei offener Kette die Zuckung auftritt, wobei nur daran zu denken ist, dass man kein Reizmittel anwende, welches m\u00f6glicher Weise die Continuit\u00e4t der Nervenfaser unterbricht, also namentlich kein chemisches. Zwar ergiebt nun auch der Versuch, dass, wenn man als Reiz auf den Muskel die Schliessung und Oeffnung eines sehr schwachen electrischen Stromes benutzt, die erwartete Erscheinung eintritt, allein sie ist, wie man mir eingewandt hat, aus folgendem Grunde nicht beweisend. Ist die Muskelsubstanz wirklich an und f\u00fcr sich irritabel, so zuckt der Muskel vor dem Schluss des durch den Nerven geleiteten Stromes in Folge der gereizten intramuskul\u00e4ren Nervenzweige und der Muskelsubstanz\n*) Die Zahl solcher F\u00e4lle ist bis jetzt noch nicht sehr gross ; die bisherigen sind von Alessandrini und E. H. Weber beschrieben. S. des letzteren Aufsatz \u00fcber diesen Gegenstand in: M\u00fcller\u2019s Archiv. 1851. S. 547.\n**) d. h. in der Richtung nach dem RUckenmarksende zu.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"79\nselber, nach dem Schluss dagegen nur in Folge der alleinigen Reizung der letzteren. Darum also kann nach dem Schluss des durch den Nerven gehenden Stromes die Zuckung fehlen, ohne dass die Muskelsubstanz der Irritabilit\u00e4t ermangelt. Es liesse sich zwar noch das Gewicht dieses Einwandes durch die Bemerkung verringern, dass der als Reiz auf den Muskel angewandte, schwache electrische Strom nur zum geringsten Theile f\u00fcr die Reizung von Nerven, zum gr\u00f6ssten Theile dagegen f\u00fcr die Reizung der eigentlichen Muskelsubstanz verwendet werde, weil der Querschnitt der Nervensubstanz fast verschwindend gegen den der Muskelsubstanz ausfalle, auch seien die Nerven wegen ihres sehr oft zur L\u00e4ngs-axe der Muskelfasern senkrecht gerichteten Verlaufs *) sehr ung\u00fcnstig f\u00fcr die Entstehung der Zuckung situirt und es sei darum auffallend, dass, wenn der verschwindend kleine Antheil der Gesammtreizung (des der intramuskul\u00e4ren Nervenzweige) durch die deprimirende Wirkung des ausserhalb des Muskels durch den Nerven geleiteten Stromes in Wegfall komme, die Zuckung des Muskels fehle. Ich, bin aber nicht geneigt, damit jenen Einwand als beseitigt anzusehen; auf experimentellem Gebiete hat eine Beweisf\u00fchrung erst von dem Momente an volles Gewicht, wo jegliches Bedenken durch die daselbst geltenden Methoden zur\u00fcckgewiesen ist, was bis jetzt in Bezug auf den fraglichen Punkt nicht geschehen konnte. Wir halten also am Schl\u00fcsse dieser Betrachtungen daran fest : dass die Irritabilit\u00e4tsfrage bis jetzt nicht endgiltig entschieden ist, ja dass sich sogar die Berechtigung ihrer Existenz, wenigstens zur Zeit noch, bestreiten l\u00e4sst.\nWir wenden uns jetzt zu einer n\u00e4heren Betrachtung der Vorg\u00e4nge der Ern\u00e4hrung und Absonderung, insofern diese den Nerveneinfl\u00fcssen unterworfen sind. Was zun\u00e4chst die Ern\u00e4hrung betrifft, so ist durch Experimente bewiesen, dass die Ern\u00e4hrung gewisser Theile einen anderen 1.1 ang nimmt, sobald die zu ihnen gehenden Nerven durchschnitten werden. Indess leidet die Experimentalphysiologie bez\u00fcglich dieses Punktes noch an einem doppelten Missstande. Einmal n\u00e4mlich stimmen die von verschiedenen Seiten her \u00fcber einen und denselben Gegenstand gemachten Angaben gar nicht oder doch nur sehr unvollkommen \u00fcberein, sodann aber sind die wenigen vorhandenen, guten Beobachtungen nicht soweit in\u2019s Einzelne zu zergliedern, dass dabei die Wirkungen der Nerven als m\u00f6glichst einfache und klare Erscheinungen der Vorstellung zug\u00e4nglich w\u00e4ren. Das Material, welches 'hier anzuf\u00fchren ist, mag etwa folgendes\n*) Siehe in \u00a7. 12 Einfluss der Electrodenstellung auf die Gr\u00f6ssen der Muskelzuckung.","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nsein. Nach Durchschneidung der Extremit\u00e4tennerven bei Thieren werden die betreffenden Muskeln nach und nach atrophisch und die Knochen verd\u00fcnnen sich. Nach der Trennung des N. trigeminus bei Thieren beobachtet man Verschw\u00e4rung des Auges, Auflockerung des Zahnfleisches u. s. w. DieV er\u00e4nderungen werden sp\u00e4ter eine ausf\u00fchrliche Beschreibung bei der Physiologie des genannten Nerven erfahren. Bei Menschen, welche von An\u00e4sthesie befallen waren, sah man Farbenver\u00e4nderung der Haut, Abschilferung der Epidermis, Rissigwerden der N\u00e4gel, Geschw\u00fcrsbildung u. s. w. Der Durchschneidung des Grenzstranges des Sympathicus folgen in gewissen Theilen Temperaturver\u00e4nderungen, welche ohne Zweifel darauf hindeuten, dass in den betreffenden Geweben die chemischen Pro-cesse nach irgend einer Seite hin Ver\u00e4nderungen erfahren haben. Mehr als diese kargen Mittheilungen, die man etwa noch durch einige \u00e4hnliche, keineswegs aber im Einzelnen besser verstandene, vermehren k\u00f6nnte, vermag die Nervenphysiologie, wenn sie ehrlich sein will, nicht zu machen. Sie ist, da hier noch die allerersten Fundamentalarbeiten fehlen, vollkommen im Unklaren dar\u00fcber, ob die gest\u00f6rte Ern\u00e4hrung nur in einem ver\u00e4nderten Blutlauf, in Folge der L\u00e4hmung der zu den Gef\u00e4ssen gehenden Nerven, ihren Grund habe, oder ob die Substanz der Gewebe selbst unter einem solchen Einfluss der Nerven steht, dass sie nur bei einer ganz bestimmten Erregung derselben dem Blute die zu ihrer Ern\u00e4hrung n\u00f6thigen Bestandtheile zu entziehen vermag.\nNicht viel besser ist es um die Vorg\u00e4nge der Absonderung bestellt, doch ist das thats\u00e4chliche Material durch eine Anzahl von experimentellen Arbeiten der letzten Jahre sicherer gestellt, und die einzelnen hierher geh\u00f6rigen Erscheinungen gew\u00e4hren, da sie sich in verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kurzer Zeit vollenden und darum der Anschauung zug\u00e4nglicher sind, mehr Befriedigung. Obgleich sp\u00e4ter in der speciellen Nervenphysiologie, bei der Physiologie der einzelnen Nerven ausf\u00fchrlich von ihrem Einfluss auf die bez\u00fcglichen Secretionen die Rede sein wird, so mag doch hier eine Uebersicht der verschiedenen Thatsachen stehen. Reizt man die vom N. lingualis zur Submaxillardr\u00fcse abgehenden Nerven oder die vom N. auriculo - temporalis in die Ohrspeicheldr\u00fcse eindringenden Zweige, so erfolgt in beiden F\u00e4llen profuse Speichelsecretion in den entsprechenden Dr\u00fcsen. In \u00e4hnlicher Weise ger\u00e4th die Thr\u00e4nendr\u00fcse in Th\u00e4tigkeit, wenn ein Reiz den N. lacrimalis trifft. Reizt man bei Kr\u00f6ten das centrale Nervensystem oder einzelne, cerebrospinale Nerven, so bedeckt sich die gesammte Oberfl\u00e4che oder einzelne Abtheilungen derselben mit dem Secrete der zahlreichen in der Haut eingelagerten Dr\u00fcsenb\u00e4lge. Reizung der zur Prostata gehenden Sacralnerven giebt uns ein passendes Mittel an die Hand, succus prostaticus zu gewinnen. Durchschneidung des","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Bl\nGrenzstranges des Halssympathicus erzeugt beim Pferde an der betreffenden Kopfh\u00e4lfte reichliche Schweissbildung. Besondere Aufregungen des Gehirns setzen den menschlichen K\u00f6rper ebenfalls rasch in Schweiss, selbst die Erregung einzelner Nervenst\u00e4mme bei neuralgischen Erkrankungen hat h\u00e4ufiges Schwitzen der von ihnen versorgten Hauttheile zur Folge. Mangelhaft fallen jedoch die Betrachtungen \u00fcber die Vorstellungen aus, welche man sich \u00fcber diese Art von Nebenwirkungen zu machen versucht hat. F\u00fcr einen Theil derselben scheint die Sache allerdings einfach zu sein, indem dabei die Annahme gen\u00fcgt, dass die Nerven dabei keine andere Rolle spielen, als dass sie durch ihre Wirkung auf die muskul\u00e4ren Elemente der Dr\u00fcse deren bereits fertig gebildetes Secret entleeren. Hierher geh\u00f6ren die Versuche \u00fcber das Hautdr\u00fcsensecret der Kr\u00f6ten und die Ausstossung des Prostatasaftes. Wir geben der erw\u00e4hnten Vorstellung den Vorzug und befriedigen uns mit ihr, da nicht allein die anatomische Untersuchung in den Elementen dieser Dr\u00fcsen zahlreiche glatte Muskelfasern in beiden F\u00e4llen nachweist, sondern auch die Art der Entleerung der Dr\u00fcse dieses Verhalten anzeigt. Bei den Hautdr\u00fcsen h\u00f6rt nach verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kurzer Dauer des Reizes schon die Ausscheidung des Secretes auf, obgleich der Tetanus, dessen die Muskulatur bei Erregung des centralen Nervensystems zu dieser Zeit noch f\u00e4hig ist, das Vorhandensein einer hinl\u00e4nglichen Erregbarkeit beweist. Aehnlich verh\u00e4lt es sich bei der Prostata *). Die Erregung der zu dieser Dr\u00fcse gehenden Nerven entleert unter sichtbaren Zuckungen der in ihr vorhandenen Muskelfasern auf einmal eine beschr\u00e4nkte Menge Saft, welcher bei fortdauernder Reizung und Zusammenziehung der contra etilen Elemente kein erheblicher Nachschub folgt. Dies tritt erst dann ein, wenn man der Dr\u00fcse einige Zeit der Ruhe gelassen hat, nach welcher sich Alles wieder wie vorher gestaltet. Dagegen ist f\u00fcr die anderen in dieses Gebiet geh\u00f6rigen Erscheinungen bis jetzt keine bestimmte, klare Vorstellung \u00fcber den Einfluss zu erwerben, den die erregten Nerven aus\u00fcben. Zur Zeit kann man nicht mehr thun, als einige M\u00f6glichkeiten andeuten, von denen die eine, oder andere, oder einige zugleich etwa stattfinden m\u00f6gen. So liesse sich zuerst daran denken, dass die Nerven zu den contractilen Elementen der Gefassw\u00e4nde gehen, dass unter ihrer Reizung sich die Lumina der Gef\u00e4sse ver\u00e4ndern und dadurch etwa passendere Bedingungen zum Durchtritt der w\u00e4sserigen Blutbestandtheile eingef\u00fchrt w\u00fcrden. Freilich m\u00fcsste denn dabei noch Mancherlei unterstellt werden, wor\u00fcber wir bis jetzt nicht unterrichtet sind, so z. B. dass die bez\u00fcglichen Gef\u00e4ss-w\u00e4nde die aufgel\u00f6sten ei weissartigen Blutbestandtheile picht durchlassen\n*) Buxmann, Beitr\u00e4ge, zur Kenntniss des Prostatasaftes. Giessen 1864. Eckhard, Nervenphysiologie. ^\t6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nund dass die den fraglichen Sefcreten eigent\u00fcmlichen K\u00f6rper, wie die S\u00e4uren des Schweisses, das Ptyalin und Schwefelcyankalium der Speichelarten durch den aus den Gef\u00e4ssen austretenden Wasserstrom aus dem Dr\u00fcsengewebe mit fortgenommen w\u00fcrden, welche Annahme keine besonderen Schwierigkeiten h\u00e4tte, da die genannten K\u00f6rper nur in sehr kleinen Mengen in den respectiven Secreten Vorkommen. Die Beobachtung Bernard\u2019s, dass bei Reizung der zur Submaxillardr\u00fcse gehenden Nerven, welche eine reichliche Speichelsecretion erzeugt, aus den Venen dieser Dr\u00fcse eine gr\u00f6ssere Menge Blut als sonst str\u00f6mt, k\u00f6nnte hier als jener Meinung g\u00fcnstig angezogen werden; leider aber ist diese Beziehung zu allgemein und es kann aus der Beobachtung nichts Bestimmtes gefolgert werden. Andererseits k\u00f6nnte die Wirkung der Nerven in besonderen Einfl\u00fcssen auf die anderen Bestandtheile der Dr\u00fcse gesucht werden. Man k\u00f6nnte sich vorstellen, dass die Wandungen der Dr\u00fcsenbl\u00e4schen oder ihr Inhalt oder beide Elemente durch die erregten Nerven zu einer besonderen Th\u00e4tigkeit angefacht w\u00fcrden. Obgleich aus mancherlei Gr\u00fcnden dies wahrscheinlich sein mag, so fehlen doch positive Beweise daf\u00fcr. Ich habe geglaubt, durch directe Reizung der Dr\u00fcsenelemente, die ich unter dem Mikroscop auf einem erw\u00e4rmten Objecttisch beobachtete, Einiges zur St\u00fctze dieser Ansicht beitragen zu k\u00f6nnen, bin aber bis jetzt zu keiner befriedigenden Beobachtung gelangt.\nEs giebt \u00fcbrigens eine ganze Anzahl von Secretionen, die entweder gar nicht unter dem Einfluss von Nerven stehen, oder von denen doch wenigstens zur Zeit die Experimentalphysiologie einen solchen noch nicht gen\u00fcgend nachgewiesen hat. Dahin geh\u00f6ren : die Secretion der Galle, des Magensaftes, der pancreatischen Fl\u00fcssigkeit, der Milch u. s. w. F\u00fcr einige derselben, wie den Magensaft und den Succus pancreaticus liegen Erfahrungen vor, welche auf einen Nerveneinfluss zwar hindeuten, wie z. B. die behauptete vermehrte Secretion derselben bei Reizungen der Schleimhaut und die Periodicit\u00e4t der Absonderung, aber nicht ausreichend sind, ihn zu beweisen. F\u00fcr andere dagegen, wie z. B. die Milch, liegen nicht einmal solche, wenigstens nicht glaubw\u00fcrdig verb\u00fcrgte vor. Im Gegentheil weisen bestimmte Erfahrungen auf den g\u00e4nzlichen Mangel eines Nerveneinflusses hin. F\u00fcr die Brustdr\u00fcse habe ich selbst mich durch eine besondere Reihe von Beobachtungen davon \u00fcberzeugt, dass f\u00fcr ihre Secretion von einem Einfluss der Nerven keine Rede sein kann *). Die sorgf\u00e4ltigste anatomische Pr\u00e4paration wies immer nur auf einen einzigen, in die Dr\u00fcse dringenden Nerven hin, n\u00e4mlich einen Zweig des Nervus spermaticus. Mit dem\n*) Meine Beitr\u00e4ge, I, S. 15 u. 16.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"83\nZweige der Arteria pudenda, welcher die Dr\u00fcse mit Blut versieht, sah ich nie Nerven sich einsenken. Der erstere setzt nur auf eine sehr kurze Strecke durch die Dr\u00fcse und, soweit die gew\u00f6hnliche Pr\u00e4parationsmethode denselben zu verfolgen vermag, begiebt er sich nur zu den Ductus galactophori. Wegen der M\u00f6glichkeit aber, dass er von diesen Punkten aus noch nach den Dr\u00fcsenbl\u00e4schen hinabsteigen k\u00f6nnte, stellte ich folgende Experimente an. Vorerst bestimmte ich bei einer bestimmten Nahrung die von einer Ziege in einer Reihe von Tagen aus einer Zitze gelieferte Milch. Hierauf schnitt ich aus dem Nerven ein St\u00fcck heraus, wartete einige Tage bis die unansehnliche Wunde zu verheilen begann und wiederholte dann die Bestimmung der Milchmengen, wie es vor der Nervendurchschneidung geschehen war. Die folgende Tabelle stellt die Ergebnisse zusammen :\nVor der Durchschneidung gelieferte Milchmenge in 4 auf einander folgenden Tagen\n215 Grm.\nNach der Durchschneidung gelieferte Milchmenge, 6 Tage nach Durchschneidung, in 4 auf einander folgenden Tagen\n185 Grm.\n205\n185\n200\n185\n220\n190\nSumma 795\nSumma 780\nAbnorme Milchbestandtheile oder eine Ver\u00e4nderung der Mengen der haupts\u00e4chlichsten normalen Milchbestandtheile wurden nicht beobachtet.\nBei den durch Nerven beherrschten Absonderungen kann, wie vorher beim Muskel, gefragt werden, ob die Dr\u00fcsenelemente nur bei Reizen, welche ihre Nerven treffen, absondern, oder ob sie auch in diese Th\u00e4tig-keit verfallen, wenn ihre Substanz direct dem Reize unterliegt. Aber zur Anbahnung einer Antwort auf diese Frage sind kaum die ersten Schritte geschehen; denn die Art und Weise wie die Nerven mit den Dr\u00fcsenelementen verkn\u00fcpft sind, ist noch unvollkommener gekannt, als es bez\u00fcglich der Nerven und Muskeln der Fall ist. Unser Wissen beschr\u00e4nkt sich auf Folgendes. In der Submaxillardr\u00fcse hat Pfl\u00fcger*) B\u00fcschel von Nervenfasern bis zu den Dr\u00fcsenbl\u00e4schen Vordringen, deren Membrana propria durchbohren und an die jene auskleidenden Zellen treten sehen. Dort sollen sie in den Kernen derselben ihr letztes Ende finden. Ebenso hat man auch die Ausl\u00e4ufer multipolarer Ganglienzellen, welche in der Dr\u00fcse Vorkommen, direct sich in die Speichelzellen fort-\n*) Die Endigungen der Nerven der Absonderungsovgane in den Speicheldr\u00fcsen. Bonn 1866.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nsetzen sehen. Es ist nicht uninteressant, bei dieser Gelegenheit auf eine vor mehreren Jahren von mir beobachtete histologische Thatsache hinzuweisen, die sich vielleicht bei weiterer Verfolgung dieses Gegenstandes an die eben mitgetheilte Beobachtung anschliesst. Ich habe n\u00e4mlich gezeigt, wie in den blinden Anf\u00e4ngen der sogenannten Schleimkan\u00e4le der Zitterrochen sich Blasen befinden, welche mit einer z\u00e4hen Masse, Protoplasma, und eingestreuten Kernen ausgef\u00fcllt sind, und wie weiter zu denselben sich Nervenb\u00fcschel begeben, deren Fasern bis zu dem mit Kernen erf\u00fcllten Inhalte der blasigen Organe dringen. Es w\u00e4re interessant zu wissen, ob bei Reizung der genannten Nerven eine vermehrte Schleimsecretion zu Stande kommt *).\nNachdem wir so allgemeine Kenntniss von den Erscheinungen genommen haben, welche dem Nervensystem angeh\u00f6ren, wird unsere weitere Aufgabe eine doppelte sein, n\u00e4mlich : die dabei in den Nerven vor sich gehenden Th\u00e4tigkeiten n\u00e4her zu analysiren und dann die Leistungen der einzelnen Nerventheile im Organismus specieller zu verfolgen.\n\u00a7. 11.\nPlan zur Untersuchung \u00fcber das Wesen des Innervalionsvorganges.\nInnervationsvorgang oder Nerventh\u00e4tigkeit nennen wir die Summe der in einem Nerven mit Ausschluss seines Centralorganes vor sich gehenden Bewegungen, deren Resultat eine bestimmte Arbeit ist, welche das Organ, zu welchem der Nerv dringt, je nach Maassgabe seiner besonderen Natur ausf\u00fchrt. Die Aufgabe ist, uns eine Vorstellung \u00fcber die Natur dieser so verborgenen Bewegungen zu erwerben. F\u00fcr diesen Zweck erscheint es methodisch, folgenden Weg einzuschlagen. Vorerst studiren wir sorgf\u00e4ltig alle diejenigen Bedingungen, unter denen der Innervationsvorgang wach gerufen wird. Abgesehen davon, dass wir dadurch erfahren, aqf welche Weise wir uns jederzeit den Innervationsvorgang, wenn wir desselben zum Studium seiner Eigent\u00fcmlichkeiten bed\u00fcrfen, bequem und sicher herzustellen haben, erwarten wir von dieser Besch\u00e4ftigung einen Fingerzeig nach irgend einer Gruppe physischer Bewegungen hin, denen sich die Nerventh\u00e4tigkeit anreiht. Sodann werden wir diese Ergebnisse mit den Erfahrungen zu vergleichen haben, welche uns in der Nervenphysik bereits entgegengetreten sind. Hier wie dort wirken wir in irgend welcher Weise auf den Nerven; es ist\n*) Eckhard, Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Physiologie, I. Bd., 'S. 85,","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"85\nnur die Methode verschieden, den. Erfolg dieser Einwirkungen zu beobachten. An gegenw\u00e4rtiger Stelle legt ein mit dem Nerven verkn\u00fcpftes Organ Zeugniss von den Zust\u00e4nden des ersteren ab ; fr\u00fcher machten wir die Erfolge jener Einwirkungen am Multiplicrtor sichtbar. Ein Vergleich zwischen beiden Arten der Beobachtung bei gleicher Einwirkung auf den Nerven verspricht besonderen Vortheil. Selbstverst\u00e4ndlich kommt uns dabei auch Das zu Gute, was wir \u00fcber die physische Constitution nicht gereizter Nerven kennen gelernt haben. Damit wird es gelingen, eine erste allgemeine Vorstellung \u00fcber das Wesen des Innervationsvorganges zu entwerfen. Endlich wird es dann noch unsere Aufgabe sein m\u00fcssen, zu untersuchen, ob gewisse Folgerungen, welche sich aus der erworbenen Anschauung ergeben, sich wirklich best\u00e4tigen.\nIndem wir an den ersten Theil unserer Aufgabe gehen, wird es sich darum handeln, mit welchem Pr\u00fcfungsorgan wir den Nerven verkn\u00fcpft zu den Untersuchungen w\u00e4hlen sollen. Ein Sinnesnerv mit seinem Gehirn eignet sich augenscheinlich dazu nicht. Wir w\u00e4ren dabei immer auf den lebendigen K\u00f6rper angewiesen und w\u00fcrden fortw\u00e4hrend damit zu k\u00e4mpfen haben, dass die Th\u00e4tigkeiten des auf die Innervationsvorg\u00e4nge reagirenden Pr\u00fcfungsorganes sich nicht objectiv genug gestalteten. Eine Dr\u00fcse und ihr Nerv sind ebenso wenig brauchbar. Dieses Material w\u00e4re nicht leicht und zu jeder Zeit zu beschaffen und ausserdem arbeitet auch das Reagens auf bestehende Innervationsvorg\u00e4nge nicht prompt genug. Noch weniger w\u00fcrden sich aus denselben Gr\u00fcnden die Nerven in ihren Verbindungen mit Geweben eignen, deren ge\u00e4nderte Ern\u00e4hrung als Zeichen bestehender oder aufgehobener Ern\u00e4hrungsvorg\u00e4nge dienen sollte. Es bleibt also nur die Combination Nerv und Muskel \u00fcbrig.\nZu den allermeisten der folgenden Untersuchungen bedienen wir uns des Nervus ischiadicus mit dem anh\u00e4ngenden Musculus gastrocnemius des Frosches, indem dieses Pr\u00e4parat alle nur w\u00fcnschenswerthen Vortheile und Bequemlichkeiten in sich vereinigt; in der That sind auch die meisten und wichtigsten der in dies Gebiet einschlagenden Originaluntersuchungen an ihm angestellt worden. Es wird auf folgende Weise hergestellt. Nachdem der Frosch decapitirt, enth\u00e4utet und sein R\u00fcckenmark zerst\u00f6rt ist, pr\u00e4parirt man den Nervus ischiadicus von der Kniekehle aus nach oben, indem man einfach den ihn bedeckenden Musculus biceps entfernt, da, wo er aus der Beckenh\u00f6hle nach hinten heraustritt, seine an die Oberschenkelmuskeln gehenden Zweige nebst einigen ihn von da nach oben noch bedeckenden Muskeln durchschneidet nnd vom Plexus ischiadicus trennt. Hierauf l\u00f6st man die Achillessehne von ihrem Ansatzpunkt, schneidet die sehnigen Ans\u00e4tze des Gastrocnemius in der Gegend der Kniekehle durch und trennt schliesslich den entbl\u00f6ssten","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nNerven nach oben fortschreitend von seiner Umgebung los. F\u00fcr eine Anzahl von Versuchen kann man sich auch und bisweilen mit besonderem Vortheil der beiden folgenden Pr\u00e4parate bedienen. Entweder schneidet man. nach der Pr\u00e4paration des Nervus ischiadicus wie vorher, den Unterschenkel im Kniegelenk oder unmittelbar oberhalb desselben durch, so dass man denselben mit seiner gesammten Muskulatur und dem anh\u00e4ngenden Nerven verwendet; oder man bedient sich der beiden zusammenh\u00e4ngenden hinteren Extremit\u00e4ten nebst den zugeh\u00f6rigen Plexus ischiadici, indem man vom enth\u00e4uteten Frosche ausser den erw\u00e4hnten Gliedern und dem St\u00fccke der Wirbels\u00e4ule, an dem die ischiadischen Geflechte h\u00e4ngen, alles Andere fortschneidet. Die beiden letzten Formen des Pr\u00e4parates gehen vorzugsweise unter dem Namen des rheoscopischen Froschschenkels, da man sie besonders zum Nachweis fl\u00fcchtiger und geringer Spuren von Electricit\u00e4t irgend einer Quelle, namentlich in den ersten Zeiten des Galvanismus, vielfach benutzt hat.\nDer motorische Nerv kann electrisch, thermisch, mechanisch, chemisch und im lebendigen K\u00f6rper auf uns noch unbekannte Art von den sogenannten Centralorganen aus erregt werden. Wir nehmen nun die Gesetze dieser verschiedenen Reizungsarten, mit Ausnahme der letzteren, von welchen beim Gehirn und R\u00fcckenmark die Rede sein wird, im Einzelnen vor.\n\u00a7. 12.\nErscheinungen und Gesetze der electrischen Reizung des\nmotorischen Nerven.\nElectrische Reizung. Die Ausbildung der Lehre dieser Art der Nervenreizung, welche von- der Entdeckung der thierischen Electricit\u00e4t und des Galvanismus ihre Anf\u00e4nge datirt, ist wesentlich mitbedingt gewesen durch die auf dem Gebiete der reinen Physik nach und nach erworbene Kenntniss \u00fcber die Natur des galvanischen Stromes. Fast jede wichtige Entdeckung in jenem Gebiete zog eine solche auf dem der electrischen Nervenreizung nach sich. Wir wollen dies indess hier nicht im Einzelnen verfolgen, sondern uns sogleich zur Kenntnissnahme des gegenw\u00e4rtigen Standes dieses Abschnittes der Nervenphysiologie anschicken. Obschon die Mittel zur Ausf\u00fchrung der hierher geh\u00f6rigen Untersuchungen wenig zahlreich und mit einigen Ausnahmen im Allgemeinen sehr einfach sind, so hat die Anstellung electrischer Reizversuche doch ihre vielfachen T\u00fccken, welche den Experimentator zur steten, ganz besonderen Aufmerksamkeit mahnen. Ausser dem Nerv-Muskelpr\u00e4parate reicht man in der Regel mit einer Anzahl constanter Elemente, unter","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"87\ndenen sich namentlich die Daniell\u2019schen durch Wohlfeilheit und Bequemlichkeit empfehlen, dem Rheochord, einem Inductionsapparat mit Schl\u00fcssel und Helmholz\u2019scher Vorrichtung, einigen Apparaten zum Oeffncn und Schliessen der Ketten und irgend einer, die Herstellung unpolarisirbarer Electroden bezweckenden Vorrichtung aus. Diese Bed\u00fcrfnisse sind bereits in der Einleitung besprochen worden. Es er\u00fcbrigt nur noch, einige Formen der unpolarisirbaren Electroden zu beschreiben, wie sie jetzt vielfach in Gebrauch sind. Die erste hier zu erw\u00e4hnende kleine Vorrichtung hat urspr\u00fcnglich Pfl\u00fcger angegeben; neulich hat sie Czer-mak *) modificirt. Nach letzterem nimmt man eine gl\u00e4serne Spritze, wie sie zu medicinischen Zwecken dient und entfernt aus ihr den Stempel. Diesen ersetzt man durch eine Glasr\u00f6hre, welche an dem einen Ende mit einem Papierpfropf zugestopft, dann mit einer L\u00f6sung von schwefelsaurem Zinkoxyd gef\u00fcllt und endlich am anderen Ende mit Kork verschlossen wird. Dieser ist durchbohrt, um einen amalgamirten Zinkdraht aufzunehmen, welcher in die erw\u00e4hnte Fl\u00fcssigkeit eintaucht. Um diese in m\u00f6glichst grosser Ausdehnung zu ber\u00fchren, wird derselbe spiralig aufgerollt. Das Ende der R\u00f6hre, welches den Papierpfropf enth\u00e4lt, wird mit F\u00e4den umwickelt, um als Stempel der Spritze zu dienen. Mit diesem saugt man die Spritze mit H\u00fchnereiweiss voll. Solcher Vorrichtungen hat man zwei; jede wird auf ein passendes Stativ befestigt und je ein Zinkdraht mit je einem Pol der Kette verkn\u00fcpft. Der zu reizende Nerv kommt in Ber\u00fchrung mit dem an den Spritzenspitzen frei zu Tage liegenden Eiweissfl\u00e4chen. Da sich jedoch nicht ganz der Verdacht entfernen l\u00e4sst, dass an der Grenze von schwefelsaurer Zinkoxydl\u00f6sung und Eiweiss \u00e4usserer secund\u00e4rerWiderstand auftreten k\u00f6nne, so hat du Bois-Reymond**) in Uebereinstimmung mit den S. 32 mitgetheilten Erfahrungen die auf S. 87 stehende, andere Form unpolarisirbarer Electroden angegeben. Eine Glasr\u00f6hre a wird an dem einen Ende b mit Modellirthon verschlossen, welcher mit einer etwa lprocentigen L\u00f6sung von Kochsalz angeknetet worden ist. Dieser Stoff entwickelt keine innere Polarisation und ist frei von secund\u00e4rem Widerstand. Dann wird die R\u00f6hre mit schwefelsaurer Zinkoxydl\u00f6sung gef\u00fcllt und in diese ein Streifen amalgamirtes Zinkblech c getaucht. An dem oberen Ende der R\u00f6hre findet sich ein Stiel d angeschmolzen, mittelst dessen die ganze Vorrichtung durch ein Kugelcharnier an einem Stativ behufs allseitiger Bewe-\n*) Allgemeine medicinische Centralzeitung, 5. Juni 1861, XXX. Jahrgang, 45. St\u00fcck, S. 353.\n**) Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen zu electrophysiologi-schen Zwecken. Berlin 1863, S. 96.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\ngung befestigt werden kann. Endlich l\u00e4sst sich der die R\u00f6hre ver-schliessende Thonpfropf in eine feuchte Spitze e formen, und eignet sich vortrefflich als Electrode zur Anlegung an einen zu reizenden Nerven.\t\u00bb\nEndlich ist noch zu erw\u00e4hnen, dass bei den electrichen Reizversuchen und mehr oder weniger auch bei den anderen Reizungsarten der Nerv vor dem Austrocknen zu sch\u00fctzen ist. F\u00fcr diesen Zweck hat man in die Experimentalphysiologie den sogenannten feuchten Arbeitsraum eingef\u00fchrt. Dies ist ein verschlossener Kasten, dessen verticale W\u00e4nde ganz oder zum Theil aus Glas gebaut sind und welcher gross genug ist, um die zu reizenden Theile, die vorher beschriebene Vorrichtung der unpolarisirbaren Electroden und einige Gef\u00e4sse, mit zu verdunstendem Wasser gef\u00fcllt, aufnehmen kann. Die Zuleitungsdr\u00e4hte von der Kette her liegen in wohl isolirten Durchbohrungen des Bodens. Die dem Beobachter beim Arbeiten zugekehrte Seite besteht aus zwei Glasscheiben, welche an den sich ber\u00fchrenden Kanten behufs inniger Ber\u00fchrung gut abgeschliflen sind und welche, wenn man Zugang zum Arbeitsraume haben will, einfach bei Seite geschoben werden. \u2014 Schon ziemlich fr\u00fche hatte man beobachtet, dass eine electrische Kette einen in ihren Kreis eingeschalteten Nerven nur dann errege und den zugeh\u00f6rigen Muskel zur Zuckung veranlasse, wenn jene geschlossen und ge\u00f6ffnet werde. So lange man keine Kenntr.iss von der Fortdauer des Stromes in der geschlossenen Kette hatte, begn\u00fcgte man sich mit dieser Beobachtung. Nachdem jedoch bekannt geworden war, dass in der geschlossenen Kette","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"89\nfoi\u2019tw\u00e4hrend Electricit\u00e4t in Bewegung sei, wollte man es sehr wahrscheinlich finden, dass auch der in der geschlossenen Kette befindliche Nerv erregt werden und dass namentlich auf die Gr\u00f6sse der Erregung die verschiedene Stromst\u00e4rke einen Einfluss haben m\u00fcsse. Einige Beobachtungen schienen dies zu best\u00e4tigen, andere zu widerlegen. So blieb man, selbst bis in die neueste Zeit hinein, \u00fcber die Beziehung der Stromst\u00e4rke zur Zuckung v\u00f6llig im Unklaren, bis endlich du Bois-Reymond nachwies, dass diese eine ganz unwesentliche sei, indem er das folgende, allgemeine, die electrische Reizung der motorischen Nerven betreffende Gesetz aufstellte*): \u201eNicht der absolute Werth der Stromdichte**) \u201eist das die Zuckung bedingende Moment, sondern die Gr\u00f6sse ihrer \u201eSchivankung innerhalb zweier, auf einander folgender, sehr kleiner \u201eZeittheilchen, und im Allgemeinen ist die Zuckung um so st\u00e4rker, je \u201egr\u00f6sser die Schwankung des Stromes in der Zeiteinheit ist.\u201c\nAus diesem Gesetz folgt, dass, wenn der Nerv in eine constante Kette geschaltet wird, nur beim Schliessen und Oeffnen derselben der Muskel zuckt, dahingegen in vollkommener Ruhe verbleibt, w\u00e4hrend der Strom in unver\u00e4nderlicher Dichte den Nerven durchzieht; denn Schliessung der Kette ist weiter Nichts, als eine Schwankung des Stromes zwischen der Dichte Null und der von einer bestimmten Gr\u00f6sse, dagegen Oeffnen derselben eine solche in entgegengesetztem Sinne; jene eine positive, diese eine negative. Will man w\u00e4hrend des Geschlossenseins der Kette eine Zuckung entstehen sehen, so kann dies nur dadurch geschehen, dass man auf irgend eine Weise eine pl\u00f6tzliche Aenderung der Stromst\u00e4rke herbeif\u00fchrt, also z. B. durch Ersch\u00fctterung stark polarisirter Electroden oder dadurch, dass man rasch eine gut leitende Nebenschliessung anbringt oder unterblicht. Vorher wurde bemerkt, dass der absolute Werth der Stromesdichte nicht das die Zuckung bedingende Moment sei. Es w\u00fcrde jedoch voreilig sein, daraus den Schluss zu ziehen, dass die Muskelzuckung in gar keiner Beziehung zur Stromst\u00e4rke stehe, da behauptet wurde, dass nur im Allgemeinen die Zuckung um so st\u00e4rker ausfalle, je gr\u00f6sser die Schwankung der Stromesdichte in der Zeiteinheit sei. Diese Vorsicht im Ausdruck deutet an, dass \u00fcber diesen Punkt noch eine besondere Bemerkung vorgesehen ist. Dieselbe besteht nun in dem Zusatze, dass durch die ganze Scale der m\u00f6glichen Stromdichten, die einen Nerven m\u00f6glicher Weise durchziehen m\u00f6gen, nicht \u00fcberall gleich grosse Schwankungen gleich starke Zuckungen bedingen. Dies l\u00e4sst sich, wie\n*) Dessen Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t, I, S. 25B.\n**) Stromdichte wird hier und fortan in dem S. 9 gegebenen Sinne genommen.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nich zuerst angegeben habe *), auf folgende Weise zeigen. In den Kreis einer mehrelementigen Kette von grader Gliederanzahl wird die secun-d\u00e4re Rolle eines Inductionsapparates und der Nerv unseres Pr\u00e4parates aufgenommen. Man ordnet zuerst die eine H\u00e4lfte der Glieder umgekehrt, so dass also die Kette gar keinen oder nur einen sehr schwachen Strom liefert, und schickt einen Inductionsstoss von bestimmter St\u00e4rke durch den Nerven. Dann ordnet man s\u00e4mmtliche Glieder in demselben Sinne und sendet von Neuem denselben Inductionsstrom durch den Nerven, wobei zu beachten, dass jetzt der letztere nicht allein dieselbe Richtung, wie vorher, sondern auch wie der constante Strom habe. In beiden F\u00e4llen ward der Nerv durch dieselbe Stromesschwankung gereizt, im letzteren Falle aber geht sie wegen des durch den Nerven ziehenden constanten Stromes zwischen absolut h\u00f6heren Ordinaten vor sich, als vorher. In beiden Versuchen f\u00e4llt die Zuckung nicht gleichstark, sondern im letzteren in der Regel schw\u00e4cher, als im ersteren aus. Indess ist diese Art des Versuches nicht geeignet, das Gesetz etwas n\u00e4her kennen zu lernen, nach welchem sich die Wirksamkeit derselben Stromesschwankung bei verschiedener, bereits im Nerven herrschender Stromdichte richtet. Eine Vervollkommnung meines Versuches durch Herrn Pfl\u00fcger leistet dies bis zu einem gewissen Grade. Ihm kam der gl\u00fcckliche Umstand zu statten', dass ihm das von du Bois-Reymond erfundene Rheochord behufs mannigfaltiger Abstufung der Stromdichte im Nerven zu Gebote stand. Indem er in dieses den Nerven und die secund\u00e4re Rolle des Inductionskreises aufnahm, so erweiterte er meine Beobachtung dahin, dass er zeigte, wie dieselbe Stromesschwankung bei der Stromdichte Null im Nerven keine Zuckung, bei zunehmender dagegen eine solche und bei noch weiter wachsender wieder eine schw\u00e4chere oder gar keine erzeugt, dass also mit anderen Worten eine sich gleich bleibende Stromesschwankung in Bezug auf die absolute Stromdichte ein Maximum hat. Pfl\u00fcger**) hat f\u00fcr dieses Verhalten die folgende Erkl\u00e4rung gegeben. Es wird in einem sp\u00e4teren Abschnitt gezeigt werden, dass, wenn ein constanter Strom einen motorischen Nerven durchzieht, die Erregbarkeit des Nerven sowohl zwischen, als ausserhalb der Elec-troden ge\u00e4ndert wird, und dass diese Ver\u00e4nderung der Erregbarkeit wesentlich von der Stromdichte abh\u00e4ngig ist. Ist diese gering, so befindet sich erfahrungsgem\u00e4ss die zwischen den Electroden eingeschlossene Strecke fast ihrer ganzen L\u00e4nge nach im Zustande erh\u00f6hter und nur ein verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kleiner Theil im Zustande verminderter Erregbar-\n*) Meine Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Physiologie, I. Giessen 1858, S. 28.\n**) Untersuchungen \u00fcber die Physiologie des Electrotonus, S. 394.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"91\nkeit. Mit wachsender Stromdichte nimmt der letztere Theil immer mehr an L\u00e4iige zu, so dass bei hohen im Nerven herrschenden Stromdichten fast die ganze intrapolare Strecke sich im Zustande verminderter und nur noch ein kleiner Theil im Zustande erh\u00f6hter Erregbarkeit befindet So kommt es dann, dass eine bestimmte Stromesschwankung einen sehr verschiedenen Effect je nach der bereits im Nerven herrschenden Stromdichte zur Folge hat. du Bois-Reymond *) aber hat endlich darauf aufmerksam gemacht, dass mit dieser Erkl\u00e4rung die in Rede stehende Erscheinung noch nicht vollst\u00e4ndig zergliedert sei. ln der That, da die Erregung eines Nerven, f\u00fcr deren St\u00e4rke uns die Muskelzuckung ein ungef\u00e4hres Maass abgiebt, von zwei Factoren : der Gr\u00f6sse der Erregbarkeit und der Gr\u00f6sse des Reizes abh\u00e4ngt, und weiter die erstere eine Function der Stromesdichte ist; so w\u00e4re m\u00f6glich, dass sich auch noch der Reiz, der in dem Uebergang von einer Stromesdichte zur anderen liegt, als abh\u00e4ngig von der Stromdichte erwiese. Ueber diesen Punkt liegen bis jetzt keine Erfahrungen vor und es kann daher einstweilen keine vollkommen gen\u00fcgende Erkl\u00e4rung von der Thatsache gegeben werden, dass dieselbe physikalisch gleiche Stromesschwankung in Bezug auf die Erregung motorischer Nerven von verschiedenem Erfolge begleitet ist, je nachdem dieselbe zwischen verschieden hohen Stromesdichten stattfindet.\nDas allgemeine Gesetz der Nervenerregung, sowie der soeben behandelte Zusatz desselben lassen sich mit Hilfe des von du Bois-Rey-mond **) erfundenen Schwanlcungsrheochords zeigen. Um die Anzahl der Abbildungen nicht zu \u00fcbertreiben, habe ich keine Abbildung von diesem Instrumente anfertigen lassen, hoffend, dass auch ohne eine solche das Princip desselben durch die folgende Beschreibung sich werde ein-sehen lassen. Man denke sich zwei messingene St\u00fccke auf einem Brete etwa in der Entfernung von 40cm befestigt. Jeder ist mit einem sehr dicken, kupfernen Drahtst\u00fcck versehen, um Verbindungen desselben mit anderen Instrumenten und einer Kette herzustellen. Zwischen beiden ist der L\u00e4nge nach ein d\u00fcnner Eisendraht von circa 0,2mm Dicke ausgespannt. Derselbe geht durch einen mit Quecksilber gef\u00fcllten Stahl-cylinder, der sich mit Hilfe eines an zwei besonderen, starken F\u00fchrungsdr\u00e4hten gehenden Schlittens von einem Messingst\u00fcck zum anderen verschieben l\u00e4sst. Diese Verschiebung l\u00e4sst sich mit grosser Schnelligkeit\n*) Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen zu physiologischen Zwecken. Aus den Abh. der k. Academie d. Wissenschaften zu Berlin. 1863. S. 137.\n**) Ebendaselbst, S. 131.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nund zwar dadurch ausf\u00fchren, dass der Schlitten mit einem stark angespannten Caoutschucschlauche in Verbindung ist, welcher, wenn die spannende Ursache aufgehoben wird, seine nat\u00fcrliche L\u00e4nge annimmt und beim Uebergang zu dieser den Schlitten von einem Messingst\u00fcck zum anderen f\u00fchrt. Der Quecksilbercylinder ist mit einem l\u00e4ngeren, sehr d\u00fcnnen biegsamen Drahte in Verbindung, dessen freies Ende zu dem zu reizenden Nerven f\u00fchrt. Um nun eine Vorstellung davon zu erhalten, wie man eine positive Stromesschwankung mittelst dieser Vorrichtung einen Nerven durchsetzen lassen kann, denke man sich weiter folgende Anordnung. Der Pol einer Kette f\u00fchre zu einem gew\u00f6hnlichen Rheo chord, dessen Schieber auf Null steht. Dieses selbst sei verkn\u00fcpft einerseits mit einem Messingst\u00fcck des Schwankungsrheoehordes, andererseits mit einem Draht, welcher zu demselben Nerven geht, wohin sich auch der vom Cylinder des Schwankungsrheoehordes kommende d\u00fcnne Draht begiebt. Der Quecksilbercylinder des Schwankungsrheoehordes stehe bei angespanntem Caoutschucschlauche demjenigen Messingsst\u00fccke an, mit welchem das gew\u00f6hnliche Rheochord verkn\u00fcpft ist. Der andere Pol der Kette sei mit dem zweiten Messingst\u00fcck des Schwankungsrheoehordes verbunden. Dann findet folgender Stromlauf statt. Von der Kette durch das gew\u00f6hnliche Rheochord zum einen Messingst\u00fcck und dem ihm anliegenden Quecksilbercylinder des Schwankungsrheoehordes durch den Eisendraht des letzteren zum anderen Messingst\u00fcck und von da zur Kette zur\u00fcck. Ausserdem existirt ein Nebenweg, welcher vom gew\u00f6hnlichen Rheochord zum Nerven und von da zum Schlitten des Schwankungs-rheoebordes f\u00fchrt. Auf letzterem wird bei dieser Anordnung kein merklicher Stromzweig gehen. Wird jetzt der spannende Caoutschucschlauch losgelassen, f\u00e4hrt also der Cylinder gegen das andere Messingst\u00fcck, so wird w\u00e4hrend dieser kurzen Zeit in die erste der beschriebenen Strombahnen die Eisensaite des Schwankungsrheoehordes dergestalt nach und nach als Widerstand eingef\u00fchrt, dass in der den Nerven enthaltenden Nebenbahn in derselben Zeit der Strom entsprechend anwachsen muss; es ist im Nerven eine von Null ausgehende positive Schwankung hergestellt. Wiederholt man den Versuch in der Art, dass man wachsende Widerst\u00e4nde des gew\u00f6hnlichen Rheochordes cinf\u00fchrt, so kreisen im Nervenkreise entsprechende Str\u00f6me, wenn der Cylinder die Stellung erh\u00e4lt, welche ihm bei gespanntem Schlauche zukommt; bei der Frei-gebung der Spannung des letzteren w\u00e4chst die Stromst\u00e4rke im Nervenkreis wie vorher, man hat dieselbe Stromesschwankung in derselben Zeit, nur mit dem Unterschiede, dass sie jetzt jedesmal von gewissen, schon im Nerven herrschenden Stromst\u00e4rken ausging. Will man eine negative Schwankung herstellen, so muss man das H\u00fclfsrheochord ausser mit dem","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"93\nNerven mit dem anderen Messingst\u00fcck des Schwankungsrheochordes verbinden. Dann geht bei der Stellung des Cylinders, welche dem gespannten Schlauche entspricht, durch den Nerven schon ein Strom einer gewissen Dichte, da die Bahn, zu welcher die Nervenbahn Nebenschliessung ist, den Eisendraht als Widerstand enth\u00e4lt. Wird der Schlitten frei gegeben, so wird dieser Widerstand ausgeschaltet, die Stromst\u00e4rke nimmt in dieser Bahn zu, folglich die Dichte im Nerven ab. Entfaltet man nach und nach die Widerst\u00e4nde des Rheochords, so findet durch die Bewegung, des Schlittens stets dieselbe Stromesschwankung, jedoch zwischen anderen Stromdichten, statt.\nDas allgemeine Gesetz der electrischen Nervenerregung bietet zwei Ausnahmen. Die erstere zeigt sich, wenn die Stromdichte im Nerven ausnehmend gross wird. Dann n\u00e4mlich erscheinen auch Zuckungen w\u00e4hrend des Geschlossenseins der Kette. Sie haben ihren Grund zum Theil in den kleinen Unbest\u00e4ndigkeiten, denen Ketten von gr\u00f6sserer Gliederanzahl leicht unterworfen sind, zum Theil in den chemischen und thermischen Zerst\u00f6rungen, welche unter diesen Umst\u00e4nden die Nerven-substanz ergreifen. Diese Ausnahme ist daher nur eine scheinbare. Die andere wird im Gegensatz hierzu bei Anwendung sehr geringer Stromdichten beobachtet und besteht gleichfalls in Zuckungen des Muskels w\u00e4hrend des Schlusses der Kette durch den Nerven. Man kann sich leicht davon \u00fcberzeugen, dass sie auch dann auftreten, wenn alle Unbest\u00e4ndigkeiten der Kette ausgeschlossen sind. Letzteres geschieht durch die Anwendung feiner strompr\u00fcfender Messwerkzeuge und nicht polari-sirbarer Electroden, also von Vorrichtungen etwa der Art, wie eine oben S. 87 beschrieben worden ist. Die f\u00fcr den Versuch noth wendigen, geringen Stromdichten werden durch Anwendung des Rheochords und Ketten von geringer electromotorischer Kraft beschafft. Bei n\u00e4herer Untersuchung mit diesen Mitteln ergiebt sich weiter, dass Stromst\u00e4rken von der Ordnung des Muskelstromes als die niedrigsten zu betrachten sind, bei denen man Zuckungen w\u00e4hrend der Dauer des Geschlossenseins der Kette zu gew\u00e4rtigen hat. Werden die Stromdichten etwas st\u00e4rker gew\u00e4hlt, so verst\u00e4rkt sich der Tetanus, nimmt aber bei allm\u00e4hlicher Steigerung wieder ab und verschwindet bald g\u00e4nzlich. Diese Wirkungen wachsen mit der L\u00e4nge der durchflossenen Nervenstrecke und werden leichter durch den auf- als durch den abst\u00e9igendzn Strom erzeugt. Auch diese Erfahrungen widersprechen dem allgemeinen G esetze der electrischen Erregung motorischer Nerven nicht. Der galvanische Strom \u00dcbt in dem von ihm durchflossenen Nerven fortw\u00e4hrend translatorische und chemische Wirkungen aus, die als Reize zu betrachten sind, welche entsprechend den S. 99 zu machenden Bemerkungen auf","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 94\neinen Nerven wirken , dessen Erregbarkeit ungew\u00f6hnlich gesteigert ist. *)\nWir d\u00fcrfen die electrische Reizung nicht verlassen, bevor wir nicht noch eine Anzahl von Einzelheiten untersucht haben, welche mit dem allgemeinen Gesetze dieser Reizung Zusammenh\u00e4ngen. Diese betreffen folgende Punkte :\n1.\tdas Maximum der Zuckung. Unser allgemeines Gesetz der Reizung sagt, dass die Anregung zur Bewegung um so gr\u00f6sser sei, je gr\u00f6sser die Stromesschwankung ausfalle. Dies hat indess seine Grenzen. Von einem gewissen Punkte an hat, selbstverst\u00e4ndlich unter \u00fcbrigens gleichen Umst\u00e4nden, eine Vergr\u00f6sserung der Stromesschwankung keine Verst\u00e4rkung der Zuckung mehr zur Folge, die letztere hat bei jenem Punkte ihr Maximum. Wir werden im Folgenden Gelegenheit haben, auf die Umst\u00e4nde aufmerksam zu machen, durch welche das einer gewissen Reizungsart entsprechende Maximum der Zuckung noch verst\u00e4rkt werden kann;\n2.\tden Einfluss der Dauer des electrischen Stromes auf die St\u00e4rke der Zuckung. Die dem allgemeinen Gesetze der electrischen Nervenerregung gegebene Formulirung schliesst den Einfluss der Dauer des electrischen Stromes aus. Man stellt sich dabei vor, dass die Beweglichkeit der Nervenmolek\u00fcle so gross sei, dass diese mit der Herstellung und dem Verschwinden des electrischen Stromes in demselben Augenblicke auch diejenigen Ver\u00e4nderungen ann\u00e4hmen, welche ihnen unter dem Einfl\u00fcsse desselben zuk\u00e4men, dass sie, um mich mit du Bois auszudr\u00fccken, mit einem unendlich geringen Tr\u00e4gheitsmoment begabt seien. In neuerer Zeit aber sind durch Fick**) Versuche bekannt geworden, welche dar-thun, dass sich dieser Punkt nicht ganz so verhalte. Sie deuten vielmehr darauf hin, dass beim Schluss einer Kette die Gr\u00f6sse der Zuckung des Muskels nicht allein abh\u00e4ngig ist von der Gr\u00f6sse der Dichtigkeitsschwankung in der Zeiteinheit, sondern auch noch von einem gewissen, wenn auch kleinen Zeitmoment, w\u00e4hrend dessen der Strom nach dem Kettenschluss andauert und dass eben so bei der Oetfnung die dieser negativen Stromesschwankung entsprechende Zuckung in ihrer St\u00e4rke mitbedingt wird durch die Zeit w\u00e4hrend welcher der Strom vor der wirklichen Oetfnung der Kette im Nerven floss. Fick glaubt durch\n*) Die Entdeckung dieser Wirkung schwacher galvanischer Str\u00f6me verdankt man Pfl\u00fcger, lieber die tetanisirende Wirkung des constanten Stromes und das allgemeine Gesetz der Reizung. Virchow\u2019s Archiv f\u00fcr pathologische Anatomie, Bd. XIII, S. 437.\n**) Beitr\u00e4ge zur vergleichenden Physiologie der irritabeln Substanzen. Braunschweig 1863 und Untersuchungen \u00fcber electrische Nervenreizung. Braunschweig 1864.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"95\nseine Versuche als Grenz worth f\u00fcr jene einflussreiche Zeit vorl\u00e4ufig etwa 0.001 Sec. festsetzen zu k\u00f6nnen; so dass also bei Schluss und Oeffnung bei gleicher Dichtigkeitsschwankung die Zuckung noch verschieden stark ausfallen k\u00f6nne, je nachdem der Strom noch verschieden lang innerhalb des erw\u00e4hnten Zeitwerthes andaure, dagegen keinen Zuwachs mehr erfahren w\u00fcrde, wenn Uber diese Zeit hin die Kette geschlossen gehalten w\u00fcrde. Wir stehen einstweilen von der Mittheilung der Methode ab, da dieselbe noch einer Verbesserung, n\u00e4mlich des Nachweises bedarf, dass sich auch wirklich der electrische Strom in den gebrauchten Leitungen in voller St\u00e4rke in demjenigen Zeitmomente herstellte, f\u00fcr welchen es angenommen wird, dass also wirklich in jener f\u00fcr die Zuckung einflussreichen Zeit von 0,001 Sec. der Strom selbst nicht mehr anstieg, sondern vor ihr wirklich seinen constanten Werth bereits erreicht hatte.\n3. den Einfluss der Stromesrichtung. Schon sehr fr\u00fche ist bemerkt worden, dass Schliessung und Oeffnung derselben Kette durch dasselbe Nervenst\u00fcck von einem verschiedenen Erfolg begleitet ist, je nachdem der Strom ab- oder aufsteigend *) im Nerven fliesst. Dieser Urterschied macht sich auf allen Stufen der Erregbarkeit geltend. Nach du Bois-Reymond\u2019s Vorschlag wird in der heutigen Nervenphysiologie die Summe der hierher geh\u00f6rigen Erscheinungen das Gesetz der Zuckungen genannt. Die erste Entdeckung eines Theils der in dies Gebiet schlagenden Thatsachen geb\u00fchrt Pfaff **) Die seinen Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand folgenden sind verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zahlreich, aber die erhaltenen Resultate wenig in Uebereinstimmung. Die Gr\u00fcnde daf\u00fcr lassen sich lefcht \u00fcberblicken. Abgesehen von der gr\u00f6sseren oder geringeren Genauigkeit, mit der verschiedene Forscher arbeiten, kommt in Betracht, dass erstens in die fr\u00fcheren Versuche die Polarisationserscheinungen vielfach st\u00f6rend eingegriffen haben und daher erst von der Zeit der Einf\u00fchrung nicht polarisirbarer Electroden sich die besseren Untersuchungen datiren; dass zweitens die Erregbarkeit des Nerven zu verschiedenen Zeiten nach dem Tode ver\u00e4nderlich befunden wird, und dass nach neueren Forschungen es allen Anschein hat, dass diese Erregbarkeitsver\u00e4nderung nicht auf allen Punkten der L\u00e4nge des Nerven gleich\n*) Man nennt den Strom absteigend, wenn er an einem dem R\u00fcckenmarksende des Nerven n\u00e4her gelegenen Punkte ein und an einem entfernter davon liegenden wieder austritt, auf steigend, wenn das Umgekehrte stattfindet. Bisweilen wird nach Nobili auch die erstere Richtung courant direct, letztere courant inverse genannt. Die deutschen Benennungen werden vorgezogen, weil die franz\u00f6sischen f\u00fcr die Bewegungs- und Sinnesnerven nicht gleich gut brauchbar sind.\n**) Abhandlung \u00fcber die sogenannte thierische Electricit\u00e4t. Gr en\u2019s Journal der Physik. Jahr 1774, S. 196.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\ngross ist und dass endlich viertens die Erregbarkeit betr\u00e4chtliche Ver\u00e4nderungen durch die Application der electrischen Reize selbst erf\u00e4hrt. Ich gebe daher einstweilen \u00fcber diesen Punkt nur diejenigen Thatsachen, von denen ich glaube, dass f\u00fcr sie sp\u00e4ter kein Widerruf nothwendig sein wird, selbst wenn sie unvollkommen sein sollten. Leitet man durch einen frischen unverletzten Nerven schwache electrisclie Str\u00f6me, so erh\u00e4lt man stets Schliessungs- nie Oeffnungsmckung des Muskels, der Strom mag ab- oder aufw\u00e4rts im Nerven fliessen. Dieses Factum ist in den letzten Jahren von Rosenthal*), Pfl\u00fcger**) und Schiff***) \u00fcbereinstimmend gefunden worden. Bei Steigerung der Stromst\u00e4rke erh\u00e4lt man unter Anwendung .derselben Nerven f\u00fcr jede Stromesrichtung Schliessungs- und Oejfnungszuckung, wobei f\u00fcr den absteigenden Strom gew\u00f6hnlich die erstere die st\u00e4rkere, die letztere die schw\u00e4chere ist und f\u00fcr den aufsteigenden Strom es sich umgekehrt verh\u00e4lt. Werden noch st\u00e4rkere Stromkr\u00e4fte in Anwendung gesetzt, so wird f\u00fcr den absteigenden Strom die Oeffnungszuckung immer schw\u00e4cher, bis sie zuletzt g\u00e4nzlich verschwindet. F\u00fcr den aufsteigenden Strom trifft diese Bemerkung die Schliessungszuckung. Ein starker absteigender Strom liefert also nur noch eine Schliessungs-, ein starker aufsteigender nur noch eine Oeffnungs-zuckung 'j\"). Es sind zwar bez\u00fcglich der beiden letzteren Stromesst\u00e4rken nicht die Angaben aller Forscher in Uebereinstimmung ; aber die Mehrzahl derselben d\u00fcrfte sich wohl jetzt, namentlich seit Pfl\u00fcger\u2019s Pr\u00fcfung, f\u00fcr die Richtigkeit dieser Angaben entscheiden. Das Gesetz der Zuckungen w\u00fcrde also f\u00fcr den frischen Nerven tabellarisch so aussehen :\nStromst\u00e4rke\taufsteigende\t\tabsteigende\n\tStromesrichtung\t\tStromesrichtung\nschwache\ts\tZuckung\tZuckung\n\t0\tRuhe\tRuhe\nmittelstarke\ts\tZuckung\tZuckung\n\t0\tZuckung\tZuckung\nstarke\ts\tRuhe\tZuckung\n\t0\tZuckung\tRuhe.\nEbenso zeigt sich der Unterschied beider Stromesrichtungen anderen Stufen der Erregbarkeit. Bezold und Rosenthal geben\nauf\nan,\nA. v. Bezold und J. Rosenthal: Ueber das Gesetz der Zuckungen. Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie von Reichert und du Bois-Reymond. Jahrg. 1859, S. 131.\t'\n**) Ueber die Ursache des Oeffnungstetanus. Ebendaselbst S. 133.\n***) Ueber Modification der Erregbarkeit durch electrische Reizung. Froriep\u2019s neue Notizen, Bd. III, 1858, Nr. 14 und in seinem Lehrbuche, f) 1. c. S. 133.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"97\ndar\u00fcber Folgendes ausgemittelt zu haben. Bei denselben schwachen Str\u00f6men, welche in aufsteigender Richtung am frischen Nerven nur Schliessungszuckung geben, beobachtet man nach einiger Zeit Schliessungs: und Oeflnungszuckung und auf noch sp\u00e4teren Stadien nur Oeflnungszuckung; dagegen bei denen, welche in absteigender Richtung am unverletzten Nerven gleichfalls nur Schliessungszuckung sehen lassen, nach einiger Zeit Schliessungs- und Oeflnungszuckung und sp\u00e4ter wiederum nur Schliessungszuckung *).\nMit der Untersuchung der verschiedenen St\u00e4rken der Zuckungen als abh\u00e4ngig von der Stromesrichtung auf verschiedenen Stufen der Erregbarkeit haben sich ausser Pf a ff seit den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zur neueren Zeit herauf zahlreiche Forscher besch\u00e4ftigt. Unter den \u00e4lteren ragen besonders Ritter (1797\u2014 1805) und Nobili (1829) hervor. Man spricht desshalb wohl h\u00e4ufig von dem Ritter-No bi li\u2019sehen Zuckungsgesetz. Streng genommen ist darunter die Ge-sammtheit ihrer Angaben \u00fcber die St\u00e4rken der Zuckungen bei verschiedenen Stromesrichtungen auf verschiedenen Stufen der Erregbarkeit zu verstehen **). H\u00e4ufig greift man jedoch unter diesem Namen nur vorzugsweise die Erscheinungen heraus, welche sich bei Anwendung von Str\u00f6men mittlerer St\u00e4rke und frischen Nerv-Muskelpr\u00e4paraten zeigen, unter welchen Umst\u00e4nden in der Regel beide Zuckungen von den St\u00e4rken auftreten, wie es vorher angegeben wurde.\n4. den Einfluss der Zeit, zu welcher nach der Trennung des Nerven vom Organismus die Reizversuche angestellt werden. Schon unter der vorigen Nummer wurde angef\u00fchrt, dass die Schliessungen und Oeffnun-gen verschiedener Richtungen constanter Str\u00f6m! durch Nerven zu verschiedenen Zeiten nach dem Tode des Thieres einen verschiedenen Effect zur Folge haben. Diese Erregbarkeitsver\u00e4nderungen hat man nun noch weiter auf die Weise studirt, dass man sich als Reizungsmittel der In-ductionsstr\u00f6me bediente. Man hat dabei den Vortheil, die Gr\u00f6ssen der auftretenden Zuckungen sch\u00e4rfer zu bestimmen und so verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kleinere Ver\u00e4nderungen in der Erregbarkeit aufzufassen. Die Untersuchungen \u00fcber diesen Punkt geh\u00f6ren indess mit zu den difficilsten im ganzen Gebiete der Nervenreizung.\nOhne Weiteres ist klar, dass bei diesen Versuchen solche Inductions-str\u00f6me angewendet werden m\u00fcssen, welche das Maximum der Erregung\n*) v. Bezold und Rosenthai, 1. c.\n**) Man sehe dieselben tabellarisch zusammengestellt bei du Bois-Reymond: Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t, Bd. I, S. 319 u. 364.\nEckhard, Nervenphysiologie.\n7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nliefern, da in den vielen Versuchen, welche bei dieser Gelegenheit angestellt werden m\u00fcssen, f\u00fcr schw\u00e4chere Inductionsstr\u00f6me man nicht f\u00fcr alle ohne besondere Pr\u00fcfungen die Garantie haben k\u00f6nnte, dass sie von derselben physiologischen Wirkung w\u00e4ren. Um derartige Inductionsstr\u00f6me zu gewinnen, thut man am besten durch Pr\u00e4liminarversuche an einem Nerven, den man zur Untersuchung zu w\u00e4hlen gedenkt, die St\u00e4rke zu ermitteln, bei welcher das Maximum der Zuckung eintritt und dann zur Vorsicht noch etwas dar\u00fcber hinauszugehen. Pr\u00fcft man nun mit solchen irgend eine beliebige Stelle des Nerven in auf einander folgenden Zeiten, so ergiebt sich, dass die Zuckungen troz der Anwendung eines und desselben Inductionsstromes zu verschiedenen Zeiten verschieden stark ausfallen und zwar, wie Munk *) ausgemittelt hat, der Art, dass in der ersten Zeit die Erregbarkeit zunimmt und dann allm\u00e4hlich absinkt. Die Zeit der Zunahme ist nat\u00fcrlich \u2022 f\u00fcr die verschiedenen Nerven sehr verschieden. In den zahlreichen von Munk dar\u00fcber angestellten Versuchen fand das Steigen der Erregbarkeit bis w\u00e4hrend 50 Sec. statt. Wie bereits erw\u00e4hnt, findet dieses Wachsen und diese Abnahme der Erregbarkeit an jeder Stelle des Nerven, welche man auch zur Pr\u00fcfung w\u00e4hlen mag, statt, aber die Art und Weise, wie sich Beides in der Zeit macht, ist nicht f\u00fcr alle Punkte des Nerven die gleiche. Nach der Angabe des citirten Forschers sollen anfangs die Erregungsmaxima zu derselben Zeit s\u00e4mmtlich gleich sein, in der Folge aber wird vom Querschnitt des Nerven aus gegen den Muskel hin ein Punkt nach dem anderen dergestalt ver\u00e4ndert, dass sein Erregungsmaximum kleiner wird als die aller \u00fcbrigen, f\u00fcr welche es aber zu derselben Zeit noch von gleicher Gr\u00f6sse ist. Was die tieferen Ursachen dieses Verhaltens des Nerven anlangt, so ist ermittelt worden, dass sie sich wesentlich auf zwei reduciren : den k\u00fcnstlich angelegten Querschnitt des Nerven und die Temperaturver\u00e4nderung, welcher die Nerven bei ihrer Herausnahme aus dem K\u00f6rper und ihre Ueberf\u00fchrung in das in der Regel w\u00e4rmere Beobachtungszimmer erfahren. Von dem letzteren Umstande h\u00e4ngt die Erh\u00f6hung des Erregungsmaximums in den ersten Zeitabschnitten ab. Der angelegte Querschnitt des Nerven dagegen hat zur Folge, dass von ihm aus das Erregungsmaximum zu sinken beginnt, so dass also ihm n\u00e4her gelegene Punkte fr\u00fcher an Reizbarkeit abnehmen, als ihm ferner liegende. Dies ergiebt sich daraus, dass das Sinken des Erregungsmaximus an einem Punkte des Nerven durch Anlegen eines neuen Querschnittes in seiner unmittelbaren N\u00e4he noch mehr beschleunigt wird, so\n*) Untersuchungen \u00fcber die Leitung der Erregung im Nerven. Archiv von Rei chert und du Bois-Reymond. 1861. S. 425.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"99 -\nwie aucli daraus, dass, wenn man einen, mit dem R\u00fcckenmark noch zusammenh\u00e4ngenden N. ischiadicus eines lebenden Frosches zu den beschriebenen Versuchen verwendet, dann an den oberen Stellen ein nicht so schnelles Sinken der Erregbarkeit beobachtet wird, als an getrennten Nerven. Als Grund dieser Wirkung des Querschnitts darf man wolil die von ihm aus beginnende und allm\u00e4hlich abw\u00e4rts vorschreitende Zersetzung des Nerven ansehen, die bei diesem h\u00f6chst wahrscheinlich ebenso, wie beim Muskel in einer S\u00e4urebildung besteht, von welcher du Bois-Reymond f\u00fcr den Muskel nachgewiesen hat, dass sie von Querschnitten aus sich leichter als von anderen Stellen aus entfaltet. Die allgemeine Abnahme der Erregbarkeit des Nerven von seinem R\u00fcckenmarksende, vom Centrum nach der Peripherie hin, ist schon fr\u00fcher beobachtet worden. Valli bemerkte zuerst, dass, wenn von einer gewissen Stelle des Nerven durch eine gewisse Metallcombination keine Zuckung mehr erhalten werden kann, diess wieder m\u00f6glich sei, sobald man vom Nerven aus weiter nacb dem Muskel hin r\u00fccke. Man nennt desshalb auch diesen Modus des Absterbens des Nerven das Valli\u2019sehe Gesetz.\n5.\tden Einfluss des Ortes, wo der Reis am Nerven angreift. Nach der soeben gemachten Mittheilung sollte man erwarten, dass sich nach der Trennung des Nerven vom K\u00f6rper w\u00e4hrend des Sinkens dieser Erregbarkeit alle Stellen desselben gleich verhalten, dass von oben nach unten einer nach dem andern in seiner Erregbarkeit bis zum g\u00e4nzlichen Absterben abnehme. In Wirklichkeit ist dies nun aber nicht der Fall, sondern an jedem Nerven giebt es gewisse Punkte, in deren n\u00e4chsten N\u00e4hen auf- und abw\u00e4rts von einer gewissen Zeit an die Erregbarkeit rascher als an anderen Stellen sinkt, so dass Inductionsstr\u00f6me von einer gewissen St\u00e4rke an den genannten Orten dann keine Zuckungen mehr ausl\u00f6sen, w\u00e4hrend dieselben an anderen sich noch wirksam erweisen. Am Nervus ischiadicus des Frosches, an welchem diese Verh\u00e4ltnisse am sorgf\u00e4ltigsten studirt worden sind *), finden sich zwei solcher ausgezeichneter Stellen, von denen die eine an der Abgangsstelle des st\u00e4rksten Oberschenkelastes, die andere an der Theilungsstclle des Nerven in die beiden f\u00fcr den Unterschenkel bestimmten Aeste liegt.\n6.\tdie Stellung der Electroden. Schon zu den ersten Zeilen des Galvanismus wurden Versuche bekannt, welche im Allgemeinen die geringe Wirksamkeit der senkrecht zur L\u00e4ngsaxe des Nerven gestellten strnndeitenden Electroden andeuteten. Schon Gal van i hat, um dies\nVon\n*) Munk: Untersuchungen \u00fcber die Leitung der Erregung irn Nerven. Reichert und du Bois-Reymond 1862 S. 1 ff.\n7 *\nArchiv","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nzu zeigen, in dieser Beziehung angerathen, in den Kreis einer Kette einen mit Wasser oder einer thierischen Fl\u00fcssigkeit befeuchteten Faden einzuschalten und \u00fcber diesen den Nerven in senkrechter Richtung zu legen. Doch bleiben selbst bei dieser g\u00fcnstigen Anoidnung die Zuckungen nur bei schwachen Stromst\u00e4rken aus; sie stellen sich bei st\u00e4rkern sofort und wahrscheinlich desshalb ein, weil dann verschiedene, hinreichend starke Partialstr\u00f6me ein St\u00fcck des Nerven auf- oder absteigend durch-fliessen. Sp\u00e4tere Versuche haben diesen Einfluss der Stellung der Electro-den auf die St\u00e4rke der Zuckung best\u00e4tigt.\n7.\tdie L\u00e4nge der erregten Strecke. Ueber diesen Punkt ist zur Zeit nicht mehr, als die nackte Thatsache bekannt, dass die L\u00e4nge der erregten Strecke einen beg\u00fcnstigenden Einfluss auf die St\u00e4rke der Zuckung, aus\u00fcbt; es bedarf daher derselbe einer besonderen Untersuchung. Harless *) hat zwar in neuerer Zeit diesen Gegenstand zu bearbeiten gesucht ; es ist ihm aber nicht gelungen, dem Mitgetheilten Etwas Neues zuzuf\u00fcgen.\n8.\tdie besonderen Einwirkungen, welchen der Nerv w\u00e4hrend seiner Erregung unterworfen wird. Es ist von vorn herein zu erwarten, dass, wenn der Nerv, w\u00e4hrend er an einer beschr\u00e4nkten Stelle erregt wird, an den \u00fcbrigen Punkten seines Verlaufs besonderen Einwirkungen irgendwelcher Art unterliegt, dies wesentlich den Erfolg der Reizung mitbedingen wird. Von solchen Einwirkungen hat man bis jetzt vorzugsweise den electrischen Strom studirt, da er sich mehr, als irgend ein anderes Mittel zur localen Application auf den Nerven in jeder nur w\u00fcn-schenswerthen Weise eignet. Die Versuche \u00fcber diesen Gegenstand nehmen ihren Anfang mit Nobili **). Er beobachtete, dass Froschpr\u00e4parate, welche bisweilen ohne \u00e4ussere, nachweissbare Ursache in Zuckungen verfallen, sich beruhigen, wenn man einen electrischen Strom durch sie hindurchleitet. Ueber die Richtung der wirksamen Stromesrichtung sprach er sich jedoch nicht bestimmt aus. Matteucci ***) machte sp\u00e4ter dieselbe Beobachtung und schrieb beiden Stromesrichtungen beruhigende Wirkungen zu. Du Bois-Reymond f) sah ebenfalls, doch nur gelegentlich und nur beim aufsteigenden Strom, dieselbe Erscheinung. Auch Valentin ff) hat mehre, hierher geh\u00f6rige Wahrnehmungen\n*) Siehe dessen : Molecul\u00e4re Vorg\u00e4nge in der Nervensubstanz. II. Abth. Voruntersuchungen. M\u00fcnchen 1858.\n**) Ann. de chimie et de physique. Mai 1830 p. 60.\n***) Trait\u00e9 des ph\u00e9nom\u00e8nes \u00e9lectro-physiologiques des animaux, p. 270.\nf) Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t. Bd. I. p. 385. tt) Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Aufl. II. Bd. 2. Abth. S. 655.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"101\ngemacht. Sp\u00e4ter f\u00fchrte ich selbst den Gegenstand weiter *). Ich sonderte auf der L\u00e4nge des Nerven sch\u00e4rfer, als es bis dahin, etwa mit Ausnahme Valentin\u2019s, geschehen war, die s;u reizende Strecke von der vom constanten Strom, durchflossenen und stellte folgende S\u00e4tze fest: a) Ein durch einen motorischen Nerven gef\u00fchrter, eonstanter Strom kann auf einer ausserhalb der Electroden liegenden Strecke je nach Umst\u00e4nden die Erregbarkeit bald vermindern, bald erh\u00f6hen. Die Erh\u00f6hung der Erregbarbeit war bis dahin mit Sicherheit noch nicht beobachtet. Matt eue ci scheint dieselbe zwar vorgekommen zu sein, er ist aber in seinem Trait\u00e9, einem Buche, in welchem er die Endresultate seiner Untersuchungen zu jener Zeit niederlegte, nicht wieder darauf zur\u00fcckgekommen. Die Reizungen der Nerven f\u00fchrte ich chemisch und electrisch aus. b) Dass bei auf-steigender Stromesrichtung die Wirkung von Reizen oberhalb und unterhalb der vom Strom durchflossenen Strecke vermindert erscheine, c) Dass bei absteigender Richtung die Strecke \u00fcber die negative Electrode hinaus in ihrer Erregbarkeit erh\u00f6ht, die jenseits der positiven vermindert sei. Da ich bei absteigender Stromesrichtung jenseits der beiden Electroden entgegengesetzte Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit wahrnahm, so setzte ich mit R\u00fccksicht darauf, dass die Nerven sowohl nach dem Ort ihres Ursprungs, als nach der Richtung ihrer Ausbreitung nach dem Muskel hin, bez\u00fcglich der bekannten electrischen Erscheinungen des Electrotonus und der negativen Schwankung keinen Unterschied zeigen, auch f\u00fcr die aufsteigende Stromesrichtung jenseits der Electroden entgegengesetzte Effecte bez\u00fcglich der Erregbarkeitsver\u00e4nderungen voraus, obschon, wie bereits erw\u00e4hnt, mir hier der Nachweis erh\u00f6hter Erregbarkeit jenseits der negativen Electrode nicht gegl\u00fcckt war. Bei dem Studium dieser Erscheinungen hatte ich mich in verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig engen Stromesgrenzen bewegt; zu jener Zeit war das Rheochord noch kein bekanntes, den Physiologen leicht zug\u00e4ngliches Instrument. Pfl\u00fcger **) hatte das Gl\u00fcck, das Princip und die ersten Anf\u00e4nge desselben von du Bois-Reymond \u00fcbermittelt zu bekommen. Unter diesen g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden f\u00fchrte er die von mir angefangenen Untersuchungen weiter und f\u00fcgte Folgendes hinzu: a) Er bezeichnete den Zustand erh\u00f6hter Erregbarkeit mit dem Namen Katelectrotonus, den verringerter mit dem des Anelectrotonus, Ausdr\u00fccke, welche den bekannten Bezeichnungen (S. 26) f\u00fcr die Zersetzungserscheinungen durch den Strom entlehnt sind ; b) nannte er die zwischen den Electroden stattfindende Erregbarbeitsver\u00e4nderung, welcher ich keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt und daselbst nur\n*) Meine Beitr\u00e4ge. I. Bd. p. 25.\n**) Physiologie des Electrotonus.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nVerringerung der Erregbarkeit bemerkt hatte, den interpolaren Electrotonus, von welchem Pfl\u00fcgers Untersuchungen zufolge je nach der Stromst\u00e4rke ein gr\u00f6sserer oder geringerer Theil dem Katelectrotonus, ein anderer, analoger dem Anelectrotonus angeh\u00f6rt, c) Er zeigte und darin liegt der haupts\u00e4chlichste Fortschritt, dass die Gr\u00f6ssen der Erregungsver\u00e4nderungen durch die St\u00e4rken der constanten Str\u00f6me und die Entfernungen von den Electroden bedingt sind. Er wiess nach, dass der Katelectrotonus bei aufsteigender Stromesrichtung jenseits der negativen Electrode in n\u00e4chster N\u00e4he desselben am gr\u00f6ssten ist und von da abnimmt, und dass er weiter von der Stromst\u00e4rke in der Art sich abh\u00e4ngig zeigt, dass von m\u00f6glichst schwachen Str\u00f6men er allm\u00e4hlich w\u00e4chst, d. h. die Erregbarkeit zunimmt mit dem Wachsen der Stromst\u00e4rke, ein Maximum erreicht und dann wieder abnimmt, um bei noch st\u00e4rkern Str\u00f6men sogar sein Zeichen zu wechseln, d. h. in Verminderung der Erregbarkeit \u00fcberzugehen. Man sieht, dass mir in meinen eigenen Beobachtungen nur die letzte Form unter die H\u00e4nde gekommen war. Ferner best\u00e4tigte er f\u00fcr die genannte Stromrichtung den Anelectrotonus und wiess nach, dass er mit wachsender Stromst\u00e4rke ohne Zeichenwechsel zunimmt und in der N\u00e4he der Electrode gleichfalls am st\u00e4rksten ausgebildet ist. Weiter best\u00e4tigte er den extrapolaren Katelectrotonus und Anelectrotonus bei absteigender Stromesrichtung und lehrte von beiden ebenwohl deren Abnahme von den Electroden aus und ihre Zunahme mit der Zunahme des intrapolaren Bezirks kennen, d) Er untersuchte die intrapolare Strecke und gelangte zu dem Ergebnis, dass der Katelectrotonus um so weniger, der Anelectrotonus also um so weiter, in die intrapolare Strecke hineinragt, je st\u00e4rker der Strom ist. e) Endlich kam er noch durch Versuche und Ueberlegungen zu dem Satz, dass der Anelectrotonus, unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Stromst\u00e4rke nicht \u00fcberschritten wird, die Erregbarkeit zwar vermindere, aber die Fortpflanzung des an einer anderen Stelle erregten Innervationsvorganges nicht beeintr\u00e4chtige, dies also nur von einer gewissen Stromst\u00e4rke an thue, wohingegen der Katelectrotonus die Erregbarkeit erh\u00f6he und niemals, ohne irgend eine Grenze, die Fortpflanzung des Innervationsvorganges beeinflusse. Diesen Erfahrungen zufolge sprach er dann den Satz aus: Hineingerathen einer Nervenstrecke in den Katelectrotonus und Herausgerathen aus dem Anelectrotonus ist Reiz f\u00fcr den Nerven, ihre Gegens\u00e4tze dagegen sind kein Reiz.\nVon diesen Erfahrungen und dieser Theorie aus hat Pfl\u00fcger*) einen schon aus alten Zeiten den Physiologen \u00fcberkommenen Versuch,\n*) Pfl\u00fcger: Heber die Ursache des Oeffnungstetamis. M\u00fcller\u2019s Archiv 1859. S. 133.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"103\nden sogenannter Ritt ersehen Oeffnungs-Totanus analysirt. Ritter beobachtete n\u00e4mlich, dass, wenn Nerven l\u00e4ngere Zeit, eine Minute und l\u00e4nger, von aufsteigenden Str\u00f6men durchflossen worden sind, der Oeff-nung nicht eine einmalige Zuckung, sondern ein, k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Zeit andauernder, Tetanus folgt. Sp\u00e4ter hat man erkannt, dass dies nur bei sehr schwachen Str\u00f6men eintritt, dann aber auch bei absteigender Richtung beobachtet wird. H\u00e4lt man nun daran fest, dass das Verschwinden des Anelectrotonus Reiz sei, so muss, da selbstverst\u00e4ndlich der Oeffnungs-Totanus nur durch das Verschwinden jenes zuStande kommen kann, bei vorheriger aufsteigender Stromesrichtung der Tetanus beim Durchschneiden des Nerven zwischen den Electroden nicht schwinden, wohl aber, wenn vorher die absteigende Richtung angewendet worden war; denn im letzteren Fall wird die reizende, anelectrotonisirte Strecke entfernt. Die Erfahrung best\u00e4tigt dies.\n9. die besondern Einwirkungen, welchen man die Nerven unmittelbar vor der Application von Reizen aussetzt. Es l\u00e4sst sich erwarten, dass, wenn auf den Nerven irgend \u00e4ussere Einwirkungen geschehen, diese gewisse, l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit andauernde Ver\u00e4nderungen hervor-rufen, so dass in Folge des Fortbestehens derselben zur Zeit, w\u00e4hrend welcher man den Nerven reizt, das Resultat einer solchen Reizung, je nach der noch bestehenden Art und des noch bestehenden Grades der Ver\u00e4nderung, sehr verschieden ausf\u00e4llt. Bei der Anwendung chemischer Mittel hat man dies, wie wir bei der thermischen und chemischen Reizung der motorischen Nerven sehen werden, beobachtet. Besonders deutlich aber ist auch hier der Erfolg bei electrischen Einwirkungen. Jede electrische Einwirkung \u00e4ndert nach ihrem Aufh\u00f6ren f\u00fcr eine bestimmte Zeit die Erregbarkeit des Nerven. Man nennt diese Ver\u00e4nderungen seit langer Zeit die Modi\u00dfcationen der Erregbarkeit durch geschlossene Ketten. Die ersten Wahrnehmungen von Erscheinungen dieser Art reichen bis in das Ende des vorigen Jahrhunderts hinauf, zu welcher Zeit sie besonders von Ritter studirt worden sind. Seit jener Zeit sind sie vielfach wieder vorgenommen worden. Da wir hier keine Geschichte der Entdeckungen im Gebiete des Nervensystems geben, so \u00fcbergehen wir alle diese Bestrebungen und halten uns nur an diejenigen Kenntnisse, welche mit den besten, zur Zeit bekannten Untersuchungsmitteln erworben worden sind. Besonders nachtheilig griffen in die fr\u00fchem Versuche die polarisirbaren Electroden ein. Was mit H\u00fclfe unpolarisirbarer Electroden gewonnen worden ist, beschr\u00e4nkt sich der Hauptsache nach auf Folgendes: a) Als Pfl\u00fcger die unter der vorigen Nummer beschriebenen Erfahrungen machte, nahm er wahr, dass nach dem Verschwinden des Anelectrotonus noch f\u00fcr eine bestimmte","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nZeit die mit ihm behaftet gewesene Strecke im Zustande erh\u00f6hter Erregbarkeit verharrt, dass dagegen nach dem Verschwinden des Kat-electrotonus die Erregbarkeit der mit diesem behaftet gewesenen Strecke f\u00fcr sehr kurze Zeit herabgesetzt ist, dann sich aber f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit erh\u00f6ht, b) Verschieden von diesen Beobachtungen sind diejenigen, bei denen man die Erregbarkeit der gesammten interpolaren Nervenstrecke auf die Modificationen ihrer Erregbarkeit untersucht hat. Dies ist die h orm der Versuche, welche die altern Galvanisten sowohl, als auch sp\u00e4tere Forscher in der Regel gew\u00e4hlt haben. Man pr\u00fcfte ein Nervenst\u00fcck auf die St\u00e4rke seiner Schliessungs - und Oeffnungszuckung f\u00fcr eine jede Stromesrichtung, liess dann den Strom verschieden lange Zeit in einer bestimmten Richtung kreisen und untersuchte hierauf von Neuem das Verhalten der durchstr\u00f6mten Strecke beim Schluss und dem Oeffnen beider Stromesrichtungen. Da solche Versuche oft l\u00e4ngere Zeit in Anspruch nehmen, ist es, um nicht die Einfl\u00fcsse des Austrocknens auf die Erregbarkeit st\u00f6rend eingreifen zu lassen, unumg\u00e4nglich n\u00f6thig, die Pr\u00e4parate in die sogenannte feuchte Kammer einzuschliessen. Von Versuchen dieser Art mit unpolarisirbaren Electroden sind in gr\u00f6sserer Ausdehnung nur solche von Rosenthal*) bekannt geworden. Dieser stellt den allgemeinen Satz auf: Jeder constante Strom, welcher ein St\u00fcck von einem Nerven eine Zeit lang durchzieht, versetzt diesen Theil in einen Zustand, in welchem die Oeffnung dieses und der Schluss des entgegengesetzten Stromes eine heftige Bewegung ausf\u00fchrt; dagegen sind die Schliessung des ersteren und die Oeffnung des letzteren entweder unwirksam oder haben einen hemmenden Einfluss auf eine vorhandene Bewegung**). Je nach der St\u00e4rke und Dauer des Stromes aber sind die Erscheinungen von einander verschieden, obschon sie allerdings unter dem eben mitgetheilten Satze zusammenfassbar sind.\nF\u00fcr viele physiologische Zwecke ist es wichtig, in einem Muskel eine Reihe dicht gedr\u00e4ngter Zuckungen, Tetanus, auszul\u00f6sen. Man bedient sich dabei, wenn nicht ganz besondere Verh\u00e4ltnisse es verbieten, am zweckm\u00e4ssigsten der electrischen Reizung. Je nach den besonderen Umst\u00e4nden wendet man die folgenden Methoden an : Handelt es sich darum, innerhalb einer gewissen Zeit nur eine m\u00e4ssige Anzahl von Zuckungen auszul\u00f6sen, um etwa durch allm\u00e4hliche Vermehrung derselben die Verschmelzung der einzelnen Zuckungen zum Tetanus zu ver-\n*) Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift f\u00fcr rationelle Medicin. Dritte Reihe. Bd. IV. 1858. S. 117.\n) Der letztere Zusatz ist gemacht, um auch die F\u00e4lle des Ritte r\u2019schen Oeff-nungs-Tetanus mit unter dies Gesetz zu begreifen.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"105\nanschaulichen, so bedient man sich dazu zweckm\u00e4ssig des II a 1 s k e\u2019schen *) Stromunterbrechers. Derselbe ist in der folgenden Fig. im Aufriss dargestellt und arbeitet folgender-massen : H PI ist ein Hebel, der sich bei D um eine horizontale Axe dreht und von der St\u00fctze G getragen wird. Durch eine Spiralfeder F, die durch die Schraube T verschieden stark angespannt werden kann, wird der Hebelarm HI.) herunter und der D H hinaufgezogen. Bei dieser Stellung ber\u00fchrt der letztere die von der St\u00fctze p] getragene Schraube S. V er-bindet man nun P und N mit den \u2022 Polen eines Volta\u2019schen Elementes und l\u00e4sst S mit dem einen Ende der prim\u00e4ren Rolle eines In-ductionsapparates in Verbindung sein, dessen anderes zu dem Drahte f\u00fchrt, welcher einen Hufeisenmagnet umwickelt, von dem man im Aufriss nur den einen Schenkel sieht, so nimmt der Strom der Kette folgenden Lauf: Von D \u00fcber S nach der.prim\u00e4ren Rolle des In-ductionsapparates, den das Hufeisen umwickelnden Draht nach N und zur Kette zur\u00fcck. Auf dem Hebelarm D H ist noch eine kleine Feder nn angebracht, welche beim Aufsteigen ihres vorderen Endes an den Rand der Schraube m st\u00f6sst. Diese hat den Zweck, die Zeit des Oeffnens und Schliessens der prim\u00e4ren Kette zu verl\u00e4ngern. Denn wenn der Arm D H anf\u00e4ngt herunterzugehen, wird die Kette nicht sofort unterbrochen, sondern der Keltenschluss noch so lange unterhalten, bis die jetzt aufw\u00e4rts gehende Feder n n an den Rand der Schraube m st\u00f6sst; geht dagegen DH aufw\u00e4rts, so findet schon Kettenschluss statt, w\u00e4hrend die Feder vom Rande der Schraube m bis auf den Hebelarm heruntergedr\u00fcckt ist. Der f\u00fcr die Nervenphysiologie wichtige Punkt dieser Einrichtung besteht also darin, dass die Oeffnung der Kette nicht in dem Augenblick stattfindet, wenn die Plauptfeder ihre abw\u00e4rts gehende Bewegung antritt, sondern sp\u00e4ter und wenn sie ihre aufw\u00e4rtsgehende beginnt, der Schluss fr\u00fcher geschieht, als sie an dem Ende ihrer\n*) Poggendorff\u2019s Annalen Bd. XCVII. pag. 641.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nSchwingungsweite ankommt. Die beiden der Oeffnung und Schliessung entsprechenden Inductionsstr\u00f6me folgen daher schneller aufeinander, als die, welche der Schliessung und Oeffnung folgen, zwischen welche beiden ein betr\u00e4chtlicher, stromloser Zwischenraum f\u00e4llt. Den Zeitraum zwischen s\u00e4mmtlichen, aufeinander folgenden Str\u00f6men kann man aber auch noch l\u00e4nger machen, als in dem S. 40 beschriebenen Inductions-apparat, indem man die Hauptfeder mittels! der Spirale F ganz schwach spannt und den Contactstift S m\u00f6glichst hebt. Dann folgen die In-ductionsst\u00f6sse so langsam aufeinander, dass man die einzelnen Zuckungen noch von einander unterscheiden kann. Spannt man die Spirale F an und senkt man den Contactstift, so nimmt die Zahl der Zuckungen zu und es verfliessen letztere fr\u00fcher oder sp\u00e4ter zu einem Tetanus.\nSetzt man sich nur zum Zwecke, Tetanus des Muskels zu erregen, so wendet man einfach den einen oder den anderen der beiden oben beschriebenen Inductionsapparate an, wobei man sich nur erinnern muss, dass von den beschriebenen Formen der eine Wechselstr\u00f6me, der andere gleichgerichtete liefert.\nBeabsichtigt man endlich, die hohe Empfindlichkeit des Nerv-Muskelpr\u00e4parates gleichzeitig zum Nachweis der Existenz sehr schwacher-, inducirter Str\u00f6me zu benutzen, so kn\u00fcpft sich vorerst das eigentliche Interesse an die physikalische Vorrichtung an, welche die Inductionsstr\u00f6me liefern soll. Einen artigen, hierher geh\u00f6rigen Versuch hat Grossmann \u2022) beschrieben, welcher bisweilen kurz als acustischer Tetanus bezeichnet wird. Ein gut magnetischer Stahlstab wird in seiner Mitte in eine Zwinge eingeklemmt und auf einem Tische befestigt. Ueber das eine Ende wird eine Rolle mit hinl\u00e4nglich weiter Oeffnung und einigen tausend Windungen eines sehr feinen Drahtes gesteckt, dessen Enden zu Platinblechen f\u00fchren, \u00fcber welche man den Nerven des strompr\u00fcfenden Froschschenkels br\u00fcckt. Die andere H\u00e4lfte des Stabes wird mit einem Violinbogen angestrichen. Dann entsteht ein Ton, dessen H\u00f6he durch die Anzahl der Schwingungen bestimmt wird, welche eine Stabesh\u00e4lfte macht. Die in der Rolle schwingende Stababtheilung erzeugt in derselben inducirte Str\u00f6me und diese erzeugen, die Nerven durchsetzend, Tetanus des Muskels. \u2014 Man kann die Frage aufwerfen, ob die Erzeugung des Tetanus eine Grenze finde mit der zunehmenden Zahl der Inductionsstr\u00f6me, welche den Nerven in der Zeiteinheit durchziehen. Wir besitzen allerdings bereits Antworten auf dieselbe, aber wegen der\n*) Amtlicher Bericht \u00fcber die 52. Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte zu \"Wien. Wien 1858. S. 221.","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"107\nWichtigkeit der Folgerungen, die unter Umst\u00e4nden aus denselben zu ziehen sind, verdient dieser Gegenstand noch eine ausf\u00fchrliche Untersuchung. Die bisher gemachten Wahrnehmungen sind folgende : Du Bois- Reymond fand in einem Fall schon Ausbleiben des Tetanus bei 490 Unterbrechungen (in der Secunde) des prim\u00e4ren Stromes. Heidenhain*) hat dann weiter gefunden, dass das Ausbleiben des Tetanus bei hohen Unterbrechungszahlen eine Function der Stromesst\u00e4rke ist. So sah er bei schw\u00e4chern Str\u00f6men den Tetanus schon bei ohngef\u00e4hr 400 Unterbrechungen verschwinden, w\u00e4hrend bei st\u00e4rkern Str\u00f6men er beil\u00e4ufig bei 2800 derselben noch fortbestand. Harless **) fand ihn erst hei 10000 Unterbrechungen aufh\u00f6ren, ohne n\u00e4here Angaben \u00fcber die Stromst\u00e4rke zu machen. Grossmann sah ihn bei den vorher erw\u00e4hnten Versuchen verschwinden, sobald sich bei den Schwingungen des Magnetstabes Knotenpunkte bildeten, erkennbar an der schrillenden Erh\u00f6hung des Tones. Der Werth aller dieser Untersuchungen scheint jedoch an die Untersuchung einer physikalischen Vorfrage gekn\u00fcpft zu sein. Es ist n\u00e4mlich, bevor das erw\u00e4hnte Verschwinden des Tetanus auf eine Eigenschaft des Nerv-Muskelpr\u00e4parates mit Sicherheit bezogen werden kann, zu ermitteln, in welcher Abh\u00e4ngigkeit die Beschaffenheit der In-ductionsstr\u00f6me von der Schnelligkeit der Unterbrechung steht. So hat nicht allein Grossmann entwickelt, dass in seinen Versuchen beim Ausbleiben des Tetanus die Inductionsstr\u00f6me schw\u00e4cher wurden, sondern es haben auch besondere, von Thal\u00e9n ***) mit Voltainduction angestellte Versuche bereits das allgemeine, obschon allerdings nur rein qualitative Resultat ergeben, dass die Dauer der Inductionsstr\u00f6me mit der Schnelligkeit der Unterbrechung abnimmt.\nAn die gegebene Darstellung des Gesetzes der electrischen Reizung schliessen wir jetzt noch die ausf\u00fchrliche Betrachtung einiger eigenth\u00fcm-licher Reiz'ungsph\u00e4nomene an, welche theils ein gewisses theoretisches, theils ein bei manchen neurologischen Untersuchungen nicht unwichtiges, practisches Interesse bieten ; wir meinen n\u00e4mlich die unipolaren Inductions-zuckungen und die secundcire Zuckung vom Nerven aus.\nDie unipolaren Inductionszuckungen. In der Einleitung dieses Buches war davon die Rede, dass, damit die Stromschwankungen einer Kette\n*) Heidenhain: Studien des physiologischen Instituts in Breslau. 1. Heft. 1861. S. 64.\n**) Harless: Gelehrte Anzeigen der k. baierisehen Academie der Wissenschaften. 10. Juli 1857. Nr. 5. S. 47.\n***) Thal\u00e9n: Versuch, die verschiedene Dauer der Inductionsstr\u00f6me zu bestimmen. Poggendorff\u2019s Annalen Bd. CXII. S. 125.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\noder das Entstehen und Verschwinden von Magnetismus in Drahtspiralen electrische Vertheilungen erregen, die letzteren nicht geschlossen zu sein brauchen. Es entstehen, wenn alle die \u00fcbrigen Bedingungen der Induction gegeben sind, an den Enden offner Inductionsspiralen electrische Spannungen. Durch diese k\u00f6nnen unter sogleich zu er\u00f6rternden Umst\u00e4nden Zuckungen in rhcoscopischen Froschschenkeln erzeugt werden; sie sind es, welche man mit dem Namen der unipolaren Inductions-zvchwngen belegt hat. Man beobachtet dieselben auf folgende Weise: L\u00e4sst man die Enden des secund\u00e4ren Kreises in Platinbleche endigen und verkn\u00fcpft mit einem jeden derselben Nerv-Muskelpr\u00e4parate, etwa so, wie es die beistehende Figur darstellt, so erh\u00e4lt man, nachdem\n\u00b0\tder Inductionskreis mit den ge-\nnannten Pr\u00e4paraten sorgf\u00e4ltig isolirt worden ist, bei geh\u00f6riger St\u00e4rke der Vorrichtungen, w\u00e4hrend des Schliessens und Oeffnens der prim\u00e4ren Kette Zuckungen in den genannten Pr\u00e4paraten, wenn eins derselben ableitend ber\u00fchrt wird. Unter Umst\u00e4nden, n\u00e4mlich dann, wenn die Erregbarkeit derselben bereits gesunken ist, kann das eine oder\nandere in Ruhe bleiben. Die Zuckung f\u00e4llt im Allgemeinen st\u00e4rker an dem unmittelbar ber\u00fchrten Muskel aus. Besser ist\u2019s jedoch, jedesmal nur eines der Platin bleche mit einem Pr\u00e4parate zu verkn\u00fcpfen, auch anstatt eines einfachen Nerv-Muskelpr\u00e4parates einen ganzen rheoscopischen Froschschenkel anzuwenden. Die Aufmerksamkeit des Beobachters ist dann nicht getheilt und die Zuckungen sind auffallender. Wird der Nerv des Pr\u00e4parates an irgend einer Stelle unterbunden, oder durchschnitten und die Enden wieder sorgf\u00e4ltig aneinander gef\u00fcgt, so bleiben die Erscheinungen so lange dieselben, als Unterbinden und Durchschneiden nicht allzunahe an der Eintrittsstelle des Nerven in den Muskel geschieht. Ein unterbundener oder getheilter Nerv kann also scheinbar noch den Innervations Vorgang fortpflanzen. Verbindet man statt des Nerven die Sehne mit einem der Platinbleche, so erh\u00e4lt man f\u00fcr gew\u00f6hnlich nur noch Zuckungen, wenn der Nerv, nicht aber, wenn das andere Ende des Inductionskreises ber\u00fchrt wird; und es erfordert eine ganz besondere St\u00e4rke der Vorrichtungen, um sie auch im letztem Falle auftreten zu sehen. Wird die Kette des prim\u00e4ren Kreises fortw\u00e4hrend","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"109\ngeschlossen und ge\u00f6ffnet, so entsteht nat\u00fcrlich bei irgend einer Art der Ableitung Tetanus. Zur Darstellung dieser einzelnen Erscheinungen l\u00e4sst sich mit Vortheil der S 40 beschriebene Inductionsapparat benutzen; nur muss man f\u00fcr die Beobachtung der einzelnen Zuckungen der Feder eine feste Stellung geben, in welcher sie den inducirenden Kreis f\u00fcr immer schliesst. Ein Theil dieser Thatsachen kann auch ohne Zuhilfenahme zweier Drahtrollen beobachtet werden. Man schalte n\u00e4mlich zu diesem Zwecke in den Kreis einer guten Kette eine Drahtrolle mit sehr vielen Windungen, z. B. die secund\u00e4re Rolle des zu den vorigen Versuchen benutzten Apparates und ausserdem einen Quecksilbernapf zum Oeffnen und Schliessen ein. Mit letzterem verbinde man metallisch ein nach Aussen hervorragendes Platinblech. Verkn\u00fcpft man mit diesem den Nerven, so wird beim Schliessen und Oeffnen der Kette der Muskel nicht zucken. Wird derselbe aber beim Oeffnen der Kette ableitend ber\u00fchrt, so tritt Zuckung ein, ebenso, wenn der Muskel aufliegt und der Nerv ber\u00fchrt wird, beide fehlen aber bei dieser Anordnung, wenn man das Ende des Kreises ableitend ber\u00fchrt, mit dem man die Oeffnung aus-f\u00fchrt. Es versteht sich von selbst, dass auch hier in allen F\u00e4llen der ganze Kreis und das Pr\u00e4parat sorgf\u00e4ltig isolirt sein m\u00fcssen. Die Erkl\u00e4rung all dieser Erscheinungen ist folgende : In dem Augenblick, wo die Kette des prim\u00e4ren Kreises geschlossen oder ge\u00f6ffnet wird, stellt der nicht geschlossene Inductionskreis eine offene S\u00e4ule vor und die Ableitung der an den Enden befindlichen freien Electricit\u00e4t bewirkt die Zuckungen. Es stelle, um den Hergang im Einzelnen einzusehen, die Rolle -R einen offenen Inductionskreis dar, mit dessen Enden Nerv-Muskelpr\u00e4parate verkn\u00fcpft sind. Die Anordnung sei z. B. so, dass w\u00e4hrend einer beliebigen Schwankung des Stromes der prim\u00e4ren Kette das Ende \u00df mit freier positiver, das a mit freier negativer Electricit\u00e4t versehen sei. WTird jetzt das mit \u00df verbundene Pr\u00e4parat ableitend ber\u00fchrt, so wird sein Nerv von positiver Electricit\u00e4t abw\u00e4rts durchflossen, und der Muskel zuckt. Da die Ableitung durch den ganzen Kreis, d. h. bis zum andern Muskel geschieht, so wird der Nerv des letztem gleichfalls von positiver Electricit\u00e4t, aber aufsteigend durchstr\u00f6mt. Der mit a verbundene Muskel muss daher auch zucken; weil aber der Nerv nur von der positiven Electricit\u00e4t seines Muskels durchstr\u00f6mt wird, f\u00e4llt die Zuckung schw\u00e4cher aus. Da im Augenblick der Ableitung, \u00e4hnlich wie bei der offnen galvanischen S\u00e4ule, am abgeleiteten Pole die Spannung Null, am anderen doppelt so gross als vorher sein muss, so entsteht die Frage, was aus dieser werde. Ob diese der positiven folge, oder irgend ein anderes Schicksal hat, bedarf noch der Aufkl\u00e4rung, welche aber weniger auf physiologischem, als rein physikalischem Wege herbeizuf\u00fchren sein wird.","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"no\nDie letzte der oben angef\u00fchrten Erscheinungen erkl\u00e4rt sich einfach dadurch, dass hierbei die der Bildung des Extrastromes beim Oeflfnen der Kette entsprechende freie Spannungselectricit\u00e4t durch das Pr\u00e4parat abgeleitet wird. Es ist nicht \u00fcberfl\u00fcssig, die Bemerkurig hinzuzuf\u00fcgen, dass die unipolaren Inductionszuckungen, welche der Schliessung und \u00d6ffnung der prim\u00e4ren Kette folgen, nicht so ohne Weiteres gleich stark ausfallen. Dies ergiebt sich unmittelbar aus den Eigenschaften beider Inductionsstr\u00f6me. Man sieht diesen gem\u00e4ss ein, dass die der Schliessung der prim\u00e4ren Kette entsprechenden unipolaren Ableitungszuekungen schw\u00e4cher ausfallen m\u00fcssen, als die der Oeffnung zukommenden, ja dass sogar unter Umst\u00e4nden die ersteren fehlen k\u00f6nnen. Letzteres wird unter \u00fcbrigens gleichen Umst\u00e4nden mit um so gr\u00f6sserer Wahrscheinlichkeit eintreten, eine je gr\u00f6ssere Anzahl von Windungen die prim\u00e4re Rolle enth\u00e4lt, weil mit der letzteren die Ausbildung des den zeitlichen Verlauf des Schliessungsinductionsstroms hemmenden Extracourant w\u00e4chst und damit die f\u00fcr die Zuckung so wichtige Steilheit der Abgleichungscurve immer merkbarer abnimmt.\nDie besprochenen Erscheinungen modificiren sich nur wenig, wenn man die Versuche an durch einen schlechten Leiter, d. h. unvollkommen geschlossenen, Inductionsspiralen wiederholt. Behalten wir die fr\u00fcher erw\u00e4hnte Inducti\u00f6nsrolle bei, schliessen zwischen den Platinblechen durch einen feuchten Faden und lassen diesen den Nerven an irgend einer Stelle senkrecht schneiden. Man erh\u00e4lt in allen F\u00e4llen Zuckungen, weil wegen der schlechten Leitungsf\u00e4higkeit des Fadens noch ein hinl\u00e4nglich grosser Theil des Stromes den Nerven durchsetzt. Unterbindet man aber diesen, so erh\u00e4lt man nur noch Zuckungen, wenn jener oder auch der Inductionskreis passend ablcitend ber\u00fchrt wird, zugleich der Nerv aber nicht mehr die L\u00e4nge des Fadens halbirt. Dies kommt daher, dass auch an der so geschlossenen Kette freie Electricit\u00e4t von hoher Spannung vorhanden ist, welche bei Ableitung des Muskels ihren Weg abw\u00e4rts, bei Ableitung des Inductionskreises aufw\u00e4rts durch den Nerven nimmt. Diese Erscheinungen an unvollkommen geschlossenen Inductionskreisen bilden f\u00fcr feinere neurologische Untersuchungen immer einen wohl zu beachtenden Umstand, wie folgendes Beispiel zeigt. Gesetzt, man habe zwischen die Drahtenden der Inductionsrolle einen Nervenstamm aufgenommen, welcher noch mit einem ganzen Glied zusammenh\u00e4ngt, in der Absicht, durch Reizung desselben die Muskeln kennen zu lernen, welche er an jenem versorgt. Dann bildet das eingeschaltete Nervenst\u00fcck selbst jenen schlechten, in den vorigen Versuchen durch einen feuchten Faden ersetzten Leiter, und wenn man dann das Glied oder die Inductionsrolle an einer g\u00fcnstigen Stelle ablei-","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Ill\ntend ber\u00fchrt, so wird Electricit\u00e4t das ganze Glied durchfliessen und es werden mithin nicht allein diejenigen Muskeln zucken, deren Nervenfasern durch die Inductionsstr\u00f6me direct gereizt werden, sondern auch noch alle diejenigen, durch welche, oder durch deren Nerven sich zuf\u00e4llig jene abgeleitete Electricit\u00e4t noch in hinl\u00e4nglicher Dichte bewegte. Es folgt hieraus f\u00fcr alle diejenigen Versuche, bei denen unipolare Ab. leitungen das Resultat tr\u00fcben k\u00f6nnen, sowohl das Pr\u00e4parat, als auch die ganze secund\u00e4re Strombahn sorgf\u00e4ltig zu isoliren, eine Regel, welche fr\u00fcher leider sehr wenig beachtet wurde.\nDie secund\u00e4re Zuckung vom Nerven aus, paradoxe Zuckung. Der Zusatz, vom Nerven aus, deutet an, dass man diese Art der Zuckung von einer andern, n\u00e4mlich der vom Muskel aus, zu unterscheiden habe. Beide beruhen auch in der That auf zwei wesentlich von einander verschiedenen Vorg\u00e4ngen. W\u00e4hrend n\u00e4mlich, wie die Physiologie des Muskels lehrt, die secund\u00e4re Zuckung vom Muskel aus dadurch zu Stande kommt, dass der Nerv des secund\u00e4r in Zuckungen verfallenden Muskels von dem in seiner Intensit\u00e4t fortw\u00e4hrend schwankenden Strom des prim\u00e4r erregten Muskels w\u00e4hrend des Tetanus desselben durchflossen wird, so kommt die secund\u00e4re Zuckung vom Nerven aus durch die Str\u00f6me des Electrotonus zu Stande. Machen wir uns indess vorerst mit den Thatsachen selbst bekannt. Es sei abk der beistehenden Figur ein\nSt\u00fcck des Nervus ischiadicus, a n\" der eines Nerv-Muskelpr\u00e4parates und zwar letzterer, wie die Figur zeigt, an jenen so angelegt, dass er einen Punkt des L\u00e4ngenschnittes und einen solchen des Querschnittes ber\u00fchrt. Hierauf werde ein St\u00fcck von dem Nerven a b n' in eine Kette S genommen; beim Schlies-sen und Oeffnen derselben zuckt der Muskel m. Dasselbe wird beobachtet, wenn der unmittelbar zu erregende Nerv n' dem secund\u00e4r zu erregenden nur eine Strecke entlang liegt. Es ist ganz gleich-giltig, ob das unmittelbar erregte Nervenst\u00fcck einem sensibeln oder motorischen Nerven angeh\u00f6rt. Unterbindet oder durchschneidet man den unmittelbar erregten Nerven in beiden Anordnungen beistehender Figur vor der vordem Electrode, so bleiben die Zuckungen aus. Der vorher beschriebene Versuch ist offenbar","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"- 112 -\nidentisch mit dem folgenden. Der Nervus ischiadicus des Frosches theilt sich am Oberschenkel in die rr. peronaeus und tibialis. L\u00f6st man nun den ganzen Stamm vom R\u00fcckenmark, pf\u00e4parirt ferner den durchschnittenen ramus peronaeus von unten nach oben so weit als m\u00f6glich frei, so bat man ein Pr\u00e4parat, \u00e4hnlich dem zweiten auf S. 111, von dem es sich nur unwesentlich dadurch unterscheidet, dass die beiden aneinander liegenden Nerven von Hause aus diese Lage haben und in eine feuchte Umgebung-eingebettet sind. Nimmt man jetzt das freie, centrale Ende des ramus peronaeus in die Kette, so zucken alle diejenigen Muskeln, welche vom ramus tibialis ihre Fasern erhalten Diese Form der secund\u00e4ren Zuckung vom Nerven aus hat man vorzugsweise paradoxe Zuckung genannt. Die Entstehung dieses Namens ist folgende. Man betrachtete bis zur Entdeckung dieser Erscheinungen es f\u00fcr jegliche Art der Nervenreizung als einen unumst\u00f6sslichen Grundsatz in der Nervenphysiologie, dass, wenn ein motorischer Nerv gereizt wird, nur die Muskeln und keine anderen in Zuckung verfallen sollten, deren Fasern direct von dem Reize getroffen w\u00fcrden, dass also die Erregung isolirt in jenen verbleibe und nannte ihn das Gesetz der isolirten Leitung. Nun zeigt sich, dass dasselbe f\u00fcr die electrische Reizung nicht besteht, ja sogar das Unerwartete, dass man durch Reizung eines Nerven, dessen Bahn gar nicht einmal zu Muskeln hinf\u00fchrt, Zuckungen herv\u00f6rrufen kann. Damit die die secund\u00e4re Zuckung betreffenden Versuche sicher gelingen, muss man die Electroden nicht allzuweit von dem ersten Ber\u00fchrungspunkte beider Nerven ansetzen, auch als Kette sich nicht mit einem einfachen Zink-Platinbogen (wenn gleich auch unter Anwendung eines solchen bei sehr erregbaren Pr\u00e4paraten die Zuckungen nicht ausbleiben) begn\u00fcgen, sondern 2 bis 3 Elemente nehmen.\nWir kommen zur Erkl\u00e4rung der secund\u00e4ren Zuckung vom Nerven aus. Vorerst ergibt sich leicht, dass der unmittelbar erregte Nerv nicht nach Art der Induction im mittelbar erregten Nerven die Nervent\u00e4tigkeit hervorruft; denn das Einschieben der d\u00fcnnsten nicht leitenden Substanz, z. B. eines Glimmerpl\u00e4ttchens, zwischen beide Nerven verhindert das Zustandekommen der Zuckung, ein Verhalten, welches Inductions-ph\u00e4nomenen fremd ist. Es k\u00f6nnen daher die in Rede stehenden Erscheinungen nur dadurch zu Stande kommen, dass der mittelbar erregte Nerv direct von electrischen Str\u00f6men getroffen wird. Dies wird ferner durch die Beobachtung h\u00f6chst wahrscheinlich, dass ein sehr guter Leiter, zwischen beide Nerven gebracht, die Erscheinungen ausbleiben macht, indem alsdann die etwa vorhandenen Str\u00f6me ihren Weg nicht durch den schlecht leitenden Nerven, sondern durch das viel besser leitende Metall nehmen werden. Aus der Nervenphysik wissen wir nun, dass, wenn ein Nerv auf einem Theil seiner L\u00e4nge direct dem Strom einer constanten Kette","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"ausgesetzt wird, zwei von einander zu sondernde Vorg\u00e4nge in der electri-schen Beschaffenheit des Nerven geschehen, n\u00e4mlich der electrotonische Zustand, und die negative Schwankung des Nervenstromes. Von der letztem wissen wir ferner, dass ihre Gr\u00f6sse im Vergleich zum electrotoni-schen Zustand sehr gering ist, indem es ja ganz besonderer Vorkehrungen bedurfte, um sie nur vom Electrotonus zu sondern, ja \u00fcberhaupt zu entdecken. Man findet es daher wahrscheinlich, dass die secund\u00e4re Zuckung ihren Ursprung dem Auftreten und Verschwinden des electrotonischen Zustandes verdanke. Da ferner die Kunstgriffe, die negative Schwankung des Nervenstromes darzulegen, darin bestanden, die den Nerven treffende Str\u00f6me so kurz als nur immer m\u00f6glich andauern zu lassen; so ergiebt sich, dass nur Schliessung und Oeffnung die negative Schwankung erzeugen. Nun kann man aber auch die secund\u00e4re Zuckung auf folgende Art zeigen. Man erzeugt an einem Nervenst\u00fcck Electrotonus und fugt den mittelbar zu erregenden Nerven mit seinem Muskel erst nachher an, also zu einer Zeit, wo die negative Schwankung des unmittelbar erregten Nerven bereits vor\u00fcber ist. Wir halten uns somit \u00fcberzeugt, dass in der That die secund\u00e4re Zuckung vom Nerven aus vom Electrotonus herr\u00fchrt. Um den Hergang mehr im Einzelnen zu verfolgen, lese man die fr\u00fcheren Bemerkungen \u00fcber den secund\u00e4r electrotonischen Zustand nach. Wie dort die vom Electrotonus des unmittelbar erregten Nerven herr\u00fchrenden Str\u00f6mchen den anliegenden Nerven in secund\u00e4r electrotonischen Zustand versetzen, so auch hier; zugleich aber wird in dem Moment, wo sie sich herstellen, der Zuckungen erregende Vorgang erzeugt, und weil ein Muskel vorhanden ist, dieser zur Zuckung veranlasst. Man findet \u00fcbrigens die genannte Ansicht \u00fcber den Grund der secund\u00e4ren Zuckung noch in Uebereinstimmung mit folgenden drei Umst\u00e4nden : erstlich f\u00e4llt Jecj^m, der nur einmal fl\u00fcchtig die Erscheinungen des Electronus im Multiplicator mit der negativen Schwankung verglich, die Schnelligkeit, mit welcher jener der Tr\u00e4gheit dieser gegen\u00fcber hereinbricht, auf ; sodann aber verm\u00f6gen wir durch mechanische, chemische und thermische Reizung zwar die negative Schwankung des Nervenstromes, aber niemals secund\u00e4re Zuckung herzorzurufen. Nach diesen Er\u00f6rterungen \u00fcber das Wesen der secund\u00e4ren Zuckungen vom Nerven aus wird man erkennen, dass das Gesetz der isolirten Leitung, oder besser, der isolirten Fortpflanzung des Innervationsvorganges keineswegs durch die Existenz dieser Zuckungsart ber\u00fchrt wird, denn der erregte Inner-vationsvorgang ist es nicht, welcher sich von einer Nervenfaser aus auf eine andere \u00fcbertr\u00e4gt; es f\u00fchrt die electrische Reizungsart nur ein f\u00fcr nachbarliche Nervenfasern als Reiz dienendes Verhalten des urspr\u00fcnglich getroffenen Nerven mit sich.\nEckhard, Nervenphysiologie.\n8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"\u00a7\u2022 13.\nDie mechanische Reizung des motorischen Nerven und der\nTetanomotor.\nEs ist l\u00e4ngst bekannt, dass Durchschneiden eines Nerven oder Zerquetschung desselben seinen Muskel in Zuckung versetzen. Gegenw\u00e4rtig weiss man nicht viel mehr, denn es ist niemals diese Reizungsart einer n\u00e4hern Zergliederung unterworfen worfen. Augenscheinlich f\u00fchrt nicht jede mechanische Einwirkung Zuckung herbei, aber bis jetzt sind die zu einem positiven Erfolge nothwendigen Bedingungen nicht wissenschaftlich formulirt worden. Die Schnelligkeit der Struc.turzerst\u00f6rung und die Anzahl der getroffenen Theilchen scheinen eine Hauptrolle dabei zu spielen. Doch ist es eine reine Unterstellung, wenn hier von der Vorstellung ausgegangen wird, dass die Structurzerst\u00f6rung ein wesentliches die Zuckung bedingendes Moment sei. Sie schliesst sich nur den allt\u00e4glichen Wahrnehmungen, nach welchen es so zu sein scheint, an. Eben sowenig sind aber auch f\u00fcr eine andere Vorstellung, nach welcher man sich die Zuckung als die Folge der Bewegung der Nerventheilchen denkt, die gerade nicht an die Zerst\u00f6rung des Nerven gekn\u00fcpft ist, \u00fcberzeugende Beweise beigebracht. Heidenhain *) ist zwar geneigt, an ein solches Verhalten der Nerven zu denken, doch reichen die von ihm angef\u00fchrten Beobachtungen nicht aus, als Beweise zu dienen.\nDa es f\u00fcr die Discussion mancher neuropliysiologischen Fragen wichtig ist, die Erfolge der mechanischen Nervenreizung in Betracht zu ziehen, so hat man darauf gesonnen, diese Reizungsart dergestalt auszubilden, dass es m\u00f6glich sei, durch dieselbe Tetanus des Muskels zu erhalten. Sehr vollkommen ist indess dieser sogenannte mechanische Tetanus nicht. Man sucht ihn mit Hilfe ein^ besondern Instrumentes, des Tetanomotors, zu erhalten. Mit der Herstellung und Ausbildung seiner Construction hat sich Heid en bain befasst. Die erste Form **), welche er diesem Instrumente ertheilte, ging aus einem Zusatz hervor, welchen er dem auf S. 105 beschriebenen Halske\u2019schen Unterbrecher ertheilte. Er setzte n\u00e4mlich\u2019mit dem Anker desselben, \u00fcber den Magnet hinausragend, ein Elfenbeinh\u00e4mmerchen in Verbindung, welches bei seiner schwingenden Bewegungen den auf einer Unterlage liegenden Nerven traf. Diese Einrichtung ist besonders geeignet, die Verschmelzung der einzelnen,\n*) Heidenhain : Neue Methode, motorische Nerven auf mechanischem Wege zu tetanisiren. Dessen: Physiologische Studien. Berlin 1856. S. 132.\n**) ibid. S. 434.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"115\nauf mechanischem Wege erzeugten Zuckungen zum Tetanus zu veranschaulichen, indem, wie oben auseinandergesetzt wurde, der Feder Stellungen ertheilt werden k\u00f6nnen, bei denen sie bald langsamer, bald rascher schwingt, also bald einzelne, z\u00e4hlbare, bald rasch sich zur Verschmelzung folgende Zuckungen erzeugt. Sp\u00e4ter hat er diese Vorrichtung durch die folgende, in der beistehenden Figur abgebildete, ersetzt.\nA ist ein Griff, an welchem die ganze Vorrichtung festgehalten wird. Diese selbst besteht aus einem starken Messingrahmen o mit folgenden Theilen. Mittelst einer Kurbel B wird das Zahnrad a gedreht, welches seinerseits ein andres h in Bewegung setzt. Die Z\u00e4hne des letzteren schieben einen st\u00e4hlernen Zapfen c in horizontaler Richtung hin und her, welchem ein daran befestigter Messingstreifen e e folgt, der an seinem vorderen Ende ein Elfenbeinst\u00fcck g tr\u00e4gt. Letzterem gegen\u00fcber befindet sich ein anderes Elfenbeinst\u00fcck k, auf welchem g den zwischen beiden an einem Faden h f hindurchgezogenen Nerven h\u00e4mmert. Das St\u00fcck k findet sich bei m an das Messingst\u00fcck n n befestigt, welches durch die Schraube d nach Belieben verstellt werden kann, so dass der Raum zwischen k und g je nach der Dicke des zu tetanisirenden Nerven ver-gr\u00f6ssert oder verkleinert werden kann. Die Feder d' dr\u00fcckt e zur\u00fcck, wenn dieser Theil durch die Z\u00e4hne von b und den Zapfen c nach ausw\u00e4rts bewegt worden ist.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\n\u00a7\u2022 14.\nDie chemische Reizung- des motorischen Nerven.\nWas man \u00fcber diese Art der Reizung weiss, ist kaum mehr als eine Anzahl einzelner, empirisch gewonnener Facta, die bis jetzt weder in einen befriedigenden Zusammenhang untereinander gebracht worden sind, noch irgend eine tiefere Einsicht in das Wesen der Nervenreizung gestattet haben. Wir beginnen die Aufz\u00e4hlung der Thatsachen mit dem zuerst von mir *) beobachteten Factum, dass eine einfache Wasserentsie-hung des Nerven im zugeh\u00f6rigen Muskel Zuckungen erregt. Man kann diesem Versuch verschiedene Formen geben. Das einfache Nerv-Muskel-pr\u00e4parat wird unter eine dicht schliessende Glocke \u00fcber concentrirte Schwefels\u00e4ure gebracht, und zwar so, dass der Nerv recht vollkommen von der wasserdampffreien Luft umsp\u00fclt wird. Schon nach kurzer Zeit sieht man ein flimmerndes Spiel der Muskelb\u00fcndel, welches nach und nach zunimmt und schliesslich den ganzen Muskel erfasst. Dass die Erscheinung nicht von einem Austrocknen der Muskelsubstanz herr\u00fchrt, ergiebt sich daraus, dass mit dem Abschneiden des Nerven an seiner Eintrittsstelle in den Muskel alle Zuckungen erl\u00f6schen. Sollte man dennoch einige Bedenken \u00fcber diesen Punkt haben, so kann man den Muskel in eine verschliessbare R\u00f6hre geben und den Nerven durch eine kleine Oeffnung im Verschluss heraush\u00e4ngen lassen. Mit diesem Versuche sind offenbar die Zuckungen identisch, welche man gelegentlich beobachtet, wenn der Nerv zwischen gut ausgetrocknetes L\u00f6schpapier gelegt oder an der freien Luft zu Zeiten geringer Mengen Wasserdampfes in ihr liegen gelassen wird. Man beobachtet endlich dieselbe Zuckungsform des Muskels, wenn, womit nicht gesagt sein soll, dass ihre Ursache m\u00f6glicher Weise eine andere sein kann, man den Nerven in pulverisirten, gut ausgetrockneten Zucker bettet. Wegen der chemischen Indifferenz dieses K\u00f6rpers liegt vorerst kein Grund vor, demselben in diesem Versuche eine andere, als wasserentziehende Wirkung zuzuschreiben. Wie wir uns die Wirkung der Wasserentziehung in all diesen F\u00e4llen zu denken haben, ist unbekannt ; wir wissen nicht einmal, ob die Zuckung die n\u00e4chste und unmittelbare Folge des Wasserverlustes ist, oder ob dieser eine tiefer eingreifendere Zersetzung der Nervensubstanz erzeugt, welche Ursache zur Zuckung wird. Hieran schliessen wir die Erfahrung, dass viele l\u00f6sliche Salze der Alkalien und Erden, die s\u00e4mmtlich im Einzelnen\n*) Eckhard: Die chemische Heizung der motorischen Froschnevven. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. Neue Folge II. S. 303\u2014328.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"zu durchmustern bis jetzt die Physiologen keine Veranlassung hatten, f\u00fcr welche aber das Kochsalz einen sehr passenden Repr\u00e4sentanten ab-giebt, Zuckungsformen ausl\u00f6sen, die vollkommen denen analog sind, welche bei der Wasserentziehung des Nerven in. den vorher beschriebenen Versuchen beobachtet werden. Man kann daher den Versuch machen, die Wirkungen der genannten Salze auf eine Wasserentziehung des Nerven durch dieselben zur\u00fcckzuf\u00fchren. Dies geht unter der Annahme, dass die Salzl\u00f6sungen gegen\u00fcber dem Mark der Nervenprimitiv-r\u00f6hren die dichtere Fl\u00fcssigkeit eines Hydrodiffussionsapparates darstellen, in welchem das Neurilem die Scheidewand bildet So geht der st\u00e4rkere Wasserstrom vom Nervenmark zur Salzl\u00f6sung und die Wasserentziehung, welche dem ersteren zu Theil wird, erzeugt, wie fr\u00fcher, die Zuckung. Ich sage, dass man sich die Sache so denken kann, und so lange nicht besondere Gr\u00fcnde diese Anschauung verbieten, ist sie desshalb vorzuziehen, weil sie den Zusammenhang zwischen den letztern und den zuerst beschriebenen Versuchen herstellt; ob die eindringende Salzl\u00f6sung noch besondere Wirkungen f\u00fcr sich aus\u00fcbe, kann man nicht wissen. Ausser den erw\u00e4hnten L\u00f6sungen ist nun noch eine grosse Anzahl anderer bekannt, welche gleichfalls Zuckungen erregen, zumeist aber in anderer Form, n\u00e4mlich so, dass nach dem Eintauchen des Nerven in dieselben einige wenige, gew\u00f6hnlich aber heftige, in der Regel den ganzen Muskel oder gr\u00f6ssere Abtheilungen desselben umfassende Zuckungen entstehen und dann der Muskel in Ruhe bleibt, vorausgesetzt, dass nicht etwa eine neue Strecke des Nerven eingetaucht wird. Alle diese L\u00f6sungen sind nur von gewissen Concentrationsgraden aufw\u00e4rts zur Ausl\u00f6sung von Zuckungen f\u00e4hig, in solchen von geringerer Concentration sterben die Nerven, ohne Zuckungen zu erregen, nach k\u00fcrzerer oder l\u00e4ngerer Zeit ab. Selbstverst\u00e4ndlich gilt diese Bemerkung auch f\u00fcr das Kochsalz und die ihm analogen L\u00f6sungen. Zwar kann man die Concentrationsgrade, bei deren Anwendung die Zuckung auftritt, durch das Experiment festzustellen suchen, allein man wird keine allgemein g\u00fctigen Zahlen erhalten, da der Erfolg der Reizung wesentlich von der jeweiligen Erregbarkeit des Pr\u00e4parates abh\u00e4ngt. Von den in der zuletzt er\u00f6rterten Weise wirkenden L\u00f6sungen z\u00e4hlen wir folgende mit Angabe der Procentgehalte an wirksamen Stoffen f\u00fcr mittlere Erregbarkeiten auf :\nBasen : Kali 0,8\u20141,8 % ; Natron, nahezu wie beim Kali. In Bezug auf das kaustische Ammoniak bestehen Differenzen zwischen den Angaben der verschiedenen Beobachter. Es scheint mir, als w\u00e4ren diese wesentlich durch den Umstand erzeugt, dass man beim Eintauchen des Nerven in eine L\u00f6sung von kaustischem Ammoniak die Muskelsubstanz nicht hinl\u00e4nglich vor den Wirkungen des abdunstenden Ammoniaks gesch\u00fctzt","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nhabe. Am fr\u00fchesten hat Alex. v. Humboldt *) mit diesem K\u00f6rper gearbeitet ; er behauptet, dass der Muskel beim Eintauchen des Nerven in seine L\u00f6sung zucke. Zufolge einer auf diesen Punkt gerichteten Untersuchung finde ich das Gegentheil. Wie ich, so hat es auch sp\u00e4ter K\u00fchne**) und theilweise auch Harless***) gefunden. Funke****) dagegen h\u00e4lt mit Humboldt das Ammoniak f\u00fcr einen chemischen Erreger, welcher Zuckungen ausl\u00f6st.\nHarnstoff erregt die motorischen Nerven nur, wenn eine L\u00f6sung c. 30 \u00b0/0 Harnstoff enth\u00e4lt f). Concentrirte Harnstoffl\u00f6sungen erweisen sich unwirksam. Ausserdem aber zeigt diese letztere noch die Eigenschaft , dass die durch Kochsalzl\u00f6sungen hervorgerufenen Zuckungen sich bes\u00e4nftigen, sobald man den Nerven in eine concentrirte Harnstoffl\u00f6sung legt. Eine Erkl\u00e4rung dieses Verhaltens ist bis jetzt nicht gegeben worden fj-). Soviel kann ich dar\u00fcber sagen, dass die \u00fcrsache nicht etwa darin liegt, dass sich beim Eintauchen des mit Kochsalz behandelten Nerven in eine Harnstoffl\u00f6sung die bekannte Verbindung von Kochsalz und Harnstoff bilde, welche unwirksam sei; denn eine directe Pr\u00fcfung jener hat mir ergeben, dass sie ein vortrefflicher Erreger f\u00fcr den Nerven ist. Vielleicht beruht die Erscheinnng einfach darauf, dass der eindringende Harnstoff den Nerven t\u00f6dtet, so dass also das Kochsalz seine Wirkungen nicht mehr entfalten kann.\nS\u00e4uren: Salzs\u00e4ure 11 \u00b0/0, Salpeters\u00e4ure 14 \u00b0/0 (nach K\u00fchne soll schon eine 5 %ige den Nerven unter g\u00fcnstigen Bedingungen erregen k\u00f6nnen), Schwefels\u00e4ure 46 \u00b0/0. Bei sehr erregbaren Pr\u00e4paraten k\u00f6nnen nat\u00fcrlich schon L\u00f6sungen geringerer Procentgehalte wirksam\n*) F. A. v. Humboldt: Versuche \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser. Berlin 1797. Bd. II. S. 365 u. 366.\n**) K\u00fchne: Feber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven und ihre Bedeutung f\u00fcr die Irritabilit\u00e4tsfrage. Verhandlungen der s\u00e4chsischen Gesellschaft. 1864. S. 315. Das im Text ang\u00e9gebene Verhalten motorischer Nerven gegen\u00fcber dem Ammoniak wird f\u00e4lschlich von den Herren Bi 1 harz und Nasse als von K\u00fchne entdeckt angegeben. M\u00fcller\u2019s Archiv. 1862. S. 75.\n***) Harless: Wirkungen des Ammoniaks auf die Nervenstamme. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. Dritte Reihe. Bd. 12.\t1861. 8. 68.\n****) Funke: Beitrag zur Lehre von der Muskelreizbarkeit. Verhandlungen der s\u00e4chsischen Gesellschaft. 1859. S. 257.\nf) K\u00f6lliker: Ueber die Vitalit\u00e4t der Nervenr\u00f6hren. Verhandlungen der me* dicinisch-physik\u00e4lischen Gesellschaft in W\u00fcrzburg. 7. Bd. II. Heft. S. 145.\nff) Richter: Feber die Einwirkungen des Harnstoffs auf die Nerven des Frosches. Erlang\u00ebn I860.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"sein. Klees\u00e4ure 10 \u00ae/0, Weins\u00e4ure 10 %, Milchs\u00e4ure und Essigs\u00e4ure, ganz concentrirt.\nMetallsalze : Schwefelsaures Eisenoxyd 20 %, Schwefelsaures Zinkoxyd 20 o/o, Chlorzink, dicke, syrup\u00f6se L\u00f6sungen. Neutrales essigsaures Bleioxyd, ges\u00e4ttigt. (Bei diesen Angaben bin ich ausschliesslich K\u00fchne gefolgt.) Es entfalten aber c}ie Metallsalze ihre Wirkungen erst nach Minuten langem Eintauchen. Ich selbst habe bei meinen fr\u00fchem Versuchen keine Zuckungen durch sie erhalten.\nIn dieser Uebersicht sind bei weitem nicht alle chemischen Verbindungen- enthalten, welche, auf den Nerven applicirt, Zuckung ausl\u00f6sen. Es hat aber zur Zeit kein besonderes Interesse, weitere Angaben zusammenzustellen.\nMan kann die Frage aufwerfen, ob nicht die chemischen Mittel in der Weise die Zuckung hervorrufen, dass sie die Nervensubstanz zerst\u00f6ren, und also gerade so, wie ein mechanischer Reiz wirken. Zwar wird man, wegen der Unvollkommenheit unserer Vorstellungen \u00fcber die Art der Wirksamkeit mechanischer Reize, damit nicht wesentlich weiter kommen, wenn man jene Frage bejahte ; aber es k\u00e4me dadurch mehr Zusammenhang in die beobachteten Erscheinungen. F\u00fcr die nur einige wenige, aber kr\u00e4ftige Zuckungen erzeugenden Alkalien und S\u00e4uren bleibt kaum eine andere Annahme \u00fcbrig, da der Nerv nach der Zeit, in welcher die Zuckungen auftreten, auf der behandelten Strecke f\u00fcr andere Reizmittel unwirksam ist. Bedenklicher kann diese Annahme f\u00fcr die Zuckungen durch Wasserentziehung und die Salze der Alkalien etc. erscheinen, da hier ein so rasches Absterben nicht beobachtet wird. Stellt man sich indess vor, dass in diesen Versuchen gleichsam Molek\u00fcl f\u00fcr Molek\u00fcl der einzelnen Nervenfaser zerst\u00f6rt werde, so findet man es schon begreiflich, wie nicht allein die Zuckungen im Anfang, wo nur sehr wenige Molek\u00fcle der Zerst\u00f6rung anheimfallen, sehr schwach sein m\u00fcssen, sondern auch, dass die einzelne Nervenfaser sehr lange erregbar bleibt, sogar es an einem Querschnitt noch sein kann, der bereits durch theilweise Zerst\u00f6rung Zuckung erregt hat.\n\u00a7. 15.\nDie thermische Reizung des motorischen Nerven.\nDass man durch gewisse W\u00e4rmegrade, wenn man sie auf den motorischen Nerven wirken l\u00e4sst, in den Muskeln Zuckungen erregen kann, ist l\u00e4ngst bekannt. Ein genaueres Studium jedoch des Verhaltens des Nerven gegen\u00fcber der ganzen W\u00e4rmescala ist erst in neuerer Zeit vor-","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\ngenommen worden. Ich selbst *) habe diesen Gegenstand in folgender Weise untersucht. Von einem einfachen Nerv-Muskelpr\u00e4parate wurde der Nerv in destillirtes Wasser von verschiedenen Temperaturen getaucht und diejenige unter ihnen ausgemittelt, bei welcher Zuckungen in dem zugeh\u00f6rigen Muskel beobachtet wurden. Selbstverst\u00e4ndlich war wegen der verschiedenen Erregbarkeit der von verschiedenen Fr\u00f6chen genommenen Nerven nicht zu erwarten, dass immer bei demselben Temperaturgrade die ersten Zuckungen sich einstellten. Im Mittel fand ich als niedrigsten Temperaturgrad etwa 67\u201468\u00b0 C. f\u00fcr mittlere Erregbarkeitzust\u00e4nde. Die Zuckungen bei dieser Temperatur dauern nur kurze Zeit und sind ziemlich heftig. F\u00fcr sehr erregbare Pr\u00e4parate werden sich also die Zuckungen schon bei einer um wenige Grade niederen, bei solchen mit der entgegengesetzten Eigenschaft versehenen bei einer um einige Grade h\u00f6hern Temperatur einstellen. Harless **) sah die Zuckungen erst bei 63\u00ae R. eintreten. Wichtig ist nat\u00fcrlich bei diesen Versuchen, dass die n\u00f6thigen Vorsichtsmassregeln bei der Bestimmung der Temperatur getroffen werden. In meinen Versuchen stand das Wasser, mit dessen Temperatur ich den Nerven reizen wollte, entweder in einem Wasserbade, in welchem es bis zu einer gewissen Temperatur erw\u00e4rmt wurde und dann bei dem langsamen Sinken der Temperatur zu den Reizungen diente, oder ich bediente mich einer anderen, in der unten angezogenen Abhandlung erw\u00e4hnten Einrichtung, welche dasselbe Zutrauen verdiente. Man darf nun hieraus nicht schliessen, dass niederere Temperaturgrade. als die erw\u00e4hnten, gar keinen Einfluss auf den motorischen Nerven h\u00e4tten. Ein solcher existirt und zeigt sich, sobald man sich merklich von der Normaltemperatur des Thieres aufw\u00e4rts entfernt und zwar darin, dass die motorischen Nerven f\u00fcr denselben Reiz anf\u00e4nglich an Erregbarkeit zunehmen ***), dann aber nach und nach weniger erregbar und, wenn man sie l\u00e4ngere Zeit der Einwirkung der W\u00e4rme aussetzt, schliesslich ganz unerregbar werden. Dabei ist jedoch noch zu bemerken, dass, wenn der einer bestimmten Temperatur ausgepetzte Nerv noch nicht vollkommen abgestorben ist, sondern sich nur f\u00fcr gewisse, weniger intensive Reize erregungslos zeigt, er durch l\u00e4n-\n*) Eckhard : Ueber die Einwirkung der Temperaturen des Wassers auf die motorischen Nerven des Frosches. Henle\u2019s u. Pfeuffer\u2019s Zeitschr. Bd. X. S. 165 ff.\n**) Harless : Ueber den Einfluss der Temperaturen und ihrer Schwankungen aut den motorischen Nerven. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. 3. Reihe. Bd. VIII. 1860. S. 122.\n'***) Schelske : Ueber die Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit der Nerven durch die W\u00e4rme. Habilitationsschrift, Heidelberg 1860.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"121\ngeres Aufbewahren in niedrigen Temperaturen sich wieder erholen, d. h. f\u00fcr denselben Reiz wieder erregbar werden kann. Diese letztere That-sache ist zuerst von Rosen thal beobachtet worden. Zu diesen Beobachtungen wird von dem Letzteren *) noch die Angabe gef\u00fcgt, dass, wenn man den Froschnerven auf 40\u201445\u00b0 C. erw\u00e4rme, man einen bis zu 20 Se-cunden andauernden Starrkrampf erhalte, welcher von 45\u00b0\u201470\u00b0 C. ausbleibe. Afanasieff **), der sich, wie Rosen thal, des temperirten Oeles bediente, sah sie ebenfalls, auch hat er solche unter Anwendung ganz frischer Froschnerven, welche er sogleich erw\u00e4rmte, bei 35\u201440\u00b0 C. beobachtet, und den Tetanus bis zu einer Minute andauern sehen. Ich finde, wenn ich den Nerven in destillirtes Wasser von dieser Temperatur tauche, von dieser Erscheinung Nichts. Da die I' orm der bei 35\u201445\u00b0 C. erzeugten Zuckungen eine andere ist, als die der bei c. 67\u00b0 0. erzeugten, so bleibt aufzukl\u00e4ren, ob beide Zuckungsformen denselben tieferen Ursachen zuzuschreiben sind, obschon scheinbar es in beiden F\u00e4llen die W\u00e4rme ist. Andrerseits sind die Temperaturen von \u2014 4\u20148\u00b0 C. als die Grenzen zu bezeichnen, innerhalb deren sich gleichfalls Zuckungen einstellen. Erniedrigt man die Temperaturen bis zu diesen Punkten nicht, so finden Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeiten statt, welche haupts\u00e4chlich von der Art, wie die Erk\u00e4ltung eingeleitet wird, abh\u00e4ngen. Bei allm\u00e4hlichen Abk\u00fchlungen von 15\u00b0 C. bis Null nimmt die Erregbarkeit allm\u00e4hlich ab. Pl\u00f6tzliche Abk\u00fchlungen von 20\u00b0\u201415\u00b0 auf 5\u00b0 oder 0\u00b0 erzeugen anfangs eine Erh\u00f6hung, sp\u00e4ter eine Abnahme der Erregbarkeit. Es liegt nat\u00fcrlich nahe, sich eine Vorstellung von der Art und Weise zu machen, wie durch die erw\u00e4hnten Temperaturgrade der gereizte Nerv die Zuckungen ausl\u00f6se. Zur Zeit, als ich die ersten Reizversuche mit W\u00e4rme anstellte, wurde ich durch den Umstand, dass der motorische Nerv in warmem Wasser um so rascher leistungsunf\u00e4hig wird, je h\u00f6her die Temperatur desselben ist, und dass, wenn man sich 67\u00b0\u201468\u00b0 C. n\u00e4hert, er nur noch so kurze Zeit lebendig bleibt, dass sich letztere ohne feine H\u00fclfsmittel nicht mehr bestimmen l\u00e4sst, auf die Idee gef\u00fchrt, dass die W\u00e4rme nur dann Zuckungen errege, wenn sie die Structur des Nerven in einem sehr kleinen Zeitmomente zu zerst\u00f6ren verm\u00f6ge. Ihre Wirkung hielt ich der einer mechanischen gleich. Falls die von Rosenthal und Afanasieff beobachteten Zuckungsformen bei niedrigem Temperaturgraden\n*) Rosenthal: Ueber den Einfluss hoher Temperaturgrade auf motorische Nerven. Siehe Canstatt\u2019s Jahresbericht vom Jahr 1859. S. 91. \u00a7. 47.\n*\u00bb) N. Afanasieff: Untersuchungen \u00fcber den Einfluss der W\u00e4rme und der K\u00e4lte auf die Reizbarkeit des motorischen Froschnerven. Archiv von Reichert und du Bois-Reymopd. 1865. S. 691.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nsich nicht aut eine andere unter den Umst\u00e4nden der Beobachtung auftretende Ursache zur\u00fcckf\u00fchren lassen, muss meine Vorstellung verlassen werden.\n\u00a7\u2022 16.\nDie Reizung der Sinnesnerven.\nWir hatten uns oben aus guten Gr\u00fcnden behufs einer Untersuchung \u00fcber das Wesen des Innervationsvorganges f\u00fcr die Anwendung motorischer Nerven und ihrer Muskeln entschieden. Obschon bei dem Entwurf unserer Vorstellung \u00fcber die Innervationsvorg\u00e4nge uns wesentlich die in den letzten Paragraphen abgehandelten Erscheinungen f\u00fchren sollen; so wird es doch n\u00fctzlich sein, wenn wir hier auch einen Blick auf die Erregungen sensitiver Nerven werfen. Mag auch das Pr\u00fcfungsorgan auf die in dieser Nervenfaserklasse erzeugten Innervationsvorg\u00e4nge der objectiven Aussagen entbehren, deren wir uns beim Muskel zu erfreuen hatten; so er\u00f6ffnet uns ihr Studium doch eine doppelte Aussicht. Wir finden entweder gewisse Z\u00fcge der fr\u00fchem Beizung auch in diesem Gebiete wieder, oder es treten uns neue Ph\u00e4nomene entgegen, die mit den bekannten Nichts gemein haben. Beides wird uns n\u00fctzlich sein. Das erstere Ergebniss w\u00fcrde zu einer festeren Begr\u00fcndung der Anschauungen f\u00fchren, welche wir aus dem fr\u00fcheren Beobachtungsmaterial entwickeln m\u00fcssen; das andere wird uns vor Einseitigkeit sch\u00fctzen und zum mindesten Vorsicht in der Ausdruckweise anrathen. \u2014 F\u00fcr die Sinnesnerven ist nun anzumerken :\t1 ) Dass f\u00fcr ihr Gebiet Bewegungen\nder Natur zu Beizen werden, welche es f\u00fcr die Muskelnerven nicht sind. Das Licht, periodische Luftschwingungen, fl\u00fcchtige, in der Atmosph\u00e4re vertheilte K\u00f6rper, welche s\u00e4mmtlich den motorischen Nerven unerregt lassen, sind f\u00fcr die Sinnesnerven ebenso viele Ursachen der Erregung. Wir k\u00f6nnen nun zwar nicht genau wissen, ob durch jene Bewegungen die Faserklasse, welche uns bisher besch\u00e4ftigt hat, gar nicht in Erregung verf\u00e4llt; wir schliessen nur auf die Abwesenheit der letzteren aus dem Fehlen der Zuckung. M\u00f6glich w\u00e4re schon, dass ihre inneren Zust\u00e4nde sich unter dem Einfl\u00fcsse der jetzigen Einwirkungen gleichfalls \u00e4ndern, dass aber das Pr\u00fcfungsorgan auf sie aus irgend welchen Gr\u00fcnden nicht antwortet. Indess ist diese Annahme unwahrscheinlich, wenigstens, wenn man sie so ganz allgemein hinstellt, da Erfahrungen vorhanden sind, welche andeuten, dass die erw\u00e4hnte Eigenschaft den Sinnesnerven nur aus dem Grunde zukommt, weil an ihren peripherischen Enden Organe vorhanden sind, durch welche gerade jene Bewegungen Erregungen in den Nerven hervorrufen. Treffen jene Bewegungen den sensitiven Nerven ohne dieses Endorgan,","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"123\nso kommt entweder gar keine oder eine ganz andere Empfindung zu Stande. Den Geruchssinn anlangend, so ist durch eine Entdeckung von E- H. Weber bekannt, dass, wenn man die riechende Partie der Nasenschleimhaut nur wenige Minuten mit kaltem Wasser in Ber\u00fchrung bringt, f\u00fcr eine gewisse Zeit die Geruchsnerven unf\u00e4hig werden, auf die gew\u00f6hnliche Art in Erregung zu verfallen. Wenn das von einem leuchtenden K\u00f6rper bestimmter Gestalt ausgehende und durch die brechenden Augenmedien zu einem Bilde formirte Licht auf die Eintrittsstelle des Sehnerven f\u00e4llt, wird dadurch der N. opticus nicht zu einer Wahrnehmung dieses Bildes angefacht, w\u00e4hrend die Stellen der Retina neben der papilla optica sich in entgegengesetzter Weise verhalten. Die anatomische Untersuchung weist an dem ersten Orte nur eine Menge dicht gedr\u00e4ngter Nervenf\u00e4den, an den andern aber noch eigenth\u00fcmliche, mit diesen in Verbindung stehende Bildungen nach. Die feinen Eindr\u00fccke, welche wechselnde Temperaturen, Hervorragungen etc. erregen, wenn sie unsere Haut treffen, gehen verloren, sobald die \u00e4ussersten Enden der Tastnerven durch Brand u. dgl. zerst\u00f6rt werden. Ebenso verh\u00e4lt es sich mit den verschiedenen Nuancirungen des Geschmacks, wenn die bez\u00fcglichen L\u00f6sungen Zungentheile treffen, welche der \u00e4ussersten Nervenenden entbehren. \u2014 Die auf diese Weise erregten Sinnesnerven sind im Zustande ihrer Erregung noch nicht bekannt ; das will sagen, die den Erregungen entsprechenden Vorg\u00e4nge im Nerven sind noch nicht ob-jectiv dargestellt, und ebenso wenig weiss man, was bei dieser Art von Erscheinungen in den Endorganen vor sich geht. Man hat zwar f\u00fcr einzelne Nerven, wie z. B. den Sehnerven, den Versuch gemacht, zu pr\u00fcfen, ob sich nicht bei seiner Erregung durch Licht die electrischen Eigenschaften desselben \u00e4nderten, jedoch ohne befriedigenden Erfolg. F\u00fcr ein Sinnesorgan jedoch l\u00e4sst sich so ohngefahr die Wirkung der Endorgane einsehen, n\u00e4mlich f\u00fcr das Geh\u00f6r, indem die zahlreichen Z\u00e4hne des Cortischen Organes als Gebilde bestimmter Form und Elasticit\u00e4t durch Schwingungsbewegungen ponderabler K\u00f6rper in Schwingungen versetzt zu werden sich unserer Vorstellung zug\u00e4nglicher zeigt, als wenn jene den Geh\u00f6rnerven ohne dergleichen Apparate tr\u00e4fen. 2) Dass, wenn die St\u00e4mme der Sinnesnerven allein, oder mit Einschluss ihrer Endapparate, jedoch so intensiv gereizt werden, dass die Wirkung der letzteren nicht zur Qelttmg kommt, so l\u00f6sen Erreger der mannigfachsten Art, gerade wie hei den Muskelnerveu, stets dieselben Empfindungen aus. Man kann diesen Satz nur an einem Theile der Empfindungsnerven best\u00e4tigen, da mehrere derselben eine solche Lage haben, dass man sie nicht hinl\u00e4nglich sicher verschiedenartigen Einwirkungen aussetzen kann. Folgende Erfahrungen geh\u00f6ren hierher. Der Sehnerve mag stark gedr\u00fcckt, oder","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\ndurchschnitten, oder von electrischen Str\u00f6men durchflossen werden, er vermittelt unter diesen verschiedenen Umst\u00e4nden nur Lichtempfindung, Die Hautnerven mag man brennen, oder electrischen Reizen aussetzen, oder mit L\u00f6sungen chemischer K\u00f6rper betupfen, oder stark dr\u00fccken, sie vermitteln stets Schmerz, obschon derselbe je nach der verschiedenen Intensit\u00e4t des Reizes sehr verschieden ausfallen kann. Bis jetzt fehlt es uns an jeder bewiesenen Vorstellung, wie diese Erscheinung zu Stande kommt: ob in der Weise, dass mit der Art des Erregers jedesmal auch der Innervationsvorgang wechselt, und nur unter der Wirkung des Centralorgans die Empfindung stets in derselben Art ausf\u00e4llt, oder ob alle diese Erreger denselben Process im Nerven anregen, welcher an einem Centralorgane bestimmter Function selbstverst\u00e4ndlich auch dieselbe Empfindung erzeugt. Indess ist das letztere wahrscheinlicher. Wir glauben dies desshalb, weil man an sensitiven Nervenst\u00e4mmen mit Hilfe der verschiedenartigsten Erregungsmittel stets die negative Schwankung erzeugeu kann, wobei freilich unterstellt wird, dass die letztere Erscheinung ein untr\u00fcgliches Kennzeichen f\u00fcr die Existenz von Innervationsvorg\u00e4ngen der Art sei, dass, wo sie in derselben Weise beobachtet werde, keine Verschiedenheit in den Innervationsvorg\u00e4ngen vorkomme. Diese Voraussetzung ist freilich nicht bewiesen, wir kommen im folgenden Paragraphen auf sie zur\u00fcck. Ausserdem abep spricht f\u00fcr die zweite An n\u00e4hme der Umstand, dass die jedem Sinnesnerven zukommende specifi-sche Sinnesempfindung nur durch Vermittlung seiner Endapparate zu Stande kommt, was andeutet, dass der Stamm der Sinnesnerven \u00e4usseren Reizen gegen\u00fcber sich sehr gleichm\u00e4ssig verhalte. Da dies Verhalten nun erfahrungsgem\u00e4ss nicht in Unth\u00e4tigkeit gegen\u00fcber \u00e4usseren Reizen besteht, so kann es wohl nicht gut ein anderes sein, als auf Reize stets in derselben Weise in Erregung zu verfallen. 3) Dass sich hei den Sinnesnerven den motorischen Nerven \u00e4hnliche, aber auch von denselben verschiedene Erscheinungen bez\u00fcglich der electrischen Heizung zeigen. Die fundamentalste Verschiedenheit liegt in dem Umstande, dass, w\u00e4hrend der Muskelnerv im Allgemeinen nur auf Stromesschwankungen antwortet, der Sinnesnerv dies auch noch auf die Constanz des Stromes thut. Die Erfahrungen auf diesem Gebiete sind alt. Volta, Ritter, Plum-boldt und viele Andere haben solche schon am Ende des vorigen Jahrhunderts gemacht; der letztere hat aus ihnen und damals lediglich aus denselben, sogar den Schluss gezogen, dass der Strom \u00fcber den Schluss der Kette hinaus daure. Die Aehnlichkeiten beider Fasergruppen bestehen darin, dass einmal, wie schon erw\u00e4hnt, beide die Dichtigkeits\u00e4nderungen des Stromes anzeigen, dass sodann ferner die Stromesrichtung gleichfalls die Natur der Empfindung ebenso, wie die St\u00e4rke der Zuckung","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"125\nmitbestimmt, und dass endlich auch bei den Sinnesnerven Modificationen der Erregbarkeit verkommen. Folgendes ist in den angedeuteten Beziehungen \u00fcber die einzelnen Sinnesnerven bekannt: a) Schliesst man eine S\u00e4ule durch das Auge, entweder in der Art, dass man an je ein Auge einen Pol, oder einen Pol an ein Auge und den anderen an den Nacken oder eine andere Stelle des Kopfes anlegt, so hat man bei schwachem Str\u00f6men beim Sehliessen und Oeffnen eine Farbenempfindung, w\u00e4hrend des Geschlossenseins nichts Merkliches der Art; setzt man st\u00e4rkere Str\u00f6me in Anwendung, so treten auch w\u00e4hrend der letzteren Zeit Gesichtsempfindungen auf, und ihre Lebhaftigkeit nimmt mit der Dichtigkeit des Stromes zu. Pfaff, Ritter, Purkinj-e *), Brunner **) und Andere stimmen darin \u00fcberein. Bei aufsteigender Stromesrichtung tritt mit dem Schluss der Kette blau auf (von den accessorischen Erscheinungen : Aenderungen der Pupillenweite, der Function des Accommodationsapparates sehen wir dabei ab) ; bei hinl\u00e4nglicher Dichtigkeit des Stromes bleibt dieser Farbenton w\u00e4hrend des Geschlossenseins und beim Oeffnen tritt blitzartig roth auf. Bei absteigender Richtung kehren sich die beiden eben genannten Farben um. Hierin stimmen die neuern Versuche Brunner\u2019s mit den \u00e4ltern Ritter\u2019s \u00fcberein. Ueber die Modificationen dieser Farbenwahrnehmungen durch geschlossene Ketten lauten nur die Angaben von Ritter sehr bestimmt. Er giebt an, bei in den Sehnerven auftretenden Str\u00f6men von 100 und mehr Lagen das Blau in Roth \u00fcbergehen gesehen zu haben, und dass beim Oeffnen nicht wie fr\u00fcher roth, sondern blau auftrat. Einen \u00e4hnlichen Farbenwechsel beobachtete er bei absteigender Richtung. Brunner, welcher sich vielleicht nicht hinl\u00e4nglich dichter Str\u00f6me bediente, hat diese Modificationen nicht gesehen. b) Was den Geschmack anlangt, so ist es leicht, durch eigne Beobachtung sich davon zu \u00fcberzeugen, dass er, entsprechend der Regel, welcher alle Sinnesnerven unterworfen sind, die Constanz und Dichtigkeits\u00e4nderungen des Stromes beantwortet. Man thut bei diesen Versuchen am besten, stets nur einen Pol an die Zunge und den andern an eine andere Stelle des K\u00f6rpers anzulegen, da man beim gleichzeitigen Anlegen beider Pole an die Zunge in der klaren Auffassung der dann entstehenden beiden Ge-\n*) Wer sich mit der \u00e4lteren hierher geh\u00f6rigen Literatur bekannt machen will, lese nach: du Bois-Reymond, Untersuchungen etc. I, 283, 343 etc., wo sich die die eiectrischen Empfindungen betreffenden Angaben bis zum Jahre 1848 zusammengestellt finden. Sp\u00e4ter erschienene Arbeiten werde ich besonders citiren.\n**) Brunner: Ein Beitrag zur eiectrischen Reizung des Nervus - Opticus. Leipzig 1853.","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 126\nschmacksempfindungen gehindert ist. Den Pol l\u00e4sst man entweder in ein Platinblech oder noch besser in ein Scheibchen von feuchtem Modellierthon, \u00e4hnlich der S. 88 beschriebenen Vorrichtung, endigen. Dabei erf\u00e4hrt man, dass bei dem Anlegen des positiven Poles an die Zunge w\u00e4hrend des Schlusses der Kette ein saurer Geschmack auftritt. welcher \u00fcber den Schluss der Kette hinaus andauert, dass dagegen beim Anlegen des negativen Poles eine Geschmacksempfindung entsteht, welche nicht scharf definirbar ist, wesshalb fr\u00fchere Beobachter dieselbe auch sehr verschieden, bald als alkalisch, bald als salzig, bezeichneten. Beim OefFnen der Kette ist eine Umkehr der der Schliessung entsprechenden Geschmacksempfindung mit Sicherheit nicht zu beobachten, sie wird aber von \u00e4lteren Forschern als existirend angegeben. Der allbekannte Streit dar\u00fcber, ob die w\u00e4hrend des Geschlossenseins der Kette entstehende Geschmacksempfindung die directe Folge electrischer Erregung sei, oder den ausgeschiedenen Zersetzungsproducten zugeschrieben werden m\u00fcsse, erledigt sich zu Gunsten der ersteren Meinung neben anderen Gr\u00fcnden *) durch die Erfahrung, dass durch Stromesschwankungen deutlichere Geschmacksempfindungen erzeugt werden, als durch die Constanz des Stromes; also durch einen Umstand, welcher mit der Menge der ausgeschiedenen Zersetzungsproducte in gar keinem Zusammenhang steht. Zur Darstellung des \u00e9lectrischen Geschmacks darf man nur Ketten weniger Glieder, etwa 2\u20143 Daniell\u2019sche Elemente, nehmen, da eine gr\u00f6ssere Anzahl derselben Schmerz bewirkt. Modificationen der Erregbarkeit durch den Strom sind an diesem Nerven bisher nicht zweifellos festgestellt. Ritter giebt zwar an, solche beobachtet zu haben, doch muss man in der Annahme dieser Versicherung vorsichtig sein, da dieser Forscher seine Versuche zu einer Zeit angestellt hat, in welcher die sch\u00e4rferen Methoden der Gegenwart h\u00e4ufig durch voreilige Uebertragung von That-sachen verwandter Gebiete und ungez\u00fcgelte Einbildungskraft ersetzt wurden. Dieser Punkt bedarf daher einer erneuten Untersuchung, c) Das Gef\u00fchl betreffend, so reiht sich dies in den fraglichen Beziehungen den beiden vorigen Empfindungen an. Die Hautnerven sind neben den Geschmacksnerven besonders geeignet, die Erregungen der Sinnesnerven durch einen Strom constanter Dichte zu demonstriren. Wegen der geringen Leitungsf\u00e4higkeit der trocknen Haut muss man entweder st\u00e4rkere S\u00e4ulen anwenden, oder beim Gebrauch von Str\u00f6men geringerer St\u00e4rke durch Anlegung von kleinen Hautwunden die Leitungsg\u00fcte erh\u00f6hen, so dass hier die Nerven von einer gr\u00f6sseren Stromdichte durchzogen werden.\n*) Rosenthal: Ueber den electrisehen Geschmack. Archiv von Reichert und du Bois-Reyraond. 1860. p. 217.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 127 \u2014\nDie letztere Methode ist vorzuziehen, da auf diese Weise nicht allein die Empfindungen auf enge Stellen beschr\u00e4nkt und in Folge davon leichter auffassbar sind, sondern auch die st\u00f6renden Muskelzuckungen der Glieder -wegfallen, die bei der Anwendung von st\u00e4rkern Ketten nie fehlen. Ausser der erw\u00e4hnten allgemeinen Thatsacbe, die f\u00fcr alle Sinnesnerven gilt, steht f\u00fcr die Hautnerven weiter fest, dass die Schmerzempfindung beim Schluss eines absteigenden und der Oefinung eines aufsteigenden Stromes mittlerer St\u00e4rke stets an dem Punkte lebhafter ist, wo der positive Strom austritt. Ob dies f\u00fcr Str\u00f6me beliebiger St\u00e4rken oder nur f\u00fcr die angegebenen gilt, ist noch nicht hinreichend ermittelt, \u00fcebrigens liegen in der Literatur Zeugnisse, namentlich von Ritter vor, dass mit wachsenden Stromst\u00e4rken ein Wechsel der Erscheinungen vorkomme. Ebenso sind endlich f\u00fcr die Gef\u00fchlsnerven Modificationen der Erregbarkeit durch geschlossene Ketten bekannt. Aus \u00e4lterer Zeit bringt Ritter, aus neuerer Rosenthal *) Zeugnisse daf\u00fcr bei, welche dahin lauten, dass jeder Strom, wenn er l\u00e4ngere Zeit einen Empfindungsnerven durch-fliesst, diesen in einen solchen Zustand versetzt, dass die Oefinung der angewendeten Stromesrichtung und die Schliessung der entgegengesetzten st\u00e4rkere Empfindungen ausl\u00f6sen, als die Schliessung des ersteren und Oefinung des letzteren, d) Was die \u00e9lectrischen Erregungen des Geruchs- und Geh\u00f6rnerven anlangt, so hat die Neuzeit sich mit ihnen weniger besch\u00e4ftigt; haupts\u00e4chlich aus dem Grunde, dass eine einigermassen isolirte, rein electrische Erregung dieser Sinnesnerven nicht thunlich ist. Die Gefahr, dass sich mit den zu gew\u00e4rtigenden \u00e4chten Empfindungen andere, durch den Strom erzeugte mischen, wie etwa: entstehende Muskelger\u00e4usche, oder direct durch den Strom bewirkte Ersch\u00fctterungen in den festen Theilen des Kopfes, die stechenden Empfindungen in der Nase in Folge des gereizten Trigemeninus, die m\u00f6gliche Erzeugung von Ozon und der durch dasselbe bewirkten Geruchsempfindung, hat von der weiteren Untersuchung der electrisclien Geruchs- und Geh\u00f6rsempfindungen vorerst abgehalten. Es sind uns \u00e4ltere Angaben \u00fcber diese beiden Sinnesnerven bekannt; wir k\u00f6nnen dieselben aber, da sie nicht frei von mancherlei Einw\u00fcrfen sind, hier \u00fcbergehen. Hiermit schliesst sich die Lehre von der Reizung der Nerven ab. Wir wollen aber an sie noch die Besprechung eines allgemeinen, wichtigen Punktes der Nervenphysiologie kn\u00fcpfen, zu dessen Discussion die bisherigen Erfahrungen ein wichtige^ Moment bilden, ich meine die Frage \u00fcber die Richtungen, nach welchen h, in einer Nervenfaser der erregte Innervationsvorgang fortgepflanzt wire,\n\u00ae) Rosenthal: Ueber die Modificationen der Erregbarkeit durch geschlossene Ketten etc. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. Dritte Reihe. Bd. IV. 1858. S. 117.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\n\u00a7\u2022 17.\nUeber die Richtungen, nach denen der Innervationsvorgang fortgepflanzt wird.\nDie einfache Thatsache, dass ein zu einem Muskel gehender Nerv, wenn er gereizt wird, nur Zuckung erregt, aber keine Empfindung ausl\u00f6st und umgekehrt, wenn es sich um einen sensibeln Nerven handelt, hat zur Unterscheidung der Nerven in centrifugal und centripetal leitende Veranlassung gegeben. So lange hiermit weiter Nichts, als das eben angegebene Factum kurz bezeichnet werden soll, ist Nichts dagegen einzuwenden ; wenn aber zugleich damit ausgesprochen werden soll, dass der dabei im Nerven stattfindende Vorgang nur nach der Seite des Pr\u00fcfungsorganes, also das eine mal nach dem Muskel, das andere mal nach dem Nerv hin, erregt werde, so bedarf jener Satz, bekannt als die Lehre von der einsinnigen Leitungsf\u00e4higkeit der Nervenfaser> doch einer besondere Pr\u00fcfung.\nWenn wir uns der Thatsache erinnern, dass die am motorischen Nerven darstellbare negative Schwankung seines ruhenden Stromes zum mindesten ein Zeichen f\u00fcr bestehenden Innervationsvorgang an den Stellen ist, wo wir jene zu erregen verm\u00f6gen, wie aus den beiden Erfahrungen hervorgeht,- dass, so lange als ein mit einem Muskel in Verbindung stehender Nerv w\u00e4hrend seiner Reizung jenen in Zusammenziehung versetzt, er bei dieser Gelegenheit auch die negative Schwankung seines Stromes erkennen, l\u00e4sst und dass Unterbindung oder Durchschneidung der Nerven die Fortpflanzung der Nervenerregung sowohl, als auch die Ausbildung der negativen Schwankung \u00fcber die betroffene Stelle hinaus hindern, so darf man sich der Richtigkeit des Schlusses nicht verschliessen, dass, wenn in Folge einer Reizung die negative Schwankung des Nervenstromes bis zu einer bestimmten Stelle hin zu verfolgen ist, auch bis dahin der Innervationsvorgang sich fortgepflanzt haben m\u00fcsse. Erfahrungsgem\u00e4ss beobachtet man nun bei Reizung eines Ner-venst\u00fcckes in seiner Mitte die Ausbildung der negativen Schwankung nach beiden Seiten hin von dem gereizten Punkte aus und zwar, wie es scheint, mit gleicher Leichtigkeit. Hieraus ist in Uebereinstimmung mit der vorigen Bemerkung zu schliessen, dass auch der an einem bestimmten Orte im Nerven erregte Innervationsvorgang sowohl nach dem peripherischen, als centralen Abschnitte der Nervenfasern hin vordringe, dass mit anderen Worten die Lehre von der einsinnigen Leitungsf\u00e4higkeit der Nervenfasern nicht richtig sei. Auch findet sich kein Unterschied in dieser Beziehung zwischen sensibeln und motorischen Nerven. Zur Befestigung dieser Lehre dienen noch Erfahrungen, welche man auf","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"\\29 \u2014\neinem ganz andern Gebiete der Nervenphysiologie gemacht hat, im Anfang mit minder, sp\u00e4ter mit mehr klarem Bez\u00fcge auf dieselben. Wir meinen die Versuche, welche man \u00fcber die Functionen getrennter und kreuzweise wieder zusammengeheilter, motorischer und sensitiver Nerven angestellt hat. Wegen der Wichtigkeit, welche derartige Versuche nicht allein f\u00fcr die uns hier besch\u00e4ftigende Lehre, sondern auch f\u00fcr gewisse Fragen der Hirnphysiologie haben, setzen wir die Geschichte derselben hierher. Wir heben dabei jedoch nur diejenigen heraus, bei welchen rein sensible und rein motorische Nerven, nicht aber solche gemischter Function benutzt worden sind, obsclion f\u00fcr practische Zwecke die Betrachtung derselben Interesse genug bietet. Diese beginnen mit Bidder *), welcher zuerst den durchschnittenen Lingualis und Hypoglossus kreuzweise zu verheilen suchte. Wie so oft, fielen auch hier die ersten Versuche unbefriedigend aus. Zwar konnte durch electrische Reizung vom centralen Lingualisstumpfe Bewegung in der Zungenmusculatur erzeugt werden, aber es blieb bei der anatomischen Untersuchung zweifelhaft, ob in der Narbe auch wirklich das peripherische St\u00fcck des Hypoglossus mit dem centralen des Lingualis zusammengewachsen war, wesshalb der Erfolg der Reizung mit Misstrauen betrachtet wurde. Wegen derselben Unsicherheit konnte auch nicht entschieden werden, ob die Heilung der unmittelbar nach der Durchschneidung in Folge mangelnden Gef\u00fchls entstehenden L\u00e4sionen der Zunge und der Mangel erneuten Auftretens desselben herr\u00fchre von einer Verwachsung des peripherischen St\u00fcckes des Lingualis mit dem centralen des Hypoglossus oder dem analogen des ersteren. Sp\u00e4ter sind nach Bidder\u2019s Vorgang dieselben Versuche von Ambrosoli **), Gluge et Thiernesse***), Schiff f) und neulich von Philipeaux et Vulpianff) und Rosenthal fff) wiederholt worden. Die Versuche von Gluge und Thiernesse f\u00fchrten die Verfasser zu der Annahme, dass ein Zusammenheilen von Nervenfasern verschiedener Function nicht m\u00f6glich sei. S\u201echiff kam gleichfalls zu einem negativen Resultat. Dagegen sind die andern Forscher\n*) Bidder : Versuche \u00fcber die M\u00f6glichkeit des Zusamjnenhejlens functionell verschiedener Nervenfasern. M\u00fcller\u2019s Archiv. 1842. S. 102.\n**) Sulla riunioni dei Nervi senzienti eoi motori c sugli effetti che ne derivano. Gaz. med. ital. Lombardia. 1860, pag- 1229\u201432 et 287.\u201439.\n***) Gluge et A. Thiernesse: Nouvelles exp\u00e9riences sur la r\u00e9union des fibres nerveuses sensitives avec les fibres motrices. Bulletin de l\u2019Acad\u00e9mie de Belgique. Tome XVI. 1863, Nr. 7.\nf) Schiff : Muskel- und Nervenphysiologie. Lahr 1859. S. 134. ff) Philipeaux et A. Vulpian: R\u00e9cherches sur la r\u00e9union bout \u00e0 bout des fibres nerveuses sensitives avec les fibres nerveuses motrices. Compt. rend. Tome LXI. p. 50. fff) Rosenthal, im Centralblatt f\u00fcr die med. Wissenschaften. 1864. Nr. 23.\nEc kb ard, Nervenphysiologie. ^\t9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"zu der tJeberz\u00eaugung gekommen, dass sich der centrale Stumpf des Nervus lingualis mit dem peripherischen des Nervus hypoglossus verbinden lasse. Bei j\u00fcngern Hunden erreichten sie dies innerhalb eini-ger Monate. Directe, electrische und mechanische Beizungen des Lin-gualisstumpfes riefen dann Zuckungen in der correspondirenden Zungenh\u00e4lfte hervor, welche aber ausblieben, sobald das mit der Zunge in Verbindung stehende St\u00fcck des Hypoglossus durchschnitten wurde. Von den St\u00fcmpfen, welche nicht zur Zusammenheilung vorbereitet wurden, waren grosse St\u00fccke herausgeschnitten, so dass sie sich in der Narbe mit den anderen Nervenenden nicht mischen konnten. An Ort* und Stelle brauchen wir von diesen Versuchen nicht mehr, als das ebenerw\u00e4hnte Resultat. Seine Wichtigkeit aber liegt darin, dass es uns beweist, dass der sensitive Nervus lingualis die in ihm her vorgerufenen Innervationsvorg\u00e4nge auch nach der Peripherie hin fortzuleiten vermag, mit anderen Worten, dass wir hier noch einen anderen Beweis f\u00fcr die doppelsinnige Leitungsf\u00e4higkeit des Nerven erbracht haben. Zu w\u00fcnschen bleibt nur noch, dass die Art und Weise der Neubildung der Nervenfasern noch etwas genauer verfolgt werde, um behaupten zu k\u00f6nnen, dass in dem Lingualisstumpfe sich wirklich die fr\u00fcheren Fasern unver\u00e4ndert erhalten haben und keine motorischen Elemente vom Hypoglossus aus hineingewachsen sind. Die letzteren Versuche sind im Wesentlichen durch eine erneute Bearbeitung desselben Gegenstandes von Seiten Bidder\u2019s \u2022) best\u00e4tigt worden. Die Versuche \u00fcber das Zusammenheilen des centralen Hypoglossusstumpfes mit dem peripherischen Lingualistheile sind zwar gelungen, aber in ihrer jetzigen Form sind dieselben als Beweismittel f\u00fcr die Richtigkeit der Lehre von der doppelsinnigen Leitungsf\u00e4higkeit der Nerven nicht brauchbar, da der Hypoglossus, wenigstens an der Stelle, an welcher man ihn behufs einer Zusammenheilung mit dem Lingualis trennte, bereits sensitive Fasern f\u00fchrt, also aus der nach erfolgtem Zusammenheilen bestehenden Empfindlichkeit des peripherischen Lingualisst\u00fcckes mit Sicherheit Nichts geschlossen werden kann. \u2014 Welche Bedeutung die vorigen Versuche f\u00fcr unsere Vorstellungen \u00fcber die Physiologie des Gehirns haben, wird sp\u00e4ter erw\u00e4hnt werden.\n\u00a7\u2022 12.\nUeber das Wesen des Innervationsvorganges.\nBei der Kenntnissnahme der in den letzten Paragraphen beschriebenen Thatsachen war es unsere Absicht, aus ihnen im Verein mit Dem-\n*) F. Bidder: Beobachtung doppelsinniger Leitung im N. lingualis nach Vereinigung .desselben mit dem N. hypoglossus. Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie. Herausg. von Reichert und du Bois - Keymond, Jahrg. 1865, S. 246.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"jenigen, was uns aus dem Abschnitte \u00fcber Nervenphysik bekannt geworden ist, eine Vorstellung \u00fcber das Wesen des Innervationsvorganges zu bilden. Sehen wir jetzt zu, inwieweit dies ausf\u00fchrbar ist. Eine Vermuthung dr\u00e4ngt sich uns sofort auf; die n\u00e4mlich, dass der Innervationsvorgang sehr innig mit der Wirkung electrischer Kr\u00e4fte verkn\u00fcpft sein muss, oder dass sogar er selbst weiter Nichts sei, als eine besondere Bewegungsform electrischer Theile. Man stelle sich lebhaft vor : dass ein Nerv nur so lange Bewegungen auszul\u00f6sen f\u00e4hig ist, als er selbst electromotorische Wirkungen entfaltet und ersteres mit um so gr\u00f6sserer Lebhaftigkeit thut, je sch\u00e4rfer die letzteren an ihm hervortreten ; dass, sowie er in Th\u00e4tigkeit verf\u00e4llt, um einen Muskel zur Zuckung, oder ein anderes Organ zu der ihm eigenth\u00fcmlichen Th\u00e4tigkeit anzuregen, sofort die Anordnung seiner electromotorisch wirkenden Theile eine Aenderung erf\u00e4hrt , und dass dies mit einer Energie geschieht, die stets gleichen Schritt mit der h\u00e4lt, mit welcher er seine Organe zur Th\u00e4tigkeit zwingt; dass unter den mannigfaltigen Reizen zur Anregung des Innervations-vorgangs sich keiner geschickter und sicherer erweist, als die Electricit\u00e4t selbst; dass jede feine Nuan\u00e7e electrischer Einwirkung sich irgendwie in einer analogen der Reizerscheinung ausspricht; dass man durch galvanische Str\u00f6me f\u00fcr l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit die physiologische Constitution des Nerven sichtlich ab\u00e4ndern kann, ich sage, man vergegenw\u00e4rtige sich dies Alles, und man wird nicht umhin k\u00f6nnen, sich dem Glauben hinzugeben, das Wesen des Innervationsvorganges bestehe in electrischen Wirkungen. Es kommt jetzt zun\u00e4chst darauf an, dieser allgemeinen Vorstellung eine bestimmtere Gestalt zu geben. Denkt man nun daran, dass die Unterbrechung der Continuit\u00e4t des Nervenmarks den Innervationsvorgang in seiner Fortpflanzung hemmt, so kann derselbe weder dem gew\u00f6hnlichen electrischen Strome, noch Inductionsph\u00e4-nomenen gleich sein oder \u00e4hnlich aussehen; denn der erstere wird durch jene Procedur in seiner Verbreitung nicht gehemmt, und die letzteren bed\u00fcrfen nicht des unmittelbaren Contactes zweier Elemente, von denen das eine auf das andere inducirend wirkt. Man muss daher annehmen, dass der Innervationsvorgang in der Fortpflanzung einer Bewegung bestehe, wobei die den Nerven zusammensetzenden, electromotorischen Molek\u00fcle unmittelbar auf einander wirken. Wir h\u00e4tten uns also vorzustellen, dass w\u00e4hrend des Ruhezustandes des Nerven die ihn zusammensetzenden kleinsten Theilchen verm\u00f6ge ihrer electrischen Wirkungen auf einander sich in einer bestimmten Anordnung, etwa der befinden, welche wir zur Erkl\u00e4rung der Erscheinungen des ruhenden Nervenstromes annehmen. Trifft ein Reiz auf diese Anordnung auf, so muss eine Aenderung in der gegenseitigen Lage ihrer Theile eintreten. F\u00fcr die nicht electrischen\n,\t9 *","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nReize wird dies unter der Annahme begreiflich, dass sie die Gr\u00f6ssen und Anordnungen der electrischen Kr\u00e4fte der unmittelbar betroffenen Nerventheilchen herbeif\u00fchren, und zwar in der Weise, dass sie eine gewisse Anzahl ganz oder thoilweise zerst\u00f6ren, oder durch Aenderung ihrer chemischen Zusammensetzung eine andere Vertheilung der electrischen Kr\u00e4fte herbeif\u00fchren. F\u00fcr die electrischen Reize ist eine solche St\u00f6rung noch einsichtsvoller, indem es unmittelbar einleuchtet, dass, wenn ein elec tris eher Strom durch einen Haufen electrisch wirkender Molek\u00fcle, welche sich in Folge ihrer electrischen Wirkung auf einander in gewissen Lagen befinden, setzt, die Bestandteile desselben zu einer neuen Anordnung zwingen wird. Ist einmal an einer Stelle des Nerven eine solche St\u00f6rung hereingebrochen, so findet man begreiflich, dass die Wirkung der gest\u00f6rten auf ihre unmittelbar sie ber\u00fchrenden Nachbarn daselbst neue St\u00f6rung anrichten muss u. s. w. In die Fortpflanzung nun dieser St\u00f6rung der urspr\u00fcnglichen Anordnung der Nerventheilchen und zwar dadurch, dass die letzteren die erstere durch ihre electrischen Kr\u00e4fte einleiten und unterhalten, k\u00f6nnen wir vorerst allgemein das Wesen des Innervationsvorganges setzen. Es ist hiernach derselbe \u00e4hnlich der Fortpflanzung des gest\u00f6rten Gleichgewichtes der Theilchen einer Wassermasse oder eines gespannten Seiles, nur mit dem Unterschiede, dass w\u00e4hrend bei jener die Schwere oder die Elasticit\u00e4t als bewegende Ursachen auftreten, es hier electrische Kr\u00e4fte sind, welche diese Wirkung aus\u00fcben. Man hat vorgeschlagen, sich den Hergang in der Weise zu versinnlichen, dass man sich eine Reihe Magnetnadeln oder Molek\u00fcle, welche an ihren beiden Enden entgegengesetzte Electricit\u00e4ten tragen, vorstelle und welche nach einander andere Stellungen' einnehmen und demgem\u00e4ss eine Bewegung fortpflanzen m\u00fcssen, sobald man an einem bestimmten Orte einigen Gliedern andere Lagen anweist. Selbstverst\u00e4ndlich ist dies Bild nicht darauf berechnet, alle Z\u00fcge des Innervationsvorganges genau wiederzugeben, sondern dazu, um von ihm aus anschaulich zu machen, wie er wesentlich in der Fortpflanzung eines Bewegungszustandes bestehe, bei welchem sich die materiellen Theilchen des Nerven selbst betheiligen und namentlich auch, um von einer alten Vorstellung abzulcnken, nach welcher man sich den Innervationsvorgang unter dem Bilde des Fliessens eines gewissen Etwas, des Nervenagens, vorstellte. Nach diesen Vermuthungen h\u00e4tten wir also die Erzeugung der St\u00f6rung in der Lage der Nerventheilchen, welche diese in Folge der ihnen im ruhenden Nerven zukommenden electrischen Eigenschaften annehmen und die Fortpflanzung derselben bis zu den Organen hin, als die Ursache der Th\u00e4tigkeit der letzteren anzusehen. In dieser Beschr\u00e4nktheit scheint die Annahme jedoch nicht auf die Sinnesnerven zu passen, welche bekanntlich auch","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"133\nauf die Constanz des electrischen Stromes antworten, und es nat\u00fcrlich scheint, anzunehmen, dass nur Aenderungen in der electrischen Dichte die vermutheten St\u00f6rungen zu erzeugen verm\u00f6gen und die Constanz des Stromes vielmehr die electrischen Theile in bestimmten Lagen festhalte. Man k\u00f6nnte zwar diese Unbequemlichkeit durch die Annahme heben, dass das Pr\u00fcfungsorgan f\u00fcr die der Empfindung dienenden Vorg\u00e4nge vor dem Muskel den Vorzug habe, dass es auch die dauernde Ver\u00e4nderung in der nat\u00fcrlichen Lage der electrischen Theile der Nerven f\u00fchle; allein es scheint, als ob damit das Rechte nicht getroffen w\u00e4re, da ja auch F\u00e4lle bekannt sind, dass der Muskel w\u00e2hr\u00eand der Wirkung constanter Str\u00f6me auf seinen Nerven in Erregung verf\u00e4llt. Wir werden daher besser thun, anzunehmen, dass auch w\u00e4hrend des Kreisens des constanten Stromes im Nerven eine fortw\u00e4hrende Aenderung in der electrischen Anordnung der Nerventheile stattfinde, welche je nach ihrer von besonderen Umst\u00e4nden abh\u00e4ngenden Gr\u00f6sse und der Feinheit des bez\u00fcglichen Pr\u00fcfungsorganes durch das letztere beantwortet werden. Feiner und bestimmter l\u00e4sst sich, zufolge der bekannten Thatsachen, die Vorstellung \u00fcber die Eigenschaften des Innervationsvorgangs kaum ausmalen. Es wird aber gut sein, uns an Ort und Stelle noch einmal klar zu machen, in welche Beziehungen die am th\u00e4tigen Nerven beobachtete Erscheinung der negativen Schwankung zum Innervationsvorgang selbst zu setzen sei. Es steht allerdings richtig, dass ein in Th\u00e4tigkeit bgeriffener Muskelnerv diese Erscheinung zumeist zeigt; anders aber ist\u2019s mit dem Sinnesnerven und mit dem Muskel f\u00fcr den Fall, dass seinen Nerven nur schwache Str\u00f6me treffen. W\u00e4hrend wir in diesen F\u00e4llen den Nerven durch den constanten Strom zum Innervationsvorgange anregen, wird von einer negativen Schwankung Nichts gesehen. Man kann aber nicht sagen, dass sie fehle; sie k\u00f6nnte m\u00f6glicher Weise durch den dann bestehenden Electrotonus verdeckt sein. Dem sei, wie ihm wolle; jedenfalls ist die negative Schwankung des Nervenstromes, selbst wenn sie auch hier vorkommt, nur ein Zeichen f\u00fcr bestehenden Innervationsvorgang; \u00fcber die innere Natur desselben sagt sie nur aus, dass w\u00e4hrend des Eintretens desselben die electriscbe Wirkung der Nerventheile nach aussen geringer, als zur Zeit der Ruhe des Nerven ausf\u00e4llt. Man muss also diesen bedeutungsvollen Ausdruck nicht missbrauchen und in ihm eine Einsicht in \u2019das Wesen des Innervationsvorganges zu besitzen meinen. In dieser Vorsicht wird man noch besonders durch die Erfahrungen best\u00e4rkt, dass wir die Innervationsvorg\u00e4nge der Sinnesnerven, wrie sie durch deremeigenth\u00fcmliche Erreger : Schallwellen, Lichtwellen, fl\u00fcchtige und schmeckbare Stoffe etc. angeregt werden, noch nicht objectiv, d. h. durch ein an ihnen beobachtbares, physikalisches Zeichen darzu-","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nstellen verm\u00f6gen. Ich habe zwar den Versuch gemacht, th\u00e4tige Hautnerven, mit Hilfe des Polarisationsapparates zu untersuchen, konnte aber bis jetzt zu keinem positiven Resultate kommen. Aus den vorhandenen Erfahrungen ist also nur eine sehr unvollkommene Vorstellung \u00fcber das Wesen des Innervationsvorganges abzuleiten; Alles aber spricht daf\u00fcr, dass es in einer Bewegung der Nervenmolek\u00fcle in Folge ihrer unmittelbaren electrischen Einwirkungen auf einander bestehe. \u2014\n\u00a7. 18.\nDie Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Innervationsvorganges.\nWenn die im vorigen Paragraphen auseinandergesetzte Vorstellung in ihrem Fundamente richtig ist, dann muss die folgende Folgerung aus derselben bestehen. Eine Umschau n\u00e4mlich unter den verschiedenen Bewegungen, welche um uns herum in der Natur vor sich gehen, zeigt, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit aller derjenigen Bewegungsvorg\u00e4nge, bei denen sich die materiellen Molek\u00fcle der Materie selbst betheiligen, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig klein ist gegen\u00fcber denjenigen, bei welchen dies nicht der Fall, w\u00f6 sich vielmehr, dem Standpunkte unserer jetzigen Kenntnisse gem\u00e4ss, imponderable Kraftpunkte, deren Gesammtheit wir im Allgemeinen Aether nennen, in Bewegung setzen. So betr\u00e4gt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wasserwellen unter dem Einfluss der Schwere unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden nur 4\u20145 Fuss, die an einem massig gespannten, wenig elastischen Seile etwa 100 Fuss, die des Schalles in der Luft unter dem Einfl\u00fcsse ihrer Elasticit\u00e4t etwa 332 Meter in der Secunde u. s. w. Dahingegen steigt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes unter dem Einfl\u00fcsse der Elasticit\u00e4t des imponderabeln Aethers bis zu c. 41918 geographischen Meilen, die der electrischen Ausgleichung in Kupfer- und Eisendr\u00e4hten von einigen Millimetern Querschnitt bis zu 100,000 Kilometer in der Secunde an. Findet man nun, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Innervationsvorgangs in ihrem quantitativen Werth sich der einen oder andern Gattung von Geschwindigkeiten an-schliesst; so wird daraus bis auf Weiteres zu entnehmen sein, ob sich bei diesem Vorg\u00e4nge die materiellen Molek\u00fcle des Nerven selbst betheiligen oder nicht. Aus dem Umstande, dass augenscheinlich bei Reizung des Nerven am Nerv-Muskelpr\u00e4parate die Zuckung mit der Einwirkung des Reizes zusammenf\u00e4llt, ist nicht auf eine sehr grosse Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Innervationsvorgangs zu schliessen, ebensowenig als aus dem Factum, dass in einem Zimmer scheinbar zu derselben Zeit, in","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"135\nwelcher eine Person spricht, die andere das gesprochene Wort h\u00f6rt, ab-zulciten w\u00e4re, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Luftwelle sehr gross sei; denn in beiden Beispielen ist die Wegstrecke, auf welche hin sich die Bewegungen fortzupflanzen haben, so klein, dass keine merkbare Zeit zwischen Ursache und Wirkung verfliessen kann. Um zur richtigen Einsicht zu gelangen, kann man bei der Luftwelle ohne Schwierigkeit die Wegstrecke zwischen der Tonquelle und dem Geh\u00f6rorgan nach Belieben vergr\u00f6ssern; bei dem Innervationsvorgange ist dies wegen der geringen L\u00e4nge des Nerven nicht m\u00f6glich. Hier muss man daher zu einem anderen Auskunftsmittel seine Zuflucht nehmen. Dies besteht in der genauen Messung sehr kleiner Zeittheilchen, um auf diese Weise das Zeitintervall zwischen Nervenreiz und Muskelzuckung scharf zu bestimmen.\nBisher sind f\u00fcr diesen Zweck zwei Methoden ausgebildet worden.\nEine erste besteht darin, dass man die Dauer eines sehr kleinen Zeittheilchens dadurch misst, dass man genau w\u00e4hrend desselben einen electrischen Strom geschlossen h\u00e4lt, welcher durch ein Multiplicatorge-winde geht, in dem ein Magnetstab h\u00e4ngt. Diese Methode hat zuerst Po u ill et*) kennen gelehrt. In der That, es l\u00e4sst sich aus der Ablenkung a, welche ein Magnetstab unter dem Einfluss des momentanen Stromes erleidet, die Andauer D desselben berechnen, wenn noch ausserdem die Schwingungsdauer t des Magneten und die Ablenkung x bekannt sind, welche derselbe Strom h'ervorbringt, wenn er permanent wirkt. Dies ergiebt sich aus Folgendem : Bezeichnet man mit M das magnetische Moment des Magnetstabes, mit T die horizontale Componente des Erdmagnetismus und mit K das Tr\u00e4gheitsmoment der ersteren in Bezug auf seine Drehungsaxe, so hat man bekanntlich f\u00fcr den Stab als ein magnetisches Pendel\nwie sich aus der Formel f\u00fcr das Schwerependel durch passende Substitution ergiebt. Ist x der Bogen, um welchen der mit der Intensit\u00e4t I permanent wirkende Strom den Magnetstab ablenkt, so hat man fernei\n2) T M x = IM.\nWeiter hat man f\u00fcr die Geschwindigkeit 0, welche der Magnetstab durch den momentanen Strom eingepr\u00e4gt erh\u00e4lt, f\u00fcr den Fall, dass keine D\u00e4mpfung stattfindet,\n2) C = -j- a\n*) Comptes rendus. XIX p. 1384 und Poggtndorff\u2019s Annalen. Bd. LXIV. S. 457,","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nund da anderseits die Geschwindigkeit gleich ist der ablenkenden Kraft des Stromes mal der Dauer desselben dividirt durch das Tr\u00e4gheitsmoment, so hat man endlich\n4)C==DIM\nworaus sich ergiebt ;\nK\n5) D =\nt a 7t x\u2019\nFindet D\u00e4mpfung statt, so ist die Geschwindigkeit C mit R\u00fccksicht auf das logarithmische Decrement nach der Reihe zu bestimmen, welche Gauss *) angegeben hat. In Beziehung auf die practische Ausf\u00fchrung dieser Methode f\u00fcr unsere gegenw\u00e4rtigen Zwecke vergleiche man Helmholtz **), welcher mit ihrer Hilfe zuerst die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den motorischen Nerven des Frosches ausgemittelt hat. Eine Vorstellung von den von ihm eingerichteten Versuchen giebt die beistehende Zeichnung. Man hat zwei Stromkreise. Der eine, die Reizung ausf\u00fchrende, wird durch die Inductions-rolle B , die Enden ihres Drahtes und das von ihnen eingeschlossene Nerven-st\u00fcckchen gebildet.\nDer andere, zeitmessende, welcher von I \u00fcber g p F R i' geht, zeigt folgende Einrichtungen : F ist der Multiplicator, dessen Nadel durch den Strom -, welchen die K\u00e9tt\u00ea w\u00e4hrend ihres kurz andauernden\nGeschlossenseins liefert, um eine gewisse Gr\u00f6sse abgelenkt wird. Der Schluss s\u00e8lbst wird dadurch bewerkstelligt, dass man den metallischen\n*) Gauss und Weber: Resultate des magnetischen Vereins. 1857.\n**) Helmholtz : Messungen \u00fcber den zeitlichen Verlauf der Zuckung animalischer Muskeln und die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven. M\u00fcller\u2019s Archiv. 1850: S. 276.","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"137\nSchliessungsstab R auf das Platinpl\u00e4ttchen i' setzt, welches leitend mit dem einen Pol der Kette verkn\u00fcpft ist. An der unteren Sehne des Muskels ist eine Stahlspitze g angebracht, welche einerseits mit dem anderen Pol der Kette in Verbindung steht, andrerseits in ein Gef\u00e4ss p mit Quecksilber taucht, aus welchem ein Draht weiter zur Vervollst\u00e4ndigung des Kreises nach dem Galvanometer F f\u00fchrt. Eine Wippe V dient dazu, in demselben Moment einen den Nerven reizenden Inductions-strom auszul\u00f6sen, in welchem der zeitmessende Strom geschlossen wird. Dies geschieht in der Weise, dass beim Aufsetzen des Schliessungs-Stabes R auf das Platinpl\u00e4ttchen i', der rechte Arm der Wippe herunter, der linke in die H\u00f6he geht und letzterer bei dieser Gelegenheit die inducirende Kette P, deren Strom durch die prim\u00e4re Rolle A \u00fcber c e i h geht, durch Abheben des Platinstiftes e von dem Platinpl\u00e4ttchen i, welches auf den Untersatz d gel\u00f6thet ist, unterbricht. Der analoge Untersatz d der anderen Seite dient nur als Bewegungsgrenze f\u00fcr die Wippe. Der Schluss bei i', die Oeffnung bei e und die Erzeugung des Inductionsstosses in B k\u00f6nnen als gleichzeitig geschehend betrachtet werden. Der zeitmessende Strom bleibt, wenn man R und i' in Contact erh\u00e4lt, so lange geschlossen, bis ihn der sich zusammenziehende Muskel durch Abheben der Stahlspitze g von der Oberfl\u00e4che des Quecksilbers im N\u00e4pfchen p unterbricht. Diese Zeit ist im Ganzen sehr klein und aus der w\u00e4hrend derselben durch den Strom erzeugten Nadelablenkung im Galvanometer F kann dann nach der S. 136 gegebenen Regel die Zeit des Geschlossenseins berechnet werden. Man wiederholt jetzt den Versuch, nur mit dem Unterschiede, dass die Drahtenden der Inductionsrolle B an den Nerven dicht bei seinem Eintritt in den Muskel angelegt werden. Man erh\u00e4lt dann einen von dem vorigen verschiedenen und zwar geringem Zahlenwerth f\u00fcr die Andauer des zeitmessenden Stromes. Da alle Einrichtungen dieselben geblieben sind, wie sie im ersten Versuche waren, so kann der Unterschied nur daher r\u00fchren, dass bei dem einen Versuche der Innervationsvorgang eine gr\u00f6ssere Wegstrecke zu durchlaufen hatte, als im anderen. Jene Zeitdifferenz entspricht daher der Wegdifferenz zwischen den beiden Electrodenstel-lungen. Hieraus findet man endlich durch ein einfaches Regeldetri-exempel die Wegstrecke, welche der Innervationsvorgang in der Zeiteinheit durchl\u00e4uft.\nEine zweite, wenn auch nicht sehr scharfe, f\u00fcr den gegenw\u00e4rtigen Zweck aber doch innerhalb gewisser Grenzen brauchbare Methode benutzt die graphisch dargestellten Curven, welche ein zuckender Muskel, der an einer Schreibevorrichtung h\u00e4ngt, auf einen sehr schnell vor dieser vorbeirotirenden Cylinder aufschreibt, wie dies also z. B. in dem","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nMyographion von Helmholtz *) ausgef\u00fchrt wird. Wenn man nun unmittelbar hinter einander her zwei Zuckungscurven schreiben l\u00e4sst und zwar in der Art, dass man in einem ersten Verbuch als Reizungsstelle einen von dem Eintritt des Nerven in den Muskel weit ent-fernt gelegenen Punkt w\u00e4hlt und in einem zweiten denselben durch einen so weit als m\u00f6glich davon abw\u00e4rts gelegenen ersetzt; so findet man, dass bei gleicher Drehungsgeschwindigkeit des Cylinders die beiden Zuckungscurven horizontal gegen einander verschoben sind und zwar in der Weise, dass die zuletzt geschriebene fr\u00fcher beginnt. Dies kann, da alle \u00fcbrigen Verh\u00e4ltnisse dieselben geblieben sind in nichts Anderem, als darin seinen Grund haben, dass im ersten Versuch der Innervationsvorgang sich durch eine l\u00e4ngere Nervenstrecke hindurch fortzupflanzen hatte, als im zweiten. Die in beiden Versuchen sich gleichbleibende Umdrehungsgeschwindigkeit l\u00e4sst sich mit Hilfe einer besonderen, am Myographion angebrachten Vorrichtung bestimmen, und daraus kann man die Zeit finden, welche der horizontalen Verr\u00fcckung der Zuckungscurven entspricht. Endlich kennt man die Nervenstrecke, welche zwischen den beiden gew\u00e4hlten Reizungsstellen liegt, womit man dann unmittelbar den Weg hat, welchen der Innervationsvorgang in der der Verr\u00fcckung der Curven entsprechenden Zeit zur\u00fccklegte. Einer besonderen Sch\u00e4rfe ist'\u00fcbrigens diese Methode nicht f\u00e4hig, da die mehrfach erw\u00e4hnte Verr\u00fcckung im Ganzen doch klein und die Bestimmung der Umdrehungsgeschwindigkeit des Cylinders nicht hinl\u00e4nglich scharf genug vorgenomnien werden kann. Aber sie ist besonders geeignet, um unmittelbar anschaulich zu machen, dass der Innervationsvorgang zu seiner Fortpflanzung \u00fcberhaupt einer messbaren Zeit bedarf.\nDie Resultate, welche durch diese beiden Methoden zu Tage gef\u00f6rdert worden sind, k\u00f6nnen in folgende S\u00e4tze zusammengefasst werden :\n1 ) F\u00fcr die H\u00fcftnerven des Frosches betr\u00e4gt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Mittel c. 27 Meter f\u00fcr die Secunde hei einer Temperatur zwischen 11 bis 210 C. Dieselbe ist demnach eine sehr m\u00e4ssige, etwa so gross, wie die einer Welle, welche an einem m\u00e4ssig gespannten Seile dahin l\u00e4uft. Befremdend kann dieses Resultat f\u00fcr uns nicht mehr sein; es ist vielmehr in vollkommner Uebereinstimmung mit den Folgerungen, welche wir aus unserer Vorstellung \u00fcber das Wesen des Innervationsvorgangs gezogen haben, und jene erh\u00e4lt daher durch diesen Umstand eine besondere St\u00fctze.\n2) Mit der Abnahme der Temperatur ver\u00e4ndert sich die Fortpflan-\n*) Helmholtz: Messungen \u00fcber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven. M\u00fcller\u2019s Archir. 1852. S. 199.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"139\nZungsgeschwindigkeit in hohem Masse. Sie kann bei einer Temperatur von Null leicht bis zur zehnfach geringem, als die erw\u00e4hnte werden. Diese Eigenschaft l\u00e4sst sich bei einiger Hebung in der Handhabung des Myo-graphions noch recht gut mit Hilfe der zweiten, graphischen Methode nachweisen.\n3) Es sind Anzeichen vorhanden, dass der Innervationsvorgang sich nicht durch alle Querschnitte des Nerven mit gleicher Geschwindigkeit fortpflanze. Hier\u00fcber hat Munk * *) Versuche angestellt. Um die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten des Innervationsvorganges an verschiedenen Stellen des Nerven mit einander zu vergleichen, bediente sich Munk des Myographions und zwar in der Weise, dass er auf dem in allen Versuchen mit derselben Geschwindigkeit sich bewegenden Cylinder drei Zuckungen schreiben l\u00e4sst, welche durch Inductionsstr\u00f6me ausgel\u00f6st wurden, bei denen unipolare Zuckungen vermieden, das Maximum der Erregung stattfand und von drei Electrodenpaaren aus bewirkt wurden, von denen eins in der N\u00e4he des R\u00fcckenmarksendes des Nerven, ein anderes in der Gegend der Eintrittsstelle desselben in den Muskel und ein drittes in der Mitte zwischen beiden angebracht war. Auf diese Weise erhielt er drei congruente Curven, die in horizontaler Richtung gegen einander verschoben waren. W\u00fcrde sich nun der Innervationsvorgang an allen Stellen des Nerven mit gleicher Geschwindigkeit fortpflanzen, so m\u00fcsste der Anfang der dem mittleren Electrodenpaar entsprechenden Curve genau in die Mitte zwischen die Anf\u00e4nge der beiden anderen fallen, also so, wie die erste der beistehenden Zeichnungen zeigt.\n3 2 1\nSo findet man es aber nicht, vielmehr so, wie es die zweite Figur **) repr\u00e4sentirt, in welcher die dem unteren und mittleren Electrodenpaar zugeh\u00f6rigen Curven, beide hier durch die st\u00e4rkere Linie repr\u00e4sentirt, so\n*) Munk: \"Untersuchungen \u00fcber die Leitung der Erregbarkeit in den Nerven. Bei chert\u2019s und du Bois-Beymond\u2019s Archiv. 1860. S. 798.\n*#) Leider sind durch ein \"Versehen die beiden Figuren nicht correspondi-\nrend gelegt.","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nwenig von einander verschieden sind, dass sie keine genau messbare, horizontale Verr\u00fcckung mehr zu einander zeigen, dagegen die dem obersten Electrodenpaar zukommende sehr betr\u00e4chtlich, gegen die zweite verschoben ist. Diese Erfahrungen scheinen zun\u00e4chst auszusagen, dass die dem R\u00fcckenmarksende des Nerven n\u00e4her gelegenen Strecken desselben die Erregung des Innervationsvorganges langsamer, als die entfernteren fortpflanzen. Doch erkl\u00e4rt sich die soeben gemachte Wahrnehmung auch gleich gut durch die Voraussetzung, dass die Schnelligkeit der Fortpflan-zung von ihrer Entfernung von der unmittelbar gereizten Stelle abh\u00e4ngig und zwar in der Weise sei, dass sie an allen Punkten, welche gleich weit entfernt sind vom Ort des Reizes mit gleicher, dagegen denjenigen, welche weiter davon entfernt sind, mit geringerer Geschwindigkeit stattfinde. Munk hat sich in Folge besonderer Versuche f\u00fcr die letztere M\u00f6glichkeit entschieden.\n4) Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit \u00e4ndert sich mit einer ver\u00e4nderten electrischen Molekularstructur, welche man in dem Nerven k\u00fcnstlich hervorruft. Die Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand r\u00fchren von Bezold *) her und fuhren zu dem Schluss, dass eine unter dem Einfluss des Stromes polarisirte Nervenstrecke, die Erregung des Innervationsvorganges viel langsamer fortpflanzt, als eine nicht so behandelte. Diese Eigenschaft tritt auf, in welcher Weise auch der Nerv polarisirt sein mag. Auch erh\u00e4lt sie sich noch kurze Zeit nach dem Oeffnen der den Nerven polarisirenden Kette. Die Verringerung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit bei Curaravergiftung wurde schon oben S. 76 erw\u00e4hnt.\nNat\u00fcrlich mussten Untersuchuugen, wie die vorigen, zu der Frage Veranlassung geben, wie es sich mit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Innervationsvorganges in den sensibeln Nerven verhalte, um so mehr, als die Erregung dieser manche Eigent\u00fcmlichkeit zeigt. Zwar scheint ihre Beantwortung etwas weniger einfach zu sein, da das Pr\u00fcfungsorgan auf die Existenz von Innervationsvorg\u00e4ngen in sensitiven Nerven, Gehirn und R\u00fcckenmark, in seiner Arbeit viel weniger als der Muskel gekannt ist; doch hindert dies nicht zu versuchen, inwieweit hier vorzudringen sei. Schon Helmholtz **) hat sich mit dieser Frage und zwar in folgender Weise besch\u00e4ftigt. Durch eine beschr\u00e4nkte Hautstelle wurde ein electrischer Reiz gef\u00fchrt, \u00e4hnlich dem, der in den Versuchen an den motorischen Nerven des Frosches den Bewegungsnerv traf. Man bediente sich dabei der oben zuerst auf S. 133 angegebenen Methode, so\n*) v. Bezold: Untersuchungen \u00fcber die eleotrische Erregung der Nerven und\nMuskeln. Leipzig 1861. Die hierher geh\u00f6rigen Thatsachen wurden jedoch schon vorl\u00e4ufig publicirt in Herrmann\u2019s allgemeiner med. Centralzeitung. 1859. Nr. 25.","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"141\ndass also im Momente der Einwirkung dieses Reizes ein zeitmessender Strom geschlossen wurde. Die Unterbrechung des zeitmessenden Stromes geschah mit den Armen oder Z\u00e4hnen in dem Augenblicke, in \u25a0welchem dem Individuum, an dem man die Untersuchungen anstellte, der Reiz zum Bewusstsein kam. Der zeitmessende Strom war also geschlossen w\u00e4hrend der Zeit, dass sich der Reiz in den sensitiven Nerven zum Gehirn fortpflanzte, dort zum Bewusstsein kam, der Innervationsvorgang in den betreffenden Muskeinerven sich fortpflanzte und die Muskeln sich bis zur L\u00f6sung der Kette zusammenzogen. Indem man nun in zwei auf eineinander folgenden Versuchen den Reiz auf zwei in verschiedener Entfernung vom Gehirn liegende Stellen wirken liess, \u00e4nderte man von jenen drei Summanden der Zeit, welche die ganze Dauer des zeitmessenden Stromes zusammensetzten, nur denjenigen, welcher die Fortpflanzung des Innervationsvorganges im sensibeln Nerven betraf, und indem man schliesslich noch die Differenz in der Entfernung beider Ilautstellen ermittelte, erhielt man aus diesen Daten eine Vorstellung \u00fcber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Gef\u00fchlsnerven. Als Resultat seiner Untersuchungen dieser Art f\u00fchrte Helmholtz an: \u201eDie Nachricht von einem Eindr\u00fccke, der auf das H\u00e4utende empfindender Nerven gemacht ist, pflanzt sich mit einer zu verschiedenen Zeiten und hei verschiedenen Individuen nicht merklich variirenden Geschwindigkeit von 60 Meter nach dem Gehirn fort. Im Gehirn angekommen, vergeht eine Zeit von etwa 1/10 Sec., ehe der Wille auch bei der'angespanntesten Aufmerksamkeit die Botschaft an die Muskelnerven abzugeben im Stande ist, verm\u00f6ge welcher gewisse Muskeln eine bestimmte Bewegung ausf\u00fchren sollen. Diese Zeit variirt besonders nach dem Grade der Aufmerksamkeit bei verschiedenen Personen und zu verschiedenen Zeiten be derselben Person und ist bei laxer Aufmerksamkeit sehr unregelm\u00e4ssig und lang, bei gespannter dagegen sehr rogelm\u00e4ssig. Nun l\u00e4uft die Botschaft wahrscheinlich mit derselben Geschwindigkeit nach den Muskeln hin und endlich vergeht noch Yioo Sec., ehe der Muskel sich nach ihrer Empfangnahme in Th\u00e4tigkeit setzt. Im Ganzen vergehen also von .der Reizung der sensibeln Nervenenden bis zur Bewegung des Muskels D/4 bis 2 Zehntheile einer Secunde.\u201c ln den menschlichen Empfindungsnerven w\u00fcrde sich also der Innervationsvorgang etwa noch einmal so schnell als in den motorischen Froschnerven bewegen. Es liesse sich dies Resultat aus einer beiden Nervenarten zukommenden, verschiedenen molekularen Structur und aus dem Temperaturunterschiede der der Untersuchung unterworfenen Nervenbahnen erkl\u00e4ren. Zur Zeit ist jedoch keine N\u00f6thigung zu einer solchen Erkl\u00e4rung vorhanden; die Wiederholung der Versuche von Helmholtz mit anderen Mitteln hat zu ande-","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"m\nderen Zahlen gef\u00fchrt, die, da sie auf verschiedenen Wegen und von verschiedenen Forschern nahezu \u00fcbereinstimmend gefunden worden sind, eine gr\u00f6ssere Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich haben, dass sie richtiger'sind. Zuerst sind hierhergeh\u00f6rige Versuche von Hirsch *) zu erw\u00e4hnen. Dieselben werden mit Hilfe des Hipp\u2019schen Chronoscops angestellt. Im Allgemeinen ist dies ein Instrument, welches die Anzahl von tausendstel Secunden misst, welche zwischen der Oeffnung und Schliessuug eines electrischen Stromes vorgehen. Die Z\u00e4hlung jener Secundentheile geschieht durch ein Zeigerwerk, welches durch eine an dem Anker eines Electromagneten angebrachte Vorrichtung zu seinem Gang in dem Momente ausgel\u00f6sst wird, wenn man den electrischen Strom unterbricht und seinen Gang mit der Wiederherstellung des Stromes einstellt. In der unten citirten Ahhandlung von Hirsch findet sich eine ausf\u00fchrliche Beschreibung und Zeichnung des Chronoscops. Hirsch verfuhr nun behufs der Messung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Gef\u00fchlsnerven so, dass er einen Zweig des den Electromagneten beherrschenden Stromes zur Ausl\u00f6sung eines schwachen Inductionsstosses benutzte und letzteren durch eine Hautstelle leitete, wo er sich wie ein leichter Nadelstich f\u00fchlbar machte. Durch ein Tasterwerk \u00f6ffnete der Beobachter den, den Electromagneten umkreisenden Strom und setzte damit das Zeigerwerk des Chronoscops zur Ruhe in dem Momente, in welchem ihm die Empfindung zum Bewusstsein kam. Aehnliche Versuche wurden an verschiedenen Hautstellen angestellt, und dann aus der Differenz der gefundenen Zeiten und Nervenl\u00e4ngen schliesslich die Fortpflanzungsgeschwindigkeit f\u00fcr die Zeiteinheit berechnet. Es ergaben sich etwa 34 Meter f\u00fcr die Secunde, also ein nahezu um die H\u00e4lfte kleineres Resultat, als das von Helmholtz gefundene.\nMerkw\u00fcrdiger Weise ist eine davon nicht sehr bedeutend abweichende Zahl in neuerer Zeit von Schelske **) erhalten worden, und zwar mit Hilfe einer anderen Methode und ohne Kenntniss von den vorigen Versuchen. Der Verfasser hat seine Versuche auf der Sternwarte zu Utrecht mit Hilfe des Krill\u2019schen Registrirapparates angestellt,\n*) Die Untersuchungen wurden zuerst am 7. Nov- 1861 in der naturforschenden Gesellschaft zu Neuenburg vorgetragen. Sie sind dann im VI. Bande des Bulletin der erw\u00e4hnten Gesellschaft und auch in den Archives des Sciences physiques et naturelles de Gen\u00e8ve (Nouv. S\u00e9r. XV.) 1862. S. 160 gedruckt erschienen. Durch den Valentin\u2019schen Jahresbericht von 1852 und durch eine Uebersetzung in Mole-schott\u2019s Untersuchungen, Bd. IX. S. 163 sind sie weiter bekannt geworden. Mit liegt die letztere vor.\n**) Neue Messungen der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Reizes in den menschlichen Nerven. Reichert\u2019s und du Bois-Reymond\u2019s Archiv. 1864. S. 152.","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 143\ndem er f\u00fcr seine speciellen Zwecke einige Zus\u00e4tze gegeben. Von den Einzelheiten des Apparates kann hier keine Beschreibung gegeben werden; die folgenden Bemerkungen sind nur dazu bestimmt, den Leser nicht im absoluten Dunkel \u00fcber die Methode zu lassen. Auf einem durch ein Uhrwerk um eine horizontale Axe getriebenen Cylinder registrirt eine Uhr die Secunden und zwar mit Hilfe electromagnetischcr Vorrichtungen in der Art, dass die Zeichen der Zeit abwechselnd in verschiedener H\u00f6he zu liegen kommen. In der folgenden Figur stelltdieobere Zeichnung ein St\u00fcck dieser Registrirung von Secunden vor. Auf demselben Cylinder werden nun unmittelbar unter die vorige Zeichnung folgende Marken gemacht, n\u00e4mlich : 1) eine, welche den Moment des Reizes einer bestimmten Hautstelle bezeichnet; sie wird von einer Vorrichtung markirt, die in keiner Verbindung mit dem Beobachter steht; letzterer wird indess durch ein Zeichen von ihrem nahen Eintritt benachrichtigt, um seine Aufmerksamkeit auf die bevorstehende Empfindung zu lenken ; 2) eine, welche den Zeitmoment angiebt, in welchem der Reiz dem Beobachter zum Bewusstsein kommt. Diese f\u00fchrt der letztere selbst aus. 3) eine, welche aufgezeichnet wird in den Zeitr\u00e4umen, in welchen Nichts der Art geschieht.\nIn der zweiten Curve der beistehenden Fig. bedeuten a die Zeiten, in welchen der Zeichenstift in seiner Ruhelage ist, die Erhebungen zu b die Momente, in welchen dem Beobachter der bevorstehende Eintritt des\nReizes angemeldet wird, b selbst !_a seine Vorbereitung zur Aufmerksamkeit, c den Eintritt des Reizes, ee' Anfang und Ende des Zeichens i', welches der Beobachter macht, wenn der Reiz ihm zum Bewusstsein kommt, endlich die L\u00e4nge i die Zeit, welche vom Eintritt des Reizes bis zum Bewusstwerden desselben verfliesst. An den mit a bezeichneten Stellen hat man sich dieselben Bezeichnungen wiederholt zu denken. W\u00e4hlt man nun zur Reizung nach einander Stellen, \u2014welche verschieden weit vom Hirn ab liegen, so ist klar, dass die Linien i von verschiedener L\u00e4nge ausfallen m\u00fcssen : die einer Reizung an der Fussspitze entsprechende z. B. wird l\u00e4nger sein, als die einer solchen, welche etwa der Gegend des P o u p a r t\u2019schen Bandes correspondirt. In unserer Zeichnung ist dies gleichfalls sichtbar; die L\u00e4ngen, welche an den mit a bezeichneten Stellen mit i bezeichnet zu denken sind, haben eine geringere Gr\u00f6sse, als die L\u00e4nge i an der Stelle, wo alle Momente vollst\u00e4ndig bezeichnet sind. Mit Hilfe einer Loupe lassen sich die L\u00e4ngen der i genau messen, mit einander und der L\u00e4nge der Secundenlinie vergleichen und aus diesen Daten nebst der Differenz der Wegl\u00e4ngen der gereizten Stellen vom Gehirn schliesslich wieder die Fortpflanzungsgeschwindigkeit f\u00fcr","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\ndie Zeiteinheit hersteilen. Schelske\u2019s Resultate schwanken zwischen 25 und 32 Meter f\u00fcr die Secunde und f\u00fchren demnach zu einem Mit-telwerthe von c. 29 Meter f\u00fcr diese Zeit, also einem Werthe, der dem von Hirsch gefundenen ziemlich nahe kommt. \u2014 In den Versuchen von Schelske ist noch eine andere Frage ber\u00fchrt, die besprochen zu werden verdient, die n\u00e4mlich, ob die Fortpflanzungsgeschwindigkeit durch das R\u00fcckenmark eine wesentlich andere, als die durch die Nervenbahnen sei. Um f\u00fcr sie eine Antwort zu gewinnen, hat Schelske in der Art verfahren, dass er die hinteren Aeste der R\u00fcckenmarksnerven in ihren Ausbreitungen in der die R\u00fcckenmuskeln deckenden Haut reizte und zwar so, dass er in zwei auf einander folgenden Versuchen Hautstellen am R\u00fccken und am Nacken w\u00e4hlte, deren zugeh\u00f6rige Nerven nach ihrem Austritt aus dem R\u00fcckenmark nahezu gleich lang waren, sich aber dadurch von einander unterschieden, dass die einen innerhalb des R\u00fcckenmarks einen um 590 Mm. langem Weg als die anderen zu durchlaufen hatten. Er fand, dass der Innervationsvorgang zum Durchlaufen dieses Weges etwa 0,019 Sec. Zeit braucht, oder dass er in einer Secunde um etwa 31 Meter fortschreitet. Demnach w\u00e4re also die Schnelligkeit der Fortpflanzung der Innervation in peripherischen Nerven und dem R\u00fcckenmark gleich. Es ist zwar auch das Gegentheil von der Leitungsf\u00e4higkeit des R\u00fcckenmarks ausgesprochen worden *), allein auf Versuche hin, die auf den ersten Blick den Mangel an derjenigen Sch\u00e4rfe erkennen lassen, die auf diesem Gebiete nothwendig ist.\n\u00a7\u2022 19.\nPhysiologie des Gehirns.\nIch darf wohl bei dem physiologischen Leser voraussetzen, dass er in diesem Capitel nur nach solchen Mittheilungen sucht, welche durch ein Verfahren gewonnen sind, das unserem bisherigen Verhalten vollkommen entspricht. Leere Speculationen Uber die Natur der Gehirnfunctionen geh\u00f6ren nicht in das Gebiet der Experimentalphysiologie. Wir ziehen die von dem Gehirn nachweislich abh\u00e4ngigen Erscheinungen nur insoweit in Betracht, als wir sie mit unseren Hilfsmitteln und unseren Methoden zu zergliedern verm\u00f6gen. Was sich beiden zur Zeit nicht f\u00fcgt, geh\u00f6rt nicht in unsere Domaine, obschon die L\u00fcsternheit, das fremde Gut in sie hineinzuziehen, uns zur Anstrengung anspornen mag. Wir werden also hier darzustellen haben, welche Erscheinungen vom Gehirn \u00fcberhaupt und von welchen Theilen desselben im Besonderen sie abh\u00e4ngen, indem wir zeigen, wie sie sich mit der Aenderung\n*) Brown Sequard: Sur la vitesse du courant nerveux. Journal du Progr\u00e8s. 1859. p. 323.","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"145\nihrer Bedingungen gleichfalls anders gestalten und mit dem Wegfall jener selbst verschwinden. Die Zergliederung des Thats\u00e4chlichen wird \u00fcberall bald ihre Grenze finden, da uns die zarte Natur des Gegenstandes bei unseren Schl\u00fcssen 'Vorsicht zur ganz besonderen Pflicht macht. So f\u00e4llt zwar die Hirnphysiologie ziemlich mager aus, allein dies kann uns nicht bestimmen, den Defect durch gehaltlose Redensarten zu decken. Erfahrungsgem\u00e4ss h\u00e4ngen nun vom Gehirn ab : die sogenannten rein seelischen Functionen, die Empfindungen und willk\u00fchrliche Bewegung, sowie endlich automatische und refiectorische Erscheinungen verschiedener Art.\nDie rein seelischen Functionen sind durch das Gehirn bedingte Vorg\u00e4nge, welche nach Aussen nicht nothwendig in die Erscheinung zu treten brauchen; sie entziehen sich daher auch jedem objectiven Angriff durch quantitative Bestimmungsmethoden. Wir k\u00f6nnen daher zur Zeit nicht mehr thun, als den Versuch machen, ob sich nicht auf einige Erfahrungen hin etwas N\u00e4heres \u00fcber das Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltniss selbst zwischen geistiger Leistung und Gehirn nach irgend einer Beziehung hin bestimmen lasse. Dass \u00fcberhaupt das letztere die Bedingung der ersteren sei, geht aus den zahlreichen Wahrnehmungen hervor, nach welchen Erkrankungen des Gehirns irgend welcher Art die geistigen Functionen beeintr\u00e4chtigen oder verschwinden machen. Nicht, oder nur unvollkommen gekannt dagegen sind die Bedingungen, welche von Seiten des Gehirns zu erf\u00fcllen sind, damit die seelischen Aeusserungen in dieser oder jener Richtung, in niederem oder h\u00f6herem Grade sich vollziehen. Die schwachen Versuche, welche bisher zur Erkennung derselben gemacht worden sind, beschr\u00e4nken sich auf folgende. Es lag nahe, damit zu beginnen, die Gehirne geistig besonders bef\u00e4higter Individuen einfach zu besichtigen und zu sehen, ob sich an ihnen Nichts Bemerkenswerthes finden lasse, was solchen abgehe, die man Personen entnommen, denen eine geringere geistige Energie zum Erbtheil geworden. Derartige Beobachtungen schienen anfangs darauf hinzudeuten, dass die Gehirne geistig besonders bef\u00e4higter Pers\u00f6nlichkeiten durch ihr Gewicht und den Reichthum ihrer Windungen ausgezeichnet w\u00e4ren. Indess hat die Vervielf\u00e4ltigung hierher geh\u00f6riger Beobachtungen ergeben, dass dieser Satz nicht so ohne Weiteres richtig ist. Bez\u00fcglich des Gewichtes kommen bei ungleich geistig begabten Personen unter \u00fcbrigens gleichen oder nahezu gleichen Bedingungen, wie namentlich Alter und Geschlecht, dieselben Zahlen vor. Was den Reichthum und die Tiefe der Windungen betrifft, so kennt man Beispiele windungsarmer Gehirne, welche sich \u25a0w\u00e4hrend des Lebens von nicht geringer Intelligenz erwiesen. Man sieht auch ein, dass der Zusammenhang zwischen geistigen F\u00e4higkeiten einer-\nEckhard, Nervenphysiologje.\tio","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nseits und Masse und architektonischer Anordnung andrerseits kein noth-wendiger zu sein braucht; denn was einem Gehirn in letzterer Beziehung versagt ist, kann ihm durch molekulare G\u00fcte ersetzt sein. So mag es auch kommen, dass Individuen mit einseitig verk\u00fcmmerter Hemisph\u00e4re ohne excessive Ausbildung der anderen keine St\u00f6rungen oder auffallend geringere Grade von Intelligenz zeigen *). Ausser diesen allgemeinen Bez\u00fcgen zwischen geistigen F\u00e4higkeiten und Beschaffenheit des Gehirns hat man auch noch den Versuch gemacht, zuzusehen, ob mit der grossem oder geringem Ausbildung einzelner Hirntheile oder der gesunden oder kranken Beschaffenheit solcher entsprechende Grade einzelner Seelen-th\u00e4tigkeiten verkn\u00fcpft seien. Das bisher in dieser Beziehung Geleist\u00e8te ist von verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig untergeordnetem Werthe, weil zumeist weder die zu Grunde liegenden Beobachtungen die hinl\u00e4ngliche Sch\u00e4rfe besitzen, noch die Schl\u00fcsse vorsichtig genug gezogen worden sind. Diese Bemerkung trifft besonders das System G a 1 l\u2019s mit seinen zahlreichen, weiteren Verirrungen, womit jedoch selbstverst\u00e4ndlich nicht behauptet werden soll, dass der urspr\u00fcngliche Gedanke Gall\u2019s, durch Beobachtungen Uber die Coincidenz von einzelnen, besonders stark hervortretenden Seelenth\u00e4tigkeiten und ungew\u00f6hnlicher Ausbildung gewisser Hirntheile die Bedeutung der letzteren festzustellen, keine wissenschaftliche Berechtigung habe. Im Gegentheil war dieser n\u00fcchterne Versuch ganz an seinem Platze und hat, selbst noch in seinen phantastischen Verkehrtheiten, viel dazu beigetragen, die Einseitigkeit des Verfahrens einzusehen, das geistige Leben \u00fcberhaupt und die speciellen Aeusserungen desselben im Besondern an einzelnen Stellen im Gehirn zu suchen. Die Experimentalphysiologie ist bei ihrer Armuth ,in Bezug auf diesen Punkt vorsichtig und sagt dar\u00fcber etwa Folgendes : Es hat bis jetzt nicht zwischen den drei Annahmen entschieden werden k\u00f6nnen, ob den besonderen, geistigen Verm\u00f6gen localisirte Stellen im Hirn entsprechen, oder ob es einen kleinern oder grossem Ort in demselben giebt, wo die allen Seelenth\u00e4tigkeiten zu Grunde liegenden Bewegungen geschehen, oder endlich ob es f\u00fcr die rein geistigen Th\u00e4tigkeiten gar keinen bestimmten Ort giebt, sondern dieselben nur die Resultate in bestimmten Formen sich vollziehender Wechselwirkungen zwischen Nervenmasse, Blut und vielleicht noch vielen, verschiedenen anderen Bedingungen darstellen. Die Wahrscheinlichkeit spricht f\u00fcr die letztere Vorstellung ; denn nicht allein lassen sich bei Thieren die verschiedenartigsten Hirntheile entfernen, ohne dass die Zeichen noch vorhandener Seelenth\u00e4tigkeiten verschwinden, sondern\n*) Man vergleiche hierzu die von Longet \u2022: Anatomie et Physiologie du syst\u00e8me nerveux de l\u2019homme, Vol. I. p. 667. ff zusammengestellten F\u00e4lle.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"- 147 -\nwir sehen auch beim Menschen oft weitgreifende Zerst\u00f6rungen in den mannigfaltigsten Hirntheilen auftreten, ohne dass die Seelenth\u00e4tigkeiten namhafte St\u00f6rungen erleiden und andrerseits, wie oft im Wahnsinn, den Geist sich verirren, ohne dass in irgend einem Hirntheile \u00fcberhaupt eine locale Ver\u00e4nderung gefunden wird. Man k\u00f6nnte sich hiernach vorstellen, dass etwa so wie im Muskel durch die in ihm gegebenen, physischen Bedingungen Electricit\u00e4t, W\u00e4rme etc. entwickelt werden, deren relative Mengen von den jeweiligen Besonderheiten jener abh\u00e4ngen, und welche an den verschiedensten Formen und an allen Stellen \u00e4chter Mus-kelsubstaoz, m\u00f6gen sie unf\u00f6rmliche Verdickungen oder zierliche geometrische Bildungen darstellen, wiederkehren. auch im Gehirn \u00fcberall das geistige Leben mit seinen mannigfachen Formen als eine Resultante der Wirkung verschiedener Bedingungen aufblitzt. Erhebend ist cs freilich nicht, sich sagen zu m\u00fcssen, dass wir zur Zeit nicht die mindeste Vorstellung, ja nicht einmal Ahnung davon haben, wie physische Bedingungen ein Etwas erzeugen, das physischen Folgen so absolut un\u00e4hnlich ist und fremd aussieht. Hier kommt sich wirklich der Mensch fremd vor. Ti'iftig sind allerdings diese Gr\u00fcnde nicht, aber sie sind mit der letzten Anschauung noch am vertr\u00e4glichsten. Auch verlieren sie nicht an Werth durch die wenigen Thatsachen, welche man zu Gunsten der Meinung vorgebracht hat, dass die Seelenth\u00e4tigkeiten sich nur an gewissen Hirntheilen offenbarten. So sind z. B. Manche nicht abgeneigt, die Stirnlappen als die Tr\u00e4ger der intellectuellen F\u00e4higkeiten anzusehen. Sie st\u00fctzen sich dabei auf F\u00e4lle, in welchen Idiotie und Mangel der vorderen Stirnlappen Hand in Hand gehen *). Ihnen l\u00e4sst sich jedoch crwiedern, nicht allein, dass auch bei voller Integrit\u00e4t der Stirnlappen Idiotie beobachtet ist, sondern auch, dass tief eingreifende Zerst\u00f6rungen in jenen Theilen keinen Verlust der Intelligenz nach sich gezogen haben. Doch ist es wichtig, hier anzumerken, dass die erw\u00e4hnten Theile in einer besonderen Beziehung zur haupts\u00e4chlichsten Aeusserung intel-lectueller Th\u00e4tigkeit, der Sprache n\u00e4mlich, zu stehen scheinen. Da jedes auf die Hirnphysiologie bez\u00fcgliche, gut constatirte Factum Mittheilung und Verbreitung verdient, so mag zur weiteren Begr\u00fcndung des eben Erw\u00e4hnten noch Folgendes mitgetheilt werden. Die Abh\u00e4ngigkeit der Sprache von den Stirnlappen wurde zuerst von Bouillaud**) ausgesprochen, in neuerer Zeit von Broca ***) vertheidigt. Letzterer\n*) Longet, 1. c. I. p. 680.\n**) Bonillaud: Trait\u00e9 de l\u2019encephalite. Paris 1825.\n***) Broca: Sur le si\u00e8ge de la facult\u00e9 du Langage articul\u00e9 avec deux observations d\u2019Aph\u00e9mie. Paris 1861. Extrait des Bulletins de la Soci\u00e9t\u00e9 anatomique de Paris. Tome VI. 1861.\n10#","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 148\nhat zwei F\u00e4lle bekannt gemacht, bei denen in dem einen eine sich durch 21 Jahre hinziehende Erweichung, in dem anderen ein apoplectisches Extravasat die zweite und dritte Frontalwindung der linken Hemisph\u00e4re zerst\u00f6rt hatten, und dass beide Male bei voller Integrit\u00e4t der Intelligenz, der Beweglichkeit der Zunge und der anderen Spracliwerkzeuge und bei erhaltener F\u00e4higkeit, durdi eine Zeichensprache zu antworten, das Verm\u00f6gen zu sprechen bis auf ein oder einige Worte vollkommen ver-loren gegangen war *).\nDie Functionen der Empfindung und tvillk\u00fchrlichen Beivegung sind zwar auch nicht in ihrem ganzen Umfang den Methoden der Physiologen zug\u00e4nglich, aber beide Vorg\u00e4nge lassen sich doch immerhin theil-weise experimentell untersuchen. Bez\u00fcglich der Empfindungen kann es hier nicht Absicht sein, alle derselben ausf\u00fchrlich zu behandeln. Dies w\u00fcrde zu einer Physiologie der Sinnesorgane f\u00fchren, welche nicht beabsichtigt wird. Da wir diejenigen Eigenthiimlichkeiten derselben, welche uns f\u00fcr die Erkenntniss des Wesens des Innervationsvorganges unerl\u00e4sslich schienen, bereits oben abgehandelt haben, so bleiben uns an gegenw\u00e4rtiger Stelle nur die Seiten derselben \u00fcbrig, welche sich vorzugsweise auf die Leistungen des Gehirns bei dem Empfindungsact beziehen. Die vollendete Empfindung schliesst einen Act des Bewusstseins in sich; es ist daher nach den vorhergehenden Mittheilungen klar, dass es vergeblich sein wird, nach dem Orte zu fragen, wo dieser Abschluss der Empfindung geschieht, und ob es f\u00fcr die verschiedenen Empfindungen in dieser Beziehung nur einen oder mehre Stellen im Gehirn gebe. Eine solche Frage ist vergeblich; denn wir wissen nicht, ob das Bewusstsein an einem bestimmten Orte im Gehirn sitzt, oder, wie es wahrscheinlicher ist, \u00fcberall erzeugt wird. Den oben angef\u00fchrten Gr\u00fcnden f\u00fcr die letztere Meinung k\u00f6nnen wir bez\u00fcglich des Bewusstwerdens der Empfindung noch den hinzuf\u00fcgen, dass die Physiologen schon so ziemlich jeden einzelnen Hirntheil bei Thieren zerst\u00f6rt haben, ohne das Object der Untersuchung dadurch empfindungslos zu machen. An sie aber schliesst sich eine andere, welche mehr Aussicht auf L\u00f6sung erwarten l\u00e4sst, n\u00e4mlich die, ob es nicht gewisse Stellen im Gehirn gebe, welche besonders wichtige Glieder f\u00fcr das Zustandekommen der Empfindungen enthalten, sei es, dass sie directe Fortsetzungen der mit dem Gehirn verkn\u00fcpften Empfindungsfasern in sich schliessen, oder in anderer Weise sich an der bewussten Production der Empfindungen betheiligen.\n*) Yergl. \u00fcber diesen Punkt auch R. Wagner: Nachrichten von der G. W Universit\u00e4t und der K\u00f6nigl. Gesellschaft der Wissenschaften zu G\u00f6ttingen. 14. Mai-Nr. ft. 1862.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"149\nDiese Hoffnung ist durch experimentale Pr\u00fcfung verschiedener Hirntheile und Benutzung pathologischer Erfahrungen zum Theil, wenn auch im Ganzen noch unbefriedigend, erf\u00fcllt worden. Die erstere besteht darin, dass man das Gehirn am lebenden Thiere blosslegt, seine verschiedenen Theile mechanisch reizt, und aus den etwaigen Schmerzen, welche das Thier verr\u00e4th, auf die Anwesenheit von empfindenden Elementen in jenen schliesst. Man hat als solche den Boden des vierten Ventrikels, das verl\u00e4ngerte Mark, die Grosshirnschenkel, die Vierh\u00fcgel und die zur Br\u00fccke gehenden Schenkel des kleinen Gehirns etc. kennen gelernt. Die Erfahrungen der practischen Medicin weisen andrerseits noch auf die Streifenh\u00fcgel, die Sehh\u00fcgel und die an diese zun\u00e4chst angrenzenden Theile der Hemisph\u00e4re hin, indem eine betr\u00e4chtliche Zahl von Krankheitsf\u00e4llen gesammelt worden ist, in denen bei Zerst\u00f6rung der genannten Theile durch Bluterg\u00fcsse, Geschw\u00fclste etc. je nach Intensit\u00e4t und Ausdehnung der zerst\u00f6rten Parthieen w\u00e4hrend des Lebens Gef\u00fchllosigkeit an den Extremit\u00e4ten und dem Rumpfe beobachtet wurde *). So wichtig diese Erfahrungen sind, so er\u00f6ffnen sie doch kaum das Feld der hier noch offnen Untersuchungen; denn abgesehen davon, dass sie nur einzelne wenige Glieder der Wege kennen lehren, auf welchen die Empfindungsvorg\u00e4nge einherschreiten, wir aber zu wissen w\u00fcnschen, welches die gesammte Reihe der Theile ist, welche dabei in Betracht kommen, so ist zu bemerken, dass die bisherige Kenntniss sich nur auf Tastempfindungen und Schmerzgef\u00fchle erstreckt. F\u00fcr die Gesichts-, Geh\u00f6r-, Geschmack- und Geruchsempfindungen sind solche Orte nicht bekannt, selbstverst\u00e4ndlich abgesehen von denen, welche sich aus unserer jetzigen Kenntniss \u00fcber den Verlauf der den letzteren Empfindungen dienenden Fasern innerhalb des Gehirns etwa ersehliessen lassen. Wir bemerken bei dieser Gelegenheit, dass die anatomische Methode, welche es sich zur Aufgabe macht, den Faserverlauf der Empfindungsnerven innerhalb des Gehirns zu verfolgen, uns zwar manchen Aufschluss \u00fcber die uns jetzt vorliegende Frage geben kann, dass sie uns aber keineswegs der Pr\u00fcfungen auf experimentellem und pathologischem Wege \u00fcberheben darf; denn wir wissen eben nicht, ob die s\u00e4mmtlichen, einem Empfindungsvorgange bis zu seinem Abschluss dienenden Glieder ausschliesslich faseriger Natur sind oder nicht. Es ist dies um so mehr zu beherzigen, als Erfahrungen vorliegen, welche andeuten, dass die Wege f\u00fcr sehr verwandte Empfindungen innerhalb des Gehirns sehr auseinander gehen, selbst wenn wir Grund haben f\u00fcr die Annahme, dass sie an\n*) E. H. Weber: Artikel Tastsinn und Gemeingef\u00fchl in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie. Bd. III. S. 517.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nden peripherischen K\u00f6rpertheilen durch dieselben Nerven erzeugt werden. Es ist daher klar, dass zur Ermittelung der verschiedenen Empfindungsglieder innerhalb des Gehirns das Experiment oder pathologische Erfahrungen Aufschluss geben m\u00fcssen, da die Kenntniss des anatomischen Verlaufs einer Faser nichts \u00fcber die Art der Empfindung aussagt, welche durch sie vermittelt wird. Hierher geh\u00f6ren folgende Tbatsachen. Viesseux beobachtete bei einer L\u00e4hmung an sieh, dass er auf der rechten Seite des Gemeingef\u00fchls beraubt war, w\u00e4hrend der Tastsinn daselbst unversehrt geblieben. Beau hat \u00e4hnliche Erfahrungen an einem Kranken gemacht, welcher an Bleicachexie litt. In beiden F\u00e4llen lag die Ursache im Gehirn, denn es waren keinerlei Anzeichen von Erkrankung der peripherischen Nervenst\u00e4mme vorhanden. Hieran reihen sich die Erfahrungen der Chirurgen : Gerdy, Malgaigne, Velpeau, Pirogoff und Roser, denen zufolge in der Aether- und Chloroformnarkose die Patienten nicht selten das Verm\u00f6gen, Ber\u00fchrungen zu empfinden, behalten , w\u00e4hrend sie die Empfindung des Schmerz\u00e8s eingeb\u00fcsst haben. Weiter kennt man F\u00e4lle, in denen gewisse Glieder des K\u00f6rpers ihren Tastsinn und* das Verm\u00f6gen, Schmerz zu empfinden, eingeb\u00fcsst hatten, dagegen noch im Besitze, ihres Muskelsinnes waren. Endlich sind auch Beispiele bekannt, welche beweisen, dass bei vollst\u00e4ndigem Mangel des Tastsinns das Muskelgef\u00fchl, das Schmerzgef\u00fchl und der W\u00e4rmesinn erhalten sein k\u00f6nnen *). Bekanntlich sind die letzteren Erscheinungen diejenigen, welche in der Pathologie unter dem Namen der partiellen Empfindung sl\u00e4h-mungen gehen. Mit diesem kargen Resultat \u00fcber den Sitz der bewussten Empfindungen und die Orte, wo wichtige Glieder derselben liegen, muss zur Zeit die Experimentalphysiologie abziehen. Von den letzteren lassen sich noch eine Anzahl von Eigenschaften angeben, die mit Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit von dem Gehirne abh\u00e4ngen und daher einer Mittheilung werth sind. Von diesen sind folgende aufzuz\u00e4hlen : a) Von einem grossen Theile der Empfindungen, n\u00e4mlich denjenigen, welche wir \u00e4chte Sinnesempfindungen zu nennen pflegen, ist erwiesen, dass das Gehirn die Ursachen, welche die Empfindungen erzeugen, ausserhalb des K\u00f6rpers sucht. Von diesen ist ferner bekannt, dass das Gehirn diese Th\u00e4tigkeit nur dann aus\u00fcbt, wenn die peripherischen Endorgane der Sinnesnerven, durch welche die eigentlichen Sinnesempfindungen entstehen, ungest\u00f6rt functioniren. Welche Art von Empfindung also das Gehirn schafft, h\u00e4ngt ganz von der Weise ab, in welcher es durch einen und denselben Nerven erregt wird. Man pflegt in Bezug auf diesen Punkt gew\u00f6hnlich\n*) Vergl. z. B. Eigenbrodt : Ueber die Diagnose der partiellen Empfindungsl\u00e4hmungen. V i r c h o w\u2019s Archiv Bd. XXIII.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"151\nzu sagen, das Gehirn lege die Empfindung aus, oder es verkn\u00fcpfe sich mit der letzteren die Vorstellung. Dabei ist es allerdings richtig, dass dieser Process so aussieht, als ob er ein urspr\u00fcnglich durch die Reflexion entstandener sei, welcher sich jedoch nach und nach durch die fortw\u00e4hrende Uebung zu einem bewusstlosen Act gestaltet habe, welcher gar nicht mehr von der Empfindung zu trennen sei. Indess ist doch fraglich, oh das Nachaussensetzen der Empfindung diese Entstehungsweise hat; ob wirklich das, was wir hier Vorstellung nennen, ein durch Schlussfolgerungen Erworbenes ist, oder zufolge gewisser Constructionen des Gehirns von jeher diese innige Verkn\u00fcpfung mit der Nervenerregung besitzt. Man wird sich beim Nachdenken \u00fcber diesen Punkt nicht v\u00f6llig klar; es liegt uns ein einfaches Factum vor, das zu erl\u00e4utern weitere Erfahrungen fehlen. Von Jugend auf Erblindete sollen jedoch auch noch die leuchtenden Druckfiguren nach Aussen setzen, was andeuten w\u00fcrde, dass zu dieser Eigenschaft das Auge nicht erst erzogen zu werden braucht, b) Damit die erregten Nerven Empfindungen in dem Gehirn ausl\u00f6ssen, muss das Gehirn, wie wir uns gew\u00f6hnlich ausdriicken, seine Aufmerksamkeit auf die bez\u00fcglichen Nervenerregungen richten. Concentration der Gehirnth\u00e4tigkeiten nach irgend einer Richtung hm, wie geistige Vertiefung in einen Gegenstand, angestrengte Aufmerksamkeit auf irgend eine bestimmte Empfindung, lassen eine Menge von in den Empfindungsnerven erregten Innervationsvorg\u00e4ngen gar keine Empfindungen im Gehirn ausl\u00f6sen. Man hat daher wohl behufs der Bezeichnung dieser Zust\u00e4nde von unbewussten Empfindungen gesprochen, ein Ausdruck, welcher aber keine Empfehlung verdient, da unter diesen Umst\u00e4nden keinerlei Anzeichen von der Existenz einer im Gehirn vor sich gehenden Bewegung vorliegt, c) Manche Empfindungen bestehen noch eine geraume Zeit nach Entfernung des objectiven Erregers der Empfindungen fort. Bekanntlich nennt man derartige Erscheinungen Nachem pfindungcn. Nicht alle Sinnesnerven scheinen aber zu ihrer Erzeugung in gleichem Grade geeignet zu sein. Am leichtesten kommen sie durch den Sehnerven zuStande. Durch Versuche von Fechner, Plateau, Bruecke, d\u2019A rcy, Cavallo und Andern, deren weitere Mittheilung einer Physiologie des Sehens anheimf\u00e4llt, sind die Nachbilder in den mannigfachsten Beziehungen untersucht und namentlich die Zeit ihres Beharrens als abh\u00e4ngig von der Intensit\u00e4t des Lichteindrucks und der Dauer seiner Einwirkung dargethan worden. N\u00e4chst dem Sehnerven sind die Gef\u00fchlsnerven mit dieser Eigenschaft in hohem Grade begabt. Nicht zu gedenken der zahlreichen Erfahrungen des gew\u00f6hnlichen Lebens, welche dies zu beweisen scheinen, l\u00e4sst sich dies durch einen besondern Versuch darthun. Dieser ist aber um so wichtiger, als die vorigen nicht frei von dem Einwand","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nsind, es m\u00f6chte das Nachgef\u00fchl durch eine fortdauernde Reizung der Nerven zu Stande kommen, -welche die in der Nachbarschaft derselben liegenden und zumeist ver\u00e4nderten Gewebe auf sie aus\u00fcben. Jenen Versuch f\u00fchrt man in folgender Weise aus. Man legt sich an einem Finger eine kleine Hautwunde an und schaltet das betreffende Glied, nachdem man den Schmerz in' Folge des Einstechens hat vor\u00fcbergehen lassen, in den Kreis einer constanten Kette so ein, dass in ihm der Strom aufsteigt. Die positive Electrode und der wunde Finger tauchen hierbei in reines Wasser. Nachdem der Strom 5 bis 10 Minuten angedauert hat, \u00f6ffnet man die Kette. Man empfindet hierbei in der Wunde einen Schmerz, welcher erst einige Minuten nachher verschwindet. Die Wunde wird haupts\u00e4chlich desshalb angelegt, um die Empfindung zu localisiren und sie somit bestimmter aufzufassen. Obschon wir diese Eigent\u00fcmlichkeit- der Empfindungen hierher setzen, so muss doch von ihr bemerkt werden, dass sich f\u00fcr sie am allerwenigsten beweisen, ja sogar nur wahrscheinlich machen l\u00e4sst, dass sie mit einer Eigenschaft des Gehirns Zusammenh\u00e4nge. Der, eine etwaige Absicht der Art vorzugsweise hindernde Umstand ist die Erfahrung, dass f\u00fcr den motorischen Nerven in dem Ritter\u2019schen 0effnungstetanus (S. 103) ein Experiment vorliegt, welches beweist, dass der constante galvanische Strom unter gewissen Bedingungen' auch noch \u00fcber den Zeitpunkt seiner Unterbrechung hinaus den Nerven in den erregten Zustand versetzen kann. Im Anschluss hieran liegt es sehr nahe, die vorher beschriebene Nachempfindung im Gebiete des Gef\u00fchls auf denselben Umstand zu beziehen. Weiter sieht es auch nicht besonders k\u00fchn aus, f\u00fcr andere Reize im Gebiete anderer Sinneswahrnehmungen, wie namentlich solche des Gesichts, die Nachempfindung auf denselben Umstand zu beziehen, d) Viele unserer Empfindungen verkn\u00fcpfen sich mit Bewegungsvorg\u00e4ngen und auf diese Weise werden zusammengesetzte Vorstellungen erzeugt, die so einfach aussehen, dass es sehr oft k\u00fcnstlicher Hilfsmittel bedarf, um sich bewusst zu werden, welche verschiedenen Elemente mit in ihre Bildung eingehen. Hierher geh\u00f6ren namentlich, wie die Physiologie des Gesichtssinnes n\u00e4her er\u00f6rtert, die Vorstellungen von der Gr\u00f6sse, Entfernung und Ruhe oder Bewegung der gesehenen Gegenst\u00e4nde, indem nachweislich dieselben ausser von dem\u2019 auf der Retina erzeugten Bilde noch von der gr\u00f6sseren oder geringem Anstrengung des Accoommoda-tionsapparates und der durch die Augenmuskeln bedingten Convergenz der Sehaxen abh\u00e4ngen. Auch f\u00fcr den Tastsinn sind, wie E. H. W e-ber hervorhob, solche Erscheinungen bekannt; es geh\u00f6rt dahin der Umstand, dass die Sch\u00e4tzung der Entfernung zweier Punkte im Raum mit Hilfe der Tastnerven sch\u00e4rfer ausf\u00e4llt, wenn die tastenden Fl\u00e4chen","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"153\nsich bewegen, als wenn sie sich in Ruhe befinden. Diese Erfahrungen setzen eine sehr innige Verkn\u00fcpfung der sich hier gegenseitig unterst\u00fctzenden Nervenelemente innerhalb des Gehirns voraus. Von derselben wissen wir jedoch bis jetzt sehr wenig; bedeutungsvoll genug ist jedoch die gleichfalls von E. H. Weber zuerst betonte Thatsache, dass die f\u00fcr den Tastsinn der Glieder so wichtigen Stellen des Gehirns dieselben sind, welche den willk\u00fchrlichen Bewegungen derselben dienen, oder ihnen doch sehr nahe liegen. Ausser dem Mitgetheilten kann kaum noch etwas Allgemeines \u00fcber die Empfindungen gesagt werden, auch scheint f\u00fcr die n\u00e4chste Zeit keine Aussicht vorhanden zu sein, die fundamentalen L\u00fccken auszuf\u00fcllen. Daher hat dann auch die Physiologie bisher allen Fleiss darauf verwandt, die verschiedenen Empfindungserscheinungen selbst innerhalb eines jeden einzelnen Sinnes in den mannigfaltigsten Bez\u00fcgen zu beschreiben und zu erl\u00e4utern. Doch geh\u00f6rt der reiche und interessante Inhalt dieser Theile der Physiologie nicht hierher.\nNicht besser steht es mit unserer Kenntniss der willkiihrlich motorischen Erregungen. Wie sie entstehen, ist zur Zeit noch ebenso ein R\u00e4thsel, als die Bildung der Empfindungen. Indess ist auch hier bereits der Versuch gemacht, durch Experimente und Beobachtungen Einiges \u00fcber die Eigenschaften dieser Erregungen sowohl, als auch \u00fcber die Lagerung f\u00fcr sie loichtiger Glieder innerhalb des Gehirns zu erfahren.\nIn erstere Beziehung ist zun\u00e4chst an die allt\u00e4glich sich darbietenden Wahrnehmungen zu erinnern, dass die Willk\u00fchr der Bewegungen ihre Grenzen hat. Dies zeigt sich darin, dass eine ganze Anzahl muscul\u00f6ser Gebilde, wie der Magen, der Darm, das Herz und viele andere, ihr durchaus nicht unterthan sind, andere aber nur in Gemeinschaft mit nachbarlichen erregt werden k\u00f6nnen. Diese und \u00e4hnliche Wahrnehmungen sind aber wenig werthvoll; sie stehen ausser allem Connex mit anderen Erscheinungen des Hirnlebens und gestatten keinen Schluss auf weitere Eigenschaften desselben. Wichtiger sind f\u00fcr uns die folgenden Experimente, welche zum mindesten einige sichere Schl\u00fcsse \u00fcber die Natur der durch die Willk\u00fchr erregten Innervationsvorg\u00e4nge gestatten. Wer nicht daran gew\u00f6hnt ist, sich die Bewegungserscheinungen des menschlichen K\u00f6rpers so einfach als die Folgen physikalischer Bedingungen, wie auch die \u00fcbrigen Ph\u00e4nomene der Welt geschehen, vorzustellen, der mag wohl die Frage aufwerfen k\u00f6nnen, ob dann wirklich die der willk\u00fchrlich motorischen Erregung in den Nerven zu Grunde liegenden Bewegungen identisch mit denen seien, welche wir durch unsere k\u00fcnstlichen Reizmittel ih denselben hervorrufen. Ihm diene zur Antwort, dass dem so sei und dass sich dies auf die folgende Art beweisen lasse. Wir beginnen diesen Beweis mit der Analyse eines","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nVorganges, der, insofern er seinen Ursprung in den Centralorganen hat, zwar nicht vollkommen identisch mit der willkiihrlichen motorischen Erregung genommen werden kann, der aber eben weil er von centralen Nerventheilen ausgeht, kein rein k\u00fcnstliches Reizungsph\u00e4nomen darstellt. Wir meinen die in der Form der Kr\u00e4mpfe erregten Muskelzusammenziehungen und die ihnen zu Grunde liegenden Vorg\u00e4nge im Nerven. Von letzteren weiss man, dass sie in denselben molecul\u00e4ren Ver\u00e4nderungen der Nervensubstanz bestehen, als die sind, welche wir bei den uns zu Gebote stehenden \u00e4usseren Reizmitteln hervorrufen. Pr\u00e4parirt man n\u00e4mlich den ischiadischen Nerven eines in der Weise befestigten Frosches, dass man ein St\u00fcck des ersteren in den Multiplicatorkreis aufnehmen kann, und erregt man durch eine Gabe Strychnin die Centraltheile des Thieres, in Folge wovon bekanntlich allgemeine Kr\u00e4mpfe durch Wirkungen der Central organe, und nicht durch etwaige directe Reizung der Nerven durch das Gift, entstehen, da letzteres, auf die Nerven selbst angewandt, keine Muskelzusammenziehungen hervorruft, so zeigt der von dem Nervus ischiadicus in den Multiplicator abgeleitete Nervenstrom eine negative Schwankung, ganz so, als wenn jener k\u00fcnstlich erregt worden w\u00e4re. Vollst\u00e4ndiger wird aber noch die Identit\u00e4t der durch die Will-k\u00fchr erregten Innervationsvorg\u00e4nge mit den auf andre Art erzeugten dadurch dargethan, dass wir zeigen k\u00f6nnen, wie eine auf die erste Weise eingeleitete Muskelzusammenziehung alle Charactere einer durch die zweite Methode erhaltenen besitzt, woraus dann mit Nothwendigkeit auch auf eine gleiche Beschaffenheit der beiden zu Grunde liegenden Nervenerregungen zur\u00fcckgeschlossen werden muss. So scheinbar stetig n\u00e4mlich eine willk\u00fchrliche Muskelzusammenziehung zu verlaufen scheint, so ist sie doch, gleich einer k\u00fcnstlich erregten, discontinuirlicher Art. Zwar verm\u00f6gen wir, wie es nahe zu liegen scheint, dies nicht auf die Weise nachzuweisen, dass wir willk\u00fchrlich sich contrahirende Muskeln, etwa die des Armes, zum Kreise schliessen und in denselben einen rheosco-pischen Froschschenkel in der Absicht aufnehmen, ihn durch die discon-tinuirliche Abnahme des Stromes der Muskeln w\u00e4hrend ihrer Zusammenziehung zur Zuckung zu bringen, also die secund\u00e4re Zuckung vom Muskel aus durch die willk\u00fchrliche Zusammenziehung hervorzurufen, da die auf diese Weise in Circulation gesetzten Str\u00f6me wegen der vielen Nebenschliessungen des Muskelstromes durch die feuchten Gewebe und des grossen Widerstandes der Haut zu schwach sind, um Zuckungen hervorzurufen; aber wir sind im Stande, die Discontinuit\u00e4t im Verlaufe der Muskelzusammenziehung durch die folgenden acustischen Erscheinungen w\u00e4hrend derselben ausser allem Zweifel zu setzen. Wenn man n\u00e4mlich die menschlichen Muskeln mit Hilfe von Inductionsapparaten tetanisirt, so","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"155\ngeben jene mittelst des Stethoscops, oder wenn es Kopfmuskeln, wie z. B. der Masseter, sind, auch ohne dieses, bei verschlossenen Ohren wahrnehmbare T\u00f6ne oder Ger\u00e4usche, deren H\u00f6he genau mit der Schwingungszahl coincidirt, welche der Feder des Inductionsapparates zukommt*).\nZu solchen Versuchen eignet sich besonders der S. 105 beschriebene Halske\u2019sche Apparat, welcher je nach der Stellung seiner Feder bald langsamer, bald schneller schwingt. Man kann also aus dem Muskelton auf die Zahl der Unterbrechungen des Erregungsmittels zur\u00fcckschliessen. Ebenso h\u00f6rt man nun auch T\u00f6ne bei der willk\u00fchrlichen Zusammenziehung einzelner Kopfmuskeln, wie namentlich des Kaumuskels. Es muss daher ihre Erregung gleichfalls eine unterbrochene gewesen sein, wie es die k\u00fcnstliche war. Gleichzeisig aber erf\u00e4hrt man aus der verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig geringen H\u00f6he des Tones der durch die Willkiihr erregten Muskeln, welche nur einigen dreissig Schwingungen in der Secunde entspricht, dass in dieser Beziehung das Gehirn weit hinter den Leistungen unserer Inductionsapparate zur\u00fcckbleibt.\nDie f\u00fcr die willk\u00fchrlichen motorischen Erregungen wuchtigen Stellen des Gehirns haben sich zum Theil aus klinischen Beobachtungen, verbunden mit den bez\u00fcglichen Sectionen, zum Theil aus den Experimenten an den Gehirnen lebender Thiere ableiten lassen. Durch die ersteren ist der wichtige Satz festgestellt worden, dass dieselben Theile der Hemisph\u00e4re, welche wir vorher als f\u00fcr die Empfindung wichtige Glieder kennen lernten, auch solche f\u00fcr die Bewegung sind, indem die An\u00e4sthesien, welche einer Zerst\u00f6rung derselben folgen, stets mit mehr oder minder ausgebreiteten L\u00e4hmungserscheinungen an denselben Theilen verbunden sind. Die Experimente an Thieren haben nach und nach noch auf folgende andere Theile hingewiesen, n\u00e4mlich : a. auf die Cerebrospinal-fi\u00fcssigheit. Mit der chemischen Zusammensetzung derselben oder mit der unmotivirten Behauptung, dass durch sie das Gehirn wesentlich an t Gewicht verliere, oder mit anderen Angaben \u00fcber ihre Bedeutung haben wir hier Nichts zu thun ; wir haben uns zu fragen, ob sich wirklich hat erweisen lassen, dass sie eine Bedeutung f\u00fcr die geordnete, willk\u00fchrliche motorische Erregung habe. Die Behauptung, dass dem so sei, wurde zuerst von Magendie **) aufgestellt und zu begr\u00fcnden gesucht. Andere ***) Forscher konnten zwar nach Entleerung derselben gleichfalls\n*) Helmholtz: Versuche \u00fcber das Muskelger\u00e4usch. Herrmann\u2019s med. Centralblatt. Nr. 36. 1864. S. 565.\n**) Magendie : Physiologische und klinische Untersuchungen \u00fcber die Hirn-und R\u00fcckenmarksfl\u00fcssigkeit. Aus dem Franz, \u00fcbersetzt von Gr. Krupp. Leipzig 1842.\n***) z. B. Longet: Annales medico-psychologiques; tom. VI. Paris 1845. p. 157.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nmehr oder weniger durchgreifende St\u00f6rungen in der Haltung und dem Gange der betreffenden Gesch\u00f6pfe beobachten, beziehen aber diese Folgen auf den Wegfall der Th\u00e4tigkeit der Muskeln, welche bei der Operation durchschnitten werden, um zwischen Atlas und Hinterhaupt die Hirnh\u00e4ute durchschneiden zu k\u00f6nnen. Ich selbst habe den Versuch gleichfalls mehrmals wiederholt, habe aber von den angegebenen Erscheinungen sehr wenig oder gar Nichts sehen k\u00f6nnen, so dass ich zu dem Glauben neige, dass die Cerebrospinalfl\u00fcssigkeit in der fraglichen Beziehung sehr unschuldiger Natur sei. In meinen Versuchen trug ich von den Nackenmuskeln nur so viel ab, um bequem zwischen Hinterhaupt und Atlas auf die H\u00e4ute der Centralorgane eindringen zu k\u00f6nnen. Diese er\u00f6ffnete ich erst dann, nachdem die Blutung gestillt war. Nach der Entleerung der Cerebrospinalfl\u00fcssigkeit legte ich auf die Oeffnung ein kleines Schw\u00e4mmchen, damit, wenigstens in der ersten Zeit, kein Blut unter die H\u00e4ute laufen sollte und verschloss hierauf die ganze Wunde. Die Thiere waren sehr munter, bewegten den Kopf nach allen' Seiten, beleckten sich etc. Alles scheint mir davon abzuh\u00e4ngen, mit welcher Vorsicht, Geschicklichkeit und Gl\u00fcck die Operation ausgef\u00fchrt wird. Schon die Verschiedenheit der Resultate, welche von den Beobachtern berichtet wird, nimmt gegen die Angabe von Magendie ein. Was soll man dazu sagen, wenn von ihm bald diese, bald jene Erscheinung als eintretend berichtet wird; wenn in dem einen Fall Rotationen um die L\u00e4ngs-axe dabei Vorkommen sollen, von denen wir wissen, dass sie durch die L\u00e4sion gewisser Hirntheile erzeugt werden k\u00f6nnen, in einem anderen davon nichts beobachtet wird , und wenn sogar der Hund wasserscheu und ein bissiger Fuchs braver wird! Wer kann heut zu Tage noch solche Angaben f\u00fcr physiologische Beobachtungen ausgeben? \u00df. auf die Br\u00fcche, die Grosshirnschenkel, verschiedene Schenkel des kleinen Gehirns und Theile des verl\u00e4ngerten Marks. Man findet n\u00e4mlich bei der Reizung oder Zerst\u00f6rung dieser Theile je nach den Umst\u00e4nden krampfhafte Zuckungen, L\u00e4hmungen in gr\u00f6sseren oder kleineren Muskelabtheilungen, oder ganz auffallende St\u00f6rung in der Coordination der Bewegungen.\nDie bisherigen Untersuchungen \u00fcber den Einfluss einzelner Hirntheile auf einzelne, wenig ausgedehnte Muskelgruppen sind sehr mangelhaft. Dies gilt insbesondere von denjenigen Angaben, welche die Erfolge der Beizung gewisser Hirntheile beschreiben; denn viele derselben beziehen sich auf electrische Erregungen, f\u00fcr welche nicht die noth-wendigen Garantieen, dass sie sich nur auf diejenigen Theile erstreckten, welche man zu reizen beabsichtigte, vorliegen. Wir setzen, jedoch mit Auswahl, ein paar der wichtigsten Angaben hieher. Selbstverst\u00e4ndlich k\u00f6nnen dabei nur solche Muskeln ber\u00fccksichtigt werden, welche im gew\u00f6hnlichen","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"157\nLeben unter der Herrschaft des Willens stehen. Bei Reizungen der Vierh\u00fcgel beobachtete man Bewegung des Auges und der Iris; in der Regel treten die Wirkungen kreuzweise auf. Reizungen der Streifenoder Sehh\u00fcgel erzeugten Zuckungen in den Muskeln der ungleichnamigen Gesichtsh\u00e4lfte, und bei electrischer Ansprache des Streifenh\u00fcgels soll sich zu jenen noch das Zwerchfell gesellen. Bei scheibenweiser Abtragung des vorderen Gehirnlappen giebt man an, lebhafte Bewegungen in den Vorderbeinen gesehen zu haben etc. *). Die neuere Zeit hat sich dieser Art von Versuchen wenig zugewendet; es verdienen aber dieselben in ernsten Angriff genommen und in Verbindung mit den \u00fcber die feinere Anatomie des Gehirns bekannt gewordenen Fortschritten studirt zu werden. \u2014 Nicht immer aber gestaltet sich der Einfluss verschiedener Hirntheile so einfach ; die der Zerst\u00f6rung eines Hirntheils folgenden Bewegungen nehmen unter Umst\u00e4nden einen complicirteren Character an. Hierher geh\u00f6ren vorzugsweise die gew\u00f6hnlich als Zwangs-bewegungen beschriebenen Erscheinungen. Sie bestehen darin, dass nach Verletzung gewisser Hirntheile die Thiere, wie von fremden M\u00e4chten getrieben, immer nur eine bestimmte Bewegungsform, stets aber mit ungew\u00f6hnlicher Energie, ausf\u00fchren. Es ist wahr, dass die hierher geh\u00f6rigen Versuche noch nicht mit den feinen und scharfen Methoden haben behandelt werden k\u00f6nnen, die wir in anderen Gebieten der Nervenphy-siologie und der Physiologie \u00fcberhaupt anzuwenden verstehen; es w\u00fcrde aber Unrecht sein, dieselben zu verschweigen. Von den Zwangsbewegungen sind folgende exquisite Formen beobachtet, a. Die Drehung um die L\u00e4ngsaxe des K\u00f6rpers. Magendie**) und Flour ens***) haben diese Bewegungen beobachtet, wenn sie einen L\u00e4ngsschnitt in die Br\u00fccke seitlich von der Medianlinse machten. H\u00f6chst wahrscheinlich ist damit dieselbe Drehung identisch, welche man, einer Beobachtung von Serres f) und Experimenten von Magen di eff) und Flour ens fff) gem\u00e4ss, beobachtet, wenn man die mittleren Kleinhirnschenkel, die crufa cerebelli ad\n*) Man vergleiche hiermit die neueren Angaben von Renzi: Saggio di Fisio-logia sperimentale sui eentri nervosi della vita psychica etc. Annali universali di med. Vol. CLXXXVI, CLXXXVII et CLXXXIX. Sie sind in wenig Uebereinstimmung mit den obigen Angaben.\n**) Magendie: Elements de physiologie, tome I. p. 412. Paris 1836.\n***) Fleur ens: R\u00e9cherches experimentales sur les propri\u00e9t\u00e9s et les fonctions du syst\u00e8me nerveux p. 489. 2e edit. Paris 1822.\nf) Serres in. Magendie: Journal de physiologie experimentale, tome III. p. 135. 1.823.\nff) Magendie : ibidem tome IV. p. 400.\t1824.\n\u25a0j-j-j.) F lour en s : R\u00e9cherches experimentales etc. p. 489. 2e edit. Paris 1844.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158 \u2014\npontem, einschneidet, da die anatomischen Untersuchungen lehren, dass die oberfl\u00e4chlichen queren Br\u00fcckenfasern in unmittelbarer Continuit\u00e4t mit denen der mittleren Schenkel des kleinen Gehirns sind. F\u00fcr die Theorie der Zwangsbewegungen ist eine Beobachtung von Magendie bedeutungsvoll, die darin besteht, dass die Drehung nach einem Schnitt in einen der mittleren Kleinhirnschenkel aufgehoben werden soll durch nachfolgende Durchschneidung des anderen. Best\u00e4tigungen dieses Versuches liegen von Her twig *) vor. Eine andere Form desselben ist der Wegfall der L\u00e4ngsdrehungen bei einem Schnitt genau in die Medianlinie der Br\u00fccke, die Magendie gleichfalls beobachtet haben will. Es ist einige Differenz \u00fcber den Sinn, in welchem sich das operirte Thier dreht. Magendie sagt, es gehe die Rotation von der gesunden nach der kranken Seite hin. Longet **), Serres etc. haben die entgegengesetzte beobachtet. \u00df. Die Beitbahnbewegung. Longet ***') beobachtete diese Bewegungsform, wenn er einen der Grosshirnschenkel unmittelbar nach seinem Austritt aus der Br\u00fccke verletzte. Das Thier f\u00fchrte dann eine kreisf\u00f6rmige Bewegung aus, hei welcher die, kranke Seite nach aussen gerichtet war. Magendie und Lafargue f) sahen dieselbe Bewegung, ersterer bei Verletzung des Theiles des verl\u00e4ngerten Markes, welcher unmittelbar nach Aussen von den vordem Pyramiden liegt, letzterer beim Einschneiden in einen der Sehh\u00fcgel. Aber auch hier scheint es, als habe Magendie die kreisf\u00f6rmige Bewegung in einem andern Sinn beobachtet. Purkinje und Kraussff) machten dieselbe Wahrnehmung, wenn sie die Vierh\u00fcgel auf einer Seite verletzten, y) Die Halbmesserdrehung. Dies ist eine Bewegung, bei welcher das Thier sich um einen Hinterfuss als St\u00fctz- und Drehpunkt bewegt. Man will sie bei Durchschneidung eines Grosshirnschenkels in der N\u00e4he der Br\u00fccke beobachtet haben und zwar so dicht, dass noch das vorderste Ende der letzteren mit verletzt wurde fff), d) Die Bewegung geradeaus, vor - oder r\u00fcckw\u00e4rts. Die ersteren sieht man\ns)\tHertwig : Exp\u00e9rimenta quaedam de effectibus laesionum in partibus ence-phali. Berol. 1826. S. 22.\n**) Longet: Anatomie et Physiologie du syst\u00e8me nerveux, tome I. p. 434. Paris 4842.\n***) Longet 1. o. p. '437.\nt)\tLafargue : Essai sur la valeur des localisations enc\u00e9phaliques, senso-riales etc. Th\u00e8se inaug. Paris 1838.\ntt) Kraus s : de cerebri laesi ad motum voluntarium relatione etc. Yratis-laviae 1844. S. 34, 35.\n+++) Schiff : de vi motoria baseos encephali pag. 22.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"- 159\nnach vollkommener Ausrottung der beiden Streifh\u00fcgel ; die letztere versichern viele Beobachter nach Wegnahme des kleinen Gehirns gesehen zu haben.\nBis jetzt ist noch wenig mit diesen Bewegungen anzufangen; erst wenn ihnen ein sorgf\u00e4ltigeres Studium zu Theil geworden sein wird, k\u00f6nnen sie wahrhaft zur Vervollkommnung unserer Vorstellungen \u00fcber die physiologischen Leistungen des Gehirns beitragen.\nWir haben bei den vorigen Mittheilungen hier und da Kenntniss von der Topographie einzelner, f\u00fcr die willk\u00fchrliche motorische Erregung und bewusste Empfindung wichtiger Glieder genommen, aber \u00fcber deren Verkn\u00fcpfung unter einander ist uns Nichts bekannt geworden. Eine solche muss jedoch bestehen, da beide Vorg\u00e4nge in dem einen Bewusstsein Zusammenh\u00e4ngen. Daher muss jede Thatsache, oder auch nur die Aussicht auf Erwerbung einer solchen, verzeichnet werden, welche in der fraglichen Beziehung Aufkl\u00e4rung verspricht. In dieser Hinsicht nun machen wir auf die Existenz des Muskelsinnes und die Erfahrungen aufmerksam, welche bei den Versuchen \u00fcber das kreuzweise Zusammenheilen motorischer und sensitiver Nerven etwa zu erhalten sind. Was den Muskelsinn anlangt, so wird durch ihn bewiesen, dass derselbe Nerve, welcher dem Willen die von ihm verlangte Zusammenziehung des Muskels bewirkt, auch unmittelbar dem Bewusstsein Kunde von der Gr\u00f6sse des dabei gefundenen Widerstandes bringt und dadurch den ersteren veranlasst, darnach die Gr\u00f6sse der Nervenerregung zu bemessen. Da kein Beispiel bekannt ist, dass der Muskelsinn bei bestehender F\u00e4higkeit der Muskelcontraction verloren gegangen w\u00e4re, so m\u00fcssen die beiden Vorg\u00e4ngen innerhalb des Gehirns dienenden Substanzen entweder ein und dieselbe sein, oder doch \u00f6rtlich unendlich nahe bei einander liegen; denn w\u00e4ren sie r\u00e4umlich weit von einander entfernt, so w\u00e4re wohl zu erwarten, dass bei den mannigfachen Formen der Hirnl\u00e4sionen, welche von der Pathologie und Experimentalphysiologie gekannt sind, F\u00e4lle zur Beobachtung gekommen w\u00e4ren, welche auf eine solche Anordnung hingewiesen h\u00e4tten.^ Bei den Versuchen \u00fcber das kreuzweise Zusammenheilen motorischer und sensitiver Nervenf\u00e4den hat man bisher die hier ber\u00fchrte Beziehung zu sehr ausser Acht gelassen; man stellte sie wesentlich um des Zweckes willen an, die doppelsinnige Leitungsf\u00e4higkeit der Nervenfaser noch von andrer Seite, als der Nervenphysik, her zu beweisen. Meines Wissens ist sie nur von Philippeau und Vulpian *) etw'as ber\u00fchrt worden. Beide\n*) Philippeau et Yulpian: R\u00e9eherchea sur le reunion bout \u00e2 bout des fibres nerveuses sensitives avec les fibres nerveuses motrices Comptes rendus. Tome LVI. pag. 56.","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\ngeben n\u00e4mlich an, dass bei Hunden, deren centraler Theil des Lingualis mit dem peripherischen des Hypoglossus auf einer Seite zusammengeheilt war, unmittelbar nach der Durchschneidung des Hypoglossus der anderen Seite die Zunge nicht mehr hervorgestreckt werden konnte; mit anderen Worten, es konnte die Zungenmuskulatur, obschon der Hypoglossus einer Seite leistungsf\u00e4hig mit dem Hirnende des Lingualis zusammengeheilt war, doch vom Gehirn aus nicht in Bewegung versetzt werden. Nehmen wir an, diese Versuche seien richtig, so w\u00fcrden sie darauf hindeuten, dass die durch den Lingualis vermittelten Empfindungen und die durch den Hypoglossus geschehenden willk\u00fchrlich motorischen Wirkungen innerhalb des Gehirns durch Glieder oder in der Weise Zusammenh\u00e4ngen, dass von ihrem gemeinsamen Punkte im- Bewusstsein aus nicht jeder der beiden gedachten Nerven in doppelter Richtung erregbar sei. F\u00fcr einen mit dem peripherischen Ende des Lingualis uzsammengeheiltcn centralen Hypoglossusstumpf sind keine analogen Erfahrungen bekannt. Jedenfalls sind weitere Versuche in dieser Richtung anzustellen ; denn sie versprechen zum mindesten einige Aufkl\u00e4rung \u00fcber den Modus, nach welchem innerhalb des Gehirns der Empfindung und der willk\u00fchrlichen Bewegung dienende Glieder mit einander verbunden sind.\nDie automatischen Th\u00e4tigkeiten des Gehirns sind der Zahl nach gering, bez\u00fcglich ihrer Tragweite aber f\u00fcr das Bestehen des Organismus von fundamentaler Bedeutung. Die Bezeichnung selbst ist keine sehr zweckm\u00e4ssige; man will damit sagen, dass gewissen Hirntheilen eine Art Th\u00e4tigkeiten zukomme, von denen weder zu erweisen sei, dass sie durch den Willen erzeugt w\u00fcrden, noch dass sie als unmittelbare Folgen \u00e4usserer Reize auftreten. Wenn nun auch diese Aeusserungen der Hirnmasse spontan auftreten, und also ihre Ursachen nicht so unmittelbar der Anschauung zug\u00e4nglich sind, so muss man sich doch zeitig daran gew\u00f6hnen, jenen Ausdruck nur f\u00fcr einen provisorischen zu halten, welcher in dem Masse bedeutungsloser wird, als es der Physiologie gelingt, den ^omplex von Ursachen aufzudecken, durch deren Zusammenwirken jene Automatic zu Stande kommt. Als automatische Th\u00e4tigkeiten des Gehirns f\u00fchrt die Physiologie zur Zeit die Athembewegungen und gewisse Schluckbewegungen auf, f\u00fcr deren Zustandekommen sie bis jetzt nicht die Anwesenheit eines \u00e4usseren Reizes f\u00fcr nothwendig erkannt hat. Da von den letzteren nicht mehr als ihre Existenz und selbst diese nur zweifelhaft bekannt ist, so besch\u00e4ftigen wir uns nur mit den ersteren.\nErfahrungsgem\u00e4ss h\u00e4ngen die Athembewegungen dergestalt vom Gehirn ab, dass sie nach der Zerst\u00f6rung einer bestimmten Stelle","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"l\u00dfi\ndemselben sofort cess\u00eereil. Obgleich man schon durch Galen *) und Lorry **) im Allgemeinen auf den Hirntheil hingewiesen war, welcher mit der wichtigen Function, die Athembewegungen zu unterhalten, betraut ist, so haben doch erst Legallois ***) und Flourens f) seine Lage und Ausdehnung sch\u00e4rfer bestimmt. Der Erstere giebt an, dass man das Gehirn von vorn her zu einem grossen Theile zerst\u00f6ren k\u00f6nne, ohne einen namhaften Schaden f\u00fcr die Athembewegungen anzurichten, dass aber diese sofort stocken, sobald man den Ursprung des Nervus vagus mittelst eines Schnittes abtrenne. Der Letztere, welcher diesen \u00fcberaus wichtigen Punkt des Gehirns point central oder noeud vital nannte, sagte in seiner \u00e4lteren Mittheilung, welche sich auf das Kaninchen bezieht, dass dieser unmittelbar unter dem Ursprung des Vagus beginne und sich von hier aus etwa drei Linien abw\u00e4rts erstrecke. In einer sp\u00e4tem Arbeit bestimmt er jene Stelle folgendermassen : \u201eLa limite sup\u00e9rieure passe sur le trou borgne; la limite inferieure passe sur le point de jonction des pyramides post\u00e9rieures\u201c, oder: \u201ela place du point vital est la place marqu\u00e9e par la pointe du V de substance grise.\u201c Diesen Angaben ist von Keinem der sp\u00e4teren Physiologen widersprochen worden. Das Centralorgan der Athembewegungen ist in Bezug auf den Rhythmus seiner Wirkungen manchen Wandelbarkeiten unterworfen; der Wille, \u00e4ussere Reize und vornehmlich der Gasgehalt des dasselbe durchstr\u00f6menden Blutes \u00e4ndern augenscheinlich die Athemfolge ab. Die Ab\u00e4nderungen derselben durch den Willen bestehen in Verlangsamungen und Beschleunigungen einzelner oder beider Phasen der Athembewegungen, scheinbar ohne Ordnung und Regel, wie es dem Eigensinn desselben beliebt, und der nur eine Grenze in der Beschr\u00e4nktheit der Leistungen der Mechanismen findet, welche die Athembewegungen ausf\u00fchren. Von \u00e4usseren Reizen scheint jeder, sobald er einen Empfindungsnerven trifft und nur einige Intensit\u00e4t besitzt, Aenderungen in den Athembewegungen hervorrufen zu k\u00f6nnen. Eine methodische, auf alle sensitiven Nerven ausgedehnte Untersuchung dieser Art fehlt jedoch noch. Es geh\u00f6ren aber hierher die Wahrnehmungen, dass Reizungen der Hautnerven tiefe Inspirationen hervorrufen, und solche der sensitiven Nasenzweige des Trigeminus, Niesen erzeugen. Unter allen Nerven des\n*) de anatom, administ. lib. VIII. cap. IX. p. 696, 697. edit, de K\u00fchn. Leipz. 1821.\n**) Academie des sciences; m\u00e9moires des savants \u00e9trangers, tome III. p. 366. **\u00ab\u2022) ouvres completes, tome I. p. 366. Paris 1830.\nf) R\u00e9cherches experimentales sur les propri\u00e9t\u00e9s et les fonctions du syst\u00e8me nerveux; 2e edition p. 181 ; Comptes rendus 1827 et 1851.\nEckhard, Nervenphysiologie.\tIl","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nthierischen Organismus steht aber keiner, wie es scheint, in innigerem Verkehr mit dem Centrum der Athembewegungen, als.der Nervus vagus; von den durch ihn bewirkten Aenderungen der Athembewegungen soll jedoch erst sp\u00e4ter bei der speciellen Physiologie dieses wichtigen Nerven die Rede sein. Was endlich die Art und Weise betrifft, in welcher der Gasgehalt des Blutes die automatische Wirkung des Athmungscentrums bestimmt, so sind folgende Erfahrungen gemacht worden. Vorher muss jedoch bemerkt werden, dass nicht durch alle hierher gezogene Versuche streng erwiesen ist, dass ein ver\u00e4nderter Gasgehalt des Blutes die ihm folgenden Aenderungen der Athembewegungen lediglich durch seine directe Wirkung auf das Centralorgan der Athembewegungen zu Stande bringe, indem in manchen diejenigen Umst\u00e4nde, von denen nachweiss-lich die zeitliche Vertheilung der Athembewegungen mit abh\u00e4ngt, wie die vorher erw\u00e4hnten Hautnerven und der Nervus vagus, in ihrer Verbindung mit der Medulla oblongata nicht gel\u00f6st waren, also auch durch sie hin das ver\u00e4nderte Blut auf die crstere wirken konnte. Man weiss nun, dass es wesentlich der Sauerstoffgehalt des Blutes und weniger die Kohlens\u00e4ure desselben ist, welcher den Athmungsrhythmus bestimmt. Zufolge verschiedener Erfahrungen von Traube *), Rosenthal **) und W. M\u00fcller '***) erzeugt Mangel des Sauerstoffs beschleunigte Athembewegungen, wesshalb man die Beziehung dieses Blutbestandtheils zum verl\u00e4ngerten Mark jetzt gew\u00f6hnlich so ausdr\u00fcckt, dass sein Mangel Reiz, sein reichliches Vorhandensein Hinderniss f\u00fcr die Anregung der Athembewegung sei. Zur Verh\u00fctung von Missverst\u00e4ndnissen muss jedoch noch hinzugef\u00fcgt werden, dass, wenn die Armuth an Sauerstoff eine gewisse Grenze \u00fcberschreitet, wieder Verlangsamung der Athembewegungen eintritt, vielleicht desshalb, weil den Athmungsmechanismen die geb\u00fchrende Krafterzeugung fehlt, und dass ferner, wenn die vorhandene Sauerstoffmenge so weit herabsinkt, dass die zum Leben nothw.endigen chemischen Vorg\u00e4nge nicht mehr stattfinden k\u00f6nnen, die Athembewegungen vollst\u00e4ndig erl\u00f6schen. Dagegen zeigt sich, unter der Voraussetzung nat\u00fcrlich, es fehle dem Blute \u00fcberhaupt nicht an dem zum Leben n\u00f6thigen Sauerstoff, dass die Kohlens\u00e4ure im Blute betr\u00e4chtlich steigen kann, ohne dass eine Aenderung in der Athemfolge eintritt. Traube\n*) Marcuse: de suffocationis imminentis causio et curatiune. Berol. 1858.\n**) Rosenthal: Studien \u00fcber Athembewegungen. Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie etc. Herausg. von Reic.hert und du Bois-Rey m on d. 1854. S. 456.\n***) \\y, M\u00fcller: Beitr\u00e4ge zur Theorie der Respiration. Sitzungsberichte der mathematisch - naturwissenschaftlichen Classe der kaiserlichen Academie der Wissenschaften. 33. Bd. S. 110. Wien 1859.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"163\n\u00f6ffnete an Kaninchen die Brusth\u00f6hle, stach die Oberfl\u00e4che der Lungen mit Nadeln vielfach an und trieb dann Sauerstoff, Wasserstoff oder Stickstoff durch die Lungen. Die beschleunigten und meist auch an Intensit\u00e4t tiefern Athembewegungen, welche das Thier nach Er\u00f6ffnung seiner Brusth\u00f6hle zeigte, und welche Erscheinungen man gew\u00f6hnlich als dyspnoetische bezeichnet, schwanden, machten also langsamem Athembewegungen Platz, hei der Anwendung von Sauerstoff oder atmosph\u00e4rischer Luft, blieben dagegen bestehen, wenn die anderen Gase in Anwendung kamen. In beiden Versuchsarten konnten sich betr\u00e4chtliche Kohlens\u00e4uremengen nicht im Blute ansammeln, da die in den Bronchialbaum abdunstenden Mengen desselben durch die Oeffnungen in der Lungenoberfl\u00e4che entfernt wurden. Rosenthal zeigte, dass man Kaninchen durch reichliche Zufuhr von Sauerstoff in die Lungen vollst\u00e4ndig apnoisch machen, d. h. sie in einen solchen Zustand versetzen kann, dass sie gar keine Athembewegungen mehr ausf\u00fchren. Beide Versuchsformen aber sind den oben angemerkten Bedenken ausgesetzt. Der Letztere hat daher die folgenden Ab\u00e4nderungen seines Versuchs ausgef\u00fchrt. Er machte ein Kaninchen auf die angegebene Weise apno'isch und klemmte dann die nach dem Kopfe gehenden Gef\u00e4sse zu. Kurz darauf enstand eine Athem-bewegung, ihr folgten mehre andere, und endlich stellte sich Dyspnoe ein. Gab man den Kreislauf frei, so stellte sich nach einigen Athem-z\u00fcgen wieder Apnoe her. Man sagt sich : da hier die St\u00f6rung des Kreislaufs sich augenscheinlich vorzugsweise nur auf das Gehirn bezieht, so kommt die Anregung zur Athembewegung nach Freigebung des Kreislaufs dadurch zu Stande, dass das Centrum der Athembewegung von der Einwirkung des sauerstoffreichen Blutes ausgeschlossen wird, welcher die \u00fcbrigen K\u00f6rpeitheile unterliegen. Doch bleiben auch bei dieser Form des Versuchs noch Zweifel, da immer noch daran gedacht werden kann, dass Vagus, Hals- und Kopfnerven in Folge der ge\u00e4nderten Circulation andere Erregungszust\u00e4nde zur Medulla oblongata f\u00fchren und so die Athemfrcquenz bestimmen. Von diesem Einwurf aber wird der Versuch frei, wenn man nach vorheriger Trennung der hintern Wurzeln der Halsnerven das Brustmark an seinem oberen Ende trennt und beide Vagi durchschneidet. Auch dann kann man noch, wie Rosenthal gezeigt hat, die Thiere auf die angegebene Art apnoisch machen und die Apnoe durch Sperrung des Kreislaufes nach dem Kopfe l\u00f6sen.\nDie reflectorischen Th\u00e4tigkeiten des Gehirns wollen wir hier nicht besonders besprechen; was von denselben zu erw\u00e4hnen ist, soll sp\u00e4ter bei der Auseinandersetzung der analogen Th\u00e4tigkeiten des R\u00fcckenmarks Vorkommen. Damit sind jedoch noch keineswegs alle Th\u00e4tigkeitsarten des Gehirns ersch\u00f6pft. Es ist noch eine Klasse \u00fcbrig, welche streng\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\ngenommen zu keiner der bisher erw\u00e4hnten passt. Wir verm\u00f6gen n\u00e4mlich von gewissen Hirntheilen aus durch Reizung derselben noch eine Anzahl von Bewegungen in nicht der Willk\u00fchr unterworfenen Gebilden und andere Erscheinungen hervorzurufen, von denen man nicht weiss, durch welche Verkettung von Umst\u00e4nden w\u00e4hrend des Lebens die bez\u00fcglichen Nervenbahnen in Th\u00e4tigkeit gesetzt werden, von denen wir aber wissen, dass sie wirklich w\u00e4hrend des Lebens Vorkommen oder doch Gr\u00fcnde f\u00fcr die Annahme haben, dass sie Vorkommen k\u00f6nnen. Hierher geh\u00f6ren :\na)\tDer Einfluss des Gehirns auf die Herzbewegung. Es ist eine alte Erfahrung, dass durch leidenschaftliche Aufregungen und Erkrankungen des Gehirns der Herzschlag modificirt werden kann. Ebenso kennt die Pathologie Erfahrungen, denen zufolge in den Kreislauf eingef\u00fchrte Medicamente denselben Erfolg haben, und besondere Versuche haben dargethan, dass letzterer nicht von einer directen Einwirkung jener Mittel auf gewisse peripherische Nerven, namentlich den Nervus vagus, sondern primitiv von einer solchen auf das Gehirn herr\u00fchre; denn die Wirkungen bleiben aus, sobald man die Nerven vom Gehirn trennt. Hierzu f\u00fcgt die Experimentalphysiologie die von den Gebr\u00fcdern Weber *) gefundene Thatsache, dass man durch directe Reizung der Medulla oblongata vom Vagusursprung an und ihrer Fortsetzungen bis zu den Vierh\u00fcgeln hin, diese noch mit eingeschlossen, auf das Herz dergestalt wirken kann, dass eine Erregung dieser Theile je nach der Gr\u00f6sse des Reizes Verlangsamung des Pulsschlages oder Stillstand des Herzens in Diastole erzeugt. Es ist wichtig, anzumerken, dass bei der, Reizung der Vierh\u00fcgel der beschriebene Erfolg der Reizung nicht durch Stromesschleifen erzeugt wird, welche sich von diesem Punkte aus abw\u00e4rts nach dem Vagusursprung hin verbreiten, da ein dicht hinter den Vierh\u00fcgeln angebrachter Schnitt, welcher diese von dem verl\u00e4ngerten Marke trennt, die electrische Reizung wirkungslos macht, obsclion die feuchte Aneinanderf\u00fcgung der Schnittfl\u00e4chen die Ausbreitung der Stromesschleifen nicht hemmt. Von anderen Forschern wird noch angegeben, dass man auch von den Seh- und Streifenh\u00fcgeln, dem Balken etc. auf das Herz wirken k\u00f6nne ; es bed\u00fcrfen jedoch diese Behauptungen einer wiederholten, critischen Pr\u00fcfung.\nb)\tDie Bewegungen des Magens und wenigstens eines Theils der d\u00fcnnen Ged\u00e4rme. Wir werden sp\u00e4ter sehen, dass man vom Lungenmagennerven aus den Magen und auch Abtheilungen des D\u00fcnndarms in Be-\n*) E. Weber: Artikel Muskelbewegung in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie. Bd. III. 2. S. 44.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"165\nwegung setzen kann. Dabei steht zu erwarten, dass wenigstens der Hirntheil, mit welchem wir den Yagus in unmittelbarer V erbindung sehen, bei einer Reizung, welche ihn trifft, denselben Erfolg habe. Dies ist auch in der Regel der Fall; es soll aber auch hier nach den Behauptungen mancher Experimentatoren noch die Reizung des kleinen Gehirns, der Grosshirnschenke], des Seh - und Streifenh\u00fcgels zu demselben Ziele f\u00fchren. Nach einigen Versuchen, welche neulich Nasse*) \u00fcber den Einfluss des Gehirns auf die Ged\u00e4rme angestellt hat, sollen die fr\u00fchem Angaben nicht richtig sein. Bei seinen Pr\u00fcfungen war die eine Electrode am Antibrachium des Kaninchen befestigt, w\u00e4hrend die andere entweder in einer Hemisph\u00e4re, oder in einem crus cerebri, oder corpus quadrigeminum steckte. Ich selbst habe \u00fcber diesen Punkt kein auf Erfahrungen sich st\u00fctzendes Urtheil.\nc)\tDie Bewegungen von Theilen des Urogenitalapparates. Man weiss, dass \u00fcppige Bilder der Phantasie Erection und Samenerguss erzeugen. Entsprechend dieser Thatsache sollen directe, electrische Erregungen des verl\u00e4ngerten Markes und des kleinen Gehirns Bewegungen der Sameng\u00e4nge und der Eileiter hervorrufen. Ebenso will man auch noch von jenen und ausserdem auch noch vom Sehhligel aus Zusammenziehungen in den Harnleitern bewirkt haben. Es w\u00e4re zu w\u00fcnschen, dass auch diese Angaben einer erneuten Untersuchung unterworfen w\u00fcrden.\nd)\tDie Thatsache, dass nach der Beizung eines bestimmten Hirntheils Zucker im Harn auf tritt. Dieser Punkt verdient wegen seiner theoretischen und practischen Wichtigkeit eine ausf\u00fchrliche Besprechung. Der franz\u00f6sische Physiologe Bernard **) ist zuerst auf dieses Factum ge-stossen. Er gab an, dass, wenn man eine bestimmte Stelle auf dem Boden des vierten Ventrikels mechanisch verletze, nach einiger Zeit Zucker im Harn auftrete. Als den bedeutsamen Ort bezeichnete er die Ursprungsstelle des Nervus vagus. Der Versuch wurde unmittelbar nachher von verschiedenen Forschern mit und ohne Erfolg wiederholt. Man machte indess bald die Beobachtung ***), dass zur Erlangung des gemeldeten Resultats nicht die ala cinerea, d. i. der Vagusursprung selbst zu zerst\u00f6ren sei, sondern dass man sich etwas weiter nach vorn von dem-\n*) Nasse: Beitr\u00e4ge zur Physiologie der Darmbewegung.\n**) Bernard: Comptes rendus XXXI. p. 57 .\n***) Uhle: Versuche \u00fcber den zeitweiligen Uebergang des Zuckers in den Drin. Inauguraldissertation. Leipzig 1852. und Schrader: Ueber die Erzeugung des Diabetes bei Kaninchen durch Verletzung einer Stelle des verl\u00e4ngerten Marks auf dem Boden der 4. Hirnh\u00f6hle, in : Nachrichten von der G. A. Universit\u00e4t und der k\u00f6nigl. Gesellschaft der Wissenschaften zu G\u00f6ttingen. M\u00e4rz 15. Nr. 4. 1852. S. 49.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nselben wenden m\u00fcsse, und dass man ferner den Einstich, welchen man fortan kurz als Diabetesstich bezeichnete, nicht in der Medianlinie, sondern neben derselben auszuf\u00fchren habe. Bei Kaninchen hat die bez\u00fcgliche Stelle eine Ausdehnung von c. 5 Mm. in die L\u00e4nge und Breite und erstreckt sich vom vorderen Ende der ala cinerea bis fast dahin, wo der vierte Ventrikel die gr\u00f6sste Breite hat. Bei Fr\u00f6schen hat der betreffende Ort die in beistehender Figur angegebene und mit d bezeichnete Lage und Ausdehnung *). Die \u00fcbrigen Zeichen der Fig. beziehen sich auf die Erl\u00e4uterung einer bei der Physiologie des \u00ae R\u00fcckenmarks abzuhandelnden Lehre. Den Ver-D such f\u00fchrt man am Kaninchen entweder so aus, dass man nach genauer Kenntnissnahme der relativen Lage der fraglichen Stelle zu dem hinteren Theil des Sch\u00e4dels durch Haut und Knochen bis auf das verl\u00e4ngerte Mark bohrt, oder, was ich f\u00fcr meinen Theil vorziche, dass man die membrana obturatoria zwischen Hinterhaupt und Atlas bloss legt, sic spaltet und dann klar den wirksamen Punkt zerst\u00f6rt. Verbindet man die Wunde zweckm\u00e4ssig und vorsichtig, so kann man die Thiere so lange am Leben erhalten, dass man-zu verschiedenen Malen zu einer Untersuchung auf Zucker hinreichende Harnquantit\u00e4ten erh\u00e4lt. Nach dem ersteren Verfahren verf\u00e4hrt man in der Regel so, dass man zun\u00e4chst einen Schnitt in der Richtung der Pfeilnaht \u00fcber den Hinterhauptsh\u00f6cker macht. Unmittelbar vor diesem f\u00fchlt man zwei in einer geraden Linie nach vorn liegende H\u00f6cker. Hierauf durchbohrt man, am besten mit einem Trois-quart, den Sch\u00e4del zwischen der hinteren der beiden eben genannten Erhabenheiten und dem eigentlichen Hinterhaupth\u00f6cker und st\u00f6sst endlich durch die gemachte Oeffnung eine Nadel nach der beschriebenen Stelle. Gew\u00f6hnlich folgen Drehbewegungen und L\u00e4hmungserscheinungen, und die Thiere \u00fcberleben die Operation nur wenige Tage. Der Zucker tritt in der Regel schon nach wenigen Stunden im Harn auf, h\u00e4lt jedoch nicht lange an, beim Kaninchen etwa nur 24 Stunden, beim Frosch 2\u20143 Tage. Sobald der Zucker im Urin nachweisbar ist, pflegt sich dies durch eine gr\u00f6ssere Helle und das Eintreten neutraler oder saurer Reaction des Harns anzuk\u00fcndigen. Ueber die Art und Weise, wie dieser Diabetes entsteht, ist nichts Sicheres bekannt. Zwar glaubte man im Anf\u00e4nge des Bekanntwerdens dieses Factums, dass die Verlangsamung der Athem-\n*) K\u00fchne: lieber k\u00fcnstlichen Diabetes bei Fr\u00f6schen. Inauguraldissertation.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"167\nbewegung die Ursache des Auftretens von Zucker im Blut und Harn sei, allein man kam bald von dieser Meinung zur\u00fcck, da nach der Vagus-section am Halse diese Erscheinungen nicht beobachtet wurden, Versuche von Schiff deuten darauf hin, dass bei diesem k\u00fcnstlichen Diabetes die Nebenwirkungen sich auf die Zucker bildende Leber beziehen, indem man bei Fr\u00f6schen, denen man die Leber exstirpirt hat, auf die beschriebene Art keinen Diabetes mehr erzeugen kann. Man h\u00e4tte sich demnach vorzustellen, dass die in die Leber eindringenden Nerven einen Sammelpunkt im verl\u00e4ngerten Mark h\u00e4tten, und dass in Folge ihrer Reizung daselbst in der Leber sich eine gr\u00f6ssere Menge Zucker als gew\u00f6hnlich bilde, von hier ins Blut gef\u00fchrt und im Harn ausgeschieden werde. Man muss aber die ganze Erscheinung als ein Reizungsph\u00e4nomen auffassen, da der Zucker verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig rasch wieder aus dem Harn verschwindet. W\u00e4re die blosse Trennung der Nervenfasern von gewissen Stellen des Gehirns Ursache davon, wie ich mir die Sache fr\u00fcher vorstellte, so m\u00fcsste die Zuckerharnruhr l\u00e4nger anhal-ten. Auch von andern Stellen des Gehirns aus, z. B. von der Br\u00fccke und den crura cerebelli, will Schiff Diabetes erzeugt haben; doch sind diese Versuche in anderen H\u00e4nden bisher fehlgcschlagen *). Man vergleiche hierzu die Darstellung der Functionen des Nervus splachnicus.\nNach Bernard soll diejenige Stelle der Medulla oblongata, welche unmittelbar unterhalb der f\u00fcr die Zuckerbildung bedeutsamen liegt, bei ihrer Verletzung bloss vermehrte Wasserausscheidung in den Nieren zur Folge haben. Dem Verfasser ist nicht bekannt geworden, dass von andrer Seite her diese Angabe weiter gepr\u00fcft worden w\u00e4re. Im Interesse der Pathologie w\u00e4re eine weitere Verfolgung dieses Gegenstandes w\u00fcn-schenswerth; denn diese kennt bereits eine, diabetes insipidus oder poly-dypsie genannte, Krankheitsform, in welcher durch die Nieren eine reichliche Wassermenge, wie im eigentlichen Diabetes es auch gew\u00f6hnlich zu sein pflegt, ausgeschieden wird, ohne dass sich jedoch Zucker in diesem Secrete findet.\n\u00a7. 20.\nPhysiologie der Augenmuskelnerven.\nEhe wir zur ausf\u00fchrlichen Darlegung der Functionen der einzelnen Nervenbahnen \u00fcbergehen, mag Einiges \u00fcber die bisher zur Ausmittelung derselben angewendeten Methoden gesagt werden. Eine\n*) K\u00fchne : Notiz zur Geschichte des k\u00fcnstlichen Diabetes. Archiv von Reichert und du Bois-Reymond. 1860. S. 261.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nerste Methode besteht in der Trennung des Nerven an irgend einer Stelle seiner Bahn. Dann kommen, da das peripherische St\u00fcck von dem betreffenden Centralorgan keinen Impuls mehr erhalten kann, gewisse Functionen in Wegfall und mit der Erkennung derselben ist die Bedeutung des Nerven am lebendigen K\u00f6rper erkannt. Schon Galen hat diese Methode an verschiedenen Nerven ge\u00fcbt. Zur vollen Anwendung kam sie jedoch erst mit der Ausbildung der Experimental physiologie im Allgemeinen und der Vivisectionen im Besondern von dem zweiten Jahrzehend dieses Jahrhunderts an. Man verdankt besonders M a g e n d i e *), Esch rieht **), Longet***), Valentin ****) viele dieser Nerven-durchschneidungen. Die Ausf\u00fchrung derselben verlangt gute anatomische Kenntniss, viel Uebung und Vorsicht im Urtheil, welche letztere namentlich nie vergisst, am Ende des Versuchs die o\u2018perirte Stelle genau zu untersuchen, um zu sehen, ob die Nerventrennung vollst\u00e4ndig war, keine Regeneration des Nerven und keine Complicationen statt gefunden haben. Eine zweite Methode, welche vor der der Durchschneidung den Vorzug hat, dass sie in einzelnen F\u00e4llen sicherer und rascher zum Ziele f\u00fchrt, bedient sich der k\u00fcnstlichen Reizung. Ihre Ausbildung hat sie der Entdeckung der verschiedenen Arten von electrischen Inductionsapparaten und der Erkenntniss des allgemeinen Gesetzes der electrischen Reizung zu verdanken. In ihrer Anwendung erfordert die electrische Reizung jedoch Vorsicht, wie in den Capiteln Uber die secund\u00e4re Zuckung vom Nerven aus und die unipolaren Inductionszuckungen auseinandergesetzt worden ist. Wo T\u00e4uschungen durch solche Umst\u00e4nde dem Beobachter drohen, vers\u00e4ume er nicht, das Resultat durch eine mechanische oder chemische Reizung auf die Probe zu stellen. Eine dritte Methode besteht darin, dass aus der anatomischen Pr\u00e4paration des Verlaufes eines Nerven und der bekannten Natur der Theile, zu denen die Nerven\u00e4stc gehen, die Function eines Nervenstammes ermittelt wird. Ohne Verbindung mit einer der vorigen Methoden tr\u00e4gt sie nicht besonders weit, da sich einerseits die feinem Nervenf\u00e4den der directeri Beobachtung entziehen, also ohne Anwendung des Experimentes der Verbreitungsbezirk der Nervenfasern nur unvollkommen bekannt wird, andrerseits aber aus dem Umstand, dass ein Nervenf\u00e4den in ein bestimmtes Organ bekannter Func-\n*) Siehe dessen: Vorlesungen \u00fcber das Nervensystem und Journal de physiologie experimentale. Paris 1821.\n**) de functionibus nervorum faciei et olfactus organi. Hafniae 1825.\n***) Anatomie et Physiologie du syst\u00e8me nerveux de l\u2019homme et des animaux vert\u00e9br\u00e9s. Paris 1842.\n****) Lehrbuch der Physiologie des Menschen.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"169\ntion eindringt, noch nicht mit Sicherheit geschlossen werden kann, worin seine Leistung f\u00fcr dasselbe besteht. So folgt z. B. daraus, dass ein Nerv zu einem Muskel geht, noch lange nicht, dass er denselben in Bewegung zu versetzen verm\u00f6ge; wir kommen sp\u00e4ter auf einen speciellen Fall der Art zur\u00fcck. Doch darf man zufolge dieser Bemerkungen diese Pr\u00fcfungsart nicht untersch\u00e4tzen; die Kenntniss der Anatomie eines Nerven bringt Sicherheit in das Experiment und giebt oft zu ganz besonderen Untersuchungen Veranlassung, auf welche man nicht leicht ohne sie gestossen w\u00e4re. In speciellen F\u00e4llen ist wohl noch die eine oder andere Methode in Gebrauch gezogen worden, ohne jedoch eine besondere Verbreitung erlangt zu haben. Dieselben sollen an passenden Stellen erw\u00e4hnt werden.\nIndem wir nun die einzelnen Hirnnerven durchgehen, k\u00f6nnen wir nicht umhin, auf die Unvollkommenheiten der jetzigen Kenntnisse aufmerksam zu machen. Was wir von der Physiologie der Hirnnerven wissen, bezieht sich auf die Kenntniss der peripherischen Theile, die von ihnen innervirt werden. Dagegen ist uns Wenig oder gar Nichts bekannt \u00fcber die Art und Weise, wie sie ihre Impulse von den einzelnen Hirntheilen empfangen, und ob sie daselbst ebenso einzeln und von einander getrennt, wie in der Peripherie, verlaufen, oder ob sie unter sich nach bestimmten Gesetzen verkn\u00fcpft sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Nerven, welche gleichen oder \u00e4hnlichen Functionen dienen, wie z. B. die Speichelnerven, die Augenmuskelnerven, etc. physiologisch einen gemeinsamen, centralen Ursprung haben und als ein einziger Nerv anzusehen sind, obschon sie peripherisch in verschiedenen Bahnen liegen.\nDie Nerven der Augenmuskeln *). Der gr\u00f6sste Theil der Functionen des Nervus oculomotorius, die gesammten des Nervus abducens und Nervus trochlearis ergeben sich aus den Verbreitungsbezirken, welche die descriptive Anatomie f\u00fcr diese Nerven festgesetzt hat, und welche daher keiner besonderen Aufz\u00e4hlung bed\u00fcrfen. Bei Thieren ist die Vertheilungsart theilweise eine andere ; auch wird von ihnen der bei diesen vorkommende M. retractor bulbi versorgt. Ueber den N. oculomotorius aber ist noch eine besondere Bemerkung noth wendig; die n\u00e4mlich, dass er auch diejenigen Fasern beherbergt, welche der Verengerung der Pupille vorstehen. Bei S\u00e4ugethieren kann man kurz nach dem Tode bei ge\u00f6ffnetem Sch\u00e4del durch directe Reizung dieses Nerven die eben erw\u00e4hnte Function desselben zeigen, oder auch am lebenden Thiere im Momente der Durchschneidung die Pupille sich verengern sehen. Sp\u00e4ter wird sie im letzteren Falle wieder weiter, hat aber nat\u00fcrlich die F\u00e4hig-\n*) Die Physiologie der drei h\u00f6hern Sinnesnerven schliessen wir hier aus.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nhigkeit, auf Reize, z. B. Lichtreiz, sich zu verengern, vollst\u00e4ndig verloren. Auch an enthaupteten Mensch\u00e8n ist das analoge Experiment bereits mit Erfolg angestellt worden *) und so mit der Erfahrung \u00fcbereinstimmend, dass bei Erkrankungen dieses Nerven je nach dem Grade derselben und je nach der geringem oder gr\u00f6sseren Betheiligung des Pupillarastes Erscheinungen an der Pupille beobachtet werden k\u00f6nnen.\nErfahrungsgem\u00e4ss gestaltet sich die Sache so, dass bei einer L\u00e4hmung des fraglichen Nerven, kenntlich an der gest\u00f6rten Motilit\u00e4t des Augapfels, entweder die Pupille leicht erweitert und unbeweglich ist, oder ihre Beweglichkeit beibeh\u00e4lt. Wird die Erkrankung auf dem Stadium getroffen, dass sie eine Reizung f\u00fcr den Nerven darstellt, und unterliegen auch die Pupillenfasern derselben, so muss nach dem bereits Mitgetheilten Verengerung der Pupille beobachtet werden.\nMan kann die Frage aufwerfen, ob auch die Accommodation, wenn nicht ganz, so doch vielleicht theilweise, durch diesen Nerven beherrscht werde. Zu ihrer Beantwortung bieten sich zwei Wege dar. Der eine besteht in einer Beobachtung der Linsenbildchen bei Reizung dieses Nerven, der andere in der Beobachtung der Accomodationszust\u00e4nde bei Oculomotoriusl\u00e4hmung. Ersterer ist noch nicht betreten worden, obschon Hinrichtungen dazu passende Gelegenheiten h\u00e4tten bieten k\u00f6nnen. Letzterer wird unfruchtbar bleiben, so lange sich nicht durch eine gl\u00fcckliche Combination von Umst\u00e4nden, zu welchen namentlich auch die Eruirung der L\u00e4bmungsursache durch das Sectionsresultat geh\u00f6rt, vorwurfsfreie Schlussfolgerungen werden anstellen lassen. Was bis jetzt in dieser Richung bekannt ist, tr\u00e4gt diesen Charakter nicht. Es sind F\u00e4lle publicirt, in denen bei vollst\u00e4ndiger L\u00e4hmung des N. oculomoto-rius die Accomodation sich noch vollst\u00e4ndig unbehindert vollzog **). Da aber neben derselben auch noch die die Accomodation begleitenden Bewegungen der Iris vorhanden waren, so darf man annehmen, dass bei diesen L\u00e4hmungen die der Accomodation dienenden Fasern nicht mit ins Bereich der Erkrankung gezogen waren und nicht etwa schliessen, dass dieselben in einer andern Nervenbahn l\u00e4gen. Geht man von der Voraussetzung aus, dass Pupillarfasern und Accomodationsfasern in einem und demselben Aste des Oculomotorius liegen, dann m\u00fcssten bei einer L\u00e4hmung dieses Nerven, welche die Pupillarfasern ergriffen hat, auch ver-\n*) Nuhn in Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. Neue Folge. Bd. Ill-S. 129.\t<\n**) A. v. Graefe : Notizen vermischten Inhalts; dessen Archiv f\u00fcr Ophthalmologie. II. Bd. Abth. 2. S. 299.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"171\nvingerto Accomodation bestehen. Einen solchen Fall hat v. Graefe *) beschrieben. Er eignet sich aber nicht zu einem stricten Beweise., weil man nicht weiss, welche intracranielle Ver\u00e4nderungen bestanden haben. Es m\u00fcsste ein solcher Fall von Oculomotoriusl\u00e4hmung zur Beobachtung kommen, welcher auch Mangel der Accomodation im Gefolge h\u00e4tte und dessen Section eine alleinige Erkrankung des Oculomotorius nachwiese. Soviel kann aber einstweilen aus den angezogenen Beobachtungen ab-strahirt werden, dass unser Nerv mit grosser Wahrscheinlichkeit einem Theil der Accomodation vorsteht. Es kann noch bemerkt werden, dass es scheint, als l\u00e4gen die der Accomodation dienenden Fasern oft auf einer Strecke in der Bahn der f\u00fcr den levator palpebrae supenoris bestimmten Zweige; denn man hat die Erfahrung gemacht, dass, so lange bei einer L\u00e4hmung des Oculomotorius noch der levator palpebrae func-tionirt, nicht leicht St\u00f6rungen in der Accomodation Vorkommen, mit einer Paralyse desselben aber sich leicht solche combiniren.\nDie fr\u00fchem Angaben von Weber**) und Valentin***), dass Reizung des N. oculomotorius Erweiterung der Pupille erzeuge, sind wohl so zu erkl\u00e4ren, dass die von ihnen angewandten electrischen Reize durch einen nicht aufgekl\u00e4rten Umstand die in das Auge ziehende sympathische Bahn bei bereits abgestorbenem N. oculomotorius getroffen haben. Sp\u00e4ter ist von keinem anderen Experimentator dieses Verhaltens wieder gedacht worden.\nDass der gemeinschaftliche Augenmuskclnerv auch sensitive Fasern einschliesse, ist nicht wahrscheinlich; jedenfalls fehlen f\u00fcr eine solche Meinung scharfe Beweise.\n\u00a7\u2022 21.\nPhysiologie des Nervus trigeminus.\nDie wreit reichende anatomische Ausbreitung dieses Nerven Und die Verschiedenheit seiner Functionen machen ihn zu einem der wichtigsten Nerven f\u00fcr die Experimentalphysiologie. Es kommen demselben folgende Functionen zu :\n1. Er ist der empfindende Nerv f\u00fcr die dura mater f), die Augen-\n*) ibidem. II. Bd. Abth. 2. S. 191.\n**) Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie. Bd. III. Abth. 2. S. 32.\n***) Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. II. Abtfi. 2. S. 369.\nf) Zu ihr gehen ausser dem N. tentorii r. primi noch von dem zweiten Ast kommende nn. r\u00e9currentes, welche sich in der dura mater der mittleren Sch\u00e4delgruben verzweigen. Arnold: Wiener med. Wochenschrift. 1861. Heft 1.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nh\u00f6hle und ihre Umgebungen, die Stirn, die ganze Gesichtsfl\u00e4che, den vorderen Theil des \u00e4usseren Ohrs, den \u00e4usseren Geh\u00f6rgang, die Schl\u00e4fengegend, den oberen Theil der Rachenh\u00f6hle, die Nasenh\u00f6hle, den harten Gaumen, die Zunge, die Z\u00e4hne und den Boden der Mundh\u00f6hle. Dies wird durch die Resultate der anatomischen Pr\u00e4paration, welche Zweige dieses Nerven nach all den erw\u00e4hnten Theilen hin dargestellt hat, angedeutet und durch die Empfindungslosigkeit dieser Fl\u00e4chen bewiesen, welche der Durchschneidung des Nerven innerhalb der Sch\u00e4delh\u00f6hle folgen, wie dies einstimmig von allen Physiologen, welche diese Operation \u00fcbten, von Ch. Bell, dem ersten Dissector des Trigeminus an lebenden Thieren, Fodera, Mayo, Magendie, Longet, Valentin, Schiff u. A. gemeldet wird.\n2.\tEr ist der bewegende Nerv f\u00fcr die mm. temporalis, masseter, pterygoidei, digastricus anterior maxillae, tensor und levator palati, tensor tympani, mylohyoideus. In Betreff des m. buccinator nimmt man seit Mayo *) und Longet **) an, dass der zu ihm gehende Zweig des N. trigeminus nicht \u00e4cht motorischer Natur sei. Der erstere hat bei einem Esel den ramus buccalis mechanisch gereizt, der letztere denselben (bei welchem Tliiere,, giebt er nicht n\u00e4her an) galvanisirt, ohne irgend eine Contraction in dem m. buccinator zu beobachten. Ich habe denselben Versuch beim Kaninchen mit demselben Resultat wiederholt. Zum gr\u00f6sseren Theile dieser Muskeln lassen sich Zweige des Trigeminus direct verfolgen, und wo dies nicht immer befriedigend m\u00f6glich ist, wie f\u00fcr die mm. tensor tympani und tensor veli palati, da hilft die Reizung des Nerven innerhalb der Sch\u00e4delh\u00f6hle aus.\n3.\tEr steht den Absonderungen in der glandula lacrimalis und der parotis, beim Hunde auch der in der Augenh\u00f6hlendr\u00fcse vor. Da man auf reflectorischem Wege die.Secretion in der Thr\u00e4nendr\u00fcse durch Reizung der Bindehaut des Auges anregen kann und kein anderer Nerv, als der ramus lacrimalis N. trigemini dorthin geht, so muss letzterer der Absonderung in jener Dr\u00fcse vorstehen. Doch ist derselbe wegen seiner Kleinheit und Lage nicht leicht w\u00e4hrend des Lebens einer directen Reizung zug\u00e4nglich und daher auch letztere bis jetzt noch nicht versucht worden. Was die Secretion in der Ohrspeicheldr\u00fcse anlangt, so ist bez\u00fcglich des N. trigeminus festgesetzt, dass der dritte Ast desselben und insbesondere sein ramus auriculo-temporalis Zweige zu diesem Zwecke\n*) Mayo in Magendie\u2019s Journal de physiologie experimentale, toms\nIII. S. 352.\n**) Longet: Anatomie et Physiologie du Syst\u00e8me nerveux. Paris 1812.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"m\nln die Dr\u00fcse schickt. Ich selbst habe am Hund und am Esel *) jene Zweige mit Erfolg gereizt. Man findet sie, namentlich bei letzterem, Thiere leicht, wenn man den vorderen Rand der Ohrspeicheldr\u00fcse aufhebt und sich ein wenig vorsichtig in die Tiefe arbeitet. Beim Hund kann man ebenso verfahren, oder auch den m. digastricus durchschneiden und sich an der innern Seite des aufsteigenden Astes des Unterkiefers den Nerven suchen. Diese Beobachtungen sind mit den schon vor mir, von Rahn**) unter Ludwig am Kaninchen angestellten in Ueberein-stimmung, nach welchen die electrisehe und chemische Reizung des gesammten Trigeminusstammes in der Sch\u00e4delh\u00f6hle vor seinem Eintritt in das Tentorium von einer Speichelseeretion in der glandula parotis begleitet ist. Unabh\u00e4ngig von Rahn, wie es scheint, hat auch Bernard***) dieselbe Erfahrung gemacht. Und endlich erz\u00e4hlt die Nerven-pathologie f) gleichfalls von lebhaften Speichelsecretionen, welche bei heftigen Neuralgieen des Trigeminus einzutreten pflegen. \u2014 Die glandula orbitalis des Hundes und wahrscheinlich aller derjenigen Thiere, welche eine solche tragen, wird gleichfalls in ihrer Secretion durch den Trigeminus beherrscht; denn man kann vom zweiten Ast desselben, w\u00e4hrend er als N. infraorbitalis durch die Augenh\u00f6hle geht, feine F\u00e4den bis zu jener Dr\u00fcse pr\u00e4pariren. Bis jetzt ist die gesonderte electrisehe Reizung dieses Nerven noch nicht ausgef\u00fchrt worden.\n4. In seiner Bahn liegen Fasern, welche von Einfluss auf die Pupille sind. Dies zeigt sich in dem Umstand, dass bei seiner Durchschneidung innerhalb der Sch\u00e4delh\u00f6hle, sei es im Verlauf seines ramus ophthalmicus, sei es im Ganglion Gasseri, die Pupille sich stark verengert. Alle, welche diese Vivisection einmal ordentlich ausf\u00fchrten, haben diesen Erfolg beobachtet, so dass es nicht n\u00f6thig ist, f\u00fcr dieses Factum besondere Zeugnisse beizubringen. Es ist jedoch ohne weitere Untersuchungen und Beobachtungen m\u00f6glich, demselben eine sehr verschiedene Deutung beizulegen. Man kann jene Verengerung entweder als die Folge eines Reflexes ansehen, welche der in hohem Grade sensible Trigeminus bei seiner Durchschneidung auf den N. oculomotorius aus\u00fcbe, oder man kann dem ersteren direct motorische, vom Gehirn oder dem\n-\u25a0j Meine Beitr\u00e4ge. B\u00e4. III. S. 49. u. 50.\n**) Kahn: Untersuchungen \u00fcber die Wurzeln und Bahnen der Absonderungsnerven der glandula parotis beim Kaninchen. Ilenle\u2019s und Pfeuffer's Zeitschrilt. Neue Folge. I. Bd. S. 283.\n***) Bernard: Le\u00e7ons sur les liquides. II. Bd. S. 303.\nf) E, B. Romberg: Lehrbuch der Nervenkrankheiten. I. Bd. S. 17. 39. Mossier : Meine Beitr\u00e4ge. Bd. III. S. 50.","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nGanglion Gasseri kommende Fasern f\u00fcr den sphincter pupillae zuschreiben, oder man kann die Zusnmmenziehuug des letzteren aus dem Umstande herleiten, dass die von dem Sympathicus stammenden, die Pupille erweiternden Fasern in der Bahn des Trigeminus verlaufen, so dass diese bei dem angef\u00fchrten Experiment durchschnitten werden und nun der Einfluss des Sympathicus in Wegfall komme, oder man kann sich endlich mehre dieser Ursachen zugleich wirksam vorstellen. In fr\u00fcheren Zeiten war man der Ansicht besonders hold, dass das Ph\u00e4nomen durch den Trigeminus auf reflectorischem Wege vermittelt werde. Es scheint jedoch, als ob auf diesen Umstand der geringere oder besser gar kein Nachdruck zu legen sei; denn nicht allein hat man *) bei der Durchschneidung des Trigeminus vor seinem Eintritt in den Gasse r\u2019schen Knoten keine Bewegung der Pupille beobachtet, sondern findet auch ein Gleiches bei Reizungen der Bindehaut des Auges und des Supraorbitalnerven. Die letztem von negativem Erfolg begleiteten Reizversuche habe ich wiederholt ausgef\u00fchrt. Die erstere dieser Beobachtungen be-weisst zugleich, dass auch der Trigeminus von Hause aus keine, die Pupille direct verengernde Fasern enthalten kann. Dies mag gegen\u00fcber einer Meinung von Budge **) erw\u00e4hnt werden, welcher aus dem Umstand, dass er bei Durchschneidung des Quintus nach vorhergegangener Trennung des Oculomotorius Verengerung der Pupille erzielte, schloss, dass der Trigeminus motorische Fasern f\u00fcr den sphincter pupillae f\u00fchre. Dieser Schluss war nicht vorsichtig genug, denn dasselbe Ph\u00e4nomen kann eintreten, sowohl wenn im durchschnittenen Nervenaste die Pupille verengernde F\u00e4den liegen, als auch, wenn aus fremder Quelle, dem Sympathicus, stammende, die Pupille erweiternde Fasern in ihm verlaufen; denn im Momente der Durchschneidung kann sich in Folge der Reizung der Fasern, welche die Pupille verengern, wenn der Effect ihrer Erregung den der die Pupille erweiternden Fasern \u00fcbertrifft, der Kreismuskel der Iris zusammenziehen ; nach geschehener Trennung des Nerven kann die Pupille sich verengern, weil die zum Dilatator iridis gehenden Fasern nicht mehr von ihrem Centralorgan aus beherrscht werden. Nach der Erfahrung, dass im Trigeminus von Hause aus keine Fasern f\u00fcr den Sphincter iridis liegen, handelt es sich nur noch darum, zu ermit-\n*) Savelus Guttmann : De nervi trigemini dissectione apud ranam esculen-tam. Diss. inaug Berol. 1864. S. 28.\n*\u00bb) Budge: Ueber Pupillarnerven, Froriep\u2019s Tagesberichte 1862. Nr. 445. und: Ueber den Einfluss des Nervensystems auf die Bewegungen der Iris. Vierordt\u2019s Archiv, 1852. Th. XI. Erg\u00e4nzungsheft. S. 773.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"175\nteln, wie die Verengerung der Pupille nach Trigeminussection in Wirklichkeit zu Stande komme.\nEin strenger Beweis gegen den Ursprung von die Pupille verengernden Fasern im Ganglion Gassari wird schwer zu f\u00fchren sein; denn da im ramus ophthalmicus zugleich die die Pupille erweiternden Fasern liegen, welche vom Sympathicus dahin aufsteigen, so kann der Erfolg einer Reizung, welche man an diesem Nervenaste ausf\u00fchrt, stets als ein gemischter betrachtet werden, welcher keine Entscheidung giebt. Indess liegen doch schon jetzt Gr\u00fcnde genug-vor, die Erscheinung, von welcher wir ausgiengen, als lediglich durch eine Trennung der die Pupille erweiternden Fasern des Sympathicus, m\u00f6gen sie in dem Halsstrang oder von den Zellen des Ganglion Gasseri *) entspringen, bedingt anzusehen. Es geh\u00f6rt dahin namentlich die Beobachtung, dass die der Trigeminustrennung folgende Verengerung viel l\u00e4nger bestehen bleibt, als mit der blossen Reizung der Durchschneidung etwaiger, die Pupille verengernder Fasern vertr\u00e4glich ist, welcher Umstand aussagt, dass man die die Pupille erweiternden Elemente dauernd in ihrem Zusammenhang mit den Centralstellen, von denen aus sie innervirt werden, gel\u00f6sst habe-. Daneben k\u00f6nnten auch einige die Pupille verengernde Fasern in der durchschnittenen Nervenbahn gelegen haben, indem Reizung dieser und die blosse Trennung der zum Dilatator gehenden Fasern denselben Effect hat. Flier k\u00f6nnen nur genaue Messungen in folgender Art entscheiden. Zuerst muss der Oculomotorius getrennt werden. Die Weite, welche dann die Pupille noch besitzt, h\u00e4ngt von ihrer Elasticit\u00e4t, der Einwirkung des Sympathicus und von etwaigen im Ganglien Gasseri entspringenden, die Pupille verengernden Fasern ab. Trennt man jetzt den Ramus ophthalmicus, so tritt Verengerung ein, deren Grad zu messen ist. Liegt im durchschnittenen Nerven nur ein die Pupille erweiterndes Moment, welches jetzt in Wegfall gekommen ist, so kann sich die gemessene Pupillenweite, lediglich durch die Eiasticit\u00e4t der Iris bestimmt, nicht weiter \u00e4ndern. Ist aber zugleich noch ein vom Ganglion Gasseri abh\u00e4ngendes, die Pupille verengerndes Moment im Augenast des Trigeminus gelegen, welches im Augenblick der Section gereizt wurde, so muss einige Zeit nachher, wenn der Effect der Reizung vor\u00fcber ist, die Pupille 'wieder weiter werden. In dieser Weise sind aber meines Wissens bis jetzt keine methodischen Versuche ausgef\u00fchrt.\nWir haben zum Schl\u00fcsse noch einige Bemerkungen \u00fcber die Art und Weise zu machen, wie die Pupillarbewegungen am Lebenden zu Stande kommen. Nach den angestellten Betrachtungen kann der Nervus\n*) Siehe den Abschnitt \u00fcber den Einfluss des Sympathicus auf das Auge.","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\ntrigeminus daran keinen Antheil haben. Es m\u00fcssen aber dieselben entweder nach Art der sogenannten Mitbewegungen geschehen, oder ein reflectorisches Ph\u00e4nomen sein, bei welchem der Nervus opticus als inci-tirendcr Nerv fungirt. Es wird schwer sein, zwischen diesen beiden M\u00f6glichkeiten zu entscheiden. Zwar ist bekannt, dass bei einseitiger Erblindung die Contraction der Pupille des erblindeten Auges co\u00ebtan mit der des gesunden fortbesteht, und ebenso, dass bei beiderseitig Erblindeten Pupillarcontractionen bei Augenbewegungen Vorkommen, und man kann meinen, dass diess desshalb geschehe, weil die Pupillarfasern beider Seiten unter sich und mit den andern Oculomotoriusfasern innerhalb des Gehirns so mit einander verkn\u00fcpft seien, dass die Erregung der einen unmittelbar die der andern mit sich z\u00f6ge. Allein man kann sich eben so gut vorstellen, dass die Pupillarcontraction ein reflectorisches Ph\u00e4nomen sei. F\u00fcr die sogenannte sympathische Pupillarcontraction bei einseitiger Erblindung kann der Nervus opticus des gesunden Auges als die dem Gehirn den Reiz zuf\u00fchrende Nervenbahn gelten. Bei doppeltseitiger Erblindung hat es f\u00fcr den Fall, dass dieselbe durch Verdunkelung der brechenden Medien erzeugt ward, keine Schwierigkeit, anzunehmen, dass das durch dieselben auf die Retina diffus' geworfene Licht den Reiz abgiebt, f\u00fcr den dagegen, in welchem eine Erkrankung der Retina die Ursache ist, dass das Substrat derselben die Reizung des Sehnerven ausf\u00fchrt. Die Deutung der normalen Pupillarcontractionen als Reflexph\u00e4-nome gewinnt durch die Beobachtung eine besondere St\u00fctze, dass sie bei retinaler Erblindung selbst bei der Abwesenheit aller Augenbewegungen noch existiren k\u00f6nnen *). Dabei bleibt jedoch unverst\u00e4ndlich, wie die andauernd vorhandene Krankheitsursache einen Wechsel in der Pupillenweite erzeugen soll. Es w\u00fcrde eine interessante und lohnende Untersuchung sein, experimentell zu bestimmen, wie die Arten der Erregung und die verschiedenen Orte der Retina in reflectorischer Beziehung zum Nervus oculomotorius und Sympathicus stehen und namentlich auch, an welcher Stelle des Gehirns das Organ der Uebertragung liegt und welches seine Ausdehnung und weitere Natur sei.\nDie vorigen Betrachtungen w\u00fcrden wesentlich eine andere Form annehmen m\u00fcssen, wenn es sich best\u00e4tigen sollte, dass, wie mehre Forscher angegeben haben, in der Iris und in mit ihr zusammenh\u00e4ngenden Theilen Ganglienzellen vorhanden sind, welche sich an den Bewegungen der Pupille in irgend einer Art betheiligten. In Ermangelung selbstst\u00e4ndiger Untersuchungen \u00fcber diesen Punkt bringe ich die folgenden\n*) \\% Graefe : Bemerkungen \u00fcber die Pupillar-Contraction bei Erblindeten. Dessen Archiv. II. Bd. Abth. 1. S. 266.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"literarischen Notizen in Erinnerung : a) Im Ciliarmuskel beobachtete H. M\u00fcller*) an der Eintrittsstelle der Ciliarnerven in den Ciliarmuskel grosse Zellen mit Forts\u00e4tzen, welche er f\u00fcr Ganglienzellen nahm. Obschon er die letztem nicht mit Nervenfasern in Verbindung sah, gab er jenen doch die genannte Deutung, indem er sich dabei darauf st\u00fctzte, dass sie sich von andern, in der Nachbarschaft vorkommenden Zellen, durch Form und Inhalt hinreichend unterschieden und im Innern von Nervenb\u00fcndelchen lagen b) In der hinteren Bulbush\u00e4lfte sah Derselbe ein mit Ganglienzellen versehenes Nervennetz zwischen der Sclera und den Choroidealgef\u00e4ssen, welches sich bis zu den vasa vorticosa erstreckte. Aber auch hier blieb der Zusammenhang der mit Forts\u00e4tzen versehenen Zellen mit den Nervenfasern problematisch. c) In dem vorderen Abschnitt der Chorioidea fand C. Schweigger **) dicht an die Choriocapillarschicht angrenzend zwischen feinen Gef\u00e4ssen reichliche Ganglienzellen mit Nervenurspriingen. d) Arnold ***) endlich giebt an, in der \u00e4ussersten Zone der Iris gangli\u00f6se Einlagerungen beobachtet zu haben. So ist also f\u00fcr alle Theile des Chorioidealsystems, mit Ausnahme der Ciliarforts\u00e4tze, die Anwesenheit von Ganglienzellen behauptet worden.\n5. Er erzeugt die Empfindungen des Gef\u00fchls und des Geschmacks an denjenigen Theilen der Zunge, wo er sich ausbreitet. Gegenw\u00e4rtig kann wohl \u00fcber diesen Punkt kein Zweifel mehr sein. Ich halte es desshalb auch f\u00fcr vollst\u00e4ndig \u00fcberfl\u00fcssig, diejenigen Experimente anzuf\u00fchren, durch welche man ehedem beweisen wollte, dass der Nervus glossopharyngeus der Geschmacks- und der Nervus lingualis der Gef\u00fchlsnerv der Zunge sei. Jetzt, wo die Thatsache, dass es selbst den geschicktesten Zergliedern nicht gelungen ist, auch nur ein einziges F\u00e4dchen vom Nervus glossopharyngeus bis \u00fcber die papillae cireui\u00fc-vallatae hinaus zu verfolgen, hinreichend gew\u00fcrdigt wird, und wo viele Beispiele bekannt geworden sind, dass eine Durchschneidung des Nervus lingualis das Gef\u00fchl und den Geschmack an einem bestimmten Theile erl\u00f6schen l\u00e4sst, ist seine Bedeutung als Geschmacksnerv hinl\u00e4nglich gesichert. Gelegenheiten zu Beobachtungen der letzteren Art gaben theils\n*) H. M\u00fcller: Ueber Ganglien im Ciliarmuskel des Menschen. W\u00fcrzburger Verhandlungen. Bd. X. S. 137.\n**) C. Schweigger: Pathologisch-anatomische Untersuchungen. Archiv f\u00fcr Ophthalmologie; herausgeg. von Arlt, Donders und v. Graefe. V. Bd. Abth. 2. 8. 217 und Bd. VI. Abth. 2. S. 326.\n***) Ueber die Nerven und das Epithelium der Iris. Virchow\u2019s Archiv. XXVI. S. 345.\nEckhard, Nervenphysiologie.\n12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 If8\nResectionen des Unterkiefers, theils die absichtlichen Continuit\u00e4tstrennun-gen, die man bei Neuralgieen des genannten Nerven vornahm. Hierher geh\u00f6rige Erfahrungen haben Lisfranc, Parry, Hyrtl *), Roser, Remak **) u. A. gemacht. Soweit ist jetzt die Sache in Ordnung. Allein der Nervus lingualis, insofern er bei diesen Durchschneidungen in Betracht kommt, ist eine aus dem wahren Ramus lingualis Nervi trigemini und der Chorda tympani Nervi facialis zusammengesetzte Nerven bahn, und es entsteht daher die Frage, ob nicht die Geschmacksempfindung ganz oder wenigstens doch theilweise der Paukensaite zuzuschreiben sei. Zwar leitet die descriptive Anatomie diesen Nerven zun\u00e4chst von dem Nervus facialis ab, und wir k\u00f6nnten daher die Besprechung seiner Function bei der Physiologie dieses Nerven abmachen. Da aber wegen der Verbindung des Trigeminus mit dem Facialis innerhalb der Sch\u00e4delh\u00f6hle man \u00fcber den letzten Ursprung der Chorda, wenigstens beim Menschen, oder doch \u00fcber einen Theil ihrer Fasern, zweifelhaft sein kann, so nehmen wir schon hier die Frage nach ihrer Betheiligung an der Erzeugung der Geschmacksempfindung vor.\nIch stelle zun\u00e4chst die Thatsachen zusammen, auf welche hin man geneigt gewesen ist, der Chorda Geschmacksfunctionen zuzuschreiben ; es sind folgende: a) Tr\u00f6ltsch ***) sah bei einem Individuum mit durchbohrtem Trommelfell die Chorda durch die Paukenh\u00f6hle ziehen und kam dabei auf den Gedanken, dieselbe zu reizen. Die Reizung f\u00fchrte er mit Hilfe eines kleinen Pinsels aus, worauf der Kranke erkl\u00e4rte, bei den Betupfungen stechende Empfindungen in der Zunge zu versp\u00fcren; von einer eigenen Geschmacksempfindung war dabei keine Rede. Nach unsern Erfahrungen war auch kein anderes Resultat zu erwarten; denn die speci fischen Sinnesempfindungen lassen sich nicht von den St\u00e4mmen aus erregen. Selbst die Lichtempfindungen, welche der gereizte Opticus-stamm ausl\u00f6sst, geh\u00f6ren nicht in die Kategorie des Sehens. Mit jenem Vei\u2019such der isolirten Reizung der Chorda ist h\u00f6chst wahrscheinlich die Erfahrung identisch, dass bei Injectionen verschiedener L\u00f6sungen in das mittlere Ohr von der Tube aus prickelnde Gef\u00fchle in der Zunge beobachtet werden. Diese Deutung wird dadurch erh\u00e4rtet, dass bei dieser Behandlung der Paukenh\u00f6hle kurze Zeit nach der Injection reichliche Speichelausscheidung f) erfolgt, was beweisst, dass die Chorda\n*) Hyrtl: Topographische Anatomie. 2. \u00c0ufi. S. 264.\n**) Kemak : Mangel der Geschmacksempfindung nach der Durchschneidung des Lingualis. Berliner klin. Wochenschrift. 1864. Nr. 20.\n***) Tr\u00f6ltsch: Die Anatomie des Ohrs etc. W\u00fcrzburg 1861. S. 76. f) Siehe Physiologie des Nervus facialis.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"wirklich der Reizung unterliegt, b) Man beruft sich auf die Empfindungen, welche man in der Zunge bei dem Faradisiren des Ohres durch das Trommelfell hin empfindet. Duchenne, Erdmann, Baierlach er u. A. beziehen dieselben auf die bei dieser Gelegenheit electrisch gereizte Chorda tympani. c) Es werden die Ergebnisse herangezogen welche man bei Durchschneidung des Nervus facialis an Thieren erlangt haben will. Von dieser Art der Beweisf\u00fchrung f\u00fcr die Betheiligung der Chorda bei der Geschmacksfunction hat besonders Bernard *) Gebrauch gemacht. Dieser Forscher behauptet, dass nach der Durchschneidung des Facialis innerhalb der Sch\u00e4delh\u00f6hle der Geschmack an der Zungenh\u00e4lfte derjenigen Seite, auf welcher die Nervensection ausgef\u00fchrt worden war, weniger schnell zur Empfindung komme, als auf der gesunden Seite. Weiter sieht er das erlangte Resultat noch besonders durch den Umstand bekr\u00e4ftigt, dass dasselbe fehlte, wenn die Durchschneidung ausserhalb des Foramen stylomastoideum practicirt wurde. In neuerer Zeit hat Lussana **) den Bernard\u2019schen Modus der Beweisf\u00fchrung adoptirt. Er durchschnitt an einem Hunde die beiden Rami linguales trigemini; die Pr\u00fcfungen ergaben, dass der Geschmackssinn in der Gegend der Zungenspitze verloren gegangen war. Nach Verlauf eines Jahres war die Geschmacksf\u00e4higkeit wieder hergestellt. Jetzt wurden die beiden Paukensaiten zerst\u00f6rt und die Geschmacksempfindungen waren abermals verschwunden, d) Endlich st\u00fctzt man sich auf eine Anzahl am Menschen gemachter, pathologischer Erfahrungen. Dahin z\u00e4hlen die folgenden. Man zieht zun\u00e4chst F\u00e4lle von Facialisl\u00e4hmung mit gest\u00f6rter Geschmacksfunction an. Hierbei aber geht der berichtete Thatbestand auseinander. Einige behaupten, dass L\u00e4hmungen des Facialis vor seinem Eintritt in den Falloppischen Canal jenen Erfolg gezeigt h\u00e4tten, Andere, dass dies nur bei solchen der Fall w\u00e4re, welche den Nerven w\u00e4hrend seines Zuges durch das Felsenbein oder nach seinem Austritt aus dem Foramen stylomastoideum befallen ***). \u2014 Der durch Gewohnheit an sch\u00e4rfere Beweisgr\u00fcnde verzogene Physiolog wird durch die Berufung auf diese Thatsachen wenig f\u00fcr die positive Lehre von der Geschmacksfunction der Paukensaite eingenommen. Dem kritischen Sinn des Lesers vertrauend, w\u00fcrden wir uns einer Analyse jener enthalten k\u00f6nnen; da aber die Meinung, dass die Chorda sich an der Geschmacksempfindung\n**) Bernard in den Annales medico-physiologiques. Mai 1843.\n***) Giod. Inzani e F. Lussana: Sui nervi del gusto. Annali universali di med. Agosto 1862- p. 282.\n***) Stich: Beitr\u00e4ge zur Tvenntniss der Chorda tympani. Annalen des Charit\u00e9-Kvankenhauses etc. zu Berlin. Achter Jahrgang. 1. Heft. S. 59.\n, 12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nbetheilige, im \u00e4rztlichen Publicum viele Anh\u00e4nger gefunden zu haben scheint, so wollen wir hiermit auf eine Besprechung der fraglichen Lehre eingehen. Wir nehmen dabei die Thatsachen in der Reihenfolge vor, wie wir sie vorhin angef\u00fchrt haben. Was den Versuch von Tr\u00f6ltsch und seine unvollkommene Wiederholungen durch Einspritzen von L\u00f6sungen in die Paukenh\u00f6hle anlangt, so sagen sie im g\u00fcnstigsten Falle nur aus, dass in der Bahn der Chorda sensitive Fasern im Allgemeinen liegen und nicht, dass in ihr auch solche f\u00fcr den Geschmack enthalten sind. Letzteres beweisen sie jedoch nur dann, wenn sich die Annahme zur\u00fcckweisen l\u00e4sst, es seien jene Empfindungen secund\u00e4rer Art, etwa auf die Weise entstanden, dass die Chorda als ein Zweig des motorischen Facialis zu kleinen motorischen Elementen der Zunge gienge und deren Zusammenziehung dann Veranlassung zu Empfindungen werde. Es w\u00e4re einer Entscheidung werth, ob die Paukensaite beim Menschen wirklich sensitive Elemente f\u00fchre, da man bisher bei Thieren solche in ihr nicht gefunden hat. Bei meinen *) Versuchen \u00fcber den Einfluss der Chorda auf die Speichelsecretion erregte ich dieselbe direct electrisch und fand sie dabei stets insensibel. Da ich ziemlich kr\u00e4ftige Inductions-schl\u00e4ge gebrauchte, auf welche der sensitive Lingualis sofort reagirte, so kann ich kaum glauben, dass mir die Sensibilit\u00e4t der Paukensaite beim Hunde sollte entgangen sein. Die beim Faradisiren des Ohrs durch das Trommelfell hin entstehenden Empfindungen wird Keiner, welcher die elementarsten Kenntnisse von der Verbreitungsart des electrisch en Stromes hat, f\u00fcr beweisend halten; es ist vollkommen \u00fcberfl\u00fcssig, hier zu bemerken, dass sich in den gedachten Versuchen Theile des Stromes durch den Lingualis bewegt haben k\u00f6nnen. Bez\u00fcglich der Versuche an Thieren muss man sich wundern, dass man \u00fcberhaupt jemals glauben konnte, durch sie die jetzt uns vorliegende Frage zur Entscheidung zu bringen. Ich habe keinen klaren Begriff davon, wie man sieb \u00fcberzeugen will, dass ein Hund in einem bestimmten Falle eine Geschmacksempfindung habe, oder nicht. Ich bestreite nicht, dass man meinen kann, ein Thier nehme diese oder jene bittere Substanz an, oder nicht, weil es ihre Ei-genth\u00fcmlichkeiten nicht schmecke, oder sie wahrnehme; aber ich weiss nicht, wie es anzufangen w\u00e4re, dar\u00fcber wissenschaftliche Gewissheit zu erhalten. Selbst Inzani\u2019s intelligenter Hund englischer Ra\u00e7e w\u00fcrde nicht aus der Vor legcnheit_h elfen k\u00f6nnen. Aus einigen bei Trigeminusl\u00e4hmungen gemachten Erfahrungen l\u00e4sst sich zeigen, dass die Vivisections-resultate Bernard\u2019s und Inzani\u2019s entweder unrichtig sind, oder dass der peripherische Verlauf der dem Geschmackssinn dienenden Fasern\n*) Meine Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Physiologie. Bd. II. S. 215.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"181\nbei Menschen und Hunden sehr verschieden ist, welche letztere Annahme jedoch nach den sonstigen Erfahrungen, welche wir \u00fcber die Ueberein-stimmung des anatomischen Verlaufs der Kopfnerven beim Menschen und Hunde haben, kaum zul\u00e4ssig sein d\u00fcrfte. In einigen gut constatirten F\u00e4llen von Trigeminusl\u00e4hmung n\u00e4mlich bestand anaesthesia gustatoria, und die Section wiess die Ursache als eine nur in der Bahn des Nervus trigeminus gelegene nach, indem andere Nerven durchaus nicht erkrankt waren. Die bewegendsten F\u00e4lle der Art sind unten citirt *).\nWir kommen zur Kritik der am Menschen gemachten pathologischen Erfahrungen, welche die Geschmacksfunction der Chorda erh\u00e4rten sollen. Die F\u00e4lle, in denen bei vollkommener L\u00e4hmung des Trigeminus die Geschmacksfunctionen erhalten waren, beweisen durchaus nicht, dass der Chorda die fragliche Function zukomme. Bei L\u00e4hmungen eines Nerven, seien sie im Centralorgan, oder im peripherischen Verlaufe des Nerven gelegen, kann schon einmal eine Anzahl von Fasern unber\u00fchrt bleiben. Bei L\u00e4hmungen des Oculomotorius z. B. sind bisweilen alle Aeste bis auf den, der zum musculus levator palpebrae superioris geht, gel\u00e4hmt. Ebenso unzureichend sind die Beispeile, welche die Facialisl\u00e4hmungen umfassen. Bei denjenigen Continuit\u00e4tsst\u00f6rungen, welche vor dem Eintritt des Nerven in das Felsenbein liegen, soll bald St\u00f6rung des Geschmackssinnes Vorkommen, bald nicht. Es ist mir aber nicht gelungen, in der Literatur einen einzigen Fall aufzufinden, der vergleichbar w\u00e4re einer einfachen Durchschneidung des Facialis vor seinem Eintritt in den Canalis Falloppii, und welcher gleichzeitig von St\u00f6rung des Geschmackssinnes w\u00e4hrend des Lebens berichtete. Ein solcher aber m\u00fcsste es sein, wenn die Physiologie mit ihm Etwas anfangen wollte. Dagegen sollen L\u00e4hmungen des Facialis, welche denselben W\u00e4hrend seines Verlaufes durch das Felsenbein oder nach seinem Austritt aus demselben befallen, zum \u00f6fteren von Alienation des Geschmackssinnes begleitet sein. Das Thats\u00e4chliche kann ich nicht bestreiten, die Deutung aber, welche man ihm zu geben versucht, muss die Experimentalphysiologie sehr bedenklich finden. Ich mache zuerst darauf aufmerksam, dass, da die Ver\u00e4nderung des Geschmacks bei extraeraniellen L\u00e4hmungen des Facialis auf die Chorda bezogen wird, von dieser man also der Ansicht ist, dass sie, aus den Gesichtsverzweigungen des Trigeminus kommend r\u00fcckl\u00e4ufig in die Bahn des Facialis trete, dies nicht in hinl\u00e4nglich scharfer Ueberein-stimmung mit dem anatomischen Befunde \u00fcber die Art und Weise ist,\n*) Romberg: Lehrbuch' der Nervenkrankheiten des Menschen. Bd. I. S. 302. Mfiller\u2019s Archiv 1838. S. 305. Mayer: Diss. sistens paralyseos nervi trigemini casum. Francofurti ad Moenum. 1847.","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\nwie sich die Chorda vom Facialis losl\u00f6sst. Nach einer Beobachtung, n\u00e4mlich von Bischoff, tritt die Chorda in der Weise vom Facialis ab dass, ihre Fasern r\u00fcckw\u00e4rts verfolgt, diese im Falloppischen Canal aufw\u00e4rts ziehen. Dann aber bemerke ich, dass keiner der publicirten F\u00e4lle so durchgearbeitet ist, dass er auf dem Gebiete der Physiologie als Beweis dienen kann. Wer kann sagen; dass die Krankheitsursache, welche den Facialis an den genannten Stellen befiel, sich niemals bis zum dritten Trigeminusaste erstreckte. Vom Felsenbein bis zum Foramen ovale und dem aufsteigenden Aste des Unterkiefers ist eine so kleine Entfernung, dass Entz\u00fcndungen etc., welche das erstere befallen, es nicht weit haben, auch den Lingualis zu ergreifen. Zum Schluss muss ich noch eine Erfahrung von Stich *) erw\u00e4hnen, welche ich \u00f6fters zu Gunsten der Lehre von der Betheiligung der Chorda an der Geschmacksempfindung anziehen h\u00f6rte. Bei der Herausnahme einer Knochengeschwulst des Unterkiefers wurde der Nervus facialis mit durchschnitten, der Lingualis blieb unversehrt. Nachher angestellte Pr\u00fcfungen ergaben, dass der Geschmackssinn auf der operirten Seite alienirt war. Dies wird von Stich dadurch erkl\u00e4rt, dass bei dem Durchschneiden des Facialis die r\u00fcckl\u00e4ufig in denselben eintretende Chorda getrennt worden sei. Was steht aber der Annahme im Wege, dass der, jedenfalls dicht in der N\u00e4he der Geschwulst gelegene, Lingualis mit erkrankt gewesen sei ? Der Fall w\u00e4re lehrreicher gewesen, wenn auch vor der Operation die bez\u00fcgliche Seite auf ihre Geschmacksempfindung gepr\u00fcft worden w\u00e4re; ich f\u00fcr meinen Theil zweiflle nicht, dass auch schon zu dieser Zeit der fragliche Sinn gest\u00f6rt war. hassen wir diese Betrachtungen noch einmal kurz zusammen, so k\u00f6nnen-wir als Resultat derselben Folgendes aussprechen : Die Geschmacksempfindung wird ausschliesslich, insofern es sich dabei nicht um die vom Nervus glossopharyngeus abh\u00e4ngigen Theile der Zunge handelt, lediglich durch den Nervus trigeminus vermittelt, und das bis jetzt vorhandene Beobachtungsmaterial vereinigt sich, die Ansicht zu beweisen, dass die rami linguales die einzigen der Geschmacksempfindung dienenden Fasern sind. Wer die Chorda als ein adjuvans der ersteren ansieht, hat f\u00fcr diese Meinung sch\u00e4rfere Beweise, als bisher, beizubringen.\n6. Er steht den Vorg\u00e4ngen der Ern\u00e4hrung in mehreren derjenigen Theile vor, in denen er sich ausbreitet. Diese Eigenschaft unseres Nerven ist von sehr vielen Forschern untersucht worden, indessen herrscht zwischen den Angaben Magen die\u2019s **), welcher zuerst von den Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen spricht, die der Trigeminustrennung folgen, und seinen\n*) l. c. s. 69.\n**) Magendie: Journal de physiologie experimentale, t. IV. p. 303.","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"183\nNachfolgern bis auf unsere Tage in manchen Punkten keine sehr befriedigende Uebereinstimmung. Bei allen Beobachtern steht indess zun\u00e4chst fest, dass eine Durchschneidung des Nerven im Ganglion Gasseri oder vor demselben nach seiner peripherischen Ausbreitung hin St\u00f6rungen in der Ern\u00e4hrung derjenigen Theile zur Folge hat, deren Trigeminusf\u00e4den verletzt worden sind. F\u00fcr den Fall, dass man keine besondere Massre-geln trifft, wovon sogleich mehr, beobachtet man: Entz\u00fcndungen der Conjunctiva, Ceratitis, jedoch in der Regel ohne Perforation der Hornhaut, Exulcerationen an der innern Fl\u00e4che der Ober- und Unterlippe, Stellungsver\u00e4nderungen der Kiefer, Formver\u00e4nderungen der Z\u00e4hne, Hyper\u00e4mie und st\u00e4rkere Schleimabsonderung der entsprechenden H\u00e4lfte der Nasenh\u00f6hle. Uebrigens ist die Intensit\u00e4t dieser Ver\u00e4nderungen bei verschiedenen Thieren gr\u00f6sser oder geringer. Bei Hunden z. B. hat man schon wenige Stunden nach der Durchschneidung R\u00f6thung der Conjunctiva und im weitern Fortgang Durchbohrung der Hornhaut, Vorfall der Iris und Entleerung der Linse und Augenfl\u00fcssigkeiten gesehen *). Beim Frosch dagegen macht sich dies Alles viel langsamer, und nehmen die eingeleiteten Ver\u00e4nderungen dem Grade nach nicht jenen zerst\u00f6renden Character an. Einige dieser Ver\u00e4nderungen, namentlich die der Hornhaut, hat man in ihrem Entstehen und in ihrer Fortentwickelung dadurch noch sch\u00e4rfer aufzufassen gesucht, dass man die erkrankten Theile mikroscopisch auf den verschiedenen Stufen ihrer Entartung stu-dirte. Scheller **), welcher eine derartige Untersuchung unter Ger-lach\u2019s Leitung am Froschauge unternahm, beobachtete Folgendes: Im Allgemeinen schreiten die StructurVer\u00e4nderungen von den hinteren Schichten nach vorn fort. Die Hornhaut verdickt sich, ihre Lamellen schwellen an und bekommen ein \u00e4usserst fein punktirtes Ansehen, auch verwischen sich dabei die geraden Contouren derselben. Die Hornhautk\u00f6rperchen nehmen an Umfang zu, ihre H\u00fclle wird deutlicher und es treten mehre Kerne in ihnen auf, die vielleicht aus der Spaltung des urspr\u00fcnglichen entstehen. Zur Bildung von wirklichen Eiterk\u00f6rperchen kommt es nicht. Der Inhalt der Zellen der Conjunctiva bulbi tr\u00fcbt sich und erscheint in Form von kleinen K\u00f6rnerchen, so dass sie den Zellen des Darmes w\u00e4hrend der Resorption nicht so ganz un\u00e4hnlich sehen. Beim Kaninchen fand Schiff bez\u00fcglich der Cornea im Wesentlichen dasselbe, nur mit dem Unterschiede, dass es hier zur wirklichen Bildung von Eiterk\u00f6r-\n*) Schiff: Untersuchungen zur Physiologie des Nervensystems. I. Frankfurt a. M. 1855.\n**) Scheller: Ueber die Structur der Hornhaut des Frosches und deren Ver\u00e4nderungen nach Durchschneidung des Quintus. Erlangen 1861.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nperchen kam. \u2014 Abweichender gestalten sich die Angaben \u00fcber einige andere, diese Ver\u00e4nderungen betreffende Punkte. Der erste ber\u00fchrt die Frage, ob die Fasern des Trigeminus, durch deren Trennung die soeben geschilderten Erscheinungen zu Stande kommen, aus dem Hirn oder Ganglion Gasseri entspringen. Sie ist verschieden beantwortet worden; Magendie *) und Longet **), deren Angaben auch in den meisten Lehrb\u00fcchern wiederholt werden, geben an, dass die Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen nach einer im Ganglion Gasseri oder jenseits desselben nach der Peripherie hin ausgef\u00fchrten Durchschneidung weit betr\u00e4chtlicher seien, als wenn man die Trennung zwischen Ganglion und Gehirn vornehme. Andere Physiologen sind ihnen in dieser Beziehung gefolgt, in neuerer Zeit namentlich Cornochan ***). Jedoch fehlt es auch nicht an gegentheiligen Beobachtungen. Einer ihrer Vertreter ist Schiff f), der im zweiten Capitel des unten citirten Werkes als eifriger Gegner der Ern\u00e4hrungsfasern des Ganglion Gasseri auftritt. Nach meinen Erfahrungen halte ich es f\u00fcr sehr schwer, \u00fcber diesen Punkt recht \u00fcberzeugende Experimente anzustellen. Es ist nicht allein die Operation sehr schwer auszuf\u00fchren, sondern es ist auch dieselbe bis zur Zeit der Ausbildung der Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen von so vielen Nebenumst\u00e4nden begleitet, dass sich der Beweis nicht gut f\u00fchren l\u00e4sst, dass dabei der erw\u00e4hnte Nervenknoten unbetheiligt geblieben sei. Ich habe zu wiederholten Malen j\u00fcngern Kr\u00e4ften eine Bearbeitung dieses Punktes anempfohlen ; mich mit ihnen aber jedesmal \u00fcberzeugen m\u00fcssen, dass es ein Zufall des Gl\u00fccks sein wird, wenn eine derartige Trigeminusdurchschneidung nicht von solchen consecutiven St\u00f6rungen begleitet ist, dass aus ihnen ein widerspruchfreies Resultat zu ziehen ist. Auch Meissner ff) wollte die in Rede stehende Durchschneidung nicht gelingen. Es wird also nothwendig sein, dass das Material \u00fcber diesen Gegenstand noch von anderen, zuverl\u00e4ssigen Seiten her vermehrt werde. Die andere Frage, welche hier noch in Betracht kommt, ist die, ob die Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen sich nur desshalb zeigen, weil die Theile, in denen sie auftreten, nach der Durchschneidung des ihnen zugeh\u00f6rigen Nerven den \u00e4usseren Rei-\n*) Magendie : Journal de physiologie experimentale, t. XV. p. 303.\n**) Longet: Anatomie et physiologie du syst\u00e8me nerveux, t. II. p. 162.\n***) Cornoehan : Trois cas de section du nerv. maxillaire.\nf) Schiff: Untersuchungen zur Physiologie des Nervensystems mit Ber\u00fccksichtigung der Pathologie. Frankfurt a. M. 1858.\nff) C. B\u00fcttner: Ueber die nach der Durchschneidung des Trigeminus auftretenden Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen am Auge und anderen Organen. Henle\u2019s und Pfeuf-fer\u2019s Zeitschrift. Dritte Reihe. Bd. XY. 1852. S. 254.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"185\nzen eine geringere Widerstandsf\u00e4higkeit entgegensetzen, oder ob zu ihrer Ausbildung \u00e4ussere Einwirkungen gar nicht nothwendig seien. Man hat, um bez\u00fcglich der Ver\u00e4nderungen am Auge zwischen beiden M\u00f6glichkeiten zu entscheiden, das Auge der operirten Seite gegen \u00e4ussere Einfl\u00fcsse gesch\u00fctzt. Dies ist theils in der Art ausgef\u00fchrt worden, dass man \u00fcber das Auge der operirten Seite die Ohrmuschel sch\u00fctzend befestigte, nachdem man zuvor noch die Augenlieder zusammengen\u00e4ht hatte, oder dass man besondere, sch\u00fctzende, kapselartige, durchsichtige Apparate vor dem Auge anbrachte. Nach einer Untersuchung von B\u00fcttner und Meissner erscheinen die Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen am Auge nicht, wenn dem Auge die zweite, vollkommene Art des Schutzes geboten wird, treten aber sofort auf, sobald man das Auge entbl\u00f6sst. Mein College W int her, welcher sich im hiesigen physiologischen Institut seit l\u00e4ngerer Zeit mit Trigeminusdurchschneidungen im Interesse pathologischer Fragen besch\u00e4ftigte, hat auf meinen Wunsch hin die Versuche von Meissner und B\u00fcttner wiederholt und deren Angaben, insoweit sie die gegenw\u00e4rtigen Fragen betrefien, best\u00e4tigt. Ich selbst habe mich bei dieser Gelegenheit von der Richtigkeit dieser Thatsache \u00fcberzeugt. Ebenso hat es auch Rollet*) gefunden. Endlich bestehen noch Meinungsverschiedenheiten \u00fcber die weiteren Ursachen der nach der Trigeminus-durchschneidung auftretenden Geschw\u00fcre auf der Mundh\u00f6hlenschleimhaut. Da dabei auch solche auf der gesunden Seite gefunden werden, und weil sie ferner den verbildeten Z\u00e4hnen entsprechen, scheint man jetzt allgemein der Ansicht zuzuneigen, dass sie traumatischer Natur sind und mit Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen direct Nichts zu t.hun haben.\n7. Er steht in reflectorischer Beziehung zur Speichelsecretion. Als Centralorgane f\u00fcr diese Function des Nervus trigeminus und insbesondere des Zungenastes desselben sind bisher das Ganglion linguale und das Gehirn angegeben worden. Das erstere hat diese Function nicht; wir kommen sp\u00e4ter bei der Physiologie des Sympathicus darauf zur\u00fcck. Dass dagegen der Lingualis durch Mithilfe des Gehirns die Speichel-secretion reflectoriseh anzuregen vermag, geht daraus hervor, dass Erregung seines centralen Stumpfes die Speichelsecretion in der Parotis einleitet. Nach einer Angabe von v. Wittich **) soll jedoch die auf diese Art bewirkte Absonderung gering sein und nur langsam von Statten gehen.\n\u00bb) Rollet: Ueber die Ver\u00e4nderungen, welche nach einseitiger Durchschneidung des Nervus trigeminus in der Mundh\u00f6hle auftreten. Sitzungsberichte der Wiener Academie. Math. - naturwissenschaftl. Classe. April und Mai. S. 513.\n**) v. Wittich, in: Berliner klinische Wochenschrift. Nr. 24.\t11. Juni 1866,\nS. 255.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nOb auch durch diesen Nerven die Absonderung in der Submaxillardr\u00fcse reflectorisch erregt wird, ist zwar noch nicht speciell in der Literatur hervorgehoben worden, jedoch wahrscheinlich. Die auf chemische Reizung der Mundh\u00f6hlenschleimhaut erfolgende Speichelsccretion in dieser Dr\u00fcse spricht daf\u00fcr, kaijn aber so lange nicht als Beweis gelten, als nicht gezeigt ist, dass sie \u00bbich auch noch nach der Durchschneidung der Nervi glossopharyngei einstellt.\n\u00a7\u2022 22.\nPhysiologie des Nervus facialis und des Nervus glosso-\npharyngeus.\nDer Nervus facialis. Er ist unmittelbar nach seinem Ursprung aus dem Hirn motorisch; dagegen wird er nach seinem Austritt aus dem Foramen stylomastoideum sensibel befunden, woraus folgt, dass ihm bei seinem Verlauf durch das Felsenbein empfindende Fasern aus fremder Quelle, dem Trigeminus und vielleicht auch dem Vagus, zugef\u00fchrt werden m\u00fcssen. Der Beweis wird dadurch gef\u00fchrt, dass bei Thieren mit durchschnittenem Trigeminus der N. facialis nach seinem Austritt aus dem Foramen stylomastoideum beim Durchschneiden keine Schmerzen erregt. Beim Durchschneiden einzelner Aeste desselben im Gesicht zeigt er sich noch mehr sensibel, zum Zeichen, dass ihm ausserhalb des Sch\u00e4dels nochmals empfindende Fasern zufliessen. Der Anatom weisst Zusammenh\u00e4nge des Facialis mit dem Trigeminus durch den N. petrosus superficialis major und im Gesicht mit dem Vagus durch dessen Ramus auri-cularis und vor allen Dingen mit dem Halsgeflecht durch den Nervus auricularis major nach. Auch am Menschen beobachtete Thatsachen beweisen die rein motorische Natur des Facialis. Bei L\u00e4hmungen, welche denselben getroffen hatten, war die Empfindung in der Verbreitungssph\u00e4re desselben nicht gest\u00f6rt, dagegen war bei Zerst\u00f6rung des Quintus keine Stelle mehr sensibel, wo sich Facialis und Trigeminus gemeinschaftlich verbreiten. Im Einzelnen sind es nun folgende Muskeln, welche durch den N. facialis bewegt werden : M. stapedius, s\u00e4mmtliche Muskeln des \u00e4ussern Ohres, der Stirn mit Einschluss des Corrugator und Orbicularis, der Nase, des Gesichtes, des Mundes, hinterer Bauch des Digastri-cus, Stylohyoideus, Buccinator, Platysma, Muskeln des Kinnes. Der M. tensor tympani, welcher von Hasse*) noch angegeben wird, erh\u00e4lt seine Fasern aus dem dritten Aste des Quintus. Es scheint indessen, als ob\n*) Hasse : Nervenkrankheiten. S. 343.","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"187\nsich hiermit die motorischen Effecte des Nervus facialis nicht abschl\u00f6ssen ; denn es liegt eine Anzahl nicht so leicht von der Hand zu weisender Zeugnisse vor, welche darauf hindeuten, dass er auch noch einige Gaumenmuskeln in Bewegung setze. Anatomisch betrachtet, erscheint dies nicht unm\u00f6glich, da die als Nervus petrosus superficialis major gekannte Nervenbahn Fasern vom Fascialis nach dem Gaumen f\u00fchren k\u00f6nnte. Ueberdies ist eine Anastomose zwischen dem Facialis und dem zum weichen Gaumen gehenden N. glossopharyngeus bekannt und endlich haben sogar Richet*) und Gross anstatt der eben erw\u00e4hnten Verbindung vom Facialis direct F\u00e4den zum palatum molle pr\u00e4parirt. In , der That will auch N u h n **) an einem Enthaupteten bei Reizung des Facialis in der Sch\u00e4delh\u00f6hle Bewegungen am Gaumen beobachtet haben. Leider war die Reizung nur eine electrische, und es liegen keine hinreichenden Garantieen vor, dass keine secund\u00e4re Uebertragung stattgefunden habe. Auch an Thieren ist in Bezug auf diesen Punkt experimen-tirt worden. Davaine ***) berichtet \u00fcber solche von ihm an Hunden gemachte Versuche, welche zu demselben Resultat gef\u00fchrt haben sollen; doch haben wieder andere Experimentatoren f), namentlich solche, welche die galvanische Reizung durch eine mechanische controlirten, Nichts der Art bemerkt. Endlich schliessen sich hieran die zahlreichen Angaben der Nervenpathologen, dass bei Facialisl\u00e4hmung sehr oft eine Schiefstellung des Gaumens beobachtet werde. Es w\u00fcrde indess, wie Manche wollen, nicht nothwendig sein, anzunehmen, dass in solchen F\u00e4llen der Sitz der Krankheit oberhalb des Knies des Facialis liege, wenn die von Richet und Gross gemachten anatomischen Bemerkungen sich best\u00e4tigen sollten, aus welchen dann mit grosser Wahrscheinlichkeit zu entnehmen w\u00e4re, dass die f\u00fcr den Gaumen bestimmten Fasern entweder in der Anastomose zwischen Facialis und Glossopharyngeus oder in den von jenen Anatomen gesehenen Aesten liegen. Man k\u00f6nnte vielleicht noch auf die Annahme verfallen, dass der Facialis seine motorischen Effecte auch auf die Gefassmuskelfasern des Gesichts geltend mache. Doch wird man davon durch eine Beobachtung von Davaine abgehalten, nach welcher bei Facialisl\u00e4hmung der ver\u00e4nderliche F\u00fcllungszustand der Gesichtsgef\u00e4sse bei Gem\u00fcthsaffectionen vor wie nach beobachtbar ist. Es muss also die\n*) Richet: Trait\u00e9 pratique d\u2019Anatomie m\u00e9dico-chirurgicale. S. 397.\n**) Nuhn: Henie\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. Neue Folge. Bd. III. S. 129.\n***) Davaine: M\u00e9moire sur la paralyse generale ou partielle des deux nerfs de la septi\u00e8me paire. Gaz. med. de Paris. 1852. Nr. 48. S. 144.\nf) Hein: Ueber die Nerven des Gaumensegels. M\u00fcller\u2019s Archiv. 1844. S. 205.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nEntstehung der Schamr\u00f6the entweder mit dem Trigeminus oder dem Sympathicus in Zusammenhang gebracht werden. Die bis jetzt bekannten Erfahrungen \u00fcber die Circuiationsverhiiltnisse am Kopf als vom Nervensystem abh\u00e4ngig sprechen zu Gunsten der letzteren Annahme.\nAusser diesen motorischen Wirkungen kommt dem Facialis nun noch weiter die schon bei der Physiologie des Trigeminus erw\u00e4hnte Bedeutung f\u00fcr die Speichelsecretion in der Glandula submaxillaris zu. In folgender Weise hat sich nach und nach das Material zusammengef\u00fcgt, welches diese Function des Nervus facialis beweist. Zuerst erw\u00e4hnte Arnold *), welcher sich davon \u00fcberzeugt hielt, dass der in die Sub-maxillardr\u00fcse eindringende Nerv eine Wurzel aus der Chorda des Facialis beziehe, einen Fall von Facialisl\u00e4hmung, in welchem eine verminderte Secretion in jener Dr\u00fcse stattfand. Sp\u00e4ter, nachdem Ludwig die Entdeckung gemacht, dass die in die Unterkieferdr\u00fcse dringenden Nerven der Speichelsecretion vorstehen, fand unter dessen Leitung Rahn **), dass Reizung des Facialis in der Sch\u00e4delh\u00f6hle die Speichelabsonderung in der Glandula submaxillaris und auch in der Parotis (wenigstens beim Kaninchen) bewirkt. Endlich fand ich ***) beim Hunde, dass der Facialis nach seinem Austritt-- aus 'de$n Foramen stylo-mastoideum keine Absonderung in der Parotis bewirkende F\u00e4den mehr abgiebt, dass ferner directe Reizung der Chorda Speichelsecretion in der Unterkieferdr\u00fcse hervorruft, und endlich, dass man nach durchschnittenem Nervus facialis noch auf reflectorischem Wege die Speichelabsonderung in der Parotis hervorrufen kann. Nach diesen Versuchen ist also klar, dass der Facialis der Speichelsecretion in der Unterkieferdr\u00fcse durch die Chorda vorsteht. Ihren Einfluss auf die Speichelsecretion durch directe Reizung zu zeigen, wie ich es ausf\u00fchrte, ist wegen der tiefen und verborgenen Lage der Chorda kein leichter Versuch. Empfehlens-werther ist das Verfahren Bernard\u2019s f), zu demonstriren, dass die durch Reizung von der Zungen- und Mundh\u00f6hlenschleimhaut auf reflectorischem Wege erzeugte Speichelsecretion aufh\u00f6rt, sobald man mittelst eines kleinen in das mittlere Ohr einf\u00fchrbaren Hakens daselbst die Con-tinut\u00e4t des Verlaufes der Chorda unterbricht. Rahn\u2019s Versuchen zufolge w\u00fcrde sich beim Kaninchen ein gleicher Einfluss auch auf die Ohrspei-\n*) Arnold: Untersuchungen im Gebiete der Anatomie und Physiologie. I. Bd. Z\u00fcrich 1838.\n**) Iienle\u2019s Zeitschrift. Neue Folge, \u00dfd. I. S. 225.\n***) Meine Beitr\u00e4ge. Bd. III. S. 49.\nf) Bernard: Le\u00e7ons sur les propri\u00e9t\u00e9s physiologiques et les alterations pathologiques des liquides de l\u2019organisme, tome II. p, 910.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"189\ncheldr\u00fcse geltend machen. Die Speichelsecretion in der Glandula sub-maxillaris bei Reizung der Chorda ist stets mit einer Beschleunigung des Blutstromes durch die Dr\u00fcse und Hellerwerden des aus der Dr\u00fcse str\u00f6menden ven\u00f6sen Blutes verbunden. Es fragt sich, ob diese Wirkung als eine weitere, besondere Function des Nervus facialis, insbesondere der Chorda, aufzuf\u00fchren sei, oder ob auf ihr die vermehrte Secretion bei Reizung des Nerven unmittelbar beruht, so dass diese die Folge jener w\u00e4re. Die vorhandenen Thatsachen scheinen allerdings darauf hinzudeuten, dass man ersteres thun m\u00fcsse. Immerhin mag es sein, dass der beschleunigte Blutstrom ein beg\u00fcnstigender Umstand f\u00fcr die reichliche Speichelsecretion w\u00e4hrend der Chordareizung ist; aber soweit die Aufhellungen \u00fcber den fraglichen Punkt gediehen sind, scheint man sich vorstellen zu m\u00fcssen, dass, damit Speichelsecretion stattfinde, die Elemente des Dr\u00fcsenparenchyms eine besondere Anregung empfangen m\u00fcssen. Darauf deutet hin : die Speichelsecretion w\u00e4hrend der Reizung des Nervus sympathicus, welche von keiner erheblichen Ver\u00e4nderung des Kreislaufs begleitet zu sein scheint, und weiter die Thatsaehe, dass man auf Reizung der Chorda noch eine geringe Speichelsecretion erh\u00e4lt, wenn der Blutstrom durch die Dr\u00fcse hindurch unterbrochen ist. Es verdient auch noch angemerkt zu werden, dass man durch ein besonderes, experimentelles Verfahren, n\u00e4mlich durch Einspritzen von kohlensaurem Natron oder sehr diluirter Salzs\u00e4ure in den Ausf\u00fchrungsgang der Dr\u00fcse bewirken kann, dass die Reizung der Chorda nur den Blusstrom beschleunigt, dagegen sich auf die absondernden Theile der Dr\u00fcsenelemente durchaus nicht erstreckt. Es vergiften gleichsam die genannten L\u00f6sungen das Dr\u00fcsenparenchym und machen die weitere Function desselben unwirksam. Diese Erfahrung deutet ebenwohl darauf hin, dass die Erregung des genannten Nerven zwei in der Unterkieferdr\u00fcse neben einander verlaufende Wirkungen aus\u00fcbt, welche nicht dergestalt mit einander verkn\u00fcpft sind, dass die eine die nothwendige Bedingung der andern ist *). Hierzu kommen die bereits oben S. 83 gemachten anatomischen Erfahrungen, nach welchen die in die Submaxillardr\u00fcse eintretenden Nerven ihr letztes Ende in den Kernen der die Dr\u00fcsenbl\u00e4schen auskleidenden sogenannten Speichelzellen finden. Sonst ist \u00fcber die Physiologie des Facialis Nichts zu sagen; es sei denn etwa noch die Bemerkung, dass er Einfl\u00fcsse auf einige Sinnesfunctionen, namentlich das Geh\u00f6r, aus\u00fcbt, wie man aus einigen Beobachtungen, die man bei Facialisl\u00e4hmung gemacht hat, schliesst. Doch ist dieser Punkt noch nicht befriedigend aufgekl\u00e4rt.\n*) G. Gianuzzi: Von den Folgen des beschleunigten Blutstromes f\u00fcr die Absonderung des Speichels. Berichte der k\u00f6n. Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften. Mathematisch-physische Classe. 27. Mai 1865.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190 \u2014\nDer Nervus glossopharymgeus. Er enth\u00e4lt motorische Elemente f\u00fcr die mm. stylopharyngeus, constrictor faucium m\u00e9dius, levator palati mollis und azygos uvulae. Ob er dem Gef\u00fchl dienende Fasern f\u00fchre, ist wahrscheinlich, jedoch experimentell noch nicht ausser allen Zweifel gesetzt. Nur Valentin und Re id wollen Schmerzenszeichen bei seiner Durchschneidung beobachtet haben. Volk mann\u2019s Beobachtung, zu Folge welcher nach Durchschneidung dieses Nerven vom hintern Drittheil der Zunge, den Gaumenb\u00f6gen und einem Theil des Schlundes keine Reflexbewegungen mehr hervorgerufen werden konnten, welche vor seiner und nach Durchschnei dung des f\u00fcnften Paares bestanden, beweisen nur seine Natur als Sinnesnerv im Allgemeinen, nicht aber die specielle als eines Gef\u00fchlsnerven. Bedenkt man aber, dass am hinteren Theil der Zunge, wo deutliches Gef\u00fchl existirt, nur die Ausbreitungen des Nervus glossopharyrigeus gekannt sind; so kann es kaum noch einem Zweifel unterliegen, dass er sensitive Fasern f\u00fchrt. Schliesslich leitet er auf reflectorischem Wege vermehrte Speichelsecretion ein. Schon Stannius beobachtete, dass bei Katzen, denen man nach durchschnittenem Trigeminus Chinin in Milch gibt, bei dem Versuche, sie zu geniessen, eine betr\u00e4chtliche Menge Speichel entleert wird, welches aber nicht mehr eintritt, wenn auch der N. glossopharyngeus durchschnitten ist. Die vermehrte Speichelsecretion scheint hiernach die Folge eines durch den letzt genannten Nerven vermittelten Ekelgef\u00fchls zu sein. In neuerer Zeit haben Ludwig und Rahn *) auf eine directere Weise die eben angef\u00fchrte Beziehung dargethan. Reizten dieselben n\u00e4mlich den centralen Stumpf des durchschnittenen Nervus glossopharyngeus bei nicht excerebrirten Thieren, so erhielten sie lebhafte Speichelsecretion, welche durch den Trigeminus und Facialis vermittelt wurde. Nach den Con-tinuit\u00e4tstrennungen der letzteren blieben jene Wirkungen aus. Wir finden also hier eine \u00e4hnliche Function, wie sie oben f\u00fcr den Ramus lingualis Nervi trigemini gemeldet wurde. Der Glossopharyngeus scheint aber den Trigeminus in dieser Beziehung zu \u00fcbertreffen.\n\u00a7\u2022 23.\nPhysiologie des Nervus vagus.\nDieser Nerv ist durch seine weit reichende Verbreitung Und die Mannigfaltigkeit seiner Functionen ausgezeichnet und f\u00fcr physiologische Betrachtungen besonders ausgiebig. Zugleich ist aber auch die Ausmittelung der ihm von Hause aus zukommenden Functionen mit\n*) Henle\u2019s Zeitschrift. Neue Folge. Bd. I. 285.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"191\nbesonderen Schwierigkeiten verbunden, weil er n\u00e4mlich gleich bei seinem Austritt aus dem Sch\u00e4del sich mit anderen Nerven verbindet. Man hat es daher f\u00fcr die Beantwortung mancher Fragen vorgezogen, die bez\u00fcglichen Experimente am Halstheil des Nerven anzustellen. Dies soll betreffenden Orts immer besonders hervorgehoben werden. Es l\u00e4sst sich aber die physiologische Bedeutung des Nervus vagus in folgenden Punkten zusammenfassen :\n1. JEr \u00fcbt motorische Wirkungen im gew\u00f6hnlichen Sinne des Wortes aus. Dieselben sind nat\u00fcrlich nur dadurch auszumitteln, dass man die Ursprungsfasern des Vagus vorsichtig eleetrisch oder auf irgend eine andere Weise reizt. Mit dieser Ausmittelung der motorischen Functionen des Vagus haben sich viele Physiologen nach einander besch\u00e4ftigt, jedoch ist die Uebereinstimnmng zwischen ihren Angaben nicht gross. Ohne Zweifel ist dies zum Theil dem Umstande zuzuschreiben, dass Manche sich der electrischen Reizung bedienten und ihre Untersuchungen in eine Zeit fallen, in der man noch keine K\u00e9nntniss von der Gefahr hatte, welche die secund\u00e4ren Wirkungen eines Nerven anrichten k\u00f6nnen, wenn derselbe einem anderen motorischen Nerven anliegt. Wir stellen zun\u00e4chst unter den vorhandenen Angaben diejenigen zusammen, welchen mechanische Reizungen zu Grunde liegen. Sie k\u00f6nnen zwar unvollkommen sein, indem bei einigermassen gesunkener Erregbarkeit mechanische Reize sehr schwache, oder gar keine Zuckungen mehr auszul\u00f6sen verm\u00f6gen, und demgem\u00e4ss der Pr\u00fcfung einige Muskeln entgehen, aber sie sind von den Fehlern, die sich bei electrischer Reizung leicht einschleichen, frei. Von den Wurzelf\u00e4den unseres Nerven nun sind auf diese Weise in Bewegung gesetzt worden : m. constrictor pharyngis suprenms *), m\u00e9dius'et infimus, Oesophagus **), Muskeln des weichen Gaumens : levator veli palati, azygos uvulae und m. pharyn-gostaphylinus ***J. H\u00f6chst wahrscheinlich schliesst sich diesen noch der Magen und vielleicht auch noch der obere Theil des D\u00fcnndarmes an. Bis jetzt ist allerdings keine Beobachtung bekannt, nach welcher eine mechanische Reizung der Wurzelf\u00e4den des Vagus jene Theile in Con-tractionen versetzt h\u00e4tte, dagegen ist es eine allbekannte Thatsache, dass\n*) Yolkmann: Ueber die motorischen Wirkungen der Kopf- und Halsnerven. M\u00fcller\u2019s Archiv, 1840. S. 491. Van Kempen: Nouvelles recherches sur la nature fonctionelle des racines du nerf pneumogastrique et du nerf spinal. Bulletin de 1 academie de m\u00e9d. de Belgique, 1862. S. 668 et 1863. Nr. 3. S. 182.\n**) Van Kempen 1. c. Volkmann 1. c. 491.\n***) Ueber die Nerven des Gaumensegels. M\u00fcller\u2019s Archiv, 1844. S. 295. Volkmann 1. c. S. 491. Bischoff: M\u00fcller\u2019s Archiv, 1845.","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\ndie electrische Erregung des Halstheils des Vagus diese Erfolge hat. Sie sind bei Hunden und Schafen besonders deutlich. Wer literarische Zeugen f\u00fcr diese Behauptung haben will, lese die Arbeiten von Hartung*) und Ravitsch **) nach. Doch h\u00fcte man sich, mit dem Letzteren zu glauben, dass die Bewegungen der Magenw\u00e4nde unter dem alleinigen Einfluss des Nervus vagus st\u00fcnden, indem man mit ihm die nach der Vagussection am Magen noch auftretenden Bewegungen als Folge der durch den Magensaft und Futterstoffe gereizten peripherischen Endverzweigungen des Nervus vagus auffasst. Die von demselben zur Begr\u00fcndung seiner Ansicht angef\u00fchrten Versuche scheinen mir nicht beweisend zu sein. Bei galvanischer Reizung der Vagusurpr\u00fcnge hat man auch einige Kehlkopfmuskeln zucken sehen ; ich habe aber keine Angabe gefunden, dass dies auch bei mechanischer Reizung beobachtet worden sei. Es ist fr\u00fcher vielfach von einem Einfluss des N. vagus auf die Zusammenziehung muskul\u00f6ser Elemente in der Lunge die Rede gewesen. In neuerer Zeit scheint man sich von dieser Meinung abzuwenden. Man hat zwar bei Reizungen des Nervus vagus die S\u00e4ule eines in die Luftr\u00f6hre eingef\u00fchrten Wassermanometers steigen sehen, allein die Erhebung geschah ruckweise und verschwand, als man die Speiser\u00f6hre vom Magen unterhalb des Zwerchfells abband und w\u00e4hrend ihres Verlaufes durch die Brusth\u00f6hle sorgf\u00e4ltig von den Lungen sonderte. Hieraus ergiebt sich, dass die Zusammenziehungen von Speiser\u00f6hre und Magen es sind, welche jene Erscheinung im Manometer bedingen ***).\n2. Er schliesst sensitive F\u00e4den ein. Dies ergiebt sich aus dem Umstand, dass beim Durchschneiden einzelner seiner F\u00e4den Schmerzenszeichen beobachtet werden; besonders auffallend sind sie indess nicht. Bis jetzt sind noch wenig ernste Versuche gemacht, die Fl\u00e4chen auszumitteln, auf denen sie sich verbreiten. Die innigen Verbindungen des Vagus mit dem Gflossopharyngeus werden derartige Versuche auch besonders erschweren. Sieht man von letzterem Punkte ab, so kann man etwa sagen, dass der Vagus die Schleimhaut des Kehlkopfs und der Luftr\u00f6hre sensibel mache. F\u00fcr den ersteren leuchtet dies unmittelbar aus den anatomischen Erfahrungen ein, dass sich die F\u00e4den des genannten Nerven\n*) Uebcr den Einfluss des Nervus vagus auf die Bewegungen des Magens der Wiederk\u00e4uer. Giessen 1860.\n**) lieber den Einfluss des Vagus auf die Magenbewegung. Reichert's und du Bois-Reymond\u2019s Archiv, 1861. S. 770.\n**\"*) R\u00fcgenberg: Ueber den angeblichen Einfluss der Nervi vagi auf die Lungen. Heidenhain\u2019s Studien des physiolog. Laboratoriums zu Breslau. II. Heft. Leipzig 1863. S. 47.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"193\nbis zur Schleimhaut jenes Theil pr\u00e4pariren lassen, Wo sie nicht leicht anderen Functionen dienen k\u00f6nnen; f\u00fcr die letzteren liegen Erfahrungen von Longet *) vor, nach welchen Betupfen der Tracheal-schleimhaut mit verschiedenen Fl\u00fcssigkeiten Husten erzeugte, welcher ausblieb, wenn vorher die beiden Vagi am Halse durchschnitten waren. H\u00f6chst wahrscheinlich wird auch ein Theil des \u00e4ussern Ohrs durch den Vagus, n\u00e4mlich dessen Ramus auricularis, empfindlich gemacht.\nDie Functionen, von denen im Folgenden noch berichtet wird, sind s\u00e4mmtlich am Halstheil des Vagus ausgemittelt worden, so dass man also nicht genau weiss, in welchen Nervenbahnen ihre F\u00e4den urspr\u00fcnglich gelegen haben. F\u00fcr die eine oder andere Function hat man wohl in neuerer Zeit Aufkl\u00e4rung in dieser Beziehung wirklich oder angedeutet erhalten, worauf wir bei passender Gelegenheit zu sprechen kommen werden.\n3. Er regulirt die Herzbewegung. Erfahruhg und Theorie \u00fcber diesen Gegenstand der Nervenphysiologie sind bereits zu einem ansehnlichen Stoff herangewachsen. Indess ist derselbe nicht ausgiebig und durchsichtig genug darzulegen, wenn wir nicht hier die Grenzen der Physiologie des Nervus vagus ein wenig \u00fcberschreiten und die gesammte Physiologie der Herzbewegung, insoweit diese mit dem Nervenleben zusammenh\u00e4ngt, ber\u00fccksichtigen. Wir beginnen mit der Darlegung des Factischen. Was dar\u00fcber vom Nervus vagus mitgetheilt wird, bezieht sich zun\u00e4chst auf den Halstheil desselben. Die Frage, ob dieser Nerv in seinen Wurzelfasern die f\u00fcr die Herzbewegung bedeutsamen Elemente f\u00fchre, soll sp\u00e4ter besonders vorgenommen werden.\nEs ist eine von Lower gemachte und seitdem von allen Seiten her best\u00e4tigte Erfahrung, dass nach der Durchschneidung eines, noch besser aber beider Nervi vagi, das Herz schneller schl\u00e4gt. Doch scheinen hier bei verschiedenen Thieren grosse Verschiedenheiten vorzukommen. W\u00e4hrend bei den S\u00e4ugethieren die Vermehrung des Herzschlags nach der Vagus-section sehr betr\u00e4chtlich ist, so dass sie bei ihnen f\u00fcr den Fall, dass beide Vagi durchschnitten werden, 1/i\u2014y3 der Normalzahl betr\u00e4gt, f\u00e4llt sie bei den V\u00f6geln schon viel geringer aus, und bei Fr\u00f6schen ist sie mit Sicherheit noch gar nicht beobachtet **). E. Weber ***) und B u d g e f j\n*) Longet: Anatomie et Physiologie du Systeme nerveux, t. II. p. 289.\n**) Einbrodt: Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf die Herzbewegung bei V\u00f6geln. Archiv von Eeiehert und E. du Bois-\u00dfey mond. 1859. S. 456.\n***) Weber: Artikel Muskelbewegung in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie. Bd. III. S. 40.\n\u2022)\u25a0) Budge: Froriep\u2019s Notizen. Mai 1846. Die erste Entdeckung dieser wichtigen Thatsache kommt ohne Zweifel E. W e b e r zu ; denn dieselbe wurde schon Eokhard, Nervenphysiologie.\t13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nentdeckten dann weiter, wie es scheint unabh\u00e4ngig von einander, dass eine electrische Reizung des peripherischen Endes des durchschnittenen Vagus je nach ihrer Intensit\u00e4t Verlangsamung resp. Stillstand und zwar in Diastole erzeugt. Man kann hinzuf\u00fcgon, dass beide Zust\u00e4nde des Herzens schon durch Reizung nur eines Vagus erzeugt werden k\u00f6nnen; selbstverst\u00e4ndlich geh\u00f6rt aber dazu ein weit h\u00f6herer Grad des Reizes, als\" wenn man beide Vagi zu derselben Zeit der Reizung unterwirft. Diese Thatsache ist wohl fr\u00fcher bezweifelt worden; ich kann sie aber, auf zahlreiche, eigne Wahrnehmungen gest\u00fctzt, als wahr versichern und weiss auch, dass andere Beobachter dieselbe ausdr\u00fccklich angeben. Nach Entfernung des Reizes bleibt das Herz, namentlich, wenn man sich etwas st\u00e4rkerer Str\u00f6me bedient, durch eine Anzahl von Secunden, ja selbst eine Minute lang, noch im Zustande der Diastole. Soll die Methode der electrischen Erregung der Vagi vorwurfsfrei sein, so muss die Anordnung so getroffen werden, dass nicht irgend ein Antheil des Stromes seinen Weg durch das Herz selbst nehme. Dies- erreicht man am besten auf folgende Weise. Man spaltet, siehe die beistehende, rein schematisch\ngehaltene Figur, eine jede Electrode a und b in zwei Theile und f\u00fchrt zu einem jeden vagus von je einem Pol einen Zweig und ordnet sie so an, dass an beiden Vagis sich gleichnamige Pole gegen\u00fcber stehen. Ueber-sieht man dies, so l\u00e4uft man Gefahr, dass sich ein Theil der ungleichnamigen Spannungen durch das Herz abgleicht. Um sich leicht zurecht finden zu k\u00f6nnen und um fehlerhafte Anordnungen zu vermeiden, bedient man sich f\u00fcr den einen Pol und seiner Zweige anders gef\u00e4rbter Dr\u00e4hte, als f\u00fcr den andern. So wird jeder Vagus von unterbrochenen Str\u00f6men durchsetzt, ohne dass Zweige derselben durch den Herzmuskel selbst gehen. An irgend einer Stelle unterbricht man den Kreis durch einen Quecksilbernapf, oder, was noch besser ist, man schaltet den oben S. 42 beschriebenen Schl\u00fcssel vor der Spaltung der Poldr\u00e4hte ein, um nach Belieben das Herz schlagen oder stille stehen zu lassen. Dieselben\nim September 1845 von dessen Bruder E. H. Weber auf der Versammlung der italienischen Naturforscher in Neapel vorgetragen und erschien im November 1845 gedruckt","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"195\nErfolge lassen sich nahezu auch durch andere Reizungsarten erzielen. Ich * *) selbst habe durch Reizung des Vagus beim Frosch mit concen-trirter Kochsalzl\u00f6sung Verlangsamung und Stillstand erzeugt. Es ist f\u00fcr die Theorie der Vagus-Wirkung nicht ohne Interesse, hierbei zu bemerken, dass in diesem Versuche keine der Erscheinungen beobachtet wird, welche wir nach S. 117 an anderen quergestreiften Muskeln sehen, wenn wir ihre Nerven in gleicher Weise reizen, sondern mit der all-m\u00e4hligen Zunahme der Summe der gereizten Nervenfasern schl\u00e4gt das Herz immmer langsamer und langsamer, bis es nach wenigen Minuten sich vollkommen in diastolische Ruhe begiebt. Bei V\u00f6geln hat Einbrodt**) durch mechanische Reizung mit Hilfe des Tetanomotors zwar keinen Stillstand, aber doch Verlangsamung des Herzschlags erzielt. Nach Pfl\u00fcgers ***) Versicherung ist aber auch der erstere durch diese Art der Reizung zu erreichen. Mir selbst ist dieser Versuch bis jetzt nicht gelungen. Auch am lebenden Menschen ist nach Czermak f) durch Druck auf den Vagus am Halse Verlangsamung des Herzschlags zu erreichen; doch ist der Versuch wegen der dabei ohne Zweifel stattfindenden Ver\u00e4nderungen des Blutlaufs in den Gef\u00e4ssen, namentlich in den Venen zum Herzen hin und des m\u00f6glicher Weise hierdurch ge\u00e4nderten Herzschlags nicht \u00fcberzeugend genug.\nF\u00fcr im Wesentlichen identisch mit diesen Versuchen muss man das folgende von Bernstein ff) angegebene Experiment halten. Wenn man bei einem Frosche mit unverletzten Vagis den Grenzstrang des Sympathicus da, wo er zur Bauchaorta tritt, durchschneidet, und dann das centrale Ende desselben electrisch reizt, so erh\u00e4lt man nach einigen\nin: Annali universali di medicina del dott. Omodei. T. LXVI. p. 227. Budge\u2019s Versuche erschienen erst im Jahre 1846. Ebensowenig wie Budge hat Volkmann einen begr\u00fcndeten Antheil an dieser Entdeckung, obschon es von Herrn E. H eid enhain, in M\u00fcller\u2019s Archiv, 1858; S. 504 durch Verweisung auf fr\u00fchere Arbeiten von Volk-raann behauptet wird. Ed. Weber hat im Archiv von Reichert und du Bois-Reymond, 1859, S. 292 gezeigt, dass Herr Heidenhain im Irrthum ist, da Volkmann seine fr\u00fcheren Behauptungen ausdr\u00fccklich zur\u00fcckgenommen. In gleicher Weise hat Cl. Bernard kein wissenschaftliches Recht an der ersten Auffindung dieser Thatsache. Seine Beobachtung dar\u00fcber datirt sich erst vom Jahre 1846. Siehe Cl. Bernard: Le\u00e7ons sur la physiologie \u2022 et la pathologie du syst\u00e8me nerveux. T\u00f4me II. S. 381.\n*) Eckhard: Zur Theorie der Vaguswirkung. M\u00fcller's Archiv. 1851, S. 205.\n**) 1. c. S. 457.\n***) Archiv von Reichert und du Bois-Reymond. 1859. S. 25.\nf) Czermak: Ueber mechanische Vagusreizung beim Menschen. Jenaer Zeitschrift. II. 3. 1865.\nff) J. Bernstein: Herzstillstand durch Sympathicu\u00ef-Reizung. Hermann\u2019s Centralblatt f\u00fcr die medicinischen Wissenschaften. 1863. Nr. 52.\n13 *","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nSchl\u00e4gen 'Herzstillstand in Diastole. Durchschneidet man vorher die Vagi oder zerst\u00f6rt das verl\u00e4ngerte Mark, so ist die genannte Reizung erfolglos. Trennt man vorher das R\u00fcckenmark zwischen dem dritten und vierten Wirbel, so bleibt der Stillstand gleichfalls aus; f\u00fchrt man die Trennung zwischen dem vierten und f\u00fcnften Wirbel aus, so wird zwar Stillstand erhalten, er ist aber nicht so anhaltend. Man schliesst hieraus, dass aus dem Sympathicus durch die Rami communicantes Fasern in das R\u00fcckenmark treten, in ihm in die H\u00f6he steigen und, gereizt, reflectorisoh auf den Vagus wirken. Ich habe diesen Versuch mit gleichem Erfolg wiederholt. So ist auch h\u00f6chst wahrscheinlich der folgende, von Goltz *) angegebene Versuch zu deuten. Legt man n\u00e4mlich an einem auf den R\u00fccken befestigten Frosch das Herz bloss und klopft auf dasselbe sehr rasch, etwa 20 mal in der Minute, so f\u00e4ngt es nach und nach an langsamer zu schlagen und steht endlich in Diastole still. Der Erfolg versagt, wie im vorherigen Experiment, bei zerst\u00f6rtem verl\u00e4ngerten Marke oder durchschnittenen Vagis. Stellt man sich vor, dass durch die Ersch\u00fctterungen des Klopfens der Sympathicus gereizt wird, so geschieht der Herzstillstand auf reflectorischem Wege, wie vorher. Auch am Kaninchen hat Bernstein**) die Beziehungen zwischen Vagus und Sympathicus bez\u00fcglich ihrer Stellung zur Herzbewegung studirt. Reizung des centralen Stumpfes des Halssympathicus brachte deutliche Verlangsamung des Herzschlags zu Stande. Diese Erscheinung trat nicht ein nach vorg\u00e4ngiger Vagustrennung oder Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarks. Weiter aber beobachtete er noch, dass man nach Durchschneidung der Vagi keine Verlangsamung des Herzschlags erh\u00e4lt, wenn man vorher das R\u00fcckenmark in der Gegend des siebenten Halswirbels durchschnitten und die Sympathici bis zum untersten Halsganglion ausgerottet hat, oder wenn man auch nur die letzteren von der siebenten Rippe an abw\u00e4rts m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig trennt. Aus diesen Versuchen ist der Schluss gerechtfertigt, dass das Centralorgan, durch dessen Wirkung auf den Vagus das Herz die gew\u00f6hnliche Zahl seiner Pulsationen ausf\u00fchrt, diese Function auf reflectorischem Wege durch Vermittelung des Sympathicus eingepr\u00e4gt erh\u00e4lt. Auf welche Art der Vagusreizung nun auch der diastolische Herzstillstand erzeugt worden sein mag, er stellt niemals eine Bewegungsunf\u00e4higkeit der Herzsubstanz dar ; denn eine jede directe Reizung der letzteren zu der angegebenen Zeit, etwa durch Ber\u00fchrung\n*) Goltz, in Virchow\u2019s Archiv. 1862.\n**) Bernstein: Vagus und Sympathicus. Hermann\u2019s med. Centralblatt. Nr. 16'\n1864. S. 141\u2014243.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"197\nm\u00eet einer Nadelspitze, l\u00f6sst augenblicklich eine Pulsation, aber auch nur diese, aus.\nSo einfach stellen jedoch nicht alle Physiologen die Beziehungen des Nervus vagus zum Herzen dar. Es werden vielmehr noch die folgenden Thatsachen berichtet, und wie wir hernach sehen werden, wird dadurch dem Vagus eine andere Stellung dem Herzen gegen\u00fcber zuzu-ertheilen versucht, als sie aus den bisher mitgetheilten Erfahrungen allein folgen w\u00fcrde. Zuerst war es Schiff *), welcher die Behauptung aufstellte, dass eine gelinde Reizung des herumschweifenden Nerven die H\u00e4ufigkeit der Herzschl\u00e4ge vermehre, w\u00e4hrend der Herzschlag nur dann seltener werde, oder ganz auf h\u00f6re, wenn st\u00e4rkere Reize in Anwendung k\u00e4men. Ihm schloss sich sp\u00e4ter Moleschott **) durch die Ver\u00f6ffentlichung einer ausgedehnten Abhandlung an, in welcher das von Schiff behauptete Factum als wahr anerkannt wurde. Specieller ist noch darin mitgetheilt, dass in den g\u00fcnstigsten F\u00e4llen beim Kaninchen die Vermehrung gegen 2/5, beim Frosch aber das Doppelte der Zahl bei nicht gereizten Nerzen betragen haben. Beide Forscher haben die Zunahme der Pulszahl auch bei andern, als electrischen Reizungen beobachtet. Diesen Angaben ist von mehren anderen, gleich achtbaren Seiten, widersprochen worden. Zuerst hat Pfl\u00fcger***) durch viele und allm\u00e4hliche Grade der Abstufung der Inductionsstr\u00f6me sich vergeblich bem\u00fcht, eine Vermehrung der Pulsfrequenz bei gelinder Reizung der Nervi vagi hervorzurufen. Die Versuche wurden in der Art angestellt, dass man die beiden Rollen des du Bois\u2019schen Inductionsapparates anf\u00e4nglich so weit von einander entfernte, dass die Inductionsstr\u00f6me so schwach ausfielen, dass sie nicht einmal den Muskel des gew\u00f6hnlichen Nerv-Muskelapparates vom Nerven aus in Zuckungen zu versetzen vermochten und dann von hier an durch N\u00e4herung der Rollen zu einer wachsenden Stromst\u00e4rke iiber-gieng. Sodann hat v. Bezold f), durch Moieschott\u2019s vorher erw\u00e4hnte Arbeit dazu aufgefordert, diese Angelegenheit gleichfalls gepr\u00fcft. Er war bei seinen Versuchen nicht gl\u00fccklicher, als Pfl\u00fcger; in allen\n*) Schiff: Archiv f\u00fcr physiologische Heilkunde. Jahrgang VIII, S. 211 und an mehren anderen Orten.\n**) Moleschott: Untersuchungen \u00fcber den Einfluss der Vagus-Reizung auf die H\u00e4ufigkeit des Herzschlags ; in dessen : Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere. VII. Bd. S. 401.\n***) Pfl\u00fcger: Experimentalbeitrag zur '1 heorie der Hemmungsnerven. Archiv von Reichert und du Bois-Reymond. 1859. S. 13 ff.\n-j.) v. Bezold : Ueber die Einwirkung der Nervi vagi und des Sympathicus auf das Herz. Archiv von Reichert und du Bois-Reymond. Jahrgang 1862. S. 143.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nF\u00e4llen, in denen er bei Fr\u00f6schen und Kaninchen vom Vagus aus \u00fcberhaupt eine Einwirkung erzielen konnte, bestand sie in Verlangsamung oder Sistirung des Herzschlags. Auch Forsblom *) kam zu demselben Resultat. Bei dieser Sachlage war es mir Bed\u00fcrfniss, mich selbst \u00fcber den streitigen Punkt durch eigne Versuche aufzukl\u00e4ren. Ich bin an die Ausf\u00fchrung derselben durchaus mit keinem Vorurtheil gegangen; denn nicht allein weiss ich aus eigner Erfahrung, wie man sich durch ein solches, selbst in den einfachsten Dingen, verrennen kann, sondern es forderte mich dazu noch besonders die, um den gelindesten Ausdruck zu gebrauchen, der Wissenschaft g\u00e4nzlich unw\u00fcrdige Hitze auf, in welche die Herren Pfl\u00fcger und Schiff \u00fcber ein so unschuldiges Object gerathen sind. Meine Versuche und Erfahrungen sind nun die folgenden : Bei chemischer Reizung durch Kochsalzl\u00f6sung, sowohl concentrate als auch in der von Moleschott angewendeten Verd\u00fcnnung, erzielte ich nur Verlangsamung und Stillstand. Im Anfang meiner Versuche kam es mir ein paar mal vor, als sei eine Beschleunigung zu beobachten; als ich aber das Froschherz nach seiner Bioslegung durch 5 bis 15 Minuten hindurch auf die Anzahl seiner Schl\u00e4ge ohne Reizung seiner Nervi vagi untersuchte, kamen dabei so viele Unregelm\u00e4ssigkeiten vor, dass, diesen Rechnung tragend, ich nicht die Ueberzeugung einer Vermehrung des Herzschlags bei der fraglichen Reizungsart gewinnen konnte. Die electrische Reizung habe ich in allen Abstufungen, welche sich durch Verschiebung der Rollen des Inductionsapparates und die Einschaltung des Rheochords erzielen Hessen, auf einen und auf beide Vagi mit jeder nur erdenklichen Vorsicht angewandt. Umsonst habe ich aber auch hier auf den Eintritt der Beschleunigung des Herzschlags gewartet. Woher die Verschiedenheit der Erfolge in den Versuchen von Schiff und Moleschott gegen\u00fcber denen anderer Forscher r\u00f6hre, l\u00e4sst sich kaum sagen. Dass die letzteren niemals sollten in die Stromgrenzen hineingeratben sein, innerhalb deren die ersteren gearbeitet haben, ist bei ihrer gr\u00f6sseren Anzahl und der Anwendung der vollkommensten Mittel, welche die Wissenschaft f\u00fcr den fraglichen Zweck zur Zeit bietet, nicht zu erwarten. Sollte ihnen jedoch zugemuthet werden, zu glauben, dass dies dennoch der Fall sei, so werden sie sich in die Nothwendigkeit versetzt sehen, sich von ihren Gegnern genauere Angaben \u00fcber den Integralwerth und die Dauer der von ihnen angewendeten Inductionsstr\u00f6me auszubitten. Freilich kann auch dieses Mittel, Ueber-einstimmung herbeizuf\u00fchren, fehlschlagen, da Alles schliesslich von der Art zu arbeiten abh\u00e4ngt. Nach meiner subjectiven Meinung glaube ich,\n*) Forsb\u00eeorn : Nervus vagus tarnen nervus inhibens. Jenae 1863.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"199\ndass sich Fehler in den Reizniethoden hei Schiff und Moleschott unbemerkt eingeschlichen haben, wenigstens sieht man aus einzelnen Angaben, welche die genannten Forscher \u00fcber das Arrangement mancher ihrer Experimente machen, sofort die M\u00f6glichkeit der T\u00fccken electrischer Reizungen ein, obschon, befremdend genug, jene Forscher nicht angeben, wie sie sich vor denselben gesichert.\nUm die Stellung zu ermitteln, welche der Nervus vagus dem Herzen gegen\u00fcber einnimmt, sind noch einige andere Versuche angestellt worden, die noch zu beschreiben sind, bevor wir zu anderen Theilen des Herznervensystems \u00fcbergehen k\u00f6nnen. Die Erfahrungen, welche wir \u00fcber den innigen Zusammenhang der physiologischen Leistungen der Nerven und ihren electrisehen Wirkungen w\u00e4hrend ihrer Th\u00e4tigkeit besitzen, mussten in Anbetracht der eigenth\u00fcmlichen Wirkungsweise des Nervus vagus dem Herzen gegen\u00fcber zu einer Pr\u00fcfung seines Verhaltens im Multiplicatorkreis auffordern, w\u00e4hrend er von tetanisirenden Str\u00f6men durchsetzt wird. Du Bois und nach ihm v. Bezold *) haben bei Untersuchungen \u00fcber diesen Punkt keine Differenz zwischen ihm und anderen Nerven auffinden k\u00f6nnen. Moleschott und Hufschmid **) dagegen lehren, dass der Grad von Reizung, welcher den Herzschlag beschleunigt, immer von einer positiven oder negativen Stromschwankung begleitet wird, dass dagegen eine so starke Erregung, welche Verlangsamung oder Stillstand hervorruft, Iceine Schwankung des Nervenstromes bewirkt. Ich schlage mich auf die erste Seite, so lange Moleschott die oben, S. 66 von ihm behauptete, positive Schwankung des Nervenstromes im Tetanus nicht von dem dort ausgesprochenen Verdachte gereinigt hat.\nHieran schliessen sich die Erfahrungen \u00fcber die Einwirkung emi-stanter Str\u00f6me auf den Nervus vagus. Obschon die Bedeutung derselben erst nachher bei der Darlegung der Theorie der Vaguswirkung klar hervortreten kann, so m\u00f6gen sie doch schon hier, um die experimentellen Thatsachen m\u00f6glichst zusammengedr\u00e4ngt vorausgehen zu lassen, erw\u00e4hnt werden. Ich bemerke dabei, um einstweilen ihren Werth anzudeuten, dass sie wesentlich zur Pr\u00fcfung einer besonderen Hypothese \u00fcber die Stellung des Vagus dem Herzen gegen\u00fcber angestellt worden sind, nach welcher sich vorgestellt wird, dass die Herzbewegung in der Art. zu Stande komme, dass die in der Herzmuskulatur sich verzweigenden Via-gus\u00e4ste durch das Blut zur Innervation angeregt w\u00fcrden. Bekanntlich ver\u00e4ndert nun ein constanter Strom, wenn er durch einen Nerven ffiesst,\n*) y. Bezold 1. C. S. 144.\t'\n**) Moleschott und Hufschmid: Experimenteller Beweis der Theorie, nach welcher der Vagus ein Bewegungsnerv des Herzens ist; in : Moleschott\u2019s Untersuchungen etc, Bd. 8. S. 72.","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\ndie Erregbarkeit desselben in entgegengesetzter Weise und bestimmt dadurch die Gr\u00f6sse des Erfolgs des Erregungsmittels oder Reizes. Efc muss also auch der nach jener Theorie als Ursache der Herzbewegung vorausgesetzte Reiz durch constante Str\u00f6me, welche man durch den Vagus sendet, in seinen Wirkungen ge\u00e4ndert werden und zwar in einer Weise, welche sich nach den S. 101 und 102 mitgetheilten Erfahrungen vorausbestimmen l\u00e4sst. Der Leser mache diese Ableitungen f\u00fcr sich selbst durch ; er wird sich dann sagen k\u00f6nnen, ob die folgenden Erfahrungen im Sinne jener Vorstellung von der Wirkungsweise des Vagus dem Herzen gegen\u00fcber reden. Zuerst hat Moleschott *) von den Einfl\u00fcssen constanter, durch das peripherische St\u00fcck des durchschnittenen Vagus geschickter Str\u00f6me berichtet. Nach ihm sollen in diesem Nerven absteigend gerichtete Str\u00f6me den Herzschlag vermehren, auf-steigende ihn vermindern. Dann hat v. B e z o 1 d **) denselben Gegenstand vorgenommen, jedoch andere Resultate, als Moleschott, erhalten. Am Kaninchenherzen fand er Folgendes: Bei schwachen und starken absteigend im Vagus gerichteten Str\u00f6men findet eine kleine Abnahme der Zahl der Herzschl\u00e4ge statt. Sind die Str\u00f6me aufsteigend, so beobachtet man bei der Anwendung schwacher Stromst\u00e4rken mit der Schliessung entweder gar keine Ver\u00e4nderung der Pulszahl oder eine Verminderung derselben, mit der Oeffnung eine deutliche Abnahme. W\u00e4chst bei derselben Stromesrichtung die Stromst\u00e4rke, so sieht man beim Schluss keine Verlangsamung des Herzschlags, wohl aber eine solche beim Oef\u00efnen der Kette.\nEndlich war es noch von Interesse zu wissen, wie sich wohl der Nervus vagus dem ruhenden Herzen gegen\u00fcber verhalten w\u00fcrde, indem man daran dachte, dass es wohl m\u00f6glich sei, den Herzschlag auch ohne Reizung des Vagus zu sistiren. In dieser Beziehung machte Schelske ***) den folgenden Versuch bekannt. Wenn man das blos-gelegte Froschherz auf 30\u201433\u00b0 erw\u00e4rmt, so f\u00e4ngt es anfangs an, ein wenig schneller zu schlagen, dann aber werden seine Schl\u00e4ge seltener und bald steht es g\u00e4nzlich in der Form der Diastole stille. Wenn man dann zu dieser Zeit durch den Nervus vagus einen einzigen Inductions-strom schickt, so f\u00fchrt das Herz eine einmalige Pulsation aus. Wegen des hohen Interesses, welches sich an diese Angabe von Schelske kn\u00fcpfte, nicht blos f\u00fcr die Theorie der Vaguswirkung dem Herzen gegen\u00fcber, sondern auch f\u00fcr die Aufkl\u00e4rung der verschiedenen Erfolge,\n*) Moleschott und Hufschmid: 1. c. S. 113.\n**) v. Bezold : Untersuchungen \u00fcber die Innervation des Herzens. S. 71 ff.\n-\u25a0\u25a0\u25a0**1 Schelske: Ueber die Ver\u00e4nderungen der Erregbarkeit der Nerven durch die W\u00e4rme. Habilitationsschrift. Heidelberg 1860. S. 20 ff.","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"201\nwelche man bei Reizung der Nervi splachnici erh\u00e4lt, habe ich den beschriebenen Versuch mit aller m\u00f6glichen Vorsicht wiederholt. Derselbe ist mir aber nie gelungen; nur wenn die eine Electrode dem Herzen so nahe angelegt war, dass Stromesfractionen das letztere selbst trafen, erhielt ich eine Pulsation. Mein Verfahren war folgendes : Den zur Vagusreizung vorbereiteten Frosch, dessen Herz vollkommen blosgelegt war, gab ich in ein Gefass, welches mit einem Deckel von Gutta-Percha verschlossen war. Durch den letzteren f\u00fchrten zwei metallene Elec-troden, von welchen die eine zu einem Haken umgebogen und mittelst eines feuchten Fadens mit dem oberen Ende des Vagus verkn\u00fcpft war, w\u00e4hrend die andere so weit abw\u00e4rts, als m\u00f6glich, dem Nerven dicht anlag, doch so, dass sie die Herzsubstanz nicht ber\u00fchrte und auch durch feuchte Zwischengewebe keinen Stromantheil zum Herzen zu gehen erlaubte. Das Ganze stellte ich dann in ein Gef\u00e4ss mit Oel von c. 34\u00b0 und verband die beiden Electroden mit der secund\u00e4ren Rolle eines Inductionsapparates. Nachdem das Herz unter der vorher beschriebenen Ver\u00e4nderung seiner Schlagfolge zur Ruhe gekommen war, l\u00f6sste ich die einzelnen Inductionsst\u00f6sse aus ; aber selbst die physiologisch wirksamem OefFnungsschl\u00e4ge hatten nicht den von Schelske angegebenen Erfolg, selbst dann nicht, wenn beide Rollen iibereinandergeschoben und s\u00e4mmt-licheDrahtst\u00fccke in das Innere der prim\u00e4ren Rolle gegeben waren. Das Oelbad w\u00e4hlte ich desshalb, weil ich in einem Wasserbade unipolare Ableitungen des durch den Vagus unvollkommen geschlossenen Induc-tionskreises durch das Herz hindurch f\u00fcrchtete. Dass in meinen Versuchen Alles in Ordnung war, ergab sich aus dem Umstand, dass bei derselben Stellung der Electroden, mit welcher ich den Versuch ausf\u00fchrte, ich nachher, wenn das Herz in Folge der Abk\u00fchlung wieder zu schlagen begann, durch Tetanisirung des Nervus vagus diastolischen Stillstand erzeugte.\nEhe wir den Vagus verlassen, muss noch die Frage ber\u00fchrt werden, ob die von allen Beobachtern zugegebene Wirkung desselben, nach Durchschneidung Vermehrung des Herzschlags und bei einem gewissen Grade der Reizung Herzstillstand zu erzeugen, diesem Nerven von Hause aus zukomme, oder ob sie demselben durch fremde Bahnen, etwa den Nervus accessorius, mit dem sich der Nervus vagus bekanntlich verbindet, zugef\u00fchrt werden. Ueber diesen Punkt existiren Angaben von Waller, Schiff*), Daszkiewicz **) und Heidenhain ***). Alle Beobachter\n*) Schiff: Influence du nerf spinal sur les mouvements du coeur. Comptes rendus; tome LYIII. 1864. S. 619.\n**) Hermann\u2019s medicinisches Centralblatt. Nr. 32.\t1864.\n***) Heidenhain\u2019s physiologische Studien. III. Heft. 1865.' S. 107.","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nstimmen in der Wahl des experimentellen Verfahrens und ihren Angaben \u00fcber den Erfolg desselben \u00fcberein. Sie reissen n\u00e4mlich bei einem Thiere (Kaninchen) den Nervus accessorius aus, warten dann einige Tage, damit die peripherisch im Vagus verlaufenden Fasern desselben entarten und dadurch erregungsunfahig werden, um. nach Verlauf dieser Zeit den Erfolg der electrischen Reizung des Vagus am Halse zu beobachten. Sie finden nach c. 4\u20145 Tagen, dass dann auf diese Weise feein Stillstand mehr erzeugt werden kann. Entsprechend diesem Verhalten hat Heidenhain auch unmittelbar nach der Ausrottung des Nerven den Puls in die H\u00f6he gehen sehen. Von Schiff wird jedoch diese letztere Meinung nicht getheilt. Er vertheidigt die Vermehrung des Herzschlags nach der Durchschneidung des Vagus am Halse einerseits und den bei Reizung eben derselben Nervenbahn an derselben Stelle entstehenden Herzstillstand andrerseits als an zwei verschiedene Hirnnerven gekn\u00fcpfte Functionen. Er behauptet, dass die Vermehrung des Pulsschlags nach der Trennung des Vagus am Halse Nichts mit Fasern des Accessorius zu thun habe, sondern eine Wirkung der Durchschneidung der \u00e4chten Vagusfasern, w\u00e4hrend der Herzstillstand nur Folge der Galvanisation der Accessoriusfasern sei. Ich f\u00fcr meinen Theil kann mich nicht bei der bisherigen Beweisf\u00fchrung, sei es, dass sie die Vorstellung Heidenhain\u2019s, sei es, dass sie die Schiffs begr\u00fcnden soll, beruhigen. Mir ist die Amreisswng des Nervus accessorius eine viel zu unsichere Operation, welche mir nicht die Ueberzeugung giebt, dass dabei alle Vagusfasern bis zu ihrem Ursprung im verl\u00e4ngerten Mark intact bleiben. Ich bin vielmehr der Meinung, dass eine Entscheidung in der fraglichen Angelegenheit nur auf die folgende Weise herbeizuf\u00fchren ist. Man muss zuerst den Ursprung des Nervus accessorius bioslegen, und bevor man seine Wurzeln trennt, die H\u00e4ufigkeit des Pulsschlags durch Kymogra-phion oder Spbygmographion bestimmen. Dann sind die Ursprungsf\u00e4den jener Nerven zu trennen, und es ist zu sehen, ob eine Aenderung in der Schnelligkeit des Herzschlags eintritt. Soweit hat die Sache nach einigen Proben, die ich angestellt habe, bei einiger, fortgesetzter Uebung keine Schwierigkeit. Zu \u00fcberwinden ist bei dieser zwischen Atlas und Hinterhaupt mittelst Spaltung der Membrana obturatoria a\u00fcszuf\u00fchrenden Operation nur zweierlei, n\u00e4mlich : die Gefahr starker Blutung, welcher man durch Er\u00f6ffnung von ven\u00f6sen Sinusen ausgesetzt ist, welche seitlich im Operationsfelde unter den Knochen verlaufen und ausserdem, wie es mir hat scheinen wollen, die Tr\u00fcbungen des Resultates, welche durch Wirkungen der Luft, oder Druck, des sich etwa ergiessenden Blutes, vielleicht auch der Instrumente, auf die Ursprungsstellen der Nervenf\u00e4den, deren Trennung Beschleunigung des Herzschlags","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"203\nerzeugt, noch ehe man die Wurzelf\u00e4den der zu pr\u00fcfenden Nerven getrennt hat. Ohne Zweifel lassen sich diese beiden Uebelst\u00e4nde durch einige Uebung beseitigen. Dann aber kommt ein Abschnitt des Experimentes, von dem es sehr schwer halten wird, ihn vorwurfsfrei auszuf\u00fchren, n\u00e4mlich die erneute Aenderung in der Schlagfolge des Herzens durch Reizung des Nervus vagus oder accessorius ; denn die electrischo Reizung wird stets wegen der innigen Aneinanderlagerung beider Nerven ihre Bedenken haben, und die chemische wird bei der Beschr\u00e4nktheit des Operationsraumes ihre Schwierigkeiten in der Anwendung finden. Doch muss, meiner Meinung nach, diesem Plan gem\u00e4ss experimentirt werden, wenn die fragliche Angelegenheit ins Reine kommen soll. Meine bisherigen Versuche sind theils durch die unvorsichtige Er\u00f6ffnung der genannten Sinuse, theils dadurch fehlgeschlagen, dass ich den Herzschlag, noch ehe ich irgendwelche Nervenf\u00e4den getrennt hatte, schon so sehr beschleunigt fand, dass kein Erfolg der nachfolgenden Trennung der Accessoriusfasern zu beobachten war. Ich werde diese Untersuchung, falls sie nicht von anderer Seite her nach diesem oder \u00e4hnlichem Plane angegriffen wird, wieder aufnehmen.\nNeben dem Nervus vagus ist zweitens der Grenzstrang des Syrnpa-thicus und zwar zun\u00e4chst dessen Halstheil in Betracht zu ziehen. Es ist merkw\u00fcrdig, dass auch diese, einen so einfachen Nerven betreffende Angelegenheit, selbst nach ausgedehnten, neuern Untersuchungen noch nicht als ins Reine gebracht angesehen werden darf. Bis in die Neuzeit hinein zieht sich in der physiologischen Literatur \u00fcber die Stellung dieses Nerven zur Herzbewegung ein verwirrendes Heer 'der verschiedensten Ansichten \u2022). Da ich selbst \u00fcber diesen Punkt keine sehr ausgedehnte, eigne Erfahrung habe, so mag hier die Darstellung f\u00fcr den Leser wesentlich den Character einer literarischen Orientirung annehmen. Aeltere Beobachter, wie Fowler, Pfaff, Humboldt u. A., an deren Reizmethoden jedoch die Physiologen der Gegenwart nach den ihnen durch den Fortschritt der Wissenschaft gewordenen Belehrungen Manches auszusetzen finden, sprechen nur von einer Beschleunigung des Herzschlags, welche durch Reizung des Halssympathicus zu erhalten sei. Dieselbe Thatsache wird von Forschern fr\u00fcherer und sp\u00e4terer Dccennien unseres Jahrhunderts, wie Burdach, Valentin, Moleschott1, v. Bezold etc. berichtet. Wir bemerken dabei, dass hiermit nicht g\u00e8sagt werden soll, dass darin die gesammte Ansicht eines Jeden der citirten Forscher \u00fcber den fraglichen Gegenstand enthalten sein soll, sondern\n*) Wer es liebt, bez\u00fcglich des Historischen ins Einzelne einzugehen, benutze: v. Bezold: Untersuchungen \u00fcber die Innervation des Herzens. Leipzig 1863.","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\ndass diese Anziehungen hier nur geschehen, um zu zeigen, wie in alten und neuen Zeiten stets die vorhin gemachte Angabe wiederkehrt. Daneben erscheinen jedoch auch Zeugnisse, denen zufolge die Sympathicus-reizung den entgegengesetzten Erfolg, Verlangsamung des Herzschlags, gehabt haben soll. \u00df. Wagner, Moleschott und v. Bezold geben an, solche Beobachtungen unzweideutig gemacht zu haben. Hierzu f\u00fcgen sich drittens Berichte, welche jedweden Einfluss des Sympathicus auf die Herzbewegung negiren. Solche liegen von den Gebr\u00fcdern W e b e r, Volkmann, Budge, Ludwig, Heidenhain und Weissmann vor. Der Umstand, dass bisweilen ein und derselbe Forscher verschiedene Erfolge der Sympathicusreizung beobachtet zu haben behauptet, zeigt, dass die Zahl der Meinungen \u00fcber die Beziehungen des Halssym-pathicus zum Herzen gr\u00f6sser sein kann, als man es nach den eben gemachten Mittheilungen erwarten m\u00f6chte. Dies ist auch in der That der Fall. Neben den drei Ansichten, dass der gereizte Halssympathicus nur Beschleunigung, oder nur Verlangsamung, oder gar keine Aenderung des Herzschlages bewirke, sind vorzugsweise noch zwei andere aufgetreten, von denen die eine behauptet, dass der Effect der genannten Reizung, je nach der angewendeten electrischen Stromsf\u00e4V&e, bald Beschleunigung, bald Verlangsamung des Herzschlags sei, die andere dagegen zwar bei einem und demselben Thiere verschiedene Erfolge der gedachten Reizung zul\u00e4sst, dieselben aber nicht auf den Grad der Reizung des Sympathicus, sondern auf andere Umst\u00e4nde bezieht. Wir wollen beide Anschauungen etwas n\u00e4her ansehen. Der Urheber der ersten ist Moleschott *). Er behauptet, dass sich der Sympathicus gerade so, wie der Vagus, dem Herzen gegen\u00fcber verhalte ; d. h. schwache Str\u00f6me, welche denselben treffen, sollen eine Pulsbeschleunigung, st\u00e4rkere eine Pulsverlangsamung erzeugen. Einer weiteren Besprechung ist diese Behauptung nicht f\u00e4hig, wenn man nicht etwa die Bemerkung machen will, dass zur Zeit mit Sicherheit kein Muskelnerv bekannt ist, dessen Functionen je nach der St\u00e4rke des electrischen Reizes entgegengesetzter Art w\u00e4ren, und dass demgem\u00e4ss Moleschott\u2019s Ansicht nicht einmal die Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich habe. Ihr thats\u00e4chlicher Inhalt ist bis jetzt nicht best\u00e4tigt wor-dep, Die Sache muss desshalb bis auf Weiteres auf sich beruhen. Die zweite noch mitzutheilende Gesammtanschauung \u00fcber den Einfluss dss gereizten Halssympathicus geh\u00f6rt v. Bezold an ; folgende S\u00e4tze **)\n*) Molesfehott und Nauwerk: Untersuchungen \u00fcber den Einfluss der Sym-pathicusreizung auf die H\u00e4ufigkeit des Herzschlags, in: Moleschott\u2019s Untersuchungen etc. Bd. VIII. S. 36.\n**) v. Bezold 1. c. S. 135, 147, 148, 155.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"205\nmachen ihren Hauptinhalt aus. Im Stamme des Halssympathicus beim Kaninchen verlaufen Nervenfasern, deren Erregung Beschleunigung des Herzschlags bewirkt; dieser Einfluss ist um so deullicher, je kleiner die Pulsanzahl ohne Reizung des Sympathicus ist, um so weniger merkbar, je schneller der Puls schon vorher war. Falls deutliche Pulsbeschleunigung stattfindet, ist der Erfolg erst nach mehren Secunden der electri-schen Einwirkung deutlich. Wenn der gereizte Sympathicus keine Vermehrung der Herzschl\u00e4ge erzeugt, so verst\u00e4rkt er doch die Herzcontrac-tionen, wie aus der erh\u00f6hten \u00dflutspannung im Aortensysteme zu dieser Zeit hervorgeht. Bei zeitlicher Disharmonie zwischen den Zusammenziehungen der Vorh\u00f6fe und der Ventrikel kann der gereizte Sympathicus wieder den regelm\u00e4ssigen Typus der Herzactionen einleiten. In seltenen als Ausnahmen zu betrachtenden F\u00e4llen erh\u00e4lt man durch eine Sympa-thicusreizung Verlangsamung des Herzschlags. F\u00fcr diese Erfahrung ist anzunehmen, dass dann einige hemmende Fasern, welche sonst im Vagus verlaufen, diesmal im Grenzstrang heruntersteigen. Diesen Ergebnissen gem\u00e4ss wird von v. Bezold der Sympathicus als der directe Antagonist des Vagus angesehen; jedoch ist die hemmende Wirkung des erregten Vagus bedeutender, als die beschleunigende des Sympathicus *), daher dann auch die Wirkung des gereizten Sympathicus nur dann zu Tage tritt, wenn nicht gleichzeitig eine erhebliche Vagusreizung stattfindet. Ich will dem Factischen dieser Angaben nicht widersprechen ; f\u00fchle mich aber veranlasst, die folgenden Bemerkungen anzuf\u00fcgen. Was die Erh\u00f6hung des Blutdrucks im Aortensysteme bei Reizung des Hals-theils des Sympathicus aulangt, so ist sie kein Beweis f\u00fcr eine duich diesen erregten Nerven direct verst\u00e4rkte Herzaction; wir werden alsbald sehen, dass diese Erscheinung durch einen ver\u00e4nderten F\u00fcllungszustand des Gef\u00e4sssystems bedingt sein kann, an welchem das Herz primitiv gar keinen Antheil zu haben braucht, und im speciellen Falle h\u00f6chst wahrscheinlich wirklich dadurch erzeugt wird. Ferner erl\u00e4utern sich die F\u00e4lle, bei denen eine Reizung des peripherischen Stumpfes des durchschnittenen Halssympathicus Verlangsamung des Herzschlags erzeugt, auf folgende Weise besser, als durch die v. Bezold gemachte Annahme. Wir haben n\u00e4mlich oben S. 195 erz\u00e4hlt, wie eine Reizung des Sympathicus in der Bauchh\u00f6hle auf reflectorischem Wege Verlangsamung resp. Stillstand des Herzens erzeugt. Diejenigen Zweige des Sympathicus, welche diese Wirkung vermitteln, liegen in den Verbindungen des Grenzstranges mit den R\u00fcckenmarksnerven. Hieraus folgt, dass bei jeder einigermassen kr\u00e4ftigen Reizung des Halssympathicus durch secund\u00e4re\n*) v. Bezold 1. e. S. 159.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nWirkungen jene vom Sympathicus in das R\u00fcckenmark eintretende Fasern erregt werden k\u00f6nnen, und dass in Folge davon Verlangsamung des Pulses eintreten kann. Diese Annahme erkl\u00e4rt auch theilweise das sich scheinbar widersprechende von Moleschott erhaltene Ergebniss, dass st\u00e4rkere, den Sympathicus treffende Reize Verlangsamung der Pulsschl\u00e4ge erzeugen, w\u00e4hrend schw\u00e4chere den entgegengesetzten Erfolg haben. Die hier gemachte Unterstellung l\u00e4sst sich auf ihren Werth pr\u00fcfen. Bei erneuten Reizversuchen am Halstheil des Sympathicus wird man vorher alle Verbindungen desselben mit den R\u00fcckenmarksnerven, bis nach der Bauchh\u00f6hle hinunter, vorher zu l\u00f6sen haben. H\u00f6chst wahrscheinlich wird dann der factische Bestand \u00fcber diese Angelegenheit weit einfacher als bisher ausfallen.\nAuch von anderen, als den am Halse gelegenen Theilen des Sympathicus, will man auf die Herzbewegung direct gewirkt haben. Bisher aber ist eine darauf bez\u00fcgliche, gr\u00fcndliche Untersuchung nicht vorgenommen worden. Ich will nur erw\u00e4hnen, dass Henle *) durch Reizung des ersten Brustganglions beim Menschen und Bernard**) durch eine solche desselben Theils beim Hunde den Herzschlag beschleunigt haben wollen. Es ist mir aber keine weitere Verfolgung dieses Gegenstandes von anderer Seite her und namentlich auch keine weitere Analyse dieser Angaben bekannt geworden, welche es sich zum Zweck gesetzt h\u00e4tte, festzustellen, ob jene Beobachter es mit directen oder secund\u00e4ren Wirkungen zu thun hatten.\nWir kommen drittens zu der Frage, ob die Bewegungen des Herzens auch vom B\u00fcckenmark abh\u00e4ngen? Man kann diese Frage mit Ja beantworten; es handelt sich nur darum, den Sinn festzusetzen, in welchem dies zu nehmen ist. Die Einfl\u00fcsse, welche der eben erw\u00e4hnte Nerventheil auf die Herzbewegung aus\u00fcbt, sind in neuerer Zeit von v. B e z o 1 d ***) ausf\u00fchrlich studirt worden. Fr\u00fcher hatten schon Wilson Philipp und Magendie Vermehrung des Herzschlags und Erh\u00f6hung des Blutdrucks in der Carotis bei Reizung des R\u00fcckenmarks und der vorderen Wurzeln seiner Nerven beobachtet. Ihre Versuche aber waren nicht stets von Einw\u00fcrfen frei, indem dabei die Wirkungen des Vagus und Halssympa-thicus entweder gar nicht, oder nur sehr unvollkommen, eliminirt waren. Bei Kaninchen, welche v. Bezold mit kleinen Dosen von Curara vergiftet hatte, durchschnitt er die Nn. vagi und sympathici am Halse und beobachtete dann die Anzahl der Herzschl\u00e4ge und den Blutdruck in der\n*) Henle in seiner Zeitschrift. Neue Folge. Bd. II. S. 300.\n**) Bernard: Le\u00e7ons de physiologie experimentale, tome II. p. 436.\n***) v. Bezold : Untersuchungen \u00fcber die Innervation des Herzens.","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"207\nCarotis vor und nach Durchschneidung des Halsmarks, welche eij an verschiedenen Stellen, bis zum 5. Halswirbel, ausfiihrte, und, w\u00e4hrend der Reizung des unteren R\u00fcckenmarksstumpfes. Die Vergiftung mit Curara wurde desshalb vorgenommen, um die K\u00f6rpermuskeln zu l\u00e4hmen, damit bei den nachfolgenden Erregungen des R\u00fcckenmarks durch den zu gew\u00e4rtigenden Tetanus der Athem- und K\u00f6rpermuskeln keine St\u00f6rungen im Kreislauf und in der Herzaction auf indirectem Wege eintre-ten sollten. Die Durchschneidung des Vagus und Halssympathicus wurde noch ausgef\u00fchrt, weil es eine Erfahrung ist, dass Vergiftungen mit kleineren Dosen von Curara, welche die K\u00f6rpermuskeln bereits l\u00e4hmen , den Vagus noch intact lassen, indem eine zu dieser Zeit ausgef\u00fchrte electrische Erregung des Vagus, wie gew\u00f6hnlich, Herzstillstand erzeugt, w\u00e4hrend viel st\u00e4rkere Gaben dazu geh\u00f6ren, auch diesen Nerven vollst\u00e4ndig zu l\u00e4hmen. Unter diesen Umst\u00e4nden nun beobachtete v. \u00dfezold, dass nach der Trennung des R\u00fcckenmarks die Herzschl\u00e4ge schw\u00e4cher und seltener wurden, dass damit zugleich der Blutdruck in der Carotis abnahm und dass sich die gr\u00f6sseren Venen strotzend mit Blut f\u00fcllten. Reizte er dann den abw\u00e4rts vom Schnitt gelegenen Theil des R\u00fcckenmarks, so begann das Herz wieder rascher zu schlagen und der Blutdruck hob sich. Diese Erfahrungon deutete v. Bezold dahin, dass er annahm, das Herz erhalte vom R\u00fcckenmark Nerven, deren Erregung den Herzschlag beschleunige. Bei der Theilung des Halsmarks, so meinte er ferner, w\u00fcrde diesen Nerven von h\u00f6her gelegenen Stellen des Cerebrospinalsystems keine Anregung mehr zu Theil und darum Abnahme der Zahl der Herzschl\u00e4ge, bei k\u00fcnstlicher Reizung des unterhalb des Schnittes liegendes Theils des R\u00fcckenmarks f\u00e4nde wieder Erregung und somit auch Vermehrung der Pulsanzahl statt. Indess weisen die folgenden Erfahrungen *) auf einen anderen Grund dieser Erscheinung hin. Erzeugt man n\u00e4mlich einen vor\u00fcbergehenden Verschluss der Aorta und entleert man zugleich durch einen einmaligen Druck die Vena cava gegen das Herz hin, so treten die vorher beschriebenen Erscheinungen, Beschleunigung des Herzschlags und Erh\u00f6hung des Blutdrucks, gleichfalls ein. Man kann sich desshalb, in Erinnerung daran, dass Beobachtungen vorliegen, welche beweisen, dass durch die Erregung von R\u00fcckenmarksnerven die Lumina feiner Arterien verengt werden k\u00f6nnen, vorstellen, dass die Reizung des R\u00fcckenmarks mittelst Erregung der zu den kleinern Arterien gehenden Nerven einen Verschluss, oder mindestens sehr grossen Widerstand, in dem Ende der arteriellen Blutbahn\n*) Ludwig und Thiry : Ueber den Einfluss des Halsmarks auf den Blutstrom. Sitzungsberichte der Wiener Academie. Bd. XLIX. 1864.","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"- 208\nerzeuge, so dass das Herz sich nicht ergiebig genug entleeren kann und das in ihm sich anstauende Blut zur Vermehrung des Herzschlags reizt Ist diese Vorstellung richtig, dann muss die Reizung des Halsmarks, \u2022wie vorher, auch dann noch von demselben Erfolg begleitet sein; wenn man vorher alle zum Herzen gehenden Nerven sorgf\u00e4ltig zerst\u00f6rt. Dies ist nach Ludwig und Thiry, welche v. Bezold\u2019s Versuche in dieser Form wiederholt haben, wirklich der Fall. Der Einfluss des R\u00fcckenmarks auf die Herzbewegung ist also ein indirecter, mittelst einer Ge-fassverengerung erzeugter. Diese Erfahrungen fordern von einer anderen Seite her dazu auf, bei der Untersuchung des Einflusses des Halssympa-thicus auf die Herzbewegung die beobachteten Thatsachen sehr sorgf\u00e4ltig und allseitig zu zergliedern. Es k\u00f6nnte leicht sein, dass bei einer Reizung des Halssympathicus die die Gef\u00e4sse verengernden R\u00fcckenmarksfasern secund\u00e4r gereizt w\u00fcrden und dass somit die vielfach beobachtete, vorher beschriebene Vermehrung des Herzschlags bei Reizung des Halssympathicus ebenfalls keine directe w\u00e4re. So kennte sich m\u00f6glicherweise noch die Ansicht Derer best\u00e4tigen, welche gar keinen directen Einfluss des Halsympathicus auf die Herzbewegung annehmen.\nEndlich muss noch von der Wirkung der im Herzen selbst liegenden nerv\u00f6sen Theile, seinen Ganglien, gesprochen werden. Dieser Theil der Nervenphysiologie des Herzens ist zwar vielfach bearbeitet worden, aber das volle Verst\u00e4ndniss der hierher geh\u00f6rigen Erscheinungen ist noch nicht erreicht. Was den Schl\u00fcssen aus den Erscheinungen von vorn herein eine gewisse Unsicherheit aufdr\u00fcckt, ist der Umstand, dass es Herzformen giebt, die in ihrem Innern kein in besonderen Gebilden auftretendes, nerv\u00f6ses Erregungssystem besitzen und dennoch in abgemessenem Rhythmus schlagen. Hieher geh\u00f6rt vielleicht das Herz der Wirbelthiere in seinem embryonalen Zustande und wahrscheinlich das Herz vieler wirbelloser Thiere. Das des Flusskrebses *) ist anhaltend auf diesen Punkt erfolglos untersucht worden und doch zeigt es, zufolge besonders darauf gerichteter Versuche, aus dem K\u00f6rper herausgeschnitten und zweckm\u00e4ssig aufbewahrt, noch eine geraume Zeit Pulsationen **)\u25a0 Ich selbst habe solche am herausgeschnittenen Herzen des Hummer beobachtet, ohne Ganglien gefunden zu haben. Daher, sage ich, ist man nicht vollends sicher, wenn man alle Eigenth\u00fcmlichkeiten der Bewegungen des Herzens der Wirbelthiere, welches im ausgebildeten Zustand m\n*) B r a n d t : Physiologische Beobachtungen am Herzen des Flusskrebses. M\u00e9langes Biologiques tir\u00e9s du Bulletin de l\u2019academie de St. P\u00e9tersbourg. 20. April (1. Mai) 1865.\n**) B r a n d t : 1. c. S. 128.","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"209\nseinem Innern Ganglienzellen zeigt, auf diese ausschiesslich bezieht, abgesehen nat\u00fcrlich von denen, welche durch die bisher erw\u00e4hnten Theile- des Nervensystems bedingt sind. Gehen wir nun zur Darstellung der Ner-venanatomie des letzteren und der Erscheinungen \u00fcber, die man bisher auf dasselbe bezogen. Bis jetzt ist nur das Froschherz allein nach diesen Richtungen hin durchgearbeitet worden. F\u00fcr das Herz der S\u00e4ugethiere und des Menschen sind sowohl die anatomischen als physiologischen Verh\u00e4ltnisse nur mangelhaft studirt. Die Nervenanatomie des ersten ist am vollst\u00e4ndigsten in zwei Arbeiten von Bidder*) enthalten; ihnen ist bisher nichts Wesentliches zugef\u00fcgt worden. Unter Bezugnahme auf die beistehende Abbildung, welche die Vorhofsscheidewand ausgeschnitten und flach ausgebreitet bei massiger Vergr\u00f6sserung darstellt, gebe ich, jenen Untersuchungen folgend, vorerst eine Beschreibung des Herznervensystems des Frosches. Die Herz\u00e4ste v v der beiden Vagi laufen\n*) M\u00fcller\u2019s Archiv 1852. S. 03 und 1866. S. 1.\nEckhard, Nervenphysiologie.\n14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nanfangs den oberen Hohl venen entlang, treten hierauf in der N\u00e4he der Lungenvenen in die Herzsubstanz ein und bilden da, wo die Scheidewand gegen,den Hohlvenensinus hin festsitzt, einen mit zahlrei\u00e8hen Ganglien durchsetzten Nervenplexus a, innerhalb dessen ein Faseraustausch der beiden Vagi geschieht. Jenseits dieser Stelle verlaufen dann die Vagusfasern in zwei von einander getrennten Bahnen v v im Septum weiter. W\u00e4hrend dieses Verlaufes belegen sie sich an fast allen Stellen mit Ganglienzellen. Diese treten, bevor die Vagusfasern den Ventrikel erreichen, in der N\u00e4he des Endes der Scheidewand noch einmal, besonders reichlich an den mit b b bezeiclmeten Stellen, auf. Am Ventrikel sitzt das Septum mittelst zweier W\u00fclste fest, welche man schon bei Besichtigung mit dem blossen Auge als zwei weissliche Kn\u00f6tchen gewahrt. In ihnen sind die beiden Vagusz\u00fcge noch ein- und zwar zum letzten Male mit zwei reichlichen Ganglienhaufen c c belegt. Ueber diese Ganglien hinaus verschwinden die Vagusfasern sehr bald in der Substanz der Ventrikel ; sie lassen sich nicht mehr auf namhafte Strecken verfolgen ; auch begegnet man fernerhin keinen Ganglienzellen mehr. Diese von a bis inch b liegenden Ganglienzellen werden wir in der Folge als Vorhofsganglien von den bei c liegenden Atrioventricular gang-lien unterscheiden. Von den beiden Vagi, bevor sie zum Plexus bei a zusammentreten, und von diesem selbst gehen hier nicht gezeichnete, kleine, mit Ganglienzellen versehene Aestchen auf den Venensinus \u00fcber, und, w\u00e4hrend die Vagi auf der Scheidewand hinziehen, sieht man sie kleine Aestchen in die Substanz der Vorh\u00f6fe senden. Zu diesen That-sachen habe ich *) noch das Factum gef\u00fcgt, dass, w\u00e4hrend die Vagi noch an den beiden oberen Hohlvenen hinziehen, Nervenzellen an sie angelagert sind. Mir kam es vor, als ob sie an besonderen F\u00e4dchen des Vagus l\u00e4gen. Bidder meint, dass sie den Vagusst\u00e4mmen selbst angeh\u00f6ren. Wir brauchen auf diesen Punkt nicht n\u00e4her einzugehen, da er an und f\u00fcr sich unbedeutend ist.\nDie Erscheinungen, welche man mit diesen Nerventheilen in Zusammenhang gebracht hat, sind die folgenden. Die hierher geh\u00f6rigen Beobachtungen nehmen ihren Anfang mit den fast zu gleicher Zeit unternommenen Arbeiten von Stannius **) und Rosenberg***); sie\n*) Meine Beitr\u00e4ge. Bd. I. S. 149.\t*\n**) Stannius: Zwei Reihen physiologischer Versuche. Miiller\u2019s Archiv. 1852. S. 35.\n***) Rosenberg: de centris motuum cordis disquisitiones anatomico-physiolo-gicae. Dorpati 1850.","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 211 -\nsind sp\u00e4ter von mir *), H e i d e n h a i n **) und N a w r o c k i ***) fortgesetzt worden. Ich beabsichtige auch hier zun\u00e4chst eine Zusammenstellung des Thats\u00e4chlichen.\nWenn man zwischen Venensinus und Ventrikel quer um die Vorh\u00f6fe herum eine Ligatur legt, oder an dieser Stelle das Herz durch einen Schnitt theilt, so pulsirt das aus dem Venensinus und einem Theil der Vorh\u00f6fe bestehende St\u00fcck weiter, w\u00e4hrend das aus dem Ventrikel und dem Reste der Vorh\u00f6fe zusammengesetzte in Diastole alsbald zur Ruhe kommt. Ich habe den Schnitt immer der Ligatur vorgezogen, weil nach Ausf\u00fchrung des ersteren auf die Dauer kein wesentlicher Reiz mehr f\u00fcr die von einander getrennten Herztheile besteht, was bei der Anwendung der Ligatur nicht so ohne Weiteres angenommen werden darf. Die in Erschlaffung verharrenden Theile f\u00fchren auf jeden, selbst den geringf\u00fcgigsten, Reiz eine einmalige Pulsation aus, verhalten sich also genau so, wie ein durch Vagusreizung oder Temperaturerh\u00f6hung, s. S. 200, zum Stillstand gebrachtes, ganzes Herz. Auch hier pulsirt, wie dort, der unmittelbar gereizte Ilerztheil zuerst und der andere folgt nach ; man hat es ganz in seiner Gewalt, den Ventrikel oder die Vorhofsreste zuerst pulsiren zu lassen. Der auf die angegebene Weise durch Quer-theilung des Herzens erzeugte Stillstand des Ventrikels und der anh\u00e4ngenden Vorhofstheile ist von verschiedener Dauer; es giebt F\u00e4lle, bei denen er nur wenige Minuten anh\u00e4lt, andere, in denen er eine halbe bis eine ganze Stunde dauert, und endlich noch andere, in denen das Herz nie wieder zu Pulsationen erwacht. Es handelt sich darum, den Umst\u00e4nden n\u00e4her nachzugehen, welche diese verschiedenen Erfolge bsdingen. Die Erfahrung lehrt, dass der Stillstand um so l\u00e4nger dauert, eine je gr\u00f6ssere Menge der Vorhofsganglien ausser Wirksamkeit gesetzt wird; d. h. also, je n\u00e4her der Atrioventriculargrenze der Schnitt angelegt wird, und je sorgf\u00e4ltiger man die ruhenden Herztheile vor \u00e4ussex-en Reizen sch\u00fctzt. Dabei ist jedoch die n\u00e4chste N\u00e4he der Atrioventriculargrenze und diese selbst \u00e4ngstlich zu vermeiden, denn ein Schnitt in dieselbe oder in allzugrosser N\u00e4he und zwar der Art, dass dabei die Atrioventricular-ganglicn eine mechanische Reizung erfahren, ruft l\u00e4ngere Zeit andauernde Pulsationen des Ventrikels hervor. Man kann sich davon am besten auf die Weise \u00fcberzeugen, dass man sich vorerst durch einen etwas fern von der Atrioventriculargrenze angelegten Schnitt Diastole des Ventrikels \u25a0----------------\u2014\u2014 \u2713\n*) Meine Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Physiologie. Bd. I. S. 145. Bd. II. S. 123. Bd. III. S. 125.\n**) M\u00fcl let\u2019s Archiv. 1858. S. 479.\n***) Nawrocki in Heidenhain\u2019s Studien des physiologischen Instituts in Breslau. S. 111.\t<\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nerzeugt und hierauf einen der W\u00fclste zerdr\u00fcckt, in denen die .Atrioven-tricularganglien liegen; sofort wird man den Ventrikel eine ganze Reihe von Pulsationen machen sehen, die unter Umst\u00e4nden eine halbe Stunde andauern k\u00f6nnen. Da die erschlafften Herztheile auf verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr geringf\u00fcgige Reize, wie z. B. schwache Eindr\u00fccke mit einer Nadelspitze, schon in Pulsation verfallen, so ist es nicht ganz leicht, dieselben vor solchen zu bewahren. Es wird die Annahme nicht von der Hand zu weisen sein, dass in diesen Theilen einzelne Oontractionen entstehen k\u00f6nnen in Folge von Ursachen, welche sich dem Beobachter nicht sofort pr\u00e4sentiren; S\u00e4urebildung w\u00e4hrend des Absterbens, Zerrungen durch Entstehung von Blutgerinseln etc. k\u00f6nnen hierher gez\u00e4hlt werden. Man wird desshalb auch in der Beurtheilung der Ursachen einzelner Pulsationen, welche die abgetrennten, in Ruhe verharrenden Herztheile zeigen, vorsichtig sein m\u00fcssen. Diese auf Reize entstehenden Bewegungen sind in derselben Weise ausl\u00f6sbar, gleichgiltig, ob an dem Ventrikel die Atrioventricularganglien noch vorhanden, oder ausgeschnitten sind. Bis jetzt sind weitere Ganglien im Herzen nicht entdeckt worden, so dass wir also hier auf Reize entstehenden Pulsationen ganglienloser Herztheile begegnen. Man kann sogar zweifelhaft sein, ob \u00fcberhaupt Nerven in solchen Vcntrikeltheilen vorhanden sind. Als letzte Erscheinung muss noch die erw\u00e4hnt werden, dass Ventrikel, sei es, dass sie ihrer Atrioventricularganglien beraubt sind, oder nicht, im Kreise con-stanter Ketten eine Reihe von Pulsationen ausf\u00fchren. Ich schliesse, um die wesentlichen Thatsachen \u00fcber die Herzbewegungen zusammen zu haben, hier noch einige Beobachtungen \u00fcber die Bewegungen des embryonalen Herzens nach eigenen Erfahrungen an. Was die anatomische Structur der embryonalen Herzen anlangt, so hat man bisher allgemein angenommen, dass dieselben aus Zellen \u25a0 best\u00fcnden, denen man Contractilit\u00e4t zuschrieb. Ich habe bei meinen Pr\u00fcfungen nicht finden k\u00f6nnen,' dass diese Annahme richtig sei. Auf keine WTeise gelang es mir, selbstst\u00e4ndige Zellen darzustellen. Ich finde in den ersten, sich bereits selbstst\u00e4ndig bewegenden Herzanlagen von H\u00fchnerembryonen eine grosse Anzahl bl\u00e4schenf\u00f6rmiger Kerne, welche in einer starkk\u00f6rnigen protoplasmaartigen Zwischonsubstanz liegen. Die letztere f\u00fchrt die Con-tractionen aus, die Kerne werden als tr\u00e4ge, ihre Form nicht \u00e4ndernde Massen nur passiv verschoben. Diese contractile Substanz verwandelt sieh nach und nach in Muskelfasern, wobei, wie es scheint, die R\u00e4nder der Kerne als Ausgarigspunkte dienen *). Nervenfasern sind auf diesem\n*) Ich werde diese Verh\u00e4ltnisse, sowie einige auf die Bewegungen des embryonalen Herzens bez\u00fcgliche Untersuchungen demn\u00e4chst in einer besonderen Abhandlung ausf\u00fchrlicher publiciren.","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"213\nStadium der Entwickelung nicht zu erkennen; man darf aber nicht daraus schliessen, dass solche nicht vorhanden seien. Ebensogut als die aller quergestreiften Fasern baare, formlose, contractile Substanz die Ph\u00e4nomene der Contraction in einer Bestimmtheit zeigt, wie die quergestreifte baser sie \u00fcberhaupt nur zeigen kann, w\u00e4re es auch m\u00f6glich, dass die erstere ihre Anregung zur Bewegung von einer Nervensubstanz erhielte, welche noch nicht in der bestimmt ausgepr\u00e4gten Form der Nervenzellen auftritt. Das Experimentiren an den fr\u00fchen Herzformen ist mit vielen Schwierig-keiten verbunden ; doch besitze ich einige befriedigende Beobachtungen' an den Herzen von drei Tage alten Embryonen. Bei solchen, die 8\t10\nTage alt sind, l\u00e4sst sich die folgende Beobachtung machen, welche in vieler Beziehung an eine analoge, beim Froschherzen gemachte, erinnert. Durchschneidet man n\u00e4mlich das Herz innerhalb eines warmen Raumes zu einer Zeit, wo es seine Pulsationen noch nicht eingeb\u00fcsst hat, zwischen den Vorh\u00f6fen und Ventrikeln, so stehen die letzteren still, w\u00e4hrend die ersteren noch fortschlagen. Es ist dabei selbstverst\u00e4ndlich, dass die Temperatur nicht so tief gesunken sei, dass dabei die Vorh\u00f6fe \u00fcberhaupt nicht mehr fortschlagen k\u00f6nnen. Ich w\u00e4hle gew\u00f6hnlich zu diesen \\ ersuchen 30\u201434\u00b0 C. Die Ventrikel aber kann man wieder zu selbstst\u00e4ndigen Pulsationen veranlassen, sobald man sie bis zu 41\u201442\u00b0 C. erw\u00e4rmt. Verbringung derselben in eine Temperatur von c. 30\u00b0 oder darunter hat wieder Ruhe zur Folge. Und so kann man durch Abwechselung mit den Temperaturen die Kammern bald in Ruhe, bald in Bewegung versetzen. Die Vorh\u00f6fe schlagen in den hohem Temperaturen f\u00fcr gewisse Zeiten schneller; bei niederen, als der Brutw\u00e4rme, pflegen sie gleichfalls bald still zu stehen, aber ihre Bewegungen lassen sich schon bei viel geringem Temperaturen anfachen, als es f\u00fcr die durch Quertheilung des Herzens in Ruhe gesetzten Kammern der Fall ist. Ich habe diese Beobachtungen sogar an Embryonen von 3 Tagen gemacht. Indem wir uns vorerst jeder weitem Betrachtung \u00fcber die Ursachen dieses Verhaltens enthalten, heben wir noch einmal das Resultat dieser Beobachtungen hervor, dass hier f\u00fcr das embryonale Herz die Quertheilung auch Ventrikelstillstand zur Folge hat, w\u00e4hrend die Vorh\u00f6fe unter dem Einfluss der normalen Brutw\u00e4rme ihre Bewegung noch je nach Umst\u00e4nden l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit fortsetzen. Hiermit schliessen sich die haupts\u00e4chlichsten Facta \u00fcber die Herzbewegung, insofern diese mit dem Nervenleben zusammenh\u00e4ngt, oder damit zusammenh\u00e4ngend gedacht wird, ab ; einige andere werden noch bei den theoretischen Betrachtungen mit-getheilt werden, zu denen wir nun \u00fcbergehen. Zun\u00e4chst wird die Frage zu erheben sein, welches die Ursache der Herzbewegung ist. Die Antwort auf dieselbe wird von verschiedenen Physiologen in von einander","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nabweichenden Arten gegeben. Wir wollen versuchen, die verschiedenen Nuan\u00e7en hervortreten zu lassen. Eine erste Hypothese, deren Hauptvertreter Schiff ist, und welche in ihren Grundz\u00fcgen auch von Moleschott und Budge angenommen wird, nimmt f\u00fcr die Anregung zur Herzbewegung eine doppelte Quelle an : das verl\u00e4ngerte Mark und die anatomischen Verh\u00e4tnisse des Herzens. Beide erregen den Nervus vagus und zwar werden ihre Bedeutungen specieller auf folgende Art erl\u00e4utert Die Herznerven werden normal an zwei verschiedenen Punkten erregt, n\u00e4mlich: zun\u00e4chst innerhalb der Herzsubstanz, also gegen ihr Ende hin, und sodann im verl\u00e4ngerten Mark, d. h. in ihrem Ursprung. Die Reizung derselben an einer oder beiden Stellen bedingt die geringere oder gr\u00f6ssere Schnelligkeit des Herzschlags. Die letztere Erregung ist als solche verst\u00e4ndlich, da uns die allt\u00e4gliche Erfahrung belehrt, wie Centralorgane ihre Nerven innerviren *), die erstere dagegen ist bei den Ausdr\u00fccken, welche bisher angewandt wurden, um sie begreiflich zu machen, nicht durchsichtig genug; denn es muss ausdr\u00fccklich hervorgehoben werden, dass die in Rede stehende Theorie eine etwaige Innervation der Herznerven durch die im Herzen vorhandenen Ganglienzellen nicht annimmt. Von den im Herzen geschehenen Erlegungen der Vagusenden wird die normale Herzbewegung in folgender Weise abh\u00e4ngig gedacht. Das Blut erregt die Nervenenden in dem Vorhofe, die Folge davon ist Zusammenziehung dieses Herztheils. Beim Einstr\u00f6men des Blutes in die Kammer ereignet sich hier dasselbe, w\u00e4hrend die Vorhofsnerven in Folge ihrer Erregung in einen Zustand der Ersch\u00f6pfung verfallen, aus welchem sie sich erst w\u00e4hrend der Diastole des Vorhofs wieder erholen, um bei einer Anregung durch das Blut eine neue Contraction einzuleiten etc. Ich nenne diese Vorstellung, welche sich von einer fr\u00fcher von Haller gegebenen, aber aus mancherlei Gr\u00fcnden verlassenen nur dadurch unterscheidet, dass sie die Reize auf die Nervenenden wirken l\u00e4sst, w\u00e4hrend Haller sich mit der irritabeln Muskelsubstanz begn\u00fcgte, nicht durchsichtig genug, weil sie von mancherlei Eigenth\u00fcmlichkeiten, welche bei der Herzbewegung Vorkommen, keine gen\u00fcgende Rechenschaft giebt **). Es hat zwar Schiff den Versuch gemacht, eine Anzahl von Bedenken zu heben, welche sich dieser Theorie entgegenstellen,\n*) Hier an Ort und Stelle \u25a0verfolgen wir ira Augenblick nicht weiter, wie sich Schiff das Yerh\u00e4ltniss des erregten Vagus zum Herzen denkt; wir nehmen hernach diesen Punkt besonders vor.\n**) Man findet das N\u00e4here dieser Theorie in einem Artikel von Schiff: Ueber den Modus der Herzbewegung. Archiv f\u00fcr physiologische Heilkunde, herausg. von Vierordt. IX. Jahrg. S. 22. ff. und 220 ff.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"215\naber, wie es mir scheint, sind die angezogenen Beweise nicht solid genug ; denn sie befriedigen nur scheinbar *). Ich will dem Leser die wichtigsten Momente, welche mir der Annahme dieser Lehre im Wege zu stehen scheinen, vorf\u00fchren und es seinem eignen Nachdenken \u00fcberlassen, inwieweit er sich durch S chiff\u2019s Er\u00f6rterungen, welche am angezogenen Orte und an manchen anderen Stellen **) seiner Schriften zu finden sind, f\u00fcr diese Lehre gewinnen lassen kann. Auf folgende Punkte m\u00f6chte ich die Aufmerksamkeit lenken : a) In Bezug auf die physischen Eigenschaften der Vagusenden werden Voraussetzungen gemacht, welche nur aus der Anh\u00e4nglichkeit an die zu beweisende Theorie zu rechtfertigen sind und kein Analogon im ganzen Gebiete des Nervenlebens haben. Ich meine damit den Umstand, dass das normale Blut hier als Reizmittel f\u00fcr motorische Nerven gelten muss, und da es sonst dies niemals ist, eine so \u00fcberaus grosse Erregbarkeit f\u00fcr die Vagusenden angenommen wird, wie sie von keinem motorischen Nerven gekannt ist. Nicht minder anst\u00f6ssig ist die gleichfalls hier vorausgesetzte so grosse Ersch\u00f6pfbarkeit dieses Nerven, dass derelbe, nur einmal in so geringem Grade angeregt, dass eine einzige Muskelzusammenziehung folgt, sofort bis zur Unth\u00e4-tigkeit ersch\u00f6pft sei. Man w\u00fcrde sich befriedigen k\u00f6nnen, wenn sich diese leichte Erregbarkeit und die ebenso grosse Ersch\u00f6pfbarkeit des Nerven direct beweisen Hessen; dann w\u00fcrde man beide Eigenschaften als die Vagusenden von allen anderen motorischen Nerven unterscheidende hinnehmen. Wie aber die Sachen hier stehen, wo einer Theorie zu Liebe Merkmale vorausgesetzt werden, die ihres Gleichen nicht haben, muss es uns eine wissenschaftliche Pflicht sein, diese Voraussetzungen mit Misstrauen zu betrachten und jeden weitern, zur Negirung dieser Lehre vorgebrachten Grund nachdr\u00fccklich auf uns wirken zu lassen. Ueberdies fehlt es jenen, den Vagusenden zugeschriebenen Eigenschaften um so mehr an \u00fcberzeugender Kraft, als Alles das, was sonst \u00fcber die Physik- dieses Nerven bekannt ist, durchweg daf\u00fcr spricht, dass seine Molekularstructur und die davon abh\u00e4ngige Erregbarkeit keine Besonderheiten zeigen, b) Gewisse Erscheinungen der Herzbewegung sind aus dieser Theorie nicht begreiflich. Es ist bekannt, dass das aus dem K\u00f6rper herausgeschnittene Froschherz bei der Quertheilung durch die Vorh\u00f6fe in zwei Abtheilungen zerf\u00e4llt, von denen die eine fortpulsirt, die andere stillsteht. Zweierlei h\u00e4lt mir schwer einzusehen. Zuerst\n*) Rio fr\u00fchere Haller\u2019sohe Ansicht ist treffend von Volk mann: Die Haemo-dynamik nach Versuchen- S. 369 ff. widerlegt worden. Auch f\u00fcr die Beurtheilung der gegenw\u00e4rtigen Theorie ist diese Arbeit wichtig.\n**) z. B. Jenaische Annalen. II. Bd. S. 315.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nbegreife ich nicht die fortbestehenden, rhythmischen Pulsationen des den ven\u00f6sen Sinus enthaltenden St\u00fcckes. Nach wenigen Schl\u00e4gen ist keine nachweisliche Menge von Blut mehr in dem Herzen, und dennoch gleichen die nachfolgenden Bewegungen bez\u00fcglich des Rhythmus und der Kr\u00e4ftigkeit noch f\u00fcr lange Zeit den ersten. Man kann sogar, falls man den Sinus und seine n\u00e4chste Umgebung schont, die Blutreste auspinseln, ohne namhafte Ver\u00e4nderungen und St\u00f6rungen in den Bewegungen anzurichten. Eben so unverst\u00e4ndlich ist mir der verschiedene Erfolg, welchen ein Querschnitt durch das Herz je nach der Stelle hat, wo man denselben anlegt; durch die Mitte der Vorh\u00f6fe denselben gef\u00fchrt, beobachtet man Stillstand des Ventrikels, in der Atrioventricularfurche angebracht, sieht man den Ventrikel sich noch f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit bewegen. Wenn auf dem Wege von dem einen Punkt bis zum anderen die Ventrikelnerven ohne einen physiologischen Zusatz verlaufen, ist diese Erscheinung aus der Theorie, welche wir eben kritisiren, nicht verst\u00e4ndlich. Andrerseits bleibt der Ventrikel mit den ihm zugeh\u00f6rigen Vorhofsresten in Ruhe. Diese St\u00fccke enthalten doch auch Blut. Ich verstehe nicht, wesshalb hier dieses nicht als Reiz wirken soll. Diese letzteren Einwendungen mache ich jedoch nur mit dem Vorbehalt, dass die Theorie, die wir hier bek\u00e4mpfen, wirklich das Blut als den Nervenreiz betrachtet. Zu dieser Bemerkung f\u00fchle ich mich desshalb gedrungen, weil ich bei ihren Urhebern den Ausdruck finde, dass der Typus der Herzbewegung in den merkw\u00fcrdigen anatomischen Verh\u00e4ltnissen des Herzens selbst liege, und es m\u00f6glich w\u00e4re, dass als Reiz der Herznerven noch ein anderes Moment genommen wird, welches in den bez\u00fcglichen Schriften nicht hinl\u00e4nglich betont worden w\u00e4re, c) Um den Typus der Herzbewegung zu erkl\u00e4ren, werden anatomische Anordnungen der Herznerven vorausgesetzt, welche durchaus nicht bewiesen sind. Die Nerven des Ventrikels ziehen durch den Vorhof. Man fragt sich also, wesshalb werden sie nicht mit dem Vorhofsnerven zu gleicher Zeit erregt und wesshalb zieht sich zuerst der Vorhof und der Ventrikel nachtr\u00e4glich zusammen ? Um diese Frage zu beantworten, muss man annehmen, dass sich die Ventrikelnerven w\u00e4hrend ihres Verlaufes durch den Vorhof unter f\u00fcr die Reizung ung\u00fcnstigem Verh\u00e4ltnissen als die Vorhofsnerven selbst befinden, also etwa in dickem Scheiden liegen, oder tiefer in die Muskelsubstanz eingebettet sind. Mit Sicherheit aber hat die Anatomie der Herznerven bisher der Art Nichts aufgedeckt. Im Gegentheil k\u00f6nnte die Unbefangenheit meinen, dass die auf der d\u00fcnnen Scheidewand verlaufenden Nerven f\u00fcr den Reiz durch das Blut viel zug\u00e4nglicher, oder doch mindestens eben so zug\u00e4nglich sind, als die in der Muskelsubstanz der Vorh\u00f6fe selbst gelegenen Vorhofsnerven. Wir begn\u00fcgen uns hier mit den angezogenen","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"217\nGr\u00fcnden, da wir der Meinung sind, dass f\u00fcr Denjenigen, an welchem diese Bedenken gewichtslos vor\u00fcbergehen, \u00fcberhaupt keine gehaltvolleren zu geben sind.\nDamit erw\u00e4chst nun f\u00fcr uns die Aufgabe, die wahren Ursachen der Herzbewegung in anderen Gebilden, zu suchen. Dreierlei bleibt f\u00fcr die Pr\u00fcfung \u00fcbrig, n\u00e4mlich : entweder die Ganglien in Betracht zu ziehen, deren Existenz im Herzen hinl\u00e4nglich bewiesen ist und von denen \u00fcberdies die Physiologie bei vielen physiologischen Vorg\u00e4ngen die Ueber-zeugung von besonderen ihnen zukommenden Leistungen gewonnen hat, oder die Herzsubstanz als eine besondere Form contractiler Gebilde anzusehen und zu versuchen, ihre besonderen Eigenschaften zu studiren und daraus die Herzbewegung mit ihren Eigcnth\u00fcmlichkeiten abzuleiten, oder endlich drittens die Herzcontractioncn als durch Ganglien vermittelt zu betrachten, welche einen Muskel beherrschen, der nicht in Form und Leistung einem gew\u00f6hnlichen Skeletmuskel zu vergleichen ist.\nAus den gegenw\u00e4rtig bekannten Thatsachen scheint man folgern zu m\u00fcssen, dass man es hier mit einer besonderen Art contractiler Masse zu thun habe, welche durch die Einfl\u00fcsse von Ganglien beherrscht wird; denn nur unter dieser Annahme kann man s\u00e4mmtliche Bewegungserscheinungen des Herzens verstehen. Im Herzen einen gew\u00f6hnlichen, quergestreiften Muskel zu sehen, welcher unter der Herrschaft von Ganglien steht, diese Vorstellung erl\u00e4utert die folgenden Erfahrungen nicht, a) Es wurde bereits bei der Aufz\u00e4hlung der die Herzbewegung betreffenden Thatsachen erw\u00e4hnt, dass Ventrikelst\u00fccke, in denen die microscopische Anatomie durchaus keine Ganglien nachzuweisen vermag, auf verh\u00e4lt-nissm\u00e4ssig unbedeutende mechanische Reize nicht durch eine locale Zusammenziehung, sondern durch eine Pulsation antworten. Ich kann jetzt hier hinzuf\u00fcgen, dass dieselbe Beobachtung auch an ganglienlosen St\u00fccken der Vorh\u00f6fe vom Schildkr\u00f6tenherzen gemacht worden ist. Die Form der Zusammenziehung k\u00f6nnte allenfalls aus der anatomischen Anordnung der das Herz zusammensetzenden Fasern begriffen werden, aber dass hier die Contraction auf so wenig intensive Reize erfolgt, ist eine dem gew\u00f6hnlichen quergestreiften Muskel fremde Erscheinung. Man hat wohl versucht, zu sagen, dass diese Bewegungen sich unter der Wirkung von Ganglien aus-l\u00f6ssten, und dass, wenn auch diese zur Zeit noch nicht bekannt w\u00e4ren, sie sicher noch gefunden werden w\u00fcrden, um auf diese Weise der Herzmuscu-latur als solcher m\u00f6glichst wenige, oder gar keine Besonderheiten zukommen zulassen. Ich kann diese Ansicht nicht zu der meinigen machen.' Im Gebiete der Physiologie kann es bis jetzt nicht als ein allgemein bewiesener Grundsatz gelten, dass Bewegungen, welche nicht den einfachen Reizungsph\u00e4nomenen gleichen, sondern den Character automatischer, oder,","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nwie im gegenw\u00e4rtigen Falle, den reflectorischer Erscheinungen zeigen, noth wendig durch Ganglien erzeugt w\u00fcrden; denn die Flimmer- und Sareodebewegung sprechen dagegen. Darum ist es auch zur Zeit nicht gerechtfertigt, die in Rede stehenden Herzbewegungen eigensinnig auf Ganglien zu beziehen, so lange die Existenz solcher nicht bewiesen ist. Das methodische Suchen nach Wahrheit darf sich nicht in einseitigen Voraussetzungen verrennen, sondern muss sich den Blick f\u00fcr verschiedene M\u00f6glichkeiten offen halten und den Ergebnissen der Forschung auf jeder Stufe der Erkenntniss geb\u00fchrende Rechnung tragen. Von diesem Grundsatz aus verlangt auch das Nichtnachgewiesensein von Ganglien seine Beachtung, b) Ebenso unverst\u00e4ndlich bleiben die mehrfachen Pulsationen, welche ganglienlose Ventrikelst\u00fccke im Kreise con-stanter Str\u00f6me zeigen, der Wechsel von Systole und Diastole unter dem Einfl\u00fcsse dieses Reizes ist nicht mit dem Verhalten der \u00fcbrigen Formen quergestreifter Muskelfasern, gegen\u00fcber derselben Reizungsart, in Ueber-einstimmung, wenn auch die Zusammenziehung \u00fcberhaupt verst\u00e4ndlich gemacht werden k\u00f6nnte. Aus diesen beiden Gr\u00fcnden erblicke ich bis auf Weiteres im Herzmuskel eine besondere Art contractiler Substanz, welche sich zur Zeit noch nicht hinl\u00e4nglich scharf definiren lassen mag, welche aber ohne Zweifel durch das angezogene Verhalten ihre excep-tionelle Stellung ank\u00fcndigt. Aber es m\u00f6gen der Herzmusculatur Eigen-th\u00fcmlichkeiten der verschiedensten Art zukommen, soviel steht ferner fest, dass wir sie uns unter dem Einfl\u00fcsse von Bildungen stehend zu denken haben, welche den Charakter nerv\u00f6ser Centralorgane tragen und als welche wir in Uebereinstimmung mit allgemeinen physiologischen Erkenntnissen gewisse Ganglien des Herzens zu betrachten haben. Es ist das Verdienst Volkmann\u2019s *), zuerst auf diesen Punkt aufmerksam gemacht zu haben ; die sp\u00e4tem, oben mitgetheilten Wahrnehmungen \u00fcber die Erfolge der Quertheilung des Herzens gaben dieser Lehre noch eine vollendetere Begr\u00fcndung. Versuchen wir nun in K\u00fcrze die Ueberle-gungen durchzumachen, welche den Ganglien eine bedeutende Rolle bei der Herzbewegung sichern. Zun\u00e4chst dr\u00e4ngt die den Zwecken des Blutstromes entsprechende Bewegung des Herzens zur Annahme eines regulatorischen Apparates. Man k\u00f6nnte zwar sagen, dass der eigenth\u00fcmliche Lauf des Blutes durch das Herz dessen zweckm\u00e4ssige Bewegung unmittelbar mit sich f\u00fchre, dass also die Existenz eines die Herzbewegung regulirenden Apparates vollst\u00e4ndig \u00fcberfl\u00fcssig sei; allein in dieser Vorstellung liegt wenig Befriedigung; denn sie erl\u00e4utert nicht die Entstehung des ersten Herzschlags und hat ausserdem die Bedenken gegen\n*) Volkmann\u2019s Haemodynamik S. 377 ff.","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"219\nsich, welche auf S. 215 dagegen vorgebracht wurden, dass die Herzbewegung lediglich durch eine von Seiten des Blutes auf die Herznerven ausge\u00fcbte Reizung erzeugt werde. Also schon aus diesem Grunde empfiehlt sich die Annahme einer im Herzen liegenden, von seiner Muskelsubstanz getrennten, besonderen Einrichtung. Da nun weiter h\u00e4ufig erfahrungsgem\u00e4ss rhythmisch geschehende Bewegungen, wie z B. die Athembewegungen, an das Vorhandensein von Nerventheilen gekn\u00fcpft sind, in denen wir Ganglienzellen als ein Hauptelement finden, und da die Anatomie des Herzens uns zahlreiche Ganglienzellen im Herzmuskel kennen gelehrt hat, so werden wir die Herzbewegungen, f\u00fcr welche wir eines regulirenden Mechanismus bed\u00fcrfen, in manchen ihrer Eigent\u00fcmlichkeiten als durch die Herzganglien hergestellt ansehen d\u00fcrfen. Durch Erinnerung an die oben mitgetheilten Thatsachen und eine weitere Besprechung derselben l\u00e4sst sich diese Schlussfolgerung nun noch weiter begr\u00fcnden und zur Gewissheit erheben. Wir f\u00fchren dies in folgender Weise aus. Die Quertheilung des Herzens durch die Mitte der Vorh\u00f6fe setzt bekanntlich das den Ventrikel enthaltende St\u00fcck zur Ruhe, w\u00e4hrend der mit dem Sinus verbundene Theil fortpulsirt. Diese Thatsache hat man in verschiedener Weise aufgefasst. Heidenhain nimmt als Ursache des Stillstandes die mechanische Reizung an, in welche die beiden Nn. vagi durch den Schnitt oder die Ligatur versetzt w\u00fcrden, und beruft sich dabei auf die Beobachtung, dass jener Stillstand nur vor\u00fcbergehend sei; ich bin mit Bidder und Andern der Ansicht, dass man als Grund f\u00fcr jene Ruhe die Entfernung eines automatischen Erregungsorganes betrachten m\u00fcsse, welches in n\u00e4chster N\u00e4he des Sinus liege und im Allgemeinen in den Vorhofsganglien bestehe. Ich l\u00e4ugne dabei nicht die Beobachtung H e i d e n h a i n\u2019s, dass sich die nach einer Quertheilung des Herzens in den erw\u00e4hnten Theilen auftretende diastolische Ruhe l\u00f6sen k\u00f6nne, aber eine vorurtheilsfreie Pr\u00fcfung aller hierhergeh\u00f6rigen Erscheinungen h\u00e4lt mich doch ab, die Ansicht zu adoptiren, dass die mechanische Vagusreizung den Stillstand des Ventrikels mit seinen Vorhofsresten bedinge. Ich mache in dieser Beziehung auf folgende Umst\u00e4nde aufmerksam. Zuerst ist bekannt, dass auf den Vagus am Halse schon ziemlich heftige Reize wirken m\u00fcssen, wenn Stillstand des Herzens erfolgen soll, so dass z. B. mittelst des Tetanomotors nicht allgemein und leicht ein solcher zu erhalten ist ; es ist daher wenig befriedigend, anzunehmen, dass man durch einen einzelnen Schnitt, welcher die beiden Vagi fast nur momentan reizt, Stunden lange oder f\u00fcr immer andauernde Diastole soll erzeugen k\u00f6nnen. Man kann sagen, dass alle mechanischen Reize, wenn dieselben unmittelbar Centralorgane treffen, wirksamer sind, als wenn sie auf peripherische Nervenst\u00e4mme angewendet","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nwerden, und bei der Quertheilung des Herzens sei ersteres der Fall. Aber Differenzen, wie sie hier Vorkommen, wo also eine einfache Durchschneidung des Vagus so gut wie gar keinen Einfluss auf die Herzbewegung aus\u00fcbt, dagegen die Abtrennung des Sinus mit einem Theil der Vorh\u00f6fe langen, selbst ewigen Stillstand erzeugt, sind doch zu auffallend, als dass man den oben gemachten Einwand f\u00fcr besonders gewichtig halten sollte. Hierzu kommt, dass, wenn man die quere Theilung des Herzens in der Atrioventricularfurche oder dem ersten grossen Ganglienhaufen ausf\u00fchrt, in welchem die beiden Herz\u00e4ste der Vagi Zusammentreffen, kein Stillstand erzeugt wird, trotz dem, dass sich die erw\u00e4hnten Nerven hier in denselben Beziehungen zu Ganglien finden, wie an den anderen Stellen ihres Verlaufs durch die Vorh\u00f6fe. Endlich ist auch das Wiederauftreten von Pulsationen am abgetrennten Ventrikel durchaus keine constant wiederkehrende Erscheinung und wird um so seltener beobachtet, je vollst\u00e4ndiger der erste, grosse Ganglienhaufen des Herzens entfernt ist, je sorgsamer durch den Schnitt Zerrungen der beiden Atrio-ventricularganglien vermieden werden, und je sorgf\u00e4ltiger man die abgetrennten Theile vor \u00e4usseren Reizen sch\u00fctzt. Den letzteren dieser Umst\u00e4nde betone ich desshalb, um daran die Bemerkung zu kn\u00fcpfen, dass, wenn ich den in der N\u00e4he des Sinus liegenden grossen Ganglienhaufen als automatisches Erregungsorgan f\u00fcr die Herzbewegung ansehe, ich unter der letzteren nur die normale, unter denjenigen Bedingungen geschehende verstehe, welche im lebendigen K\u00f6rper oder in Zust\u00e4nden herrschen, die denen des vollkommnen Lebens m\u00f6glichst gleich kommen, und dass ich nicht in Abrede stelle, dass auch die \u00fcbrigen Ganglien des Herzens unter gewissen Bedingungen dauernde Pulsationen erzeugen, und dass, wenn man Lust hat, solche als automatische bezeichnet werden k\u00f6nnen. F\u00fcr das Froschherz wurde schon mehrfach erw\u00e4hnt, dass man den durch Quertheilung des Herzens entstandenen Stillstand des Ventrikels durch eine mechanische Reizung seiner Atrioventriculargang-lien l\u00f6sen k\u00f6nne, und f\u00fcr das embryonale Vogelherz habe ich gezeigt, dass die auf dieselbe Art zur Ruhe gebrachten Ventrikel sich wieder f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit bewegen, wenn man sie einer Temperatur von c. 40\u00b0 C. aussetzt. Der Begriff automatisch ist \u00fcberhaupt ein unbestimmter und wird vorzugsweise nur da angewandt, wo wir ein nerv\u00f6ses Centralorgan unter Bedingungen arbeiten sehen, welche nicht einfach und deutlich genug zu Tage liegen, um in physische Zust\u00e4nde bezeichnenden Worten ausgedr\u00fcckt zu werden, da, wo eine Bewegung sich nicht sofort als einfache Reizbewegung, oder als reflectorischc ank\u00fcndigt. Es kn\u00fcpfen sich an diesen Gegenstand noch zwei andere Fragen an, n\u00e4mlich, ob die Bewegungen der obern Hohlvenen auch von den erw\u00e4hnten Gang-","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"221\nHeuhaufen abh\u00e4ngen, und wie weit das automatische Erregungsorgan f\u00fcr die Vorh\u00f6fe und den Ventrikel in die ersteren hineinreiche. Bez\u00fcglich der Pulsationen der oberen Hohlvenen habe ich schon fr\u00fcher *), gezeigt, dass mit der Abtrennung der venae cavae superiores an ihren M\u00fcndungsstellen in den ven\u00f6sen Sinus ihre Bewegungen nicht erl\u00f6schen. Ueber die Ursachen dieser Bewegungen ist nicht gut weiter zu experiinentiren, aber man kann, im Anschluss an die vorige \u00dfetrachtungsart, als solche die wenigen Ganglienzellen nehmen, welche ich in den W\u00e4nden der oberen Hohlvenen nachgewiesen habe. Was die Ausdehnung des automatischen Erregungsorganes nach der Richtung gegen die Vorh\u00f6fe hin anlangt, so kann man dieselbe nicht sehr sicher bestimmen. Das scheint mir jedoch fest zu stehen, dass nicht alle in der Scheidewand zwischen den Vorh\u00f6fen gelegene Ganglien zur Erzeugung der normalen Herzbewegung nothwendig sind, da ich viele Beobachtungen \u00fcber Querthei-lungen des Herzens besitze, in welchen das Herz nie wieder zu schlagen anfieng, obschon noch ein Theil von Ganglien in der Vorhofsscheidewand mit dem Ventrikel in Verbindung war. So gef\u00e4llig nun auch die Theorie \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der Herzbewegung von gewissen Ganglien des Herzens scheinen mag, so muss es doch unsere Pflicht sein, auch denjenigen Thatsachen und Betrachtungen Geh\u00f6r zu schenken, welche sich mit dieser Vorstellung nicht so leicht zu vertragen scheinen, und welche f\u00fcr einzelne Forscher bereits Veranlassung geworden sind, sich die Entstehung der normalen Herzbewegungen auf eine andere, als eine der beiden bisher erw\u00e4hnten Weisen vorzustellen. Hierher geh\u00f6ren vorerst die Bewegungen des scheinbar ganglienlosen, embryonalen Herzens. Auf sie m\u00f6chte ich jedoch vorerst noch wenig Gewicht legen, indem m\u00f6glich w\u00e4re, dass auch hier die Anregung zur Bewegung, durch Nervenmasse geschieht, wenngleich sie in der fr\u00fchesten Zeit des Embryonallebens noch nicht in der microscopischen Form von Ganglienzellen, auftritt. Wichtiger dagegen scheinen mir die Bedenken zu sein, welche von Seiten der Beobachtung \u00fcber die anatomische Zusammensetzung des Herzens wirbelloser Thiere, wie z. B. des Krebses, zu erheben sind. Wir sehen hier ein aus fertigem quergestreiftem Muskelgewebe bestehendes Organ pulsiren, und noch hat die microscopische Anatomie darin keine Ganglien finden k\u00f6nnen. Bevor jedoch diese Erfahrung als so vollwichtig angesehen werden kann, dass sie uns n\u00f6thigt, die Ganglientheorie aufzugeben, ist sie noch durch weitere Untersuchungen zu vervollkommnen. Die Vertagung des Urtheils in dieser Angelegenheit erscheint aber um so mehr gerechtfertigt, als einige Erfahrungen vor-\n\u2019) Meine Beitr\u00e4ge Bd. I. S. 149.","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"liegen, welche darauf hindeuten, dass an den genannten Herzformen durch Nervenreizung vor\u00fcbergehender Stillstand erzeugt werden k\u00f6nne. Soweit meine eigenen Erfahrungen \u00fcber die Bewegungen des Hummerherzens reichen, kann ich nicht umhin, zu bemerken, dass es mir scheint, als habe sich die Ganglientheorie von dieser Seite her noch auf einen harten Kampf gefasst zu machen. Endlich sind am Froschherzen selbst gemachte Beobachtungen benutzt worden, um die Automatic seiner Ganglien zu bestreiten. Goltz *) thut dies auf Grund der folgenden, von ihm angezogenen Thatsachen. In einzelnen F\u00e4llen n\u00e4mlich will derselbe gesehen haben, wie bei der Abtrennung des Sinus von den Yorh\u00f6fen jedes der beiden auf diese Weise erhaltenen St\u00fccke unter Oel, also einem nicht reizenden Medium, pl\u00f6tzlich zur Ruhe kam. Er schliesst hieraus, dass unm\u00f6glich automatisch wirkende Ganglien im Herzen vorhanden sein k\u00f6nnen, da es unbegreiflich w\u00e4re, dass solche pl\u00f6tzlich und f\u00fcr immer ihre Wirksamkeit durch einen Act einbiissen sollten, von dem man nicht einsehen kann, dass er sie vernichte, oder sonstwie ihre Th\u00e4tigkeits\u00e4usserungen verhindere. Man fragt sich dabei zun\u00e4chst, woher es komme, dass nur in einzelnen F\u00e4llen eine solche Beobachtung gemacht wird, obschon das experimentelle Verfahren dasselbe bleibt? Man darf daher der erw\u00e4hnten Beobachtung so lange kein nachdr\u00fcckliches Gewicht beilegen, als man nicht weiss, welche F\u00e4lle die Regel und welche die Ausnahmen bilden. Ueberdiess aber ist die M\u00f6glichkeit vorhanden, dass es eine reine, unbewiesene Unterstellung ist, es sei das Oel, selbst wenn es auch von ihm anhaftenden S\u00e4uren befreit worden, ein f\u00fcr das Herz ganz indifferentes Medium. Ich hebe diese M\u00f6glichkeit hervor, weil ich bei meinen fr\u00fcheren Untersuchungen \u00fcber die chemischen Nervenreize mehrfach die Beobachtung gemacht habe, dass motorische Nerven in indifferenten Oelen innerhalb viel k\u00fcrzerer Zeit, ohne Zuckungen zu erregen, absterben, als in einem mit Wasserdampf ges\u00e4ttigten Raum. Es is daher denkbar, dass Ganglien in Oel sich eben so verhalten, um so mehr, als das von alkalischen Fl\u00fcssigkeiten durchdrungene Herz wahrscheinlich f\u00fcr Oel permeabel ist und bei der Quer-theilung die biosgelegten Ganglien verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig leicht erreichbar sind. So kann es sich dann auch ereignen, dass ein abgetrennter, schon an und f\u00fcr sich schwach pulsirender Sinus bei sehr g\u00fcnstiger Bioslegung seiner Ganglien unter Oel schon nach wenigen Schl\u00e4gen fast pl\u00f6tzlich zur Ruhe kommt. Ich habe es nicht unterlassen, einige Versuche \u00fcber diesen Gegenstand anzustellen. Ich habe aber dabei nie den pl\u00f6tzlichen\n*) Goltz: Ueber die Bedeutung der sogenannten automatischen Bewegungen des ausgeschnittenen Froschherzens. Virchow\u2019s Archiv. Bd. 21. S. 191.","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"223\nStillstand beobachtet, welchen Goltz beschreibt. Was ich gesehen habe, bestand lediglich darin, dass der Sinus nach seiner Abtrennung unter Oel durch schw\u00e4cher und schw\u00e4cher werdende Pulsationen hindurch auffallend fr\u00fch zur Ruhe kam. Goltz beruft sich bei seinem Kampf gegen die Ganglientheorie ausserdem noch auf den folgenden, von ihm angestellten Versuch. Es werden zwei Fr\u00f6sche so hergerichtet, dass ihre m\u00f6glichst blutleeren Herzen nur noch mittelst der Nn. vagi mit dem verl\u00e4ngerten Marke und dem oberen St\u00fccke der Wirbels\u00e4ule Zusammenh\u00e4ngen. Beide Pr\u00e4parate bringt man unter Oel und verkn\u00fcpft das verl\u00e4ngerte Mark des einen mit einem Inductionsapparate, w\u00e4hrend das des anderen von jeder Reizung frei bleibt. Das erste Herz ger\u00e4th mit dem beginnenden Spiel des Inductionsapparates in Diastole und bleibt f\u00fcr immer darin, wenn man nicht allzu fr\u00fche die Inductionsstr\u00f6me unterbricht, w\u00e4hrend das zweite wohl gegen eine Stunde fortschl\u00e4gt- Man sieht sofort die Absicht ein, welche der Autor mit der Einrichtung dieses Versuches verkn\u00fcpft. Er gedenkt n\u00e4mlich durch ihn darzuthun, dass, wenn unter der Abwesenheit jedes Reizes, des Blutes im lebenden K\u00f6rper und der Luft etc. bei unseren Experimenten, das Herz einmal zur Ruhe gekommen sei, es in ihr verharre, was cs -nicht k\u00f6nnen w\u00fcrde, wenn automatische Apparate in ihm vorhanden w\u00e4ren. Ich will \u00e4nneh-men, das Factum sei richtig; denn die Pr\u00fcfung seiner Richtigkeit wird sehr schwer sein, da f\u00fcr jeden Fall, in welchem das Herz, dessen Vagus gereizt wurde, wieder zu schlagen anf\u00e4ngt, gesagt werden kann, dass man die Inductionsstr\u00f6me zu fr\u00fch unterbrochen habe. Aber selbst bei dieser Annahme m\u00f6chte ich die von Goltz gezogene Folgerung sehr bedenklich finden. Zuv\u00f6rderst n\u00e4mlich fragt man sich, warum das Herz, nur einmal unter Oel durch Vagusreizung zum Stillstand gebracht, \u00fcberhaupt wieder zu schlagen anf\u00e4ngt; man sollte denken, dass, wenn keine automatischen Erregungsorgane vorhanden w\u00e4ren, es bei Abhaltung aller Reize nach einmal eingetretenem Stillstand, ganz gleichgiltig, wie lange derselbe gedauert habe, nie wieder zu schlagen anfangen w\u00fcrde, dass also die Dauer des Stillstandes, oder, w'as dasselbe ist, die der Tetanisirung des Vagus ein ganz gleichgiltiger Umstand sein m\u00fcsste, was doch nach der Angabe von Goltz durchaus nicht der Fall ist. Dazu kommen weiterhin noch Bedenken, welche Bernstein*) vorgebracht hat. Unter diesen steht namentlich das oben an, dass man sagen kann, das Herz fange nach sehr langem Stillstand bei hierauf unterbrochener Vagusreizung desshalb nicht wieder zu schlagen an, weil den\n*) Bernstein: Einiges zur Ursache der Herzbewegung. Archiv von Reichert und du Bois-Reymond. 1862. S. 527.","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nunter Oel liegenden Ganglien die zur Entwickelung ihrer Kraft nothwen-digen Bedingungen fehlen, was im Endeffect im Wesentlichen darauf hinausl\u00e4uft, dass man nach den. oben gemachten Bemerkungen auch annehmen kann, es sei das Oel f\u00fcr die Ganglien kein so indifferentes Mittel, als man es vorauszusetzen geneigt ist. Zufolge dieser Betrachtungen scheint es mir zur Zeit noch nicht geboten, die Lehre von der Automatic der Ganglien zu verlassen.\nNach diesen Er\u00f6rterungen \u00fcber die Ursache der spontanen Herzbewegungen ist es nun unsere Aufgabe, die Stellung derjenigen Nerven, von welchen das Experiment eine Beziehung derselben zur Herzbewegung nachgewiesen hat, noch theoretisch n\u00e4her zu beleuchten. Wir k\u00f6nnen dabei das R\u00fcckenmark und den Sympathicus \u00fcbergehen; denn was von beiden Nerventheilen in theoretischer Hinsicht etwa zu sagen w\u00e4re, ist schon oben bei der Mittheilung des Thats'\u00e4chlichen vorgekommen ; es bleibt uns also nur noch der Vagus \u00fcbrig. Wie haben wir uns die Stellung dieses Nerven gegen\u00fcber der Herzbewegung zu denken? dies ist jetzt die Frage. Bei weitem die Mehrzahl der Physiologen scheint sich zu der Meinung zu bekennen, dass der Vagus ein Hemmungsnerv f\u00fcr die Herzbewegung sei ; selbstverst\u00e4ndlich wird von ihnen zur Zeit diese Function nur auf den am Hals verlaufenden Vagusstamm bezogen, da sie es noch nicht als erledigt betrachten, ob dieselbe dem \u00e4chten Vagus oder Accessorius zukomme. Sie st\u00fctzen sich dabei auf die sichere Wahrnehmung, dass eine Erregung des genannten Nerven Verlangsamung des Pulses oder Stillstand des Herzens erzeugt, und stellen sich vor, dass der erregte Vagus die Ganglien veranlasse, die Anregungen zur Bewegung, welche diese der Herzsubstanz ertheilen, zeitweise einzustcllen. Wie dies geschehe, dar\u00fcber eine bestimmte Meinung zu \u00e4ussern, liegen bis jetzt keine Erfahrungen vor, und die eben erw\u00e4hnte Vorstellung soll also auch durchaus keine tiefere Erkl\u00e4rung des Factums sein. An diesem Puncte h\u00f6rt zur Zeit unsere Erkenntniss dieses Gegenstandes auf. Darauf aber muss aufmerksam gemacht werden, dass wir es im Gebiet der Nervenphysio-logie nicht mit dieser einen Thatsache der Art zu tliun haben, die Gefahr also, dass wir bei der adoptirten Meinung einer T\u00e4uschung verfallen sollten, dadurch sehr vermindert ist. In dieser Beziehung ist n\u00e4mlich an die sp\u00e4ter noch zu erw\u00e4hnende Function des Nervus splanch-nicus zu erinnern, welche darin besteht, dass seine Reizung die vorher sich bewegenden Ged\u00e4rme zur Ruhe zwingt und weiter ist, wie unter der folgenden Nummer gezeigt werden wird, zu erw\u00e4hnen, dass Erregungen bestimmter Abtheilungen des Nervus vagus gewisse Gruppen von Athem-muskeln ebenwohl in Erschlaffung \u00fcberf\u00fchren. Hierzu kommt, dass die \u00fcbrigen, auf diesen Punkt bez\u00fcglichen Thatsachen, insoweit sie sicher","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"225\nfestgestellt sind, der erw\u00e4hnten Vorstellung nicht widersprechen. Fassen wir das Gehirn als ein Organ auf, welches seinen, nicht zu sensitiven Theilen gehenden Nerven Erregungen mittheilt, gleichgiltig, auf welche Weise es zu dieser Th\u00e4tigkeit angefacht wird, so muss eine Durchschneidung des Nervus vagus am Halse eine Aenderung in der Bewegung des Herzens zur \u00bbFolge haben. Dass dies wirklich stattfindet, und worin diese Einwirkung besteht, ist uns hinl\u00e4nglich bekannt, ebenso, dass sie mit dem Erfolge k\u00fcnstlicher Reizung desselben Nerven in Ueber-einstimmung ist. Darauf wird man sich hoffentlich nicht berufen, dass die Pulsbeschleunigung nach der Vagussection bei V\u00f6geln sehr gering ausf\u00e4llt und bei Fr\u00f6schen mit Sicherheit noch gar nicht beobachtet ist; denn es l\u00e4sst sich nicht erwarten, dass bei Thieren mit sehr verschieden ausgebildetem Gehirn dieses stets in demselben Grade seine Nervi vagi innerviren wird, und es entspricht gerade unseren allgemeinen Vorstellungen, welche wir \u00fcber die Leistungen verschiedener Gehirne der Thierreihe haben, dass die Energie des Froschhirns gegen die des S\u00e4ugethierhirns zur\u00fcckstehe. Dieses zu Gunsten der bisher bef\u00fcrworteten Theorie sprechende Raisonnement f\u00e4llt nat\u00fcrlich weg, sobald es sich durch fortgesetzte Studien wirklich erweisen sollte, dass die der Durchschneidung des Vagus am Halse folgende Beschleunigung des Pulsschlags und der auf Reizung des peripherischen Stumpfes eintretende Stillstand zwei verschiedenen Nervenbahnen angeh\u00f6ren. Endlich enth\u00e4lt die Hemmungstheorie des Nervus vagus zur Zeit noch dadurch eine besondere Empfehlung, dass eine andere, neben ihr unter dem Namen der Ersch\u00f6pfung stheorie aufgestellte, Ansicht so viele M\u00e4ngel zeigt, dass sie sich nicht zur Annahme eignet. Wir haben schon bereits auf S. 214 einen Theil dieser Theorie vorgetragen ; wir f\u00fcgen den dortigen Betrachtungen, dieselben vervollst\u00e4ndigend und sie auf ihren Werth pr\u00fcfend, Folgendes hinzu. Bekanntlich wird gem\u00e4ss derselben der Vagus, welcher als Bewegungsnerv des Herzens angesehen wird, an zwei verschiedenen Stellen erregt : gegen seine Ausbreitung hin im Herzen durch das Blut und an seinem Ursprung durch das verl\u00e4ngerte Mark. F\u00fcr jede dieser beiden Erregungen oder eine ihm k\u00fcnstlich zugef\u00fcgte Reizung ist er so empfindlich, dass er sich fast augenblicklich ersch\u00f6pft, f\u00fcr fortgesetzte Reizung sich also unwirksam erweist. Von der Erregung am ersteren Orte sollen die spontanen Herzbewegungen abh\u00e4ngen. Diesen Theil der Ersch\u00f6pfungstheorie haben wir bereits am angezogenen Orte abgehandelt. Wir haben also hier nur noch von der am zweiten Orte geschehenden und der ihr entsprechenden, k\u00fcnstlich hergestellten zu reden. Von dem Verh\u00e4ltnisse dieser zu der ersteren soll es abh\u00e4ngen, wie schnell das Herz schl\u00e4gt und zwar in der Art, dass, wenn eine Erregung Eckhard, Nervenphysiologie. ,\t15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\ndes Vagus innerhalb des Herzens mit einer solchen am verl\u00e4ngerten Mark oder einer dieser substituirten k\u00fcnstlichen zusammenf\u00e4llt, das Herz schneller schl\u00e4gt, als wenn , durch Durchschneidung des Vagus die obere Erregungsquelle fortgefallen ist.\nUntersuchen wir nun, welche Gr\u00fcnde f\u00fcr und gegen diese Auffassung der Natur des Vagusstammes am Halse sprechen. Wir nehmen der Reihe nach die verschiedenen von den Urhebern dieser Theorie erbrachten Gr\u00fcnde vor, lassen die Kritik unmittelbar folgen und pr\u00fcfen schliesslich noch einige Folgerungen, welche bestehen m\u00fcssten, wenn jene Vorstellung richtig w\u00e4re. Folgende Punkte sind hervorzuheben: a) Man sagt, die Pulserh\u00f6hung nach der Vagusdurchschneidung, wie sie oben beschrieben wurde, finde nicht statt; es trete vielmehr mit dem Wegfall der Erregungsquelle vom verl\u00e4ngerten Mark her Verlangsamung des Herzschlags ein. Moleschott *), welcher dieses Argument besonders betont hat, formulirt das Endresultat seiner Beobachtungen \u00fcber diesen Punkt folgender-massen : \u201eUnmittelbar nachdem beide Vagi durchschnitten worden sind, wird der Puls in den meisten F\u00e4llen seltener, einige Zeit (Y2 bis mehre Stunden) nach der Durchschneidung kann die Frequenz bedeutend zunehmen, diese Zunahme ist jedoch nicht best\u00e4ndig, und in einer noch sp\u00e4teren Zeit haben wir immer eine noch geringere Pulsfrequenz beobachtet, als nach dem Anlegen der Hautwunde bestand.\u201c Dieses Verhalten wird sich dadurch verursacht vorgestellt, dass anfangs in Folge des Wegfalls der oberen Erregungsquelle das Herz langsamer schlage, dass aber im weiteren Verlaufe durch die entstehenden Entz\u00fcndungen schwache, die Pulsfrequenz vermehrende Reize gesetzt w\u00fcrden. Nach dem Zeugnisse der meisten Physiologen entspricht aber diese Angabe nicht dem factischen Thatbestand; den allerersten Effect der Durchschneidung etwa abgerechnet, findet, wenigstens bei Hunden und anderen S\u00e4ugethieren, sofort dauernde Pulsvermehrung statt. Wer jemals in seinen Vorlesungen mit Hilfe des Kymographions den Satz der Pulslehre de-monstrirt hat, dass mit wachsender Anzahl der Pulsschl\u00e4ge (durch Va-gussection erzeugt) der mittlere Blutdruck wachse, muss gesehen und gezeigt haben, wie die Vermehrung des Herzschlags der Vagusdurchschneidung unmittelbar und dauernd auf dem Fusse folgte, b) In anderer Weise kommt Herr Schiff **) \u00fcber die Unbequemlichkeit hinweg, dass Durchschneidung des vorz\u00fcglichsten, wenn nicht alleinigen, Bewegungsnerven des Herzens Pulsvermehrung erzeugen soll; er betrachtet n\u00e4mlich, wie schon oben milgetheilt wurde, die Erzeugung des Herz-\n*) Dessen Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen etc. Bd. VIII. S. 112.\n**) Schiff: Lehrbuch der Physiologie. I. S. 420.","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"221\nStillstandes bei Vagusreizung als durch die Reizung der Accessoriusfasern und die Beschleunigung des Herzschlags bei der Vagussection als durch die \u00e4chten Vagusfasern bewirkt. Verstehe ich Herrn Schiff recht, so spielen nach ihm die \u00e4chten Vagusfasern bei der Herzbewegung direct gar keine Rolle; denn er ist der Meinung, dass die gedachte Pulserh\u00f6hung von anderen Umst\u00e4nden, als von der Durchschneidung der Herznerven abh\u00e4ngen m\u00fcsse. Durch diese Behauptung wird aber die Stellung des Halsvagus dem Herzen gegen\u00fcber wenig aufgekl\u00e4rt. Vorerst bleibt dadurch die nicht wegzuleugnende Beschleunigung des Herzschlags nach der Trennung jenes Nerven vollkommen unerkl\u00e4rt. Sodann ist es unverst\u00e4ndlich, wie, gem\u00e4ss der Angabe des Herrn Schiff, die Ausrottung des Accessorius ohne Einwirkung auf die Pulszahl bleiben soll, wo eine Verlangsamung erwartet werden muss, da die eine Quelle der Erregung weggefallen ist. Man kann zwar sagen, dass die Einwirkung von Seiten des Gehirns auf das Herz mittelst der Accessoriusfasern sehr gering sei, so dass die Continuit\u00e4tstrennung der letzteren keinen Erfolg habe, allein es bleibt sehr unbefriedigend, von den \u00e4chten Vagusfasern, welche keine directe Beziehung zur Herzbewegung haben sollen, zu sehen, wie ihre Trennung eine augenblickliche Ver\u00e4nderung der Pulszahl bewirkt, w\u00e4hrend die Accessoriusfasern, welche die Bewegungsfasern des Herzens darstellen, ihre L\u00f6sung vom Gehirn gar nicht markiren sollen, um so mehr, da sie doch so ungemein leicht, durch ein wenig Biut z. B., schon erregt werden k\u00f6nnen. Aber legen wir diesen Punkt einstweilen bei Seite, so viel nehmen wir aus diesen Betrachtungen mit, dass aus der Meinung des Herrn Schiff uns kein volles Verst\u00e4ndniss der Functionen des Halsvagus entspringt, nach welcher wir doch hier streben. Und weiter k\u00f6nnen wir sagen, dass von nun an alle Argumente, welche jetzt noch zu Gr\u00fcnsten der Ansicht, dass die Accessoriusfasern Bewegungsnerven des Herzens sein sollen, vorgebracht werden, Viel, wenn nicht Alles, an \u00fcberzeugender Kraft einb\u00fcssen m\u00fcssen, so lange ihre experimentellen Grundlagen den Halsvagus betreffen, da dieser von nun an noch Fasern einschliesst, n\u00e4mlich die \u00e4chten Vagusfasern, deren Trennung Erh\u00f6hung der Pulsfrequenz bedingen soll, \u00fcber deren Wirkung gar keine Vorstellung existirt, c) .Es wird behauptet, dass der jeweilige Rhythmus des Herzens von der Erregung der Herznerven innerhalb des Plerzens und einer gleichzeitigen derselben im verl\u00e4ngerten Mark oder eines die letztere ersetzenden, k\u00fcnstlichen dergestalt abh\u00e4nge, dass mit dem Eintritt beider das Hers sich schneller bewege, dagegen langsamer schlage, wenn die obere Erregungsquelle fortfalle, wobei jedoch der Zusatz gemacht wird, dass die ausserhalb des Herzens stattfindende Reizung gewisse Eigenth\u00fcmlichkeiten besitzen m\u00fcsse.\n,\t15*","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\nDer Inhalt dieser Anmerkung ist, dass nur dann Beschleunigung stattfinde, wenn die obere Erregung schwach sei und aus gewissen, schwer zu bestimmenden Grenzen nicht heraustrete; werde dieser Bedingung nicht Gen\u00fcge geleistet, so schlage das Herz langsamer oder stehe in Folge der Ersch\u00f6pfung seiner Nerven still. Dies Alles wird f\u00fcr Jedermann f\u00fcr unmittelbar verst\u00e4ndlich gehalten mit alleiniger Ausnahme des Punktes, dass eine starke, obere Erregung des Vagus die schwache untere im Herzen geschehende wirkungslos machen kann. Die Richtigkeit desselben wird n\u00e4mlich als sich nicht von selbst verstehend durch das folgende Experiment zu beweisen gesucht. Am unteren Ende des Nerven eines Nerv-Muskelpr\u00e4parates liegen die Electroden einer Kette an, welche durch eine Pendelvorrichtung geschlossen und ge\u00f6ffnet wird, und auf diese Weise den Muskel periodisch in Zuckungen versetzt. Am oberen Ende des Nerven befinden sich die Electroden eines kr\u00e4ftigen Inductionsapparates. Mittelst desselben wird nun vorest der Nerv bis zur Ersch\u00f6pfung tetanisirt. L\u00e4sst man jetzt die Pendelvorrichtung ihr Spiel treiben, so findet man, dass w\u00e4hrend einer erneuten, den Nerven ersch\u00f6pfenden Th\u00e4tigkeit der Inductionsvorrichtung die Stromesschwankungen jener Kette unwirksam sind und erst mit dem Wegfall der Reizung am oberen Ende des Nerven wieder wirksam zu werden beginnen. Hierdurch wird nach Herrn Schiffs Meinung demonstrirt, wie eine starke Erregung am oberen Ende eines Nerven eine weiter abw\u00e4rts stattfindende wirkungslos macht. So soll also auch eine starke Reizung am oberen Ende der Herznerven die innerhalb des Herzens auf diese wirkenden Reize erfolglos machen, also das Herz zum Stillstand bringen. Der Versuch ist von Pfl\u00fcger*) wiederholt und unter den angegebenen Bedingungen f\u00fcr richtig befunden worden. Er gelingt aber nicht, wenn man anstatt einer Inductionsvorrichtung den Tetanomotor nimmt, welcher doch auch zum ' mindesten Verlangsamung des Herzschlags, nach anderen Zeugnissen sogar Herzstillstand, erzeugt. Hieraus folgt, dass das von Schiff ersonnene Reizungsarrangement nicht so unmittelbar die analogen Erscheinungen am Herzen erl\u00e4utern kann. Folgendes kommt hinzu. Nimmt man die Inductionsstr\u00f6me schw\u00e4cher, so dass durch sie der Nerv nicht ersch\u00f6pft wird, sondern der Muskel sich gar nicht oder nur so schwach zusammenzieht, dass die Schwankungen der (untern) Kette noch deutliche Zuckungen ausl\u00f6sen, so kann man auf keine Weise, weder durch die gew\u00e4hlten Inductionsstr\u00f6me, noch durch Verst\u00e4rkung derselben es dahin bringen, dass die der Kette zugeh\u00f6rigen Zuckungen langsamer geschehen; so lange sie noch merkbar sind, folgen sie einander in dem\n*) Archiv von Reichert und du Bois-Reymond. 1859. S. 13.","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"229\nder Pendelvorrichtung entsprechenden Tempo. Daraus ergiebt sich, dass der von Schiff angegebene Versuch es auch nicht erl\u00e4utern kann, wie eine obere, massig starke Reizung des Vagus die untere Erregung bez\u00fcglich ihres Rhythmus \u00e4ndern k\u00f6nne. Mancherlei zugegeben, so bleibt f\u00fcr den Fall einer theilweisen Ersch\u00f6pfung durch den obern Reiz die Verlangsamung des Herzschlags ohne Erkl\u00e4rung ; man w\u00fcrde dann nicht diese, sondern eher einen schwachem Herzschlag, aber denselben in der fr\u00fchem zeitlichen Folge erwarten. Man k\u00f6nnte sich vielleicht fragen, woher es komme, dass an einem durch Inductionsstr\u00f6me ersch\u00f6pften Nerven eine weiter abw\u00e4rts angebrachte Kette, welche doch mit der direct gereizten Strecke Nichts zu thun habe, sich unwirksam erweise. Dia Antwort ist die, dass der Zustand der Ersch\u00f6pfung, welcher durch die starken Inductionsstr\u00f6me herbeigef\u00fchrt wird, sich auch auf die \u00fcbrigen Theile des Nerven fortpflanzt. Endlich muss ich gestehen, ist es mir durchaus nicht so unmittelbar einleuchtend, dass eine gewisse, schwache Erregung am oberen Ende des Herznerven eine Beschleunigung des Pulses hervorbringen muss. Wenn ich mir das Herz in der Schlagfolge vorstelle, wie diese zu einer gegebenen Zeit den Erregungen, Erm\u00fcdungen und Erholungen der Nerven innerhalb des Herzens entspricht, so ist eine Beschleunigung des Rhythmus nur dadurch m\u00f6glich, dass diese Erregungen nach Zeit und Intensit\u00e4t abgek\u00fcrzt werden, wodurch die Erm\u00fcdung gemindert ist, oder dass durch Vorg\u00e4nge der Ern\u00e4hrung die Erholung beschleunigt wird. Um das Eine oder Andere zu bewirken, muss am Herzen selbst und den dort auf dasselbe wirkenden Reizen Etwas geschehen ; und ich kann nicht begreifen, wie irgend eine am oberen Ende der Herznerven geschehende Reizung, welcher Art und welcher Intensit\u00e4t sie auch sein m\u00f6ge, die untere Reizung nach Zeit oder Intensit\u00e4t verringern, oder die Erholung beschleunigen soll. Es muss noch hervorgehoben werden, dass die Erkl\u00e4rung des auf st\u00e4rkere Vagusreizung folgenden Herzstillstandes aus einer Ersch\u00f6pfung des Vagus keinen pal-pabeln Sinn hat; denn wenn von einer Unth\u00e4tigkeit in Folge von Erm\u00fcdung die Rede ist, so muss doch vorher ein Zeichen der Th\u00e4tigkeit vorausgegangen sein. Man m\u00fcsste also im Sinne der Theorie von S chiff das Herz vorher haben schneller schlagen sehen, eine Ableitung, welche sich bei st\u00e4rkerer Vagusreizung noch nie als jene Unterstellung best\u00e4tigend eingestellt hat. Ich glaube demnach, dass auch durch diese Ueber-legungen sich die Ansicht nicht im Vortheil sieht, nach welcher die im Vagus als Accessoriusfasern zum Herzen laufenden Nerven leicht ersch\u00f6pfbarer motorischer Natur sein sollen; da, um es noch einmal zusammen zu fassen, die von den Vertheidigern dieser Theorie behaupteten Ergebnisse der k\u00fcnstlichen Reizung nicht verst\u00e4ndlich sind, durch Hin-","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nWeisung auf Analogieen es auch nicht werden, und ausserdem es auch gar noch nicht einmal factisch feststeht, dass durch irgend eine Reizungsart des peripherischen Vagusstumpfes das Herz zu schnellerem Schlage bestimmt werden kann, d) Es soll auch weiter das Verhalten des Nervus vagus gegen\u00fcber constanten Str\u00f6men mit der Ansicht in Einklang sein, dass der Halsvagus die motorischen Fasern des Herzens enthalte. Da n\u00e4mlich das* Verhalten gereizter motorischer Nerven gegen\u00fcber constanten Str\u00f6men, welche an anderen, als den gereizten Stellen, den Nerven durchziehen, nach S. 100 ff. bekannt ist, und da weiter nach der Ersch\u00f6pfungstheorie der Vagus innerhalb des Herzens der Reizung unterliegt, so scheint es, als liesse sich im Voraus bestimmen, welches der Effect sein muss, wenn wir den Vagus ausserhalb des Herzens der Einwirkung von constanten Str\u00f6men unterwerfen. Man hat also daran gedacht, diese Ableitungen zu machen, sie mit der Erfahrung zu vergleichen, ' und so einen Pr\u00fcfstein f\u00fcr den Werth der fraglichen Hypothese zu gewinnen. Ob f\u00fcr jede Anordnung des Stromes jene Ableitungen mit vollkommener Sicherheit geschehen k\u00f6nnen, wird sich zeigen, indem wir jetzt die Sache ins Einzelne verfolgen *).\t\u00ab. Lassen wir starke aufsteigende Str\u00f6me\ndurch den Vagus ziehen, so verf\u00e4llt die nach dem Herzen hin gelegene Strecke in einen Zustand verminderter Erregbarkeit, die innerhalb des Herzens auf den Nerven wirkenden Reize m\u00fcssen also geschw\u00e4cht werden, und in Folge davon, falls wir es hier mit einem Bewegungsnerven zu thun haben, die Pulsationen an St\u00e4rke abnehmen und bei hohen Stromst\u00e4rken g\u00e4nzlich aufh\u00f6ren. Die Versuche sagen aus, dass solche Str\u00f6me wirkungslos f\u00fcr die Herzpulsationen sind. Herr Moleschott will zwar unter diesen Umst\u00e4nden Verlangsamung des Herzschlags beobachtet haben, aber weder v. Bezold, noch Pfl\u00fcger, noch ich selbst haben jemals diese Beobachtung machen k\u00f6nnen, trotzdem, dass ich zu wiederholten Malen den Gegenstand vorgenommen habe. Sind die im Vagus aufsteigend gerichteten Str\u00f6me sehr schwach, so dass also der Anelectro-nus in sehr geringem Grade ausgebildet ist, also der Zustand erh\u00f6hter Erregbarkeit, d. i. der Katelectrotonus, sich durch jenen hindurch fortpflanzen kann, so ist theoretisch kaum abzusehen, was nach der Theorie von Schiff und Moleschott erfolgen muss. Man kann zwar sagen, dass alsdann w\u00e4hrend des Geschlossenseins der Kette der Herzschlag h\u00e4ufiger werden m\u00fcsse; es scheint mir aber dieses keine Nothwendigkeit zu sein. Es greifen n\u00e4mlich jetzt die Reize im Herzen an erregbarem Nerven, als zuvor, an, und demgem\u00e4ss sind wohl an Intensit\u00e4t st\u00e4rkere Pulsationen zu erwarten, aber wie oft sich dieselben\n:) Vergl. hierzu S. 199 u. 200.","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"231\nwiederholen, kann nickt angegeben werden, da man nicht weiss, wie es sich jetzt mit der Erholung des Nerven, welche doch wesentlich die H\u00e4ufigkeit des Herzschlags mit bedingt, verh\u00e4lt. Daher ist mir auch die v. B e z o 1 d bei der Schliessung schwacher aufsteigender Str\u00f6me beobachtete Verlangsamung kein strenger Beweis gegen S c hiff\u2019s Theorie. Werden Str\u00f6me, welche aufsteigend in einem Bewegungsnerven geflossen haben, ge\u00f6ffnet, so tritt oft der \u00dfitter\u2019sche Tetanus ein.. Dies auf das Herz im Sinne der Theorie von Schiff und Moleschott angewandt, w\u00fcrden sich die Herznerzen im Tetanus befinden, es m\u00fcsste mehr oder weniger allgemeine Systole eintreten. Da man aber auch jetzt wieder nicht \u00fcber die Art der Erm\u00fcdung unterrichtet ist, so kann man nicht sagen, ob \u00fcberhaupt noch der Herzschlag bestehen muss oder nicht, und noch viel weniger, ob er h\u00e4ufiger oder langsamer werden m\u00fcsste, v. Bezold m\u00e9int, er m\u00fcsse h\u00e4ufiger auftreten, und da er selbst im Ge-gentheil Verlangsamung beobachtet hat, schliesst er auch hieraus auf die Unrichtigkeit der Ersch\u00f6pfungstheorie, \u00df. Sind die Str\u00f6me in einem gew\u00f6hnlichen Bewegungsnerven'absteigend, so befindet sich bei jeder Stromst\u00e4rke die dem Muskel zugekehrte Nervenstrecke im Zustande h\u00f6herer Erregbarkeit. Nach der Schiff-Moleschott\u2019schen Hypothese gilt dies auch f\u00fcr den Vagus. Die Folge davon ist, dass, da die Reize im Herzen an einem erregbareren Nerven angreifen, die Pulsationen st\u00e4rker ausfallen m\u00fcssen. Ueber die H\u00e4ufigkeit des Herzschlags kann aber auch hier keine Voraussage gemacht werden; denn jene h\u00e4ngt mit von der Erholung des Nerven ab, welche abermals unter der neuen Bedingung unbekannt ist. Es ist also unter diesen Verh\u00e4ltnissen weder die von Moleschott gesehene Beschleunigung des Herzschlags ein Beweis f\u00fcr die Richtigkeit jener Ansicht, noch die von v. Bezold beobachtete Ver-langsamung ein solcher dagegen. Da bei der Oeffnung absteigender Str\u00f6me, welche durch Bewegungsnerven fliessen, ebenwohl Ritte r\u2019scher Tetanus entstehen kann-, so gilt hier dieselbe Bemerkung, welche vorher f\u00fcr die Oeffnung des aufsteigenden Stromes gemacht wurde. Aus diesen Betrachtungen ergiebt sich als endliches Resultat, dass die Ersch\u00f6pfungstheorie allerdings durch das Verhalten des Nervus vagus zum constanten Strom gepr\u00fcft werden kann, dass aber nicht jedes einzelne Arrangement des Stromes sich dazu mit gleicher Sicherheit eignet. In den F\u00e4llen aber, die sich zu einer scharfen Vorherbestimmung des Erfolgs eignen, stimmt die Beobachtung nicht mit der Ableitung. Es sind also auch von dieser Seite her f\u00fchlbare M\u00e4ngel an der Ersch\u00f6pfungstheorie vorhanden. e) In gleicher Weise stimmt auch das Resultat gewisser chemischer Reizungen des Vagus nicht mit dieser Theorie. Mit R\u00fccksicht n\u00e4mlich auf die Erfahrung, dass eine Kochsalzl\u00f6sung gew\u00f6hnliche moto-","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nrische Nerven in der Weise erregt, dass sie Anfangs nur wenige Muskelb\u00fcndel in Bewegung versetzt, dann deren Zahl und die St\u00e4rke ihrer Zusammenziehung zunimmt, bis erst nach einiger Zeit der ganze Muskel in einen vollkommnen Tetanus verf\u00e4llt, sollte man erwarten, dass der Nervus vagus, wenn er ein motorischer Nerv gew\u00f6hnlicher Art ist, sich \u00e4hnlich verhalte *). Aber man beobachtet der Art nicht das Geringste, sondern immer wieder die alte Erscheinung, dass das Herz anfangs langsamer schl\u00e4gt und schliesslich in Diasole stillsteht. Keine Fiber ist dabei bevorzugt, es tritt keine Irregularit\u00e4t der Zusammenziehung einzelner derselben bez\u00fcglich der Zeit auf. Dies bleibt ebenwohl unverst\u00e4ndlich, wenn der Vagus motorischer Herznerve sein soll, f) Zu all diesen Entgegnungen, welche der Ersch\u00f6pfungstheorie gemacht werden m\u00fcssen, f\u00fcgen sich endlich noch die Unwahrscheinlichkeiten hinzu, welche man dabei \u00fcber die physische Constitution des Vagus machen muss. Dieser Nerv hat einen microscopischen Bau, welcher mit dem aller \u00fcbrigen Nerven \u00fcbereinstimmt, seine electromotorischen Eigenschaften, von denen behauptet worden war, dass dieselben nicht Ait denen anderer Nerven \u00fcbereinstimmten, sind schliesslich als keine Besonderheiten zeigend erkannt worden; er soll nun in Bezug auf seine Erregbarkeitsverh\u00e4ltnisse aus dem Bereiche der gew\u00f6hnlichen Nerven heraustreten; er soll durch Mittel (z. B. das Blut) erregt werden, welche keinen Nerven f\u00fcr sich in Erregung versetzen, und soll \u00fcberdiess sich so augenblicklich ersch\u00f6pfen, dass, wenn nur ein wenig st\u00e4rkere Reize auf ihn wirken, er ohne ein Zeichen der Th\u00e4tigkeit von sich gegeben zu haben, sogleich in Ersch\u00f6pfung verf\u00e4llt. Ich glaube, dass Angesichts solcher Thatsachen und Voraussetzungen kein vorsichtiger Physiologe zur Zeit die Theorie der Vaguswirkung, wie sie Schiff und Moleschott vortragen, adopti-ren kann.\nWir haben jetzt sowohl das experimentelle Material, welches \u00fcber das Nervensystem des Herzens bekannt ist? als auch die theoretischen Betrachtungen vorgetragen, welche \u00fcber seine Wirkungen angestellt worden sind. Es l\u00e4sst sich nicht l\u00e4ugnen, dass die Ganglientheorie \u00fcber die spontanen Bewegungen des Herzens und die Hemmungstheorie \u00fcber die Stellung des Vagus zum Herzen verst\u00e4ndliche und bis zu einem gewissen Grade auch befriedigende Rechenschaft geben. Es wurde aber schon oben angedeutet, dass das Herz noch Bewegungserscheinungen zeigt, welche noch nicht vollkommen begriffen sind. Ich meine damit die einzelnen Pulsationen, welche dasselbe auf Reize im Zustande der Dia-\n*) Eckhard: Zur Theorie der Vagus-Wirkung. M\u00fcller\u2019s Archiv. 1851. S. 205.","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"233\nstole zeigt, gleichgiltig, auf welche Weise auch dieselbe erzeugt worden sein mag. Diese k\u00f6nnen nicht als reine Reizbewegungen aufgefasst werden; denn sie besitzen deren gew\u00f6hnliche Charaetere nicht, da sie einmal schon auf Reize erscheinen, welche, auf andere quergestreifteis Muskelgewebe applicirt, unwirksam sind und sodann auch nicht local auf die gereizte Stelle beschr\u00e4nkt bleiben, sondern stets eine ganze Herzabtheilung erfassen. Mit R\u00fccksicht auf diese Eigenschaften derselben hat man sie wohl als reflectorische von den andern Herzbewegungen unterschieden. Man kann nicht l\u00e4ugnen, dass sie in ihrer Erscheinungsweise an reflectirte Bewegungen erinnern. Durch diesen Umstand und die Thatsache, dass bei der bekannten Quertheilung des Herzens der in Diastole verharrende Ventrikel noch Ganglien, die Atrioventricularganglien, enth\u00e4lt, ist Bidder veranlasst worden, die letzteren als die Centra der sogenannten reflectorischen Bewegungen des Herzens zu betrachten. Ich habe jedoch bereits vor Jahren gegen diese Auffassung den Umstand geltend gemacht, dass jene Bewegungen auch dann noch am Ventrikel zu beobachten sind, wenn man die Atrioventricularganglien entfernt hat. F\u00fcr diese Formen der Herzbewegung fehlt uns also zur Zeit noch das Verst\u00e4ndniss. Ihre t\u00e4uschende Aehnlichkeit mit reflectorischen Bewegungen k\u00f6nnte man allenfalls in Uebereinstimmung mit dem Umstand finden, dass, da das embryonale Herz anfangs eine zusammenh\u00e4ngende Masse contractiler Substanz, auf sp\u00e4tem Stadien ein Flechtwerk von Muskelfasern darstellt, welches sich jedenfalls theilsweise, wie directe Beobachtungen am v\u00f6llig ausgebildeten Herzen ergeben haben, vielleicht aber auch g\u00e4nzlich, erh\u00e4lt. Aber die Eigenth\u00fcmlichkeit, dass sich jene einzelnen Pulsationen auf so geringf\u00fcgige Reize ausl\u00f6sen, welche an der quergestreiften Muskelsubstanz v\u00f6llig spurlos vor\u00fcbergehen, verlangt noch eine besondere Eigenschaft der physischen Structur des Herzmuskels, welche wir bis jetzt nicht anders beschreiben k\u00f6nnen, als dass wir die beobachtete Thatsache in einigen allgemeinem Worten wiederholen, indem wir etwa sagen, es besitze der Herzmuskel f\u00fcr directe Reize eine gr\u00f6ssere Empfindlichkeit, als der gew\u00f6hnliche, quergestreifte Muskel. Es versteht sich aber von selbst, dass wir damit keine weitere Aufkl\u00e4rung gewonnen haben, vielmehr diese durch fortgesetzte Untersuchungen erst noch von der Zukunft erwarten.\n4. Er steht in besonderer Beziehung zu dem Centrum der Athem-bewegungen. Dies zeigt sich in doppelter Weise : in dem Einfluss, welchen seine Durchschneidung und die nachfolgende Beizung seines centralen Stumpfes auf die Zahl und Intensit\u00e4t der Athembewegungen aus\u00fcben. Die erstere Einwirkung betreffend, so sind folgende Beobachtungen bekannt geworden. Bei der Durchschneidung nur eines Vagus ist in der","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234\nRegel keine Einwirkung auf die Athembewcgungen nach irgend einer Beziehung hin sichtbar. Wird der andere auch getrennt, so tritt im Allgemeinen Verlangsamung der Athembewegungen ein. In den meisten F\u00e4llen ist diese Verminderung der Athemfrequenz unmittelbar nach der Section zu sehen, in anderen macht sie sich jedoch erst sp\u00e4ter bemerkbar; in beiden aber nimmt sie mit der Zeit nach der Durchschneidung fortw\u00e4hrend zu. Zugleich ist aber auch die Intensis\u00e4t der einzelnen Athemz\u00fcge gr\u00f6sser geworden, was sich theils in einer st\u00e4rkern Zusammenziehung der bei normaler Respiration th\u00e4tigen Muskeln, theils in dem Hinzutreten der Wirksamkeit neuer beth\u00e4tigt. Diese Erscheinungen sind nicht etwa Folgen der Durchscheidung des N. laryngeus inferior, durch welche Verengerung der Stimmritze erzeugt wird, da sie auch dann beobachtet werden, wenn man vor der Section des Vagus eine Tracheal-fistel angelegt hat. Nach einer Beobachtung von Rosen thal*) reicht, so lange, als in Folge pathologischer Entartung der Lunge, welche sich schon wenige Stunden nach der Durchschneidung einzustellen pflegt, die Energie des Centralorgans der Athembewegung nicht wesentlich bei eintr\u00e4chtigt wird, die gr\u00f6ssere Intensit\u00e4t nahezu oder ganz hin, den Verlust zu ersetzen, der durch Verringerung der Anzahl der Athemz\u00fcge ohne Zunahme ihrer Tiefe entstehen w\u00fcrde. Dies ergiebt sich daraus, dass wenn man vor und nach der Vagusdurchscheidung die Aihemgr\u00f6sse d. i. das Product aus der Zahl der Athemz\u00fcge in das exspirirte oder nhalirte Luftvolum, f\u00fcr gleiche Zeiten bestimmt, es unter der angegebenen Bedingung nahezu dasselbe bleibt. Hiernach w\u00fcrden also die von der Medulla oblongata ausgehenden Kr\u00e4fte durch den durchschnittenen Vagus keine Aenderung ihrer Gr\u00f6sse, sondern nur eine andere zeitliche Verkeilung erfahren. Was die Erscheinungen der Reizung des centralen -Vagusstumpfes anlangt, so kommt ein sehr verschiedener, ja oft sich scheinbar widersprechender Erfolg zu Stande, je nach dem Orte, wo der Vagus getrennt wurde. Traube **), welcher zuerst die Reizung des centralen Endes des Vagus sorgf\u00e4ltig ***) ausf\u00fchrte, sah bei schw\u00e4cherer Erregung Beschleunigung der in Folge der Durchschneidung des Vagus langsamer gewordenen Athembewegungen, bei st\u00e4rkerer dagegen Still-\n*) Rosenthal: Die Athembewegungen.\n**) Traube: Med. Zeitung des Vereins f\u00fcr Heikunde in Preussen. 1847. Nr. 5. p. 20.\n*\u00bb) vor Traube waren schon Beobachtungen bekannt, welche im Allgemeinen den Einfluss des gereizten Vagus auf die Athembewegungen bewiesen: Gendrin in der Uebersetzung von: Abercrombie\u2019s malad, de la moelle \u00e9pini\u00e8re. 1835. S. 627. Cruveilhier: Nouv. Biblioth. m\u00e9d. t. II. S. 172. 1828. Romberg: M\u00fcller's Archiv. 1828. S. 311.","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"235\nstand desselben in Form der Inspiration, d. i. also namentlich Zusammen-zieliung des Zwerchfells. Ich *) selbst und Budge **) sahen, zum Thcil ohne Traube\u2019s Beobachtung zu kennen, bei schw\u00e4cherer Reizung gleichfalls Beschlennigung, bei st\u00e4rkerer aber Stillstand in der Form der Exspiration. Nachfolgende Beobachter schlugen sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite. Rosenthal hat den Grund dieses verschiedenen Erfolgs aufgedeckt. Derselbe machte die Beobachtung, dass eine schwache Reizung des Nervus laryngeus superior Verlangsamung der Athembewegungen und eine st\u00e4rkere Stillstand desselben in Exspiration erzeugt; dass dagegen, wenn man den Vagus so weit unten am Halso durchschneidet und dergestalt reizt, dass weder Stromesschleifen noch secund\u00e4re Erregungen den Nervus laryngeus superior treffen, man Beschleunigung resp. Stillstand der Athembewegungen in der Inspiration erh\u00e4lt ***). Zu diesen allgemeinen Erfahrungen hat er noch eine Anzahl einzelner hinzugef\u00fcgt, von denen die folgenden die wichtigsten sind. Bei der alleinigen Reizung des Nervus laryngeus superior mit schwachen Str\u00f6men contrahirt sich das Zwerchfell der Art, dass die Pausen zwischen zwei auf einander folgenden Contractionen immer l\u00e4nger werden, bei solcher mit starken bleibt das Zwerchfell in voller Erschlaffung w\u00e4hrend vieler Secunden, bis endlich eine starke Zusammenziehung desselben durchbricht. W\u00e4hrend der Erschlaffung des Zwerchfells treten kleine,\n*) Eckhard : Grundz\u00fcge der Nervenphysiologie. p. 136.\n**) Budge: Compt. rendus 1854. XXXIX. 749 ff.\n***) Ich kann nicht umhin, zu bemerken, dass Herr Bosenthal in der Darstellung der Angaben von Traube und Budge etc. partheilich verfahren hat. Herr Kosenthal n\u00e4mlich versteht unter Vagus den Theil der Vagusbahn, nachdem der Nervus laryngeus abgegeben ist. An dieser Stelle des Nerven hat Traube seine Versuche angestellt, und da Herrn Kosenthal\u2019s Versuche mit den Erfahrungen Traube\u2019s stimmen, so haben alle anderen Beobachter selbstverst\u00e4ndlich Unrecht. Als ich meine Versuche anstellte, fiel es mir gar nicht ein, mich an diese Stelle des Nerven zu wenden. Nicht allein war es mir als Anatom zuwider, vom gereizten Vagus zu sprechen und nur einen Theil seiner Fasern zu reizen, sondern die Vorstellung, dass der Nervus vagus in reflectorischer Beziehung zur Medulla oblongata stehe, verlangte geradezu die Miteinsckliessmig des Nervus laryngeus superior als des vorzugsweise centripetal wirkenden Astes in den zu reizenden Nerven. So bekam ich nat\u00fcrlich bei starken Str\u00f6men Stillstand in Exstirpationsstellung. Meine-Beobachtung ist also gleichwohl richtig. Herr Rosenthal hat daher gar keinen Grund, sich so sehr zu verwundern, dass die leicht anzustellenden Versuche am Vagus, in seinem Sinn genommen, zu so widersprechenden Angaben gef\u00fchrt haben. Dass ich damals Vern\u00fcnftigermassen den Nervus laryngeus superior mit in die Beizung einschloss, hat seine Fr\u00fcchte getragen. Der Widerspruch hat zu einer sch\u00f6nen Entdeckung gef\u00fchrt. Ohne ihn w\u00fcrde Bosenthal\u2019s Buch \u00fcber die Athembewegungen dann wahrscheinlich noch nicht existiren.","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nZusammenziehungen exspiratorischer Muskeln auf, die unter Umst\u00e4nden in eine Art von Tetanus \u00fcbergehen k\u00f6nnen. Dieses Verhalten hat Rosen-t\u00ef\u00eeal veranlasst, den Nervus laryngeus superior f\u00fcr den Hemmtmgsnerven des Ziverchfells zu erkl\u00e4ren. Ich hatte fr\u00fcher dieselbe Idee, nur mit dem Unterschiede, ausgesprochen, dass ich als Hemmungsnerv den noch den Nervus laryngeus superior enthaltenden Vagus ansah. Bei der Erregung des Nervus vagus unterhalb des Abgangs des Nervus laryngeus superior k\u00f6nnen alle Inspirationsmuskeln reflectorisch erregt werden, nicht aber die Exspiratoren, selbstverst\u00e4ndlich, was die Dauer und St\u00e4rke der Zusammenziehung der ersteren anlangt, innerhalb sehr weiter Grenzen, welche wesentlich durch die St\u00e4rke des Reizes mit bedingt werden.\n5. Er hat Einfluss auf die Ern\u00e4hrungserscheinungen in der Lunge. Schon sehr fr\u00fch ist beobachtet worden, dass nach der Vagussection betr\u00e4chtliche Ver\u00e4nderungen in dem Lungengewebe statt haben und dass fr\u00fcher oder sp\u00e4ter der Tod des Thieres unvermeidlich eintritt. Kaninchen \u00fcberleben die Operation selten l\u00e4nger als 20\u201430 Stunden. Die Autopsie der an den Folgen der Vagusdurchschneidung zu Grunde gegangenen Thiere ergiebt das Vorhandensein von schleimigen und ser\u00f6sen Massen in den Bronchien und Luftbl\u00e4schen, so dass man bisweilen M\u00fche hat, einzelne Lungenl\u00e4ppchen aufzublasen; selbst blutige Erg\u00fcsse nnd Coagulation derselben, welche dem Lungengewebe ein ganz ver\u00e4ndertes Ansehen geben, werden h\u00e4ufig gefunden. Ebenso begegnet man auch hie und da vesicul\u00e4rem Emphysem. In Folge der dadurch stark beeintr\u00e4chtigten Function der Lunge sind die Unterschiede zwischen arteriellem und ven\u00f6sem Blut fast vollst\u00e4ndig verwischt. Diese Ver\u00e4nderungen stellen sich auch ein ) wenn man den Thieren Tracheal-fisteln anlegt und Kan\u00fclen einbindet, obschon die Erscheinungen in derselben Zeit weniger intensiv auftreten, zumal wenn man den in der Can\u00fcle sich ansammelnden Schleim \u00f6fters sorgf\u00e4ltig entfernt. Die Ursachen dieser Erscheinungen hat man anf\u00e4nglich meist ausschliesslich in dem einen oder anderen Umstand gesucht, der die Vagussection begleitet; so z. B. darin, dass durch die gel\u00e4hmte Glottis Speise und Getr\u00e4nk in die Luftr\u00f6hre gelange, was ausserdem noch besonders leicht desshalb geschehen k\u00f6nne, weil in dem gel\u00e4hmten Oesophagus sich die aufgenommene Nahrung anh\u00e4ufen m\u00fcsste; oder in Ver\u00e4nderungen der Lungengef\u00e4sse und feinsten Bronchien, welche der Vagusdurchschneidung folgen sollten , etwa so, wie die Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen, welche die Trige-minusdurchschneidung begleiten; oder in dem vermehrten Herzschlag, welcher mehr Blut und dasselbe noch unter einem h\u00f6hern Druck als vorher durch die Lungen treibt etc. Wahrscheinlich wirken aber mehre dieser und vielleicht noch andere Ursachen zusammen. Indess lassen","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"237\nsich manche derselben nicht hinl\u00e4nglich scharf absondern und gestatten daher keine besondere Sch\u00e4tzung ihres alleinigen Effectes, wie dies namentlich mit der unterstellten Ver\u00e4nderung der Lungengef\u00e4sse und den Folgen des beschleunigten Herzschlags der Fall ist. Einige andere dagegen, wie namentlich das Hineingerathen von Speisen in die Luftr\u00f6hre, [assen sich ausschliesscn. Man hat nach der Durchschneidung des Vagus eine Trachealfistel angelegt, eine Can\u00fcle eingebunden, wodurch der obere Theil der Luftr\u00f6hre, von wo aus ein Eindringen der Speisen zu bef\u00fcrchten war, g\u00e4nzlich von dem unteren abgeschlossen war. Dennoch stellten sich die beschriebenen Ver\u00e4nderungen ein *).\n6.\tEs wird auch vom N. vagus behauptet, dass er reflectorisch auf die Absonderung der glandula submaxillaris wirke. Oe hl **) giebt \u00fcber diesen Punkt an, dass Erregung des Vagus am Halse zu vermehrter Secretion in beiden Unterkieferdr\u00fcsen f\u00fchre und zwar vorzugsweise in der der erregten Seite entsprechenden. Die Wirkung soll erst einige Zeit nach der Reizung, wenn Uebelkeit zu erscheinen anf\u00e4ngt, auftreten. Sie soll fehlen, wenn man vorher die Chorda tympani durchschneidet. Auch von der Schleimhautoberfl\u00e4che des Magens aus soll jene Erscheinung einzuleiten sein ; er sah sie beim Einsprifzen reizender Fl\u00fcssigkeiten durch eine Magenfistel. Ich habe lange vordem Erscheinen von Oe Ill\u2019s Arbeit denselben Gegenstand einmal unter den H\u00e4nden gehabt. Ich kam jedoch zu keinem recht entscheidenden Resultat und gab daher die Sache auf. Bald schien eine unbedeutende Absonderung mit der Reizung der Magenschleimhaut zu coincidiren, bald stellte sich gar Nichts ein. Reizungen des V agusstammes habe ich nicht versucht. Meine fr\u00fchem Zweifel an dem Bestehen einer solchen Function des Nervus vagus sind von neuem besonders lebhaft geworden durch die xArbeit von Schl\u00fcter, der von dieser Angelegenheit gar Nichts erw\u00e4hnt, obgleich man meinen sollte, dass, wenn es mit ihr seine Richtigkeit h\u00e4tte, er Etwas von ihr gesehen haben m\u00fcsste. Auf die Absonderung in der Parotis wirkt er ebenfals nicht reflectorisch ***).\n7.\tFerner haben wir den Einfluss des Nervus vagus auf die Ma-gensaftsecretion und die Verdauung zu besprechen. Darin stimmen wohl ohne Zweifel alle Beobachter \u00fcberein, dass nach der Durchschneidung der beiden Nervi vagi am Halse St\u00f6rungen in dem Verdauungsgesch\u00e4fte eintreten; es werden, wenn auch nicht immer, doch h\u00e4ufig, geringere\n*) Schifl': Ueber den Einfluss der Vagusdurchschneidung auf das Lungengewebe. Vierordt\u2019s Archiv. Bd. IX. S. 628.\n**) Comptes rendus. LIX. p. 336.\n***) V. Wittich: Berliner klinische Wochenschrift, lt. Juni. 1866. S. 255.","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nMengen von Magensaft abgesondert und die verdauende Kraft desselben ist nicht unerheblich herabgesetzt. Unter Anderen haben Bidder und Schmidt *) dies durch quantitative Versuche ausser allen Zweifel gesetzt. Es entsteht aber die Frage, ob die Lungenmagennerven direct die Absonderung des Magensaftes nach Menge und Beschaffenheit beherrschen, oder ob jene Ver\u00e4nderungen nur die Folgen anderer, durch den gel\u00e4hmten Vagus eingeleiteter Umst\u00e4nde sind. Die oben erw\u00e4hnten Forscher entschieden sich f\u00fcr die letzte Annahme. Aus der bei ihren Versuchen \u00fcber die Durchschneidung der Vagi gemachten Beobachtung, dass die operirten Thiere die aufgenommene feste und fl\u00fcssige Nahrung nicht verschlucken konnten, sondern die im Schlunde angeh\u00e4uften Massen durch Erbrechen entleerten, schlossen sie, dass jene Ver\u00e4nderungen bez\u00fcglich der Absonderung und Verdauungsf\u00e4higkeit des Magensaftes dadurch erzeugt w\u00fcrden, dass der f\u00fcr beide so wichtige Speichel nicht in den Magen hinabbef\u00f6rdert werden k\u00f6nnte. Sie wurden in dieser Ansicht durch den Umstand best\u00e4rkt, dass die Menge des abgesonderten Magensaftes, sowie der S\u00e4uregehalt desselben sich gleichblieben, wenn sie in zwei mit einander zu vergleichenden Versuchen in dem einen durch Unterbindung der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Speicheldr\u00fcsen, in dem andern durch Vagussection den Zutritt von Speichel zum Magensaft verhinderten. Cl. Bernard**) und Pinkus ***) kamen durch Untersuchungen \u00fcber denselben Gegenstand zu anderen Ansichten. Der erste giebt an, gefunden zu haben, dass nach der Vagussection die Absonderung eines \u00e4chten Magensaftes aufh\u00f6rte und durch die Secretion eines z\u00e4hen Stoffes neutraler Reaction ersetzt wurde, und dass demgem\u00e4ss auch eine Verdauung nicht mehr statt fand. Der letzte behauptet sogar, gesehen zu haben, dass der Magensaft nach der erw\u00e4hnten Operation eine alkalische Reaction angenommen hatte, und dass, wie zu erwarten, er auch nicht mehr die characteristische Eigenschaft besessen habe, Ei-weiss aufzul\u00f6ssen und Milch zu coaguliren. Um diese beiden Ansichten von Bidder und Schmidt einerseits, Bernard und Pinkus andrerseits gruppiren sich die anderen Physiologen \u00e4lterer Zeiten und der j\u00fcngsten Vergangenheit, die sich mit diesem Gegenstand besch\u00e4ftigt haben, wie Haller, Broughton, Leuret, Lassaigne, Frerichs, Pan um und Br\u00fccke. Nur Longet macht davon eine Ausnahme;\n*) Die Verdauungss\u00e4fte und der Stoffwechsel. S. 90 ff.\n**) Bernard: de l\u2019influence des nerfs de la huiti\u00e8me paire sur les ph\u00e9nom\u00e8nes chimiques de la digestion; gazette medicale de Paris, ann\u00e9e 1844. p. 354.\n***) Pinkus: Exp\u00e9rimenta de vi nervi Vagi et Sympathici ad vasa, secretionem tractus intestinalis et renum.","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"239\ner leitet die nach der Vagustrennung beobachtete Verminderung der verdauenden Kraft des Magens von dem Mangel an Bewegung ab, die sich nach der Trennung des Vagus am Magen einstellen m\u00fcsse. Indess sind die Versuche, auf welche die genannten Ansichten gest\u00fctzt sind, manchen Ausstellungen f\u00e4hig und darum nicht geeignet, den Streit zu schlichten. In Bezug auf Bidder\u2019s und Schmidt\u2019s Versuche kann gesagt werden, dass bei der von ihnen angewendeten Methode der Va-gussection allzu bedeutende St\u00f6rungen in dem Mechanismus der Respiration eingef\u00fchrt w\u00fcrden, was von Nachtheil auch f\u00fcr andere Functionen sein und m\u00f6glicher Weise auch den Vorgang der Verdauung ber\u00fchren k\u00f6nne. Ueberdem kann man es f\u00fcr m\u00f6glich halten, dass w\u00e4hrend des Verlaufes des Vagus durch die Brusth\u00f6hle sich Ganglien in oder an seine Fasern legen, welche seinen Einfluss auf die Verdauung mit bedingen helfen. F\u00fcr Bernard\u2019s Versuche und die einiger anderer Forscher, wie z. B. Pan um, kann man das Vertrauen zur\u00fcckhalten, weil sie zweckm\u00e4ssiger Vervielf\u00e4ltigungen entbehren. Gegen die von Pinkus angestellten Experimente l\u00e4sst sich, obschon dabei die Respirationsst\u00f6rungen dadurch vermieden worden sind, dass der Verfasser die Vagi in der N\u00e4he der Cardia durchschnitt, bemerken, dass die Eingriffe der Operation im Allgemeinen so heftig, speciell in Beziehung auf den Magen so eingreifend und die Dauer des hierdurch in hohem Grade gef\u00e4hrdeten Lebens so kurz war, dass es sehr gewagt erscheint, die nach diesen Umst\u00e4nden im Magen aufgefundene Fl\u00fcssigkeit als einen nur durch den Wegfall der Einwirkung der Vagi auf die Absonderung bewirkten Magensaft anzusehen. Von diesen Einwendungen ist eine Untersuchung von Kritzler*) frei. Bei den bez\u00fcglichen Experimenten wurde die Durch-schneidung der Lungenmagennerven gleichfalls in der N\u00e4he der Cardia vorgenommen, durch Uebung der Operation aber und sorgsame Pflege der operirten Thiere wurde es dahin gebracht, dass die Thiere sich bald von den Folgen der Operationseingriffe erholten und so dem Magen Gelegenheit gegeben wurde, sich von den ihm w\u00e4hrend der Operation zugef\u00fcgten Misshandlungen zu erholen. Die Thiere \u00fcberlebten die Operation Tage und Wochen lang und wurden zu beliebigen Zeiten, nachdem man ihnen einige Stunden vorher Nahrung gereicht hatte, get\u00f6dtet. Bei allen fand man : eine deutlich saure Reaction des Magensaftes, die auf-genommenen Nahrungsmittel in dem der Zeit der Einf\u00fchrung entsprechenden Verdauungsstadium und die Ghylusgef\u00e4sse in einer Ausdehnung gef\u00fcllt, wie man es der Zeit der Verdauung nach erwarten konnte. Zu den-\n*) Kritzler: Ueber den Einfluss des Nervus vagus anf die Beschaffenheit der Secretion der Magensaftdriisen und die Verdauung. Giessen 1860.","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"selben Resultaten kam auch Schiff *) unabh\u00e4ngig von dieser Untersuchung.\n8. Es ist auch behauptet worden, dass das Gef\u00fchl des Hungers und Durstes durch den Nervus vagus vermittelt werde. Die Experimentalphysiologie hat keine besondere Veranlassung, diese Behauptung auf ihre Wahrheit oder Unwahrheit zu pr\u00fcfen; denn man sieht auf der Stelle ein, dass Hunger und Durst zwei Empfindungen sind, auf deren Existenz oder Fehlen bei Thieren man mit Sicherheit nicht aus der Aufnahme oder Verweigerung von Nahrung und Getr\u00e4nk schliessen kann, dass uns also die Mittel fehlen, befriedigende Schlussfolgerungen aus den an Thieren angestellten Experimenten zu ziehen. Wir m\u00fcssen also warten, bis einmal zuf\u00e4llig beim Menschen eine Vagusverwundung vorkommt. Die vorsichtige Benutzung und Discussion eines solchen Falles k\u00f6nnte zu einigen Aufschl\u00fcssen f\u00fchren, obschon man auch hier wieder auf allerlei Bedenklichkeiten stossen wird. Als ein Factum aber k\u00f6nnen wir erw\u00e4hnen, dass Thiere, denen die Vagi in der N\u00e4he der Cardia durchschnitten, welche also am Verschlucken nicht gehindert sind, Nahrung und Getr\u00e4nk, wie gew\u00f6hnlich, zu sich nehmen, sobald sie sich nur von den Folgen der Operation erholt haben. Wenn man das Fressen dieser Thiere als ein sicheres Zeichen ihres Plungers annehmen k\u00f6nnte, w\u00fcrden diese Erfahrungen zum mindesten beweisen, dass nicht die Magen\u00e4ste des Vagus das Hungergef\u00fchl ausschliesslich vermitteln. Ebenso ist es bekannt, dass bei der Vagussection am Halse, wenn die ersten Folgen der Operation vor\u00fcber sind und die nachfolgenden Ver\u00e4nderungen der Lungen nicht all\u00e4u rapid vorschreiten, die Thiere wieder zu fressen beginnen. In der Regel gelangt aber von der Nahrung Wenig oder gar Nichts in den Magen, indem der gel\u00e4hmte Oesophagus dieselbe nicht abw\u00e4rts bef\u00f6rdern kann; sie wird daher, wenn der obere Theil des Schlundes voll ist, wieder ausgeworfen und nicht selten von neuem verschlungen. Man hat derartige Erfahrungen wohl fr\u00fcher f\u00fcr die Meinung herbeigezogen, dass auch das S\u00e4ttigungsgef\u00fchl durch den Vagus vermittelt werde, welches jetzt mit der Durchschneidung dieses Nerven verloren gegangen sei. Da aber, wie man sich bei I liieren mit Magenfisteln \u00fcberzeugen kann, bei dieser scheinbaren Uners\u00e4ttlichkeit Nichts in den Magen kommt, so ist augenscheinlich hier von einem Beweise jener Meinung keine Rede. Ebenso kann man aus denselben Versuchen, nat\u00fcrlich gleichfalls unter der eben gemachten Voraussetzung, schliessen, dass das Hungergef\u00fchl nicht an die Integrit\u00e4t unterhalb der\n*) Schiff : Neue Untersuchungen \u00fcber den Einfluss des Nervus vagus auf die Magenth\u00e4tigkeit. Schweiz. Monatschrift.f\u00fcr prakt. Medicin. Nr. XI u. XII. I860.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"241\nTrennungsstelle gelegenen Schlund\u00e4ste des Vagus gekn\u00fcpft sei. Aus der Mittkeilung aber der haupts\u00e4chlichsten, den in Rede stehenden Punkt betreffenden Thatsachen und den dazu gemachten Bemerkungen ergiebt sich unmittelbar die Rechtfertigung der Eingangs dieser Nummer gemachten Bemerkung. Es kann zufolge derselben nur gesagt werden, dass m;t grosser Wahrscheinlichkeit das Hunger- und S\u00e4ttigungsgef\u00fchl keine Functionen der Lungenmagennerven sind. Unterst\u00fctzt wird diese Wahrscheinlichkeit noch durch den Umstand, dass die erw\u00e4hnten Gef\u00fchle nicht scharf localisirt sind, sondern mehr Aehnlichkeit mit den Empfindungen von allgemeinen K\u00f6rperzust\u00e4nden, wie M\u00fcdigkeit, Unwohlsein etc. haben. Man hat sich bei der Vertretung dieser Meinung auch wohl noch auf andere Thatsachen berufen, wie z. B. auf das Verschwinden des Hungergef\u00fchls bei Einf\u00fchrung von Nahrung auf anderen als den Verdauungswegen, den Mangel von Hungergef\u00fchl in Krankheiten bei leerem Magen etc. Wir d\u00fcrfen aber hier mit der Aufz\u00e4hlung solcher Thatsachen nicht fortfahren, da wir sonst unserem Vorsatz untreu werden, f\u00fcr die abzuhandelnden Lehren m\u00f6glichst \u00fcberzeugende Beweise beizubringen.\n9. Der Ramus auricularis Nervi vagi steht in reflectorischer Beziehung zu den Gef\u00e4ssen des Ohrs. Diese Thatsache wurde zuerst durch S n eilen * **)) festgesetzt. Er zeigte, dass eine schmerzhafte Reizung des centralen Stumpfes des genannten Vagusastes zun\u00e4chst eine Verengerung, dann eine Erweiterung der Arterien des Kaninchenohres bedingt. Durch jenen Beobachter wurde auch der Beweis erbracht, dass das ganze Ph\u00e4nomen eine reflectorische Erscheinung sei, bei deren Zustandekommen ausser jenem Nerven sich noch das verl\u00e4ngerte Mark und von dem Halsstamm des Sympathicus zu den Ohrgef\u00e4ssen gehende Zweige betheiligen. Nach der Durchschneidung des Sympathicus am Halse tritt bei Reizung des erw\u00e4hnten Stumpfes die Erscheinung nicht ein. In neuerer Zeit hat Loren diese Versuche in Ludwig\u2019s Laboratorium wiederholt. Er best\u00e4tigte Snellen\u2019s Angaben und suchte dann weiter Aufkl\u00e4rung \u00fcber den Zusammenhang zwischen der anf\u00e4nglichen Verengerung und der sp\u00e4tem Erweiterung der Arterien. Wenn es ihm auch nicht vollst\u00e4ndig gelungen ist, denselben aufzudecken, so hat er doch mehre Thatsachen gefunden, welche der scheinbar nahe liegenden Mei-\n*) Snellen: De in vloed der zenuwen op de ontsteking proefondervin delijk getoetst. Dissertatio, Utrecht 1857.\n**) Loren : Ueber die Erweiterung der Arterien in Folge einer Nervenerregung. Berichte der K\u00f6nigl. Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften. Mathematisch-Physische. Classe. 30. Mai 1866.\nEckhard, Nervenphysiologie.\n16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"nung, dass die Erweiterung eine Folge der Erm\u00fcdung des Sympathies sei, nicht g\u00fcnstig sind. So fand er, dass keine Proportionalit\u00e4t zwischen der Erweiterung und vorhergehenden Verengerung besteht, dass es ferner F\u00e4lle giebt, in denen gar keine Verengerung vorhergeht und noch andere, bei denen der Erweiterung eine Verengerung folgte. Dieser Gegenstand bedarf einer weiteren Bearbeitung.\n\" \u00a7\u2022 24.\nPhysiologie des Nervus hypoglossus und Nervus accessorius.\nDer Nervus hypoglossus ist wesentlich motorischer Natur. Folgende Muskeln sind von ihm aus in Bewegung gesetzt worden : styloglossus, hyoglossus, genioglossus, lingualis, thyreohyoideus, sternohyoideus, ster-nothyoreoideus und omohyoideus. Ueberdiess schliesst er auch sensitive F\u00e4den ein. Ein Tlieil derselben fliesst ihm entschieden aus fremden Quellen, den obersten Halsnerven und dem Trigeminus, zu. Eine andere Frage ist\u2019s, ob er solche auch schon in seinem Ursprung enthalte. Aut experimentellem Wege ist zur Zeit noch nicht dar\u00fcber entschieden und auch von Seiten der Anatomie sind bis jetzt keine beweisenden Gr\u00fcnde zur Entscheidung in dieser Angelegenheit beigebracht worden. Man kennt zwar bei wenigen Thieren an einigen F\u00e4den dieses Nerven ein kleines Ganglienkn\u00f6tchen *), und k\u00f6nnte hieraus, da es eine Beobachtung ist, dass an sensitiven F\u00e4den viel h\u00e4ufiger Ganglienknoten, als an motorischen angetroffen werden, einen Wahrscheinlichkeitsgrund f\u00fcr die Voraussetzung entnehmen, dass einige der Wurzelf\u00e4den des Nervus hypoglossus bereits sensitiver Natur seien. Doch erbringen wir mit dieser Bemerkung keinen vollgiltigen Beweis. Die Function des Bamus car-diacus dieses Nerven ist unbekannt.\nAus der anatomischen Thatsache, dass der Nervus vagus in ein Ganglion tritt, dagegen der Nervus accessorius daran vorbeigeht, hierauf aber beide Nerven mit einander in Verbindung treten, hat eine voreilige Betrachtung eine Nichts sagende Analogie beider Nerven mit einem R\u00fcckenmarksnerven, wobei man den Vagus als sensible und den Accessorius als motorische Wurzel ansah, abgeleitet. Bi sch off und Reid haben gezeigt, dass der Vagus bereits in seinen Wurzeln motorische\n*) Luschka: Die sensitiven Zweige des Zungenfleischnerven des Menschen. Muller\u2019s Archiv* 1856. S. 62.","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"243\nF\u00e4den f\u00fchrt, und Dies allein reicht schon hin, von der weiteren Verfolgung jener'Analogie abzustehen.\nDie Wurzelf\u00e4den des Nervus accessorius anlangend, so ist von ihnen zu bemerken : a) dass sie in Beziehung zum Rhythmus der Herzbewegung stehen sollen. Dieser Punkt ist bereits S. 201 ff. besprochen worden, b) dass \u00fcber die motorischen Elemente dieses Nerven keine Uebereinstimmung unter den Angaben der verschiedenen Forscher besteht, welche sich mit diesem Gegenstand befasst haben. Bez\u00fcglich der Innervation der Mm. sternocleidomastoideus und cucullaris durch den Accessorius herrscht zwar Uebereinstimmung, jedoch nicht \u00fcber den Rest der bewegenden Elemente. Einige Forscher behaupten, dass der Nervus accessorius auch die Kehlkopfmuskebi beherrsche. Zuerst war es Bisch off *), welcher durch Trennung der Wurzelf\u00e4den nach er\u00f6ffnetem R\u00fcckenmarkskanale diese Function des Accessorius zu beweisen suchte. Obschon er bei seinen Versuchen mit den bereits oben S. 202 erw\u00e4hnten Blutungen vielfach zu k\u00e4mpfen hatte, gelang es ihm doch, bei einer Ziege nachzuweisen, dass nach der Durchschneidung der Wurzelf\u00e4den der \u00dfeinerven die Stimme rauher wurde. Longet**), Bernard ***) und Valentin f) haben sich zufolge eigener Versuche dieser Lehre angeschlossen. Longet adoptirte Bischoff\u2019s Verfahren, Bernard und Valentin dagegen rissen den Nerven von aussen her aus. Bernard will noch die Beobachtung gemacht haben, dass die der Zusammenziehung der Kehlkopfmuskeln vorstehenden Fasern vorzugsweise in den oberen Wurzelf\u00e4den gelegen seien. Volkmann ff) und van Kempen fff) sind anderer Ansicht. Der Erste beruft sich auf unzweideutige Versuche, welche er an enthirnten Hunden anstellte und welche ergaben, dass nach der Durchschneidung des Beinerven die Bewegungen des Kehlkopfes ungest\u00f6rt fortdauerten. Der Letzte stellte seine Versuche an\n*) Bischoff: Nervi accessorii Willisii anatomia et physiologia. Heidel-bergae 1832.\n**) Bonget: Recherches exp\u00e9rimentales sur les fonctions des muscles du larynx et sur l\u2019influence du nerf accessoire de Willis dans la phonation. Paris 1841.\n***) Bernard, in den Archives g\u00e9n\u00e9rales de M\u00e9dicine. Paris 1844. Avril et Mai.\nf) Valentin: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Aufl. II. Bd. 2. Abth. S. 412.\nff) Volkmann: Artikel \u201eNervenphysiologie'1 in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie. Bd. II. S. 590.\nfff) E. M. van Kempen: Nouvelles r\u00e9cherches sur la nature fonctionelle des racines du Nerf pneumogastrique et du Nerf spinal. Bruxelles 1863. Journal de physiologie. Tome VI. 1863. p. 284\u2014305. Bulletin de l\u2019academie de Med. de Belgique.\t-p. 668-678.\t1863. p. 182\u2014192.\n16 *","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nfrisch get\u00f6dteten Thieren an und bediente sich dabei nur der mechanischen Reizung. An Kaninchen durchschnitt er das verl\u00e4ngerte Mark an der Grenze der Ursprungsf\u00e4den des Accessorius und Vagus. Die Reizung der oberen H\u00e4lfte lieferte Verk\u00fcrzungen des Schlundkopfes, der Speiser\u00f6hre und der Kehlkopfmuskeln, die der unteren dagegen solche des Cucullaris und Sternocleidomastoideus. Ich selbst habe diesen Gegenstand niemals gepr\u00fcft und muss mich also hier rein referirend verhalten. Sollten sich van Kern pen's Angaben best\u00e4tigen, so sind der S. 191 gegebenen Uebersicht der vom Vagus versorgten Muskeln noch die Kehlkopfmuskeln zuzuf\u00fcgen, c) dass seine Sensibilit\u00e4t sehr gering ist, vielleicht ihm ganz und gar abgeht. Bernard und van Kempen ertheilen ihm Empfindlichkeit und der erste giebt \u2019weiter von ihr an, dass sie vorzugsweise an den am weitesten nach oben entspringenden Fasern ausgepr\u00e4gt sei. Andere Forscher sind \u00fcber diesen Punkt zweifelhaft und machen auf die Gefahr aufmerksam, welcher man beim Experimen-tiren durch die sehr empfindliche Medulla \"oblongata ausgesetzt ist.\n\u00a7. 25.\nPhysiologie des R\u00fcckenmarks.\nDie Leitungsgesetze des R\u00fcckenmarks. Die in den zu dem R\u00fcckenmark hinf\u00fchrenden sensibeln und in den davon wegf\u00fchrenden motorischen Nerven erzeugten Innervations Vorg\u00e4nge pflanzen sich innerhalb des R\u00fcckenmarks auf Wegen fort, deren Verlauf erfahrungsgem\u00e4ss gewissen Anordnungen folgt. Unbek\u00fcmmert darum, ob auf diesen Bahnen die Innervationsvorg\u00e4nge stets an die Continuit\u00e4t der Nervenfasern gekn\u00fcpft sind oder nicht und weiterhin vorerst davon absehend, ob den Innervationsvorg\u00e4ngen w\u00e4hrend ihrer Fortpflanzung durch das R\u00fcckenmark hin gewisse Eigenschaften zugef\u00fcgt werden oder nicht, besch\u00e4ftigen wir uns jetzt ausschliesslich damit, das Gesetzm\u00e4ssige in dem Verlaufe jener Wege darzustellen. Dabei werden zun\u00e4chst nur die w\u00fclk\u00fchrlichen motorischen Erregungen und die bewussten Empfindungen in Betracht gezogen. Das Experiment und die microscopische Anatomie haben beide Antheil an der Ausmittelung der bis jetzt \u00fcber diesen Punkt bekannten Thatsachen. Man sollte meinen, dass, da es sich hier um Functionen eines verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grossen Gebildes und ebenso um ver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig wenige und einfache Fragen handelt, Nichts leichter sein m\u00fcsste, als eine befriedigende Zeichnung von den Wegen zu entwerfen, um die es sich hier handelt. Leider ist dem nicht so. Eine Durchsicht der auf diesen Gegenstand bez\u00fcglichen Arbeiten f\u00fchrt den Leser auf einen Zustand von Verworrenheit und Widerspr\u00fcchen, aus welchem kaum","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"245\nherauszukommen ist. Wir werden uns daher im Folgenden bem\u00fchen m\u00fcssen, nur diejenigen Resultate zu verzeichnen, welche bei den bessern Beobachtern zumeist wiederkehren, diejenigen aber, welche durch Beobachtungen gewonnen wurden, deren Methoden entweder gar nicht, oder nur unvollkommen mitgetheilt oder augenscheinlichen Einw\u00fcrfen ausgestellt sind, in den Hintergrund treten zu lassen.\nDas Bem\u00fchen, den Verlauf der Wege f\u00fcr die beiden genannten Vorg\u00e4nge durch das R\u00fcckenmark hindurch zu erforschen, beginnt in ernster Weise erst mit Ch. Bell, bei welchem es offenbar mit seiner Entdeckung \u00fcber die verschiedene Function der beiden Nervenwurzel-arten zusammenh\u00e4ngt. In dem zweiten und dritten Decennium dieses Jahrhunderts wurde derselbe Gegenstand, jedoch verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig unfruchtbar, von Magendie, Schoeps und Rolando weiter gef\u00fchrt. Mit dem Anfang des vierten unternahm Longet eine gr\u00f6ssere dahin einschlagende Untersuchung. Wer historisches Detail liebt, findet das hieher geh\u00f6rige bis zu diesem Zeitpunkt von Longet in dem unten citirten Werke gut zusammengestellt *). Schon einige Jahre fr\u00fcher hatte van Deen *) \u00e4hnliche Untersuchungen angestellt. Sie wurden aber erst im Anf\u00e4nge der 40er Jahre ausgebreiteter bekannt. Diesen folgten in demselben Decennium die Arbeiten von Stilling***) und Eigenbrodt f). Ihnen reihen sich von dem vorigen Jahrzehend namentlich die Arbeiten von T\u00fcrk ff), Brown-Sequard fff) und v. Bezold an. Die angewendeten Methoden sind von sehr verschiedenem Werth, \u00fcberdies aber die guten Seiten mancher von ihnen durch wenig umsichtige Kritik im einzelnen Fall oft sehr beeintr\u00e4chtigt. Wir werden Gelegenheit haben, den Werth einzelner derselben zu w\u00fcrdigen. Unter den am sichersten ausgemittelten Thatsachen haben wir nun zu erw\u00e4hnen :\n1. dass die willTc\u00fchrlich motorischen und bewussten sensitiven Vorg\u00e4nge w\u00e4hrend ihres Verlaufs durch das B\u00fcclcenm,ark nicht s\u00e4mmtlich auf der Seite verbleiben, auf der sie erregt wurden, sondern an irgend welchen\n*) Longet: R\u00e9cherches experimentales sur les propri\u00e9t\u00e9s et les fonctions des faisceaux de la moelle \u00e9pini\u00e8re et des nerfs rachidiennes. Paris 1841.\n**) Van Deen : Trait\u00e9s et d\u00e9couvertes sur la physiologie de la moelle \u00e9pini\u00e8re. Leide 1841.\n***) Stilling : Untersuchungen \u00fcber die Functionen des R\u00fcckenmarks und der Nerven. Leipzig 1842.\n+) Eigenbrodt: Ueber die Leitungsgesetze im R\u00fcckenmark. Giessen 1849. \u25a0j-f) T\u00fcrk: Sitzungsberichte der Wiener Academie. 1851. fff) Brown-Sequard: Gaz. m\u00e9d. de Paris. 1854. 1855, revue m\u00e9d. 1856.","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nStellen die von vorn nach hinten durch die Mitte des U\u00fcckenmarlcs gelegt gedachte Ebene \u00fcberschreiten. Man muss diesen Satz den folgenden Erfahrungen gem\u00e4ss behaupten. Bei einseitigen L\u00e4hmungen der Muskeln und dem Verschwinden des Gef\u00fchls ergeben sich, falls die Ursache davon eine cerebrale ist, die L\u00e4sionen in Hirntheilen der entgegengesetzten Seite, insbesondere in denen, die schon oben bei der Physiologie des Gehirns namhaft gemacht wurden. Zun\u00e4chst beweisst nun zwar diese Erfahrung nur, dass Kreuzung der Innervationsvorg\u00e4nge statt findet; \u00fcber den Ort derselben entscheidet sie nicht. Dieser kann im Gehirn oder R\u00fcckenmark, oder in beiden Theilen liegen. Besondere, am R\u00fcckenmark angestellte Durchschneidungsversuche beweisen, dass an diesem Kreuzungen der Innervationsvorg\u00e4nge Vorkommen. Dass ausser ihnen noch solche im Gehirn liegen k\u00f6nnen, wird damit nicht gel\u00e4ugnet. In der That sprechen verschiedene Umst\u00e4nde daf\u00fcr, dass solche auch hier existiren. Dahin z\u00e4hlen : die Kreuzungen verschiedener Hirnnerven, das Uebertreten von Nervenfasern aus einer H\u00e4lfte der Br\u00fccke in die andere etc. Ich setze einige der besseren Versuchsreihen hierher. Zuvor sei jedoch noch bemerkt, dass f\u00fcr die Er\u00f6rterung des Theils unserer Behauptung, welcher sich auf die Empfindung bezieht, sich nur h\u00f6here Wirbelthiere, namentlich S\u00e4ugethiere, eignen. Bei Fr\u00f6schen sind die Aeusserungen \u00fcber erhaltene Empfindungen viel zu dunkel und unbestimmt, um zu so wichtigen Schl\u00fcssen benutzt werden zu k\u00f6nnen. Entsprechend dieser Ueber-zeugung nehme ich nur auf Versuche an S\u00e4ugethieren R\u00fccksicht, wenn es sich um Empfindungserscheinungen handelt. Entscheidend f\u00fcr den aufgestellten Lehrsatz sind die Erfolge, welche vanDeen, Stilling, Eigenbrodt, Brown-Sequard, Or6 und Andere bei Durchschneidung einer Seitenh\u00e4lfte des R\u00fcckenmarks beobachtet haben. Bez\u00fcglich der willk\u00fcrlichen Bewegungen sahen sie bei Fr\u00f6schen und Hunden, bez\u00fcglich der Empfindung bei letzteren, dass auf der kranken Seite in Theilen, deren Nervenwurzeln nicht allzu dicht in der N\u00e4he des Schnittes entsprangen, noch willk\u00fchrliche Bewegung resp. Gef\u00fchl, obgleich mehr oder weniger, in manchen F\u00e4llen jedoch gar nicht, beeintr\u00e4chtigt, vorhanden waren. In Bezug auf das Gef\u00fchl haben sp\u00e4tere Forscher, namentlich Brown-Sequard und T\u00fcrk, die Abnahme des Gef\u00fchls auf der gesunden Seite unterhalb des Schnittes best\u00e4tigt, f\u00fcr die kranke Seite dagegen sogar eine k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Zeit andauernde Hyper\u00e4sthesie beobachtet. Dies alles beweist, dass Empfindungs- und Bewegungsfasern von der einen Seitenh\u00e4lfte des R\u00fcckenmarks unterhalb der angelegten R\u00fcckenmarkswunde auf die verletzte Seite hin\u00fcber treten m\u00fcssen oder, etwas vorsichtiger ausgedr\u00fcckt, da noch nicht erwiesen ist, dass die genannten Innervationsvorg\u00e4nge an den continuirlichen Faserlauf","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"247\nnothwendig gebunden sind, dass die ersteren ihre Wege von der gesunden Seite unterhalb des Schnittes hin\u00fcber nach der kranken genommen haben m\u00fcssen. Entsprechend diesem Uebergang von der einen zur andern Seite hat man auch beobachtet, dass auf der gesunden Seite St\u00f6rungen in den willk\u00fcrlichen Bewegungen vorkamen. In manchen Versuchen indess, wie z. B. in den von v. Bezold *) an Fr\u00f6schen angestellten, ergaben halbseitige Durchschneidungen, selbst wenn sie am obersten Ende des Markes ausgef\u00fchrt wurden, keine St\u00f6rungen in den Bewegungen auf der gesunden Seite. Solche Erfahrungen sprechen aber nicht gegen die Tbatsache, dass \u00fcberhaupt ein TJebertritt von Innervationsvorg\u00e4ngen von der einen zur anderen Seite statt findet; denn es wird nicht behauptet, dass s\u00e4mmtliche ein Glied betreffende Innervationsvorg\u00e4nge sich kreuzten. Indem wir durch die vorsichtig gew\u00e4hlte Form unseres Satzes neben den sich kreuzenden Innervationswegen auch gleichzeitig noch das Bestehen nur in einer Seitenh\u00e4lfte verlaufender zulassen, kann die Zahl der durch den halbseitigen Schnitt f\u00fcr die entgegengesetzte Seite zerst\u00f6rten Woge merklich gering ausfallen gegen die Zahl der auf der letzteren ohne Kreuzung verlaufenden. Auch ist es bei den zahlreichen Anastomosen der Nervenfasern untereinander mit Hilfe der Ganglienzellen nicht unge-denkbar, dass die auf einer Seite ohne Kreuzung verlaufenden Innervationswege in die von der anderen Seite her\u00fcbergekommenen einm\u00fcnden, und vicarirend diese innerviren, wenn sie auf der anderen Seite oberhalb der Einm\u00fcndungsstelle durch einen Schnitt unterbrochen sind. Ebenso wenig spricht auch das Fehlen von merklicher L\u00e4hmung der Glieder nach einer L\u00e4ngstheilung des R\u00fcckenmarks, welche die Commissuren zerst\u00f6rt, gegen das Bestehen von Kreuzungen der Innervationswege ; die Begr\u00fcndung daf\u00fcr liegt in den eben zuletzt erw\u00e4hnten Ausf\u00fchrungen. Wir k\u00f6nnen mit dieser physiologischen Erfahrung das anatomische Factum in Zusammenhang bringen, dass, wie Eigen brodt und K \u00f6l liker zuerst nachgewiesen haben, in den Commissuren Faserkreuzungen bestehen, wodurch zugleich die Annahme, dass die Innervationsvorg\u00e4nge im R\u00fcckenmark an die Continuit\u00e4t der Fasern gekn\u00fcpft sind, mehr Wahrscheinlichkeit erh\u00e4lt.\n2. Die wessen Vorderstr\u00e4nge f\u00fchren nur motorische, keine sensitiven Vorg\u00e4nge. Die isolirte Durchschneidung der Vorderstr\u00e4nge in dem Sinne, wie ihn die descriptive Anatomie nimmt, ist eine Unm\u00f6glichkeit; nur ann\u00e4herungsweise l\u00e4sst sich dies erreichen. Dabei, sowie auch bei dem Einstechen mit Nadeln in dieselben auf Tiefen, welche ohngef\u00e4hr\n*) V. Bezold : lieber die gekreuzten Wirkungen des R\u00fcckenmarks. Sieb old\u2019s und K\u00f6lliker\u2019s Zeitschrift f\u00fcr \u25a0wissenschaftliche Zoologie. Bd. 9.\t1858. S. 305.","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nder Dicke der Vorderstr\u00e4nge entsprechen, beobachtet man keine Erscheinungen, welche auf die Anwesenheit von Empfindungselementen hindeuteten. Dagegen begegnet man L\u00e4hmungserscheinungen, welche nat\u00fcrlich von der Gr\u00f6sse der Verletzung und der Entfernung der gepr\u00fcften Theile von dem Schnitt abh\u00e4ngen. In letzterer Beziehung sind sie um so weniger bemerkbar, je entfernter der Schnitt nach aufw\u00e4rts von dem in Betracht gezogenen Theile liegt, welche Erfahrung offenbar mit der Thatsache der Kreuzung in der Weise im Zusammenhang gedacht werden kann, dass dann auf eine gr\u00f6ssere Strecke die motorischen Vorg\u00e4nge von der gesunden Seite auf die kranke unterhalb des Schnittes her\u00fcber treten k\u00f6nnen. Die Empfindungslosigkeit der vorderen Str\u00e4nge, sowie ihren Einfluss auf die Bewegung haben Longet, Stilling, Ei-genbrodt und T\u00fcrk beobachtet. Die vorderen Str\u00e4nge f\u00fcr gemischt zu halten, liegt kein gen\u00fcgender Grund vor; denn die Schmerzens\u00e4usse-rungen, welche bei Anwendung von Electricit\u00e4t, etwa gar in der Form von Inductionsstr\u00f6men, auf diese Theile beobachtet worden sind, haben keine Beweiskraft, indem der Nachweis nicht gef\u00fchrt werden kann, dass solche Reize sich nicht auf sensitive Fasern ausgebreitet haben.\n3. Die hinteren Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarks leiten nur sensitive Vorg\u00e4nge. Auch hier muss man es mit dem Worte Str\u00e4nge nicht allzu genau nehmen, indem in der Tiefe ihre Abgrenzung von dem Seitenstrang bei Experimenten nur unsicher angegeben werden kann. Alle Beobachter stimmen nun darin \u00fcberein, dass, wenn man bei S\u00e4ugethier\u00f6n, namentlich Hunden, das R\u00fcckenmark blosslegt, durchschneidet und dann an der oberen Durchschnittsfl\u00e4che des Hinterstranges mechanische Reize einwirken l\u00e4sst, oft die Thiere durch lautes Aufschreien die Existenz von Schmerzen verrathen. Entsprechend dieser Erfahrung geben viele Beobachter auch St\u00f6rungen in der Sensibilit\u00e4t in unterhalb der Schnittfl\u00e4che gelegenen Theilen an. Hiermit steht es nicht im Widerspruch, wenn einzelne Beobachter *) angeben, dass Durchschneidung der Hinterstr\u00e4nge keinen erheblichen Einfluss auf den Zustand der Sensibilit\u00e4t h\u00e4tten, denn Alles wird wesentlich darauf ankommen, wie weit unterhalb des Schnittes die Nerven der gepr\u00fcften Theile ihren Ursprung nehmen, da es hiervon abh\u00e4ngt, ob mehr oder weniger sensitive Fasern aus der gesunden H\u00e4lfte des R\u00fcckenmarks in den Theil unterhalb des Schnittes her\u00fcbertreten. Etwaige Bewegungen, welche bei Durchschneidung der Hinterstr\u00e4nge auftreten, beweisen nicht, dass sie motorischen Vorg\u00e4ngen dienen, da jene reflectirte sein k\u00f6nnen. Nur L\u00e4hmungserscheinungen in unterhalb\n*) T\u00fcrk: Ergebnisse physiologischer Untersuchungen \u00fcber die einzelnen Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarks. Sitzungsberichte der Wiener Academie. YI. Bd. S. 427.\t1857.","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"249\ndes Schnittes liegenden Theilen w\u00fcrden hier entscheidend sein. Diese sind aber bis jetzt nicht beobachtet.\n4.\tDie seitlichen Str\u00e4nge sind gemischt. Insoweit sich an ihnen, als von den Vorder- und Hinterstr\u00e4ngen trennbaren Theilen, experimentiren l\u00e4sst, ist dies das bei den meisten Forschern vorkommende Resultat. Besonderer Werth ist kaum auf diesen Punkt zu legen, da hinl\u00e4nglich scharfe Grenzen f\u00fcr diesen Strang, namentlich auch gegen die Tiefe hin, fehlen.\n5.\tUeber die Leitung der grauen Substanz lassen sich keine entscheidenden Versuche anstellen. Bei Querschnitten durch das R\u00fcckenmark wird die Grenze zwischen grauer und weisser Substanz so verwischt, dass man keinen ordentlichen Reizversuch anstellen kann. Aber selbst wenn dies m\u00f6glich w\u00e4re, liesse sich nur \u00fcber die Empfindungswege Etwas ausmitteln, da \u00fcber die Natur etwaiger Bewegungen, ob Reizbewegungen oder Reflexbewegungen, wegen des gleichzeitigen Vorkommens von Fasern und Ganglienzellen nicht w\u00fcrde entschieden werden k\u00f6nnen. Wir sind daher f\u00fcr diesen Theil des R\u00fcckenmarks auf pathologische \u00bb Erfahrungen ^angewiesen. Was aber bisher an genauen microscopischen Untersuchungen erkrankter R\u00fcckenmarke mit sorgf\u00e4ltiger Beobachtung der Erscheinungen am Lebenden bekannt geworden ist, umfasst leider keine reine Erkrankung der grauen Substanz; es war dabei die weisse Substanz stets mehr oder weniger mit erkrankt. Doch sind bisweilen die F\u00e4lle der Art, dass die graue Substanz vorzugsweise und in einer Ausdehnung betroffen war, dass man die w\u00e4hrend des Lebens beobachteten Erscheinungen nicht gut allein auf die Zerst\u00f6rungen in der weissen Substanz beziehen kann und wir uns also veranlasst sehen, anzunehmen, dass die Empfindungs- und Bewegungsvorg\u00e4nge auf keinen Fall nur auf die weissen Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarks angewiesen sind *).\nMan sieht aus dieser Darstellung, welche die Hauptsache der Angaben enth\u00e4lt, in Bezug auf welche die meisten Forscher \u00dcbereinkommen, wie mangelhaft unsere Kenntniss noch von dem so eben behandelten Gegenstand ist, und dass namentlich Nichts \u00fcber den Verlauf motorischer und sensitiver Vorg\u00e4nge auf gr\u00f6ssere Strecken hin bekannt ist. Es d\u00fcrfte auch in n\u00e4chster Zeit keine Aussicht auf einen betr\u00e4chtlichen Fortschritt auf diesem Gebiete vorhanden sein. Selbst wenn es der microscopischen Anatomie\n*) Unter den hierher geh\u00f6rigen Beobachtungen zeichnen sich die von Clarke mi-croscopisch untersuchten F\u00e4lle aus. Vergl. z. B. J. Lockhart Clarke: Investigation of the nervous centres with comments, zu einem von Dr. Thudichum beobachteten Krankheitsfall : A case of rapid wasting palsy from \u2019 structural disease of the spinal cord. Beale\u2019s Archives of Medicine. Vol. IY. p. 26. and 31.","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\ngel\u00e4nge, tiefer in den Faserverlauf des R\u00fcckenmarks einzudringen, so werden doch die darauf zu basirenden Schl\u00fcsse, wenn sie sich gesondert auf Gef\u00fchl und Bewegung beziehen sollen, wegen der Existenz der Reflexbewegungen sehr unsicher bleiben m\u00fcssen. Zwar hat man durch die Behandlung der Frage, ob die Nerven, welche wir mit dem R\u00fcckenmark in Verbindung sehen, von diesem ihren Ursprung nehmen oder in ihm continuirlich bis zum Gehirn in die H\u00f6he steigen, versucht, den erw\u00e4hnten Mangel zu decken; allein weder die Fassung der Frage, noch die Art, wie man sie zu l\u00f6sen versuchte, haben irgendwie einen erheblichen Gewinn gebracht. Die erstere anlangend, so legte man zur Entscheidung einfach die Alternative vor, ob die Nervenfasern cerebralen oder medull\u00e4ren Ursprungs seien, und vergass dabei, dass es auch m\u00f6glich ist, dass die Nervenfasern bei ihrem Eintritt ins R\u00fcckenmark mittelst der Ganglien mannigfache Verkn\u00fcpfungen untereinander eingehen k\u00f6nnen und dann kaum von einem cerebralen und medull\u00e4ren Ursprung einer Nervenfaser gesprochen werden kann, sowie ferner, dass es keine Nothwendigkeit ist, sich die Fortpflanzung von Innervationsvorg\u00e4ngen lediglich an Fasern gekn\u00fcpft zu denken. Nicht minder unbefriedigend war die Art, wie man jene Frage zur Entscheidung zu bringen suchte. Man verglich die wirklichen Formen und Dimensionen des R\u00fcckenmarks mit denen, welche das Halsmark zeigen m\u00fcsste, wenn man s\u00e4mmtliche, der Dicke nach gemessenen Nervenwurzeln in demselben in die H\u00f6he steigen liess und \u00fcbersah, dass eine Ueberein-stimmung oder Nicht\u00fcbereinstimmung des Wirklichen mit dem Abgeleiteten auch auf andere Art, als durch die gemachte Voraussetzung herbeigef\u00fchrt werden k\u00f6nnte. Selbst einzelne physiologische Erscheinungen, welche man anzog, wie z. B. die noch fortbestehende Bewegung der Lymphherzen nach der Decapitation der Thiere oder das g\u00e4nzliche Fehlen oder der nichttetanische Character von Bewegungen bei mechanischer Reizung des obersten Endes des R\u00fcckenmarkes, waren nicht geeignet, die Frage nach der einen oder anderen Seite hin zu entscheiden, indem sie noch auf andere Weise erkl\u00e4rbar waren, als die enge Alternative vorschrieb. ,\nDie obigen Mittheilungen \u00fcber die Wege, auf welchen die Empfin-dungs- und Bewegungsvorg\u00e4nge im R\u00fcckenmarke einherschreiten, bedeuten also kaum mehr, als die ersten rohen Anf\u00e4nge auf diesem Gebiete. Wir m\u00fcssen auf diese Unvollkommenheit um so nachdr\u00fccklicher aufmerksam machen, als auch sonst noch Erscheinungen gekannt sind, welche andeuten, dass Ort und Natur jener Leitungsvorg\u00e4nge noch sorgf\u00e4ltigerer Aufkl\u00e4rung bed\u00fcrfen. Hierher geh\u00f6rt namentlich die Erfahrung, dass die directe Reizung der R\u00fcckenmarkssubstanz mehrfach ohne allen Einfluss auf Ge-","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"251\nf\u00fchl und Bewegung gefunden worden ist. Ueber diesen Punkt ist zun\u00e4chst Folgendes zu berichten. Schon im Jahr 1841 machte van De en *) darauf aufmerksam, dass bei Fr\u00f6schen Reize, welche das Ji\u00fccJcenmarlc und nicht die Nervenwurzeln treffen, weder Empfindungen noch Bewegungen ausl\u00f6sen. Schiff**) best\u00e4tigte diese Angaben f\u00fcr gewisse Stellen des R\u00fcckenmarks vom Kaninchen, n\u00e4mlich diejenigen, an denen, wie in der Gegend des Halses, die Nervenwurzeln ziemlich weit von einander liegen. In neuerer Zeit hat van Deen ***) denselben Gegenstand noch einmal untersucht, wobei er zu demselben Resultate gelangte, und endlich sind in neuester Zeit diese Angaben abermals und zwar von Guttmann f) f\u00fcr richtig befunden worden. Es wird sich bei weiteren Untersuchungen darum handeln, aufzukl\u00e4ren, woher es komme, dass, obschon sich die Empfindungs- und Bewegungsvorg\u00e4nge in den hintern und vorderen Theilen des R\u00fcckenmarks bewegen (denn dieser Satz kann wohl im Grossen und Ganzen als gesichert betrachtet werden), doch bisweilen directe Reizungen dieser Theile diese Vorg\u00e4nge nicht zu erzeugen verm\u00f6gen. Von einer Mittheilung der verschiedenen Vorstellungen, welche man sich zur Zeit \u00fcber das gleichzeitige Bestehen dieser beiden sich scheinbar widersprechenden Thatsachen etwa machen kann, wollen wir jedoch hier abstehen, zumal sie doch nur den Character nicht gepr\u00fcfter Hypothesen annehmen m\u00fcssten. Ebenso ist die schon vorher erw\u00e4hnte Angabe von T\u00fcrk weiter zu verfolgen, nach welcher Durchschneidung der Hinterstr\u00e4nge keinen erheblichen Einfluss auf den Zustand der Sensibilit\u00e4t haben soll. Sie steht zwar mit der allgemeinen Angabe, dass die Hinterstr\u00e4nge vorzugsweise sensible Elemente f\u00fchren, nicht geradezu in directem Widerspruch, ist aber doch mit R\u00fccksicht auf die Empfindungslosigkeit des R\u00fcckenmarks gegen directe Reize wohl zu beherzigen, um die allgemeinen S\u00e4tze \u00fcber die Leitungswege im R\u00fcckenmarke nicht allzu stabil werden zu lassen und der weiteren Ausbildung zu entziehen. Auch auf dem Gebiete der Pathologie gewonnene Erfahrungen sprechen daf\u00fcr, dass die \u00fcber die Leitung des R\u00fcckenmarks g\u00e4ng und gebe gewordenen S\u00e4tze nur Bruchst\u00fccke von dem wahren Sachverhalte sind. In dem bereits citirten, von Thudichum\n*) 1. c.\n**) Schiff : Physiologie des Nervensystems. 1859. S. 238.\n***) van Deen: Moleschott\u2019s Untersuchungen. Bd. VI. und VII.\n*\nf) Guttmann: Ueber die Unempfindlichkeit des Gehirns und R\u00fcckenmarks f\u00fcr mechanische, chemische und electrische Reize. Archiv von Reichert und du Bois-Reymond. 1866. S. 134.","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nund Clarke behandelten Fall bestand w\u00e4hrend des Lebens keine wahr-nehmbare St\u00f6rung in der Sph\u00e4re des Gef\u00fchls, trotzdem, dass die hinteren weissen Str\u00e4nge stark erweicht gefunden wurden *). Nehmen wir hinzu, dass eine directe Beobachtung der ein- und austretenden Nervenwurzeln die Fortsetzungen derselben wenigstens nicht s\u00e4mmtlich in den weissen Str\u00e4ngen findet, so muss man schon zur Zeit anfangen, sich an die Vorstellung zu gew\u00f6hnen, dass die Innervationsvorg\u00e4nge, obschon sie zeitweise durch die vorderen und hinteren Parthieen der weissen R\u00fcckenmarkssubstanz durchdringen und, da dies l\u00e4ngs des ganzen R\u00fcckenmarks geschieht, jenen im Allgemeinen die oben erw\u00e4hnten Charactere verleihen, in ihrem weitern Fortgang doch nicht auf diese Orte beschr\u00e4nkt bleiben, sondern ganz oder theilweise andere noch zu erforschende Wege verfolgen.\nDas R\u00fcckenmark als Innervationsquelle. W\u00e4re das R\u00fcckenmark weiter Nichts als eine dichte Zusammendr\u00e4ngung der Wege, auf welchen Innervationsvorg\u00e4nge von und nach dem Gehirn laufen, so w\u00fcrde es nicht den Namen eines Centralorgans verdienen. Es rechtfertigt aber die letztere Bezeichnung durch den Umstand, dass es die F\u00e4higkeit besitzt, Bewegungsarten, welche in gewissen Formen seine Bestandtheile erreichen, in andere Bewegungsformen in einer Weise umzusetzen, wie es die einfache Nervenfaser nicht vermag. Es besitzt, um sogleich die verschiedenen Arten seiner Th\u00e4tigkeit in dieser Beziehung namhaft zu machen, Automatie und Reflexion. Die Betrachtungen \u00fcber die Automatie des R\u00fcckenmarks kn\u00fcpfen sich an die Darstellung des Materials, welches sich auf seine seelischen Th\u00e4tigkeiten und die von ihm ohne \u00e4usseren Anstoss ausgehenden Bewegungen bezieht. Indem wir uns auf die ersteren einlassen, tritt uns sofort der Missstand entgegen , dass wir kein zuverl\u00e4ssiges Pr\u00fcfungsmittel mehr auf die Existenz seelischer Th\u00e4tigkeiten haben, sobald lediglich auf letztere aus den Bewegungen geschlossen werden soll, welche die an ein Versuchsobject herantretenden Reize der \u00e4usseren Welt an jenem hervorrufen; indem selbst Bewegungen von den seltsamsten und complicirtesten Beschaffenheiten keinen sicheren Schluss gestatteten, dass sie in Folge eines in Ueberlegung bestehenden Zwischengliedes zwischen Reiz und Bewegungen in der bestimmten Weise eingetreten sind. Es zeigt sich indess dieser Uebelstand am besten, sobald man die einzelnen hierher geh\u00f6rigen Thatsachen zergliedert. Sie alle haben das gemein, dass sie in Bewegungsformen mit solchem Character bestehen, dass man denselben eine Berechnung unterlegen kann. Die wesentlichsten unter ihnen sind die\n*) 1. o. p. 45.","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"253\nfolgenden *). Hat man bei einem in Begattung befindlichen Froschm\u00e4nnchen das R\u00fcckenmark zwischen dem ersten und zweiten Wirbel durchschnitten, und reizt man dann einen Vorderfuss mit Essigs\u00e4ure, so l\u00e4sst das Thier los, um die S\u00e4ure abzuwischen und hernach sein Weibchen oder auch einen anderen, ihm nahe kommenden Frosch wieder zu umfassen. Da man aber weiss, wie sehr die Verkn\u00fcpfung der motorischen Nerven zu verschiedenen Bewegungsarten je nach den besonderen Zust\u00e4nden des R\u00fcckenmarks wechseln kann, so kann angenommen werden, dass zur Zeit der lange andauernden Begattungsperiode sich Erregungsverh\u00e4ltnisse ausgebildet haben, welche f\u00fcr normal dem Thiere fremd sind, und in welche es, zeitweilig durch einen Reiz f\u00fcr andere Bewegungscombinationen angeregt, stets wieder noch f\u00fcr eine gewisse Zeit verf\u00e4llt. Die scheinbare Zweckm\u00e4ssigkeit der Bewegung entscheidet Nichts ; wir m\u00fcssten sonst dem Herzen auch sensorielle F\u00e4higkeiten, oder wie wir sie nennen wollen, zuschreiben. Da es \u00fcbrigens in unserem Versuche dem M\u00e4nnchen gleichgiltig ist, ob es ein Weibchen erhascht oder nicht, so ertr\u00e4gt wohl die umarmende Bewegung, welche seine vorderen Gliedmassen ausf\u00fchren, die vorhin ber\u00fchrte Deutung um so mehr. Ferner wird hervorgehoben, dass die Schw\u00e4nze von Aalen und Salamandern, wenn man ihnen Feuer n\u00e4hert, stets sich von diesem wegwenden, jedoch w\u00e4hrend^ der Krampfparoxys-men, welche man durch Gifte, z. B. schwefelsaure Strychninl\u00f6sung erzeugt hat, die umgekehrte Bewegung ausf\u00fchren. Der letztere Theil dieser Beobachtung soll \u00fcbrigens nicht durchg\u00e4ngig richtig sein**), womit also der beg\u00fcnstigende Umstand wegfallen w\u00fcrde, dass in Zust\u00e4nden, bei denen ein Wegfall oder eine Abnahme der psychischen Th\u00e4tigkeiten statt f\u00e4nde, auch die fragliche f\u00fcr die Existenz der letzteren sprechende Erscheinung sich \u00e4nderte. Es ist bekannt, dass bei Reizung eines Hauttheils nach Entfernung des Hirns, also den sogenannten Reflexbewegungen, zun\u00e4chst die Muskeln derselben Seite in Bewegung gesetzt werden. Da aber dies in sehr vielen F\u00e4llen gleichfalls f\u00fcr gewisse Zwecke zu geschehen scheint, so w\u00fcrden auch sie hierher zu z\u00e4hlen sein. H\u00e4lt man sich nun an diese Eigenschaft der Zweckm\u00e4ssigkeit, so kann nichts Besonderes darin gefunden werden, dass diese in einer Anzahl von F\u00e4llen durch Muskeln auf der gereizten Seite, in einer anderen durch solche der entgegengesetzten Seite herbeigef\u00fchrt wird. Aber man kann nicht\n*) Pfl\u00fcger:' Die sensoriellen Functionen des R\u00fcckenmarks der Wirbelthiere. Berlin 1853.\n**) Auerbach : Ueber psychische Th\u00e4tigkeiten des R\u00fcckenmarks. G\u00fcnz burg\u2019s med. Zeitschrift. Bd. IV. Breslau 1853.","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\nmit Sicherheit daraus schliessen, dass diesen Bewegungen aus einer bestimmten Absicht diese ausgew\u00e4hlte Form gegeben werde; es ist eben so zul\u00e4ssig, sich vorzustellen, dass es in Folge einer gewissen mechanischen Verkn\u00fcpfung der Nerven untereinander geschehe. Ein letzter Versuch, den wir hier noch anf\u00fchren wollen, ist folgender : Reizt man eine Stelle des Oberschenkels oder der R\u00fcckenhaut, so wird, wenn der Reiz nicht allzu heftig war, die benetzte Stelle mit dem Fusse derselben Seite abgeputzt. Wiederholt man aber den Versuch, nachdem man den Unterschenkel amputirt hat, so \u00fcbernimmt der Fuss der entgegengesetzten Seite den Dienst. Abgesehen davon, dass dieser Versuch schwer anzustellen ist und zwar aus dem Grunde, dass zwei auf einander folgende Reize nicht leicht gleich stark zu machen sind, bei Ungleichheit des Reizes aber sehr leicht der auf einer Seite angebrachte st\u00e4rkere Reiz Bewegungen auf der andern ausl\u00f6sst, so muss man bedenken, dass die l\u00e4ngere Fortdauer des Reizes im letzteren Fall, wo er nicht sofort durch Abwischen entfernt wird, sich auf die andere Seite \u00fcbertragen kann. Benutzen wir doch im allt\u00e4glichen Leben, wenn uns f\u00fcr die Entfernung eines uns genirenden Reizes die Anwendung einer Bewegung durch irgend einen Umstand versagt ist, nicht mit Ueberlegung, sondern zufolge eines innern Zwanges eine andere. Man sieht aus diesen Betrachtungen zum mindesten ein, dass die angef\u00fchrten Thatsachen die Existenz psychischer Th\u00e4tigkeiten des R\u00fcckenmarks durchaus nicht beweisen. Was mich bisher noch besonders gegen diese Lehre eingenommen hat\u2019, ist die Erfahrung, dass an R\u00fcckenmarkserkrankungen leidende Individuen nicht davon reden, dass ihnen irgend noch etwas Anderes mit dem Verlust des Gef\u00fchls und der Bewegung verloren gegangen sei. \u2014\nIndem wir sodann zur Behandlung der Frage \u00fcbergehen, ob das R\u00fcckenmark insofern als eine Innervationsquelle fungire, dass es die Ursache von Muskelzusammenziehungen sei, ohne dass wir es dazu durch absichtlich eingef\u00fchrte Reize anregen, was man also auch hier wieder kurz als die Frage nach dem Sitze automatischer Bewegungsanregungen in \"ihm bezeichnen kann, pr\u00e4sentirt sich uns zun\u00e4chst die vielfach behandelte Tonusangelegenheit. Wir nehmen hierbei Tonus in dem Sinne aller Physiologen, wornach darunter eine etwaige, m\u00e4ssige Verk\u00fcrzung der Muskeln verstanden wird, welche continuirlich und ohne Zuthun des Gehirns so lange von ihm unterhalten wird, als es noch im Besitz des Complexes der Eigenschaften ist, welche ihm auch am lebendigen K\u00f6rper zukommen. Giebt es einen Tonus dieses Centralorgans ? Dies ist die jetzt zu beantwortende Frage. In fr\u00fcheren Zeiten vertheidigte man die Existenz eines vom R\u00fcckenmarke ausgehenden Tonus theils durch den Hinweis auf die Erscheinungen, welche bei mehr oder weniger ausge-","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014\t255 \u2014\nbreiteten L\u00e4hmungen, wie z. B. den Hemiplegien des N. facialis, N. hypoglossus, der die Bewegungen der Wirbels\u00e4ule beherrschenden Nerven, beobachtet werden, n\u00e4mlich das Verzogensein der betreffenden Theile nach der gesunden Seite hin, theils durch Heranziehung von Beobachtungen, welche man zwar an allen K\u00f6rpermuskeln, vorzugsweise aber an den Sphincteren der Blase und des Mastdarmes gemacht haben wollte, darin bestehend, dass nach der Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarks die Muskeln des K\u00f6rpers im Allgemeinen einen geringen Grad von Spannung verloren h\u00e4tten, welchen sie vorbei; noch zeigten, und dass die Sphincteren insbesondere zu dieser Zeit den Verschluss der bez\u00fcglichen Oeffnungen versagen sollten. Mit der Anwendung einer sch\u00e4rferen Kritik auf dem Gebiete der Physiologie sind diese Gr\u00fcnde nicht mehr f\u00fcr beweisend gehalten worden. Was die den einseitigen Nervenl\u00e4hmungnn folgenden Erscheinungen betrifft, so k\u00f6nnen sie ebensogut Folge des ungleichen elastischen Zuges sein, der in Folge der Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen in den gel\u00e4hmten Theilen sich einstellen muss. Den Wegtall der geringen Contraction der K\u00f6rpermuskeln im Allgemeinen und der Sphincteren im Besonderen anlangend, so kann das V ertrauen auf beide nicht besonders gross sein, da ohne besondere Messung es schwer ist, \u00fcber die L\u00e4nge eines Muskels Etwas auszusagen, ein Sphincter aber nachweislich auch ohne Einwirkung des Nervensystems, durch seine elastischen Kr\u00e4fte n\u00e4mlich, einen Verschluss aus\u00fcbt, den vor und nach Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarks seinem Werthe nach zu bestimmen, nur solche Manipulationen mit ihm zul\u00e4sst, welche seine elastischen Eigenschaften nicht \u00e4ndern. Daher hat man dann auch in neuerer Zeit die beiden zuletzt erw\u00e4hnten Punkte \u25a0/um Gegenst\u00e4nde besonderer Studien gemacht. Einerseits also bestrebte man sich, durch genaue Messungen mit H\u00fclfe eines Kathetometers die L\u00e4nge eines Muskels vor und nach der Trennung seines mit dem R\u00fcckenmark in Verbindung stehenden Nerven zu bestimmen. Solche Messungen sind von Heidenhain*), mir selbst, Auerbach**) und in neuester Zeit von Schwalbe ***) ausgef\u00fchrt worden, s\u00e4mmtlich mit dem einstimmigen Resultat, dass sich auf diese Weise keine merkbare Verl\u00e4ngerung des Muskels nach Trennung seines Nerven vom R\u00fcckenmark erkennen l\u00e4sst. Gegen einen Theil dieser Versuche, n\u00e4mlich die von\n*) Heidenhain: Historisches und Experimentelles \u00fcber den Muskeltonus. Dessen physiologische Studien. 1. S. 28.\n**) Auerbach: Ueber die Natur des Muskeltonus. Jahresbericht der schlesischen Gesellschaft f\u00fcr vaterl\u00e4ndische Cultur. Breslau 1856.\n**<*) Schwalbe: Zur Lehre vom Muskeltonus. Pfl\u00fcger\u2019s Untersuchungen aus dem physiologischen Laboratorium zu Bonn. S. 64.","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nHeidenha i n angestellten, kann man allenfalls einwenden, dass der Muskel zu stark belastet gewesen sei, so dass unter dem Einfluss des angeh\u00e4ngten Gewichtes der Muskel von vorn herein so stark ausgedehnt worden sei, dass die Wirkung eines Tonus gar nicht habe zur Beobachtung kommen k\u00f6nnen, und dass feiner beim Durchschneiden des Nerven in Folge der dadurch entstehenden Zuckungen Ver\u00e4nderungen in der L\u00e4nge h\u00e4tten Vorkommen k\u00f6nnen, welche gleichfalls h\u00e4tten verhindern k\u00f6nnen, dass die Wirkung des Tonus zur Anschauung gekommen sei. F\u00fcr einen anderen Theil jener Versuche jedoch sind derartige Bedenken nicht zul\u00e4ssig. In meinen eignen Versuchen war das Gewicht fast Null und zur Trennung des Nerven vom R\u00fcckenmark bediente ich mich der Essigs\u00e4ure, welche auf den motorischen Nerven applicirt, diesen, ohne Zuckungen zu erregen, bald absterben l\u00e4sst. Schwalbe hat den etwaigen Einfluss, welchen das R\u00fcckenmark auf die Muskeln in Form des Tonus aus\u00fcbt, dadurch verhindert, dass er einen Strom von aufsteigender Richtung durch den Nerven leitete, welcher keine Zuckung erregt, aber Innervationsvorg\u00e4nge an ihrer Fortpflanzung gegen den Muskel hin hindert. Bestand also jene Einwirkung des R\u00fcckenmarks, so musste der Muskel unter dem Einfluss des durch seinen Nerven gehenden Stromes l\u00e4nger werden, was indess, wie erw\u00e4hnt, nicht statt fand. Zwar scheint damit die Frage nach dem Muskeltonus befriedigend gel\u00f6sst zu sein; allein es kommen doch im Gebiete der Skeletmuskeln vor und nach der Trennung des R\u00fcckenmarks noch Erscheinungen vor, welche mit den eben angef\u00fchrten Messungen nicht ganz im Einklang zu sein scheinen. Man *) hat n\u00e4mlich beobachtet, dass, wenn man bei einem Frosche, dessen R\u00fcckenmark hinter dem verl\u00e4ngerten Mark durchschnitten ist, an der einen hinteren Extremit\u00e4t den N. ischiadicus durchschneidet, w\u00e4hrend die andere unversehrt bleibt, das am oberen Theile aufgeh\u00e4ngte Thier Unterschiede in der Stellung seiner beiden hinteren Extremit\u00e4ten zeigt. Auf der nicht operirten Seite n\u00e4mlich bildet der Fuss einen gr\u00f6sseren Winkel mit der Medianlinie des K\u00f6rpers und seine Zehen sind mehr gespreizt. Worin hat dies seinen Grund, wenn kein Muskcltonus existirt? Daf\u00fcr lassen sich verschiedene Ursachen angeben. Ueberlegt man, dass die Hautnerven des Thieres zufolge ihrer Ber\u00fchrung mit der Atmosph\u00e4re und der Verdunstung auf der Haut fortw\u00e4hrend Erregungen ausgesetzt sind, und dass ein Gleiches f\u00fcr den frisch angelegten Querschnitt des R\u00fcckenmarks gilt; so k\u00f6nnte m\u00f6glicher Weise jener Unterschied in der Stellung beider Beine auf diesen Um-\n*) Brondgeest : Onderzoekingen over den Tonus der willekeurige Spieren Academisch Proefschrift. Utrecht 1860. Ein Auszug davon ira Archiv von Reichert und du Bois-Reymond. 1860. S. 703.","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 257\nstand bezogen und die Erscheinungen auf der Seite, deren Nervus ischia-dicus nicht durchschnitten ist, als Reflexerscheinungen aufgefasst werden. Zwar scheint dieser Vorstellung der Umstand nicht g\u00fcnstig zu sein, dass ein wie oben behandeltes Thier, horizontal auf Quecksilber gelegt, keinen Unterschied in der Stellung der beiden Beine wahrnehmen l\u00e4sst*); man muss aber bedenken, dass m\u00f6glicher Weise bei letzterem Versuche die Adh\u00e4sion der Glieder an der Quecksilberoberfl\u00e4che so gross sein kann, dass die schwachen Wirkungen des Tonus unter diesen Umst\u00e4nden keine ver\u00e4nderte Stellung der Glieder erzeugen k\u00f6nnen. Auch l\u00e4sst sich zur Erkl\u00e4rung der Brondgeest\u2019schen Stellung noch der folgende Umstand angeben. Da sich n\u00e4mlich findet**), dass nach Herrichtung des Frosches in der angegebenen Weise das Bein, dessen Nervus ischiadicus nicht durchschnitten ist, von Zeit zu Zeit gegen den Rumpf angezogen wird, was auch selbstverst\u00e4ndlich in besonders heftiger Weise bei der Trennung des R\u00fcckenmarks geschieht, so nehmen in Folge dieser Con-traetionen die Muskeln erst nach und nach ihre urspr\u00fcngliche L\u00e4ngen an, so dass also durch diese Nachwirkungen Unterschiede zwischen dem con-* trahirbaren und dem nichtcontrahirbaren herbeigef\u00fchrt werden m\u00fcssen. Dass durch diesen von Schwalbe angezogenen Umstand ein grosser Theil der erw\u00e4hnten Extremit\u00e4tenstellung erkl\u00e4rbar ist, gellt aus der Beobachtung hervor, dass, wenn man den Schenkel, dessen Nerv durch- * schnitten ist, tetanisirt, auch er die mehrfach erw\u00e4hnte Stellung annimmt.\nOb aber das Brondgeesfische Experiment in seiner ganzen Ausdehnung auf diese Weise erl\u00e4utert wird, ist doch fraglich; denn nach und nach werden allerdings die Contractionen des einen Beines seltener und damit auch die Unterschiede der Stellungen beider Beine immer weniger und weniger bemerkbar, aber sie h\u00f6ren nie ganz auf. Es muss also schliesslich noch ein Etwas da sein, welches diesen Unterschied bewirkt. Zur Zeit nun lassen sich daf\u00fcr keine anderen, als die oben angegebenen Ursachen auffinden, falls man nicht etwa noch daran denken will, dass die Stoffumsetzungen, welche wahrscheinlich noch eine Zeitlang nach dem Tode des Thieres im R\u00fcckenmark, wie in anderen Geweben vor sich gehen, einen \u00e4hnlichen Erfolg haben k\u00f6nnen. Wir k\u00e4men also schliesslich doch auf die Annahme eines vom R\u00fcckenmark ausgehenden, schwachen Tonus zur\u00fcck, von dem zu bemerken ist, dass er h\u00f6chst wahrscheinlich durch \u00e4ussere und innere auf das R\u00fcckenmark ausge\u00fcbte Reize unterhalten wird, also ein Beflextonm ist. Wir k\u00f6nnen bei dieser\n*) Cohnstein: Kurze Uebersicht der Lehre vom Muskeltonus. Archiv von \u00dfeichert und du Bois-\u00dfeymond. 1863. S. 165.\n**) Schwalbe 1. c. S. 70.\nEokhard, Nervenphysiologie.\ttn","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nGelegenheit erw\u00e4hnen, dass die innigen Beziehungen, welche bei den vorigen Betrachtungen zwischen den hinteren und vorderen Wurzeln unterstellt werden m\u00fcssen, in der That durch anderweitige Erfahrungen wirklich festgestellt worden sind, so dass man nach diesen es gar nicht auff\u00e4llig zu finden braucht, dass so schwache Erregungen der Ausbreitung der hintern Wurzeln, wie Ber\u00fchrungen mit der atmosph\u00e4rischen Luft etc., auf die vorderen Wurzeln wirken. Es ist n\u00e4mlich eine experimentelle Erfahrung *), dass die blosse Anwesenheit der unverletzten hintern Wurzeln einen Einfluss auf den Erregungszustand der vorderen aus\u00fcbt und zwar in der Weise, dass er durch dieselbe erh\u00f6ht wird, indem Reize, welche sich an den vorderen Wurzeln bei Unversehrtheit der hintern eben noch wirksam erweisen, sich ohne Erfolg zeigen, sobald man die letzteren durchschnitten hat. Ob es einen automatischen Tonus des R\u00fcckenmarks giebt, das heisst einen solchen, der von jenem Organ ohne jegliche Anregung zur Bewegung von Aussen in Folge einfacher Ber\u00fchrungen der R\u00fcckenmarkselemente besteht, etwa so, wie zwei sich ber\u00fchrende K\u00f6rper Electricit\u00e4tsentwickelung zur Folge haben, l\u00e4sst sich nicht entscheiden. Man kann sich noch fragen, wesshalb die oben erw\u00e4hnten feinen Messungen nicht zu gleichem Schl\u00fcsse f\u00fchrten. Die Antwort ist, dass entweder der Tonus sich nicht in allen Muskeln zu gleiche)' Zeit * gleich stark zeigt und die bisherige Wahl der gepr\u00fcften Muskeln keine g\u00fcnstige war, oder dass die Belastung, obschon hinl\u00e4nglich klein, doch die Wirkung des Tonus verdeckt habe. F\u00fcr die von mir selbst ange-stellten Versuche w\u00e4re auch noch der Ein wand m\u00f6glich, dass, obschon die Essigs\u00e4ure nicht zu den Zuckungen erregenden Mittel z\u00e4hlt, sie doch so schwache Zusammenziehung der Muskeln erzeugt habe, dass die in Folge des Wegfalls des Tonus statt finden sollende Verl\u00e4ngerung gerade compensirt worden w\u00e4re. Andrerseits wurde die Beantwortung der Tonusfrage an Studien \u00fcber die Zusammenziehungen der Schliessmuskeln gekn\u00fcpft. Diese aber haben bisher wTenig Uebereinstimmung unter sich ergeben. Aus dem alten von M. Hall angestellten Versuche, dass in den Mastdarm einer Schildkr\u00f6te injicirtes Wasser erst dann aus dem After abfloss, als das R\u00fcckenmark zerst\u00f6rt worden war, l\u00e4sst sich mit Sicherheit Nichts Uber die Existenz oder Nichtexistenz eines Tonus des Aftersphincters schliessen, da ohne Messungen sich nicht, sagen l\u00e4sst, wie sich die in beiden F\u00e4llen angewandten Dr\u00fccke verhielten. Bei sp\u00e4tem, \u00fcber diesen Punkt angestellten Untersuchungen sind dann auch stets die in der Blase herrschenden Dr\u00fccke durch manometrische Vorrichtungen\n*) Cyon : Berichte der K\u00f6nigl. Sachs. Gesellschaft. Sitz, vom 27. Novbr. 1865-","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"\nbestimmt worden. Einige *) fanden, dass w\u00e4hrend des Lebens in die Blase injicirte Fl\u00fcssigkeiten bei einem hohem Druck zur\u00fcckgehalten werden, als nach dem Tode ; Andere **) beobachteten keine wesentliche Differenz der Dr\u00fccke, bei welchen die Fl\u00fcssigkeit vor und nach dem Tode ausfloss. Diese Versuche bed\u00fcrfen daher einer sorgf\u00e4ltigen Wiederholung, bevor man sie zur Entscheidung der Frage nach der Existenz des Tonus im Allgemeinen benutzen kann.\nUnumst\u00f6sslicher als der Muskeltonus sprechen f\u00fcr die automatischen Erregungen des R\u00fcckenmarks die Bewegungserscheinungen, welche man an den Lymphhepzen der Amphibien und dem Caudalherzen des Aales beobachtet hat. Auf die ersteren ist in der fraglichen Beziehung meines Wissens zuerst von Volk mann***) aufmerksam gemacht worden. Er beobachtete, dass die Bewegungen der vorderen und k\u00e4lteren Lymph-herzen der Fr\u00f6sche von zwei, ziemlich scharf umschriebenen Stelbn des R\u00fcckenmarks, in der Gegend des dritten und siebenten Wirbels, ab h\u00e4ngen, indem nach Wegnahme des Gehirns die Pulsationen jener Theile fortbestehen, dagegen sistiren, sobald man das gesammte R\u00fcckenmark, oder auch nur die fraglichen Stellen desselben zerst\u00f6rt. Indess ist in vielen F\u00e4llen dieser Stillstand nur ein vor\u00fcbergehender, und es handelt sich darum, klar zu machen, was diese erneuten Bewegungen bedeuten. Zun\u00e4chst kann man daran denken, sie als die Folgen automatischer, in den Herzw\u00e4nden gelegener Ganglien zu betrachten und in ihrem Stillstand bei der Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarks die Folgen der Reizung der von da zu ihnen gehenden Nerven zu erblicken, also hier ein dem\u2019 Blutherzen und seinen Innervationen vollkommen entsprechendes Analogon herzustellen. Dies ist jedoch aus folgenden Gr\u00fcnden nicht zul\u00e4ssig. Abgesehen davon, dass es F\u00e4lle giebt, in denen die Pulsation nie wieder erwachen, unterscheiden sich die neuen wesentlich von den alten. Sie stellen mehr ein Zucken in einzelnen Partieen der Herzen, als Zusammenziehungen in ihrer Totalit\u00e4t dar. Weiter erzeugt die electrische Erregung der zu ihnen gehenden Nerven keinen diastolischen Stillstand, sondern eine krampfhafte Zusammenziehung derselben. Und endlich heben\n*) Heidenhain und Colberg: Versuche \u00fcber den Tonus des Blasen-schliessmuskels. M\u00fcller\u2019s Archiv. 1858. S. 437.\n**) Lesser-Rosenthal: De tono cum musculorum, tum eo inprimis, qui sphincterum tonus vocatur. Regiomonti 1857.\n***) Volkmann: Nervenphysiologie, in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie. XI. S. 489.\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\nnach einer von Heidenhain*) zuerst gemachten und dann von mir**) und W a 1 d e y e r ***) best\u00e4tigten Beobachtung constante galvanische Str\u00f6me, welche man durch die bez\u00fcglichen Nerven leitet, die Pulsationen der fraglichen Organe auf, indem sie den von dem R\u00fcckenmark ausgehenden Impulsen die Fortpflanzung bis zu jenen versagen. Man kann hinzuf\u00fcgen, dass bis jetzt auch noch keine \u00e4chten Ganglien in ihnen gefunden worden sind. Man muss also nach anderen Ursachen jener erneuten Bewegungen suchen. Vorerst bleibt Nichts Anderes \u00fcbrig, sie vermuthungsweise als das Resultat directer Reizungen zu betrachten, welche durch Verdunstung, beginnende Zersetzung, schwache von den thierischen Theilen ausgehende electrische Wirkungen etc. ausge\u00fcbt werden. In diesen Vermuthungen wird man durch den Umstand best\u00e4rkt, dass man solche Bewegungen durch electrische Str\u00f6me wieder aufheben kann, wenn man dieselben in aufsteigender Richtung durch die Nerven der Lymphherzen leitet. Dass die nach Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarks wieder auftretenden Bewegungen unvollst\u00e4ndige Pulsationen darstellen, kann seinen Grund in der Anastomosenbildung von Muskelfasern haben. In \u00e4hnlicher Weise verh\u00e4lt es sich mit dem Caudalherzen des Aales. Von demselben behauptete Mayer f), dass es nach Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarks noch fortschlage. Obschon man in dieser Angabe gerade nichts anderes, vorhandenen Thatsachen Widersprechendes finden konnte, so f\u00fchlte ich mich doch mit R\u00fccksicht auf meine, an den Lymphherzen gemachten Studien veranlasst, diese Behauptung zu pr\u00fcfen. Ich ff) fand, dass, sobald man das R\u00fcckenmark vollst\u00e4ndig zerst\u00f6rt, was wegen der Enge des untersten Theiles des Spinalkanales nicht immer leicht von Statten geht, auch diese Herzform still steht. Einen Wiederbeginn seiner Pulsationen habe ich bis jetzt nicht beobachtet, obschon derselbe mit R\u00fccksicht auf die an den Lymphherzen gemachten Erfahrungen nicht unm\u00f6glich ist.\n*) Heidenhain: Disquisitiones de nervis organisque centraiibus cordis, cor-diumve ranae lymphaticorum. Berol. 1864.\n**) Eckhard: lieber den Einfluss des constanten galvanischen Stromes auf die Erregbarkeit der motorischen Nerven. Meine Beitr\u00e4ge. Bd. I. S. 51.\n***) Waldeyer: Zur Anatomie und Physiologie der Lymphherzen von Rana und Emys europaea. Heidenhain\u2019s Studien des physiologischen Instituts zu Breslau. Drittes Heft. S. 71.\t**/\nf) Mayer: lieber den Einfluss der Centraltheile des Nervensystems auf das Caudalherz des Aales. Froriep\u2019s Tagesberichte \u00fcber die Fortschritte der Natur- und Heilkunde. Nr. 199.\t1850. S. 99.\n\u2022jf) Eckhard : Notiz \u00fcber die Ursachen der Bewegung des Caudalherzens des Aales. Meine Beitr\u00e4ge etc. Bd. III. S. 167.","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"26\nDie Bedeutung des R\u00fcckenmarks als eines Centraltheils des Ner-venlebens zeigt sich endlich noch in einer F\u00e4higkeit, Sitz reflectorischer Erscheinungen zu sein. Darunter verstehen wir bekanntlich Innervationsvorg\u00e4nge, welche durch Vermittelung eines willenlosen Centralorganes als Folgen von in anderen Nervenbahnen hervor gerufenen Erregungen entstehen. So kann also m\u00f6glicher Weise eine jede Art von Centralorgan Ursache dieser Erscheinungen werden, sobald nur der Einfluss des Willens dabei ausgeschlossen ist. Im Gebiete des Gehirns und R\u00fcckenmarks sind dieselben ohne Zweifel vorhanden. F\u00fcr den Sympathicus k\u00f6nnen Bedenken entstehen, wie sich bei der Darstellung der Functionen desselben ergeben wird. Man pflegt die reflectorischen Erscheinungen je nach der Natur der sich bei ihrer Erzeugung betheiligenden Nervenarten mit besonderen Namen zu belegen und zu unterscheiden : Reflexbewegungen, bei welchen prim\u00e4r ein sensitiver Nerv erregt ist, dessen Erregungszust\u00e4nde sich mit Hilfe des Centralorgans auf motorische \u00fcbertragen. Diese Gattung reflectorischer Erscheinungen ist am ausf\u00fchrlichsten studirt worden; wegen ihres weit verbreiteten Vorkommens meint man sie oft ausschliesslich, wenn man von reflectorischen Erscheinungen im Allgemeinen spricht. Reflexempfindungen nennt man reflectorische Erregungszust\u00e4nde in sensibeln Nerven, welche sich in diesen in Folge von in motorischen Nerven bestehenden Innervationsvorg\u00e4ngen einstellen. Gegenw\u00e4rtig kann man kaum die Existenz derselben beweisen, so dass wir uns damit begn\u00fcgen m\u00fcssen, die bisher dahin gez\u00e4hlten Erscheinungen namhaft zu machen. Die wichtigste unter allen ist das Gef\u00fchl der Erm\u00fcdung, welches anhaltenden Muskelbewegungen folgt. Diese Erscheinung ist aber mehrfacher Interpretation f\u00e4hig. Man kann sie einmal ableiten von besondern sensitiven F\u00e4den, welche neben den bewegenden in die Muskeln eindringen, und welche bei der fortw\u00e4hrenden Contraction der Muskeln mechanisch oder durch die dabei entstehenden Producte des Stoffumsatzes chemisch gereizt werden. Sodann aber kann man sich auch vorstellen, dass das Gef\u00fchl der M\u00fcdigkeit durch denselben Mechanismus zu Stande komme, welcher dem Muskelsinn zu Grunde liegt. Zwar sind wir Uber denselben noch nicht hinreichend aufgekl\u00e4rt, da er sich aber geltend macht, auch wenn keine active Zusammenziehung des Muskels, sondern nur Spannung desselben zu Stande kommt, wo also kaum an eine mechanische Reizung besonderer Gef\u00fchlsnerven zu denken ist, und da er sofort im Beginne des Hebens von Gewichten th\u00e4tig ist, zu einer Zeit also, wo von einer Reizung durch auf chemischem Wege gebildete Fl\u00fcssigkeiten noch keine Rede sein kann; so ist es wohl wahrscheinlich, dass die der Contraction dienenden Nerven auf irgend eine Weise so mit dem Bewusstsein verkn\u00fcpft sind, dass die","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nGr\u00f6sse ihrer Erregung letzterem sofort mitgetheilt wird, ohne dass dazu besondere, in dem Muskel sich verbreitende Gefiihlsnerven vorhanden sind. Man findet diese Vorstellung weniger absurd, wenn man sich daran erinnert, dass alle Anzeichen einer doppelten Leitungsf\u00e4higkeit der Nerven vorhanden sind, so dass also der Widerstand, welchen der erregte Muskelnerv beim Versuche, einen Muskel zu contrahiren, findet, eine Art Erregung ausf\u00fchrt, welche sich centripetal fortpflanzt. Wegen dieser dreifachen Vorstellung, welche man sich \u00fcber das Zustandekommen der fraglichen Empfindung machen kann, und von denen keine vor der anderen auf beweisende Thatsacben hin einen Vorzug-verdient, kann sie nicht f\u00fcr die Existenz von Reflexempfindungen sprechen. Andere Erfahrunger, welche man unter diese Categorie reflectorischer Erscheinungen rangirt hat, halten noch weit weniger die Kritik aus. Mitbewegungen nennt man motorische Erregungen, welche auf dem Wege des Reflexes mittelst willenloser Centralorgane in Folge vorangegangener Erregungen in anderen motorischen Nerven entstehen. Man pflegte fr\u00fcher folgende Erscheinungen hierher zu z\u00e4hlen, a) Bei dem Versuche, bestimmte Muskelabtheilungen willk\u00fchrlich in Bewegung zu versetzen, gerathen andere, mehr oder minder nahe liegende gleichfalls in Zusammenziehung; so z. B. ist die absichtliche Beugung des f\u00fcnften Fingers h\u00e4ufig von der gleichen Bewegung des vierten begleitet, oder die Zusammenziehung der Ohrmuskein von der des Stirnmuskels. F\u00fcr diese Thatsadhen kann aber auch die Erkl\u00e4rung gegeben werden, drss beim ersten Versuche der Erregung einer bestimmten Anzahl von Nervenr\u00f6hren dem Gehirn die isolirte Innervation derselben nicht gelingt, nach welcher Vorstellung dann die Mitbewegung keine reflectorische Erscheinung w\u00e4re, sondern'auf einer Unvollkommenheit der erregenden Ursachen im Gehirn bezogen werden m\u00fcsste. Ein weiterer Beweis f\u00fcr die Richtigkeit dieser Ansicht l\u00e4sst sich jedoch nicht beibringen; denn dass man durch Hebung nach und nach jene und \u00e4hnliche Bewegungen isoh\u2019rt ausf\u00fchren lerne, erkl\u00e4rt sich gleich gut, indem man in dem einen Falle annimmt, dass die Uebung sich auf das Nichtzustandekommen der Uebertragung des bereits erregter Innervationsvorganges mittelst des Centralorgans auf andere motorische Nervenr\u00f6hren bezieht, in dem anderen dagegen auf die isob'rte Erregung von Hause aus. b) Bei hemi-plegischen Individuen ist bisweilen eine bestimmte Bewegung von einer anderen begleitet, wie z. B. Niesen, oder G\u00e4hnen, oder Husten von Bewegungen einer Muskelgruppe an den Extremit\u00e4ten. Aber auch diese Beobachtungen lassen sich nicht so weit ins Einzelne zergliedern, dass sie beweisf\u00e4hig f\u00fcr das Bestehen von Mitbewegungen als acht reflectorischer Erscheinungen w\u00e4ren; denn die hier statt findenden Erregungen","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"263\nsind stets sehr complicirt und alle der Art, dass sie mit sensibeln gemischt sind, so dass es m\u00f6glich erscheint, die begleitende Bewegung sei eine reflectorische. Der Beweis f\u00fcr das Bestehen dieser Classe reflecto-rischer Erscheinungen w\u00fcrde nur dadurch zu erbringen sein, dass experimentell gezeigt w\u00fcrde, wie eine nicht electrische Reizung eines motorischen Nerven Bewegung in einem Gebiete contractiler Elemente zur Folge h\u00e4tte, f\u00fcr welches klar w\u00e4re, dass eine Intercurrenz sensitiver Elemente gar nicht angenommen werden d\u00fcrfte. Bis jetzt hat die Experimentalphysiologie dieses Desiderat noch nicht erf\u00fcllt. Etwas besser sieht es mit den Mitempfindungen aus, worunter man Empfindungen versteht, welche durch Reizungen von gewissen empfindenden Nervenbahnen in anderen gleichnamigen, gleichfalls durch Vermittelung willenloser Centralorgane, entstehen. Man z\u00e4hlt unter anderen die folgenden Erscheinungen dahin. Ein Sehen in intensives Sonnenlicht erzeugt eigenth\u00fcm-liche, zum Niesen reizende Empfindungen in der Nase, ohne dass eine directe Einwirkung auf deren Schleimhaut statt fand. Als ein weiteres Beispiel zieht man die ziemlich constant in den Schultern auftretenden Schmerzen an, welche bei Leberleiden beobachtet werden. Man betrachtet dabei die vom Nervus phrenicus auf die Leber tretenden Zweige als urspr\u00fcnglich gereizte sensible Bahnen, von denen aus dann die Uebertragung auf die, gleich dem Nervus phrenicus aus dem Halsgeflecht entspringenden Nervi supraclaviculares geschehe. Die erste der erw\u00e4hnten Erscheinungen ist verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig so einfach, dass sich wohl wenig gegen die Auffassung derselben als einer Mitempfindung wird sagen lassen. Bei der zweiten dagegen kann man zweifelhaft sein. Obschon nach dem Verlauf der Nervenbahnen, durch welche man sich diese Erscheinung vermittelt denkt, ihr Hergang einfach genug erscheint, so kann man doch nicht so ohne Weiteres wissen, ob in solchen Krankheiten nicht die Schulterschmerzen eine andere Ursache haben. Einige andere Erfahrungen, welche man bisweilen noch hierher zieht, sind noch wichtigem Einw\u00fcrfen ausgesetzt.\nGegen\u00fcber diesen so vielen Ausstellungen f\u00e4higen Arten reflectori-scher Ph\u00e4nomene stehen nun die eigentlichen Reflexbewegungen als eine besser begr\u00fcndete und mit mehr Methode durchgearbeitete Gruppe derselben da. Sie verlangen daher noch eine besondere Betrachtung. Die Fundamentalthatsachen dieses Gebietes, dass ein des Gehirns beraubtes Thier auf Reizung verschiedener Hautstellen Bewegungen ausf\u00fchrt, sind heut zu Tage allbekannt. Dass diese Muskelzusammenziehungen von der Anwesenheit des R\u00fcckenmarks abh\u00e4ngen und aufh\u00f6ren, sobald man dasselbe zerst\u00f6rt, hat zuerst der Engl\u00e4nder Robert Whytt beobachtet","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264\nund beschrieben. Hierauf nahm Proschaska *) den Gegenstand auf. Er pr\u00e4cisirte die Wege sch\u00e4rfer, auf \u25a0welchen die Nervenerregungen in diesen Versuchen laufen und f\u00fchrte zuerst die noch jetzt herrschende Vorstellung \u00fcber die Bedeutung des R\u00fcckenmarks f\u00fcr jene Bewegungen ein. W\u00e4hrend n\u00e4mlich Whytt dem R\u00fcckenmark seelische Eigenschaften zuschrieb, daher auch unter dem Namen eines sensorium commune die ganze Cerebrospinalaxe verstand, und die heutigen Reflexbewegungen dadurch vermittelt betrachtete, sah Proschaska dieselben als die Folgen einer gesetzm\u00e4ssigen unab\u00e4nderlichen Verkn\u00fcpfung der Nervenr\u00f6hren unter einander an. Legallois **) f\u00fchrte die Angelegenheit dadurch einen Schritt weiter, dass er zeigte, wie zur Erzeugung dieser Bewegungen nicht die Anwesenheit des gesammten R\u00fcckenmarks nothwendig sei, sondern schon ein Theil desselben gen\u00fcge. Aus diesen Anf\u00e4ngen hat sich dann durch eine ganze Anzahl von Beobachtern, unter denen ich namentlich Joh. M\u00fcller, Marshall Hall, Longet und Brown S e q u a r d heraushebe, das folgende experimentelle und theoretische Detail ausgebildet. Wir theilen zun\u00e4chst die m\u00f6glichst feststehenden Erfahrungen mit.\nObschon so ziemlich von jeder Stelle des Organismus, an der sich sensitive F\u00e4den vorfinden, Reflexbewegungen ausgel\u00f6st werden k\u00f6nnen, so sind doch die \u00e4ussere Haut und die Oberfl\u00e4che der Schleimh\u00e4ute besonders bevorzugt. Doch sind nicht alle Orte beider in dieser Beziehung gleichwerthig, indem von manchen Stellen die Ausl\u00f6sung der Bewegung leichter erfolgt als von andern, meist jedoch in der Weise, dass mit einer bestimmten sensibeln Stelle eine gewisse Anzahl von Muskeln in viel inniger Beziehung steht, als eine andere Muskelgruppe und unter letzterer finden sich wieder graduelle Unterschiede. Diese Eigenth\u00fcmlichen zeigen sich namentlich in dem Umstande, dass bei schwachem Reizen einer gew\u00e4hlten Stelle eine gewisse, meist sehr beschr\u00e4nkte Bewegung auftritt, bei st\u00e4rkern dagegen sich zu dieser noch eine gewisse Anzahl anderer Muskeln, je nach der Intensit\u00e4t des Reizes geringere oder gr\u00f6ssere, hinzuf\u00fcgt. So z. B. folgt einer schwachen Reizung, die kaum mehr als eine blosse Ber\u00fchrung ist, wenn man sie auf eine Zehe der hinteren Extremit\u00e4t eines decapitirten Frosches anwendet, gew\u00f6hnlich nur eine Bewegung der Zehen oder des Fusses, w\u00e4hrend die Be-tupfung mit einer schwachen S\u00e4ure den ganzen Schenkel in Bewegung setzt. Wegen der grossen Schwierigkeit, in auf einander folgenden\n*)\nViennae\n**)\nProschaska:\tOperum minorum anat. physiol.\n1800.\nLegallois: Oeuvres compl\u00e8tes, tome I.\net path, argum.","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"265\nVersuchen dieselben scharf abgestuften Reize unter \u00fcbrigens sich gleich bleibenden Bedingungen auf dieselbe, gleich grosse K\u00f6rperstelle einwirken zu lassen, sind jedoch die angedeuteten Beziehungen noch nicht gen\u00fcgend untersucht. Es hebt sich unter den hierher gezogenen Erfahrungen kaum mehr als die feststehende Tbatsache heraus, dass zu- den sensibeln Punkten einer K\u00f6rperh\u00e4lfte die Muskeln derselben Seite in innigerer Verkn\u00fcpfung stehen, als die der anderen. Wohl weiss ich, dass noch andere Angaben in dieser Beziehung gemacht werden, allein auf die Reize, als in zu vergleichenden Versuchen sich gleich bleibende, ist durchaus kein Verlass. Dass mit der Gr\u00f6sse der gereizten Stelle die Reflexbewegung im Allgemeinen innerhalb gewisser Grenzen w\u00e4chst, findet man wahrscheinlich., und die vorhandenen Beobachtungen scheinen es zu best\u00e4tigen ; doch ist die Experimentalphysiologie nicht im Besitz einer methodisch ausgef\u00fchrten Versuchsreihe \u00fcber diesen Punkt. Merkw\u00fcrdig und bis jetzt noch vollkommen unverst\u00e4ndlich ist das Nichtzutre\u00f6en einer Folgerung, welche man aus der erw\u00e4hnten Thatsache ziehen kann, n\u00e4mlich der, dass bei Reizung eines sensibeln Nervenreizes, welche jedenfalls eine gr\u00f6ssere Anzahl von Nervenf\u00e4den trifft, als sich auf einer sehr beschr\u00e4nkten Hautstelle ausbreiten, die Reflexbewegung nach Ausdehnung oder Intensit\u00e4t gr\u00f6sser sein sollte, als bei einer solchen, welche kaum mehr als einen sensibeln Hautpwtikt trifft. Erfahrungsgem\u00e4ss findet das Gegentheil statt, und selbst die aus zahllosen, empfindenden Nervenr\u00f6hren bestehenden hinteren Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven entfalten auf gewisse, namentlich mechanische, Reize eine oft erstaunlich geringe Wirksamkeit. Ausser von der OertlichJceit und Intensit\u00e4t des Reizes sieht man diese Bewegungen in ihren verschiedenen Eigenth\u00fcmlichkeiten noch von einer ganzen Anzahl anderer Umst\u00e4nde abh\u00e4ngen. Temperatur, Bauer des Reizes und die jeweiligen Zust\u00e4nde des Centralorganes sind von merkbarem Einfluss. Die Bedeutung der ersten pflegt man gew\u00f6hnlich dahin festzusetzen, dass man sagt, dieselbe vermehre die Energie der Reflexbewegungen, verk\u00fcrze aber die Dauer der Zeit, w\u00e4hrend welcher sie nach der Decapitation des Thieres noch m\u00f6glich seien. Obschon man diese Angabe mehr in Folge gelegentlich gemachter Wahrnehmungen, als einer methodisch ausgef\u00fchrten Untersuchungsreihe kennt, so scheint dieselbe dennoch richtig zu sein, da bei Temperaturen, welche sich merklich \u00fcber die Eigentemperatur des Thieres erheben, dieser Einfluss sehr augenscheinlich ist. F\u00fcr die n\u00e4here Zergliederung der reflectorischen Bewegungen kann indess diese Erfahrung in ihrer jetzigen Form Nichts beitragen, da nicht ersichtlich ist, welches von den hierbei mitwirkenden Elementen vorzugsweise oder ausschliesslich dem Einfluss der Temperatur unterworfen ist. M\u00f6glicher-","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266\nweise beruht die ganze Erscheinung nur auf dem l\u00e4ngst bekannten Umstande, dass von dem K\u00f6rper getrennte Nerven bei gewissen, hohem Temperaturen anfangs eine gr\u00f6ssere Erregbarkeit (S. 120) zeigen, dann aber bald anfangen, weniger erregungsf\u00e4big zu werden. Es ist leicht m\u00f6glich, dass diese Eigenschaft auch an den Nerven decapitirter Fr\u00f6sche sich zeigt, wo ihnen wegen Mangel eines geregelten Kreislaufes und hinl\u00e4nglicher Respiration in der Ern\u00e4hrung kein Mittel der Ausgleichung gegen Jen Temperaturwechsel gegeben ist. Auf alle F\u00e4lle aber bleibt hier noch Etwas zu untersuchen \u00fcbrig, n\u00e4mlich, wie sich die Reflexbewegungen gestalten, wenn man nur die Nerven oder das Centralorgan allein verschiedenen Temperaturen aussetzt. Ueber den Einfluss der Dauer des Reizes besitzen wir gleichfalls keine methodisch erworbenen Erfahrungen. Wenn solche uns etwas mehr) als gelegentliche Wahrnehmungen sein sollen, wird es^ n\u00f6thig sein, einen sich gleichbleibenden Reiz auf eine abgegrenzte Hautstello w\u00e4hrend variabler Zeiten wirken zu lassen, Bedingungen, die sich leichter fordern als hersteilen lassen. Was endlich die Abh\u00e4ngigkeit der Reflexbewegungen von den jeweiligen Zust\u00e4nden der betreffenden Centralorgane anlangt, so zeigt sich dieselbe in folgenden Beziehungen. Zuv\u00f6rderst fallen die Bewegungen bei ganzem und getheiltem R\u00fcckenmark nicht in derselben Weise aus. Bro wn -Sequard *) meldet, dass, wenn er das R\u00fcckenmark in verschiedenen H\u00f6hen durchschnitt, die Leichtigkeit, Reflexbewegungen \u00fcberhaupt zu erhalten, nicht gleichgross war. F\u00fchrte er beim Frosch (?) den Schnitt zwischen dem f\u00fcnften und sechsten W\u00fcrbel aus, so erhielt er in zehn Versuchen nur einmal Bewegung. Nahm er die Trennung zwischen dem vierten und f\u00fcnften Wirbel vor, so gab bereits die H\u00e4lfte der Versuche ein positives Resultat. W\u00e4hlte er die Grenze zwischen dem dritten und vierten Wirbel, so waren bereits zwei Drittel der Reizungen erfolgreich. R\u00fcckte er endlich bis dicht unter die Ursprungsstelle des Nervus vagus hinauf, so erhielt er stets Bewegung. Weiter findet man, dass in den Organismus eingef\u00fchrte Gifte f\u00fcr dieselben Reize einen anderen Verlauf der Reflexbewegungen einf\u00fchren, als es unter gew\u00f6hnlichen Bedingungen statt findet. Seit langer Zeit ist dies namentlich vom Strychnin bekannt, nach dessen Administration nur noch w\u00e4hrend kurzer Zeit geordnete und zumeist nur auf einzelne Glieder oder Abtheilungen von solchen beschr\u00e4nkte Reflexbewegungen Vorkommen, obschon, wie es scheint, mit gr\u00f6sserer Leichtigkeit, in sp\u00e4teren Stadien aber wahre lleflexkr\u00e4mpfe auftreten. Nach\n*) In Ermangelung des Originals citire ich Cayrade: R\u00e9cherches critiques et exp\u00e9rimentales sur les mouvements r\u00e9flexes. Paris 1864. p. 54, woselbst diese Versuche angezogen sind.","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"267\nBeobachtungen von Cayrade * **)) sollen zu dieser Zeit jedoch nur die zu den Extensoren gehenden Nerven einer so leichten Erregbarkeit auf reflectorischem Wege f\u00e4hig sein. Dass diese Eigenth\u00fcmlichkeiten nur Folge ge\u00e4nderter Erregungsverh\u00e4ltnisse im R\u00fcckenmarke sind und mit den extraspinalen Nervenbahnen Nichts oder nur sehr wenig zu schaffen haben, geht aus besonderen in dieser Hinsicht angestellten Versuchen hervor, vrelche lehrten, dass, wenn man peripherische Nervenst\u00e4mme in so concentrirte L\u00f6sungen derjenigen Strychninsalze legt, deren man sich zur Erzeugung von Reflexkr\u00e4mpfe bedient, man weder Zuckungen noch vergr\u00f6sserte Erregbarkeit gegen\u00fcber anderen Reizen erh\u00e4lt. Aehnlich wirken die Salze des Morphins > in den letzten Stadien der Vergiftung sollen die durch dasselbe erzeugten Reflexconvulsionen von denen durch Strychnin hervorgerufenen gar nicht zu unterscheiden sein, nur die Periode, in der man noch geordnete Reflexbewegungen erh\u00e4lt, scheint hier etwas l\u00e4nger anzudauern. Den entgegengesetzten Erfolg \u00fcben Cyanwasserstoffs\u00e4ure, Aconitin, Aether und Chloroform aus *\u2022). Endlich zeugen f\u00fcr den Einfluss der Zust\u00e4nde des Centralorgans auf den Charakter der Reflexbewegungen die durch mancherlei Erkrankungen des R\u00fcckenmarks beg\u00fcnstigten Reflexbewegungen. Die furchtbaren und gew\u00f6hnlich den Tod herbeif\u00fchrenden Kr\u00e4mpfe, welche auf die geringf\u00fcgigsten Reize den von Tetanus traumaticus Befallenen qu\u00e4len, geh\u00f6ren hierher; denn die genaueste Untersuchung hat bisher keine Ver\u00e4nderung der Nervenbahnen selbst ergeben, auf welche jene zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnten.\nWas die Theorie der Reflexerscheinungen im Allgemeinen und die der Reflexbewegungen im Besonderen, oder, wie man es auch wohl nennt, die Theorie der Querleitung im R\u00fcckenmark anlangt, so ist dieselbe noch sehr unvollkommen. Bisher sind nur wenige der Hauptpunkte, auf welche es hier ankommt, zur Besprechung und Bearbeitung gekommen. Wir nehmen die folgenden vor : Der erste betrifft den Mechanismus, durch den die Uebertragung der Innervationsvorg\u00e4nge innerhalb der Centralorgane von einer Faserklasse auf die andere zu Stande kommt. Dass es nicht auf die Weise geschieht, dass die Innervationen der sensibeln Fasern sich unmittelbar, ohne Zwischenglieder, auf nur einfach an dieselben angelegte motorische Fasern \u00fcbertragen, etwa nach Art der secund\u00e4ren Zuckung vom Nerven aus, ist auf den ersten Blick klar; denn nicht allein sind derartige Uebertragungen nur f\u00fcr die electrische Reizung und nicht f\u00fcr alle diejenigen bekannt, welche nachweislich reflecto-rische Bewegungen ausl\u00f6ssen, sondern der Uebergang der Innervationen\n*) Cayrade : I. e. S. 110.\n**) Man sehe die hierauf bez\u00fcglichen Beobachtungen bei Cayrade 1. c. S. 124 ff-","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268\nnimmt a\u00fcch eine viel gr\u00f6ssere Zeit in Anspruch, als es der Fall sein w\u00fcrde, wenn die erw\u00e4hnte Vorstellung dem wirklichen Sachverhalte entspr\u00e4che. Man *) hat ausgemittelt, dass die S. 11t beschriebene, secund\u00e4re Zuckung vom Nerven aus nicht merklich sp\u00e4ter eintritt, als bei directer Erregung des bez\u00fcglichen Muskelnerven, w\u00e4hrend die lediglich auf die Uebertragung kommende Zeit bei den Reflexbewegungen V30\u2014V10 Secunden und mehr in Anspruch nimmt, also eine mehr als 12mal so grosse Zeit, als die Leitung in den sensibeln und motorischen Nerven gebraucht. Auch kann der Communikationsweg, auf welchem der prim\u00e4r erregte Vorgang zum motorischen Nerven hinschreitet, nicht eine einfache Nervenfaser sein, deren physikalische Eigenschaften mit den uns bekannten der peripherischen Nerven \u00fcbereinstimmen, da dies gleichfalls im Widerspruch mit der vorher erw\u00e4hnten verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig langen Dauer der Uebertragung sein w\u00fcrde. Da nun die microscopische Anatomie innerhalb des R\u00fcckenmarks besondere Formgebilde, die Ganglienzellen, aufgedeckt hat, mit denen nicht allein hintere und vordere Wurzelf\u00e4den einzeln im Zusammenhang, sondern theilweise auch unter sich noch in der Art verkn\u00fcpft sind, dass continuirliche Verbindungen der hinteren und vorderen Wurzeln derselben und entgegengesetzten Seite bestehen; so liegt die Annahme nahe, dass durch diese Vorrichtungen die Reflexph\u00e4nomene vermittelt werden **). Jedes n\u00e4here Detail aber \u00fcber die physischen Eigenschaften der die Reflexph\u00e4nomene bedingenden Apparate ist noch zu durchforschen, da man die bereits mitgetheilten Eigenschaften reflectorischer Erscheinungen wohl aus allgemeinen Gr\u00fcnden begreiflich Anden kann, aber nicht f\u00fcr eine einzige eine tiefere wissenschaftliche Einsicht exist\u00e2t. Der zweite Punkt, auf welchen die Nervenphysiologie behufs der Sch\u00f6pfung einer Theorie der Reflexbewegungen ihre Aufmerksamkeit noch gelenkt hat, betrifft die Stellung des Gehirns zu den reflectorischen Erscheinungen. Es ist n\u00e4mlich eine bekannte Erfahrung, dass die mit H\u00fclfe des R\u00fcckenmarks erzeugten Reflexbewegungen in hohem Grade zunehmen, wenn die Thiere, an denen man exp\u00e9riment\u00e2t, decapitirt werden, oder das Gehirn derselben auf irgend eine Weise in den willenlosen Zustand versetzt wird. Dieses Factum hat man auf doppelte Weise zu erkl\u00e4ren gesucht. Einige nehmen an, dass dies dess-halb der Fall sei, weil unter diesen Bedingungen die Erregungen, mit denen jede Reflexbewegung beginnt, sich \u00fcber eine kleinere Abtheilung\n*) Helmholtz: Bericht \u00fcber die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der K\u00f6nig], Preuss. Academie der Wissenschaften zu Berlin. 1854., S. 328 ff.\n**) Wer sieh \u00fcber diese Verbindungen unterrichten will, der studire die 29. und 30. Tafel des Atlasses von Stilling \u00fcber den Bau des R\u00fcckenmarks.","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"269\ndes Nervensystems zu verbreiten h\u00e4tten, als wenn die Decapitation nicht ausgef\u00fchrt ist. Es mag hier gleich bemerkt werden, dass diese Begr\u00fcndung so ohne Weiteres nicht f\u00fcr den Fall anwendbar ist, dass man die Entstehung von Reflexbewegungen durch Bet\u00e4ubungen und nicht durch Entfernung des Gehirns ausf\u00fchrt. Andere zogen es vor, im Gehirn gewisse Stellen vorauszusetzen, deren Natur es sei, hemmend auf die Erzeugung reflectorischer Bewegungen einzuwirken. Es sind dies die sogenannten Hemmungsmeckanismen, centres mod\u00e9rateurs. Die Neuzeit hat sich mehrfach damit befasst, die Existenz und die Eigenschaften derselben zu begr\u00fcnden. Indess kann zur Zeit von einer vollst\u00e4ndigen Erledigung dieser Angelegenheit noch keine Rede sein. Die folgenden Mittheilungen enthalten den gegenw\u00e4rtigen Stand der Sache. Setschenpw*) war der Erste, welcher es unternahm, die experimentelle Entscheidung zwischen der doppelten Beantwortung der angeregten Frage anzubahnen. Er trennte das Froschhirn an den Stellen, wo Zeichnung die horizontalen Linien stehen und beobachtete dann die Zeit, welche nothwendig war, um durch eine constante Reizmethode, welche in dem Eintauchen der Gliedmassen eines Frosches in eine sehr verd\u00fcnnte L\u00f6sung von Schwefels\u00e4ure bestand, in den hintern Extremit\u00e4ten des Thieres Reflexbewegungen auszul\u00f6sen. Dabei stellte er sich vor, dass die Verl\u00e4ngerung oder Verk\u00fcrzung der Zeit, bis zu welcher die Ausl\u00f6sung von Reflexbewegungen statt fand, bedingt werden durch die mechanische Reizung, welche der Schnitt an dem noch mit dem R\u00fcckenmark in Verbindung stehenden Hirntheil aus\u00fcbt, und dass am unversehrten Hirne die im Versuch durchschnittenen Theile in ihren erregten Zust\u00e4nden eine \u00e4hnliche Reizung hervorbringen. Diese Idee suchte er dadurch zu pr\u00fcfen und zu befestigen, dass er die bez\u00fcglichen Hirnwunden noch anderen, namentlich chemischen, Reizen aussetzte, um zu erfahren, ob die dadurch erzielten Eflecte denen, welche der Durchschneidung folgen, gleich w\u00e4ren. Die Zeit, bis zu welcher die Reflexbewegungen eintraten, verglich er jedesmal mit der, welche bis zum Eintritt derselben Erscheinungen bei der Quertheilung des Hirnes in der Mitte der Hemisph\u00e4re a a da, wo der horizontale Strich A der\n*) Setschenow: Physiologische Studien \u00fcber die Hemmungsmechanismen f\u00fcr die Reflexth\u00e4tigkeit des R\u00fcckenmarks im Gehirn des Frosches, Berlin 1863. Der Inhalt dieser Untersuchung findet sich noch mitgetheilt in den Compt. rend. Tome LVI 1863. p. 50. und in den Annales des sciences naturelles, quatr. S\u00e9rie. Tome XIX 1863. p. 100.\nin der beistehenden","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"- m\nFigur steht, verfloss. Setschenow behauptet nun folgende S\u00e4tze : a) Ein Schnitt in die Sehh\u00fcgel, angedeutet durch den horizontalen Strich B, zwischen dem hintern Ende der Hemisph\u00e4ren a a und den Vierh\u00fcgeln b b erzeugt eine sehr starke Depression des Reflexverm\u00f6gens, welche erst im Verlaufe von 5\u201410 Minuten verschwindet. Eine \u00e4hnliche Depression beobachtet man, wenn ein Schnitt, C, durch die Vierh\u00fcgel selbst gelegt wird, b) Dagegen bewirkt der zwischen den Vierh\u00fcgeln und dem Anf\u00e4nge des verl\u00e4ngerten Markes angelegte Schnitt D eine Steigerung der Reflexth\u00e4tigkeit, welche sich gew\u00f6hnlich im Verlaufe von 1\u20142 Minuten entwickelt, c) Die Trennung endlich des Gehirns vom R\u00fcckenmark durch einen am hinteren Ende der Rautengrube ausgef\u00fchrten Schnitt E hat denselben Erfolg, wie der vorige, vielleicht tritt die Steigerung noch etwas schneller ein. d) Die Reizungen der angelegten Hirnwunden mit Kochsalz sind in Uebereinstimmung mit den Durchschneidungsversuchen *). Aus diesen Erfahrungen zog Setschenow den Schluss, dass die Thalami optici und die Tierh\u00fcgel als Hemmungs-mechanismen der Reflexth\u00e4tigkeit zu betrachten seien. Den m\u00f6glichen Einwand, dass die gereizten Hirntheile einen l\u00e4hmenden Einfluss auf die motorischen Nerven aus\u00fcben k\u00f6nnten, und dass auf diese Weise die Depression des Reflexverm\u00f6gens zu Stande komme, widerlegt er, indem er zeigt, dass der Nervus ischiadicus im Wadenmuskel bei gleichem Reiz gleich starke Zuckungen hervorbringt, mag der im Thalamus opticus gegebene Hemmungsmechanismus in Th\u00e4tigkeit sein, oder nicht **). Gegen diese Behauptung trat Herzen ***) auf. _ Die Versuche desselben sind zum Theil Wiederholungen der von Setschenow angestellten. zum Theil neue, welche in Reizungen des R\u00fcckenmarks an anderen, als von seinem Vorg\u00e4nger gew\u00e4hlten Stellen und solchen grosser Nerven-st\u00e4mme bestehen. Sie f\u00fchren ihn zu der Ansicht, dass die Hemmungsmechanismen nicht bestehen, und dass eine jede starke Erregung eines Theils des Nervensystems, mag dieselbe Abtheilungen des Centralorgans, oder gr\u00f6ssere Nervenst\u00e4mme trefljen, stets eine Depression der Reflexth\u00e4-\n*) Bez\u00fcglich dieser Behauptung muss ich den Leser auf die Originalabhandlung selbst verweisen; mir ist es beim Studium derselben vorgekommen, als sei die Identit\u00e4t des Erfolgs der Durchschneidungsversuche und der Reizungen mit Kochsalz nicht \u00fcberall zu bemerken. Ich stehe jedoch von einer n\u00e4hern Aufz\u00e4hlung der mir vorhanden scheinenden Widerspr\u00fcche ab, da nach Angaben in einer sp\u00e4tem Abhandlung von Setschenow ein Theil derselben nicht mehr besteht.\n**) Setschenow : Weiteres \u00fcber die Reflexhemmung beim Frosch. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. III. Reihe. XXII. Bd. S. 6.\n***) Herzen : Exp\u00e9riences sur les centres mod\u00e9rateurs de l\u2019action r\u00e9flexe. Turin 1864.","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"271\ntigkeit zur Folge habe. In Folge dieses Widerspruchs hat Setschenow*) eine weitere, denselben Gegenstand betreffende Abhandlung, publicirt, in welcher er seine fr\u00fchem Ansichten zum Theil modificirt hat. Da Herzen wesentlichen Nachdruck darauf legt, dass eine jede namhafte Reizung irgend eines Nerventheils die Ausbildung reflectorischer Bewegungen hindere, so pr\u00fcfte Setschenow diese Versicherung f\u00fcr am unteren Ende der Rautengraube und weiter abw\u00e4rts am R\u00fcckenmark angelegte Schnitte. Er findet, obschon die Erfolge der Reizung ver\u00e4nderlich sind, und gelegentlich auch Depression der Reflexth\u00e4tigkeit beobachtet wird, dass doch diese niemals mit der die Reizung der Sehh\u00fcgel begleitenden zu vergleichen ist, hinter welcher sie weit zur\u00fcckbleibt. Bei sehr schwachen Reizen, wie z. B. mit Blut, tritt stets, und bei st\u00e4rkere Reizen, wie z. B. mit Kochsalz, im Anfang eine Steigerung der Reflexth\u00e4tigkeit auf, welche aber sehr fl\u00fcchtig ist und erst sp\u00e4ter einer Depression Platz macht. F\u00fcr die Reizung der Sehh\u00fcgel, welche er mit R\u00fccksicht auf die eben erw\u00e4hnte Wahrnehmung gleichfalls mit sehr schwachen Reizmitteln ausf\u00fchrte, bleibt er bei seiner fr\u00fchem Ansicht stehen, dass diese Theile reflexhemmende Mechanismen enthalten. F\u00fcr die Theorie der Reflexbewegung ist es wichtig, noch hervorzuheben, dass Setschenow in dieser Arbeit den Versuch macht, zu bestimmen, in welchen Theilen des R\u00fcckenmarks die Verbindungsglieder zwischen den Hemmungsmechanismen und den reflectorischen Apparaten gelegen sind. In dem Umstand, dass die Reizung des Sehhiigelquerschnittes ihre deprimi-rende Wirkung nur dann auf die Reflexth\u00e4tigkeit geltend macht, wenn die vordere Parthie des R\u00fcckenmarks intact ist, findet er den Beweis f\u00fcr die Ansicht, dass jene Verbindungsglieder in der vorderen R\u00fcckenmarksh\u00e4lfte liegen. Auffallend ist es aber, dass die directe Reizung dieser Glieder nicht denselben deprimirenden Erfolg hat; denn, wie bekannt, ist die durch Reizung des Querschnittes am unteren Ende der Rautengrube hervorgerufene Depression der Reflexth\u00e4tigkeit unmerklich; man beobachtet oft das Gegentheil. Dieser Umstand, sowie weiter die Erfahrung, dass man die in den vorderen R\u00fcckenmarkstheilen gelegenen Verbindungsglieder zwischen den Hemmungsmechanismen und den Reflexapparaten einseitig durchschneiden kann, ohne eine entsprechende Erh\u00f6hung der Reflexth\u00e4tigkeit auf der betreffenden Seite zu beobachten, scheint sehr gegen die Richtigkeit der Meinung zu sprechen, welche die Erh\u00f6hung der Reflexth\u00e4tigkeit des R\u00fcckenmarks durch die Decapitation von der Entfernung der im Gehirn liegenden Hemmungsmechanismen\n*) Setschenow und Paschutin : Versuche an Hirn und R\u00fcckenmark des Frosches. Berlin 1865.","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nableitet; und namentlich hat die letztere Erfahrung Setschenow veranlasst, sich von derselben abzuwenden, indem er aus ihr schliessen zu m\u00fcssen glaubt, dass es f\u00fcr gew\u00f6hnlich den Hemmungsmechanismen an einer tonischen Erregung fehle. Obschon ich die bisher bekannt gewordenen Versuche nicht f\u00fcr gen\u00fcgend halte, um durch sie die Existenz der Hemmungsmechanismen zu beweisen, namentlich aus dem Grund nicht, weil mir bei ihnen nicht sorgf\u00e4ltig genug auseinander gehalten und studirt worden zu sein scheint, dass eine Qucrtheilung des Gehirns einen Effect erzeugt, welcher zum Theil dadurch bestimmt wird, dass jetzt gewisse Theile wegfallen, welche vorher eine auf den Rest wirkende Erregung entfalteten, zum Theil dadurch, dass man neue Reize einf\u00fchi't, dass letztere Wirkung vor\u00fcbergehend, die erstere bleibend ist; ich sage, obschon sich mir dieser Mangel an den vorhandenen Versuchen aufdr\u00e4ngt und daher zu neuen Pr\u00fcfungen auffordert, so bin ich doch nicht der Meinung, dass man die Bedeutung von Hemmungsmechanismen f\u00fcr die Reflexbewegung allein wegen der beiden vorher erw\u00e4hnten Beobachtungen sofort aufgeben soll. Von einer Reizung eines R\u00fcckenmarksquerschnittes mit Kochsalz ist nicht so ohne Weiteres zu verlangen, dass sie denselben Erfolg haben soll, wie eine etwa von den Sehh\u00fcgeln ausgehende Erregung desselben. Und was den anderen Punkt betrifft, so gestaltet sich die Sache in den Versuchen, auf welche sich Setschenow beruft, folgendermassen : Nach Durchschneidung einer vorderen R\u00fcckenmarksh\u00e4lfte wurde der Sehh\u00fcgelquerschnitt gereizt, in Folge davon beobachtete man starke Depression der Reflexth\u00e4tigkeit f\u00fcr die nicht weiter verletzte Seite und keine Erh\u00f6hung f\u00fcr die, an welcher die Trennung des R\u00fcckenmarks vorgenommen war. Es ist aber m\u00f6glich, \u00bb dass in Folge von Faserkreuzung ein Theil der mehrfach erw\u00e4hnten Verbindungsglieder f\u00fcr die zuletzt erw\u00e4hnte Seite eine Reizung vom Sehh\u00fcgel der anderen Seite aus erfuhr und also die erwartete Erh\u00f6hung ganz oder theilweise von der Depression aufgehoben wurde. So unvollkommen die Lehre von den Hemmungsmechanismen zur Zeit noch begr\u00fcndet sein mag, so ist ihr doch die andere von Herzen und Schiff aufgestellte Lehre, nach welcher die Erh\u00f6hung der Reflexth\u00e4-tigkeit nach der Entfernung des Gehirns durch die Bemerkung verst\u00e4ndlich werden soll, dass sich jetzt die Erregungen auf einen Meiner en Theil des Nervensystems auszudehnen h\u00e4tten, folglich also in diesem intensivere Erscheinungen ausgel\u00f6sst werden m\u00fcssten, durchaus nicht \u00fcberlegen; denn diese hat bis jetzt von dem auffallenden Umstand keine Erkl\u00e4rung gegeben, dass durchaus keine Proportionalit\u00e4t zwischen den abgetragenen Newenmassen und der Verst\u00e4rkung der Reflexth\u00e4tigkeit besteht. Dies ist im Wesentlichen der gegenw\u00e4rtige Inhalt der Lehre","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"273\nvon den Hemmungsmechanismen; es wird hoffentlich gen\u00fcgen, den Leser zu bef\u00e4higen, dem weiteren Verlauf der Verhandlungen \u00fcber diesen Gegenstand zu folgen.\nBez\u00fcglich der Theorie der Reflexbewegungen haben wir also zu bemerken, dass eine solche noch nicht besteht. Es fehlt uns nach den letzten Auseinandersetzungen noch vollst\u00e4ndig an bewiesenen Vorstellungen \u00fcber den Mechanismus, durch welchen die Uebertragung der Vorg\u00e4nge in den excitirenden Fasern auf die motorischen geschieht; wir haben nach ihnen gleichfalls noch keine Einsicht in das Abh\u00e4ngigkeits-verh\u00e4ltsniss des Reflexionsapparates vom Gehirn, und weiterhin liegen noch eine Menge von Eigenth\u00fcmlichkeiten untergeordneten Ranges vollkommen unverstanden zur weiteren Aufhellung vor. Dahin geh\u00f6ren : die Wirkungen der verschiedenen Gifte auf die Reflexbewegungen, die Thatsaclie, \u2022 dass die Enden der sensibeln Nerven zur Ausl\u00f6sung von Reflexerscheinungen geeigneter sind, als ihre St\u00e4mme etc.\nWir schliessen die Lehre von den reflectorischen Erscheinungen mit der Beschreibung einiger, am gesunden Organismus h\u00e4ufig vorkommender Reflexph\u00e4nomene, welche durch Gehirn und R\u00fcckenmark vermittelt werden.\nWir nehmen zuerst die durch Gehirnnerven erzeugten Reflexbewegungen vor und ordnen sie nach den sensitiven Bahnen, welche sie einleiten.\na) Der Nervus opticus steht in naher reflectorischer Beziehung zum Nervus oculomotorius, facialis und den sensitiven Nasenzweigen des Trigeminus. Vom Nervus oculomotorius sind es vorzugsweise die Pupillar-fasern, welche reflectorisch durch den Opticus erregt werden. > Wir haben schon oben, S. 176, als wir die Natur der normalen Pupillarcon-tractionen zu bestimmen suchten, diesen Punkt ber\u00fchrt. Hier handelt es sich jetzt darum, einen strengen experimentellen Beweis vorzubringen, dass die beiden erw\u00e4hnten Nerven \u00fcberhaupt in reflectorischer Beziehung zu einander stehen. Wird er erbracht, so beweisst dies noch nicht, dass die mit dem Sehen sich verkn\u00fcpfenden Pupillarcontractionen ebenwohl reflectorischer Art sind ; dies wird nur wahrscheinlicher dadurch. Ein solcher Beweis ist nun schon vor l\u00e4ngerer Zeit durch Muck gef\u00fchrt worden. Dieser zeigte an Thieren, dass eine mechanische Reizung des Nervus opticus eine Zusammenziehung der Pupille erzeugt. Identisch mit diesem Experiment ist die allt\u00e4glich zu machende Wahrnehmung, dass bei Abwesenheit aller Augenbewegungen und der Ruhe des Accom-modationsapparates eine ver\u00e4nderliche Lichtmenge, welche in das Auge f\u00e4llt, eine entsprechende Weite der Pupille zur Folge hat. Ncjch \u00fcberzeugender sprechen in diesem Sinne die Pupillarcontractionen, welche\nEckhard, Nerveaphysiologie.\tj 0","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nauf Lichtreiz bei cerebraler Erblindung in Folge von Apoplexie Vorkommen. Es sind F\u00e4lle bekannt, und ich selbst kenne einen solchen aus eigner Anschauung, in denen in Folge von Gehirnapoplexie einseitige Erblindung besteht, bei welcher die Untersuchung mit dem Augenspiegel keine Erkrankung der Retina ergiebt und jeder Lichtreiz, welcher die letztere ohne eine dabei stattfindende Augenbewegung trifft, Contraction dor Pupille dieser und eine geringere der anderen Seite erzeugt. Es w\u00e4re nur noch die S. 176 erw\u00e4hnte Unverst\u00e4ndlichkeit aufzukl\u00e4ren, dass bei retinaler Erblindung das dauernd vorhandene Krankheitssubstrat Wechsel in der Pupillarweite erzeugen k\u00f6nne. Zur Zeit ist diese Aufkl\u00e4rung noch nicht gegeben; einstweilen muss man sich mit den drei Voraussetzungen begn\u00fcgen, dass entweder in jenen F\u00e4llen neben der retinalen Erblindung eine cerebrale bestand und die erstere unvollkommen war, so dass noch eine Anzahl von Fasern intact geblieben, durch deren Th\u00e4tigkeit die Pupille reflectorisch verengt werden konnte, oder dass die Pupillarfasern des Oculomotorius durch solche Retinalfasern incitirt werden, welche gar nicht zum Sehen dienen, also im Opticus neben den den Gesichtswahrnehmungen dienenden Fasern noch solche f\u00fcr reflecto-rische Wirkungen bestimmte liegen, oder endlich, dass die Krankheitssubstrate, welche retinale Erblindung bewirken, die Sehnervenfasern noch nicht untauglich machen, durch Lichtreiz f\u00fcr Erzeugung reflectorischer Wirkungen angeregt zu werden. Die centrale Stelle f\u00fcr die reflecto-rischen Bewegungen der Regenbogenhaut liegt zum Theil, wenn nicht ganz, in den Vierh\u00fcgeln*). Dass heftige Erregungen dos Opticus, wie sie z. B. beim Sehen in sehr intensive Lichtquellen stattfinden, durch den Nervus facialis bewirkte Contractionen des Schliessmuskels der Augenlieder erzeugen, ist eine allbekannte Thatsache, an welche nur erinnert zu werden braucht. Nicht minder ist es eine leicht zu machende Beobachtung, dass dieselbe Art der Reizung des Sehnerven oft eine eigenth\u00fcmliche Empfindung in der Nase erzeugt, welche ihrerseits wieder Veranlassung zum Niessen wird. Diese Erscheinung stellt sich vorzugsweise leicht bei Entz\u00fcndungen der Nasenschleimhaut ein und ist ein die acuten Formen des Trachoms gew\u00f6hnlich begleitendes Symptom.\nb) Die durch sensible Zweige des Trigeminus angeregten reflectori-schen Erscheinungen erstrecken sich auf : den Ramus lacrimalis des Augenastes, den Nervus facialis und die Exspirationsnerven. Diese Bemerkung bedarf keiner weiteren Erl\u00e4uterung. Dazu kommen noch die verschiedenen F\u00fcllungszust\u00e4nde der Gef\u00e4sse des Gesichts und des Ohres,\n*) P. Renzi: Saggio di Fisiologia spevimentale sui centri nervosi etc. Annali universal!. Sett. Qttobre et Dicembre 1864.","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"welche durch Reizung der in diesen Theilen sich verbreitenden Trigetni-nusf\u00e4den mit Hilfe des Sympathicus erzeugt werden.\nc)\tDie Reflexerscheinungen, welche durch die sensitiven Vaguszweige entstehen, bed\u00fcrfen gleichfalls nur der Erinnerung. Ihre reflectorische Stellung zu den Athemnerven und zu den Gef\u00e4ssen des Ohrs sind bei der Physiologie dieses Nerven bereits abgehandelt worden; ebenso wurde daselbst der angeblich reflectorischen Stellung des Vagus zur Speichel-secretion gedacht. Es kann noch hinzugef\u00fcgt werden, dass auch theil-weise die Stimmnerven von dem Vagusgebiete aus erregt zu werden scheinen, da bei reflectorischer Erregung der Athmungsnerven h\u00e4ufig Husten auftritt, welcher wohl eine gewisse Stellung der Stimmb\u00e4nder verlangen d\u00fcrfte. Bidder *) hat an Katzen und Hunden die Bedingungen n\u00e4her studirt, unter denen Husten erzeugt wird. Er tritt niemals auf, wenn man die centralen St\u00fcmpfe der Nervi laryngei supe-riores reizt; nichtsdestoweniger aber enthalten diese Nervenbahnen die incitirenden Fasern f\u00fcr die genannte Reflexerscheinung. Diese kann nur durch Reizung derjenigen Schleimhautstelle ausgel\u00f6sst werden, welche unter den Stimmb\u00e4ndern oberhalb des untern Randes des Ringknorpels liegt. Reizung der \u00fcbrigen Kehlkopfschleimhaut oder der Tracheal-schleimhaut ist erfolglos. Die beschriebene Stelle verliert aber die erw\u00e4hnte Wirkung, sobald man die Nervi laryngei superiores durchschneidet. Ferner geh\u00f6ren, wenn nicht ganz, so doch theilweise, die Brechbewegungen hierher, da nicht selten solche bei heftigen Erregungen des centralen Vagusstumpfes beobachtet werden.\nd)\tWeniger umfangreich erweist sich das vom Nervus glossopha-ryngeus aus reflectorisch zu beherrschende Gebiet. Seine Beziehung zur Speichelsecretion wurde bei der speciellen Beschreibung seiner Function hervorgehoben. Ausserdem stehen, wie die allt\u00e4gliche Erfahrung lehrt, seine sensitiven Fasern in reflectorischer Beziehung zu den motorischen Gebilden, welche sich beim Schlucken betheiligen. Beim Kaninchen ist auch zu erweisen, dass er einen Beitrag zur Bildung des Ramus auricularis Nervi vagi liefert, mittelst dessen er sich wahrscheinlich bei der reflectorischen Ver\u00e4nderung der Weite der Ohrgef\u00e4sse betheiligt **).\nBez\u00fcglich der durch das R\u00fcckenmark erzeugten Reflexbewegungen ist vorerst das allgemeine Gesetz hervorzuheben, dass die incitirenden Fasern in den hintern, die motorischen in den vorderen Wurzeln liegen,\n*) Bidder: Beitr\u00e4ge zur Kenntniss der Wirkungen des Nervus laryngeus superior. Hermann\u2019s med. Centralblatt. 1865. S. 566.\n**) Ij o v \u00e9 n : TJeber die Erweiterung von Arterien etc. Berichte der s\u00e4chs. Gesellschaft. Math.-Phys. Classe. Sitzung vom 30. Mai 1866. S. 42.\n18*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276 \u2014\nalso f\u00fcr die Reflexbewegungen Bell\u2019s Gesetz gilt. Yon den Reflexbewegungen, wie sie durch die Reizungen der einzelnen sensibeln Wurzeln erzeugt werden k\u00f6nnen, ist noch wenig bekannt. Die S\u00e4tze allgemeinem Inhaltes sind schon oben bei der Betrachtung der Reflexbewegungen im Allgemeinen mitgetheit worden. Wir heben nur noch folgende Erfahrungen hervor.\na)\tVon den empfindenden Zweigen der oberen Cervicalnerven, namentlich des zweiten und dritten, kann ausser auf Skeletmuskeln noch reflectorisch auf die Gef\u00e4sse des Ohrs gewirkt werden. Dieses Factum hat zuerst Schiff aufgefunden, sp\u00e4ter ist die Richtigkeit dieser Angabe von Lov\u00e9n best\u00e4tigt worden. Der letztere Beobachter sah analoger Weise auf Reizung des sensibeln Nervus dorsalis pedis das Lumen der Arteria saphena sich ver\u00e4ndern. Mit der Art der Ver\u00e4nderung des Lumens verh\u00e4lt es sich so, wie es oben f\u00fcr den Ramus auricularis Nervi vagi beschrieben wurde. Man darf wohl aus diesen Erfahrungen schliessen, dass noch an vielen anderen Stellen des K\u00f6rpers durch Erregungen sensitiver R\u00fcckenmarksnerven auf die Lumina der Gef\u00e4sse reflectorisch gewirkt werden kann. F\u00fcr die in der Bahn des Nervus pudendus communis liegenden und zur Eichel gehenden sensitiven Zweige, welche, soweit man aus den Thatsachen der descriptiven Anatomie schliessen kann, den untersten Sacralnerven angeh\u00f6ren, wird diese Vermuthung durch die Erfahrung best\u00e4tigt, dass Reizung der Eichelnerven Erection erzeugt, welche bekanntlich in einer Beschleunigung des Blutstroms durch den Penis besteht.\nb)\tDurch die Reizung der sensitiven F\u00e4den der R\u00fcckenmarksnerven kann reflectorisch auf die Herzbewegung gewirkt werden. In der Regel besteht diese Wirkung in einer Verminderung der Zahl der Herzschl\u00e4ge und kommt vorzugsweise durch den Nervus vagus zu Stande, da nach der Durchschneidung dieses Nerven die Zahl der Herzschl\u00e4ge w\u00e4hrend der Reizung sensitiver Nerven nicht abnimmt. Bisweilen nimmt sic sogar zu; diese Erscheinung ist aber noch nicht gen\u00fcgend aufgekl\u00e4rt. Trotz der Verminderung der Zahl der Herzschl\u00e4ge steigt der Blutdruck bei diesen Versuchen, oder zeigt keine sehr merkbare Ver\u00e4nderung. Ersteres findet statt, wenn durch Arterienverengerung der Widerstand im Gef\u00e4sssystem steigt, Letzteres, wenn neben Verengerung von Gef\u00e4ssen Erweiterung von anderen auftritt. Ebenso wird durch Reizung der in der Bahn des Bauchsympathicus liegenden Nervenfasern, deren Ursprung im R\u00fcckenmarkc liegt, auf reflectoi'ischem Wege Verlangsamung des Herzschlags erzeugt. An welcher Stelle des Cerebrospinalsystems der Reflexionsapparat f\u00fcr diese Erscheinungen gelegen ist, hat noch nicht genau ausgemittelt werden k\u00f6nnen. Es ist aber derselbe nach den S. 196.","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"277\nmitgetheilten Erfahrungen am oberen Ende des R\u00fcckenmarks bis zum Vagusursprung bin aufz\u00fcsuchen. Ebenso, wie-auf das Blutherz, kann auch nach einer Angabe von Joh. M\u00fcller von der Ausbreitung der hintern R\u00fcckenmarkswurzeln auf die Lymphherzen reflectorisch eingewirkt werden.\nc) Endlich sind die sensibeln R\u00fcckenmarksnerven in ihren gereizten Zust\u00e4nden f\u00e4hig, die Athemnerven reflectorisch zu erregen. Bei der Physiologie des Nervus vagus wurde erw\u00e4hnt, wie unter diesen Umst\u00e4nden tiefe Inspirationen entstehen. Ob einzelne sensitive R\u00fcckenmarksf\u00e4den vor anderen darin bevorzugt sind, und wie sich im Einzelnen mit der Ausdehnung des gereizten Bezirks und der Intensit\u00e4t der Reizung die A t hem-folge und Athmungsintensit\u00e4t der einzelnen Z\u00fcge gestalten, bildet noch ein sch\u00f6nes Thema f\u00fcr zuk\u00fcnftige Untersuchungen, welche nat\u00fcrlich auch darauf ausgehen m\u00fcssen, die Orte der Uebertragung innerhalb des R\u00fcckenmarks festzusetzen.\n\u00a7. 26.\nPhysiologie der einzelnen R\u00fcckenmarksnerven.\nJeder R\u00fcckenmarksnerv entspringt bekanntlich mit einer hintern und einer vordem Wurzel ; jene dient der Empfindung, diese der Bewegung. Obschon diese als Belfisches Gesetz bekannte Thatsaclie uns Allen hinl\u00e4nglich gel\u00e4ufig ist, so ziemt es sich doch f\u00fcr eine Experimentalphysiologie des Nervensystems, kurz zu erw\u00e4hnen, wie Ch. Bell*) den Beweis des nach ihm benannten Satzes gef\u00fchrt hat. Auf doppelte WTeise hat er sich in den Besitz \u00fcberzeugender Thatsachen gesetzt. Zuerst er\u00f6ffnete er an einem kurz zuvor get\u00f6dteten Kaninchen die Wirbels\u00e4ule und fand, dass er bei der mechanischen Erregung der vorderen Wurzeln Zuckungen erhielt, w\u00e4hrend solche bei der Durchschneidung der hintern fehlten. Sodann durchschnitt er an einem lebenden Kaninchen die hintern Wurzeln, wobei er heftigen Schmerzenszeichen begegnete und zugleich sah, dass die Muskeln ihre Motilit\u00e4t erhalten hatten. Es muss als ein ganz besonders gl\u00fccklicher Zufall betrachtet werden, dass Bell nicht auf den Gedanken verfallen ist, das peripherische St\u00fcck der durchschnittenen hinteren Wurzel und das centrale der durchschnittenen vorderen mit den zu seiner Zeit so beliebten Metall-combinationen zu reizen, die secund\u00e4ren Uebertragungen h\u00e4tten ihn an der Entdeckung seines Gesetzes leicht hindern k\u00f6nnen. Nach du Bois-Reymond **) ist es n\u00e4mlich in der That m\u00f6glich, wenn auch nicht\n*) Ch. Bell : An idea of a new anatomy of the brain. London 1814.\n**) du Bois-\u00dfeymond: Untersuchungen \u00fcber thierische Electricit\u00e4t. Bd. II. S. 195.","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\nsehr gew\u00f6hnlich, durch electrische Reizung des peripherischen Endes der hintern und des centralen der vorderen Wurzel Zuckungen zu erregen. Die Erkl\u00e4rung dieser Zuckungen ergiebt sich unter Anerkennung der Richtigkeit des Bell\u2019schen Gesetzes unmittelbar aus der Anwendung der Lehre von der secund\u00e4ren Zuckung, S. 111. H\u00f6chst wahrscheinlich sind schon vor du Bois- Rey mond\u2019s Versuchen \u00fcber diesen Gegenstand derartige Zuckungen beobachtet worden, ohne dass man sich jedoch \u00fcber die Constanz und die Erkl\u00e4rung solcher Erscheinungen klar war. Hierauf lassen die Angaben und Bemerkungen von Seubert*), J o h. M\u00fcller**) und Longet ***) mit Sicherheit schliessen. Zahlreiche Beobachter, wie namentlich Joh. M\u00fcller, Longet, Magendie, haben, obschon nach mancherlei widersprechenden Aeusserungcn, den Bell\u2019schen Lehrsatz befestigt. Es giebt jedoch vordere Nervenwurzeln, welche empfindlich befunden werden. Diese Erfahrung ist indess dem Bell\u2019schen Gesetze nicht zuwider; denn man hat gefunden, dass solche Erscheinungen von Fasern herr\u00fchren, welche, urspr\u00fcnglich den hintern Wurzeln entstammend, sich r\u00fcckl\u00e4ufig in die vorderen Wurzeln begeben haben, in welchen sie h\u00f6chst wahrscheinlich zu den weichen R\u00fcckenmarksh\u00e4uten, diese empfindlich machend, verlaufen. Ihr wahrer Ursprung k\u00fcndigt sich durch die Beobachtung an, dass nach der vorherigen Durchschneidung der bez\u00fcglichen hinteren Wurzel, das Ph\u00e4nomen wegf\u00e4llt, und dass, wenn man die vordere Wurzel theilt, sich der centrale Stumpf derselben empfindungslos zeigt. Man hat diese Empfindlichkeit der vorderen Wurzeln die r\u00fcckl\u00e4ufige, sensibilit\u00e9 r\u00e9currente, genannt. Die Sicherstellung dieser Art von Sensibilit\u00e4t hat ihrer Zeit viele Streitigkeiten hervorgerufen. Als Entdecker derselben muss Magendie angesehen werden, welcher sie 1839 in seinen Vorlesungen zuerst auseinandersetzte. Sp\u00e4ter haben derselbe f) und Bernard ff) sie von Longet erhobenen Widerspr\u00fcchen gegen\u00fcber besonders vertheidigt. In Deutschland ist sie zum Ueberfluss noch von Schi ff fff) bewiesen worden. Die bez\u00fcglichen Versuche wurden meistens an Hunden ausgef\u00fchrt und zwar hat man fast ausschliesslich an den Lendennerven derselben experimentirt.\n*) Seubert: De functionibus radicum anteriorum et posteriorum nervorum spinalium oommentatio. Carlsruliae et Badae 1833. p. 56.\n**) Joh. M\u00fcller: Handbuch der Physiologie etc. Bd. I. S. 355. der 3 \u25a0 Auflage.\t*\n***) Longet: Anatomie et physiologie etc. Tome I. p. 36. f) Comptes rendus. Tome XXIV. p. 1130. ff) Comptes rendus. Tome XXV. p. 104. fff) Schiff: Ueber die Empfindlichkeit der vordem Nervenwurzeln. Vier-ordt\u2019s Archiv f\u00fcr physiologische Heilkunde. Zehnter Jahrgang. 1857. S. 133.","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"279\nEhe wir zur Besprechung der Functionen einzelner R\u00fcckenmarksnerven \u00fcbergehen, m\u00f6gen vorher noch einige Eigenschaften \u00fcber die Verbreitungsarten derselben erw\u00e4hnt werden, welche mehr oder weniger allen R\u00fcckenmarksnerven oder doch der Mehrzahl derselben gemeinschaftlich zukommen. Zu diesen geh\u00f6ren :\na)\tDer Verbreitun^sbezirk eines jeden einzelnen R\u00fcckenmarksnerven ragt nicht \u00fcber die Mittellinie des K\u00f6rpers hinaus. Diese Erfahrung hat sich namentlich bei der Pr\u00fcfung einseitig Gel\u00e4hmter auf deren Tastsinn ergeben.\nb)\tEin und derselbe Muskel und ein und dasselbe Hautst\u00fcck erhalten oft von mehren Nervenwurzeln her F\u00e4den, so dass mit der L\u00e4hmung eines R\u00fcckenmarksnerven nicht nothwendig vollkommne L\u00e4hmung der von ihm versorgten Muskeln und vollst\u00e4ndige Empfindungslosigkeit der Ilautparthie, in welcher er sich ausbreitet, verbunden sind.\nc)\tIn vielen F\u00e4llen verbreiten sich die sensibeln F\u00e4den eines R\u00fcckenmarksnerven an Hautstellen, welche die Muskeln bedecken, die von den motorischen F\u00e4den desselben Nerven versehen werden. Bis zu welchen Grenzen hin dieses Gesetz giltig ist, hat man noch nicht befriedigend untersucht.\nd)\tAusser zu den Haut- und zu den Skeletmuskeln gehen die R\u00fcckenmarksnerven noch in grosser Ausdehnung zu den Eingeweiden und den Gef\u00e4ssen. Wegen des practischen Interesses, welches sich daran kn\u00fcpft, nehmen wir die Gef\u00e4ssnerven etwas ausf\u00fchrlicher vor. Dass \u00fcberhaupt die Ver\u00e4nderung des Gef\u00e4sslumens unter dem Einfl\u00fcsse des Nervensystems steht, erscheint wahrscheinlich durch die Thatsache der descrip-tiven Anatomie, dass sich an die gr\u00f6sseren Gef\u00e4sse an verschiedenen Stellen des K\u00f6rpers direct Nervenf\u00e4den darstellen lassen, und wird durch die Beobachung gewiss, dass mittelst Durchschneidung gr\u00f6sserer St\u00e4mme von R\u00fcckenmarksnerven eine Erweiterung und durch Reizung derselben eine Verengerung der Gef\u00e4sse erzeugt werden kann. Die letzte Erfahrung ist gegenw\u00e4rtig von so vielen Seiten her gemeldet worden, dass es gen\u00fcgt, nur ein paar Beispiele zu citiren. Schiff *) und Braueil **)\n*) Schiff hat seine Beobachtungen und Ansichten \u00fcber die vasomotorischen Nerven in verschiedenen Abhandlungen niedergelegt. Anstatt dieselben im Einzelnen anzuf\u00fchren, citire ich dessen : Influenza della Midolla Spinale nei nervi vasomotori delle Estremita. Napoli 1864, in welchem Buche sich eine ausf\u00fchrliche kritisch-geschichtliche Darstellung der Lehre von den Gef\u00e4ssnerven und Schiff\u2019s eigne Beobachtungen zusammengestellt finden.\n**) Br au eil : Zur Kenntniss des Verlaufs der vasomotorischen Nerven des Hinterschenkels beim Hunde. Gurlt\u2019s und Hertwig\u2019s Magazin f\u00fcr die gesammte Thierheilkunde. Bd. XXV. 1859. S. 292.","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280\nsahen nach der Durchschneidung der H\u00fcftnervcn bei Kaninchen und Hunden die Erweiterung besonders deutlich an den Gef\u00e4ssen des Metatarsus und der Intcrdigitalmembran. Der Erstere giebt ferner an, dass bei Kaninchen in den spinalen Auricular\u00e4sten. Fasern enthalten sind, welche in directer Beziehung zu den Circularfasern der Ohrgef\u00e4sse stehen, indem Durchschneidung jener unmittelbar Erweiterung gewisser Ge-f\u00e4sse zur Folge hat. Lov\u00e9n *) hat diese Beobachtung best\u00e4tigt und gezeigt, dass eine Reizung der peripherischen Abschnitte der erw\u00e4hnten Nerven wieder Verengerung zur Folge hat, und dass diess auch dann eintritt, wenn vorher der Sympathicus durchschnitten worden war. Aehn-lich verh\u00e4lt sich nach dem letzteren Beobachter auch der Nervus dorsalis pedis gegen\u00fcber der Arteria saphena. Lister**) und Andere beobachteten Erweiterung an den Gef\u00e4ssen der Schwimmhaut des Frosches bei L\u00f6sung von Spinalnerven von ihrem Centrum und Verengerung bei Reizung derselben. Bei der Physiologie des Nervus vagus und den reflec-torischen Erscheinungen des R\u00fcckenmarks haben -wir Ver\u00e4nderungen von Gef\u00e4ssquerschnitten erw\u00e4hnt, welche durch das R\u00fcckenmark vermittelt werden, also von Nerven ausgehen m\u00fcssen, welche diesem angeh\u00f6ren. Es wird sich also hier noch darum handeln, sch\u00e4rfer zu bestimmen, woher diese Nerven in letzter Instanz stammen, ob sie wirklich, wie es nach den bereits mitgetheilten Erfahrungen den Anschein hat, ihren virtuellen Ursprung im R\u00fcckenmark haben, oder von den Ganglien des Sympathicus kommen und nur vor\u00fcbergehend in Bahnen der R\u00fcckenmarksnerven eingelagert sind. Diese Alternative muss aber dess-halb gepr\u00fcft werden, weil wir nicht allein uns bisweilen des Ausdrucks bedienen, dass die Gef\u00e4ssnerven vom Sympathicus kommen, ohne damit einen hinl\u00e4nglich scharfen Begriff zu verbinden, sondern weil auch wirklich in der Experimentalphysiologie des Nervensystems Versuche verzeichnet sind, welche die Ver\u00e4nderung der Gef\u00e4sslumina und die davon abh\u00e4ngende Temperaturerh\u00f6hung gewisser K\u00f6rpertheile als nicht durch R\u00fcckenmarksnerven vermittelt darstellen ***). Es unterliegt nun nach den vorhandenen Erfahrungen keinem Zweifel, dass die Lumina der Gef\u00e4sse durch \u00e4chte R\u00fcckenmarksnerven beherrscht werden k\u00f6nnen, und dass die bez\u00fcglichen Fasern in den vorderen Wurzeln derselben liegen. F\u00fcr S\u00e4ugethiere hat Schiff bewiesen, dass die Durchschneidung der\n*) lov\u00e9n t o S. 93.\n**) Lister: An Inquiry regarding the parts of the Nervous System which regulate the contractions of the Arteries. Philos. Transact, for the year 1858. London 1859. p. 607.\n***) Diese Versuche finden ihre Erw\u00e4hnung bei der Physiologie des Sympathicus.","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"281\nvorderen Wurzeln zu Gef\u00e4sserweiterung und in Folge davon zu Temperaturerh\u00f6hung in den bez\u00fcglichen Gliedern f\u00fchrt. An Fr\u00f6schen hat Lister gezeigt, dass, wenn man w\u00e4hrend der Reizung des R\u00fcckenmarks mit Hilfe eines Drahtes eine Schlagader beobachtet und ihre Weite mit Hilfe eines Ocularmicrometers festh\u00e4lt, man eine deutliche Verengerung wahrnimmt, welche sich unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden zu einem vollst\u00e4ndigen Verschl\u00fcsse ausbildet, der nach Entfernung des Reizes wieder verschwindet. Von anderen Forschern werden \u00e4hnliche Beobachtungen berichtet. Wir scheinen uns also, da nach Trennung der R\u00fcckenmarksnerven Gef\u00e4sserweiterung und bei Reizung derselben Gef\u00e4ssverengerung eintritt, vorstellen zu m\u00fcssen, nicht allein, dass die Muskelfasern der Gef\u00e4sse in demselben Verh\u00e4ltnisse zu den Nerven stehen, wie die \u00fcbrigen Muskelfasern, sondern auch, dass das R\u00fcckenmark in ihnen fortw\u00e4hrend einen gewissen Tonus unterh\u00e4lt. Beil\u00e4ufig mag bemerkt werden, dass also von dieser Seite her noch ein Grund f\u00fcr die Behauptung entnommen werden kann, dass dem R\u00fcckenmark eine tonisirende Kraft zukommt, ohne dass jedoch damit etwas N\u00e4heres \u00fcber die weitere Ursache derselben behauptet wird. Wenn ich sage, dass es scheine, als m\u00fcsse man sich diese Vorstellung von der Stellung der Gef\u00e4ssnerven zum R\u00fcckenmarke machen, mithin einen scharfen Ausspruch in dieser Angelegenheit vermeide, so denke ich dabei an die folgenden Tbatsachen, welche diese Vorsicht erheischen. Zuerst giebt es einzelne R\u00fcckenmarksnerven, welche augenscheinlich in einer anderen Beziehung zum R\u00fcckenmark stehen, da sie n\u00e4mlich durch Erregung von dieser Seite her oder durch einen entsprechenden k\u00fcnstlichen Reiz Erweiterung der Gef\u00e4sse bewirken. Die hernach noch besonders zu behandelnden Nervi erigentes geh\u00f6ren hieher. Sodann aber sind die oben erw\u00e4hnten, reflectorischen Wirkungen der Gef\u00e4ssnerven noch einmal ins Auge zu fassen, und von diesen ist hervorzuheben, dass der Reizung centraler, sensibler Nervenst\u00fcmpfe bald eine Verengerung mit nachheriger Erweiterung, bald primitiv eine Erweiterung ohne vorhergehende Verengerung folgt, und dass keine Gr\u00fcnde vorliegen, die Erweiterung als eine Erm\u00fcdungserscheinung zu betrachten. Dies heisst so viel, als : Von der besonderen Erregung des R\u00fcckenmarks h\u00e4ngt es ab, welche Wirkung der von ihm kommende Gef\u00e4ssnerv entfaltet. Bei jenen reflectorischen Wirkungen kann es sich bald in einem Zustande befinden, zufolge dessen es die Nerven zu einer Erweiterung der Gef\u00e4sse zwingt, bald in einem solchen, dass es ihnen Verengerung derselben auferlegt. Kann dies aber bei absichtlich von uns eingef\u00fchrten Bedingungen geschehen, so ist es nicht unm\u00f6glich, dass sich dasselbe auch ohne unser Zuthun im R\u00fcckenmark durch Vorg\u00e4nge der Ern\u00e4hrung etc. ereignen kann. Unsere Anschauungen \u00fcber die Einrichtungen","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282\nim R\u00fcckenmark, durch welche ein so verschiedenartiger Erfolg erzielt werden kann, sind allerdings noch sehr beschr\u00e4nkt; man kann aber, durch Hinweisung auf bereits bekannte physiologische Vorg\u00e4nge provisorische Vorstellungen proponiren, welche den Vortheil haben, einstweilen das Erfahrungsmaterial unter sich zu verkn\u00fcpfen und Ausgangspunkte f\u00fcr weitere Untersuchungen zu bilden. F\u00fcr die gegenw\u00e4rtige Angelegenheit kann man sich etwa die Annahme erlauben, dass der verschiedene Effect der reflectorischcn Erregung der Gef\u00e4ssnerven wesentlich durch die verschiedene Natur von Ganglien bestimmt werde, \u00fcber welche hin die erregten Innervationsvorg\u00e4nge innerhalb des R\u00fcckenmarks f\u00fchren. Es k\u00f6nnte sein, dass die Erregungen der hintern Wurzeln gewisse Ganglien, gleichgiltig, ob diese im R\u00fcckenmark selbst, oder im Verlauf der Bahnen der Gef\u00e4ssnerven liegen, wirkungslos machen, wie etwa der erregte Vagus dies in Bezug auf die Herzganglien thut, w\u00e4hrend eben dieselben, wenn sie sich auf andere Gangliengebiete verbreiten, diese, wie in den gew\u00f6hnlichen Reflexbewegungen, zur Th\u00e4tigkeit anfachen. In diesem Gedanken fortfahrend, k\u00f6nnte man auch die Gef\u00e4sserweiterung durch die erigirenden Nerven in Folge ihrer Erregung durch das R\u00fcckenmark oder einen k\u00fcnstlichen Reiz durch den Umstand erl\u00e4utert finden, dass in ihren peripherischen Bahnen sich Ganglien vorfinden. Diese und \u00e4hnliche Vorstellungen sind jedoch nur Conjectural, denen man sich gelegentlich einmal hingiebt, um f\u00fcr einen Gegenstand eine gewisse Abrundung zu gewinnen. Weitere Untersuchungen werden uns sagen, was von ihnen zu halten ist. Nicht minder unvollkommen sind wir dar\u00fcber unterrichtet, wie hoch die zu den verschiedenen Gef\u00e4ssbezirken geh\u00f6rigen vasomotorischen Nerven im R\u00fcckenmark in die H\u00f6he steigen. Aus Versuchen von Schiff und Lister geht jedoch bis jetzt schon so viel hervor, dass die zu den Gef\u00e4ssen der hinteren Extremit\u00e4ten geh\u00f6rigen sehr hoch im R\u00fcckenmark, etwa bis zum verl\u00e4ngerten Mark, hinauf-reichen. Den Ursprung der Nerven f\u00fcr die Gef\u00e4sse der Leber, des Magens etc. setzt Schiff sogar in die Sehh\u00fcgel. Wir kommen zur Function der einzelnen R\u00fcckenmarksnerven. Hier ist nun noch eine grosse und empfindliche L\u00fccke in der Experimentalphysiologie, indem bez\u00fcglich des Menschen wohl zur Zeit f\u00fcr keine einzige Nervenwurzel ihr peripherischer Verbreitungsbezirk mit Sicherheit angegeben werden kann, und bez\u00fcglich der in der Experimentalphysiologie benutzten Thiere dies nur unvollkommen m\u00f6glich ist. Die Ursache davon liegt f\u00fcr den Menschen im Mangel eines ausreichenden und passenden Materials, indem die Beobachtungen, zu denen R\u00fcckenmarksl\u00e4sionen Veranlassung geben k\u00f6nnen, nur selten die Einfachheit und Ueberzeugung besitzen, welche die Experimentalphysiologie fordern muss, und die Gelegenheiten, welche","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"283\nEnthauptungen bieten k\u00f6nnten, bisher f\u00fcr diesen Zweck noch nicht ausgebeutet worden sind, \u00fcberdies auch die grosse Verg\u00e4nglichkeit der Erregbarkeit der nerv\u00f6sen Gebilde hindernd in den Weg tritt. F\u00fcr S\u00e4uge-thiere bestehen allerdings diese Uebelst\u00e4nde nur zum Theil, und darum ist man auch hier im Besitz einiger Thatsachen \u00fcber den in Bede stehenden Punkt; es sind aber in neuerer Zeit die Untersuchungen nicht so eifrig fortgesetzt worden, als man sie begonnen, wie es scheint, aus dem Grunde, dass zur Zeit der Physiologie daraus kein der aufgebotenen Zeit und M\u00fche entsprechendes Aequivalent entsprungen ist. Am Frosch hat man noch mit den geringsten Schwierigkeiten zu k\u00e4mpfen; es gilt aber auch f\u00fcr ihn die eben vorgebrachte Entschuldigung, dass -wir gegenw\u00e4rtig nur Unvollkommenheiten bieten k\u00f6nnen.\nDie Methoden zur Ausmittelung der Verbreitungsbezirke der einzelnen Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven sind in ihrem Principe sehr einfach. Was die vorderen Wurzeln anlangt, so hat man nach Er\u00f6ffnung des R\u00fcckenmarkskanales die peripherischen St\u00fccke der durchschnittenen Wurzeln einfach zu reizen und die sich dann contrahirenden Muskeln zu verzeichnen. Dies ist jedoch leichter empfohlen, als ausgef\u00fchrt; denn die electrische Reizung hat, selbst bei der Anwendung sehr schwacher Ketten, wiegen der reichlichen Plexusbildung der R\u00fcckenmarksnerven ihre Unsicherheiten, die chemische bietet wegen der Beschr\u00e4nkheit des Raumes manche Unbequemlichkeiten und die mechanische gestattet nicht immer eine so \u00f6ftere Wiederholung des Versuchs, als f\u00fcr die Herbeif\u00fchrung eines vollkommen befriedigenden Resultates w\u00fcnschenswerth ist. Zur Ausmittelung des Verbreitungsbezirks der hintern Wurzeln durchschneidet man nach Er\u00f6ffnung des Spinalkanales alle sensiblen Wurzeln bis auf diejenige, deren Ausbreitungsgebiet man zu ermitteln w\u00fcnscht und pr\u00fcft demn\u00e4chst, von welchen Hautstellen aus noch Reflexbewegungen ausl\u00f6sbar sind. Bei S\u00e4ugethieren, bei denen die Schmerzenz\u00e4usserungen bestimmter, als bei Fr\u00f6schen auftreten, kann man auch in der Weise verfahren, dass man an bet\u00e4ubten Thieren einen Spinalnerven dicht bei seinem Austritt aus dem R\u00fcckenmarkskanal durchschneidet und nachher untersucht, welche Hautfl\u00e4chen unempfindlich geworden sind. Wir verzichten hier auf eine Mittheilung derjenigen Resultate, welche an Hunden, Kaninchen und Fr\u00f6schen in Beziehung auf die Verbreitung der einzelnen R\u00fcckenmarksnerven gewonnen worden sind und verweisen den Leser auf die unten citirten Arbeiten *). Dagegen nehmen wir noch\n*) Peyer, in Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. N. F. T. IV. p. 52\u201477. T\u00fcrk: Vorl\u00e4ufige Ergebnisse von Experimentaluntersuchungen zur Ermittelung der Hautsensibilit\u00e4tsbezirke der einzelnen lt\u00fcckenmarks-Nervenpaare. Sitzungsberichte der","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"284\ndie Physiologie der folgenden, besonders studirten Nerven vor. Bei ihrer Auswahl muss man einige Willk\u00fchrlichkeiten entschuldigen, da zur Zeit f\u00fcr manche Nervenbahnen es gleich zweckm\u00e4ssig erscheint, sie hier, oder bei der Physiologie des Sympathicus abzuhandeln.\n1.\tDer Zwerchfellsnerv. Dieser Nerv ist gemischter Natur; denn ausser den motorischen F\u00e4den f\u00fcr das Zwerchfell schliesst er nach Luschka beim Menschen noch solche ein, welche sich zum ser\u00f6sen Ueberzug der Leber begeben; ferner fand Panizza* *), dass bei Thie-ren seine Durchschneidung immer schmerzhaft ist. Die Trennung desselben gef\u00e4hrdet das Leben der Versuchsthiere in hohem Grade; es tritt nach ihr beschleunigtes Athmen auf und unter Athembeschwerden sterben Hunde und Kaninchen meist schon am zweiten Tage. Bei der Section zeigen sich die Gef\u00e4sse des Unterleibs mit Blut und der Nahrungskanal mit Gasen \u00fcberf\u00fcllt.\n2.\tDie Nerven der Blase. Die Bewegungsfasern der Blase liegen in den Sacralnerven. Nach Budge **) sind sie beim Hunde in dem dritten und vierten derselben eingeschlossen. Ihre Empfindungsnerven soll sie durch die Rami communicantes erhalten, welche in den Lenden-theil des Sympathicus eintreten. Interessant, aber der Pr\u00fcfung bed\u00fcrftig, ist die Angabe von Oehl ***), nach welcher der Nervus vagus in reflectorischer Beziehung zu den Bewegungsnerven der Blase stehen soll. Durch die Reizung des centralen Stumpfes dieses durchschnittenen Nerven will jener Forscher Verengerung der Blase beim Hunde erzeugt haben. Die Wirkung soll ausgeblieben sein, wenn vor der Reizung das R\u00fcckenmark an einer beliebigen Stelle zwischen dem Hinterhaupte und dem Lendentheil getrennt worden war. Das letztere Factum w\u00fcrde mit einer Behauptung von Budge im Einklang sein, nach welcher die Blasenmuskulatur vom verl\u00e4ngerten Mark aus erregbar sein soll.\nWiener Academie. 1856. S. 3. \u2014 Eckhard : lieber Reflexbewegungen der letzten Riickenmarksnervenpaare des Frosches. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift Erste Reihe. Bd. 7. S. 281. Die dort gemachten Angaben \u00fcber die motorischen Wurzeln stammen aus der Zeit vor der Entdeckung der secund\u00e4ren Zuckung und sind desshalb jetzt unbrauchbar.\n*) B. Panizza: Sul nervo frenico e sulla bolsaggine. Gaz. med. Italiana. Lombardia 1865. Nr. 8. p. 92.\n\u2022*) Budge: M\u00e9moire sur l\u2019action du bulbe rhachidien, de la moelle \u00e9pini\u00e8re et du nerf grand Sympathique sur les mouvements de la vessie. Gaz. m\u00e9d. 1863. Nr. 40. p. 652. und : Ueber den Einfluss des Nervensystems auf die Bewegungen der Blase. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. Dritte Reihe. \u00bb Bd. XXI. S. 174. Bd. XXII. S. 77.\n***) Oehl: de l\u2019influence motrice r\u00e9flexe du Nerf pneumogastrique sur la vessie. Comptes rendus. 1865. Tome LXI. p. 340.","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"285\n3.\tDie Nerven der Samenleiter. Ihre Abstammung und ihren Verlauf kennt man mit Sicherheit nur genauer beim Kaninchen. Daselbst nehmen sie, gem\u00e4ss der beistehenden Zeichnung, aus den Grenzstr\u00e4ngen kk gew\u00f6hnlich mit einer st\u00e4rkern Wurzel o und einer schw\u00e4chern o' ihren Ursprung. In unserer Figur sind die Urspr\u00fcnge nur auf der linken Seite deutlich. Nach dem aus der Zeichnung unmittelbar ersichtlichen Verlauf treffen alle Bewegungst\u00e4den der beiden vasa deferenlia in dem unpaaren Ner-venstiimmchen 1 zusammen, welches sich schliesslich bei g in zwei Aestchen theilt *). Dass die motorischen Nervenf\u00e4den der Samenleiter den beschriebenen Verlauf nehmen, ergiebt sich unmittelbar aus der Reizung, welche man an der beschriebenen Nervenbahn anbringt. Durch besondere Versuche hat Budge**) gezeigt, dass sich die in Rede stehenden Nerven von dem 4. u. 5. Lendennerven ableiten, durch deren Rami communicantes sie sich mit dem Sympathicus verbinden. Innerhalb des R\u00fcckenmarks sollen sie mit einer beschr\u00e4nkten Stelle verkn\u00fcpft sein, welche durch die directe Reizung des R\u00fcckenmarks ober- oder unterhalb derselben nicht in Erregung versetzt werden kann. Dieselbe wird von Budge in die Gegend des vierten Lendenwirbels verlegt und centrum genitospinale genannt. Die Ber\u00fchrung dieses Nerven mit den Ganglienzellen im Grenzstrang und dem hintern Mesenterialganglion hat keine physiologische Bedeutung, da der Character der Bewegungen der vasa deferentia unabh\u00e4ngig von dem Orte ist, an welchem die Reizung ihres Nerven geschieht ***).\n4.\tDie Nerven des Uterus. Aie Angaben \u00fcber die den Uterus bewegenden Nerven sind nicht s\u00e4mmtlich in Uebereinstimmung. Zur Zeit kann etwa Folgendes dar\u00fcber gesagt werden. Die Fasern des\n*) Die Bezeichnungen der nicht im Text erw\u00e4hnten Theile bed\u00fcrfen keiner Erl\u00e4uterung ; sie sind nur behufs eines gef\u00e4lligem Ansehens der Zeichnung beigesetzt worden.\n**) Budge : lieber das centrum genitospinale des Nervus sympathicus. Virchow\u2019s Archiv. Bd. XV. 1858. S. 115.\n***) Vergl. noch : Loeb : Beitr. zur Bewegung der Samenleiter und der Samenblase. Giessen 1866.","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\nUterusnerven steigen entweder als solche im R\u00fcckenmark bis zu Theilen des Gehirns empor, oder sind doch durch Zwischenglieder von sehr hoch in der Cerebrospinalaxe gelegenen Stellen aus erregbar. Spiegelberg*)) Frankenh\u00e4user **) und K\u00f6rner ***) haben den Uterus von verschiedenen Stellen des R\u00fcckenmarks, dem verl\u00e4ngerten Mark, dem kleinen Gehirn, der Br\u00fccke und noch anderen Theilen des Gehirns in Bewegung versetzt. Es scheinen aber diese Stellen, in R\u00fccksicht auf die Leichtigkeit, mit welcher von ihnen aus die Uterusnerven erregt werden k\u00f6nnen, nicht gleichwerthig zu sein. Ob er nie\u00bb f) und die vorhin verzeichneten Forscher machen dar\u00fcber einige Angaben; unter ihnen scheint die wichtigste die zu sein, dass von dem Lendenmark aus die Uterusbewegung vorzugsweise leicht erzeugt werden k\u00f6nne. Einer vervielf\u00e4ltigten Untersuchung bedarf noch die Frage, wie man sich das centrale Nervensystem dem Uterus gegen\u00fcber zu denken habe. Das bis jetzt vorliegende Beobachtungsmaterial reicht nicht aus, dar\u00fcber eine scharfe Vorstellung zu entwerfen. Bei Kaninchen sah Kehrer ff) nach der in der Beckenh\u00f6hle ausgef\u00fchrten Durchschneidung der Sacral\u00e4ste der Plexus hypogastrici posteriores die rhythmischen Bewegungen der Scheide noch einige Male sich wiederholen und dann aufh\u00f6ren und auch die des Uterus giengen unter diesen Umst\u00e4nden bald verloren, wenn vorher noch das Scheidengew\u00f6lbe abgetrennt worden war. K\u00f6rner sah die Bewegungen des Uterus nach der Durchschneidung derselben Nerven noch l\u00e4ngere Zeit, bis l/2 Stunde, fortdauern. M\u00fcndlichen Mittheilungen zufolge hat Kehrer nach Anwendung einer anderen Operationsmethode : Zerst\u00f6rung des Sacralmarkes mit den Spinalganglien und der Nn. uterini anteriores, ebenfalls eine l\u00e4ngere Fortdauer der Genitalcontractionen gesehen. Diese Beobachtungen k\u00f6nnen so gedeutet werden, dass dem Uterus ein besonderes Erregungsorgan zukomme, dessen Ort noch n\u00e4her zu bestimmen ist, und welches nach den Andeutungen, welche man aus Kehrer\u2019s Versuchen entnehmen kann, etwa an der Verbindungsstelle der Scheide mit dem Uterus zu suchen ist, da, die rhythmischen Bewegungen des letzteren nach der Trennung der Sacralnerven nur\n*) Spiegelberg: Experimentelle Untersuchungen \u00fcber die Nervencentren und die Bewegungen des Uterus. Henlc\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. Dritte Reihe. Bd. II. 1857. S. 43.\n*) Frankenh\u00e4user: Die Bewegungsnerven der Geb\u00e4rmutter. Jenaische Zeitschrift f\u00fcr Medicin. Bd. I. 1864. S. 34.\t\"\n**) K\u00f6rner : De Nervis uteri. Vratislaviae 1863. f) Obernier: De nervis uteri. Bonnae 1862.\nff) Kehrer: Ueber die Zusammenziehungen des weiblichen Genitalkanales. Giessen 1863.","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"287\ndann aufh\u00f6rten, wenn vorher die Scheide getrennt worden war. M\u00f6glicher Weise k\u00f6nnten aber auch die rhythmischen Bewegungen der beiden genannten Thcile von gar keinem, ausserhalb des R\u00fcckenmarks liegenden Nervencentrum abh\u00e4ngig sein. Ueber diesen Punkt muss also weitere Aufkl\u00e4rung erwartet werden. Mit ihr wird sich dann auch erst die wahre Stellung des Uterus zum R\u00fcckenmark ergeben. Bis jetzt ist nur beobachtet, dass die Reizung der Sacralnerven und vielleicht auch die eines an der Aorta herablaufenden sympathischen Zweiges Bewegungen des Uterus einleiten, dass dagegen die der Nervi spermatid ohne Erfolg ist. Aber es ist noch nicht ermittelt, ob die unter diesen Umst\u00e4nden entstehenden Bewegungen reine Reizbewegungen sind, oder nur durch Erregung der etwaigen nerv\u00f6sen Centralorgane des Uterus entstehen. Dabei wird endlich auch no\u00e9h sch\u00e4rfer zu bestimmen sein, ob von scharf umschriebenen Stellen des Cerebrospinalsystems die Uterusbewegungen , welcher Art sie auch sein m\u00f6gen, ausgehen und wo dieselben localisirt sind.\n5. Die erigirenden Nerven *). Die unter starker Erregung des Nervensystems sich vollziehende Erection des Penis und das Fehlen oder die unvollkommne Ausbildung derselben bei R\u00fcckenm'arksleiden l\u00e4sst schliessen, dass diese physiologische Erscheinung durch R\u00fcckenmarksnerven vermittelt werde. Diese Vermuthung hat sich durch die Erfahrung best\u00e4tigt, dass man beim Hunde einen aus dem Sacralplexus entspringenden Nerven kennen gelernt hat, dessen k\u00fcnstliche Reizung eine starke Beschleunigung des Blutstroms durch den Penis erzeugt, welcher, wie weitere Experimente gelehrt haben, die Fundamentalbedingung der Steifung des m\u00e4nnlichen Gliedes ist. Dieser Nerv setzt sich beim Hunde in der Regel aus zwei Wurzeln zusammen, welche zu dem ersten bis dritten Sacralnerven zur\u00fcckf\u00fchren. In der auf folgender Seite stehenden Abbildung sieht man ihn mit c bezeichnet zwischen oder neben den zur Blase gehenden Gef\u00e4ssen nach dem Plexus hypo gastricus ziehen An dieser Stelle sucht man ihn behufs der Reizung am zweckm\u00e4ssigsten auf. Mit dem Eintritt der letzteren beginnt das Corpus cavernosum urethrae m\u00e4chtig anzuschwellen, und auch die beiden Corpora cavernosa penis werden blutreicher, doch lange nicht in dem Masse, wie ersteres. Vergleicht man die Menge des zu dieser Zeit aus dem Gliede abfiiessen-den ven\u00f6sen Blutes mit der, welche den Penis vor der, Nervenreizung durchzog, so findet man sie bedeutend vermehrt, zum Beweis, dass w\u00e4hrend der Erection ein st\u00e4rkerer Blutstrom von der Arterienseite her\n*) Eckhard : Untersuchungen \u00fcber die Erection des Penis beim Hunde. Meine Beitr\u00e4ge. Bd. HI. S. 123.","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 288\nzugeflossen sein muss. Gleichzeitig muss selbstverst\u00e4ndlich der Seitendruck in den .\u00fcbrigen Zweigen der Arteria hypogastrica sinken. In\nF\u00e4llen sehr vollkomm-ner Ausbildung der Erection habe ich mit Hilfe des Manometers dieses Sinken des Blutdrucks sich bis in die Arteria cruralis erstrecken sehen. In Folge der Nervenrci-zung sind also, da bei diesem Versuche an eine vermehrte Herzkraft nicht zu denken ist, in dem Blutbette / des Penis Hindernisse f\u00fcr die Blutstr\u00f6mung hinwegger\u00e4umt worden. Obschon man nach einer Beobachtung von Lov\u00e9n *) die kleinern Arterienzweige sich bei dieser Gelegenheit st\u00e4rker anf\u00fcllen sieht, so kann man doch zur Zeit nicht sagen, ob in Folge der Nervenwirkung sich jene actio, etwa mittelst einer gewissen Anordnung der Muskelfasern in den Algerien w\u00e4nden, erweitern, oder ob sie nur durch Erschlaffung an Ausdehnungsf\u00e4higkeit gewinnen.\tEs bleibt weitern Forschungen Vorbehalten, \u00fcber diese\nAlternative zu entscheiden. Auch ist noch dem Verst\u00e4ndniss n\u00e4her zu r\u00fccken, ob die erw\u00e4hnten Folgen den gereizten R\u00fcckenmarksnerven als solchen, oder desshalb zukommen, weil sie sich in ihrem Verlaufe mit Ganglienzellen belegen, ein Factum, auf welches ebenwohl Lov\u00e9n aufmerksam gemacht hat.\n6. Der nervus pudendus communis. Nach Durchschneidung dieses Nerven hat man Stellungs- und unbedeutende Formver\u00e4nderungen des Penis, namentlich beim Pferde, beobachtet und mit R\u00fccksicht auf diese Erfahrung denselben in Verdacht gehabt, dass er sich bei der Erection wesentlich betheilige. Wenn nun auch nach den vorhergehenden Mit-tlieilungen sich diese Vermuthung als unbegr\u00fcndet erwiesen hat, so bedarf der Nervus pudendus doch in der fraglichen Beziehung immerhin\n*) Lov\u00e9n, 1, c. S. 104.","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"\u2014 289 \u2014\neiniger Ber\u00fccksichtigung und zwar auf Grund der folgenden Betrachtung hin. L o v \u00e9 n *) giebt an, dass der Durchschneidung des Nerven eine Erweiterung der Arteria dorsalis penis folge und die Pulsationen in ihr lebhafter w\u00fcrden. Unter der Voraussetzung, dass sich dieser Einfluss auch auf die in den cavern\u00f6sen K\u00f6rpern sich verbreitenden Arterien erstreckt, w\u00fcrde eine jede Erregung dieses Nerven einen die Erection nicht beg\u00fcnstigenden Umstand einf\u00fchren, n\u00e4mlich Verarmung der zur Ausbildung dieser Erscheinung nothwendigen Blutquelle. Derselbe k\u00f6nnte noch dadurch vermehrt werden, dass sich durch dieselbe Erregung die Muskelfasern der Cavernenw\u00e4nde zusammenziehen und diesen einen Theil ihrer Ausdehnungsf\u00e4higkeit rauben. Verminderung der normalen Erregung dieses Nerven w\u00fcrde demnach den Eintritt der Erection beg\u00fcnstigen. Ausserdem aber muss auch noch hervorgehoben werden, dass diese Nervenbahn sensible Elemente f\u00fchrt, deren tonische Erregung reflectorisch auf die Nervi erigentes wirken kann, so dass sich die in den spongi\u00f6sen K\u00f6rpern verbreitenden Arterien stets nur in einem bestimmten Grade f\u00fcllen.\n\u00a7. 27.\nPhysiologie des Sympathicus.\nt\nF\u00fcr die Zwecke der Experimentalphysiologie ist es zur Zeit jedenfalls noch am gerathensten, den Begriff Sympathicus in dem Sinne zu nehmen, welchen die descriptive Anatomie seit langer Zeit adoptirt hat; denn in bei weitem der Mehrzahl der F\u00e4lle kann sie nur an solchen Nervenst\u00e4mmen experi mentir en, wnlche ein Gemisch sind von R\u00fcckenmarksnervenfasern und von solchen, welche in von der Cerebrospinalaxe getrennten Ganglien ihren Ursprung nehmen. Wir wollen hier diesem Rath folgen und nacheinander die Erscheinungen vorf\u00fchren, welche man auf diesem Gebiete ausgemittelt hat und geh\u00f6rigen Orts geb\u00fchrend hervorheben, welche Antheile der verschiedenen Leistungen auf das Cerebrospinalorgan und welche auf ausserhalb desselben liegende Ganglien zu beziehen sind. Zu dem Ende nehmen wir nach einander vor :\nA. Den Kopf- und Halstheil des Sympathicus. Von den verschiedenen Ganglien des Kopfes ist bis jetzt nur das Ganglion linguale Gegenstand besonderer Untersuchungen gewesen. Von ihm hat n\u00e4mlich Bernard **) behauptet, dass es auf reflectorischem Wege die Speichelsecretion vermittle. Derselbe f\u00fchrt an, dass, wenn man den Nervus lingualis vor seiner\n*) 1. 0. S. 109.\n**) Annales des sciences naturelles. Tome XVIII. 1863. S. 371 und Comptes rendus. T. LX. 1862. p. 341.","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nVerbindung mit dem Ganglion linguale durchschneide und darauf die peripherischen Zweige des letzteren reize, man reichliche Speichelsecre-tion in der Unterkieferdr\u00fcse beobachte. Zwar soll diese bei electrischer Reizung besonders deutlich sein, doch auch bei chemischer nicht fehlen, durch welche Bemerkung dem Einwand vorgebeugt werden soll, dass die Erregung der Absonderungsnerven nicht etwa auf secund\u00e4rem Wege zu Stande komme. Reizung der Mundschleimhaut soll unter denselben Umst\u00e4nden nicht zu reflectorischer Erregung der Speichel nerven Veranlassung\tgeben.\tK\u00fchne\t*) spricht sich in demselben\tSinne, wie\nBernard\taus; doch l\u00e4sst\tsich aus seiner Mittheilung nicht ersehen,\nob er eigne Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand angestellt hat, oder nicht. Durch meine Besch\u00e4ftigungen mit der Speichelabsonderung diesem Gegenstand nahe gebracht, habe ich die Versuche von Bernard wiederholt. Da es sich hier um nichts Geringeres, als um ein wohl constatirtes, einfaches Beispiel handelte, dass ein Ganglion eines h\u00f6heren Wirbelthiers reflector is che Functionen aus\u00fcbe, eine Ansicht, welche bis jetzt durch den Versuch noch nicht hinl\u00e4nglich begr\u00fcndet ist; so habe ich diese Angelegenheit besonders studirt. Ich begann damit, zu\tpr\u00fcfen,\tob nicht\tetwa aus der Bahn des Nervus\thypoglossus\noder dem\tNervus\tlingualis,\teigentlich der Chorda tympani,\tder anderen\nSeite F\u00e4den durch jenes Ganglion setzen m\u00f6chten, die zeitweilig beim Uebergang von der einen Seite zur anderen in den peripherischen Zweigen des Nervus lingualis verweilen k\u00f6nnten. Die Versuche verneinten jedoch eine solche M\u00f6glichkeit. Hierauf wiederholte ich Bernard\u2019s Versuche in der von ihm angegebenen Weise. Bei electrischer Reizung peripherischer Lingualiszweige, es ist wahr, erhielt ich bisweilen Speichelsecretion, in vielen F\u00e4llen, namentlich dann, wenn ich mich in geeigneter Entfernung vom Ganglion hielt, war jedoch die Reizung erfolglos. In solchen F\u00e4llen \u00fcberzeugte ich mich durch besondere Versuche, dass die Reizung eine Gr\u00f6sse hatte, welche zur erfolgreichen Erregung von Muskelnerven ausreichte. Ersetzte ich die electrische Reizung durch eine chemische, durch concentrirte Kochsalzl\u00f6sung, so blieb auch diese so lange erfolglos, als man sicher sein konnte, dass keine L\u00f6sung bis zu dem Ganglion hin vorgedrungen war. Nimmt man endlich zu diesen Erfahrungen noch die Thatsache, dass von der Mundschleimhaut aus nach durchschnittenem Nervus lingualis an der bezeichnetcn Stelle niemals Speichelsecretion erzeugt werden kann, was um so auffallender ist, als es ein im Gebiete reflectorischer Erscheinungen bekannter Satz ist, dass sich dieselben viel leichter von den letzten Ausbreitungen\n*) K\u00fchne: Lehrbuch der physiologischen Chemie. Leipzig 1866. S. 8.","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"291 \u2014\nder Nerven in der Haut und auf den Schleimh\u00e4uten, als von den St\u00e4mmen und Zweigen ausl\u00f6sen lassen; so hat man Gr\u00fcnde genug, die von Bernard behauptete reflectorische Wirkung des Ganglion linguale zu laugnen. Es wird zwar behauptet, dass durch Reizung der Mundschleimhaut mit Substanzen, welche weniger die Geschmacks-, als die Gef\u00fchlsnerven anregen, reflectorisch die Speichelsecietion mittelst des Ganglion linguale angeregt werden k\u00f6nne. Ich habe dies jedoch nie so lange vermocht, als icb sicher sein konnte, dass derartige Substanzen nicht an der Seite der Zunge das submuc\u00f6se Gewebe durchtr\u00e4nkten und eine directe Reizung der durch das Ganglion ziehenden Fasern der Chorda hervorriefen. In Bezug auf die electrische Reizung muss ich noch auf die grosse Gefahr aufmerksam machen, welche bei diesen Versuchen in den unipolaren Ableitungen des durch den gereizten Lingualiszweig unvollkommen geschlossenen Inductionskreises liegt. Ich hebe diesen Umstand hervor, weil er mich selbst eine kurze Zeit hindurch get\u00e4uscht hat.\nReichlicher fallen die Erscheinungen aus, wenn man den Halstheil des Sympathicus in Betracht zieht. Die bisher beobachteten Wirkungen erstrecken sich :\n1. auf das Auge. Nach dem Durchschneiden des Grenzstranges, unter der Voraussetzung, dass dieselbe nicht zu tief unten am Halse ausgef\u00fchrt werde, beobachtet man bleibende Verengerung der Pupille. Reizt man hierauf den centralen Stumpf, so kommt deutliche Erweiterung derselben zum Vorschein. Die Verengerung ist demgem\u00e4ss die Folge des Wegfalls einer Nervenwirkung, welche durch den Sympathicus ausge\u00fcbt wird. Aus diesen beiden Erfahrungen wird es begreiflich, wie, entsprechend einzelnen Beobachtungen \u00e4lterer Forscher, die Durchschneidung zwei verschiedene, sich scheinbar widersprechende Erfolge haben kann. Im Moment der Durchschneidung n\u00e4mlich, welche als mechanischer Reiz des Nerven wirkt, kann sich bei reizbarer Iris und etwas l\u00e4ngerer Dauer der Trennung des Nerven Erweiterung einstellen, welche bald der nachfolgenden Verengerung, die der bereits ausgef\u00fchrten Trennung des Nerven entspricht, w\u00e8icht. Die erste Beobachtung der Verengerung der Pupille nach Sympathicussection r\u00fchrt von Petit *) her. Dieselbe ist nachher von vielen Seiten **), mehr, denn n\u00f6thig war, best\u00e4tigt worden. Die Erweiterung der Pupille ist bei mechanischer Reizung gleichfalls schon\n*) M\u00e9moires de l\u2019academie des sciences. 1827. p. 1.\n**) Die Literatur dar\u00fcber findet sich an vielen Orten zusammengestellt; z. B. bei Budge, in Vierordt's Archiv f\u00fcr physiologische Heilkunde. 11. Jahrgang. S. 787. 1852, oder bei Stilling: Spinalirritation. S. 129.\n19*","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nvon Petit gesehen worden, ohne dass jedoch demselben die Verh\u00e4ltnisse vollkommen klar geworden sind. Bestimmter erscheint diese Angabe bei Valentin, namentlich aber bei Biffi*), seit dessen Arbeit dieses Factum f\u00fcr die Nervenphysiologie gesichert war. Endlich sind Biffi\u2019s Versuche von Budge **) mit Zus\u00e4tzen best\u00e4tigt worden. Diese sind wichtig genug, um hervorgehoben zu werden. Sie sagen erstlich aus, dass beim Kaninchen nur die Reizung des Halssympathicus vom unteren Halsganglion an aufw\u00e4rts Erweiterung der Pupille zur Folge habe ; sodann, dass die im Grenzstrang in die H\u00f6he steigenden Pupil-larfasern in letzter Instanz aus dem R\u00fcckenmarke kommen. Budge hat weiter diejenige Stelle des R\u00fcckenmarks ausgemittelt, an welcher diese Nervenfasern ihren Ursprung nehmen. Er fand, dass beim Kaninchen Reizung derjenigen Abtheilung des R\u00fcckenmarks, welche in den drei ersten Brustwirbeln eingeschlossen ist, am sichersten und l\u00e4ngsten Erweiterung der Pupille hervorruft, und die nach oben und unten zun\u00e4chst angrenzenden Stellen bis zu gewissen, hier nicht n\u00e4her zu bezeichnenden Grenzen hin sich minder wirksam erweisen. Man hat daher jene Stelle des R\u00fcckenmarks das centrum cilio- oder oculospinale genannt. Die von ihm in den Sympathicus eintretenden Fasern liegen beim Kaninchen in den Rami communicantes der beiden ersten Brustnerven und zwar genauer in den vorderen Wurzeln derselben. Letzteres hindert jedoch nicht, auch von den hinteren Wurzeln derselben Nerven Erweiterung der Pupille auf reflectorischem Wege hervorzurufen. Beim Frosche \u00fcbernehmen der zweite und dritte Brachialnerve die Ueberleitung der Pupillarfasern in die Sympathicusbahn. Beim Hunde verh\u00e4lt es sich, nach Bernard***), wie beim Kaninchen. Ob die vorderen Wurzeln des einen Nerven mehr auf die Pupille, die des anderen mehr auf die sogleich zu erw\u00e4hnende Bewegung der Lieder wirken, ist eine Frage, die Bernard dahin beantwortet, dass sich eine evidente Differenz zwischen beiden R\u00fcckenmarksnerven nicht finden lasse,t F\u00fcr den Menschen sind noch wenige Erfahrungen \u00fcber diesen Gegenstand bekannt. Doch hat man auch hier durch Experimente an Enthaupteten wenigstens die allgemeine Thatsache feststellen k\u00f6nnen, dass Reizung des Halssympathicus Erweiterung der Pupille bewirkt f). Ueberdies ist am lebendigen\n#) Intorno all\u2019 influenza che hanno sull\u2019 ochio i \u00ablue nervi Grande Sympatico e Vago. Pavia 1846.\n**) 1. e.\n***) Comptes rendus. Nr. 9.\t1862.\nf) R. Wagner: Ueber einige Versuche am Halstheile des sympathischen Nerven bei einer Enthaupteten. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrit. III. Reihe. Bd. V. S. 331.","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"293\nMenschen ein Ph\u00e4nomen bekannt, welches offenbar gleichfalls hierher geh\u00f6rt. Vigoureux *) n\u00e4mlich hat darauf aufmerksam gemacht, dass bei einer jeden tiefen Inspiration oder Exspiration jedesmal eine zwar kleine, aber doch bemerkbare Dilatation der Pupille beobachtet wird. Sie betr\u00e4gt im g\u00fcnstigsten Falle etwa \u2018/3 des Durchmessers der mittleren Weite, gew\u00f6hnlich doch nur l/5 desselben. Da viele der Respirationsnerven in der N\u00e4he des Centrum ciliospinale das R\u00fcckenmark verlassen, so k\u00f6nnte man dieses Ph\u00e4nomen als eine Art Mitbewegung auffassen. Ausser dem im R\u00fcckenmark liegenden, der Erweiterung der Pupille vorstehenden Organ giebt es h\u00f6chst wahrscheinlich noch ein anderes, in der Sch\u00e4delh\u00f6hle liegendes, von gleichem physiologischem Character, welches man das Centrum cilio cerebrale **) nennen kann. Man findet n\u00e4mlich, dass Durchschneidung des Ganglion Gasseri eine Verengerung der Pupille in einem Grade nach sich zieht, wie sie durch Trennung des Sympathicus an keiner Stelle erreicht werden kann. Als reflecto-rische, durch den Trigeminus vermittelte Erscheinung kann dieses Ph\u00e4nomen nicht aufgefasst werden, da, wie bereits S. 174 erw\u00e4hnt wurde, die Trigeminusdurchschneidung zwischen Gehirn und Ganglion Gasseri ohne irgend welchen Einfluss auf die Pupillenweite ist. Man k\u00f6nnte daran denken, dass es durch eine directe Reizung von die Pupille verengenden, in jenem Ganglion entspringenden Fasern bedingt werde; dann aber d\u00fcrfte die Verengerung nicht bleibend ausfallen, was doch der Fall zu sein scheint.\nDer Sympathicus zeigt w\u00e4hrend seines Verlaufes am Halse noch in einer anderen Beziehung Einfluss auf das Auge. Die Reizung n\u00e4mlich des oberen Stumpfes des durchschnittenen Nerven erzeugt ein als Exophthalmie bezeichnetes Hervortreten des Augapfels, welches aber nur scheinbar ist und dadurch zu Stande kommt, dass das untere Augenlied langsam stark abw\u00e4rts gezogen und dadurch der Bulbus entbl\u00f6sst wird. Diese Erscheinung ist bei Hunden besonders deutlich. Auch beim Menschen ist sie von Wagner beobachtet. Bei Thieren ist jedenfalls die muscul\u00f6se Orbitalhaut, welche auf dem Boden der Orbita liegt und in das untere Augenlied einstrahlt, die anatomische Grundlage der beschriebenen Bewegung. Wie es sich beim Menschen verh\u00e4lt, weiss man noch nicht genau. An seinem Auge kommt ein in der unteren Augen-\n*) De l\u2019influence des mouvements respiratoires sur ceux de l\u2019iris. Comptes rendus. Tome LUI- 1863. S. 581.\n**) Gutt mann : De Nervi trigemini dissectione apud Ranam esculentam. Diss. inaug. Berol. 1864. S. 30. \u2019 Im Auszug mitgetheilt in Hermann\u2019s Centralblatt f\u00fcr die med. Wissenschaften. Nr. 38.\t1864. S. 598.","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nh\u00f6hlenspalte gelegener Muskel, der Musculus orbitalis, vor, ausserdem aber werden auch noch in den Liedern glatte Muskelfasern vorgefunden. F\u00fcr letztere sind indess die Richtungen und Anheftungen noch nicht so genau gekannt, dass man ihnen mit Sicherheit dieselbe Function, wie der muscul\u00f6sen Orbitalhaut der Thiere zuschreiben k\u00f6nnte, obschon man es h\u00f6chst wahrscheinlich finden mag. Die F\u00e4den des Sympathicus sind bis jetzt nicht continuirlich bis zu diesen contractilen Elementen verfolgt; man findet es nicht unwahrscheinlich, dass sie aus dem Plexus caroticus, als Nervus petrosus profundus nach dem Ganglion sphenopalatinum kommen, wo sie nur noch einen kurzen Weg bis zu jenen Muskeln haben *).\nEndlich ist auch behauptet worden, dass der Halsstamm des Sympathicus auf die Netz - und Aderhaut Einfl\u00fcsse aus\u00fcbe. Ich verweise in dieser Beziehung auf die unten citirte Schrift **) und die Bemerkungen der folgenden Nummer.\n2. Auf die Temperaturverh\u00e4ltnisse vom Hals und Kopf. Dieses Factum hat zuerst Bernard ***) sicher kennen gelehrt. Er zeigte, dass nach der Trennung des Grenzstranges am Halse die Temperatur des Halses und Kopfes von der Durchschneidungsstelle aufw\u00e4rts um I\u20144\u00b0 C. steigt. Zu gleicher Zeit sind die Hautvenen dieser Theile strotzend gef\u00fcllt und bei manchen Thieren, wie namentlich beim Pferde, bricht ein reichlicher Schweiss an den genannten Stellen hervor. Doch findet man diese ver\u00e4nderte Gef\u00e4ssf\u00fcllung nicht an allen Gef\u00e4ssen des Kopfes. Wie Beobachtungen mit dem Augenspiegel lehren, sind die Gef\u00e4sse der Retina und Choroidea frei davon f). Der W\u00e4rmeunter-schied auf der kranken und gesunden Seite erh\u00e4lt sich Tage lang. Er tritt um so sch\u00e4rfer hervor, je k\u00e4lter die Umgebung; in h\u00f6herer Temperatur verschwindet er fast vollst\u00e4ndig. Beim Pferde f\u00e4llt der Versuch verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig am sch\u00f6nsten aus. Seit jener Zeit sind diese Versuche von andrer Seite her mit wesentlich demselben Erfolge wiederholt wor-\n*) H. M\u00fcller: Ueber Innervation der glatten Augenmuskeln durch Fasern des Nervus sympathicus. Verhandlungen der phys. med. Gesellschaft in W\u00fcrzburg. Bd. N. Heft 1. S. 13.\n*\u00bb) Dmitrofsky : Ueber den Einfluss des Halsstammes des Sympathicus auf die Netzhaut und die Aderhaut. Petersburg 1863.\n***) Cl. Bernard: De l\u2019influence du syst\u00e8me nerveux grand sympathique sur la chaleur animale. Comptes rendus. T. XXXIV. 1852. S. 472 und : Recherches experimentales sur la grand sympathique et sp\u00e9cialement sur l\u2019influence que la section de ce nerf exerce sur la chaleur animale. Paris 1854.\nt*) Donders: Aantekeningen van het Utr. Gen. 27 Junij 1853. bl. 32.","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"295\nden. Man erl\u00e4utert dies Ph\u00e4nomen durch die Annahme, dass durch die Trennung des Sympathicus die Nervenfasern, welche zu den die Gef\u00e4sse verengernden Muskelfasern f\u00fchren, von ihren Centralorganen getrennt und dadurch ausser Wirksamkeit gesetzt sind, in Folge wovon das Lumen der Gef\u00e4sse gr\u00f6sser wird, und nun in derselben Zeit mehr Blut in die zu erw\u00e4rmenden Gewebstheile fliesst. Unterst\u00fctzt wird diese Vorstellung durch die weitere Erfahrung, dass bei der Galvanisation des oberen Stumpfes des durchschnittenen Sympathicus die vorher erweiterten Gef\u00e4sse sich wieder zusammenziehen. Bernard*) hat folgenden hierher geh\u00f6rigen Versuch angegeben. Man schneidet einem Kaninchen mit der Scheere ein so grosses St\u00fcck der Ohrmuschel ab, dass eben die kleinen Arterien\u00e4stchen ge\u00f6ffnet sind. Aus ihnen fliesst und spritzt dann das Blut mit einer gewissen Schnelligkeit hervor. Wenn man hierauf den Grenzstrang des Sympathicus durchschneidet, so nimmt die Geschwindigkeit des Blutstromes aus der Wunde zu. Durch Galvanisation des Kopfendes des durchschnittenen Nerven kann man dieselbe von Neuem verringern. Mit der Verengerung und der geringem Anf\u00fcllung der Gef\u00e4sse w\u00e4hrend der Reizung sinkt auch zugleich die Temperatur **). Ich habe diesen Versuch wiederholt, kann ihn jedoch nicht in dem Grade preconisiren, wie es Bernard thut. Es ist zwar bekannt, dass die Gef\u00e4sse des Kaninchenohres auch ohne irgend welchen operativen Eingriff abwechselnd an- und abschwellen, eine Erscheinung, die ihr Entdecker mit der Th\u00e4tigkeit eines Herzens verglichen hat ***). Allein in unserem Versuche wird nur auf diejenigen Abwechslungen Werth gelegt, welche mit der Durchschneidung, Reizung und Entfernung derselben wirklich coincidiren. Es ist wahrscheinlich, dass die erh\u00f6hte Temperatur nach der Durchschneidung des Sympathicus am Halse die alleinige Folge des vermehrten Biutzuflusses nach den bez\u00fcglichen Theilen ist; denn bis jetzt ist keine Erfahrung bekannt geworden, welche sich aus dieser Annahme nicht hinreichend erkl\u00e4ren liesse f).\n*) Comptes rendus. Bd. LX. S. 309.\n**) A. Albanus: Experimentelle Untersuchungen \u00fcber die Beziehung des Halsstranges des Sympathicus zur Temperatur des Kaninchenohrs. Dorpat 1860.\n***) Schiff: Ein accessorisches Arterienherz beim Kaninchen. Vierordt\u2019s Archiv f\u00fcr physiologische Heilkunde. Bd. VIII. S. 523.\n\u25a0)\u25a0) J. van der Beke Callenfels: Ueber den Einfluss der vasomotorischen Nerven auf den Kreislauf und die Temperatur. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift-Neue Folge. 7. Bd. S. 157. und Voit: Ueber Temperaturverh\u00e4ltnisse am Ohr nach der Sympathicus-Durchschneidung etc. Bericht \u00fcber die Versammlung der Naturforscher in Carlsruhe. 1858. S. 221.","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\nDie am Auge bei der Sympathicussection beobachteten Erscheinungen und die Zur\u00fcckf\u00fchrung derselben auf im R\u00fcckenmark entspringende Nervenfasern gab Veranlassung zu der Frage, ob die die Temperatur beherrschenden Fasern ebenwohl ihren letzten Ursprung im R\u00fcckenmark h\u00e4tten, und ob sie sich gleichfalls bis zum Centrum oculospinale zur\u00fcckf\u00fchren liessen, oder ob ihre Quelle irgendwo anders zu suchen sei. Budge*) und Waller**) sind der Ansicht, dass die Circulations- und W\u00e4rmever\u00e4nderungen mit den Erscheinungen am Auge Hand in Hand gehen. Nach Wegnahme der einen H\u00e4lfte des R\u00fcckenmarks vom letzten Halsnerven bis zum dritten Brustnerven haben sie beide Classen von Erscheinungen auftreten sehen. Bernard***) dagegen entscheidet die Angelegenheit dahin, dass die fraglichen Fasern beim Hunde ihren Ursprung im zweiten (?) Brustgangli\u00f6n des Svmpathicus nehmen, indem gem\u00e4ss seinen Versuchen nach Durchschneidung des Grenzstranges zwischen der zweiten und dritten Rippe die Ver\u00e4nderungen im Kreislauf und der W\u00e4rme allein auftreten, w\u00e4hrend die Section der beiden ersten Brustnerven vor ihrer Verbindung mit dem Sympathicus allein die oben beschriebenen Erscheinungen am Auge erzeugt. Es ist also die den W\u00e4rmeph\u00e4nomenen dienende Quelle g\u00e4nzlich von der f\u00fcr die Pupillenerweiterung etc. getrennt. Zur Zeit ist es mit R\u00fccksicht auf die S. 280 und 281 mitgetheilten Erfahrungen empfehlenswert!), geduldig der weiteren Entwickelung der Lehre von der physiologischen Bedeutung der Gef\u00e4ssnerven ohne voreilige Parteinahme zu folgen.\n3. auf die Speichelsecretion in der Glandula submaxillaris und Parotis. Meines Wissens hat Ludwig zuerst angegeben, dass der Sympatbicus Einfluss auf die Secretion in der Submaxillardr\u00fcse habe. Hierauf habe ich f) diesen Punkt genauer untersucht und dabei Folgendes gefunden. Reizt man beim Hunde den Halstheil des Sympathicus, oder, da letzterer bei diesem Thiere sich nicht bequem vom Vagus trennen l\u00e4sst, den vereinigten Vagus-Sympathicusstamm, so erh\u00e4lt man einen Speichel, der sich in folgenden Punkten von dem unterscheidet,\n*) Comptes rendus. T. XXXVI. S. 377.\n**) ibid. S. 378.\n***) Bernard: Des ph\u00e9nom\u00e8nes oculo-pupillaires produits par ta section du nerf sympathique cervical, ils sont ind\u00e9pendants des ph\u00e9nom\u00e8nes vasculaires caloriques de la t\u00eate. Comptes rendus. T. LY. p. 381.\nf) Siehe meine Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Physiologie. Bd. II. S. 86 u. 220 ff. Das hierher geh\u00f6rige Fundamen talfaetum hat auch Bernard selbstst\u00e4ndig aufgefunden.","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"297\nwelcher auf Reizung der Chorda tympani gewonnen wird. Erstens ist die Menge bedeutend geringer, als bei Reizung des zuletzt erw\u00e4hnten Nerven. Sodann ist er viel z\u00e4hfl\u00fcssiger, in Folge eines gr\u00f6sseren Gehaltes an Schleimstoff, wie es scheint, und f\u00fchrt eine grosse Anzahl stark lichtbrechender Molek\u00fcle und mehr oder weniger geformte Kl\u00fcmpchen einer sarcode- oder protoplasma\u00e4hnlichen Masse. W \u00e4hrend der Erregung des Sympathicus mit diesem Erfolg fliest nach einer Beobachtung von Bernard zugleich das Blut langsamer und mit dunklerer Farbe aus der Vene dieser Speicheldr\u00fcse, als zur Zeit, wo die Paukensaite erregt wird. Ich habe fr\u00fcher diese beiden Speichelsorten als Trigeminus- und Sympathicusspeichel unterschieden, weil ich zu dieser Zeit noch nicht die volle Ueberzeugung hatte, dass sich der Trigeminus gar nicht bei der Secretion in dieser Dr\u00fcse betheiligt. Jetzt, wo ich auf das Bestimmteste durch ganz directe Reizung der Paukensaite die Speichelsecretion erzeugt und wo durch Rahn\u2019s und meine Versuche der Ursprung der ersteren aus dem Facialis festgestellt ist, muss es statt Trigeminusspeichel Facialisspeicliel heissen. Meine Versuche sind in neuerer Zeit durch Schl\u00fcter *) fortgesetzt worden. Er best\u00e4tigt die geringe Menge von Speichel, die man bei der Sympathicusreizung erh\u00e4lt, ebenso auch die Anwesenheit von Protoplasmakl\u00fcmpchen. Weiter aber behauptet er, nach l\u00e4ngerer Reizung des Sympathicus oder bei Reizung der Chorda tympani nach vorausgegangener des vorigen wirkliche Speichelk\u00f6rperchen im Speichel gefunden und eigenthiimliche Ver\u00e4nderungen in den Dr\u00fcscnbl\u00e4schen beobachtet zu haben. Ich habe sp\u00e4ter meine Versuche auch auf das Pferd ausgedehnt. Bei der Reizung des Sympathicus war kein besonderer Einfluss auf die Secretion in der Sub-maxillardr\u00fcse zu beobachten. Ich will gerade nicht behaupten, dass er nicht bestehe, aber er ist jedenfalls unbedeutend. Dagegen machte ich dabei die neue Beobachtung, dass hier aus dem Steno\u2019schen Gang Sympathicusspeichel ausfliesst. Man gewinnt hier jedoch etwas mehr, als aus der Submaxillardr\u00fcse des Hundes, indem die Fl\u00fcssigkeit zwar langsam, aber docli continuirlich ausfliesst. In diesem Speichel habe ich jedoch, obschon er dunkler als der Chorda-Speichel dieser Dr\u00fcse war, bis jetzt keine Protoplasmakl\u00fcmpchen gefunden, wohl aber die grosse Anzahl kleiner, stark lichtbrechender Molek\u00fcle, die ich auch im analogen Speichel aus der Unterkieferdr\u00fcse des Hundes sah. Beim Hunde wollte es mir bis jetzt nicht gelingen, aus der Ohrspeicheldr\u00fcse bei Reizung des Sympathicus eine \u00e4hnliche Speichelart, wie beim Pferd, zu\n*) Henricus Schl\u00fcter: Disquisitiones microscopicae et physiologicae de glan-dulis salivalibus. Diss. inaug. Vratislaviae 1865.","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\ngewinnen. In Uebereinstimmung hiermit hat v. W i 11 i c h *) bei der Reizung des Sympathicus des Schafes Speichelabsonderung in der Ohrspeicheldr\u00fcse erhalten. Der Speichel war jedoch hell und glich daher dem Chorda-Speichel. Da beim Hunde w\u00e4hrend der Sympathicusreizung aus dem Wh arton\u2019schen Gang sehr wenig Speichel ausfliesst, und auch ohne die erstere kleine Mengen einer dicklichen Fl\u00fcssigkeit abgesondert werden, so kann man wohl den Einfluss des Halstheils des Sympathicus auf die Speichelsecretion \u00fcberhaupt in Frage stellen. Man wird aber mit R\u00fccksicht auf die neueren, am Pferde und Schafe gemachten Beobachtungen wohl thun, diese Negation erst dann zu vollziehen, wenn quantitativ festgestellt ist, dass die Reizung des Halssympathicus die Absonderung jener z\u00e4hen Fl\u00fcssigkeit in der Submaxillardr\u00fcse gar nicht vermehrt.\n4. auf die Herzbewegung. Dieser Punkt ist bereits S. 207 abgehandelt worden.\nB. Den Brust-, Bauch- und BecJcentheil. Folgende Punkte sind hier zur Sprache zu bringen :\n1. Die Physiologie der Nervi splanchnici. Diese Nerven geh\u00f6ren, wenn nicht mit ihrer ganzen, so doch weitaus mit ihrer grossem Fasermenge dem R\u00fcckenmarke an; denn nicht allein lassen sich nach einer Bemerkung von K\u00f6lliker bei kleinen S\u00e4ugern die von den R\u00fcckenmarksnerven in die Rami communicantes eintretenden Nervenfasern direct bis in die Nn. splanchnici verfolgen, sondern einige der sogleich anzuf\u00fchrenden Functionen derselben beweisen diess auch mit gr\u00f6sster Bestimmtheit. Was nun die letzteren selbst anlangt, so ist zuerst der Einfluss zu beschreiben, welchen die fraglichen Nerven auf die Bewegung der d\u00fcnnen Ged\u00e4rme aus\u00fcben. Dieser Gegenstand ist noch nicht nach allen Seiten hin vollkommen durchsichtig. Soweit die Untersuchungen im Augenblick gediehen sind, l\u00e4sst sich etwa Folgendes sagen. Bei Reizungen der Nn. splanchnici treten bald Bewegungen der Ged\u00e4rme auf, bald werden dadurch bewegte Darmabschnitte in Ruhe gebracht. F\u00fcr beide Erfolge besitzt die physiologische Literatur Zeugnisse und zwar f\u00fcr jede der beiden Erscheinungen von bef\u00e4higten H\u00e4nden her. Um Missverst\u00e4ndnisse zu verh\u00fcten, bedarf dieser Safe jedoch der Bemerkung, dass sich die Physiologen Angesichts dieser Erscheinungen verschieden stellen. Die einen, und dahin z\u00e4hlt namentlich Pfl\u00fcger **), der zuerst die hemmende Wirkung der Nn. splanchnici auf die bewegten\n*) v. Wittich: Berliner klinische Wochenschrift. 11. Juni 1866. S. 255.\n**) Pfl\u00fcger; Ueber ein Hemmungsnervensystem f\u00fcr die peristaltischen Bewegungen der Ged\u00e4rme. Monatsberichte 'der Berliner Academie, Juni 1851 und : de nervorum splanchnicorum functione. Berolini 1855.","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"299\nGed\u00e4rme beobachtete, gestehen diesem Nerven nur Hemmungswirkungen zu und bringen denselben in eine Kategorie mit dem N. vagus, f\u00fcr welchen dann dieselbe Wirkung exclusiv in Anspruch genommen wird; die anderen, Ludwig, Kupffer*), Nasse** ***)), l\u00e4ugnen den hemmenden Einfluss des Nerven nicht, glauben aber auch an eine bewegende Natur desselben, welche bei gewissen, noch n\u00e4her zu erforschenden Zust\u00e4nden der Nerven und vielleicht auch der Ged\u00e4rme zu Tage trete; die dritten endlich, besonders durch Schiff vertreten, halten daf\u00fcr, dass von hemmenden WTirkungen dieses Nerven gar keine Rede sein k\u00f6nne. Von diesen Meinungen ist gegenw\u00e4rtig die letztere wohl nicht zu empfehlen, da die hemmende Wirkung des gereizten N. splanchnicus eine von zu vielen Seiten her beobachtete Thatsache und die Erkl\u00e4rung, welche man von dieser zu geben versucht, um sie im Sinne der Bewegungshypothese des Splanchnicus sprechen zu lassen, wenig ansprechend ist. Der Urheber dieser Hypothese meint n\u00e4mlich, dass auch der N. splanchnicus, gleich dem N. vagus, durch starke Str\u00f6me sehr leicht ersch\u00f6pft werde. Es treten aber hier von Neuem all die Bedenken in Kraft, welche oben bei der Physiologie des Vagus zusammengestellt wurden. Ich muss dazu bemerken, dass ausser Herrn Schiff noch Niemand die die fragliche Hypothese haupts\u00e4chlich st\u00fctzende Beobachtung gemacht hat, dass eine schwache Erregung des Splanchnicus die Ged\u00e4rme in Bewegung versetzt, eine starke dagegen sie alsbald beruhigt.\nMan kann die hemmende Wirkung dieses Nerven dadurch zeigen, dass man beim Kaninchen, welches sich zu diesen Versuchen am besten eignet, l\u00e4ngs des R\u00fcckens einen Hautschnitt macht und dann die eine Electrode eines Inductionsapparates in der H\u00f6he des f\u00fcnften oder sechsten, die andere in der Gegend des zehnten oder elften Brustwirbels befestigt, hierauf die Bauchh\u00f6hle \u00f6ffnet, die dann alsbald auftretenden peristaltischen Bewegungen beobachtet und dann den lnductionsapparat in Gang setzt, worauf Tetanus der Skeletmuskeln und zugleich Stillstand der Ged\u00e4rme erfolgt. Da indess bei dieser Form des Versuches die gereizten Nervenbahnen, nicht hinl\u00e4nglich klar vorliegen, so ist es noth-wendig, entweder den .'Versuch-, nachdem man die N. splanchnici durchschnitten, zu wiederholen, um sich jetzt von der Erfolglosigkeit der\n*) Kupffer und Ludwig: Die Beziehungen der Nervi vagi und splanchnici zur Darmbewegung. Sitzungsberichte der Wiener Academie. Juli 1857. Bd. 25. S. 580. und in Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift f\u00fcr rationelle Medicin. Dritte Reihe. Bd. 2. S. 357.\n**) 0. Nasse: Beitr\u00e4ge zur Physiologie der Darmbewegung. Leipzig 1866,\n***) Schiff: Moleschott\u2019s Untersuchungen. Bd. VI. S. 201.","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nReizung zu \u00fcberzeugen, oder, was das Beste ist, 'den N. splanchnicus direct zu reizen. Die Wirkungen erstrecken sich, wie es scheint, in jeder Form des Versuches auf die d\u00fcnnen Ged\u00e4rme und, obschon mit geringerer Energie, auf den aufsteigenden und queren Grimmdarm; der absteigende Theil des letzteren und der Mastdarm setzen ihre Bewegungen fort. Von Experimenten mit diesen Erfolgen berichten ausser Pfl\u00fcger: Ludwig und Kupffer, Bezold *), Spiegelberg**), Hein ***) und Nasse ****). Nicht minder positiv fallen aber auch andererseits die Versicherungen aus, dass man durch den gereizten Nervus splanchnicus die ruhigen Ged\u00e4rme in Bewegungen versetzen k\u00f6nne. Mittheilungen von Beobachtungen dieser Art machen Ludwig und Kupffer, Biffif) und Nasse ff); es haben aber diese Beobachtungen das mit einander gemein, dass sie an dem bereits get\u00f6dteten Thiero angestellt worden sind. Unter der Voraussetzung der Richtigkeit der letzteren Angaben, woran sich wohl kaum zweifeln l\u00e4sst, da der Einwand Pfl\u00fcger\u2019s fff), es entst\u00e4nden diese Bewegungen durch Stromesschleifen, welche den N. vagus tr\u00e4fen, wohl durch den Umstand beseitigt zu sein scheint, dass angegeben wird, der Magen bleibe bei der Splanchnicusreizung in Ruhe, entsteht nun die Frage, wie man sich diese beiden, augenscheinlich widersprechenden Ergebnisse der Splanchnicusreizung zu deuten habe. Eine doppelte Hypothese ist annehmbar : Entweder stellen wir uns vor, dass der N. splanchnicus zwei Arten Nervenfasern enthalte, deren eine die Darmbewegung hemmt, deren andere sie hervorruft, doch dergestalt, dass beide Fasergattungen in ungleichen Zeiten absterben. Daraus w\u00fcrde verst\u00e4ndlich werden, wie es sich ereignen kann, dass am lebenden Thiere die Hemmung, am todten, aber noch reizbaren, ein Erfolg beobachtet wird, welcher von der zur Zeit der Reizung noch bestehenden relativen Energie beider Faserklassen abh\u00e4ngt. Zu dieser Annahme neigt Nasse und glaubt in dem Um-\n*) Bezold: Zur Physiologie der Herzbewegungen. Virchow\u2019s Archiv. Berlin 1858.\n,**) Spiegelberg: Zur Darmbewegung. Henle\u2019s und Pfeuffer\u2019s Zeitschrift. Dritte Reihe. Bd. XI. 1857. S. 44.\n***) Hein : Notiz \u00fcber die Nervi splanchnici. Wunderlich\u2019s Archiv. 1857. Heft 132. S. 122, 262.\n****) Nasse 1. c. S. 11. .\nf) Biffi : Richerche sperimentali sul sistema nervoso arrestatore de tenue intestino. Annali universali di medicina. Agosto et Snttembre 1857. p. 478. ff) Nasse 1. c. S. 14.\nttt) Pfl\u00fcger: Untersuchungen zur Theorie der Hemmungsnerven. Dessen Untersuchungen aus dem physiologischen Laboratorium zu Bonn. Berlin 1865, S. 51 u. 52.","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"301\nstand eine Best\u00e4tigung seiner Meinung zu sehen, dass es ihm nach seiner Angabe gelungen ist, an demselben Thiere w\u00e4hrend des Lebens und nach dem Tode hinter einander her anfangs die deutliche, kr\u00e4ftige hemmende Wirkung der Reizung des N. splanchnicus, dann die allm\u00e4hliche Abnahme und das Verschwinden derselben, sowie endlich ihren rein motorischen Effect darzustellen. Aber weder diese noch irgend eine andere der bisher bekannten Erfahrungen dr\u00e4ngen zu dieser Vorstellung; bis auf Weiteres kann man ebensogut annehmen, dass der Erfolg der Splanchnicusreizung auf den Darm sich auf ein Zwischenglied \u00fcbertr\u00e4gt, von dessen besonderer, durch mannigfache Umst\u00e4nde, wie z. B. Ern\u00e4hrung, W\u00e4rme etc. bedingten Wirksamkeit es abh\u00e4ngt, welcher endliche Erfolg zu Stande, kommt. Sollte sich die S. 200 erw\u00e4hnte Beobachtung von Schelske trotz dem, dass ich sie bis jetzt nicht darstellen konnte, dennoch best\u00e4tigen, so w\u00fcrde man dann in dem Vagus bez\u00fcglich des Herzens ein Paradigma haben, nach welchem auch der Splanchnicus und die Ged\u00e4rme gehen.\nWeiter ist von dem Nervus splanchnicus zur Harnsecretion zu reden. Die bez\u00fcglichen Angaben r\u00fchren von Bernard*) her. Dieser berichtet, dass nach der Trennung des Nervus splanchnicus major beim Kaninchen der Urin reichlicher aus dem Ureter fliesst, als vorher, und dass eine jede Galvanisation des unteren Endes Verminderung der durch Section des Splanchnicus erzeugten Beschleunigung der Urinsecretion horvorrafe. Von Wiederholungen dieser Versuche ist bisher nicht Viel bekannt geworden. Ich habe Ursache, an ihre Richtigkeit zu glauben. Bei den vielen Versuchen n\u00e4mlich, welche ich bez\u00fcglich der Stellung des Splanchnicus zum k\u00fcnstlichen Diabetes habe anstellen lassen, wurde constant nach Reizungen dieses Nerven eine ganze auffallende Verminderung in der Urinsecretion beobachtet, und zwar so sehr, dass trotz aller Schonung, welche man bei diesen Versuchen der Niere angedeihen liess, oft nach Stunden langem Warten kaum so viel Urin erhalten werden konnte, um die Zuckerprobe damit vornehmen zu k\u00f6nnen.\nEndlich ist noch kurz der Beziehung des Splanchnicus zum k\u00fcnstlichen Diabetes zu gedenken. V. Gr\u00e4fe**) und ich***) haben gelegentlich und unabh\u00e4ngig von einander die Beobachtung gemacht, dass sich bei der Durchschneidung des N. splanchnicus Zucker im Harn fand. Wegen Mangel einer geordneten Untersuchung indess \u00fcber diesen Gegenstand\n*) Le\u00e7ons sur les propri\u00e9t\u00e9s physiologiques et les alt\u00e9rations pathologiques des liquides de l\u2019organisme. T. II. p. 169.\n**) J. W. A. Krause: Annotationes ad Diabetem. Halle 18 8.\n***) Mein Lehrbuch der Anatomie des Menschen. S. 381.","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nveranlasste ich einen Sch\u00fcler von mir, Herrn Ploch*), eine solche auszuf\u00fchren. Dabei hat sich ergeben, dass es durchaus keine constante Erscheinung ist, dass der Harn diese Ver\u00e4nderung nach der Splanchnicus-section erleidet, nur in einigen, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr sparsamen F\u00e4llen, wurde Zucker gefunden. Jedenfalls bleibt also hier noch Etwas aufzukl\u00e4ren. In erneuerten Versuchen wird namentlich R\u00fccksicht darauf zu nehmen sein, ob nicht etwa st\u00e4rkere Reizungen des Splanchnicus Zucker in den Harn \u00fcberf\u00fchren; denn da nach dem Diabetesstich auf dem Boden des vierten Ventrikels der Zucker bald wieder aus dem Harn schwindet, dieser also Folge der Reizung und nicht der Trennung des Nerven zu sein scheint; so w\u00e4re es m\u00f6glich, dass der bei der blossen Durchschneidung des Nerven gesetzte Reiz unzureichend f\u00fcr den Erfolg w\u00e4re. W\u00fcnschenswerth ist es auch, dabei die Reizung in der Brust- und nicht in der Bauchh\u00f6hle vorzunehmen, um nicht die Circulation in der Niere zu st\u00f6ren.\n2. Die Bedeutung der Ganglien des Grenzstranges. Schon oben ist erw\u00e4hnt worden, dass nach Bernard die im Halstheil des Sympathicus verlaufenden Fasern, welche die W\u00e4rmeph\u00e4nomene am Hals und Kopf reguliren, von der oberen Abtheilung des Brustgrenzstranges, wahrscheinlich vom zweiten Ganglion desselben, abstammen sollen. Bernard**) hat nun auch diejenigen Nerven aufgesucht, welche dieselbe Function bez\u00fcglich der vorderen Extremit\u00e4ten \u00fcbernehmen. Seiner Angabe nach sollen dieselben im ersten Brustganglion entspringen. Er f\u00fchrt an, dass die Durchschneidung der drei letzten Hals- und beiden ersten Brustnerven vor ihren Verbindungen mit dem Sympathicus Empfindung und Bewegung der vorderen Glieder auf hebe, ohne die Temperatur derselben zu ver\u00e4ndern, wohingegen die Durchschneidung des Armgeflechtes zu jenem Verluste noch erh\u00f6hte Temperatur zuf\u00fcge. Nicht zufrieden mit dieser Beweisf\u00fchrung hat er noch das erste Brustganglion theils subcutan, theils de visu zerst\u00f6rt, und dabei dieselben Erfolge bez\u00fcglich der Temperatur beobachtet. Verh\u00e4lt sich Alles wirklich so, wie Bernard es angiebt, dann wird der Schluss durch Analogie gerechtfertigt sein, dass auch die \u00fcbrigen Brustganglien eine \u00e4hnliche Function haben, und dass sich dieselbe h\u00f6chst wahrscheinlich auf Brust und R\u00fccken erstrecken wird. Von besonderen Functionen des Restes der Ganglien des Grenzstranges haben wir nur noch die mit dem Lumbo-\n} Ploch . Ueber den Diabetes nach Durchschneidung des N. splanchnicus Giessen 1863.\n**) Comptes rendus. 1862. S. 305.","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"303\nsacralgeflecht in Verbindung stehenden zu erw\u00e4hnen, \u00fcber welche gleichfalls von Bernard *) Versuche angestellt worden sind. Sie bestehen in der Regulirung der Temperatur der hinteren Extremit\u00e4ten. Das Verfahren, dessen er sich hierbei bediente, war dasselbe, wie das vorher angewendete. Er durchschnitt die Nerven des Lumbosacralge-flechtes innerhalb des Lenden- und Kreuzbeinkanales, wobei er nur Wegfall der Empfindung und Bewegung, aber keine Temperatur\u00e4nderung an der hintern Extremit\u00e4t zur Beobachtung bekam. Hierauf durchschnitt er die Nerven desselben Geflechtes nach ihren Verbindungen mit dem Sympathicus, nach welcher Operation sich noch Gef\u00e4ssf\u00fcllung und Temperaturerh\u00f6hung den vorigen Erscheinungen zugesellte. Endlich riss er noch den Grenzstrang mit Schonung der St\u00e4mme des Lendengeflechtes aus und bekam dann die zuletzt erw\u00e4hnten Erscheinungen allein zu sehen. y Schon oben wurde hervorgehoben, dass die Ergebnisse der Versuche anderer Forscher von diesen Angaben abweichen, und zwar haupts\u00e4chlich in dem Punkte, dass die von Bernard den Ganglien zugeschriebene Temperaturerh\u00f6hung den R\u00fcclcenmarks-nerven zugeschrieben wird.\n3. Die Physiologie einzelner Ganglien ausserhalb der Kette des Grenzstranges. So bedeutungsvoll die Bauchganglien und ihre Geflechte in der practischen Medicin fr\u00fcher gehalten worden sind, so Wenig hat sich jedoch mit Hilfe umsichtig angestellter Experimente \u00fcber dieselben festsetzen lassen. Ich f\u00fchle mich zu dieser Behauptung durch zwei Arbeiten veranlasst, die unter meinen Augen und meiner Mitwirkung \u00fcber das Ganglion coeliacum und mesentericum 'posterius ausgef\u00fchrt worden sind, bei denen keine M\u00fche gespart worden ist, den wahren Sachverhalt aufzukl\u00e4ren. Ich werde den wesentlichen Inhalt dieser Arbeiten vorf\u00fchren und dabei die von anderen Forschern vorgebrachten Behauptungen besprechen. Die erste **) derselben hatte zum Zweck, die Functionen des Plexus coeliacus und mesentericus anterior auszumitfeln. Um die Arteria coeliaca und mesen'terica anterior herum liegen beim Hunde drei Ganglienknoten, die unter sich durch Nerven mit einander in Verbindung stehen. In diese senken sich bekanntlich Theile der Nervi vagi und Nervi splanchnici ein und gehen zahlreiche, geflechtartig sich verbindende Fasern aus ihnen hervor. An diesen Ganglien und Nervenstr\u00e4ngen l\u00e4sst sich nun zwar experimentiren, aber man kann aus diesen Versuchen\n*) Comptes rendus. 1862. S. 228.\n**) A. Adrian: Ueber die Functionen des Plexus coeliacus und mesentericus. Meine Beitr\u00e4ge. Bd. III. S. 61.","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"- 304\nWenig oder gar Nichts \u00fcber die wahre Herkunft der Nervenfasern schliessen. Reizt man das st\u00e4rkste dieser Ganglien, so beobachtet man schwache Bewegungen am Magen und den d\u00fcnnen Ged\u00e4rmen, dagegen weder eine ver\u00e4nderte R\u00f6the der Schleimhaut, noch vermehrte Magen-saftsecretion. Exstirpirt man die Ganglien und l\u00e4sst die Thiere unter der geh\u00f6rigen Pflege zum mindesten soweit gesunden, dass die schwersten Folgen der Operation vor\u00fcber sind, so werden keine constante Erscheinungen, wie etwa : Mangel an peristaltischen Bewegungen, ungew\u00f6hnliche Facesbeschaffenheit, Hyper\u00e4mieen, Vergr\u00f6sserung einzelner Organe, wie etwa der Leber oder Milz, Bewegungen der Ureteren- und Galleng\u00e4nge und vasa deferentia beobachtet. Die zweite Arbeit *) behandelt in \u00e4hnlicher Weise das Ganglion mesentericum 'posterius und den damit verbundenen Plexus. Auch hier wurde in der angegebenen, doppelten Art verfahren, um \u00fcber die Functionen dieser Theile ins Klare zu kommen. Die Exstirpation des Ganglions ist verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig leichter auszuf\u00fchren und die Thiere erholen sich rascher, weil man bei dieser Operation nicht mit einer so grossen Anzahl von Organen in Collision kommt, als bei den Untersuchungen \u00fcber das Ganglion coeliacum. In Folge dieser Umst\u00e4nde ist auch das Vertrauen zu den negativen Resultaten, welche auch diese Untersuchung lieferte, ver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig gr\u00f6sser. Abgesehen von den sensitiven Fasern, deren Existenz in diesen Nerventheilen nachgewiesen wurde, konnte weder ein deutlich bewegender Einfluss der Nerven auf die zugeh\u00f6rigen Gebilde, also namentlich den Mastdarm, noch auf die Secretionen auf der Darmschleimhaut, noch auf die Gef\u00e4ssfiillung beobachtet werden. P i n e u s **) und Budge***) berichten andere Erfolge. Sie sprechen von Hyper\u00e4mieen, Ecchymosen, Geschw\u00fcrsbildungen und vermehrter Secretion auf der Darmschleimhaut. Da aber in den Versuchen dieser Forscher die Thiere nach verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kurzer Zeit, die l\u00e4ngste ist vier Tage, zu Grunde gingen, einer von ihnen, Herr Pin eus, auch von Geschw\u00fcren spricht, die sich schon 15 Stunden nach der Operation ausgebildet haben sollen, so weiss man nicht recht, wieviel von\n*) Schmidt: Ueber die Functionen des Plexus mesentericus posterior. Giessen 1862.\n**) P i n c u s : Exp\u00e9rimenta de vi nervi vagi et sympathici ad vasa, secrc-tionem etc. Diss. inaug. Vratislaviae 1856.\n***) Budge: Anatomische und physiologische Untersuchungen \u00fcber die Functionen des Plexus coeliacus und mesentericus. Erste Abth. Verhandlungen der k. k. Leopold. - Carol. Academie der Naturforscher. XIX. Bd. 1860. S. 258.","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"305\ndiesen Folgen auf den operativen Eingriff selbst kommt. In neuerer Zeit hat Lamansky *) die Adrian\u2019schen Versuche wiederholt und im Allgemeinen best\u00e4tigt. Doch hat er eine Beobachtung gemacht, welche zu weiteren Pr\u00fcfungen mahnt. Ein Hund n\u00e4mlich, welchem s\u00e4mmtliche Ganglien des Plexus coeliacus exstirpirt waren, Adrian hatte immer nur den gr\u00f6ssten Theil der Ganglien weggenommen, erlangte nach der Operation schliesslich seine Gesundheit dauernd wieder, machte aber vorher eigenth\u00fcmliche Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen durch, f\u00fcr welche nicht mit Sicherheit eine andere Ursache als die Wegnahme der Ganglien aufgefunden werden konnte.\n*) S. Lamansky: Ueber die Folgen der Exstirpation des Plexus coeliacus und mesentericus. Heul e\u2019s und P f e u f f e r\u2019s Zeitschrift. Dritte Reihe. XXVIII. Bd. S. 59.\nBriihl'sche Univ.-Buch- und Steindruckerei (Fr. Chr. Pietsch) in Giessen.","page":305},{"file":"z0001.txt","language":"de","ocr_de":"Man verbessere vor dem Gebrauch die folgenden Fehler :\ns.\t27\tZeile\t10\tvon\toben lese\t\tman\tLeitungsg\u00fcte statt Leistungsg\u00fcte-\t\t\n7?\t85\tn\t17\t7)\tunten\t71\t71\tInnervationsvorg\u00e4nge statt Ern\u00e4hrungsvorg\u00e4nge.\t\t\nn\t95\tV\t17\tV\toben\t7)\t??\tUnterschied\tstatt\tUrterschied.\nn\t99\t\u00bb\t16\tn\tunten\t\u00bb\t??\tPunkte\t??\tStellen.\nn\t142\tn\t8\tn .\toben\tV\t?!\tvergehen\t??\tVorgehen.\nn\t142\tj?\t9\tn\toben\t71\t?!\tschloss\t??\t\u00f6ffnete.\nn\t142\tn\t5\tn\tunten\t\u00bb\t\u00bb\t1862\t71\t1852.\nn\t159\tn\t3\tn\tunten\t?!\t71\tla\t71\tle.\nn\t173\tn\t18\tn\toben\t71\t\u00fc\tdritten\t\u00fc\tzweiten *).\nn\t235\tV\t7\t7) '\tunten\t7t\tn\tExspirationsstellung statt Exstirpationsstellung.\t\t\n*) So muss es nach einer besondern, hier vorgenommenen Pr\u00fcfung heissen.","page":0}],"identifier":"lit42","issued":"1867","language":"de","pages":"305","startpages":"305","title":"Experimentalphysiologie des Nervensystems","type":"Book"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:38:48.822827+00:00"}