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Ueber das Maßprincip der Psychophysik und den Algorithmus der Empfindungsgrößen

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{"created":"2022-01-31T12:29:28.916489+00:00","id":"lit4208","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Lange, Ludwig","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 10: 125-139","fulltext":[{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Mafsprincip der Psychophysik und den Algorithmus der Empfindungsgr\u00f6fsen.\nVon\nDr. Ludwig Lange\nin Elberfeld.\nUnter dem Titel \u00bbUeber das Ma\u00dfprincip der Psycbophysik \u00ab habe ich im Sommer 1886 eine kleine theoretische Abhandlung verfasst, welche bis jetzt nicht ver\u00f6ffentlicht worden ist. Der Grund hiervon war der, dass ich die gewonnene theoretische Ueberzeugung experimentell zu best\u00e4tigen vorhatte, jedoch durch l\u00e4ngeres Kranksein, welches mich zwang, einen rein praktischen Lebensberuf zu ergreifen, an der Anstellung der hierzu n\u00f6thigen Experimente verhindert wurde. Nun ist neuerdings Merkel bei seinen Untersuchungen \u00bbUeber die Abh\u00e4ngigkeit zwischen Reiz und Empfindung\u00ab zu Resultaten gelangt, welche in ganz augenf\u00e4lliger Weise die Richtigkeit meiner theoretischen Grundidee best\u00e4tigen, und so beschloss ich denn, angeregt durch meinen verehrten Lehrer Professor Wundt, sowie meinen Freund Oswald K\u00fclpe, die betreffenden theoretischen Erw\u00e4gungen hiermit der fachm\u00e4nnischen Welt zur Begutachtung zu unterbreiten.\nIch gehe hierbei aus von den fundamentalen Begriffsbestimmungen \u00fcber die Empfindungsscala und ihre Beziehung zur Reizscala, welche der Altmeister der Psychophysik seinen Untersuchungen zu Grunde gelegt hat.\nFechner setzt \u2014 nicht nur in seinen \u00bbElementen\u00ab, sondern auch in sp\u00e4teren psychophysischen Schriften \u2014 die principielle","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nLudwig Lange.\nMethode der Messung von Empfindungsintensit\u00e4ten bewussterma\u00dfen in solcher Weise aus einander, dass es den Anschein gewinnen muss, als sei die Reizscala die unbedingt nothwendige Unterlage der Empfindungsscala, mit andern Worten, als k\u00f6nne die Empfindungsscala nur normirt werden, indem man die Reizscala zu Grunde lege und von der zwischen Reiz und Empfindung bestehenden \u00bb empirisch gewonnenen\u00ab Functionsbeziehung \u2014 sei diese nun dem Web er\u2019sehen oder einem anderen Gesetze \u00e4quivalent \u2014 Anwendung mache. Diese Aufstellung muss unbedingt demjenigen, welchem sie ohne Vermittelung entgegentritt, den Verdacht eines circulus vitiosus aufdr\u00e4ngen1 2). In der That, was soll es hei\u00dfen, experimentelle Untersuchungen \u00fcber den Charakter der zwischen Reiz (r) und Empfindung (e) bestehenden Functionsbeziehung e = cp (r) anzustellen, wenn die Empfindungsscala nur auf Grund der Reizscala und zwar mittelst eben dieser schon als bekannt vorauszusetzenden Gleichung e = cp (r) normirt werden kann? Wenn es wirklich wahr w\u00e4re, dass \u2014 um z. B. die Giltigkeit des Weber\u2019schen Gesetzes vorauszusetzen \u2014 das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltniss zweier den Reizen r und r' entsprechenden gleichartigen Empfindungen e, e nicht anders definirt werden k\u00f4ni\u00ee\u00efe als durch die Proportion:\nv t' 2) e : e' \u2014 log \u2014 : log \u2014\n(worin \u00e7 die Reizschwelle bedeutet), so w\u00fcrde das Fechnersehe psychophysische Beziehungsgesetz auf eine blo\u00dfe Tautologie hinauslaufen und einer empirischen Best\u00e4tigung nicht bed\u00fcrfen. Es w\u00e4re dann ein ebenso \u00fcberfl\u00fcssiger und nichtssagender Satz, als der \u00bblogische Grundsatz\u00ab A \u2014 A, sofern man ihn blo\u00df mit den Worten interpretiren wollte: \u00bbJeder Begriff ist sich selbst gleich\u00ab3). M\u00f6glicherweise hat eben dieser nicht grundlose Verdacht eines Cir-kels zu manchen irrth\u00fcmlichen Anschauungen \u00fcber die Berechtigung der Psychophysik den Hauptanlass gegeben.\n1)\tVergl. A. K\u00f6hler, Phil. Stud. Ill, S. 574.\n2)\tUnd so ist es doch gemeint, wenn Fechner \u00bbdie innere Empfindung durch eine \u00e4u\u00dfere Elle gemessen\u00ab wissen will.\n3)\tUeber den Satz der Identit\u00e4t vergl. W. Wundt, Logik, I. S. 504f.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Ma\u00dfprincip der Psychophysik.\n127\nFechner ist von diesem Verdacht nat\u00fcrlich selber nicht unber\u00fchrt geblieben, glaubt aber, dass derselbe einer n\u00e4heren Betrachtung des Sachverhaltes nicht Stich halte. Um die Grundlosigkeit eines solchen Verdachtes zu erkennen, brauche man, so meint er, nur zweierlei zu bedenken, n\u00e4mlich: \u00bb1) dass wir die Function zwischen Reiz und Empfindung aus einer Function zwischen dem Elementaren, woraus beide als erwachsen angesehen werden k\u00f6nnen, ableiten; 2) dass wir diese Function auf die in der Erfahrung m\u00f6gliche, der Ausf\u00fchrbarkeit nach durch genaue Methoden gesicherte Beurtheilung von Gleichheit im Empfindungsgebiete st\u00fctzen\u00ab (Elemente, Bd. I S. 58). Es unterliegt keinem Zweifel, dass durch diesen Hinweis aufs Experiment jene Ansicht, als enthalte das psychophysische Beziehungsgesetz seinem Wesen nach eine blo\u00dfe Tautologie, vollkommen widerlegt wird. Trotzdem bleibt der Vorwurf bestehen, dass man, wenn man das psychophysische Ma\u00df-princip einerseits und das psychophysische Beziehungsgesetz anderseits auf die Fechner\u2019sche Weise formulirt, einen methodologischen Cirkel in die Grundbegriffe der Psychophysik hineintr\u00e4gt. Und sollte man denn diesen Cirkel nicht vermeiden k\u00f6nnen ? Sollte es nicht m\u00f6glich sein, die Empfindungsscala begrifflich unabh\u00e4ngig von der Reizscala zu normiren, so dass nachher das Beziehungsgesetz die von ihm behauptete Abh\u00e4ngigkeit zwischen Reiz und Empfindung in voller Klarheit als eine empirische erkennen l\u00e4sst?\nIn der That steht dem gar nichts im Wege, und es ist bereits von anderer Seite auseinander gesetzt worden, auf welche Weise das Ma\u00dfprincip der Empfindung unabh\u00e4ngig von dem Ma\u00dfprincip des Reizes zu formuliren sei (K\u00f6hler, a. a. O. S. 576 f.). Ehe wir jedoch hierauf eingehen, d\u00fcrfte es gut sein, sich einmal zu vergewissern, ob nicht Fechner noch irgendwelche tiefere Gr\u00fcnde gehabt hat, hier von dem Inneren auf das Aeu\u00dfere zu recur-riren und demgem\u00e4\u00df eine \u00bb\u00e4u\u00dfere Elle\u00ab als Ma\u00dfstab an die \u00bbinnere Empfindung\u00ab anzulegen. In der That fehlt es nicht an Gesichtspunkten , welche hier in Betracht kommen.\nEs ist sehr wahr, was Fechner mehrfach (Elemente, S. 56 u- a. 0.) hervorhebt, dass man auch bei Betrachtung rein physikalischer Gr\u00f6\u00dfen aus dem engeren Gebiete dieser Gr\u00f6\u00dfen oft,","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nLudwig Lange.\nwo nicht immer in ein anderes Gr\u00f6\u00dfengebiet \u00fcbergreifen muss, wenn man zu einer Ma\u00dfbestimmung in jenem ersten Gr\u00f6\u00dfengebiete gelangen will. Die Gleichheit zweier Zeitabschnitte und folglich \u00fcberhaupt das Zeitma\u00df kann nicht wissenschaftlich definirt werden, ohne dass wir bereits den linearen Raumbegriff und die in ihm platzgreifenden Ma\u00dfbestimmungen zu Grunde legen. Das numerische Verh\u00e4ltniss zweier Kr\u00e4fte ist zu definiren durch das Ver-h\u00e4ltniss der Beschleunigungen, welche sie einer und derselben Masse zu ertheilen verm\u00f6gen, und man sieht, dass hei dieser Definition des Kraftma\u00dfes die Raum- wie die Zeitmessung beide schon als principiell fixirt vorausgesetzt werden. So messen wir also die Zeit (im Princip) durch den von einem tr\u00e4gen materiellen Punkte in seiner Inertialbahn durchlaufenen Weg, und die Kraft durch die zweite Ableitung des von dem beeinflussten Punkte zur\u00fcckgelegten Weges nach der dazu erforderlichen Zeit1). Die \u00bbobjective\u00ab Zeit wie die \u00e4u\u00dfere Kraft sind uns eben, wie man zu sagen pflegt, nicht unmittelbar gegeben, sondern werden erst aus den Erscheinungen \u00bberschlossen\u00ab2).\nEbenso nun, wie die S\u00e7ala der innerlichen Kr\u00e4fte auf die Scala der \u00e4u\u00dferen Inertialbeschleunigungen |egr\u00fcndet wird, ebenso, meint Fechner, m\u00fcsse die Scala der inneren Empfindungen auf der Scala der \u00e4u\u00dferen Reize fu\u00dfen : nur mit dem Unterschiede, dass, w\u00e4hrend dort zwischen Beschleunigung und Kraft die Beziehung gew\u00f6hnlicher Proportionalit\u00e4t besteht, hier zwischen Empfindung und Reiz eine andere Functionsbeziehung anzusetzen sei, und zwar insbesondere im Falle der Giltigkeit des Weber\u2019schen Gesetzes die loga-rithmische Beziehung, welche n\u00e4chst der Proportionalit\u00e4t die denkbar einfachste sein soll (Elemente, I. 62).\n1)\tVergl. Phil. Stud. II, S. 276f., 545.\n2)\tAuf diese Ausdrucksweise komme ich in der n\u00e4chsten Anmerkung zu sprechen. Man kann, wohl mit demselben Rechte auch vom \u00bbobjectiven\u00ab Raume sagen, dass er erst aus den Erscheinungen \u00bberschlossen\u00ab wird; jedoch erhellt aus dem Obigen zur Gen\u00fcge, dass die wissenschaftliche Raumbestimmung dem unmittelbar Gegebenen viel n\u00e4her steht, als die Gr\u00f6\u00dfenbestimmungen im Zeit- und Kraftgebiete, welche erst auf der Raumbestimmung zu fu\u00dfen haben. Es w\u00fcrde nicht schwer fallen, das mathematisch-physikalische Gr\u00f6\u00dfengebiet nach Art einer Klimax in Gr\u00f6\u00dfen verschieden hoher Gattung einzutheilen, wovon aber hier Abstand genommen werden mag.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Ma\u00dfprincip der Psychophysik.\n129\nWie bedenklich jedes psychophysische Beziehungs - \u00bb Gesetz\u00ab e = (p M w\u00e4re, wenn auf dem Gebiete der Empfindungen wirklich eine Ma\u00dfbestimmung nicht unabh\u00e4ngig von der Ma\u00dfbestimmung des Reizgebietes geschaffen werden k\u00f6nnte, brauche ich nicht zu wiederholen. Aber dass die obige Analogie mit der Kraft hinkt und nicht im mindesten daf\u00fcr spricht, das Empfindungsma\u00df begrifflich aufs Reizma\u00df zu st\u00fctzen, dies d\u00fcrfte unschwer zu erweisen sein. Warum m\u00fcssen wir das Kraftma\u00df auf das Raum- und Zeitma\u00df st\u00fctzen? Die Antwort ist sehr einfach. Von zwei \u00e4u\u00dferen Kr\u00e4ften (Beschleunigung erzeugenden Umst\u00e4nden) kann man nie sagen, dass sie gleich oder in irgend einem Sinne verschieden sind, ohne dass man sich dabei auf die von ihnen erzeugten Beschleunigungen beruft1). Dagegen ist von zwei gleichartigen Empfindungen (bez. Empfindungsunterschieden) unmittelbar \u2014 ohne die Reize zu kennen \u2014 anzugeben m\u00f6glich, ob sie gleich oder verschieden und welche von beiden die gr\u00f6\u00dfere ist, und darum liegt gar kein Grund vor, das Ma\u00dfprincip im Empfindungsgebiete auf das Ma\u00dfprincip irgend eines anderen Gebietes zur\u00fcckzuf\u00fchren. Das principielle Kraftma\u00df musste auf die Ma\u00dfprincipien anderer Gr\u00f6\u00dfengebiete reducirt werden, weil die \u00e4u\u00dfere Kraft unserer Sch\u00e4tzung, ob gr\u00f6\u00dfer oder kleiner, nicht unmittelbar gegeben ist. Was kann aber unserer Sch\u00e4tzung aufs Gr\u00f6\u00dfer oder Kleiner unmittelbarer gegeben sein, als unsere inneren Empfindungen?\nDie aus einer Betrachtung \u00fcber physikalische Ma\u00dfmethoden erwachsenen tieferen Gr\u00fcnde, welche Fechner zu seiner eigenartigen Formulirung des psychophysischen Ma\u00dfprincipes gef\u00fchrt haben, erweisen sich demnach als nicht stichhaltig, und es bleibt uns nur \u00fcbrig, kurz zu zeigen, auf welche Weise es m\u00f6glich ist, das Ma\u00dfprincip der Empfindung unabh\u00e4ngig vom Ma\u00dfprincip des Reizes zu formuliren.\n1) Man pflegt dem entsprechend zu sagen, das Gr\u00f6\u00dfer oder Kleiner der raft werde aus den erzeugten Beschleunigungen \u00bberschlossen\u00ab; doch d\u00fcrfte es sc icklicher sein, dieses Gr\u00f6\u00dfer oder Kleiner \u00fcberhaupt nicht als ein erst zu erschlies-\u201ccn es metaphysisches zu supponiren, sondern vielmehr eben durch das Gr\u00f6\u00dfer (PVl^einer der \u25a0Bescll'eunlgungen zu definiren, wobei das von mir a. a. 0. i. Stud. II, S. 275) sogenannte Princip der particularen Determination in Anbetung zu bringen ist.\nWundt, Philos. Studien. X.\tq","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nLudwig Lauge.\nSind zwei gleichartige Eeize gegeben, so k\u00f6nnen wir von den ihnen entsprechenden gleichartigen Empfindungen unter allen Umst\u00e4nden angeben, ob sie gleich oder verschieden gro\u00df und welche von ihnen im letzteren Falle gr\u00f6\u00dfer erscheint. Hiermit haben wir aber zun\u00e4chst noch keinen Anhalt, um im Falle der Verschiedenheit beider Empfindungen zu bestimmen, wieviel mal so gro\u00df die eine als die andere anzusetzen ist. In der That fehlt uns von Grund aus jede M\u00f6glichkeit, das Verh\u00e4ltniss zweier Empfindungsintensit\u00e4ten in ebenso unmittelbar anschaulicher Weise zu erfassen, als dies z. B. bei dem Verh\u00e4ltniss zweier Raumstrecken freisteht. Aber diese unmittelbare Anschaulichkeit der Messung ist auch im mathematisch-physikalischen Gr\u00f6\u00dfengebiete kaum irgendwo anders zum zweiten Male anzutreffen. Und wenn auch zwei gleichartige Empfindungen keineswegs ein anschauliches Verh\u00e4ltniss der Art besitzen, dass die schw\u00e4chere und Bruchtheile der schw\u00e4cheren in der st\u00e4rkeren bis zur Deckung so und so oft an einander gelegt werden k\u00f6nnten, so fehlt es doch nicht an einem Verh\u00e4ltniss beider Empfindungen, welches sich begrifflich ebenso klar angeben l\u00e4sst , als es z. B. bei dem Verh\u00e4ltniss zweier Electricit\u00e4tsmengen der Fall ist. Principiell l\u00e4uft n\u00e4mlich die Verh\u00e4ltnissbestimmung und damit die Messung von Empfindungen auf Folgendes hinaus.\nEbenso wie von zwei gleichartigen Empfindungen kann man auSh von zwei gleichartigen Empfindungsunterschieden unmittelbar angeben, ob sie sich dem Bewusstsein als gleich gro\u00df darstellen oder nicht. Sind nun zwei Reize r R und ihnen entsprechende Empfindungen e < E gegeben, so kann man (vom Reize Null ausgehend und nach oben fortschreitend) einen Reiz rt, ferner einen Reiz r2 > ru einen Reiz r3 >\u25a0 r2 u. s. w. so construiren, dass die entsprechenden Empfindungsunterschiede der Beziehung:\net \u2014 0 = e2 \u2014 ei = e3 \u2014 ei =..........\nGen\u00fcge leisten. Es stelle sich nun, indem man diese Scala zunehmender Empfindungsintensit\u00e4ten schafft, heraus, dass eine der darin enthaltenen Empfindungen, etwa em mit e und eine der noch h\u00f6her gelegenen Empfindungen, etwa en mit JE an Intensit\u00e4t gleichkommt. Man hat alsdann von der Empfindung Null bis zur Empfindung e gerade m einander gleichende Intensit\u00e4ts stufen von","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Ma\u00dfprincip der Psychophysik.\n131\nbestimmter Gr\u00f6\u00dfe, und von der Empfindung Null bis zur Empfindung E genau n Stufen der gleichen Gr\u00f6\u00dfe erstiegen. Und dem entsprechend wird nunmehr das Yerh\u00e4ltniss e : E einfach durch die Proportion :\ne : E = m : n\nzu definiren sein.\nDies ist in der That das allgemeine Ma\u00dfprincip der Empfindung, aus welchem durch speciellere Ausgestaltung die verschiedenen psychophysischen Grundmethoden, in erster Linie diejenigen der Minimal\u00e4nderungen und der mittleren Abstufung sich ergeben. Es unterliegt ja keinem Zweifel, dass die Scalenbildung, auf welche dem Vorhergehenden zufolge das Empfindungsma\u00df hinausl\u00e4uft, in der Theorie leichter aussieht, als sie in Praxis wirklich ist. Doch begr\u00fcndet dies keinen Einwand gegen die Messbarkeit der Empfindungen an sich. Alle die Schwierigkeiten, welche sich bei den psychophysischen Untersuchungen unvermeidlich einstellen, weisen nur darauf hin, dass es streng genommen eine unvollst\u00e4ndige Ausdrucks weise ist, schlechthin von dem Verh\u00e4lt-6\nnisse \u2014 zweier den constanten Reizen r, R entsprechender Empfindungen zu reden, indem vielmehr die modificirenden Bedingungen genau hinzugef\u00fcgt werden m\u00fcssten, unter welchen die beiden Empfindungen gegen einander abgewogen werden; und in Wahrheit laufen ja alle die Subtilit\u00e4ten der Versuchsanordnung, welche im Laufe jeder ernstlichen psychophysischen Untersuchung noth wen dig werden, darauf hinaus, jene Bedingungen m\u00f6glichst klar zu erkennen und entweder in jeder Versuchsreihe m\u00f6glichst constant zu erhalten, oder doch ihren Einfluss durch Rechnung zu eliminiren, sofern sie nicht selbst Gegenstand der Betrachtung sind.\nAlles wohl erwogen, d\u00fcrfte also keiner der bisher gegen die Messbarkeit von Empfindungsintensit\u00e4ten geltend gemachten Einw\u00e4nde bestehen bleiben, sobald man sich nur das im Vorhergehenden er\u00f6rterte Ma\u00dfprincip vergegenw\u00e4rtigt. Ich muss auch gestehen, dass ich selber l\u00e4ngere Zeit nicht im geringsten daran gezweifelt habe, dass durch eine Formulirung des psychophysischen Ma\u00dfprin-C1ps nach Art der eben versuchten der Streit \u00fcber die Messbarkeit der Empfindungen endgiltig zu Fechner\u2019s Gunsten aus der Welt\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nLudwig Lange.\ngeschafft werden k\u00f6nnte. Allein in letzter Zeit ist mir doch ein neues (allerdings nicht ganz leicht zu pr\u00e4cisirendes) Bedenken aufgestiegen, welches zwar nicht zur vollst\u00e4ndigen Unm\u00f6glichkeit, den Gr\u00f6\u00dfenhegriff ins Empfindungsgebiet zu \u00fcbertragen, aber doch zum mindesten dazu f\u00fchren d\u00fcrfte, dass die M\u00f6glichkeit, das numerische Verh\u00e4ltniss zweier gleichartiger Empfindungen zu bestimmen, als eine an sich beschr\u00e4nkte und r\u00fccksichtlich ihrer Ausdehnung von besonderen weiteren Erfahrungen abh\u00e4ngige sich darstellt. Dieses Bedenken eben ist es, welches durch die neuen Untersuchungen von Merkel in \u00fcberraschender Weise best\u00e4tigt worden ist. Es flie\u00dft aus gewissen vergleichenden Betrachtungen \u00fcber die Gr\u00f6\u00dfenbestimmungen der Physik einerseits und der Psycho-physik anderseits, und ist, wie mir scheint, geeignet, seinerseits wieder auf die allgemeine Gr\u00f6\u00dfenlehre und ihre Principien helles Licht zu werfen. Alle vorher gegangenen Erw\u00e4gungen bitte ich nun nur als Vorbereitung f\u00fcr die nachfolgende Exposition jenes eigenartigen Bedenkens anzusehen.\nDie Vorstellung des numerischen Verh\u00e4ltnisses zweier Empfindungen beruht nach dem Vorhergehenden auf einer Art von Scalenbildung. Es wird gewisserma\u00dfen eine Stufenleiter von Empfindungen construirt, in welcher die Sprossenweite allerw\u00e4rts von derselben Gr\u00f6\u00dfe ist. Von welcher Gr\u00f6\u00dfe, dar\u00fcber verlautet im allgemeinen Ma\u00dfprincip der Empfindungen nichts. Vielmehr ist das eine Sache der besonderen Ma\u00dfmethode und, wie bekannt, w\u00e4hlt die Methode der Minimal\u00e4nderungen den eben-merklichen, diejenige der mittleren Abstufung dagegen einen beliebigen Empfindungsunterschied \\ als Sprossenweite. Also wenn z. B. drei Empfindungen ej\te2\tei\ngegeben sind und es gilt, das numerische Verh\u00e4ltniss ^\tzu\nermitteln, so kann dabei dem allgemeinen Ma\u00dfprincip zufolge eine beliebige Sprossenweite zu Grunde gelegt werden.\nUnd hier dr\u00e4ngt sich nun die wohlberechtigte Frage auf : Ist\ndenn das in Betreff des Quotienten \u2014-----\u2014 zu gewinnende R\u00e9sul-\nta \u2014 e\\\ntat unabh\u00e4ngig davon, was f\u00fcr eine fundamentale Sprossenweite man anwendet? Oder um gleich einen specielleren Fall zu setzen, wenn etwa mit H\u00fclfe einer bestimmten Sprossenweite e3 \u2014 e2 = e2 \u2014 e1","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Ma\u00dfprincip der Psychophysik.\n133\nsich ergeben hat, muss dann auch f\u00fcr jede andere Sprossenweite diese Gleichung resultiren? Muss also vor allem die directe Vergleichung zwischen e3 \u2014 e2 und e2 \u2014 (welche offenbar auf die Methode der mittleren Abstufung hinauskommt) das mit einer Sprossenweite < e2 \u2014 et (bez. e3 \u2014 e2) erhaltene Resultat e3 \u2014 e2 = e2 \u2014 best\u00e4tigen?\nDer \u00bbgesunde Menschenverstand\u00ab wird unbedenklich sofort mit Ja! erwidern und alle Gr\u00fcnde nicht achten, welche geeignet sein k\u00f6nnten, ihn in dem sicheren Besitz seiner \u00bbselbstverst\u00e4ndlichen\u00ab Wahrheiten zu ersch\u00fcttern. Allgemein steht es doch auf den anderen Ma\u00dfgebieten fest, dass die Entscheidung der Gleichheit zweier Gr\u00f6\u00dfen von dem Betrage der fundamentalen Sprossenweite, d. h: der Einheit, unabh\u00e4ngig ist; \u00bbwie sollte es nun auf psychophysischem Gebiete anders sein\u00ab?\nDoch fragen wir einmal nach dem wirklichen Grund der Thatsache, dass auf allen physikalischen Ma\u00dfgebieten der Betrag der Einheit ohne Einfluss auf die Entscheidung der Gleichheit zweier Gr\u00f6\u00dfen ist! Denn diese Thatsache hat ihren guten anschaulichen Grund und ist keineswegs als selbstverst\u00e4ndlich anzusehen. Dieser Grund ist folgender.\nAlle Ma\u00dfbestimmungen der Physik gehen in letzter Linie auf die Ma\u00dfbestimmungen im Gebiete des linearen Raumes zur\u00fcck, wie wir dies an den Ma\u00dfbestimmungen auf den Gebieten der Zeit und der Kraft schon oben (S. 126 f.) haben durchblicken lassen. Sobald es uns also gelingt, den Grund aufzudecken, warum auf linearem Raumgebiete die Entscheidung der Gleichheit zweier Gr\u00f6\u00dfen von dem Betrage der Einheit unabh\u00e4ngig ist, so wird damit der letzte Grund derselben Thatsache sofort auch f\u00fcr alle physikalischen Gr\u00f6\u00dfengebiete h\u00f6herer Gattung aufgedeckt sein. Im Gebiete des linearen Raumes nun verh\u00e4lt sich die Sache folgenderma\u00dfen.\nZwei Strecken ab und cd hei\u00dfen dann einander gleich, wenn sie mit ihren Endpunkten zur vollst\u00e4ndigen gegenseitigen \u00abI\u2014---------Deckung gebracht werden k\u00f6nnen, mit andern Wor-\nten, wenn a mit c und gleichzeitig b mit d zur Deckung zu bringen ist* 1). Nach diesem Princip\n1) Ich brauche hier nicht auszuf\u00fchren, 'dass bei dieser Definition von dem egnffe des starren K\u00f6rpers d. h. von der Thatsache auszugehen ist, dass zwei\n-I i","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nLudwig Lange.\nwird \u00fcber die Gleichheit von Strecken unmittelbar, d. h. ohne Zugrundelegung einer besonderen Einheit entschieden. Nun nehme man aber eine solche Einheitsstrecke an, welche in ab gerade w-mal aufgeht und mache ce? so lang, dass es ebenfalls gerade rc-mal die Einheitsstrecke enth\u00e4lt. Alsdann l\u00e4sst sich beweisen \u2014 ist aber von wissenschaftlichem Standpunkte betrachtet keineswegs selbstverst\u00e4ndlich \u2014 dass nunmehr ab und cd auch nach dem ersten Ver-gleichungsprincip der unmittelbaren Deckung (ohne Zuziehung einer kleineren Einheit) als gleich sich heraussteilen m\u00fcssen.\nBeweis: Wenn man die Strecke ab von\u00ab nach b durchl\u00e4uft, so \u00fcberschreitet man n Theilstrecken von der Einheitsgr\u00f6\u00dfe, welche durch \u00ab\u00ab', \u00ab'\u00ab\", .... bezeichnet sein ^\t\u00ab\"\t^^\nm\u00f6gen. Desgleichen \u00fcberschreitet man, ^___________ ' [\t|_______\nauf cd von c nach d fortschreitend,\t* c\"\nn ebenfalls der Einheit gleichende Theilstrecken ec', c'e\", c'c\", . . . Legt man nun beide Hauptstrecken so \u00fcber einander, dass a mit\nc coincidirt und dass die Richtungen ab und cd \u00fcbereinstimmen, so folgt zun\u00e4chst, dass \u00ab' mit c zusammenfallen muss. Denn der urspr\u00fcngliche geometrische Gleichheitsbegriff ist unstreitig derjenige der unmittelbaren Deckung, und weil nun die Strecken \u00ab\u00ab' und cc' beide der Einheit gleichen, d. h. mit der Einheitsstrecke sich decken, so decken sie sich auch unmittelbar gegenseitig. Nachdem einmal die Coincidenz von \u00ab' und c' feststeht, folgt weiterhin ganz analog, dass \u00ab\" mit c\" u. s. w., also allgemein dass a(m) mit c?m) zusammenf\u00e4llt. Der Punkt b ist aber so viel als ein Punkt \u00ab(\u201c) und d so viel als ein Punkt c(M), folglich m\u00fcssen b und d auf einander zu liegen kommen, w. z. b. w.\nHiermit ist unser Satz f\u00fcr das lineare Raumgebiet bewiesen. Nunmehr \u00fcbertr\u00e4gt er sich, wie angedeutet, von selbst auf alle anderen mathematisch-physikalischen Gr\u00f6\u00dfengebiete. Urspr\u00fcnglich ein Princip der Longimetrie, wird er zum Gemeingut aller mathematisch-physikalischen Disciplinen. Zun\u00e4chst \u00fcbertr\u00e4gt er sich aufs Gebiet der Zeit darum, weil ja die Zeit conventionell\nstarr-materielle Strecken, die einmal zur genauen Deckung gebracht werden konnten, jederzeit wieder die Deckung zulassen; was in natura, da man es hier stets nur mit relativ starren K\u00f6rpern zu thun hat, blo\u00df ann\u00e4hernd zutrifft.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Ma\u00dfprincip der Psychophysik.\n135\ndurch den von einem tr\u00e4gen Punkte durchlaufenen linearen Kaum gemessen wird. Es w\u00fcrde indess hier zu weit f\u00fchren, wenn ich diese Wahrheit noch weiter im Einzelnen zur Schau stellen wollte.\nNun aber fragen wir uns noch einmal : l\u00e4sst sich dieser Satz denn so ohne weiteres auf psychophysisches Gebiet \u00fcbertragen? Da die Empfindungssch\u00e4tzung eine ganz directe ist (s. o. S. 128), so sieht man zun\u00e4chst, dass eine analoge Uebertragung, wie wir sie soeben von Kaum auf Z\u00a7it u. s. w. Vornahmen, von Kaum auf Empfindung nicht m\u00f6glich ist. Folglich w\u00fcrde es darauf ankommen, unmittelbar auf dem Gebiete der Empfindungsgr\u00f6\u00dfen den mathematischen Nachweis zu liefern, dass unser Satz auch hier gelte ; d. h. dass die zwei Empfindungsunterschiede e3 \u2014 e2, e2 \u2014 e1} wofern sie mit H\u00fclfe einer beliebigen Sprossenweite untersucht, gleich viel Sprossen zu enthalten scheinen, dann auch unmittelbar als gleich gro\u00df dem Bewusstsein sich darstellen m\u00fcssten.\nUnd hier wird man vergeblich nach einem analogen apriorischen Beweise suchen, wie es der obige im Gebiete der Longi-metrie war. Der Grund davon ist auch unschwer anzugeben. Im Princip beruhte der erbrachte Nachweis auf der successiven Deckung nach einander folgender Theilpunkte. Theilpunkte oder etwas ihnen Analoges kann es aber nur bei extensiven und nicht bei intensiven Gr\u00f6\u00dfen J) geben, wie es doch die Empfindungen sind; und die Vergleichung zweier Empfindungen beruht gar nicht auf dem Princip einer eigentlichen Deckung, sondern hat vielmehr den Charakter einer unmittelbaren Sch\u00e4tzung nach Art des Augenma\u00dfes. Niemals wird es daher gelingen, eine apriorische Deduction des Satzes zu liefern, dass die Beurtheilung der Gleichheit zweier Empfindungsunterschiede von der Sprossenweite unabh\u00e4ngig sei.\nWo die apriorische Deduction versagt, zieht man allgemein die Erfahrung zu K\u00e4the. Dementsprechend w\u00fcrde es nun der Gegenstand einer experimentellen Untersuchung sein, ob nicht der im Gebiete der mathematisch-physikalischen Gr\u00f6\u00dfen streng aus dem\n1) Aus diesem Grunde w\u00fcrde auch jeder Versuch vergeblich sein, unseren Satz f\u00fcr das Gebiet der intensiven Kraft unmittelbar, d. h. ohne R\u00fcckgang auf die extensiven Kraftwirkungen nachweisen zu wollen.","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nLudwig Lange.\ndort geltenden Begriff der Gleichheit zu deducirende Satz auf das Gebiet der Empfindungsgr\u00f6\u00dfen wenigstens auf Grund von Erfahrungen \u00fcbertragen werden kann.\nUntersuchungen eigens in diesem Sinne sind, wie bekannt, noch nicht angestellt worden. Doch schien es mir bereits fr\u00fcher nach manchen beil\u00e4ufig von anderer Seite gefundenen Thatsachen entschieden so, als ob jene Uebertragung zum mindesten nicht auf allen Empfindungsgebieten gestattet w\u00e4re. Und dass die neuesten Resultate von Merkel diesen meinen Verdacht vollkommen best\u00e4tigt haben, brauche ich nicht im einzelnen nachzuweisen; ich \u00fcberlasse es vielmehr Jedem, der Zeit und Lust zu solchen Forschungen hat, sich selbst davon zu \u00fcberzeugen. Jedenfalls d\u00fcrfte es nach dem Vorhergehenden keinem Zweifel mehr unterliegen, dass empirische Untersuchungen \u00fcber die Frage der Uebertragbar-keit unseres Satzes h\u00f6chst noth wendig und Vorbedingung alles sicheren Fortschrittes in der Psychophysik sind.\nAnstatt auf diese sehr zeitraubenden empirischen Untersuchungen uns einzulassen, welche den Gegenstand besonderer Arbeiten bilden w\u00fcrden, wollen wir uns zum Schl\u00fcsse dieses Aufsatzes einmal vergegenw\u00e4rtigen, was daraus folgt, wenn die Uebertragung des Satzes auf irgend ein Sinnesgebiet, sagen wir z. B. auf das Gebiet des Gesichts, nicht gestattet ist. Zun\u00e4chst ist klar, dass in diesem Falle nicht so ohne weiteres von einem bestimmten numerischen Verh\u00e4ltniss zweier Empfindungen geredet werden kann. Vielmehr muss, wenn man einigerma\u00dfen streng sein will, stets auch die zu Grunde gelegte Sprossenweite angegeben werden, weil man sich sonst bei jenem numerischen Verh\u00e4ltnisse schlechterdings Nichts oder Alles denken k\u00f6nnte. Vorausgesetzt nun, man tr\u00e4fe ein f\u00fcr allemal die \u2014 immerhin am n\u00e4chsten liegende \u2014 Convention, den eben merklichen Unterschied als Sprossenweite einzuf\u00fchren, so w\u00e4re es doch eine h\u00f6chst missliche Thatsache, dass die beiden zufolge dieser Convention als gleich gro\u00df zu bezeichnenden Unterschiede e3 \u2014 e2 und e2 \u2014 ex f\u00fcr sich betrachtet verschieden gro\u00df erscheinen k\u00f6nnen. Diese Thatsache w\u00fcrde doch zum mindesten den ganzen wissenschaftlichen Werth aller Verh\u00e4ltnissbestim-mungen, d. h. eigentlicher Messungen in dem betrachteten Sinnesgebiete \u00e4u\u00dferst problematisch erscheinen lassen.","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Ma\u00dfprincip der Psycliophysik.\n137\nEs d\u00fcrfte in diesem Falle wohl besser sein, auf derartige Messungen \u00fcberhaupt zu verzichten. Die weitere Folge davon w\u00e4re dann, dass eine psychophysische Grundformel von der Gestalt e = cp(r) nicht aufstellbar w\u00e4re. Sobald sich in einem Sinnesgebiete zeigt, dass unter gleich zuverl\u00e4ssiger Anwendung der beiden Methoden der Minimal\u00e4nderungen und der mittleren Abstufung nicht beidemal eine und dieselbe Functionsbeziehung zwischen e und r resultirt, so wird der Verdacht h\u00f6chst begr\u00fcndet, ja so gut wie gewiss sein, dass im oben er\u00f6rterten Sinne eine Functionsbeziehung e \u2014 cp (r) \u00fcberhaupt nicht zul\u00e4ssig ist.\nWird darum eine psychophysische Behandlung dieses Gebietes \u00fcberhaupt unm\u00f6glich sein? Keineswegs! Eine solche Folgerung hie\u00dfe soviel, als das Kind mit dem Bade aussch\u00fctten ! Unter allen Umst\u00e4nden wird das Weber\u2019sche oder ein ihm analoges Gesetz, sofern es speciell auf Minimal\u00e4nderungen beschr\u00e4nkt bleibt, von gro\u00dfem Werthe sein. Einestheils wird es nach wie vor einen h\u00f6chst wichtigen Fundamentalsatz der Psychologie selbst ausmachen, andem-theils wird seine Bedeutung in diejenigen physikalischen Disciplinen hin\u00fcberreichen, welche mit dem betreffenden Sinnesgebiete n\u00e4her zu thun haben. Aber auch f\u00fcr Empfindungsunterschiede, welche erheblich \u00fcber der Grenze des eben Merklichen liegen, wird es keineswegs unm\u00f6glich sein, wichtige Zahlenbeziehungen festzustellen. Es kann nach wie vor von betr\u00e4chtlichem Werthe sein, festzustellen, welche objective Reizintensit\u00e4t einer Empfindung entsprechen muss, damit diese in der Mitte zu stehen scheint zwischen zwei Empfindungen, deren urs\u00e4chliche Reize ihrer St\u00e4rke nach objectiv genau definirt werden k\u00f6nnen. Auch werden sich hier unzweifelhaft gewisse gesetzliche Beziehungen ermitteln lassen. Was aber auf dem betrachteten Gebiet f\u00fcr immer unm\u00f6glich sein wird, ist die Aufstellung eines Beziehungsgesetzes von der Form e \u2014 cp (r), oder um der Sache gleich auf den Grund zu gehen, \u00fcberhaupt die Anwendung des gew\u00f6hnlichen (in der Physik bemerkenswerther Weise \u00fcberall platzgreifenden) Gr\u00f6\u00dfenbegriffes. Nicht der Gr\u00f6\u00dfenbegriff \u00fcberhaupt ist auf dem betreffenden Gebiete unzul\u00e4ssig, sondern \"ur derjenige specielle Gr\u00f6\u00dfenbegriff, der in seiner Urform auf dem Raumgebiete auftritt und dadurch charakterisirt ist, dass das nume-rische Verh\u00e4ltniss zweier ihm entsprechend festgestellten Zahl-","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nLudwig Lange.\ngro\u00dfen von der Sprossenweite, d. h. der Einheit, unabh\u00e4ngig ist. Ich will diesen Gr\u00f6\u00dfenbegriff, weil er in der Longimetrie wurzelt und erst von hier aus in die \u00fcbrigen mathematisch-physikalischen Ma\u00dfgebiete sich erstreckt, den \u00bblongimetrischen Gr\u00f6\u00dfenbe-griffic nennen.\nSollte sich meine Vermuthung best\u00e4tigen, dass dieser Begriff auf die Psychophysik nicht oder doch nicht durchg\u00e4ngig anwendbar ist, so w\u00fcrde die Psychophysik das erste Beispiel eines allgemeineren Gr\u00f6\u00dfenbegriffes aufweisen. Wir h\u00e4tten dann hier eine durch die Thatsachen gebotene Erweiterung des Gr\u00f6\u00dfenbegriffes vor uns, welche der neueren Helmholtz-Riemann\u2019schen Erweiterung des geometrischen Baumhegriffesl) ganz parallel ginge, ohne freilich \u00e4hnliche Mysterien einzuschlie\u00dfen.\nNur wenn die Empfindungsgr\u00f6\u00dfe unter den longimetrischen Gr\u00f6\u00dfenhegriff fiele, w\u00fcrde es m\u00f6glich sein, die Beziehung zwischen Empfindung und Reiz durch eine Functions curve darzustellen. Im andern Falle wird man keinen Grund haben, die Unm\u00f6glichkeit einer solchen Functionscurve zu bedauern. Denn wenngleich die leitenden Gesichtspunkte von dem betrachtenden Subjecte, d. i. dem Psychologen ausgehen m\u00fcssen, so soll dieser es doch nicht zu seiner Aufgabe machen, der objectiv betrachteten Seele \u2014 so wenig als der Physiker der \u00e4u\u00dferen Natur \u2014 Gesetze aufzuzw\u00e4ngen, sondern er soll der Seele diejenigen Gesetze abzulauschen suchen, welchen sie ohne Zweifel auch ohne sein Zuthun unterworfen ist. Gerade dieser echt Galilei\u2019sche Grundsatz bildet ja das Fundament nicht nur der Physik, sondern auch der experimentellen Psychologie, die auf seine Adoption mit vollem Rechte stolz ist.\nEs mag mir im Anschluss an die vorhergehenden Auseinandersetzungen, welche den wesentlichen Inhalt des nur wenig redigirten Aufsatzes von 1886 ausmachen, gestattet sein, heute noch einige kurze Betrachtungen anzustellen, wie sie im Laufe sp\u00e4terer Jahre in mir zur klareren Gestaltung gekommen sind. Doch muss ich\n1) Ich habe hier nicht so sehr die mehr wie dreidimensionalen \u00bbR\u00e4ume\u00ab, als vielmehr die R\u00e4ume von nicht verschwindendem oder gar ver\u00e4nderlichem Kr\u00fcmmungsma\u00df vor Augen. So lange man sich auf solche R\u00e4ume von weniger als drei Dimensionen beschr\u00e4nkt, bleibt man ja hier im Gebiete des Anschaulichen, d. h. wirklich Geometrischen.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber das Ma\u00dfprincip der Psycliophysik.\n139\nes leider, infolge meiner gesch\u00e4ftlichen Th\u00e4tigkeit, die den gr\u00f6\u00dften Theil meiner Zeit in Anspruch nimmt, mir versagen, mehr als blo\u00dfe Andeutungen zu geben1).\nWenn es sich durch wiederholte gr\u00fcndliche Untersuchungen best\u00e4tigen sollte, dass in irgend welchen Sinnesgebieten das Em-pfindungsverh\u00e4ltniss von der Scalengr\u00f6\u00dfe abh\u00e4ngig ist, so w\u00e4re es geboten, einen neuen Algorithmus dieses Gr\u00f6\u00dfengebietes auszuarbeiten. Es w\u00e4re dies eine Aufgabe, zwar dornenvoll, aber so bedeutend, dass es sich wohl lohnte, an ihre L\u00f6sung die Arbeit eines Menschenlebens zu setzen.\nVielleicht noch merkw\u00fcrdiger als die Aussicht auf diesen neuen Algorithmus sind die Perspectiven, die sich von dem gewonnenen Standpunkte aus f\u00fcr denjenigen er\u00f6ffnen, welcher das Verh\u00e4ltniss zwischen Leib und Seele zum Gegenstand eingehender Untersuchungen machen will.\nKann es in der That ein besseres Argument gegen die grob materialistische Auffassung dieses Verh\u00e4ltnisses geben, als die Erkenntniss, dass der Algorithmus des mathematisch-physikalischen Gr\u00f6\u00dfengebietes bereits im elementarsten psychophysischen Gr\u00f6\u00dfengebiete, dem Gebiete der Empfindungsgr\u00f6\u00dfen, Schiffbruch leidet\u201d?\n1) Ich m\u00f6chte bei dieser Gelegenheit ein eigenth\u00fcmliches Paradoxon aus der Werththeorie erw\u00e4hnen, welches geeignet ist zu zeigen, dass auch in den h\u00f6heren psychologischen Gr\u00f6\u00dfengebieten der Algorithmus der gew\u00f6hnlichen Algebra versagt. Gelten von drei Gr\u00f6\u00dfen A, B, C die Gleichungen B = mA, C = nB, so folgern wir C = mnA. Wenn nun A, B und C sogenannte \u00bbcourante\u00ab Werthe sind, so ist diese Schlussfolgerung ebenfalls g\u00fcltig. Anders liegt aber die Sache, sobald z. B. das werthsch\u00e4tzende Individuum f\u00fcr mn Exemplare von A keine Verwendung hat. Alsdann folgt aus B = mA und C = nB noch lange nicht C = mnA.","page":139}],"identifier":"lit4208","issued":"1894","language":"de","pages":"125-139","startpages":"125","title":"Ueber das Ma\u00dfprincip der Psychophysik und den Algorithmus der Empfindungsgr\u00f6\u00dfen","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:29:28.916495+00:00"}

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